*
w.
ZEITSCHRIFT
FÜR
DEUTSCHE PHILOLOGIE
BEGRÜNDET von JULIUS ZACHER
HERAUSGEGEBEN
VON
Hugo Gering und Friedrich Kauffmann
NEUNUNDVIERZIGSTER
BAND
^^so
VERLAG
VON W. KOHLHAMMER
BERLIN W 35
Derfflingerstraese 10
STUTTGART
ürbangtrasse 14
LEIPZIG
Taubchenweg 21
1923
ö
Druck »on W Kohlhammer. Stuttgart.
Hrinted in Germany.
Inhalt.
Abij*iidi,au^-.em- Seite
Die rxmiwmmAmM der ^öesereaa ]^' ardeodHrf'ear egiaange. Y&a Si e gm undF '•''-•' 1
D«- «töJ 4er g'otiiscihcai Mt>el («cMiiffle). Voai FTÜ-eäri.cih Katiffm*»! :1
Asva Eimurifäi Christiju) Boies naclilans. Vom Erai«t € oneemtiTi« . . . lü. lyä
ll>ie aoräasiü«; xmä deateöhe Hildeliraadsag-*, Voti H-eianiit de Boor . . . 14®
iJm ElieabetM^^nde im ^ereämteii Passional. Tob Maria 'Öeistiahch . . l'Sl
»■3- V'easaaiäDajknQg deutscb*'' j/bikil"i.''«^n und isclinlniSTirieT'- Tom P. or ffi p rdt
moiä JiTieiiiBiiaaii: . 243
Misz.ellll'f n.
Zw "'Lftdm^ icreiuEiajkrtf- Vi«« Ham« SJa^Hiaiiii
(ßäTtler 82
Ziia dieaa ibiüefiaD d-er feau rat. Tod A]l)«Tt LeiitziUiafliiaa "^9
•'Weilfii« 'die* Lao-d g^eäkaiir'; zur Zeitedaiu 4*8, IIS. Vcm Väcit^oi juji,jj - 4
A/dSosaBmire umd die ^«rmäniedie ifraiDea. To-ja M.. B:aib«ir!ki0w , . JJR
Kk'pStwkbrJefe. Ton Eroet Coin?e3a!ti(H*i ...... . J.B2
Tm dim !Ka.fi)twadbieji) ^de« Boma^ieauit.ura. Tob H au s NauiD ar • 240
Zu <]nweJtaaie« ^Sfjadb«''- Taa Cliirist. E»0gg:* ■ 243
Lit«r«timi'.
Da« Marifeaifonargira" AaadbeAiacii; aäigsez. Tioaa KarlH^laasi ^"'
7' urad Biuridaelb, Toam MOititielaiitier zmtr iref oimaitioii ; ajigez. tchj iv a r j
BioriiDski (j) . . - ^6
i>r- Jan d.e Tri-es, Studkm ^ot«!- laToiselae thaJiadi'n : ajug-ez. tob H- (de i)i4).or IC»*
P. Tllartiß JL'mtJii«!« werke; aaigez- tob Alfred Götze 114
r'red Kl«6«, Die Heideibeigiseiiea jalirteefeer der libra"aMr in dem jaJireL
ISäB feie ISltg; amgiez, ^-oa Jos. Kormer ,
•esBias Oottiielf (Aibeit Bitzira.«), i?äHilicie weite im24 ileüiihdaQ: ajig'ei
V' .-Uidolf Stkl'ögser (f) ^'^-
':'-.-- -. er ff, Im: geeeänidaibe 4ier feripitirasiti&fiiiiei!! TerfcÖB-dimg- de« ver-
.•jitäT-uia mit dem partäzipiiim frä«eiD!tis im koDtineiitalg-er-
•rij . afflg'ez- TOB T. Moser ^-°'
ilaer. Die scMegieclie vellfcsIliieidCorseiliiMüBg' : ajagez. tob Kar]
142
. Über mssiselie Zauberformeln mit berücksichtigTiBg: der bJat-
-g'sseg«!!: aiigez. tob J. Scfawietering- 2a.->
rietJansen, Die fimüsciieB und BordiscbeB Taiianlen des
rrjurgrer sprucbcs; angez. vob J. Schwieterintr '--^4
1 1Ü
S-; i
IV Inhalt
Tristan and Isolt, A study of the sources of the romance; angez. von
Karl Reuschel , ... 258
Georges Duriez, La theologie dans le drame religieux en AUemagne au
moyen age; angez. von Karl Helm 260
Georges Duriez, Les apocryplies dans le drame religieux en AUemagne
au moyen äge; angez. von KarlHelm 2H1
Franz Rolf Schröder, Hälfdanarsaga Bysteinssonar; angez. von
FinnurJönsson 262
Walther Heinri ch Vo gt, Vatusdoela saga; angez. von Fin nur Jöusöon 264
G. Einar Törnvall, Die beiden ältesten drucke von Grimmelshauseus 'Sim-
plicissimus' sprachlich verglichen; angez. von V. Moser 267
Guido Kisch, Leipziger schöifenspruchsamraluug ; angez. von Wolf gang
Stammler 273
Alfred Kuhn, Die Faustillustrationen des Peter Cornelius ; angez. von Ca rl
Enders 279
Johann Peter Ecker mann, Gespräche mit Goethe in den letzten jähren
seines lebens; angez. von CarlEnders 280
Friedrich Kluge, Etymologisches vrörterbuch der deutschen spräche; angez.
von Alfred Götze . 282
Werner Kodier, Beiträge zur Wortbildung und w^ortbedeutung im Bern-
deutscheu; angez. von GustavBinz." 289
Mau fred Sz adr o vv'sky , Nomina agentis des schweizerdeutschen in ihrer
bedeutungsentfaltung; angez. von GustavBinz 302
Preisaufgabe der königl. deutschen gesellschaft zu Königsberg i. Pr. . . . 144
Berichtigungen zu Band 47 144
Friedrich Nietzsche-preis für 192.S 305
Nachrichten 143. 305
Neue erscheinungen 145. 307
Die Zeitschrift für deutsche philologie erscheint in bänden von je 4 heften in durchschnitt-
lichem umfang von 8 bogen zum preise von M 2000. — pro band. Zu beziehen durch alle buch-
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dritte von der redaktion gelesen.
DIE ]U\\E.\L\8CHK1FT DER GEÖSSEKEN NOIIDEX-
DOKFEE SPA.^GE.
Xaeh den ausführungen Th. von Grienberg-ers in Zeitschr.
45, 133 ff., F. V. d. Leyens, Zs. d. v. f. Volkskunde 25, 136 ff.,
W. von Unwerths. ebenda 26, 8 ff., habe ich mich Zeitschr. 47,
5 ff. ebenfalls mit der genannten rnneninschrift befasst. Im folgenden
hoffe ich einen weiteren beitrag zu ihrer aufhellung zu bieten.
Die inschrift zerfällt der äusseren anordnung und den schrift-
zügen nach offenbar in zwei, von verschiedenen bänden angebrachte
teile S die zudem umgekehrt zueinander stehen. Zuerst wurde die
längere, seitlich vom nadelansatz stehende inschrift angebracht, später
die über demselben befindliche kürzere runenfolge eingeritzt. Diese
reihenfolge ergibt sich, abgesehen von der abweichenden grosse der
runenzeichen in beiden teilen, über jeden zweifei erhaben aus dem
umstand, dass die letzten drei runen der kürzeren inschrift viel enger
zusammengedrängt sind, als die vorderen, da es dem zweiten runen-
ritzer an platz zu fehlen begann, wenn er nicht in die schon früher
angebrachte inschrift seitlich des nadelansatzes hineingelangen wollte.
Diese lautet nach übereinstimmender lesung von Henning, Wimnicr
und Grieub erger:
logajjore
wodan
nüyi ponar'.
Viel umstritten ist die deutung des komplexes logaßorc. Ich
habe ihn am oben angeführten orte dadurch zu deuten versucht, dass
ich die zeichen von rechts nach links las: ero pa gol 'Da sprach
erde den Zauberspruch'. Aus welchem motiv heraus der runcnritzer
den für runeninschriften typischen weihespruch - vgl. meine aus-
führungen an der genannten stelle - in dieser geheimnisvollen weise
1) Wimmers Widerspruch gegeu diese annalime (üe tyske riiucmiudcs-
mserker, s. 79), dem sich Gr ieuberger a. a. o. aiischlieset, ist nicht berechtigt.
2) Ein runenzeichen / oder nach Grienberger p ist nachträglich über o in
ponar eingeritzt worden.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XLLX. 1
a FEIST
anbrachte, entzieht sich unserer kenntnis. Aber derartige künsteleien
sind bei magischen inschriften nicht selten \ Auffällig ist der vokal
a in pa, der im aisl. und ae., aber sonst nicht im as. und ahd. vor-
liegt, wo das adverb Jxi, tliö, df> lautet. Aber auch in iviyi ist die
lautgebung nicht ahd., da hier das verb durchweg ivihian 'weihen'
lautet, sondern übereinstimmend mit aisl. iviyja^ afries. uiga oder ivta
(mit Synkope) 'weihen', afries. ivvjelm, uieha, anfr. geiiuigit 'benedic-
tus' usw. und in grammatischem Wechsel zur ahd. form. Donar wird
also aufgefordert, die spange zum amulett zu weihen, wenn wir loigi
(imperativ) lesen, oder es wird festgestellt, dass Donar die weihung
vollzieht, wenn das übergeschriebene zeichen als^ nach Grien berger
angesehen und eine 3. sing, praes. angenommen wird. Eine optativ-
form fcigi mit Bugge, Norges iudskrifter med de aildre runer I,
s. 127 anzunehmen, stösst auf sprachliche Schwierigkeiten, da eine
solche form wiyje lauten müsste. Könnten wir aber das übergeschrie-
bene zeichen, bei dem deutlich nur ein T C/), sonst 'nur feinere an-
zeigen' '^ zu sehen sind, als 4^ (r) lesen, so wäre diese Schwierigkeit
behoben. Eine nachprüfung der runenschrift dürfte sich daher empfehlen ;
sie ist mir in der gegenwärtigen zeit indes nicht möglich gewesen.
Nun zum zweiten teil der inschrift. Hennings lesung awa
leubwiiii{' dürfen wir als besser festhalten und Grien berg er s deutung
unka leiibivlni« mit von der Leyen als abzulehnen ansehend Awa
ist als weiblicher nanie gut bezeugt^; ebenso der männliche kurzname
Leub auf der spange von Engers im Wormser museum • auf einem
knöpf einer Weimarer spange^ in der form leob (vielleicht auch riP)^
Hub; erhalten ist MPlR iiur)\ Leubius in einer inschrift*^; Liiif in
einer Fuldaer Urkunde vom jähre 837. Auch im norden ist der name
Lcub als der eines runenmeisters bekannt; auf dem 'stein von Skär-
kind' (Östergötland) steht ski(n)jxtleubal{ ,Pelz-(?)Leub' (seil, ritzte
die runen)'.
1) Siehe meine ausführungen im Arkiv för nordisk filologi 36, 2G6 f. An ver-
schiedenen stellen dieser studio wird auch über die weiliung von sclimuck&tückeu zu
talismanen mit runenaufschriften und Zauberformeln gehandelt.
2) Th. von Grieuberger, Zeitschr. 45, s. Ib8.
3) a. a. 0. s. 189 f.
4) Henning, Die deutscheu runendenkmäler, s. 104 f. ; För stemanu, Alt-
deutsches namenbuch, I '\ sp. 217 f.
5) Vf. Zeitschr. 45, 122.
6) Schönfeld, Wb. der altgerm. personen- und völkernamen, s. 153.
7) 0. von Friesen, Runorna i Sverige, s. 8; anders Brate, Sveriges
runinskrifter II, 160 ff.
DIE RUNENINSCHRIFT DER GRÖSSEREN NORUENDORFER .SPANGE 3
Mau könnte übrigens auch an einen zusammengesetzten mannes-
nanien mit leub als zweitem bestandteil denken, zumal die lesung awa
nicht über jeden zweifei erhaben ist ^ Von hier in betraeht kommen-
den namen sind aus ahd. zeit belegt: Alaliub, Ädaliuh, Aza'iub,
Mmiahuh usw.-. Dann bliebe noch ivinie zu deuten übrig. Meist
wird es nach Hennings Vorgang mit leuh verbunden und als ein
zusammengesetzter name Leiibuini aufgefasst, entsprechend ahd. Leob-
wini in einer Fuldaer Urkunde aus dem jähre 822, Lieficine in den
Libri confraternitatum II, 100 usw.^ Aber die grammatische erklärung
der form leubivinie macht unlösbare Schwierigkeiten, was übrigens
schon Henning nicht verkannt hat. Sein versuch, die form als dat.
sing, zu erklären, muss als zu gezwungen angesehen werden. Welchen
sinn soll übrigens die Übersetzung 'Awa dem Leubwini' haben? Eine
Spange wird eine frau dem manne nicht geschenkt haben. Spangen finden
sich stets nur in fraucngräbern ; der mann hatte offenbar keine Ver-
wendung dafür. Noch weniger befriedigt Grien bergers auslegung
als acc. fem. sing, eines /ö-stammes 'Leubviniam' \ Auch die von
mir^ vorgeschlagene deutung 'Awa dem Freunde Liub' lasse ich jetzt
fallen und will eine andere an ihre stelle setzen. Wie Henning*^
ausführt, haben die älteren entzifferer und verötfentlicher der Inschrift
Lindenschmit, Dietrich, Hofmann und Stephens zweimal
71 + für richtiges g X gelesen (in lognpore und ivigi des ersten teiles
der Inschrift), da die regelrechte form des g X beide male nicht inne-
gehalten ist. Wie Grienb erger aufgrund einer vergrösserten Photo-
graphie feststellen konnte ^ ist bei dem X (/ in Uxjapore der nach
rechts absteigende strich kürzer als der nach links absteigende, und in
derselben art wird das X (/ in irvji als uuregelmässig geschildert. So
kann auch die als + n gelesene rune in ivinie eigentlich ein X y vor-
stellen, zumal der Schreiber hier aus raummangel das zeichen nicht
so weit ausladend anbringen konnte. Bei dieser lesung erhalten wir
wiederum das wort ivigie, das wir vermutungsweise schon als prädikat
zu ponar ansetzten *. Man könnte dann die form als optativ auffassen
1) 'Die beirien ersten runeii sind ausserordentlich undeutlich', H e n n in g a. a. o.
2) Forste mann a.a.O., I- sp. 1019.
3) Ebenda sp. 1029.
4) Zeitschr. 45, 140 f.
5) Zeitschr. 45, s. 122, anra. 1.
6) Die deutschen runendenkmäler s. 90 if.
7) Zeitschr. 45, s. 135.
8) Vielleicht ist der zweite runenritzer beim durchlesen der ersten inschrift
auf das am ende von wlgi fehlende J" e dadurch aufmerksam geworden, dass er
1*
4 FEIST
und den zweiten teil der inschrift aus einem namen Aualeuh (oder
wie sonst das erste Ivompositiousglied gelautet hat) und icigie als
})rädikat bestehen lassen und übersetzen: 'Awaleub möge, weihen'.
Es ergibt sieh uns aber noch eine andere möglichkeit, wenn die
lesung wlgie das richtige trifft. Ich greife zurück auf meine Veröffent-
lichung der Weimarer runenfuude^ und ergänze die dort gegebene
lesung der teilweise zerstörten runeninschrift auf der bernsteinperle
nach nochmaliger prüfung dahin, dass der ganze komplex noch fol-
gende lesbare runen umfasst (die einfachen punkte geben die Stellung
der zerstörten runen an):
^1 |5:MF:MPF:R:Pini>:IMfe:"r'^M
, d (?) a : h a li w a r ! \v i u Jj : i d a : . e o (?j.
Da die Inschrift fortlaufend um den trommeiförmigen mantel der
bernsteinperle läuft, so ist ihr anfang allerdings nicht mit Sicherheit
zu bestimmen. Meine frühere deutung habe ich jetzt aufgegeben und
erkläre die Inschrift nunmehr folgendermassen :
'Ida Hahwar weihten, Ida . . . .' (vielleicht ist der zum teil zer-
störte komplex *"V <^\ als TM^^ Leob zu ergänzen, da dieser name
sich auch auf dem knöpf einer fibel findet und die namen sich wieder-
holen). In v^lup erblicke ich nunmehr eine dritte dualis praes. von
ahd. uihian 'weihen' ^. Durch die aufschrift haben die beiden runen-
kundigen (oder das priesterpaar) Ida und Hahwar dokumentiert, dass
sie die perle zum amulett geweiht haben. Dieselbe absieht setze ich
nun für den zweiten teil der Inschrift der grösseren Nordendorfer spange
voraus. Das paar Awa und Leub bekundet mit der runenaufschrift:
Awa Leub wiyie, dass es die spange zum amulett geweiht hat. In
ivigie möchte ich daher eine erste dualis praes. von dem oben ge-
nannten ndd. ivigjan erblicken. Bei dieser annähme bleibt freilich die
endung r- zu erklären. Gehen wir vom gotischen aus und versuchen
die dualische verbalform vom Standpunkt des ahd. zu deuten, so müssten
wir der endung der ersten dualis praes. -ö^' entsprechend (z. b. in
bidjös 'wir beide bitten') etwa -a erwarten, wie got. gen. sing gihös
sich in ahd. gebet widerspiegelt. (Vgl. den as. dual. conj. aor. ivita
dieselbe form einritzte, und fügte es nun über der zeile noch ein, d. li. er ver-
besserte einen imperativ in einen optativ.
1) Zeitsclir. 45, 117 ff.
2) Nach dem letzten worttreuner ist ein grösserer Zwischenraum, wo keine
runen gestanden zu haben scheinen. Der zum teil unlesbare komplex, der dann
folgt, ist mit weiter ausladenden runen als die vorangehenden gesclirieben.
3) Ausführlich von mir begründet Beiträge 43, 334 ff.
IMK UINKMNSCHRIFT DER GRÖSSEREX XOKKENDORFRn srAXOK 5
'lasst uns beide . . .') '. Denkbar wäre auch der fall, dass im ahd.
die erste dualis praes. mit der sekundärenduug u (got. mnyu 'wir
beide können') gebildet worden ist, gleichwie in wiup die sekundär-
endiing ins praesens übernommen wurde und das griechische schon in
vorhistorischer zeit die primären dualendungen aufgegeben hat^ Aber
auch in diesem fall wäre ahd. iciyiu 'wir beide weihen' zu erwarten,
entsprechend ahd. dat. (eigentlich lokativ) suniu usw.^ Weshalb an
stelle der zu erwartenden endung -a bzw. -u der mittellaut zwischen
«und e^ getreten ist, vermag ich nicht mit Sicherheit zu sagen. Doch
ist die entwicklung des westgermanischen auslautenden u im ahd. zur
zeit noch so wenig geklärt ^ dass ich meine auffassuug von wiyic als
erste pers. dualis praes. an diesem bedenken nicht scheitern lassen will.
Dafür spricht noch ein weiterer grund. Es ist mir überhaupt frag-
lich, ob die sprachliche erklärung der runeninschrift vom ahd. laut-
stand auszugehen hat. Ist meine deutung von logapore als ero pn gol
richtig, so weist der vokal a in pa auf anglo-friesische (oder nordische)
herkunft der Inschrift hin : ae. pa, fries. tliu, aisl. pya gegenüber as.
tJiö, ihuo, ahd. thö, 1/0. In dieselbe richtung führt uns der gramma-
tische Wechsel in icixjian 'weihen': afries. ivuja, aisl. vhjja neben as.
ahd. ivihian. Mit hilfe dieses verbs können w'ir die lokalisierung der
inschrift noch weiter umgrenzen, insofern als nunmehr das ae. aus-
scheidet, da hier wohl ein subst. wig = iveoli 'idol', aber kein verb
belegt ist. Wir hätten also nur noch die wähl zwischen dem aisl.
und afries. Aber im urnordischen ist zufällig ein beleg erhalten für
die erste dualis praes. - allerdings mit kurzer Stammsilbe - auf
dem stein von . Järsberg, der ins 6. Jahrhundert zu setzen ist'^:
waritu — * icritti 'wir beide schrieben'. Die inschrift fällt also etwa
in dieselbe zeit, in welcher Brenner' die Xordendorfer spange aus
1) Aus *«'/Yo«v (: ai. -üra) zu intcoi tendere nach van Helten. Beitr. 15, 4-72.
2) Brugmaini-Th umb, Griech. gramra.* § 4l9, s. 401.
3) Braune, Ahd. granim. 3.-4. aufl. § 230 s. 200 f. ; B a e s e c k e , Ein-
führung in das ahd. § S4, s. 150 f.
4) So ist ^^ mit Bugge, Norges iudskrifter med de feldre runer I, 117 ff.
aufzufassen.
5) van Helteu, Beitr. 36, 462 f.
6) Noreen, Aisl. und anorw. gr;imui. ^ s. 338; von Friesen, Reallexikon
der germ. altertumskunde, bd. 4, s. 16.
7) Die archäologische Stellung der deutschen runenfibeln. Kbl. des gcsamt-
vereins 1913, s. 56 f. : 'Da=: inventar des Xordendorfer grabfelds führt etwa von der
mitte des 6. bis zu der des 7. Jahrhunderts. Die beiden Xordendorfer spangen werden
um 600 anzusetzen sein'.
6 FEIST
archäologischen gründen setzt. Wäre die spange nebst inschrift nor-
discher herkunft -wogegen sich übrigens Brenner aus typologischen
gründen erklärt -, so dürfte das auslautende endungs-^« des duals also
noch erhalten sein.
Mittels vorstehender ditterentialdiagnose haben wir somit die
herkunft der inschrift - natürlich nicht der spange selbst - auf das
friesische Sprachgebiet eingeengt. Nun sind uns allerdings so frühe
friesische spracliquellen nicht erhalten ', und in der späteren entwick-
lung ist in der Rüstringer mundart auslautendes westgerm. u nach
kurzer Stammsilbe mehrfach als ii, o erhalten, während die übrigen
mundarten einheitlich e aufweisend In einer ersten dualis ^uuiju
steht H nun freilich nach langer Stammsilbe, ist aber andererseits be-
deutungsträger und konnte daher nicht einfach schwinden, schon in-
folge des analogiezwangs der verbalformeu mit kurzer Stammsilbe.
Über ein non liquet kommen wir hier demnach nicht hinaus.
Ist aber die Voraussetzung berechtigt, eine im heutigen bairischen
Sprachgebiet gefundene runeninschrift weise friesische lautformen auf?
Spangen sind bewegliche gegenstände, und nichts stünde der annähme
im wege, die grössere Norden dorfer spange sei - wie so viele brak-
teaten mit runeninschrift, die bis nach Ungarn hin zutage gekommen
sind - ein wanderobjekt, das nur zufällig an der stelle, wo es zum
Vorschein kam, mit der zeitweiligen besitzerin in die erde gelangte.
Dieser annähme widerspricht aber die feststellung Brenners, die
form der grösseren Nordendorfer spange entspreche einem süddeutschen,
keinem nordischen t^^pus. Das Schmuckstück ist also wohl in der
gegend, wo es aufgefunden wurde, auch hergestellt worden. Dann
kann eben nur die inschrift selbst von einem landfremden runenritzer
herrühren, der in seiner eigenen mundart, nicht der seines zufälligen
aufenthalts, die inschrift verfasste. Diese hypothese ist von Bugge
für urnordische Inschriften auf beweglichen gegenständen eingehend
begründet worden '^ Während er für teststehende grabsteine die an-
nähme als berechtigt anerkennt, die sprachform der inschrift als die
bodenständige gelten zu lassen, weist er sie für iuschriften auf Schmuck-
sachen, brakteaten u, dgl. zurück. 'Die kunst des runenritzens war
- nach Bugges ansieht - noch zur wikingerzeit nicht allgemeingut
im norden. Die Inschriften müssen vielmehr von gewerbsmässigen
1) Siebs, Geschichte der friesischen spräche in Pauls Grundriss I^ s. 1153.
2) Siebs a. a. o. s. 12381
3) Norges iudskrifter med de seldre runer. Indledning: Ruueskrifteus oprindelse
og seldste historie, buch 7, s. 186 ff. Das folgende zitat steht s. 214 f.
DIE RUXEXIN SCHRIFT DER GRÖSSEREN XORDEXDORFER SPANGE 7
künstleni herrühren. Diese künstler gehörten bestimmten schulen oder
familien an, innerhalb deren die runenkimde weiter überliefert ward.
Sie zog-en in den nordischen hindern umher und übten ihre kunst
aus. So können uns die denkmäler kein zeugnis über die sprachform
geben, die an dem ort galt, wo die inschriften gefunden Avurden.
Freilich ist anzunehmen, dass die spräche des runenmeisters, wenn er
in den nordischen hindern umherreiste, nach und nach von den sprach-
formen der Siedlungen, in denen er sich aufhielt, beeinflusst wurde.'
Von der weitergehenden hypothese Bugges, nach der diese
wandernden runenmeister Heruler waren und die sprachform der ur-
nordischen runeninschriften also im wesentlichen herulisch gewesen
sei, können wir hier absehen ; halten wir nur den einen gesichtspunkt
fest, dass die inschriften von wandernden künstlern abgefasst wurden.
So mag es auch auf dem festland gewesen sein, wohin die kenntnis
der runen vermutlich mit einem nordsüdlich verlaufenden kiilturstrom
gelangte. Eine direkte Übertragung von den Goten am Schwarzen meer
über die Donaustrasse zu den festländischen Germauen ist weniger
wahrscheinlich, schon aus dem gründe, weil wir in Deutschland keine
so alten runendenkmäler haben, wie im norden. Damit ist aber auch
die nordische sitte, die runenkunst im umherziehen auszuüben, Avohl
nach dem kontinent hinübergenommen worden. Das hindert natürlich
nicht, dass sich der runenmeister der sprachform seiner auftraggeber
angepasst hat, soweit es ihm möglich war, ganz wie die späteren
abschreiber von handschriften oft formen ihrer angeborenen mundart
unbewusst in die sprachlich verschiedene gestalt des zu kopierenden
manuskripts einmengten. Wenn z. b. das praeteritum wraet 'schrieb'
der Freilaubersheimer spange als beweis dafür angesehen wird, dass
die hd. Lautverschiebung zur zeit der abfassung der Inschrift noch nicht
durchgedrungen gewesen sei, so stelle ich dieser behauptung die ebenso
glaubhafte annähme gegenüber, die inschrift sei von einem nieder-
deutschen runenmeister abgefasst worden. Dafür spricht z. b. die
vokalisierung von wraet sowie das erhaltene anlautende iv] vgl. ae.
wrcit, afries. dial. (Wangeroog) wrait, aofries. ivret, nordfries. unit,
tvrcet ', während im ahd. schon in der ältesten zeit der vokal des
sing, praet. ei ist: rnz 'ritzte'. Der früher noch verfügbare weitere
beweis für den ndd. lautstand der Freilaubersheimer runeuinschrift:
ßk = ß/k zu anfang der zweiten zeile fällt nach meiner lesung- des
Wortes als ßo nunmehr weg.
1) Siebs, Pauls Grundriss l- s. 1306 ff.
2) Zeitschr. 47, 3.
Ausser dem spraehgeschichtlichen Gesichtspunkt gilt es bei der
Nordendorfer spauge auch den religionsgescliichtlichen ins rechte licht
zu setzen. Ist" meine deutiing von Aica Leub wigie '(wir beide) Awa
Leub weihten' richtig, so ergibt sich, dass die inschrift zwei verschie-
dene weihuugen kennt, eine durch Donar, wie auf dänischen runen-
steinen \ eine andere durch ein runenmeisterpaar. Wie verhalten sich
die beiden weihungen zueinander?
Magnus Olsen hat darauf hingewiesen -, dass die weihung der
runensteine bei den älteren dänischen wie blekingischen denkmälern
durch den zauberkundigen runenmeister, der vielleicht priesterlichen
Charakter hat, vollzogen und erst bei jüngeren dänischen denkmälern
ein gott (Thor) angerufen Avird, um die weihung vorzunehmen. Olsen
will diese Wandlung dem christlichen einfluss zuschreiben: wie Christus
und sein heiliges kreuz gegen unheil schützt, so weiht Thor das denk-
mal mit seinem hammer, der oft auch eingeritzt wird^. Diese sitte
findet sich im norden erst nach der tätigkeit des apostels Ansgar von
Dänemark. Noch um 800 tragen die runensteine also einen ausge-
sprochen priesterlichen charakter*, selbst der name des gottes, der in
dem auf dem runenstein von Snoldelev erwähnten heiligtum Salhauge
verehrt wird, ist nicht einmal erwähnt. Wohl aber wird das uralte
heidnische hakenkreuz angebracht, das nach isländischer und lappischer
Überlieferung Thor heilig ist (z. b. auf dem stein von Snoldelev auf
Seeland), an dessen stelle später Thors hammer tritt.
Ist die ansieht Olsens richtig, die anrufung Donars sei auf
christlichen einfluss zurückzuführen, so hätten wir auf festländischem
boden einen weit älteren beweis für den einfluss christlicher denkweise
auf heidnischen brauch, da die Nordendorfer spange um 600 n. Chr.
angesetzt wird (s. o. s. 5). Es ist ja bekannt, dass schon lange vor
der von England ausgehenden missionierung Deutschlands im 8. und
1) pur iviki 'Donar weihe' auf dem stein von Virriug (Nordjütlaud); Jmr niki
auf dem stein von Glavendrup auf Fünen ; (p))ir nih-i auf dem stein von Sender-
Kirkeby auf Falster. Alle diese steine fallen nach W i m m e r ins 10. Jahrhundert
n. Chr.
2) Norges indskrifter med de seldre runer U, 6^0 ft'.
3) z. b. auf dem gleichfalls aus dem 10. Jahrhundert stammenden stein von
Lfeborg- in Jütland.
4) Auf dem stein von Helna?s auf Fünen wird genannt: lütnalfr Nura kupi
'R. priester der Norer'. Der '|iulr' BnhaltE vom stein von Snoldelev auf Seeland
ist eine art priester auf Salhauge; ek gudja nngancUR auf dem stein von Hugl
(Norwegen) kann vielleicht heissen : 'Ich der priester Ungand (der zauberfeste?).'
Weitere beispiele bei Olsen a. a. o.
DIK RINEXINSCHIUFT DER OUÖSSERKN NOKüENDOrUKl! SPANGF. 9
9. Jahrhundert christliche eiiiflüsse vom Rhein und der Donau her, so-
w'ie solche arianischen Ursprungs, vermutlich durch Vermittlung der
Goten, auf die deutsehen stamme eingewirkt und auch nachweishareu
sprachlichen einfiuss ausgeübt haben ^ Weshalb an stelle von Christus
und dem kreuz Donar und sein hammer traten, können wir nicht mehr
ermitteln. Die Donarverehrung reicht in die urgermanische zeit zurück,
möglicherweise ist sie von den Kelten entlehnt, worauf die auffällige
Übereinstimmung des germ. gottesnamens mit dem keltischen gott
Tanaros (vorgerm. gdf. "^Uinaros) hinzuweisen scheint. Sie ist also
älter als die Verehrung Wodans, für dessen benennung keine ausser-
germanischeii l)eziehungen vorliegen, wenn auch das lat. oates 'seher',
air. faitli 'dichter' stammverwandt ist. Allerdings ist die Verehrung
Donars gerade im fundgebiet der Nordendorfer spange zufällig nicht
belegt-, wohl aber bei den Sachsen l Normannen, Skandinaviern und
Isländern. Auch dieser umstand führt also neben der Übereinstimmung
der formel wigi ponar mit der entsprechenden dänischen wendung auf
niederdeutschen Ursprung der Nordendorfer runeninschrift.
Neben der anrufung Donars hndet sich in der Nordendorfer in-
schrift auch die (nach Olsen) ältere art der weihung durch den runen-
meister. Er nimmt durch uns nicht mehr bekannte Zeremonien die
weihung- vor, und durch einritzung seines namens beurkundet er die
vollzogene weihung z. b. auf der spange von Engers, wo der name
Leid) steht, oder auf den runenspeeren von Kowel und Müncheberg,
auf denen die namen Tilarlds bzw. Banja^ eingeritzt sind. Die weihung
kann auch durch eine frau vorgenommen werden, wie auf der Fried-
berger spange puvuphild oder Godahid und Arsiboda auf den spangen
von Bezenye. Daneben findet sich nun die weihung durch ein runen-
meister- oder priesterpaar auf mehreren Schmuckstücken. Auf der
grösseren Nordendorfer spange findet sich das namenpaar: Awa Lenh,
auf der Freilaubersheimer spange Boso Dalina, auf der Weimarer
bernsteinperle Ida Hahicar, auf einer der Weimarer spangen Harihri;/
1) Kluge, Gotische lehuworte im ahd., Beitr. 35, 124 ff., spez. s. 153:
'Spuren des Christentums findet man im üouaugebiet bei den Germanen schon hin-
länglich im 5. Jahrhundert. Die künde von dem got. Christentum und vielleicht
auch die ersten glauhensboten desselben werden schon in der mitte des 5. Jahr-
hunderts nach Norddeut-schland vorgedrungen sein.' Ebenso W. Braune. Boitr, 43.
419 ff.
2) Mogk, Germ, niythologie ', s. 355.
3) Sächsisches taufgelöbnis : Thnnaey ende Uuoden.
4) Vgl. Mitt. des ver. f. heimatkunde des kreises Lebus, Müncheberg 1919 s. 1 ff.
10 FEIST, DIE RUNENINSCHRIFT DER GRÖSSEREN NORDEKDORFER SPANGE
Leob, auf der andern Hihn Buho. Auch mehrere personen treten auf, z. b.
auf dem "Weimarer schnalleorahmen: /rfr/, Biyinn^ Hahivar (also 2 frauen
und 1 mann). Auf den ^Yeimarer Schmuckstücken stehen überhaupt viele
namen, teils von männern, teils von frauen, mehr als sich sonst bei
runenritzungen finden. Da sie aus gr'äbern von sehr vornehmen per-
sonen, vielleicht sogar angehörigen des königshauses stammen \ so
liegt die Vermutung nahe, bei diesen Schmucksachen sei die v^eihung
zum amulett nicht wie bei gewöhnlichen sterblichen durch einen runen-
kundigen (priester oder priesterin?) oder ein runenmeisterpaar, sondern
durch mehrere runenkundige erfolgt, um dem gegenständ ,eine um so
grössere Zauberkraft zu verleihen.
In weitaus den meisten fällen ist aber eine, wie anzunehmen ist,
wiederholte weihung des gegenständes durch viele personen nicht
üblich gewesen, sondern es genügte eine weihung durch eine oder
zwei personen, zumeist einen mann und eine frau, um das Schmuck-
stück zauberkräftig zu machen. Dass auch christliche formein zu
diesem zw^eck verwendet wurden, zeigt die runeninschrift der zweiten
Spange von Bezenye, die Ärsihoda segiin lautet. Mit .^egnn, ahd.
rheinfr. seyon (neben seyon) aus lat. Signum ist das kreuzeszeichen
gemeint, mit dem man zauberwirkung hervorrufen will, vgl. aisl. s/gnan
'weihung mit dem kreuzeszeichen', signa 'mit dem kreuzeszeichen (aber
auch mit dem Thorshammer) weihen' (aus lat. signare 'das kreuzeszeichen
machen'). Bei dieser spange wurde die weihe demnach mittels eines
Symbols christlichen Ursprungs vorgenommen. Das parallele einher-
gehen heidnischer und christlicher anschauungen bei diesen primitiven
religiösen funktionen zeigt uns den naiven Synkretismus, der in der
frühzeit des christlichen einflusses im glauben der germanischen stamme
(wie übrigens auch in andern gebieten Europas und Vorderasiens) ge-
herrscht haben muss Bei der dürftigkeit der quellen für die kenntnis
des religiösen lebens der vorchristlichen zeit sind die winke, die wir
aus den einzigen Originalzeugnissen, den runeniuschrifteu, entnehmen,
immerhin von wert, wenn sich die darin enthaltenen andeutungen
auch - bis jetzt wenigstens - nicht zu einem abgerundeten bild ge-
stalten lassen.
1) Götze, Die altthüringischen funde von Weimar s. 30.
BERLIN. SIGMUND FEIST.
KAUFFMAXX, DER STIL DER GOTISCHEN BIBEL 11
DER STIL DEK GOTISCHEX BIBEL
VIII.
Die 'hellenisierung' des gotischen hat bewirkt, dass dank der
stilgeschiehtlichen leistungen, die auf den profanen und auf den gottes-
dienstlichen Wortschatz sich verteilen, gotische wörter mit hellenisti-
scher bedeutung sich festgesetzt haben. Darüber hinaus hat die kult-
sprache der Goten von seilen des semitischen, griechischen oder
lateinischen rituellen Sprachgebrauchs eine auffrischung erfahrend
Beim genuswechsel handelt es sich nicht um jene mehr
äusserlichen Vorgänge, die bei der einbürgerung von fremdwörtern
beobachtet worden sind-, sondern um viel tiefer schürfende Wand-
lungen. Wenn neutrales//?/^ dem einfluss von o 9öc; erlegen ist und
fortan "der" gott bedeutet, so kündigt sich mit dieser sprachgeschicht-
lichen tatsache ein Umschwung des religiösen denkeus an, dessen wir
uns um so mehr bewusst werden, als für die heidnische Vielgötterei
das neutrum fortdauerte (yuda J 10, 34-35; ags. joc/a.-) und auch in
den christlichen formein {gtip meins M 27, 46, ain!< gup Mc 2, 7 usw.)
an der herkömmlichen neutr. wortform trotz der masc. pronoinina
nichts geändert wurde. Bei dem maskulinen gebrauch von (/ujy haben
wohl in bestimmender weise atta und frauja mitgewirkt (J S, 41. 54
L 20, 37): der got. Übersetzer hat aber nicht gewagt, trotz des grie-
chischen musters und der maskulinen attribute dem neutrum gtip den
maskulinen artikel oder die flexiou der maskulina zu verleihen. Ver-
mutlich ist der heidnische gott i^up pAs aiuis k 4, 4) 'das' gott ge-
blieben -^ Darauf weist wenigstens die analogie der andern, satanischen
prädikate. Usuell war das neutrum skoh-</ und das femiuinum unlmlpo,
1) TtapäxXr.Tos > parahletus J U, 16. 26 {aJnua): rapiv.Xy.a'.; > bida k 8, 17
HsbloUbis 4 Icipous L 2, 25 gaJJaihts k 1, 3-7 T 4, 13 {ga)prajsteins R l.">, 4-5
k 1, 5 u. a. Tiapay.aÄsiv > bidjan R 12, 1 Th 4, 10 {anahaitan biclai 1) /jrafstjaii
18 (: 5, 14) k 1, 4. 0 gaßlaihan k 2, 7 {bidjan 8). 5, 20. 7, 4 {gajAaihands . . .
gaprafstida o liapaxaXöv . . . TiapsxäAcaev 6 ; in gaplaihiai Jjizaiei gajjrafstips was
TiapaxXTjasi -^ 7iap£xyLTj9-7j 7 : gaprafstidai . . . gapjrafsteinai 13) u. ö. Ein gutes
semitisches beispiel liegt Th 4, 4 vor [kas oxeüo; = 'weib') vgl t 2, 20-21.
2) Gegen seiue griechische voilage hat Wulfila laigaion Mc 5, 15 im sinn
von lat. legio als feminiuum flektiert ; ich erinnere des weiteren an das fem. aiirag-
geljo c neutr. aiwaggeli), masc. aiidangja und neutr. plur. jiranfefja, für deren
genusgebrauch die grammatische wortform ins gewicht fiel.
3) Vgl. ahd. das mensch und der mensch (Burdach, Ackermann aus Böhmen
s. 239).
12 KAIil'l'MANN
bis Wultila dem ^Tiech. ^li^rAor j^^d ()y.'vjx<yj zu ehren unter niitwirkung
von got. cfhma das niaskulinum unhulpa einführte (Mc 5, 12:L8, 29;
nnhulponi^ f^aw.övta 9, 49 : sa unhulpa to f^atu.oviov 42 : akma nnhrains 39;
T 3, 7 E 4, 27) >.
Dieser g-eschlechtswechsel begünstigte das persönliche vor dem
nnpersönlichen, das spiritualisierte vor dem konkreten, das gefühls-
mässig empfundene vor dem gattungsmässig vorgestellten. Für den
bedeutungs Wandel war die berücksichtigung des gefühls- und
stimmungs wertes der Wörter das wichtigste. Er ist von dem
Übersetzer namentlich zum zweck- der spiritualisierung seiner kult-
sprache ausgenutzt worden. Wenn wörter, die gegenstände oder Wahr-
nehmungen betrafen, aus dem gebiet der fünf sinne auf gemütszu-
stände angewandt wurden, so gab der affektgehalt der sprach-
lichen bezeichnungen den fingerzeig. Der das adj. baitvfi begleitende
atfekt - nicht der bittere geschmack - gestattete die überraschende
Verbindung r/'iigrot hnitrahd (M 26, 75); die bedeutung des wortes
hieng von der Intensität der einem bittern geschmack anhaftenden
empfindung ab.
Der materialisierung und Individualisierung (abstraktum > kon-
kretum, neutrum > niaskulinum) tritt damit eine spiritualisierung
zur Seite. Dies Stilgesetz half die schranken zu überwinden, die
äusseres und inneres, sinnliches und seelisches leben trennten. Es
wirkte in der gotischen bibel sehr stark. Zahlreiche Wörter sinnlichen
gehalts wurden für unsinnliche, religiöse erlebnisse gebraucht. Der
von einem objekt erregte aftekt gehörte wohl von anbeginn jenen
Wörtern an, er war aber noch nicht ihr dominierendes merkmal; er
lag wohl innerhalb des A^on der bedeutung jener wörter umschriebenen
kreises, aber durchaus noch nicht in seinem mittelpunkt. Beherr-
schendes Zentrum ist der aft'ektwert der wörter erst in der kultsprache
geworden.
bvKsts, hairpra und hoirto bezeichnen nicht mehr bloss die körper-
teile (sitze geistiger und seelischer kräfte), sondern werden über die
vom profanen Sprachgebrauch gezogenen grenzen hinaus für geistige
und seelische regungen beschlagnahmt {preihanda in hairpram izwa-
i'ciim k 6, 12; ina pat ist meinos brusts [nebst randgl. hairpra) andnini
Phm 12; anajjvafstai meinos brusts in Xristaii 20^); bntsts blei/jeins
1) ahman nnliiilpons unhralnjwia L 4, 33; unhidpons . . . ((hnians 10, 17. 20
(nveü|iaTa).
2) Vgl. sloh in hnists sehws L 18, 13 mit hritsfs in ufarassuH cht iziris sind
k 7, 15. ^
DER .STIL DER G0T18CHEN Bll'.KL 13
annahairtei C 3, 12; chizii hauhhairts:, hrainjahairts). Wulfila spiri-
tualisierte das herz nach massgabe des hellenistischen sprachgebrauchesi
so gründlieh, dass er die Verbindungen augona hairtins E 1, 18
(Zeitschr. 40, 480), daubipa haivtins 4, 18 Mc 8, 5 und dmibata hairto
8, 17 nicht gescheut hat\
Höchst charakteristisch sind die analogen Stilwandlungen, die
sich bei Altheimischen Wörtern mit besonders hohem affektwert in dem
bereich sinnlicher Wertgegenstände und ihres kaufpreises verfolgen
lassen. Dabei konnte der Gote an hellenistische formein anknüpfen.
In der lehre von der erlösung hiess es -^vj.r,; -/lyopadlriTö (K 7, 23);
in der gotischen bibel las man tvairpa yalaiibamma ushauhfai sijup
(Zeitschr. 35, 458 t.j. 'Kaufpreis' in der art des altgermanischen wer-
geldes und des gerichtlichen kompositionssystems wurde ein ausdruck
für lösegeld und 'erlösung' (erlösen ist einlösen)-. 'Versöhnung' war
'herstellung eines gesetz- und rechtmässigen friedenszustandes' (^yafri-
pons k 5, 18-19; gafnpon : gadhjon M 5, 24). Dafür konnte nach
germanischer anschauungsweise^ der für den frieden bezahlte 'preis'
eintreten: gawairpi siprivr, bedeutete für einen Germanen das friedens-
geld {skattans . . . andaivairpi blojns . . . andawaivpi pis ivairpodms
M 27, 6. 9), den kaufpreis, der für den frieden und die beendigung
der fehde bezahlt zu werden pflegte (Idg. forsch. 31, 321 f.)*. Um
des in diesem altgermanischen ausdruck liegenden hohen gefühls-
wertes - nicht um seiner eigentlichen, geschäftlichen bedeutung - willen
hat dies gotische sonderwort mit griech. zioirr, sich zusammengefunden,
die bedeutung 'friede' (in religiösem sinne) angenommen ((/(fwairpeigs
Mc 9, 50) und ist vollständig spiritualisiert worden (L 14, 32 M 10, 34
J 16, 33 L 10, 5 k 13, 11 Th 5, 3. 13 u. a.).
1) gablindida ize mujona jah (jadaubida ize hairtona ei ni gamnidedeinu auyam
iah fropeina hairtin J 12, 40 vgl. (laUindida frapja k 4, 4 ; afdaubnodedun
frapja 3, 14.
2) ei pjans uf witoda ushanhtidedi G 4, 5 (egayopäar]) ; ik leikeius im fraOanhtü
i'f frmvaurht R 7, 14 [: dnke Jjata balsan ni frabauht was in .t. skatte J 12, 5);
ivadi (angeld) E 1, 14: wadjahokos C 2, 14; uslauseins änoXüzpoioiz E 4, 30: G 1, 4;
Kslxneins Skeir. (: ags. dlynnan befreien Gen. 1432).
3) 'Verdinglichung' (Theolog. Studien und kritiken 1913, 259 f.).
4) (jawairpi . . . fijands R 8, 6-7 vgl. 12, 18. 14, 17 ff.; so ank ist i/airairpi
unsar . . . fijapjiva gatairands ei . . . waurkjands gawairpi . . . gafripodedi E 2. 14-20;
fjafripon . . . gawairpi taujands . . .fijands . . . ip nu gafripodai C 1, 20-22; gaga-
wairpnan k 5, 20 (fatir uns gatatcida frawanrht ei weis waurpeima garaihtei gudis
in imma 21): gagawairpjan K 7, 11. Man könnte etwa lat. merces > französ. «if/r»
vergleichen ('dank' geht auf das gefühl des lolinempfängers zurück) Wundt, Völker-
psychologie II-', 2, 577. 619 f.
14 KAUFFMANN
Was der aifektgehalt der Wörter für ihren bedeutungswandel
austrägt, kann man der geschielite von 'wert' (got. wairpx wertvoll >
würdig) und 'teuer' entnehmen. In der mit got. ciawairp/ gleichlaufenden
richtung haben diese adjektiva ihre bedeutung verändert, weil die
seelische Stimmung, die ihre ausspräche begleitete, die Oberhand be-
kamt An stelle von 'teuer' findet sich in der gotischen bibel sirer.-^
('preisen' beisst swerint, 'preis' ^weripa) ; dies wort scheint mit un-
serem 'schwer' identisch zu sein und 'schwerwiegend' (vollgewichtig)
bedeutet zu haben und darum 'einen hohen preis bedingend'; im
gotischen hat jedoch der affekt ganz und gar gesiegt und von 'hoch-
wertig' zu 'geehrt und . ehrenvoll' oder zu 'lieb und wert' geführt
(ßwers £vTt[j-o; L 7, 2 : imswers aTijj.o; Mc 6, 4 K 4, 10)^.
Hier stellt sich nun auch das epitheton galcmfs wieder ein, von
dem wir ausgegangen waren [ivairpa (jahiubamma usbaulitai ^ijup
K 7, 23). Von ihm ist jetzt der weg zu got. yalauhjan und gahubeins
und zu unserem religiösen begriff 'der glaube' gebahnt. Die usuelle
grundbedeutung des mit swers teilweise sich deckenden adjektivs liegt
noch ungetrübt vor: qinons . . . fefjandeins sik . . . irastjoni yafaubahn
(Ip-aTtay.oj T.ohjTzktX) T 2, 9 ; pund balsduis nurdaus pistikeinis filuga-
laubis (7ro'XuTi[j,ou) J 12, 3; du yalaubamma kasa . . . du uiiyalauhamma
(si; Ti;/.r,v ... £1? «Tiaiav) R 9, 21 {: Hufs 25) vgl. kasa . . . du swera/in
. . . du unsweraim . . . du sweripai t 2, 20-21 Th 4, 4. Wurde die
geschäftliche manipulation ausgeschaltet - wozu kulturgeschichtliche
neuerungen den anstoss gegeben haben mögen - und die seelische
Spannung festgehalten, in die den menschen ein für ihn und sein haus
besonders kostbarer Wertgegenstand versetzt, so musste sich von einem
konkreten wert ein gefühlswert ablösen und es konnte dieser einen
profanen aber gemütvollen ausdruck dem Übersetzer des griechischen
Neuen testaments für seine religiösen bedürfnisse empfehlen, galaufs
war das attribut einer kostbaren und hoch eingeschätzten wäre, der
ein //eZ/haberwert zukam ; galaufs kann daher unmöglich von got.
Hufs (: - iubo liebe) getrennt werden und so hat man denn längst in
'lieb' den bedeutungskern von 'glauben' gesehen ^ Neben 'glauben'
1) Anord. dyrr, ags. dyre pretiosus > dilectus (engl, dear, darlinr/); aud.
diuri kostbar, lieb; ahd. 'beteuern' und 'bedauern'.
2) siverißa 'ehrerbietung' R 12, 10 T 1, 17. 6, l:swevan J 8, 49 Mc 7, 6
T 5, 3 usw. > 'ehren und lieben' J 12, 26 L 18, 20 vgl. swercnp ins ufarassau in
friapwai in ivaurstivis ize jah gawairjyi hahaip in izwis Th 5, 13.
3) ich gelonbet i»i = er iiepte mir Iwein 4191; lieb hat die ablautsform lauh
neben sich (frauenname Lenba Giegor von Tours 8, 28: Lauba Corpus inscript. lat.
DER STII. DER GOTISCHEN BIBEL 15
darf aber 'erlauben' nicht unberücksichtigt bleiben und 'erlauben' ist oder
war so viel als 'lieb und freundlich, rücksichtsvoll und nachgiebio-
sein (nachgeben, willfahren, gestatten)' ^ Gehören nun also got. (ja-
laii/'j'iii und uslanbjan mit got. Huf.-^ und ciahmfs engstens zusammen,
dann müssen bei 'glauben' zwei verschiedene gebilde unterschieden
werden. Von got. iialmifs ist ein verbum denominativum galinhjan
abgeleitet, andererseits konnte neben einem durativum laubjun (anord.
lei/fn) d^^ perfektivum mit den praefixen //«- oder /^<- gebildet werden.
Dies perfektivum ist in der gotischen bibel nur in der form uslauhjan
belegbar. Bei gahnibjan haben wir es mit dem denominativum zu
tun, von dem sich das perfectivum iislaitbjan (gutheissen) vollständig
isoliert hat-. Für galaufs und galaubjan geht man folgerichtig am
zweckmässigsten von /iiif.i und lubo (und weiterhin von den stamm-
verwandten lat. lubet, lubens, lubido) aus '^. Hierbei entdecken wir
den etwa unserem 'Wohlgefallen' entsprechenden bedeutungskern.
Während (ya)leikan eiue willensregung und Avillensneigung zu dem,
was gefällt, ausdrückt, bezieht sich unsere sippe auf eine gefühls-
mässige anteilnahme an dem, was gefällt {leikains 'vorsatz' K 1, 21
t 1^ 9 leikains tv/ljins sernis E 1, 5. 9 [glosse]^: lubains 'hoÖnung"
R 15, 13)", so dass (/nlaubjan ungefähr so viel besagte als 'eine hoch-
stehende person oder eine hoch im preis stehende sache mit Wohl-
gefallen beurteilen'. Ich vermeide absichtlich unser wort 'liebe', weil
für liebe und für lieben in der got. bibel die sippe von fr /Jon ge-
braucht worden ist, woraus man ersieht, dass got. /iuß und was dazu
gehört, seinen eigenwert beansprucht. Der kommt nicht zum Vorschein,
wenn mau Hufs mit 'lieb' und wenn man auch frijon mit 'lieben'
übersetzt ^ /iuß sollte in den Wörterbüchern mit 'geschätzt' wieder-
XIII nr. 8565; männeruame Herliiib : Herelotih, Hadaloiq)) vgl. alemann, lauh (lieb)
Schweizer. Idiotikon 3, 958 f.
1) Mnd. yeUmben =^ erloiiben DWb. 4, 1, 2873; PBBeitr. 1, 325 f.; Zfda. 30,
265. 83, 128. 34, 77; Beitr. 12, 397 f. ; diese gleichung erstreckt ihre giltigkeit auch
auf sih fjelouhm = sih erlauben (iirloubeti) Graff, Sprachschatz 2, 70 f.
2) uslaubjan vertritt griech. sTiixpsueiv und xsXeustv (fraletan K 16, 7 : us-
laubjan M 8, 21. 81 L 8, 32. 9, 59. 61 Mo 5, 13) 'gestatten' im sinn von 'bevoll-
mächtigen' T 2, 12 > 'befehlen' 31 27, 58 (haitan 61): anabiudan Mo 10, 3-5.
3) that gibod godes thie lubiyo gilobo Heliaud 2475 vgl. 1221 C (nebst Sievers
anm., Germ. 27, 417). Gen. 204. 219.
4) in godis wiljins Si' euSoxiav Phl 1, 15: galeikaida (sSojev) mis . . . meljan
L 1, 3; leika 'ich suche zu gefallen' K 10, 33.
5) Die drei christlichen haupttugenden (glaube, liebe, hoffnuug) wuchsen für
die Goten auf einem und demselben wortstannu
6) Ausserdem ist das verbum 'lieben' ein spätes geschöpf des 15. Jahrhunderts ;
16 KAIITMANN
gegeben werden: aus seinem gcfüblswert lieraiis ist -gescliiitzt" in
'geliebt' umgeschlagen'; wir wissen ja ans unserem eigenen spraeh-
gebraucb, wie gerne 'schätz' und 'liebster" ihre rollen tauschen, (iuts
muts darf man dalier für (/a/aii/Jaii die grundl>edeutung: dioeiischätzen"
(aus liebe, d. h. aus Wohlgefallen) aufstellen; fj<i(auf-< beweist und
unser 'loben' bestätig:t - dass dabei ein hoher preiswert und eine auf
Wohlgefallen gegründete 'liebende" beurteilung vorausgesetzt war. ^^'ir
müssen also mit einer dop])elseitig-en relation rechnen. ;/afaii/Jini
stellt uns vor ein auf seinen wert geprüftes und in seinem wert
preisend, lobend und liebend anerkanntes oltjekt und ein das ge-
ahd. ÜHÖc/i (i/ilit(/jeii : t/iloitbcii), iiihJ. lieben heisst 'gefallen, t^icli gefällig erweisen'
(doch Süll ahd. liiiput : minneot Ahd. gl. 1, 81. 78 nicht, unerwähnt bleiben). Für
seinen religiösen begriff' der 'liebe' hat Wulfila das uns von 'freund' und 'freund-
schaft' geläufige wortraaterial benützt (gegen minnea, »linneun im Heliand). Er
hatte sich mit griech. dyaTräv und cpiXElv abzufinden; 'cpiXelv kunzenlricit in .seine
begriftssphäre die reguugen der verwandtschaftlichen und freundschaftlichen
bezichungen, dYanäv die freie richtung des sittlichen wollens' (R. Schütz, Die
Vorgeschichte der johanneischeu forinel 6 S-eo; äYinr, soxiv. Kieler theol. diss.
(iött. 1917 s. 8). Der (lote »-chrieb sinngemäss für cpi>.slv stets /rijnu und für
cfiXog stets frijomls (dagegen In-ofiraluho cfiXadeXipta . . . friu])ira . . . sirrri/ia
R 12, 9— 10 vgl. Th 4, 9 [frijon iYanäv] : ."), 13; ijastiyodci cfiXoCsvia K 12, 13);
'der geliebte' war den Goten ein liebender verwandter oder freund (M 5, 4(J h 6,
32:27. 14. 10. 15, 29). An stelle von griech. iYanäv kommt ///Am ebenfalls vor
(z. b. .1 11, 3. 5. 11. 3Ü. 14. 21. 1."), 12-10; frijnmis 19. 12: R 8, 37); aber lin/s
begegnet niemals für cpiXoj;, sondern ersetzt aya-Tj-o; und 7,Ya~r,|idvo; "woran man
gefallen gefunden hat' {bropur liitbuua I'hm 16; leiheis su litiba C 4, 14 vgl. R 9, 25:
frijoda . . . fijaidu 13). Das verbalabstraktum frijons-t/n/rijous 'kuss {•.Icnkjau) be-
rechtigt uns, die Vermutung zu Kussern, dass das in antithese zu Jißai auftretende
verl)um /rijoii und seine ableitnngen anfangs die körperlichen und sinnlichen
1 ieb e sgeb ärde n mit umfasste, wovon bei litt/s nicht wohl die rede sein kiinnte,
bis die spiri tual i s icr un g das verbum von seinem verbalabstraktuin sonderte.
Das war jedoch ein jüngerer wortgeschichtlichcr Vorgang (ich stelle beispiels-
halber L 7, 44-48 und 10, 27 Mc 12, 30. 33 einander gegenüber; dazu C 3, 19
E 5, 25-29). Es ist dffenbar der affektgehalt von fr/Jon, der dies wort nun
für die unsinnlich vergeistigte gottes- und uächstenliebe tauglich erscheinen Hess
(.T 1.-1, 9. 13).
1) Es ist gewiss nicht zufällig, dass Uk/s in der got. bibel nur von den
partizii)ien oLyani^-zö^ und r)Ya7t7)|iEvos angezogen wurde (E 1, 6 L 20, 13. 3, '22.
9, 35 Mo 1, 11. 9, 7. 12, 6 u. a.) ; — lubo begegnete dem religiös-spiritualistiscTien
frijon Th 4, 9 und schliesslich hat sich nicht mu* Hufs zu f/alatibjan (f/alanb-
jandaiis jah liubai T 6, 2 vgl. ilntz scidun uuir ffilouben joh liarto iz uns f/ilinbcu
Otfrid 1, 26, 11), sondern auch frijapira hat sich zu galaubeins gesellt (r/alanbeins
jah frijaptva iswara jah . . , r/aminpi Th 8, 6; friapwa niifi (/alaubeinai E 6, 23—24
dazu K 13, 2 G 5, (5. 22 Th 5, 8. T 1, 14 t 1, 13; jus mik frijodedup jah <jalau-
bidednp J 16, 27 vgl. 14, 15. 21. 23 T 1, 5).
l'KK >«T1L DER GOTISCHEN lUbKl. 17
fallende iiiul gepriesene liebend beurteilendes Subjekt. Die sub-
jektiNe wertung ist uun die dominierende tendenz der bedeutungs-
entwic'klung geworden und yalaubjan ist über 'liebend hochschätzen'
oder 'verehren' zu der aus der gefUhlslage einer einzelpersou abge-
leiteten sonderbedeutuug 'lauf Wohlgefallen, hochschätzuug und liebe
beruhendes) vertrauen zu jemand haben' olt'enbar schon im vorlitera-
riscben Zeitalter der Goten gediehen'. Das praefix ya- ist also nicht
perfektiv, sondern sociativ wie bei yatrouan zu verstehen; es betonte
die auf Schätzung oder ehrung gestützte Verbindung zwischen zwei
Personen, von denen die eine nicht bloss Interesse an der andern
aufbringt, sondern ihr zutrauen entgegenbringt, liebe und vertrauen
schenkt (vgl. geloben, gelübdei und sich ihrer hohcit gehorsam unter-
ordnet, weil sir einen hr.Iu rcii wert repräsentiert (J 5, 46-47 R 11,
30 ff. ) -.
Nun ist aber der umstand zu würdigen, dass das verbum ya-
Utubjün in den skandinavischen sprachen sich zu unserem 'loben' und
'erlauben' gehalten, die bedeutung von 'glauben' überhaupt nicht auf-
zuweisen hat; ;\\\i)V(\. (eyji und Uyfa sind Varianten von /o/ und lofa.
Auf diesem Sprachgebiet w urde trüa (got. yatraiian) mit der Vertretung
von 'glauben' betraut': ya/nu/ydu im sinn von griech. -taTstsiv ist
also eine gotische beziehungsweise westgermanische sonderentwick-
Inng. Daraus folgt abermals die Zusammengehörigkeit von 'glauben'
1) Murra\ o. \. fn,,>',j gtlit von yalaufs 'vahiable' aus uud gelaugt für
(jalaubjan von 'to hold vnluable' zu 'to have coufidence'. Zum unterschied von
G 2, 20 verweise ich auf i/alauUiini r.iaiiz 'treue' im profanen sinn T 5, 12; dazu
jabni Hl f/alaiibjani (untreu werden), Jains trir/gtcs icisip t 2, 13; galaubeins . . .
triggws . . . gatraitan th 3, 2—4; galaubja 'ich habe vertrauen gefasst' J 9, 38.
2) Wer jemand liebend verehrt und solcher autorität vertraut, 'glaubt' an
sie (Mc 11, 22); das ist das 'vertrauen', das die bibel 'glauben' nennt (Schriften
des Neuen testaments 1, l>s7) Vgl. L 8, 25 {kar ist galaubeins izivara?) Mc 5, 28:34
M 8, 10. 13; ich lege auch auf den gegensatz von galaubjan und galeivjan gewicht
{akei sind izicara stanai paiei ni galaubjand; icissnh pan us frumistja lesns karjai
sind J)ai ni galaubjandans jah kas ist saei galeiweip ina J 6, 64).
3) So steht denn auch in der Gotenbibel triggws für griech. mazöc, (L 19, 17
K 4, 2. 7, 25 T 1, 15 Tit 1, 9; C 4, 9 T 1, 12 t 2, 2; vgl. h-o daile galauhjandin
mip ungahiubjandin k 6, 15). Das gesetz des alten bundes ist durch das evange-
lium aufgehoben (R 7, 4. 6); das gesetz des neuen bundes ist das evangelium be-
ziehungsweise der glaube, auf dessen gesetz es im neuen bund ankommt; er heisst
iriggwa, ist ein auf treue beruhender bund; gott ist getreu und ebenso seine heils-
botschaft. So sind auch die Christen zur 'treue' verpflichtet, das ist 'glaube' vgl.
k 1, 18 Th 5, 14 th 3, 3 t 2, 13 ; triggwai in Xristan Ifsii E 1, 1 = galaubjandons
T 4, 3. 10. 12; triggics . . . galaubeins T 1, 12-15.
ZEITSCHEIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XLIX. 2
18 KAUFFMANN
und 'vertrauen' {galauhida jah yatraua t 1, 12; irauains pairh ga-
hnibein E 3, 12) '. Aber bei Wulfila hat yalatibjan, das stimmungs-
reichere und aftektstärkere wort ('liebe') über gatranan den sieg
davon getragen.
Seiner grundbedeutung entsprach es, wenn ga'Mubjan auf per-
sonen oder auch auf Sachen anwendung fand^. Vornehmlich wird in
der bibel das vertrauen durch worte der schrift gewonnen {Mose . . .
ivanrdam galauhjaip J 5, 46-47. L 1, 20; galaubjanchms pairU ivaurdu
J 17, 20; jabai /?/as meinaim hausjai tvaitrdain ja gahnibjai 12, 47)
und damit eine weitere bedeutungsveränderung von galaubjan ein-
geleitet ('einer aussage vertrauen schenken', d. h. sie für wahr halten
J 10, 25) ^ Jetzt stiess unser verbum auf tuzwerjan und liugan,
wurde tiveißeins entgegengesetzt und verband sich mit sunjn'^. Zu
1) triggwaba galauhjand L 20, 6; (jatranan . . . Jjolrli (jalaubein . . . gatrancui
k 6, 6—8 ; yatrauan 'eiuein etwas anvertrauen' G 2, 7 u. ö. : Jmta sunjeino kas izwis
yalaubeip L 16, 11 (: triggws 10. 12) ; gatrauan näherte sich galaubjan audi mit
der bedeutung 'überzeugt sein' (R 8, 38 t 1, 5 vgl. 3, 14). — Got. frauaida du
guda M 27, 43 > ahd. gitriiioet in got Tatian 205, 3 (confidet) ; gilaubet in got 162, 1
(creditis) ; that sie gitruodin thin bet, gilobdin an is lera Heliaud 2350 f. ; mid gilö-
Jjon endi mid treuun 290 f. vgl. 897. 902. 2489-91. 1526 f. ; ags. geleafa, .jelgfan :
getruivian. Ich erinnere noch an ahd. glonbtrinwa (fides) Notker ed. Piper 2, 392. 6
{getriuHon 9:gloubige 400, 2).
2) waurstwam galaubjaip J 10, .38; galanbüp du linhada . . . galanbida liau-
seinai 12, 36—38; galaubeip du garaihtipai . . , sa galaubjands du imma . . . galan-
bida hauseinai E 10, 10. 11, 16. Seitdem galaubjan mit gatrauan sich berührte,
regierte es nicht mehr bloss wie loben und geloben den akkusativ (galanbeis ßata
J 11, 26; allata galaubeip K 13, 7), sondern auch den dativ {galaubjam imma
M 27, 42 vgl. J 6, 29—30 L 20, 5—6; galaubida guda G 3, 6 u. a. 'vertrauen
schenken'), es zieht sogar die praeposition du an sich {galaubeip du guda jah du
tnts galaubei/} J 14, 1: galaubeip mis 12) wie {ga)trauan [trauaida du guda M 27, 48;
silbans trauaidedun sis L 18, 9; gatraua Jmmmei mahteigs ist t 1, 12; mit R 10,
14. 16 vgl. Phm 21, mit Phl 1, 29 vgl. k 1, 9, mit J 6, 29. 35. 40. 47 u. a. vgl.
k 3, 4). Die richtung nicht das ziel drückt in c. dat. aus (k 10, 1. 7, 16 R 14.
14 Phl 3, 3-4: G 2, 16 E 1, 15 u. a.). Im Heliand treffen wir liudiun gilöbdi
5034; ni gilöbiad mi these liudi 5091; gilöbid te mi 3915. 4056 vgl. 4035 f.; an thik
gilobian 5570 f. vgl. 3025 f. ; gilobieii after ... 4140. 5755 f. Wo gilöbian mit
gihuggian und ähnlichen verben konkurriert, setzt es eine genetivkonstruktion an
(5833 : 4638).
8) audaga so gulaubjaudei Jmtei ivairpip ustanhts pise rodidaiie izai fram
fraujin L 1, 45; Zeugenaussage: galaubida ist weittvodei uusara th 1, 10 vgl. J 9,
18. 10, 25-26.
4) ni tuztverjai . . . ak galaubjai Mc 11, 23 : galiuga- 13, 21—22 T 4, 1—3;
galaubeins . . . tweifleins R 14, 1—2; J>ande sunja qipa, duhe ni galaubeip misV J 8,
45—46; sunja qijja . . . ni liuga, laisareis Jnndo in galaubeinai jah sunjai T 2, 7.
DER STIL DER CtOTISCHEX lÜBEl, 1<)
'glauben und vertrauen' ^ gesellte sich 'glauben und erkennen' (wissen
überzeugen) : ufhunnaip jah galauhjaijj J 10, 38 {snnja ivas . . . galau-
bidedun 41-42) vgl. 6, 69. 14, 9-12; 'glaube' ist namentlich im
Johannesevangelium ein anderer ausdruck für gotteserkenntnis. Er-
kannte und verbürgte Wahrheit anerkennen, hocheinschätzen und an-
nehmen (Th 2, 13 T 3, 16 Tit 1, 1-4), von der autorität der heils-
botschaft und der lehre (wortverküudigung) auch ohne augenschein
sich überzeugen lassen (k 5, 7 Th 4. 14) -, von dieser biblischen
forderung gieng letztlich der bedeutungswandel aus, der die Verkündi-
gung, die lehre und ihr bekenntnis aus eigener Überzeugung heraus
mit dem wort 'glaube" (glaubensformel, glaubensbekenntnis) belegte;
der 'glaube' ist nicht so sehr von der erkenntnis als von dem be-
kenntnis abhängig geworden ; 'gläubig' (christlich gesinnt Tit 1, 6) ist,
wer ein auf der heils- und glaubensbotschaft (dem wort der Wahrheit ;
E 1, 13) fussendes bekenntnis ablegt^. Der glaube ist fortan das
Symbol des Christentums*. Dieser totalen hellenisierung eines gotischen
Wortes folgte die hellenisierung seiner syntaktischen konstruktionen ■'^.
Die spiritualisierung hat auch got. timrjan-gatimrjan, tim-
reins-gatimreins 'erbauung' erfasst (o. 48, 379); es sollte die seele, das
Innenleben des einzelnen Christen und der ganzen Christenheit neu
aufgebaut werden (K 8, 10. 10, 23 E 2, 20-22. 4, 12. 16) im Zu-
sammenhang mit dem himmlischen bauwerk (bauains k 5, 1-2), mit
dem heilsplan und der heilsbotschafc gottes; 'erbauung' war heils-
1) 'vertrauen fassen' und 'vertrauen haben' Afda. 3H, 10 f.
2) Die heilsbotsehaft {aiiraggeljo) war die 'Wahrheit', sie zu liören, an ihr
Wohlgefallen zu finden, sie in das eigene herz aufzunehmen, sie anzuerkennen und
ihr zu gehorchen, darauf kam es an (E 1, 13 Phl 1, 27 R 10, 8. 10. 14-19. 21.
11, 30-32), so nahm man den 'geist gottes' in sich auf (G 3, 2. 5 R 8, 7-9). Bei
Pauhis drückt 'glaube' ein machtvolles religiöses erlebnis aus, ist ein x^piap-a und
tritt deswegen in Opposition zu jeglichem menschenwerk; 'glaube' ist die Stimmung
und gesinnung des neuerweckten pneumatischen lebens {ahmet galauheinais
k 4, 13 nina galauheinais T 3, 9) vgl. t 1, 9 th 1, 11 R 12, 3 E 2, 8 G 2, 16.
20. 5, 5. 6. 22 [akran ahmins . . . galaubeins).
3) galaubei in fraujin E 1, Ih : galanheip in aiwaggeljon Mc 1, \b:mereip
galauhein (= evangelium) G 1, 23; mereins = galaubeins K 15, 1-t. 17 vgl. k 4, 13
(gebet, bekenntnis) Schriften d. Neuen testaments 2, 187 f.
4) Vgl. G 2, IH K 1, 21. 14, 22 u. ö. swesans galaubeinai 'glaubensgenossen'
G 6, 10 (dazu th 1, 3-4); ains fratija, aina galaubeins, aina daupeins E 4, 5.
5) Akk. c. inf. bei gatrauan und galaubjan k 10, 7. L 20, 6 R 14, 2 ; ga-
traua ßatei . . . [Jjammei) R 8, 38 t 1, 12 Phl 2, 24; galanbja patei . . . R 10, 9
Th 4, 14 M 9, 28 J 16, 30. 11, 27. 9, 18; galaubjan ohne objekt: .T IG. 31 K 15,
2. 11 k 4, 13 M 8, 13 Mc 5. 3(1 9, 23-24 usw.
20 KAÜFFMAXX
erziehiiüg im siune des 'glaubeus" [iimrenmi gudis ßizni wisandein in
gnlau'ieinni T 1, 4). Dabei wirkte der christücbe dualismus mit, der
das sichtbare und äusserlicbe durch das un^ichtbare innerlich zu
überwinden trachtete. Denn das religiöse denken wurde von den
grossen autithesen beherrscht, die die spiritnalisierung zahlreicher
gotischer wörter getordert haben (diesseits-jenseits, licht-finsternis,
leben-tod. leib-seele, süude-gnade, gut-böse, vergänglicli-ewig, alt-
neu usw.\ Aus anlass von airßeins 'irdisch' waren wir auf himmel
und erde zu sprechen gekommen : sogar den formwörtern "oben* und
'unten' (x^k-j, x,7.t(j)" wurde statt des rauais eine wendung auf die ent-
gegengesetzten Standorte der religion ihimmel und erde, himmel und
hölle) gegeben ^ und die mimische gebärde des pronomen demonstra-
tivum zu ausdrucksvoller Symbolik gesteigert-.
Das Stilgesetz der spiritnalisierung fand aber das hauptfeld seiner
wirksamkeil bei den lianptnnruien der neuen religion, bei den Sakra-
menten.
Die sakram entalisierung hat einen glorienschein, eine
heiligende weihe über profane wörter ergossen und nun konnten die
weihevollsten begriffe durch die schlichtesten ausdrücke der Volks-
sprache dargestellt werden. <:oj-rrc und coj-rr.z'.y. wurden mit ihrem
kultischen nimbus entlehnt, und dieser nimbus war es, der dem an
1) uzuhhof aiiyona iup J 11. 41: siffislattn pizos iupa laponais gudis Phl
3; 14; poei iupa sind.sokeip — parei Xristus ist in taihsicai gudis sitands — fiaimei
iupa sind frajfjaijj ni paim Jjoei aua aiipai sind C 3, 1—2: sa iupaJ)ro qimands
J3, 31 {: himinak'undana jah iupapro qumanana . . . airpiakundana jah us airpai
rodjandan Skeir. 4); atgiban iupapro ('vom himmel her') J 19, 11; jus ns paim
dalapro sijup ip ik us paim iupapro im 8, 23 vgl. 18, 36 ; i^as ussteigip in himin ?
Pat ist Xristu dala/j attiuhan . . . hras gasteigipj in afgrundijja? pjat ist Xristu us
daupaim iup ustiuhan R lU, 6—7 vgl. Tli 4, 16 M 11, 2.'3; insaihands iup . . . dalajt
atsteig L 19, 5: iupapro und dalap M 27, 51 Mc 15, bS vgl. M 8. 1 J 9. 6 L 4, 9
Mc 14, 66 u. a.
2) sa fairk^us K 1, 20—21; jus us pamma fairkau sijup ip ik ni im us
Pamma fairkau {dalapro: iupapro) J 8, 23; bi pizai aldai pis aiwis {fnirhaus)
E 2, 2 C 2, 20 J 16, :^8 (: 21). 33. 17, 11 ff. 12, 31. 46; in pamma fairhau in
libainai aiireinon 25 usw. p>ai sunjus pis aiwis . . .jainis aiicis L :^0, 34 — 35; in
jainamma daga t 4. 8 J 16, 23. 26 u. ü. = in spedistin daga 12, 48: fram mannis-
kamma daga K 4. 3: in daga fraujins 5, 5; dags fraujins swe piubs in naht stra
qimip Th 5, 2.
3) Wendland, Zeitschr. f. neutestamentl. Wissenschaft 5 (1904) 3a5 ff (s. 348);
Dibelius. Handb. z. Neuen testament 3, 2, 184. 212 ff.; Reitzenstein, Mysterien-
religionen s. 25 f. ; Bousset, Kyrios Christos s. 293 ff. : Weiss, Archiv f. religions-
wissenschaft 16, 492 ff. rrchristentam s. 166 u. a. v?!. Zeitschr. 48. 386.
DER 8TIL DER GOTIÖCHEX BIBEL 21
ihre stelle tretenden gotischen profanwort {nm^jan) seinen totalen be-
deiitnngswandel verschaffte und das wohltuende gefühl von 'genesend
und heilend' hei 'heilnnd' zu dem religiösen schauer des Sakraments
erstarren Hess. Himmlische und irdische erscheinung stehen sich im
Sakrament nicht mehr dualistisch-antithetisch gegenüber, wirken viel-
mehr einheitlich zusammen. Irdisches und himmlisches vereinigen sich
im nr/.-jandf!; er sollte die sterblichen aus lebensgefahr erretten, den
beruf des arztes durch heilung der kranken erfüllen, aber zugleich
durch das mysterium der erlösung den sünder vom tod befreien und
durch ewiges leben beseligen (t 1, 9-10). Unser deutscher Sprach-
gebrauch gieng mit 'heiland' von der die kranken heilenden tätigkeit
des arztes aus, der Gote hat für seine bibel nicht hailjaii sondern
nnyjnn gewählt ^ und damit von vornherein den Stimmungszauber, den
ein zur nahrungsaufnahme wieder genesender erlebt, seinem vom
himmel auf die erde gesandten 'retter, erlöser und seligmacher' ein-
verleibt, dem die andacht sich zuneigte, weil es sein geheimnis war,
alle zu ernähren und am leben zu erhalten, deren diesseitiges und jen-
seitiges dasein gefährdet war. Das beseligende gefühl der genesung
lenkte die Wortwahl für griech. crwTTipia auf got. n«6ßmö-^ und ist auch
1) haüjun und {ga)nasjc(n sind zwei verschiedene ärztliche leistungen (9-spa-
Tieüeiv und ocbCeiv); ist der arzt mit erfolg tätig {galekinon L 8, 2. 43: lekinon
'ärztlich behandeln' 5, 15 vgl. 9, 11), so führt er einen heilungsprozess herbei {ga-
hailjan M 8, 7. 16: hailjan L 5, 17) und besorgt die genesung {ganasjan \S.q%-%%
L 6, 19: hailjan la9-7;vai 18; gahailjan läaO-ai 9, 11. 42); Jesus, der arzt, heisst
darum lekeis (L 4, 23. 5, 31) und hailjands (M 9, 3") vgl. .J 7, 23); das ist aber
nicht der 'erlöser': nasjands bedeutet also etwas ganz anderes als hailjands
und 'heiland' (Mc 5, 26. 28. 29. 34); nur ein einziges mal wird hails wairßiß
für acü^-Yjasxai gebraucht und in diesem fall (J 11, 12) bedeutet die formet 'gesund
werden' im ärztlichen sinn. Ich erinnere an hails in der Verbindung 'gesunde lehre'
T 1, lU. 6, 3 t 1, 13. 4, 3 Tit 2. 1. 1, 13: gahails Th 5, 23 (gegen L 15, 27). Für
(ga)nasja)i hebe ich aus: ganasjan ßans gamalividans hairtin L 4, 18. 9, 24. 56
J 6, 9; 'retten' K 7, 16 Mo 15, 30 f. M 8, 25. 27, 49 J 12, 47. 27; 'selig machen'
K 1, 21 (hängt vom 'glauben' ab: y,dpiona E 2, 5. 8); nasjandis gudis saei allans
Hill ganisan ('selig werden') jah in nfknnpja sunjos qiman T 2, 3—4 vgl. 15 J 10, 9
L 8, 12 R 10, 9 usw.: 'gesund machen' L 7, 3. 50. 8, 48. 50; 'gesund werden'
M 9, 21-22 L 8, 36. 18, 26 Mc 6, 56 ; ganisai jah lihai 5, 28.
2) naseins {rettung aus lebensgefahr) wechselt mit ganists (errettung — ge-
nesung); beide, dies ältere und jenes neuere wort, hielten Verbindung mit dem
heilsplan gottes (Th 5. 8—9; aiwaggeli ganistais E 1, 13; ganisis ßairh galanbein
t 3, 15 vgl. 2, 10 R 10, 9-10. 11, 11. k 7, 10. 1, 6 R 13, 11. 10, 1). 'Errettung'
aus der gefangenschaft Phl 1, 14. 19 steht im gegensatz zu fralusfs 28 ('unter-
gang') vgl. L 19, 9—10; dags naseinais k 6, 2; naseins : uslanseins L 1, 68—69.
71. 77; ocüxyjpiov 2, 30. 3, 6.
22 KAUFFMANN
an der spiritualisierung- der verba gcuman (ahnia ganisai K 5, 5) und
{gfi)nasja/i beteiligt. Diese ganze Wortsippe wurde statt auf das irdische
auf das ewige leben bezogen und mit dem sakramentalen gehalt der
crlösung und beseligung gesättigt; denn nai<jancU ist nicht der heiland
oder heilbringer, sondern der aus lebensnot erlösende ^ und die leiden-
den selig machende, der die menschen in den himmel kommen und
die sterblichen zu ewigem leben auferstehen lässt, so sicherlich wie
er als rettender arzt und Wundertäter verstorbene wiederauferweckt
hat (L 8, 49-50 J 11, 25-26). nasjands ist darum in der gotischen
bibel nicht bloss ein epitheton des 'heilandes' Jesu (Phl 3, 20), son-
dern auch gottes, des retters Israels, der sonst nicht unter 'heiland'
verstanden zu werden pflegt (Tit 1, 3-4 t 1, 9-10 T 4, 10. 2, 3. 1, 1
L 1, 47:2, 11)2.
Wörter der gemeinsprache emptingen mythisch-sakramentalen ge-
halt, wenn sie durch die erinnerung au die erlebnisse (wort und
werk) des kultgottes geweiht wurden. Ein lebenswerk und ein heils-
wort des /pKTxoc musste, von seinen anhängern dauernd wiederholt,
für die gläubigen ein vorbildlicher kultakt werden ; ihn beim gottes-
1) Ein gegenstück zu nasjands ist sa fraisands 'der Versucher' (d :isipä^ü)v
Tli 5, 3 ; usfaifraisi izwis sa fraisands 3, 5) der das heil, das leben und die seele
'gefährdet'. Aus dem profanwort fraisan 'gefährden' (Mc 12, 15 G 6, 1 : 4, 14
vgl. ahd. freison, and. freson [Hei. 772 f. 4476], ags. frdsian) ist der religiöse be-
griff des 'sich selbst auf sein glaubensieben prüfen' (k 13, 5: Mc 10, 2) und der
'Versuchung' herausgeholt worden [fraistubni M 6, 13 L 4, 13. 8, 13 T 6, 9: ei ni
fraisai izwara satana K 7, 5 ; ni fraisais fraujan gup peinana L 4, 12 vgl. 2.
Mc 1, 23). Ähnlich ist es dem neben nasjands und fraisands zu erwähnenden sa
{ga)lewjands ergangen. Galewjan war ungefähr gleichwertig mit anafilhan und
atfjihan (48, 3H5 f.) vgl. J 18, 30. 35-36 K 11, 23 M 27, 2-4. 18 Mc 14, 10-11.
41— i 4. 9, 31 L 9, 44 und hat sich darum mit griech. uapexsiv und TiapaSiSövat,
associert ('ausliefern' J 19, 11). Das got. verbum wurde jedoch vom Übersetzer mit
der gesamtvertretung von griech. TtapaStSövai also nun auch mit der Vertretung
von 'verraten' betraut und durch die figur des 'Verräters' Judas heilsgeschichtlich
vertieft (vgl. L 6, 29:16 Mc 3, 19; J 18, 2:5); wahrscheinlich ist von dem kom-
positum die neue bedeutung auf das simplex übergesprungen (Idg. forsch. 21, 194 f.).
Merkwürdig ist die analogie zu ags. heheiran und ^esyllan (Drake, West-saxon
gospels. Diss. New York 1894 s. ^uff.).
2) L'em got. nasjands entspricht ahd. haltari beziehungsweise haltento {suluator;
der am leben erhält) Notker ed. Piper 2, 64, 9 : 56 f. 180, 11 u. ö. = Jesus 179, 11.
332, 3 ; Christus Jesus > Christ der haltinto 359, 5 ; dominus Jesus > truhten der
haltendo H43, 4. Unter den Westgermanen wurde 'heiland' die Verdeut-
schung des namens Jesus ('Jahwe ist rettung' M 1, 21): ags. hcelend L 18, 37
Mc 10, 47. 49 usw. the scal heliand te namon egan Hei. 266 dazu Tatian 3, 4.
7, 1. 90, 3 vgl. 4, 5. 6, 2. 87, 9: 88, 1. 195, 1. 4 usw. Kahle a. a. o. s. 79.
DER STIL DER GOTISCHEN BIBEL 23
dienst feierlich zu begehen, galt als sakrales gebot und kirchliches
gesetz. Das hauptbeispiel eines sakramentalen mythos steht KU, 23 ff.
Es feiert den neuen blutbund {cjamaindiips blopis fraujins K 10, 16),
der zum gedächtnis des gekreuzigten und zur erlösung der gläubigen
stetig zu erneuern war (Schriften d. Neuen test. 1, 203) \ Seine
Stiftung, das einmalige und grundlegende erlebnis der jünger, wird
erzählt; aus dieser erzählung (;j.ui%:) strömt seine sakramentale Wirkung:
frauja Jesus
in f)izaiei naht galewifis was
nam lilaif jah a w i 1 i u d o n d s gabrak
jah qa{) : nimijj matjij)
|iata ist leik mein f)ata in izwara gabrukano
Jiata ivmirkjaip du meinai ganiundai
swah samaleiko jah stikl
afar nahtamat qi{)ands :
sa stikls so niujo triggwa ist
in meinamma blofia
pata ivaurhjaip swa ufta swe drigkalj) du meinai ga-
mundai
swa ufta auk swe matjaif) jjana hlaif jah {)ana stikl drigkaij)
daulmu fraujins gakannjaij) nnte qimai
eif^an /razuh saei matjij) |)ana hlaif ail){)au drigkai {)ana stikl
fraujins unwair|iaba
• fraujins skula wair|)if) leikis jah blojjis fraujins
ajDpan gakiusai sik silban inanna
jah swa J)is hlaibis matjai jah Jiis stiklis drigkai.
awiliudon, wahrscheinlich ein ausdruck der heidnischen kultspraclie,
ist in der Gotenbibel durchaus der liturgie und dem Sakrament vor-
behalten^: die kontinuität des Sprachgebrauchs wird erst unterbrochen,
1) -Das ist das einzigartig anziehende dieser neuen religion gewesen, dass
ihr mythos, um uns religionswissenschaftlich auszudrücken, nicht in irgend einer
grauen Vergangenheit spielt, von der man nicht mehr viel zu sagen weiss, sondern
von den ersten verkündigern zum teil mit erlebt worden ist' Weiss, Urchristen-
tum s. 167.
2) .J 6, 11. 23 Mc 8. 6 (vgl. L 9, 16) L 18, 43; 11. J 11, 41 R 7, 25 t 1, 3
Ti 17, 15-16 [siibnai mikilai) u. a. awilinp euxaptotia {: aiicxarisiia k 9, 11—12)
'danksagung' (zur ehre gottes) T 4, 8—4 {gaweihada tiul- pairli u-aurd gudis) Phl
4, 6 k 4, 15 {du wiilpan guda); x^P^S (t;(p S-ew) K 15, 57 k 2, 14. 8, 16. 9, 15;
auf die Unterscheidung von airiliuß und ansts (T 1, 12 : 14 t 1, 2 : 3) wird später
zurückzukommen sein; im profanen hezug tritt pauk oder Imoi ein (LI/,
9. 6, 32 ff.).
24 KAUFFMANN
WO lilaifs und stikls die Stellvertretung von leik und bhp fraujins
übernehmen. Unter hlaifs ist im mytlios hlcnfs fraujins und unter
stilds ist stikls fraujins verstanden, denn es heisst hier:
saei auk raatji[3 jah drigki|) unwairf)aba
staua sis silbin matjij)
ni domjands leik fraujins K 11, 29.
hlaif mr/tjan bedeutet in diesem kultischen Zusammenhang nicht
mehr 'brot essen' ; über den bedeutungsgehalt der formel entschied
jetzt ihre sakramentalisierung ('wer bloss isst und trinkt, zieht sich
durch solch unwürdiges gebahren ein Strafgericht zu, weil er den leib
des herrn nicht berücksichtigt') :jappe nu mafjalp jappe drigkaip jappe
ha taujij), allata du icidpqu fiudis taujaip K 10, 31. Weder matjan
noch driykan sind auf die kultsprache eingeengt worden (z. b. L 15, 16
Th 5^ 7), obwohl eine distanzierung der verba maijan und Han, drig-
kan und "^^ siipan denkbar gewesen wäre und eine spiritualisierung der
alltagswörter tatsächlich erfolgt ist (K 10, 3-4). Der meister der
Gotenbibel gehorchte seinem stilgesetz, wenn er mafjan und drigkan,
hlaifs und stikls mit profaner bedeutung wiederkehren und auf das
kultisch-sakrale gebiet übergreifen Hess, um so trotz aller neuerungen
dem volkstümlichen Sprachgebrauch doch noch Spielraum zu gewähren^:
hlaifs wurde durch das 'wort gottes' spiritualisieit (L 4, 4. 14, 15
J 6, 26-27. 31-35 : ik im sa hlaifs libainai^) und durch den 'leib
Christi' sakramentalisiert (J 6, 41. 48-51. 52-58 K 10, 17; für stikls
verweise ich auf Mc 10, 38-39 J 18, 11). •
Ein vergleich mit dem usus ergibt für blop (K 15, 20 E 6, 12)
eine entstofflichung (Mc 5, 25. 29 M 27, 4; blop gaJgins C 1, 20
E 2, 13 J 6, 52 ff.), aber stilgerecht ist auch die dadurch nicht ge-
fährdete fortdauer der herkömmlichen bedeutung dieses Wortes. Ver-
wickelter ist der gebrauch von leik, dessen spiritualisierung und sakra-
mentalisierung uns bei hlaifs bereits beschäftigt hat ('himmelsbrot'
J 6, 51 ff. im gegensatz zu alnna ist saei liban taiijip, pata leik ni
hoteip waiht 63). Man muss auch in diesem fall das wulfilanischc
von dem vorwulfilanischen Gotisch zu unterscheiden versuchen, um in
der Verbindung der älteren und der neueren, der volkstümlichen und
der biblischen, der profanen und der kultischen Vorstellungen den
charakteristischen Stilausdruck des Schriftwerkes wiederzufinden, leik
bezeichnet in der bibel sowohl 'fleisch', d. h. stoff (^rapE) als auch
1) Mc 3, 20. (), 8 L 7, 33-34 ii. a. gegen Mc 7, 2 ff. 2, 26 L 6, 4 ; th 3,
8. 12 M 6, 11; 10, 42 Mc 9, 41 K 10, 16. 21.
DER STIL DER GOTISCHEN BIBEL 25
'leib', (1. h. form und g- est alt (cö:;xa); daneben ist eine dritte be-
deutung 'körper', d. h. g-eformter und gestalteter stoflf (mensch-
liche gestalt) nicht zu übersehen. Für 'fleisch' begegnet uns C 1, 22
das sonderwort mammo in der ausdrucksvollen und anschaulichen Ver-
bindung leik manimoiis [pC.u.y. ttc '^ap/.ö:)', w'ährend kurz daraufge-
schrieben steht: usfullja gaidwa aglono Xristaus in leika meinamma
faur leik is J)atei ist aikklesjo (die in einzelne glieder, körperhaft,
gegliederte kirche ist gemeint; bi tt, nxoyJ. fAou l-rzk^ tou gol'ijläto; au-roO 24);
av.0% und ctofj'.a fielen also unter umständen für den Goten zusammen
{nna leika umaraninid : . . in riurjamuia leika unsaranrma sv tw aojy.y.Ti
v.rxoJv . . . Iv -.■}, [\vri~r nxzyJ. r.y.olv k 4, 10-11). Seinem leik entsprach
zumeist, dem altgermanischen herkommen gemäss, griech. ccoaa. Wenn
aber leik 'gestalt' bedeutete -, so war doch nicht ihre reine (bildnerisch-
künstlerische, ästhetische) form darunter verstanden ; sie wurde viel-
mehr von ihrem stofflichen dasein nicht abgelöst {leik körper, leiche) ^.
Nur war bei leik nicht der stoff das dominierende sinnesmerkmal,
sondern die form. Der stoff (das fleisch) wurde als 'form' aufgefasst,
wenn man lik ('leibliche gestalt') dafür gebrauchte. Daher. konnte es
ein altgermanisches stof fadjektiv likin nicht wohl geben ^; got. leikeins
ist durchaus ein wulfilanisches gebilde (kontrafaktur von griech. azs-
xivo; 0. 48, 190)^, leikeins im R 7, 14 (ich bin ein fleischeswesen) verträgt
1) mammo gehört zu mimz '/.pia, K 8, 10. 13.
2) manleika slxwv L 20, 24 Mc 12, lü K 15, ^Q'.yaleiki ojio'lwjxa {idit skcd-
kis nintands . . . in galeikja manne . . . manatilja Phl 2, 6—8 'menschengestalt' ; in
yaleikja leikis 'in gestalt eines menscheuleibs' R 8, 3 vgl. k 3, 18. 11, 13—15 R 12, 2
K 11, 1 Pbl 3, 17 th 3, 7. 9).
3) lik (materialisierte form) hat sich allmählich von 'leib' (gestalt) zurück-
gezogen zugunsten von Hb (beseelte gestalt); je mehr dies wort sicli ausbreitete, um
so mehr verlor lik an bodeu und behielt nur noch stofflichen wert {leiche) vgl.
got. leik 'leiche' L 17, 37 Mc 6, 29 M 27, 58—60; hlaiwasnos uslnknodednn jah
managa leika pize Uijandane weihaize urrisnn 52. — Im ahd. Tatian heisst caro-
ßeisf/ und corpiis-UJihamo; liJi kommt nur noch ein einziges mal und zwar mit der
bedeutung leiche' vor [namun sina lih inti bigraobun then in grabe : Hb nita 79, 10)
wie bei Otfrid 4, 35, 31. 34, 4: dazu stimmt Uh 'körjjer, fleiscliesleib' 4, 29, 40. 5,
8, 20 (: 18). 4, 27, 13. 5, 1, 44. Im Heliand dient M ebenfalls als 'körper' (fleisches-
loib 153-54. 199 f ; fleischteile 4901. 3345) und 'leiche' (5739 = Areo 4077 f.); da-
gegen hielt das ags. auch noch an l/c 'gestalt' fest und diese bedeutung ist im
auord. ganz geläufig geblieben (ags. eoforlic, icyrmes lic Gen. 491 ; anord. onus lik
ßeginsm. 14 pr 2; Loki in laxliki Sn E).
4) Auch in Deutschland kommt ein lichin nicht vor (wohl aber mhd. vlei-
schin 'fleischern'), es wäre so unmöglich wie libin ('leibern'), es gibt nur 'leiblich'
(ags. lichamlic corporalis, carnalis): 'geistlich' (Braune, Beitr. 43, 404 ff.).
5) -eitis war produktives suffix geworden und zwar gieng dies auf kosten
26 KAUFFMANN
sich schwerlich mit dem altgermanischen Sprachgebrauch ('ich bestehe
aus einem leibe' wäre widersinnig; desgl. sind reine hellenismen in
spildom hairtane lelkeinaim k 3, 8 irepna leiheina 10, 4 und nun gar
in handiiyein leikcinai 1, 12). Erst nachdem /e/keins als rsy.^/j-vö-
gewertet worden war, sind derartige Wortverbindungen für einen Oer-
mancn miiglich gewesen, /eik bot allerdings eine stoft'liche seile dar;
eine teilbeziehung dieses wertes (die stoffliche) Avurdc verallgemeinert
und zur herrschenden erhoben, wenn das wort alimählich sich
materialisierte ('leiche') oder theologisch sich spiritualierte. So konnte
die kultsprache mit leikeins und seinem hellenistisclien korrelat o/inieins
versehen werden, weil die dünne stoffliche qualität von ahma (atem)
und die dichtere von leik derartige ableitungen duldete, für die jedoch
im übrigen die griech. adjektiva T.vzu[j,y.ii'/.6c und crap/avöc verantwort-
lich sind. Das stoffliche ist in beiden fällen verflüchtigt und be-
ziehungslos, es ist nur die religiöse oder theologische deutung aner-
kannt worden ^ Aber nicht bloss aus dem sog. stoffadj. leikeins und
aus seiner spiritualisierung, sondern auch aus der Verbindung von
got. leik und Iicnna, die auf das altgermanische kompositum l/khamo
sich stützen konnte, ergibt sich der grundgehalt unseres Wortes. Nach
biblischer lehre ist den Christen bestimmt, den fleischesleib aus- und
einen lichtleib anzuziehen, wenn das irdische fleisch zerfällt und in
einen himmlischen lichtstoff (f^o'Ea) verwandelt wird. Ein 'lichtgewand'
wird von der nackt und bloss gewordenen seele 'angezogen' werden
(vgl. fjnhamon E 6, 11. 13 ff. 4, 24 Th 5, 8 V 3, 9^10. 12); sie setzt
ihr dasein als eine lichtgestalt fort {GWJ.y. t-z-c ^öiric Phl 3, 21 ; sive
aggiljus pai in himinam Mc 12, 25): die Vergöttlichung des menschen
(Christus 'anziehen' gahamon franjin tinsaramma Xristau lesua R 13, 14;
Xristau galtamodai sijnjj G 3, 27) vergegenständlicht sich in der Ver-
wandlung des menschenleibes in einen gottesleib (fraiija . . . in-
maideip leika [Gojy.a] hauneinais du ibnaskaunjamma leika ividpaus
seinis Phl 3, 21 vgl. inmaidida sik Mc 9, 2-3). Hierbei fand sich
nun leik mit huDioii zusammen :
gatimrjon us guda habam gard unhanduwaurhtana
aiweinana in himinam
unte jah in Jmmma swogatjam bauainai unsarai
vou -leiks {leikeins lieisst 'leiblich' und ahmeiiis lieisst 'geistlich'), wofür es bekannt-
lich in der got. bibel nur ganz vereinzelte belege gibt (ausser sildaleiJcs, ibnaleikfi
kommen fast nur linhaleiks, lapaleiks, tvairaleiho zum Vorschein).
1) Für ahmeins, das überhaupt nicht mehr s tof f adjektiv gewesen ist, ver-
weise ich auf E 7, 14 E 1, 3. 6, 12. 5, 19 'C 3, 16 K 10, 3: C 1, 9. G 6, 1.
DER STIL DER GOTISCHEN BIBEL 27
{)izai US himiua ufarhamon gairnjaiidaiis
jabai s\ve|)auh gawasidai ni iiaqajiai bigitaindaii
jah auk wisaudans in Jiizai hleil)rai swogatjani
kauridai ana Jjammei iii wileima afhamon ak anahaiiiou
ei fraslindaidau J)ata diwano fram libainai
aj^lian saei jab gamanwida uns du Jiamma
gi\\) saei jab gat' uns wadi abnian
gatrauandans nu sinteino jab witandaus
Jiatei wisaudans in [)amnia leika
afhaimjai sijum fram fraujin
unte |)airh galaubein gaggani. ni l)airli siun
aj)|3an gatrauam jab waljam niais usleijian us f)amma leika
jab anabaimjaim Avisan at fraujin . . . k 5, 1-8.
• Unsere Üeiscblicb-irdiscbe körpermasse igards) wird in der fremde
zurückgelassen, geht im gTabe zu grund ; die seele wird nackt und
leiblos, gott aber bält bei der auferstebung einen licbtleib, statt des
fleisches (als des kleides des todes) einen pneumatischen leib (ein
kleid des lebens) für__sie im himmel bereit, um die seele damit zu
'verklären' und zu vergöttlicben (Schriften d. N. testam. 2, 164. 189 ff". ;
Handb. z. N. testam. 3, 1, 187. 156):
swaswe herum mannleikan ]ns airjieinins
bairaima jah frisaht {jis himinakundins
l^ata auk qi{)a brojjrjus
J)ei leik jah bloj) l^iudinassu gudis ganiman ni magun
nib riurei unriureins arbjo wair|)if)
sai runa izwis qi|m
allai auk ni gaswiltam
i|) allai inmaidjanda
suns in braÄ^a augins in spedistin J^uthaurna |)uthaurnei|3 auk
jah dauf^ans usstandand unriurjai
jah weis inmaidjanda
skuld auk ist {)ata riurjo gahamon unriurein
jah J:)ata diwano gahamon undiwaneiu K 15, 49-53.
In sehr merkwürdiger weise scheint hier altchristliche und alt-
germanische Überlieferung zusammenzutreffen ; altgerm. Itkhamo ^ - in
1) 'Leibliche gestalt' materialisierte sich zu 'leichnam' ; es scheint, dass wohl
Uk: (> leiche) aber nicht likhanw mit der Vorstellung 'leblos' einstmals sich vertrug;
er war geistig belebt (Heliand 5657) und erforderte, wenn hreo gemeint war, den
Zusatz liflos (Hei. 2181:5671 f. 4098 f. 5901-2. 2776); lib und sela (Hei. 1861-68.
1904-10. 4753. 4780-83. ^110-12) haben aber nicht bloss ///!•, sondern auch H/,--
28 KAUFFMANN
der got. bibel zufällig nicht belegbar - kommt uns in den sinn bei
andhamonds sik leika C 2, 15 (exuens se carne)^, dem anord. hamask
und /iQinum skiptn begegnen. Man wird den unterschied des biblischen
und des altgermanischen ausdrucks nicht verwischen ^ und nun erst
recht des spezifischen bedeutungsgehalts von got. leih sich bewusst
werden. Denn auch auf altgermanischer seite war es nicht der körper-
haft massive stoff, das fleisch, sondern seine erscheinungsform, die
das kompositum likhamo noch stärker als das simplex betonte^, hanw
war eine decke oder hülle und Hess die konturen des leibes deutlich
hervortreten, wie ein hemd, das dem körper sich anschmiegte; diese
erscheinungsform'* war und blieb aber stofflicher natur. In dieser
hinsieht fällt auf Uk und Ukhamo ein klärendes licht von dem alt-
german. kompositum / f?a/*Aawo_, das eine seelenhülle, einen 'leib' be-
zeichnet, der aus federn besteht ^ 'Körpergestalt' nicht als stoff,
sondern als bild, dürfte die zutreffendste Übersetzung von Itk sein,
weil sie dem zugleich materiellen und spirituellen Charakter des wortes
am ehesten gerecht wird^.
Von dieser grundbedeutung entfernten sich Uk und likhamo, wenn
sie in der richtung auf 'leiche' und 'leichnam' sich materialisierten
hämo mit dem köntrastwert von 'leichnam' begabt (Tatian 38, 1 : 44, 19. 214, 1.
209, 3. 147, 5 [vgl. 61', 4]; Otfrid 2, 11, 44. 8, 54. 3, 21, 17:24, 83:5, 12, 10-12.
3, 20, 172:5, 11, 42; Hei. 2796. 5793. 5875 u. ö.).
1) Sehr. d. Neuen testara. 2, 190 f.; 'vom fleischlichen leib sich entkleidend'
(herausschlüpfen : afslaupjan C 3, 9 vgl. 10. 12 E 4, 22—24) vgl. auch leika iswa-
ramma ke ivasjaip M 6, 25.
2) Nach altgermanisoher Vorstellung wandert eine nackte seele. in fremde
leibliche gestalten (z. b. tierische) hinein, sie kann verschiedene leiber 'anziehen'
(Heliand 4U98 f. 4622 f.) ; nach biblischer Vorstellung wandert die seele nicht aus
ihrem leib, sondern legt ihn ab (zieht ihn aus) und zieht nun den einen, den gött-
lichen leib (ags. wnldorham) an; es ist damit jedoch auch ein Ortswechsel verknüpft,
weil die seele mit ihrem 'leib' auch ihre heimat wechselt, wenn sie von der erde
in den himmel kommt {wisandans in leika : usleipan tis pamma leika k 5, 6. 8).
Diese art von 'spiritualisierung' geht weit über die in altgerm. Uk und likhama
angelegte hinaus.
3) flesk endi lichamo Heliand 3639,
4) Mit atiddja ahma sa tveiha leikis siiinai swe akaks ana iiia L 3, 22
Cgestalt') liesse sich vergleichen i^rawmarr y«r^ hafßi hamaz i arnar liki Helgakv.
HjOrv. 5 u. a.
5) Vgl. ags. flceschama'.
6) gm als hamr Ätla Atlam. 18 ist körperlose traumerscheinung (geister-
hafte gestalt), bezeugt also eine spirituelle bedeutung, die in dem kompositum
hamingja noch klarer sich äussert, aber trotzdem nicht ins unkörperliche verflüchtigt
werden darf.
DER STIL DER GOTISCHEN BIBEL 29
und dem von Üb im bund mit geist und seele ausgeübten druck nicht
stand hielten. In der gotischen bibel ist diese materialisierung des
altgerinauischen Wortes auch zu spüren, aber in grösserem umfang
hat Wulfila die in got. leih angelegten spirituellen kräfte genährt, in-
dem er dies wort nicht bloss tiir griech. af/p;, sondern auch für griech.
cti[j.y. gewählt und seine abstrakte bedeutung einer starken belastungs-
probe ausgesetzt hat (C 2, 16-23). In diesem theologischen sinn ist
nun aber auch noch leik = oy.oc, umgewandelt worden (C 2, 11-15).
In der kultsprache bezeichnet leik nicht mehr bloss den irdischen
fleischesleib (K 9, 27 vgl. R 9, 3), sondern alles 'fleisch', d. h. alles
irdisch-naturhafte (J 17, 2 L 3, 6 vgl. Mc 13, 20 G 2, 16) i; die
irdischen leiber, ihrer materie nach 'fleisch', wurden zu leibhafter
'sünde'; die profan-kreatürliche und hinfällige materie brachte den
äussern menschen in gegensatz zu dem Innern menschen^, den ver-
gänglichen und sündhaften erdenstoflf in Widerspruch zu dem seligen
und ewigen himmelsgeist; leih und leikeius sogen neues leben aus der
antithese (ilima-nhmeiiis'^. Die grenzen, die die körper, welcher ge-
stalt sie auch sein mochten, trennten, mussten jetzt fallen (Mc. 10, 8)
und diese bewegung hat sich 'bis dahin fortgesetzt, wo leik stoff'lich
gemeint war (k 4, 11). Es ist abermals eine metamorphose der 'körper-
gestalt' erfolgt und das ausdrucksvolle wort leik, auf griech. ay.aoTia
eingestellt, zu einem moralischen und religiösen begriff ('kreatur') um-
stilisiert worden. Aus dem älteren, volkssprachlichen bedeutungskern
des Wortes leik, aus seiner doppelbedeutung lassen sich die wulfi-
lanischen neuerungen verstehen-, jene gestattete, bald leik als Stoff,
bald le.k als form zur geltung zu bringen und wie dem universalen
gehalt von griech. crp; so auch dem weitgespannten bereich von
griech. ca{xa gerecht zu werden (Organisation der weit und der kirche)'*.
Das sind neuschöpfungen des Wulfila, die seine sprachliche leistung
in helles licht setzen.
Das liturgische symbol für die grossen heilstatsachen wurden
derartige, von ihm neu geprägte Wörter der gotischen Volkssprache.
1) in leika 'im irdischen sinn' k 11, 18 J 8, 15; 'natürlich' G 4, 23. 29 Phl
1, 21-24; 'menschlich' C 3, 22 Phm 16.
2) Phl 3, 3-4 E 2, 11:8, IG vgl. R 7, 22-25 G 6, 12-13 k 4, 16. 7, 1.
3) R 7, 14. 8, 1 ff. G 5, 13. 16 ff. 25. 6, 8. 3, 3; leik wurde der feind des
frommen im widerstreit zu der naiven Volksanschauung (E 5, 2^— VJ9).
4) R 12, 4-5 K12, 12 ff. 10, 17; ich erwähne nQch die entsprechung otoiia-
aä.p'z-kik für den Organismus eines einzelkörpers, d. h. für 'persönlichkeit' oder
'person' {leik unsar 'ich' k 7, 5 vgl. R 7, 18 Phl 1, '20 ff.); Vielheit der glieder auf
eine einheit bezogen (organisiert), ergab gestaltete foim.
30 KAUFFMANN
Er hat sie hellenistiscli-kirchlicli abgestempelt. Dies ist nanicntlicli
dann geschehen, wenn ein erlebnis des gottmeuschen vorbild und
heilmittel der erdenkinder geworden und das irdische feld himmlisch
geweiht worden war. Nun konnten auch die alltagswörter religiös
geweiht (sakramentalisieit) werden.
Seitdem Jesus ins Jordanwasser 'getaucht', ist aus dem 'tauchen'
und 'abwaschen' ein sakramentales 'taufen' geworden. Man hat dem-
gemäss die verba ßa-Ti(^£tv — {uf)dau])jan (eintauchen \ waschen) auf
die neue kultische bedeutung festgelegt. Stilgerecht war es, dass auch
in diesem got. fall das sakralwort nicht vollständig von dem profanwort
abgetrennt wurde, sondern dass es restweise seinen gemeinen wert
behalten und die Verbindung mit der profansprache aufrecht erhalten
hat (sumans J)ize siponje is gamainjaim handum {jat ist unjjwaha-
naim matjandans hlaibans . . . ludaieis niba ufta J^wahaud handuns
ni matjand . . . niba daupj and ni matjand . . . daupeinins stikle jah
aurkje . . . Mc 7, 2-4); daupjan wechselt noch mit pwahan'^^ und be-
deutet noch 'bände waschen' und 'geschirr abwaschen'; im allgemeinen
werden jedoch für 'waschen' und 'baden' nicht mehr ßa-Ti^siv -
doupjan, sondern vi-tsiv - Jjwahan gebraucht und diese -auslese wird
auf selten des gotischen meisters nicht bloss durch die griech. vorläge
und durch seine Übersetzungstechnik veranlasst worden sein; daupjan
war zum ritualwort gediehen und erheischte darum ein selbständiges
profanwort {pwahan). Diese Spaltung des volkstümlichen Sprach-
gebrauches ist das bemerkenswert neue"', pwahaii und dniipjan eig-
neten sieh zunächst für abspülungen, die von den ritualvorschriften
der Juden verlangt wurden; weit hat sich davon der christliche ritus
mit dem untertauchen und abwaschen des menschenleibs im flussbad
entfernt. Der körperreinigung dienten pivahan (M 6, 17) und pwahl^,
daiqjjdii und daiipehis wurden noch nicht ausschliesslich für das sakra-
mentale wasserbad gewählt, sie sind aber auf dem besten wege, ihre
bedeutung auf die christentaufe einzuschränken, d. li. auf das wasser-
bad, das durch die Jordantaufe (J 10, 40) seine sakramentale weihe
empfangen hatte {in Xristaii daupidai G 3, 27 : aina daupeins E 4, 5).
1) lifdaupjands ßana hlaif ,] 18, 26 = fhuncon Tatiaa 159, 2—3; die be-
deutung 'ein- oder untertauchen' reclitfertigt es, wenn der Gote daupjan ancli für
ßa7mo9-^vai einsetzte (L 3, 12 vgl. K 15, 29); Braune, Beitr. 43, 421 ff.
2) Vgl. dagegen Tatian 83, 1. 84, 1. 4 {nuasyan : thuahan).
3) Vgl. z. b. J 13, 26 und Mc 10, 38—39; ich erinnere an ags. fulwian,
fnlnnht und anord. sMra, skirn.
4) J 9, 7-15. 13, 5-14 T 5, 10.
DEK STIL DER UOTI.SCHEX iUÜEl. 31
Unser bibeltext si)iegelt den herg-ang- wider, wo er /wischen puahan
und daupjan unterscheidet: Christus, so heisst es E 5^ 2(5, weihte
die 'kirche' gahvainjands pivalda (Xou-rpw) ivatins in waurcla (das
wasser allein tats nicht, erst das 'wort" wandelte das wasserbad zum
taufbad)^; in das verfahren des Johannes (icatin daiipja 'tauche ins
wasser ein' L 3, 3 ft". 16) musste der 'heilig:e geist' eingreifen, um
das jüdische reinigung-sbad zum heiligenden taufbad zu steigern {daup-
ian in ahmin iveihamma L 3, 16-22)-.
Das sind klare beispiele dafür, dass nicht sowohl neue Wörter
zu schaffen, als alte stilgerecht umzudeuten waren. Das wichtige stil- *
gesetz der religiösen oder theologischen begriffsbildung, das uns bei
got. galaubjan, simja u. a.. aufgegangen war, enfaltet voll und ganz
seine Wirksamkeit, wo der Gote 'tauchen' zu 'taufen', 'bitten' zu 'beten',
'geschenk' zu 'gnade', 'beglückt' zu 'selig' umstilisierte. Höchst be-
merkenswert ist die Schonung, die er allen seinen neaerungen zum
trotz den älteren Wörtern oder Wortbedeutungen zugute kommen Hess.
Taufen, beten und fasten" bilden eine kultisch-liturgische gruppe.
Auch auf beten und fasten (K 7, 5 Mc 9, 29 L 2, 37. 5, 33) triftt
das Stilmerkmal zu, dass diese verba neben dem sakralen ihren bis-
herigen profanen sinn in der Gotenbibel behauptet und damit die
kontinuität des Sprachgebrauchs mitten in der schwersten krisis
gotischen sprachlebens sichergestellt haben. Ich gehe, um diese tat-
sache recht deutlich und eindringlich wirken zu lassen, von L 16, 3
aus: (jraban ni mag, hidjan (i-y.ixtXv) shnna mik, reihe dsiran bidngica
-soTaiTr,: und das synonymon aihironds (bettler J 9, 8) ''\ Von dem
'bettel' steht die 'epiklese' weit ab {hidjan : anahaitan R 10, 12-14) ^
'bitten' nimmt zwischen 'betteln' und 'beten' die mittelstufe ein (M 5,
44 L 6, 28) und wir glauben noch zu erkennen, wie die Verbindung
mit spezitisch liturgischen Wörtern ein hidjan von aihtron getrennt un^l
auf das sakrale niveau gehoben hat"^. aiviliudon 'danken' (E 5. 20)
geriet mit 'bitten' in gottesdienstliche beziehung"; namentlich dürfte
1) in naniin daupjan K 1, 13 ff.
2) Ich stelle ausserdem Mc 1, 4-8. 6, 16 L 7, 28-29. 20, 4. 3, 21 und 3Ic
1, 8-11 K 12, 13 einander gegenüber (leider fehlt uns K 6, 11); lehrreich ist die
unter dem gesichtspunkt der abendmahlfeier vollzogene sakramentale deutuiig der
'Mosestaufe' K 10, 1—4; vgl. dagegen pwahl — daupeins Skeir. 2—3.
3) aihtron L 18, 35 Mc 10, 46 ; vgl. Groeper a. a. o. s. 59 ff.
4) kl, 23; hldal anahaitan t 2, 22: haifan M 10, 25; vgl. o. s. 11 und
ags. hdlsung L 2, 37 (bida).
5) bidja Tiapay.aXw E 4, 1; hidjan TTpooeü/eaa-at T 2, 8.
6) L 18. 10-11 E 1, 16. 6, 18 C 4, 2-3 Phl 4, 6 Th ö, 17-18; vgl. ferner
32 feAUFFMANN
aber die formel bida gudis (L 6, 12), die auweisung und das vorbild
des betenden heilandes ^ den Übergang von 'gott bitten' zu 'beten'
(M 6, Stf., Me 11, 24-25) erleichtert und beschleunigt habend Auf
aihtron hat der Übersetzer verzichtet; es kommt diese sippe mit kul-
tischer bedeutung nur in der zweigliedrigen formel bidjan jah (dlitron
(C 1, 9) oder Inda jnh aihtrouH (Phl 4, 6 T 2, 1) vor^ So hat er
auch zwischen fastan und (jatidyjan (th 3, 3 'festmachen') eine rein-
liche Scheidung vollzogen und seinen Sprachgebrauch eindeutig ver-
einfacht, faüun kam für 'festmachen' (L 8, 29) und 'festhalten' (J 17,
* 11-12; bairyan 15), aber auch für 'behüten' (Th 5, 23) und 'be-
wahren' (J 12, 7 E 4, 3 t 2, 12. 14. 4, 7) in betracht. Der kultische
bedeutungswandel gieng von dem bewahren des 'wortes' (J 15, 20.
17, 6. 8, 51-55. 14, 23-24) oder dem innehalten eines gebotes aus
(J 14, 21. 15. 15, JO L 18, 20-21 T 6, 14)*. Fortan ist der ge-
horsam gegen eine die nahrungsentziehung regelnde ritual Vorschrift
gemeint (L 18, 12), für die der gebrauch von fastan aber nicht obligat
war {uHsknivoi .sija/m(f Th 5, 8); ausser mit haban und gahaban- {^fest-
halten' J 14, 21 Th 5, 21) traf fastan mit afhaban ('sich enthalten'
Th 5, 22) zusammen '\ als es das ritual der reinigung streifte ''. Gerade
so wie bei taufen und beten löste sich von den konkurrierenden verben
das massgebende kultwort letztlich dadurch ab, dass unter mitwirkung
eines mythischen erlebnisses (L 4, 2-4) ein gottesgebot, die anweisung
des religionsstifters (M ß, .16-18. 9, 14-15) und das vorbild der
griech. kultsprache (vyicTsoeiv) das eine von ihnen {fastan) gottesdienst-
lich geweiht hat. >.
bidjands aijjpan, praufetjands . . . bidjandei aippmi praufetjandei K 11, 4—5; dazu
liteins (< XixYj?) T 2, 1.
1) M 6, 8-9 Mc 1, 35 L 5, 16. 9, 28-29 J 14, 13. 16. 16, 23-26 (dpwxav)
17, 9 u. a. vgl. auch L 19, 46 Mc 11, 17.
2) gabidjan spielt nicht die rolle, die man ihm etwa vermutungsweise zu-
schreiben könnte ; es kommt nur einmal vor {gahidjaip irpoaeüxso9-£ th 3, 1) ; nsbida
suxö(ivjv R 9, 3 ('ich wünschte').
3) pairh allos aihtronins jah bidos aihtrondans in ahtnin . . . irakandans in
allai iisdaudein jah bidom E 6, 18.
4) tvitan {: fastan) 'beobachten' J 9, 16: fastubni K 7, 19 {: witubni)\ witop
fastan G 6, 13; witodafasteis L 7, 30 u. ö. tcaila inividip anabusn gudis ei pata
anafulhano izwar fastaip Mc 7, 9 usw. vgl. Groeper s. 58 f.
5) lausqiprs Mc 8, 2—3 : fastan 2, 18—20; vgl. auch Groeper s. 37 f.
6) ei pata fastais inu faurdomein ('dass du solches ohne Vorurteil beobachtest') •
. . . Jmk silban swiknana fastais ('halte dich rein'), pu iii drigkais fjanamais ivato
ak weinis Jeitil hnikjais . . . T 5, 21-23.
DER STIL DER GOTISCHEN BIBEL 33
In demselben stil ist got. ansts gehalten^). Dass dies wort ein
altgerman. ansdruek tÜr 'geschenk' war, wird auch von der got. bibel
bestätigt {hrlggan anst izivara in lairusalem /apiv K 16, 3)^. Mit
auszeichnuug wird aber jetzt in den kirchlichen kreisen ein 'geschenk
gottes' dadurch bezeichnet {ansts = gibn gudis vgl. z. b. anstai siup gana-
sidai . . . Jah pata nl us izwis, ak gudis giha ist E 2, 8; fauragaggi
gudis anstais sei gibana ist niis 3, 2) ^ und a7ists in den religiösen
hauptbegritf der 'gnade' und ansteiys in 'gnädig' umgewandelt. Es
handelte sich um eine gäbe gottes, die sakramentale geisteswirkung
(R 16, 24 t 1, 6-7) zu gunsten der pneumatiker ^ die von gott be-
gabt und beschenkt vor den andern menschen begnadet erscheinen
ipata harn icohs jah sivi-npnoda ahmins fullnands jah handugeins jah
ansts gudis was ana inuna L 2, 40; paih . . . anstai at guda jah man-
nam 52 K 15, 10 t 2, 1. 1, 9 E 4, 29 usw.).
]Mit solchem gnadengeschenk gottes 'beglückt' (L 1, 28) ist der
'selige' (ay./.äp'.o:) ; folglich hat audags (erfolgreich, glücklich im erwerbs-
ieben) seine bedeutuug in der von ansts und ansteigs gewiesenen
richtung verändert (audaga augona J)oei saih/and Jjoei jus saihrip L 10,
23; 6, 20-22. 14, 14-15 J 13, 17 M 11, 6). Den anstoss gab wiede-
rum ein prädikat gottes. Die eOf^ataovty. gottes {u-idjjus pis audagins
gudis T 1, 11; sa audaga jah ains mahteiga 6, 15) sollte auch die
von ihm begnadeten menschen beseligen {audaga so galaubjandei L 1,
45); diese hellenisierung erstreckt sich über das zugehörige verbura
{audagjand mik alla kunja L 1, 48) und substantivum {h/ileik was im
audagei izivara? G 4, 15)'' und wird durch solch charakteristische
1) Groeper s. 63 ff.
2) Diese 'gäbe' war durch einsammeln aufgebraclit worden ('koUekte' K 16,
Iff. k 8, 19); vgl. frcujihan /api^so^ai 'schenken' L 7, 21. 42-43 Phm 22 u. ü.
> 'gnade verleihen' Phl 1, 29.
3) gudis giba R 11, 29 (/apionaxa) ; giba frarn guda K 7, 7 vgl. k 9, 15.
1, 11 R 6, 23 T 4, 14 L 1, 30 {anst fram guda); ferner E 1, 6. 2, 5. 7. 3, 7-8
{/ji gibai anstais gudis pizai gibanon nüs bi toja mahtais is . . . mis atgibana urcrd
ftiists so). 4, 7 {atgibana ist ansts bi mitap gibos Xristans) ; ahd. and. anst Otfrid
1, 5, 18. Heliand 261. 784; ags. est : liss.
4) Jmi ahmeinans G 6, 1 vgl. C 3, 16 K 10, 30 k 6, 1. 8, 1. 4. 6. 7. 9.
5) Got. audags (ags. eadig, e'adgian) haben die Westgermanen zum teil durch
sdlig ersetzt (Heliand 1300 ff.) ; hier und dort wurde ein profanwort 'reich begütert'
gebrauchsfähig für den sorgenfreien reichtnm des christlichen himmels (Hei. 1022—24.
1099. 2112:3142. 2798 f. 3327 ff. 3412 ff.). Im Heliand sind aber, im allgemeinen
betrachtet, odag und sdlig gegensätze, weil nur sdlig für beatus gewählt worden,
(klag auf die irdischen glücksgüter beschränkt geblieben ist; es kann ja nur der
arme selig werden (3297 ff. ; 1B55 ff.). Got. sels ist hieran nicht beteiligt, weil es
ZEITSCIIßJFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XLIX. 3
34 KAUFFMANN
umdeutimg einer altheiinisclien sippe in ilirer stilgesehiclitlichen funk-
tion gesichert. Sie kam bei den kategorien der spiritualisierung und
der sakramentalisierung des gotischen Wortschatzes darin zum Vor-
schein, dass die neuen sinnbegrifte christlicher religion (glauben,
taufen usw.) zwar noch volkstümlich geklungen haben, aber ihrer
volkstümlichen bedeutung verlustig gegangen sind.
IX.
Die stilform der Gotenbibel hat nicht von der hellenisieruug
der Volkssprache, sondern von der nationalisierung der kult-
sp räche ihr endgültiges gepräge empfangen. Die volkstümliche
haltung und tendenz dieses buches wird uns gerade in dem bereich
der hellenisierung immer wieder aufs neue durch die stete widerkehr
volkstümlich klingender Wörter mit starken eindrücken zum bewusst-
sein gebracht {zlpwr, ^ gaivoirpi, al-ridziy. > siinja, /,«p^ > ansts), wenn
wir statt von 'zwölf jähren' von 'zwölf wintern' vernehmen (L 2, 42)
oder wenn mit dem epitheton icaliso (T 1, 2 Tit 1, 4) heroische
erinnerungen in uns erweckt werden (ahd. Welisiinc usw.). Eine alt-
germanische kultformel {hiauts imma iirrami zly.yzv L 1, 9), die von
hellenistischer übermalung ganz verschont blieb, gemahnt uns der
volkstümlichen grundzüge, mit denen die Verfassung des aus der fremde
seinen einzug haltenden gottesreiches ausgestattet worden ist.
Volkläufige anschauungen verweigerten den orientalischen die
alleinherrschaft (galga-hramjan 'hängen' statt 'kreuzigen'). Es wurde
das 'kreuz' nicht von den Lateinern oder den Griechen entlehnt, son-
dern zu einem altgerman. 'galgen' umstilisiert. Das zwiespältige
panorama der Gotenbibel will also vom altgermanischen Standort aus
betrachtet sein, wenn es darauf ankommt, dies bedeutende buch zum
schriftstellerischen hauptwerk des völkerwanderungsstils der Germanen
zu erheben.
Was Wulfila in dieser hinsieht gewollt und geleistet hat, wird
wohl am deutlichsten beschrieben, wenn man die sprachlichen mittel
prüft, die er für die biblisch e k o s m o 1 o g i e und a n t h r o p o 1 o g i e
eingesetzt hat.
Einen gesamtüberblick über das den Goten einzuprägende mensch-
heits- und Weltbild gibt der Kolosserbrief (Norden, Agnostos Theos
s. 240 flf.). Die bekenner des Christusglaubens sahen vor sich ein
— gerade umgekehrt — im gegensatz zu audaf/s seinen irdisch-profanen sinn be-
halten hat (L 8, 15 u. a. -/.pr^oxö?) ; wohl aber ist aucli von der selei rjmlis die rede
(R 11, 22 vgl. E 2, 7. 5, 9 C 3, 12). ,
DER STIL DER GOTISCHEN BIBEL 35
königrek'li {Jnudangardi) gottes des vaters {atta = abba G 4, 6), der
die herrlich strahlende lichtweit des himmels {widpus) regiert und die
mächte der finsternis niedergerungen hat. Sein söhn, sein erstgeborener
ifrumabmir), das ebenbild {frisahts) des vaters, war der Schöpfer
unseres kosmos:
in inima gaskapana waurjmn alla in himinam jah ana oirpai
J)o gasai^anona jah Jio ungasaiÄ'anona
ja|)|3e sitlos jafjfjc fraujinassjus
jajijje reikja jal^lje waldufnja
alla Jaairh ina jah in imma gaskapana sind
jah is ist faura allaiui
jah alla in imma ussatida sind
jah is ist haubi[3 leikis aikklesjons
saei ist anastodeins, frumabaur us daujiaim
ei sijai in allaini is frumadein habands
unte in imma galeikaida alla fuUon bauan
jah {)airh ina gafripon alla in imma ^
gawairjii taujands J^airh bloj) galgins is |jairh ina
jap^pe po ana airpai j(pP)e po ana liiminam C 1, 16-20.
Nur das fremdwort aikklesjo stört diesen strophischen Vortrag über
ein thema, das den Goten in seinen einzeluheiten völlig fremd war.
Die hellenistische kirche war der neue machtfaktor, der den kosmos,
die weit,, in der sie sich einigermassen orientiert zu haben glaubten,
vor ihren äugen verwandelte. Sie verflüchtigte die Wirklichkeit zu
einem Schattenbild (skadus) dessen, was da leibhaftig kommen sollte,
des gottesstaats, dessen irdisches überhaupt Christus die gläubigen
von den heimtückischen elementargeistern des erdbodens und des
luftraums {stabeis pris fairkaiis) befreit und zu bürgern des himmel-
reichs ausersehen hat {pjatei ist skadus pize anaicairpane, ip leik
Xristaiis . . . liaubip, us pammei all leik pairli gawisnns jah gabindos
auknando jah peihando wahseip du wahstau gudis . . . paimei iiipa sind
frap)jaip) ni paim poei ana airpai sind C 2, 17-3, 2). In den kult
dieses Schöpfers ragte hellenistische mystik herein und lehrte den sinn
des 'lebens' neu zu bestimmen :
libains izwara gafulgina ist
mi|) Xristau in guda
I^an Xristus swikunf^s wairjji|) libains izwara
f)anuh jah jus bairhtai wair|)if) m\\) imma in wuljiau
daul^eil? nu li[3uns izwarans
l^ans Jiaiei sind ana air{)ai . . .
3*
36 KAUFFBIANN
afslaupjandans izwis J^ana fairnjan uianuan mip tojam is
jah gahamoj) uiujanmia
|)amma ananiwidin du ufkunjDJa
bi frisahtai J)is saei gaskop ina . . .
alla jali in allaim Xristus . . .
all in namin fraujins lesuis ~
awiliudondans gada attin |)airli ina ...
aihuj) . . . fraiijan in himinam ...
gu{3 uslukai iinsis haurd waurdis
du rodjan runa Xristaus C 3, 3-4, 3.
Ein auf nationale ausdrucksform konzentrierter stilwille stand
dahinter, wenn Wulfila die jenseitige weit der frommen lebensgeheim-
nisse, die der liimmel der Christen als ihr höchstes kleinod barg, runa
zu nennen wagte.
Griech. )c6c|xo: (/-tig'.; und -/.riGiJ.y.) wurde den Goten durch (ja-
skafts (Schöpfung und geschöpf) vertraut (R 8, 39 k 5, 17 G 6, 15):
frain onastodeinai gaskuftais poei gaskop gup Mc 13, 19; af anasto-
deinni gaskaftais gumein joh qinein gatawida gvp 10, 6 ; all gashiftais
gudls T 4, 4; alln gaskaft po iif h'imina C 1, 23. 15, Im and. Heiland
steht das kompositum (vdribigiscapu 1330 f., neben metodogiscapu er-
scheint metodogiskefti 2190. 2210 und belegt mit ahd. ga^caft, ags.
gesceapn oder gesceaft den sinn von 'Schöpfung', d. h. totalität der
geschöpfe samt dem ihrer Schöpfung eingeborenen, ihre entwicklung,
ihr leben und ihre zukunft vorherbestimmenden Schicksal (Hei. 2593 f. ;
ags, eorjj-, lif^esceafi). Statt dieses verbalabstraktums bevorzugten
die Westgermanen das der schicksalsidee ermangelnde kollektivum
werod oder iverold (Hei. 39 ff. ; ags. iveorold^esceaft Gen. lOl. 110.
863). Wenn nun der Gote faur gaskaft fairhaus 7ip6 x.axaßrA-^;
xocru.o'j J 17, 24 {= faur gasatein fairkaus E 1, 4) schrieb, so lieferte
auch er uns einen beleg für jenes, die Schöpfung als Schicksal ein-
führende wort, das wir um der altgermanischen schicksalsidee willen
von griech. /.twic (gasateins) unterscheiden müssen. Sinngemäss hat
der Übersetzer gaskafts auf fa'irhua bezogen. Sonst pflegt er zwischen
fairhus und manasep)s zu wechseln, wenn er x.6(7[xoc widergeben soll ',
zoGfv.o; ('gesamtheit aller geschaffenen dinge') ^ ist im Johannesevange-
lium häufig. In der gotischen bibel erscheint fairkus (z. b. faiirpizei
sa fair hr US wesi 17, 5) oder manaseps (z. b. f^o manas('p)s mik ni pana-
seips saikip 14, 19). Auch wenn xx'frp.oc auf das missionsfeld oder auf
1) Groeper s. 43 f.
2) Handbuch zum Neuen testament 2, 13.
DKR STIL DER GOTISCHEN BIBEL 37
den engeren kreis der gläubig gewordenen menschheit eingeschränkt
worden war (z. b. ijof lihaiii pizai manasedai 6, 33), wurde der griech.
iiusdruck 'weit' nach gotischer weise übersetzt, und nicht der räum,
sondern dessen menschliche bewohner namhaft gemacht. Die bibel
stellte den xoGjy.o;, bestehend aus erdreich und luftreich (sog. 'finster-
nis'), in kontrast zu dem lichten himmelreich. Auch in diesem fall
gebrauchte der Übersetzer bald fairJvus (16, 21, 28), bald manaseps
(17, 9), je nachdem er das betreffende reich oder seine Insassen ver-
gegenwärtigen wollte {}iH staiia ist pizai monasedai, iiu sa reiks pis
fairkaus uswairpada nt 12, 31 : saei pjizai manasedai reikinop 14, 30:
sa reiks pis fairkaus 16, 11) \ <^'errt/rf (mänuergeschlecht), diese 'weit'
der germanischen vorzeit, mochte Wulfila nicht aufrufen, weil sie den
blick auf die männer einengte und der christ auch auf die frauenweit
bedacht nehmen wollte (die Westgermanen haben sich solche Skrupeln
nicht gemacht). Er . gab deshalb dem gattungsbegriif 'menschheit'
{manaseps) den Vorzug, der, damals nicht aus einer wissenschaftlichen
definition sondern aus der erfahrung gewonnen, nicht wesentlich ver-
schieden gewesen sein dürfte von dem, was wir 'volk' nennen^. Diesen
älteren Sprachgebrauch hat der bibelübersetzer ausgeweitet. iy:/J^rrAy.
war eine 'Volksversammlung', bis dieser ausdruck im dienst der hel-
lenistischen kultsprache mit der bedeutung 'kultversammlung einer
.Volksgemeinde' belegt wurde ; im Zeitalter christlicher mission benannte
man ebenso eine gottesdienstliche 'hausversammlung', namentlich aber
die örtlich organisierte gesamtgemeinde und zuletzt die über dem
kosmos verbreitete gottesgemeinde der 'kirche' ^. Auch hierfür trat
.nranagei oder manaseps ein {allos piudos . . . allos manageins R 15, 11;
eis ivairpand mis managei k 6, 16; managei meina R 9, 25; merjada
so aiwaggeljo and alla manasep Mc 14, 9) und so wurde aus manaseps
1) manaseps faghwp 16, 20 vgl. 15, 18-19. 17, U; 9, 5. 39. 11, 9. 12, 46.
18, 37 k 1. 12 T 1, 15. 6, 7.
2) Got. manaseps findet in westgerrn. mankuni ('menschengeburt, -generation')
seine entsprechung (m baurini qinono : mans pis kunjis L 7, 28. 31; and. werold :
«(««Hei 1950 f.; mancunni 1132 t.; harn niancunnies 2581 f.; manno barn 23iQ—4:9 ;
an thesarn middilgard menniscono bani . . . thius werold 3606—9) und kann durcli
manafjei ersetzt werden. Auf die kiinde, dass Jesus nach Jerusalem komme, zog
ihm die Volksmenge {manafjei, manageins ßln Indaic oyXo£) entgegen und lief ihm
nach : sai so manaseps (>ida[ios) ccfar imma galaip J 12, 9. 12. 17. 19 vgl. batrhtei
fmk silban pizai manasedai ('öffentlichkeit') 7, 4 (menigi : ivet-old Hei. 4725 f.).
3) so ingardjo aikklesjo K 16, 19 C 4, 15 (hausgemeinde) dazu K 14, 23
(gesamtgemeinde der gläubigen); aikklesjo gudis K 10, 32. 11, 22. 15, 9; es ist der
gards gudis T 3, 15 oder leik Xristans C 1, 24 (christlich organisierter xöGfios 2, 19 f.).
38 KAUFPMAKN
die von dem heiland liebend umfasste weit, für die er predigt und
betet, damit sie sieh bekehre und gläubig werde. Mit harter anti-
these schliesst er davon die im g(»tzendienst verharrende 'menschheit'
aus, weil sie den 'geist der Wahrheit' ablehnt ^ Es bestehen also
zwei feindliche weiten nebeneinander und widerstreiten einander in
gegensätzlichen aflfekten (J 16, 20). So weit nun der Gote sie durch
manaseps darstellte, beliess er seinen Volksgenossen den ihnen ge-
läufigen personalbegriff ('volk') für die weit als räum (k 5, 19) ^
Seine Sprachphantasie beschäftigte sich aber auch mit dem raum-
problem, und unser Übersetzer versuchte es durch seine awi fairkus
fallende Wortwahl zu lösen. Er hat dadurch den nationalen gehalt
seiner bibel abermals verstärkt. Dies altertümliche wort deckt bei
ihm besonders gern die 'weit' des götzendienstes und zwar so, dass
nicht eigentlich der räum des heidnischen /.oGaoc, sondern sein in der
zeitlichen dauer begrenztes 'leben', das hauptmerkmal, ausdrucksvoll
wiedergegeben wurde. fairJvus war ein kollektivum und ein zeit-
begriff". Es fasste die vielen einzelvertreter des ferh (anord. firar^
ags. firas, and. firihos [Hei. 1847], ahd. ßrahi) "' zusammen im sinn
eines 'lebensalters' *.
Die westgermanische dichtersprache X-k^^tferh mit f//c?frr variieren ''.
'Lebensalter' oder 'lebenszeit' ist aber nicht die primäre Vorstellung,
die an das uralte wort sich heftete ; 'beseeltes leben' gab jenem zeit-
mass den gegenständlich-anschaulichen Inhalt^. Und wenn aus 'lebens-
1) otoxrjp xou xöajjiou J 4, 42 vgl. T 4, 10; jabai has meinaim hausjai loaur-
dam jah galanbjal ik ni stoja ina, nih ßan qam ei stojau manased ak ei ganasjau
manased J 12, 47; ei so manaseps galauhjai 17, 21 : ni bi po manasep bidja 17, 9.
13—14. 18, 20; ahma simjos Jjanei so manaseip>s ni mag n/man 14, 17.
2) Auch and. iverold vertritt den räum (Hei. 349. 1656 f. 1929 f. 3578)
= middilgard 3629 f. 5448 f. u. ö.
3) Got. fairhus ist gleichwertig mit der formel ßriho bar» (Hei. ICOO. 3065:.
werold 3639 f. 5676 f. = mid ßrihun 4564 ff.).
4) bi pizai aldai pis faivbaus = bi Jjizai aldai pis aiicis E 2, 2 A B vgl. 1, 4
(Zeitrechnung); ^26- aiwis.-pis fair/i^aus K 1, 20 (oben s, 20).
h) ferh : aldarlagu Hei. 3881—82; that sie ßriho barn ferahu binaiiiin, ehtiii'
iro aldres 3844—45; mines ferhes skal, aldres ahtien 4612—13 dazu 5493—94; that
he wiirdi is ferhes los, is aldres af endie 2684—85. Mit ags. feorhdagas vgl. Hei.
4327—29; Hildebrandslied 7—8. Ags. midfeorh (das 'mittlere lebensalter' der 'Ju-
gend') stimmt zu and. mann midßri Hei. 3476 (mann in der mitte seines lebens)
und ahd. in mittinerhi Ahd. gl. 1, 610, 4. 616, 10 {in diniidio). Übrigens steckte
auch in werold das 'lebensalter eines mannes' (Hei. 125 f. 145 > lebensalter einer
frau 278); lebenszeit 3473 f. > erdeuzeit 3448 ff. ; vgl. PBBeitr. 43, 314 ff.
6) And. ferh (belebte und beseelte gestalt) tauscht — in weitestem abstand
von 'tod' (Hei. 403.3-35. 5849-51. 2253-.56. 2217-18) - mit 'leben' (310-11.
DER STIL DER GOTISCHEN BIBEL 39
zeit' die endliche und vergängliche 'weltzeit' (äon) der Gotenbibel
geworden ist^ so hat ihr meister das diesseitig in der endlichkeit
befangene 'weltleben' seinen Volksgenossen als ihr 'beseeltes leben'
dargestellt '^ worunter sie nicht nur ein göttliches oder menschliches,
sondern etwas allgemeineres, ein 'dämonisches leben' verstanden haben
mögend Im germanischen altertum (anord. firnr) und ebenso in der
gotischen bibel erstreckte sich der bedeutungsbereich unseres Stamm-
wortes über den kreis von mcmna und manaseps hinaus in die weit
der götter und der dämonen hinein ^. Die wulfilanische neuerung be-
steht nun darin, dass er bei fairk-us ('weltleben') vornehmlich die
dem Christen feindlichen lebensmächte ins äuge gefasst (J 16, 33), die
kosmologische antithese gott und weit (J 10, 36) in das altgermanische
wort verlegt (and. iveroldnki : himilnki) und es dadurch in einen auf-
fallenden Widerspruch zu der unter den Germanen herkömmlichen be-
deutung versetzt hat {pis fair kraus saurga daupii gasmipop k 7, 10).
'Beseeltes leben' w^ar mit ferh gemeint gewesen; in der got. bibel
aber können die pneumatiker und die über manaseps und fairk'us
erhabenen, das 'ewige leben' des himmelreichs geniessenden seelen
nicht mehr darunter befasst werden (J 17, 14. 16. 15, 19. 14, 17).
'Leben' (oder 'seele') und fairkus w^ollen sich nicht mehr miteinander
vertragen. daup)us und faivJvus sind korrespondierende begrifte ge-
worden, weil wir uns bei fairJrus im heidnischen reich der finsternis,
nicht in der christlichen himmelswelt des lichts und des lebens be-
finden. Dem 'leben' der beiden hatte das 'licht' gefehlt (J 8, 12. 23.
9, 5. 12, 46), das über die belebt-beseelte, aber finstere menschen-
und götterweit den sieg davon getragen und damit auch dem alt-
germanischen Seelenwesen {fairkus) ein ende bereitet hat\ Bei diesem
merkwürdigen Umschwung interessiert uns die Wortwahl des Über-
setzers: indem er einen altgermanischen sinnesbegriff des weltlebens
2197. 3999. 4685; 3154 f. 4165 f. 5801 f. ii. ö.) und mit 'seele' (4055 f. 4059 f.
3350-54; /er/; f 'beseelt) den platz; vgl. Hei. 1904-7. 5701-3.
1) fairkns weltperiode J 15. 19. 16, 33. 17, 4if. ; vgl. and. weroldaldar
Hei. 45.
2) Auch im latein. Sprachgebrauch kann miuuhis durch saeculmn (von Eaumer,
Einwirkung des Christentums s. 373 ff.) und beide können durch uita vertreten werden.
3) 'Gesamtheit der belebten und beseelten wesen' Weinhold s. 14; 'Inbegriff
aller naturkräfte' Groeper s. 43.
4) manaseps ist nur eine teilgruppe von fairkns J 17, 5 ff.; vgl. 6, 14. E 6, 12.
G 4, 3 C 2, 20.
ö) J 12, 25. 6, 33. 51 (vgl. Mc 8, 36 L 16, 8 Th 5, 4-5); jahai auk us-
ivaurpa ize r/abei fair/i'ans, ha so andanumts, nibai libains us danpaim:' R 11, 15.
40 kAuFP:\rAKi«J
{fairkus) für das biblische weltleben (x.oa;xo;) nutzte, hat er die
hellenistische Wortbedeutung altgernianisch stilisiert und damit die
stilstufe der germanischen völkerwanderungszeit erreicht.
Von dem geschick, das ßiirknis betroffen hat, ist schliesslich
sogar manasejjs ereilt worden, nachdem auch dieses wort mit -/.ogi^oc
sich associert hatte und mit faii'/i/iis gleichwertig geworden war'.
Folglich konnte fairkus bei dem üblichen Wechsel des ausdrucks das
amt von matiasfps versehen - auch wo man eher manaseps glaubte
erwarten zu dürfen (K 5, 10 G 6, 14 R 11, 12-15) - weil die beiden
an sich grundverschiedenen Wörter unter dem zwang der biblischen
Weltanschauung identische . funktionen zu erfüllen hatten (/ro alles
paurfte gatanjiji ds manna gageigands po manased alla L 9, 25 : hra
Ciuk hoteip mannan jahai gageigaip pana falrh/u allana Mc 8, 36; P)atei
haiisida at imma pata rodja in pamma fairkau J 8, 26 : pmta rodja
in manosedai 17, 13). Dass aber fairhus (nicht manaseps) immer
noch mit dem grossen weltenschicksal hauptsächlich auf grund des
in leben, seele und charakter der menschen angelegten menschen-
schicksals innerlichst zusammenhing (J 17, 24; o. s. 36), dass dies
dämonische Seelenleben und schicksalsweben im gegensatz zu mana-
sejjs übermenschlich gedacht war, wird durch die /iocrij-ox-paTope; (pai
fairhu hahandans E 6, 12) ^ endgiltig erwiesen. Sie führen uns tiefer
in die kosmologie des Urchristentums und in ihre nationalisierung
unter dem gotischen horizont hinein.
Aus dem orakelwesen der Germanen hat Wulfiia die bezeichnuug
der den willen der götter kundgebenden 'demente' des kosmos ent-
nommen. Es sind die gestirne oder Sternbilder. Für jeden menschen
stand sein Schicksal in den sternen geschrieben. Das Christentum ist
diesem astrologischen aberglauben entgegengetreten, der mit den
planetengöttern der Wochentage auch unter den Germanen sich aus-
breitete {ni mannq nu izivis hidomjai . . . in dailai dogis dulpals aipjpau
fullipe aippau sab bn tum 'woche' C 2, 16)'' und die Goten nun
auch in der bibel beschäftigte. Der Übersetzer scheint an die runen-
stäbe (nicht an die 'buchstaben' ; got. striks, writs)^ anzuknüpfen,
1) Recht bemerkenswert ist - gegen Groeper s. 44 — der Wortlaut von K 4, 9 :
fairweitl waurjnmi pizai manasedai jah ayyilum jah mannatn.
2)' gup pis aiwis k 4, 4 vgl. L 4, 6—7.
3) E. Wessen, Zur geschichte der germanischen ?(-dekliuation (Uppsahi l'J14)
s. 171 ff.
4) Anord. stajir {hQhiaJir, feil.-nataßr, hdstafir usw.) ; ags. sfafas {fäcnsfafas,
iri/rdstafas u. a.).
DER .STIL DER GOTLSCHEX BIBEL 41
wenn er für jene siderischen 'elemente' im Zusammenhang- mit dem
dämonischen Seelenleben des fairlrus das wort stabeis gebraucht und
sie auf diesem wege altgermanisch beleuchtet:
swa jah weis |)an wesum barniskai
uf s t a b i m {i i s f a i r //• a u s ^ wesum skalkinondans . . .
, akei l3an swej^auh ni kunuandans gu})
J)aim ]joei wistai n i sind g u d a skalkinodeduj)
ij) nu sai ufkunnandans gu})
maizulDj3an gakunnaidai fram guda
A-aivva gawandideduji izwis aftra du paini unmahteigam jaii hai-
kam Stab im
Jjaimei aftra iupana skalkinon wileij)
dagam witaijj jah menoJ)um jah melam jah aj)nam
og izwis ibai sware arbaididedjau in izwis G 4, 3. 8-11.
Es waren die im aether sichtbaren himmelskörper, am himmels-
gewölbe kreisende güttermächte '-, unheimlich finstere gewalten und
herrschaften der dämoneu des luftreiehs ', deren Oberhaupt Satan ihm
vorsteht, bis gott, der es geschaften, es zerstören wird*. Diese am
firmament waltenden 'demente' Hess die bibel als dämonen ('enger) "
aber nicht als 'gütter' gelten {(juda, giiß G 4, 8-10 k 4, 4 vgl. J 10,
1) Selir wichtig ist die randglosse: h/ tnyylam cod. A, weil durch sie eine
unter theologeu viel verhandelte Streitfrage aus der weit geschafft wird (Handb.
zum Neuen test. 3, 1, 246 f. 2, 77 ff. 85; Schriften d. Neuen test. 2, 61 f. 111 f. u. a);
vgl. jabai (/asivultup mi/i Xristau afstabimpisfairkans, Ji/a panaseips sice
fjiuai in painina fairkau iirredip) C 2, 20 [pxov/ß.a. elementa).
2) stairnous himinis irairpand (Iriusantleiris jah inaJttpis pos in hiininani
f/airagjanda Mc 13, 2.5.
3) awiliudondans attin
saei laljoda izwis du dailai hlautis weihaize in liuhada
saei galausida izwis us waldufnja riqizis . . .
jaljjje sitlos jajjlje fraujinassjus
jal:)l)e reikja ja|)l)e waldufnja
alla l^airh ina jah in iinma gaskapana sind C 1, 12—18. 16;
zu waldufni ('befehlsgewalt') — reil-i entbehrt im got. durchaus der den West-
germanen geläufigen raumanschauung — vgl. L 20, 2. 8. 20 {reiki jah waldufni
kindinis); Mc 10, 42; R 13, 1—4; bi reik waldufnjis luftatis E 2, 2 {ahminft) vgl.
reikjam jah waldufnjum in pyaim himinaJcundam 3, 10.
4) Vgl. L 10, 18 {(jasah Satanan swe lauhmnnja driiisandan us hiniina) J 12,
31. 16, 11. 14, 30 Mc 3, 22 ff.; nfaro allaize reikje jah u-aldnfnje jah mahtc jah
franjinassiwe E 1, 21; gatairip all reikjis jah u-aldufnjis jah niahtnis K 15, 24;
f/amotjan fraujin in luftau Th 4, 17.
5) M 25, 41: nilt aygdjns ni reikja ni muhteis R 8, 38; blotinassus aiitjilp
0 2, 18 vgl. k 11, 14 {p.i^Ko\ 8ai|iov£5 Handb. zum Neuen test. 3, 2, 55. 102).
42 tiAUFFMAN^
34-35). Wulfila setzte aber doch die nationalgötter des Goten-
volkes ein, wenn er auch ihren gattungsnamen in der niehrzahl
der fälle hellenistisch verfärbte {galiugaguda, gaUuya sl'SoAa K 10,
19. 20. 28. 8, 10. 5, 10-11. k 6, 16 vgl. E 5, 5 u. a.), ob-
schon er die ableitung gudja für die jüdischen priester sichtlich be-
vorzugt hat.
Dass er diese diener gottes, die alten götter und den neuen gott
mit einem und demselben durch des germ. volkes vorzeit religiös ge-
weihten Stammwort benannte, das ist eine Stilerscheinung wulfilanischer
spräche, die sich in der geisterweit widerholt. Der heilige geist und
die unreinen geister heissen auf hellenistische art ahma und ahinans;
diese fremdartige ausdrucksweise wird aber gotisch getönt, wenn
der Übersetzer auch got. imhulpo {> so iDihulpa L 4, 35, pai unhul-
pans L 8, 33 o. s. 11 f.) zu worte kommen lässt:
af)l3an ahma swikunjjaba qi{)i|)
Jjatei in spedistaim dagam afstandand sumai galaubeinai
atsai/z^andans ahmane airzijDos. jah laiseino unhulpono
T 4, 1/
oder gar volkstümliche erinnerungen init hilfe von skoJisl befestigt
(K 10, 20-21). Typisch für die stilart ist der M 8, 16. 28. 31. 33.
9, 32-34 zwischen daimonarjans und ahmans, daimonarjos und skoksla
sich abrollende Wortwechsel, bei dem Mc 5, 2 if . 15 ff. ausser imhid-
pons auch noch ivods auftaucht {: divalmon J 10, 20-21).
Zum herrschaftsgebiet der dämonen und der geister des luft-
reichs gehört das 'reich der mitte', die erde {airpa . . . midjuugards
R 10, 18)2; gg ij^t fruchtbarer erdboden.(Y^ Mc 4, 26. 8, 6)^ wirt-
schaftlicher und politischer räum (ob.outyiv/i L 2, 1. 4, 5), in dem die
menschen (manaseps) mitten zwischen 'oben' und 'unten' (himmel und
höUe) sich bewegen und verbreiten (C 3, 2 M 11, 23 R 10, 6-7 u. a.).
Die naturmerkmale dieser menschheit sind Icik und satwala (M 6, 25.
10, 28), von denen jedes sein eigenleben flthrt (k 12, 2-3). Nicht
völlig neu war für einen Goten die dualistische Spaltung der einzel-
1) ahmane nhilaize . . . nnJmlpons L 8, 2. 27 ff.; ahnian unhulfjons lOiJirainJana
4, 33 vgl. 10, 17. 20; Groeper a. a. o. s. 39 S.
2) Vgl. pindmigardi einerseits und midjasiveijMins (xaxaxXuop.ög) andererseits.
3) Im gegensatz zu 'himmel' (Mc 9, 3 J 12, 32 L 2, 14. 10, 21 usw.), zu
'wasser' [staps Mc 4, 1 L 5, 3: airjm 11. 8, 27 vgl. 6, 49 J 6, 21) und zu 'gestein'
( M 27, 51 Mc 4, 5. 8) ist unter 'erde' der feste 'lehmboden' zu verstehen {airpeins:
mnldeins [staubförmig] K 15, -47—49); der griech. vorläge zuliebe erscheint airpa
mit ausgesprochen politischem sinn nur M 11, 24.
DER STIL DER GOTISCHEN BIBEL 43
person {leik-gahugds R 7, 25) \ wohl aber die Steigerung dieses doppel-
wesens zu einer dreieinigkeit von leik-saiivala ((/ahii(jds)-ah7na (Th 5,
23 vgl L 1, 46-47 Phl 1, 27). Der letztere ist nicht menschliche
vl/v/r, sondern göttliches -veCy.a ('geist')-, d. h. dämonische, auS' dem
himniel stammende, den menschen offenbarte religiöse potenz und
religiöses organ der pneumatiker ^. Der hellenistische einschlag ist bei
diesem ahma so wenig als bei den zuvor erwähnten geistern des
Inftreichs zu verkennen ^ ; ah?na ist durchaus verschieden von aha,
hugs und frapi", aber es ist stilgerecht, dass auch diese altgermanischen
sinnbegriffe wiederkehren (Phl 4, 7 \ frajji fraußns R 11, 34 [: ahma
voG: 7, 23] : ahma frauj ins k 3, 17—18).
Die Unterweltsvorstellungen bereicherten sich an der biblischen
feuerhölle (M 25, 41. 46) '\ die am abgrund der erde durch eine
kluftspalte vom himmel getrennt ist (L 8, 31). Der Übersetzer zögerte
jedoch nicht, dem himmlischen paradies durch icaggs (k 12, 4) und
jenem unterirdischen aufenthalt ^ durch halja zu volkstümlicher an-
schaulichkeit zu verhelfen (L 16, 23. 10, 15 M 11, 23 K 15, 55);
er war nicht gesonnen, dem fremdwort gaiainna {fmvins M 5, 22
vgl, Mc 9, 47 : 43. 45) das feld zu überlassen^, weil er sich bestrebte,
die hellenisierenden und die gotisierenden farbentöne symmetrisch
gegeneinander auszugleichen.
Dieselbe stilistische grundtendenz seines Werkes beherrscht das
gemälde, das er von dem überirdischen lichtreich des himmels ent-
1) gakmjds ist 'Intellekt' Siivoia LI. 51 E 4, 17-18 C 1, 21 {= aha Phl
2, 3:C 3, 12; gamitoneis E 2, 8) ; neben saiirala begegnet das wort L 10, 27 'Sic
12, 80 (vgl. anord. hiu/r).
2) geist fleisg inti gibeüii )ii habet Tatian 230, 5.
3) M 27, 50; x^pta^a E 1, 17 (guß .. . gihai izicis ahman) Th 4, 8 G 4, 6;
in mahtai ahmins L 4, 14 : 2, 25-27 E 3, 16 ; für ahma - leik vgl. G 5, 16 ff. : k 1, 12
(atists gudis).
4) An der auffälligen Wortwahl k 7, 1 ist ganz und gar die griech. vorläge
schuld; vgl. aha Tit 1, 15.
5) aha: ahma th 2, 2:i>iahei t 1, 7; hugs E 4, 17; frapi leikis C 2, 18
(; m allai handngein jah f rodein ahmeinai 1, 9). Es muss eine 'erneuerung' des
frapi (voug) stattfinden {anuppanninjaip ahmin frapjis izwaris E 4. 23).
G) fon pata tinkapnando Mc 9, 43; riqis pata hindumisto M 8, 12.
7) undaristo airpos E 4, 9 ('niederungen').
8) Vgl. ahd. hella, hellajiiir, hellawizi Tatian 141, 13. 28, 2. 3. 44, 19 (für
geenna nnü itiferuus); dagegen im Heliand iiifern : hellignaid l-i^O f.; i)iferii, grnnd
hellißures 2688-41 (vgl. 5428 f.) ; fern. -hei 898. 3357 if. {fiur, fhiusfri, dalu thiustri
2140 ff. [suart sinnahti]; dodes dalu 5168-70; .tiur ewig 4420. 4430 f. 4441 ff.);
lipl/iinfi (: halirUi), hellagitlnting 1500 f.; beachte heHiportxn 8072.
44 KAUFFMANN
worfen hat. Es steht in blendendem kontrast gegen die finsternis
der untern feuerhölle mit ihren ewigen todesqualen {balicei aiweiuo
M 25, 46 : liboins C 3, 3 if.)- l'üi' das himmelreich fand Wulfila seinen
volkstümlichen hauptausdruck in got. Jnudangarc/i 'königshof (C 1,
12-13 vgl. in piudangardjom L 7, 25; in gardim piudane M 11, 8^:
piudangardi kimine L 6, 20 M 5, 19-20. 11, 11-12 = Jnudangardi
giidis L 7, 28. 8, 1. 9, 2. 11. Mc. 9, 47. 1, 15 usw. [hauptsächlich
bei Lukas und Markus]), der im engeren anschluss an ßaoi"X£ia Osou
mit piiidinassm 'königtum' wechselt {piiidinassaus pis midjungardis
L 4, 5 : p)iudiaassus giidis L 9, 27 Mc 9, 1 t 4, 1) ^ Mit dieser
differenzierung von piudinassus und piudangardi {izwis atgiban ist
Icunnan runos p)iiidinassaiis gudis L 8, 10 : izwis atgiban ist kunnan
runa piudangardjos gudis Mc 4, 11) und mit der bevorzugung des
konkret-anschaulichen pAudangardi vor dem abstraktum p)iudinassus
hat der Übersetzer abermals die nationalfarbe seines Werkes verstärkt.
Er gieng aus von der alttestamentlichen majestät gottes {piudans niwe,
piudans piudaiiondane jah frauja fraujinondane T 1, 17. 6, 15);
neben ihr trat im Neuen testament Christus der könig hervor; auch
ihn hat der Gote nicht als einen orientalischen 'herrscher' ([iar)t>.£u?),
sondern als ein 'volksoberhaupt' {piudans M 27, 11 Mc 15, 18) ge-
kennzeichnet ^. Das biblische königtum sollte auch nicht eine 'gewalt-
herrschaft' sein wie die des Satan (o. s. 41 ; reiks, reikinon E 2, 2
vgl. Mc 10, 42 :M 9, 18. 23 J 7, 26. 48: pai aide reiks ni sind agis
godatnma ivaurstwa nk ubilamma R 13, 3), sondern ein auf huld
(L 18, 13) und treue (R 11, 27'; trausti E 2, 12) zwischen pinda und
piudans beruhendes königtum in der art des altgermanischen; sorgsam
und bewusstermassen hat der Übersetzer für das himmelreich sogar
den ausdruck reiki vermieden und an seiner statt das wortpaar pjiu-
dangardi-piudinassus gewählt*: piudanop ufar garda lakobis in ajuk-
1) piudangardi ... gai'ds Mc 3, 24:— 26 : a ndags saei matjip lila if in piHda)i-
(jardjai gudis L 14, 15 (vgl. R 14, 17).
2) Vgl. qimai pindinassns peius (ßaaiXe'.a) . . . peina ist piudangardi (ßaaiXsia)
M 6, 11. 13.
8) Dem germanischen königstyp bleibt er auch sonst getreu {frani piudanam
Jah frani allaini ptaim in itfarassan ivisandam T 2, 2 ; Herodes . . . P)iudans . . .piu-
dangardi Mc 6, 22—23); p^indinassus Teihairiaus kaisaris L 3, 1.
4) Alttestamentliches reikinon kommt E 15, 12 vor; dazu gehört frauja
alhvaldands k 6, 18; sonst wird das patriarchalische Verhältnis des hausherrn zu
seinen erben und hausgenossen hervorgekehrt (G 5, 21. 4, 1 ff. Mc 10, 17 L 18, 18:
ihai afskauf gnp> arhja seinannna Xaöv R 11, 1; Jilants C 1, 12 vgl. E 1, 11. 14. 18
ingardjans gudis 2, 19 T ii, 8) Zeitschr. f. neutestamentl. Wissenschaft 18, 84 ff.
DEK STIL DFAi GOTLSCHEN BIBEL 45
diiß jah piudinassaus is ni ivairpip andeis L 1, 33 ^ Es war eine
spiritualisierimg der ßaaiXeiy. erfolgt (nii^t auk piudangardi giidm mats
jah drayk ah garaihtei jah gawairpi jah faheps in ahmin iveihamma
R 14, 17; ni qimip pindangardi gudis niip atwitainai . . . priiidayigardi
gudis in izivis ist L 17, 20-21). Diesem hellenistisch-biblischen merkmal
wurde damit rechnung getragen, dass neben piudangardi für 'pxaiXziy.
iinch piudinassits sich ausbreitete; dass aber der Übersetzer von ^/wt^/-
nassus immer wieder aufs neue zu piudangardi zurückkehrte, ist der
nationalen riehtung seiner kultsprache zu verdanken. Hinzuzutügen
Aväre, dass der Gote das wichtigste ausstattuugsstück eines altger-
nianischen königshofs und königshauses, den 'hochsitz' (ags. peoden-
stöiy in seinem himmel sehen Hess, indem er bei der Wortwahl für
griech. Ooovo; auf got. stols verfiel (Zeitschr. 47, 194 f. 197 ff.); dies
wort war auch der gerichtshoheit des himmelskönigs angemessen (staua-
stols R 14, 10 k 5, 10) ^ und hält geziemenden abstand von siUs
(!>?ovo;) \
Die herkömmliche bedeutung von himiiis ('decke, gewölbe' [über
der erdej, ßrmamentiim J 17, 1 L 9, 16 Mc 14, 62 [: K 10, 1]. 4, 32;
sfairnons himinis . . . fram andjain ai)pJOs und andi himinis Mc 13,
25. 27) '" konnte nicht fortdauern, weil der christenhimmel ins grenzen-
lose jenseits dieser 'decke' sich erstreckte und weil man darüber
hinaus mindestens sieben himmelsräume zählte [insaikrip du fuglam
himinis . . . atia izuar sa ufar himinam M 6, 26). Auf seiner seelen-
reise war Paulus bis in den dritten himmel gelangt (k 12, Iff.)*^.
Seinen singular himins (L 3, 21-22. 4, 25) Hess infolgedessen der
('testament' als erbschaftsvertrag). An das königliche hausgesinde gemahnen sLulks
L 2, 29 und Jnwnagus 1, 68-69.
1) piudinassns (juclis K 15, bO :/nudaiion 24-25; /nudaiis . . . ßindauf/ardi
J 18, 36—37 ; arbi in piudangardjai Xristaus jah gudis E 5, 5.
2) And. l-nnincfstol Hei. 2786; thes niareon sfol . . . aäalcuninges . . , hohgisitn
361-65; is lielagwi stol 5975; zu got. himins . . . stols ist gudis M 5, 34 vgl. and.
tJies herron stol . . . thes alonaldon fagar fotscamel 1509—11.
3) stauastols M 27. 19 : ahd. duomsedal Tatian 198, 2. 199, 5.
4) sitlos C 1, 16: {fuglos himinis) sitlans L 9, 58; sitlans pize frabugjandane
ahalcim Mc 11, 15. Im ahd. Tatian verhält es sich anders: stuola forconfentero
thio tubun 117, 2; in gotes sedale (thronus) 141, 16,
5) lauhmoiii lauhatjandei us Jximma nf himina in Jutta uf himina skeinip
'von einem horizont zum andern' L 17, 24; fraiija himinis jah airpos L 10, 21
vgl. 16, 17 M 5, 18.
6) tttstaig in undaristo uirjjus . . . usstaig ufar alluns himinans E 4, 10; ns
himina . . . pai ufarhiminaky,ndans K 15, 47—49; [jo iupa C 3, 1—3.
46 KAUFFMANN
Gote mit dem hellenistischen plural ]iimiiioi< (Mc 1, lO-U) wechselnd
Er hat nicht nur himinos neu gebildet, sondern auch himins neu ge-
deutet^. Es ist aus dem himmelsgewölbe ein unsichtbares und un-
ermessliches lichtreich der Unsterblichkeit geworden (k 4, 17-18), in
dem der himmelskönig seine getreuen'^ als 'kinder des lichts' um sich
versanimelt (siütjus liuhadis L 16, 8 = swijm gudis 20, 36-, vgl. Th 5, 5
E 5, 8; lichtleib 0. s. 26 f.). Das wichtigste rangzeichen dieses herr-
schers war nach der griech. bibel alten und neuen testaments sein
'lichtglanz'(f^oca)*, an dessen herrlichkeit der niensch der erhabenen
'majestät' gottes inne wird, aus dem er glanzvoll und wunderbar seine
macht in der weltschöpfung und weltregierung offenbart {atta ivulpaus
0 TraxTip T^? ()6i-riq E 1, 17—19 ; siiniis . . . q'nnip in irulpu seinamma
jah attins jah pize weihane aggele L 9, 26 Mc 8, 38; hauheins : wu/Jms
gudis J 11, 4. 40). Der Gote hat diese orientalische vision volks-
mässig vergegenständlicht, indem er für griech. SoEa ein altheimisches
wort wählte, das die anschauung der gläubigen auf die imponierende
prachtentfaltung eines königshofes (die herrlichkeit des königtums)
ablenkte und zugleich aus dem gebiet des wunderbaren ins reich des
ehrfürchtig angestaunten überleitete ^ Das 'strahlende' scheint aber
neben dem 'imponierenden' ein merkmal der betr. altgermanischen sippc
gewesen zu sein ^ Den nationalen gehalt des wertes widpus ('prunk') '
1) M 6, 20:Mc 10, 21; Th 4, 16 : th 1, 7; L 10, 20:21; C 1, 23:16. 20;
E 3, 1") : 1, 10 ; atta nnsar ßn in hiniinam . . . tvairpai trilja peius swe in himina
jah ana airpai M 6, 9—10; in himina . . . in hauhistjam L 19, 38; in hiniinam 6, 23.
2) Okkasionell steht himins sogar für 'gott' (L 15, 18. 21. 20, 4 Mc 11, 80
sg\, piiidangardi gudis = piudamjardi himine o. s. 44).
8) Besser als »i himina L 15, 7 oder in himinam (k T), 1 usw.) oder ufar
himinam (M 6, 14. 26. 32) passt zu gotischer art in himinal-iuidaim {'im hirauiel')
SV xoTg inoupavioig E 1, 3. 2, 6. 8, 10. 6, 12 vgl. manayei harjis himinakundis
L 2, 13.
4) Handb. zum Neueu test. 2, 2, 15 f. 3, 2, 85 u. a.
5) tvulßrs 'auserlesen, wertvoll' Zeitschr. 32, 315; mais widprizans M 6, 26
(: Saulaumön in aUamma wulpmn seinamma 29); ni waiht mis umljn-ais ist ('imponiert
mir nicht') G 2, 6 ; lapioda izwis du seinai pnudangardjai jah tvulpau Th 2, 12 ;
pii in wastjoni imdpagaim ('prunkgewänder') . . . in Jnudangardjom sind L 7, 25
vgl. 4, 5—6 T 1, 11 R 9, 23; widpagai : unswerai K 4, 8—10 (tvtdpus jah unswerei
k 6, 8) ; mikilidedun gup jah fullai tvaurpun agisis qipandans Jjatei gasaibfam wul-
pugu. hiinma daga L 5. 26.
6) ni was ivulpag J)ata umljjago in. pizai halbai in ufarassans tndpmus . . .
andhulidamma andwairpja wuljni fraujins pait-hsaihandans J)0 samon frisaht in-
galeikonda af widjxm in wulpn k 3, 7. 10—11. 18; ags. wuldor (glona.), widdortoi-ht.
7) 'Macht und pracht einer herrschaft' schlägt in abstrakte 'herrlichkeit' um
(E 1, 6 : 12. 14 C 1, 27 T 3, 16). ^
DER STIJ. DKK (tOTlsCHEN BIBEI, 47
bekouiDien wir kräftig- zu spüren, wo sich ghmz mit macht gattet {fram
ividpau mahtais th 1, 9; in allai mahtai gaswinpidai bi mahtai wid-
paus C 1, 11; (jasaih'and sunu maus qimandan in milhmam mip mahtai
managai jah widpau Mc 13, 26)^ während dort, wo ividpus schlecht-
weg für die den leib verklärende lichtsubstanz der himmelssöhne, für
den glorien- und heiligenschein der pneumatiker verwendet worden
ist, eine hellenisierung- des altgermanischen ausdrueks beabsichtigt war^.
Aus diesem lichtdurchfluteteu königreich des himmels stammt
die heilsordnung und der heilsplan g-ottes, dessen hellenistische be-
standteile keiner hervorhebung bedürfen, dessen nationalisierung durch
die berücksichtigung der terminologie der heimischen landesverwaltung-
bewirkt worden ist. Wenn eine gotische dinggemeinde geordnet zu-
sammentrat, um eine wähl zu vollziehen oder eine Satzung zu beraten
oder endgültige verwaltungsmassnahmen zu beschliessen, nahmen ihre
mitglieder den ihnen im beer wie im {jing gebührenden Standort ein,
verhandelten und stimmten durch handaufheben ab :
jah rag in in I)amma giba unte Jiata izwis batizo ist
juzei ni {)atainei wiljan
ak jah taujan dugunnuj) af fEÜrnin jera
i|) nu sai jah taujan ustiuhaif)
ei swaswe fauraist muus du wiljan -
swa jah du ustiuhan us {jammei habai})
jabai auk wilja in gagreftai ist
swaswe habai waila andauern ist
ni sw^aswe ni habai . . .
1) Vgl. ags. iruldorbeah (Corona), irnldorci/ni)i:i {tnildorsped, louldor^esteald
u. a.J : ci/ninga ividdo)-, beorna iculdor; gott lieisst wnldres aldor, widdres weard,
der engel ividpres ßegn (en^el drihtnes Gen. 2266 : wuldor^dst 2912), denn wuldor
ist auch das lichtreich des himmels {wip drihtne dwlan meaJiton wuldorfcestan wie
. . . sipe^ltorhf Gen. 26—28). Auf ags. widdor, widdrian {and herien L 2, 20),
iculdnm^ — und folglich schon auf altgernian. irnlpns — trifft es auch zu, dass
'prachtentfaltung' guten ruf, ehre und 'rühm' eingetragen hat (§öga 'guter ruf,
f/loria) : ffuda du tcnlpan k 1, 20; du fraiijins ivnlpau 8, 19; icidßns Xristaus 23
vgl. L 19, 38. 2, 11. 32. 17, 18 R 11, 36 T 1, 17 (swerißa Jah wulpus) Pill 3, 19
(wul/ms in skandat)^ es reihen sich hauhjan, hauhjeins ('Verherrlichung'), hauhipa
(Söga) an (J 7, 39. 17, 1. 4-5. 12, 41. 43. 9, 24. 8, 49-50. 54 L 14, 10).
2) 5dga durchleuchtet den av9-pa)7io5 uvsoiiaiuös und treibt aus ihm das
strahlenhündel des nimbus hervor (Reitzenstein, Historia monachorum [Gott. 19 16]
s. 214): wulpus L 9, 29-32; umllms fraujins biskain ins 2, 9 vgl. Mc 9, 2-3 Phl
3, 21 (:C 1, 12); liuMida in hairtam nnsaraim du liuhadein kunpjis wul/jaus gudis
k 4, 6. Auch ags. wuldorhama (prunkgewand) ist zu 'lichtleib' geworden.
48 . KAIJITMAKN
gatewifjs ^ fram aikklesjoni . . .
g-aredandans auk goda . . . k 8, 10-12. 19. 21.
Die heilsordnung gottes war eine gesetzgebuiig für das köiiig-
reicli gottes. raijin (nieinungsäusserung - vor einer beschlussfassung)
wurde das liauptwort für die der timreinx (ov/.o()oiJ.rt) gewidmete ol/.o-
vo[xia ^tov (heilsplan) und für f^öyy.a (Satzung)'', Der altgernianische
ausdruck befasste unter sich die wohlabgewogenen meinungsäusse-
rungeu einer zur Verwaltung berufenen behörde, der an einer beschluss-
fassung beteiligten personen *, die ein amt bekleiden und eine herr-
schaft ausüben {fidurragini, raginon L 8, 1. 2, 2 J 18, 14; )-(igineis
G 4, 2 vgl. fauragaggi und fanragaggja L 8, 3. 16, 1 if). Auf ihre
vorschlage und ratschlage (ragin) folgt die beschlussfassung {giidh
garaideins fVaTayr, 'Satzung, Verordnung' R 13, 2 vgl. k 10, 13-16)-^:
eine bis zur beschlussfassung gediehene nieinungsäusserung gelangt
zur beschlussreife [garaips L 3, 13 'verordnet') und zur ausführungs-
bestimmung {gngrefts 'befehl' L -2, 1 k 8, 12), die den vorschlagen
gemäss ausfällt (^arec/s 'ordnungsmässig' R 13, 13 : goi'ed au -povostcti ai
'einen Vorschlag [für eine nachfolgende beschlussfassung] machen k 8,
21)". An fauragaredan kommt nun aber auch fauragalcikan nahe
heran : gup . . . fauvagarairoj) uns du suniive gudedai pairh lesn Xr/sfu
in imina hl le ikainai {zlhjyly?) wiljins seinifi . . . Irinnjan uiisis runa
1) yßipoxo^ri%-e'\.c, 'von den gemeinden gewählt' auf grund der abstiramuug
durcli liandaufheben ; der got. ausdnick bezieht sich auf die staudesordnung oder
die reihenfolge, wie die männer in reih und glied stehen {iaihunteweis zehnreihig
K 15, 6; barjiznli in seinai tewai 23 [Täy{ia reihe, Ordnung]; uuijateirips 'ausser-
halb der reihe' th 3, 7 [> unordentlich = »«n^'rttoss 6. 11 Th 5, 14; diaxTsiv wurde
vom kriegsdienst gebraucht vgl. Handb. zum Neuen test. 3, 2, 36 f.]).
2) YVWIJ.V] k 8, 10. Phm 14; anabnsn nl haha, Ip raf/m (/iba K 7, 25; vgl.
Juuru. of engl, and german. philol. 16, 251 ff'.
3) bi ragina gndis . . . raginam seinaim C 1, 25. 2, 14.
4) Auch anord. regin bedeutet 'beratender Vorschlag' und 'gesetzgebende
Verwaltungsbehörde' ; vgl. die salfränk. raginhnrgi. Got. ragin steht übrigens in
grammatischem Wechsel zu rahnjan (vgl. z. h. Phl 2, 6); den abschluss der be-
ratung drückt got. garehsns aus, womit auch der Zeitpunkt gemeint sein kann, in
dem ein beschluss zustande kommt oder ein gesetz erlassen wird {arbinumja . . . vf
raginjam ist jali fauragaggam und garehsn aftins upoO-eap.ia 'termiu, frist' G 4, 2);
eine dem heilsplan gottes angehörende 'bestimmung' hebt garehsns namentlich in
der Skeireins hervor (z. b. 1, 5. 13 f. 2, 15. 18; 3, 8; gardisns gndis 8, 14).
5) EntSchliessung über eine gesetzesvorlage, gesetzgebung {wltodis garaideins
vop.o9-£aia R 9, 4; dazu witop anahusne garaideinim gafairaiids E 2, 15) wird mass-
gebend für die glaubens- und lebensordnung (xavwv 'masstab' G 6, 16 Phl 3, 16).
6) urredan (eine Satzung vorschlagen und annehmen) (' 2, 20; nndredan
(eine bestimmung treffen) Skcir. G, 9.
DEU STIL UEK GOTISCHEN BIBEL 49
iciljins seinis bi wiljin {z'j^oyJ.y) saei fauragaleikaid a imma du faura-
gaggjn E 1, 5. 9-10 (dazu die randglosse ana leikainai poei ga-
rnidida in imma^). Diese gTuudverschiedenen verba mögen wohl erst
durch die bibelspraehe in nahezu identische beziehungen zur Vorsehung
gebracht worden sein: bei leikan und leihains (gefallen finden; o. s. 13)
musste jedesfalls eine hellenisierung der Wortsippe (Verbindung mit
garedan und garnidjan) ihrer umdeutung auf den heilsplan gottes vor-
hergehen -.
Gottes heilsplan war das werk seiner Toota (handugei gudis RH,
33 K 1, 21. 24 E 3, 10) und blieb sein 'VJCTrr^uov (sacramentum).
Rücksichtslos den nationalen Überlieferungen gehorchend hat Wulfila
dies 'geheimnis' durch runa dargestellt '^ Aber wenn er von rioia
phidaiigardjos gudis Mc 4, 11; runos piitdinassaus gudis L 8, 10;
riinn wiljins seinis E 1, 9 spricht, drückt er sich nicht mehr altger-
manisch aus;. sogar runa Xrisfaus E 3, 4 C 4, 3 hat mit der deutung
auf runa aiwaggeljons E 6, 19 (gottes wort)* eine biblisch-hellenistisciie
färbung bekommen. Es gibt beispiele dafür, was jene ruuen ent-
hielten. Die 'auferstehungsrune' ist das grosse geheimnis vom welt-
ende, das den laien verschlossen bleibt, aber unter uns die erinnerung
an die prophetie der Voluspä erweckt:
sai runa izwis qi|)a
allai auk ni gaswiltam
ijj allai inmaidjnndu
suns in bra^-a augins
in spedistin Jjuthaurna {juthaurnei[) auk
jah daujjans usstandand unriurjai
jah weis inmaidjunda K 15, 51-52 vgl. RH, Sö-Sß''.
vuno heisst im got. schon 'geheimnis' und hat die bedeutung
1) faurayaiedanai bi iciljin tjudis (xa-cä 7:pö9-eaiv) pis alkt in allalm wanrk-
jfuidins hi mnna wiljins seinis (y.axä tyjv ßouXrjV toö 8-eXTj[iaxo5 «'jxoü) E 1, 11.
2) Vgl. {ija)leikan R 8, 8 Th 2, 15. 4, 1 Mc 1, 11: J ^, 29 Th 3, 1 {gaki-
kaida uns 'wir beschlossen') u. a. L 1, 3. 10, 21 (eySoxta > swa warp galeikaip 'so
war es dein wille') K 1, 21 (: k 12, 10 'habe Wohlgefallen gefunden' u. a.). Griech.
suSoxia ist doppelsinnig ('Wohlgefallen' th 1, 11); die zweite nächstliegende got.
eutsprechung war tvilja R 10, 1 [rjods wilja Phl 1, 15 L 2, 14); daher denn auch
leikains die funktion von 7tpö9-sat; übernehmen konnte (t 1, 9) > mnns ('plan';
gedanke als vorhaben und absieht) <//tdis R 9, 11: trilju 19; E 3, 11 (: R 13, 1-1
k 8, 11 ; 2, 11 voYjjiaxa 'anschlage').
3) {i£|JiÜTfj[iat (bin eingeweiht) > nspropi/js im Phl i, 12 (bin geübt).
4) Vgl. eis ni waihtai pis fropun jah was pata waurd nafnlyin af im jah
ni wissedun po (lipmnona L 18, 31.
5) Dazu die 'Weissagungen' Th 4, 13-17 th 2, 1-4.
ZEIT.SCimiFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XLIX. 4
50 KAUFF-MANN
vou y.ur;Tr,piov (sacramentiim) übernommen. Die runen gottes, vor den
unmündigen verborgen, werden nur den geistbegabten ])neumatikern,
Sehern und proplieten otüenbar {jah jidxii habau praiift^ljans jah ivitjau
allaize runos . . . K 13, 2). Paulus mit solchem beruf von gott be-
gnadet, ist geistbegabter amtsverwalter von gottes geheimnissen und
macht die verborgene Weisheit gottes, die runen des jenseits in der
diesseitigen weit bekannt. „Wir verkünden gottes geheimnisvollen,
verborgenen, weisheitsplan, den gott vor allem lauf der weiten zu
unserer herrlichkeit sich vorgenommen hat . . ." K 2, 7-15; z. b.:
hausideduj) fauragaggi (ol/.ovoy.ty.) (/udis anxtais
sei gibnna ist mis in izwis
unte bi andhuleinai gakannida was mis so runa
swe fauragamelida in leitilamma
du{)l3e ei siggwandans mageij) fraj^jan frodein meinai in ruuai
Xristaus
f»atei anl3araim aldim ni Ivunf) was sunum manne
swaswe uu a n d h u 1 i J) ist
I^aim wnham is apaustaulum. jah praufetum in ahmin
wisan piiidos gaarbjans. jah galeikans
jah gadailans gahaitis is in Xristau lesu. |)airh aiwageljon
Jiizozei warf) andbahts ik. bi gibai anstais gudia
|)izai gibanon mis bi toja mahtais is
mis |)amma undarleijin allaize |)ize iceihane
atgibana warj) ansU so in pludoni
wailamerjan ])0 unfairlaistidon gabein Xristaus
jah inliuhtjan allans
Mleik {Data fauragaggi runos
Jjizos gafulgiuons fram aiwam
in guda |)amma alla gaskapjandin
ei kannij) wesi nu reikjam jah waldufnjam
in I^aim himinakundam. f)airh ail'klesjon
so filufaiho (managfal|)o) handugei gudis E 3, 2-10.
{)izozei war[) ik andbahts : bi ragina gudis
|)atei giban ist mis in izwis
du usfulljan waurd gudis
runa sei gafulgina was fram aiwam jah fram aldim
i{) nu gaswikun])ida war]) fiaim weiham is
I^aimei wilda gu|) gakannjan
gabein wull3aus [jizos runos in I)iudom
f)atei ist Xristus in izwis. wens wul{)aus C 1, 25-27.
DER STIL DER GOTISCHEN BlßEI, 51
Ich verweise noch auf die 'g-laubensrune' (nina (jalnuheimis
T 3, 9) und das wundersame 'runenlied' {ycigiiflnns rmia 16; Zeitschr.
48, 72), das uns der tiefe und weite des abstaudes inne werden lässt, der
biblische und altgermanisehe liturgie voneinander trennt. Auf grund
der usuellen bedeutung hatte ni)ia, mit <j:jn-'r,o\ov (sacramentum) asso-
ciiert, die bedeutung dieses fremden Wortes angenommen und zu-
gunsten des hellenistischen siunbegriffs A-on seiner altgermanischen
Sonderbedeutung etwas eingebüsst^ Aber es ist doch von stilgeschicht-
lichem und religionsgeschichtlichem Interesse, dass nina, zaubermässigen,
und ;j,'jGTrcwv, sakramentalen gehalts, ineinander aufgegangen sind und
unmittelbare kraftwirkungen heiliger dinge oder heiliger personen be-
zeichnen. Darum konnte runa gndis in der Gotenbibel für ßo-Ar, ösou
('was gott mit den menschen vor hat" L 7, 30) eintreten (vgl. muns
iviljin>i seiitis Jio'j}//; toü OsAr'aaTo; x^toG E 1, 11)^ und es durften der
rwu( giidis sogar die runo:^ hairiane (ßouAzl tcov -/.apSiav 'kraftwirkungen'
K 4, 5) folgen •^ Weitab von diesem mythischen bezirk führen die-
jenigen stellen, wo nnui oder das kompositum garnni in profanem
sinn für griech. G'jaßou^.iov erscheint (M 27, 1 Mc 3, 6. 15, 1). runa
niman 'eine beratuug abhalten' (M 27, 1) findet an dem sonstigen
Sprachgebrauch der Germanen einen rückhalt^, während die Variante
(jaruni eine gotische besonderheit darstellt. Unter Westgermanen und
1) 'Offeubarungen' «ind verlautbarungeu gottes (G 2, 2), die man riechen,
schmecken, hören oder sehen kann (k 2, 14-16. 12, 4 J 12, 28 f.), himmelserleb-
nisse; himmelsgüter weiden sterblichen menschen zu teil, den frommen wird der
himmel aufgetan, die äugen menschlicher herzen werden für die gotteserkenntnis
aufgeschlossen (E 1. 17 if.); dem visionär (pneumatiker) enthüllt sich gott (k 12,
1. 7), wenn ein |i'ja-r,p'.ov menschlichen sinnen sichtbar oder erkennbar wird (E 3,
3. 5; yjip^a'^a. K 14, 20). Dies beruht auf der biblischen 'erleuchtung' (E 1, 18.
3, 9-lU L 2, 82 th 1, 7-8). Sie verbindet sich mit altgermauischem ruuenwesen
und so entsteht die formel runa f/abairhtjcm C 4, 3—4 oder runa sicikunpjan C 1 , 26
(vgl. t 1, 10): gafnlfjina (vgl. C 3, 3-4). T 5, 24-25 klingt mit anord. folgit i
rvnvm (Suorra Edda 1, 216) zusammen {filhan : andhuljan L K», 21; gabairhtjan
Mc 4, 22 [M 6, 4. 6]; fratija . . . fjaliulifeip aiutlauyn riqizis jah gabairhteip
runos hairtane K 4, 5 [: 14, 25] vgl. J 7, 4. 10 L 19, 42. 8, 17).
2) Got. muns ist an anord. Muninn (und Hnyinn Opins) anzuknüpfen; epi-
phanien gottes sind die sog. wunderzeichen got. taikneis jah fauratanja ar^iieia
xal xspaxa), seine Offenbarungen ; vgl. Groeper s 55 f.
;fj Vgl. US managaim hairtam mitoneis L 2, 35; po analaugnona hairtins
K 14, 2').
4) gengnn im an huarf samad rinkos an runa bigunnun im radan tho . . .
Hei. 5Ü61ff.; riedun an runu 4138 C; nim thu ina sundar fe thi, f/ienc rink an
rinia 3225 f.
4*
52 KAUI'F.MAiNX
Nordgerm an en ist rann 'beratung- eines geheimnisses" (- Unterredung)
ganz geläufig, auch die bedeutung 'mysteriuni, sacramentuni' ist be-
legbar (Ahd. gl. 1, 210, 20; huli^e n'ine Elene 1169 [: dryhtnes word];
JQtnn ri'itiar ok allra gopa Vaf{)rüfjnesm. 43), aber das kollektivuni
garuni durchaus der sakralen funktion vorbehalten (Ahd. gl. 1, 244, 10;
gotes giruni, giruni hhnilorihlies ; and. liiiiiilisc giruni ; ags. heofonlic
^eryne, heaj-enn rices ■^enjnii). Wenn folglich die westgermanische
bibelsprache in dieser hinsieht von der ostgermanischen unabhängig,
so erhellen sich gegenseitig die gemeinsamen nationalisierungsversuche,
die den sinn eines von geheimnisvollem raten und raunen umspon-
nenen altheidnischen wortes christlich verwerteten, vom geheimnis
eines einzelnen dings über das grosse ganze des göttlichen heilsplanes
und vom massiven vertrauen auf die Zauberkraft irdischer objekte^
über eine unsinnliche weit der himmelswunder, theologischer begrifte
und religiöser werte erweiterten.
Das gegenstück zu dieser umstilisierung eines altgermanischen
kultausdruckes zu einem sinnbegrift" des Christenglaubens haben wir
an got. ^<2)ill (ausspräche oder Verkündigung eines geheimnisses; in
wort, rede und lied gebundenes geheimnis = p-u&oc). Schon ihre Vor-
geschichte musste runa und Hpeli zusammenführen (i calrünom vlgspJQll
Helg. Hundingsb. II, 1 1) ^ In der Gotenbibel konnten daher spül und
spillon neben dem uns von märe und märchen her dichterisch an-
mutenden merjnn bei der Verkündigung der runen gottes, seines ge-
heimnisvollen heilsplans (durch die heilsbotschaft des suaYysXiov) vor-
treffliche dienste leisten, die Wulfila gründlich ausgenutzt hat. ^pill
'zaubermärchen, mythus' (t 4, 4 T 1, 4. 4, 7 Tit 1, 14) hatte das
auf ein glückverheissendes omen hindeutende kompositum '^ piiip^ipill
neben sich und dieses vollwort vermittelte für piipspilioit die Ver-
tretung von vjy.yytkCCzr:d-xi'\ Auch in diesem fall sind die West-
1) Altijerman. rthm war das 'geheimnis' eines konkreten, individuellen (dem
niensclieu nützlichen) gegenständes, dessen machtwirkung (wunder) in jener geheimen
eigenschaft erfasst Averden konnte; jedes vom menschen erlebte 'ding' hatte seine
'rune' — so auch die spräche und späterhin die schrift — ein geheimes wesens-
raerkmal, mit dem, wenn es 'erraten' worden war dank seiner kraftvvirkung ge-
zaubert werden konnte (anord. mef/ennUtar usw.); vgl. Petsch, Das deutsche volks-
rätsel (Strassb. 1917) s. 1 ff.
2) E. Schröder, Zeitschr. f. d alt. 37, 241 ff.; i^pjalli - nhii s. 254. 263 f. '267;
ristom rihi d hörne, i-jöpom spjidl i dret/ra Egilssaga c. 44 ('runen' zauberkräftige
'ausdrücke', die das geheimnis des objekts in Wirkung setzen); vgl. die got. haljaninae.
3) Groeper s. 31tf. ; vgl. ferner den gebrauch des simplex: pize spillondaitf
gaicairj}!., pize spülondane pitij) E 10, 15 : spiUon 5tv)YY]oaad-ai Mc 5, 16. 9, 9 Neh
DER STIL DKl; ( ;() 11S( II KX iilBMl, 53
germanen, von dem gleichen Stilwillen beherrscht, dieselben wege
gewandelt und haben sich für dieselbe Wortwahl entschieden (ags.
;^6dspM [= got. *piup^pill] > ^odspell euangelium, .jod^pellian euangeli-
zare; and. rjoänpell; ahd. yotspel und goisi)ellon)\ Dabei ist zu be-
rücksichtigen, dass schon dem altgermanischen Stammwort spell auf
grund des Zeugnisses von westgerman. hUydl nicht bloss etwas my-
thisches, sondern zugleich auch etwas lehrhaftes innewohnte-, das
durch die Zusammensetzung mit got. Inup, ags. ,jof/ verstärkt wurde
und den bibelübersetzern zugute kam. Diese feststellung, dass der
Gote bei solch archaischer Wortwahl mit dem Angelsachsen überein-
stimmt, setzt seinen auf Volkstümlichkeit abzielenden Stilisierungstrieb
ins licht.
Die Verkündigung der in der heilsbotschaft offenbarten himmels-
geheimnisse w^andte sich an die zuhörer, um sie in das königreich
gottes einzuladen und zu berufen {lapon M 9, 13 E 9, 24; haitan
L 14, 10 ff. 16 ff. u. a.). Nahmen sie die Verkündigung und die be-
rufung verständnisvoll erleuchtet an, so wurde von ihnen 'busse', d. h.
eine Sinnesänderung, ein Wechsel ihrer gesinnung (^asrävota) ■* gefordert,
den Wulfila durch idreiga ausdrückte: ni qam lapon garaihtaini ak
fraivaiirhtans in idreiga L 5, 32 vgl. Mc 6, 11-12 k 7, 8-10:
unte jabai gaurida izwis in {)aim bokom ni idreigo mik
jah jabai idreigoda ('tat es mir einmal leid')
- gasai/e^a auk J3atei so aipistule. Jaina jabai du leitilai A-cilai
gaurida izwis -
nu fagino
ni unte gauridai wesu{j
ak unte gauridai wesuji du idreiga ('zur reue')
saurgaidedu|) auk bi guf)
6, 19 ^ Hsspillon L 8, 39. 9, 10 {iinusspilloßs dv£y.S'.-/iYrj-os k 9, 15); f/aspillon
S'.ayYsXXetv 9, 60 {piuilaugardja gudis) : spillon suaYYsXtCsaS-ai L 2. 10 = uaila-
spillon 8, 1 ; piupspillon 3, 18.
1) Vgl. godspell that guochi Heliand 25; spei godes 572. 1876. 1381. 2650;
söds2)eU 3838 (wilspel 519. 527 u. ö. : sorgsjyell 3174): auch anord. gnpspjall stammt
von ags. ^odsjyell ab (Kahle a. a. o. s. 65 f.).
2) Ahd. forctspel, forasagono spei (prophetia) ; s^jpI parabola (Ahd. gl. 1, 224,
27. 528, 20), fabula (2, 434, 14), mythus : uera deraouent omne fictum et disciplinas
annotabunt sobrias nee uitabunt fabulas [speJ] Xotker cd. Piper 1,846 f.; vgl. mid
spelhim listas heran Gen. 516 f.; dazu Heliand 1731 f. 19^2. 2416.
3) itimaidjaip ancmhijipai frapjis iziraris K 12, 2 : idreigonds [istajisXT^a-S'S
M27, 3; tun idreiga (dp.£Ta|i£Xvjxa 'unwiderruflich') sind auk gibos jah lajwns gudis
R 11, 29; zur frage nach der Wortbedeutung von iisxävoia \\ni\ i^aenitentia vgl.
Norden, Agnostos Theos s. 134 ff.
54 KjVüffmann
ei in waihtai ni g-aslei[)iain(iau us unsis
unte so bi gu|) saurg-a
idreiga du ganistai gatulgida ustiuhada
i{3 J)is fair/?/aus saurga daujiu gasmipofj.
Es kam darauf an, umzukehren {id- : ags. nd. ed 'zurück') und
wieder von vorn anzufangen, sünden zu bereuen und zum glauben
sieh zu bekehren {idreigop jnJt ydlauht^ip in aiicaggeljon Mc 1, 15 vgl.
L 15, 7. 10), sich zu bessern. Die Westgermanen haben botn (besse-
rung) ' oder hriniva (reue), der Gote hat anscheinend einen der volks-
tümlichen anthropolog-ie entlehnten ausdruck (anord. iprar, ißrask;
nicht zu verwechseln mit ipraj- < innrar) damit betraut, diese neuartige
forderung der christlichen religion (busse zu tun) den Volksgenossen
zu verdeutlichen oder zu versinnlichen". Wo eine neue gesinnung
bewirkt worden ist, sondern sich die berufenen und bussfertigeu von
den ungläubigen ab (K 7, 12 ff.): der gesinnungswechsel trägt den
frommen, die zu gott sich halten {(jaijuds : aßjuds) eine 'weihung'
(läuterung- und erlösung) durch sein pneuma oder seinen logos ein.
Dieses höchste erlebnis des religiösen menschen wurde durch griech. ayioc,
einen ausdruck kultischer reinheit dargestellt. Ihm liess der meister
der gotischen bibel sein altgeheiligtes adj. iveihs entsprechen und nach
griech. Vorbild den gegensatz des 'reinen' und 'unreinen' hervortreten:
J)ata auk ist wilja gudis
weihi|)a izwara
ei gahabaiji izwis af kalkinassau
ei witi ^arjizuh izwara
gastaldan sein kas in weihi{)ai jah sweri{)ai
ni in gair . . . lustaus . . .
unte ni lajjoda uns guft du unhrainijjai
ak in weihiija Th 4, 3-5. 1 -^ vgl. t 2, 21.
Dass sich darüber hinaus got. icelhs hellenistisch verfärbte, ist
nicht zu bezweifeln ; ist es doch prädikat des christlichen gottes und
seiner himmlischen heerscharen und auf abstrakte begriffe abgezogen
1) Got. gabotjan Mc 9, 12 bezieht sich auf das äussere (in Ordnung bringen)
wie gahatnan 7, 11 (zu gut haben) und nicht auf das innere.
2) qaino managans pize faiira fraivaurkjandane jah ni idreigondane ana
nnhrainipai poei gatmvidedun k 12, 21; jahai frawaurkjai . . . idreigo mik L 17,
3-4; vgl. M 11, 20-21.
3) hrctinjam unsis af allamnm bisaiileino leikis jah ahmins iistmhaudans
weihijja in agisa gudis k 7, 1 vgl. E 5, 3 : 26—27 {gatveihaidedi gahrainjands . . .
weiha jah unwamma). ], 4.
DER STIL DER GOTISCHEX BIBEL 55
worden ^ Dadurch wird aber die anuahme nicht widerlegt, es habe
die neue religion bei der älteren gottesverehrung anleihen aufgenommen
und die christliche kultsprache sei gotisch stilisiert worden. Wo wir
uns im kreise der ihrem gott verbündeten und geweihten kultgenossen
(anord. vear) und an den heiligen kultstätten bewegen und den kult-
vorschriften und kultmassnahmen begegnen, findet sich altgermanischer
Sprachgebrauch ein: du alli weihai E 2, 21'; usgiöcm saud . . . ueihcma
R 12, 1 (opfertier) dazu 11, 16^; ivitoß weihata jah anahusus welha
7, 12; sa loeiha gndis L 4, 34 Mc 1, 24. 6, 20'*; gahauryjans paim
iveiham jah ingnrdjans gud/'s E 2, 19 ; ganalidai gud/'s^ weihnns jah
walisans C 3, 12^. iveihs gehörte offenbar ursprünglich zu der ter-
minologie des opferwesens, verhielt sich zu vsweihs (entweiht, profan;
T 4, 7 t 2, 16) wie gaguds zu aj'guds oder wie airkns zu imairhis
(was der weihe und des opfers würdig, echt oder unecht war ; a/rknißa
kiusands k 8, 8 : uttairhia/ [7-\ön'.oi] jah usiceiha/ T 1, D)*" und kreuzte
sich mit swikns, das den altgermanischen sinnbegriff der 'Unschuld'
(ags. i<ivicit, anord. sykn) oder kultischen reinheit vertrat {blop sivikn
y.iij.y. a^oiov M 27, 4; maiija sivikna iisgiban XrUtau ayvd; . . . siviknel
ayvoTTi; k 11, 2-3 : hlutrs 7, 11)'. Wohl hat das opferwesen im
Neuen testament eine vergeistigung erfahren, die der germanischen
Vorzeit nicht bewusst war (Phl 2, 17), aber trotzdem ist bei den
Angelsachsen hüsl für die eucharistie ** nnd bei den Goten himsl für
den opfertod Christi erhalten geblieben (Xrisfiis . . . atgnf sik silhan
faur uns hunsl jah saup gada xpoGQopav y.al i^uGiav E 5, 2). Im goti-
schen steht hunsl sogar noch in ausserchristlichen beziehungen ; es
hat der Übersetzer dies heidnische wort der alttestamentlichen oder
1) ireih ncnno is L 1, 49 ; ahnia iveihs . . . iveihs haitada siinits giulis 35; pise
iveihane aggele 9, 26 u. ö.; atta weiha J 17, 11: tveihai ins in siinjai . . . 17-19;
weihipa (doidxrjs) snnjos E 4, 24 in {gri)frijonai weihai K 16, 20 Th 5, 26 : 27
{paim iveiham bropnim).
2) ivili-alah Heliand 103-4. 464-65 u. a. ; anord. re, ags. w!h {weobecl) tcm-
plum; got. runeniüschr. gutanio wi hailag (Braune, Beitr. 43, 398 ff.).
3) kaznh gumal-undaize ushikands qij/ii iveihs fraiijins haitada L 2. 23 vgl.
and. thene meti wthida Hei. 2854.
4) VgJ. L 1, 70 R 12, 13 T 5, 10 E 3, 5.
5) Ferner etwa M 27, 52-53 L 1, 72 K 16, 1. 15 k 1, 1. 9, 12 E 3. is.
6) airkns T :<, 3 B : iraliso Phl 4, 3 T 1, 2 Tit 1, 4 (o. s. 34).
7) Phl 1, 17:4, 8 (weih) T 5, 22. 4, 12. 5, 2 G 5, 23 k 6, 6; J 3, 25 xa^a-
pioiiös [ihraineins L 2, 22; gahraineins 5, 14 Mc 1, 44]; öaiog T 2, S:ivrihs Tit
1, 8 Th 2, 10 vgl. L 1, 75 E 4, 24.
8) > anord. hi'isl, hiisla Kahle s. 62 f.
56 KAUFFMANX, DER STIL DEU (iOTISCllEN DIBEI.
heidnischen opferpraktik gewidmet ' und auf tieropfer oder die an das
schlachten der tiere sich anschliessenden opfermahle und opferfeste
angewendet. Berücksichtigt man nun ags. hüd (abendraahl; hiisl^en^a),
so drängt sich die Schlussfolgerung auf, Ininsl sei einstens das heilige
mahl, die für die opfermahlzeit ausersehene opferspende gewesen'.
Das opfertier heisst UIj)- (ags. tihe]-) und saups, die opferzeremonie
{aln)bnins(s ^ und. sa/jan. Die für den opfertod Christi gewählte formel
him>fl (opfermahl) jah saups (opfergabe) E 5, 2 Skeir. 1, 5 wäre da-
nach so zu erklären, dass das opfer einerseits die kreuzigung {saiips
R 12, 1) und andererseits deren gedenkfeier (mahlzeit, nahtamats)
einschloss. Hat sich der Gote mit solcher wortwahl an den heimischen
gottesdienst angeschlossen, so hat er sich von ihm losgelöst, wenn er
got. hunsl nicht bloss für griech, 7:po(7©opy., sondern auch für das weit
allgemeinere t%c>ia gebrauchte (M 9, 13) und mit ffciups vertauschte
(L 2, 22-24; anord. saupr schaf). Die mit der spiritualisierung des
opferbegrifts zusammenhängende Verallgemeinerung wird mehrfach be-
kräftigt^ und hat dazu geführt, dass hunsl sogar für laTpsia eintrat^,
dem doch sonst got. bloUnassus entsprach:
bidja nu izwis brojDrjus Jjairh bleif)ein gudis
usgiban leika izwara saud qiwana weihana
waila galeikaida guda andafjahtana blotinassu izwarana R 12, 1 .
Es ist der opfer dien st damit gemeint (skalkinasms R 9, 4;
blotnn fraiijan Xarpsusiv L 2, 37 : skalkinon 1, 74 vgl. K 5, 10-11
E 5, 5 6 5, 20 C 3, 5); blotan und blotinassns sind die unserem
'kultus' adäquaten ausdrücke Mc 7, 7 vgl. th 2, 4 C 2, 18 (dämonen-
kult). Auch sie wurden ihrer rituellen funktionen enthoben'', nahmen
1) nnairknai (dvöaioi) Knlinnslayal (aa7i:ov5oi) t 3, 3 ; barjatoh kunsle (9-uoia)
salta saltada Mc 9, 49 vgl. K 10, 18-25 {hiuds : ags. ireobed). 27-28 [saljan : iif-
sneipan 5, 7 u. a.) ; dnljrjan 5, 8; dulps 'opferfest' .J 6, 4 L 2, 41—42 31 27, 15;
festfeier C 2, 16; oxYjvoTcyjyta J 7, 2; vgl. auch Groeper s. 28 ff .
2) hnnslastaps ist nicht der altar (ags. ireobed, sledstyde Geii. 1805—10),
soudern die opferstätte als festplatz (vgl. fialiiificf^faps K 8, 10; GcniUjaupa .ffrt/is
TÖTzoz Mc 15, 22 usw.).
3) allaiin pxiim alabrunsÜDi jah snudiin Mc 12, 33 (6XoxaDxtü[iäxü)v xal
ö'uoiwv): allen bluostarun inti zebanin Tatian 128, 4.
4) hnnsljada OTzsvSojaai t 4, 6; unhiinslagai aoirovSoi 3. 3 (unversöhnlich und
pietätlos ermangeln sie der scheu vor dem heiligen, bewahren nicht die das opfer
heiligende Stimmung und gesinnung, sind nicht opferwillig).
5) sakazuh izel usqimipi i.:>ris, P)i((/(/keip hnnsla saljcui (/nda Xaxpsiav npoa-
ifipziy J 16, 2; vgl. z. b. die Schilderung des Isaak- bozw. widderopfers (holocau-
stum) Gen. 2850 ff.
6) In den ahd. denkmälern ist blnosfar 'opfer' (sacrificium) = got. Jnnisl
CONSENTirs, ALS HEINRICH rHRl.STlAN V.OUZfi XACHLASS 57
an der vergeistig-ung- des kultwesens teil, wurden auf die guten werke
und auf das gebet bezogen (T 2, 8-10) ', mit andacht verbunden
(R 12, 1) und im stil des christlichen -gottesdienstes" spiritualisiert.
kraft ihres Stimmungsgehaltes ganz neu gewertet. Wenn aber gerade
(jupblostrek in der got. bibel zur Übersetzung von {isoasßr,; ausersehen
wurde ('gottes willen tun' J 9, 31), so ist damit kurz und bündig die
nationalisierung der kultsprache gelungen {(joyitch euccßr.c, gugndei
S'jTsßsty. 'erfüllung der kultischen pflichten', afyudei äalßsty.).
KIEL. FKIEDRICH KATFFMANX.
AUS HEINKICH CHKISTIAX B0IE8 NACHLASSE
Textgeschichtliche mitteilungen zu
Klo^j stock, Lessing, Herder, Gerstenberg, Vnss u lul anderen.
(Fortsetzung.)
B 0 i e s drittes s a m m e 1 b u c h.
Erste Hälfte.
Um feste daten für das dritte samiuelbuch zu gewinnen, betrachte ich zu-
nächst die fortlaufend numerierten eintragungen, die bis nr. 150 gezählt sind, und
liebe von den gelegenheitsgedichten — die wohl alle zuerst in einzeldrueken er-
schienen — einige heraus, die einen terminus, a quo, für Boies niederschrift ergeben. —
Im dritten sammelbuche ist eingetragen unter nummer:
7 Auf die Reise Josephs des Zweyten. Gesungen
im May 1769. von M. Denis.
Herauf, o Sonne ! lange fchon harret dir . . .
V(ll. M. Denis, Die lieder Sineds des barden, Wien 1772, s. 148.
Boie übernahm das stück nicht aus der Hamburgischen neuen zeitung 1769,
99. stück vom 26. juni.
10 Das Fest des Daphnis un d der Paphn e,
Ein Wett-Gesang.
Am Tage der Vermaehluug des Prinzen Friederich Wilhelms von Preusfen
und der Prinzesfin Friederike Louise von Hesfen-Darmftadt, gesungen
von E. D. V. X. g. V. W.
M 9, 13: Tatian 56, 4; Mc 9, 49: Tatian 95, 5 (vgl. 102, li; 128, 4 o. s. 56 anm. 3.
Die altsächs. bibeldichtung hat das wort gemieden ; ags. b/öt stimmt zu anord. blöK
blöfa und diese sippe lässt noch deutlicher als ahd. bl6z:an oder ags. blötan (Gen,
2856) den Zusammenhang mit der gottesverehrung erkennen; vgl. Braune. Beitr.
43, 416 ff.
1) barusnjun e-jasßsiv T 5, 4 (Idg. forsch. 20, 325); »'nsibjis äasßyjs 1, 9:
M 7, 23 Mc 15, 28.
2) Vgl. Zeitschr. 48, 389. Lies s. 396 zeilo 1 : erliub sich s. 426 zeile 27
V. u. : liefsen,
58 CONSENTIUS
Der Schaefer.
Ich will den edlen Daphnis singen, der zur Braut . . .
Vf/l. K. W. Rainlers Lt/risclie gedickte, Berlin 1772, s. 271.
Friederike, zweite tochter des landgrafen Ludwig IX. von Hessen-Darmstadt
und der landgräfin Karoline, wurde mit dem prinzen Friedrich Wilhelm von Preussen,
dem späteren könig Friedrich Wilhelm IL, am 5. juli 1769 in Darmstadt durch
prokuration vermählt; vollzogen wurde die ehe in Charlottenhurg am 14. juli 1769.
32 Auf Gell er ts Tod. Gesungen im Winter, 1769.
von Mich. Denis aus der G. J.
Gesang.
Schauderndes Lüftchen! woher? . . .
Vgl. M. Denis., Die lieder Sineds des bürden, Wien 1772, 's. 253,
Geliert starb am 13. dezember 1769; also kann dieser eintrag und die fol-
genden erst nach dem todestage Gellerts angesetzt werden.
37 Minervabey der Wiege des neugebohrnen
preufifchen Prinzen Friedrich, Heinrich, Aemilius, Carls.
21 Oct. 1769.
0 Brennussohn ! Was künftig dein Schicksahl ist ; . . .
Nach Bedlich, Versuch eines chiffernlexikons (programm), Hamburg 1875, s. 41, von
Ramler.
40 An Gleims Geburtstage.
2 Apr. 1770.
Wenn ein Mädchen, unter seinen Schweftern, . . .
Vgl. Johann Georg Jacobis Sämtliche werke II, Halberstadt 1770, s. 230.
Dies gedieht besass Boie bereits am 18. april 1770 durch Jacobi selbst. Boie
lobte es Gleim gegenüber (Zeitschr. 27, 878, ferner s. 379).
41 Kriegeslied der rusfifchen Armee.
bey Eröfnung des Feldzuges. 1770.
Frifch auf, ihr Brüder, frifch auf ins Feld . . .
Vgl. Johann Gottlieb Willamov, Sämtliche poetische Schriften II, Wien 1794, s. 65;
Hamburgische neue zeitung 1770, 55. stück 6. april.
42 ohne Überschrift :
Von deinen Siegen, Caesar Germaniens, . . .
Vgl. K. W. Ramlers Lyrische gedichte, Berlin 1772, s, 156. '
1) Am 28. Januar 1770 meldete Boie, von Berlin aus, seineu angehörigen in
Flensburg in einem tagebuchartigen briefe, dass er wieder eine neue, ganz voitreif-
liche Ode von Kamler bekommen: 'An den Kayfer Jofejjh über die Zufammenkunft
des Kayfers und Königs', und Boie teilte seinen angehörigen dies gedieht mit, das
er sofort mit Denis' Ode. die aus dem gleichen anlass geschrieben war — sie steht
unter nr. 7 im dritten sammelbuche — verglich. Fast jeden tag, Avie er sagte, lernte
Boie während seines Berliner aufenthaltes im wiuter 1769/70 ein neues stück von
Kamler kennen (Euphorien 8. s. 672). So findet sich eine ganze reihe, auch älterer,
Ramlerscher gedichte im dritten sammelbuche und ebenfalls eine anzahl von ge-
dichteu der Karschin. Denn auch sie besuchte Boie fast täglich. Von Ramler war
Boie entzückt, und die Karschin galt ihm, damals Avenigstens, als eine grosse
dichterin.
Das dritte sammelbuch ist in seinem anfange eine ergänzung zu Boies Ber-
liner reiseberichten. Aber in dies sammelbuch ist doch nicht alles, wie in ein tage-
buch. durchaus in chronologischer folge, d, h. so wie Boie die einzelnen gedichte
bekannt wurden, eingetragen. Man muss vielmehr daran denken, dass Boie die
AUS HEINRICH CHRISTIAN BOIES NACHLASS 59
43 G 1 e i m a n W i e 1 a n d.
Zum Himmel, Kronegk nach, hat Geliert fich gefchwungeu, . . ,
Fehlt in Gleims Sämtlichen werken, hsg. von W. Körte, Hcdberstadt 1811 ff.
Boies Sammelbücher bringen eine grössere anzahl von gedichten, bei denen
Gleim als Verfasser genannt ist, die nicht in der Körtischen ausgäbe — jedesfalls
nicht in der durch Boie überlieferten form — stehen. Hoies nahe, persönliche be-
ziehungeu zu Gleim sind bekannt, so dass seine Überlieferungen immerhin beachtnng
verdienen. In Gleims auftrage bemühte sich Boie auch mit der Sammlung um gelder
für Gellerts monument; vgl. z. b. Boies brief vom 11. märz 1770 an Nicolai, ßamlers
brief vom 28. märz 1770 au einen ungenannten Leipziger freund (hs. der kgl. biblio-
thek Berlin).
44 AnKlopftock.
Du fchweigft, und alle Stümper singen ? . . .
Vgl. Almanach der deutschen musen (Leipzig) 1771 s. 59; Verf.? im register: 'eines
Gleims würdig'.
45 Auf Gellerts Tod von Mast all i er.
Die Muse und der Dichter.
Der Dichter.
Was soll der Trauerflor an deinem Saytenspiel, . . .
Vgl. Carl Mastaliers Gedichte hiebst öden aus dem Uoraz, Wien 1774, s. 113.
46 Ode auf den Tod der einzigen Prinzesfinn
Tochter des Kaysers von Karl Mastalier.
Schwer, wie ein kummervolles Jahrhundert auf . . .
Vgl. Carl Masta'iers Gedichte nebst öden aus dem Roras, Wien 1774, s. 102; dort mit
der datiemng : Im jähre 1770.
59 Ode an Phil ib er t.
Berlin, am 24ten Jenner 1771.
von Kamler.
Des Patrioten Muse, mein Philibert, . . .
Vgl. K. W. Ramlers Lyrische gedichte, Berlin 1772, s. 163; Hamburgische neue Zei-
tung 1771, 17. stück 29, Januar.
Diese gelegenheitsjjedichte nennen bestimmte daten, wann frühestens die ein-
iragung in das sammelbuch erfolgt sein kann.
Bei einer weiteren reihe von eintragungen ist als quelle, aus der Boie schöpfte,
ein datierter druck angegeben. Auch diese jaiireszahlen bieten einen terminus, a
einzelnen, gesammelten gedichte gelegentlich — und dann allerdings mit fortlaufen-
der Zählung — , aber nicht immer in der reihenfolge, wie er diese stücke erhalten, in
sein buch eintrug. Denn nr. 42 war z. H. früher als das unter nr. -10 eingetragene
geburtstagsgedicht in Boies band, und nr. 41 ist vermutlich überhaupt erst später,
als Boie nr. 42 schon bekannt w.ir, entstanden.
Nr. 42 gab Boie, von seiner Berliner reise nach Göttingen zurückgekehrt, am
20. april 177u an Raspe weiter (Weimarisches Jahrbuch III, iS-ifi, s. "Jö).
Als Boie während seines Berliner aufenthaltes verschiedene gedichte von der
Karschin erhielt, meldete er seinen angehörigen, dass sie 'künftig viel von ihr in
den Uaterh[altungen] lefen' würden. — Von den 'Unterhaltungen' erschien der 1. bis
lt>. bd. mit den jahresan.i;aben ITi.H bis 177u in Hamburg bei Michael Christian Bock.
Bei den wechselnden redaktionsverhältnissen dieses Journals ist es eine noch unbeant-
wortete frage, in welchem masse Boie an einzelnen bänden als stiller mitredakteur
beteiligt war.
60 roxsKxii US
quo, für Boies niederschrift. Z. b. ist iir. 65 'Earl Walther, a Ballad', eine ab-
schwächende bearbeitung- nach Percys Reliques aus den 'Poeras by a Lady. Lond. 1771'
übernommen.' Nr. 1U3 bis lOö sind abschriften ans dem 'Alm. des Mufes. 1771', Und
nr. 112 'William and Margaret an ancient Ballad' stammt in dieser fassung aus dem
'Lond. Magazine. Jun. 1773 p. 276'.^
Bei einzelnen gedichten des dritten sammelbuches lässt sich ferner nach-
weisen, wann Boie sie noch nicht besessen oder wann er sie erhalten. Z. b. nr. 47
'Pergolefi's Stabat mater von Klopftock' (Muncker und Pawel I, s. 212) war anfang
oder mitte September 1770 noch nicht in Boies besitz. Damals bemühte sich Boie
bei Gottfried Benedikt Funk vergebens um Klopstocks text, der in den Göttinger
musenalmanach auf 1771 kommen sollte; aber Funk konnte Bolen den text jedes-
falls nicht so schnell, als es für den abdruck im almanach nötig war, beschaffen.^
Die beiden nr. 67 und 68, nämlich nr. 67 'An Gallinette' (vgl. Ramlers Lyrische
gedichte 1772, s. 108) und nr. 68 'An den Vulkan, Bey Erbauung eines Kamins im
Gartenhause' (vgl. Eamler, a. a. 0. s. 21) erhielt Boie nicht vor dem 15. juni 1771 ;
an diesem tage sandte K. L. v. Knebel aus Potsdam die beiden gedichte oder kündigte
ihre Sendung an. Er schrieb :
'. . . wie es fcheint, fo kennen Sie die beyden Oden an Gallinette und an
den Vulckan noch nicht? Sie Tollen fie haben! Aber, Freund, ich verlafse mich
auf Ihre Treue! Ich seze fie immer unter die heften, die er gemacht hat. . . .'
Diese dateu geben für die herausgehobenen nummern des dritten sammelbuches
den Zeitpunkt an, wann frühestens die eintragung erfolgt sein kann.
Zur feststellung eines terminus, ad quem, dient mir zunächst der eintrag nr.
36 Ode an den Frieden. 1762.
Wo bist du liingeflohn, geliebter Friede? . . .
(K. AV. Ramlers Lyrische gedichte, Berlin 1772, s. 61.)
Boie tadelte am 30. dezember 1771 Gleim gegenüber, dass das konkurrenz-
unternehmen zum Göttinger musenalmanach, Christian Heinrich Schmids Almanach
der deutschen musen a. d, J. 1772 (Leipzig), diese ode auf s. 2-4 gebracht hätte, und
Boie schrieb : auch er hätte die ode drucken lassen können, wenn er 'fo was ohne
Erlaubnifs thäte'.* Danach war diese Ramlersche ode bereits bei druckleguug des
Göttinger almanachs in Boies besitz und wahrscheinlich auch in sein drittes sammel-
buch eingetragen.
Ein noch bestimmteres datum für die eintragungen ergibt der vergleich einiger
nummern mit dem druck in den Göttiuger musenalmanachen auf 1770, 1771 und
1772. Man vergleiche z. b. aus Boies drittem sammelbuche nr. 7 (von Denis) mit
dem Göttinger musenalmanach auf 1770 s. l,.nr. 10 (von Ramler) 1771 s. 52, nr. 12
(von der Karschin) 1770 s. 77, nr. 13 (von der Karschin) 1770 s. 45, nr. 16 (von
der Karschin) 1770 s. 111, nr. 83 (von Raraler^) 1771 s. 136, nr. 34 (von Ramler)
1772 s. 1, nr. 37 (von Ramler) 1771 a. 3^^, nr. 38 (von Eamler) 1771 s. 1, nr. 39 (von
Ramler «) 1771 s. 26, nr. 59 (von Ramler) 1772 s. 81.
1) Vgl. Bürgers gedichte, bsg. v. Consentius, 2. Aufl. [1915], II, s. 324.
2) Vgl. Bürgers gedichte a. a. o. II, s. 295.
3) Vgl. G. B. Funks brief vom 29. September 1770; hdschr. in Boies nachlass.
4) Zeitschr. 27, s. 524.
5) Almanach der deutschen musen (Leipzig) 1771 s. 48.
6) Im Göttinger musenalmanach unterzeichnet: V,; das ist, nach Redlich,
Versuch eines chiffernlexikons (prograrara), Hamburg 1875, s. 18: Ramler.
•AUS I1P:INRICH CUUISTIAN ßÜIES NACULASS 61
Was über einen solchen vergleich beim zweiten sammelbuche gesagt wurde,
ist hier durchaus zu wiederh'olen. Das heisst: die musenalmanache waren nicht
Boies quelle; Boies niederschrift ist vielmehr älter als der druck in den Göttinger
almanachen.
Mit dem druck des alnianaches auf 1771 wurde im september 1770 begonnen;
in der ersten hälfte des dezember war der druck des textes beendet; es fehlte nur
noch die einrückuug der kupferzierate.'
Der almanach auf 1772 wurde — um ein zeitigeres erscheinen zu sichern —
wohl schon im jnli 1771 angefangen zu drucken.'- Am 19. dezember 1771 war dieser
almanach gedruckt und versandfertig.^
Halte ich die gewonnenen daten, wann frühestens und wann spätestens die ein-
tragungen erfolgt sein können, gegeneinander, so ergibt sich:
Nr. 7 ist zwischen dem mai 1769 und dem ende dieses Jahres in das dritte
sammelbuch aufgenommen worden. Das heisst : -Boies drittes sammelbuch schliesst
sich zeitlich eng an das zweite sammelbuch an, als dessen fortsetzung es anzusehen
ist. Wie der Inhalt lehrt, bringt es — besonders zum schluss hin — im vergleich
zu Boies früheren Sammlungen erheblich mehr ungedruckte gedichte. Boies neigungen
hatten ihn mit den jähren in persönliche Verbindung mit einer ganzen reihe von
dichtem gebracht; sie finden besonders im dritten sammelbuche ihren niederschlag.
Nr 89 und alle vorausgehenden stücke waren vor ende des Jahres 1770 in
das dritte sammelbuch aufgenommen und
nr. 59 sowie die früheren nummern vor ende des Jahres 1771.
Die stücke von ur. Ii2 ab können jedoch erst nach dem juui 1773 in das
dritte sammelbuch eingegangen sein. Also war Boies eifer, dies buch zu füllen, erheblich
geringer als bei den beiden früheren büchern; denn jetzt fallen sehr viel weniger
eintraguugen auf eine verhältnismässig viel weitere spanne zeit. Wo Boie damals
die Güttinger musenalmanache zu versorgen hatte, trat das zu eigenem gebrauche
angelegte sammelbuch mehr zurück.
Die gewonnenen daten lehren, dass Boies niederschriften bis nr. 39 des dritten
Sammelbuches — und es soll im folgenden abschnitt, bei den notizen zur Darm-
städter ausgäbe, gezeigt werden, dass es erlaubt ist, über diese nummer noch hinaus-
zugehen — jedenfalls vor dem erscheinen der drei bekannten Sammlungen Klop-
stockscher gedichte vom jähre 1771 angesetzt werden müssen.
Es erschien nämlich Schubarts ausgäbe von 'Klopstocks kleinen poetischen
nnd prosaischen werken' (Frankfurt und Leipzig 1771*) fast gleichzeitig mit der im
1) Vgl. Boies briefe vom 3. september und 18. dezember 1770 an Friedrich
Nicolai in Nicolais briefsammlung auf der kgl. bibliothek zu Berlin.
2) Vgl. Boies brief vom 2o. juui 1771 an Friedricli Nicolai, a. a. o. Ferner:
Boie, 18. juni 1771, an Raspe; \Veimari.-iches Jahrbuch III, lö55, s. 37.
3) Vgl. Briefe von .Joh. H. Voss, hsg. von Abrah. Voss, I, 1829, s. 68. Eine
besprechung des almanachs bereits in der Hamburgischen neuen zeitung 1771,
205. stück vom 21. dezember.
4) ilit der angäbe: Frankfurt und Leipzig bedient sich der Verleger einer fal-
schen - oft missbrauchten - flagge; vgl. z. b. A. G. Kästner, Briefe aus sechs Jahr-
zehnten, Berlin 191'^, s. 57. Der Wandsbecker bothe 1771, nr. 59 vom 12. aprii, sagte
bestimmter:
musen (Leij
Boies _, . __, . ^ ^
sollen erschienen sein, ist nicht — wie PaAvel. Zeitschr. 27, s. 517, es tut — auf die
62 CONSENTIUS
auftrage der landgräfin Karoliue von Hessen -Darmstadt gedruckten Sammlung:
'Klopftocks Oden und Elegien' (Darmstadt 1771), und zwar im märz 1771.*
Zu seiner eigenen Sammlung, die unter dem titel 'Oden' (Hamburg 1771)
herauskam, hatte Klopstock bereits im jähre 1767 austalten gemacht.'* Diese aus-
gäbe wurde 1770 und in der ersten hälfte 1771 mit verlangen erwartet.^ Aber erst
am 8. november 1771 konnte Boie nach Halber.stadt melden, dass er seit wenigen
tagen die Hamburger ausgäbe erhalten hätte.'
Schon ehe diese drei ausgaben vom jähre 1771 erschienen, besass Boie in
seinen sammelbüchern, wie bei der datierung der eintragungen gezeigt ist, einen
reichen und — wie ich hinzusetze — von anderer seite beneideten und begehrten
schätz Klopstockscher lyrik.
Beneidet und begehrt! So wurde Boies schätz für die Üarmstädter Samm-
lung gefordert.
Darmstädter ausgäbe, sondern auf die Schubartsche, deren titel in Boies Worten
wieder zu erkennen ist, zu beziehen. '
Gegen .Schubarts ausgäbe richtet sich Klopstocks erklärung in der Ham-
burgischen neuen zeitung in nr. 57 vom 9. april 1771. Muncker, Klopstock 1«S8,
s. i'-^b, sagt: auch die erklärung des Wandsbecker bothen in nr. 59 vom 12. april 1771
stamme von Klopstock oder von Klopstocks Verleger. — Dazu bleibt zu bemerken :
Klopstocks autorschaft ist nicht bewiesen und bleibt höchst unwahrscheinlich. Denn
beide anzeigen sind durchaus nicht identisch. Hatte Klopstock aber an einer stelle
gesagt, ■ was er zu sagen wünschte, so fehlt ein rechtei grund zu der annähme,
dass er gleichzeitig in einem zweiten blatte in anderer form eine anzeige der
Schubartschen ausgäbe selbst verfasste. Die anzeige im Wandsbecker bothen ent-
spricht schwerlich der Klopstockschen art, sich zu äussern.
Am 25. april 1771 hatte Gleim Schubarts ausgäbe in der band (Mitteilungen
a. d. literaturarchive in Berlin HI, 19U1— 05, s. 264). und am 10. mai 1771 äusserte
sich Knebel über diese Sammlung (a. a. o. s. 290).
1) Der erscheinung-stermin der Darmstädter ausgäbe ist ein paar posttage vor
dem 28. märz 1771 anzusetzen. Am 28. märz 1771 hatte Herder bereits an den
geheimrat von Hesse in Darmstadt über den fehlerhaften druck dieser ausgäbe ge-
schrieben. (Herder und Karoline Flachsland I, Erlangen 1847, s. 245, auch s 229,
235, 239 f.) In Herders brief vom 28. märz 1771 an Karoline heisst es: 'Der Autor-
zank mit Ihnen in H. Geh. Raths Brief war eigentlich Zank mit ihm, dafs er nicht
aus befferm Mfpt. abdrucken laffen, und das Uebrige mufste Eiufaffung feyn. Ich
hoffe, dafs Sie's fo werden aufgenommen haben'. Damit bezieht sich Herder auf
seinen schon geschriebenen brief an den geheimrat von Hesse, den Herder auch m
dem oft zitierten briefe an Merck (Briefe an Joh. Heinr. Merck, hsg. von Karl Wagner,
Darmstadt 1835, s. 21) erwähnt. Herders brief an Merck ist wohl besser in den
märz, als in den april 1771 zu verlegen.
2) Lappenberg, Briefe von und an Klopstock, 1867, s. 162, 165, ferner s. 191
und s. 196, 220 f.
3) Euphorien 8, s. 672; Zeitschr. 27, s. 383, 516, 519.
4) Zeitschr. 27, s. 522. — Ende Oktober 1771 hatte auch Herder die Ham-
burger ausgäbe in der band; vgl Herders undatierten brief an Boie, den dieser am
23. november 1771 empfing. Weinliold, Boie s. 1()9, druckte Herders brief teilweise
ab, bezog ihn fälschlich auf die Darmstädter ausii'abe und nahm Boies dazugeschrie-
benes empfangndatum für den tag, an dem Herder den brief geschrieben hätte! —
Am 22. november 1771 berichtete Knebel ausführlich über seinen eindruck von der
Hamburger ausgäbe; Knebels brief liegt in Boies nachlass. — Im Wandsbecker bothen,
den Bode, der Verleger von Klopstocks öden, drucken Hess, wurde die Hamburger
ausgäbe in nr. 17.\ 177 und 179, d. h am 1., 5. und 8. november 1771 (^also un-
mittelbar nach dem erscheinen) von Claudius angezeigt.
Dass Herder bereits im juli 1771 die Hamburger ausgäbe gelesen haben
sollte (vgl. Briefe an Merck, 1«35, s. 26), ist schlechterdings mit den eben gebrachten
daten nicht zu vereinigen. Bei Wagner ist mancher brief falsch datiert.
AUS HEINRICH CHRISTIAN BOIES NACHLASS 63
Die Darmstädter ausgäbe von Klopstocks odeu und
elegien. 1771.
Von der Darmstädter ausgäbe, die heute eine Seltenheit ersten
ranges ist, gab Erich Schn)idt, Beiträge (1880j s. 82 ff., eine beschrei-
bung des exemplares, das für die laudgräfin Karoline (1721-74) be-
stimmt war. Diesen druck, der auch bei der Klopstock-ausstellung
in Hamburg 1903 gezeigt wurde ', besitzt die grossherzogliche hof-
bibliothek zu Darmstadt. Die typographische ausstattung des nur in
34 exemplaren hergestellten privatdruckes ist auffallend schlecht. Ein
zweites exemplar der Darmstädter ausgäbe befindet sich auf der
königlichen bibliothek zu Berlin. Es ist der für Karoline Flachsland
bestimmte druck, dem auf dem titelblatte in deutschen schreibschrift-
typen ihr name eingedruckt ist:
Klopftocks
Oden und Elegien.
Vier und dreyffigmal gedruckt.
Carolina Flachsland.
[Druckverzierung: vase mit blumen,]
Darmftadt, 1771.
Der druck besteht aus dem titelblatt und 160 bezifferten selten
in frakturdruck; oktavformat. (Signatur der kgl. bibliothek Berlin:
Yk 9584 R.). In dem vorderen einbanddeckel dieses exemplares die
handschriftliche notiz : 'Dies Buch ift aus der Bibliothek meines feeligen
Vaters Johann Gottfried von Herder.
Weimar d. 11 April 1853 Luife Stichling
geb. Herder.'
Eine handschriftlich beigefügte poetische widmung, die das
exemplar der landgräfin auszeichnet, fehlt hier.
Ein flüchtiger blick in das exemplar von Karoline Flachsland
lehrt, dass Muncker und Pawel die Varianten der Darmstädter ausgäbe
durchaus nicht erschöpfend mitgeteilt haben ^.
1) Katalog der Klopstock-ausstellung der Stadtbibliothek zu Hamburg 1903, s. 7.
2) Pawel, Klopstocks öden (Leipziger periode), Wien 188U, s. 6, hatte ein
exemplar der Darmstädter ausgäbe in der band, bei dem auf dem titelblatte an-
geblich Klopstocks name nicht genannt sein soll. Wo dieses exemplar zu finden
ist, sagte Pawel nicht. Pawel, Klopstocks Wiugolf, Wien 1882, s. 3, bezog sich
wieder auf die Dannstädter ausgäbe - vielleicht auf dasselbe von ihm früher be-
nützte exemplar — und gab an, es sei für den erbpriuzen von Darmstadt gedruckt
worden. Der titel dieses exemplars stimmt nach Pawels beschreibung mit dem
exemplar für die landgräfin und dem für Karoline Flachsland überein - abgesehen
von dem eingedruckten namen des besitzers. Pawels weitere mitteilung: für den
erbprinzen von Darmstadt sei eine besondere, kleine aufläge gedruckt worden,
findet an der bestimmten angäbe, die in den verschiedensten briefeu des Darmstädter
64 CONSENTIUS
An dieser Darmstädter ausgäbe ist ]3oie mit den schätzen seiner
Sammelbücher in erheblicher weise beteiligt.
Erich Schmidt und Franz Muncker sagen nichts davon, und auch
Weinhold hatte von den drei Boieschen samnielbiichern, über deren
Klopstockiaha ich im vorstehenden berichtet, nur das erste in der
band. Weinhold konnte sich jedoch auf briefe von Goethes freund
Ludwig Julius Friedrich Hopfner (1743-1797) stützen, aus denen er
einige bruchstücke bekanntmachte. Diese briefe zeigen, dass Boie,
wenn auch nicht gerade freudig und einer ersten aufforderung bereit-
willig nachgebend, für die Darmstädter Verehrer des dichters eine
reihe Klopstockscher öden sandte. Neben drängenden und fordernden
briefen Höpfners giengen briefe des geheimrats Andreas Peter von Hesse
(1728-1803) an Boie ab. Letztere liegen heute nicht mehr im Boie-
schen nachlass. Die briefe, die Höpfner wegen der Darmstädter
Sammlung an Boie schrieb, mögen ganz folgen, denn sie verraten
einen teil der mühe, die sich der kreis um die landgrälin gegeben,
die ausgäbe zustande zu bringen; sie zeigen, wie sich die Sammler
nicht immer begnügten, wenn sie Klopstocksche öden abschriftlich
besassen, sondern dass sie eine zweite abschrift der nämlichen ode
zu gewinnen suchten; und Höpfners briefe lassen auch das kritische
l)estreben der Darmstädter erkennen, sich über die echtheit einzelner
stücke gewissheit zu verschaffen.
Der geheimrat von Hesse war der beauftragte leiter, der die
Sammlung der öden für die frau landgräfin übernommen hatte. Be-
kanntlich besass er die Bremer beitrage und die Sammlung vermischter
Schriften der Bremischen beiträger ^ Diese drucke konnten immerhin
der ausgäbe einen festen grundstock geben ; aber sie allein genügten
nicht. Herder und Merck steuerten ihre gaben bei. Auf umwegen
- von einer band in die andere gelangten weitere abschriften nach
Darmstadt-. Wer eine ode des dichters besass ~ auch Goethe
sammelte sich handschriftlich Klopstocks gedichte - oder eine abschrift
erhielt, gab nur die abschrift seiner abschrift fort; ganz mochte sich
niemand von den schätzen, die er für sich selbst zusammengetragen,
kreises wiederkehrt, dass die ganze aufläge nur aus vierunddreissig exemplaren be-
standen, keine stütze.
Die kurze beschreibung- eines nachdrucks, der nur auszüge aus der Darmstädter
ausgäbe enthält, die Pawel. Klopstocks öden, 1880, s. 8, bringt, ist, wie der vergleich
mit dem exemplar der kgl. bibliothek zu Berlin: Einige Oden von Klopftock.
Wetzlar, bey Philipp Jacob Winkler, dem Aelteren [o. J.], Signatur: Yk 9596,
lehrt, nicht zuverlässig.
1) Herder und Karoline Flaclisiand I, 1847, s. 37.
2) Vgl. z. b. F^rich Schmidt, Im neuen reich IX, 1, 1879, s. 994 ff.
AUS HEINRICH CHRISTIAN BOIES; XACHLASS 65
trennen. Hesses schwäg-erin, Karoliue Flachslaud, bemühte, sich um
die druckvorlage als abschreiberin der einlaufenden abschriften ^
Dass bei so vielfältiger bemühung von verschiedenen selten der
text der Darmstädter ausgäbe manches zu wünschen übrig lässt, ist
erklärlich. Und als die Sammlung der landgräfin trotz aller an-
strengungen doch nicht so reich wurde, wie man es wünschte, da
wandten sich der geheimrat von Hesse und Höpfner kurz vor dem
erscheinen, in letzter stunde noch, wiederum an Boie und verlangten
von neuem mehr Klopstocksche stücke von ihm! Ihr werben hatte
erfolg.
Höpfners briefe an Boie füge ich hier ein.
Liebfter Freund,
Ich glaube es, dafs Sie der Brief des Hn. von Heffe iu einige Verlegenheit
fetzt. Aber vielleicht ift es Ihnen in der Zukunft noch einmal lieb, in diefer Ver-
legenheit gewefen zu fejn. Sie haben Gelegenheit l'ich einen Mann zu verbinden
deffen Wohlwollen Ihnen vielleicht fehr nützlich werden kann, einen Mann, der
Premier Minifter, Geheimerrath, Curator der Univerfität Giefen, und der rechte Arm
des Landgrafen ift. Dafs K[lopftock] keine Spionen in D[armftadt] habe dafür will
ich Ihnen zwar nicht Bürge feyu. Dann in welchem Winkel hat er fie nicht? Aber
ich denke nicht, dafs fie von den Oden aus den Händen der Fr[au] Landgräfin
etwas bekommen follen. Buben von ihrer Art kommen nicht leicht in die Fürften-
fäle, und allenfalls kann man Hn. Merk bitten dagegen die nöthige Anftalteu vor-
zukehren. Die neulich von Ihnen erhalteae Stücke will ich mit Ihrer Erlaubnifs
auch nach D[armftadt] fchicken. Die beyden Mufen'^ hat Hr. von H[effe] fchon.
Haben Sie doch die Gütigkeit Dietrich^ über diefe zwey Puncte od proto-
colliini zu vernehmen
(1) ob er mir nicht die Freundfchaft erzeigen will, eine Anzahl Exemplarien
unfrer Oberappellationsgerichtsdecifionen* mit auf die Leipziger Meffe zu nehmen
und dort zu debitiren fuchen will? Das Buch wird auswärts hin und wieder ver-
langt, weil es aber von einem bioffen Buchdrucker verlegt ift: fo ift es iu keinem
auswärtigen Buchladen zu haben. Ich will nicht nur Hn. Dietrich für feine Mühe
und Koften einen billigen Eabbat geben, fondern auch andere Bücher an Zahlungs-
ftatt nehmen. Ift er mit meinem Antrag zufrieden : fo darf er nur bef^immen, wie-
viel Exemplarien auf Schreib- und wieviel auf Druckpapier ich ihm zufenden Toll.
(2) ob er das honorarium für meine Ueberfetzung von dem AddrefsContoir er-
halten? Wo nicht fo feyn Sie doch fo gütig, es fich auszahlen zu laffen, und ftellen
Sie es ihm zu.
1) Herder und Karoline Flachsland I, 1847, s. 229, 245.
2) Vgl. Boies 2. sammelbuch nr, 502; Muucker und Pawel I, s. 108; Darm-
städter ausgäbe s. 63. Die Darmstadter ausgäbe stimmt mit Boies text nicht überein.
3) Johann Christian Dieterich (f 1800), Verleger in Göttingen; bei ihm er-
schien u. a. der Göttinger musenalmanach und der Gothaer hofkalender.
4) Der vom geheimen rat und Präsidenten des oberappellatiousgerichtes zu
Cassel von Canngiesser besorgte: Collectionis notabiliorum decisionura supremi tri-
bunalis appellationum Hasso Cassellani inde ab ejus constitutione emanatarum T. I.
Cassel. 1768 fol. (vgl. Strieder, Hessische gelehrtengeschichte IL 1782, s. 12U).
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. I5D. XLIX. 5
66 CONSBNTIUS
Sobald ich etwas von Herder und Merk erhalte', follen Sie es haben. Ihren
Anftrag" an Hn. Casparfon- habe ich hel'orgt und bin Ihr verbundeufter
C[arfel,] den 18. Febr. 1770 H[öpfner].
Boie hatte also schon früher Klopstocksche i^edichte an Höpfner
gesandt. Wo Boie nun erfuhr, dass eine Sammlung für den kreis
des Darmsfädter hofes geplant war, oder wo seine abschriften aus-
drücklieh für diese Sammlung gefordert wurden, eine Sammlung, die
doch zum mindesten handschriftlich verbreitet werden sollte (dass
Klopstock durch seine 'spione' von dem unternehmen kenntnis er-
halten würde, war sicher !j, war er mit weiteren mitteilungen zunächst
zurückhaltend. Boie gab aber selbst den Göttinger musenalmanach
heraus. Die beitrage, die ihm die Darmstädter dazu geben konnten,
und die er seinerseits nicht gerne missen wollte, dienten mit dazu.
Boie gegenüber den Wünschen des hofes gefügig- zu machen.
Höpfner, der es mit seinem auftrage eilig hatte, sehrieb wieder:
Theuerfter Freund
falt fürchte ich, dals der Brief au Sie, den ich an die beyden Herrn Engländer
l'chickte, welche neulich hier waren, nicht richtig beftellt worden ift. Dann fonft
hätte ich veriuuthlich fchon Ihre Antwort erhalten. Ich will Ihnen alfo kurz wieder-
holen was ich damals fchrieb. Herr von Hefs ift Premier-Minifter in_ D[armftadt]
und Curator der Univerfität Giefen. Ob K[lopftock] feine Spionen in D[armftadt]
hat, weifs ich nicht. In Giefen wird er leider künftig- drey haben. Dann Barth-''
und der Theorien Schmidt* find wirklich Profeffores dort geworden. Ich bat Sie
Hn. Dietrich über diefe 2 Fragen zu vernehmen: ob er fich das hon[or]ariitm für
meine Ueberfetzung in den Gött[inger] Anzeigen habe bezahlen laffeu, und ob er
mir den Gefallen erzeigen wolle, eine Anzahl Exemplarien der hiefigen Oberappel-
l[ations]decifionen in Commiffion mit auf die Leipziger Meffe zu nehmen und wieder-
hole diefe Bitte del'to angelegentlicher, da ich den 22. Merz von hier abreil'e, und
gerne mit Dietrich vorher abrechnen wollte.
Noch eine Neuigkeit: auch Fromman und Schumacher lind nach Giefen vocirt.
Ich fehe Ihrem Briefe mit Sehnfucht entgegen
C[alfel,] den 28. Febr. 1770. H[öpfner].
1) Boie hatte schon für den ersten Göttinger musenalmanach durch Höpfner
fabeln von Merck erhalten ; vgl. Weimarisches Jahrbuch III, 1855, s. 20.
2) Casparson, J. W. Chr. G., professor am Carolinum in Cassel. Auch mit ihm
stand Boie in brieflicher Verbindung; vgl. Weimarisches Jahrbuch III, 1855, s. 29.
Casparson verfasste u. a. : Theutomal, Herrmauns und Thusneldens Sohn, ein Trauer-
spiel in 3 Aufzügen, Cassel 1771 ; vgl. Strieder, Hessische gelehrtengeschichte II,
s. 135. Dies stück fehlt in der Übersicht, die Muncker in seiner Klopstock-biographie
über die Hermann-dichtung gibt.
3) Bahrdt, Carl Friedrich (1741-1792).
4) Schmid, Christian Heinrich (1746—1800) ; seine Theorie der poesie erschien
1767; Schmid war am Leipziger (Dodsleyschen) musenalmanach, dem konkurrenz-
unternehmen zum Göttinger almanacb, beteiligt.
AIS HEl.NKK II cmUslIAN HOIE.S NACHLA.SS 67
CalM den 19. Oct. 1770
Hier haben Sie, geliebter Freund, die Mufik zu dem folüario bosco * pp. Die
Fabeln des Hn. Merk würde ich Ihnen dabey gefchiekt haben, wann Sie mir in
einem Ihrer vorigen Briefe etwas davon gefchrieben hätten. Dann aus Ihrem Still-
fchweigen schlieffe ich, dafs Sie, diefes Jahr wenigftens, keine davon zum Aimanach
brauchen. Sinngedichte habe ich noch nicht von Darmftadt erhalten. Ich dächte,
wann Sie fich felbft die Mühe gäben, ein Briefchen darum zu fchreiben das möchte
wohl noch etwas helfen. Doch will ich nicht gut dafür feyn. Dann feit dem der
Mann KriegszablmeiCter ilt, ift er ich weifs nicht fo faul, oder gleichgültig oder
befcheideu, dafs ihn der Autorruhm im mindeften nicht mehr rührt.
Ihrem Freund S.- ftehet fein Hang zur Debauche, wovon man bey weiter ein-
gezogener Kundfchaft, erfahren hat, liauptfächlich im Wege. Am Ende freylich,
wann man keinen Mann der l'chon eine etablirte Reputation hat, (dann diefs wünfcht
man fehr) bekommen kann, fo möchte wohl Herr S. die meifte Hoffnung haben, und
jener Fehler würde in der Hoffnung der Correction, überfehen werden.
Sie wiffeu doch, dafs Sie mir eine Abfchrift von Klopftocks Ode an feine
Freunde ^ verfprochen haben ? Wann Sie Ihr Wort hübfch halten, und auf meine
Rechnung bey Dieterich noch einen blos gehefteten Almau;ich fich für mich wollen
geben laffen, fo kann ich Ihnen vielleicht einige poetifche Beyträge von meinem
Freund Zimmermann* verfchaffen, der mir dergleichen verfprochen hat, wann ich
ihm nur einen Begriff von der eigentlichen Einrichtung Ihres Calenders geben wollte,
und diefs kann icli nicht beffer als wann ich ihm denfeJben felbft fchicke.
Hn. Rafpe^ erwarten wir alle Tage. Ich bin fehr begierig, nt euin ftv-
diom — — — Xarratitem loca, facta, nationis, vt »tos eft J'uns —
Schreiben Sie einem doch ein bischen von Ihren Umftänden, ob Sie in Göt-
tingen bleiben, oder wohin Sie Ihren Stab fetzen werden.
Ich bin unverändert ganz der Ihrige
Höpfner.
Ein hlefiger guter Compouift möchte gerne feinen Nahmen im 3Iufenalmanach
lefen. Haben Sie nicht ein Lied, das fie durch ihn wollten componiren laffen?
(Adresse:) A Monsier Monsier Bote Candidat en droits j)(ir occafion.
ff Goettingen.
1) Die Hamburgisclie neue zeitung 1769, f)2. stück vom 8. april, hatte P, Rollis
gedieht: Solitario bosco ombroso . . . abgedruckt, eine prosaische Übersetzung dazu
gegeben und darauf hingewiesen, dass der italienische text eine komposition verdiene.
Eine gebundene Übersetzung in Luise Mejers sammelbuch blatt I9>i, mit Varianten
im Vossischen musenalmanach 178i>, s. 82; vgl. auch Weinhold, Boie, 1868, s. y29 f.
und Weimarisches Jahrbuch III, iHö.ö, s. 17, 19 f.
2) Ist Boies freund Matthias Christian Sprengel (1746-1803) gemeint? Sprengel
war ein schüler Schlözers, wurde professor in Göttingen und später in Halle. Am
1. februar 1780 schrieb Dohm an Boie: Sprengel sei ganz misanthropisch und habe
den wein abgeschworen. Dohm fügte dieser meidung bezeichnend hinzu: 'credat
Juda-us Apella.'
3) Vgl. Boies 2. sammelbuch nr. .'05; Muncker und Pawel 1, s. 8; Darmstädter
ausgäbe s. 114.
4) Zimmermann, Christian Heinrich (1740-1806), prediger und Superintendent;
er war nach Strieders Hessischer gelehrtcngeschichte, Bd. 17, 1819, s. 353, besonders
mit Sinngedichten sowohl am Göttinger wie am Leipziger musenalmanach beteiligt ;
auch am Neuen Darmstädtischen gesangbuch für die hofgemeinde (1772) hatte er anteil.
51 Rafpe, Rudolf Erich (1737-l794j; mit ihm stand Boie in briefwechsel;
vgl. Woimaiisches jahibiieh III. 1855. s. 13—41.
5*
68 (lONSBNTIUS
C[affel,] den 7. Nov. 1770
Liebfter Freund
Ich fchickte Ihnen neulich eine Compofition des J'olitario bosco pp. zu Ihrem
Mufenalmauach. Geftern aber lagt mir der Compositeur dafs diel'e Mufik eigentlich
für die Harfe gefetzt fey und mit accompagnement gefpielt werden muffe. Für das
Ciavier und die Singftimme gefetzt wollte er mir das §tück zum Almauach mit-
theilen, wann ich ihm verfpräche, dafs es nicht ohne den italiänifchen
Text gedruckt würde. Ohne Ihnen alle die Gründe anzuführen die er bey
diefer Bedingung hatte, fchicke ich Ihnen, was ich bekommen habe, und überlaffe
Ihnen, ob Sie es für fchicklich halten in einen teutfchen Mufenahnanach ein italiäui-
fches Lied zu fetzen. Ich dächte wann Sie eine gute Ueberfetzung beyfügten, und
in einer Anmerkung dem Lefer fagten dafs die Mufik eigentlich auf die italiänifche
Worte gefetzt sey pp. pp. fo würde Niemand was zu erinnern haben.
Die Grazien lafs ich eben unferm Effen und Webern vor, als ich Ihren
lieben Brief erhielt. Sie verdienen Ihre Lobfprüche. Aber wie mir die mariaye des
Schlafs und der Pafithea gefällt:' Wie fie mir im Homer ^ gefallen hat, wie fie
einem gewiffen Mr. Co/tar gefallen hat, deffeu fchalkhafte Anmerkungen Sie bey dem
Bayle*, articl. Th om as {yxünn mich mein Gedächtnifs nicht betrügt) lefen können.
An Hn. Merk habe ich gefchrieben, und ihm zugleich Ihren Brief gefchickt.
Er [chickte mir neulich beyliegendes Stück, das ich mir zurück erbitte, und ver-
ficherte mich es fey von Klopftock. Der Ton darin aber fcheint mir fo wenig
Klopftocks Ton, dafs ich feiner Verficherung nicht fehr traue. Was halten Sie davon?
Thun Sie mir doch die Gefälligkeit und fragen bey Dietrich, ob er nicht neu-
lich einen Brief von mir erhalten habe, worinn Beyträge zum Gothaifchen Caleuder
gewefen? Ich weifs nicht warum ich auf diefen Brief von ihm keine Antwort
bekomme. Dann einen zweyten' hat er mir beantwortet.
Haben Sie dann wohl die Gütigkeit gehabt die Harrifonifche Gefchichte in
die Göttingifche Unterhaltungen einrücken zu laffen, oder ift ein Anftand bey der
Sache. Ich möcht es aus dem Grunde wiffen weil ich Dietrichen mit dem Jionorrm'o
eine kleine Bücherfchuld abtragen wollte.
Ich bin ganz d[er] Ihrige
Höpfner.
Liebfter Freund
Hr. Dieterich hat mir die Almanache für Hn. Merk und Gasparfon zugefchickt,
Beyde werde ich richtig beftellen. Hr. D[ieterich] aber fchreibt mir: 1. Stück
erfolget für Ihnen von wegen Hn. Bote. Diefes Stück war nicht in dem
Paquet, fonderu : nur die 12 mir zu verkaufen gefchickte Exemplarien. Ich werde
alfo nur 11. zu verrechnen haben. Seyn Sie doch fo gütig diefes Hn. D[ieterich]
zu sagen.
Nunc aufculta et perpeiide
Ich habe — was dächten Sie wohl? — eine Ode von Klnpgtock? Das ift etwas,
aber Sie haben doch nicht alles errathen. Seine allerneuefte Ode befitze ich, die er
an Herdern, Herder an Merk, und dieser an mich gefchickt hat, ein Stück, das fich
von allen bisherbekannten Klupftockifcjien Oden auf eine aufferordentliche Art unter-
fcheidet. Den Inhalt wollen Sie wiffen? Nicht fo mein Freund. Sie haben mich
1) Wieland, Die grazien, Leipzig 1770, s. 182 ff. = Werke, bd. X, 17t 5, s. 11-1 ff.
2) Ilias XIV, 264 ff
3) Bayle, Historisches und kritisches Wörterbuch, hsg. von Gottsched IV,
Leipzig 1744, s. 3(ii3.
AUS HEINRICH CHRISTIAK BOIES NACHLASS 69 ^
lange genug zappeln laffen. Diefsmal muffen Sie geftraft werden. Schicken Sie
mir die Ode au die Freunde, ' fo follen Sie mit der nächften Poft mein Stück be-
kommen. Ich rufe noch einmal ftärker als vorhin
anfcidta et j^erpende
Merk hefitzt eine grofe Menge Balladen Lappländifche Lieder, überfetzte Lieder aus
Shakefpear pp. pp. von Herdern, wovon Sie vieles haben follen wann Sie aus Ihren
Archive etwas herüeben wollen, und mir zugleich die Romanze Jupiter und Europa'^
baldmöglichft fchicken. Mag Sie meine Nachricht immer ein wenig unruhig gemacht
haben. Es hängt nur von Ihnen ab, diefe Unruhe zu endigen. Grüffen Sie mir
Ihren lieben kleinen Lycidas quo tepebant virgines omnes, et niox mox calebunt.
Ich umarme Sie und bin von ganzem Herzen Ihr Freund
Gaffel den 8L Januar 1771. H[öpfner].
Bitten Sie doch Hn. Dietrich dafs er mir endlich einmal auf verfchiedene
Fragen meiner vorigen Briefe antworten, und den Catalogus feiner englifchen Bücher
fchicken möge. Der Mann ift doch warlich unverantwortlich nachläffig.
(Aih-esse:J A Monsieur Mon/ieiir Bote caadidat en droits
franco ä Goettingen.
Liebfter Freund
Heute bekommen Sie einen fehr laconifchen Brief von mir. Hier ift die Ode
von Kl[opftock]. Der Anfang ift wahres Mefopot;imifch für mich. Es foil mir lieb
feyn wann Sie ihn verftehen. Aus Herders und Merks Archiv kann ich Ihnen nicht
ehe etwas fchicken, bis Sie noch Klopftockifche Oden herausgeben. Befonders wünfcht
man die: am Thor des Himmels ftaud ich,^ aus den Zürchifchen freymüthi-
1) Vgl. Boies 2 sammelbuch nr. 505; Darmstädter ausgäbe s. 114. Herdern
war dic'^e ode bei erscheinen der Darrastädter ausgäbe neu ; vgl. Herder und Karo-
line Flachsland I, Erlangen 1817, s. 21U.
2) Vgl. Bürgers gedichte, hsg. von Consentius, 2. aufl., 1915, 1, s. 129, II, 8.285.
3) Vgl. Darinstädter ausgäbe s. 1H4. — Die ode wurde seinerzeit fast allge-
mein für Klopstockisch gehalten. Die deutung der Überschrift: 'An Meta' auf Meta
Moller (vgl. Almanach d. deutschen musen, Leipzig, a. d. J. 1772, s. 1U9, auch Herder
und Karoline Flachsland I, Erlangen 1847, s. 46j ist falsch. Das gedieht ist auf
Klopstocks Fanny zu beziehen, die im himmel — entspi'echend Klopstockschen Vor-
stellungen — einen anderen namen trägt; ihr himmlischer name heisst bezeichnend:
Meta = das ziel; nämlich das ziel aller liebeswünsche Klopstocks. An sich würde
die himmlische vision, um die es sich in der ode handelt, in den gedankenkreis
Klopstocks passen: vgl. z. B. Lappenberg, Briefe von und an Klopstock 18()7, s. 99 f.
Die psychologischen gründe, die Richard Hamel (Klopstocks werke, 3. bd. = Deutsche
national-literatur, 47. bd., s. XXIlIf.) gegen Klopstocks autorschaft geltend machte,
besagen gerade bei Klopstocks Vorliebe für lyrische konstruktionen wenig oder —
wo die ode nicht auf Meta Moller zu beziehen ist — gar nichts. Erich Schmidt,
Beiträge 1H8(), s. 9, dem Boies bestimmtes zeugnis, das auf Heinrich Fuessli als Ver-
fasser hinweist, nicht entgangen war, schwankte trotzdem und hielt Klopstocks Ver-
fasserschaft für möglich, und Herder sah in Klopstock den dichter der ode (Herder
und Karoline Flachsland I, 1847, s. 169; Briefe an Joh. H. Merck von Goethe, hsg.
von Karl Wagner 18.'<5, s. 21).
Im sammelbuch der Luise Mejer blatt 53» lautet die Überschrift: 'Ode an
Meta von Klopftock'. Ihr text wiederholt sämtliche Varianten der Boieschen nieder-
schrift aus Boies 2. sammelbuche, wo das gedieht unter nr. 791 ohne Klopstocks
namen gebucht ist. Luise Mrjer hat ihrer abschrift Klopstocks namen hinzugefügt.
Jedenfalls ist Boies niederschrift nicht die quelle für die Darmstädter aus-
gäbe. Hole hat dies stück — obwohl er es damals besass — nicht zur Sammlung
der landgräfin beigesteuert; oder sandte er es wirklich, dann folgten die Darmstädter
einer anderen, aber nicht seiner abschrift.
70 CONSENTIUS
gen Nachrichten von 1748 oder 1750, luicl du frage ft mich, ob ich dich wie
Meta liebe' zuhaben. 'Lieder aus dem Off ian, Shakefpear Ballads, Elegien, Sere-
'nadeu, altdeutfche Fabeln und [die] andern merkwürdigen Stückchen zwifchen Her-
'dern und mir, foU Hr. Boie haben, fobald man fieht, ob er auch etwas geben will.
Muncker, Klopstock, 1888, s 280, berief sich auf Boies zeugnis (vgl. C. F. Gramer,
Klopstock. Er; und über ihn, bd. III, 1782, s. 479) und lehnte JKlopstocks autorschaft
ab. Demgeniäss schlössen 3Iuncker und Pawel das gedieht von der odensammlung
aus. Mit recht! (Vgl. auch Seufferts Vierteljahrschrift 5, 1802, s. 64 f.)
Für die giltigkeit des Boieschen Zeugnisses C. F. Gramer gegenüber spricht
auch eine notiz in : Heinrich Fuesslis Sämtlichen werken nebst einem versuche seiner
biographie (Zürich, 1807. In der kunsthandluug'von Fuessli u. Gompagnie), die ich
heranziehe. Dort heisst es über Heinrich Füssli auf s. IV: 'Bodmer hatte ihn, wie
Andre, für die Poefie, die patriarchalifohe, geworben; mit Klopftocks Gedichten war
er I'chon bekannt, und fo in diefelben verliebt, dafs er durch öfteres Lefen ganze
lange Stellen auswendig wui'ste; ja er hatte fich fo fehr in Klopftocks Ton hinein
ftudirt, dafs er einige Jahre hernach eine Ode an Meta, als ob fie von Klopl'tock
wäre, in dem kritifchen Wochenblatt: die Freymüthigen Nachrichten, be-
kannt machte, wodurch alle Kenner und Liebhaber der Poefie, vorzüglich die Be-
_wunderer Klopstocks (nur zwey von Fuefslis Freunden nicht, die um das G.eheimnifs
Avufsteu), getäufcht wurden.'
Also wird Klopstock — trotz Herder — nicht als Verfasser der ode Au Meta
zu gelten haben.
Gegen Klopstock spricht auch die Überlieferung in Boies 2. sammelbuche.
Dort steht die ode am Schlüsse einer kleinen gruppc, die Fuesslische gedichte bringt.
Nämlich, im 2. sammelbuche ist von Boie eingetragen unter nummer:
7»8 Germanicus und Thusnelda. Germanicus. Bist Du, wie es dein Blick,
dein ftolzer Anstand . . .
789 Thusnelda. Hier, bey Wodans Altar, wo zehen Maedchen . . .
790 Thusnelda. Wo verziehet der Held ? sein trunknes Schwerdt wo .''...
791 Ode au Meta. Am Thor des Himmels stand ich, und wollte schon . . .
Als quelle, aus der Boie schöpfte, führte er die Zürcher Freymüthigen Nachrichten
von 17(iO an.
Das bei Boie unter 788 gebuchte gedieht sah auch Herder nicht für Klop-
stockisch an. Herder schrieb am 2ü. September 177u an Karoline Flachsland: 'Her-
mann [sie!] und Thusnelda hab' ich: fie ift aber vom alten, garftigen Bodmer und
Ihrer Hand nicht Averth'. (Vgl. Herder und Karoline Flachsland I, 1847, s. 65.) Dem-
entsprechend ist in dem für Karoline bestimmten exemplare der Darrastädter aus-
gäbe von alter band neben das gedieht s. 37 geschrieben: 'ift von Bodmer'. — Fuesslis
autorschaft wird wieder durch das zeugnis Boies C. F. Gramer gegenüber sichergestellt.
Vgl. auch Seufferts Vierteljahrschrift 5, s. 59, 64.
Für Boies nr. 790 nahm Erich Schmidt, Beiträge s. 77 ff., Klopstock als dichter
in anspruch und setzte diefe 'melodramatische szene' ins jähr 1767, d. h. in die ent-
stehungszeit von Klopstocks Hermanusschlacht. Muncker, Klopstock, 1888, s. 382, schloss
sich Schmidt an. So steht das gedieht auch bei Muncker und Pawel, Klopstocks
öden, 1889, I, s. 206. Dagegen : Seufferts Vierteljahrschrift 5, s. 64 f. Bei der chrono-
logischen anordnung in Muncker und Pawels ausgäbe ist die ode jedenfalls zu spät
angesetzt; denn bereits 1760 lag sie gedruckt vor. Die an die falsche datierung
geknüpfte folgerung: es handle sich um eine eigene Variante Klopstocks zur Her-
mannsschlacht, ist unhaltbar. Bei der vorhandenen Verwandtschaft ergibt sich viel-
mehr die frage: inwieweit ist Klopstock durch die Zürcher Freymüthigen Nachrichten
für seinen Bardiet beeiuflusst? •
Boies nr. 791, die ode: An Meta, muss — wo Fuessli der Verfasser war - als
eine parodie der Klopstocksclien Fanny-oden gelten, während Fuesslis gedichte, die
sich mit dem Hermann-stoffe beschäftigen, als ernst gemeinte leistungen anzusehen
sind. Über Fuesslis Stellung zu Klopstocks lyrik vgl. Briefe an Job. H. Merck von
Goethe usw., 1835, s. 58 ff.
1) Vgl. Boies 3. saramelbuch nr. 110; Muncker und Pawel I, s. 151. Fehlt der
AU.s HEINRICH CHRISTIAN BOIES NACHLA.SS 71
So rchreibt M[ert;k]. Wonach man lieh zu achten. Wir bleiben Euch in Gnaden
gewogen
C[affel,] den 4. Febr. 1771. H[öpfner].
Von der überl'chickten Ode fehlen mir noch die Strophen von: Schon ruft
dich — bis: Haffer der Thorheit.' Ich erbitte mir fie alfo nächftens.
Vergleicht man das datum der beiden zuletzt abgedruckten und
des folgenden briefes mit dem erscheinungstermin der Darmstädter
ausgäbe, so erkennt man, wie der geheimrat von Hesse und die Darm-
städter noch zuguterletzt anstrengungen machten, ihre Sammlung durch
Boies schätze zu bereichern.
Der folgende brief zeigt wieder, dass Boie bedenken hatte,
Klopstocks öden aus der band zu geben. Diese bedenken wären bei
Boie nicht verständlich, wenn es sich nur darum handeln sollte, dass
die landgrätin die öden des dichters allein für ihre eigene lektüre
verlangt hätte. Hatte doch Boie, wie sich aus dem ersten der mit-
geteilten briefe von Höpfner ergibt, diesem verschiedene Klopstocksche
gedichte übersandt^. Es war auch allgemein üblich, fremde und un-
gedruckte gedichte abschriftlich an gute freunde weiterzugeben. Man
tat es, indem man die bitte daran knüpfte, die gedichte nicht weiter
aus der band zu geben : durch diese bedingung, die man stellte,
glaubte man sich genügend zu decken. Boie wusste aber aus Höpfners
und von Hesses briefen, dass die fortgesetzten bemühungen der Darm-
städter mehr bezweckten, als nur der regierenden Landgräfin eine
abschrift der öden, um sie persönlich zu erfreuen, zu überreichen !
So naiv, um das zu glauben, war Boie gerade nicht. Boie wusste:
Klopstocks öden waren schätze, die sorgsam verwahrt werden mussten,
'wo Räuber fremder Güter von allen Seiten lauern und ein Geheimer
Rath fich an die Spitze einer Bande ftellt, die alles was fie weglagern
kann, für gute Prife hält. Und fie ift nocli lang- und vielarmigt,
diefe Bande' ^. Das schrieb Boie bereits am 7. Oktober 1769 an
Raspe, also bevor sich Hesse an Boie gewandt hatte. Boie kannte
aus erfahrung den missbrauch, der beim freundschaftlichen austausch
Darmstädter ausgäbe, weil Boie diese ode damals noch nicht besass. Vgl. Mit-
teilungen aus dem literaturarchive iu Berlin III, 1901—05, s. 32-1, 326.
1) Die im vorigen briefe genannte ode: Auf meine Freunde (Muncker und
Pawel I, s. 8f.). Höpfner - oder der Darmstädter kreis - muss von dieser ode,
ausser der von Boie gesandten, noch eine andere, abweichende abschrift vor sich
gehabt haben; denn Höpfner zitiert den anfang der in Boies übersandter abschrift
fehlenden partie.
2) Vielleicht war Boie früher bei der mitteilung Klopstockscher öden zurück-
haltender gewesen; vgl. Zeitschr. d. gesellsch. f. schleswig-holsteinische gesch., 28. bd..
1898, s. .811.
3) Weimarisches Jahrbuch III, 1855, s. 19.
72 CONSENTIU.S
fremder gedichte getrieben werden konnte. Daher seine Zurückhaltung-,
die erst durch bitten und Versprechungen, durch gegengaben und
allerlei aussichten für seine zukunft überwunden werden musste.
Höpfner schrieb:
Liebfter Freund,
In diefem Augenblick erhalte ich beyliegenden Brief des Hn. Geheimenraths
Heffe in Darmftadt. Laffen Sie diefen braven Mann, der Ihnen in andern Gelegen-
heiten Gegengefälligkeiten erzeigen kann, keine Fehlbitte thun. Dafs Sie nichts
mehr von K[lopftock] haben dürfen Sie nicht vorgeben. Dann Sie find fchon durch
mich verrathen worden. Und was können Sie auch für Bedenklichkeiten haben die
Oden herzugeben. Klopf tocks Einwilligung, wann er wüfste, dafs eine Fürftin, die
felbft den Homer in der Grundfprache lieft, feine Oden verlangt, ift höchft wahr-
fcheiulich. Wiffen Sie dann fchon dafs ich Profeffor in Giefen werden foll. Heute
ift mir die follenne Vocation zugefchickt worden. Gott weifs was ich für einen
Entfchlufs faffen foll. Sie find doch wieder gefund? Ich denke ja. Viele freund-
fchaftliche Grüfe von Eafpe und Effen. Ich bin ganz d[er] Ihrige
C[affel,] den 11 Febr. 1771. H[öpfner]..
Boie spendete wieder aus seinen sammelbüchern.
Als die Darmstädter ausgäbe im märz 1771 erschien, sprach
Herder - neben berechtigter kritik - seine laute freude über das neue,
das die Sammlung ihm brachte, aus. 'Die 5 letzten Oden find mir
ganz neu' - schrieb er '. Diese öden, für die Muncker und Pawel
keinen früheren druck nachweisen, stammen aus Boies zweitem sammel-
buche, nämlich :
Darmst. ausgäbe s. 149 An Herrn Gleim. 1752 ; Boies zweites sammelbuch nr. 503 ;
Muncker und Pawel I, s. 102.
„ „ s. 152 Die Chöre. Im Jan. 1767; Boies zweites sammelbuch nr. 577;
Muncker und Pawel I, s. 191.
„ „ s. 155 Ode; Boies zweites sammelbuch nr. 579;
Muncker und Pawel I, s. 164.
„ ., s. 157 Der Tod. Im März 1764; Boies zweites sammelbuch nr. 576;
Muncker und Pawel I, s. 157.
„ „ s. 158 Siona ; Boies zweites sammelbuch nr. 578 ;
Muncker und Pawel I, s 166.
Die Varianten (abweichungen in der Interpunktion, flüchtigkeiteil,
Umstellungen einzelner woHe, lese- und Schreibfehler) fallen unter die
von Herder an der ausgäbe gerügten mängel ; sie werden durch die
art, wie diese Sammlung entstand, erklärt oder entschuldigt.
Auch die in der Darmstädter ausgäbe auf s. 144 diesen fünf
stücken vorausgehende 'Eisode' (Muncker und Pawel I, s. 215: Die
Kunst Tialfs) ist auf Boies niederschrift im dritten sammelbuche unter
nr. 60 zurückzuführen. Neben orthographischen abweichungen und
1) Briefe an Joh. Heinr. Merck von Goethe usw., 1835, S.-22.
AUS HEINRICH CHRISTIAN BOIES NACHLASS 73
geänderter interpimktion zeigt der druck gegenüber der Boieschen
abschrift nnr geringfügige textliche Varianten \ Die Darmstädter aus-
gäbe beruht nicht etwa auf der zweiten aufläge des 'Hypochondristen'.
(Muncker und Pawel I, s. 215, ^eben die reihenfolge der drucke falsch
an.) Denn diese erschien später als die Darmstädter Sammlung^
und hat erhebliche abweichungen gegenüber der Boieschen niederschrift ^
und der Darmstädter ausgäbe.
- Also : Da Boies nr. 60 in seinem dritten sammelbuche die quelle
war, sind sämtliche eintragungen bis hin zu dieser nummer vor das
erscheinen der Darm«tädter ausgäbe, vor den niärz 1771, anzusetzen.
Aber auch nur die eintragungen bis hin zu dieser nummer ! Denn
nr. 62 im dritten sammelbuche: Ode an Slella (Die Glücksgebohrnen
alle hab ich gesehn . . . *, vgl. auch Louise Mejers sammelbuch blatt 5 a)
hat Boie aus dem Wandsbecker bothen 1771 nr. 73 vom 7, mai über-
nommen.
Boie gehörte trotz seines erheblichen anteils an dem Darmstädter
drucke nicht zu den 'heiligen Vierunddreissig', für die die Darmstädter
ausgäbe bestimmt war. Als der bevorzugte kreis die öden und elegien
bereits ein Vierteljahr in der band hatte, schrieb Höpfner an Boie:
Giefeii den 29 Juu. 1771.
Liebrter Freund
Alfo das erftemal von Giefen aus. Leider von Giefen! Nicht als ob ich nicht
gefuud, ruhig und verforgt wäre. Nein das bin ich. Brod und Zugemüffe, auch
Wein quantum fatis ad faporem habe ich. Aber alles andere, was noch aufferdem,
— und das ift noch ziemlich viel — zu einem zufriednen glücklichen Leben gehört,
fehlt mir gänzlich. Stellen fie fich vor dafs ich au einem Orte lebe wo kaum zwey
Leute von Gefchraack find, und kein einziges DicertiJ'fement möglich ift, das ich
genieffen möchte, wo ich fern von meinen Freunden, und ohne Hoffnung ei«en neuen
an dem Orte zu finden lebe, kurz ein Leben ftellen ^ie fich vor, das von den vorigen
6 feeligen Jahren, die ich in dem theureu unvergefslicheu Caffel lebte, l'o weit unter-
1) Die Darmstädter besasseu von der Eisode bereits eine andere abschrift von
Herder (vgl. Herder und Karoline Flachsland L l-^-i?, s. 204). Der druck der Darm-
städter folgt aber nicht der Herderschen abschrift; denn Herdern wollte angeblich
erst durch den späteren druck im Hypochondristen der sinn dieser ode verständlich
Averden! (Briefe an und von Joh Heinr. Merck. 18B8, s. 35 f.)
2) Briefe an und von Joh. Heinr. Merck, 1838, s. 35 f. ; Briefe aus dem freundes-
kreise von Goethe, Herder, Höpfner und Merck, 1847, s. 27; ferner Knebels brief vom
15. juni 1771 au Boie in dessen nachlass.
3) Boie besass die 'Eisode' vor dem druck im Hypochrondisten ; vgl. Knebels
literarischer nachlass II, 18:-i5, s. 98.
4) Dies gedieht stammt von Friedrich Schmit :1744-1813); vgl. Kedlich.^Die
poetischen beitrage zum Wandsbecker bothen (programm), Hamburg 1871, s. 17.
Der eintrag ur. dl im 3. sammelbuche kommt hier nicht in betracht; der gibt
abschriftlich ein französisches epigramm mit dem verweise auf: 'Panard. Xouv. Auth. tr.
74 CONSENTIUS
fchiedeu ift, als Homer und 8chünaicli, Leffing luid Klotz, In wilTen Sie meine jetzige
ganze Situation. Aber nun fey genug geklagt.
Ich mufs Ilinen etwas erzählen. Sie willen doch dal's man in Darmft[adt]
Klopftocks Oden gedruckt hat, lUmal zwar nur, aber doch ohne Ihr und mein Vor-
wiffen, und ohne Zweifel auch gegen Ihren Willen. Indeffen es ift gefcheheu und
ich bitte Sie nur mir die Gerechtigkeit wiederfahren zu laffen und von mir zu
glauben, dafs icii weder von d[er] Sache etwas gewufst noch den raindeften Theil
daran genommen habe. Sollten Sie kein Exemplar bekommen liaben fo könnte ich
Ihnen die Stücke, die Sie noch nicht befitzen z. E. eine berrliche Ode Petrarch
und Laura* fchicken.
Hr. Schmidt- ift liier, lebt wie eine Eule in feinen vier Mauern, giebt und
nimmt keine Vifiten fchreibt tapfer teutfch und lateinifch, und fammelt fleifig zum
Mufenalmanache. Ift Ihnen etwas daran gelegen fo kann ich Ihnen feine lateinifche
Programmen fchicken. Nur will ich Sie bitten feine Schreib- und Druckfehler, oratio
aditio)taUs, haec partes, is ojwrtet, oiiiniiis poej'eos pp. nicht für Unwiffenheitsfehler
zu halten, und auszutrageu.
Hr. Bahrt hat angefangen über Benners ■' Moral zu lefen. Nachdem er aber
ungefehr 8. Stunden gelefen und in jeder den Herrn Verfaffer wacker ausgefilzt
hatte, find ihm die co)iimilitoiie.s honoratiffimi ■weggeblieben.
Seyn Sie grofsmüthig und antworten Sie mir eher als ich verdient habe.
Ich bin ganz der Ihrige
H[öpfner].
Ihre Briefe fchicken Sie nur mit einem Umfchlage Ä Mr. de Camiffie/fer*
Etndiant eii belles lettres a Cafsel: fo kann ich fie poftfrey erhalten.
Aus den Höpfnerschen briefen folgerte Weinliold. Boie s. 173 f.,
dass Boie wider wissen und willen anteil an der Darmstädter ausgäbe
gehabt; Weinhold sagt: Höpfner und Boie seien darüber im dunkeln
geblieben, dass die öden gedruckt werden sollten. Wohl g-erade
der zuletzt mitgeteilte brief Höpfners diente Weinhold als stütze für
seine ansieht. Aber Weinhold zog die möglichkeit nicht in erwägung',
ob etwa dieser brief ein Schriftstück darstellt, das Boien Klopstock
gegenüber gelegentlich zur rechtfertigung dienen sollte, wenn der
dichter wie zu erwarten war - kenntnis von der Darmstädter samni-
Ij Vgl. die Darmstädter ausgäbe s. 102 (Muucker und Pawel I, s. 48). Diese
ude sandte Herder am 30. august 1770 au Karoline Flachsland; ihr war sie damals
noch gänzlich unbekannt (Herder und Karoline Flachslaud I, 1847, s. 29, 50). In
Boies 3. Sammelbuche erst unter nr. 63 eingetragen. Dass Boies niederschrift in
diesem falle auf den druck der Darmstädter ausgäbe zurückgeht, ist bei wesent-
lichen textvarianten nicht gut anzuuehmen.
2) Schmid, Christian Heinrich (174(i-1800).
3) Benner, Johann Hermann (1699—1782), professor der theol. und Superinten-
dent in Giessen. Von ihm: Abhandlung einer theologischen moral, zum behuf aka-
demischer Vorlesungen, Giessen 1770.
4) Wohl ein söhn des geheimen rats und Präsidenten am oberappellations-
gerichte zu Cassel von Canngiesser, in dessen hause Höpfner, vor seiner Giessener
zeit und ehe er professor der rechte am Carolinum in Gassei ward, hofmeister
gewesen.
AUS HEINRICH CHRISTIAN BolEs NACIlLAss 75
luug- erhielte. Weinhold rechnete nicht mit der niög-lichkeit. dass dieser
briet", der eine gute weile nach dem erscheinen der ausgäbe geschrieben
wurde, auf bestellung abgefasst sein könnte.
Diese möglichkeit bleibt allerdings zu erwägen. Denn die von
Höpfner so stark betonte angebliche Unkenntnis über die absiebten
der Darmstädter ist bei Höpfners Verbindung mit dem geheimrat von
Hesse und mit Merck verdächtig. Hätte Höpfner wirklich die absieht
gehabt, über den angeblichen missbrauch, d. h. über den druck, der
Boieschen abschriften sein erstaunen und seine missbilligung zu äussern
- er hätte damit schwerlich ein Vierteljahr gewartet!
Später liat sich Boie durch Herder ein exemplar der Darmstädter
ausgäbe selbst verschafft, das Herder nach jähren, nachdem Carl
Friedrich Gramer diesen privatdruck missbräuchlich benutzt hatte,
wieder zurückfordefl:e.
Boies beziehungen zu Klopstock suchte Herder auch nach er-
scheinen der Darmstädter ausgäbe zu nützen, indem er, und ebenso
seine frau, von Boie wieder neue mitteilungen über Klopstock be-
gehrten, als der den odengewaltigen in Hamburg besuchte. In dem
kreise, der sich seinerzeit um die landgräfin in Darmstadt geschart
hatte, war das Interesse an Klopstock und seinen dichtungen längst
nicht erkaltet, auch als diese Verehrer die echte, vom dichter selbst
veranstaltete ausgäbe seiner öden in der band hatten. Boie blieb
auch da noch für sie eine der reichsten quellen, aus der begeisterung
und neugier zu schöpfen suchten. Stammten doch nach Boies eigener
angäbe die meisten der bis dahin ungedruckten stücke in der Darm-
städter Sammlung aus seinem portefeuille ! Die textkritik wird des-
halb an Boies sammelbüchern nicht vorübergehen dürfen, wo Boie
die Darmstädter ausgäbe mit ungedruckten öden so bereichert hat.
Dem eben gesagten dienen einige briefstellen der Boie-Herder-
schen korrespondenz zur stütze, die ich hier anschliesse.
Boie, Göttingen den 19. april 1772, au Herder: '...Wie man die
Leute noch imverfchämter macht, je mehr mau Ihneu einräumt, lo erinuere ich noch,
dafs Sie mir die Darmftädtifche Sammlung von K[lopftock]'s Oden zu zeigen, und,
wo möglich, mir felbft ein Exemplar zu fchaffen verfprochen. . . .'
Herder übersandte Bolen ein exemplar der Darmstädter ausgäbe.
Herders frau, Bückeburg den 19. dezember 1773, an Boie;
li.nludimy zum besuch in Bückebury und dank für den übersandten almanach:
■. . . faramlen Sie nur Viel deun Sie müfsen uns Von Claudius u. Klopftock Viel
i.rzehlen — . . .'
76 CONSENTIUS
Herder, ohne ort [Bückeburg], ohne datum, an Boie; dessen
empfangsnotiz: den 5. märz 1774: 'Alfo wars alfo, dafs Sie vorbeireifen
mnften. Aber auch kein näher Wort von Kl[opftock] zu fchreiben, nicht zu
fchicken — es ist, als ob man Pyramiden gefehen u. nichts zu fich ftecken oder
mittheilen konnte.
A proposvou Klopft[ockJ. — Sie haben doch vor geraumer Zeit die Samml[ung]
Öden von Kl[opftock] erhalten, die in Darmftadt nachgedruckt worden. Es ift nicht
um fie zurückzuhaben, zu thun, fondern nur zu wifsen, dafs Sie fie haben. . . .
Meine Fr[au] können Sie fehr mit Etwas von Kl[opftock] erfreuen: Sachen u. Nach-
richt! Thun Sies doch ja in einer müfsigen Stunde . . .'
Diese beiden briefstellen beziehen sich auf Boies reise im de-
zember 1773, die ihn nach Hamburg und Flensburg und von Flens-
burg wieder zu Klopstock nach Hamburg führte. Reich beladen mit
Klopstockschen gedichten war Boie im februar 1774 nach Göttingen
zurückgekehrt.
Boie, Hannover den 27. januarl781, an Herder: '. .. Leider ift
Ihre Ahndung wegen Cramers eingetroifen. Er hatte das Buch in Göttingen hei
mir gefehen, u. plagte mich fo darum, dafs ich fchwach genug war feinen Bitten
nicht zu widerftehen, da ich ohnehin nichts dabei [zu] verfehen glaubte, indem von
den darin enthaltenen ungedrukten Stükken Abfchriften fonft exiftiren, und die
meiften, wie Sie wifsen, aus meihem Portefeuille kamen. Verzeihen Sie mir, liebfter,
diefe Indiskretion. Ich fchreibe mit nächfter Poft an Gramem und begehre das
Buch zurük. . . .'
C. F. Gramer, Klopstock. Er- und über ihn I, Hamburg 1780,
s. 222 f., hatte auf die Darmstädter ausgäbe, die er durch Boie er-
halten, hingewiesen und a. a. o. II, s. 280 auch 'Petrarka und Laura'
(]\Iuncker und Pawel I, s. 48), eine ode, die bis dahin nur in der
Darmstädter ausgäbe abgedruckt war, bekanntgemacht.
Boie, Hannover den 28. februar 1781, an Herder: '. .. Ich f ende
Ihnen hier Ihr Exemplar von Klopftoks Oden mit meinem heften Dank und noch-
maliger Bitte um Verzeihung zurük . . .'
Ein eigenes exeraplar des Darmstädter druckes hat Boie also
nicht erhalten. Was Weiuhold darüber sagt, ist irrig ^ Boie erhielt
nur von Darmstadt her einige beitrage für den musenalmanach''^, und
seine bemülmngen für die Darmstädter - Sammlung gaben ihm das
recht, gelegentlich dem herrn von Hesse seine aufwartung zu machen ^.
1) Weinhold, Boie 1868, s. 175.
2) A. a. 0. s. 250 f.
3) A. a. 0. 8. 70.
AUS HEINRICH CHRISTIAN BOIES NACHLASS 77
Und auf einen anderen Darmstädter druck aus eben der zeit sei
aufmerksam gemacht, den Goedeke und Muncker nicht nennen.
Als 'Neues Darmftädtifches Gefang-Buch für die Hof-Gemeinde.
Im Verlage des Wayfenhaufes. Darmftadt, gedruckt in der Fürftl.
Hof- und Canzleybuchdruckerey, durch Joh. Jac. Will, p, t. Factor ] 772'
erschien in oktavformat ein stattlicher band, der vier unbeziflferte Seiten
titel, vorrede und Inhalt, 378 Seiten liedertexte und zum schluss zwei
register und verschiedene gebete enthält. Dies gesangbuch bringt
unter anderem über sechs dutzend Klopstockscher geistlicher lieder,
teils eigene gedichte Klopstocks, teils von ihm umgearbeitete ältere
kirchengesänge.
. Als Klopftock seine 'Geiftlichen Lieder' (bd. 1 Kopenhagen und
Leipzig 1758, bd. 2 ebenda 1769) erscheinen Hess, sprach er in der
vorrede zum zweiten bände von seiner absieht, bald ein neues prote-
stantisches gesangbuch herauszugeben, das Cramers lieder und psalmen,
Funks lieder und die meisten von Gellerts und Schlegels liedern ent-
halten sollte. Nach Klopstocks plane sollte auch Basedow mit einigen
liedern vertreten sein, daneben etliche gesänge aus den neuen gesang-
büchorn übernommen werden, und natürlich durften Klopstocks eigene
geistliche lieder dieser Sammlung nicht fehlen. Dass Giseke zu früh
verstorben, der sonst dies" geplante gesangbuch bereichert hätte, be-
dauerte Klopstock ausdrücklich und forderte in der vorrede ötfentlich
Uz und die Karschin^ zu beitragen zu seinem gesangbuch auf -
Kurze zeit nach dieser aufforderung, bald nach der ausgäbe des
zweiten teiles seiner 'Geiftlichen Lieder', trat das Neue Darmstädtische
gesangbuch ans licht. Es stellt sich mit der reichen auslese Klop-
stockscher lieder, mit den sehr zahlreichen versen von J. A. Gramer,
Geliert und J. A. Schlegel, mit einigen gedichten von Uz, von F. W.
Zachariae und von N. D. Giseke dar als ein versuch, den von Klop-
stock ausgesprochenen gedanken zu verwirklichen, der den neueren
dichtem einen platz in den überkommenen, alten liedersammhingen
geben wollte, die dem religiösen gebrauche der protestantischen ge-
meinde dienen.
Ich begnüge mich mit dem hinweise auf diesen Darmstädter
druck, ohne den Varianten für Klopstock und andere dichter im ein-
zelnen nachzugeben. - Dieser druck zeigt, dass Klopstocks 'Geiftliche
1) Am fi. Januar 1770 schrieb Boie von Berlin aus seinen eitern: '. . . Klop-
ftock hat die Karfchin zu geiftlichen Gefangen aufgefordert. Sie nimmt die Auf-
forderung an, und ich glaulie, dafs fie ihr gelingen werden. Die erften Verfuche,
Kinderlieder, die fehr meinen Beyfall haben, ftehen in dem Mufen Almanach. . . .'
d. h. im Göttiuger musenalmanach auf 1770, s. Ifilft'.
78 NAUMANN
Lieder' in dem begeisterten kreise der Darnistädter jedesfalls keine
'gleichgiltige aufnähme', die Muncker im allgemeinen diesen versuchen,
nachsagt', gefunden. Die hofgemeinde Darmstadts bot für alles,
was von Klopstock kam, einen überaus empfänglichen boden ; sie
wusste in ihrem enthusiasmus anregungen des verehrten sängers die
praktische Verwertung zu geben. Dieser grosse enthusiasmus erklärt
- und rechtfertigt auch die Darmstädter ausgäbe der öden und elegien
von 1771.
r.ioiiMN. i:uNsr cgnsenth's.
MISZELLEN.
Zu 'Ludwigs kreuzfahrt'.
'Ludwigs kreuzfahrt' reiht sich literarhistorisch in einen engereu und in einen
weiteren Zusammenhang ein. Der eine, hauptsächlich von Baesecke in der ein-
leitung- zu seinem 'Wiener Oswakl' behandelte, führt das gedieht an den hof der
Schweidnitz-Jauerschen piasten, der andere an dessen grösseres vorbild, den hof der
böhmischen könige zu Prag. Beider beziehungen geschieht in unserem gedieht
erwähnung, der einen vers 1 ff. und vers 5570 ff. - mit der nennung des herzogs
Polke, der andern vers 5410 ff. mit dem grossen panegyricus auf die Przemisliden
von Wenzel I. bis Wenzel II. Von Prag her und den dort befolgten stiltendenzen
stammt zweifellos die Wolframsche mauier in unserem gedieht. Seit Jantzens
(Zeitschr. 3ö, s. 40 ff.) Zusammenstellungen kennen wir die starke bedeutung, die in
stilistischer beziehung Ulrich von Eschenbach, der böhmische hofpoet und
1) Muncker, Klopstock 1888, s. 307. — Erwähnt sei, dass der musikdirektor
in Magdeburg, Johann Heinrich Rolle, den Klopstock persönlich kennen gelernt, zu
einzelnen liedern kompositionen schuf, und zwar mit des dichters einwilligung. Denn
als Rolle seine subskriptionsaufforderung vom 1. Oktober 1774 erliess (vgl. z. b. Wands-
becker bothe 1774 nr. 160, 7. Oktober) und fünfzig geistliche lieder mit melodien, näm-
lich ausgewählte lieder von Klopstock, Geliert, Funk und Sturm, ankündigte, warb
unter anderen in Hamburg Johann Martin von Winthem in der Königsstrasse für diese
Sammlung um Unterschriften (Wandsbecker bothe 1774 ur. 170, 1775 nr, 1).
Der pastor Samuel Christian Lappenberg gab 1769 fünfzig alte und bekannte
kirchenlieder heraus, legte dabei Klopstocks arbeit zugrunde und verbesserte einzelne
lieder, denen Klopstock schon seine bemühung zugewandt (vgl. Hamburgische neue
zeitung 176^», 16B. stück, 16. oktuber).
Diese und andere drucke erwartet man in dem katalog von Klopstocks biblio-
thek, den Muncker, a. a. o. s. 551, erwähnt, zu finden. Leider sind Munckers angaben
ungenau. Am 19. februar 1H05 wurde nur ein teil der Klopstockscheu bibliothek
verkauft, und dieser teil der bibliothek, über den ein wenig sorgfältiges 'Verzeichnifs'
gedruckt wurde, umfasste nicht 771 nummern, sondern 870. Aus dem auktionskataloge
lernt man Klopstocks l)ibliothek, die doch etwas umfangreicher gewesen sein muss,
als Muncker angibt, nicht kennen. Ein exemplar des 'Verzeichnifs' befindet sich auf
der Hamburger stadtbibliothek (Katalog der Klopstock-ausstellung der Stadtbibliothek
zu Hamburg 19ü3 unter nr. 143).
2) Von vers 505 ab weicht meine Zählung (für die ueuausgabe in den Mon.
Germ, bist.) um 5 verse ab' von der von der Hagens, der sich hier verzählt hat.
Vers 5.570 bei mir ist also 5575 Itei von der Hagen und so fort.
zu 'LUDWIGS kkeizkaiirt' 79
grosse epigone Wolframscher kuust, für den dichter von 'Lud\\igs kreuzfulirt' besitzt.
Unser dichter selbst stammte offenbar aus dem Troppauer lande, dessen zumeist aus
Thüringen eingewanderten kolonisationsadel er genau kennt, darunter besonders
Ulrich 11. von Xeuliaus (kreis Olmütz). Das ungemein warme lob auf ihn
und sein gastliches haus (vers 1060 ff.) Uisst besonders enge beziehuug vermuten.
Gerade von Neuhaus aber führen die wege nach Prag an den hof und zur böhmi-
schen hofdichtung. Die hs. C des Ulrichschen 'Alexander' ist für Ulrich von Neu-
haus verfertigt (Alexander ed. Toischer s. IX). Man braucht die dinge nur in das
rechte licht zu rückeu, um sie ganz klar zu machen. Den stoff' zu seinem gedieht
empfieng unser dichter von dem thüringischen kolonisationsadel, dessen ahnherren
an des landgrafen Ludwig III. kreuzfahrt von 1189 und an der des laudgrafen Lud-
wig: J^V. von 1228 beteiligt waren ; beide fahrten und fürsten vermischen sich dem
dichter. Dem herzog Polke war wegen seiner Verwandtschaft mit den Ludolfingeru
dieser stoff nicht unangenehm. Vorbilder, höfischer stil, die romantische verliebe
für die Sarrazenen verraten die luft des böhmischen königshofes ; lässt sich doch
Wenzel IL selbst von Ulrich von Escheubach unter dem bilde 'Wilhelms von Wenden'
in heidnisch-sarazenischer Verklärung abkonterfeien ! Au das lob der Przemisliden
knüpft sich erneutes lob des Polke an : auch mit diesen war der herzog verwandt
(siehe unten). Indem der dichter seine sämtlichen mäzeue nennt und preist, Ulrich
von Neuhaus, könig Wenzel II. und herzog Polke, den auftraggeber des gedichtes,
hat er meines erachtens selbst den weg seines lebens gezeichnet.
Es fragt sich nur, welcher von den vielen schlesischen Bolkos unser herzog
Polke ist. Von Wilken und von der Hagen bis Baesecke identifizierte man ohne
ziu-eichende gründe den Polke mit herzog Bolko IL aus der Schweidnitz-Jauer-
Münsterbergischen piastenliuie, und besonders Baesecke stellte ihn in den mittelpunkt
eines blühenden schlesischen musenhofes. Aber wir werden sehen, dass mindestens
in bezug auf die 'kreuzfahrt' der rühm des mäzenatentums auf dieses Bolko gleich-
namigen vater Bolko I. übergehen muss.
Bolko IL ist nämlich frühestens 1298 geboren, vgl. Konrad Wutke, Stamm-
und Übersichtstafeln der schlesischen fürsten, 1911, tafel III; Zeitschr. d. ver. für
gesch, Schlesiens, 46. 163 ft' ; ja, wenn wir bedenken, dass sein ältester bruder auch
Bolko hiess, als knabe am 30. Januar 1300 starb und wahrscheinlich nach alter sitte
seinen namen erst dem neuen brüderchen vererbte, so kommen wir mit der geburt
beziehungsweise taufe Bolkos IL frühestens auf den februar des Jahres 1300. Nun
setzt man 'Ludwigs kreuzfahrt' gewöhnlich in die jähre 1301—1305. Aber ein
1— 5jähriges kiud kann nicht der anreger eines gedichtes sein; es kann nicht von
ihm in worten die rede sein, die auf eine längere und tatkräftige regierungszeit not-
wendig schliesseu lassen, und es kann nicht von ihm heissen: der gerehter sinem
rolke ist vor als ein tverlich man (5573) — auch bei sehr weitgehender Schmeichelei
nicht. Wäre man auf Bolko IL angewiesen, so müsste man sich an seinen selb-
ständigkeitstermin halten (22. nov. 1322) und käme auf 1325 vielleicht. Da nun
aber anderseits auch könig Wenzel IL, der am 2L juni 1305 gestorben ist, vers 5470
bis 5554 unzweifelhaft als lebender behandelt wird, so käme man von ihm aus den-
noch in die zeit vor 1305 und damit zu einem unlöslichen Widerspruch — wenn es
sich nicht vielmehr um Bolko L, den vater, handelte, den herzog von Jauer und
Schweidnitz und herrn von Fürstenberg. Wer sich über bedeutung und eigenscbaften
dipses fürsten bei St.enzcl, Geschichte Schlesiens s. 112, oder Grünhagen, Geschichte
Schlesiens I s. 121 ff., 126 ff., unterrichtet, der wird finden, dass unser dichter mit
80 NAUMANN
seinem lobe kein wort zuviel über ihn sagt. Es passt zu dem charakterbilde dieses
energischen mannes, dass er, wie er als erster schlesisclier fürst die ungeordneten
ländereien, einküufte und leistungen in genauer, peinlicher Ordnung verzeichnen liess,
so auch die berichte über 'Ludwigs kreuzfahrt' mer vernunftic haben wolde und be-
fahl, sie SU rehte zu berihten, in wärem r/ni verslihten und ordenlich zubringen sie,
als der edele furste die niht rehte geordent funden hat. Seine urgrossmutter Hedwig,
gattin Heinrichs L, war eine tante der landgräfin Elisabeth, daher die Verwandtschaft
mit den Ludolfiugern. Seine grossmutter Anna, gattin Heinrichs II., war eine
tochter könig Ottokars II. von Böhmen: daher die Verwandtschaft mit den Przemis-
liden. Unser dichter hat demnach ein besonderes recht, nach dem grossen Przemis-
lidenlob scheinbar unvermittelt auf unsern Bolko zu kommen und von ihm zu sagen,
er sei des (hs. dem) kuniclichen Stammes ein blünder ast. Es erledigt sich damit
von der Hagens Streichung des dem und seine annähme, es sei damit nichts weiter
gemeint, als dass alle fürsten Schlesiens von den grossfürsten Polens stammen, das
damals schon ein königreich war (s. XVI seiner Ausgabe). Wenzel II. und Bolko I.
waren vettern zweiten grades. Im Januar 1289 war Bolko I. selbst in Prag, und
der könig beschenkte ihn zum zeichen seiner besonderen huld mit der Stadt Schön-
berg. Aber hat sich der herzog vielleicht eben damals aus Prag, dem böhmischen
rausenhofe Ulrichs von dem Türlin und Ulrichs von Eschenbach, einen hofkaplan mit-
gebracht, der als sein hofdichter der Verfasser von 'Ludwigs kreuzfahrt' wurde und
der wie jene im banne Wolframscher kunst stand? — Es werden umstände aus dem
leben und der regierung Wenzels IL erwähnt, die in dessen letzte jalire fallen, wie
seine krönung zum polnischen könig in Gnesen im juni 1300 und die anbietung der
ungarischen kröne im jähre 1301 (vers 553» ff.). Aber herzog Bolko 1. starb am
9. november eben dieses Jahres. Dies ereignis ist nicht mehr erwähnt. Wenzel liess
seinen söhn am .:6. august zum ungarischen könig krönen. Auch diese krönung
erwähnt der dichter nicht, aber man braucht sich auf dieses datum nicht festzulegen.
Hätte der dichter, als er die Przemislidenverse o412-;-5569 schrieb, diese krönung
schon gekannt, die doch nur der letzte ausdruck des ein paar monate früher {er
des ein jär vol umme quam 5543) eingefädelten und bekannt gewordenen politischen
ereignisses selber war, er hätte sie gewiss, wie die krönung zu Gnesen, mit ein paar
Versen an unserer stelle erwähnt. Nachher war keine gelegenheit mehr dazu;
d. h. ende august IBOl war das 6. tausend der über 8000 verse schon voll. Und als
am 9. november der 'tod des herrn' erfolgte, war die arbeit ganz abgeschlossen; es
hätte dies ereignis sonst, mindestens anlässlich der Schilderung des landgrafentodes,
wie etwa bei Hartmann von Aue, werte und verse ausgelöst. Nicht innerhalb der
jähre 13Ul— 1305, sondern im jähre iHUl muss also unser gedieht ent-
standen sein. Es wird kaum ein zweites rahd. epos so auf monate genau fest-
gelegt werden können wie 'Ludwigs kreuzfahrt'.
Der hier schon mehrfach berührte weitere Zusammenhang ist, wie gesagt,
der mit der böhmischen hofdichtung in Wolframs manier, der durch Jantzens kon-
frontierung mit Ulrich von Eschenbach zuerst bekannt geworden ist. Aber
Jantzen hat den einfluss Ulrichs und auch des stilverwandten herzog Ernst D
auf unsern dichter durchaus nicht weit genug verfolgt. Es lassen sich noch zahl-
lose weitere parallelen mit leichter mühe auffinden von ganz alltäglichen, wie 893
von liöher geburt die clären (wörtlich so Wilhelm von Wenden 4963), bis zu kom-
plizierteren, wie vers 3371 das ironische ive(t mit der fluht daz rechen ir? wie snlen
nch des loben wir? (vgl. Alexander 13 721 ivolt ir den mit fliihte rechen? iro- sol
zu 'i.UDWlGS kueuzfahüt' 31
darambe sprechen in wol oder bieten ere'^) oder 3212 wir (die Cristen) sin hie in
i/otes f/ebof, die heiden uf zwimltigen tot (vgl. herzog- Ernst D 4765 die (Cristen)
irärn da tiff c/ots gebot, die heiden nff tzweier slahte tot und sehr viel mehr. Schlacht-
schilderungeu, belagerungen, beschreibungen ritterlich - höfischer Zurichtung sind
nach demselben Schema und mit denselben werten gearbeitet. Die tolerante auf-
fassung der heiden ist die gleiche, und all das rührt zuletzt von Wolfram her. Aber
es ist mir zweifelhaft, ob unser dichter, obwohl er ihn zweimal nennt, Wolfram noch
selbst überhaupt gelesen hat. Er kann sämtliche Wolframiana von seinen literari-
schen raittelgliedern haben, denen er so unendlich viel verdankt. Wenn er vers 950 ff.
sagt, dass des landgrafen Hermann hoch prisende tat zu si'izer rede brdht hat her
Wolfram von Eschenbach, so denkt er damit kaum an die stellen, die in den echten
werken Wolframs Hermann rühmend, aber beiläufig erwähnen, sondern die nicht
ganz richtig eingeschätzte quelle waren ihm Ulrichs verse 4364 ff. her Wolfram von
Eschenlach . . . als er ze hohem finge maz den lantgrai: n von Diii-ngen Hermann
im 'Wilhelm von Wenden'. Der vergleich Saladins mit Wolframs Terramer vers 1796 ff.
stammt wohl aus dem Jüngern Titurel 2836 ff. Der wendung 5511 dirre selige
Wenzezlabe liegen Ulrichs verse im 'Wilhelm von Wenden' 4860 f. kiinec Wenzelabe
com sceUgen hns oder vom sadegen lande mit der etymologie von Beheim zu beatus
zugrunde. Ich zweifle nicht, dass wie jener heidnische burggraf Dimitter 5359 aus
dem 'Alexander' stammt und es überflüssig ist, nach einer historischen Identifizierung
zu suchen, dass so auch der 14tägige friede 4609, 7531 aus dem Herzog Ernst D 1422
stammt und dass mit der Adelet, die neben Elisabeth (und ebenso falsch wie diese)
vers 633 einmal als n-irtin Ludwigs III. auftritt, nichts als eine wohl unbewusste
reminiszenz au die vromve und wirtin Adelheit aus dem 'Herzog Ernst' vorliegt.
Ja, es geht die abhängigkeit von den Vorbildern in der diktion so weit, dass
folgender merkwürdige fall eintritt : man nui s s bei der schlechten Über-
lieferung von 'Ludwigs kreuzfahrt" (nur 1 hs.) mitunter ihre Vor-
bilder zur textkritik heranziehen. So ist vers 2449 hmide menige vellen
tgr nicht etwa zu lesen als hunde manige vellen(t) tier, sondern nach Alex. 12430,
wo der vers, von Jantzen nicht bemerkt, wörtlicli (nur durch creftic erweitert) steht,
als: hunde metnge cellet tier (die menge der hunde). Die von Lexer als a:ia5 ver-
zeichnete Verbindung in nnergerter not (hs. niie: gertener) 3127 fällt ganz fort, denn
es handelt sich um die unergezte not, die im Alex. 26926, 27523, Wilhelm von
Wenden 1168, Herzog Ernst D 4864 begegnet. Die quelle für alle ist Parz. 752, 1.
In den eiugangsversen 11 ff., wo von der mzen rede gesagt wird: und die fron
Eren holde (das ist Bolko, nach Wilhelm. von Wenden 1768) mer vernnnftic haben
ivolde iif frönden äcentüre in s/nem hftse zu starc und ivil zu Inst geniezen ir
ändert Singer (Prager deutsche Studien 8, 312) die Avorte haben . .. zu stilre in
laden . . . zu füre. Aber der reim nventinre : stinre stammt gleichfalls aus Ulrichs
diktion, vgl. Alexander 27 607 die (süeze rede) dirre dventinre git iverder h Ife stinre;
stinre ist ein ungemein beliebtes reipwort bei Ulrich. Die Übersetzung der (unge-
schickten) stelle ist nicht schwierig: Inst ist dnö v.ovio~j zu sture wie zu geniezen
zuziehen. Ähnliches begegnet bei unserem dichter öfter; etwa umzustellen zu sture
der bist und wil genv.zen ir, ist nicht notwendig.
An einer anderen, etwas verzweifelteren stelle, innerhalb einer besonders wieder
von Ulrich so sehr geliebten apostrophe der 'Welt', bessert Singer in vers 7627
diner valschen liebe wene angelt fröude nf etvic sene die werte angelt frönde in an
fröude gelt. Aber wenn man, wie ich das für die hier unbedingt gegebene nietbode
ZEITÜCHKIFT F. PEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XLIX. Ö
82 GÜRTLER
halte, unter dem eindruck der ungeheureu stilistischen abhängigkeit des dichters
von seinen Vorbildern zum toxtverständiiis eben von diesen Vorbildern ausgeht, so
darf man das ungelt nicht ändern angesichts des du fröiden schar/her angel in ähn-
licher Verwendung Alex. 13 5i6; vgl. dhi tot in mhi freude geworfen hat den scharfen
jdniers angel Jung. Titurel 1025, auch 4674; Wolframs Willehalm 174, 22. 'Gewohn-
heit an weltlust schläfert die himmlische Sehnsucht ein' ist der sinn des satzes, der
sofort mit andern worten noch einmal verdeutlicht wird.
Wer uns einmal eine systematische Untersuchung jenes nachklaugs höfischer
kunst gibt, der von Böhmen her sogar über die schlesischen berge flog, der möge
auch jener 6 Iweinfresken im alten wohnturm des Schlosses von Boberröhrsdorf
bei Jauer gedenken, über die Knütel in den 'Mitteill. d. schl. ges. f. Volkskunde' 20
1918, s. 72 ff. gehandelt hat. Wenn die herren von Redern, deren einen, namens Peter,
Knötel für den auftraggeber jeuer Wandgemälde mit motiveu aus dem 'Iwein' hält, zu
Bolko II. in beziehung standen, so taten sie das natürlich zu Bolko I. auch und erst
recht. Denn Bolko II. regierte gar nicht mehr selbst in Jauer, wo zu dieser zeit
sein bruder Heinrich I. sass ; wohl aber waren unter Bolko I. Schweidnitz und Jauer
vereint gewesen. Auch scbloss Grafenstein bei Zittau enthält übrigens alte Iwein-
fresken. '
JENA. HANS NAUMAxKN.
Zum gebrauch der konkurrierenden abstraktbildungcn im gotischen.
Das scheinbar wirre nebeneinander der sich inhaltlich berührenden und
daher untereinander konkurrierenden abstraktformen im got. hat ia Kauffmauns
weit ausholender stilgeschichtlicher Untersuchung der got. bibel - eine wesentliche
klärung erfahren. Mit recht wird hier (s. 2i.5) unter den dem Übersetzer zu geböte
stehenden ausdrucksmöglichkeiten bei der wiedergäbe von abstraktbegriffen die
bewusste bevorzugung der stark erweiterten gruppe^ auf -ei hervorgehoben. Über-
haupt hat zu ihren gunsten eine 'nicht unerhebliche Verschiebung' stattgefunden.
Die alten -Ja-stämme wurden zurückgedrängt, die konkurrierenden auf -ipa in
ihrem Wachstum gehemmt; sie trat sogar mit den verbalabstrakten auf -eins erfolg-
reich in Wettbewerb. iJnter den ab weichungen des got. textes von der griechischen
vorläge nehmen von allen abstraktbilduugen die auf -ei den verhältnismässig
1) Es mögen sich hier in aller kürze noch einige konjekturen anschliessen,
die zumeist für sich selber sprechen: Vers 1910 lies ir phile (hs. ciel ril) auch da
rerschuz^en die schützen; ein hörfehler : irgendwann war also das gedieht einmal
nach diktat geschrieben worden. Vers 398H lies noch ez e)i ist in wirde (hs. wurde)
siten; wurde für wirde ist dialekt, i)t wirde siten auch vers 4546. Vers bOSß nach
Hiinne geldes (hs. gerndes) Urne nach vers 1315, 2075, Wilh. von Wenden 3636,
Alex. 13538, 23H69; Parz. 23, 7 und öfter. Vers H485 1. in »lenl/cheni geturste
wie 2802, und 8048 1- von eigenen getnrsten nach 2485, 5157. Vers 5065 1. ich
meine, des keisers onch und (statt hs. 7tot) der walhe halp; 5074 sie statt sin, 6570
drie schar statt die scJtar. Vers 7082 ist es ganz unnötig, mit Jantzen s. 15 in
wagen etwas anderes als den Infinitiv wägen zu sehen, der asyndetisch mit sin ko-
ordiniert ist. Vers 3304 ergänze Surs, 3259 einen Frisen (nicht mit von der Hagen
sinen bruder)^ 7713 üch jßegen zu genzUcke aus gründen des Zusammenhangs.
2) Zeitschr. 48, 1 ff. 165 ff.
3) Ich habe — rechnet man aipei, kilpei, bairgahei ab — im ganzen 93 hier-
hergehörige bildungen gezählt.
ZUM GEBRAUCH DER KONKURRIERENDEN ABSTRAKTBILDUNGEN IM GOTISCHEN 83
grössten räum ein ' ; nur in den Corintherbriefeu, wo überhaupt die Übersetzungs-
technik innerhalb der gezogenen grenzen am freiesten ist-, wechseln synonjma
häufiger ^.
Ein vergleich der belegten doppelformen zu -ci-bilduugen und -ia-stämraen
ergibt fast in allen fällen ein übergewicht für -ei, gieichmässig verteilt auf die
einzelnen teile der bibel. Dabei bleibt auffällig das erhebliche überwiegen voji
weitwodei gegen u-eittcodi; dieser umstand allein schon — er wird gestützt durch
andere von Kauffmann vorgebrachte erwägungen — scheint mir für ein verhältnis-
mässig junges alter der -<?«-bildung zu sprechen. Diese abstraktbildungen gehören
zu denjenigen formen, die dem 'neuen stil der buchsprache' * das gepräge geben und
die spräche des Übersetzers als 'eine von der Volkssprache verschiedene literatur-
sprache'® erscheinen lassen.
Unter den mit -ei- konkurrierenden verbalabstrakten, soweit sie von Kauffmann
a. a. 0. nicht berührt worden sind, treten namentlich -düps und -ipu hervor. Für
-dups kommen nur 4 Stichwörter in betracht, die Verhältnisse liegen also einfach:
gamain ein andbahtjis xf/V xoivcovtav tris Staxovtas 2 Cor 8, 4; taihswons
. . . gamainein Gal 2, 9. Gegen: hlaifs panei brikani, niu gamaindups leikis frau-
HHS ist? (xoivcüvta) 1 Cor 10, 16; gamaindup pidaine Phil 3, 10; ko gamaindupe
ahmins Phil 2, 1 ; 2 Cor 6, 14; in ainfalpein gamaindupais 2 Cor 9, 13. — Klänge
nicht, namentlich an der ersten stelle, die form mit dem altertümlicheren, wuchtigereu
Suffix feierlicher?
unte gataivida niis niikilein, sa inahteiga Ott STioiirjosv [lo: [ityccXBioi. 6 iD^^a.-
tds L 1, 49; usßlmans pan waurjxun allai ana pizai niikilein gudis im. xvj [isYa^etö-
TYjXi L 9, 43; ufarasstis mikileins mahtuis is iJ.sysS'OS Eph 1, 19; ei fraujins niiki-
lein gakannidedi Skeir IV d. Gegen: niikildnps fraujins wulpans kannida Skeir IV b;
swalauda is mikildupais mäht ebd. ('majestät')-
managdtips fahedais vj Ttspioasta "cfjg xapäg 2 Cor 8, 2 ist die einzige stelle,
an der diese bildung belegt ist, während man für managei in der bibel etwa 130 be-
lege zählt, in der Skeireins 2. Im sing, steht das wort für 7tX-?j9-o;, Xadj, oyXog,
vereinzelt für 5x>.ot; im plur. bildet es die Übersetzung zu Xao-l, ol 'louoavoi u. a.
ajukdnps hat keine nebenform auf -ei. Ich glaube, die wähl des wertes,
für das sonst aius steht, ist an den 8 belegsteilen aus satzrhythmischen gründen
zu erklären: es steht Joh 6, 51. 58 am satzende, L 1, 33 im satzeinschnitt.
Ein vergleich hinsichtlich des Stärkeverhältnisses zwischen -ei und -düps fällt
also entschieden zugunsten von -ei aus. Die scheinbare ausnähme für ganiaindupjs
erklärt sich daher, dass dieses zweimal im Philipperbrief steht, der an -ej-formen
wie auch für -ipa hinter dem durchschnitt zurückbleibt.
An der hand der erhaltenen teile der got. bibelübcvsetzung lässt sich somit
1) An stelle eines griech. adjektivs: latei . . . pwastipa öv.'^ripov . . . äocpaXe;
Phil 3, 1; für ein adverb: iinagein . . . dcydßcüs L 1, 74; statt eines verbs steht
ein got. verb mit zugehörigem Substantiv : ns liidein taiknjan unoxpiveo^at L 20, 20.
2; J. M. Kapteiju, IF. 29, 344.
3) Vgl. mijnvissei . . . gahiigds auvsiav]Ois 1 Cor 8, 10. 12; boka . . . gamehins
Ypä|i[j,a, Ypä|i[iaxa 2 Cor 3,(3.7; in unmalitini meinaim (sv xats da&evs-.at; |aou)...
in siukeini meinaim 2 Cor 12, 5. 9. lO; ... tvas niuklahs . . . barniskeins aßagida
^Ttmot; . . . xd xoü vvjuiou 1 Cor 13, 11 (nicht so ausdrucksvoll ist der Übergang von
niuklahs zu barnisks Gal 4, 1. 3).
4) Leuk, Beitr. 36, 305.
5) Kauffmann, Zeitschr. 48, 167.
6*
84 GÜRTJ.ER
deutlich erkeuueu, class -ei das s ch wer fäll ige ro, gleichbedeutende -dAps
verdräugt hat.
Nicht so einfach ist die abgreuzuug im gehrauch von -ei und -ipo '. In der
bedeutung- decken sich die angehörigen beider gruppen ziemlich:
airzei ■KXä.Mf] Eph 4, 14; Skeir. V a. — airzißu nXävv] Mt 27, 64; plur. 1 Tim 4, 1.
armahairtei sXeog L 1, 50. 54. 58; Eph 2, 4 und sonst. — aDnahalrtipa IXeog
Mt 9, 13; L 1, 72; sXsr)|Jioa6vyj Mt 6, 4.
dauhci nwpcoaig ß 11, 25. — daubipa Tiwpojaig Mc 3, 5; Eph 4, 18.
diupei ßä9-os Eph 3, 18. - diupijja ßä9-os L 5, 4; E 8, 39. 11, 33; ßu^-ög
2 Cor 11, 25.
{nn)garaihtel Stxaiooüvr; Mt 5, 20; L 1, 75; Phil 3, 6; 2 Cor (5, 14 und oft; Stxaicoiia
L 1,6; K8, 4; ävofiia 2 Cor 6, 14. — <iaraihüjm oixatooüvyj Joh 16, 8. 10;
R 10, 10.
gaurei "kriizfi Phil 2, 27. — (/aurij)a Xünt] .Joh 16, 6.
hauJiei ucJjos Eph 3, 18. — liwüiipa hi^oz L 1, 78; Eph 4, 8; ütf^cüfia li 8, 39; 8dga
L 14, 10; Joh 7, 18.
hlntrei eUixptvsia 2 Cor 1, 12. — lilntripa sUixpiveia 2 Cor 2, 17.
kaurei ^a.poi; 2 Cor 4, 17. — kannpa ßdpog Gal 6, 2.
waila-, waju-merei zh^fi^ia 2 Cor 6, 8; §uaq;Yj|iia ebd. — iveripa cpY]|j.y; Mt 9, 26;
L 4, 14; dxoyi Mc 1, 28; ^x^S L 4, 37.
siviknei djrXöxvjs 2 Cor 11, 3; Gal 5, 23; äy^^^* 1 '^'ioi 5, 2. - siciknipa äyvöxric,
2 Cor 6, 6; ayeta 1 Tim 4, 12.
(tm)hrainei Skeir III b; dxaS-apota Col 3, 5. — luihrainipa äxaO-apoia 2 Cor 12, 21;
Gal 5, 19; Eph 4, 19. 5, 3; 1 Thess 4, 7.
unswerei dtiiiia 2 Cor 6, 8. — tmsiverißa dTt|iia 2 Cor 11, 21.
weittvodel Skeir VIb; |iapxüpiov 2 Cor 1, 12; 2 Thess 1, 10; 1 Tim 2, 6; [Jiapxupia
Tit 1, 13. — ireitirodipa Skeir IV c; [lapTÜptov Mt 8, 4 ; 2 Tim 1, 18; |iap-
xupia Mc 14, 55. 59 und sonst;. verbal Mc 14, 56.
In einigen der hier verzeichneten fälle ist der durch -ipa ausgedrückte be-
griff weiter als der Inhalt der parallelbildung auf -ei. So hat annahairtipa nicht
nur die bedeutung von armahairtei (eXsog), sondern dazu auch die der werktätigen
barmherzigkeit (dXsYjjJiooüvy], 'Unterstützung, wohltat, almosen'). Der bedeutungs-
inhalt von garaihtei (5ixatco!J.a) ist enger als derjenige von (Sixaiooüvyj) garaihtipa.
Genau so verhält es sich mit -merci, dessen bedeutung allerdings festgelegt ist
durch die verdeutlichende kompositionsform, gegen meripm (cpYjp,vj, 6lv.ot\). Über-
tragene bedeutung liegt vor in hanhipia (8öga).
Der plural hat prägnante bedeutung bei kauripa (xd ßdpvj Gal 6, 2; vgl.
mdpjaus kaiirein '^li.poc, Sögyj; 2 Cor 4, 17), Begriffserweiteruug des plur. gegen-
über dem sing, liegt auch vor bei nianrvipariii mamvipmi aiwaggeljoyin {hi kxox.^a'zw^.,
1) Die klasse auf -ipa ist bei weitem nicht mehr so zahlreich, ich habe nur
35 bildungen gezählt.
2) Als solche ergibt sich diejenige des zustands. Die eigenschaft einer
person, eines dinges wird potenziert gedacht als zustandsforra {armahairtei, -ipa;
dii(pei,-ip)a, hauhei, -ipa); meist wird nur der zustand als solcher ausgedrückt {barniskei,
usbeistei, fullipxi)., oder das verharren in dem schon eingetretenen zustand {bleipm,
daubei, -ipa, ainfalpei^ yanripa, sweripa). Die Weiterentwicklung ist angedeutet in
riurei. Aus ihr ergibt sich diejenige des zustandes der Vollendung {linpjei, sleipei,
■weitwodei, pwastipa, wairpnda, icargipm). Doch muss zugegeben werden, dass die
bedeutungsübergänge oft unvermittelt ineinander übergehen.
ZUM GEBRAUCH DER KONKURRIERENDEN ABSTRAKTEILDUNGEX fM OOTISCIIEX 85
bereitscliaft) Eph 6, 15 geg-eu L 14, 2S jiia f rumist yasitands rahneip munn-ipo
(oby\ npwTov xa9-öoas ^'Yj'^i^ei xyjv SaTiävrjV, kosten).
Überhaupt ist der gebrauch des plur. im Verhältnis zur grosse der
gruppe gegenüber der viel stärkeren auf -e* auffallend häufig. Einige der
belegten -?/>a-bilduugen kommen nur pluralisch vor, während im sing, -f/- formen
bevorzugt werden. Diese Stileigentümlichkeit kehrt so auffällig oft wieder, dass
man geradezu von einer ausgesprochenen bevorzugung des Übersetzers für -ifja zum
ausdruck des pluralbegriffs bei abstrakten reden darf. Vgl. izwaros misso kauripos
hairaip (xä ßäpYj) Gal 6, 2 ; aber sing, l-anrei 2 Cor 4, 17. Ebenso bei aglipa,
mildijm, denen allerdings die konkurrierenden -e/-bildungen abgehen : winnan aglipjos
(O'Xißsoö-ai) 1 Thess 3, 4; jahai ho mildipo juh gableipeino {aKXä.yyya) Phil 2. 1.
Zu ca'rztpa, unhruinipa, weitu-odijju kommen die parallelformen auf -ei nur im sing.
vor: atsaih^andans ahmane airzipos jali laiseino unhulpono (upoasxovxeg 7cvs6|xaaiv
TiXävoig) 1 Tim 4, 1 ; horinassus jah- allos unhraimjjos (uopvsia §e xal tzoLocc &xa-
9-apota) Eph 5, 3; samaleikos pos weitivodipos (|jiapxupiat) Mc 14, 56. Ebenso agc/toipa
"2 Cor 6, 4: in ar/lom, in nanpiw, in aggivipom (Iv axsvoxMp'laij).
Die plurale Verwendung verdankte ihre häufigkeit zum guten teil der deut-
licher erkennbaren flexionsform gegenüber dem einförmigeren e/-schema, Sie wäre
aber sicherlich nicht so ausgesprochen, wenn nicht der ableitung -ipjci in der lebenden
spräche im gegensatz zu dem mehr schriftsprachlich empfundenen -ei auch ein
zug ins konkrete angehaftet hätte '..
Die lebendigkeit des produktiven Suffixes -ipa ergibt sich auch aus dem
umstand, dass beziehungen der träger dieser ableitungsweise zu anders gebildeten
abstraktgruppen weniger häufig auftreten. Für -^a-stämme ist neben -ijja nur ein
beispiel belegt : tceitwodi 2 Tim 2, 2 gegenüber dem häufiger vertretenen iceitwodipa.
Zu fem. -H-stämmeu: neben aglipa 1 Thess 3, 4 steht uglo (O-Xicpig) Mc 4, 17; Eph
3, 13; (öSüvyj) R 9, 2; (in) agiow juh arhaidim (sv xdnw xal fiöx^-qj) 2 Cor 11,27.
fidlipa hat neben nfarfnllei und einem nicht ganz sicher anzusetzenden fidleip-
fulleips (Mc 4, 28) noch /«//o zur seite; nnU afnimip fullon af pjamma snagin (aipsi
Yäp xö TiX-^ptüiia) Mt 9, 16; R 11, 12. 25; Eph 4, 13 und öfter.
Neben armahairtei, -ipja begegnet armaio in gleicher bedeutung (begriffs-
erweiterung) : armaio (iXsos) R 9, 23. 11, 31; Gal 6, 16 und öfter; afsaikip armaion
{■Kpoaiyzxs xvjv- SixaioaüvTjv) Mt 6, 1. 2; ip puk taujandan armaion (IXsvjiiooüvyiv)
Mt 6, 3; aber: ei sijai so armahairti/ja peina in fulhsnja Mt 6, 4".
Durch das aus der Skeireias belegte weitwodeins steht -ipa auch zur gruppe
der verbalabstrakte in beziehung.
Verwickelter scheint die abgrenzuug zwischen -ei und -ipa. Unter abzug
derjenigen fälle, die in ausgesprochen pluralischer funktion (teilweise mit besonderer
bedeutung) durch die vorläge bedingt sind, bleibt doch noch eine ganze reihe auf-
fallender parallelformen. Auch ihre Verwendung ist bei näherem zu^^ehen keine
wahllose, vielmehr an gewisse Voraussetzungen gebunden.
1) Damit wird auch der gebrauch von fid/ipa (eig. das vollsein, die fülle,
vgl. nfarfnllei :fnlls) zusammenhängen. Dann ist es nicht nötig Col 2. 16 in duilai
dagis dulpals aippau fnllipe (ev jispsi sopxT,^ y, vcu[iyia?:) wegen der bedeutung
'voUmond' eine ausnahmestellung des wertes zu konstruieren. i u •
2) Für diese ausgeprägte Stileigentümlichkeit, wonach -dem dreimal bei-
behaltenen griech. wort im got. zwei gleiche (hier sogar drei) und ein dav(in ab-
weichendes entsprechen', hat R. Gröper, Untersuchungen über got. synonyma, diss.
Berlin 1915, s. 87 f. weitere belege gegeben.
86
GURTLEU
Zunächst die häufigkeit des Vorkommens. Für die oben aufgeführten 13
Wörter mit den belegten parallelformen ergeben sich folgende werte * :
LuCjMc Job
Mt
2 Cor
1 Cor 1 Rom
Eph Gal ITim Col
2Tim
WhilThess
NehjTit
|Skeir
•ipa
•ei
4
2
2
2
4
3
1
6
6
4
- 3
1
3
5
1
1 3
2 3
1
1
1
3
2
1
1
- 1
1
4
Für sämtliche hierhergehörenden bildungen:
Luc
Mc
Joh
Mt
2 Cor ICor
ßöm Eph Gal 1 Tim Col 2Tim Phil Thess
NehTit
Skeir
-ißa
11
4
7
5
13 2
10
6 3
7
2
2 ' 2
6
1
4
-ei
15
12
2
6
35 16
19
28 15
19
U
9
7
3
1 5
16
Der gebrauch beider ableitungsweisen ist in den einzelnen denkmälern dem-
nach verschieden. Besonders beachtenswert sind die beiden Corinther- und der
Römerbrief wegen ihrer abweichenden behandlung, teile der bibelübersetzung, denen
besondere feinheiten der Übersetzungstechnik nachgerühmt werden.
Im wesentlichen stimmen beide Übersichten aber überein '^ Bemerkenswert
bleibt beidemal das starke überwiegen von -ei in der jüngeren Skeireins. Die zahlen
würden sich noch mehr verschieben zugunsten von -ei, wollte man diejenigen belege
für -ipa abziehen, die dort in den eingestreuten bibelstellen stehen. Daraus ergibt
sich doch offenbar, dass -ei in immer weiterem umfange das schwerere
-ipa im schriftsprachlichen gebrauche verdr ängt h at. Wie für das
schwerfälligere, archaische -düßs ist für -ipa (berührungen zwischen -ipa und •dü]>s
lassen sich überhaupt nicht mehr nachweisen) mit der zeit -ei im schriftsprachlichen
gebrauche eingetreten ; derselbe entwicklungsgang also, den auch das alid. mit
seiner ursprünglichen Vielheit von abstraktableitungen bietet. So deutlich wie hier
aber, wo das einzige erhaltene werk anhaltspunkte bietet für die Schichtung der
verschiedenen typen innerhalb der lebenden spräche, erscheint eine Scheidung dort
iü keinem falle möglich.
Ist -ei aber die ausgesprochen schriftsprachliche ableitungsform, so kommt
-ipa mehr der lebenden spräche zu (vgl. die Übersetzung inniitjipa für xä s-^-/.a.\\\.a,^
fest der erneuerung des tempels, Joh 10, 22). Auch dafür ergeben sich anhalts-
punkte. Als beweismaterial mögen die oben aufgeführten 13 parallelformen dienen,
wobei ich jedoch diesmal sämtliche belegsteilen zähle. Ein vergleich ergibt nun
für diejenigen abstrakta, die zu adjektiven gebildet sind, die eine geistige eigeii-
schaft ausdrücken, eine viel höhere zahl für -ei im Verhältnis zu -ißct : armahairtei:
ißa = 8:o; {nn)garaihiei : -«T*« = 34 : 3 ; für swil-nei: -ipa ist das Verhältnis = 3 : 2 ;
bei einigen andern zufällig nur schwach belegten gleich. Demgegenüber aber be-
1) Ein in demselben denkmal öfter wiederkehrendes wort ist nur einfach
gezählt, ebenso komposita. Für die reihenfolge in der aufzählung der bibelteile
war die grosse des erhaltenen Stückes massgebend, um das verhalten der einzelnen
teile besser zu kennzeichnen; nur die beiden Thessalonicherbriefe habe ich ihres
geringen umfangs wegen zusammengezogen. Gezäblt sind in beiden tabellen auch
die fälle, in denen -ipa durch den gebrauch im plur. bedingt ist, wo also unter
andern umständen im sing, -ei einträte.
2) Namentlich im spärlichen gebrauch der abstraktformen in den evangelien-
berichten gegenüber den episteln.
ZUM GEBRAUCH DER KONKURRIERENDEN ABSTKAK rBILDUNGEN TM GOTISCHEN 87
achte man: diupei:-ij>a = 1:1; hauhel : -ijm = 1:7; unhrainei: -ipa = 1:5- weit-
wodci : -ipa — Q : Yl . Der unterschied zwischen schriftsprachlicher und gemein-
sprachlicher form spiegelt sich darin deutlich ab.
Er ist sogar noch viel feiner wiedergegeben. Von einer reihe von fällen
abgesehen, deren ausnahmestellung sich zumeist aus flexivischen gründen ergibt,
steht nämlich im gehobenen stile -ei, in einfacher rede dagegen -ipa^:
a r m a h airt ip a iv/lja u jah ni liunsl
Mt 9, 13; ei sijai so annahairtipa ßeina
in fidhsnja Mt 6, 4; taujan ai-inahair-
tipa bi attam unsaraim L 1, 72.
brigg ana diupipa . . . po natja izwara
L 5, 4.
Jah qimands is gasakip po.manasep bi
fraivaurht jah bi garaihtipa jah bi stana
. . . ip bi garaihtipa, patei du atti)i mei-
namma gagga Joh 16, 8. 10.
Bi unsweripaiqipa 2 Cor 11, 21.
-ei: L 1, 58; Eph 2, 4.
bi garaihtein pizai sei in tvitoda ist
Phil 3, 6.
pairh
pairli ivepnu yaraihteins
ivnlpH jah u n s w ere i n , pairh waja-
merein jah ivailamerein, 2 Cor 6, 7.
so gibands sik silban andabauht faur
aHans w eitivo dein melam sivesaim
1 Tim 2, 6 ; so ist weitwodei sunjeina
Tit 1, 13.
Ähnlich im einfachen schlichten erzählerton -ipu, in gehobener darstellung,
daher zumeist in den episteln -ei:
Jah qap itnma Jesus: . . . jah atbair
gibapoei anabaup Moses du weitivodipai
im Mt 8, 4 ; wohl auch 2 Tim 1, 8.
mite gatawida mis mikilein . . . jah
a rmaha irtei is in aldins L 1, 50.
ei ganrein ana gaxirein ni hahan
Phil 2, 27.
vgl. taujan arm ah airt ipu L 1, 72.
akei unte pata rotida izwis, g a u r ip a
gadaubida izxvar hairto Joh 16, 6.
jah usiddja meripa so and alla jaina
ahpa Mt 9, 26; Mc 1, 28; L 4, 37 ; jah
meripa urrann L 4, 14.'
unte d anbei bi suniafa Israela varp
R 11, 25.
unte galaubida ist toeittvodei unsara
da izwis 2 Thess 1, 10; Skeir VIb; unte
koftuli unsara so ist, iveitwodei mip-
wisseins unsaraizos, patei in ainfalpein
jah hlutrein gudis, ni in handngein lel-
keinai 2 Cor. 1, 12.
Wo sich der unterschied im gebrauche beider formen nicht so erklärt, ist
die -ei-ioxm eingesetzt aus gründen der satzmelodik, oder es handelt sich um
formen der obliquen casus.
1) Ich berücksichtige hierbei der kürze halber nur die oben aufgeführten
13 Parallelbildungen. - Die Scheidung zwischen eiufacher beschreibung und pathe-
tischer rede ist in den briefen naturgemäss schwieriger als in den eyung^elien-
berichten. - Andere beispiele für Wörter auf -ipa ohne doppelformen: Joh i, Ib;
L 1, 14; 1 Thess 5, 3.
jah ni sioa samaleika was w eit w o d ip a
■ize Mo 14, 59 ; sokidedun ana Jesu weit-
wodipa du afdaupjan Ina Mc 14, 55.
CifRTLER, ZUM GEBRAUCH DER KONKURU. A ÜSTRAK'I'BILDUNGEN IM GOTISCHEX
Im fallenden Sprechtakt, namentlich am ende des satzes, steht statt des
-ipa das -ei, vgl. iraurstira leikis, patei ist :horinassns, kalhinassns, linhrainipa,
aglaitei Gal 5, 19';
in ßludeisein du Usteic/nn usirandjai
airzeins Eph 4, 14.
hleihida Israela piumagu seinamma
(/fninuiands a r m a h a ir tein s L 1, 54. 50.
//•« sijai braidei jah. laggei jah hauhei
juh diupei Eph 3, 18.
jah ist so sjjeidizei airzi^a irairsizci
J>izai f rumein Mt 27, 64.
armahairtipa vgl. oben Mt 9,
13. 6, 4; L 1, 72.
0 diupipa gaheins liandtigeins jah
icitnhnjis gtidis ! R 11, 33 (zwischen einer
menge von -^ i-formen !) ; nih hauhipa
nih diwpipa nih gaskafts anpara tnagi
uns afskaidan af friapwai gudis pizai
R 8, 39 ; naht jah dag in diupipai irns
mareins -2 Cor 11, 25.
g ara ihtipa vgl. oben Job 16, 8. 10. ei garaihtel witodis usfuUjaidau in
uns R 8, 4; qipa ank izivis patei niba
managipo wairpip izivaraizos garaih-
teins pau pize bokarje jah l^^areisaie
Mt 5, 20 ; ^0 dailo garaihtein mip nnga-
raihtein? 2 Cor 6, 14.
itssteigands in hanh ip a nshanp hunp ba sijai braidei jah laggei jah h a i<-
Eph 4, 8; panuh ist pus hauhipa faura hei jah diripei Eph 3, 18.
iaim mip anakumbjandam pus Lc 14, 10;
nih hauhipa nih dinpipa nih gaskafts
R 8, 39 (vgl. oben) ; saei fram sis silbin
rodeip, hauhipa seina sokeip; ip saei so-
keip hauhipa pis sandjandins sik, sah
sunjeins ist jah inwindipa in iDinia nisf
Job 7, 18.
Nach abzug derjenigen stellen, die sich aus dem funktionsgebrauch des
Suffixes -ipa im plural erklären (aii-zipa 1 -l'iui 4, 1; garaihtei L 1, 6; kauripa
Gal 6, 2; nnhrainipa Eph 5, 3), bleiben nur noch wenige belege übrig. Die wähl
des Suffixes findet teilweise in der dadurch auffallend gekennzeichneten casusform
ihre erklärung. Hier waren also flexivische gründe massgebend. Für den gen.
sing, handelt es sich- nur um wenige beispiele: ga)ir^ in dauhipos hairtins ize
Mc 3, 5; Eph 4, 18; in iraiirsfirein nnhrainipos allaizos Eph 4, 19. Der dat. sing.
auf -ipai empfahl sich schon deshalb, weil das wort in der volleren lautform des
Suffixes einen nebenton erhält, der rhythmus folglich lebendiger wird: )iide ni
lapodu uns gup du unhrainipai, ak in weihipa 1 Thess 4, 17; 2 Cor 12, 21; in
usmeta, in friapwai, in galaubeinai, in stviknipai 1 Tim 4, 12 ; hairto auk galaubeip
du garaihtipai, ip munpa andhaitada du ganistai B. 10, 10; pairh infeinande in gudis
unsaris, in patnmei gaweisop unsara urrnns us hauhipai L 1, 78; us hlutripai
1) ip akran ahmins ist frijapwa, faheps, gauriiipi, usbeisnei, selei, bleipei,
galaubeins, qairrei, gahobains, swiknei Gal 5, 23; andere beispiele in menge in den
von Kauffmann nach der kolometrie ausgehobenen belegstellen vgl. s. 15. 18. 19. 20.
2) Soweit die beispiele dafür und für die andern casus nicht schon oben in
die gegenüberstellung eingereiht worden sind.
i.i:rrz>rANX, zu dex hiurfkx uki; ii;ai: ua'I' 8!»
2 Cor 2, 17. Bemerkeuswert ist die Übersetzungstechnik 2 Cor 6, 5 f . : in s/ahim
. . . in wokainiin, in lausqißrein, in swiknipai, in knnpja, tu luf/gamodein, in seiein,
in a/nnin ireihamma '. Immerhin begegnet dat. sing, -ein auch sonst nicht ganz
vereinzelt; vgl. af ainf alpein jah swiknein 2 Cor 11, 3; in a inf alpein jah hlutrein
(ludis 2 Cor 1, 12. Aus der Stellung am ende des satzes erklärt es sk-li in: juf/gos
sive swistruns in allai siviknein 1 Tim 5, 2; ähnlich L 1, 75 in snnjai jah garaih-
tein; ak gnp (jahigs wisands in annahairtein Eph 2, 4. Acc. sing. : da^ipeip nx
lipuns izicarans . . . horinassu, nnhrainein, ivinnon, Insfn nbilana . . . Col 3, 5; durch
den Satzrhythmus bedingt 2 Cor 6, 8 : ßairh wuljjn Jah nnsirerein, fmirh wcijamereln
jah mailamerein.
Es muss zugegeben werden, dass sich nicht alle belege restlos in die auf-
gestellten regeln einzwängen lassen -. Immerhin aber scheint eine gewisse gesetz-
mässigkeit durchzuleuchten. Sie wirft ein günstiges licht auf die feinheit der
Ubersetzungstechnik auch im kleinen.
DÜSSELDORF. HAXS CtÜRTLER.
Zu den briefen der frau rat.
Kösters schöne ausgäbe der briefe von Goethes mutter (zuerst Leipzig 1904 ;
ich kenne und zitiere nur diese erste aufläge, weiss also nicht, was etwa in
den späteren ergänzt worden ist) bemüht sich, in den äusserst knapp und doch
lichtvoll gehaltenen aumerkungen alles das zusammenzustellen, was zur erklärung
einzelner stellen zu wissen notwendig ist, die arbeiten der Vorgänger Burkhardt,
Heinemann, Suphan usw. dankbar benutzend, und hat das verdienst, unter andern
auch die grosse mehrzahl der zitate in den briefen der sehr zitatlustigen und zitat-
festen frau nachgewiesen zu haben. Einen kleinen nach trag zu diesen an merkungen
stelle ich im folgenden zusammen und füge als anhang ein echtheitsproblemclien
der Goetliephilologie zur weiteren prüfung für die fachgeuossen bei.
1, 17 : 'Lieber Crespel, bald bald hoffe ich euch nun wiederzusehen : da wollen
wir guter dinge sein, alle historien auf neue art erzählen, in unserm zirkus ver-
gnügt leben und sonne und mond samt allen planeten ihre Wirtschaft ruhig treiben
lassen,' Die Schlussworte sind ein zitat aus Werthers leiden. Vom morgen nach
der glückseligen ballnacht, in der Werther seine Lotte kennen lernte, erzählt er
zwei tage später (Werke 19, 37 ; Der junge Goethe 4,240): 'Da verliess ich sie mit
der bitte, sie selbigen tags noch sehen zu dürfen; sie gestand mirs zu und ich bin
gekommen und seit der zeit können sonne, mond und sterne geruhig ihre Wirtschaft
treiben; ich weiss weder dass tag noch dass nacht ist, und die ganze weit verliert
sich um mich her'. Auch hier also redet frau rat, wie sie es an andrer stelle (1, ()2't
ausdrückt, 'mit dem seligen Werther'.
2, 15 u. s.
'2) Dass dabei selbst homoioteleuton und reim eine rolle spielen können, be-
weisen die von Kauffmann s. 26. 42 u. a. angeführten beispiele.
90 LEITZMANN
1, 67. Hans Schickebrods burleske grabschrift, die auch Wieland mehrfach
in briefen zitiert, hatte schou 18;-)9 8chüddeko2of in einem privatdruck (Ihren lieben
oberkranich Karl August Hugo Burkhardt begrüssen zur feier vierzigjährigen archi-
valischen wirkens am 10. Januar 1899 die Timotheusbrüder s. 13) im Wortlaut
nachgewiesen. Kösters anmerkung (2,213) konnte also präziser gefasst werden.
1, 88: 'Die Bethraännin ist so krittlich wie ein kind, das zahnt.' Mit der
gleichen bildlichen Wendung hebt des jugendlichen Goethe versbrief an Friederike
Oeser an (Werke 5,1, 56; Der junge Goethe 1, 303): 'So launisch wie ein kind, das
zahnt.' Das Deutsche Wörterbuch dürfte, wenn es den 'zähnemangel' überwunden
hat, demnächst vielleicht ausweisen, ob eine familienwendung des Goethischen hauses
oder eine allgemeiner verbreitete sprichwörtliche redensart vorliegt.
1, 129: 'Bei gott, das ist die herzogin Amalia, wie aus dem Spiegel gestohlen!'
Hier redet frau rat mit Lessings prinzen in der Emilia Galotti (1, 4), der, nachdem
ihm der maier Conti das porträt der tochter des obersten Galotti vor äugen gestellt
hat, überrascht ausruft (Sämtliche Schriften 2, 383) : 'Bei gott, wie aus dem Spiegel
gestohlen!' Die einführenden beteurungsworte in beiden stellen beweisen deutlich
den Ursprung aus einem trauerspiel, aus dem Goethes mutter auch sonst zitiert
(1,172. 179).
1, 137: 'Ich . . . verschlucke den teufel nach dem weisen rat des gevatters
Wieland, ohne ihn erst lange zu bekucken'; 2, 87: 'Doch ich halte es mit Wielands
schönem Sprüchlein: 'Wenn man den teufel muss verschlucken, muss man ihn nur
nicht lang bekucken.' Weder Suphan noch Köster haben die stelle nachgewiesen.
Sie findet sich im zweiten teil der verserzählung 'Das sommermärchen', die frau rat
aus dem ersten druck im Merkur von 1777 gekannt haben wird, vers 24 und lautet
(Werke 4, 97 Hempel): 'Herr Gawin war dem zaudern gram; er denkt: wer sich
den teufel zu verschlucken entschlossen hat, muss ihn nicht lang begucken.' Wie
gern frau rat aus den verserzählungen des gevatters Wieland zitate ihren briefen
einflicht, lehrt ein blick in Kösters register (2, 278', dem diese stellen einzuordnen sind.
1, 165: 'Vor mich soll es nicht sowohl hoffnung . . , sondern eine art von
luscher sein'; 1, 185: 'Leben Sie wohl . . . und schicken bald wieder einen luscher
Ihrer freundin Elisabet.' Was bedeutet 'luscher', wofür Keil (Frau rat s. 269. 286)
«tuscher' druckt, während der erste druck- in Dorows Eeminiszenzen (s. 136. 161) an
der ersten stelle 'luscher', an der zweiten 'tuscher' hat? Keil hat nach der einen,
Köster nach der andern seite hin uniformiert, ohne dass einer von beiden eine
erklärung versucht hätte. Max Hecker verdanke ich folgende durchaus plausible
erklärung: 'luscher' ist nach der Orthographie der frau rat soviel wie 'lutscher',
d. h. saugbeutel kleiner kinder (vgl. Deutsches Wörterbuch 6, 1354) und bedeutet
dann in übertragenem sinne 'ersatz, trostraittel'.
1,184: 'Mein armes Steckenpferd . . . wird nun aus mangel der nahrung so
klapperdürr wie der papst im Basler totentanz'; 1, 195: 'Sie gleicht dem kranken
löwen in der fabel : der war vom köpf bis auf den schwänz so mager wie der papst
im Basler totentanz.' Hier zitiert frau rat nicht ganz genau den eingang der 1773
gedichteten (wo zuerst erschienenen?) fabel Pfeffels 'Der kranke löwe', wo es heisst
(Poetische versuche 1,64): 'Der tiere grosssultan lag auf dem krankenbette : er war
vom köpf bis auf deu schwänz so dürr als bruder Hein im Basler totentanz.' Das-
selbe bild braucht noch Hebel in seinem alemannischen gedieht 'Die Vergänglichkeit',
wo der junge zu seinem vater beim anblick der ruinen des Eöttler Schlosses sagt
(werke 1, 87 Behaghel): 'Stohts denn nit dort, so schuderig wie der tod im Basler
zu DEN BRIEFEN DER FRAU RAT 91
totetanz?' Über die ergreifenden, hier gemeinten todesdarstellungen am prediger-
kirchhof von Grossbasel orientiert eingehend Wackernagel in seinem lehrreichen
aufsatz über den totentanz (Kleinere Schriften 1, 349)
1. 234. 256. 2, 188: 'Krieg und kriegsgeschrei'. Dass diese aus der Lutherschen
hibelsprache (Markus 13, 7; Matthäus 24, 7) stammende, auch im Faust vers 861
vorkommende wendnng nicht, wie Pniower (Goethejahrbuch 16, 169) wollte, zur
chronologischen bestimmuug der betreffenden Faustszene 'Vor dem tor' verwendbar
ist, da sie eben bei mutter wie söhn nur ihre auch sonst hinlänglich bekannte
bibelfestigkeit bezeugt, habe ich bereits in einer rezension im Euphorien 5, 583
gelegentlich bemerkt. Die Wendung ist in der literatur viel häutiger, als man glaubt:
schon das Deutsche Wörterbuch .^. 2271 wies sie aus den briefen der Elisabet Char-
lotte Von Orleans nach; Minor brachte (Göttingische gelehrte anzeigen 1900 1,237)
weitere belege aus Wieland, Lichtenberg, Arndt bei. Ich habe mir im lauf der
jähre noch folgende notiert: Brockes, Irdisches vergnügen in gott 5,509; Liscow,
Sammlung satirischer und ernsthafter Schriften s. 66 ; Kotzebue, Theater 13, 9.
14, 196; Tieck, Schriften 26, 332; Duncker, Iffland in seinen Schriften s. 184;
Jean Paul, Werke 11, 12. 29, 306 Hempel; Groth, Gesammelte werke 3, 321;
Meyer, Huttens letzte tage s. 62. Köster hätte nicht (1, XVI), den spuren Pniowers
folgend, die wendung in der Fauststelle als eindringling aus der dem dichter bei
seinem Frankfurter aufenthalt von 1797 wieder lebendig gewordenen Sprechweise
der mutter herleiten sollen, da Goethes bibelweudungen wohl dieser auffrischung
schwerlich bedurften. Das hvpothesengewirr über die in rede stehende szene mag
sich lösen, wie es will, jedesfalls hat diese wendung aus der reihe der ernstlich
in betracht kommenden momente unbedingt auszuscheiden.
1, 240 berichtet fi-au rat ihrem söhn am 9. november 1793 von den 18 über-
füllten aufführungen von Mozarts Zauberflöte im Frankfurter theater und beleuchtet
die kassenkrUftigkeit der oper noch durch eine reihe höchst ergötzlicher einzelheiten.
Es scheint bisher noch nicht bemerkt worden zu sein, dass dieser hinweis der frau
rat für den Weimarer theaterintendanten Goethe, der natürlich im Interesse der
kasseneinnahmen stets nach zugkräftigen stücken ausschau hielt, der unmittelbare
anstoss gewesen ist, Mozarts letztes mt'isterwerk baldigst seinem repertoire einzu-
verleiben. Die erste Weimarer aufführuug war am 16. januar 1794, und die vielen
folgenden Wiederholungen gaben Goethes Überlegungen recht (vgl. Burkhardt, Das
repertoire des Weimarischen theaters unter Goethes leitung s. 132). Umgekehrt
Hess sich wohl Goethe durch den ablehnenden bericht seiner mutter vom 23. de-
zember 1797 über die Frankfurter aufführung von Cherubinis Lodoiska (2, 38), die
in Paris bereits 1791 mit lebhaftem beifall gegeben worden war und des Verfassers
neuen opernstil einleitete (vgl. Hohenemser, Luigi Cherubini s. 138), bestimmen, diese
oper nicht in Weimar zu geben, wo sie erst am 26. Oktober 1805 zum erstenmal
erschien (vgl. Burkhardt s. 140 und meine darlegungen über den namen Lodoiska
in Schillers Deraetrius im Euphorien 4, 537).
1,251: 'Ohngeachtet die zeitläufte so beschaffen sind, dass mir des Diogenes
sein fass am liebsten Wcäre: ich wollte es schon rollen' Hier zitiert die mutter des
Sohnes doch wohl noch aus den Frankfurter Jugendjahren stammendes gedieht 'Ge-
nialisch treiben', dessen anfangs- und schlussverse übereinstimmend lauten i^Werkc 2,
272; Der junge (ioethe 6, 512): 'So wälz' ich ohne unterlass wie sankt Diogenes
mein fass.' Dass die quelle des bildes in Mendelssohns vorrede zu seinen Philoso-
phischen Schriften fGesammelte scliriftcn 1, 103: vgl. auch Lessing. Sämmtlicho
92 LEnZMAX.V
Schriften 15, 202) zu suchen ist, hat Morris an der genannten stelle wohl richtig
vermutet.
1, 252: 'Wir können dem rad des Schicksals doch, ohne zerschmettert zu
werden, nicht in die Speichen greifen' ; 1, 271: 'Da ich die Speichen des grossen rades
nicht aufhalten kann . . .' ; 2, 41 'Ich . . . kann dem rad des Schicksals nicht in die
Speichen fallen und es aufhalten.' Welche stelle welches dichters wird hier dreimal
ganz ähnlich zitiert? Suphan denkt (Briefe von Goethes mutter an ihren söhn s. 368)
an die verse Auf Miedings tod 53 (Werke 16, 185): 'Nenn' ihn der weit, die kriegrisch
oder fein dem Schicksal dient und glauht ihr herr zu sein, dem rad der zeit ver-
gebens widersteht, verAvirrt, beschäftigt und betäubt sich dreht.' Ich glaube nicht,
dass diese Vermutung das richtige trifft, schon aus dem einen gründe, weil ein
Avichtiges bildliches moment, das dort in allen drei stellen sich wiederfindet, die
Speichen des schicksalsrades, in die der mensch vergeblich zu greifen versucht, in
diesen versen fehlt, deren bildlichkeit und damit eindrucksfähigkeit ins gedächtnis
wesentlich geringer ist. Frau rat zitiert nun mit Vorliebe Schillers Don Carlos,
den sie im Frankfurter theater öfter aufführen sah und in ihrem lesekränzchen mit
verteilten rollen las: so 1, 179 (vers 2493 der Thaliafassung, von Köster nicht nach-
gewiesen). 187 (vers 845). 2, 73 (vers 89 = vers 1720 der Thaliafassung, gleichfalls
von Küster nicht nachgewiesen). Auch unsre stelle ist ein reflex aus Don Carlos,
und zwar aus einer rede des. Posa in der grossen auseinandersetzung mit könig
Philipp (3, 10), wo es heisst (vers 3166): 'Sie wollen allein in ganz Europa sich
dem rade des weltverhänguisses, das unaufhaltsam in vollem laufe rollt, entgegen-
werfen? mit menschenarm in seine Speichen fallen?' Hier haben wir die .volle
l)ildlichkeit der Speichen des schicksalsrades, die in der von Suphan herangezogenen
stelle Goethes vermisst wurde.
1, 252: 'Der mein wohnhaus von unten an bis oben aus besichtigen . . . soll';
1,262: 'Zwar haben zwei raäkler das haus von oben an bis unten aus besehen';
2, 86 : 'Der hat ihr einen brief geschrieben, der . . . von oben [an] bis unten aus von
deinem lobe voll war' ; 2, 178 : 'In pelz gehüllt von oben an bis unten aus.' Auch
hier haben wir wieder im stil eine biblische reminiszenz, von der ich nicht weiss,
ob sie etwa auch bei Goethe selbst in werken oder briefen vorkommt; nach dem
tode .Jesu berichten die beiden ersten evaugelien übereinstimmend (Matthäus 27, 51 ;
Markus 15,38): 'Der Vorhang im tempel zerriss in zwei stücke von oben an bis
unten aus.'
1, 290: 'Gott segne dich im neuen jähr: er lasse, seine lieb' und gut' um, bei
und mit dir gehen, was aber ängstet und betrübt, ganz ferne von dir stehen' dürfte
aus einem kirchenliede zitiert sein, mit dessen aufsuchuug ich keine zeit habe ver-
lieren mögen. Suphans bemerkung (s. 375): 'Wohl aus dem Stegreif gereimt . . .
lässliche ausspräche verratend' erscheint mir demgegenüber wenig glaubhaft.
2, 25: 'Sömmerring . . . wird dir ehestens etwas vortreffliches das äuge be-
treffend übersenden.' Köster macht dazu die unbegreifliche anmerkung (2,230):
'Sömmerring, S. Th., Über das organ der seele'. Diese Königsberg 1796 erschienene
Schrift hatte Goethe schon im frühsommer dieses Jahres erhalten und sich am 15. juui
brieflich bei dem Verfasser dafür bedankt (Briefe 11, 98), während der brief der fr au
rat vom 15. mai 1797 datiert ist: und was hat auch das organ der seele mach
Sömmerring die hirnflüssigkeit) mit dem äuge zu tun? Der fehler geht letzten
endes auf Suphan zurück, der (s. 378) den brief Goethes vom 15. juni 1796 zitiert,
als wenn er ins jähr 1797 gehörte, und damit die falsche beziehung gewinnt, die
7X UEK 15K1EFEN DER F15AL KAT 93
doch leicht richtigzustelleu war. Sömmerring arbeitete damals am ersteu bände
seines werks über die menschlichen Sinnesorgane, der erst Frankfurt 1801 unter
dem titel 'Abbildungen des menschlichen auges' erschien. Als ihn Goethe am tage
seiner ankunft in seiner Vaterstadt am 3. august 1797 besuchte, sprach er mit ihm
'über das äuge, dessen schöne arbeiten über dieses organ" (Tagebücher 2, 79).
2,69: 'Der marsch aus dem Titus hat mir wegen der vermaledeiten sprünge
viel not gemacht.' Diese notiz über den verhältnismässig recht leicht zu spielenden
marsch aus Mozarts Titus (partitur nr. 4) lässt uns deutlich werden, dass es frau
rat wegen ihrer vorgerückten jähre nicht mehr gelungen ist, ihr klavierspielstecken-
pferd ordentlich auf die beine zu bringen.
2,76: 'Um den hanswurst, der keine ader von einem rechten hanswurst hatte:
i hab sein kragen, sei knöpf; hätt' i a sei köpf!' Die worte nach dem kolon sind
unvollständiges zitat aus Goethes Jahrmarktsfest von Plundersweilern vers 209
(AVerke 16, 19; Der junge Goethe 3, 147): 'Hab' sei krage, sei hose, sei knöpf: hätt'
i au sei köpf, war' i hansMnirst ganz und gar.'
2, 137. Des hier genannten Schauspielers Johann Konrad Friedrich vermeint-
lichen besuch bei Goethe, der wahrscheinlich ganz aus der luft gegriffen ist, habe
ich im feuilleton des Berliner tageblatts vom 31. dezember 1915 kritisch beleuchtet.
2, 144: "Vielleicht geht alles besser, als man denkt: müssen erst den neuen
rock anprobieren, vielleicht tut er uns nur Aveuig genieren, drum lasst hinweg das
lamentieren usw." Hier scheint ein zitat aus einer komischen opernarie vorzuliegen,
die nur ein intimer kenner der damaligen operettenüteratur oder ein glücklicher
Zufall würde eruieren können. Mit noch grösserer Sicherheit erkenne ich in 2, 146
'Da nur ein schritt, ja nur ein haar dir zwischen tod und leben war' wieder ein
kirchenliedzitat (vgl. oben zu 1, 290).
2, 147. Die 'hochbeinigen zeiten' sind nicht, wie Suphau (s. 362) naiv annahm,
verschriebene 'hochpeinige oder hochpeinliche', nicht eine Schöpfung der frau rat,
der der Schulmeister keine korrekte rechtschreibung beizubringen imstande war,
sondern wirklich 'hochbeinige', jähre der teurung, noch Adelung aus dem gemeinen
leben als gebräuchlich bekannt. Im Deutschen Wörterbuch 4, 2, 1607, wo dieser
zitiert wii'd, wird zugleich noch eine niederdeutsche stelle aus dem anhang satiri-
rischer und hochzeitsgediclite zu Lappenbergs Laurembergausgabe 7, 17 ei si'hif
hochbeende Jaren angeführt. Ich kenne noch zwei Aveitere stellen für das merk-
Avürdige wort. Im gleichen anhang zu Lauremberg l!,46 steht o recht hochbeente
Jaren; ferner schreibt Wilhelmine Heeren an Marianne Bürger (Briefe aus alter zeit
s. 67): 'Da ich nun bei diesen hochbeinigten zeiten sehr sparsam geworden bin . . .'
2, 165 schliesst frau rat die Schilderung einer durch übereilten wegzug der
bewohner unordentlich gewordenen wohnung mit dem schhisstnimpf : 'Es sähe aus
wie in der zerstömng Jerusalems.' Damit wird nicht auf die historische Zerstörung
der jüdischen hauptstadt durch Titus, sondern auf eine beliebte ausstattungsoper
angespielt, die diese zum gej^eustand hatte und die schon Eeuter in seinem
Schelmuffsky (Werke 1, 293. 2, 174) höchst ergötzlich als glanzleistung damaliger
theaterillusion beschreibt; ihr Verfasser war Postel.
2, 179: 'Bei so einer okkasion oder gelegenheit fällt mir immer das herrliche
epigramm von Kästner ein: Ihr fürsten, grafen und prälaten, auch herren uud
Städte insgemein, vor 20 speziesdukaten, denk doch, soll einer Goethe sein.' Dies
epigramm findet sich weder in der gesamtausgabo von Kästners Schriften noch in
irgendeiner der modernen nachlesen zu seiner epigrammdichtung, und mir scheuit
94 MICHELS, WELCHE DIES LAND GEBAR
es apokryph. Nach dem, was wir von Kästners Stellung zu Goethe wissen (vgl.
zuletzt darüber Becker, Kästners epigrammc s. 196), ist es unmöglich von ihm; aber
woher stammt es sonst? —
Nun zum schluss zu dem problemchen, das auch direkt mit frau rat zu-
sammenhängt. Aus ihrem Stammbuch hat seinerzeit Euland im Goethejahrbuch
12, 175 folgenden eintrag mitgeteilt, der dann in die neueren Goetheausgaben, über-
gieng (^Werke 4,180; Der Junge Goethe 1,91):
'Das ist mein leib, nehmt hin und esset,
das -ist mein blut, nehmt hin und trinkt,
auf dass ihr meiner nicht vergesset,
auf dass nicht euer glaube sinkt.
Bei diesem wein, bei diesem brod
erinnert euch an meinen tod.
Zum zeichen der hochachtung und ehrfurcht
setzte dieses seiner geliebtesten mutter
Frankfurt, den 30. sept. 1765. J. W. Goethe.'
Ich habe die stärksten zweifei, ob wir es hier mit originalversen des jugend-
lichen Goethe zu tun haben, und bin sehr geneigt, die zeilen mindestens zum teil
für ein zitat aus einer damaligen Oratoriendichtung, die die passion behandelte, zu
halten. Meine zweifei entsprangen bei der lektüre von Zaruckes abhandluug über
Christian Reuter als passionsdichter (Berichte der sächsischen gesellschaft der Wissen-
schaften 1887 s. 306). Zarncke konfrontiert dort (s. 363) die verse aus Brockes'
passion bei einsetzung des abendmahls: 'Das ist mein leib, kommt, nehmet, esset,
damit ihr meiner nicht vergesset' mit den deutlich anklingenden in Reuters passion:
'Nehmt, das ist mein leib, und esset, dass ihr meiner nicht vergesset' und bemerkt
dann, ob dieser anklang entlehnung begründe, bleibe dahingestellt, da es ja nicht
unmöglich sei, dass die evangelienworte 'Solches tut zu meinem gedächtnis' un-
abhängig zu dem reim 'esset: nicht vergesset' geführt hätten. Ist die letztere an-
nähme schon an sich schwer glaublich, so wird sie noch unwahrscheinlicher, wenn
wir im hinblick auf obige verse glauben müssten, dass beim jungen Goethe der
gleiche reim zum dritten male unabhängig sich sollte eingesteH,t haben. Ich glaube
im hinblick auf Brockes' und Reuters passionstexte annehmen zu sollen, dass der
söhn hier der mutter entweder eine arienstrophe, aus einem bei ihr vielleicht be-
liebten oder von beiden gemeinsam gehörten oratorientext wörtlich zitierend, in ihr
'schatzkästlein' geschrieben oder doch eine solche nur leise paraphrasiert hat Das
textbuch genauer nachzuweisen ist mir leider trotz dankenswerter Unterstützung
Hugo Riemanus und der kennerin der Frankfurter rausikgeschichte frau Karoliue
Valentin bisher nicht gelungen, doch mochte ich den gedanken selbst der kritischen
Prüfung der fachgenossen, von denen vielleicht einer mehr finderglück entwickeln
mag, nicht länger vorenthalten.
.JENA. ALBKUr LKITZMANX.
'Welche dies bind gebar' ; zu Zeitschr. 48, 125.
Da die verse Faust II, 9843 ff. ihrer kühnen syntaktischen konstruktion
wegen beständig missverstanden werden und ich auch die neuesten auslührungen
von Borinski in dieser Zeitschr. 48, 125 für verfehlt halte, so erlaube ich mir
HELM ÜBER ZIESEMER, DAS MARIENBURGER ÄMTERBUCH 95
auf die Umschreibung hinzuweisen, die ich schon 19i>6 im Euphoriou 13, 292
gegeben habe. Zur ergänzung möchte ich hier nur zweierlei hinzufügen: 1. Ich
nehme 'es' in 'bring' es gewinn' als unbestimmtes snbjekt, auf das unternehmen be-
züglich, von dem gerade die rede ist, den griechischen freiheitskampf ; eine solche
leichte Verschleierung liegt im stil derartiger glück- und Segenswünsche. Man setzt
'auf gutes gelingen' an oder "auf den tag' (Lissauers 'Hassgesang'), ohne näher an-
zudeuten, um was es sich handelt, mit einer gewissen verschwörerischen heiuilich-
tuerei. 2. Goethe stellt 'die nicht zu dämpfenden' (die griechischen revolutionäre)
'allen' kämpfenden, also auch ihren türkischen Unterdrückern gegenüber und
wünscht ihnen 'heiligen sinn' : sanctitas, temperantia. Darin liegt der ausdruck
eines leisen Unbehagens, den er solchen revolutionären ausbrüchen gegenüber denn
doch nicht ganz unterdrücken kann ; freilich sind die worte weniger aus der seele
Euphorions als aus seiner eigenen gesprochen. Er kannte die bestie im menschen,
die sich bei revolutionskämpfen stets zeigt, nur zu gut, hatte er doch selbst der
Volksbewegung der freiheitskriege kühler gegenübergestanden, als wir für billig
halten werden. Die kühnheit der form dient in gewissem sinn, die bedenklichkeit
im Inhalt zu verdecken, die den segens^\Tinsch einer mahnung annähert.
.JENA. VICTOR MICHELS.
LITERATUK.
Das Marienbnrger Ämterbuch. Mit Unterstützung des Vereins für die herstellung
und ausschmückung der Marienburg herausgegeben von Walter Ziesemer.
Danzig, druck und verlag von A. W. Kafemann, 1916. IX, 222 s. 8 m.
Seinen ausgaben des Hauskomturbuches imd Konventsbuches lässt Z. als dritte
Publikation eine ausgäbe des „Marienburger Ämterbuchs" folgen, das handschriftlich
im Ordensfolianten nr. 12i' im Königsberger Staatsarchiv aufbewahrt wird. Es handelt
sich bei diesem ..Ämterbuch"' um eine Sammlung von Inventarverzeichnissen, die in
den zum Marienburger haupthaus gehörenden gebieten bei amtswechseln in den
Jahren 137^—1142 aufgenommen wurden, nämlich die inventare des grosskomturs,
tresslers und hauskomturs, die inventare der ordensvogteien zu Stuhm, Grebin, Leske,
Scharpan, Bönhof, Mösland, Montan, Lesewitz, Kalthof sowie der verschiedenen
Marienburger ämter (kelleramt, marschall, karwan, viehamt, steinamt, kornamt,
spittelamt usw.). Hinzu treten in der au.-'gabe einige ergänzungen aus einem wenige
jähre später angelegten kleinen ämterbuch, welches inventarisationen aus der zeit
von 1445-1449 enthält, und aus dem deutsch-ordens-briefarchiv. Ein register der
personen- und Ortsnamen sowie ein ausführliches wort- und Sachregister bilden den
schluss. In diesen Verzeichnissen ist eine Inkonsequenz bei der registrierung der
im text genannten werke der ordensbibliotheken festzustellen, da diese werke zum
teil im register der namen aufgezählt sind (Barlaam, Job, Judith, Roland, Stricker),
zum grösseren teil im Sachregister (Apokalypse, Veterbuch, Hester, Passional und andere).
Die bedeutung der publikation ist eine doppelte. Für die Wirtschaftsgeschichte
des Ordens um die wende vom 14. zum 15. Jahrhundert, also in der zeit seiner
grössten blute und des beginnenden niedergangs, ergeben sich aus den inventareu
sehr wertvolle anhaltspunkte, besonders für die gebiete der pferdezucht, des band-
96 HourN'sKi
werks, des wafteu-, bekleidimgs- und verptiegungswesens. Dem germanisten dagegen
wird ein sehr wertvolles siirachliches material zur Verfügung gestellt. Dabei sind
die lautlichen erscheinuugen die weniger wichtigen, da quellen für die im ordensland
sich heranbildende gemeinsprache schon ziemlich reichlich vorhanden sind. Immer-
hin sind gewisse Schwankungen in der lautlichen wiedergäbe aus den einzelnen vog-
teien beachtenswert. Weit wichtiger ist die lexikalische ausbeute, deren ertrag im
zweiten register gesammelt ist. Ich will hier nur zu wenigen werten einige bemer-
kungeu beifügen. Ist ulantwi/n (Z. : auf Aland abgezogener wein) nicht vielleicht
eine verschreibung für lantaujn (siehe s. 78, 4)':' — sifinieirelei/senveijle feile für runde
Gegenstcände Z. ; nicht eher runde eisenfeile ? — für schilt in eberschüt, berschilt ver-
mutet Z. die bedeutung: keule. Nach dem deutschen Wörterbuch IX, 123 bezeichnet
man beim Schwarzwild als schild panzerartig verhärtete stellen über den blättern
und am rücken, die besouders im winter auftreten. Auch in der spräche der flei-
scher ist die bezeichuung schild für den hinter dem vorderblatt liegenden teil des
rindes bekannt. Deshalb wird eberschüt wohl besser als wildschweinrücken zu er-
klären sein. Eine nachprüfung verdienen die vielen unter ,aale' verzeichneten stellen.
Handelt es sich hier wirklich stets um aale und nicht auch gelegentlich um öl,
z. b. s. 11, 32, wo unmittelbar hintereinander folgt: 2'-/2 tonne ruhensomen, item 1 tonne
oles, oder 11, 10, wo folgende aufzählung begegnet: li tonnen herrynges, item i tonne
dorsche und 8 honiges, item 1 tonne oles, item 2 leste und 1 tonne gutes birs und
8 tonne metes. .ledesfalls muss (las eine auffallen : Wenn man alle bei Z. verzeich-
neten stellen auf aale deutet, hat es an ölvorräten im orden überhaupt gefehlt. —
Auch sonst bleibt noch manche frage offen ; für ihre spätere lösung ist der heraus-
geber, der ja auch leiter des Preussischen Wörterbuchs ist, gewiss am besten gerüstet.
FRANKFIKT A. M. KAKL HEI.M.
Kourad Burdacli, Vom mittelalt er zur reforraation. Forschungen zur
geschichte der deutschen bildung. ' Im auftrage der königl. preuss. akademie
der Wissenschaften herausgegeben.
II. bd. : Konrad Burdach und Paul Piur, Briefwechsel des Cola di Rienzo.
8. teil: Kritischer text, lesarten und anmerkungen. XIX und 471 s., gr. 8". 4. teil:
Anhang, urkundliche quellen zur geschichte Rienzos. Oraculum angelicum Cyrilli
und koramentar des PseudoJoachim, Berlin, Weidmannsche buchhandlung 1912. XVI
und 254 s., gr. 8°. 1. Teil: Konrad Burdach, Rienzo und die geistige Wandlung
seiner zeit. Erste hälfte. Berlin, Weidmannsche buchhandlung 1913. VIII und
368 s., gr. 8" nebst beilage (nachtrag zu teil 3 und 4), (j s., gr. 8".
Folgendermassen fasst Ranke (Weltgeschichte 1895, IV, 399) das urteil der histo-
riker über Cola di Rienzo, früher gewöhnlich Rienzi, Cola [di] Bienzi aus Nicolaus Lan-
re«f // [filius], zusammen: 'Fern lagen Karl IV. ideen, Avie sie Ludwig der Bayer behauptet
und wie sie damals in wunderlicher karrikatur in Cola di Rienzi erschienen . . ., der, die
rechte des römischen Volkes erneuernd, die stirn hatte, den papst und die kardinale,
aber zugleich auch Ludwig und Karl vor das tribunal des römischen volkes zu
laden, um über ihre rechte zu entscheiden.' (Der satz steht sichtlich unter dem
eindruck der ersten Veröffentlichung des betreffenden dokuments in Gayes Car-
teggio inedito d'artisti dei secoli XIV, XV, XVI, Tomo I, Firenze 1839, App. I.)
Auch die spezialhistoriker (Gregorovius, Gesch. d. stadt Rom, IV *. 273 f., Riezler'
ÜBER BURDACH, VOM MITTELALTER ZUR RErORMATIOX 97
Lit. Widersacher der päpste, s. 50, anm. 1) halten Eienzo für gruudbeeinflusst von
dem demokratischen auftreten Ludwigs des Bayern in Rom 1328, seiner wähl eines
bettelmönchs vom kloster Aracaeli auf dem kapitol zum papst (vgl. hier s.l33f. und anm,).
Das schroffe urteil grade schon F. C. Schlossers (18-46) und nach ihm Gregorovius' (1867)
scheint erster quellcngemässer ' rückschlag gegen die euglisch-liberalistische verhiin-
raelung des last of Romans (Byron, Childe Harold IV St. 114), last of trihtines (Bulwers
roman Rienzi 1885) durch die revolutionäre dichtung und oper der ersten hälfte desl9.jahr-
huuderts. Im banne von Bulwer: Richard Wagners Feldgeschrei 'Spirito santo Ca-
valiere' (vgl. hier s. 152) stehen wohl noch (1850/51) Gutzkows 'Missionäre der frei-
heit und des glaubens an die zeit, die der pfingstzeit neues windeswehen bestreicht',
die 'Ritter vom geist', die ja schliesslich (1858—61) auch den 'Zauberer von Rom,
(d. i. den papst) vor ihr tribunat laden. Auch ihr held ist ein füi'stlicher bastard.
Das 'dritte Zeitalter', das 'des geistes', wie es der 'heimliche kaiserspross' Cola d.
Rienzo aus dem munde seiner spiritualen verkündet, 'das dritte reich', spukt seit-
dem in vielen köpfen (so gleichfalls als prophetie am schluss von Ibsens 'Kaiser
und Galiläer"). Man übersah, dass es im sinne jener Verkündigung (durch den abt
.Joachim von Flore in Calabrien) — ein mönchisches, nach dem ..'fleischlichen
und priesterlichen' vor und nach Chr., sein sollte. Eienzo, persönlich der über-
spannt geistige und politische revolutionär des 'himmels auf erden', erscheint aller-
dings in seiner studierten eitelkeit, halt- und skrupellosigkeit, seiner grausamen
genusssucht, als echter 'moderner mensch'. Diese geheime Zauberkraft, die ihm seine
zeit nachsagte, wirkt jedesfalls offen und mit voller Sympathie wohl auf die unsere
seit der grossen revolution. In hochwissenschaftliche form bringt die auffassung des
modernen revolutionszeitalters von seinem ersten ritter vom geist die weitschichtige
Veröffentlichung, deren zweiter band, auch dieser noch unvollständig, hier vorerst
nur vorliegt. Eine Sorgfalt, wie sie nur ersten geistern und wichtigen unaufge-
hellten daten der nationalgeschichte zuteil wird, umgibt das andenken des 'phan-
tastischen' römischen flüchtlings, als welcher er könig Karl IV. erschien (vgl. hier
II 3, 217, 7. 10). Zwei jähre (soramer 1350 bis sommer 1352, vgl. hier II 3, 191
bis 411) hat er als gut gehaltener gefangener des 'nüchternsten' (s. 1 , s. 7) deutschen
kaisers in Böhmen zugebracht. Dort in Karls IV. kanzlei hat er die aussaat seines
schwülstigen, weit weniger aus antiken schriftstelleni, als aus biblisclien und mittel-
alterlichen orakeln zusammengewobenen Stiles hinterlassen. Die neue kuriale mode
der 'poetischen' stilgebung wuchert hier, von der uns Petrarca, das vorbild seiner
,tribunicischen' krönung mit dem lorbeer (vgl. G. Voigt, Wiederbelbg. des kl. alt.s
I 51), eine so ergötzliche Schilderung aus Avignon entworfen hat (Epist. fani. XIII 7).
Ohne Petrarca, der vielleicht auch hier hinter ihm steht (Voigt II 268) und
jenes urteil ('non ideo magis poeta, quam textor' hier II 4, 154 f.) über ihn fällt,
hätte Eienzo die 'erregenden' wiikungen auf die analoge stilbildung eines Jobann
von Neumarkt (vgl. Voigt II, 270 darüber) kaum geübt, wie sie die briefe nr. 54-06,
nr. 68 59, nr. 75/76 ins rechte licht setzen. Deutsche Unterwürfigkeit gegen sen-
sationelle erscheinungen des ausländes kann (siehe auch hier 1, s. 32) nicht rüh-
render zum ausdruck kommen. Die letzteren vier nummern fügt diese neue ausgäbe
des briefwechsels Cola di Rienzos aus Codices 15. saec. der Breslauer Universitäts-
bibliothek den drei bisher bekannten briefen zwischen ihm und dem humanistischen
notar (bald kanzler) Karls IV. hinzu.
1) Felix Papencordt, Cola di Rienzo und seine zeit. Besonders nach unge-
druckten quellen dargestellt. Hamburg und Gotha 1841.
ZEITSCHRIFT F. DKUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XLIX. 7
98 uorin.sk I
Das grosse aufseheu, das Rieiizos unterneluueu in seiner zeit machte, bewirkte,
dass seine briefe alsbald abgeschrieben und herumgetragen wurden, 'als ob sie', wie
Petrarca an ihn schreibt, 'nicht von einem menschen unseres geschlechts, sondern
vom himmel oder den antipodeu kämen'. Eine Sammlung von ihnen ist früh, an
einer wunderlichen stelle gedruckt worden: nämlich 1613 in des Job. Hocsemius
Chronik der bischöfe von Lüttich (titel usw. siehe hier 3, s. IXJ. Reinald Orsini,
der heftigste bekämpfer Rienzos in Eom, war nämlich erzdiakon (Leodiensi archi-
diacono, Überschrift des briefes nr. 46 bei Hocs,), der päpstliche legat (gegen ihn),
Bertrand von Deux, propst der kirche von Lüttich (Papencordt a. a o. s. 326).
Weitere Veröffentlichungen bewirkte im 18. Jahrhundert das Interesse für Petrarca
in des abbe de Sades bekanntem werke Memoires de Petrarca III und anfang des
19. Jahrhunderts die Byronschwärmerei in des John Hobhouse Historical Illustration
of the fourth Canto of Childe Harold (2. ed. London 1818). Den Jesuiten du Cer-
ceau, dessen oi<rraf/e 2>'>sf^'i'>'iß' 'Conjuration des Nicolas Gabrini dit de Eienzi,
tyran de Rome (Amsterdam 1734, 12", nach Papencordt s. 308) auch 'nachrichten
und Urkunden in den annalisten der römischen kirciie' benutzte, habe ich unter den
quellen nicht gefunden. Den namen Gabrini, den ich bei Rienzo nicht zu erklären
weiss, trägt auch ein angeblicher abkömmling Rienzos, Fra Tomaso Gabrini, der
um 1800 nach de Sades muster über seinen 'anherrn' schriftstellerte. Gänzlich auf
de Sade, gleich ihm, fusst nach Papencordt, s. 309, die wegen ihres herausgebers
doch wohl erwähnungswerte anonyme eröffnungsschrift des I. baudes von Seh i Hers
'Geschichte der merkwürdigsten rebellionen und Verschwörungen', 1788, s. 1-106:
'Revolution in Rom durch Nikolaus Rienzi in jähre 1347'. Papencordt, s. 309, schreibt
sie noch Schiller selber zu. Sie ist aus dem französischen übersetzt von Huber
(vgl. Goedeke hist.-krit. ausgäbe IV, s. 114, aum.). Die ausgaben bei Papencordt,
die bereits die (mangelhaft abgeschriebene) Sammlung Pelzels, des geschichtsschrei-
bers Karls IV. benutzen konnte (vgh a. a. o. s. 321 ft. und Urkunden von s. VI— (')
und des gesamten Epistolario di Cola di Rienzo a cura di Annibale
(iabrielli, Roma 1890 (Fonti per la Storia d'Italia pubblicate dall' Istituto Sto-
rico Italiano. Epistolari. Secolo XIV) werden ferner im wesentlichen vermehrt:
durch nr. 72, ein nach zeit, anlass, ort und adressaten unsicheres, sehr unterwür-
figes (bruch ?-)stück aus der (böhmischen?) gefaugenschaft, das die bevorstehende
befreiung ersehnt; aus einem codex 14. saec. der stiftsbibliothek von Ossegg.
nr. 75, an einen dogen von Venedig, in dem sich der von Petrarca als poetischer
rivale in Avignon verspottete, aber dadurch nach Ciceros rechtsgrund für den dichter
Archias vom tode befreite (siehe anh. nr. 60, z. 129 ff.) tribuu als gelegenheits-
dichter empfiehlt: rimator! S. 422, z. 19, wie nr. 74, 10 sono rirae! Also wohl
noch in mittelalterlichen gereimten hexametern oder im volgare. Vorliebe für den
reim verrät auch seine prosa: Nr. 70, z. 172 ff". 14 Vordersätze mit endreim auf as.
Den sogenannten 'Leoninischen cursus" in rhythmischer anordnung der satzschlüsse,
wie ihn die historiker sogar zum kriterium von papsturkunden erhoben haben, setzt
der herausgeber überall voraus und merkt an, wo er mangelt. Wie man weiss,
sucht er ihn auch in den deutschen denkmälern dieses kreises nachzuweisen (dem
hier mit Dante in parallele gestellten 'Ackermann von Böhmen'). Der versuch, ihn
in Petrarcas brieten aufzuspüren (hier 1, 108 f.) und nicht bloss in offiziellen schreiben
an den papst, stösst offenbar schon jetzt auf die Verachtung des pater poeseos für
die mittelalterlichen formen, die seiner eigenen rhythmischen verse nicht schonte.
Auf das 'problem des cursus der liuinaniston' will aum zu 1, 109 an anderer stelle
ÜBEK lil'RüArn, VOM MITTELALl'EK ZI K UK1\>I{MATI0X 99
zurückkomiueu. Aus cod. 14 s. der Leipziger stadt- und Klageufurter fiirstbischöf-
lichen bibliothek: Nr. 80, Begrüssuugssclireiben des durch Innocenz VI. wieder-
eingesetzten aus Rom au Karl IV. zu dessen krönungsfahrt nach Italien 1854; aus
einem cod. 15 s. der Breslauer Universitätsbibliothek. Nr. 1, in dem sich die römi-
schen gesandten in Avignon 1343 an 'senat und volk Roms' wenden, ist wegen
seiner inhaltsgleichheit (ankündigung des fünfzigjährigen Jubeljahres durch die
päpstliche bulle vom 27. jan. 1343) mit dem von Eieuzo unterzeichneten schreiben
ur. 2 (bei Gabrielli nr. 1) aus einem cod. 14—15 s. der Turiner bibl. nazionale hier
hinzugefügt worden. Die drei uummern 17, 31, 82, von papst Clemens VI. aus
Avignon, 1347, die erste eine absolutionsformel 'in mortis articulo', die beiden andern
ankündigungs- und beglaubigungsschreiben für den päpstlichen bevollmächtigten,
bischof Matthäus von Verona, an die römischen rektoren Raimund von Orvieto und
Eienzo, können kaum als Vermehrungen des epistolars Rienzos aufgeführt werden.
Die vier unter die 'zweifelhaften und unechten briefe' aufgenommeneu ungedruckten
schreiben (II— V) aus der kanzlei Karls IV. von und an den 'tribunus' (aus einer
Breslauer, II zugleich aus einer Münchener handschrift, dieses eine reine stilübung
mit 13 Zeilen langem eingang aus Cassiodor; wagt der herausgeber nicht, ihm zu-
zuweisen. Ein autograph Rienzos, als notars ('scriptum per me Nicolaum Lauren-
tium, notarium camerae urbis . . .) aus dem archivio del coUegio dei commercianti
di Roma, das Gatti (Statuti dei mercanti di Roma tavola II) 1885 in heliotypie ver-
öffentlicht hat, ist dem briefljande in facsimile beigegeben, 'Die schrift ist sauber
und elegant' (Gregorovius VI '233). Der notar schrieb (nach der Vita) 'aus rücksicht
für sein hohes amt' nur mit silberner feder. Der Urkundenanhang des IV. teiles
bringt als neu briefe und erlasse der päpste Clemens' VI. und Innocenz' VI. in
Sachen de^ Rienzo nach den vatikanischen beziehungsweise avignonesischen hand-
schriften, die nur zum teil bisher in Theiners codex diplomaticus Dominii tempo-
ralis S. Sedis Tom. II (Rom 1862) und Wernusky Excerpta (ex registris Clemens VI.
et Innocenz VI., Innsbruck 1885) auszugsweise veröffentlicht, zum teil von italieni-
schen historikern in den letzten jahrz*inten angezeigt waren. Der nachtrag zu
teil 3 und 4 in teil 1, s. 3 beklagt den in Padua durch dr. Piur festgestellten Ver-
lust des briefes des Paduaner bischofs Hildebrand (den mitempfänger der unge-
druckteu Urkunde Clemens VI. über Rienzos einführung als notar; hier teil 4, nr. 2)
an seinen vikar vom 30. juli 1347 als wertvoll für Kienzos revolution. Das doku-
ment (LXXXVII bei Dundi Orologio, Istoria ecclesiastica Padovana, Padova 1815)
soll nach Dondis 'unvollständigem und fehlerhaftem' text im kora mentarband,
teil 5, veröffentlicht werden; mit einer reihe anderer briefe und aufzeichnungen,
die den herausgeben! bisher entgangen Avaren und andern aktenstücken, den von
Cipolla herausgegebenen vatikanischen Suppliken, sowie briefen Petrarcas, in denen
Rienzos nur im vorbeigehen erwähnung getan wird. 'Eine planmässige durch-
forschung der italienischen bibliotheken und archive nach neuem material über I?.
lag grundsätzlich ausserhalb des rabmens dieses werkes, das mit den mittein der
deutschen kommission der Berliner akademie durchgeführt, sich hier naturgemäss
zu bescheiden hatte.' Was hiermit geboten wird, die diplomatische Zusammen-
stellung des gesamten vorhandenen urkundenmaterials über Cola di Rienzo, scheint
reichlich genug. Wenn man, schon wegen der fülle des sonst geboteneu, etwas
vermisst, so wäre es der bequemlichkeit halber die aufnähme der ,descriptio urbis
Romae ejusque excellentiarum' mit der römischen epitaphiensammlung, die de
Rossi und nach ihm H.-nzen (im Corpus inscr. Lat. VI P. I. pg. XV) Rienzo zu-
100 nORINSKI
schrieben; ferner der abdruck der viel herangezogenen 'Vita di Cola di Rienzo',
deren alter druck von 1624 und nach dessen text gemachte populäre ausgäbe
mit historischep anmerkungen, zuletzt von Zefirino Ret 1854 Florenz, le Monnier,
nach Papencordt (s. 3U8ff.) wenig kritisch sind. Sollte sie deshalb weggeblieben
sein, weil der biograph, der Eienzo 'persönlich und politisch nahegestanden haben
muss, . . . seine handlungen und seinen Charakter trotz mannigfacher anerkeunung
mehrmals streng, ja übelwollend beurteilt' (vgl. hier II 1, 87)? Aus ihrem rahmen-
werke, (gleichfalls italienischen) bruchstücken einer geschichte Roms in Muratoris
Antiquitates Italicae medii aevi III (Mediol. 1740) sind einzelne stellen, mit der über
sein grässliches ende, in den anmerkungen zu II 4 nr. 74/75 mitgeteilt. Ich notiere
hierzu, dass in Papencordts, von Höfler herausgegebener • Geschichte der Stadt Rom
im mittelalter (Paderborn, 1857) s. 416-422 'aus einer hs. der Bibl. Barberina jene
kapitel in anmerkungen angeführt sind, die sich auf Rom beziehen und bei Muratori
antiqu. III fehlen'. Dafür bringt unsere ausgäbe (am schluss von teil 4, s. 221-343)
das in Rienzos geschick, als persönliche Prophezeiung, verwobene 'Oraculum angeli-
cum Cyrilli' nebst dem bisher ungedruckten kommentar des PseudoJoachim, besorgt
und mit einem spezialwortverzeichuis ausgestattet von Paul Piur (bis auf die von
Burdach herrührende beschrcibung des alten venezianischen Theolosphorusdruckes
von 1516, s. 231-288). Schon äusserlich verraten die vielen griechischen lehnworte
des Wortverzeichnisses die 'mystification'^ (vgl. nachtrag zu teil 3 und 4, s. 5) einer
ursprünglich griechischen fassung des in selbiger jedesfalls nicht erhaltenen
Orakels. Unter dem namen des karmeliten Cyrill von Constantinopel (f 1224, als
dritter general seines Ordens) überliefert, wird diese astrologisch-biblische apoka-
lypse, deren erstes kapitel zumal Rienzo (vgl. hier II, 3, 267 brief an den erzbischof
von Prag nr. 57, 948 ff.) aiif sich bezog, von ihrem ersten herausgeber, dem unbe-
schuhten karmeliten Philippus a Sma Trinitate (Lugduni 16C.3, exemplar in der
Münchener Universitätsbibliothek) auf die gründungs- und entwicklungsgeschichie des
karmeliterordens gedeutet. Als prophezeihung auf eine strenge reformation des
mönchslebens gegenüber 'religiosis pravis, qui portabuut magna capucia post ter-
gum iu modum cornu' erscheint sie jedesfalls in ihrem hier mitgeteilten kommen-
tar. Von der legende wird dieser dem berühmten spiritualistischen abt Joachim von
Fiore in Kalabrien zugeschrieben; wie denn die allein bekannte lateinische
fassung- des seit dem ende des 13. Jahrhunderts im Abendlande viel gefeierten
und heftig befehdeten Orakels wohl 'sicher' im 13 Jahrhundert in joachiraischen
kreisen entstanden ist und 'wahrscheinlich' aus Unteritalien stammt. Die Unmög-
lichkeit der abfassung des kommen tars durch abt Joachim weist Piur schon hier
(teil 4, s. 224f.) aus dem kommentar selbst nach. Die leicht zu vermutende be-
ziehung zu 'der zelantenpaitei des minoritenordens' (siehe oben) und den durch Dante
weltbekannten politischen und religiösen Verhältnissen um 1300 bestätigt schon,
jetzt ,dr. Piurs deutung' in Burdachs nachtrag zu teil 3 und 4, s. 5. Denn im
übrigen wird man auch hierfür — 'alle weitergehenden sachlichen bemerkungen über
entstehung und bedeutung des Orakels und seines kommeutars' — auf den noch
nicht vorliegenden kommeutarband (teil 5) zu den briefen Rienzos verwiesen. Von
dem text des kommentars waren bisher im wesentlichen lediglich die wenigen zu-
sammenhanglosen auszüge bekannt, die 1386 der eremit frater .Theolosphorus (Teles-
phorus) de Cusentia (Uosenza) in seiner — oft behandelten — weit verbreiteten
prophetischen schrift 'De cognitione presentis scismatis' usw. davon gab (über ihren
frühen druck vgl. oben). Dürftige bi-uchstücke des Originals aus vatikanischen
ÜBER BURDACH, VOM MITTELALTER ZUR REFORMATION 101
haudschriften veröffentlichte darauf der karmelit Daniel a Virgine Maria ira Specu-
lum carmelitanura, Antwerpen 1680. Endlich teilte P Ehrle etwas aus dem kom-
mentar mit nach einer vatikanischen Hs. in seiner philologischen behandlung des
ersten kapitels des orakeis (Archiv für literatur und kirchengeschichte II 330,
anm. 2). Trotzdem galt der kommentar selbst bei kennern des buches des Teles-
phorus als verschollen, obwohl schon 1757 Villiers in der Bibl Carmelitana I 359 f.
elf hss. aufzählte. Die vorliegende ausgäbe berücksichtigt nur vier hss. der Pariser
nationalbibliothek und eine der Berliner kgl. bibl., zieht aber auch die auf den
vatikanischen hss. beruhenden drucke des Orakeltextes und des Theolosphorus zum
vergleich heran.
Der zweite teil dieser ausgäbe, der die beschreibung der benutzten hand-
schriftlichen quellen bringen soll, liegt wie der fünfte koramentarband gleichfalls
noch nicht vor. Doch nehmen Variantenapparat und kommentar schon jetzt ziem-
lich die hälfte der ausgäbe in anspruch. Alle Verweisungen, sogar auf klassische
und biblische stellen, sind in extenso gegeben. Erste kenner der in frage kom-
menden literaturen haben mitgeholfen, die quellen nachzuweisen. Um ein scherflein
dazu beizutragen, vermerke ich für den 3. s. 393 (zu nr. 70, z. 269 f.) gesuchten
ort, an dem Augustinus die mahnung Ciceros de officiis 3, 23, 90 wiederholt, dass
von zwei schiffbrüchigen weisen auf einer planke der dem Staate weniger nützliche
dem nützlicheren freiwillig weichen solle, de Civitate Bei IX c. 4, 3, cf. XIV c. 8 u. 9:
Nam profecto si nihili penderet eas res philosophus, quas amissurum se naufragio
sentiebat, sicuti est vita ista salusque corporis, non ita illud periculum perhorres-
ceret, ut palloris etiam testimonio proderetur . . . Ambo sane (seil, non minus Stoi-
cus quam Peripateticus) si bonorum istorum seu commodoruin periculis ad flagitium
vel facinus urgeantur, ut aliter ea retinere non possint, malle se dicunt haec amit-
tere, quibus natura corporis salva et incolumis haberetur, quam illa committere qui-
bus justitia violatur . . . Dazu ib. c. 5: sed quanto honestius ille Stoicus miäeri-
cordia pferturbaretur hominis liberandi, quam timore naufragii ! . . . Servit autem
motus iste rationi, quando ita praebetur misericordia, ut justitia conservetur . . .
Der literarhistorische einführungsbaud der ausgäbe (II 1) 'Rienzo und die geistige
Wandlung seiner zeit' ist nicht bloss bestimmt, ihre summe zu ziehen, sondern sie
gleichzeitig zu motivieren, als 'eine rettung des verkannten durch sich selbst': 'Er
allein, den viele ernsthafte forscher für einen abenteurer oder narren, manche gar
für einen geisteskranken halten, spricht hier das entscheidende wort. Recht ver-
standen, meine ich, muss es ihn, sein wollen und sein tun, retten. Indessen, um
seine rede zu verstehen, um sie so zu vernehmen, wie sie in und nach der mitte
des 14. Jahrhunderts Deutschland, vor allem das königreich Böhmen, also das öst-
liche Mitteldeutschland, vernahm, müsste man sich bemühen, mit der seele und mit
dem ohr jener wunderbaren zeit der w^lterneuung zu hören, der er entspross und
die er bestimmt hat' (s. 3).
Es ist nun freilich ein vorteil dieser art rettung, dass sie den Verfasser der
strengeren pflichten des biographen überhebt. Der unterschied zwischen dem, was
Cola di Rienzo schreibt, und dem, was er tat und wollte, ist zu oft zu gross, um
ihm in meist offiziellen Urkunden, die durchwegs den Charakter der Selbstrechtfertigung
tragen, von vornherein ,das entscheidende wort' zuzuerkennen Hier gibt er sich
allerdings so aufgetragen weissgeschminkt als 'candidatus spiritus sancti', dass
man sein leben nicht erst zu kennen braucht, um aus seinem blossen auftreten in
der geschichte öfters gelinde zweifei an diesem seinem 'wort' zu hegen. Doch bricht
102 BORINSKI
sein temperament oft genug so weit durcli, dass man nicht bloss zwischen den
Zeilen zu lesen braucht. So besonders in dem briefe an den erzbischof von Prag-
(nr. 57), in dem er die rollen, die er zu seinem liebeszweck spielt (z. 343 ff. nunc
fataiim, tinnc ijstrionem usw.) offen kennzeichnet und (z. 348 ff.) das liebenswürdige
geständnis macht, er habe vorgehabt, am nächsten püngstfest, omnes ti/rannos Italic
dolcissimis littris et amhassiafis sollempnibus conuocorc, ihnen das blaue vom liim-
mei zu versprechen, um sie alle an einem tage zugleich 'der sonne zugewendet' auf-
zuhängen. Cesare Borgias berüchtigtes bankett von Sinigaglia war demnach nur ein
schul werk. Auch der brief an den propheten seiner mission unter den spiritualen,
den frater Michael von Monte S. Angelo (nr. 64) hebt sich hier heraus, in dem die
enttäuschung der hoffnung, in Karl IV. einen zweiten Ludwig den Bayern zu finden,
ziemlich offen durchbricht und (z. 60 ff.) auf den nur scheinbar paradoxen entschluss
des 'von niemandem gejagten' tribunen, unter die eremiten zu flüchten, vielleicht
ungewollte Streiflichter fallen. Doch wozu der Versuchung dieser urkundenbände
nachgeben, die intimitäten von Rienzos leben aufzuspüren, da das hier daraus ge-
zogene resultat einem ganz anderen zweck dient? Wir könnten die kluft, die
zwischen der sonstigen biographischen auffassung Colas und derjenigen, die hier zu-
grunde liegt, doch nicht überbrücken.
Es schliesseu sich also an das verhältnismässig kurze erste kapitel (S. 5 — 34
gleichzeitige briefliche stimmen über Rieuzo), in dem bedauert wird, dass 'unsere
ausgäbe leider nur fünf briefe von Deutschen mitteilen kann' (die drei stilübungen
Johanns von Neumarkt, briefwechsel, nr. .55, 69, 76 und die beiden durch deren
komplimente versüssten, politisch ablehnenden antworten Karls IV., nr. 51, und des
Prager erzbischofs Ernst von Pardubitz, nr. 61), zwei sich zu besonderen abhand-
lungen auswachsende kapitel über die spez. politisch leitenden ideen der renais-
sance. Das eine (zweite) kapitel (s. 34—170) 'Roms heilige brautschaft und .die Um-
wandlung des Imperiums' war man bisher gewohnt, bei Dantes politischer Stellung
zu kaiser und papst und den Widersachern des papstes vor und im kirchenkampfe
Ludwigs des Bayern abgehandelt zu finden Seine eiustellung auf eine ausschliesslich
politische persönlichkeit, wie die Rienzos, führt notwendig dazu, die ausgesprochen
literarisch-künstlerische bewegung, die dem auftreten Dantes folgt, die sich selbst
die Wiedergeburt der (antiken) weltlichen literatur (,renatae literae' vgl. Job.
Corsii Commentarius De Piaton. Phil, post renatas literas apud Italos instauratione
Pisis 1771) als kennzeichnendes verdienst anrechnete, ganz unter dem politischen
gesichtswinkel aufzufassen. Das dritte kapitel (s. 170 -368) handelt von der 'Vor-
bereitung des apollinischen Imperiums'. Ganz in der weise, in der Achim von Ar-
nim die idee seiner 'Kronenwächter' formulierte: 'Die auflösung ist endlich, dass
die kröne Deutschlands nur durch geistige bildung erst wieder errungen werde.'
Dies 'neue dritte imperium, das die Völker Europas beherrschen sollte, und vor dem
die beiden älteren, das imperium des kaisers und die christliche Universalherrschaft
des papstes verblassten, ... ist der universale priuzipat der neuen bildung, die eine
Wiedergeburt sein will aus dem primitiven geist der frühchristlichen antike' (s. 32 f.)
Constantins. Wir möchten gleich hervorheben, Avelche besondere note diese das
'phantasiereich' politisch konstituierende, von Rienzo als seinem politischen Vor-
läufer, Elias-praecursor und Johannes-verkünder ausgehende auffassung anschlägt.
Burckhardts 'Kultur der renaissance' gründete sich auf den 'neuen begriff' des 'Staates
als kunstwerk', der diese kultur bestimme. Von der idee der verweltlichung ge-
leitet, die für das die reformation herausfordernde Zeitalter im protestantischen
ÜBEU BURDACH. VOM >[1TTELALTK1; ZUR REUOR.MATrON 103
nordeu ausschliesslich massgebend geworden war, gefiel sich Burckhardt erfolgreichst
in herausstreichung der immoral und religionslosigkeit, die es begleitet. Das vor-
liegende buch, das die umkehrung des Burckhardtschen begriffs zum ausgang
nimmt und mit seinem 'Apollinischen" titel so deutlich auf Burckhardts philosophi-
schen jünger Nietzsche hinweist, scheint besonders darauf aus. die falsche Vorstel-
lung von der immoralischen, religionslosen, spez. antichristlichen grundrichtung der
renaissance geradezu auf dem politischen gebiete selbst zu berichtigen : 'Dass die neu
aufsteigende bildung der renaissance keine religiöse sei', hält sein Verfasser (s. 97)
'für das verhängnisvollste Vorurteil, und man muss es darum mit der allergrössten
entschiedenheit und gründlichkeit zu widerlegen suchen, weil es so eingewurzelt und
von so ausgezeichneten männern — gelehrten, kunstlern, dichtem — vertreten wird.
Der lebeusgeist der italienischen renaissance quillt, wie gesagt, aus der religiösen tiefe.'
Es ist, wie er dabei gleich erklärt, die .entkirchlichung. vermenschlichung, othisierung
und individualisierung des religiösen bedürf nisses", sowie die anderen leitworte der
modernen natur- und kunstreligion (erlebnis, produktive kraft der persönlichkeit und
gott-natur), die dem verf. hierbei vorschwebten und die er in jenes wirkend künst-
lerische und persönlichkeitsvolle Zeitalter hineinträgt. Was die renaissance aber
schon äusserlich kennzeichnet, ist ihr (bis ins innerste) führendes streben nach
form. Ihm dankt es auf kirchlichem gebiete (in der konzilienaera) und auf politi-
schem (durch den kultus der formgebenden Persönlichkeit) seinen Untergang in den
neuen kirchen und im absolutismus der souveränen persönlichkeit. Wenn der Ver-
fasser nun gar (s. 219 f.) die virins morum als pietas das 'sigual des langsam auf-
gehenden dritten impeiiums' zum programm der renaissancekultur erhebt, so wird
das wohl allgemein, gelinde ausgedrückt, als übertrieben empfunden werden. Von
einem vorwiegend formal gerichteten Zeitalter, zumal nach seiner periode der poetae
und bildenden künstler, ist die ihm so oft zum Vorwurf gemachte virtuose gleissnerei
und gut bemäntelte wortbrüchigkeit ebensowenig abzutrennen, als von einem vor-
wiegend materiellen die selbsbewusste roheit und offene brutalität. ;Die8es dritte
Imperium (ja 'dritte . . . menschlich freie . . . kirche' s. 205), das der epoche den
Stempel aufdrückt, das im 17. und 18. Jahrhundert als klassizismus den höhepunkt
seiner macht erreicht, ist ein imperium des geistes, sei es des sittlich-religiösen,
sei es des sittlich-wissenschaftlichen, sei es des künstlerisch-literarischen und formal
stilistischen ... das imperium der neuen menschlichkeit (des römischen rechts !), die man
aus den ursprünglichen quellen des geschichtlichen lebens schöpfen will' (s. 33). Indem
der Verfasser es nun unternimmt, jenen 'religiösen lebensgeisf ausschliesslich an seinen
politischen Symbolen und jenes dritte imperium, in erster linie 'des römischen rechts",
an der in ihnen wirklich dunkel- mittelalterlich staatsrechtlich befangenen persönlich-
keit eines demagogischen phantasten wie Cola diHienzo zu entwickeln, so erhält man
aus seinem buche den eindruck von der renaissance als einer religiösen rechtfer-
tigungsaera des imperialismus modern demokratischer 'ritter vom geist'. Das stimmt
nun wieder wenig zu dem ausgesprochenen antiken aristokratismus der renais-
sance, auch gerade in ihrer (römisch-) re publikan i sehen (Brutus-Cato-lbegeiste-
rung. Über die einzelheiten möchten wir uns gesondert aussprechen. Sieht sich
doch der Verfasser gezwungen, an ihrem Schlüsse, sobald er (von Friedrich II i aut
Dante kommt (s. 336), von einer entpolitisierung seiner imperialistischen rcnais-
sancevorstellung zu reden. Nur dass Rienzo, neben den dichtem in der politik.
Dante und Petrarca, als der ausgesprochen praktische politiker der dichtuug, der
fixe benützer des neuen vatestumes im geiste seiner mittelalterlichen römischen vor-
104: 11. UE BOOK
gäng-er, hierbei eine befremdliche figur macht, so dass die neue literarhistorische
forinel dieses buches 'Dante, Petrarca und Rienzo' (statt Boccaccio) manchen fach-
genossen zunächst anmuten mag-, etwa wie: Klopstock, Lessing und (in ermanglung
eines analogen geistes im damaligen Deutschland) — Struensee; oder Goethe,
Schiller und Förster oder Huber, Eienzos lebenewerk hat jedesfalls die folgen nicht
gehabt, die eine solche reihung rechtfertigen könnten. Derjenige geist, der die
Politisierung der renaissancekultur zwei Jahrhunderte nach Rienzo erst eigentlich
bestimmt, ist Machiavelli'. Er dürfte wohl recht behalten, wenn er, bei der wohl-
wollenden erwähnung der cosa memorahüe, che im Nicola di Lorenso caccid i
Setiatori di Roma e si fece sotto titolo di Tribuno Capo della Republica Romana
im 1. buch der Istorie Fiorentine (pg. 51, ed. Mil. 1823) über ihn urteilt, dass er
seinem unternehmen — invilito sotto tanto peso — von anbeginn nicht gewachsen
war {se medeslmo nei suoi principj ahhandonb). Aber alle diese erwägungen treten
zurück vor dem persönlichen charakter dieser veröfientlichung. Es spricht aus ihr
ein dichterischer und objektiver geist. Kein dramatiker könnte das schwankende
bild seines historischen beiden energischer auf einen hohen und allgemein interes-
sierenden Zusammenhang einstellen, liebevoller immer wieder die wenigen daten
zugunsten seiner auffassung in einen wirkungsvollen Vordergrund stellen, als hier
ein peinlicher gelehrter mitten in mittelalterlich archivalischer urkuudensph'äre. Dass
er aber in unserer zeit der unüberbrückbaren nationalen Zerklüftung festhält am
Zeugnis für die ausländische herkunft einer der internationalsten mächte der geistes-
geschichte, die entstehung der europäischen, insbesondere der deutscheu bildung
(mindestens der bis zur mitte des 19. Jahrhunderts) aus dem geiste der italienischen
reuaissance, bürgt für den objektiven wahrheitssinn, den sich die deutsche philologie
hoffentlich durch keine angriffe der weit rauben lassen wird.
MÜNCHEN. KAHL BOKINSKI.
Dr. Jau de Vries: Studien over faeroische balladen. Haarlem 191.Ö. 286 s.
Die arbeit von de Vries, eine Amsterdamer dissertation, behandelt in 5 kapiteln
einige der in Hammershaimbs Sjürdar kvadi abgedruckten faeroischen balladen sagen-
haften inhalts. Die drei ersten kapitel gelten den drei tcettir: Regln smidiir (Rs),
Brinhild (Br) und Hör/ni (Hö), die zusammen eine zyklische darstellung der gesamten
Nibelungensage von Sigmund bis zum tode Attilas bieten. Das 4. kapitel untersucht
den Rac/nars-tdttnr (Rg), das letzte den weiter abliegenden tdttur Ismal frwga
kempa (Is), dessen eine hauptfigur Svanbild ist. Sämtliche kapitel gehen nach einer
kurzen Übersicht über alle für die Untersuchung in betracht kommenden nordischen
quellen zur vergleichung der vise mit den alten parallelberichteu über und ziehen
dann die verwandten dänisch-norwegischen folkeviser heran. So wird versucht, zu
einer erkenntnis der Verwandtschaftsverhältnisse sämtlicher quellen zu kommen.
Vorarbeiten standen de Vries nur wenige zu geböte : für die Nibeluugenvisor
existiert eine arbeit von Golther (Z. f. vgl. lit. gesch. n. f. II 269 ft".), für Hö speziell
eine Untersuchung von Boer (Arkiv XX 142 ff.) und eine leider von de Vries nicht
genannte, sehr brauchbare arbeit von Döring (Z. f. d. ph. 11 s. 269 ff.). Auch findet
1) Ref. hat ihren aufang und ihr ende in diesem sinne gefasst in seinen beiden
büchern 'Über vision und imagination' anlässlich Dantes (Halle 1897) und Über
Gracian und die Hofliteratur in Deutschland (Halle 1894).
ÜBER I>E VRtES, STUDIEN OVER FAEROISCHE BALLADEN 105
sich sonst in der von de Viies nicht genügend berücksichtisten Nibelungenliteratur
brauchbares material (Sijmons, Germania XXH s. 410 if., Müllenhoff, A. f. d. A. IV
115 ff., Panzer, Sigfrid 200 f., 235 usw.). Für Is besitzen wir eine besondere behand-
lung in Bugge-Moe 'Torsviseu i sin norske form'; Eg war noch nicht behandelt.
De Vries arbeitet also auf ziemlich unberührtem bodeu, zumal die Golthersche Unter-
suchung wenig brauchbar ist, und er ist vor allem auch darauf angewiesen, sich
seine methode erst zu erarbeiten im anschluss an die durch Grundtvig, Bugge und
Olrik in dem grossen dänischen Sammelwerk 'Danmarks gamle folkeviser' (DgF.
Kopenhagen 1853 ff.) vorgezeichneto methode. Aber de Vries kommt aus einer ganz
anderen schule und ist in seiner arbeit ganz abhängig von der forschungsmethode
seines lehrers Beer. Wie dieser geht er von dem zweifellos richtigen und förder-
lichen grundsatz aus, jede sagengeschichtliche arbeit als eine literarhistorische Unter-
suchung der einzelnen denkmäler aufzufassen. Dabei richtet er sich jedoch wie Boer
allein nach dem gesichtspunkt, nur das logisch einwandfrei richtige als alt gelten
zu lassen, logische Sprünge und fehler aber späteren Überarbeitern und interpola-
toren zuzuweisen. Daraus ergibt sich die arbeitsmethode, in den quellen Widersprüche
aufzusuchen und auf grund logisch -rationalistischer erwägungen (innere kriterien
sagt de Vries) so lange und so viel interpolationen, Überarbeitungen und literarische
beeinflussungen auszuscheiden, bis eine 'gereinigte', widerspruchslose grundform er-
reiciit ist Das bedeutet eine Verallgemeinerung einer vielleicht bei werken bewussten
und hoch entwickelten künstlerischen Schaffens mit vorsieht anwendbaren methode
und .drängt die frage nach den besonderen bedingungen jeder quelle ungebührlich
in den hintergrund. Und das ist gerade für de Vries zum Verhängnis geworden,
dessen eigenartige quellen eine textkritik im geläufigen sinne gar nicht zulassen.
Gewiss hat de Vries mancherlei aus dem Studium von DgF. gelernt, und wo er
dem dort gegebenen vorbild folgt, hat er gute resultate erzielt. Aber er ist sich
über die Unvereinbarkeit der hier angewendeten methoden mit der seines lehrers
Boer nicht klar geworden und hat die Widersprüche zwischen beiden in seine arbeit
hineingetragen.
In zwei punkten unterscheiden sich die folkeviser besonders wesentlich von
sonstigen literarischen quellen. Einmal durch die mannigfaltigkeit der texte und
die art ihrer bewertung. Bei litererarischen quellen suchen wir sämtliche vorhandenen
niederschriften, seien es noch so viele, in einem Stammbaum zusammenzufassen, so
den Urtext wirklich oder liypothetisch zu gewinnen und wertvolle handschriften von
wertlosen zu scheiden. Für die viser. aber — und mehr noch für die fter. als für
die dänischen, die doch schon wieder seit ihrer nufzeichnung eine gewisse text-
geschiclite haben — ist gewissermassen jede niederschrift ein urtext, geflossen direkt
aus dem quell des lebendigen volksgesanges. Mag ein text noch so jung und ver-
derbt erscheinen, er kann doch irgendwo ältestes gut bergen. Daher ist es nicht
möglich, einen urtext anzunehmen und aus ihm die andern texte stammbaummässig
lierzuleiteu oder umgekehrt aus den vorhandenen texten einen urtext zu rekonstruieren.
Dies hat de Vries für die norw. bailade Sigurö svein s. 50 ff. versucht. So sehr die
stoffliche kritik des liedes ihm geglückt ist, so muss es prinzipiell als verfehlt ab-
gelehnt werden, eine solche textliche urform unter ausscheidung jüngeren gutes und
unter Vermischung mehrerer texte gewinnen zu wollen, selbst wenn die Überlieferung
so einfach und gering ist wie bei diesem lied. Die einzig mögliche methode ist
vielmehr die in DgF. durchgängig befolgte; sämtliche texte gleichwertig neben-
einanderzustellen und unter gleichmässiger berücksichtigung aller, aucli der jungen
106 11. IJK BOOK
und verderbten, eine geschichte des Stoffes der ballade zu g'ewinnen. Dass dieser
grundsatz für die f*r. dichtung so gut gilt wie für die dänische, beweist der reiche
Variantenschatz, den das leider nur handschriftliche Corpus carminum faeroensiuni
in Kopenhagen bewahrt. De Vries, dem das Corpus nicht zugänglich Avar, konnte
aus der Hammershaimbschen ausgäbe allerdings leicht zu der ansieht verführt werden,
dass es von den liedern nur einen gleichförmigen text gebe, 'nur mit geringfügigen
Varianten, Avie sie Hanimershaimb ohne jede Vollständigkeit und ohne Verständnis
für den wert der reichen Überlieferung ganz willkürlich beifügt, und die sich von
beliebigen handschriftenvariauten in nichts unterscheiden. So konnte dem Verfasser
der Hammershaimbsche text leicht zum kanonischen g-rundtext werden, der die be-
handlung der balladen als rein literarischer produkte nahelegte.
Wesentlicher noch ist die richtige bewertung der formel und ihres geltungs-
bereiches in der viserdicbtuiig. Ihr kommt in jeder volkstümlichen dichtung eine
gewisse rolle zu, ihre bedeutung kann aber in der viserdichtung kaum überschätzt
werden und ist in der fser. dichtung geradezu unglaublich gross. Sie beschränkt
sich hier auch nicht auf einzelne formelhafte Wendungen oder zeilen, sondern darüber
hinaus schafft sie für den im ganzen f^uffallend kleinen motivkreis, der in den lie-
dern immer wiederkehrt, bestimmte, fest geprägte darstellungen von oft sehr kom-
plizierter Zusammensetzung, so dass man sie von vornherein durchaus nicht als
forraeln erkennt. So gibt es brautwerbungsformeln, seefahrtsformeln, begräbnisformeln,
die mehr oder minder vollständig an jeder stelle auftreten, wo die handlung eine
brautwerbung, eine seefahrt, ein begräbnis zu schildern verlangt. So gibt es weiter
formein, die das aussehen eines trolles, eines schiftes, eines mädchens beschreiben.
Für die meisten der typischen szeuen bestehen mehrere formein nebeneinander, und
dann ist es ganz gleichgültig, welche davon in der einzelnen niederschrift einer vise
benutzt ist. Unwillkürlich und ohne je nach logik zu fragen, stellen sich formel-
hafte Szenen ein, kristallisieren sich weitere formein an, können ganze abschnitte
eines anderen liedes herbeigezogen werden, ohne dass von entlehnung im üblichen
sinne gesprochen werden darf; sie erscheinen in einigen niederschriften und fehlen
in anderen. Nur der gang der handlung ist individuell, die ganze ausführung ist
immer typisch, und die typische formel überspinut und verdeckt oft genug wie wildes
gerank den alten kern. Das gilt mehr noch als für die dänische dichtung für die
ffereische, wo ich wohl 70 % des bestandes für formelhaft halte. Damit ist klar,
dass zur beurteilung und bearbeituiig solcher lieder die richtige kennt uis und er-
kenntnis der formel unerlässlich ist. ' Auch de Vries hat natürlich an dieser erschei-
nung nicht vorbeigehen können und hat mit ihr in seiner arbeit gerechnet (vgl. s. 43;
260). Und in vielen einzelfällen hat er die poetische formel als solche richtig er-
kannt, so die begräbnisformel Rs str. 22 ff., Sigurös träum Br str. 47 ff., sein ritt
Str. 55 ff., das verstehen der vogelsprache durch die Jungfrau im refrain des Eg usw.
Aber die prinzipielle und elementare Wichtigkeit der formel und ihrer kenntnis ist
ihm nicht klar geworden ; er arbeitet nur tastend von fall zu fall. Er hat sich vom
bilde des literarischen textes nicht freigemacht und sucht nach logischer richtigkeit,
statt zuerst einmal nach der formelhaftigkeit jeder einzelnen von ihm behandelten
1) Wie eine genaue bearbeituug des forraelschatzes auch positive aufschlüsse
geben kann, das beweisen die von de Vries nicht zitierten arbeiten von der Reckes:
Nogle folkevise-redactioner, Kph. 1906; Folkevisestudier. Yestnordisk indflvdclse
i. dansk. Danske studier 1907, 79 ff.
ÜBER DE VRIES, STIDIEX OVER FAKIIOIM HE ÜALLAUEN 107
Strophe zu fragen. So kommt er au vielen stellen zu Verstössen und verkehrten aus-
führungen, die sich leicht hätten vermeiden lassen. S. 9 bespricht er die szene
zwischen mutter und söhn, in der Sigurö das zerbrochene schwert des vaters von
der mutter erhält. Obwohl de Yries die ganze szene als formelhaft erkennt, knüpft
er doch logische efwägungen daran au. Im gegensatze zur Vojsungasaga (Vq1s.-s.)
stachelt hier nicht Reginn, sondern die mutter den jungen Sigurö zur vaterrache
auf, indem sie ihm die blutige rüstung des vaters zeigt. Statt darin einfach den
typischen ausgang der leikvoU-episode zu sehen, bemerkt de Vries, die abweichung
von der saga sei aus dieser selbst wohl zu verstehen, da in ihr an irgendeiner stelle
Hjordis den wünsch nach räche für den tod ihres vaters äussert, und er findet es
ferner 'merkwürdig', dass der dichter neben dem motiv des zerbrochenen Schwertes
noch die blutige rüstung des vaters einführt. Das ist eine verkenuung des balladen-
stils, der nicht nach mot'vdoppelung fragt und keiue weithergeholte erklärung ver-
trägt, sondern der einfach für Sigurös aufreizung zur vaterrache die gebräuchliche
leikvQll-schablone benutzte, aus der sich dann die Stellung der mutter und die blutige
rüstung von selbst ergaben. Wenn de Vries s. 61 für den anfaug des Br von 'Weit-
schweifigkeit' redet, die auf jüngere Verbreiterung schliessen lasse, so zeigt auch
dies eine ganz verkehrte auffassung von dem entstehen einer solchen balhide und
deutet darauf, dass de Vries eine 'gereinigte" und wesentlich formelfreie grundform
jeder ballade voraussetzt, während alles darauf schliessen lässt, dass die formel von
aufang an ein konstituierendes dement dieser dichtung ist, und dass sie von je
eine freiide an breiter ausführung und spielender Wiederholung gehabt habe. S. 83 f.
behandelt de Vries den Zusammenhang zwischen Br und der dän. vise Uuyen Stendal
und, nachdem er mit recht stoffliche gleichheit geleugnet hat, glaubt er an einer
stelle entlehnung des Br aus der dänischen vise feststellen zu können, nämlich in
dem zug, dass die Jungfrau den beiden schon vor der ersten begegnung liebt
iBr. str. 18, dän. A. str. 12). Er hat nicht erkannt, dass es sich bei diesem gewiss
sehr individuell ausseheuden zuge um eine weit verbreitete f.Tr. formel handelt, die u. a.
im Oh{fii l-vmti (Fa?rosk Anthologi 1, 193) str. 35 auftritt.
hxg hur eg af Hiii/iii koiuji
i'ntiir eiin ey hann .sy/.
Das motiv ist auch bereits anord. belegt, nicht nur au der von de Vries angeführten
stelle Fjolsvinnsmäl str. .50, sondern besser noch Helgakvirta Hundiugsbana II str. 14
und auch sonst. Hätte er die arbeiten v. d. Reckes gekannt, so hätte er nur
schliessen können, dass die ganz undänische str. 22 des dän. liedes einen hinweis
auf westnord. Ursprung der vise, beziehungsweise westnord. einfluss auf sie gibt, dass
aber diese reine formelgleichung für einen Zusammenhang von Br und 'Uiiyeii SveiulaV
oder gar für eine entlehnung der faer. aus der dän. vise gar nichts besagt. -
S. 104 M'ird die ansieht aufgenommen, die sich schon in den zitierten arbeiten von
Boer und Döring findet, dass ausdrücke wie 'sum sögan ngirfrd' (Hö str. 200) oder
'sigist i bragda tdtti' (Hö str. 18) tatsächliche hinweise auf bestimmte quellen, und
zwar hier auf die f'idrekssaga (f-s.) wären. Auch hier handelt es sich um ungemein
häufige formein, aus deren benutzung sich gar nichts sciiliessen lässt, als dass eine
billige zeilenfülluug nötig war. S. 105 werden die hauptsächlichsten stellen be-
sprochen, an denen Hö und die dän. vise Grimhihls Jucni übereinstimmend von r-s
abweichen. Dabei werden das zerbrechen der rüder im stürm (Hö str. 27) und das
trinken des blutes durch Hagen (Hö str. 140) gleichmässig behandelt, obwohl das
108 H. '»J-- BOOH
erste eine reine fornK-lübercinstimiuuiit;, das zweite aber iu der tat eine sehr wesent-
liche inhaltliche gleicliiing ist.
S. HO ist Hö f<tr. 3'M\. das gesclienk des nhiarkelvi an Hagen als bewusster
charakterisieruugsversuch (iriiuhilds anfgefasst, während auch hier eine häufige formel
vorliegt, in die man keine absiclitlichkeit hineindeuten darf. Erhält doch, aller logik
entgegen, Hagen in einem teil der Varianten dies geschenk gar durch Sigurös von
(ini^run erwecktes gespenst. Ebenso ist GuÖruns sturmzauber nichts als ein häufiges
reiinisit der seefahrtdarstelhing. - S. 167 ft. wird das Verhältnis des Rg zur dän. vise
■Ji'er/ii/r (i o(f Kni(/,li'' unierfinrht. Da heisst es s. 1(59 über die veränderte einleitung
der dän. vise: 'Wir können auch dem nachgehen, wie diese Veränderung zustande
gekommen ist. Wenn das motiv gegeben war, dass eine königstocbter vieh hüten
mnsste, so kam man weiter zu der frage, wie sie zu solch erniedrigender beschäfti-
gung gekommen war. Und die antwort darauf lautete: sie war dazu gezwungen,
weil sie ihren eitern geraubt war.' So rationalistisch kann wohl ein moderner forscher
erwägen, aber nicht eine alte vise. Für sie gab es einfach eine reihe gegebener
motive zur einleitung solcher erlosungserzUhlungen ; welches schliesslich gewählt
wurde und ob dies das quellenmässig alte war oder nicht, ist im gründe von sehr
wenig belang. S. 177 wird eine wörtliche Übereinstimmung zwischen Eg str. 84
und der genannten dän. vise str. All B 16 besprochen und der beiderseits vorhan-
dene zug des ziegenhütens damit als unwesentlich abgetan, dass de Vries wörtlich
sagt: 'Was ist natürlicher, als dass von armen leuten auf einer heide ziegen gehütet
werden.' Hier kommt es wieder allein darauf an, ob wir es mit einer formel zu
tun haben oder nicht. Bei formelu ist die schlagendste Übereinstimmung wertlos,
bei einer wirklich inhaltlichen gleichung wird auch der geringste zug bedeutsam.
Mit diesen aus allen kapitcln beliebig herausgegriffenen beispielen versuchte
ich zu zeigen, wie der eingangs charakterisierte methodische fehler in de Yries' arbeit
sich im einzelneu auswirkt. Aber auch ganz prinzipiell niuss er zu einer falschen
auffassung der entstehung der faer. viser führen, de Vries arbeitet dauernd mit den
ausdrücken dichter und interpolator. scheidet ältere und jüngere schichten. So ist
s. 10-1 besonders krass von einem 'wohlerwogenen plan des dichters' die rede, s. 72
werden in Br. str. 111—124 gar drei schichten von interpolatiouen auszuscheiden ge-
sucht. Das bedeutet ein heranziehen ganz falscher begriffe, mit denen man den
visern nicht zu leibe gehen kann. Es gibt in ihnen keinen 'wohlerwogenen plan',
und schon wenn sie entstehen, enthalten sie interpolationen, d. h nicht stoffzuge-
hörige Partien, von denen sich manche dem stoff fest einfügen, andere nur bei der
oder jener niederschrift eingeflossen sind. Das urteil 'älter' oder 'jünger', ,besser'
oder 'schlechter' ist auf gruud dieses formelhaften Zuwachses über einen text nicht
auszusprechen, ebensowenig kann man je durch abstreichen alles konventionellen zu
einem gereinigten und alten text gelangen. Der dichter, den es ja sicher gegeben
hat, ist für uns herzlich gleichgiltig, und zum mindesten lag ihm nichts ferner als
ein 'wohlerwogener plan'; interpolatoren aber hat ein solches lied so viele, als es
Vorsänger beim tanze gesungen haben. Zuzugeben bleibt, dass die ausgäbe Hanimers-
haimbs mit ihren erwähnten mangeln Unklarheit hervorrufen konnte. Dazu gibt de Vries
s. 11.") ff. als abschluss seiner Untersuchungen über die drei Nibelungen-/«/^»- einige
bemerkungen allgemeiner art über die entstehung dieser ganzen dichtungsgattung.
Aus ihnen gebt hervor, dass seiner meinung nach die faer. viserdichtung im gegen-
satz zur dänischen eine kunstdichtung sei, für die also auch die masstäbe solcher
dichtuug anwendbar seien. Gewiss sind manche beachtenswerte gesichtspunkte an-
ÜBER DE VIUES, STI'DIEN OVKK FAEUOISCHE BALLADEN lOD
gedeutet, so die sclieidung dän. und fdäv. dichtuiig, der liinweis auf die isl. r/mur usw.
Aber die wiclitige frage nach dem Ursprung dieser ganzen literatur ist so im vorbei-
gehen nicht zu lösen, sie wird noch manche Untersuchung erfordern. Zum mindesten
ist der ursprüngliche Charakter der fser. viser als kunstdichtungen von de Vries nicht
bewiesen und durfte in der Untersuchung also nicht vorausgesetzt werden.
Es sollen noch einige beraerkungeii über die einzelnen kapitel und ihre resul-
tate folgen. Die drei ersten kapitel über Rs, Br und Hö stellen, kurz gesagt, den
versuch dar, die Untersuchung im Golther-Boer^chen sinne konsequent durchzu-
führen und ihre bekannten resultate — Rs und Br bis einschliesslich str. 189 oder
190 sind naehdichtungen der Vols.-s., der rest von Br und Hö sind von f>-8. ab-
hängig — cndgiltig festzulegen. Dabei kommt de Vries in der tat vor allem
über Golther weit hinaus und fördert mit gutem blick für einzelheiten und Über-
einstimmungen eine menge brauchbares, material für den vergleich der lieder
mit Vq1s,-s. und l'-s. zutage. Die gleiche aufgäbe habe ich in meiner arbeit
'Die ffcroischen lieder des Nibelungenzyklus' unter Zuziehung des varianten-
materials des C. C. F. zu lösen gesucht. Ich bin dort zu der ganz abweichen-
den auffassung gekommen, dass nur Hö aus der t-s. abzuleiten ist, Br dagegen
auf die Siguröarkviäa nieiri nach ihrer von Heusler gegebeneu Umgrenzung,
Rs auf ein eigenes lied von Sigurös Jugend zurückgeht, das auch eine quelle
der V9IS.-S. gewesen ist. Da diese schon 1914 fertige, aber durch den krieg
liegen gebliebene arbeit nunmehr (Heidelberg 1919) erschienen ist, genügt es,
auf sie zu verweisen. Doch möchte ich darauf hinweisen, dass de Vries' Zu-
sammenstellungen maaches enthalten, was ich übersehen habe; so ist vor allem
die deutung der schwierigen str. 85 des Rs sehr beachtenswert. Am wenigsten
neues kommt für Hö heraus, wo unter hinweis auf Boers arbeit (Arkiv XX) auf
jede einzelvergleichung verzichtet wird. Ein besonderer abschnitt begründet die
ansieht, dass alle drei Uettir von vornherein und nach einheitlichem plan von
einem dichter geschaffen seien. Meine bei meiner quellenauffassung selbstverständ-
lich gegenteilige auschauung habe ich s. 205 ff. meiner arbeit eingehend begründet.
Entscheidend gegen de Vries' ansieht ist meines erachtens schon die tatsaclie, dass
Rs und Br nicht nur nicht aneinander anschliessen, sondern dass der schluss von Rs
von ganz anderen Vorstellungen ausgeht als der beginn von Br. Rs schliesst mit
der horterwerbung, beziehungsweise mit einigen dunklen Strophen, die aber zweifel-
los auf Sigurös ritt zur schlafenden walküre zu deuten sind. Br aber beginnt keines-
wegs mit der erweckung, sondern mit zum teil sagenechten, zum teil formelhaften
Szenen bei Brinhild Buöladottir und führt dann viel später Sigurö ganz neu ein,
nicht vom drachenkampf zur erlösung schreitend, sondern, zur ritterschablone ab-
geblasst, auf Werbung ausziehend. Bosser schliessen Br und Hö aneinander, doch
gerade dann am wenigsten, wenn man in ihnen das wirken eines bewussten dichters
sieht. Dann ist Br zu einem deutlichen abschluss geführt durch str. 237 und deren
Vorstellung, dass Guörun mit Grani am zäume ruhelos die weit durchwandert; Hö
dagegen beginnt in str. 2 'Guclnin situr i Jüka göräum', einem typischen lieder-
eingang. Will aber de Vries die lieder als literarische produkte behandeln, dann
darf er solche Widersprüche am wenigsten übersehen. Aus den einzelnen von ihm
angeführten Zeugnissen durchgehender planmässigkeit greife ich nur den Zusammen-
hang heraus, den er zwischen der gemeinsamen beteiligung Gunnars und Högnis
am morde und dem gemeinsamen tode Attilas und Guöruns findet, und verweise
für die übrigen auf die genannte stelle meiner arbeit, de Vlies schliesst folgender-
110 n. DK i!(H)i;
massen: Guimar uud Högni werden in Br gcuicinscLaltlicli am mortle beteiligt, weil
sie in Hö unterschiedslos von Guörun umgebracht werden. Aus der gleichen erwä-
gung heraus werden Guörun und Attila vom söhne Högnis im schatzberg einge-
schlossen, weil sie beide am tode Högnis schuld sind. Auch dies schlägt ganz in
die charakteristische arbeifcsmethode von de Vries; so logisch erwägt einfach keine
vise; überdies wirft er zwei ganz verschieden zu beurteilende erscheinungen zu-
sammen. Högni und Gunnar als gemeinsame mörder sind bestes altes, nordisches
sagengut, Attila und Guörun im schatzberge sind aber, wie ich 1. c. nachgeAviesen
habe, jüngste sagenmischung ; zudem bleibt überall in den texten die darstellung
so undeutlich und verschwommen, dass sich Hammershaimb veranlasst sah, diese an-
geblich im wohlerwogenen plan des dichters liegende erseheinung in einer fussnote
erst zu erklären.
Was die dän.-norw. parallelen zu den drei Uettir betrifft, so ist auch hier
das kapitel über Hö ganz unergiebig; auch hier wird einfach Boer wiederholt. So
geht de Vries auch über dieHvensche chronik, deren schwierige Vorgeschichte noch nicht
geklärt ist, mit ein paar worten ganz hinweg-. Sehr gut erscheint mir dagegen die
behandluDg der norw. bailade Sigui d svein und des dän. Sivard snarensvend, die
s. IG ff. im anschluss an Es besprochen werden. Die Scheidung: stofflich älteren und
jüngeren gutes ist glücklich durchgeführt, die lieder meines erachtens als reine ab-
kömnilinge der Grlpisspd richtig erkannt und der Golthersche versuch, sie mit ßs
zu identifizieren, mit vollem recht abgelehnt. Nicht durchweg kann ich mit den
ausführungen des Verfassers über die dän.-norw. parallellen zu Br einverstanden sein.
Richtig dürften die norw. reste, wenn sie überhaupt von einem liede stammen, als
trümmer eines gedichts gedeutet sein, das mit dem frauenzank im hause und mit
Sigurös tode am Rlnarfoss draussen im walde auf eine deutsche quelle zurückgeht,
die meines erachtens sehr wohl die t-s. gewesen sein kann. Richtig wird auch ein
quellenmässiger Zusammenhang- sowohl der norw. bruchstücke mit dem dän. lied
'Sivard oy Brynild' als auch dieser beiden gedichte mit Br abgelehnt. Sie liaben
sämtlich nichts miteinander zu tun. Verfehlt dagegen scheint mir die stoffliche
analyse des dän. liedes 'Sirard oc/ Bri/nilcV. Nach de Vries handelt es sich um ein
lied mit deutscher quelle, auf das sekundär nordische sage eingewirkt hat. Dem-
gegenüber halte ich an der auffassung Grundtvigs fest, dass das lied rein norroeuen
Ursprungs ist. Im einzelnen auch an de Vries' behandlung- anschliessend, führe ich
folgendes an: 1. Das lied beginnt mit der nachricht, dass Syffuertt ein pferd hatte,
mit dem er Brynild '-ajf glarbierieff- erlöst habe, um sie als pfand der ,stalbroderlay''
an Hagen zu geben. Das kann nur der nachklang einer Brynhildsage sein, in der
das pferd Sigfrids eine besondere rolle gespielt liat, also einer nordischen flammenritt-
werbungssage, nicht der alten reinen Sigrdrifsage. Mit Isenstein hat 'ylarbieriett'
demnach nichts zu tun, vielmehr halte ich es für eine von dem bekannten märchen-
motiv beeinflusste missverständliche Umformung eines ausdrucks etwa wie 'glastri-
hor(j\ der in der fier. poesie nicht selten ist, und der hier den goldschimmernden,
feuerumwallten saal der jüngeren nordisc-hen dichtung- bezeichnet (vgl. z. b. Fäfnis-
mäl str. 4-2 um (jgn-an <>r vdokkom ögnar Ijöma). Deutsch ist nur die bezeichnung
Hellitt oder Helle Hagenn, die sich in entsprechenden formen in Grimhilds hsevn
Aviederflndet. 2. Der frauenzank am fluss beim waschen von seide (die Variante E
von den Fieroern sagt noch richtig 'deres gule haar'), Sienild (= Guörun) trägt Sig-
frids ring. Trotz der trümmerhaften darstellung kann man nur reste einer nordi-
schen szene am wasser erkennen, die am nächsten an die Snorra Edda (Ed. Arna-
ÜBElt r>E VIUES, STIDIKN OVEK FAKUOlSCHrj: l!Ai. LADEN 111
lUiigu. I, 362) anklingt, aber Aveder aus der f'-s. noch dem Niljeluugeulied hergeleitet
werden kann. 3. Nach dem streit legt sich Bryuhild zu bett und erwartet dort
ihren gemahl. 'Sie lag krank', heisst es ausdrücklich. Genau der gleiche zug be-
gegnet Vols.-s. kap. 31, Br. str. 172. Demgegenüber geht Brynhild P-s. kap. 388
Guunar und Hagen in den wald entgegen. Im Nibelungenlied str. 851 lässt sie
Günther gleich vor dem münster zu sich kommen. 4. Die Unterredung Hagens mit
Brynhild, in der diese Sigfrids tod fordert. Diese Unterredung hat nichts mit dem
Zwiegespräch Hagen-Brynhild des Nibelungenliedes zu tun, denn es ist hier Bryn-
hilds gemahl, der mit ihr am ehebett spricht. Die Verdrängung Gunnars durch
Hagen ist in diesem liede eine vollständige, wirksam ist sie jedoch in allen liederu,
so auch im Br, wo Gunnar mehr und mehr in den hintergrund tritt und statist
wird, um das gegenspiel Hagen-Guörun um so mehr hervortreten zu lassen. Ebenso
verschwindet in aller folkeviserüberlieferung Attila ; auch dadurch wird Hagens und
Gnöruns gegnerschaft um so schärfer herausgehoben. Es handelt sich also um eine
analoge szene wie Vols.-s. kap. 31 au Brynhilds bett. 5. Die enüordung. de Vries
versucht ohne Überzeugungskraft zu erweisen, dass keine bettmordtradition die quelle
ist. Dem steht der klare Wortlaut entgegen, nach dem Hagen zu Syffuertt 'i/ hi/ffuf-
loff gellt, sein schwert leiht und ihn dort ermordet. Auch das schwert als mordwaffe
ist rein nordisch. Hagen als mörder beruht wiederum nicht auf deutschem sagen-
einfluss, sondern auf der erwähnten entwickelung innerhalb der viserliteratur : wie
er gatte Brynhilds geworden ist, wurde er auch Sigfrids mörder. In Br sind alter
sage entspiechend Gunnar und Högni die mörder, doch ist in einem teil der fas-
sungen in str. 218 Högni als besitzer des mordschwertes genannt. Dass Sigurös leiche
zu Brynhild gebracht wird, steht ebenfalls in keiner deutschen tradition und hängt
hier einfach mit der formulierung von Brynhilds forderung zusammen, dass sie
Sigurös haupt in die bände bekommen muss, um gesund werden zu können. 6. Der
schluss ist nach visermanier willkürlich ausgestaltet, scheidet für uns daher aus.
Somit bleibt von dem ganzen lied nur ein deutscher zug, Sigfrids unverwundbar-
keit. Dieser zug, der in der sonst rein nordischen ersten szene zwischen Hagen
und Brynhild steht, hat die besondere ausprägung erhalten, dass Sigfrid nur mit
einem bestimmten schwert getötet werden kann. Dadurch rückt das dän. lied
in unmittelbare nähe von Br, der das unverwundbarkeitsmotiv in der gleichen
charakteristischen umprägung enthält. Dort aber gehört die niordszene in dieser
ausgestaltung, wie ich unter heranziehung der fassungen nachzuweisen versucht habe,
schon der ciuelle von Br an, ist dort also wurzelecht. Daher kann man das auftreten
des gleichen charakteristischen zuges in der bettmordtradition des dän. liedes nur
als entlehnung aus der fper. vise auffassen, nicht aber als einfluss einer deutschen
quelle. Im dän. liede ist dann das uiotiv des einzig verwundenden Schwertes sehr
in den Vordergrund des Interesses gerückt und dadurch spezialisiert, dass dieses
schwert Sivards eigenes ist.
Das IV. kapitel behandelt den lUignurs-ta tm; seine quellen und seine parallel-
überlieferungen. Das wichtigste ergebnis der Untersuchung ist, dass der Rg nicht
aus der Ragnarssaga (Rag-s.) herzuleiten ist, sondern in beiden teilen, in der Tora-
erzählung wie in der Äslaug-Kräka-geschichte, eine eigene und altertümlichere dar-
steilung bietet. Für die Tora-erzählung lassen sich einige zügc beibringen, die
zweifellos älter sind und der saga fehlen ; bei der Aslaug-geschichte kann de Vries
nur eine reihe sekundärer erweiterungeu in der saga nachAveisen, die dem tdttto- fehlen.
Doch halte ich hier den schluss ex silentio nach de Vries" darlegungen für bcrecli-
112 H. DE BOOK
tigt; sicher würde auch hier die heranziehuug der Varianten des Corp. carm. fser.
neues material liefern. In beiden abschnitten stellt sich Rg' enger mit dem Ragnars-
sonaljättr der Hauksbök zusammen, so dass diese beiden quellen eine eigene und
zum teil bessere Überlieferung bieten. Damit ist der wert der fter. lieder auch
für die allgemeine sagengeschichte erneut erwiesen; denn durch dies resultat von
de Vries' Untersuchungen, das positive Schlüsse auf die Vorstufe der saga zulässt,
erhalten zwei fragen ein neues gesicht, die frage nach alter und herkunft der Aslaug-
tigur und die frage nach der Verbindung von Rag-s. und Vois-s. Beide versucht
de Vries neu zu behandeln und zu lösen; in beiden fällen kann ich aber seinen resul-
taten nicht zustimmen. S. 188 ff. bespricht Verfasser sehr eingehend das Verhältnis
von Rag-s. und Vq1s-s. mit dem ergebnis, dass die Vols-s. unabhängig von der Rag-s.
entstanden und erst von dem Überarbeiter dieser saga, der auch deren kap. I an-
fügte, mit ihr verbunden sei. Richtig erscheint mir an de Vries' ausführungen, dass
die ältere durch Rg und Ragnarssona|)ättr erforderte Rag-s. noch ohne die Vijls-s.
als einleitung bestanden hat. Darüber hinaus aber auch der Vols-s. eine selbständige
Vorgeschichte zu geben, ist noch nicht ohne weiteres möglich, und de Vries bleibt
den beweis dafür schuldig. Die allgemeinen Überlegungen, dass die Vols-s. eine
sehr genaue paraphrase der Eddalieder gibt, während die Rag-s. 'sehr unursprüng-
lich' erscheine, und dass die einbeziehung der Helgi- und der Ermauarichgedichte
in die paraphrase der Vols-s. nicht zu der Verbindung mit der Rag-s. passe, führen
nicht weiter. Mogks von de Vries abgelehnte ansieht, dass die V(?ls-8. nur als Vor-
geschichte der Rag-s. entstanden sei, kann ruhig bestehen bleiben. Aufgeben müssen
wir nur die annähme der gleichzeitigen entstehung von Rag-s. und Vgls-s. und müssen
vielmehr annehmen, dass der redaktor der erweiterten und überarbeiteten Rag-s. ihr
auch die Vgls-s. als glänzende Vorgeschichte der gattin Ragnars vorausgeschickt hat.
Dass in diesem wohl geschickten, aber auch stoffhungrigen ilnd geschwätzigen werk
in majorem gloriara die gesamte erlauchte familie einschliesslich der fernerstehenden
beiden, wie Helgis, und der Jönakr-kinder erscheinen musste, um Aslaugs Stamm-
baum zu zieren, ist kaum verAvunderlich. Auch so bleibt aber de Vries' ergebnis
noch wichtig genug. Gehört die Vq1s-s. nur zu der erhaltenen, nicht aber zu der
ursprünglichen Rag-s., dann bildet diese letztere nach ausweis des Rg eine quelle,
die ohne Zusammenhang mit der VqIs-s. von Aslaug als tochter Sigurös und Bryn-
hilds berichtet. Und das führt dazu, alter und bedeutung der Aslaugfigur erneut zu
untersuchen. Auch de Vries hat dies getan. Er geht bei seiner Untersuchung aus
von einer norw. volkssage, die bei Torfaeus berichtet wird und von der einige jähre
später Jonas Ramus erzählt, dass es über diese sage ein lied gebe, das an gewisse
Ortsnamen anknüpfe. Eine königstocbter namens Aadlov oder Asleg sei dort in einer
goldenen harfe vom meere angetrieben und von armen leuten aufgenommen worden,
deren ziegen sie hüten musste, An diese ereignisse erinnern noch die Ortsnamen
Gnldviff als hinweis auf die goldene harfe, Kraakebaek und Aatlogs-Hong als nach-
klang des namens des kindes. Diese norw. volkssage, im 17. Jahrhundert aufgezeichnet,
hält de Vries für die älteste und ursprünglichste form der Aslaugsage, die also rein
märchenhaft, doch schon mit den literarisch gewordenen namen ohne Verbindung mit
der Ragnarssage oder der Nibeluugensage für sich existiert hat. Erst sekundär ist
sie mit der Ragnarssage verbunden, indem Äslaug in eine 'nicht sehr stark ent-
wickelte' erzählung von Ragnar und einer bauerntochter eintrat. Noch später, doch
immer noch vor der ältesten uns erschliessbaren quelle, wurde Aslaug dann in die
Sigurösage aufgenommen, als man darangieng, die grossen heldengeschlechter unter-
ÜBEK DE VKIE.S, STUDIE OVEK FAEKOISCHE BALLADEN 113
einander zu verbinden. Die ganze konstruktion von de Vries steht und fällt mit
der anerkennung- der norw. lokaltradition als gruudform der ganzen sage. Auch
de Vries sieht das bedenkliche seiner annähme und meint s. 155, derartige mit-
teilungen seien mit vorsieht aufzunehmen, und auch hier könne der enge anschluss
an die literarische traditiou bedenken erregen. Schliesslich aber genügen ihm die
genannten Ortsnamen als zeugen für alter uud echtheit der sage. Ich kann das
nicht als voUgiltig anerkennen uud verweise demgegenüber auf den ganz analogen
fall der Hvenschen chronik. Ein gelehrter berichterstatter des 17. Jahrhunderts teilt
eine tradition mit, die die ereignisse der Nibelungensage mit erheblichen abweichungen
auf der insel Hven lokalisiert und sich dabei auf Ortsnamen beruft, die an personen
der sage anknüpfen. Auch hier ist ein altes lied die grundlage des berichts. Trotz-
dem denkt niemand daran, in der Hvenschen chronik eine besonders alte fassung
der Nibelungensage zu sehen, sondern erkennt mit recht in ilir eine späte lokali-
sation, aus der die ortsnamengebung erst entsprungen ist. Solche lokalisationen
bekannter sagen sind ja nichts neues und schon ans der 1^-s. mit ihrem schlangen-
turm und Nibelungengarten in Soest bekannt, vgl. z. b. auch, v^as K. Liestel (Norske
troUvisor og norrone sogor s. 38 ff.) zur lokalisierung von Olafssagen beibringt. Ich
finde also keine veranlassung, dieser späten volkssage gegenüber dem gleich-
lautenden Zeugnis sämtlicher literarischen quellen einen vorrang einzuräumen, und
sehe in ihr nichts als einen norw. zweig der ausgebreiteten viserdichtung über den
Äslaugstoff, der also dementsprechend zu werten ist. Die ältesten und gewichtigsten
Zeugnisse bleiben vielmehr die Rag-s. sowie Eg und der Bagna/ssonaßattr. Beide
kennen Äslaug nur in Verbindung mit Raguar und mit der Sigurösage, und diesen
zug hat auch das von saga und Rg unabhängige dän. lied 'Karl 0(j KragdiV
bewahrt. Wir haben also keine veranlassung, Äslaug von dieser sage zu trennen,
müssen gerade im gegenteil Äslaug als Sigurös tochter auch in die älteste erschliess-
bare form der sage aufnehmen. Daraus ergibt sich aber, dass sie keine erfindung
des Verfassers der Vols-s. ist, sondern eine ältere und selbständige sagenfigur mit
einem eigenen erzählungskreis. So halte ich auch beide erzählungen von ihrem
orsten Schicksal für alt und gleichwertig. Die eine, aus der Rag-s. bekannt und in
der fser. Gests-n'ma bewahrt, berichtet, wie Äslaug von ihrem pflegevater Heimir,
der als harfner durchs land zieht, in der harfe mitgenommen und wie sie nach er-
morduug des p Hegevaters von ihren zieheitern gefunden und auferzogen wird. Die
andere erzählung, durch ßr str. 17G ff. und durch ein verlorenes fsr. lied repräsen-
tiert, dessen inhalt zuletzt DgF I 329 mitgeteilt wird, besagt, dass Äslaug nach
ihrer geburt in einer kiste ins mßer ausgesetzt und von ihren zieheitern am strande
aufgefunden sei. Aus diesen beiden einfachen berichten wird die phantastische er-
zählung der norw. traditiou kombiniert, deren schwimmende goldharfe so wenig
ursprünglich ist wie Sigfrid in der glasflasche (^-s.). Andere, ganz unabhängige Zeug-
nisse für die Zugehörigkeit der Äslaugfigur zur Sigurösage geben die bei Hammers-
haimbs. 80 ff. abgedruckten Dvörgamoy-lieder*. Diese lieder, deren verwickelte Vor-
geschichte ihre beurteiluug sehr erschwert, die aber als kern die alte Sigurö-Sigrdrif-
sage enthalten, berichten von der liebe Sigurös zu einer 'Dvöi-gamoi/. Dies mädchen
trägt in Dv III den namen Asa, im Dv IV den namen Äsla. Ferner bezeichnet die
fassung B von Dv III dies mädchen als 'Aldinina\ sei es appellativ oder als eigen-
name, und ebenso berichtet der schluss von Rs, der sich nur auf Sigurös ritt zur
1) Vgl. hierzu jetzt meine abhandlung Arkiv f. nord. filol. bd. 36, 207 ff.
ZKITSCHKII-T !■•. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XLIX. 8
114 ■ GÖTZE
Sigrdrif beziehen kanu, dass Sigurö 'Äldimnu' besuchte (kann yisti Äldirmiu), sie
aber wieder verliess, worüber sie weinen inuss. Wir haben also nebeneinander
in engster beziehung zur Sigurösage Äsla-Äldirnna. Andererseits berichtet das er-
wähnte däu. lied Karl o<j Knujelil, jene Kragelil, die tochter Bri/nells habe Ädelroon
geheissen, während sie in dem norw. Torfteus-bericht Äadlov heisst. Also auch hier
das nebeneinander von Aadlov-Ädelroon, Diesen verwickelten zusammenhängen nach-
zugehen, ist hier niclit möglich ; es kam nur darauf an, auf die dadurch bezeugte
weitere und selbständige Verbreitung der Aslaugerzählungeu hinzuweisen, aus der
hervorgeht^ dass es sich um eine tatsächliche, wenn auch gewiss nicht sehr alte
sagenflgur, nicht um das kunstprodukt eines kompilators handelt.
Zur beurteilung des kap. V, der behandlung des Ismalliedes, fehlt mir hier
leider das material.
Die arbeit von de' Vries behält ihren grossen wert durch die Vollständigkeit
und genauigkeit der materialbenutzung, die über alle vorarbeiten weit hinausgeht,
und durch die anregnng, die von ihr ausgeht, sich ernstlicher mit diesen bisher
wenig beachteten quellen zu beschäftigen und sie für die allgemeine sagenforschung
nutzbar zu machen. Die resultate der arbeit sind zum teil sehr wichtig, und aucli
da, wo sie anfechtbar sind, fördern sie und geben anregung.
(UiEIFSWALD. H. DE BOOK.
D. Martin Luthers werke. Kritische gesamtausgabe. Tischreden. Band 1. 2.
Weimar, Hermann Böblaus nachfolgen 1912. 1913. X LI und 656, XXXII und
700 s. 8 ". 21,- und 22,- m.
Luther hat die flinken federn der mancherlei tischgenossen, die seine worte
nachzuschreiben beflissen waren, gewähren lassen. Selten einmal veranlasst er eine
solche nachschrift, wie Veit Dietrich gelegentlich berichtet: Hnnc conceptuni sequentem
forte in mensa me hibebat signare (Tischr. I 72 Weim.), oder: siynate vohis hoc
(I 202). Wenn er aber im schmerz darüber, dass ihm ein guter gedanke ent-
schwunden ist, ausruft: Ach, man sol S2)irltitm lecercnter halten! und Veit Dietrich
das ausdeutet: Slgnificnns fales cogitationes excipiendas esse calamo (I 373), so ist
schon zweifelhaft, ob er damit nachschriften in form der Tischreden hat empfehlen
wollen. Denn seine wahre Stimmung gegen die nachschreibende Vielgeschäftigkeit
trifft doch vielmehr jenes geschichtchen vom mai 1532: die witwe des pfarrers Zeiger
von Beigern lässt ihn um einen neuen manu bitten; er speist den boten ab: Sie ist
vier sieben jar ! Sie ihkss sehen, iren sie nehme; ich kan ir kein gebe-n, und wendet
sich lachend zu Schlaginhaufen : Ego rogo proptei- Deiim, Tnrbicida, scribite hoc!
Ists nicht ein plag? . . . Lieber, schreibts rnd nierckhts (II 123). In der sache war
Melanchthon mit Luther eins ; sein ton ist ernster und lehrhafter, wenn er dem
nachschreibenden Cordatus das heft aus der band nimmt und das distichon hinein-
schreibt:
Omnia non prodest, Cordate, inscribere charfis,
Sed quaedani tacitnnt dissimulare decet (II 310).
Mit Luthers willen wären" die nachschriften gewiss niemals gedruckt worden. Für
die kenntnis Luthers würde das einen ernsthaften Verlust bedeuten, denn in jeder
hinsieht erhalten wir aus den Tischreden die wertvollsten aufschlüsse. Biographisch
sind iimen allein so wichtige Zeugnisse zu entnehmen, wie die erinnerung an Luthers
ÜBEK D. MARTIN LLTHEK.S NYEKKE 115
erste bekaniltschaft mit der bibel: Piier aliquando incidit in bihliam, ibi forie historiain
de inatre Samuelis in libris Begtim legtt; mire placuit ei Über (I 44), und die an-
gaben über sein Verhältnis zu andern bücH^ra in der frühzeit (das.); das bekennt-
nis: Sfaiipicins hat die doctrinatii anyefanyen, und dessen wort: Man miis den man
ansehen, der da hci/st Christus (I 245). In den Tischreden ist aufgezeichnet, was
Luther über sein verhör vor Kajetan in Augsburg und seine rückkehr von dort er-
zählt hat (I 597 f.); hier steht ein tiefes bekenntnis zur bibel: Wenn die bibel ein
grosser niechtiger banni uere vnd alle wort estlin, so hab ich an alle estlin ange-
Iclopfft vnd gern wollen wissen, toas es were vnd vermocht (II 244). Über sein Ver-
hältnis zur deutschen spräche äussert sich Luther bei tisch so rückhaltlos wie kaum
sonst: Ich habe keine gewisse, sonderliche, eigene Sprache im Deutschen, sondei-n
brauche der gemeinen deutschen Sprache, dass mich beide, Obei-- und Niederländer
verstehen mögen. Ich rede nach der sächsischen Canzeleg, irelcher nachfolgen alle
Fürsten und Könige in Deutschland (I 524).
Vor allem ist es aber doch der religiöse genius, der sich auch in den kleinen
äusserungen des alltags umfassend offenbart. Alles wird hier zum geistlichen bilde :
Fides autem est siait centrum circnli: qiiando qitis aberrat a centro^ so ists vnmug-
Uch, das man den cirkcl hab, so tnns man feglen (I l.'?5). Ein bild wie dieses wäre
in einer predigt oder einer füi* die öffentlicbkeit bestimmten schrift Luthers ebenso-
gut denkbar, so auch der vergleich der papisten mit dem wütenden meer: Posuit
Dominus mari terminnnt snnni. Er lesset sie wol wüten vnd ratschiahen, sie müssen
aber vber das litus nicht fahren. Et aqiias non ferreo, sed tantiim arenoso litore
con<i«e< (I 464), oder der des heiligen. geists mit dem atem des flüsternden: Quando
(diqiiis loquitur in aureni, so höret man für dem ödem die wort nit wol, so stark
geht der wind; sie cum docetur verbum, so geht Sp>iritus Sanctus mit vnd webet in
das hertz (I 174), oder der der Versuchung mit einer schlänge: In omni tentatione
sol man sehen, das man den gedancken nit einreume mit dem nachdencken : quando
hoc fit, certo sequitur casus et peccatiim, qnia wo die schlang den kopff in ein loch
bringt, da kreucht sie gewisslich hinach zum corpore (I 176). Aber meist spürt man
doch in den bildern der Tischreden deutlich die häusliche Umgebung, aus der sie
Stoff und bildkraft nehmen. Das haus selbst kann ein bild hergeben: Es gemahnet
mich der weit wie eins bau.f elligen haus; Dauid vnd prophetae sind die Sparren,
Christiis ist die seid mitteti im haus, die hellt es edles (I 185), oder die kinder, die
in haus und hof haschen spielen: Ideo libenter volo esse stultus, vnd wollen vns fangen
lassen vnd gegreppen geben, quod Christus sit Dens et homo contra omnem rationem
(II 16).. Bei trank und speise legt sich ein bild wie das folgende besonders nahe:
sicut haustus aquae sitim et frustum panis esuriem sedut, ita Christus est remedium
mortis (II 599), Am gedeckten tisch, auf dem der bierkrug steht, kommt Luther
in den sinn, wie gerste und flachs vom menschen das ärgste leiden müssen, um ihm
dafür ihr bestes herzugeben: Hae et simiks multae creaturae etiam optime de nobis
meritae sie patiuntur. Sic et omnes pios multa mala a mulis oportet pati. Sic
Dauid ist ein au.serirelter man gewest, darnmb ist er wüst gerolt worden (I 416).
Bestimmte erlebnisse müssen sogleich ihren gehalt an bildkraft abgeben: ein be-
sücher kommt von Leipzig her über die Dübische beide nach Wittenberg und er-
zählt, largiter pluisse in der Diebischen heid . . . non item in Vuittembergensi agro,
ubi segetes nimio aestu languerant. Darauf Luther: Es regenet, gleich wie wir
predigen, in die Diebischen heide hinein, da es kein frucht bringt (I 409). Darum
ist es auch nicht gleichgiltig, dass die Jahreszeiten zu den bildern stimmen, die die
8*
116 GÖTZE
Tischreden festhalten. Im august 1531 erzählt Luther vom kuckuck und der gras-
mücke: An non allqmd magnum in hoc nohis significavit, (juod cuculus parentem
SHum vorat, die c/rassinncken'r' Qnod semel 2^^)' fenestram meam respiciens vidi, Signi-
ficat autem, quod falsi doctores veros opprimunt (II 299); im mai 1532 folgt die
beobachtung der neu belebten Insekten : Christus in extrenio die ivirt blasen, tum
omnes i-esuscitabuntiii-. Hie etiam fiebat mentio muscarum, quae per hiemem nwi-tuae
sole verno veniente i-ecii^erent vitam (II 122).
Religion und moral ist nun auch die Seite, die Luthers nachschreibende Zeit-
genossen aufs lebhafteste beschäftigt und angezogen hat: in den unmittelbaren nach-
schriften nehmen äusserungen dieser art den breitesten räum ein, und in der grossen
Zusammenfassung der 'CoUoquia oder Tischreden', die zuerst 1566 Johann Aurifaber
hat drucTien lassen, erhalten sie den besten platz. Aurifabers verdienst um die
Sammlung und erhaltuug der Tischreden ist unbestritten : er hat der protestantischen
leseweit die ganze fülle dieses reichtums erschlossen, imd zugleich ist er es, der
das Interesse an den Tischreden über die Jahrhunderte gerettet hat. Dabei kann es
kein Vorwurf sein, dass Aurifaber die grosse aufgäbe im sinn seiner zeit angegriffen
hat: chronologische zusammenhänge hat er zerrissen, die ursprünglichen nachschriften
aufgelöst und dafür zusammenhänge hergestellt, die ihm sachlich begründet und für
seine leser wertvoll erschienen. Gesichtspunkte der praktischen tlieologie seiner zeit
waren ihm dabei massgebend, wie sie noch weit hinaus gegolten haben: so sind
noch die register von Mignes Patrologie, über die der nachschlagende heute seufzt,
ganz ähnlich angelegt, wie Aurifabers Tischredensammlung. Die wissenschaftliche
auferstehung, zu der K. E. Förstemann und H. E. Bindseil in den jähren 1844—46
dem alten Aurifaberschen text verholfen haben, hat dieser vollauf verdient. Seit-
dem sind in der zweiten hälfte des 19. Jahrhunderts die ursprünglichen nachschriften
der tischgenossen nach und nach au den tag getreten, einzelne fanden ihren heraus-
geber: Lauterbach in Seidemanu 1872, Oordatus in Wrampelmeyer 1885, Schlagin-
haufen in Preger 1888, Mathesius iu Loesche 1892.
Auch hier wurde der ausgang von theologischen interessen her genommen,
mit erstarkender methode sind die herausgeber zu allseitiger kritischer erschliessung
ihrer texte emporgestiegen, dem ideal am nächsten kam bisher E. Kroker mit
seiner ausgäbe der von ihm entdeckten Leipziger handschrift der Mathesischen
Sammlung. Es ist mit dankbarer freude zu begrüssen, dass dieser beste kenner der
Tischreden mut und müsse gefunden hat, den stoff nun auch in der kritischen ge-
samtausgabe von Luthers werken zu behandeln. Wir danken es seiner hingäbe, dass
hier sogleich endgiltiges geleistet ist, und wer ermessen kann, was es heisst, neben
der verantwortlichen leitung einer grossen bibliothek wissenschaftliche arbeit solchen
umfangs unter dach zu bringen, wird sich der zähen arbeitskraft des herausgebers
doppelt freuen.
In methodisch unanfechtbarer weise Averden die einzelabschriften der tisch-
genossen in chronologischer folge wiedergegeben. Den ersten band eröffnen Veit
Dietrichs nachschriften von sommer 1531 bis herbst 1533. Als anhang dazu folgen
Nik. Mediers nachschriften aus der ersten hälfte der dreissiger jähre. Aus derselben
zeit stammt sodann die umfangreiche Sammlung Veit Dietrichs und Nik. Mediers.
Den zweiten band eröffnen Job. Schlaginhaufens nachschriften von dezember 1531
bis ende 1534. Es folgt die kurze Sammlung Ludw. Rabes aus den dreissiger jähren.
Den hauptteil des bands macht die Sammlung von Konrad Cordatus aus, von juni
1531 bis noveraber 1532 reichend. Dergestalt bieten die beiden bände 2802 einzelne
ÜBER r>. JrAIiTIX LUTHERS WERKE ll7
Tischreden nach den Urschriften, auf die sicli der erste herausgelier der Tischreden
mit fug beschränkt, indem er die aufarbeitung der späteren bunt geüiischten Samm-
lungen künftiger einzelforschung überlässt. Denn von den mehr als dreissig hand-
schriften, die tischreden Luthers überliefern, die zum teil in den entlegensten
bibliotheken des in- und auslands zum Vorschein gekommen sind und sich bis in
die letzten jähre ständig vermehrt haben, sind die meisten späte Sammlungen, deren
jede aus der gewaltigen summe von einzelstücken eine andere auswahl in neuer
reihenfolge zusammenstellt. Eine kritische ausgäbe der Tischreden, die alle texte
verwerten wollte, wäre vom gewicht der Überlieferung erdrückt worden, die gewählte
beschränkung auf die grundlegenden handschriften war lebensfrage.
Die Urschriften aber — nachschriften also einzelner tischgenossen, die die vom
aufzeichner gehörten reden ohne beimischung fremden gutes, ungekürzt und in un-
gestörter Zeitfolge bieten — hat Kroker mit recht vollständig aufgenommen, auch
wenn damit manches stück in die ausgäbe geriet, das seinem Ursprung nach keine
tischrede Luthers ist. Im ersten band bietet nr. 48 eine mitteüung Luthers an Veit
Dietrich, nr. 79 und 949 sind trostreden für Arabr. Berndt und Ben. Pauli. In nr. 236
gibt Dietrich die unterschritt eines briefs an Käthe wieder, in nr. 409 eine autobio-
graphische notiz, in nr. 566 f., 678—680, 1058 und 1231 handschriftliche aufzeich-
nungen Luthers. Auf der jagd hat Luther die gedanken von nr. 569 f. entwickelt,
bei betrachtung der wölken am himmel die von nr. 703 f. Im zweiten band sind
entsprechend nr. 1265, 1634, 1748 und 2005 Lutherschen Ursprungs, aber nicht bei
tisch gesprochen. Von Melanchthon stammen nr. 287, 617, 783, 1226, 1264, 1789,
1991, 2263, 2270-2272 und 2558, von Bugenhagen nr. 318, 353 f. und 2714, von
Agricola 2436, von einem ungenannten freund Veit Dietrichs nr. 294.
Die texte behandelt Kroker mit möglichster Schonung; einige Verderbnisse
wünschte man gebessert zu sehen: I 84, 21 lies Xam statt Mann: 99, 32 Nacht st.
nicht; 109, 8 freie Wille st. Freiwillige; 119, 3 beweyset st. beweysen; 5 her st. er;
180, 15 executionem st. exemptiouem; 185, 21 henden st. seytten; 194, 15 solt st.
sol; 197, 15 waren .s^ warden ; 210, 17 kopff vud strumpff s^.. kopff oder strumpff;
211, 14 gehafft .s^. geschafft; 225, 4 nit an st. nit; 241, 17 bie adversarii st. dies
adversarii; 281, 26 feilts st. fellts ; 326, 23 quemque st. eumque; 352, 6 es leyt st.
er legt; 378, 7 Koch- st. Koch; 403, 7 -knüpfen st. knüpfen; 405, 12 eraus st. er
aus; 411, 11 Georgius st. Gegorgius; 420, 29 Philosopho st. Pilosopho; 498, 12
Diabolus st. Deus; 552, 20 haben vns an st. haben an; 23 bette st. hatte; 555, 26
Böslein st. Bislein ; 572, 15 zwo st. zuo ; 588, 22 -gewüthet st. gewüthet ; 593, 12
Augen, dafür sie blaue Brillen st. Brillen, dafür sie blaue Augen; 116, 32 so sagen
jene: So st. so bist; 13, 13 vero st. non ; 31, 34 wird st. wir; 50, 30 tabulam st.
tubulam; 58, 5 nur st. mir; 103, 10 anruffer st. auruft'er; 104, 24 nucleum s^. nucu-
leum; 114, 5 seyt st. syt; 116, 13 Sünder st. Sünde; 183, 19 -hält st. hält; 145, 8
sunt st. sicut; 1-17, 17 nit st. nur; 187, 12 vns s^. vnser; 188, 7 heyst st. best;
193, 4 mir st. nur; 199, 25 hont st. hört; 223, 5 zagete st. zage; 6 bidmen st.
bidenen; 226, 40 dem hier st. der hier; 253, 8 burger st. bürge; 259, 15 Denne-
marck st. Durigen; 261^ 32 beben st. leben; 269, 2 purger .s^ purge; 271, 4 vO st.
vü; 293, 14 ich mich weiter s^. ich weiter; 308, 27 sum st. non; 309, 6 geschwister-
kinder .^t. geschwister vnd kinder; 310, 20 grata st. gratis; 367, 34 knoden .s^
knochen; 373, 1 die sie sich st. die sich ; 426, 21 facicnt st. facerent; 45», 8 herauf
St. heraus; 4/8, 22 wolt st. wol ; 23 possum. Ich kundt vor weilen mer von einem
plumblein waschen den st. possum . . . den ; 459, 4 f. Sind gemachte vnd nicht ge-
118 GÖTZE ÜBER J). ^tAlJTIN LUTHERS WERKE
wachsene wortt sf. Sind gewachsene vud nicht gemachte wortt ; 48G, 3 impudens
.s^ imprudens ; 487, 21 grindt s/. grundt; 25 hiel st. bield ; o04, 8 Kilkrop sf. Wil-
krop; 18 Kilkropp sf. Wilkropp; 50fi, 12 feist sf. fest; 507, 12 es sf. ers; 521, 8
nam sf. nam; 13 machst st. machts; 525, 2B dernoch st. dennoch; 529, 22 mol
sf. wol ; 534-, 2 Seiwitzen sf. Helwitzen; 21 storl s/. stork; in sf. im; 54:5, 14
hielten st. hettcn ; 567, 9 Pasquillus st. pasquillus; 573, 9 Ketlin .s^ kindlin;
630, 1 aqua st. aliqua; 631, 18 Vugariam st. Vngarum.
Manche dieser textbesserungen werden schon in Krokers fussnoten erwogen,
die neben dem umfangreichen textkritischen apparat vor allem eine fülle wertvoller
Sacherklärungen bringen. Weniges wird hier vermisst, z. b. ein wort über Seamda
secKiidae rnd j)ri}iia j)i-i7nae 1118, 3; Thomas in secunda secwidae Vdb, 12; des alten
Oeconomi Freiotdin 287, 28 f.; Erasraus 390, 24; Virfiitern praesentein odiniiis SM, 9-
Minkwitz 419, 31; Etliche vom Adel 490, 9; Claus Narr 521, 21; Schürf 526, 24;
Galen 610, 9; Vitaepatrum II 86, 21; Cicero 41, 9; Gerson 64, 20; motiv der
Faustsage 97, 27 ff'.; motiv vom fechtmeister 99, 14 ff'.; motiv der kreuzschau
116, 29; Exusian 154, 3; D. Severus l85, 15; anekdote vom ablass 199, 25 ff^. ;
die 300 floren 426, 10; König Gtrsick 432, 15. Mehrfach fehlen Verweisungen auf
parallelstellen, so bei I 1 6, 30 auf 256, 23; 337, 11 auf 2« 8, 3; II 175, 10 auf
489, 4; 199, 22 auf 543, 5; 206, 5 auf 265, 9; 215, 18 auf 601, 26; 217, 21 auf
604, 21 ; 592, 25 auf 624, 26.
Vielfach gehen Krokers fussnoten auch auf die mancherlei sprachlichen
Schwierigkeiten des textes ein. Hier vermisst man (z. b. I 116, 21; 120, 26; 131, 19;
145, 42; 162, 34; 163 anm. 6; 176, 5; II 7, 10; 69, 15; 85, 18; 88, 12; 119, 7;
413, 1 f. ; 459, 22 ; 522, 8) eine klare abgrenzung gegen die vortrefflichen anmer-
kungen, die am ende jedes bandes auf insgesamt 70 druckseiten 0. Brenner der
spräche der Tischreden widmet. Mit Brenners beitragen zu andern bänden der
Weimarer ausgäbe gehören diese anmerkungen zum besten, was die neuere zeit zu
Luthers spräche geleistet hat. Wo Brenner auf Schwierigkeiten eingeht, die schon
eine fussnote Krokers berührt hatte, muss man meist ihm recht geben, so 1 103, 16;
119, 33; 160, 13; 176, 33; 182, 27; 189 anm. 11; 236,2; 250,25; 364, 26; 481,2;
.574 anm. 4; II 3, 5; 22, 11; 29, 5; 56, 18; 74, 14; 78, 20; 79, 17; 100, 7; 26;
121, 12; 1^3, 10; 127 anm. 4; 129, 3; 130, 18; 150, 17; 168, k8; 249 anm. 2;
257 anm. 3; 8 5, 9; 378, 19; 422, 3; 449, 4; 489, 23; 491, 32; 509, 13; 530, 21;
533, 13 f.; 536, 34; 539, 18;. 555, 8; 600, 2; 607, 28; 656, 31. Gelegentlich be-
hält aber doch auch Kroker recht; so deutet diele in Luthers satz II 359, 12 f.
Ehe ich mit den von Zivichair commimionem fidei wolt haben, wolt ich )nir meinen
hals mit einer dilen ahstossen lassen in der tat auf die regelrechte mittelalterliche
hinrichtung, nicht auf ein marterndes hinschlachten.
Auch sonst muss man mehrmals Brenners deutungen widersprechen : das köst-
liche gleichnis I 129, 1 man falle aus dem schiffe rornen oder hinden, so ligt man
im Wasser, ist gewiss Luthersche augenblicksbildung, nicht sprichwörtlich; hei/mlich
bedeutet 167, 11 wohl 'noch im mutterleib', nicht 'aus versehen' ; ein gleissender, an-
sehnlicher, heucMischer Rafhgeher 159, 6 ist einer, der 'nur von ansehen gut, von
aussen gleissend scheint', nicht einer, der 'sich ein ansehen gibt und schön redet';
dass mit geschraubeten Worten ein höfischer ausdruck sei, darf man Aurifabers reden-
dem beleg 195, .31 glauben; 197, 9 wider den ström bedeutet 'gegen die eigne natur,
mit künstlicher reflexion', nicht 'unnatürlicher weise und ohne erfolg' ; reisig -1\1, 20
ist gewiss nicht 'reissend', sondern 'kampfbereit'; sonderlich des Orts i.^4, 44 be-
KÖRNER f'BKR KLOSS, DIE HEIDELBEROISCHEX JAHRBÜCHER DER LITERATUR 119
deutet 'zumal hierzuland', nicht 'besonders durch seine geographische läge'; 455
42 f. Also hatten die Bömer stets ein Kriegsvolk bey einander, mit demselben hielten
sie immer an, lässt sich wohl umschreiben: 'sie behandelten es als stehendes beer',
nicht: 'sie hielten es in gleicher stärke'; das wort über die fische 519, 20 Mortuis
rinnm; liventibus aqua ist eher ein klosterwitz als ein rätsei ; mit der Wendung »vr
haben alle den Leihkanf zum Tode getrunken ahmt M. Xeander nicht Tischr. 52 1. 21
nach, die ihm 156o gar nicht zugänglich war, sondern er folgt wie jene Hesek. 18, 2;
Brotkasten bei Aurifaber 571, 4 ist nicht 'brotkammer', sondern 'brotschrank' ; und
zwar 595, 29 übersetzt et quidem 595, 22, die stelle ist lückenhaft und so zu er-
gänzen: Die ganze Welt lästert Gott, die We nigste n und zirar nur die Elenden
ehren und dienen ihm; au/f die Bann 601, 19 bedeutet 'auf die reit- oder wildbahn',
nicht 'ins freie'; II 193, 3 nicht eine)- Laus irerdt heisst 'nicht einmal so viel wert
wie eine laus'; 198, 23 vergossen ist 'zugelötet', nicht 'mit kalk oder spezereien über-
gössen'; 451, 6 das hensten des vtdgus im gottesdienst soll wohl heisseu, dass sich
die gemeinde nicht zu voller aufmerksamkeit und unbedingter stille zusammenrafft,
nicht, dass sie das predigtwort unverständlich machen will; Glim glam gloriam, die
San; die hat ein Pantzer an 510, 11 ist kein lied, sondern ein zweizeiliger spott-
vers; er kehrt wieder im 109. schwank von Mich. Lindeners Katzipori von 1558,
Lichtensteins ausgäbe s. 162 f.
Entbehrlich scheinen die bemerkuugen zu I 223, 31; 320, 8; 335, 8; 403, 15;
484, 5; 26; II 45:-t anm. 1; 521 anm. 5; 572 aum. 2. Einige Worterklärungen fehlen:
121, i Mittelding 'gleichgültige dinge'; 23, \% Schauspiel 'Sehenswürdigkeit'; 87, 1
wenn dasselbige thäte 'wenn das nicht wäre'; 288, i9 bezeit 'bei zeiten' ; 353, 19
ekel 'heikel, empfindlich'; 487, 6 zufallen 'einfallen' (von gedanken); 490, 16 Can-
torey 'sangesschule' ; 531, 1 übersetzen 'überfordern, überteuern'; 557, 22 nervi
'muskeln'; 576, 16 Durst 'wagemut' ; 606, 18 tokke 'puppe'; II 14, 35 lauschen
'laueru' ; 36, 5 Nerven 'muskeln' ; 52, 7 Springivasser 'quellwasser' ; 33 schliesslich
'schlüssig, bündig' ; 59, 2 sch^-eit 'schreitet' ; 63, 36 Schonte 'Schemen' ; 73, 28 Keif
'zank'; 116,27 beulten 'tmschen' ] 206,13 vbe rmachen ^nbertreihen'; 807,17 Drechsel
'drechsler'; 427, 30 heufes fages 'heutigestags' ; 460, 14 am stillen f reif ag 'am kar-
freitag'.
FRETBURG I. B. ALFRED OÖTZE.
Alfred Kloss, Die Heidelbergischen Jahrbücher der literatur in den
Jahren 1808 bis 1816. Probefahrten. Erstliugsarbeiten aus dem Deutschen
seminar in Leipzig. Herausgegeben von Albert Kost er. Leipzig, E. Voigt-
länder 1916. XII, 198 s.
Die analyse einzelner persönlichkeiten und literaturwerke birgt immer die
gefahr in sich, dass über dem unterscheidenden das gemeinsame gleichgerichteter
geister übersehen oder doch unterschätzt wird ; aber wo eine reihe von Schriftstellern
in gemeinschaft auftritt, werden von selber die übereinstimmenden züge schärfer
sichtbar, und es ist ein leichtes, die literarische gruppe zu erkennen und zu be-
schreiben. Das macht die geschichte von Zeitschriften, wie sie nachgerade zu einer
Spezialität der Leipziger .schule geworden ist, so interessant und lehrreich.
Wie die allgemeine romantik, die deutsche romautik, die frühromantik, so
deckt erst recht der name 'Heidelberger romantik' einen ebenso geläufigen wie un-
120 KÖRNEK
festen, verschwimmenden begriff. Während die einen ihn auf das kostbare kleeblatt
Arnim, Brentano, Görres beschränken, dehnen ihn andere über alles lebende aus, was
je in Heidelberg geweilt hat und nicht gerade auf den namen Voss hörte. Persön-
liche und geistige beziehungen laufen hier neben- und durcheinander und verwirren
den blick. Die vielen fäden aufzudröseln, die sich da verknäueln, mag ein schwie-
riges unternehmen sein, es ist jedesfalls ein dankbares und notwendiges; jeder
beitrag zu seiner lösung ist willkommen.
Die geistige atmosphäre Heidelbergs lässt sich nirgends besser verspüren als
in den blättern der nach Inhalt, umfang und lebensdauer bedeutendsten Zeitschrift,
die dort geblüht hat; einem organ von damals unerhörter modernität, das seine
intellektuelle freiheit schon äusserlich darin bekundete, dass es die dozenten der
Universität und die -akademisch ungraduierten freien literaten der stadt und des
'ausländes' zu gemeinsamer arbeit vereinigte.
Ausgegangen ist die gründung der 'Heidelbergischen Jahrbücher', wie Kloss
aktenmässig und unsere kenntnis vielfach berichtigend und vermehrend darlegt,
von der Universität. Mit recht setzt das buch darum mit einer kurzen Übersicht der
allgemeinen geistigen zustände Deutschlands und der besonderen an der badischen
hochschule ein; da wird festgestellt, 'dass die juristische und kameralistische Sektion
von den neuen ideen der zeit wenig berührt war, dass dagegen in der theologischen,
philosophischen und medizinischen die meisten und bedeutendsten der dozenten
ihnen mehr oder weniger zuneigten' (s. 16). Der so innerhalb der Universität
latente gegensatz brach durch die Umtriebe von aussenseitern — Brentano und Voss —
in offenen streit aus, in dem die von dem philologen Creuzer geführte partei der
romantiker den kürzeren zog; entscheidend waren äussere momente, die Verände-
rungen des lehrkörpers, indem schon 1809 auf kurze zeit Creuzer selbst, im folgen-
den jähre seine gesinnuugsgenosseu De Wette, Marheineke und Boeckh nach anderen
Universitäten fortzogen. Der wechselvolle kämpf zwischen dem romantischen und
dem antiromantischen geiste spiegelt sich in den „Heidelbergischen Jahrbüchern"
genau wieder.
In zwei kapiteln, einem kurzen und einem ungleich längeren, das hauptstück
der Untersuchung bildenden, wird die äussere, sodann die innere geschichte der
Zeitschrift erzählt, d. h. eigentlich bloss eines ausschnittes derselben, nämlich der
vier fächer: philologie, geschichte, literatur und kunst in den jähren 1808—1816.
Die begründer des neuen Unternehmens waren bestrebt', dasselbe schon
äusserlich (und nicht allein durch den titel) von allen bestehenden literaturzeitungen
zu unterscheiden; zu diesem zweck benahm mau ihm vor allem den charakter des
zeitungsmässigen: es sollte weniger ephemere neuigkeiten als vielmehr abschliessende
Übersichten über die wichtigsten erscheinungen des Jahres bringen; und während
die übrigen kritischen organe alle drei tage oder noch öfter erschienen, waren hier
zunächst nur 15 hefte im jähr geplant. Eigenartig aber war vor alleffl die sachliche
teilung der Zeitschrift in fünf selbständig erscheinende abteilungen, in denen ver-
wandte Wissensgebiete zusammengefasst wurden, gewissermassen annalen der be-
treffenden Wissenschaften bildend: I. theologie, philosophie und pädagogik; II. Juris-
prudenz und Staatswissenschaften; III. medizin und naturgeschichte; IV. mathematik,
1) Freilich nicht von aufang an: die vom 1. Oktober 1S07 gezeichnete gründungs-
urkunde (im auhang s. 186 f. abgedruckt) will die form der 'Göttinger gelehrten
anzeigen' beibehalten und bestimmt dem blatte noch den anspruchlosen titel:
'Heidelberger literaturzeituug'.
rBEK KLOS.<. DIE HEIDELBERfasCHEX .TAHRllfClIEU KEIl LITEÜATII! 121
physik, kameralwisseuscliaften ; Yr philologie, historie, literatur und kunst. Indes
wechselte die äussere einrichtung wiederliolt. Schon 1809 wurde die zahl der hefte
yermehrt, so dass bereits allwöchentlich eines erschien, jedes 3 bogen stark; aber
die andauernd ungünstige finanzielle läge des Unternehmens nötigte bald (ende 1810)
zu einer bedeutenden herabsetzung der allzu hohen bogenzahl, und damit musste
auch die facheinteilung fallen: die Jahrbücher erschienen jetzt dreimal wöchentlich
und machten im jähre nur 53 bogen aus; nach dieser änderung unterschieden sie
sich äusserlich nicht mehr vom durchschnitt der deutschen literaturzeitungen.
Diesen glichen sie sich allmählich auch im abonnementspreise an, der 1808
bis 1810 von 12 auf 15 fl. rli. stieg, um nach der Verminderung des umfanges seit
1811 wieder auf 8 il. zurückzugehen. Die mitarbeiter erhielten ein sehr anständiges
honorar, das zwischen 16 und 20 fl. rh. schwankte. Dies im verein mit den hohen
gestehungskosten und der naturgemäss geringen abounentenzabl erzeugte schon im
ersten jähre, wie nicht anders zu erwarten war, ein beträchtliches defizit; keiner
der vielen an deutschen Universitäten eingenisteten literaturzeitungen ist es besser
ergangen, überall mussten die regierungen mit Subventionen nachhelfen ; die kargen
und saumselig gespendeten Zuschüsse der badischen regierung genügten freilich bei
weitem nicht. Der Verleger die bekannte Heidelberger firma Mohr & Zimmer
(seit 1815 Mohr & Winter) — arbeitete mit ansehnlichen Verlusten.
Ungewöhnlicher noch als das äussere gewaud des blattes waren die bestim-
mungen über seine leitung, die nicht einem einzelnen redakteur, sondern einer ganzen
gesellschaft von solchen überantwortet war. An der spitze jeder abteilung standen
zwei direkteren, denen freilich unmittelljar nach der gründung, jedoch nur ganz
vorübergehend, ein mit geringer macht ausgestatteter generalleiter zur seite trat.
Die auf der haud liegenden nachteile dieser einrichtung Hessen sich auf die dauer
nicht verkennen, und so beschränkte man bereits ende 1810 die vielköpfige schrift-
leitung auf drei niitglieder: den Juristen Thibaut, den philosophen Fries und den
historiker Wilken; sie standen bis ans ende des Jahres 1816 an der spitze.
Bei der ersten Zusammensetzung wie bei den späteren Veränderungen der
redaktion spielte die frage nach der Stellung zu den anschauungen der 'neuen schule'
eine hauptroUe. Zunächst erhielt die romantische partei, die ja auch auf der Universität
nach zahl und bedeutung der dozenteu vorherrschte, das übergewicht. Mit dem
abgaug ihres führers Creuzer (1. april 1809 folgte er einem ruf nach Leiden) setzte
erfolgreich die gegenoffensive der antiromantiker ein, und das alte Verhältnis wollte
sich auch nach Creuzers baldiger rückkehr nicht wieder herstellen lassen, Xach un-
stetem schwanken und wiederholten riickfällen ins romantische wesen gerieten die
Jahrbücher 1818 völlig in rationalistische bände.
Diese inneren kämpfe bestimmen durchaus die geschichte der V., der
'literarischen' abteilung, der"Kloss ausschliessej,id seine bemühungen gewidmet
hat. Ihre redakteure sind zunächst Creuzer, der die hauptarbeit leistet, und Wilken,
der bloss für die historischen rezensionen sorge trug. Creuzer hielt sich die un-
romantischen koUegen, so besonders Alois Schreiber und den jüngeren Voss, Avohl-
weislich vom leibe und suchte und fand ersatz vor allem bei Görres, der, ordnungs-
gemässer habilitation ermangelnd, freilich nicht eigentlich zum lehrkörper der Uni-
versität zählte, und bei auswärtigen namhaften Schriftstellern. Mühelos gewann er
die häupter der 'neuen schule', die damals eines eigenen organs entbehrten und
doch gerade jetzt viel zu sagen hatten, allvoran Friedrich Schlegel. Diesem
wurden nicht nur literarische, sondern auch theologische und philosophische schriftm
122 i-:(')RNKit
anvertraut, und mit einer bei F. Schlegel unerhörten Pünktlichkeit wurden die auf-
trage auch ausgeführt. Gleich der erste Jahrgang brachte nicht weniger als fünf
beitrage aus seiner feder: rezensionen über die ersten 4 bände der Goetheausgabe
von 1806, über Büsching-von der Hagens 'Sammlung deutscher Volkslieder', über
ein werk Adam Müllers, über drei Schriften Fichtes und über die ersten zwei teile
von des grafen F. L. Stolberg 'Geschichte der religion Jesu (Christi'; von welchen
beitragen die zwei letzt angeführten in der L, philosophisch-theologischen abteilung
erschienen sind. Aber mit seinem Stolbergaufsatz hatte Schlegel den Jahrbüchern
ein kuckucksei ins uest gelegt; in der theologischen, wie in der gesamtredaktion
brach darüber ein heftiger konflikt aus, und schliesslich erlaubten sich die theologischen
redakteure, gegen Schlegel -in ihren spalten eine antikritik loszulassen und die fort-
setzung des Stolbergschen Werkes einem andern rezensenten zu übergeben. Das war
ein starkes stück. Fr. Schlegel konnte sich ein so rücksichtsloses vorgehen nicht
gut gefallen lassen und schied für immer aus der reihe der mitarbeiter. Briefe
Creuzers, noch mehr solche des Verlegers Zimmer, der mit erfolg auch die Ver-
mittlung A. W. Schlegels anrief, bemühten sich vergebens, den grollenden zu ver-
söhnen. Auch Wilken erbat zu wiederholtenmalen Fr. Schlegels erneute mitarbeit,
zuletzt, wie es scheint, in einem briefe vom 6. februar 1811, von mir veröffentlicht
in der 'Deutschen rundschau' märz 1918, s. 3841., in dem es heisst: 'Meine Bitte
an Sie betrifft wiederum unsre Jahrbücher. Wollten Sie wohl nicht das Straf-
gericht über des Herrn v. Arnim Halle und Jerusalem übernehmen? Ihr Urtheil
könnte gewiss am besten auch unsern guten Zimmer von dem Wahn heilen, dass
solche Producte das Höchste der Kunst seyn, und dass jenes Halle und Jerusalem,
was Brentano ihm in den Kopf gesetzt hat. nach Göthe's Faust das Gröste sey,
was deutsche Poesie hervorgebracht hat,'
Fr. Schlegel erscheint in der Heidelberger rezensieranstalt nicht nur als
Subjekt, sondern auch als objekt. Sein 'Poetisches taschenbuch' auf 1806 hat
der damals in Paris lebende hessen-homburgische geheimrat Isaak von Sinclair *
angezeigt, seine 'Gedichte' kein geringerer als Achim von Arnim besprochen.
'Ihre Schrift über Indien' schreibt Creuzer in dem in der anmerkung bezeichneten
briefe an Fr. Schlegel, 'wird von 2 Recensenten, einem Orientalisten und einem
Philosophen für unsere Jahrbücher beurtheilt werden, doch so dass die Recension Ein
Gauzes bildet. Auf jeden Fall wird sie noch im Lauf dieses Jahres erscheinen.' Aber
es dauerte nahezu drei jahrej bis dieses versprechen schlecht und recht erfüllt war.
Erst im 2. heft des jg. 1811 hat Wilken selbst endlich Schlegels wichtige schrift
besprochen, sehr anerkennend, aber auch sehr vorsichtig über die gefährlichen
stellen hinwegvoltigierend und in dem zwischen Schlegel und dem Verfasser der
'Mythengeschichte' ausgebrochenen streite beiden parteien so recht wie unrecht
gebend; Görres sah sich veranlasst, darauf mit einer erklärung zu antworten, die
im intelligenzblatt des Jahrgangs 1811 abgedruckt ist. Um aber den von ihm be-
kämpften Schlegel wieder zu versöhnen, beabsichtigte Görres, dessen 'Vorlesungen
1) Nicht Görres, wie man bisher fälschlich meinte; Kloss berichtigt dies an
band der redaktiousakten, es geht auch aus einem briefe Creuzers an Schlegel
vom 18. Juli 18o8 ('Deutsche rundschau' märz 1918, s. 382 f.) hervor, wo zu lesen
ist: 'Diese Anzeige sandte mir HE Sinclair von Paris. Ich wünschte, er hätte mir
seine Addresse gemeldet; so wäre ich im Stand ihm Mehreres zu übertragen';
dieser satz erledigt zugleich die Vermutungen von Kloss s. 56 f.
ÜBER KL()SS, DIE HEIDELBERfUSCHEX JAHRBÜCHER DER LITERATUR 123
Über die neuere geschichte" zu rezensieren, ohne freilich diese absieht je auszuführen.
Schlegels 'Deutsches museuni', das ursprünglich Arnim und Wilhelm Grimm gemein-
schaftlich zu beurteilen gedachten, fand im jg. 1813 eine Würdigung durch unbe-
kannte feder; aber es ist dort eigentlich nur ein fragment der anzeige zu lesen,
denn der verheissene 'abschluss der rezension' ist niemals erschienen. Schlegel hat,
nach ausweis seines briefes an S. Boisseree \ diese rezension selbst erbeten und zu
ihrer Verfertigung Bertram oder Wilken in eigener person vorgeschlagen.
Mit A. VV. Schlegel trat Creuzer bei dessen flüchtigem Heidelberger aufenthalt
am 27./8. juni 1808 in Verbindung'. Den aber nahm jetzt die drucklegung seiner
Wiener Vorlesungen über dramatische "kuust und literatur vollauf in anspruch, so
dass er seine rezeosionen (deren er übrigens eine ganze menge übernommen hatte)
während Creuzers kurzer redaktionsära nicht mehr vollendet hat; immerhin war den
Jahrbüchern mit ihm ein fleissiger und wertvoller mitarbeiter gewonnen. Er lieferte
im laiif der jähre besprechungen von Büsching-von der Hagens 'Buch der liebe',
von Gries' Ariostübersetzung, Docens Titurel, Winckelmanns werken und, nach einer
längeren, durch die politischen und kriegerischen ereignisse erzwungenen pause,
solche über die 'Altdeutschen wälder' der brüder Grimm, das von Chezy heraus-
gegebene Yadjnadatta-Badha, Mustoxidis scbrift 'Sui quattro cavalli di S. Marco
in Yenezia' und — der bedeutendste beitrag — über Niebuhrs Römische geschichte''.
Von A. W. Schlegels eigenen Schriften wurden die 'Poetischen werke' durch Arnim,
die Vorlesungen über dramatische kunst und literatur durch Adolf Wagner gewürdigt;
(in anonymus besprach im jg. 1814 sein 'Spanisches theater".
Auch Tieck erklärte sich zu vielem bereit, lieferte jedoch nie etwas. Um so
emsiger erwiesen sich die häupter der jüngeren romantischen schule. Arnim be-
spricht F. H. Jacobis rede 'Über gelehrte gesellschafteu' nebst den gegenschriften
von Rottmanner und Aman, Rostorfs 'Dichtergarten", drei roinaue Ernst Wagners,
zwei fremdländische (eine italienische, eine französische) Schriften zur bildenden
kuDSt und (in der theologischen abteilung) Ritters 'Fragmente eines jungen physikers'.
Aber bald melden sich gegen diesen beiträger die schwersten bedenken bei Creuzers
redaktiouskoUegen, und Thibaut setzt es durch, dass keine rezension Arnims künftig
mit dessen namensunterschrift erscheinen darf. Trotzdem hält l'reuzer an dem
freunde fest und überlässt ihm auch weiterhin wichtige bücher, so Z. Werners
'Attila', dessen besprechung durch Arnim auch wirklich erschien, während seine
rezension von Brentanos 'Goldfaden', die bereits abgeliefert war, von Creuzers nach-
folger Boeckh weggelegt und dafür eine solche von W. Grimm in druck gegeben
wurde. Arnims rezensionen von F. Schlegels Gedichten und dem satirischen kollektiv-
1) Bei S. Boisseree (Stuttgart 1862) I, s. 171 ist dieser brief unvollständig
abgedruckt; ich habe mir den fehlenden schlussteil nach dem im Stadtarchiv zu
Köln verwahrten original kopiert.
2) Was gleichfalls aus Creuzers brief an F. Schlegel hervorgeht, so dass das
fragezeichen bei Kloss s. 51 wegfallen darf.
8) A. W. Schlegels brief an Wilken, Lausanne, 6. Juli ISl."), den ich Zs. f. d.
üsterr. gvmn. 19 U. s. 68l) f. mitgeteilt habe, ist Kloss unbekannt gebli.hen; dort
trägt Schlegel an,' Grimr Jonsson Thorkelins' 1815 zu Kopenhagen erschienene
erstausgabe des ags. Beowulf für die Jahrbücher zu rezensieren. In einem an
versteckter stelle abgedruckten (und darum seiner zeit auch von mir übersehenen)
briefe an Zimmer aus Paris vom 2i. februar 1817 (Ungarische rundschau II, 1913,
s. 854/5Ü) endlich spricht Schlegel den Avunsch aus, 'die neue ausgäbe von Hrn. von
Hnmboldt.s Monumens Americains anzuzeigen".
124 K('t]!NEK
romaii 'Karls versuclie und hindernisse' liess Boeckli je ein jähr lang liegen und
entledigte sieh eines dritten beitrags (der schon erwähnten besprechung von Ritters
'Fragmenten') dadurch, dass er sie an die theologische abteilung weitergab. Zwar
trat Boeckh für Arnim ein, als die seit eh und je, schon zur zeit Oreuzers, dem
dichter übelgesinnte gesamtredaktion nun offen gegen ihn auftrat und durch Thibaut
und Wilken seine ausschliessung aus der reihe der mitarbeiter beantragte, doch
scheint er ihn nicht mehr zum rezensieren aufgefordert zu haben. Im jähre 1811
aber gelang es Arnim, der sich selbst zu erneuter mitarbeit antrug, hauptsächlich
durch Vermittlung des ihm sehr gewogenen Verlegers, von Wilken wieder beschäftigt
zu werden ; er schrieb jetzt noch besprechuugen der 'Poetischen werke' A. W. Schlegels,
der plattdeutschen gedichte Bornemanns und des berüchtigten pamphlets 'Bürgers
ehestaudsgeschichte', nebst einer antikritik auf Justis rezension von Jördens 'Lexicon
deutscher dichter und prosaisten', abgedruckt im Intelligenzblatt 1811. Von Arnims
eigenen werken wurden in den Jahrbüchern der 'Wintergarten' durch Ernst Wagner,
'Gräfin Dolores' durch W. Grimm, beide sehr anerkennend, besprochen. Eine mit-
Wirkung Brentanos, dieses hechts im knrpfenteiche der Heidelberger literaten, machten
dessen äussere lebensumstände unmöglich: es war vielleicht ein glück für den
inneren frieden der redaktion, der durch Görres, den Creuzer besonders bevorzugte,
schon hinreichend gefährdet war. Görres besprach Runges 'Jabreszeiten' \ Villers
Schrift 'Über Universitäten', den von Duperron herausgegebenen 'Upnekhat', Rixners
'Versuch einer darstellung der indischen alleinslehre', 0. Franks 'Licht vom Orient'
(diese beitrage sind zum teil in der von Daub redigierten theologisch-philosophischen
abteilung erschienen) und gab eine selbstanzeige seiner 'Volksbücher' ". Und diesem,
von der Voss-partei viel bekämpften manne übertrug Creuzer die anzeige des heiss
umstrittenen 'Wunderhorns'. Sie war halb gedruckt, als Creuzer abgieng. Und' nun,
da seine autorität die gegner nicht mehr zurückhielt, entbrannte innerhalb der ge-
samtredaktion ein wütiger kämpf um diese rezension, so dass der literarische streit
mit der Voss-partei und dem Morgenblatt, dem die 'Einsiedlerzeitung' erlegen war,
auch auf die Jahrbücher überzugreifen drohte. Die Opposition, von Thibaut geführt,
setzte durch, dass der rest der anzeige zunächst ungedruckt blieb; erst l'/4 jähr
nach dem ersten erschien, im august 1810, der rezension zweiter teil. Noch einen
andern beitrag von Görres, die Itesprechung von Ahlwardts Ossianübersetzung, liess
Boeckh fast ein jähr lang liegen. Görres zog aus dieser unfreundlichen begegnung
die konsequenzen und stellte bis auf weiteres seine mitarbeit ein. 1811 aber gelang
es den gemeinsamen bemühungen des redakteurs Wilken und des Verlegers Zimmer,
Görres aufs neue an das Institut zu fesseln: er lieferte jetzt seine berühmte, nur
allzu lang geratene Jean Paul-rezension, die besprechung von Dalbergs 'Meteorkult',
eine im Intelligenzblatt abgedruckte anzeige seiner geplanten 'ßibliotheca Vaticana'
und endlich drei grosse beitrage, die seine neueste weudung zu den germanistischen
Studien widerspiegeln: die besprechungeu des durch die brüder Grimm heraus-
gegebenen Hildebrandsliedes, der Tieckschen bearbeitung von Ulrich von Lichten-
steins Frauendienst, der schrift J. Grimms 'Über den altdeutschen meistergesang'.
1) Zu welcher rezension Arnim einen zusatz machte : vgl. neue Heidelberger
Jahrbücher 1900, s. 121, 1902, s. 247 f.
2) Die von F. Schultz Görres zugeschriebene rezension von Okens Schriften
'Über licht und wärme' und 'Lehrbuch der naturphilosophie' stammt von dem natur-
philosophen Eschenmayer: Kloss s. VIII.
ÜBER KLOSS, DIE HEIUELBEKGISCHEX JAHKBLXIIER DER LITERATUR 125
Damit hatte aber auch seine tätigkeit au dem blatte ein ende; seit 1814 nahm die
herausgäbe einer eigenen zeituug, des 'Rheinischen merkur', alle seine kräfte in
anspruch ; in den zwanziger jähren ist er dann noch mit einer einzigen rezension
zu gaste erschienen.
Ein wichtiger mitarbeiter war ferner Jean Paul: ihm hatten die Jahrbücher
zu danken die rezensionen der 'Corinna' und der schrift über Deutschland der frau
von Stael, von Fichtes 'Eeden an die deutsche uation', von Uhlenschlägers Aladdin,
von Delbrücks 'Über die dichtkunst', sowie mehrerer dichtungen Fouques: des
'Alwin', der Nibelungeutrilogie (über deren ersten teil 'Sigurd der schlangentöter'
die Jahrbücher noch eine zweite, Jean Pauls lobsprüche wesentlich einschränkende
beurteilung brachten, Avelche W. Grimm und Arnim gemeinschaftlich verfasst hatten)
und des dramas 'Eginhard und Emma'; in der letztgenannten rezension wagte es
Jean Paul, der neuen schule — und gerade ihren umstrittensten werken — unein-
geschränktes lob zu spenden, was das noch unentwegt romantikfeindliche 'Morgen-
blatt' zu dem schärfsten angriff aufreizte, der je gegen die Universität und die Jahr-
bücher Heidelbergs gerichtet ward. Aber neben diesem Vorkämpfer der romantik
stand innerhalb der Jahrbücher doch auch Vossens gesinnungsgenosse Paulus, der
seine rezensionen zu ausfällen auf die romantik benützte. Dass auch Schleierraacher,
wie aus dessen briefwechsel mit Boeckh (Mitteilungen aus dem literaturarchive in
Berlin, u. f. XI, Berlin 1916, s. 33, 35 f., 38) hervorgeht, angeworben wurde, wird
von Kloss nicht erwähnt: Schleiermacher erklärte sich bereit, Ammons 'Religions-
vorträge' * und eine schrift von Paulus (?) zu rezensieren, konnte aber sein ver-
sprechen anscheinend nicht erfüllen, so wenig wie Boeckhs wiederholte bitte,
Schellings rede über die bildenden künste in den Jahrbüchern anzuzeigen. Mit einer
anzeige von Schleiermachers 'Gelegentlichen gedanken über Universitäten' ist Sa-
vigny, ein hauptmitarbeiter der juristischen abteilung. auch einmal in der literarischen
Sektion aufgetreten.
Creuzer bemühte sich, was Kloss nicht Avissen konnte, auch österreichische
literateu für seine zeitung zu gewinnen. Das geht aus dem folgenden (un gedruckten),
unstreitig au H. v. Collin gerichteten'- schreiben zur genüge hervor.
Heidelberg den 15. Aug. 1808.
Hochzuverehreuder Herr !
Es ist mir sehr erfreulich Sie mit unsrem Institut verbunden zu wissen. Ich
beantwortete daher Ihren schätzbaren Brief sogleich.
Sonnenbergs' 3 Gedichte, wie auch dessen Donotoa werden Sie durch die
Zimmersche Buchhandlung erhalten. In Zukunft wünscht indessen der Verleger,
1) Die H. j. II (1809) 1. abt. I. bd. s. 273 ff. abgedruckte rezension ist nicht
von Schleiermacher.
2) Man könnte auch an J. L. Stoll denken, der mit Leo von Seckendorf die
Zeitschrift 'Prometheus' herausgab; meine bessere Vermutung stützt sich auf eine
stelle iu Creuzers wiederholt angeführtem brief an Fr. Schlegel vom 18. Juli 1808:
'Auf den Rath Ihres Herrn Bruders schreibe ich heute an HE. v. Seckendorf
(Herausgeber des Promotheus) u. HE. Collin. um sie zur Mitwirkung an unsern
Jahrbüchern einzuladen'; dass nicht Seckendorf der Adressat ist, geht ja aus dem
briefe selbst hervor.
3) Der Westfale Franz Freiherr von Sonnenberg (1779-1805), ein spätlipg
Klopstockscher epik ; von ihm haben wir u. a. : Donatoa oder das weltende. Epopöie.
Halle 1806/07, ein epos in 12 gesängen; Gedichte Sonnenbergs nach dessen todc
hg. V. J. G. Gruber, Rudolstadt" 1808.
126 KÖKNEK
wegen des sehr weiten Transportes, dass Sie, wo es möglich, die recensenda in
einiger dortigen Buchhandlung sich zur Einsicht geben lassen.
Ihre übrigen Anerbietungen nehme ich sämtlich mit Vergnügen an, und Sie
haben also, die Güte, ausser Altimor und Zomira, noch desselben Verfassers
Gedichte, wie auch dessen Trauerspiel : Marie von Belmon t e zu beurtheilen'.
Ausserdem übernehmen Sie gefälligst
Werners Weihe der Kraft. Vielleicht auch dessen Wanda. (Ich setze dies
leztere voraus, und übertrage sie daher niemand anders.)
Steigenteschs- und
Hutts' » Lustspiele.
Je eher Sie mich nun mit einer dieser Kritiken beschenken können, desto
lieber wird es mir seyu. Wie es mich überhaupt freuen wird Sie ja recht genau
mit unserm Institute verbunden zu sehen.
Dem Herrn Friedrich Schlegel bitte ich mich zu empfehlen, und ihn gefälligst
an seine Versprechungen für unsere Jahrbücher zu erinnern. Auch bei Herrn v. Secken-
dorf bitte ich mich ins Andenken zu bringen. Ich bin mit aufrichtiger Verehrung
Eurer Wohlgeboren
ergebenster Fr. Creuzer
Professor.
Die last der redaktiousgeschäfte machte es Creuzer unmöglich, in seinem eige-
nen fache, der klassischen philologie, mehr als kleine beitrage zu geben ; er fand an
Boeckh, der damals im wesentlichen noch sein wissenschaftlicher bundesgenosse war,
einen vortrefflichen helfer, dann aber auch an dem jungen Göttinger privatdozenten
F. G. Welckei', der alle wichtigen archäologischen rezensiouen lieferte. Auf histo-
rischem gebiete (ausdrücklich sollte die deutsche geschichte bevorzugt werden) tat
der redakteur Wiiken selbst das meiste ; neben ihm arbeitete in -seinem Spezialfach
der Heidelberger Kopp, der vater der paläographie. Für philosophie wurde der
Jenaer professor W. G. Tennemanu, für italienisi-he philologie der Leipziger schrift-
steiler Adolf Wagner (Richard Wagners oheim) gewonnen; orientalische philologie
bearbeitete Wilkeu. Eine ganz bedeutende Stellung räumte Creuzer der neu er-
stehenden Wissenschaft der deutschen philologie ein ; auf diesem gebiet fand er,
nächst A. W. Schlegel, an den brüdern Grimm die wertvollsten mitarbeiter. Für
die bildenden künste, wurde, nach Alois Schreibers frühzeitigem rückzug, Görres
aufgeboten; Glöckle in Rom sandte einen bericht über das römische kunstlebeu, der
im Jntelligeuzblatt erschien; auch Arnim bezeigte, wie bereits erwähnt, der bildenden
kunst lebhafte anteilnahme. Über musik endlich schrieb der privatdozent Horstig.
Creuzers kurzfristige redaktionstätigkeit bedeutet die blütezeit der Jahrbücher:
was Von bedeutenden federn an der zeitung mittat, hat nahezu ausnahmslos er an-
1) Gemeint ist Karl Streckfuss (1778-1844), der 1803 als hofraeister in Wien
weilte und dort mit Caroline Pichler und H. v. Colliu freundschaftlich verkehrte;
seine 'Gedichte' erschienen Leipzig 1804, 'Altimor und Zomira. Ein mährchen'
(4 gesänge in ottaverimen) ebenda 18U8, 'Maria Bellraonte', ein trauerspiel in 5 akteu,
Zeitz 1807; in einem ungedruckten, gleichfalls im besitz der Wiener hofbibliothek
befindlichen briefe aus dem jähre 1808 bittet Streckfuss Collin um öffentliche beur-
teiluug seiner Schriften.
2) Von dem österreichischen offizier und diplomaten August Freiherrn von
Steigentesch (1774-1H26) erschienen lustspiele: Wien und Triest 1808.
3) Johann Hutt (1774-1809), Wiener polizoibeamter, gab 2 bände 'Lustspiele'
(Wien 1805-1812).
ÜBER KLOS.S, DIE HElüELBEKGISCHEN JAHRBÜCHER DER LITERATLU 127
geworbeu ; viele waren darunter, deren von ihm bestellte beitrage erst einliefen, nach-
dem er die leitung bereits aus den bänden gegeben hatte. In dieser ihrer blütezeit
überragen die Jahrbücher alle anderen deutschen literaturzeitungen, von denen sie
sich auch — insbesonders die literarische abteilung — dadurch wesentlich unter-
scheiden, dass sie offenkundig der romantik zuneigten. 'Seit dem kurzen versuch
der 'Erlanger literaturzeitung' in den jähren 18U1 und 1802 war keine literatur-
zeituug so energisch für die romantik eingetreten, und so vollständig hatte die
romantik überhaupt noch in keiner herrschen dürfen . . . neben die 'Zeitung für
einsiedler' und den -Dresdener 'Phöbus' traten die Philologischen Jahrbücher als
wichtige ergänzung.' (Kloss, s. 87.) Freilich sagt Kloss zu viel, wenn er s. 86
behauptet, kein anderes kritisches organ sei der romantik freundlich gesinnt ge-
wesen: das gilt jedesfalls von der 'Wiener allgemeinen literaturzeitung' (1813 bis
1816) nicht.
Nach Creuzers abgang übernahm am 1. april 18U9 Boeckh die hauptleitung
der V. abteilung; Wilken, der ihm — wie vorher Creuzern — zur seite stand, tat
nicht viel. Boeckh steuerte das schiff der zeitung sofort aus der gefährlichen roman-
tischen Strömung in ein ruhigeres fabrwasser. 'Er sah bei der auswahl der mit-
arbeiter weniger auf ihre anschauungen als darauf, dass heftige, streitlustige
Charaktere möglichst fernblieben, strich auch bedeukliche stellen der rezensionen.
Die richtung zur neutralität, gegen die Creuzer gerade gekämpft hatte, gelangte
mit ihm zur herrschaft'. (Kloss s. 106 f.) Er dachte keineswegs an eine völlige
ausschaltung der romantiker, wie diese ja auch unter seiner leitung noch oft genug
zum wort kamen; aber ein Parteiorgan waren die Jahrbücher nicht mehr. Freilich,
die besten beitrage, die zu seiner zeit abgedruckt wurden, hatte ihm Creuzer über-
liefert oder doch gesichert; und neben diesen wertvollen stücken drängte sich in
der Boeckhschen ära bereits eine grosse zahl unbedeutender vor, und manches be-
deutende werk findet überhaupt keine erwähnung. Aber auch Boeckh hat seiner
zeitung noch manchen bedeutenden mitarbeiter gewonnen: so den romanschreiber
Ernst Wagner, den Schellingianischen philosophen J. J. Windischmann, der u. a.
Görres' Mythengeschichte würdigte, vor allem Franz Hoin, die in jedem sinne frucht-
barste anknüpfung, die Boeckh geglückt ist. Hörn hat während seiner uiehrjährigen,
aus unbekannten gründen 1814 endenden mitwirkuug u. a. Z. Werners 'Wanda' und
den 'Guido' sowie die gedichte des graf Lochen beurteilt. Für die klassische philo-
logie lieferte Boeckh selbst die besten rezensionen, während Creuzer, der seit dem
herbst 18U9 wieder in Heidelberg wirkte, zur mitarbeit auffälligerweise von ihm
nicht aufgefordert wurde ' ; unter den zahlreichen belfern auf diesem gebiete erscheint
jetzt, freilich nur mit einem einzigen beitiag, sogar der jüngere Voss. Im histo-
rischen fach trat neben Kopp und W'ilken als neue Kraft Friedrich von Räumer,
dessen gewinnung Wilkens grosses verdienst war; von ihm bringen die Jahrbücher
1812 noch mehrere, 1815 nur noch einen beitrag, worauf er ganz verschwindet; ihn
1) Kloss' meinuug. dass Creuzer gegen seinen willen ausgeschifft wurde,
widerstreitet eine stelle seines briefes au Schütz vom 8. dezcmbcr 1809 (C G. Schütz,
Darstellung seines lebens I, s. 'v8j: 'Zu der redaktion der Jahrbücher biu ich uicJit
wieder hinzugetreten, da die damit verbundene korrespondenz für mich zu zer-
streuend war.' Jedesfalls blieb Creuzer auch unter Boeckhs nachtolger, der wenigstens
die einladung nicht versäumte, grollend den Jahrbüchern fein und hat erst nach
der völligen Umgestaltung des redaktionskörpers im jähre lbl7 wieder daran teil-
genommen.
128 KÜKNKR
löste der damals nucli iu Frankfurt lebeude, später so berühmt gewordene historiker
Fr. Ch. Schlosser ab, eine sehr bedeutende neuerwerbung, die gleichfalls Wilken
verschaffte '.
Grössere Stetigkeit kommt in die redaktion erst mit dem jähre 1811. Von da
an bis ende 1816 hatte das triuravirat Thibaut, Fries und Wilken die leitung der
jetzt nicht mehr iu einzelne abteilungen zerfallenden Jahrbücher inne, und zwar fiel
die sorge für die literarische gruppe (philologie, geschichte, literatur, kunst) jetzt
hauptsächlich dem letztgenannten zu. Unter diesem regime wurde die romantische
parte! noch mehr zurückgedrängt, dafür deren schärfste gegner zur mitarbeit heran-
gezogen: so der jüngere Voss, den nicht bloss Creuzer, sondern auch noch Boeckh
von den Jahrbüchern ferngehalten hatte, so der rationalistische theologe Paulus,
der jetzt auch literarische werke, wie Z. Werners 'Weihe der unkraft' und die
patriotische dichtung der befreiungskriege besprach. Aber der anschlag von Thibaut
und Fries, sich im literarischen fach aller romantisch gerichteten mitarbeiter zu
entledigen, scheiterte an dem widerstände Wilkens, der sich nicht nur um die
brüder Schlegel eifrig bemühte, sondern auch Görres und Arnim neuerlich an die
Zeitung fesselte. Wilken, der von anbeginn den Standpunkt Boeckhs festhielt, konnte
seine redaktionspolitik um so entschiedener durchführen, als auch Thibaut von seiner
romantikfeindschaft allmählich abkam und sich mit der zeit eher in einen gegner
der rationalistischen partei umwandelte-. Der stab der mitarbeiter erlitt auch unter
dem triumvirat keine wesentlichen Veränderungen, er geht im grossen ganzen noch
immer auf Creuzers anknüpfungen zurück. Der durchschnittliche wert der rezen-
sioneu freilich war im vergleich mit der ära Boeckh oder gar der ('reuzerschen
redaktionszeit in den jähren des triumvirats entschieden zurückgegangen. Die giiten
beitrage waren gegenüber der menge mittelmässigcr und minderwertiger schon stark
in der minderheit, ihre absolute zahl aber noch stattlich genug. Da wären rühmlich
zu erwähnen: die besprechuug von Goethes 'Dichtung und Wahrheit' durch den
hinter der chilfre J. M. 0. sich verbergenden Frankfurter stadtgerichtsrat J. F. v. Meyer,
die vortreffliche rezension der Hoifmannschen 'Fantasiestücke', deren Verfasser viel-
leicht F. G. Wetzel sein mag, K. Abekens anzeige von Gries' Calderonübersetzung,
Windischmanns wertvolle und umfangreiche Würdigung von Herders 'Sämtlichen
werken', maler Müllers rezension von Bossis schritt 'Del cenacolo di Lionardo da
Vinci'. Als neue note bringen Paulus u. a. den politisch-liberalen gedanken in die
Zeitschrift, der eben damals um sich zu greifen begann. Der klassischen philologie
konnte sich der jüngere Voss jetzt vollständig bemächtigen, und mit einem epilog
zu einer rezension des sohnes stellte sich im jähre 1816 auch der alte Voss zum
ersten und einzigen mal als mitarbeiter ein. Übertreffen die Jahrbücher die andern
literaturzeitungen jetzt nicht mehr, so sind sie doch auch nicht schlechter als jene.
Die zeitgenössische dichtung, der Creuzer einst innerhalb des blattes vielen und
bevorzugten platz eingeräumt hatte, wird in den hintergrund gedrängt, die wichtigsten
1) Aus einem ungedruckten briefe Raumers an professor Wilken in Berlin,
Breslau 1. juli 1818 (original iu der Wiener hofbibliothek) merke ich den satz an:
tuach Heidelberg wage ich mich nicht [sc. mit einer rezension von Wilkens 'Ge-
schichte der kreuzzüge'] aus Besorgniss, Schlosser möge meine Ansichten misbilligen';
vgl. dazu Kloss s. 442.
2) Ich hege starke zweifei, ob Thibauts Stellung zur romantik von Kloss
richtig erfasst ist. Der berühmte Jurist begegnete sich mit der 'neuen schule'
doch in manchen punkten, besonders in seiner bis ins späte alter bewährten Vorliebe
für alte kirchenmusik.
ÜBER KLOSS, DrK riEIDELBEUrUSCUEN JAHUBl M'HER DEK T-lTRUATTÜt 129
aeuheiten bleiben imbesprochen. Um so bedeutender wird die rolle, die dank der
eifrigen beihilfe der brüder Grimm jetzt der deutschen philologie zufällt. Im all-
gemeinen galt das Interesse des publikums, das die Jahrbücher noch immer fesselten,
in dieser zeit schon weniger den literarischen, als vielmehr den juristischen rezen-
sionen, in denen sich ein teil des berühmten Streites zwischen Thibaut und Savigny
abspielte, sowie den politischen und theologischen.
Hier bricht die Untersuchung ab; der Verfasser lässt den leser stehen, ohne
ihm ein wort über die fernere geschichte der Jahrbücher zu sagen. Warum er seine
erzählung nur bis zum jähre 1816 geführt hat, darüber lässt er nirgends etwas ver-
lauten. Verständiger wäre es gewesen, das jähr 1818 zur grenze zu nehmen, weil
damals die Jahrbücher vollständig in die gewalt der rationalistischen partei gerieten.
Der Jahrgang 1817 hätte schon um seines leiters Hegel willen die einbeziehung so
verdient wie gelohnt. Und noch ein anderer umstand spricht für die spätere grenz-
setzung: im selben jähr 1818, in dem die Heidelberger Jahrbücher für die romantik
endgiltig verloren gehen, beginnt ein neues, gross angelegtes und sehr romantik-
freundliches organ zu erscheinen: die von M. v. Collin geleiteten Wiener 'Jahrbücher
der literatur', die rasch das hohe ansehen erwerben, das einst die Heidelberger Zeit-
schrift genossen hatte '. Mehr als um die rechtfertigung seines willkürlichen terminus
ad quem ist Kloss bemüht, die beschränkung der studie auf die literarische abteilung
der Jahrbücher, die völlige ausserachtlassung der übrigen fachgruppen zu erklären.
Die mühe ist verloren, denn das ist abermals nicht zu rechtfertigende willkür. Un-
l)egreiflich, dass Kloss nicht wenigstens die theologisch-philosophische abteilung,
die durch real- und Personalunion mannigfacher art mit der historisch-philologischen
gruppe im innigsten verbände steht, in den kreis seiner betrachtung zu ziehen für
nötig fand. Aber nicht minder hätte, angesichts der eminent politischen bedeutung
der romantik und auch weil sie den grössten äusseren erfolg hatte (ihr erster Jahr-
gang musste zweimal aufgelegt werden), die juristisch-staatswissenschaftliche ab-
teilung, nähere Untersuchung erfordert.
Tiefere probleme als die so ganz äusserliche, aktenmässig lösbare frage nach
den mitarbeitern und der autorschaft der einzelnen beitrage hat der Verfasser leider
nicht erörtert. Recht flüchtig streift er au dem wichtigen und interessanten thema
vorbei, inwiefern die Heidelberger Jahrbücher das programm der Einsiedlerzeitung
fortgeführt oder gar erfüllt haben. Und noch weniger ist es ihm beigefallen,
diese Jahrbücher neben den grosszügigen plan der Jenaer romantiker, A. W. Schlegels
und Fichtes vor allem, zu halten, die eine noch gründlichere reform der literatur-
zeitungen bezweckten; was Jiloss in einer anmerkuug (s. 274) darüber notiert, ist
unzulänglich und lässt die kenntnis wichtiger literatur vermissen. Wohl spricht
der Verfasser im Vorwort von der notwendigen aufgäbe, 'die äusserungen der übrigen
damaligen Zeitschriften ebenfalls eingehend zu berücksichtigen, um aus ihnen fest-
zustellen, worauf die eigentümliche bedeutung der einzelnen aufsätze der Jahrbücher
und damit der Zeitschrift im ganzen beruhte' ; aber die ausführung dieses Vorsatzes
1) Unschlüssig, wohin er eine fertiggestellte rezension zum abdruck geben
soll, schreibt Görres am 4. Januar 1824 (Gesammelte briefe HI, s. 128) : 'ich denke
die anzeige in die Wiener Jahrbücher zu geben, weil die Heidelberger ein winkel-
journal geworden'. — Möchte doch bald jemand mit dem gleichen fleisse, den Kloss
an seine aufgäbe gewendet hat, aber mit mehr geschick und methode der grossen
Wiener rezensieranstalt sich zuwenden, um ihre bedeutsame geschichte zu schreiben;
meine einschlägigen notizen und hinweise auf mancherlei ungedrucktes material
sollen ihm gern zur Verfügung stehen.
ZETTSCHTITFT F. BP.rTSCnE PHILOLOGIE. BD. XLTX. 9
130 KÖTiNKl!
habe ich in dem buche vergebens gesucht. Allerdings hat Kloss auch einige andere
Zeitungen der von ihm behandelten epoche durchgesehen ', aber leider nur die urteile
verglichen, nicht die art der Verhandlung und die Urteilsbegründung. So musste er
das beste schuldig bleiben ; seine Untersuchung- erhebt sich nicht über die wasser-
gieiche einer sauberen und als solcher auch dankenswerten materialsammlung; ein
beitrag zur geschichte des romantischen geistes ist das buch nicht geworden. Finger-
zeige, welche sich für die forschuug aus den von Kloss im anhaug bekanntge-
machten neuen dokumenten erst ergeben, hat er selbst gar nicht beachtet; wenn es
z. b. in der gründuugsurkunde vom 1. Oktober 1807 heisst, die neue zeitung würde
'besonders auch die katholische literatur (von Süddeutschland namentlich) und fran-
zösische werke'- betreffen', so verpflichtet das den bearbeiter, nachzuprüfen, ob und
in welcher weise dieser absieht entsprochen ward ; Kloss bleibt kein gedanke ferner
als dieser.
Ungern setze ich meiner anerkennung des von Kloss geleisteten so enge
grenzen ; denn mit seltenem, wahre hochachtung forderndem fleisse ist der Verfasser
ans werk gegangen, dem er offensichtlich mehrere jähre gewidmet hat. Das buch
trägt die Jahreszahl 1916, wie weit jedoch die vorarbeiten zurückgehen mögen, er-
hellt aus des Verfassers bemerkung, dsss das in den einschlägigen, 1913 erschienenen
Schriften von F. Schneider und 0. Reichel veröffentlichte material ihm noch hand-
schriftlich vorgelegen^. Archivalische nachforschungen hat er an nicht weniger als
acht orten gehalten und ein paar prachtstücke von den funden, die ihm glückten,
dankenswerterweise im anhang abgedruckte Aber ihm mangelt jegliches talent,
seine schönen funde und emsig gesammelten notizen schriftstellerisch zu verarbeiten.
Zunächst hat er den stoff in der unglücklichsten weise disponiert. Gegen seine
Zweiteilung in die kapitel 'äussere' und 'innere' geschichte der Jahrbücher liesse
1) Durchaus nicht alle: die 'Oberdeutsche literaturzeitung', auf die R. F. Arnold
in seiner 'Allgemeinen bücherkunde' (Strassburg 1910) hingewiesen hat, sollte nicht
mehr übersehen werden.
2) Baden zählte ja zu den Napoleons Protektorat unterstellten rheinbund-
staaten.
3) Nach 1913 erschienene, auf seinen gegenständ bezügliche literatur kennt
und nennt der Verfasser nicht; es fehlen: J. Körner, A. W. Schlegel und sein
Heidelberger Verleger (Zs. f. d. österr. gymn. 1914, s. 673—694); Briefwechsel Schleier-
machers mit Boeckh und Bekker (Mitteilungen aus dem literaturarchive in Berlin,
n. f. XI; 1916); HPB 1916, 11. heft, wo sich ein verbesserter abdruck des Görres-
Zimmer-briefwechsels findet; vgl. auch noch Creuzers brief an .Jacobs vom 19. I. 1817
im 'Zentralblatt für bibliothekweseu' XXX (1913), s. 26 f. So ist das buch in den
literaturangaben schon beim erscheinen zum teil veraltet; doch liegt diese schuld
nicht am Verfasser, sondern an den widrigen Zeitumständen, die eine erhebliche
Verzögerung des druckes verursachten. Seltsamerweise ist der XVIII., 1914 er-
schienene band der 'Neuen Heidelberger Jahrbücher' im literaturverzeichnis und
in ungezählten anmerkungen als Jahrgang 1913 zitiert.
4) Da finden sich, auf die Jahrbücher bezüglichen akten unerwähnt, die folgen-
den briefe: 1. J.H.Voss an Zimmer, Heidelberg, 23. Oktober 180H; 2. Fr. Schlegel
an Zimmer, Wien, 28. märz 1809; 3. L. Tieck an Zimmer, Berlin, 8. august 1814;
4. A. W. Schlegel an Zimmer, Coppet, 7. august 1809 ; 5. und 6. ergänzungen zu
'J. G. Zinmier und die romantiker' (Frankfurt 1888) unvollständig gedruckten briefen
Brentanos und Jean Pauls an Zimmer; 7. Creuzer an Boeckh, Heidelberg, 1. märz
1807; [8. das s. 180 abgedruckte, ganz bedeutungslose brieflein von herr und frau
Creuzer an Boeckh wäre besser foitgeblieben ;] 9. bruchstück eines briefes von Nauck
an Boeckh; 10. bruchstücke aus briefen Boeckhs an F. A. Wolf 1807—1810; 11. und
12. zwei briefe Fouques an professor Schwarz in Heidelberg, Nennhausen, 19. mai
und 24. november 1825.
ÜBEi; KI.OSS, DIE HKriiELl^EltCrsCIlEX .TAnitr.l ('HEU DEl; l.ri'EliATI i; 131
sich ja nichts einwenden, wenn sie nur geschickter und mit mehr Überlegung ge-
troffen wäre ; dann hätte sich leicht vermeiden lassen, was jetzt das buch ausser-
ordentlich schädigt und seine lektüre wenig vergnüglich macht : die nahezu methodisch
durchgeführte Wiederholung des nur einmal zu sagenden an zwei oder gar mehreren
stellen. Statt in dem der äusseren geschichte gewidmeten ersten kapitel die Zu-
sammensetzung und die Veränderungen der redaktion ein- für allemal darzulegen,
gibt Kloss darüber an diesem orte zunächst eine rasche skizze, um in dem andern
kapitel entsprechend dem wandel der Schriftleiter drei Unterabteilungen zu treffen
und nun sowohl einmal einleitend vor als jeweils in denselben über die redaktion
zu handeln: so steht an vier stellen, was ohne besondere anstrengung an einer
hätte vereinigt werden können. Aber noch ungeschickter ist es, innerhalb jener
drei Unterabteilungen gar eine letzte teilung vorzunehmen und den stoff a) nach
den mitarbeitern, b) nach den rezensionen zu ordnen. Selbstredend lässt sich von
den autoren nichts sagen, ohne ihrer beitrage, von diesen nichts, ohne ihrer Verfasser
zu gedenken, und der drohenden gefahr, zweimal ein- und dasselbe sagen zu müssen,
entzieht sich der Verfasser zur not nur dadurch, dass er aufs geratewohl einen teil
seines materials unter a), den andern unter b) ablädt. So muss sich der leser müh-
sam das zusammengehörige selber erst ausklauben. .Ja, die unart des Verfassers
geht so weit, dass er oft mitten in der erzählung eines einheitlichen Sachverhalts
abbricht, um erst viele selten später damit fortzufahren, so dass der leser sich ge-
zwungen sieht, immer wieder zurückzublättern, ohne dass er in der mühseligen
arbeit solchen sucheus durch ein brauchbar eingerichtetes register ' unterstützt würde.
Die veränderte anordnung, in der diese anzeige den Inhalt des buches vorzuführen
versucht hat, will andeuten, wie es besser zu machen"war. Nun bedient sich der
Verfasser bisweilen zu wenig entschiedener ausdrücke, so dass man nicht selten im
zweifei bleibt, ob dieser oder jener beitrag nur beabsichtigt, ob er auch geschrieben
und gedruckt worden ist. Und da die fundsteilen der beitrage unbegreiflicherweise
in der grösseren hälfte des buches gar nicht augegeben werden (nur der letzte teil
des buches von s. 108 ab tut dieser selbstverständlichen forderung genüge), ist man
genötigt, die betreffenden Jahrgänge der Zeitschrift selbst zu rate zu ziehen. Eichtet
nicht das allein schon eine Untersuchung, die doch in erster linie ein repertorium
der Zeitschrift zu geben hatte? Wohin man den blick richtet, überall vermisst man
etwas abschliessendes, endgiltiges, fertiges, jene gewisse abgerundetheit, durch die
sich eben ein buch von einer kollektaneensammlung unterscheiden muss. Was Kloss
bietet, sind nur beitrage — mitunter sehr wertvolle - zu seinem thema, aber durch-
aus keine bewältigung desselben. In einer Zeitschrift nimmt man dergleichen mit
dank hin, eine selbständige Veröffentlichung verlangt strengere beurteilung; denn
die Wissenschaft, mag sie durch solche bücher auch zunächst gefördert erscheinen,
hat davon auf die dauer manchen schweren nachteil. Nach Kloss' unzulänglichem
versuch wird so bald nicht wieder ein gelehrter die Heidelbergischen Jahrbücher zum
gegenständ seiner Studien erwählen - und so bleibt ein wichtiges thema auf lange
hin unerledigt.
Aber noch einer anderen und vielleicht gerade jetzt zeitgemässen betrachtung
sei hier platz vergönnt. Die weit widerhallt heute von dem bösen und uns so
unsinnig dünkenden feindesgeschrei, dass die Deutschen barbaren seien, plumpe
1) Unverständlicherweise ist der wichtige anliang nicht ins register ein-
bezogen.
9*
132 ,s, ||1.,.SSKK (-1-)
gesellen, denen jeglicher sinn für verfeinerte kultur abgehe. Bieten wir so törichtem
geschwUt/ nidit die erwünschte nahrung, wenn unsere gelehrten fortfahren, die
resultate ihrer forschnng, unbekünniicrt um jegliche ausdrucksform, vorziilegcn, wie
es sich eben trifft? Glaubt einer, dass man in Frankreich ein buch drucken Hesse,
ehe es geschrieben war? Denn nicht nur die plane anordnung seines Stoffes lässt
Kloss vermissen, er hat sich auch um die glätte des ausdrucks nicht im geringsten
bemüht. 'Die jähre, in denen die ersten Jahrgänge der Heidelbergischcn Jahr-
bücher der literatur erschienen' so setzt seine schritt ein; hat er kein ohr zu
hören, wie misstüuend dies dreifache Jahr in einer einzigen zeile klingt? Und wie
leicht wäre das mit einem federzug zu bessern gewesen !
Leicht mag mau die strenge meines urteils ungereciitigkeit schelten, weil
doch der Verfasser sich redlich bemüht und unser wissen zweifellos bereichert hat.
Das erkenne auch ich bereitwillig an. Aber das eben finde ich tadelnswert, dass
Kloss, der alle, der ungewidinliche Voraussetzungen besass, ein treffliches buch zu
schreiben, nur die analecta zu einem solchen gibt. Dies unumwunden auszusprechen,
fühle ich mich um so mehr verpflichtet, als zurzeit ein lächerlicher respekt vor dem
'ungedruckteu' in unserer Wissenschaft sich breitmacht, der mit erschreckender
deutlichkeit zeigt, wie wenig gedanken über sinu und aufgaben der literatur-
gH'Schichte ihre adepten sich machon. Eine stattliche reibe namhafter fachgenossen
könnte ich aufzählen, die durcii keine andere bemühung zu hohem ansehen gelangt
sind, als dadurch, dass sie den unschwereu und nur infolge einer art geistigen
trägheitsgesetzes meist unterlassenen schritt aus den büchersälen in die archive
taten. Denen blühten ebenso reiche wie leichte erfolge, denn häufig genug wühlten
sie doch nur in Schatzkammern, die für jedermann offenstanden. Aber auch per-
sönliche findigkeit und zufälliges tinderglück, so sehr sie der forschung nützen,
schaffen doch nur die Voraussetzung für eine wissenschaftliche arbeit, nicht diese
selbst ; eine billige einsieht, die dennoch heute vielen zu entschwinden droht. Die
letztverstorbene generatiou bedeutender literaturforscher hat sie noch besessen.
Minor sagte in kolleg und seminar darüber unverblümt seine meinung, und Erich
Schmidt schrieb in den anmerkungen seines 'Lessing' (was ich aber keineswegs
wörtlicli auf Kloss anwenden möchte), 'dass, wer als haudschriften- und bücherjäger
eine feine spürnase besitzt, deshalb doch der philologischen elementc völlig bar
sein kann'.
WIE.V. .TOS. KUKXEH.
Jereuüas (jotthelf (Albert Bitzius), .Sämtliche werke in 24 bänden. In Verbindung
mit der familie Bitzius herausgegeben von Eudolf Hunziker und Hans Bloesch.
Zehnter band, bearbeitet von Gottfried Bohnenblust : Käthi die grossmutter,
191(j. Neunter band, bearbeitet von Rudolf Hunziker: Jakobs des handwerks-
gesellen Wanderungen durch die Schweiz, 1917. München, Delphinverlag
(Eugen Rentsch) 550 und 64ü s. Je m. 4.50; gebunden m. 6, — bzw. 7,50.
Seit der grossen 24bändigen Berliner ausgäbe von Jeremias Gotthelfs Ge-
sammelten Schriften aus den jähren 1855 — 1858, deren Wiederholung von 1861 zum
teil blosse titelauflage ist, hat es an einer vollständigen Sammlung von Bitzius'
werken empfindlich gemangelt, da die verdienstliche Berner Volksausgabe im urtext,
die Ferdinand Vetter 1898 in angriff genommen hat, leider über den zehnten band
CUEK JEKKMIAS GOTTUKLl' 133
nicht hinausgelangt ist. Es ist das um so auffallender, als Bitzius' stern unverkenn-
bar in starkem aufsteigen begriffen ist. Der auch sonst um Gotthelfs neubelebung
entschieden verdiente Adolf Bartels hat 1907 in der Hessischen klassikerbibliothek
einer auswahl von fiinf recht stattlichen Gotthelf-bäuden unterk\inft verschafft, denen
sich drei jähre später noch ein sechster hat anschliessen dürfen. Ua jedoch auch
dieser ausgäbe eben die Vollständigkeit wieder abgeht und der herausgeber zudem
von textkritischen bedenken nicht angekränkelt ist (eine kritik der leider recht
schwerfälligen und unbeholfenen vorrede gehört nicht hierher), so war es ein höchst
dankenswertes unternehmen des Delphiuverlags, mit seiner grossen, auf 24 bände
berechneten kritischen ausgäbe hervorzutreten, die höchst erfreulicherweise im gegen-
satz zu ähnlichen Unternehmungen auch durch den weitkrieg nur auf kurze zeit
unterbrochen worden ist, wobei ihr der umstand, dass der mitarbeiterstab sich aus-
schliesslich aus schweizerischen landsleuten Gotthelfs zusammensetzt und die Schweiz
vermutlich auch einen grossen teil des abnehmerkreises stellt, zugute gekommen
sein dürfte. Den beiden von Hans Bloesch besorgten bänden 7 ('Geld und geist')
und 17 (Kleinere erzählungen, zweiter teil) von 1911 und 1912 sind 1916 und 1917
die beiden oben genannten gefolgt. Die schöne ausstattung verdient alles lob, aber
auch das gereicht dem verlag zur ehre, dass er, unbekümmert um devisenkurse,
auch in seinen neuesten Prospekten, die — ursprünglich zugunsten schweizerischer
käufer angesetzte — berechnung von 4^/ m. gleich 5 fr. beibehält. Verdienstlich
und einsichtig ist es, dass die bände auch einzeln abgegeben werden.
Auf den ersten blick könnte es aussehen, als sei die aufgäbe Huuzikers und
Bohnenblusts nicht allzu schwierig gewesen. Beide herausgeber sind zu dem er-
gebnis gelangt, dass sowohl die Verbesserungen von druckfehlern und stilistischen
Unklarheiten, wie auch die gelegentlichen striche in der Berliner gesamtausgabe der
werke nicht mehr auf Bitzius selbst zurückgehen, sondern von seinen angehörigen,
namentlich seinem Schwiegersohn, dem pfarrer von Rütte, herrühren, worüber nach
den gründlichen ausführungen Hunzikers in seinem apparat auch kein zweifei sein
kann. Für die 'Käthi' lag ausserdem noch ein ausgedehnter handschriftlicher ent-
wurf vor, der aber textlich mit dem druck durchaus nicht immer hand in band geht,
und ausserdem die schätzbare Vorarbeit von Vetters ausgäbe, während derartiges
für den 'Jakob' ganz und gar mangelte. Darüber, dass beiden werken die erstdrucke
zugrunde zu legen seien, konnte also gar keine frage aufkommen, und bei einer
halbwegs normalen beschaffenheit dieser drucke hätten die herausgeber in der tat
ihre aufgäbe spielend lösen können.
Gerade an solcher norpialität mangelt es aber den gegebenen texten in der
allerempfindlichsten weise. Mit gutem recht zwar nennt Hunziker Gotthelf einen
meister der spräche, und treffend hebt er hervor, dass das künstlerische wunder der
aprioristischen Vermählung von Inhalt und form sich bei ihm mit erstaunlicher
leichtigkeit vollziehe ; ebensowenig kann und will er aber verschweigen, dass dem
dichter infolge seiner durchaus ethischen, nur nebenher ästhetischen Weisung der
sinn für sprachliche detailkultur in empfindlicher weise mangelt. So wenig bei ihm,
trotz der erstaunlichen Schnelligkeit seines Schattens, meines erachtens von einem
eigentlichen drauflosschreiben die rede sein kann: gegenüber demjenigen, was sich
ihm einmal gestaltet hat, steht er unbekümmert auf dem Pilatusstandpunkt: was
ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben. Wessen er sich entledigt hatte,
das galt ihm auch als erledigt; sorgsame durchsieht lag ihm ganz fern, korrekturen-
Icsen war ihm ein greuel, und rechnet man hinzu, dass seine nicht ganz leicht
134 S( HLÖSSKK (f)
leserlichen hamlschriften zuui übertluss nocli an tleiitsclie sctzer gerieten (der 'Jakob'
ist 1846 47 in Zwickau, die 'Käthi' ISi? in Berlin gedruckt), die begreiflicherweis^e
den stark eingesprengten dialektischen bestaudteilen nicht gewachsen waren, so lässt
sich ungefähr denken, was dabei herauskommen musste.
Grundsätzlich waren daher die herausgeber der Berliner 'Schriften' mit ihren
besserungsversuchen ganz auf dem rechten wegc, nur dass es ihrer arbeit begreif-
licherweise am System fehlte und sie auch bei der beurteiluug der verseilen niclit
selten geirrt haben. Um in dieser hinsieht über ihre Vorgänger hinauszukommen,
haben die neuen herausgeber keinerlei mühe gescheut und eifrig die von Gotthelf
selbst gern gerühmte treue im kleinen bekundet. Hunziker hat es sich sogar nicht
A'erdriessen lassen, die bei seiner arbeit gewonnenen grundsätze des breiteren dar-
zulegen, und wer seine einschlägigen ausführungen über Wortwahl und Wortbildung,
Üexiou und syntaktisch-stilistische eigeuheiten Gotthelfs durchmustert, wird ihm
willig zuerkennen, dass er damit nicht nur seinen" mitredaktoreu taugliche und
kräftige richtlinien gegeben hat, sondern auch, trotz seiner Verwahrung gegen al!e
weitergehenden ansprüche, wertvolle beitrage und ansätze zu einer Gotthelf-grammatik
bietet. Es versteht sich, dass die striche der Berliner ausgäbe samt und sonders wieder
aufgemacht worden sind ; fortgefallen ist dagegen im 'Jakob', wie mir scheint, mit recht
die Verdeutschung jedes einzelnen französischen worts und selbst der kleinsten fran-
zösischen phrase, und auch die beschränkung der erklärung von dialektausdrücken
im text habe ich nirgends als störend empfunden. Demjenigen, der etwa bezweifeln
sollte, ob die herausgeber auch mit der regelung vou alinea und Interpunktion das
richtige getroffen haben, empfehle ich einen einblick in die von Bohuenblnst ab-
gedruckte urfassuug der 'Käthi'. Eher Hesse sich fragen, ob die eiuführung der,
jetzt allerdings fast allgemein bevorzugten heutigen rechtschreibung ganz einwand-
frei sei, da schliesslich Duden so wenig anspruch auf ewigkeitswert hat, wie der
gebrauch der 40er jähre. Da indessen auch die geuiessende leserschaft ihre unbe-
streitbaren rechte hat, so bin ich geneigt, mich auch hier auf die seite der heraus-
geber und besonders des verlags zu stellen.
Bei dem, was des weitereu noch zu sagen wäre, mag der 'Käthi', als dem
bekannteren werk, vor dem eine kleinigkeit älteren 'Jakob' der vortritt gelassen
werden. Einen ganz besonderen wert gewinnt Bohnenblusts ausgäbe durch den
bereits erwähnten, zum erstenmal vollständig und mit peinlichster genauigkeit ab-
gedruckten älteren text des romans aus dem Gotthelf-archiv der Berner Stadtbibliothek.
Es handelt sich dabei weniger um einen 'entwurf, als um einen verhauenen block:
unzufrieden mit dem erfolg seiner arbeit, hat der dichter sein werk auf halbem
wege liegen lassen und völlig vou neuem zu schreiben begonnen. Rein gegenständ-
lich ist dabei nicht viel anderes herausgekommen, nichtsdestoAveniger ist aber ein
vergleich der alten mit der endgiltigen fassung für das Verständnis Gotthelfs und
seines Schaffens ausserordentlich lehrreich. Vor allem ergibt sich dabei, dass dem
dichter trotz aller federfertigkeit ungleich mehr besonnenheit und künstlerische
Überlegung zuzutrauen ist, als man gemeinhin gelten lassen will. Ein paar kräftige
Umstellungen grösserer partien verraten unverkennbar ein klares und sicheres ge-
fühl für die gesetze künstlerischer komposition ; das üppig wuchernde rankenwerk
der ersten fassung hat Gotthelf kräftig beschnitten, und wo umgekehrt der neue
text sich als erweiteruDg des alten darstellt, ist auch das der erzählung beinahe
durchgängig zum heil ausgeschlagen. Nur einzelnes mundartliche und derbere ver-
misst man in der neuen gestalt ungern. Zu rühmen sind auch Bohnenblusts sachliche
ÜBER JEREMIAS GOTTHEI.F 135
auiuerkuuyen, die keinerlei auskuuft, insbesondere über aiisfiilirungen und anspie-
lungen politischer art, schuldig bleiben. Als sehr angebracht empfinde ich auch,
hier wie bei Hunziker, den sorgsamen nachweis sämtlicher, bald aus Luther, bald
aus Piscator entnommener, bald ganz frei verwendeter biblischer zitate und anspie-
lungen. Demjenigen, der etwas in die jähre gekommen ist, mag manches davon
überflüssig erscheinen; wer aber viel mit Studenten zu tun hat, weiss, dass das
jüngere geschlecht der belehrung über solche dinge dringend bedarf, da bei ihm
eine Unwissenheit in dieser hinsieht eingerissen ist, die einen ganz schweren bildungs-
mangel bedeutet. Da wir damit einmal auf dem gebiet der theologie angelaugt
sind, möchte ich mit einigen bemerkungen nicbt zurückhalten, die sich mir bei der
beschäftigung mit den beiden romanen selbst aufgedrängt haben. Bohnenblust hat
vor kurzem in den 'Neuen Jahrbüchern für das klassische altertum' (band XXXVII,
s. 34S ff.) einen gehaltvollen aufsatz über den wandel der Weltanschauung in der
deutsch-schweizerischen dichtung veröffentlicht, in welchem er, nicht als erster, für
mich aber besonders eindringlich, auf Gotthelfs herkunft vom rationalisraus hin-
gewiesen hat. Ich linde diese auffassuug ganz besonders bestätigt durch die un-
geheure rolle, die in Gotthelfs theologie Gott der allmächtige vater und weltenlenker
spielt, während dem söhn ein verhältnismässig recht bescheidener räum angewiesen
bleibt. Wo aber die gestalt des sohnes etwas stärker hervortritt, wie etwa im
'Jakob' s. 217, 250, 410 f., 458, ist er genau so wenig der weise lehrer und menschen-
freund des rationalismus, wie andererseits ein inniges persönliches Verhältnis zu
ihm aufkommt, sondern er erscheint durchaus als der hohe Vollstrecker des gött-
lichen erlösungswerks. Möglich, dass hinter der auffassung beider göttlicher per-
soneu reformierte denkweise steht, wenigstens erinnere ich mich, dass sich in meiner
reformierten kindheitsunterweisung das bild ziemlich genau so ausnahm. Noch
stärker nachgegangen ist mir aus Bohnenblusts aufsatz die bemerkung: 'von dem
wert der belehrung hat Bitzius einen oft kaum fassbaren begriff'. Das zeugt erst
recht von rationalistischem einschlag und ist zudem buchstäblich wahr. Wie steht
es aber alsdann mit dem Weltbild, das uns der dichter gibt, und wie um seine seit
alters hochgerühmte Psychologie? Der volksschriftsteller kommt doch gar nicht
daran vorbei, seine lehren in lebendigen beispieleu zu verkörpern, und unter solchen
Voraussetzungen müssen diesen die schwersten gefahren drohen. Nun, Gotthelf ist
diesen gefahren jedesfalls nicht erlegen, und den grund dafür glaube ich darin zu
finden, dass seine erstaunliche lehrgläubigkeit ein kräftiges gegengewicht findet in
seinem nicht minder bestimmten glauben an die beständigkeit des Charakters, die
bei ihm in der reformierten prädestinationslehre eine starke stütze gefunden haben
mag. Im 'Jakob' (s. 12) spricht er es rund aus, dass 'sich die eigentliche natur des
menschen noch viel weniger ändert, als die sogenannte weit'. Infolgedessen sind
seine Charaktere, vermutlich unbewusst, von vornherein auf die Wirkung der lehre
richtig eingestellt: der Umbruch des Johannes in der 'Käthi' ist durchaus, der des
titelhelden im 'Jakob' zum wenigsten in allem wesentlichen überzeugend, wie ähn-
liches übrigens auch von den verschiedenen Wandlungen des pächters Uli und
anderer Gotthelfscher gestalten gilt. Schliesslich noch eins: die reichlich einge-
streuten lehrhaft-satirischen betrachtungen, die Gotthelf auch sonst liebt, haben mich
diesmal ganz besonders lebhaft an den pater Abraham a Sancta Clara erinnert, was
übrigens keinem von beiden zur uuehre gereicht. Die erklärung für diese Ver-
wandtschaft liegt ohne zweifei darin, dass der wackere kapuziuer und der pfarrer
von Lützelflüh kinder eines und desselben Stammes waren.
136 Sl'HLÖSSER (f) ÜBKK JEKE>IIA.S GOTrHELK
Mit dem neudrnck von 'Jakobs Wanderungen' maclit Hunziker ein werk be-
tiuem zugänglich, das ebenso, wie mir selbst, gewiss auch manchem andern bisher
nur vom hörensagen bekannt gewesen ist. Und zwar sehr unberechtigterweise,
denn auch hier, wo Gotthelf seine gewohnte bäuerliche Sphäre verlässt und sich auf
anderem felde versucht^ stellt er vollauf seinen mann. Es handelt sich um die
Schicksale eines deutschen Wanderburschen in der Schweiz zur zeit, als die politischen
und religiösen emanzipationsbestrebungen des jungen Europa im schwang standen
und sich in den viel berufenen deutschen handwerksvereinen des auslands der
kommunismus zu regen begann. Der brave, aber noch recht unreife titelheld ver-
fällt der macht dieser verwirrenden ideen und hat schwere mühe, ihrer herr zu
werden; schliesslich aber kehrt er, der nach dem zeugnis seiner trefflichen gross-
mutter als ein esel ausgezogen ist, als gereifter mann wieder heim. Schon der zeit-
und kulturgeschichtliche reiz des romans ist ganz ausserordentlich, das leben des
handwerksgeselleu innerhalb und ausserhalb ihrer Werkstätten in Stadt und laud
wird mit erstaunlicher Sicherheit geschildert, insonderheit stellt die darstellung des
treibens der jungen burschen und ihrer mädchen in und um Bern eine runde
meisterleistung dar. Gotthelfs grosse Charakterisierungskunst feiert einen wahren
triumph in der Schilderung der verschiedenen meister, bei denen Jakob arbeitet:
jeder ist von dem anderen völlig verschieden und trägt seine fest ausgeprägte
Physiognomie. Vor allem verdient aber die intensität bewunderung, mit der sich
Gotthelf in die seele seines beiden und dessen jeweilige Stimmungen versetzt, die
liebevolle aufmerksamkeit, mit der er seine ganz allmähliche Wandlung begleitet.
Nur zweimal hält es schwer, ihm zu folgen. Dagegen zwar, dass eine herzens-
neigung der rückkehr Jakobs zum glauben das Siegel aufdrückt, ist um so weniger
etwas einzuwenden, als der dichter geschmack genug besitzt, der Werbung seines
beiden den erfolg zu versagen ; recht peinlich wirkt es aber, wenn im entscheiden-
den augenhlick das wackere landmädchen zum blossen mundstück des theologischen
Verfassers wird, uud noch fataler ist der eindruck, wenn Gotthelf der nach seiner
auffassung bestehenden Verpflichtung Jakobs, nunmehr die von ihm verführte, gut-
artige, aber schlunzige und untergeordnete Käthi zu heiraten, wohlweislich dadurch
ausweicht, dass er das mädchen vorzeitig unter die erde bringt. Wie sicher aber
Gotthelf in allem übrigen seiner sache ist, geht schon allein daraus hervor, dass er
sich, um beziehungen seiner Schilderungen auf bestimmte handwerksmeister in kleineren
orten vorzubeugen, gestatten kann, das bandwerk, welches Jakob betreibt, von vorn
bis hinten ungenannt zu lassen, ohne dass man das geringste vermisst. Es begreift
sich, dass Gotthelf bei alledem mit bekannter leidenschaftlichkeit seine politischen
ideale verficht, aber dieses 'polternde geschiebe', wie Hunziker sich einmal hübsch
ausdrückt, gehört mit zum bergstrom, und man möchte es auch gar nicht vermissen.
Die vielseitigen zeit- und ortsgeschichtlichen beziehungen des 'Jakob' legen
dem erklärer dieses werkes besonders starke pflichten auf. Ob Hunziker es damit
ernst genug genommen hat, mag man sich selbst sagen, wenn man erfährt, dass er
den dank für geleistete beihilfe bei seinen anmerkungen an nicht weniger als
37 stellen richtet und zudem noch 17 einschlägige werke als benützt verzeichnet.
Der erfolg entspricht aber auch den bemühungen: keine politische anspielung bleibt
unerklärt, keine örtlichkeit wird genannt, von der wir nicht einen begriff gewinnen,
und selbst über das verwickelte raünzwesen der damaligen Schweiz erhalten wir
ebenso gründliche wie dankenswerte belebrung. Überflüssig habe ich trotz dieser
gewissenhaftigkeit kein wort gefunden.
MOSER ÜBER HOLMBERG, ZUR GESCHICHTE DER PKRIPHRASTISCHEN VERBINDUNG 137
Der verstorbene Eichard M. Meyer ist iu seinem buch über die deutsche
literatur des 19. Jahrhunderts mit Gotthelf trotz aller hochachtung vor seinem
können ziemlich scharf ins gericht gegangen, da die tendenz sein künstlertum all-
zusehr beeinträchtige. Abgesehen davon, dass Verständnis des volkstümlichen über-
haupt nicht Meyers stärke gewesen ist, möchte ich für mein teil meinen, wenn
jemand sein leben an lehrschriftstellerei setzt und dabei ohne jeden künstlerischen
anspruch die weit mit dichterischen leistungen von hervorragender kraft beschenkt,
so sollte mau ihm nicht seine hauptabsicht zum Vorwurf machen, sondern ihm für
das darüber hinaus gebotene warmen dank wissen. -Meyers gegen Gotthelf erhobene
anschuldigung, er sei orthodox gewesen, kann ich mir kaum anders als daraus er-
klären, dass die viel gerühmte belesenheit des betriebsamen literarhistorikers diesmal
gründlich versagt hat, und was Gotthelfs 'radikal reaktionäre' gesinnung angeht, so
ist mir kein fall bekannt, wo er sich um Wiederbelebung überlebter einrichtungen
bemüht hätte. Ich halte es demgegenüber mit Bohnenblust, in dessen bereits an-
gezogenem aufsatz sich über Gotthelfs bestrebungeu die treffenden worte finden:
'Dass es hier (auf politischem und religiösem gebiet) grosse werte zu erhalten
gab, die eine tüchtige vorweit erobert hatte, und die kein besinnungsloser stürm
vom erdboden wegfegen durfte, darin hat die zukunft dem dichter recht gegeben',
und man darf noch darüber hinaus getrost behaupten, dass die frage, ob die grössere
politische einsieht bei Gotthelf oder bei seinen gegnern zu suchen sei, heute noch
viel weniger für einseitig entschieden gelten kann, als etwa vor 20 jähren. Gerade
auch Gotthelfs kräftig konservative weltansicht hat an seiner beginnenden neu-
belebung beträchtlichen anteil.
Dafür, dass sich die frisch erwachte freude an dem tapferen manne und ge-
staltungskräftigen küustler auch unter den schaffenden regt, darf ich wohl, ohne
eine untreue zu begehen, das briefliche zeugnis des hervorragendsten lebenden
dichters aus alemannischem blute, Hermann Burtes, anrufen, der über Gotthelf urteilt:
'Seine 'Schwarze spinne' ist stärker als Kleistens 'Kohlhaas'. So wie Eembrandt in
seinem Amsterdam die ganze weft, sieht Gotthelf in seinem Berner tal alle, aber
auch tatsächlich alle Verhältnisse des menschen und der weit und stellt sie in
seinem mittel dar. Seine bauern sind Shakespeares könige wert.'
Der so verheissungsvoll begonnenen ausgäbe ist herzlich alles gute zu wün-
schen. Sie wird uns noch vieles neue und wertvolle zu bieten haben; namentlich
dem noch für 1917 versprochenen, bisher unbekannten zweibändigen roman 'Herr
Esau' darf man mit Spannung entgegeusehen.
JENA. RUDOLF .SCHLÖSSER (f).
Jolm Holmberg, Zur g e s c h i c h t e der p e r i p h r a s t i s c h e n Verbindung
des V e r b u m s u b s t a n t i v u m mit dem p a r t i z i p i u m p r ä s e n t i s im
kontinentalgermanischen. Inauguraldissertation, üppsala, Almqvist&Wick-
sells buchdruckerei-a.-g., 1916. IX, 241 ss.
Eine dissertation? fragt mau sich gleich beim ersten durchblättern des buches
erstaunt und überzeugt sich nochmals auf dem titelblatt. Kaum glaublich, wenn
man sie am massstab der deutschen promotionsschriften, die auf dem gebiet der
mhd. und vor allem frühnhd. grammatik seit dem letzten vierteljahrhuudert quanti-
tativ zwar erheblich, ijualitativ aber — vereinzelte ausnahmen abgerechnet — kaum
188 MOSKl!
ein wacbstuiii uufwciseu. Das vorliegende werk ist eben wieder eine von jenen aus-
ländermonograpliien, die durch die namen der Schweden Strömberg, Nordström,
Starck und des Amerikaners Luebke im letzten dezeniiium rühmlichst bekannt geworden
sind und bei denen sich offenbar auch weiterbin die schwediscben universisäten — zu
Upsala und (Jöteborg wird auch lAind in hoffentlich nicht zu ferner zeit mit einer
sehr wünschenswerten (und nach dem mir bekannt gewordenen kaum minder tüch-
tigen) ergänzungsarbeit zu Strömberg treten, — den ersten rang zu sichern wünschen.
So erfreulich das objektiv genommen ist, so hat es aber doch auch seine in der
gegenwärtigen trüben zeit doppelt ernste seitc, die als symptomatisch manchen ge-
danken räum gibt. Die äussern Ursachen für die beschämende tatsache, dass die
vorarbeiten zu einer historischen grammatik des nhd. in erster linie von ausländem
bestritten M'erden, ergeben sich schon aus Schneegans' ebenso freimütigen wie tref-
fenden darlegungeifauf dem Frankfurter neuphilologentag von 1912 (siehe Germ.-
rom. monatsschr. 4, 416). Die teilweise davon herrührenden Innern gründe sind in
der ungewöhnlichen ausgereiftheit dieser fremden darstellungen gegenüber den ein-
heimischen zu suchen. Das sind keine kurz nach beginn des Universitätsbesuchs
begonnenen sechssemesterarbeiten : im vorliegenden fall hat der Verfasser nach seinen
andeutungen volle vier jähre an die ausführung des themas allein gewendet. (Die
tiefern gründe, die diese im unseligen februar 1917 niedergeschriebenen bemer-
kungeu — über ganz ähnliche beobachtungen auf literarhistorischem gebiet hat sich
inzwischen A. M. Wagner im Literaturbl. f. germ. und roni. phil., jahrg. 39 (1918),
s. 169 f sehr offen geäussert, — veranlassten, haben sich unterdessen in der grossen
katastrophe ausgewirkt; heute liegt eine besserung auf unabsehbare zeit zum
grössten teil ausserhalb des bereichs der Wissenschaft. Korr.-note.)
Zum Verständnis des in dieser arbeit behandelten Stoffes ist zunächst über
den etwas auffälligen ausdruck 'kontinentalgermanisch' im titel,' der, als erheblich
zu weit gegriffen, eine falsche Vorstellung erweckt, ein wort zu sagen: Zur selb-
ständigen darstellung gelangt nämlich nur das kontinentaldeutsche, d. h. das
deutsche im weitern, sprachwissenschaftlichen sinn, also das hd., ndd. und ndl. (nicht
etwa auch das got. und fries.). Aber auch zeitlich ist diese auf die mhd. und frühnhd.
zeit, und zwar auch auf sie bloss in gewissen grenzen, beschränkt, denn infolge der
ausschliesslichen benützung der prosa fällt der aufangstermin in der hauptsache erst
an die wende des 13./14. Jahrhunderts, während der endtermin beim hd. schon ins
1. viertel des 16. Jahrhunderts (die beginnende zeit Luthers, ausser bei der 'weltlichen
prosa': Zimmerische chron.) und nur beim ndl. bis gegen die mitte des 17. Jahr-
hunderts gesetzt ist (die angäbe s. IX ist also etwas ungenau).
Über das — wie man meinen sollte, nicht gerade hervorragend wichtige —
thema beziehungsweise teile desselben sind infolge merkwürdiger zufalle speziell
für das deutsche im letzten Jahrzehnt eine ganze auzahl von arbeiten erschienen:
fast gleichzeitig haben die ahd. zeit K. Rick (Bonner diss. 1905) und K. Meyer
(Marb. diss. 19U6) behandelt, dann folgten fürs mhd. (1'2./13. jahrh.) J. Winkler
(Hcidelb. diss. 191'^), für dieses und das frühnhd. (bis über die mitte des 16. jahrh.)
A.W. Aron (Frankfurt a. M. 1914) (vgl. Zeitschr. 46, 481 f.), und den wiederum fast
gleichzeitigen beschluss machte J. M. Clark (Heidelb. diss. 1914), der den ganzen Zeit-
raum darstellte, dessen ergebnisse aber von den vorigen einzeluutersuchungen schon
so ziemlich überholt waren. Von diesen kannte H. bei beginn seiner arbeit nur die
beiden übers ahd., die übrigen erschienen erst während derselben. Gemeinsam ist
all den genannten Untersuchungen, dass sie einerseits gleichzeitig sein und irerdeu
ÜüElt 110J.Ml!EK(;, ZUR UE«C11KHTE DEK I'EKII'HKASTISLIIEN VEKUlNDUXc; 13U
behandeln, anderseits — mit ;iusnahine der dürftigen bemerkungen der letzten über
das ands.-anfr. und mndd. — sich aufs hd, beschränken. H.s buch bedeutet hierin
also nach der einen richtuug eine einscbräukung, nach der andern dagegen eine
erhebliche erweiterung, so dass, rein äusserlich betrachtet, vor allem die ndl. eyntax,
wo vorarbeiten kaum vorhanden, einen erheblichen gewinn zieht, der beim ndd. in-
folge Stoffmangels (wegen der festlegung auf die prosa) viel geringer, ja überhaupt
am geringsten ist.
Was diese auslandsarbeiten anfangs angezogener art vor allem auszeichnet,
ist die eben aus der reifheit hervorgehende Stellungnahme der Verfasser zum problem.
Das zeigt sich wie sonst auch hier schon betreffs der einschlägigen facbliteratur
nicht allein in einer gründlichen Vertrautheit mit dem ganzen germanistischen —
im vorliegenden fall zum teil sogar auf den altsprachlichen sich erstreckenden ~
apparat, sondern auch der oft staunenswerten bekauntschaft mit jedweder, auch der
entlegensten, auf das thema bezüglichen einzeluschrift (manches, wie Crenshaws diss.
von Baltimore, war mir selbst leider nicht zugänglich), wo die Verfasser entsprechen-
der deutscher arbeiten diese liäutig neben völliger ignorierung aller eventuell vor-
handenen speziellen vorarbeiten auch in naivster Unkenntnis der einfachsten hilfs-
bücher in angriff nehmen. Das gleiche gilt auch von den quellen, die mit bewunderns-
würdigem fleiss und Spürsinn zusammengetragen werden; hiebei ergibt sich aller-
dings für den ausländer, wie schon Strömberg richtig erkannte, wenigstens für die
spätere zeit (IG. jahrli. u. ff.), der nachteil, dass ihm meist nur ausgaben von hss.
(Chroniken usw.) und keine originaldrucke zugänglich sind, was auch für diese syn-
taktische frage, obschon in anderer weise, nicht ganz ohne schaden geblieben ist.
Aus der vorausgehenden gründlichen philologischen durchbildung geht aber nun ganz
besonders das innere erfassen der gestellten aufgäbe hervor, das dann vor der meist
zu spät kommenden erkenntnis, diese ganz verkehrt und mit ungenügenden mittein
unternommen zu haben, bewahrt. Dieses tiefe eindringen in das problem ist aber
der grund, warum das werk H.s trotz der Avährend der ausarbeitung erschienenen
Untersuchungen nichts, aber auch gar nichts von seinem eigenwert einbüssen konnte.
Die durchdachte methode geht davon aus, dass — entgegen Winkler und
Aron — eine strenge Scheidung zwischen prosa und poesie auch für dieses syntak-
tische kapitel vorzunehmen und die erstere in den mittelpunkt zu rücken ist — eine
forderung, auf deren Wichtigkeit ich bei den beiden andern grammatischen haupt-
teileu wiederholt hingewiesen habe und die zweifelsohne auch für die syntax volle
bercchtigung hat. Wenn indes daraus der Verfasser die berechtigung ableitet, die
lOsung des problems ausschliesslich auf der prosa aufzubauen, so werden sich
dagegen, wie wir unten noch sehen werden, allerdings bedenken erheben. In zweiter
linie wird die enge beziehung zum lateinischen, aus der sich die notwendige trennung
von übersetzungs- und Originalliteratur ergibt, ins gehörige licht gestellt. Zur er-
reichung dieses Zweckes scheut der Verfasser nicht vor der mühe zurück, eine
grossenteils auf eigener Sammlung fussende Untersuchung sowohl des bibellateinischen
und -griechischen (s. 69 — 74) wie des Urkundenlateins (passim s. 149—72) vorzu-
nehmen, deren ergebnisse auch für die mlat. und mgr. grammatik nicht ohne selb-
ständigen wert sein dürften. Auch die beschränkung auf das verbum sein, deren
begründung (s. IV fussn.) sich noch schärfer herausarbeiten Hesse, verdient volle an-
erkennuug. Die ungewöhnliche subtilität der methode zeigt sich dann neben diesen
allgemeinen gesichtspunkten vor allem in der den einleitenden abschnitt (s. 1 — 8)
nm fassenden speziellen abgrcnzung des begriffs 'periphrastisch'.
HO .MOSER
Der erste hauptteil uiiu bietet in drei kapitelii eine kurze, sich in der haupt-
Hache auf die vorarbeiten stützende skizze des gebrauchs der Verbindung in den
altgerm. dialekten (got., ahd., ae. und an.) (s. 9—15) nebst dem sich daraus ergeben-
den resultat über deren eutstehung und bedeutuug in diesen (s. 16—26), nochmals
gesichtspunkte methodischer art für die Untersuchung des engem themas (s. 28—30)
und eine erörterung über das innere Verhältnis der partizipial- und infinitivform zu-
einander (s. 31—39) (dass dieses in erster linie ein syntaktisches und erst sekundär
ein formales ist, daran halte ich auch weiter fest, vgl. Zeitschr. 46, 481 f.).
Die eigentliche darstellung aber zerfällt in vier weitere hauptabschnitte, die
sich nach den obigen methodischen richtlinien als 'Bibelsprache', 'Sonstige geistliche
prosa', 'Urkundensprache' und 'Sonstige weltliche prosa' scheiden und also alternierend
die unmittelbar vom lat. abhängige und die nicht (beziehungsweise nur mittelbar)
abhängige prosa behandeln. Die gruppierung und behandlung des quellenmaterials
im einzelnen (so die Scheidung nach den syntaktisch differenzierten Untergruppen,
die Sonderbehandlung der mystiker) ist durchaus sachgemäss und verrät ein ungemein
feines syntaktisches und stilistisches gefühl, das bei einer fremdsprache doppelt be-
wundernswert ist. Einen gewissen mangel sehe ich in dem zu frühen zeitlichen
abbruch der Untersuchung bezüglich des hd. ; besonders vermisse ich hier (abgesehen
von dem ganz allgemeinen hinweis s. 64) ein eingehen auf die katholischen (ausser
dem flüchtig erwähnten Emser auch Dietenberger und Eck) und die reformierte
(Zwingli) bibelübersetzung des 16. Jahrhunderts. Doch findet das neben dem wohl
äussern umstand des quellenmangels darin eine teilweise rechtfertigung, dass H. in
er.ster linie die entstehungs- und entwicklungsgeschichte der konstruktion, nicht deren
Untergang darzustellen beabsichtigte (vgl. s. IX). Aufgefallen ist mir von nebensachen
der eigentümliche gebrauch des ausdrucks frühnhd. (auch frühnnl.) (s. 53, 64, 117),
worunter H. offenbar (Geiler wird s. 116 zum spätmhd. gerechnet, auch sonst ist eine
treunung von mhd. und uhd. beziehungsweise mnl. und nnl. mit der grenze 1500
durchgeführt,) die zeit seit dem beginn der reformation (auch noch das 17. Jahr-
hundert?) versteht; diese Verwendung deckt sich also weder mit der Scherers noch
mit der in letzter zeit mehrfach von Kluge-schülern angewandten (= 1450—1550),
sie ist vielmehr identisch mit dem, was ich als frühnhd. im engern sinn (15'20— 1620)
bezeichnen möchte oder was Paul im absichtlichen gegensatz zu Scherer als altnhd.
(= 16. und 17. Jahrhundert) auszuscheiden pflegte (jetzt auch in seine Deutsche
gramm. eingeführt). Gegenüber all diesen Sonderterminologien ist immer wieder her-
vorzuheben, dass sie, besonders wenn man sich dabei die Scherersche namengebung
aneignet, nur unnötige Verwirrung stiften und dass sie zwar alle gegen Scherers
festlegung vorgebrachten einwände mit dieser gemein haben, dagegen gewisse äussere
und innere Vorzüge jener (worunter natürlich nicht der regelmässige Wechsel von
männlichen und weiblichen perioden gehört,) nicht aufzuweisen vermögen; nachdem
aber erfreulicherweise jetzt wenigstens allgemein das bedürfnis einer zwischenperiode
anerkannt wird, wäre eine einigung über diesen punkt höchst wünschenswert.
Auf eine eigentliche Zusammenfassung des aus seiner Untersuchung gewonnenen
gesamtresultats hat H. verzichtet und dafür nur einige 'Schlussbemerkungen' ange-
fügt ; das ist immerhin zu bedauern, da dem jahrelang mit seiner materie beschäftigten
Verfasser gern seine gesamtauffassung als ganz unzweideutig erscheint, wo für den
leser kleine zweifei über diese bestehen bleiben können. Der gedankeugang des
Verfassers über die geschichte der periphrase ist meines erachtens in den allergröbsten
Zügen etwa folgender: Ihre cntstehung verdankt die konstruktion lediglich der
i'l'.EK irilI,MHER(:, ZI'K aESCIimilE DKI; I-KKII'HKASTISCIIKX VKRIUNDUNf; 141
mechanischen Übersetzungstechnik und danach vereinzelter freier nachbildung der
entsprechenden lat. (bezw. griech.) periphrase im ahd. wie parallel damit (aber je-
weils unabhängig) in den übrigen germ. dialekten, so dass sie keineswegs als germ.
sprachgut zu betrachten ist, und zeigt demgemäss einen syntaktisch durchaus in-
differenten Charakter (s. 16 — 26); seit frühmhd. zeit bilden sich im anschluss hieran
ausätze zu einer selbständigen syntaktischen Verwendung (zur kenn Zeichnung einer
dauernden — besonders nicht determinierten — handlung) heraus (s. 96 f.) und diese
nimmt dann im klass. und spätem mhd. deutlichere formen an (diese entwicklungs-
linie wird allerdings in der fussn, s. V und in den sclilussbemerkungen wieder fast
auf ein nichts zurückgeschraubt) ; im verlauf des altern frühnhd. (besonders im
spätem 15. Jahrhundert) sinkt sie immer mehr zur bedeutungslosen Variation der
einfachen verbalform herab (s. 221 f.) und verschwindet seit dem beginn des 16. Jahr-
hunderts bis auf letzte reste ganz aus dem gebrauch (s. 52 f., 116 f., 192); das ndd.
und ndl machen im ganzen dieselbe entwicklung durch, nur dass sich der formelhafte
gebrauch, besonders bei letzterm, bis gegen die mitte des 17. Jahrhunderts hält
(s. 64: ff., 143, 192 f.). Dazu wäre zu sagen: Die entstehungsgeschichte der periphrase
hat viel ansprechendes ; da freilich, wie der Verfasser selbst betont (s. 22), die ahd.
und überhaupt die altgerm. literatur fast nur Übersetzungsliteratur ist, so ist der
beweis ex silentio gegen die einheimische existenz dieser oder einer zur anknüpfung
geeigneten ähnlichen konstruktion zum mindesten nicht zwingend, was jedoch nicht
schuld des Verfassers ist. Mehr bedenken habe ich gegen die (besonders an den
beiden erwähnten stellen) allzu einschränkende bewertung für die folgezeit, die sich
doch offenbar aus der alleinigen zugruudlegung der prosa ergab. Das poetische
material bei Winkler lässt sich aber wohl nicht so ohne weiteres mit der an sich
ja zweifellos richtigen bemerkung über den einfluss von metrum und reim (s. V, fussn.)
beiseite schieben und wäre wenigstens eine genauere auseinandersetzung mit diesem
nötig gewesen ; demgemäss erscheint mir der bedeutungscharakter der konstruktion
doch stärker entwickelt, als H. in den zusammenfassenden abschnitten — mich dünkt
zum teil im gegensatz zu seinem eigenen material, das zweifellos den ausschlag dabei
gibt — zugestehen will. Nicht ganz einwandfrei dürfte auch die darstellung des
spätem Verlaufs, bei der naturgemäss das Schwergewicht auf der weltlichen prosa
ruht, sein ; denn da hierbei dem Verfasser nur 'frühhumanistische Übersetzungsprosa'
aus dem ausgehenden 15. Jahrhundert und Chroniken des 15. und der ersten hälfte
des 16. Jahrhunderts (etwas besser steht es bloss mit den ndl. texten) zur grundlage
dienten beziehungsweise zugänglich waren, so musste die abhängigkeit vom lat.
(bezw, der Urkundensprache) viel stärker hervortreten, als vermutlich gerechtfertigt
ist. Auch die Schlussphase der konstruktion im 16. Jahrhundert verschwimmt da-
durch sichtlich, wie sich aus den angaben bei Aron (allerdings infolge ähnlicher
Ursachen auch nicht mit voller deutlichkeit) erkennen lässt.
Alles in allem: die arbeit ist besonders nach der problematischen seite selten
anregend und rauss — und zwar nicht allein für den anfänger — als vorbildlich be-
zeichnet werden, so dass kein bearbeiter ähnlich gelagerter syntaktischer themen
sie ohne vorheriges Studium vorliegenden buches in angriff nehmen sollte.
MÜNCHEN. V. MOSER.
142 uF.rsciiKL i"i!i:i; (ii ntiiki:, ihk sciii.ksisciik voi-Ksi.iKDi'oRsciuNd
Fritz Günther, Die s cli les i scli c v o Ik.sl ie elf orscli ung. (Wort und braucli.
Volkskundliche arbeiten, lierausgegeben von l'heodor Siebs und Max Hipiie.
13. heft. Breslau, M. & H. Marcus, 191G.) (S), 292 s. 8 m.
Der Verfasser hat seine arbeit im jähre 1912 für die Neig-ebaur-(Neugebauer-)
Stiftung eingereicht, und sie ist schon damals von der philosophischen fakultät der
Breslauer Universität preisgekrönt worden, doch hat sich der druck wesentlich ver-
zögert. Nachträge bis zum erscheinen sind der darstellung- nocli zugute gekommen.
Es wird zunächst in einer einleituug ein kurzer überblick über die volksliedforsehuug
bis zu Hoffmann-Richters Schlesischen Volksliedern gegeben, weiter besprochen, was
in der provinz vor diesem werke für das Volkslied geleistet worden ist. Ausführ-
lich schildert Günther sodann das fruchtbare Jahrzehnt von 1840 an, in dessen mittel-
punkt die leistungen Hoffmanu-Kichters imd F. A. L. Jacobs stehen. Angeschlossen
wird eine Übersicht der beitrage über das Volkslied in Zeitungen, Zeitschriften und
büchern bis zum jähre 1913. Näher berichtet Günther von den mitteiluugen und
Sammlungen der Schlesischen gesellschaft für Volkskunde. Bisher ungedruckte lieder
und unbekannte fassuugen bekannter lieder bieten die s. 114—179, und abgeschlossen
wird das buch durch ein alphabetisches Verzeichnis aller schon gedruckten Volks-
lieder aus Schlesien. Das werk soll eine einleitung zu einer von der Schlesischen
gesellschaft für Volkskunde vorbereiteten ausgäbe der schlesischen Volkslieder sein
und erfüllt diesen zweck. Es zeugt von ausgebreiteter kenutnis und grosser liebe
zur Sache; die form ist ansprechend. Vernünftigerweise legt der Verfasser den weiten
begriff des Volksliedes als eines allgemein im volke gesungenen liedes zugrunde (s. 1).
Freilich scheidet er später (s. 79) einmal eclite Volksdichtung von dem, was das volk
singt. Wenn s. 4 bemerkt wird, die frühesten mitteilungeu über Volkslieder in Schle-
sien seien lediglich verböte, so hat Günther übersehen, dass wir bereits seit dem
jähre 1874 die erwähnung eines schon im 14. Jahrhundert aufgezeichneten Volks-
liedes kennen. Palm hebt aus einem formelbuch des chorherrenstifts zu Sagan (jezt
in der kgi. und Universitätsbibliothek zu Breslau) die stelle heraus: Quid est, pater
(lilecte, qiiod CHDi tanto gandio phiries cecinisti: Dij hw hat ei/nen langen zagel ' czwor
her ist ir lang? . . . Quid est hoc: ze hot czwe crome hornir vnd eynen wegten gang?
(J. M. W^agners Archiv für die geschichte deutscher spräche I, 354.) Gelegentlich
hat Günther. wie auch der sagensammler Kühuau die neigung, über die grenzen
seiirer heimatprovinz hinauszuscliweifen und sächsisch-oberlausitzisches zu bringen.
Sehr dankenswert ist, was er von der entstehungsgeschichte der Hoffraannschen
Volkslieder und von den beziehungen zu Erk sagt, namentlich auch, was er von dem
katalogisierungsverfahren der Schlesischen gesellschaft berichtet. Das Verzeichnis der
in Schlesien am häufigsten gesungenen lieder s. 107 f. kann für eine dringend nötige
volksliedgeographie von grossem nutzen sein, wenn es auch nur bedingte giltig-
keit besitzt. Günther dürfte bei weiteren nachforschungen erkennen, dass nicht alle
die als ungedruckt angegebenen lieder, deren Wortlaut er bietet, diese ehre ver-
dienen. So ist zu nr. 6 s. 121 Eg hauet- laß mir die rößlein stahn Max Meier, Das
liederbuch Ludwig Iselins. Baseler dissertation 1913, s. 111 zu vergleichen. Die
weidsprüche nr. 11 auf s. 125 finden sich in den Altdeutschen wäldern der brüder
(Iriram, und zwar str. 1 im 3. bd. s. 139, f. 170, s. 144, s. 194, f. 191, s. 144 und s. 121 f. 47
ganz ähnlich, ebenso str. 2 im gleichen bände s. 125, f. 65 (vgl. s. 137, f. 162), str. 3
ebendaselbst s. 138, f. 169. Zu nr. 18 s. 135 ist Dunger-Eeuschel, Grössere Volks-
lieder aus dem Vogtlande s. 234 und anmerkung zu stelleu. Nr. 19 s. 136 darf als
nachbildung des geistlichen gesanges Der grimmig tod mit sei>ieni pfrif fBnhrae, Alt-
XAriir.iciiTEx 143
deutsches liederbuch m\ 6i9) gelten ; nr. 34 entspricht ungefähr Dunger-Reuschel
8. 234 und anmerkung. Über das Hed s. 164 nr. 42 handelt jetzt mit gewohnter
gründlichkeit Bolte, Zeitschr. des Vereins f. Volkskunde 26 (1916), 178 ff. Lehrreiche
beitrage zu der frage nach dem zersingen von kunstliedern (In einem kühlen gründe,
Es zogen drei burschen wohl über den Rhein, Am brunuen vor dem tore. Ich weiss
nicht, was soll es bedeuten) bieten die nr. 51—54 s. 177 — 179. Endlich wäre die
liste der gedruckten schlesischen Volkslieder noch zu vervollständigen. Den meister
/rollen wir ehren steht auch bei Drechsler, Sitte, brauch usav. I, s. 60. Ferner ge-
hörte in dieses Verzeichnis das lied: Ich irar nachta Bey da knachta in der lieder-
handschrift dreier unbekannter Leipziger Studenten (1683—95) bei Blümml, Zwei
Leipziger liederhandschrifteu des 17. Jahrhunderts (Leipzig 1910 = Teutonia 10. heftj
s. 83 f. Es fehlt auch Mei siJinhf, doas verbrühte l-ind in der handschriftlichen lieder-
sammlung eines ungenannten Schlesiers ans der mitte. des 18. Jahrhunderts (Kopp,
Deutsches volks- und studentenlied s. 285). Wilibald Walters Sammlung deutscher
Volkslieder bringt die bei Günther nicht erwähnten Nun ivill ich euch efiras neues
erz-y]ile>i (unter nr. 139) und So ein l-reuzfideler brnder (nr. 145). Das weihnachts-
lied 0 f redet über freda findet sich auch schon in der von Kopp besprochenen haud-
schrift eines unbekannten Schlesiers Deutsches volks- und studentenlied s. 285 ; dort
auf s. 283 ist eine offenbar schlesische liedfassung: Wenn der seif ntenn broitgma
sah angegeben. Zu Rauchfiess sieh Drechsler, Sitte, brauch usw. I, s. 119. Ver-
gessen hat Günther noch Spinnt, kinder, sjnnnt (Kühnau, Schlesische sagen II, s. 57).
Kann das bei P^ntane angeführte lied (Quitt s. 87 f.):
Schlesierland ! Schlesierland !
Du bist es, iro meine wiege stand
als Volkslied in anspruch genommen werden?
DRESDEX. • KARL REÜSCHEL.
NACHRICHTEN.
Die Zeitschrift betrauert wiederum den tod dreier hochgeschätzter mitarbeiter:
am 31. august 1919 verschied zu Mühlhausen in Thüringen der professor am dortigen
gymnasium dr. Emil Kettner (geb. zu Magdeburg am 16. april 1855); am 29. Sep-
tember 1920 der ordentliclie professor an der Universität Innsbruck, hofrat dr. Josef
Eduard Wackerneil (geb. zu Göflan in Tirol am 22. november 1850); am
30. Oktober 1920 der ordentliche profi-ssor an der Universität Tübingen, dr. Hermann
V. Fischer (geb. zu Stuttgart am 12. Oktober 1851), dem es leider nicht vergönnt
wurde, sein grosses lebenswerk, das Schwäbische Wörterbuch, zu vollenden. Am
2. juni 1921 starb zu Leipzig der ausserordentliche professor dr. Georg Holz
(geb. 24. dezember 1763 zu Chemnitz).
Als Ordinarien wurden berufen : nach Tübingen (an Fischers stelle) der
ausserordentliche professor an der Universität Berlin, dr. Hermann Schneider;
nach Halle (an stelle des in den ruhestand tretenden geh. reg.-rats dr. phil. Strauch)
der ordentliche professor dr. Georg Baesecke in Königsberg, und (für neuere
deutsche literatur) der ausserordentliche professor an der deutschen Universität Prag,
dr. F e r d i n a u d Josef Schneider; nach GreifsAvald (für neuere deutsche literatur
und für nordisch) der ausserordentliche professor dr. Paul Merk er in Leipzig;
144 rKMiSAUFUABb:, — KICRrOHTHiUNOKN zu HAND 47
nach Marburg (an stelle des in den ruhestand tretenden geli. i'eg.-rats dr. Fr. Vogt)
der ordentliche professor dr. Karl Helm in Frankfurt; nach Königsberg der ordent-
liche Professor dr. Rudolf Unger in Zürich (zuvor in Halle). Das in Rostock
neu begründete Ordinariat für niederdeutsche spräche und literatur wurde dem
Oberlehrer dr. Hermann Teuchert in Berlin-Steglitz übertragen. Der direktor
der Universitätsbibliothek in Tübingen, dr, Karl Bohnenberger wurde zum
ordentlichen professor der deutschen spräche und literatur ernannt.
Der ordentliche professor dr. Werner Richter (Greifswald) wurde zum
ministerialrat im Berliner ministerium für Wissenschaft, kunst und Volksbildung
ernannt.
Der geh. hofrat professor dr. Eduard Sievers in Leipzig wurde zum
auswärtigen mitgliede der Göttinger gesellschaft der Avissenschaften ernannt.
Es habilitierten sich für germanische philologie: in Leipzig der ehemalige
ordentliche professor in Petersburg dr. Fedor Braun, in Frankfurt dr. Karl
Wesle, in Münster dr. Theodor Baader, in Marburg dr. Kurt Wagner, in
Hamburg dr. Julius Schwietering, in Göttingen dr. Friedrich Neu mann;
für nordische philologie in Marburg dr. Walt her Heinrich Vogt.
Die 53. Versammlung deutscher p h i 1 o I o g e n und Schulmänner
wird von dienstag den 27. bis freitag den 30. September 1921 in Jena stattfinden.
Anmeldungen von vortragen für die germanistische Sektion sind an den obmann,
geh. hofrat professor dr. V. Michels in Jena zu richten.
PREISAUFGABE DER KÖNIGLICHEN DEUTSCHEN GESELL-
SCHAFT ZU KÖNIGSBERG L PR.
Die Königliche deutsche gesellschaft zu Königsberg i. Pr. schreibt einen
preis von 500 mark aus für die beste arbeit über das thema 'Ostpreussische eigen-
tümlichkeiten in der spräche Zacharias Werners'. Die arbeit ist unter den üblichen
förmlichkeiten bis zum 18. dezember 1921 au den Vorsitzenden der gesellschaft,
herrn professor Baesecke, Königsberg i. Pr., Hardenbergstrasse 11, einzureichen.
Die Verkündigung des preisurteils findet am 13. Januar 1922 statt. Fall^ keine der
einlaufenden arbeiten den an sie zu stellenden ansprüchen genügt, behält sich die
gesellschaft vor, über die Verwendung des preises zu entscheiden.
BERICHTIGUNGEN ZU BAND 47.
Lies s. 121 z. 15 worum st. warum ; s. 125 z. 43 lediglich st. nicht ledig-
lich; 8. 373 z. 12 und 16 uuarth st. unarth; ebda. z. 21 entvengen st. entreugen;
ebda. z. 22 ontvengen st. ontrengen; s. 374 z. 1 siekten st. ziehten; ebda. z. 11
Volksaberglaube st. Volksglaube; ebda. z. 16 Höfler 489 st. Höfler 409; ebda. z. 45
antphangan st. antfangan; s. 375 z. 9 uuarth st. unarth; sancte st. sancta; ebda.
z. 26 und 29 rehe st. rähe ; ebda. z. 44 Groningen st. Göttingen.
NEUE ERSCHEINUNGEN . 145
NEUE ERSCHEINUNGEN.
Die redaktion ist bemüht, für alle zur besprechung geeigneten werke aus dem gebiete der german.
Philologie sachkundige referenten zu gewinnen, übernimmt jedoch keine Verpflichtung, xmverlangt
eingesendete bücher zu rezensieren. Eine znrücklieferung der r e z en s i o n s - e x e m-
plare an die herren Verleger findet unter keinen umständen statt.
Ämterbuch. — Das Grosse ämterbuch des Deutschen ordens. Mit Unterstützung-
des Vereins für die herstellung- und ausschmückung- der Marieuburg hrg. von
Walther Ziesemer. Danzig, A. W. Kafemann 1921. XXIV, 992 s. 165 m.
Arndt, Ernst Moritz. — Gülzow, Erich, Ernst Moritz Arndt in Schweden.
Neue beitrage zum Verständnis seines lebens und dichtens. Greifswald, L. Bam-
berg 1920. 28 s. 3,60 ra.
— Roethe, Gust., Bismarck, Arndt und die deutsche zukunft. Greifswald,
L. Bamberg 1920. 24 s. Sm.
Catalogns codicum manu scriptorura bibliothecae Monaceusis. Tomi V pars I Codices
germanicos complectens. Editio altei'a. [Auch mit dem sondertitel : Die deut-
schen pergamenthandschriften nr. 1—200 der Staatsbibliothek in München, be-
schrieben von Erich Petzet.] München, in kommission der Palmschen buch-
handlung 1920. XXI, 381 s.
Claudias, 3Iattli., Ausgewählte schritten, hrg. von Gust. Graeber. [Deutsche
lit. werke des 18. und 19. jahrh., hrg. von A. Leitzmann und W. 0 ehlke. 2.]
Halle, Xiemeyer 1920. XXXII, 156 s. 4,50 m.
Dell'mour, Hnmbert, Altdeutsche Sprachlehre für anfänger. 1. teil: Wortlehre.
Leipzig und Wien, Franz Deuticke 1920. 43 s. u. 7 taff. 7,50 m.
Edda Steuiunrtar. — Die Edda. Heldenlieder, übertragen von Rud. John Gors-
leben. München-Pasing, Verlag Heimkehr 1920. 129 s. 10 m.
— Philip Otts, Bertha S., The eider Edda and ancient scaudinavian drama.
Cambridge university press 1920. XI, 216 s.
Fischart. — Mo« er, Virgil, Die Strassburger druckersprache zur zeit Fischarts
(1570—1590). Grundlegung zu einer Fischart-grammatik. München, Selbst-
verlag 1920. VIII, 176 s.
Folkeviser. — Steenstrup, .Jhs., L'origine des chansons populaires danoises et
leur plus ancienne epoque. [Det kgl. danske vidensk. selsk. skrifter 1921.] 17 s.
(nfeihels werke, hrg. von Wolfgang Stammler. Kritisch durchgesehene und
erläuterte ausgäbe. Leipzig und Wien, Bibliogr. Institut o. j. (1920). 3 bde.
74 und 471, 444, 485 s. mit portr. und facs. geb. 63 m.
Gerstenbertf. - Wagner, Alb. Malte, Heinr. Wilh. v. Gerstenberg und der
Sturm und drang, 1. band. Gerstenbergs leben, Schriften und persönlichkeit.
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Goethe. — Die novellen von Goethe, hrg. von Heinz Amelung. Essen, W. Girar-
det 1920. 470 s. geb. 24 m.
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— Gose, Hans, Goethes Werther. [Bausteine zur gesch. der deutscheu lit., hrg.
von Franz Saran. XVIIL] Halle, Xiemeyer 1921. (VIII), 105 s. 12 m.
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ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIÄ. BD. XLIX.
146 NEUE ERfSCHEINUNGEN
male hrg. von Paul Piper. HMiiibnrg. W. Geiite 1920. XXX, 222 s. uud
6 facsim. taft'. geb.
(Toette, Rudolf, Kulturgeschichte der urzeit Geriuaniens, des Fraukenreiches und
Deutschlands im frühen mittelalter (bis 919 n. Chr.). Bonn und Leipzig, Kurt
Schroeder 1920. 374 s. 33 m.
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Niemeyer 1921. XII, 450 s. und 4 taff. 80 m.
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Wulflla. — Jantzen, Herrn., Gotische Sprachdenkmäler mit grammatik, Übersetzung
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— Stamm -Heynes Ulfilas oder die uns erhalteneu denkmäler der gotischen
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Wrede. 13. und 14. aufläge. [Bibl. der ältesten deutschen lit.-denkmäler I.]
Paderborn, Schöningh 1921. XXIV, 495 s. 27 m.
DIE NOEDISCHE UND DEUTSCHE HILDEBRANDSAGE.
I.
Zur nutzbarmachung der nordischen quellen der Hildebrandsage
ist noch nicht alles getan, was sich tun lägst, zumal eine der drei
quellen, das fseröische Asmundlied wegen seiner schweren zugänglich-
keit noch kaum benutzt ist. Es findet sich unter dem titel Snjölvs-
kvaedi in der ungedruckten Sammlung fferöischer tanzballaden der Dansk
folkemindesamling auf der kgl. bibliothek in Kopenhagen (Corpus car-
minum fseroensium) im VIII. und IX. band. Eine kurze Inhaltsangabe
der hier in betracht kommenden teile des Snj-kv. ist jetzt bei Grüner-
Nielsen, Danske Viser fra Adelsvisebeger og Flyveblade 1530-1630,
bd. IV, 183 f. zu finden. Eine flüchtige und das wesentliche über-
sehende vergleichung des liedes mit der saga hat Kölbing, Germania
XX gegeben. Olrik in seinen Saxostudien (Kilderne til Sakses Old-
historie II 246) und Jantzen in seiner Saxoübersetzung (S. 379 a. 1)
beschränken sich auf eine erwähnende notiz. Da das lied^ aber von
wesentlicher bedeutung ist, wird eine neue Untersuchung des gegen-
seitigen Verhältnisses der drei nordischen quellen nötig. Diese sind
die Äsmundar saga kappabana (herausg. von Detter, Zwei Fornaldar-
sögur, Halle 1891), Saxos bericht im VII. buch und das Snjölvskvsedi
(Corpus carm. fssr. bd. VIII-IX). Die herrschende auffassung über
die nord. sagenquellen (Vigfusson Corp. p. b. I, 130; Detter, Einl.
XLIIIff.; Finnur Jonsson, Lit. bist. II, 841; Mogk, Grundriss^ 11, 839;
Jirizcek, Heldensage 286) ist die, dass die erzählung der Asmundar-
saga ein verderbter abklatsch der deutschen Hildebrandsage sei. Von
forschem, die anderer ansieht sind, hat Kauffmann (Das Hildebrands-
lied, Philologische Studien, Festschr. für Sievers s. 124 flF.) die be-
ziehungen zwischen nord. sage und deutscher sage rundweg geleugnet
(s. 163 ff.) und die gleichsetzung Äsmund-Hadubrant für verfehlt erklärt.
Nicht der nord. brudermord steht dem deutschen sohnesmord parallel,
sondern im nord. text stehen brudermord und sohnesmord, dieser
allerdings in sehr verkümmerter gestalt, unmittelbar nebeneinander,
und nur die reste der letzteren erzählung kommen zum vergleich in
1) Das lied ist ein Stoffkonglomerat, dessen entwirrung zum teil in meinem
aufsatz über die fseröischen Dvörgamoylieder (Arkiv 36, 207 ff.) versucht ist. Ich
behandle hier nur die einschlägigen teile des liedes.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XLLX. H
150 H. DK BOOK
betracht. Zu ihr ist auch das bedeutungsvolle schwert resp. die
Schwerter zu ziehen, da sie in dem poetischen schlusstück der saga
eine rolle spielen. Nach dieser seite hin baut R. C. Boer (Zur dänischen
heldensage PBB. 22, 342 ff.) weiter aus; seine resultate übernimmt
Busse, 'Sagengeschichtliches zum Hildebrandsliede' (PBB. 26, 1 flf.)
s. 38 ff. Auch Boer trennt die deutsche und die nordische Hildebrandsage
völlig voneinander und verneint jeden quellenmässigen Zusammenhang.
Bruderkampf und vater-sohnkampf haben nichts miteinander zu tun.
Er geht noch über Kauffmann hinaus, indem er die Vermischung beider
Stoffe rein mechanisch auffassen will. Durch ein reines, auf text-
ähnlichkeit beruhendes versehen eines sagaschrei bers sind die drei
verszeilen hineingekommen, die von dem tode des sohnes handeln
und auf einer gänzlich unabhängigen dichtung von Hildebrand beruhen,
die der deutschen sage treu entnommen ist. Von dieser textverderbnis
aus sind alle übrigen hindeutungen auf die Hildebrandsage nachträg-
lich ausgegangen. Die von diesen Zusätzen gereinigte nord. erzählung
hat mit der deutschen Hildebrandsage nichts mehr zu tun. Von den
nord. texten ist also derjenige der relativ bessere, der die wenigsten
einstreuungen deutscher züge enthält, und das ist Saxo. Insbesondere
sind auch die namen bei Saxo in der besseren form bewahrt, so dass
also auch Hildibrands name aus der nord. erzählung verschwindet und
durch Hildigerus ersetzt werden muss.
Kauffmann und Boer haben zweifellos richtig gesehen, dass der
tod des sohnes durch den vater ein unorganischer einschub in die
nord. erzählung ist, abrupt und ohne sinn eingefügt. Es bleibt aber
fraglich, ob man mit Boer den namen Hildibraudr aus der saga hinaus-
interpretieren darf, ob nicht vielmehr gerade dieser name daran schuld
ist, dass die deutsche sohnesgeschichte in die nord. Hildebranderzählung
eindringen konnte. Und ferner fragt es sich, ob nach ausscheiden
der zweifellos deutschen bestandteile nicht doch eine erzählung übrig-
bleibt, die zwar nicht quellenmässig als fortsetzung der deutschen
sage aufzufassen, doch mit ihr nicht ausser Zusammenhang gesetzt
werden darf. Dafür ist die gewinnung einer möglichst klaren form
der nord. erzählung nötig, zuförderst eine erneute prüfung der von
Boer beantworteten frage: Saxo oder saga.
I. Das Yerhältnis Ton Saxo und saga.
Boers bewertung von Saxos bericht als dem zuverlässigeren be-
ruht auf dem grundsatz: Je weniger deutsch, desto ursprünglicher.
Dieser grundsatz wäre unanfechtbar, wenn Saxo von deutschem ein-
DIE XORDI8CHE UND DKUTSCHB HILDEBRANDSAGE 151
fluss Überhaupt frei wäre. Aber Saxo hat auch gerade die ver-
hängnisvollen verszeilen, die von Hildebrands söhn handeln ; deutsche
Hildebrandsage ist also auch hier schon eingedrungen. Ich setze die
oft verglichenen Zeilen nochmals nebeneinander:
Saga: Liggr par einn svdsi sonr at hg/di
eptirerfingi, er ek eign gat,
öviljandi aldrs synjadali.
Säxo: medioxima nati
Illita conspicuo species ccelamine constat,
cui manus h(ec cursum meice vitalis ademit.
Dnicus hie nobis hceres erat, una paterni
Cura (niimi, superoqve datus f^olnmine matri.
Boer muss also seinen satz anders fassen und zugeben, dass
zwar die mechanische einschiebung der 'Hildebrandstrophe' schon in
der gemeinsamen quelle von Saxo und saga stattgefunden hat, die
also bereits schriftlich-gelehrt gewesen sein muss, dass aber die
weitere infizierung mit deutscher sage in der saga stärker ist, als bei
Saxo, dass daher also Saxo den vorrang verdiene. Diese argumen-
tation hat etwas für sich, wenn Boers fernere behauptung richtig ist,
dass alle weitere einmischung deutscher sage von den eben zitierten
verszeilen ausgegangen ist. Und bei Boers annähme eines rein
mechanischen eindringens dieser verszeilen, das nur um ihrer zufälligen
form', nicht um ihres Inhalts willen geschah, kann ihr weiterwirken
nur dann anerkannt werden, wenn die weiteren deutschen sagenzüge
sich inhaltlich ohne weiteres mit diesen drei Zeilen decken oder sich
aus ihnen ableiten lassen und nicht weitere kenntnis der deutschen
Hildebrandsage voraussetzen. Ein solcher zug wäre die mitteilung
der saga, dass Hildebrand kurz vor seinem kämpf mit Asmund seinen
söhn in einem anfall von berserkerwut erschlagen habe. Das kann
erfindung des sagaschreibers sein, um die zitierte Strophe zu erklären.
Aber die saga hat doch eine ganze reihe von zügen, die zur deutschen
sage stimmen und sich nicht aus jenen verszeilen herleiten lassen.
An erster stelle nenne ich den mit recht von Boer als 'deutsch' be-
zeichneten beinamen Hildibrands : 'H/uiakappi' in der etwas voreilig
von Boer gestrichenen str. IX der saga. Diese bezeichnung lässt sich
keinesfalls aus den Zeilen vom tode des sohnes erschliessen. Ebenso-
wenig ist Hildebrands verhalten vor dem kämpf zu erklären, der dem
zusaramentretFen mit Asmund möglichst auszuweichen sucht, da er in
1) Nach Boer hat der Strophenanfang '■Stendr mir at hQfdi hlif en brotna' den
strophenanfang : Liggr par enn svdsi sonr at JiQfdi' mechanisch attrahiert.
11*
lif)2' H. DK BOOK
dem g€gner den bruder erkennt. Am wenigstens aber erklärt Boer»
annähme das auftreten des namens Hildibrandr statt Hildigerus. Nach-
dem er mit str. IX den namen Hildibrandr aus den verspartien ge-
strichen hat, ist es schwer vorstellbar, wie der name in eine erzählung
hineinkommen soll, die durchgängig als haupthelden 'Hildiytiir' nennt
und die zufällig um die drei zeilen vom tode des sohnes durch den
vater vermehrt ist. Viel wahrscheinlicher bleibt die umgekehrte lösung,
dass in die geschichte vom nordischen Hildebrand einige zeilen eines
liedes übergegangen sind, das vom kämpf eines Hildebrand mit seinem
söhne handelt. Es bleibt auch methodisch von vornherein wahr-
scheinlicher, dass die einflüsse der deutschen Hildebrandsage sämtlich
auf eine einmalige einwirkung zurückzuführen sind, und dass also
nicht die quelle mit dem geringsten, sondern die mit dem stiirksten
deutschen einfluss die ursprünglichste ist. Denn ein verlust ist leichter
erklärt als ein nochmaliger Zuwachs.
Wir haben also keinen grund, Saxo für ursprünglicher zu halten
als die saga, weder in seinen namensformen noch im inhalt, eher
lässt sich das gegenteil erweisen.
Was zunächst die namen betrifft, so ist auffällig, dass sie fast
durchgängig in beiden erzählungen voneinander abweichen. Der einzige
name, der übereinstimmt, ist der der mutter beider halbbrüder, Drött (Saxo
Drota), der aber in der saga bekanntlich nur in den verspartien auftritt,
in der prosa aber durch Hiidr ersetzt ist. In diesem punkt ist Saxo
also ursprünglicher als die saga; für den namen Hildr der saga lässt sich
aber eine vernünftigere erklärung geben als reine willkür des saga-
schreibers. In beiden quellen kommt ferner der name Alf vor, doch
nur sehr zum teil in der gleichen rolle. In beiden quellen ist er könig
von Dänemark und seine tochter ist die von Asmund-Haldanus um-
worbene frau. Bei Saxo ist er aber schon vor beginn der ereignisse
tot, durch Hagbarths band gefallen als der letzte männliche Siklingen-
spross. In der saga tritt er lebendig auf und ist dort der gewaltsame
räuber der schon vermählten Drött, der mutter Hildebrands, die er
dann aber seinem getreuen Aki überlässt, der sie zur mutter Äsvnunds
macht. Bei Saxo werden beide eben räuberisch erzwungen und so ist
Alfs rolle bei Saxo aufgeteilt zwischen Gunnarus, der wie Alf in das
reich von Drotts vater einbricht und ihn tötet und Borcarus, der die
verheiratete Drött, Hildebrands mutter, raubt, sie aber selber heiratet,
also zugleich die rolle des Äki der saga spielt.
Im übrigen sind sämtliche namen in saga und Saxo verschieden.
Bei Saxo begegnen wir nun einem wohlbekannten kreis von namen
DIE NORDISCHE UNI» DEUTSCHE HILDEBRANDSAGE 153
in der dänischen partei: Alf, Guritha, Borcarus und Häldanus. Es
sind namen aus der Übergangszeit zwischen den Siklingen und den
einigungskämpfen des Harald Hildetand, die auch in anderen dänischen
geschichtsquellen eine rolle spielen. Eine Übersicht über diese quellen
gibt Olrik (Kilderne til Sakses Oldhistorie I, 101 ff. und II, 249 ff.),
nachdem er zuvor schon in seiner doktorabhandlung (Forsog paa en
tvedeling af kilderne til Sakses Oldhistorie Kbh. 1892 s. 94 ff.) auf
die Verhältnisse zu sprechen kam. Gegen diese doktorabhandlung
hat Steenstrup (Arkiv XIII, 140 ff.) gewichtige bedenken erhoben, die
auch durch Olriks späteres, grösseres werk nicht entkräftet sind. Saxo
spannt die erzählung von Haldanus und Hildigerus ein in den rahmen
der geschichte vom zerfall Dänemarks in fünf kleine sonderstaaten
(fünfkönigszeit) und seine darstellung lässt hier besonders klar er-
kennen, dass er aus lokalen Überlieferungen und aus notizen schöpft,
die ihm am dänischen hofe oder durch seinen gönner, bischof Absalon,
zugeflossen sind. In der tat sind von den dänischen zuständen vor
Harald Hildetands Wirksamkeit keine oder nur ganz verwischte nach-
richten nach den westnordischen gebieten gelangt. Dagegen bewahren
die dänischen Chroniken die erinnerung und die namen dieser klein-
herrscher mit ziemlicher Zähigkeit. Finden wir ihre namen also in
der hier behandelten erzählung bei Saxo verwendet, so ist Boers an-
nähme von der priorität der namen bei Saxo nur haltbar, wenn man
annimmt, dass die geschichte von Haldanus und Hildigerus von vorn-
herein eine dänische, an die fünfkönigszeit gebundene sage ist, die
aus diesem Zusammenhang gelöst und mit veränderten namen in die
nord. fornaldarsagaliteratur übernommen worden ist. Das ist aber
schwer möglich, solange alles dafür spricht, dass die Verbindung mit
der deutschen Hildebrandsage, die auch Saxo voraussetzt, auf west-
nordischem boden sich vollzogen hat. Viel wahrscheinlicher ist es
von vornherein, dass umgekehrt Saxo die fornaldarsaga, wie so häufig,
auch hier dazu benutzt hat, um die handlungsarme Volksüberlieferung
von den fünf königen, 'die in keiner poetisch durchgebildeten form
vorlag und in der fornaldarsaga eine reine Unmöglichkeit war' (Olrik
Kilderne 251), damit auszustaffieren. Vollends zur Sicherheit wird diese
Wahrscheinlichkeit, wenn Boers weitere annähme richtig ist, dass dieser
Haldanus, der vater des Harald Hildetand, eine erfindung erst des
Saxo grammaticus ist. Für diese annähme lassen sich beweise er-
bringen. Die lange Skjoldungenreihe bricht bei Saxo bekanntlich mit
Haldanus biargrammi ab, um nach einschub der Siklinge und der
fünfkönige erst in Harald Hildetand sich fortzusetzen. Die ver-
154 H. DE BOOK
knüpfung Harald Hildetands bei Saxo mit den Skjoldungen ist tatsäch-
lich höchst zweifelhaft. Die genealogie seines vaterstammes geht nicht
über den erwähnten Borcarus hinaus, die der mutter führt, im strikten
gegensatz zu allen nord. Überlieferungen, in die Siklingenreihe hinein.
Um so mehr hatte Saxo grund, die Skjoldungenherkunft Haralds durch
den alten Skjoldungennamen des vaters, Halvdan, zu betonen.
Die gleiche reihenfolge wie Saxo: Halvdan biargrammi - Sik-
linge - fünfkönige haben nun einige dänische königsreihen, die Olrik
als längere reihe den kürzeren gegenüberstellt, die weder die Siklinge
noch die fünfkönige kennen und auch sonst mehr als lückenhaft
sind. Diese längeren königsreihen sind mit Saxo gleichzeitig oder
wenig später. Olrik erklärt die ganze reihenbildung für Saxos werk
und alle übrigen längeren reihen daher für unselbständige nach-
bildungen Saxos, die höchstens für einzelheiten daneben aus anderer
mündlicher tradition schöpfen. Dagegen fasst Steenstrup a. a. o. mit
recht Saxo nur als einen wichtigen faktor in der entwicklung langer
königsreihen, belässt den übrigen daneben aber selbständigen wert.
Gerade an dieser stelle der dänischen königsgenealogie spricht vieles
für Steenstrups auffassung. Die meisten der längeren königsreihen
kennen nämlich Saxos Haldanus, den vater Harald Hildetands nicht.
Von denjenigen königsreihen, die, obwohl von Saxo nicht unbeeinflusst,
auf eine gewisse Selbständigkeit anspruch machen können, haben nur
die längere reihe der runenhandschrift (Scr. rer. dan. I, 32; von Olrik mit
e bezeichnet) und die annalen des klosters Ry (Scr. rer. dan. I, 148 ff,,
besser die deutsche absehrift Mon. Germ. bist. Script. XVI, 492, bei Olrik f)
den Haldanus Saxos zwischen den fünfkönigen und Harald Hildetand.
Alle andern kennen ihn nicht, was bei dem vater des berühmtesten
aller Dänenkönige sehr verwunderlich ist. Aber selbst in e und f ist
Haldanus nicht als Haralds vater bezeichnet, e teilt über Haralds her-
kunft gar nichts mit, obwohl im übrigen in der ganzen Skjoldungenreihe
die Verwandtschaftsverhältnisse der aufeinanderfolgenden könige genau
angegeben sind. Die verwandtschaftsangabe fehlt sonst ganz mit recht
nur 'bei Siuald, der als erster der Siklingenreihe die Skjoldungen
unterbricht, e hat also offenbar von Haralds vorfahren nichts gewusst.
Nach den Ry-annalen ist Harald nicht der söhn des Haldanus, son-
dern des Borgardus, des skänischen unter den fünfkönigen. Haldanus
schiebt sich als ein Usurpator, nicht als stammbaumglied zwischen
Borgardus und Harald. In beiden fällen ist also Haldanus als eine
anleihe bei der autorität Saxos in eine andere Überlieferung hinein-
geschoben, die mit ihm nichts anzufangen wusste.
DIE NORDISCHE UND DEUTSCHE HILDEBRANDSAGE 155
Mit der angäbe, dass Harald der söhn des Borgardus gewesen sei,
steht f nicht allein. Auch hier weicht Saxo von den längeren reihen kon-
sequent darin ab, dass Borcarus in seiner königsreihe nicht erscheint, wäh-
rend er überall sonst, wo überhaupt namen genannt werden, unter den fünf-
königen als herrscher von Skäne auftritt (Burgar in Olriks n, b, Buthar
in Olriks d) '. Saxo nennt statt dessen einen 0stmarus, der wieder den
königsreihen fremd ist ausser a, wo er aber neben Bui^ar von Skäne
ebenso in der luft schwebt wie Haldanus in e und f. Burgar erscheint
nun bekanntlich als Borcarus auch bei Saxo; er ist dort der räuber der
Drota und vater des Haldanus. Wichtiger ist, dass er in den letzten
kämpfen der Siklinge als skänischer reiterführer fungiert. Seine
skänische herkunft ist also auch bei Saxo noch klar, wenn auch
Saxo die übereinstimmende Überlieferung der Chroniken sichtlich ver-
fälscht. Weiter stimmt zu der Überlieferung der Ry-annalen, nach
denen Harald ein söhn des Borgardus gewesen sei, eine bekannte
stelle des Saxo, die volle beachtung verdient (VII, 337). In der er-
zählung von Alf und Alvilda wird Borcarus als begleiter des Alf der
gatte der Gro und zeugt mit ihr einen söhn Harald, 'dem die folge-
zeit den namen 'Hildetand' gab'. Erst in der folgenden geschichte
von Haldanus und Hildigerus wird plötzlich Haldanus zum söhne,
Harald zum enkel des Borcarus. Dass die Ry-annalen hier von Saxo
abhängig seien, ist wenig wahrscheinlich. Sie kennen ja beide per-
sönlichkeiten, die Saxo zum vater des Harald macht, Borgardus und
Haldanus; und sie hätten gewiss Saxos Intention entsprechend sich
an Saxos ausführlichen bericht, nicht an diese versteckte notiz gehalten,
wenn sie nur Saxos königsreihe abschreiben wollten. Umgekehrt ist
es viel wahrscheinlicher, dass Saxo neben seiner eigenen erfindung,
der Haldanusgeschichte, unversehens die auf anderer, guter Überliefe-
rung beruhende notiz über Borcarus als Haralds vater aus der feder
geflossen ist.
Die Verknüpfung Haralds mit Schonen, die bei Saxo auch
darin zum ausdruck kommt, dass Haralds einigungskämpfe von
Schonen ausgehen (VII, 362), wird nun durch isländische quellen be-
stätigt. Dem Langfeögatal nach ist Harald Skjoldung von vater- und
mutterstamm, indem beide Stammbäume bei Frode frcekne zusammen-
laufen. In vielem abweichend berichtet die Ynglingasaga, stimmt aber mit
dem Langfeögatal darin überein, dass auch in ihr verwandtschaftliche
1) b = Brevior historia, Scr. rer. dan. I, 15-18 ; a = Nomina regum Danorum
Scr. rer. dan. I, 19. d = Kununktallit der kürzeren runenhandschrift Scr. rer. dan.
I, 26-30.
156 H. DE BOOK
beziehungen zwischen Ingjald und Ivarr vidfadmi, dem grossvater
Harald Hildetands bestehen. Die Verknüpfung geschieht durch Ingjalds
tochter Asa, die neben ihrem, allen dän. quellen bekannten bruder Ölat
dänischerseits von den Lunder annalen erwähnt wird ; Äsa ist vermählt
mit Gudr0dr von Schonen, dem bruder Halfdans, des vaters von Ivarr
vidfadmi, der später ebenfalls herr über -Schonen wird. Der Zusammen-
hang Haralds mit Schonen ist also auch von dieser seite aus klar. Von
Ivars vorfahren nennen Langfeögatal und Ynglingasaga Hälfdan snjalli
als seinen vater, das L. allein ' Valldar mildi als seinen grossvater '.
Diesen hat auch die verlorene Skjoldungasaga gekannt. Olrik hat
(Aarboger 1894 s. 83 ff.) die historischen werke des um die wende des
XVI. Jahrhunderts lebenden gelehrten Arngrim Jonsson als wichtige
quelle zur kenntnis der alten, isländischen literatur ans licht gezogen
und zum teil abgedruckt. Es handelt sich um kurze kompendien der
geschichte der nordischen reiche auf grund alter, isländischer quellen.
Unter diesen befand sich eine Skjoldungasaga (Olrik a. a. o. 138 ff.,
bes. 153), worauf schon Heinzel (Wiener Sitzgsber. phil. bist. kl. 114,
463) aufmerksam machte. Arngrim kennt nun einen Waldar, söhn des
Hroar und grossneffen des Ingjald, und erzählt von ihm, dass er sich
mit seinem oheim Rörik, dem söhn des Ingjald, über die herrschaft in
Dänemark vertrug, und zwar in der weise, dass Rörik Seeland, Wal-
dar Schonen bekam, auf das er von seinem grossvater Halvdan,
Ingialds bruder her, anspruch hatte. Die teilung des Skjoldungen-
geschlechts mit den söhnen des Frode froekne, Ingjald und Halvdan
kennen wir aus dem Langfeögatal; neu erfahren wir das hohe alter
der beziehungen des einen astes zu Schonen, resp. den zusammenfall
der bekannten familienzwistigkeiten zu Ingjalds zeit mit einem scho-
nisch-seeländischen gegensatz, der bekanntlich später unter Ivarr vid-
fadmis grossen eroberungskämpfen erneute bedeutung gewinnt. Hie-
rüber schweigt Arngrim indessen, wie er überhaupt über die nachkommen
Ingjalds bis zu Sigurd Ring nur äusserst dürftig unterrichtet ist. Nur
die Zersplitterung des dänischen reiches in kleinkönigtümer schimmert
durch, wenn auch ohne direkten Zusammenhang mit der fünfkönigs-
tradition des Saxo und der dänischen Chroniken (Arngr. cap. XVI,
XVII a. a. 0. s. 121 ff.).
Diese Unsicherheit bei Arngrim ist nicht zufällig, sondern typisch.
Ein vergleich der isländischen und dänischen Überlieferung zeigt grosse
1) Der verworrene bericht am schluss der Hervararsaga macht Valdar zu
Ivars Unterkönig und Schwiegersohn, zu Harald Hildetands vater. i
DIE NORDISCHE UND DEUTSCHE HILDKBIIANDSAUE 157
festigkeit der tradition der Skjoldungenreihe bis hinunter zu Halodan
biargrammi. Die reihe: Frotho froekne - Ingjald - Olaf - Frotho -
Halvdan tritt überall wieder deutlich heraus^). Dann bricht die tra-
dition plötzlich ab. Von den Island, quellen scheidet die Yngl.-saga
aus, Arngrim weiss nur die namen einiger kleinkönige zu nennen,
das Langfeögatal geht direkt zu Haralds vater Hrcerekr Slaiaujüanhani
über, der auch Hyndloljöd str. 28 genannt wird, den dän. quellen aber
fremd ist. Die Heryararsaga nennt Haralds vater Valdar; von den
dän. Chroniken schweigen sich die kürzeren reihen meist gänzlich aus.
Die Lunder annalen knüpfen Harald direkt an Olaf Ingjaldsson.
Die längeren reihen und Saxo lassen auf Halvdan bekanntlich die Sik-
linge und die fünfkönige folgen und haben für Haralds weitere herkunft
keine nachrichten. Charakteristisch ist hierfür die ältere runenreihe.
Es heisst dort: 'tha var Haralth kunung Hylthetan, sun . . . .' Für
den vaternamen bleibt eine lücke, d. h. er ist absolut unbekannt. Die
anknüpfung an die Siklinge durch Gyuritha ist natürlich Saxos werk.
Von allem, was über die herkunft Haralds berichtet wird, geht also
einzig seine schonische herkunft durch alle traditionen durch. Über
die art der herkunft gehen die quellen auseinander. Nach den islän-
dischen quellen ist Harald durch seine mutter mit dem schonischen
Skjoldungenast verbunden. Sie ist Auär hin dji'ipaudga, die tochter
ivarr viöfaömis. In der Hervararsaga wird sie Alfhild genannt. Diese
mütterliche, schonische genealogie allein ist Arngrim bekannt, auch
die Ynglingasaga deutet sie cap. 41 an ^. In der dänischen Überliefe-
rung, die auch durch Saxos seeländische eifersucht nur verblasst, nicht
zerstört ist, wird der vater zum schonischen lokalherrsch ier und -beiden.
Alles in allem scheint mir klar hervorzugehen, dass die familienzwiste
und -Spaltungen der Skjoldungen seit Ingjald zu einer erschütterung
1) Olaf, der in den längeren dän. reihen überall, sonst in den Lunder annalen
und bei Sven Ageson erscheint, tritt in der isl. reihe zurück, doch hat ihn die
Yngl.-saga {Oldfr tretelgja cap. 42). Die übrigen isl. reihen gehen direkt zu Hrserek
über, der im Langf. vater, bei Arngrim bruder des jüngeren Frotho ist. Yngl.-saga
übergeht Hraerek wie Frotho und geht direkt zu Halvdan über. In den dänischen
quellen fehlt Hrserek, dafür erscheint neben Frotho sein bruder Haraldus und an
diese bruder und Haralds söhne knüpft Saxo die familienkämpfe der Skjoldungen
an, die nach nord. berichten der Ingjaldsage zugehören. Haldanus ist nach Saxo
und einem teil der Chronisten Haralds söhn, nach anderen der söhn Frothos wie in.
den isländischen quellen.
2) Von Ivarr viöfaömi stammen die Dänenkönige 'peir er par hafa einvald
haff. Das dürfte eine anspielung auf die einigungskämpfo von Ivars enkel
Harald sein.
158 H. DE BOOK
der alten machtstellung der Skjoldungen führen, und dass diese sieh
insbesondere in einen seeländischen und einen schonischen zweig
spalten, von denen der letztere der kräftigere gewesen ist, so dass
das Schwergewicht eine Zeitlang nach Schonen hinüberfiel und von
dort der Wiederaufstieg der familie und die einigung des reiches aus-
gieng. Die Zwischenzeit ist mit der bildung von kleinreichen aus-
gefüllt, die in Arngrims Jütlandkönigen und den fünfkönigen der
dänischen chroniken sich widerspiegelt. (Vgl. auch Saxo, Not. üb. 211 f.)
Zweck dieser langen, genealogischen erörterungen war es, klar-
heit zu schaffen über die Voraussetzungen für Saxos geschichten von
Harald und seinem vater Haldanus. Dieser Haldanus ist, wie gezeigt,
eine erfindung Saxos, die den übrigen dänischen quellen fremd ist.
Den grund hat Boer zum teil richtig erkannt. Der Seeländer Saxo
fand eine breite tradition von Haralds schonischer herkunft und seinem
vater Borcarus. Diese schonische herkunft wird möglichst unterdrückt.
Borcarus wird in der Siklingengeschichte zu einem harmlosen führer
der schonischen reiterei, in der Haldanusgeschichte wird über seine
herkunft ganz geschwiegen. Und nur ganz unversehens verrät Saxo
etwas von seiner kenntnis des wahren Sachverhalts in der notiz über
Borcarus und Gro als Haralds eitern. Mit dem namen Haldanus aber
knüpft Saxo an die seeländische Skjoldungenreihe an, deren letzter
bekannter spross Halvdan bjargrammi eben jenen häufigen Skjol-
duugennamen getragen hatte. Boer macht hier auch bereits auf die
auffällige anleihe aufmerksam, die Saxo zur ausfüllung seiner Haldanus-
geschichte bei der sage des älteren Haldanus macht. Haldanus biarg-
rammi reisst bei einem kämpf mit berserkern eine eiche aus dem
boden, macht daraus eine keule und erschlägt die berserker damit.
Genau dasselbe berichtet Saxo von Haldanus, dem vater Haralds, als
er mit den ^'piiyiles' kämpft, die Gyuritha bewachen. Boer sieht mit
recht darin einen hinweis, dass Saxo die beiden Haldani eng ver-
knüpfen wollte ^ Auch für Haralds mütterliche genealogie ändert
Saxo willkürlich. Er verbindet seinen Haldanus mit Gyuritha, der
letzten sprossin des Siklingengeschlechts. Auch hier weicht Saxo von
der übrigen isländischen und dänischen Überlieferung ab. Während
dort Haralds mutter Äüdr hin djupaiidga (resp. Alfhild) ist*, die tochter
1) Boers Vermutung, dass dieser Haldanus Borcari filius derselbe sei wie
Hälfdan snjalli, der vater des Ivarr viöfaömi und urgrossvater Harald Hildetands
in den isl. quellen, und dass Saxo ihn nur falsch eingeschoben habe, scheint mir nach
den Torangehenden erörterungen verfehlt. Ich halte ihn für eine reine und will-
kürliche erfindung Saxos.
DIE NORDISCHE UND DEUTSCHE HILDEBRANDSAGE 159
ivarr vidfadmis, wird in einigen dänischen königsreihen die frau des
Borearus mit namen genannt. Sie heisst in f Role, in d Radse, in der
Chronik des Petrus Olaus Tholse. Bei Saxo heisst die frau des Borearus,
die dort als Haralds mutier bezeichnet wird, Gro, und es ist nicht un-
möglich, diese namen zusammenzubringen '. Der name der Gyuritha
dagegen, die Saxo ans einer Siklingasaga übernommen haben mag,
ist den übrigen dänischen Chronisten unbekannt, der dritte fall in
diesem abschnitt, wo die längeren königsreihen von Saxo unabhängig
sind. Wo der name aus Saxo oder vielleicht eher noch unabhängig
von Saxo übernommen wird, ist ei' gründlich missverstanden. In e
ist ein Guthrith ein enkel des Sihtar (= Sigarus) daraus gemacht "^
Und so kommt es denn, dass die chronik des Petrus Olaus, die Saxo
mit anderen Chronisten zusammenarbeitet, vor den fünfkönigen einen
Hiotric )iepos Sigari' einschiebt, daneben aber Saxos Guritha als
Haralds mutter erwähnt. Saxos Verwendung der letzten Sikliugen-
tochter ist ohne weiteres verständlich. Sie bezweckt die anknüpfung
Haralds an das geschlecht der Siklinge, das letzte nach Saxo zuvor
in Seeland, d. h. also rechtmässig regierende fürstengeschlecht.
Aus diesen darlegungen wird klar hervorgehen, dass wir bei
Saxo an einer stelle sind, wo seine ordnende und eventuell recht derb
zurechtschneidende band besonders spürbar wird. Unsicherheit der
Überlieferung und patriotische rücksichten haben ihn dazu bestimmt.
Für einige namen, die in der Haldanusgeschichte von der isl. saga
abweichen, erweist sich dabei willkürliche einsetzung auf Seiten Saxos.
Mit dem namen des haupthelden selbst, 'Haldanus' erstrebt er an-
knüpfung an die Skjoldungen. Name und figur ist seine erfindung.
Borearus, seinen vater, entnimmt er der dänischen lokaltradition. Gyu-
ritha, die letzte Siklingin, entstammt wohl einer Siklingentradition ;
mindestens die durch sie erfolgende Verknüpfung Haralds mit den
Siklingen ist Saxos freie konstruktion. Der name Hildigerus endlich
konnte gegenüber dem Hildibrandr der saga nicht als ursprünglich er-
wiesen werden, das umgekehrte hat weit grössere Wahrscheinlichkeit
für sich. Die priorität Saxos vor der saga lässt sich also schon aus
den namen bestreiten.
Auch inhaltlich ist die priorität Saxos gegenüber der saga nicht
1) Vgl. in der I^idrekssaga Gregensborg, Gronsport neben Eegensburg unä
portus Ravennae der vorlagen.
2) Bei einer anleihe aus Saxo wäre es reichlich ,\inver8täDdlich, wie au»
Gyuritha, dem mittelpunkt einer werbungsgeschichte, ein mann namens Guthrith
werden konnte. Mindestens müssen zwischen Saxo und e Zwischenglieder an-
genommen werden.
160 H. DE BOOK
aufrechtzuerhalten. Die beiden berichte setze ich hier kurz neben-
einander.
Asmundar saga kappabana. Zu könig Budli von Schweden
kommen zwei zwerge, Alius und Olius. Sie bleiben im winter bei ihm,
und in einem wettkampf mit den schmieden des königs verfertigen
sie zwei Schwerter, deren eines sie auf grund der unmässigen an-
forderungen des königs mit einem fluch belegen, dass zwei tochter-
söhne des königs dadurch zugrunde gehen sollen. Der könig lässt das
Schwert ve^i^nken '/ i^yinn hjä Agnafit {Agdafit)\
Helgi Hildebrandsson von Hünaland wirbt um Buölis tochter
Hildr, erhält sie und zeugt mit ihr in erster ehe einen söhn, Hilde-
braud, der bei seinem grossvater in Hünaland aufgezogen wird.
Als Buöli alt ist, fällt könig Alf von Dänemark unter be-
gleitung seines getreuesten mannes Aki in das schwedische reich ein,
Buöli wird besiegt und fällt, Hildr wird beutelohn für Aki. Ihr söhn
ist Asmund, der bald ein grosser und tüchtiger wiking wird.
Hildebrand wächst nach seines vaters tode ebenfalls zu einem *
grossen kämpfer heran. Er war verschwägert mit könig Laszinus
(Atli). Zwei herzöge in Saxland macht er zinspflichtig, dann besiegt
und tötet er als räche für seinen grossvater könig Alf von Dänemark.
Inzwischen ist Äsmund Akason auf heerfahrt. Er kehrt heim
lind wirbt um J^sa hin fraget, die tochter Alfs, hat aber einen rivalen
in Eyvlndr skinuhgll. ^sa will den wählen, der im herbst von der
heerfahrt die schöneren arme mitbringt. Eyvind pflegt und schont
seine arme, Asmund bringt die kampfgehärteten arme hoch voll er-
beuteter goldringe mit. Ihm fällt der preis zu, zuvor aber fordert
M9,di noch vaterrache an Hildebrand von ihm. Sie verweist ihn an
einen alten bauern, der die stelle des versenkten Schwertes kennt und
der ihm helfen soll, es wieder aufzufinden. Dem alten fällt die grosse
ähnlichkeit Asmunds mit Hildebrand auf. Er zeigt ihm die stelle,
wo das Schwert liegt, und beim dritten versuch hebt Asmund das
gesuchte. Er kommt dann zu den herzögen von Saxland, deren
Schwester sein kommen im träume geahnt hat, wird wohl aufgenommen
und verspricht hilfe gegen Hildebrand. Hildebrands böte Vgggr er-
scheint mit neuen tributforderungen, er staunt über die ähnlichkeit As-
munds mit Hildebrand und betrachtet verwundert Asmunds schwert,
das dem seines herrn gleicht. Asmund nimmt die ausforderung namens
der Sachsenkönige an ; Vgggr reitet heim und berichtet von der grossen
ähnlichkeit von mann und schwert. Äsmund reitet zum holmgang,
besiegt erst einen, dann zwei, dann drei krieger Hildebrands usw..
DIE NORDISCHE UND DEUTSCHE HILDEBRANDSAGE 161
bis er die letzten elf kämpen auf einmal besiegt. Ihre leichen wirft
er in den ström, der sie an Laszinus bürg vorbeitreibt. So muss
sich Hildebrand selbst zum kämpf entschliessen, obgleich er sein Ver-
hältnis zu Asmund kennt. In einem anfall von berserkerwut erschlfigt
er den eigenen söhn. Im kämpf mit Asmund zerbricht sein schwert;
er wird tödlich verwundet. Sterbend offenbart er sein Verhältnis
zu Asmund und klagt um den tod des sohnes. Äsmunds rühm dringt
nach Dänemark und er heiratet JEsa, nachdem er einen ungenannten
nebenbuhler getötet hat.
Saxo. Regnaldus, könig von Norwegen, hat in hohem alter
seine tochter Dröta und zwei Schwerter ^exquisita fahrorum ojiera' in
einer höhle versteckt, damit sie niemand findet. Darauf zieht er in
den kämpf gegen den eindringenden Schwedenwiking Gunnarus und
fällt. Gunnarus macht, um die ungewöhnliche feigheit seiner gegner
zu bestrafen, einen bund zu ihrem könig. Er sucht nach Dröta und
findet sie endlich nebst den in einer besonderen grotte verborgenen
Schwertern. Er zwingt Dröta zur Ehe; ihr söhn ist Hildigerus, der
des vaters wilde gemütsart erbt, verbannt wird und von Alverus in
Schweden eine herrschaft bekommt.
Inzwischen hat Borcarus Drötas Schicksal erfahren, überwindet
und tötet Gunnarus und heiratet Dröta. Ihr söhn ist Haldanus, der,
anfangs untüchtig, später die grössten heldentaten verrichtet. Der
räuber Rötho fällt ins land ein, bei seiner besiegung erhält Haldanus
eine entstellende wunde, die ihm die lippe spaltet und nicht wieder heilt.
Inzwischen hat Gyuritha (oder Guritha), tochter könig Alfs von
Dänemark, als dessen einziges kind, beschlossen, Jungfrau zu blei-
ben, da sie keinen ebenbürtigen mann weiss, und umgibt sich mit
einer schar auserlesener ^pugiles\ Es gelingt Haldanus trotzdem, zu
ihr zu dringen, als die pugiles zufällig fern sind, und um sie zu
werben. Sie weist ihn ab und spottet über seine niedrige herkunft
und seine entstellende wunde. Doppelt beleidigt schwört er, nicht
eher wiederzukommen, als bis beide mängel durch taten ausgeglichen
seien und verlangt, sie solle auf ihn warten. Die pugiles verfolgen
ihn als werber (und als mörder ihres bruders), er sieht sie, tritt ihnen
mit einer rasch ausgerissenen eichenkeule entgegen und erschlägt alle.
Nun empfängt er (zu weiteren taten) von seiner mutter die beiden
Schwerter Lyusingus und Wittingus, deren namen ihren ausser-
ordentlichen glänz andeuten.
Als er von einem kämpf zwischen Alverus von Schweden und
den Ruthenen hört, bietet er den Ruthenen seine hilfe an. Hildigerus
163 H. DE BOOK
als manne des Alverus fordert einen Ruthenen zum kämpfe. Als Hal-
danus sieh stellt, erkennt er ihn als bruder und weigert den kämpf unter
der vorgäbe, dass er, der berühmte held, mit einem unbekannten nicht
kämpfen könne. Haldanus fordert darauf erst einen, dann zwei, dann
drei kämpfer heraus und so fort, bis zu elf kämpfern und besiegt sie
alle. Da muss Hildigerus sich zum kämpf entschliessen. Da er durch
seine kunst Schwerter stumpf machen kann, tritt Haldanus ihm mit
lappenumwickeltem schwert entgegen und trifft ihn zu tode. Der
sterbende Hildigerus entdeckt sein bruderverhältnis zu Haldanus, be-
klagt den wechselseitigen fall der brüder und den tod seines sohnes
durch seine, des vaters band. Er habe vor dem kämpf aus ehrgefühl
geschwiegen, um weder feige noch verbrecherisch zu scheinen. Er
stirbt; Haldanus' rühm dringt bis Dänemark.
Dort war inzwischen Guritha von Sivardus, einem edlen Sachsen,
umworben worden, dem sie sich nicht abgeneigt zeigt, aber verlangt,
er solle zuvor das zerrissene Dänemark einigen. Sivardus gelingt
dies nicht, dennoch setzt er die hochzeit durch. Haldanus erfährt
davon, kommt eilends und gerade zum hochzeitstage zurecht. Un-
erkannt preist er im Hede seine taten. Guritha erkennt ihn und ant-
wortet, dass man sie zur ehe gezwungen habe. Er erschlägt Sivardus
und die Sachsen und heiratet Guritha.
Der vergleich beider quellen zeigt alsbald, dass beide auf eine
grunderzählung zurückgehen, die -namentlich im anfang und schluss
hervortritt, dass dagegen die einzelnen episoden unabhängig von-
einander in jeder der quellen eingefügt sind.
Die einleitung über die herkunft der Schwerter wird uns später
XU beschäftigen haben, wo das faer. lied zeigt, dass Saxo hier etwas
unterdrückt. Die herkunft beider halbbrüder wird wesentlich gleich-
artig berichtet, auch der darin ausgeprägte dänisch-schwedische gegen-
satz ist beiden quellen eigen. Saxos eigentum ist hier vor allem die
geschieh te vom hundekönig, die der saga fehlt und nicht hergehört.
Die übrigen ab weichungen kommen später zur spräche. Ebenso ist
der schluss in beiden quellen sehr nahe zusammengehörig, auch die
Verteilung von vers und prosa stimmt überein. Stärker abweichend
sind dagegen die mittelpartien. Von Haldanus berichtet Saxo zunächst
die übliche einleitung des heldenromanes. Der held zeigt zunächst
keine heldenhaften anlagen, bis der funke plötzlich aus ihm hervor-
springt. Das geschieht nach dem weitverbreiteten Schema der 'Dren-
gene paa legevolden', über das Olrik (Danske studier 1906, 91 ff.) ge-
handelt hat. Für eine Originalität Saxos spricht das motiv, das der
DIE NORDISCHE UND DEUTSCHE HILDEBRANDSJLGE 163
saga fehlt, nicht. Auf die erweckung folgen farblos angedeutete
kriegstaten und brautwerbung. Das übliche sagascheraa ist beiden
quellen gemeinsam. Ausgeführt ist davon bei Saxo nur die episode
mit dem räuber Rötho. Diese geschichte, die erfunden ist, um den
für Saxo unverständlichen ausdruck Rötho-ran für einen besonders
grausamen raubzug zu erklären, und die aufgeputzt ist mit einer ge-
lehrten anleihe bei der griechischen Theseussage, wird niemand für
ein altes glied der Asmunderzählung halten. Mit der brautwerbung
verknüpft jede quelle ihre besondere erzählung. Die saga verwendet
hier ein seinem habitus nach junges novellen- oder märchenmotiv in
dem Wettbewerb mit dem wiking Eyvindr skimih^U. Saxo bringt die
geschichte von dem kämpf mit den berserkern mit der ausgerissenen
eichenkeule. Dass hier Saxo eine anleihe bei der vorher erzählten ge-
schichte von Hälvdan bjargrammi macht, ist bereits gesagt. Beide
erzählungen sind deutlich spätere zutat, denn beide haben nur sinn, wenn
sie die Werbung Asfeiunds zum ziele brächten, was sie aber keineswegs
tun. Sie können aus dem Zusammenhang ohne Störung fortbleiben.
Haldanus-Äsmund begibt sich dann in fremden dienst (saga:
Sachsenherzöge; Saxo: Ruthenen) und kämpft in ihrem dienst gegen
Hildebrands berserker, dann gegen ihn selbst. Hier ist die saga sehr
viel ausführlicher. Nicht nur die erwerbung des Schwertes (resp. der
Schwerter) durch Asmund wird ganz anders berichtet, worüber wieder
das fser. lied auskunft zu geben hat. Auch Asmunds aufenthalt bei
den Sachsenherzögeu ist durch die figur von deren kluger Schwester
und ihrem träum, ferner durch die szene zwischen Hildebrands boten
Y9ggr und Asmund weit lebendiger ausgemalt. Da hier das fser. lied
versagt, bleibt es zweifelhaft, was auf konto der saga kommt und
was ältere Überlieferung ist. Über die angäbe der saga von Hilde-
brand und seinem söhn ist später zu sprechen.
Im schluss ist dann Saxo wieder sehr viel ausführlicher als die
saga. Guritha hatte als preis für ihre band die einigung Dänemarks
ausgesetzt. Auch dies motiv ist stumpf, denn weder leistet Haldanus'
nebenbuhler Sivardus die aufgäbe, und trotzdem wird die] hochzeit
gerüstet, noch Haldanus selbst, und doch führt er Guritha heim. Die
absieht Saxos ist klar. Denn unmittelbar anschliessend beginnt er die
geschichte Haralds zu erzählen, der als erstes diese aufgäbe in angriff
nimmt und durchführt. Statt des sagamotivs dervaterrache stellt Guritha,
die tochter des letzten einheitlichen Dänenkönigs, die bedingung der
vriedervereinigung des reiches, die sich hernach in ihrem söhne erfüllt.
Saxos ordnende arbeit ist nicht zu verkennen und wir haben in
164 H. DE BOOK
Gurithas bedingung wieder eine stelle, wo er zur Verknüpfung seiner
geschichte züge aus fremden stoflFen in die Haldanusgeschichte einmischt ^
Als Haldanus zu Guritha zurückkehrt, findet er sie im begriff,
einen andern zu heiraten. Die saga macht über diese geschichte nur
kurze andeutungen, aus denen deutlich nur das eine hervorgeht, dass
der sagamann einzelheiten nicht gewusst hat. Boer nimmt nun an,
dass hier Saxos erzählung das von der saga vergessene bewahrt hat.
Dagegen lassen sich bedenken erheben. Die Nota3 uberiores 209 zu
Müller- Velschows ausgäbe machen auf die gleichheit dieser erzählung
mit der von Gram und Signe bei Saxo I, 26 ff. aufmerksam. Wie
Haldanus weilt Gram fern von seiner braut auf kriegsfahrt. Wie hier
Guritha wird inzwischen Signe von einem fremden werber umworben,
der hier wie dort Sachse ist. Wie Haldanus erfährt Gram von der
bevorstehenden hochzeit und fährt in höchster eile heim. Wie Hal-
danus tritt er unbekannt unter die hochzeitsgäste^gibt sich im liede
zu erkennen, in dem er auf seine heldentaten anspielt und den wankel-
mut der frauen schilt, wie Haldanus vergewissert er sich der fort-
dauernden liebe der braut und tötet den nebenbuhler und seine krieger.
Die beziehung ist klar, namentlich die sächsische herkunft des neben-
buhlers in beiden geschichten und der ganze Wortlaut verbieten, an
Verwendung des gleichen motives in zwei verschiedenen erzählungen
zu denken und setzen eine direkte angleichung durch Saxo vm-aus.
Und da ist es gewiss kein zufall, dass wir hier eine dritte stelle
haben, wo Saxo von der saga abweicht und in dieser abweichung
beziehungen zu anderen teilen seines werkes zeigt. Diese drei stellen,
sowie die offensichtliche einflechtung der erzählungen vom hundekönig
und vom Rötho-ran lassen Saxos recht willkürliche behandlung des
Stoffes erkennen und machen es nicht gerade wahrscheinlich, dass wir
bei Saxo die besser bewahrte quelle zu vermuten haben, ein resultat,
das bereits die Untersuchung der namen ergab. Auch die saga ist bei
weitem nicht überall ursprünglich, Saxo und saga sind zwei gleichwertige
quellen, bei denen in jeder einzelheit geprüft werden muss, welche das
bessere bewahrt hat. Beide sind mit episoden eigener erfindung durch-
flochten, die bei Saxo einen grösseren räum einnehmen als in der saga.
1) Boer betrachtet auch den zug der anfänglichen kinderlosigkeit des Haldanus
als anleihe bei der geschichte des Haldanus bjargrammi (a. a. o. 363). Mir scheint
das verfehlt. Bei dem älteren Haldanus handelt es sich vielmehr um lange e h e-
losigkeit, die in ganz anderer weise in der erzählung Verwendung findet, als die
kinderlosigkeit des jüngeren Haldanus. Zudem bleibt bei Saxo selbst zweifelhaft,
ob aus der späten ehe des H. bjargrammi ein söhn entspringt.
DIE NORDISCHE UND DEUTSCHE HILDEBKAND8AGE 165
Als gemeinsamer erzählungskern bleibt folgendes: Drött (HiFdr)
wird mindestens zum teil durch gewalt nacheinander die frau zweier
männer und mutter zweier söhne, die sich unbekannt bleiben. Zwei
wunderbare Schwerter werden verborgen, kommen wieder ans licht
und werden den brüdern verderblich. Der jüngere wirbt um die
dänische königstochter, zieht um ihretwillen auf taten aus und trifft
mit seinem älteren bruder (Hildibrandr, Hildigerus) zusammen. Dieser
[weiss, dass der gegner sein bruder ist] sucht dem kämpf auszu-
weichen und schickt andere kämpfer entgegen. Als Asmund (Haldanus)
alle besiegt hat, muss er selbst sich zum kämpf entschliessen, fällt
und offenbart sterbend sein Verhältnis zu dem bruder. Vorher hat er
irgendwie den eigenen söhn getötet. Asmund hat rühm gewonnen,
zieht heim, verscheucht einen nebenbuhler und heiratet die königs-
tochter.
Diese erzählung ist zweifellos weit geschlossener als jede der
einzelnen quellen, doch kaum in poetischer form denkbar. Wir haben
als Vorstufe eine prosaerzählung anzusetzen. Auch innerhalb dessen,
was die beiden quellen von diesem kern berichten, finden sich starke
differenzen; hier hilft die fseröische tradition weiter ^
II. Die fEBröische tradition.
Wie erwähnt, enthält das fser. Snjölvskvsedi (C. C. F. bd. VIII
und IX) eine ausführliche darstellung der geschichte von Asmund und
Hildebrand. In sehr wesentlichen dingen weicht es von den beiden
bisher besprochenen traditionen ab, was nur zum teil auf der Ver-
mischung mit andersartigen Stoffen beruht. Die analyse dieser Stoffe
kann ich hier nicht vornehmen. Soweit gestalten des Sigurd- und
Dietrichkreises hineinverflochten sind, habe ich das lied in meinem
genannten aufsatz Arkiv 36, 207 ff. mitbehandelt. In gleicher weise
berücksichtige ich hier nur den Äsmundstoff, der allerdings wohl den
grundkem des ganzen liedes bildet, das eines der umfangreichsten
der ganzen Viserliteratur ist. Der name Snjölvtikvcedi ist in dieser
beziehung irreführend, es sollte Asmundarkvccdi heissen. Snjölvur ist
der hauptheld nur im zweiten tättur und spielt nur noch im ersten und
sechsten eine bedeutendere rolle. Im ganzen sind 9 einzelne dazu-
gehörige taettir bekannt, doch enthält ausser der version C keine der sehr
1) Über die verwertbar keit der erst im 19. Jahrhundert aufgezeichneten
faeröischen tanzballaden zur kritik alter Überlieferungen entscheidet die bewertung
ihres alters und ihres konservatismus gegenüber der Überlieferung. Ihr alter ist
ZEITSOHKIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIK. BD. XLIX. 12
IGG H. DE BOOK
zahlreichen aufzeichnungen des liedes sämtliche tsettir. Die Varianten
des liedes sind für die gesamtauffassung von keiner grossen bedeutung.
Darin verhält das Snjkv. sich anders als die Nibelungenballaden. Ich
benutzte die umfänglichste, im C. C. F. als B bezeichnete version
(C. C. F. VIII, 395-972) nach der niederschrift von Joh. Klemmentssen
1819. Diese steht C (Sandobog von 1821) so nahe, dass C im C. C. F.
nur als textvariante am rande neben B registriert ist. Von den beiden
in B fehlenden tsettir spielt der achte, Risin ä Blalondum oder Risans
tattur für die vorliegende Untersuchung kaum eine rolle, da er eine
den alten quellen unbekannte, für den Zusammenhang des ganzen
unwesentliche episode enthält, die zudem nur in den fassungen C und K
vorhanden ist. Ich habe C (C. C. F. IX, 23-29) benutzt. Für den
7. tattur Stridid i Hildardali, der durch einige namensformen, nicht
aber durch seinen Inhalt bedeutung hat, ist die niederschrift von
A. Weyhe (fassung H) benutzt, da sie um etwa 80 str. mehr enthält
als alle übrigen fassungen. Eine inhaltsangabe der in betracht kom-
menden teile ist bei der sprunghaften und formelhaften darstellung
des fser. balladenstils nicht leicht.
Hildebrand zieht auf brautwerbung und gewinnt nach kämpfen
Silkieik, die Schwester des Snjölvur. Sie haben einen söhn Grimur.
An seiner wiege prophezeien die nornen diesem heldenruhm und frühen
tod durch das schwert des vaters. Hildebrand versenkt das schwert
'hja Heljaroyggjum. Asmundur keUingnrson erfährt von frau Adalus,
meines erachtens durch ihr hauptsto ff gebiet, die jüngere und jüngste fornaldar-
saga mit frühestens dem XIII. Jahrhundert bestimmt. Neuesten» hat Neckel wenigstens
für die Nibelungenballaden resp. deren urform ein höheres alter vorausgesetzt, so
dass sie für die jüngeren Eddalieder und die Volsungasaga als quelle in betracht
kommt (Aufs. z. deutschen spräche und literatur, festschr. f. Braune s. 106 f.), eine
annähme, gegen die kurz vorlier sich Heusler noch gesträubt hatte, obwohl auch
er mit der möglichkeit rechnet. (Altnord, dichtung und prosa von Jung-Sigurd,
Sitzgsber. der Berliner akad. 1919, XV s. 172.) Für den koiiservatismus der
fser. balladendichtung muss ich gegenüber Neckel und Heusler bei meiner ansieht
bleiben, die ich in meinen bisherigen arbeiten über diese lieder vertreten habe,
dass in den bailaden von einer schöpferischen neugestaltung und Weiterentwicklung
des Stoffes keine rede sein kann. Die leistung des balladendichters besteht wesent-
lich in der Zertrümmerung und Vermischung der überlieferten Stoffe und der aus-
piägung einer grossen reihe formelhafter szenen, die mit geringen textlichen
Varianten immer wieder auftauchen. Die forschung an den bailaden hat diese for-
mein aufzusuchen und auszuscheiden und hat zu versuchen, aus den trümmern ein
ganzes möglichst zu kombinieren. Gelingt dies, dann darf man cum grano salis
mit diesem ganzen wie mit einer alten quelle rechnen, an der die Übertragung in
balladenverse inhaltlich nichts geändert hat. Diese quelle kann poetisch gewesen
sein, ist^aber meist eine saga gewesen.
DIE NORDISCHE UND DEUTSCHE HlLDEBRANDSAaE 167
WO das Schwert versenkt ist. Er zieht dorthin, zwingt den dort
wohnenden 'hertiigi Golmar, ihm die stelle zu zeigen und findet
das Schwert. Er tötet Golmar und vergewaltigt seine frau. Äs-
mund beginnt dann kämpfend die weit zu durchziehen, ziel der
kämpfe ist frauenraub. Asmunds hauptstärke ist heimtückische Zau-
berei. Bei diesen kämpfen tötet er Hildebrands Schwager Snjölv.
Er fordert auch Hildebrand selbst heraus, der ihn erst abweist,
schliesslich aber den kämpf auf sich nimmt und Asmund über-
windet, aber am leben lässt. Asmund zieht rachesinnend ab. Er
fordert Grimur, den söhn Hildebrands, heraus, der sich aber hart-
näckig weigert, mit Asmund zu kämpfen. Asmund führt immer neue
kämpfer gegen ihn heran, die Grimur alle erschlägt. Schliesslich
ruft Asmund Hildebrand herbei, gibt ihm das verhängnisvolle schwert
in die band und stellt ihn Grimur unerkannt gegenüber. Grimur fällt;
als Hildebrand nach dem namen fragt und erfährt, dass er den söhn
erschlagen hat, stirbt er vor schmerz.
Hier ist sehr viel abweichung von dem inhalt der saga und
Saxos, so dass Kölbings behauptung der durchgängigen abhängigkeit
des liedes von der saga unverständlich scheint. Drei punkte - ausser den
namen Asmund und Hildebrand selbst — machen Zusammenhang
zweifellos: die geschichte des Schwertes, die gegnerschaft Asmunds
und Hildebrands und der tod des sohnes durch den vater. Die ge-
schichte des Schwertes weist gegenüber Saxos darstellung auf die
saga, aber genaueres zusehen zeigt auch zusammenhänge des liedes
mit Saxo, zu denen die saga kein gegenstück hat.
Über die herkunft der Schwerter und über ihre bedeutung im
verlauf der erzähhmg der saga hat Boer (a. a. o. s. 355 ff.) glücklich ge-
handelt. Dass das fluchbeladene schwert ein konstitutives dement der sage
ist, wird anerkannt, so auch von Kauffmann (a. a. o. 166), der das von
Hildebrand - nicht das von Asmund - geführte zauberschwert als
glied der urform der sage betrachtet und 'das märchen von Hildebrand
und Hadubrand' als ursprüngliches schwertmärchen auffasst. Wie weit
man Kauffmann hier beistimmen kann, hängt ab von der Stellung, die
man überhaupt zur frage des Verhältnisses der nord. und deutschen
Hildebrandtradition einnimmt. Über den prosaischen bericht der saga
von der herkunft der Schwerter spricht er sich nicht näher aus, da er
die verse allein für kompetent erklärt. Auf den nahen Zusammenhang
dieses sagaberichtes mit der einleituog der Hervararsaga und ihrer
erzählung von der herkunft des Schwertes Tyrfing ist wiederholt hin-
gewiesen, zuletzt und ausführlich von Schuck (Studier i Hervararsagan,
12*
168 H. DE BOOK
rektorprogramm, Uppsala 1918, 32 ff.). Er akzeptiert Boers aus-
führungen (a. a. o. s. 355 ff.). Boer verweist auf die widerspräche in
der eingangserzählung der saga. Die beiden zwergbrüder, Olius und
Älius, tadeln die schmiedekünste der schmiede des königs Buöli. Sie
schmieden im Wettbewerb mit ihnen beide gemeinsam. Plötzlich, bei der
herstellung der beiden Schwerter schmieden sie jedoch im Wettbewerb
untereinander. Die beiden zwerge schaffen unter zwang, dennoch wird
nur ein schwert mit einem fluch belegt, für diesen fluch will dennoch
könig Bndli beide zwerge bestrafen. Wie und warum das eine schwert
untüchtiger ist als das andere, bleibt unklar. Dennoch lobt Buöli
beide Schwerter. Alle diese Widersprüche löst Boer, indem er auch das
wettschmieden der beiden Schwerter ursprünglich als wettkarapf zwischen
den Zwergen und den menschlichen schmieden des königs auffasst. Die
beiden zwerge schmieden gemeinsam das gute schwert, belegen es
dann gemeinsam mit einem fluch, für den sie daher gemeinsam vom
könig bestraft werden sollen. Das weniger gute schwert ist arbeit
der menschlichen schmiede; es ist nach bestem können gefertigt, wenn
es auch die geforderten übermenschlichen proben nicht bestehen kann
und verdient daher das lob des königs : 'Auch dies ist nicht schlecht.^
Boers annähme gewinnt viel dadurch, dass sie sich als rein textliche
entstellung im lauf der schriftlichen Überlieferung erklären lässt. Es
heisst an einer stelle, als der könig das untüchtige schwert erprobt:
'■Smidrhm kvad pat ofraun sveräinu' (Detter s. 82). Da Alius und
Ölius sonst nicht als '■ämiäir^ bezeichnet werden, zuvor aber von den
^smidir' des königs eben die rede gewesen ist, so hat es wirklich
viel für sich, anzunehmen, dass auch diese worte, die im jetzigen
Zusammenhang nur auf Ölius bezogen werden können, dem königlichen
schmiede zuzuweisen seien. Damit erhält Boers hypothese eine sehr
beachtenswerte reale stütze. In der tat wird ja auch nur das eine
schwert hernach in den see versenkt und spielt eine verhängnisvolle
rolle. Die erwähnung des anderen Schwertes in der Vgggr-episode
ist durchaus episodenhaft und in keiner der beiden anderen fassungen
gestützt.
Saxo behandelt die Schwerter bekanntlich sehr kurz. Er kennt
keinen unterschied der beiden Schwerter, lässt sie beide gleichmässig
verborgen sein, beide zusammen gefunden und von der mutter an As-
mund ausgehändigt werden. Auch gibt er für beide Schwerter nameu
an, Lyusingus und Hwittingus, die nichts von einem bedeutsamen
unterschied verraten, sondern sie zu einem gleichmässigen paar neutral
zusammenschliessen. In dem Schlusskampf aber spielt keines der
DIE NORDISCHE UND DEUTSCHE HILDEBRANDSAGE 169
beiden Schwerter eine rolle durch seine zauberischen eigenschaften.
Vielmehr tritt hier das von Saxo auch sonst verwendete motiv von
dem lappenumwickelten schwert ein, das der abstumpfenden kraft des
blickes widersteht. Dennoch wird man an der allgemeinen ansieht
festhalten müssen, dass Saxö die Vorgeschichte der Schwerter gekannt
habe und in seiner angäbe ^exquidfa fabrorum ojJera^ eine andeutung
darauf zu sehen sei. Dann muss Saxo aber die Vorgeschichte schon
in der entstellung gekannt haben, die in der saga vorliegt, ja die
art der benennung beider Schwerter setzt ein weiteres abstumpfen
<les Schwertmotivs, also eine jüngere quelle als die der saga,
voraus. Die entstellung ist aber rein mechanisch mnd fällt erst in
die periode schriftlicher bearbeitung, ist also relativ jung. Somit
spricht auch die form des schwertmotivs bei Saxo nicht für grosse
ursprünglichkeit, sondern für ableitung und willkür\ Die fser. Ver-
sion spricht klipp und klar nur von einem schwert. Ich sehe von
der sonst ganz andersartigen Verwendung des Schwertes ab, das mit
seinem fluch in den dienst der tragischen vater-sohn-geschichte
gestellt wird. Wichtig bleibt, dass dies schwert, das mit einem
fluch behaftet, versenkt und wieder emporgeholt wird, keinen harm-
loseren doppelgänger hat. Nur das eine schwert ist vorhanden. Die
einleitung, die von der entstehung des Schwertes durch zwergenarbeit
berichtet und die sich in der saga ausführlich, bei Saxo angedeutet
findet, fehlt dem lied und ist durch eine andere ersetzt. Bei der
geburt des sohnes erscheinen in Hildebrands haus die drei nornen K
Zwei von ihnen verkünden ihm heldentum und rühm, die dritte aber
den tod durch das väterliche schwert. Dieselbe szene kennt die fasr.
poesie an mehreren stellen, sie ist also formelhaft. Wir erkennen darin
die alte märchenformel von den wunschfeen an der wiege in ihrer
speziellen nordisch-mythologischen ausprägung der drei nornen, wie
im ersten Helgiliede, der Nornagestssaga, der Fridlefsage bei Saxo
VI, 272. Über die Verbreitung des motives vgl. Bolte-Polivka, An-
merkungen zu den kinder- und hausmärchen I, 439 f. Dem zeugnis von
saga und Saxo gegenüber und der formelhaftigkeit des nornenmotivs
in der far. balladendichtung entsprechend wird man hierin das lied
den prosaberichten gegenüber für sekundär halten müssen. Wie so
häufig ist die individuelle durch die formelhafte prägung verdrängt
1) Boer schliesst von seinem axiom der Originalität Saxos aus umgekehrt.
Da Saxo die entstellung schon kennt, muss sie *zu dem älteren bestand der sage
gehören'. Dieser schluas erledigt sich, sobald man Boers praemisse aufgibt.
2) Der faer. text hat aus ihnen drei nonnen *^nunnur* gemacht.
170 H. DK BOOK
worden. Der wesentliche beitrag des liedes zu dieser stelle ist da»
eine schwert; nehmen wir dies in den sagabericht hinüber, so erhalten
wir eine erzählung, die der einleitung der Hervararsaga ausserordent-
lich ähnlich sieht, worauf Boer (a. a. o. s. 358) und Schuck aufmerksam
machen.
Das schwert wird sorgfältig verborgen, um seinen gebrauch zu
verhindern. So berichten übereinstimmend alle drei quellen. Es ge-
schah wegen des darauf ruhenden fluches, wie saga und lied angeben.
Die erzählung des Saxo, dass die beiden Schwerter zusammen mit
der königstochter in der erdhöhle verborgen werden, ist allgemein als
sekundär anerkannt. Das motiv von der königstochter im hügel (vgl.
Bolte-Polivka, anm. HI, 443) ist nur Saxos eigentum. In saga und
lied wird das schwert im see versenkt. Die lokalität ist verschieden,
in der saga, der schwedischen heimat des königs BuÖli entsprechend
im Mälarsee, im lied ^hja Heljoroyggjum'. Die darstellung stimmt in
beiden quellen im detail. Das schwert wird nicht einfach in den see
geworfen, was ja zu seiner Versenkung genügen würde, sondern in
einen ^stokkr^ eingeschlossen, der nach der saga aus blei war. In
diesen sfokh- ist das schwert noch eingeschlossen, als Asmund es
später wieder vom gründe heraufholt. Das lied erwähnt ihn nur ganz
nebenbei. In einem hier nicht wichtigen gespräch Asmunds mit einer
meerfrau rühmt sich diese, str. 234:
fd sefti eg feg d bunJcan upp
vid stol-Jc od sv'örd i jangi.
Da dieser stohkr zur Versenkung des Schwertes nicht nötig ist,
und das schwert von ihm so umhüllt ist, dass es daraus erst mit der
axt herausgehauen werden muss, so kann sein zweck nur sein, das
schwert vor dem verrosten zu bewahren, ein zweck, der wiederum
mit der absieht der Zerstörung des unheilsschwertes nicht überein-
stimmt. Der zug ist nur als zusatz eines rationalistisch denkenden
Sagaschreibers zu verstehen, der begreiflich machen wollte, wie das
schwert im see unversehrt bleiben konnte. Wir gewinnen daraus einen
anhaltspunkt für die quelle des liedes, es kann nur eine saga aus
der späteren periode gewesen sein.
Als Asmund herangewachsen ist und zum kämpf mit Hildebrand
auszieht, gewinnt er nach allen drei quellen das verhängnisvolle
schwert. Bei Saxo, wo der fluch vergessen und das schwert (resp.
hier die beiden Schwerter) zusammen mit Dröta aufgefunden wird,
erhält er beide Schwerter einfach von seiner mutter. Auch hier
ist Saxos unursprünglichkeit klar. Das lied stellt sich zur saga.
UIE NORDISCHE UND DEUTSCHE HILDEBRANDSAdE 171
Dort wird Äsmund das schwert von ALsa hin fagra gewiesen, der
königstochter, um die er wirbt. Das lied beginnt den tättur von der
Sehwerterwerbung mit der str. 176.
Stolz Ädalüs yvir bordi stendur
Asniundi hon sigur:
'Hildibrand sigldi for Heljar nordur
har sökti hnnn svördid nidur' .
Alles übrige hat das lied vergessen, Äsmunds Werbung um die
königstochter, überhaupt jeden Zusammenhang dieser Adalüs mit Äs-
mund; diese eine Strophe zeigt, dass das lied auch hierin der saga
geglichen haben muss\ Asmund folgt ihrem rate und begibt sich zu
der bezeichneten stelle. Er trifft dort einen mann, der die stelle
kennt, wo da schwert liegt, und der mit ihm hinausfährt auf den see,
um ihm behilflich zu sein. Auch hier weichen saga und lied in
vielem voneinander ab. In der saga ist jener helfer ein ^bondP, der
Prinzessin irgendwie verpflichtet und daher sofort bereit, Asmund zu
helfen. Im lied ist es ein etwas geheimnisvoller '■hertuyi Golmar^ und
verknüpft mit dem emporholen des Schwertes ist ein motiv, das in der
fser. Asmunddichtung sehr breit gewuchert hat, der frauenraub. Auch
dieser herzog Golmar hat eine frau, die von Asmund vergewaltigt wird.
Golmar leistet Asmund daher nur widerwillig und gezwungen helfer-
dienste und wird nachher von Äsmund erschlagen. Aber wie in der
saga taucht Äsmund erst vergeblich und der Wortlaut steht derselben
sehr nahe:
199 Asmundur leyp i havid üt
lehigi knvor hann:
so kam hann frä griinni ujpp,
og einki svörd hann fann.
Saga 8. 88: B'idan hljop Asmnndr fyrir hord ok kafadi, ok er hann
kom upp, pü vildi //nun nidr ^dru f'inni.
Welche darstellung hier das richtige bewahrt hat, ob die wilde
des liedes oder die milde der saga, kann hier noch nicht entschieden
werden.
Über Hildebrands und Äsmunds herkunft berichtet die saj;:!,
dass Hildr-Drött in rechtmässiger ehe mit Helgi einen söhn Hildebrand
1) Adalus ist im gleichen liede der name von Snjölvs frau. Snjölv wird
später Ton Äsmund getötet und dieser will eich ihrer bemächtigen. Sie weist ihn
entrüstet zurück und zerspringt aus härm um Snjölv. Die beiden frauen können
nichts miteinander zu tun haben.
172 H. DK BOOK
hat, und dass sie dann bei lebzeiten des mannes von Alf von Däne-
mark geraubt und an Aki verschenkt wird. Aus dieser zweifellos
unehelichen und unebenbürtigen Verbindung, für die die saga zum
grösseren rühme Asmunds freilich die bezeichnung ^yipia wählt, ent-
springt Asmund. Von Äsmunds unebenbürtiger Stellung macht die
saga, deren Sympathie sichtlich auf seiner seite steht, keinen weiteren
gebrauch. Aber bei Saxo wird Haldanus gegenüber Hildigerus mehr-
fach mit deutlicher geringschätzung behandelt, obgleich hier die Vor-
geschichte weniger anlass dazu gibt. Denn Drötas beide Verbindungen
sind erzwungen, beide gatten sind nicht königlichen blutes und der
erste ist erschlagen, als der zweite sie nimmt. Saxo berichtet, dass
Asmund ein '■plenum contumeline cogiionien^ getragen habe. Er führt
diesen beinamen auf eine entstellende Verwundung der lippen zurück,
die er im kämpf mit dem räuber Rötho empfangen habe. Die ge-
sehichte vom räuber Rötho ist aber sicher erst von Saxo mit der
Haldanusgeschichte verknüpft, vielleicht überhaupt Saxos erfindung,
von Saxo kann also auch erst diese erklärung von Haldanus' Spott-
namen herrühren. Als Haldanus um Guritha wirbt, weist sie ihn ab
und begründet dies folgendermassen : 'ad hcec adduci se non 'pos.-<e, ut
reyice nobilitatis rel/quias injeriur/'s ordinis ciro copulnrl sustineaf.^
Als Hildigerus dem l£ampf mit Haldanus ausweichen will, weigert er
sich, 'cum homine ■paruin specfato^ zu kämpfen. Als Haldanus end-
lich ruhmbedeckt zu Guritha zurückkehrt, wirft er ihr in versen ihren
Wankelmut vor und spielt auf die schmähliche abweisung an. Saxo
ist hier der saga gegenüber recht frei. Detters konjektur in seiner
ausgäbe (anm. zu str. VI s. 103) ist unnötig und unhaltbar. Boer hat
sich a. a. o. 343 ff. mit recht dagegen gewendet und dargelegt, dass
die verse ohne Detters konjektur einen besseren sinn ergeben. Sie
enthalten eine anspielung auf die frühere verächtliche abweisung As-
munds durch ^sa, die zwar von der saga unterdrückt ist, doch aus
Saxo hervorgeht. Boers auffassung schliessen sich Heusler-Ranisch in
den Eddica minora (s. 87 anm.) und Finnur Jönsson (Skjaldedigtning
B n, 341) inhaltlich an. Ihre abänderungen sind rein grammatisch-
metrischer natur und meines erachtens nur zum teil notwendig. Er-
wägenswert ist Boers Vorschlag, kvtMir statt kvaeäi zu lesen und damit
die Strophe als anrede an Mssi zu fassen. Die Strophe besagt also:
'Ich erwartete nicht das urteil, dass man (resp. du) mich niemandem
für überlegen halten könnte (könntest), jetzt wo die Hünmegir mich
zum Verteidiger ihres reiches wählten.' Das ist in der saga eine
deutliche, in der poetischen fassung festgehaltene hindeutung auf eine
DIE NORDISCHE UND DEUTSCHE HILDEBRAXDSAGE 173
frühere unehrenvolle Zurückweisung, die in der prosa gemäss ihrer
heroisierenden tendenz für Äsmund fehlt, aber bei Saxo vorhanden ist.
In Saxos ersten versen, die dieser sagastrophe entsprechen müssten,
kann ich freilich eine Übersetzung dieser strophe nicht sehen, wenn er
sagt : 'Ich erwartete, als ich ausser landes ging, keine solche weibliche
lügenhaftigkeit und hinterlist' (nämlich in seiner abwesenheit mit einem
andern sich einzulassen). Saxos abweichung ist verständlich ; er bildete
den schluss der Haldanuserzählung nach dem vorbild der geschichte
von Gram und Signe aus, wo die vorwürfe des weiblichen wankelmutes
wiederkehren. Dagegen enthält Saxo v. 11-14 eine recht genaue Über-
setzung der erwähnten sagastrophe. Es geht daraus hervor, was ich
zuvor schon behauptet habe, dass nicht Saxos schluss den verlorenen
schluss der saga enthält, sondern dass Saxo hier bewusst ändert.
Alle diese hinweise auf die Verachtung, der Asmund begegnet
ist, sind in der kurzen erzählung zu häufig, um nicht anzudeuten,
dass Asmunds verachteter Stellung und der daraus entspringenden
tatensucht eine bedeutende rolle zukomme, dass also Saxo hier zu-
verlässiger sei als die saga. Und nun sehen wir im faeröischen liede
seine ganze rolle auf diesem Verhältnis aufgebaut. Wir sehen ihn
ruhelos durch die lande ziehen, immer auf kämpf und rühm bedacht
und doch immer den andern heldea gegenübergestellt als ein anders-
artiger, nicht vollwertiger. Saxo berichtet von einem Spottnamen,
den Asmund getragen habe, dass er deswegen von Guritha abge-
wiesen wird, und dass er gelobt, diese Verachtung durch doppelte
heldentaten auszulöschen. Entsprechend heisst es im fjßr. lied von As-
mund :
Str. 344: td var navnid snt'tgvi-vent,
teir kalla han kappabana.
Ähnlich sagt das an dieser stelle vom Snj. kv. abhängige zweite
Dvörgamoylied (Hammershaimb, Sjürdar kvsedi s. 90):
(str. 53) Asmundiir her eitt heidursnavn,
teir kalla kann kappabana.
Asmunds name ^kappabani'' wird also als ein erkämpfter ehren-
name bezeichnet, der an stelle eines anderen, herabsetzenden namens
gesetzt worden ist. Damit haben wir Saxos angäbe bestätigt.
Einen solchen herabsetzenden namen kennt das fser. lied. Der ge-
wöhnliche name Asmunds ist dort Asmundiir keUingarson. Diese ganz
ungewöhnliche benennung nach der mutter deutet entschieden auf
174 II. DE BOOK
seine unechte geburt '. Ebenso findet sich das motiv wieder, dass As-
mund der kämpf beleidigend verweigert wird, sow^ohl in seinem mehr
in den hintergrund tretenden kämpf mit Hildebrand als auch in dem
weit wesentlicheren kämpf mit Hildebrands söhn. Äsmunds beiname
spielt dabei eine bedeutende rolle. Grimur antwortet dort Asmunds
boten :
Str. 355. Hann hevur dtt scer mödur U'i,
ein er vesf i Innd:
hon hevur manga raska kempur
lagt for eitur-grand.
Str. 356. Tu bid hann brynja üt fimti kempur,
bestu i ü'itt land:
eg vil ikki möt honum stridast,
ti hann iUgerning kann.
Was wir hier über Asmund erfahren, und was auch seinem
tatsächlichen verhalten im kämpf entspricht, ist dies, dass er in eine
zauberhaft unholde atmosphäre gerückt wird. Er sucht zu siegen
und siegt niemals im ehrlichen kämpf, sondern unter Verwendung
eines dämonischen mittels : er stürzt besiegt vom pferde, verschwindet
in der erde, kommt im rücken des gegners wieder zum Vorschein
und fällt den verblüfften beiden von hinten an. Seine mutter, die
von Grimur so geschmähte, hilft ihm dabei. (Näheres darüber in
meiner arbeit Arkiv 36, 218 f.) Aus der gegebenen Charakterisierung
der mutter geht hervor, dass in Asmunds beinamen ^kellingarson^ ^kelling^
nicht nur 'altes weih' bedeutet, sondern geradezu 'zauberweib, hexe',
dass also Asmunds beiname 'hexenkind' bedeutet. Dieser beiname
lässt sich nicht unmittelbar mit dem bei Saxo angedeuteten gleich-
setzen. Er ist so erst möglich, nachdem ein so wesentlicher bestand-
teil der erzählung wie die gemeinsame mutter Asmunds und Hilde-
brands vergessen ist, und nachdem die ausgestaltung der dämonischen
Züge in Asmunds bild sich vollzogen hatte. Auf der andern seite ist
bei Saxo die herkunft von Äsmunds beinamen aus seinem kämpf mit
Rötho zwar erst Saxos kombination, aber dass er sich auf Asmunds
aussehen, speziell auf eine entstellung im gesicht bezogen hat, ist
wohl kaum zu leugnen. Zieht man aus diesen beiden angaben die
mittellinie, so könnte dieser beiname wohl 'wechselbalg' oder so ähn-
1) Die gelegentlich auftretende bezeichnung '■kallsson'' ist selten und aus
'kelUngarson' abstrahiert.
DIE NORDISCHE UND DEL'TSCHE HiLDEBRANDSAGE 175
lieh gelautet haben, ein name, der unechte herkunft und entstelltes
gesicht in sich vereinigen würde \
Bislang sind über der betonung der zusammenhänge zwischen
dem fter. lied und den alten quellen die tiefgreifenden unterschiede
zurückgetreten. In den nun folgenden abschnitten überwiegen sie die
zusammenhänge beträchtlich. Schon in der Vorgeschichte hat das fser.
lied ganz andere Voraussetzungen. Die herkunft Äsmunds und Hilde-
brands ist vergessen. Damit fehlt die gemeinsame mutter, ein zen-
traler punkt in saga und Saxo. Das verhängnisvolle schwert ist hier
Hildebrands eigentum und wird von ihm versenkt. Entsprechend ist
der fluch auf dem schwert abgeändert. Er betrifft den tod des sohnes
durch den vater. Dass er aber ursprünglich in dem dienst des kampfes
der brüder gestanden hat, geht daraus hervor, dass auch hier Äs-
mund das schwert aus dem see holt. Im weiteren verlaufe tritt die
gegnerschaft zwischen Asmund und Hildebrand zurück, wenn sie auch
keineswegs vergessen ist. Doch wird Hildebrands söhn zum haupt-
gegner und das ganze gedieht zu einer fehde Asmunds gegen Hilde-
brands geschlecht. Allein kann Asmund weder Hildebrand noch Gri-
mur besiegen und bringt es darum dazu, dass vater und söhn sich
unerkannt gegenübertreten, und dass der vater den söhn mit dem
fluchschwerte tötet. Das heisst also, das fser. lied unternimmt eine
wirkliche und organische Verarbeitung der beiden stoöe, des nordischen
bruderkampfes und des deutschen sohneskampfes. Es fragt sich, wie
sich die fser. Version darin zu den alten nord. quellen verhält.
Die einmischung des deutschen Hildebrandstoffes in die nord.
erzählung ist ja bekanntlich in den nord. quellen bereits vollzogen.
Boers versuch, sie aus Saxo hinauszuinterpretieren und alles, was auf
deutsche sage deutet, als zutat des sagamannes zu fassen, ist verfehlt.
Niemand kann die entscheidenden verse in Hildelfrands sterbelied bei
Saxo hinwegleugnen ; die deutsche sage ist auch bei Saxo da. Und
es kann kein zufall sein, dass diese andeutungen in den alten quellen
dieselbe szene betreffen, die ausführlich im Hede dargestellt wird.
Diese szene muss in der nord. Asmunderzählung also schon relativ
alt und fest sein. Das lied verbindet die erzählung von Asmunds
gegnerschaft gegen Hildebrand mit dem motiv vom tode des sohnes
1) Vgl. Grimm, Mythologie» 437; Finlands svenska folkdigtning bd. VII,
464 ff. ; Bolte und Polivka, anmerkungen I, 368 ff. Vor allem in der grossen fin-
landschwedischen materialsammlung beachtenswerte angaben über die Verwendung
des namens 'wechselbalg' für kinder mit körperlicher, namentlich gesichtsent-
Btellung.
176 H. DE BOOK
durch den vater in sehr geschickter weise, indem es zugleich das
motiv von Äsmunds inferioritUt festhält und ausbaut. Nach allen
Erfahrungen über die entstehungs weise der fser. tanzballaden kann
nicht angenommen werden, dass diese kombination eigentum des
balladenverfassers sei. Nicht organische Weiterentwicklung und Ver-
bindung, sondern mangel an gestaltungskraft, gebundenheit an die
quelle, formelfreudigkeit und unbekümmertes stehenlassen von Wider-
sprüchen sind für diese gattung charakteristisch, und Snj. kv. fällt
aus ihrem rahmen in nichts heraus. Wo wir bewusste stofformung
sehen, wie hier, müssen wir sie der quelle des liedes zurechnen. Und
diese quelle, die in ihrem vorderen teil in so vielem genau mit der
nord. Asmundsage übereinstimmt, dürfte eine andere und erweiterte
fassung der Asmundarsaga gewesen sein. Dass dieser schluss des fser.
liedes tatsächlich mit dem alten schluss der saga zusammenhängt,
dafür erhalten wir ein erwünschtes zeugnis in Saxos versen des
sterbenden Hildigerus, die der saga fehlen:
Sed qucecunque ligat Parcarum praescius ordo,
Qucecunque arcanum s^wperce rationis adumbrat,
Seil qiice fatorum serie prcevlsa tenentur,
Nulla caducarum verum conversio tollet.
Hierzu vergleicht sich die klage des sterbenden Hildebrand im
fsBr. lied:
Str. 447. Satt er tad tä talad er,
so er greint ifrä:
eingin ger ad forvitnast,
hvnt nornur leggja d.
In beiden quellen ist es der unselige tod des eigenen sohnes ',
nicht der eigene tod durch bruderhand, der beklagt wird.
Wir erhalten somit eine form der erzählung, die beträchtlich von
der bekannten nordischen form abweicht, indem sie die anleihe bei der
deutschen sage bewusst verwertet und ausgestaltet^. Viel mehr als das,
was aus der Version der saga noch hervorgeht, braucht diese fassung von
der deutschen dichtung nicht gekannt zu haben. Der name des Hilde-
brandsohnes Grimur entspricht nicht der deutschen sage und ist, wie
stets die fser. namensüberlieferung, wertlos. Dass in der saga Hilde-
1) Dieser schluss macht es gleichzeitig verständlich, warum die nornenformel
im eingang des liedes statt der zwerge eingetreten ist.
2) Die möglichkeit einer solchen fassung erwägen ohne kenntnis des faer.
liedes flüchtig die Eddica rainora s. XLIV,
DIE NORDISCHE UND DEUTSCHK HILDEBRANDSAGE 177
brand und sein söhn unerkannt zusammentreffen, wie in dem liede,
geht doch wohl aus dem öviljnndi der str. III, 6 hervor und entspricht
übrigens ja nur sehr zum teil der deutschen sage. Vielleicht setzt
die formel, mit der die kämpfer von Asmund zum kämpf gegen
Grimur aufgefordert werden, deutsche Vorstellungen voraus:
str. 370 u. ö. : 'Tad hyr ein kempa i skögnmn biirt!
Dazu vergleiche man den jeweiligen beginn des kampfes:
Str. 361: 'Grimur kom ür skögnum ut' ;
ferner str. 375 u. ö. : 'ridu so i skögvin burt,
sum Grimur fyri sc/t.
Str. 405 u. ö. : eg skal eftir i skögnum sita,
mcer leingist ikki at bida.
Str. 425: Grimur droymdi droymin tann
i skögnum sum kann lä.
Man sieht hier eine durchgängige Vorstellung, dass Grimur im
walde haust und dass er, wie der ausdruck : 'sum Grimur fyri sat'
schliessen lässt, hier eine art wächteramt ausübt. Da nichts im Zu-
sammenhang einen aufenthalt Grimurs im walde ohne wissen des
vaters voraussetzt, so liegt es nahe, an die deutsche szene des Zu-
sammentreffens von vater und söhn zu denken, wie es die sagenform der
J)iörekssaga und des jüngeren Hildebrandsliedes ausmalt. Vor Bern ein
grosser wald, an dessen rande — als Hildebrand Bern von ferne sieht —
Hildebrand mit seinem söhne zusammentrifft, der als herr über Bern
wacht. Diese Situation ist unabhängig von dem sonstigen Zusammen-
hang als geschlossenes bild erhalten geblieben.
Zweifelhaft kann man über einen weiteren punkt sein. In dem
tättur ^stridid i Hildardali' erscheint str. 11 und öfter die bezeichnung
'meistarin Hildibrandur . Diese bezeichnung beschränkt sich indessen
auf diesen einen tattur, der überdies inhaltlich von den übrigen ab-
weicht. Asmund kommt darin überhaupt nicht vor. Der inhalt ist
vielmehr ausser Grimurs brautwerbung vor allem ein kämpf von
Hildebrand und Grimur gegen die vier beiden Geyti, Virgar, Norna-
gest und Sigurd, also eine art Rosengartenmotiv. Es ist daher nicht
unwahrscheinlich, dass dieser tattur als ein fremder bestandteil in das
lied gekommen ist, und den namen 'meistarin Hildibrandur' mit sich
geführt hat.
Sonst fehlt jede weitere kenntnis deutscher Hildebrandsage.
Weder Hildebrands langes exil und seine heimkehr, noch der seelische
konflikt, dass der vater den söhn erkennt und doch kämpfen muss,
noch vor allem Hildebrands einordnung in die Dietrichsage spielen
178 H. DE BOOK
eine rolle. Der kämpf selbst ist im liede in üblichen formein dar-
gestellt, wir können über ihn nichts mehr erfahren. Der söhn bleibt
dem vater unbekannt, erst an der leiche erfährt Hildebrand, wen er
erschlagen hat. Wir haben also keine veranlassung, selbst wenn man
den ^mei>iPn-i Hildihrandur nicht ausschaltet, eine besondere deutsche
quelle vorauszusetzen, aus der das faeröische lied geschöpft hätte.
Eine solche wäre auch schwer zu finden. Die p>idreks8aga hat be-
kanntlich die versöhnende darstellung des jüngeren Hildebrandliedes.
In der dänischen dichtung existiert nur eine Übersetzung des jüngeren
Hildebrandsliedes. Direkter einfluss deutscher quellen ist vor dem
XV. Jahrhundert nicht anzunehmen (vgl. Arkiv 36, 249 und 297 ff.)
und ein so langes nachleben der tragischen form in Deutschland ist
wenig wahrscheinlich. Wir werden auf eine ausführlichere Äsraundar-
saga zurückverwiesen. Ihr Inhalt ist im fser. lied nicht unentstellt
geblieben. Über dem Interesse für Hildebrand und seinen söhn ist
das Verhältnis Hildebrands und Asmunds ungebührlich zurückgedrängt.
Ihr bvuderverhältnis ist vergessen, für Asmunds gegnerschaft gegen
Hildebrand besteht kein grund als Asmunds allgemeine rauflust. Erst
als Asmund von Hildebrand überwunden, aber am leben gelassen
worden ist, kann man Asmunds eifer, vater und söhn gegenseitig zu
verderben, durch seine verletzte parvenu-eitelkeit erklären. Der
kämpf Hildebrands mit Äsmund endet nicht mit Hildebrands tod,
dieser wird vielmehr nach dem tode des sohnes mit der häufigen formel
abgetan : 'hau qjrakk af hanni'. Daher ist das motiv der Weigerung,
mit Asmund zu kämpfen, auf Hildebrands söhn übergegangen. Die
entwicklung in dieser richtuug, die lediglich einen verlust von erzählungs-
teilen bedeutet^ kann der sagaquelle noch nicht zugerechnet werden.
8ie ist erst im fser. liede geschehen und kann gut dort geschehen sein.
Der schluss der saga hat also etwa folgende gestalt gehabt: Hilde-
brand erkennt in Äsmund seinen bruder und versucht dem kämpf mit
ihm auszuweichen. Nachdem Asmund Hildebrand nicht zum kämpf be-
wegen kann, bewirkt er, dass Hildebrands söhn ihm gegenübertritt,
der aus irgendeinem gründe dem vater unbekannt ist. Die nennung
des namens wird verweigert (wie in der deutschen Hildebrandtradition,
l^iörekssaga, jg. Hildebrandlied). Hildebrands söhn fällt; als Hilde-
brand erfährt, was geschehen ist, stürzt er in den kämpf gegen As-
mund und fällt neben dem toten söhne durch den streich des fluch-
schwertes. Sterbend offenbart er sich seinem bruder. Das ist dann
die Situation, die Hildebrands sterbelied voraussetzt, so wie es in der
saga steht, der sterbende vater neben dem toten söhn. Saxo hat
DIE NORDISCHE UND DEUTSCHE HILDEBRANDSAGE 179
die verse missverstanden und sie so übersetzt, dass das bild des toten
Sohnes auf dem schilde Hildebrands abgebildet ist^ Er ist auch hier
unzuverlässig. Schliesslich fällt auch auf die scheinbar so ungereimte
notiz der saga licht, dass Hildebrand vor seinem kämpf mit Äsmund
seinen söhn in einem anfall von berserkerwut getötet habe. Sie ist
nicht eine törichte abstraktion aus den verszeilen über den tod des
sohnes, sondern eine ungeschickte notiz, die den Inhalt einer längeren,
fortgelassenen erzählung ganz kurz zusammenfassen soll.
Die abgrenzung des deutschen einflusses in der erzählung von
Asmund und Hildebrand ist durch Boer ziemlich genau geschehen.
Es ist zunächst der tod des sohnes durch den vater und alles, was
damit zusammenhängt. Insbesondere ist auf die sprachliche parallele
'suasdt chind - sonr enn svdsi' schon früh aufmerksam gemacht worden.
Hierher gehört auch die im fser. lied häufiger erwähnte gattin Hilde-
brands. Die saga erwähnt nur, dass' Hildebrand mit einem könig
verschwägert war, der in den beiden fassungen der saga Laszinus
oder Atli genannt wird. Für ihn kämpft Hildebrand mit den Sachsen-
herzögen. Die erwähnung dieser schwagerschaft - der im fser. lied
die schwagerschaft mit Snjölv entspricht - ist eine andeutung der
sonst vergessenen ehe Hildebrands, der jener söhn entsprungen ist.
Im faer. lied heisst diese frau Silkieik. Das ist einer der vielen
phantastischen frauennamen der fser. balladendichtung. Aber in dem
tattur: 'Stfktict t HildardaW wird Grimur mehrfach als 'HUdarsonur'
bezeichnet. Diese bezeichnung ist um so auffallender, als der name
Silkieik für die mutter daneben durchgeführt ist. In solchen patro-
nymischen formein pflegen alte namen besonders festzusitzen. Bekanntlich
verwendet nun die saga in ihrer prosa anstatt des durch Saxo und
die verse in der saga selbst bezeugten namens für die mutter Hilde-
brands und Äsmunds den Namen Hildr. Denselben namen finden
wir in der genannten patronymischen formel im fser. lied für Hilde-
brands frau. Da seine Verwendung in der saga falsch ist, werden
wir berechtigt sein, ihn auch dort für die frau Hildebrands in anspruch
zu nehmen, die der sagaschreiber unberücksichtigt Hess, und deren
namen er fälschlich auf Hildebrands mutter übertrug. Deutliche spuren
also finden sich, dass die geschichte von Hildebrand und seinem söhn
in Vorstufen der saga eine grössere rolle gespielt hat.
Zur deutschen Hildebrandsage gehört ferner alles, was Hilde-
1) Heusler-Ranisch, Eddica minora s. 54 wollen mit Corp. pogt. bor. die Tor-
stellung Saxos in die saga übernehmen. Dazu liegt so wenig anlass vor, wie zu
den ad hoc gemachten konjekturen des Corp. poet. bor.
180 H. DK BOOR, DIE NORDISCHE UND DEUTSCHE HILDEBRANDSAGE
brand mit den Hunnen zusammenbringt. Boer, dem Finnur Jönsson
a. a. 0. auch hierin folgt, interpretiert mit recht die schon besprochene
Str. VI der saga so, dass Asmund darin als der Vorkämpfer der dort
erwähnten Hunme<jir, der Hunnen erscheint. Dem entspricht es,
wenn bei Saxo Haldanus für die 'Rutheni' kämpft. Asmund als
Hunnenkämpfer gehört zu dem nordischen bestand der sage. Hilde-
brand der Hunnenkämpe ist deutscher import. Er erscheint in den
versen in str. IX, die Boer deswegen mit unrecht aus der saga
streichen wollte. Dort wird Hildebrand auch als: ^enn häri Hüdihrandr'
bezeichnet. Auch das ist deutsche auffassung und passt nicht zu der
Vorstellung von zwei brüdern, deren einer eben auf freiersfahrt ist.
Deutscher Vorstellung entspricht es schliesslich, wenn Hildebrand als
landloser flüchtling gedacht wird. Saga und Saxo stimmen darin
überein ; am klarsten erzählt es Saxo. Hildigerus wird verbannt,
flüchtet und kommt zu Alverus von Schweden, der ihm eine tyrannis
gibt und als dessen mann er gegen die Ruthenen ficht. Setzen wir
an stelle des Alverus von Schweden den Atli der saga, Hildebrands
Schwager, in dessen diensten der selbst landlose Hildebrand kämpft,
so haben wir deutsche sage. Hildebrand, der grauhaarige kämpfer
der Hunnen, als landesflüchtig an Attilas hofe, kämpft unerkannt mit
seinem söhne und tötet ihn. Das ist der bedeutende deutsche anteil
an der ältesten erreichbaren nordischen erzählung ].
Zieht man ihn ab, so bleibt aus den drei quellen zusammen etwa
folgende nordische geschichte übrig. Ein könig hat ein seh wert, an dem
Unheil haftet, und das er deswegen im see versenkt. Seine tochter
Drött hat in echter ehe einen söhn Hildebrandr, wird dann geraubt
und gebiert in gezwungener, unechter ehe einen söhn Asmundr, der
wegen seiner herkunft und seines aussehens einen schmählichen bei-
namen trägt. Bei seiner Werbung um eine königstochter deswegen
abgewiesen, schwört er, diesen namen durch taten auszulöschen. Er
ertaucht das versenkte schwert und zieht auf kriegstaten aus. Im
1) Zu den zeugniBsen der deutschen herkunft der nordischen Hildebrandsage
rechnet Detter in seiner ausgäbe (s. XLIV) die lokalisierung von Hildebrand (resp.
Beines 'ßchwagers Laszinus-Atli) an Rhein und Mosel {Masshella =■ latein. Mosella),
die bei Saxo fehlt. Kauifmann a. a. o. 165 f. tut diesen unterschied als inhaltlich belang-
los bei Seite, es ist ein unterschied des romantischen (saga) gegenüber dem wikingi-
schen (Saxo) Stil. Darin liegt etwas richtiges und schiefes zugleich; auch die saga
hat die 'wikingische' lokalisierung Dänemark, Schweden, Saxland ; die aus dem
rahmen fallenden beiden romantischen lokalitäten Ehein und Mosel sind äusserlichster
anflug. Ihr Zusammenhang mit der deutschen, eingedrungenen Hildebrandsage ist mir
sehr zweifelhaft. Sie dürften angeflogene gelehrsamkeit des sagaschreibers sein.
OKSSENICH, DIE ELISABETHLEGENDE IM GEREIMTEN PASSION AL 181
dienste der Hunnen nimmt er die herausforderung Hildebrands zum
Zweikampf an. Da Hildebrand sein Verhältnis zu Äsmund kennt,
weicht er dem kämpf aus unter dem vorwande, mit dem unberühmten
nicht kämpfen zu können. Asmund überwindet in steigernden helden-
taten Hildebrands kämpen, so dass Hildebrand schliesslich dem kämpf
sich nicht entziehen kann. Mit dem unheilsschwert erschlägt Asmund
den bruder, der sterbend ihr Verhältnis offenbart. Asmund zieht heim
und heiratet die umworbene königstochter.
GREIFSWALD. H. DE BOOR.
(Fortsetzting folgt.)
DIE ELISABETHLEGENDE IM GEREIMTEN PASSIONAL.
Für die heiligenlegenden des Passionais ist die Legenda aurea
des Jakobus a Voragine verschiedentlich als quelle nachgewiesen worden.
J. Haupt hat in seinen abhandlungen über das Väterbuch und das
Märtyrerbuch (W.Sb. phil. bist. cl. 69, 71-146; 70, 101-188) den be-
weis erbracht, dass der Verfasser des Passionais in ausgiebigster
weise die Legenda aurea benutzte. Wichner untersuchte (Zeitschr.
10, 255 f.) genauer die beiden legenden von St. Jakobus und St. Thomas
in bezug auf ihre abhängigkeit von der Legenda aurea. Fr. Wilhelm
unterzog die Thomaslegende einer nochmaligen Untersuchung und be-
richtigte die resultate Wichners, indem er neben der Leg. aur. auch
die Passio Thomae als mögliche quelle hinstellte (Deutsche legenden
und legendäre, Leipzig 1907, s. 59 ff.). Zuletzt gab E. Tiedemann,
Passional und Legenda aurea (Palaestra 87, Berlin 1909) eine stilistische
Untersuchung des Passionais, nachdem er in der einleitung kurz auf
die quellenfrage eingegangen war. Er schaltete die Elisabethlegende
aus seiner stilistischen Untersuchung aus, weil hier der dichter des
Passionais frei mit dem texte des Jakobus verfahren sei, im gegen-
satz zu den übrigen legenden, die einen ziemlich genauen, stellenweise
fast wörtlichen anschluss an die quelle aufweisen (s. 15). Diese be-
merkung Tiedemanns führte mich zu einer quellenuntersuchung
für die Elisabethlegende des Passionais.
Jakobus a Voragine schrieb die Elisabethlegende, mit der er
Wundererzählungen hauptsächlich nach dem bericht von 1235 verband,
vollständig nach dem kürzeren text der Dicta quatuor ancillarum im
jähre 1290 nieder (A. Huyskens, Der sogenannte Libellus de dictis
quatuor ancillarum s. Elisabeth confectus [1911] s. XXXI). Fr. Wilhelm
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XLIX. 13
182 OE^tSENICH
stellte zwar die abfassuugszeit der Legenda aur. als noch nicht feststehend
hin, auf jeden fall aber vor 1298, dem todesjahre des Jakobus; wahr-
scheinlich ein Jahrzehnt früher, da das Passional vor 1300 geschrieben
sein rauss, weil handschriften aus dem 13. Jahrhundert erhalten sind ').
Ein flüchtiger vergleich der Elisabethlegende des Passionais mit
dem entsprechenden abschnitt der Leg. aur. liess erkennen, dass die
Legende des Jakobus dem Verfasser des Passionais wohl kaum als
quelle vorgelegen hat. Sie schien auf jeden fall stark gekürzt und
verändert zu sein. Das Studium der lateinischen quellen liess mich
in einer kürzeren und präziseren Vita als die des Jakobus eine mög-
liche vorläge für den dichter des Passionais vermuten. Diese Ver-
mutung bestätigte sich bei einem genauen vergleich : für den grösseren
teil der Passionallegende ist nicht die Leg. aur. die quelle, sondern
der kurze lebensabriss der hl. Elisabeth von Konrad von Marburg,
den A. Huyskens in den Quellenstudien zur geschichte der hl. Elisa-
beth (Marburg 1908) veröffentlicht hat. Dieser lebensabriss des
K 0 n r a d , der älteste bericht über das leben der hl. Elisabeth, wurde
ein jähr nach ihrem tode (f 1231) niedergeschrieben und zwar findet
er sich beigefügt einem briefe Konrads an den papst Gregor IX.
zwecks heiligsprechung der Elisabeth mit einem bericht über die
wunder an Elisabeths grab. Diese 'Summa vite' (Huysk. s. 156)
wanderte ein zweites mal nach Rom als amtlicher bericht einer päpst-
lichen kommission (s. 82/83), zusammen mit einem neuen wunder-
bericht der kommission. So sind zwei typen der lebensbeschreibung
entstanden, der urtypus und die inserierte form der kommission.
Huyskens behauptete a. a. o. s. 83: Soweit mir das material be-
kannt ist, steht der urtypus, wie ihn die Rommersdorfer abschrift
wiedergibt, gänzlich vereinzelt da und ist nie wieder literarisch
verwertet worden. Dagegen hat die andere, inserierte form als-
bald eingang in die Elisabethliteratur gefunden, natürlich aber nur
zusammen mit dem wunderbericht der kommission (z. b. in der nur
aus Bayern bekannten lebensbeschreibung). Von den vielen Um-
formungen des berichts von 1235, die bald nach der heiligsprechung
entstanden, hat sonst keine das werk Konrads benutzt, da sie eben ihrer
arbeit alle lediglich die prozessakten von 1235 zugrunde legten. Erst
1) Dietrich von Apolda vollendete seine Vita 1297, also höchst wahrscheinlich
nach abfassung der Legende des Jakobus (f 1298) und damit der Legende des
Passionaldichters, so dass also eine abhängigkeit der Passionallegende von Dietrich
und dessen Übertragung vom sogenannten Verfasser der Erlösung nicht in betracht
kommen kann.
DIE ELISABETHLEGENDE IM GEREIMTEN PASSIONAL 183
Dietrich von Apolda griff wieder auf unsere biographie zurück, und
zwar zusammen mit dem umgebenden berichte der kommissare. In
der Elisabethlegende des Passionais haben wir aber eine Übertragung
der 'Summa vite' vor uns, losgelöst von dem wunderbericht. Damit
lässt sich also die behauptung von Huyskens nicht mehr aufrecht
erhalten. Eine andere frage ist die, in welcher form wohl dem
Passionaldichter die 'Summa vite' vorgelegen hat, ob im urtypus oder
in der inserierten form. Die folgende Untersuchung erweist die zweite
möglichkeit als wahrscheinlich. Wenn der wunderbericht in der Über-
tragung fehlt oder nicht berücksichtigt ist, so ist damit noch nicht
bewiesen, dass er auch in der quelle nicht vorhanden war.
Wie bereits erwähnt, lässt sich für einen grossen abschnitt der
Passionallegen de die benutzung der 'Summa vite' Konrads nachweisen,
und zwar ist dieser teil der Passionallegende die genaue wiedergäbe
des lebensabrisses seinem ganzen umfang nach, von anfang bis zu
ende, in bezug auf reihenfolge des erzählten, inhalt und Wortlaut.
Es ergibt sich demnach die abhängigkeit der Passionallegende
von Konrads lebensabriss für folgende abschnitte:
Pass. K. 621, 29-Pass. K. 625, 30 = Konrad Huysk. s. 156
Duobus annis antequani mihi commendaretur . . . confessor eins extiti
. . . bis s. 159 tandem, cum tempiis mortis immmeret . . ., bis zu dem
bericht von Elisabeths krankheit und tod. Es folgt ein ein seh üb:
Pass. K. 625, 31-Pass. K. 627, 36. Von hier an richtet sich die
Passionallegende wieder nach dem bericht Konrads bis zum schluss:
Pass. K. 627, 36-628, 81 = Konrad, Huysk. s. 159 Tandem cum tem-
pus mortis immineret . . . bis s. 160 ende.
Für den anfang der Passionallegende, den bericht über Elisabeths
Jugend und ihre Verheiratung und ehe mit Ludwig = Pass. K. 618, 1
bis 621, 28 kann natürlich Konrads lebensabriss nicht in betracht
kommen, da dieser nichts entsprechendes bietet und erst mitten im
leben der Elisabeth mit der Schilderung der hungersnot beginnt. Es
bleibt demnach die aufgäbe für den anfang und für das oben er-
wähnte Zwischenstück Pass. K. 625, 31-627, 36 die quelle nach-
zuweisen. Es liegt nahe, an die möglichkeit zu denken, dass für
diese abschnitte die Leg. aur. in betracht komme. Aber diese Ver-
mutung bestätigt sich nicht in dem sinne, wie z. b. die Vita Konrads
als vorläge anzusehen ist. Dass der Verfasser auch die Elisabeth-
legende der Leg. aur. gekannt hat, ist wohl selbstverständlich, dass
sie ihm aber bei der niederschrift der Legende vorgelegen hat und
18*
184 OES.SENICH
dass er sie wörtlich benutzt hat, l'ässt sich durch einige beispiele
wahrscheinlich machen, nicht direkt beweisen.
Die trage, welche quellen und welche einflüsse für den anfang
und für den einschub in betracht kommen, wird eine eingehende
analyse beantworten und dabei gleichzeitig die arbeitsweise des
dichters beleuchten.
618, 1-619, 2.
Dieser abschnitt erzählt von Elisabeths Jugend, von ihrer kind-
lichen frömmigkeit und der erwählung des apostels Johannes zum
besonderen Schutzpatron. Davon berichtet auch Jakobus (Graesse
s. 753). Es handelt sich wohl hier um eine freie wiedergäbe dem
sinne nach, um eine kurze Inhaltsangabe. Die wiedergäbe der Über-
leitung zu der erzählung von der wähl des apostels Johannes, die
reihenfolge und der Wortlaut machen es sehr wahrscheinlich, dass dem
Verfasser die Leg. aur. vorgelegen hat. Man vergleiche Pass. K. 618,
56 f. sus wuchs si uf an schönem vride — an zucht, an lobelicher
gir — und gotes gen ade was an ir — mit der ir leben ie zunam
mit Leg. aur. s. 753 : Crescens vero per aetntem femporis et crescebnt
amplhis per affectum derotionis. Der erste satz der Pass. Leg. könnte
freie Übertragung des ersten satzes der Leg. aur. s. 753, die reihen-
folge 618, 37 'kirche' und 618, 44 'cwpclW einfluss der Leg. aur. sein,
wo auch im ersten satz von einer eccle^ia und im folgenden von
einer cappella die rede ist. Im übrigen ist die erzählung summarischer
behandelt. Während in der Leg. aur. unbestimmt bleibt, wo Elisabeth
ihre Jugend verbringt, hat der Pass. dichter offenbar das bestreben,
uns darüber nicht im unklaren zu lassen, indem er erzählt, dass
Elisabeth zusammen mit dem landgrafen Ludwig aufgewachsen ist,
dem sie schon in ihrer kindheit zur gattin bestimmt wurde (618, 12-21).
Die verse 618, 26-29
die edele, die geneme
das reine leint, das gute kint
tet rehte als si were Idint
an dirre iverlde wunne
erinnern an Leg. aur. s. 753 . . . coepit . . . ludos spernere vanitatis,
successus prosperos fugere mimdi. In dem bericht über die erwählung
des apostels Johannes 618, 60-619, 2 finden sich abweichungen. Es
ist in der Leg. auf. s. 753 die rede von 'singulae schedulae singu-
lorum apostolorum 7iomi)ribus inscr/piäe', die auf den altar gelegt
wurden. Das Pass. erzählt aber von einem andern brauch bei der
wähl, von 12 lichtem, aus denen Elisabeth dreimal das licht, das
DIE ELISABETHLEGENDB IM GEREIMTEK PASSIONAL 185
Johannes bedeutet, herausgreift (618, 71 flf.). Woher stammt dies?
In dem Libellus de dictis (Huysk. s. 13 z. 308 fif.) heisst es: Unde
cum secundum consuetudinem do7ninarum omnium ayostolornm nomini-
bi(s vel in candelis vel in carta Script is singulariter simidque
super altare mixtim compositis, singulos sihi apostolos sorte eligentihus
ipsa beata Elis, oratione fusa secundum suum votum tribus vicibus
Sorte beatum Johannem recepit apostolum . . . Jakobus gibt demnach
nur den einen brauch mit den karten wieder. Vielleicht liegt bei
dem Pass. dichter eine reminiszenz an die betreffende stelle des Libellus
vor, wo auch von kerzen die rede ist. Dass der Pass.dichter den
Libellus benutzt hat, wird die weitere Untersuchung zeigen. Auffällig
bleibt immerhin, dass er gerade den brauch mit den kerzen auswählte,
man könnte daran denken, dass er ihn aus eigener anschauung kannte.
Wenn man nämlich vers 618, 69 der Pass.leg. als man hüte pflit
nicht als flickvers ansehen will, so wäre damit der brauch in dieser
bestimmten form für die zeit des Verfassers erwiesen.
619, 3-60.
In diesem abschnitt wird erzählt von der heirat Elisabeths mit
Ludwig, von ihrer bussfertigen ehe, von ihrem gebet und ihren
geisselungen. Davon berichtet Leg. aur.'s. 754: Consensit igitur licet
invita in copulam conjugalem, non ut libidini consentiret. Vgl. Pass.
K. 619, 16-23; Leg. aur. s. 755: In nocte ad orationem saepe sur-
gebat . . ., s. 756: saepe etiam per manus ancillarum faciebat se in
cubiculo fortiter verberari. Unmittelbar beisammen finden sich gebet
und geisselung im Libellus (Huyskens s. 21 z. 565 ff.): Item beata
Eliz. noctibus frequenter ad orationem surgebat . . . und s. 22 z. 600 ff.:
Item surgens a viro in secreta camera fecit se fortiter verberari . . .
Es werden sogar die tage angegeben, an denen sie sich besonders
gern geissein liess (z. 607 f.): Prius tamen in quadragesima et feriis
sextis quandoque idem fecit occulte; ebenso wie Pass. K. 619, 40 ff. :
des vritages allermeist — liez si wol durchvilloi sich — und darüber
sunderlich — vo-r ostern in der vaste. Dieser hinweis fehlt Leg. aur.,
die unmittelbare aufeinanderfolge lässt darauf schliessen, dass der
Pass.dichter sich hier nach dem Libellus gerichtet hat; vgl. ferner in
secreta camera Lib. z. 601 mit Pass. K. 619, 32 si gienc an heim-
liche stat.
619, 61-620, 34.
Die verse stellt der dichter unter den gesichtspunkt der demut
uad barmherzigkeit, die Elis. in ihrer ehe übte. Elis. geht in ein-
186 OESSENICH
facher kleidung zur kirche 619, 70 ff., (dasselbe wird in der Leg,
aur. 8. 754 von Elisabeth als Jungfrau berichtet); sie geht nicht an
einen besonderen, vornehmen platz, sondern sie bleibt mitten im volke
619, 80 f. (nicht in Leg. aur.). Elis. übt die 7 leiblichen vs^erke der
barmherzigkeit (619, 93 ff.), sie lässt die armen zu sich auf die bürg
kommen, kleidet und speist sie (620, 23 ff.). Man vergleiche dazu
Leg. aur. s. 756: Septem etihn miser/cord/ae operibus tota viyilaiitia in-
sudabat . . . Ipsa namque nudos vestiehat, siquidem vestimenta impen-
debnt nudis peregrinorum et panpcriim corporibus sep)eliey}dos et pneris
baptizandis. An diesen satz hielt sich auch der Pass.dichter; er be-
richtet allgemein, ohne auf beispiele einzugehen, dass Elis. sich der
waisen und armen annahm (620, 3), kranke pflegte (620, 5 f.), ge-
fangene erlöste (620, 10 f.), hat aber diesen abschnitt freigestaltet
unter dem gesichtspunkt der beiden tugenden, mit reminiszenzen an
die in betracht kommenden stellen der Leg. aur. und mit selbständiger
ausschmückung (z. b. 619, 80 ff.), wofür er keine vorläge brauchte.
620, 35-621, 28.
Diesen abschnitt könnte man in drei Unterabschnitte einteilen.
620, 35-75 : Elis. schmückt sich in anwesenheit ihres gatten,
aber unter ihren kostbaren gewändern trägt sie ein härenes hemd.
Die Leg. aur. bietet nichts entsprechendes; wohl aber der Libellus
(s. 23 z. 619). Cum vero mariti prescivit adoentum, soUempnkis ae
oniabat — und (z. 617): laneis vel cilicio (c/Z^c/imz = härenes hemd)
frequenter ad carnem indiäa, tiinc etiam cum desuper auratis vestibus
aut Purpura tegebatw. Dass Elis. ein busshemd getragen, ist franzis-
kanische tradition (Huyskens, Libellus s. XLII). Aber gerade diese
Verbindung von den beiden angeführten sätzen des Libellus in der
Pass.legende und die fast wörtliche Übertragung 620, 56 ff. : si truc
Christum enbinnen — under eime kleide herin - daz ir phlac zu
nehest sin — und ir den üb zu tugende baut. — Schar lachen
und sidengewant — hete sie yenuc dar obe . . . zeigen, dass der Libellus
dem Pass.dichter bei seiner arbeit vorgelegen hat, und zwar die
längere fassung des Libellus; denn diese stelle über den
kleiderputz und das busshemd der Elis. gehört zu den plusstellen der
längeren fassung.
620, 75-91 : Elis. fastet gerne bei wasser und brot. Die episode,
wie landgraf Ludwig seine gemahlin fastend antrifft, wie er auch,
ohne Elis. zu tadeln, von dem wasser nimmt und es ihm herrlicher
wein zu sein scheint, steht weder in der Leg. aur. noch im Libellus.
Wohl wird in beiden quellen des langem berichtet, dass Elis. nicht
DIE ELISABETHLEGENDE IM GEREIMTEN PASSIONAL 187
alle speisen zu sich nahm, besonders solche nicht, die ihr unrecht-
mässig erworben schienen (vgl. Libellus s. 18. 19. 20). Lib. s. 20.
z. 540 ff. wird von einer reise der Elisabeth mit dem landgrafen er-
zählt, auf der sie sich nur von wasser und brot ernährt habe. Mög-
licherweise schöpfte der Pass. dichter bei seinem bericht aus der dunklen
erinnerung an das im Libellus gelesene - oder es ist eine andere
tradition im spiele. Die version, wie sie das Pass. bietet, ist mir
nirgendwo sonst begegnet. Die Leg. aur. weiss von dem reisebericht
des Libellus nichts, dort heisst es s. 756: . . . nigrum imnem et durum
in aqua calida madefactum cum suis ancillis patienter comedit. Haec
autem vir suus oninia cum ■patientia supporfabat. Vielleicht liegt eigen-
willige Umgestaltung oder ausschmückung des Pass.dichters vor.
620, 91-621, 28: Wie Ludwig seine geniahlin ruhig fasten
lässt, so legt er ihr auch nichts in den weg, kranke, selbst an-
steckende, zu pflegen. Er wird darin bestärkt durch das wunder mit
dem aussätzigen, den Elis. gepflegt und in ihr gemeinsames ehebett
gelegt hatte, der aber beim hinzutreten Ludwigs verschwindet. Dies
findet sich weder in der Leg. aur. noch im Libellus, die histo-
rische berichte sein wollen. In der Pass.leg. ist wahrscheinlich,
ebenso wie in dem legendenhaften bericht von dem wasser, das
wie wein schmeckte, mündliche tradition massgebend. In den
späteren lebensbeschreibungen der hl. Elisabeth, die die münd-
liche tradition und sagenhaftes fixieren, taucht auch dieses wunder
von dem aussätzigen auf; z. b. in den Supplementen ad vitam s. E.
des Dietrich von Apolda, bei Mencken s. 1990 findet sich dieser
bericht, nur mit einem anderen Schlüsse; vgl. Hermann von Fritz-
lar, Deutsche mystiker I, 243; ferner Rothe bei Mencken c. 20.
8. 2060.
Von Pass. 621, 29 ab bildet der lebensabriss Konrads die
vorläge.
621, 29-622, 12 = Konr. Huysk. 156 bis s. 157: Duohus annis
. . . fuit inventa. Es wird von der werktätigen hilfe Elisabeths wäh-
rend der teuerung und hungersnot erzählt. In dieser zeit folgte der
landgraf Ludwig dem kaiser in 'ivelsche lant' 621, 35, in der Vita
genauer (s. 156): eodem tempore marito suo in Apuleam ad impera-
torem proficiscente ; in der Leg. aur. genauer s. 757 : ad curiam
Friderici imperatoris quae tunc erat Cremonae (nach Libellus, Huysk.
z. 761, s. 27). Zu diesem abschnitt ist nicht viel zu bemerken, da
der dichter sich bemüht, die Vita Konrads gewissenhaft zu übertragen.
Die Wirkung der hungersnot wird zuerst in einem allgemeinen satz
188 0E8SENICH
ausgesprochen Konr. Huysk. s. 157:' Jamjam soror E. yolleri cepit
virtutibus = 621, 45 f. seht, do liez sich schowen — an Elizahet der
viowen — ir tugentUche heiUkeit. In vergleichen und bildern ist der
dichter selbständig (621, 62 ff. 68 f. 80 f. 89 f.). Das wirken der
barmherzigkeit wird durch folgenden vergleich erklärt, Pass. K. 621,
62ff. : si leite einen vullemunt (fundament) - nach erbermede lere -,
der sunder aller kere — nnwicklich heldet s/neu grat — und eine vcste
huwen lat — uj im, die ewiclichen stat. - Selbständige Personifikationen :
Pass. 621, 68 f. seht, diz worhte irre fügende rat — mit helfe unseres
herren; oder 621, 80 f. der erbermede hitze, als ir goi erloubete,
Elizabeten beroubete . . . oder 621, 89 f. swaz si des indert bi ir vant —
daz roubete ir tizer hant — die starke barmeherzigkeit. Besonders an-
schaulich ist wiedergegeben Konr. Huysk. s. 157 : ut tandem omnem
cidtiim et omnes vestes preciosas in usus pauperum facerei venundari
= 621, 84ff. : daz si zu jungest muste geben — krönen, kleidere, vinger-
lin, — vurspan und tessielekin (knöpfe) — si suchte in ir heimote — der
gezierde kleinote.
622, 13-622, 73.
Zunächst wird berichtet, dass Elis. Konrad als ihrem beichtvater
gehorsam war. Davon steht natürlich an der stelle in Konrads Vita
nichts, weil wir es mit einem von Konrad selbst verfassten bericht
zu tun haben. Wohl beginnt Konrad seine Summa vite mit dem
hin weis, dass er zu lebzeiten Ludwigs bereits 2 jähre Elis.s beicht-
vater gewesen ist (Huysk. s. 156) : duobus annis antequam mihi com-
niendaretur, adhuc vivente marito suo, co7ifessor eins exstiti. Der
Pass.dichter musste an dieser stelle auf E.s Verhältnis zu Konrad
hinweisen, weil im folgenden in der vita Konrads von diesen be-
ziehungen weiter die rede ist. Der neue abschnitt in der Vita beginnt
nämlich mit dem hinweis darauf, dass papst Gregor IX. Elisabeth
ihrem beichtvater Konrad anempfohlen hat: Tandem ipsa marito suo
defuncto, dum vestra paiernitas eam miehi dignum duxisset commen-
dandam . . . Diese tatsache wird nun vom Pass.dichter näher erläutert
und ausgeführt (was ja für Konrad überflüssig war).
622, 34-55. Der Inhalt dieser zeilen braucht nicht auf einer
besonderen quelle zu beruhen ; denn die tatsacheu, die darin mitgeteilt
werden (der papst nimmt Elis. in seinen besonderen schütz und gibt
in einem briefe ihrem beichtvater Konrad noch besonderen auftrag),
waren allgemein bekannt. In der Leg. aur. steht davon nichts. An
den Wortlaut und die darstellung im Pass. 622, 46 f. der pabest sie
do an sich zoch - als ein vater tut sin kint - er hete ir guten schirm
DIE ELISABETHLEGENDE IM GEREIMTEN PASSIONAL 189
sint — und lerte $/ zu tilgenden phaden erinnert die betreffende stelle
in der um die mitte des 13. Jahrhunderts geschriebenen Vita Gregors IX.
(Muratori, Scriptores rer. Ital. III, 1 s. 580): Sanciissimus papa Gre-
gorius adhuc teneram et divini lactis inexpertnm suscepit in fiUam,
insfnixif devotam et coaluit verhi coelesfis irriguo iam provectam^.
Oder man vergleiche die entsprechende stelle im Franziskanerbrevier
bei Lemmens s. 9^: 'Hanc siquidem felix papa Gregorius nonus sus-
cepit in filiom, protexit devotam, eins sanctae inchoatio)üs propositiim
usqiie in felicem exitum tnulfa soUicitudine prosecufiis . . . Weniger
anklänge finden sich im Libellus der längeren fassting (s. 45 z. 1233 ff.).
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der Verfasser die Vita Gregors
kannte. Der schluss 622, 55-72 ist eine ausführung von Vita Konr.
(Huysk. s. 157) : ipsa ad sumtnam tendens perfectionem utrum in reclu-
sorio vel in claustro vel in aliquo alio statu magis posset mereri me
consultans.
. 622, 78-623, 36.
Das thema des letzten satzes des vorhergehenden abschnittes
wird fortgesetzt und der Umschwung im religiösen leben Elis. aus-
geführt: Elis. will arm sein und verzichtet feierlich auf häb und gut.
Die kurze angäbe des lebensabrisses (Huysk. s. 157): me consultans,
hoc tandem in animo suo resedit, quod cum multis lacrimis a me po-
poscit, ut eam permittereyn hostiatim mendicat'e — ist erweitert durch die
begründung dieses entschlusses 622, 78 ff. : si schowete an daz bilde,
daz unser lieber herre truc, da er uf erden von im sluc — vreude unde
richeit — und die rechten armeheit — hielt an sime lebene do. — Eli-
zabet wolde ouch also — arm alhie durch got wesen. Die indirekte
rede der quelle ist direkt geworden (622, 90 f.). Die zweite antwort
Elisabeths ist schon in der quelle direkt (623, 3 f.) - Huysk. s. 157:
Hoc faciam, quod me non potestis prohibere. Die feierliche absage
am karfreitag in der kirche (623, 6-36) ist fast in allen einzelheiten
eine genaue wiedergäbe von(H. s. 157): Et in ipso Parasceve, cum nudata
essent altnria {die altere stunden alle hloz Pass. 623, 10) . . . subveniri.
Die begründung, weshalb Konrad Elis. hindert, ihrer morgengabe zu
entsagen, ist wieder in direkter rede angeführt (623, 27 ff.).
623, 37-624, 28.
Dieser abschnitt behandelt die Übersiedelung E.s nach Marburg,
den bau des spitals, E.s krankenpflege, ihre dienstboten, in wörtlicher
anlehnung an die Vita Konr.s (H. s. 157): Quo facto ipsa videns se
1) Huyskens, Libellus s. 45 anm.
190 OKSSENICH
a tumultn seculi et gloria mundana illius tivre, in qua vivenlc tiiarifo
suo gloriose vixeraf, posse absorheri . . . bis (s. 158) dvtn enim oncilla
olus poraüit, domina scutellas lavii et e converso. Die antwort E.s
auf den verweis K.s {sibi necesse esse taliter contraria contrariis curare)
ist wieder in direkte rede umgesetzt: 623, 73 ff. Die arbeitsfreudig-
keit E.s steigerte der Pass. dichter noch (624, 24 ff.) : ob ez der niayet
was gewant — daz si karte daz vletze, — so warf uz bis zur letze —
den mist die vrowe und den staub.
624, 29-82.
1. Die pflege eines gichtigen und blutsüchtigen kindes 624,
29-47 ^ Vita K.s s. 158: Liter cetera collegit sibi ijuerum j^ralit/cum
... bis propriis manibus abluebat; 2. die pflege einer aussätzigen
frau 624, 48-67 = Vita s. 158: Quo mortuo inrginem sibi leprosam
me nesciente assumpsit . . . ; 3. die pflege eines am köpf aussätzigen
kindes 624, 68-82 = Vita K.s s. 159: Tandem leprosa per me rejecta . . .
bis stratui suo assedit. Die Übertragung erfolgt also genau in der-
selben reihenfolge und in fast wörtlicher anlehnung. Die anordnung
dieser drei werke der barmherzigkeit Hess mich zuerst in der Vita
K.s die quelle vermuten, weil die Leg. aur. (s. 763) nur einen bericht
von der pflege eines kranken knaben kennt und weil der Libellus
auch nicht massgebend sein konnte. Begründung wird hinzugefügt
(Vita 8. 159: Tandem leprosa per me reiecta = 624, 61 ff.). Die paren-
these Konrads (s. 159) in lavando quam in medicando — a quo didi-
cerit nescio — eins curam gessit ist nicht berücksichtigt worden. Im
übrigen ist auch dieser abschnitt eine wörtliche wiedergäbe der
quelle.
624, 83-625, 30.
Der dichter will das kontemplative leben der Elis. betonen,
gegenüber dem aktiven der vorhergehenden abschnitte. Dabei hält
er sich wieder an die Vita Konr.s (s. 159): Preter hec opera active
vite coram deo dico, quod raro vidi mulierem mag is contemplativam
quia quedam et quidam religiosi ipsa a secreto orationis veniente fre-
quentius viderunt faciem eius mirabiliter fidgentem et quasi solis radios
ex ocidis eius procedenies . . . reficiehattir. Der vergleich mit Maria
und Martha im Pass. zu anfang und zu ende des abschnittes (624,
87-95 und 625, 22-30) lag wohl nahe, besonders einem geistlich ge-
bildeten Verfasser. Er kann aber auch aus der Leg. aur. entnommen
sein, wo von Maria und Martha an zwei stellen die rede ist (s, 761 :
Caeierum, ut cum Maria opjtimam partem possideret, sedulae contem-
plationi vacabat und s. 762/63 : Ad summum vero ciimulum per/ectionis
DIE ELISABETHLKGENDE IM GEREIMTEN PA8SIONAL 191
propter Mariae contemplatlonis otium ?iO)t dexeruit Marthne officium
laborivsum).
625, 30-626, 36-627, 36.
In diesen zwei abschnitten handelt es sich um den einschub
in die Vita, die jetzt zum bericht über krankheit und tod der Elis.
übergeht. Der Pass. dichter will aber noch ein paar ergänzungen
machen, damit seine darstellung etwas vollständiger und abgerundeter
erscheine. In dem ersten abschnitt des ein Schubes (625,
30-626, 36) handelt es sich um die Schilderung der anfeindungen,
die Elis. von ihren einstigen anhängern erleidet (625, 31-75); der
demütigungen, die sie von denen erfährt, denen sie wohltaten erwiesen
(625, 75-626, 11); der Verleumdungen der weiblichen ehre der Elis.
(626, 12-626, 36). Der dichter scheint diese Schilderungen unter dem
einheitlichen gesichtspunkt zusammengefasst zu haben, der 625, 35 f.
angegeben wird: nii hiib sich an diz ivibesnam — der vient mit ubeler
tucke - tr schuf ir ungeluche, — daz zu gelucke ir doch geriet. Welcher
quelle folgt diese darstellung? Der erste bericht (625, 31-75) von
dem abfall der freunde und dienstmannen der Elis., von dem Verlust
ihrer äusseren guter gehört zeitlich nicht in die Marburger jähre, und
letzteres steht auch im Widerspruch mit der feierlichen freiwilligen
absage in der kirche, von der bereits die rede war. Die Leg. aur.
berichtet davon zeitlich an richtiger stelle, nämlich unmittelbar nach
dem tode Ludwigs (s. 758) : Verum cum mors viri sui per totam fuisset
Thuringiam divulgaia, de patria ipsa tamquam dissipatrix et prodiga
o quibusdnm vasalUs viri sui turpiter et totaliter est ejecta,
ut ex hoc ejus patientia claresceret et paiqoertatis diu conceptum desi-
derium obtineret. Dass sich der dichter hierin nach der Leg. aur.
gerichtet hat, könnte die reihenfolge beweisen. In der Pass.legende
wird weiter erzählt, dass Elis. ihre kinder von sich gab zu verwandten
(625, 56 f.), dass sie gezwungen war, um Unterkunft zu betteln (625,
60 f.), dass sie flachs und wolle spann für die armen (625, 63 f.).
Dann folgt 625, 76 ff. die episode mit der bettlerin in der gasse.
Zeitlich gehört dies alles nach Eisenach, unmittelbar nach Ludwigs
tod. Die Leg. aur. (s. 759) erzählt auch nach diesem ereignis von
der schlechten herberge der Elis.: Sequente die dumum cujusdam sui
aemuli cum suis parvulis jussa est ingredi, arto sibi loco ibidem ad-
modum assignato, dann einige Zeilen weiter: parvulos suos ad loca
diversa alendos transmisit; darauf folgt die episode in der gasse (Dum
vero per quandam vinm striciam luto profundo pleuam . . .). Eine
andere möglichkeit für die lösung der quellenfrage dieser stelle
192 OESSKNICH
bietet sich, wenn man noch den zweiten abschnitt des einschubes,
(626, 36-627, 36) in betracht zieht, der über eine vision der hl. Elis.
berichtet. Im Pass. steht dieser bericht an merkwürdiger stelle, er
hätte logischerweise schon vorher gebracht werden können, als von
dem kontemplativen leben E.s die rede war. Meiner meinung nach
ist hier die reihenfolge des Libellus massgebend gewesen. Dort
wird erzählt (s. 33 z. 940-1015) von der schlechten behandlung, die
Elis. von ihren verwandten und dienstleuten erfuhr, [ferner von der
undankbaren frau in der gasse. Im anschluss daran steht im Libellus
der bericht von der vision (s. 35 z. 1016-1078). Dieser bericht steht
in Leg. aur. nicht in diesem Zusammenhang, sondern an anderer stelle
s. 761). Dass für die vision der Wortlaut des Libellus massgebend
war, wird die weitere Untersuchung beweisen. Aus diesem umstände
kann man weiter schliessen, dass auch in bezug auf die reihen-
folge des erzählten in diesem abschnitt der Libellus als quelle zu
betrachten ist. Dass der Pass. dichter durch Leg. aur. in der reihen-
folge der ersten berichte bestimmt wurde, ist immerhin möglich.
Es bleibt noch übrig, für den dritten bericht der ersten hälfte
des einschubs, die Verdächtigungen der weiblichen ehre der Elisabeth
(626, 12-36), die quelle aufzuweisen. Im Libellus steht davon nichts
an dieser stelle; an einer späteren stelle (s. 45, z. 1216-1231) ist
nur von Verleumdungen usw. die rede: a magnatibus autem hominibus
terre contumelias, hlasphemia et magnum contemptum sustinebat . . .
insultantes et infamnntes eam multipUciter. In der Vita wird natürlich
nichts von diesen Verdächtigungen erwähnt; ebenfalls nicht in der
Leg. aur. Dass aber solche Verdächtigungen in die tradition über-
giengen, wird bewiesen durch ihre aufzeichnung in den Supplem. ad
vitam S. E. des Dietrich von Apolda (Mencken II, 2000): 'Videntes
autem qiiidam perversi spirifus carnaliter sentientes, quod sancta feminn
Magistro Conrado in omnibus obediret, coeperunt sanctos homines falsa
suspicione appetere et verbis itnpiis injamare . . .' Noch deutlicher bei
Herrn, von Fritzlar (Deutsche myst. I, 244 z. 24-30) und bei J. Rothe
(kap. 32; Mencken s. 2084). Der Verfasser des Pass.s mag durch
irgendeine tradition davon gewusst haben. Die version bei Herm.
von Fritzlar erinnert an die fassung der Pass.legende. Möglicherweise
schöpfte Hermann hier aus der Legende des Pass.
Der zweite teil des ein schubs handelt, wie bereits gesagt,
von der grossen vision der Elisabeth, (626, 37-627, 36). Im Libellus
steht diese vision (s. 35 z. 1016 if.), in der Leg. aur. s. 761: Quadam
vero die sacro quadrageMvHi^i iemporc . . .
DIE ELISABETHLEGENDE IM GEREIMTEN PASSIONAL 19«?
Ein vergleich ergibt, dass der Wortlaut des Libellus für den
Pass. dichter massgebend war. Eine gegenüberstellung der drei fassungen
für einige zeilen des Pass.s lässt die abhängigkeit sofort erkennen.
Pass. K. 626, 81 ff. Libellus z. 1016 ff.
do gierte si heim und was kranc Tandem cum reddisset ad humile
die selbe not si betivanc, hospitium suum et minimum ci-
daz si zu tische gesaz. bum sumpsisset quia valde de-
do si ein wenic alda gaz biliserat, cepit siidare et appo-
seht, do began si sivitzen dians se parieti recepta est in
und also nidersitzen sinn dicte Isentrudis . . . oculos
daz sie sich leinte an diewant. defixos habebat versus fenestras
ein vrowe entphienc si mit der hant. apertos.
ein venster gegen ir do stuni
dar uz sach si und sach.
Leg. aur. s. 761.
Deinde dimrnum reversa dum se prae debilitate in ancillae gremium
appodiasset et illa per jenestram oculos ad coelum deßxos attolleret . . .
Eine solch genaue Übertragung des Libellus, ist nur möglich, wenn
der Libellus dem Pass. dichter vorgelegen hat. Der dichter hat aber
den Inhalt der vision etwas umgestaltet. Während in dem Libellus
(wie auch in der Leg. aur. und den späteren Viten, z. b. bei Dietrich
von Apolda) nur von einer vision die rede ist, die in der kirche
beginnt und dann zu hause wieder einsetzt, berichtet der Pass.dichter
von zwei Visionen an zwei verschiedenen tagen. Die erste vision
umfasst die verse 626, 37-67. Der ort, wo die vision stattfindet,
ist unbestimmt gelassen. Christus erscheint der Elis., der himmel
öffnet sich, Jesus neigt sich zu ihr und grüsst sie, indem er die worte
spricht: 'Wenn du mein sein willst, so will ich bei dir sein.' - Die
zweite vision (626, 68-627, 36) findet in der fastenzeit statt, zunächst
in der kirche, dann zu hause, wie es der Libellus s. 35 f. erzählt.
Die Pass.steile ist eine wörtliche wiedergäbe der zeilen 1016-1047
des Libellus. Die Vision endigt mit dem versprechen der E., Christus
angehören zu wollen, wie er ihr. Im Libellus folgt dann (z. 1047 ff.)
die frage der Isentrud, was El. gesehen habe. Sie antwortet (z. 1055 ff.):
Vidi celnm apertum ei illum dulcem Jesum dominum meum incli-
nantem se ad me et consolantem me de variis angustiis et tribu-
lationibus que circumdederunt me, et cum vidi eum, iocunda jui et risi,
194 OES.SENICH, DIE ELISA HETHLEGENDE IM GEKEIMTEN PASSION AL
cmn vero vultum avertit, famquam recessurus, flevi. Qni misertus mei
iterum vultum suum serenissimum ad me convertit t/icens: Si tu vis
esse mecum, ego volo esse tecum. Ciii eyo respoudi, sicnt snpradictum
e /". Aus dieser antvvort der El. hat nach meiner nieinung der Ver-
fasser die erste vision gestaltet, wie die Übereinstimmungen zeigen.
Er hat auf diese weise die frage des herrn und die bejahende antwort
der Elis. auf zwei zeitlich auseinanderliegende Visionen verteilt.
Mit vers 627, 37 dess Pass.s kehrt der dichter zu seiner haupt-
quelle, der Vita Konrads zurück, um ihr bis zum schluss in fast allen
einzelheiten zu folgen. Es handelt sich jetzt noch um die darstellung
von E.s krankheit und tod (Huysk. s. 159: Tandem cum tempus mortis
immineret bis s. 160 ende . . . plehano de Marpnrg).
627, 36-43. gibt der dichter die Verknüpfung mit dem vor-
hergehenden, indem er noch einmal den Inhalt der letzten ab-
schnitte kurz zusammenfasst : daz sie phlac vü tiigetiden al uz und
innen. 627, 44 beginnt er dann wie Konrad: nu quam ouch nahen
ir die zit, daz sie sterben solde. Es folgt die wörtliche Übertragung
des berichts von K.s krankheit, nur fügt der dichter noch hinzu, dass
ihr der herr geoffenbart habe, dass sie vor Konrad sterben werde
(627, 54 f.). Ihre antwort auf die frage der umstehenden, weshalb
sie den besuch der edlen nicht zulasse, ist, wie meistens, aus der
indirekten in die direkte rede übertragen (627, 82 ff.) und ebenfalls die
antwort E.s auf die frage K.s, wie er mit ihrem hab und gut nach
ihrem tode schalten solle (628, 10-16). Es wird nicht gesagt, wo-
rüber Elis. nach empfang der wegzehrung redete 628, 23 f. : und rette
von den dingen — als sie vor mähte bringen — die uns uf gut leben
zien. Man vergleiche dazu Konr. s. 160: loquebatur de optimisj que
audierat in p)redicatione, et maxime de suscitatione Lazari et quomodo
Dominus flevit super eins suscitatione. Im folgenden wieder wörtlicher
anschluss an die quelle. Der vergleich 628, 41 f. als ob da vögele
sungen — und uf gedone erklungen ist zugefügt. Das erste wunder
am tage nach E.s begräbnis ist wörtlich wiedererzählt; nur weiss der
Pass.dichter von der 'kelsuchV (628, 73) zu berichten, während die
quelle nur sagt: quodam morbo mentali.
Die verse 628, 82 bis zum ende fügte der dichter hinzu,
indem er auf die andern wunder an E.s grabe noch kurz hinweist,
die oft genug beschrieben worden seien (628, 94).
Aus dieser letzten bemerkung könnte man vielleicht schliessen,
dass dem Verfasser die inserierte form des lebensabrisses von Konr.
vorgelegen habe, in der die aufzählung der wunder am grabe auf die
CONSENTIUS, AUS HEINRICH CHRISTIAN BOIES NACHLASS 195
Vita folgte, dass er dadurch zu der bemerkung veranlasst worden sei.
Beweisen lässt sich diese annähme natürlich nicht.
Ziehen wir die summe aus der vorgenommenen quellenanalyse,
so kommen wir zu folgendem ergebnis. Es lässt sich nachweisen,
dass dem dichter für den grösseren teil der Pass. legende die 'Summa
vite' Konrads von Marburg als quelle vorgelegen hat. Für den
teil der legende, wo der text des Konrad nicht massgebend sein
konnte, weil er nicht das ganze leben der Elis. umfasst, oder wo er
nichts entsprechendes bietet, wurde der Libellus de dictis qua-
tuor ancillarum und zwar in der längeren fassung als quelle
nachgewiesen, und wie sich aus bindenden Übereinstimmungen ergibt,
haben dem dichter die dicta ebenfalls bei seiner Übertragung vor-
gelegen. Nicht ebenso bindend Hess sich nachweisen, dass der dichter
die Legenda aurea während seiner arbeit unmittelbar vor sich
gehabt habe.
Daneben kommt die mündliche tradition in betracht für
diejenigen teile der legende, wo die drei angegebenen quellen nichts
entsprechendes bieten. Wenn der Verfasser des Pass.s nach Hessen
gehört, vielleicht in die nähe von Marburg oder nach Marburg selbst,
so hätte man eine leichte erklärung dafür, dass er manches aus
mündlicher tradition erfuhr K
BRÜHL-CÖLN. MARIA OES8KNIOH.
AUS HEINRICH CHRISTIAN BOIES NACHLASS*.
Textgeschichtliche mitteilungen zu
Klopstock, Lessing, Herder, Gerstenberg, Voss und anderen.
(Fortsetzung.)
Boies drittes sammelbuch.
Zweite hälfte.
Von dem dritten sammelbuche ist - abgesehen von den hundert-
nndfünfzig fortlaufend gezählten eintragen - nur noch der schluss,
d. h. fünfunddreissig unbezifferte blätter, erhalten. Diese blätter sind
nicht alle, der reihe nach, mit gedichten gefüllt, sondern nur zum
teil beschrieben ; einzelne selten sind ganz freigelassen. Daher stellen
diese eintragungen keine unbedingte chronologische folge dar, sie sind
1) Dass das Passional in den kreis der deutschordensliteratur gehört, kon-
statiert Fr. Wilhelm a. a, o. s. 60.
2) Vgl. oben b. 57 ff.
196 CONSENTIUS
auch nicht deshalb, weil ihnen die hundertundfünfzij^ durchgezählten
gedichte zu anfang des handes voranstehen, zeitlich hinter die nr. 150
anzusetzen. Wie das buch vorliegt, kann Boie es sehr wohl von
zwei oder mehr verschiedenen blättern aus, vom anfang und von der
mitte aus, gleichzeitig benutzt haben. Er konnte bei den nicht ge-
zählten gedichten bald hier ein blatt, bald dort ein blatt besehreiben
und einzelne Seiten überspringen. Jedesfalls liess er lücken. Einige
eintragungen stehen dabei als besondere gruppen - räumlich getrennt
von anderen gedichten - für sich da.
Die gedichte, die sich auf den ersten vierzehn der noch erhaltenen
blätter befinden (blatt la bis 14 a), sind eine derartige gruppe für sich
und von den folgenden eintragungen durch einen starken trennungsstrich
und ein doppeltes kreuz abgesondert. Diese gedichte sind oben bd. 48
s. 401 S. bei der Übersicht der Klopstockiana der sammelbücher einzeln
aufgeführt. Ich halte die stücke dieser geschlossenen gruppe sämtlich
für Klopstockisch, obwohl es mir für einzelne - bisher unbekannte —
nicht möglich war, einen druck und eine Unterzeichnung, die aus-
drücklich auf Klopstock hindeutet, nachzuweisen. Die weitaus über-
wiegende mehrzahl dieser gedichte ist als Klopstockisch - nicht immer
in dieser form, doch mit Varianten - bekannt. Ob die unmittelbar
vorausgehenden blätter, die jetzt mit fortgeschnitten sind, auch zu
dieser gruppe gehörten, d. h.: ob auch sie Klopstockische gedichte
brachten, wird sich bei den spärlichen schriftresten, die auf den
entfernten blättern stehen blieben, schwer bestimmen lassen; falls
diese bestimmung glückte - so wäre damit wenig gewonnen; denn
die gedichte selbst bleiben fortgeschnitten.
Die epigramme, die sogenannten 'Verfe' (blatt 4 äff.), die als
einlagen in die Gelehrtenrepublik gedacht waren, wurden ohne Klop-
stocks namen zuerst in der Hamburgischen neuen zeitung 1771 vom
176. stück, dem 2. november, ab, mit Unterbrechungen bis zum 26. stück
des nächsten Jahres, bis zum 14. februar 1772 veröffentlicht; einige
von ihnen auch mit der Unterzeichnung: K. oder ohne Unterschrift im
Göttinger musenalmanach auf 1773; und zwar mit Klopstocks ge-
nehmigung. Denn als dieser almanach erschienen war, meldete Boie
aus Göttingen am 14. november 1772 Herdern: 'Klopftock hat mir
mehr Verfe für den künftigen Alm[anach] verfprochen.' - Weitere
beitrage von Klopstock waren Bolen selbstverständlich höchst will-
kommen. Am 26. Januar 1773 schrieb Boie erfreut an Merck: 'Klop-
ftock läfst itzt die Nachricht von der gelehrten Republik aus dem
Hypochondriften vermehrt und mit Anmerkungen wieder einzeln ab-
AUS HEINRICH CHRISTIAN rOIES NACHLA8S jl)7
drucken .... Er hat mir die übrigen Yeri'e für meine künftige
Sammlung versprochen \'
Natürlich wünschte Boie die in aussieht gestellte gäbe für seinen
almanach zu nutz;en. Aber die sendung weiterer verse unterblieb.
Zwar mochten die verse - wie Klopstock selbst meinte - sehr wohl
in den almanach passen; dennoch hatte der dichter bedenken, sie
Bolen zu überlassen. Gerade die im almanach schon abgedruckten
epigramme waren in Schirachs Magazin der deutschen critik (bd. II.
thl. 1. Halle 1773 s. 144 ff.) damals böse beurteilt worden. Gegen
diese kritik nahm der Wandsbecker bothe 1773 no. 83 und 84 vom
25. und 2G. mai Klopstock energisch in schütz -. Vielleicht hielt
Klopstock wegen des unfreundlichen Urteils in Schirachs Magazin
weitere verse zurück; vielleicht ist diese kritik der grund, dass sehr
viel weniger verse, als ursprünglich in der Haraburgischen neuen
Zeitung gestanden, in Klopstocks Deutsche gelehrteurepublik eingiengen.
Jedesfalls sandte Klopstock die Bolen in aussieht gestellten weiteren
verse nicht. Klopstock schrieb vielmehr am 21. mai 1773 Bolen:
'. . . Hier ift der Titel des Buchs, auf das ich fublcrib. laffe: 'Die
Deutfche Gelehrtenrepublik . . . .' In diefs kleine Bucli kommen auch,
in ihrer Ordnung, die von meinen Verfen, welche ich nicht aus-
ftreiche, oder verloren habe; es kommen aber auch einige von den
Denkmalen der Deutfchen (die ich in meinem tiefften Pulte
1) Briefe an Job. Heinr. Merck von Goethe usw. herausgegebeu t(jii Karl
Wagner 1835 s. 46. Wagner verlegt den brief fälschlich in jähr 1775. Die Ge-
lehrtenrepublik war in buchform bereits im mal 1771 erschienen, und zwar gegen-
über dem abdruck in der 2, aufläge des Hypochondristen (Bremen und Schleswig
1771 teil II, stück 26) in sehr erweiterter fassuug. Der Hypochoudrist, dessen
2. aufläge vor dem 15. juni 1771 erschienen war (vgl. oben bd. 49 s. 77 anm.), brachte
ebensowenig, wie der Wandsbecker bothe 1771 nr. 104 bis 108 (29. juni bis 6. juli),
beim abdruck der "Gefetze der Gelehrten Eepublik in Deutfchlaud' irgendwelche
'Verfe'. — Unter seiner 'Sammlung' versteht Boie den Göttinger musenalmanach ;
vgl. z. b. Strodtmann, Briefe von und an G. A. Bürger I. 1874 s. 128; ferner
Zeitschr. 27 s. 381, .508.
Weinhold, Boie 1868, s. 248 sagt: Boie habe die Klopstockschen epigramme
im Göttinger musenalmanach 1773 aus der Hamburgischen neuen zeitung über-
nommen. Das sagt auch die Hamburgische neue zeitung 1772, 206. stück vom
25. dezember bei anzeige des almanachs. Aber es stimmt schwerlich zu den beiden
oben angeführten briefstellen ; und aus Boies drittem sammelbuche muss man
schliessen, dass Boie damals Klopstocks Werfe' in der Hamburger zeituug noch
nicht beachtet hatte.
2) Der Wandsbecker bothe hatte für Klopstocks 'Verfe' eine Vorliebe und
druckte 1774 in nr. 74 und 75 vom 10. und 11. mai uoch eine reibe von verseu
beim erscheinen der Gelehrtenrepublik ab.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XLIX. H
198 COXSENTIUS
verwahrt liabe^ hinein. - Aus Furclit vor den hmg-armigen Tyrannen
(das lind Sie, mein 1. Hr. li[oie]) lehicke ieh Ihnen hiebe\' für den
Mulenalm.. nicht von den Kleinigkeiten, Yerle genannt, ob fie gleich
))isvveilen für die, welche wiffen, wie es um uns her mit den litera-
rifchen Sachen fteht, einen nicht ganz unbedeutenden Inhalt haben;
fondern ich lehicke Ihnen drey Bardengel ange aus: Hermann und
die Fürsten . . .' \
Also erst nach dem 21. mai 1773, nachdem Klopstock die zurück-
lialtung, die er damals übte, aufgegeben - an bitten und schönen
Worten wird es dabei von Boies seite nicht gefehlt haben - kann die
eintragung der 'Verfe' in Boies drittes sammelbuch erfolgt sein. Denn
Boies niederschrift stammt nicht etwa aus der Hamburgischen neuen
Zeitung. Das lehrt der vergleich. Dort sind die epigramme in anderer
reihenfolge gedruckt, zum teil sind die Überschriften abweichend,
Boies text bietet Varianten, und vor allem: in der zeitung sind .mehr
epigramme, als Boies sammelbuch bietet, gebracht: die zeitung brachte
neunundsechzig epigramme, Boie gibt nur sechzig.
Boie muss also den Verfasser nicht vermutet haben, als die epi-
gramme zuerst in der Hamburgischen neuen zeitung erschienen, sonst
hätte der eifrige Sammler sich gewiss damals schon eine abschrift für
sein buch genommen. Diese Unkenntnis Boies ist auffallend. In dem
engeren Hamburger kreise Klopstocks kannte man den ungenannten
Verfasser der verse natürlich. So antwortete Claudius auf einzelne
epigramme im Wandsbecker bothen^. Boies Unkenntnis ist aber er-
klärlich ; denn jedesfalls unterscheiden sich die 'Verfe' sehr wesentlich
von Klopstocks anderen dichtungen, mit denen er bis dahin vor die
öffentlichkeit getreten war. Sie gehören in die Gelehrtenrepublik.
Über den zweck und die form seiner epigrammatischen 'Verfe' hat
sich Klopstock dort selbst ausgesprochen^.
Wie bekannt, war Boie der eifrigste und erfolgreichste Sammler
von Subskribenten, als Klopstock sein buch angekündigt hatte. Zwischen
Hamburg und Göttingen, zwischen Klopstock und Boie, bestand da-
mals eine sehr rege Verbindung. Dem jüngeren helfer und freund.
1) Mitteiluugen aus dem literaturarchive in Berlin III. 1901—05 s. 278. —
Die Bardengesänge wurden im Göttinger musenalmanach 1774 s. 1 ff. gedruckt.
2) Vgl. Wandsbecker bothe 1771 nr. 187 vom 22. november, nr. 190 vom
27. november, nr. 200 vom 14. dezember, nr. 204 vom 21. dezember; dazu Redlicb,
Die poetiscben beitrage zum AVandsbecker bothen (progranim). Hamburg 1871 r. 20 f.
3) Vgl. Die deutsche gelelirtenrepublik I. 1774 s. 200. 205-7 anui.
AIS HEINRICH CHltlSTIAX BOIES XA( HLASS 199
seinem •rreniierminirter wie ihn Klopstock nannte ^ war der dichter
für die bewährte Werbetätigkeit zu anfrichtigstem dank verpflichtet;
denn Boie brachte 414 Subskribenten auf die Gelehrtenrepublik zu-
sammen, sehr viel mehr, als irgendein anderer 'Beförderer', oder gar
ein •Collecteur". der einen klingenden vorteil von seiner bemUhung
hatte. Klopstock lud seinen jungen freund auch zu sich ein. Und
Boie reiste im dezember 177.S, noch vor erscheinen der Gelehrten-
republik, nach Hamburg und zu seinen eitern nach Flensburg und
von Flensburg im februar 1774 wieder nach Hamburg. Boie war in
Hamburg 'lechs Wochen lang alle Tage und oft zu ganzen Tagen' ^
mit Klopstock zusammen. 'Diele Tage in Hamburg waren mit die
leligi'ten meines Lebens' - sagte Boie ■'. Damals entschied sich Klop-
stock, dem Göttinger bunde selbst beizutreten *, dem er eine bedeutungs-
volle Stellung in der Gelehrtenrepublik anwies. Würdigen las der
(lichter auch aus dem zweiten, niemals erschienenen teile der Gelehrten-
republik stücke vor. Die arbeit an diesem werke war zugleich die
zeit, in der sieh Klopstock am fruchtbarsten als epigrammatiker betätigte.
In diesen Hamburger tagen wird Boie die ihm lange schon in
aussieht gestellten 'Verle* und die anderen gedichte Klopstocks, die
mit den epigrammen zusammenstehen, vom dichter selbst für sein
<ammelbuch erhalten haben.
Dass Boie von seiner reise nicht ohne einen ziemlichen gewinn
i\n Klopstockschen gedichten zurückkehren würde, hielten Herder und
dessen frau nur für selbstverständlich. Und Boie hatte den Göttingern
bei seiner rückkunft auch viel zu erzählen und zu zeigen^! Sobald
Boie zurück war, fanden sich die bundesmitglieder, soWel ihrer in
Göttingen waren: Voss, Hölty, Hahn und Miller, zusammen: 'nun
ward erzählt und Brief und Buch hervorgezogen. Die Freude hätten
Sie l'elbft leben müllen" - so berichtete Boie sofort an Klopstock''.
Das buch, das Boie hervorzog und das so viel freude machte,
dürfte eben Boies drittes sammelbuch mit den zahlreichen neuen ein-
tragungen Klopstockscher gedichte gewesen sein!
Boies niederschrift gibt wie gesagt -^ weniger 'Verfe', als die
Hamburgische neue zeitung, und Boies niederschrift gibt erheblich
1) Lappenberg, Briefe von und an Klopstock 1867 s. 251.
2) Strodtmann, Briefe von und an G. A. Bürger I. 1874 s. 202.
3) Lappenberg', a. a. o. s. 254.
4) Briefe von .J. H. Voss, herausgegeben von Abraham Voss I. 1829 s. l.')6.
5) Strodtmann, a. a. o. I. s. 202.
6) Lappenberg a. a. o. s. 255.
14*
200 CONSBNTIUS
mehr epigramme, als im ersten teile der Gelehrtenrepublik gedruckt
sind. Dieses mehr oder weniger, das sich hier oder dort findet, ist
aber kaum - jedesialls nicht überall - eine folge kritischer sichtung.
Wohl zeigt der vergleich der Gelehrtenrepublik von 1774 mit dem
späten abdrucke in des dichters gesammelten werken bei diesen epi-
grammen eine revision, die sich teils in Streichungen, teils in Zusätzen
und Veränderungen bemerkbar macht; und Klopstock sprach selbst in
seinem briefe vom 21. mai 1773 von den versen, die er 'nicht aus-
l'treiche, oder verloren' hätte, und die er allenfalls Boien geben
könnte. Auch sind in dem mir vorliegenden exemplare der Gelehrten-
republik von 1774 die selten 208/4 durch einen karton ersetzt; also
dürften während der drucklegung die auf diesem blatte mitgeteilten
verse noch verändert oder andere an ihre stelle gekommen sein. Aber
der Boieschen niederschrift, die zeitlich zwischen dem druck in der
Hamburger zeitung und der ausgäbe der Gelehrtenrepublik anzusetzen
ist, fehlen doch auch einige epigramme, die sowohl in der zeitung,
wie in der Gelehrtenrepublik stehen, die also Klopstock' sicher nicht
ausstreichen wollte.
Muncker, Klopstock s. 447, äusserte die vorsichtige Vermutung,
die epigramme der Gelehrtenrepublik: 'Ganz gute Bemerkung", 'Veit'
und auch 'Die Chronologen' könnk'n von niitgliedern des Göttinger
buudes, die Klopstock um beitrage gebeten, stammen. Diese drei
epigramme fehlen bei Boie. Aber zwei von ihnen stehen bereits in
der Hamburgischen neuen zeitung und im jähre 1771 gab es noch
keinen Göttinger bund. Also stammen diese e])igramme gewiss nicht
von den Göttingern, die ihren beitrag erst am 27. dezember 177.3
sandten ^ ! .
Nach dem erscheinen der Gelehrterirepu})lik wurde eine reihe
von Klopstockschen epigrammen in den Vossischen musenalmanachen
veröffentlicht.
Muncker, Klopstock s. 462 sagt: 'Inhaltlich wiederholten diefe
fpäteren Sinngedichte bisweilen dasfelbe, was fchon die Verfe in der
'Gelehrtenrepublik' angedeutet hatten: öfter fprachen fie Gedanken
aus, welche in den profaifchen Abfchnitten dieles Buches auf gleiche
Weife erörtert worden waren. Freier fchloffeif lieh wieder andre
fpätere Epigramme an das in der 'Gelehrtenrepublik' Gefagte an,
indem fie diefes . . . fortletzten oder weiter ausführten'.
Das ist richtig und zugleich auch falsch.
1) Lappenberg, a. a. o. s. 254; ferner Herbst, J. H. Voss I. 1872 s. 295 f_
IL 1. 1874 s. 258.
AUS HEINRICH CHRISTIAN BOIES XACHLASS 201
Richtig- ist die von Muncker betoute, enge inhaltliehe Verwandt-
schaft dieser epigramme mit der Gelehrtenrepublik. Falsch aber
bleibt die angäbe, dass es sich um 'l'pätere' epigramme handeln soll,
dass Klopstock noch später, d. h. nach jähren, gedanken der Gelehrten-
republik in neuen epigrammen formuliert hätte. Diese epigramme,
die der Vossische almanach brachte, sind vielmehr mit den in der
Gelehrtenrepublik gedruckten versen zugleich entstanden. Das lehrt
der druck in der Hamburgischen neuen zeitung und die niederschrift
in Boies drittem sammelbuche. So kann denn die zusammenstimmung
•dieser sogenannten 'fpäteren' epigramme mit der Gelehrtenrepublik
nicht sonderlich überraschen. - Ob Voss diese epigramme von Boie,
•der die Yossischen almanache mich kräften unterstützte, erhielt (auch
«andere gedichte der Klopstockischeu gruppe des dritten sammelbuches
.standen später im Yossischen almanach), ob er sie aus der Ham-
burgischen neufen zeitung nahm oder einer anderen quelle verdankte,
lasse ich dahingestellt sein.
Als Boie die ihm versprochenen 'Verle' von Klopstock bekam
und in sein sammelbuch einschrieb, waren einzelne von ihnen bereits
im Göttinger musenalmanach auf 1773 gedruckt. Diese von ihm
selbst veröffentlichten epigramme kannte Boie natürlich: vielleicht
hatte er deshalb anfangs die absieht, sie nicht noch einmal in sein
buch einzutrag-en. Aber Boie muss seine absieht geändert haben; er
schrieb sich auch diese epigramme ab. So dürfte es sich vielleicht
erklären, dass die im Göttinger almanach auf 1773 schon gebrachten
'Verfe' hauptsächlich am schluss der Klopstockschen gruppe stehen^.
Das gelegenheitsgedicht: 'Pindar an Graf F. L. Stolberg' trennt in
Boies niederschrift die im almanach gebrachten epigramme von den
Boie bisher unbekannt gebliebenen 'Yerfen', die in der Hamburger
Leitung standen -.
1) Der Göttinger uiuseualmanacb 1773 brachte auch vier mit: K. unter-
zeichnete epigramme, die in Boies sammelbuche fehlen. Also hat Boie aus dem
■almanach schwerlich sein sammelbuch ergänzt; denn dann hätte er diese vier epi-
gramme nicht übersehen und die anderen epigramme des almanachs von 1773
würden nicht Varianten gegenüber der Boieschen niederschrift aufweisen. Weder
der almanach noch der druck in der Hamburgischen neuen zeitung kann für Boies
vorläge gelten!
2) Diese trennung leidet zwei ausnahmen : ein epigramm, das im almanach
stand, ist von Boie schon an früherer stelle verzeichnet, und ein zweites epigramm
des almanachs steht unmittelbar vor dem unbekannten gelegeuheitsgedichte. Letzteres
vermutlich deshalb, weil Boie mit dem ungedruckten gedieht auf Stolberg eine neue
Seite seines buches anzufangen wünschte, und die vorausgehende seile gerade noch
iür ein epigramm räum bot.
202 coxsEN'i'irs
Ist diese - wenn auch nicht ganz streng durchgeführte trennuii:i-
der 'Verfe' bei Boie so zu erklären, dass er das ihm bekannte von
dem ihm unbekannten sonderte - es würde zu der datierung, die ich
diesem teile des sammelbuches gegeben, stimmen. Er steht, wie ge-
sagt, in enger beziehung zur Gelehrtenrepublik, für deren absatz B(»ie"
in tätigster weise gesorgt hatte. - War die niitteilung der in der
Hamburger neuen zeitung bereits gedruckten 'Verie' auch gerade keine
gäbe von ganz besonderem werte, so erhielt Boie doch andere un-
gedruckte gedichte als geschenk Klopstocks.
Den versen unmittelbar voran stehen vier kleine historische
gedichte iblatt 3 b f.). Von diesen wird man die beiden letzten
- bisher ungedruckten - 'Collin! Collinl . . .' und 'Heinrich ging zu
Katharinen . . .' ^ zu Klopstoclvs 'Denkmalen der Deutichen" zu zählen
haben, von denen einige auch in der Gelehrtenrepublik platz fanden.
Rücksicht auf die zensur verbot wohl die Veröffentlichung der beidea
ungedruckten epigramme zur jüngsten, politischen geschichte'-.
Die ode: 'Da Iteht der übrige Stamm des alten Haines undier,
. . .' (blatt 2 äff.), ist der dichterische niederschlag der ergebnislosen,
zum schluss der Gelehrtenrepublik (1774 s. 419 ff'.) bekanntgegebenen
korrespondenz Klopstocks mit dem kaiser Joseph II. und den Wiener
amtlichen stellen, als Klopstocks enthusiastische hoffiuing : die deutsche
literatur werde in Wien reichste förderung finden, fehlschlug. Diese
ode des unmuts wurde erst spät und in sehr abweichender form ver-
öffentlicht; eine handschrift war l)isher unbekannt; hier liegt Klo[>-
stocks früheste fassung vor. Diese ode war ein kostbarer besitz Boies.
Auch die beiden vorangehenden öden, die jetzt am anfang dieser
gruppe stehen : 'Klaget alle mit mir, Vertraute . . .' und : 'Ihr rechtet
1) Dies epigramm bezieht sich auf die erste teilung Polens (15. aiigiist 1772).
Über das aufsehen, das dies ereignis machte, vgl. z. h. Briefwechsel zwischen Hallir
und Gemmingen (Bibliothek des literarischen Vereins in Stuttgart 219) Tübingen
1899 s. 44, 49, 51, 74, 77.
2) Aus der Meusebachschen autographensammlung im besitz der Kgl. biblio-
thek zu Berlin von Klopstocks band ein oktavblättchen, einseitig beschrieben, das
ein ungedrucktes fragment zur (ielehrtenre])ublik bringt:
*
Gefez der Frielen, von der Entweihung der Tempel.
Durch Wie mar, den Weifen [diese vier iiorte gestrichen.]
Wir lind Chritten ; aber wer einen Tempel der Heiden [zuerst kuitete der
anfang: Wer einen Tempel diese drei ivorte gestrichen] erbricht, u[nd] Heiligthümer
daraus nimmt, [über gestrichene})! : entwendet,] den führe man auf den Meerfand^
worüber die Flut zu gehen pflegt, fchlize ihm die Ohren, verfcbneide ihn, u[nd],
opfere ihn den Göttern, deren Tempel er beraubt hat.
AUS HEINKICU CHKI.STIAX BOIES XACIILA.SS 203
mit dem . . .' (blatt 1 a f.), die bisher in keiner handscbriftlicbeii Über-
lieferung bekannt waren, gehörten damals zu den neuesten, noch un-
gedruckten Schöpfungen Klopstocks. - Was Boie zugleich mit den
'Verfen' tür sein sammelbuch gewann, waren also keine wertlosen
gaben. Klopstock, sonst bei der mitteilung seiner gedichte vielfach
zurückhaltend, war ihm gegenüber überaus mitteilsam.
In dieser gruppe Klopstockscher gedichte, eingefügt in die 'Verfe',
steht endlich noch das unbekannte gelegenheitsgedicht : 'Pindar an
Graf F. L. Stolberg' (blatt 12 b f.). Klopstocks Verfasserschaft scheint
mir nach dem platze, den das Gelegenheitsgedicht inmitten anderer
poetischer gaben des dichters gefunden hat, wahrscheinlich : sie wird
bezeugt durch Fr. L. Stolbergs antwortgedicht : 'Mein Vaterland. An
Klopstock". Der beginn des Stolbergschen gedichtes:
Das Herz gebeut mir! Siehe, fchoa fcliwebt,
\o\\ Vaterlandes, ftolz meiu Gelang!
Stürmender fchwingen ficli Adler
Nicht, und Schwäne nicht tönender!
knüpft an die Schlusszeilen des Klopstockschen gedichtes an: aber
Stolberg gibt dem Klopstockschen wünsche, dass Pindar der schutz-
geist seiner lyrischen dichtung sein solle:
Pindar schwebt um dein Lied I
die bewusste wendung ins vaterländische. Stolberg war kein un-
bedingter Verehrer Pindars ^. So sind die Stolbergschen antangsworte :
Das Herz gebeut mir!
als eine entschuldigung für seinen Widerspruch aufzufassen.
Stolbergs antwort an Klopstock ist eine ablehnung. Sie dürfte
es erklären, dass Klopstock sein gelegenheitsgedicht von der Sammlung
seiner Oden ausschloss und dafür den brüdern Stolberg die 'Weif-
fagung'" widmete, in der von griechischem oder Pindarisclicm gesange
kein wort mehr steht. •
1) Göttinger musenalmauach 177.5 s. 100; Gedichte der briider Christian und
Friedrich Leoi)old grafen zu Stolberg. Herausgegeben von H. C. Boie. Leipzig
1779 s. 60.
2) Herbst, J. H. Voss IL 1. 1874 s. 26L
3) Göttinger musenalmauach 1774 s. 231 ; Muucker und Pawel II >. 3. Klop-
stocks erlaubnis zum druck war für die Göttinger eine grosse freude; vgl. Strodt-
mann a. a. o. I. s. 142 f., 149. — Natürlich musste des meisters gedieht zuerst
gedruckt werden: Stolbergs gedieht an Klopstock folgte im nächsten jähre des
almanachs. Dass Stolbergs gedieht nicht eigentlich die antwort auf dies Klop-
stocksche gedieht ist, sondern sich auf das ältere, Piudarische bezieht, machte der
genial-unbekümmerten art des jüngeren grafen nichts aus. Wie die beiden gedichte
jetzt in den almanacheii stehen, ist Stolbergs gedieht nicht mehr eine ablehnung,
204 CONSENTIUS
Auch das Piiularische gelegenheitsgediclit, das Boie aus Hamburg;
iiiitbraehte, gcliörtc damals zu den neuesten Schöpfungen Klopstocks,
Erst zu anfang- des Jahres 1778 hatte der jüngere graf angefangen,
griechisch zu lernen ^ ; also kann das gedieht schwerlich in eine frühere
zeit verlegt Averden. l^)ekanntlich verliessen die brüder Stolberg mitte
septenil)er 1773 (iöttingen. Wahrscheinlich hat Klopstock den jüngeren
grafen. der ihm nahestand, mit diesem gesange bei der rückkehr
von der Universität begrüsst -.
Ich gclie die weiteren eiutragungeu, wie sie sich auf eleu noch erhaltenen
blättern linden, der reihe nach durch und suche die gedichte ihren Verfassern zu-
sondern beide gedichte, Klopstocks und Stolbergs, bewegen sich in der gleichen
richtung, dem vaterländischen ziele zu.
1) Strodtmann a. a. o. I. s. 83.
2) Im 'Morgeüblatt für gebildete Stände' nr. 95 vom 21. april 18ü9 (vgl.
Goedeke, Grundriss 3. aufläge. IV. s. 190, 16) wurde das gedieht: 'Pindar an
F. L. Stolberg' von einem ungenannten einsender, der sich nur mit dem buchstaben :
F. unterzeichnete, als ein bisher noch nie gedrucktes stück von Gerstenberg
bt'kanntgcmaclit. Das gedieht ist im Morgenblatt in anderer versabteilung — sonst,
gegenüber der Boieschen niederschrift, mit geringen Varianten gedruckt. Gleich-
zeitig teilte der einsender im Morgenblatt ein zweites gedieht mit: 'An Mathilden'.
(0 Schönfte! fchöner als Cythere! . . .), das bereits Der hypochondrist, 2. aufl.,
Bremen und Schleswig, 1771, I. 5. stück s. 105 mit Varianten gebracht liatte.
Jedesfalls hatte der einsender dieser beiden gedichte, der über alle massen
die vom Wiener nachdrucker Schrämbl 1791 veranstaltete, unrechtmässige ausgäbe
der poetischen Schriften Gerstenbergs lobte, zum dichter keine persönlichen be-
ziehungen. Er wollte andere freunde der Gerstenbergschen muse veranlassen, un-
gedruckte stücke mitzuteilen, dass der dichter auf diese weise erinnert würde, seine
sämtlichen werke selbst dem publikum zu schenken. Über die quelle, aus der die
beiden gedichte geschöpft sind, über die art ilirer Überlieferung uird ihre datierung-
sagte der einsender im Morgenblatt kein wort; er stellte lediglich die behauptung
iuif: 'Zwey Gedichte von Gerftenberg.'
Trotz der öffentlichen aufforderung im Morgenblatte nahm Gerstenberg diese
beiden gedichte in die eigene ausgäbe seiner 'Vermifchten Schriften' TAltona 1815 f.)
nicht auf, wohl aber erklärte er in der vorrede: manches sei im umlauf und würde
ihm zugeschrieben, das nicht von ihm stamme. Diese erklärung beziehe ich mit
auf das Gerstenberg zugeschriebene gedieht: 'Pindar an Fr. L. Stolberg.'
Erwähnt sei, dass Voss am 16. februar 1775, also ein jähr nach Boies reise
zu Klopstock, an Sprickmann als eine neuigkeit über Gerstenberg sehrieb: 'Er
[Gorstenberg] hat eine pindarifche Ode an den Grafen Fr. L. Stolberg gemacht, die
ganz ungemeinen Schwung hat.' (W. Herbst, .T. H. Voss II. 2 1876 s. 230). Ol)
Voss' nennung des Verfassers richtig, oder ob die von ihm erwähnte Ode mit unserem
gclegenheitsgedichte identisch ist, erscheint mir sehr fraglich. Eine Antwort Stol-
bergs an Gersteuberg fehlt der Sammlung der Stolbergschen gedichte.
AUS HKINKICH CHUISTIAX ÜOIES XA( HLASS 205
zuweisen. Xth* höchst selten nennt Boie dif uamen der dichter, die ich bis auf
■den Verfasser eines kurz|Wi epigramuis ermitteln konnte.
Hinter der gruppe Klopstockscher gedichte, von den letzten -Verfen' ab-
gesondert durch starke trennungszeichen, folgt, mit angäbe des Verfassers, auf dem
nämlichen
blatte 14 a:
An die Holz-Emma. Gleim.
Was eilft du, kleiner Schmerlenhach. . . .
T///. Luise Mejers sammelhHch hlatt 9h. — In der Iris bd. 11 3. stiicl- iin'/i'^ 177 ö
s. 239; dort die Überschrift abtveichend und eine amnerkung, die Boies niederschrift
fehlt; sonst ni(r umvesentliche abu-eichujigeii der interpnnliion. Fehlt in Gleinis
f<r/mtliche)i icerl-en, hs;/. von W. Körte Halberstadt 1811 ff.
Dies kleine gedichtchen von acht versen füllt den freigebliebenen rest der
Seite. Am 4. September 1775 schrieb Boie an Gleim, dass er die versa gleich
auswendig gewusst hätte*. Das heisst: Bolen war das gedieht damals noch neu.
lind es hatte seinen ausserordentlichen beifall. Das auswendigwissen bei der ersten
lesung war bei Bolen ein zeichen seines uneingeschränkten lobes '-'.
Mit diesem eintrage dürfte Boie nachträglich — und ausserhalb der chrono-
logischen folge — den rest der seite gefüllt haben; denn es folgt auf
blatt 14 b bis 16 a Herders gedieht :
An feinen Landsmann .Johann "W i ii k e 1 m a n n.
Wohin? wohin, . . .
Boies niederseil rift ist verwandt — doch nicht übereinstimmend — ntit dem sogenannten
texte der Vulgatausgabe. vgl. Snj^han, Herders sämtliche irerhe bd. 29 1H89 s. 296
und 732.
Und anschliessend folgen auf blatt 16 a bis 17 a Herders verse :
Zu einer Sammlung Klopftockifch er Oden undElegieen. Dar mftadt. 1771,
Ja ! fammlet fie, die Blätter ! die zerrifsnen . . .
Veruandt — doch nicht übereinstimmend — mit dem sogenannten Silbernen buche,
vgl. Supiian, Herders sämtliche u-erl-e bd. 29 1889 s. 347 und 735. Das motto und
die 19. Strophe fehlen Bolen.
Das gedieht auf Winkelmann, das nicht in den musenalmanach eingerückt
werden sollte, erhielt Boie von Herder am 6. Oktober 1772, und am 4, november 1772
noch ein paar erläuternde bemerkungen dazu. Also gewinnt durch Boies nieder-
schrift auch der text der Vulgatausgabe eine gewisse bestätigung eben durch Herder
gelbst, dem Boie das gedieht verdankte. — Hier die bezüglichen stellen aus den
angezogenen briefen :
Herder, ohne ort [Bücke bürg], ohne da tum, an Boie; delTeu
empfangsnotiz: Empf. den 6. Okt. 1772: '... Hier ift das Poem auf Winkel-
mann. Sie müfsen ihn aber neuerl. felbft gelel'en haben, u. von dem Plan mehr
wiffen, mit dem ich damals umging, wenn es Ihnen etwa auffallen sollte. Zeigen
Sies H. H[ofrat] Heine, aber ja nicht in den Kalender! . . .'
1 1 Zeitschr. 27 (1895) s. 526.
2) Vgl. z. b. Bürgers gedichte, hsg. von Consentius 2. aufl. IL s. 229, 2(8;
K. L. V. Knebels literarischer nachlass 11. 1835 s. 117.
2U6 coNSKXTii;«
Herder, ohue ort [Bückeburg], ohne da tum, an Boic; deffeii
empfang'snotiz: Empfangen, den 4. Nov. 1772:4^ .. Der dunkle, dürftige
Marmor m Wink. Ged., bezieht fich auf feine Befchreibung des Apoll im Belvt^-
dere, die ja fofehr Hymnus geworden, als Homer u. Callimaclius kaum angertimmet;
der letzte Theil des Stücks bezieht fich auf ein Buch was in den erlten Zeiten
gearbeitet werden foll, wenn meine Platouifche Lauin' zurückkehret . . .'
Blatt 171) beginnt:
T) i e B e g e i f t r u u g.
Sie ift da, die Begeiftrung, da!
Heil mir! und reden kann die trunkue Lippe
Mit diesem worte bricht der eiutiag ab; der rest von blatt 17b und ISa
sind unbeschrieben. Boie wollte das gedieht jedesfalls ganz in sein buch eintragen
und Hess deshalb räum frei. — Es handelt sich um den anfang des im Vossischen
musenalmanach auf 1777 s. 71 abgedruckten gedichtes : Die Begeifterung von
Friedrich Leopold Stolberg. Dies gedieht entstand nach der registerangabe der
gedichtausgabe der brüder Stolberg (Leipzig 1779i im jähre 1775. Stolberg sandte
es am 7. Oktober 1775 seiner schwester Katharina (Hennes, Aus F. L. Stolbergs
Jugendjahren 1876 s. 59).
Blatt 18 b bringt — ohne die seite zu füllen — zwei eintragungen :
L'Abbe de l'Attaignant ä Md. Eofsignol.
Le nom de Rofsignol vous convient ä merveille, . . .
(ihi i/aiizrii (S rerse) und:
A 1 a m e m e.
Je Vous coraparois autrefois . . .
(itH (junzen ricr ccrse). — Die Poesies diverses et pieces inedites de Lattaignant par
Ernest JuUien (Paris, 1881) enthalten diese beiden Stückchen nicht; freilich ist
Julliens ausgäbe nur eine auswahl. Gabriel- Charles de Lattaignant (1(597—1779)
liat während seines langen lebens erheblich mehr geschrieben.
Blatt 19a und 19b lasse ich ganz folgen; es handelt sich um epigramme
und kleinigkeiten Lessiugs, von denen die ersten vjer auf blatt 19 a — ohne die
seite zu füllen — , das fünfte gedichtchen, für sieh, an der spitze von blatt 19 b
steht. Der rest dieser seite ist imbeschrieben. Das erste epigramm (Kunft und
Natur . . .) schrieb — mit kleiner Variante — Boie unter ausdrücklichem hinweise
auf Lessing, als den Verfasser, dem Schauspieler F. L. Schröder in Hamburg am
7. September 1780 in dessen Stammbuch (0. Lebrüu, Jahrbuch für theater und
theaterfreunde L 1841 s. 15). Der gedanke, dass sich kunst und natur bei einem
Schauspieler verbinden müssen, kehrt in Schröders Stammbuch öfter wieder (vgl.
a. a. 0. s. 8 Sonnenfels' eintrag vom 1. mai 1780, s. 14. Auguste von Dalbergs ein-
trag vom 7. august 1780).
Verwandt mit den folgenden Lessingischeii epigrammen ist auch eine pro?a-
fassung, die Klopstock, Hamburg den 14. märz 1781. in seiner eigeurichtigeu
Orthographie Schrödern (a. a. o.) ins Stammbuch schrieb :
Schröder
fpilte keine Rolle gut;
denn är war immer
der Mann felbft.
Klopf tock.
AUS HKtNlUCII CllKlsriAX ÜOIES XAClILAsS 207
Also auf blatt 19 a:
Kunl't und Natur
Sind auf der Bühne Eines nur.
Dann hat Natur und Kunft gehandelt,
Wenn Kunft fich in Natur verwandelt.
Vhei- die hciden letzten rerse als rarictnte übe rgescli rieben:
Wenn Kunft fich in Natur verwandelt
Dann hat Natur mit Kunft gehandelt.
Vgl. Lessiiiffs sämtliche Schriften, lisy. r. Lnchincoui S. ai<fl. durch Muncher bd. I.
1886 s. 46; Bd. XXII 1. 19ir> s. 7.
Scheinen und auch sein,
Kan er aliein.
Vyl. Lessiiigs sämtliche Schriften, hsf/. r. LacJnnaiui o. uiifl. durch Mancker Id. I.
1886 s. 4.5. — Boies niederschrift bietet carianten.
Stax fagt, er spiel' ihn schlecht,
Und er hat Eecht;
Denn feine eignen Rollen
Mufs man nicht spielen wollen.
Fffl. Lessings sämtliche Schriften hsg. v. Lachmann 3. Aufl. durcli Mimcker bd. 1.
1886 s. 46. — Boies niederschrift bietet Varianten.
Damit er Mut zu spielen schöpfe,
Verfamlet Er
Rund um fich her
Der Kammerdiener leere Köpfe ; »
Da stehen fie, die armen Tröpfe,
So wie 3Ie]anchtous Töpfe.
Fehlt Lessings sämtlichen Schriften hsg. r. Lachmann und Munde)-. — Bezieht
sich offenbar auf das gleiche bühnenereignis, trie die rorangehenden epigra)nme. Bei
der gemeinsamen überliefe rang erscheint mir Lessings antorschaft arihrscheinlich.
Auf blatt 19 b:
Auf, Brüder, jauchzt und triukt, bis wir zu Boden finken.
Doch bittet Gott mit mir, dafs Könige nicht trinken.
Denn, wenn fie unberaufcht die halbe Welt verheeren,
Was würden fie wol thun, wenn fie betrunken wären.
}'gl. Lessings sämtliche Schriften hsg. v. Lachmann S. anfl. darch Mancker bd. I.
1886 s. 1H2, bd. XXII 1. 191n s. 20. — Boies niederschrift bietet tresentliche Varianten^
Blatt 20a bringt ohne Überschrift Herders:
Es leuchten drey Sterne am Himmel,
Die geben der Liebe einen Schein.
•Gott grüfs dich, fdiönes Jungfräuleiu !
Wo bind' ich mein Röfslein hin?' —
"Nimm du es, dein Röfslein, am Zügel, am Zaum,
Bind es an einen Feigenbaum,
Und fetz dich ein' kleine Weile nieder,
Und mach mir ein' kleine Kurzweil". —
'Ich kann os, und mag es nicht fitzen,
Mag auch nicht luftig fern;
208 CONSENTIU8
Mein Herzcl ift mir os betrübet.
Ach Schäzel, vou \vef;eii dein'. —
Was zog er aus der Tafcheii V
Ein Mefser, war fcharf und fpitz.
Er ftiefs es feiner Liebe ins Herze;
Das rothe Blut gegen ihn fprüzt.
Was zog or ihr abe vom Finger?
Ein Ichüues Goldringelein;
Er warf es ins flüfsig Walser;
Es gabs einen hellen Schein.
'Schwimm hin, fchwimm lier, (ioldringelein !
Bis in die tiefe See.
Mein feines Lieb ift mir iiel'torben:
Nun hab ich kein feins Lieb mehr'. —
So geht's, wenn ein Mädel zwey Knaben lieli hat!
Thnt wunder feiten gut.
Das haben diefe beyde erfahren,
•Was falfche Liebe thut.
1///. Herders rolkslieder I. 177S s. HS; WerLe lisy. ton Sujihan hd. 2i> s. 146. —
Jioies Niederschrift liiefet rnriantrn.
Blatt 20 b ist unbeschrieben.
Blatt 21a beginnt mit Bürgers:
Seufzer eines Ungeliebten.
Haft du nicht Liebe zugemeffen . . .
\'t)l. liih-f/ers i/ed/cJite hsf/. roii Consentius 2. aufl. [1915] JJ. s. 237. — Boies nieder-
-"ichrift ist älter als der ahdrxcl- im Göttinf/er nntseiutlniaiiach 1770 s. 14i> und bietet'
Meine Varianten.
Auf blatt 21a weiterhin, und fortgefahren auf blatt 21b Bürgers:
A u f d i e N y m f e des N e g e n b o r n s.
Fragment.
Neig, ans deines Vaters Halle, ...
Vgl. Luise Mejers sammelbuch blatt 9a. — Boies nieder.sdirift ist abi/edmckt in
J3ürf/ers t/edichfen hsg. voti Consentius 2. aufl. 11. s. 238 f.
Auf blatt 22a und blatt 22b Herders.-
Verfuch über den Menfchen.
Ja, füfse Laute! i'o immer er lebt,
Und ftets fich tiefer in Sorge webt,
Er kann ja, leider! in wahrer Pein
Sich Wahn doch dichten, und fröhlich feyn.
Ja, füfse Laute! Denn Bild und Wahn
Ift all's doch! nlles! Das ftaunet er au.
Umarmt's, wie dort, wahnfinnig ja fchon,
Sein Bildnifsmädchen Pygmalion.
Kann glauben — o fonder Art und Sinn !
Schifft gegen Wind und Wellen dahin!
Täufcht fich fo willig, und lacht der That,
Wen er fo willie- betroffen bat.
AU.S HEINRICH CH1U8TIAN UOIE8 XACHLASS 201»
Grauhaariger Thor! Wohl manche Zeit
Hat er gerungen mit Müh und Leid,
Hat ftets gehoffet fleh Ende der Peiu,
Und war's nicht heute, wird's morgen leyn.
Der Morgen kommt! Es kommt Mittag und Xaclit
Und ftets, noch immer in Sorge verbracht!
Noch hofft er wieder auf Morgenfrift,
Bis er die Nacht — geftorhen fchon ift!
Siug's, liebe Laute! von Falkenhöh
Blickt unfer Hoffen nur! Je und je
War's doch, ftatt haben und Luftgewinn,
Nur Wollen ! Blicken im Fluge dahin !
War täglich Streben ! in Müh und Müh !
Und dann nun fauer errungen, lieh,
Was war nun aller deiu Arbeitlohn?
Arbeiten ! Schäften ! Pygmalion !
Ach Leben I — Ferne durch Glafes Trug,
Wie fcheint's in Zauber! und lockend gnug!
[Blatt 22 b] Zu nah, da fchwindet Geftalt und Schein,
Wird grofs, verworren und dunkel dir feyn.
Und doch noch fpäh' ich? Spähe denn recht
Mir Trauer — wahrlich, fpäheft dir- fchlecht!
Aus IiTen allein kommt Troft uns vor,
Nur Thor ift feiig — fo bin ich Thor !
0 lange, lange lag' ich in Grab,
Hätt' Lebensbürde geworfen ab,
Hättft du nicht, Ehre — und füfser Walin
Du, Liebe, gelockt mein Leben hinan !
Vgl. Lnise Mejers scniiiiielbucJi Blatt Sa. Herders rollslieder II. 177[) .s\ Ki ; M^erkc
hsg. eoH Suphaii hd. 25 s. 362. — Boies niederschrift stellt mit beträclitlicheii curiaiiten
ein mittelf/lied .::icischeii dem Buch der gräfin ron Bückebury und dem druck- ron
1779 dar. .
Als der druck der Volkslieder vorlag, fchrieb Boie über dies gedieht am
20. juni 1779 Herdern : '. . . ein Stück, das ich fchon von Ihnen hatte, und hier
[d. h. in den Volksliedern] lehr verbefsert ift . . .'
Weiterliin auf blatt 22 b in Herdersclier Übersetzung :
S h a k e f p e a r ' s t w e 1 f t h night: c o m e a w a y , c o m e a w a y , d e a t h !
Süfser Tod, füfser Tod ! komm !
Komm du, und leg mich ins kühle Grab !
Herz, 0 brich! Herz, o brich fromm!
Stirb treu der holden Graufamen ab !
Mein Gruftgewand, und Leichenl'tein
Ach ! find fertig !
0 Tod, wie froh hüll' ich mich drein,
Und lieb dich !
Keine Blum, keine Blum füfs,
SoU man auf Leichnahm und Gruft mir l'treun !
Keine Thräu, keine Thräu fliefs
210 (ONsENiirs
l'in lueiu ranftruliond Todteiigebein !
Sonft würden taulend Seufzer fehwer —
Ach, ihr Meinen!
Begrabt mich, wo kein Liebender
Kann weinen!
Y;ll. Lidse ^Icjers soDuiielbxch blati 2b. Herders volksiieder 1. 1778 s. 299; Werke
]iH(j. ron Snphau bei. 25 s. 289. — Boies niederschrift bietet beträchtliche Varianten
i'iii/ ist älter als der druck in den volIcsUedern.
Am 10. dezember 1777 bestätigte Boie Herdern den empfang des druck-
manufkriptes vom 1. teile der Volkslieder; er hatte ja die drucklegung des ersten
bandes übernommen; Boie schrieb: '. . . 57 Lieder hab ich all'o. Aber find das
alle? Ich denke nicht; denn ich habe verfchiedene bey Ihnen gel'ehen, von denen
es mir leyd thun lolte, wenn fie nicht in die Samlung kämen. Wie: füfser Tod.
kora ! . . .'
Blatt 23a und blatt 23b bringen von Friedrich Müller, dem Maler Müller:
Der ral'ende Geldoi-.
Wer ift's, der wild ...
Gegenüber dem ahdri(cl- im J^issisrhen inKsenalmnnach 17 76 s. löfi bietet lioies n ieder-
.schrift Varianten ,
Weiterhin auf blatt 23b bis blatt 24b Herders:
Als mein Freund Sympathie und Tugend fang.
Sympathie, und Freundfchaftswonne fingen . . .
ly/L Luise JSJejers sammelbuch blatt la. Suphan, Herders sämtliche irer/.r bd. 29
18S9 s. 94; Boies niederschrift bietet Varianten.
Am 2C. Januar 1773 dankte Boie Merck für eine noch unveröffentlichte
Sammlung von gedichten. die u. a. drei vortreffliche gedichte über 'Sympathie und
Froundfchaff enthielt ^
Zwischen blatt 23 und 24 ist — olme textverlust — ein blatt ausgeschnitten,
das ich nicht mitzähle.
Auf blatt 25 a Gottlieb Conrad Pfeffel's
Galathee.
AVas Ohloe doch wohl brauchen mag, . . .
Geyenilber dem druck im Vossischen musenalmanach 1776 s. 100 hat Boies nieder-
schrift leichte Varianten; anch ist bei Boie das gedieht in stroj)hen abgeteilt.
Auf blatt 25 b von Gleim :
An Sali y.
Ich hab ein kleines Hüttchen nur, . . .
SecJis stroj)hen. — Gleichfalls sechs Strophen in der L-is bd. III 2. stück >nai 177 ij.
s. 151; do7't die Überschrift abireichend; sonst nur ganz geringfügige Varianten. —
Gleim, Das hüttchen, Halberstadt 1794 s. 6, auch Gleims sämtliche tverke hsg. von
Körte bd. VII Halberstadt 1818 s. 5 gebebt nur fünf Strophen. Das hüttchen,
llalberstadt 1794 s. 52 bringt das (gedieht norhnials mit Varianten auf vier Strophen
(/ekürzt.
1) Briefe an ,T. H. Merck von Goethe usw. hsg. von Kail Wagner, Darm-
stadt 1835 s. 47. — Wegen der datierung dieses briefes vgl. oben s. 197 anm. 1.
Al'S HEINRICH CHKISTIAX liOIES XACHLAS8 211
Weiterhill auf blatt 25 li:
31 a r i a g e p a r p r o c u i' a t i o n .
Wie ward der Bräutigam, und wie die Braut betrogen !
Der Buckel ward ihm ab, der Reiz ihr angelogen I
Verf.r'
Es folgen von Johann Andreas Cramer (1723—1788), als der torso eines
denkmals für den grafen Johann Hartwig Ernst Bernstorff (1712—1772). drei öden,
die Cramer bald nach Bernstorffs tode begonnen hatte. Nämlich auf blatt 26 a bis 27 a:
I.
Kannft du ein Mann feyn, dich vergelTen, . . .
achtzehn strophen, jede zu sechs versen. — V(jl. Luise Mejers saninielbiich blatt 29a.
Oefienvher dem späten ahdnick: J. A. Cirnner, Seine htuterlasseneii yedichte hsf/.
von C. F. Cramer, Altana und Leip~i[/ 1791 — C. F. Cramers Menschliches leben
4. Stack f. 17. der nenncehn stroplien hat, bietet die handschrift zahlreiche Varianten.
Auf blatt 27 b bis 28 b :
II.
Wer entfchattet mir der edlen .Jugend . . .
siebzehn Strophen, jede zu acht versen. — Vgl. Luise Mejers sammelbucli blatt ola.
Im Vossischen musenalmanach 1791 s. o, mit zahlreichen Varianten, nur sechzehn
■Strophen. Dann siebzehn Strophen, mit Varianten, in: J. A Cramer. Seine hinter-
Jassenen (jedichte hsg. von C. F. Cramer 1791 s. 23.
Auf blatt 29 a bis 30 a :
in.
'^Vo eilt dein edler Jüngling hin". ...
vierzehn strfypJien, jede zu zehn versen. — Vgl. Luise Mejers sammelbuch blatt 34a.
Die handschrift bietet zahlreiche Varianten gegenüber: J. Ä. Cramer. Seine hinter-
lassenen gediehte hsg. von C. F. Cramer 1791 s. 30.
ßoie, Göttingen den 9. februar 1773, an Herder: '. .. Er [Klop-
ftock] fchreibt itzt Bernftorfs Leben ^. Der Alte Kramer macht Oden auf ihn.
Zwey davon hab ich durch den jungen, der hier ftudiert, gelefen ; fie find lang
wie Predigten, aber voll fchöner Stellen . . .'
Also kann der eintrag der vorstehenden drei Cramerschen öden erst nacli
<lem 9. februar 1773 angesetzt werden -.
Auf blatt 30b Bürgers: ^
Ständchen.
Trallyrum, larum, höre mich ! . . .
TV//, Bürgers gediehte hsg. von Consentius 2. anfl. 11. s. 244 f. Boies nieder-
^•■lirijt ist verwandt mit dem druck im Göttinger mnsenalmanach 1776 s. 155, aber
1) Muncker. Klopstock 1888 s. 134, zitiert einen brief Boies an Merck vom
2tx Januar 1775, in dem gleichfalls gesagt wird, dass Klopstock Bernstorffs leben
schreibe: vgl. Briefe an .J. H. Merck von Goethe usw. hsg. von Karl Wagner 1835
s. -16. Das falsche datum bei Wagner — es muss richtig heissen: 26. januar 1773
— hat Muncker kritiklos übernommen; vgl, auch oben s. 197 anm. 1.
2) Voss berichtet am 24. februar 1773, dass er den anfang von Cramers
langem gedieht auf Bernstorff kenneu gelernt; vgl. Briefe von J. H. Voss I. 1829
:5. 127. — Der Wandsbecker bothe 1772 nr. 40 und 41 vom 10. und 11. märz hatte
von C. F. Cramer, dem söhne, eine aufforderung an den vater Cramer gebracht,
Bernstorffs leben im gesange zu feiern.
212 Cu.NXENTlUS
Ute einige rarianten — die schon apütefe te.rfrerbcssefinir/en hrinyen — :eii/en, zf-Hlich
hinter dem druck des almunachs anzusetzen.
Auf blatt 31a von Friedrich Leopold Stolberg:
Die Stimme der Liebe.
3Ieiue Sophia! denn mit Engelftimmen . . .
Vgl. Luise Mejers sainiiiefbuch blatt 28b. — Gegenüber dem druck im Vossisrhett
musenahnanach 17 77 s. 1,30. bietet Boies niederschrift Varianten.
Blatt 31a bis 81 b bringt weiterhin Goethes 'Chriftel'. Ich lasse Boies-
niedersclirift ganz folgen:
An C. 1\.
Hab oft einen dummen düftern Sinn,
Ein gar l'o fchweres Blut;
W.enn ich bey meiner Chriftel bin.
Ist alles wieder gut.
Ich feh fie dort, ich feh fie hier,
Und weifs nicht auf der Welt,
Und wie und wo, und wann fie mir,
Warum fie mir gefällt.
Da[s] fchwarze Schelmenaug dadrein.
Die fchwarzen Braunen drauf,
Seh ich ein einzigmal hinein,
Die Seele geht mir auf.
Was fie fogar einen süfsen ]\Iund,
Liebrunde Wänglein hat!
Ach! und es ift noch etwas rund,
Da ficht kein Aug ficli fatt.
Und, wenn ich fie denn fafseu darf
Im luftgen deutfchen Tanz,
Da geht's herum, da gehts fo fcharf,
Da fühl ich mich fo ganz!
Und wenn ihrs tummlich wird und warm.
Da wieg' ich fie fogleich
An meiner Bruft, in meinem Arm ;
Ift mir ein Königreich!
Und, wenn Sie liebend nach mir blickt,
Und alles rings vergifst,
Und dann an meine Bruft gedrückt,
Und weidlich eins geküfst.
Das läuft mir durch das Rückenmark
Bis an die grofse Zeh;
Ich bin fo fchwach, ich bin fo ftark.
Mir ift fo wohl, fo weh!
Da möcht' ich mehr, und immer mehr;
Der Tag wird mir. nicht laug;
Wenn ich die Nacht auch bey ihr war,
Davor war mir nicht bang.
Ich denk, ich faf.se fie einmal
AUS IIEIXKICH CHKISTrAX BOIES XACHLASS 213
Und büfse meine Luft,
Und, endig-t fie nicht meine Qual,
Sterb' ich an ihrer Bruft.
Vgl. Goethes tcerJce Jisg. im auftrage der grossherzogin Sophie von Sachsen 1. olA.
hd. I (1887) s. IS und s, 372. Unsere haiidschrift bietet zu den dort gemusierien
texten carianten; interpiinl-tion ahiceichend. Boies nieder sehr ift ist auf eine uiit-
tcilimg von Goethe selbst zurückzuführen. Boie hesass dies gedieht', von Goethes
hand geschrieben, schon vor dem 15. Januar 1775: vgl. Literarische mitteihtnqen.
Festschrift zum zehnjährigen bestehen der liteirttiirarchiv-gesellschaft in Berlin.
Berlin 1901 s. 14 und das dort gebrachte facsimile. Boies text des gedichtes bietet
zur Goethischen handschrift nur sehr geringfügige Varianten; irohl aber ortho-
graphische abu-eicliu.ngen und eine sorgfältigere interp^mlticrung . Überschrift ah-
ne ichend.
Auf blatt 32a und 32b Bürgers:
Robert.
Ich war ein rechter Springinsfeld . . .
Vgl. Bürgers gedichte hsg. von Consentius 2, aufl. II. s. 302.
Auf blatt 88a Bürgers:
Spinnelied.
Hurre ! hurre ! hurre !
Vgl. Bürgers gedichte hsg. von Consentius 2. aufläge II. s. 212^.
Weiterhin auf blatt 33a ein unbekauntes Herdersches gedichtchen:
Ehre und Liebe.
Xicht, holdes Mädchen, l'prich e;? nicht,
Dafs treulos ich dich fliehe,
Dafs, dich nur mehr zu lieben nicht,
Ich hin nach Ehre ziehe!
Ift Ehre nicht der Liebe Pflicht?
Und flöh' ich, flöheft du mich nicht,
Wenn ich die Ehre fliehe?
Fehlt Herders poetischen werken 1.—5. hd. hsg. von Karl liedlich = Herders sämt-
liche werke hsg. von Suphan 25.-29. bd.
Herders autorschaft ist brieflich bezeugt; nämlich:
Boie, Hannover den 8. april 17 77, an Voss, in der nachschrift d<<
briefes: '. . . Hier noch ein Gedicht zum Einnicken, wenn Sie wollen . . .' Fs folgt:
'Ehre und Liebe.' Xur der erste und vorletzte vers abweichend:
Sprich, beftes Mädchen, fprich es nicht,
11 nd:
Und flieh' ich, flieheft du mich nicht,
Als itnt(/-sc/irift, oder cliifer, ist unter das gedieht, das für den Vossischen almanach
bestimmt aar, von Boie bei der brieflichen Sendung ein : 0. gesetzt. — Hinter d<r
1) Eine berichtiguug finde hier platz. — Bürgers gedichte hsg. von Consentius
2. aufl. n. s. 22 bringen ein gedichtchen von acht versen: 'Ilir Weifen mit der
AVirrenfchaft . . .' als Bürgers eigentum. Bürger fügte die verse seinem briefe au
Goeckingk vom 2. august 1788 ein (Euphoriou, 3. ergheft. 1897 s. 128). Es han-
delt sich Jedoch um ein älteres gedieht Herders; vgl. Herders sämtliche werke
hsg. von Suphan bd. 29, 1889, s. 1U3: 'Die Mechanik des Herzens'. Bürger*
hriefliches zitat bietet Varianten.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XLIX. 15
214: coxsKNTirs
chiff'er: O. des Vassiscfien DinseiKilitiancicIis auf 1776 loid 177s ist Ili-nler verstecJd ;
njl. Bedlich, ^'ersuch eines cliiffentle.ril-oxs, Hamlno-fi 1S75, s. 2). Das cfedicht
inirdc im ^^ossis(■hcll almaiiarh auf l/7ti nicht ;ipd)-iich-t.
Auf blatt 33 li bis 35 b G erste nberiis
K ;i n t a t o.
A r i u d 11 e auf X a x o s (e r w a c li e ii tl.)
S ey mir gegrüi'st auf Nax o s fl ö hn , . . .
hl iipspntlicli ahireichotder fassimc/ herrits in Boics 1. samntelbnche ifiiicr
»r. IhSii inid in Boics 2. sanundhuclie nnter )ir. (J64. Diese beiden älteren niedor-
schriften stimmen — abgesehen van <j('rin;ffüyifjen Varianten und rerscJiiedenheiten
der interpunktio)i und ortliofp-apliiv — Uberein. Sie sind renvandt mit dem ahdrnck
in den Unterhaltnmjen l'IJJ. '>. stiir/,- norember 1769, Hamburg s. 384. Doch gehen
Boies niedfrschriften schwerlich ai(f diesen drnck ~n)-iicl-. {Die verschiedenen eimel-
ansgaben habe ich nicht zur hand.)
Boies niedersclirift liier im :>'. summelbnche bringt eine spätere, vesentlich ge-
änd'ite fassnng, die aber noch nicht die endgiltige te.rtgestalt darstellt. — Zur
tiiederschrift im 3. samnielbnchc fügte Boie später erhebliche rarianten hinzii, die
dem drucli der Wiener ansgahe (Sämtliche poetische Schriften ron Joh. Wilhelm
von Gerstenberg II. Wien 1794 s. 1) entsprechen. Der text der Wiener ausgäbe ist
reru-andt mit Gerstenbergs Vermischten Schriften ron ihm selbst gesammelt. Jl.
Altona 1815 s. 73. Die Altonaer ausgäbe erschien erst nach Boies tode.
Mit diesem eintrage schliesst Boies 3. sainmelbuch.
Überblickt mau Boies sammelbücher, so müsste man aus ihnen
allein schon, ohne Boies leben und seine korrespondenz zu kennen,
den schluss ziehen, dass dieser fleissigc antzeichner mit einer grossen
reihe dichtender Zeitgenossen in beziehung stand. Wir wissen, dass
er enge, persönliche Verbindungen zu so manchem dichter hatte. So
hat Boie als ein interessierter Jiebhaber und als bewährter heraus-
geber von der damals erblühenden dichtung zahlreiche poetische
gaben grosses und bedeutendes, kleines und vergängliches - zu-
sammengetragen. Meine textkritischen andeutungen, die auf Boies
vergessene sammelbücher hiuAveisen, zeigen, dass hier ein reicher schätz
zu heben ist. Denn Boies handschriftliche Überlieferung, die bei der
Sorgfalt des Sammlers ihren wert hat, weiss unsere kenntnis von
manchem dichterwort jener zeit und von der form, die es gefunden,
nicht unbeträchtlich zu mehren.
Laise Mejers sammelbuch.
Bezüglich der Klopstockschen und Herderschen gedichte hat diese
handschrift nur einen geringen wert; Luise Mejers niederschrift ist
abhängig von den Boieschen sammelbüchern. Das schliesst natürlich
nicht aus, dass ihre Sammlung auch eine ganze reihe von stücken
l)ringt, die l)ei Boie fehlen. (ber die Bürgerschen gedichte ihrer
AUS HEIXUICH CHUI8TIAN BOIES XACHl.Ass 215
niederschrift vgl. Bürgeis gediclite hsg. von Coiiseutins 2. aufl. II.
in den anmerkungen, - Neben deutschen gedicliten trug sich Luise
Mejer mit Vorliebe, englische dichtungen in ihr buch ein und begegnete
-ich bei dieser neigung für englisches wieder mit Boie.
In ihrem samnielbuch auf blatt 1 a bis 2 b Herders :
Als mein Freund Sympathie und Tugend fang.
Sympathie, und Freundfchaftswonne fingen . . .
I///. Boies 3. samtneibiicli ~u»i scJibiss blatt 28 b.
Anschliessend auf blatt 2b bis 3a in Herderscher Übersetzung:
Shaccespear's twelfth night; come away, come away, deatlil
Süfser Tod, süfser Tod ! Komm ! . . .
l'f/I. hoies 3. sammelbnch zum schluss blatt 22b.
Diese eintragungen gehen durcliaus auf das Boiesche 3. sammelbuch zurück.
Damit ist der Zeitpunkt, wann frühestens die Sammlung der Luise Mejer begonnen
*ein kann, gegeben.
Ich verzeichne noch, zur weiteren datieruug, die letzten eintragungen ihrer
handschrift.
Auf blatt 102 a:
Gedichte nach Walter von der Vogelweide
von Gleim.
Ueber fein langes Leben.
Erfter Th: S. 141.
Ich feh, in Gottes Welt, mich um, . . .
y'jl. [GlelmJ Gedichte nach Walter ron der vogehcpide. (>. O. 1779 s. 25. — £"•■*
iiefit lediglich die abschritt cor.
Auf blatt 102 b bis 103 b:
Halladat, oder das rothe Buch. Dritter Theil. Gleim.
Der gute Töpfer.
Im Schatten des berühmten Ahornbaums, . . .
)'<//. Gleims sc'iinth'che irerke hsff. von W. Körte VI. 1812 s. 148. Der Halberstädter
j.l itrJc von 1781 vom Halladat 3. teil blieb mir unziirfönr/l/rh.
Auf blatt 104 a bis 105 a:
Halladat. Gleim
V.
D er Jäger.
Abazadall, ein grofser Jäger, ging . . .
Fl//. Gleims sä in fliehe tverke hsy. von W. Körte VI. 1812 s. 144.
Weiterhin auf blatt 105a und 105 h. einem losen, unbezitferten blatte iiud
auf blatt 106 a:
Das G raschen. Rofalieus Briefe 3ter Theil.
Gräschen, beperlt vom Thau, . . .
Vyl. Bosaliens briefe an iltre freandin Mariane von St**. Von der Verfasserin
des Fräuleins von Sternheim [= Sophie von la Roche]. 3. Thl. Altenburg 1781
s. 89. — Es liegt lediglich die abschrift vor.
Als letzter eintrag auf blatt 106 a und 107 b, wobei die blätter 106b und
1' »7 a versehentlich übersprungen und leer geblieben sind :
15*
216 ('(»NSKNTIUS
Tlie Inconftant.
Fair and foft and gay and Toung, ...
//;/ (janzen drei sfropliPU, jode ix ftrhf rersmi.
Verf. >
Bei dem plaue meiner laitteilungen begnüge ich micli mit dem hinweise auf
zwei Vossische gediente:
Auf blatt 37 a und 37 b:
An Selma. Den 29ten Oct. 1773. Vofs.
Bey dem freundlichen Stern, der dich mit Ahndungen
Sanft befchimmert, wenn mitfühlend der dumjife Quell
Und des bunten Gebüfclies
Abeudlispel mir Selma tönt!
Bey den Träumen voll Glanz, welche du Staunende
Nicht zu deuten vermagft ! Selma, verfchleufs den Wunfch
Der im Schauer des Tieffinns
Dir den bebenden Bufen hob!
Ach ! zu feiiges Leos, dafs der verjüngte Lenz,
Seines Barden Gefang* dort in der Blüthen Xacht
Aus fo heiligen Lippen
Einzuathmen, mich würdige !
Wie der Harfe Getön unter befeeltern
Harmonieen der Braut, fchwebte des Liedes May
Schüchtern unter der Stimme
Seiner blühenden Leförin.
Doch im feftlichen Schmuck, den dir die Herrlichkeit
Deines Geiftes umftralt, tritt vor Jehovens Thron:
Bald find Wahrheit die Träume,
Die dir nächtlich mein Engel Ichuf.
Au dem funckelnden Beet, wo der umwölckte Mond
Und die Nachtigall dich tief in Gedanken fenckt,
Stehet plözlich dein Bruder,
Und ein Fremdling an feiner Hand.
Selma, wenn dir alsdann ffchnelle Vergefseuheit
Deiner leichteren Tracht, wenn dir dein lautes Herz,
Deines Grufses Verftummen
Dir Weifsagte, dafs ich es fey!
Zu Voss' Sämtlichen werken, Leipzicf 1835, s. 120 bietet die iriedei'schrift erhehlicln^
Varianten. — Zur letzten strophe vgl. auch Voss' Gedichte I. Hamhurfi 17N5 s. ^'i-'y
'An Selma' die Schlussstrophe (Sämtliche werke 18S5 s. 121).
Auf blatt 52 b und blatt 53 a:
Die Laube. Vofs.
Mit des Jubels Donnerfchlägeu, . . ..
Zum Vossischen musenalmanacli 1778 s. 134 bietet die linndschrift n(riii)itcii ; irf,
führe die fünfte strophe an :
1) Kleiftens Frühling. [Anm. der Htlschr.]
AUS HKIXRKH CHRISTIAX liOIES NACHLASs 217
Alle Kreatureu loben,
Wachteln unten, Lerchen oben ;
Schafe blocken durchs Gefild
Und der Stier im Sumpfe brüllt!
— Voss' SöDilliche irerke; Leipziff 183'j, s. 160.
Notizbuch des N. N.
Diese handschrift bringt bei ihren sebr verschiedenartigen ein-
tragungen unter anderem zahlreiche zitate aus klassischen autoreu,
präparationen, wie sie sich ein schulmann machen konnte, notizen
iius älteren druckschriften und auszüge aus Journalen, daneben viel-
fache eintragungen, die sich auf den gang der französischen revolution
beziehen.
Damit sind für die entstehungszeit schon bestimmte jähre an-
gedeutet. Denn es handelt sich nicht um die nachträgliche Sammlung
solcher notizen zur Zeitgeschichte; vielmehr muss der besitzer des
T3uches seine eintragungen während der ersten revolutionsjahre ge-
macht haben. Sein notizbuch bringt nämlich auf s. 336, in einer
besonderen, dazu vorgesehenen rubrik - auf die auch die inhalts-
«))ersicht am Schlüsse verweist — eine sorgsam geführte totenliste,
■i\\Q mit dem jähre 1794 anfängt und mit dem märz 1795 abbricht.
Die letzten eintragungen in dieser liste lauten :
'd. 10 märz f A. G. Carftens 82 J.
., 19 „ .. J. A. Ebert geb. 1723.
.. 21 „ „ D. Christoph Kaufmann zu Herrenhuth 42 J. alt.'
Mit diesen eintragungen ist das blatt nicht gefüllt; das ganze
notizbuch ist auch längst nicht vollgeschrieben ; aber mit diesem datum
€ndet die chronologische liste der verstorbenen.
Durch diese totenliste ist ein fester termin auch für die übrigen
notizen und gedichteintragungen der handschrift gegeben.
Yossiana.
Was das notizbuch an Klopstockschen gedichten enthält, habe
Icli oben bd. 48 s. 418 aufgeführt. Es sind vier gedichte, die in den
Jahren 1792 bis 94 entstanden oder gedruckt wurden, von denen sich
drei auf die franzr»sische revolution beziehen. Einen besonderen,
kritischen wert für Klopstocks text haben diese abschrifteu nicht.
Beachtenswerter scheinen mir die zahlreichen gedichte von Joh.
Heinr. Voss zu sein, die in unserer handschrift zusammengetragen
sind. Es handelt sich - altgesehen von einem sehr viel älteren ge-
ieaenheitsEredichte \on 1773, das der familie Boie gewidmet ist -
218 ( ONSKNIII s
um gediclite, die sänitlicli 1792 bis 1795, und zwar zuuioist in den
beiden für Voss selir cri;iel)igen Jahren 1794 und 1795 entstanden
sind. Darunter eines, das im notizbueli auf s. 154 oline Überschrift
mitgeteilt ist (Mit uns il't Gott! Mit uns ift (lott! . , .) und in Voss'
werke nicht aufgenommen wui'de. Es ist ein älteres freiheitslied, das
noch aus Voss' Göttiuger zeit stammt, aber während der französischen
revolution umgeformt und an eine neue adresse gerichtet wurde;
nicht melir an die Deutschen, sondern an die Franzosen ! Trotzdem
war die politische ansieht des dichters die gleiche geblieben. Das
ziel des kampfes, die sache <ler freiheit selbst, hatte sich für Voss so
wenig verändert, dass ihm die älteren verse noch nach zwei Jahr-
zehnten als der ausdruck seiner unveränderten gesinnung galten. Diese
spätere Umformung dürfte ungedruckt geblieben sein.
Eine stattliche zahl der vielen gedichte aus Voss' späten, lyrischeu
erntejahren, die unsere handschrift gesammelt hat, wurde im zweiten
bände von Voss' gedichtsammlung, der in Königsberg 1795 erschien,
gedruckt. Dieser zweite band w'ar dem ersten nach zehn jähren ge-
folgt! Zur füllung des bandes hatte es einer neuen Schaffensperiode
bedurft. - Sehr viel mehr der handschriftlich gesammelten gedichte
dienten Voss zur aussteuer der jährlichen bändchen seines almanachs,
bis zum ende ihrer langen reihe, bis zum jähre 1800. Die fülle der
verse von 1794 und 1795 verteilte Voss, dessen produktive kraft noch
keineswegs erschöpft war. auf die einzelnen Jahrgänge dos musen-
kalenders. - Als dieser almanach aufhörte, als Voss darauf, er zog
aus Eutin fort, dem publikum seine sämtlichen gedichte in einer neuen
ausgäbe gesammelt vorlegte (Königsberg 1802) griff der dichter wieder
auf den Vorrat der jähre 1794 und 1795 zurück. Einige gedichte
wurden wohl erst in der auswahl der letzten band, in der Königs-
berger ausgäbe von 1825, veröffentlicht, andere erhielten natli
Voss' tode — in den zu Leipzig 1835 erschienenen sämtlichen werken
ihren platz.
Unsere handschriftliche Überlieferung bleibt den späten drucken,
gegenüber wichtig. Zwar bietet das notizl)uch des N. X. nicht die
Vossische handschrift selbst; aber doch eine niederschrift, die fa*>t
unmittelbar nach dem entstehen der gedichte gemacht wurde. Und
war es im grossen und ganzen auch nicht die art des älteren Voss,
seine gedichte, denen er einmal eine feste form gegeben, beim späteren
druck durchgreifend zu ändern, ihnen umgestaltend eine wesentlich
andere fassung zu geben dennoch zeigt die ältere niederschrift zu
den späteren drucken Varianten, die bemerkenswert l)leiljen.
AIS HEINKUH (HRISTIAX l'.OIES NAt lil.AsS 219
Leider fehlen dem Boiesclieu nachlass die briefe von Voss und von Eniestinen.
Dafüi- sind Boies eigene briefe an seinen schwager und die Schwester in die
Boieschen iiapiere zurückgeflossen. Diese korrespondenz. die sich über mehr als
drei Jahrzehnte erstreckt, weist für die jähre 1792 bis 1795. d. h. für die jähre, die
gerade für unsere handschrift in betracht kommen, eine Kicke auf. die nicht ganz
zufällig zu sein scheint. Denn auch in Boies briefen an frau von Pestel (7 1S05),
die gleichfalls ira Boieschen nachlass ruhen, fehlen z. b. alle briefe aus dem jähre
1794. In brieflicher Verbindung hat Boie während dieser jähre ganz bestimmt mit
seinen vertrauten korrespondenten, mit dem schwager und mit frau von Pestel.
gestanden ; aber seine briefe aus den politisch erregten zeiten, die auch ruhige
uaturen mit sich fortrissen, bis im weiteren verlauf der revolution die eruücliteruui:-
eintreten musste, dürften später absichtlich vernichtet sein. — Was der Voseische
nachlass, der in München ruht, etwa an ergänzungen bietet, habe ich zum zwecke
dieser kurzen mitteilungen nicht eingesehen.
Einen ersatz für die lücken in der korrespondenz mit Voss und frau von
Pestel können Boies briefe an Friedrich Nicolai zwar nicht geben, denn dieser
briefwechsel ist auf einen ganz anderen ton gestimmt. Ein paar stellen aus Bolcs
briefen an Nicolai führe ich doch an:
Boie, M e 1 d 0 r f den 28. n 0 v e m b e r 1794, an Nicolai: '. . . Vufs hat
mir 6 neue Lieder, eins naiver, lieblicher, ftärker, ich mögte fagen erhabener als
das andre, alle Kinder des Novembers, gefohickt. die ich, wie gern, mit Ihnen lefcn
mögte ; aber aus der Hand geben darf ich fie nicht, da lie dem nächften Almanach
beftimmt find, und vorher nicht bekant werden dürfen. Indefs, wenn Sie mir
verfprechen es nicht aus Ihrer Hand zu geben, fchreibe ich Ihnen den QueUgefang
ab, der Sie vorzüglich freuen wird. Heute, obgleich ich Ihr vorher gegebenes Wort
nicht brauchte, l'chicke ich es nicht; Yofsens Yerfe und meine Keime muffen nicht
zufammen gelefen werden . . .'
Boie, Meldorf den 22. januar 1795, an Nicolai: 'Mein Verfprechen
Ihnen, mein werthefter Herr und Freund, einige Vofsifche Lieder gelegentlicii ab-
zufchreiben und mitzutheilen, war kein Verfprechen des Eigennutzes, oder ein
Verfuch, auf diefe Weife das von Ihnen zu erhalten, was Sie nicht aus der Hand
zu geben durch Ihr Wort gebunden find. Ich glaubte Ihnen ein Vergnügen zu
machen, und hatte damals, als ich der Lieder erwähnte, nur nicht Zeit zum Ab-
fchreiben. Hier find einige, von denen ich nur keine andre Abfchrift zu erlauben
bitte, weil ich noch nicht weis, welchen Gebrauch der Dichter davon zu machen
denkt. Er fährt noch immer fort zu fingen, und hatte vor drei AVochen, als ich
•lie letzte Nachricht von ihm hatte und der junge Niebuhr mit Henslern in Eutin
war, über 60 Lieder gedichtet. Man mufs ihn notwendig lieb haben, wenn man
weis, dafs allein die ihm auch geglückte Abficht, feine durch das Leiden unfers
Bruders bekümmerte Frau und diefen felbft zu erheitern, ihm die Leier wieder in
die Hand gegeben hat . . .'
Vossens -yuellgerang" (Als Hirten ftehen wir und laulciien . . .) und viele
andere lieder gerade aus dieser zeit sind in unserer handschrift zu finden. Und
was Boie über Voss' bemühung gesagt, über sein bestreben, durcli gesang die letzte
lebenszeit des kranken brnders und schwauers Rudolf Boie zu erheitern, hat Voss
220 ^ coNsEr^-iirs
iu schlichter weise selbst bestätigt'. — Christiau Eudolf Boie, der als konrektor
aucli in amtlicher Verbindung mit Voss stand und den rest seines kurzen lebens
in dem traulichen, schönen Eutiner familienkreise verbrachte, starb am 16. april 1795.
Es handelt sich bei den gedichten, über die Heinrich Christian Boie ent-
zückt war — freilich hat er mehr und mehr in späteren jähren, als er in dem ab-
gelegenen Meldorf von literarischen Verbindungen fast abgeschnitten war, den
dichter und schwager stark überschätzt — meist um gelegenheitsgedichte Vossischer
hauspoesie. Vossens muse, etwas pedantisch und steif, ganz wie es Vossens phan-
tasiearmer art entsprach, sass gern, des schmauses froh, bei tisch und feierte
ländliche feste oder brachte polternd die starre, unduldsame politische gesinnung
des dichters, dem wahre toleranz auch auf kirchlichem gebiete versagt war, zum
ausdruck. Diese gedicbte sind grossenteils kommandierte poesie. Hier erfüllten
sie den guten zweck, den lebensabend des kranken, jüngeren Schwagers zu ver-
schönen.
Im notizbuch des X. N. sind folgende gedichte, bei denen Voss als Verfasser
genannt ist, eingetragen; nach der alten Seitenzählung auf
Seite B9: Agathonan den König Archelaus.
Drey Lehren fafs' ein Herrfcher wohl ins Herz: . . .
(,)iidlein()igahe: Barnef. in vita Eurip. Unterzelclinet: Vfs. Zhiii VossiscJieii ini(sen-
aliHcniarh 1794 s. 72 nnd dem ahdruch in Vofis' Säniflidien wevhen, Leipzig 18S5^
•s. '^90 bietet die liandschrift rarianfe)t.
Weiterhin in fortlaufender folge von
Seite 72 ab: Der Geif t Gottc s.
Was laufcheft du, o Volk der AUemaunen, . . .
unterseifhnet : Vofs. Vgl. VossiscJier mnsencdmanach 1796 s. 3. — Voss' Sämtliclie
irerhe, Leipzig 1835, s. 204.
Seite 72 D er Agnes w er der.
Das Weiblein thut fo heftig, . . .
unterzeichnet: Vofs. Zion Vossischen musenalmanach 1796 s. 24 bietet die hand-
schrift nur geringe carianien. Voss' Sfhntliche werke, I^eipzig 1835, s. 215 gelen,
ausser Varianten, zn-ei Strophen mehr.
Seite 74 Der Frauentanz.
Die Mädchen.
Mit heran in den Tanz, . . .
unterzeicJinet: Vol's. Znm Vossischen inusenahnanacJi 1797 s. 22 bietet die hand-
schrift 7iiir geringe Varianten. In Voss' Sämtlichen loerli-pn, Leipzig 1835, s. 205
i/ekürzt und geändert.
Seite 7ii Frühlingsreigen.
.Jünglinge u. Mädchen.
0 wie dem Mai die Natur fich verjüngt! . . .
n)itcr der Überschrift das rersschema. Unterzeichnet: Vofs. Znm Vossischen mnsen-
almanuch 1797 s. 138 bietet die handschrift nur geringe Varianten. — Voss' Sämt-
liche irer/.-e, Leipzig 1835, s. 205.
1) Voss' Sämtliche gedichte, Königsberg 1802, V. s. 297 f.
AUS IIEIXRRH CHRISTrAX BOIKS XACIILASS 221
5eiT 76 Braut tanz.
Jünglinge u. Mädcheu.
Nim dich in Aclit, du Bräutclien, in Acht. . . .
iinterzeiclmet: Vofs. Fehlt eleu Vossischeti inn.^enalnianachen. Zu J'oss' SVinitlichen
t/edtcJifeii, Köniffftbery 1802, 1\ s. 173 hietef die JunidscJiriff cariauten. — T'o.ss'
SiimtUclie irerl-e, heipzUj lH3ö, s. 210.
Seite 78 Wint erreige u.
Tänzer.
Sei, Winter, gegrüfst, du freundliclier Greis ! . . .
)interzeichuet: Vofs. Zum Yossischen musenahnanach 1798 s. 110 hietef die hatid-
schriff nur gerimje Varianten. — Voss' Sämtliche icerJ.-e, Leipziff 1835, s. 213.
Seite 79 Braut tanz.
Tanzt, ihr Jünglinge, tanzt, ihr Schweftern ! . . .
unferceichiiet: Vofs. Zum Yossischen mnsenalmanach 1800 s. 7 bietet die handschrift
nur gerinye Varianten. — In Voss' .Sämtlichen n-erl/en, Leip:iff 1835, s. 2V^ um eine
•strfyphe erireitert.
Seite 80 Die Abendf tille.
Schön vom Abend, fchön . . .
unterzeichnet: Vül's. Zum Vossischen musenalmanach 1797 s. 57 bietet die hand-
schrift nur gerinyfäyige rarianten. — In ]'oss' Sämtlichen icerl.'en. Leijizig 1835,
s. 223 um eine Strophe erireitert.
Seite 81 Die erneute Men fchli ei t.
Stille herfch', Andacht, und der Seel' Erhebung, . . .
unterzeichnet :' Vofs. Der handschrift, die zu/n Vossisclien musenahnanacli 179(1
■s. 12 rarianten bietet, fehlt das rorgedrwlte rersschema. — Voss' Sämtliche u-erli-e,
Leipzig 1835, s. 134.
Seite 82 Vaterlandsliebe.
Ein edler Geift klebt nicht am Staube; . . .
unterzeichnet: Vofs. Zu Voss' Gedichten II. Königsberg 1795 s. 244 bietet die
handschrift nur geringfügige rarianten. — T'o.s.s' Sämtliche werl-e, Leipzig 11^35,
-s. 202 \
Seite 82 An Schulz.
Eile nicbt zum Sternenchor, o Sänger; . . .
unterzeichnet: Vofs. Zu Voss' Gedichten IL Königsberg 1795 s. 247 bietet die hand-
schrift nur t/anz geringfügige rarianten. — Voss' Sämtliche u-erke, Leipzig 1835, s. 220.
Seite 88 Erneftinens Geburtstag. 1795
Jeder heut will Erneftinen, . . .
unterzeichnet : Vofs. Zum Vossischen musenahnanach 1796 s. 59 bietet die handschrift
rarianten. — Voss' Sämtliche u-erke. Leipzig 1835, s. 224.
Seite 83 Freude vor Gott.
Uns freuen wollen wir vor Gott: . . .
unterzeichnet: Vofs. Der Vossische musenahnanach 1800 s. 217 bringt, mit geringeren
rari litten, nur sechs .Strophen, die handschrift bietet sieben. Hinter der gedruckten
4. Strophe in der handschrift:
Geniefst, ihr Staubesfühn", erfreut
Der Dämmrung jener Herlichkeit !
1) Den abdruck im Genius der zeit april 1795 s. 393, auf den W. Herbst,
J. H. Voss IT. 1. 1874 s. 362 verweist, hatte ich nicht in der band.
222 CONSENTIUS
Dem mattem Sinn in dieier Trübe
Wie rtralt I'ie doch, die Wnnderliebe !
Wie wärmt, wie läutert I'ie das Herz,
Und fchwiugt vom Staub es himmelwärts!
— Voss' Säint/icJir irerhe, Leipzig 1835, s. 218.
Seite 81 Die Dichtkuuf t.
Nicht fchämet euch zu fingen, ...
unterzeichnet: Vofs. Vgl. Die hören IJOß, 7. stiick s. 77; die handscJirift bietet (j--
rinye Varianten. — Voss' Sf'imtlirhe iverJre, Leipzig 1835, s. 224.
Seite 8.4 Weihe der S c h ö n h e i t.
Die Schönheit ift des Guten Hülle; . . .
ohne Unterzeichnung. T^/l. Die hören 1795, 5. stfic/,- s. 135; die innidsrhriff hietet
nur geringe rarianten. — Voss' Sämtliche u-erhe, ^Leipzig 1835, s. 190.
Seite 85 D e r g u t e W i r t.
Schenkt, ihr Lieben, Ichenkt doch ein! . . .
unterzeichnet: Vofs. Ziim Vossischen nmsenahnunach 1796 s. 193 bietet die hand-
schrift nur geringe Varianten; aber bei jeder strophe die Vorschrift, dass der chor
die letzte.}) zirei ver.se der strophe n-iederholt. — Voss' Rämtliclie irerlie, Leipzig 1835,
s. 196.
Seite 86 Die Kirche.
Du, Vater, fandteft deinen Sohn, . . .
HHterzeichnet : Vofs. Zum Vossischen mnsenahna)iach 1797 s. 203 bietet die hund-
schrift Varianten. Die beiden letzten verse der (i. stroj^he in der handschriftlichen
und jedesfalls älteren Überlieferung:
Denn lange dunftet', öd' und dumpf,
In kalter Nacht ein öder Sumpf.
— Voss' Sämtliche n-er7,-e, Leijjzig 1835, s. 199.
Seite 87 -DasNac hieben.
Jung ift alles heut und fröhlich; . . .
unterzeichnet: Vofs. Zum Vossischen musenalmanach 1797 s. 34 bietet die hand-
schrift nur geringe Varianten. - ]^oss' Sämtliche Ml'rl.-e, Leipzig 1835, s. 221.
Seite 88 Sängerlohn.
Einer.
Ein neues Lied, ihr wackern Brüder, . . .
unterzeichnet: Vofs. Vgl. Die hören 1795, 5. stüclt' s. 138; dazu das Verzeichnis^
der druckfehle r. Die liandsrlirift bietet Variante)!, — Voss' Sämfliclie werl-e, Leiiizig,
1835, s. 222.
Seite 89 Die Ruhe.
Wir mögen uns der Sorg' entfchütteln, . . .
nnterzeiclinef : Vofs, Zum Vossischen musenalmanach 1797 s. 42 bietet die haid-
schrift nur geringe Varianten, — V'oss' Sä)ntliche n-erke, Leipzig 1SH5, s. 222 und s. 354..
Seite 90 Die Merz fe i er.
Fel'tlich prangt mit grünem Eppich . . .
unterzeichnet: Vofs. Zum Vossischen musenalmanach 1800 s. 03 bietet die liand-
schrift nur geringe Varianten. — Voss' Sämtliche werke, Leipzig 1835, s. 225.
Seite 9i Das Oberamt.
Vernehmt, ihr Volksgebieter, . . .
AUS HKCXHICH t HKlSTfAX BOrES NACHI.ASS 223
Kuterzeiclnirt: A'ofs. Die handsdirift briiKjt neun strophen, ihr Vossinche iiixseu-
(tl)nanach ISOO s. 102, neben geringeren caz-ittntcii, mir adit. Hinter der (jedmcldcn
■j. sfrophe bietet die handschrift -folgende 6.:
Geordneter Berather
Erwägung leuchtet dir:
Nicht Landesherr noch Vater,
Entfcheideft du nach Kiihr:
Was kluger Aeltften Mehrheit will,
Sei dir des Volks Gefez und Bill.
— l'oss' S('i))itliche irerke, Leipzig 1S3'j. s. 228 inid s. Söö.
Seite 91 Die Morgenheitre.
Du kühle Morgenftunde, . . .
unter:eiduiet : Vofs. Zutn Vossischen musenalmanach 1800 s. 1 bietet die luiud-
schrift geringe Varianten. — Voss' Sämtliche werke, Leipzig 1835, s. 224,
Seite 92 Abgefchied enh ei t.
Endlich heimgekehrt, . . .
unterzeicJtnet : Vofs. Zum Vossischen mnsenalmanach 1796 s. 81 bietet die hand-
schrift Varianten. — Voss' Sändliche uerke, Leijizig 1885, s. 230.
S. 93 Sehnlucht.
Freundlich ift das Wetter . . .
nnterzeicJmet: Vofs. Zum Vossischen mnsenalmanach 1/97 s. 6-3 bietet die h<tnd~
Schrift geringe Varianten. ■ — Voss' Sämtliche werke, Leipzig 1835, s. 227.
Weiterhin in fortlaufender folge von
Seite 149 ab: Di e Veredelung. Im Jul. 1793.
Der Geifteswildheit Nacht voll Grauen . . .
nnterzeichnet: Vofs. Zum Vossischen mnsenalmanach 1794 s. 164 bietet die hanl-
schrift nnr geringe Varianten. — ]"oss' Sämtliche n:erhe, l^eipzig 1835, s. 184.
Seite 1,50 Edel und Adel ich.
Edlere nennft du die Sijhne Gewapneter, die in der Vorzeit . . .
nnterzeichnet: Vofs. Zum Vossischoi musenalmanach 1794 s. 15 bietet die liand-
schrift geringe Varianten. — J'oss' Sämtliche uerl.-e, Leipzig 1835, s. 281.
Seite l.öl Burkens Denkmal.
Nach Goldfmith. lietaliation, a j^oem. 8 edit. I^ond. 1776.
Hier, Wanderer, nach Hader, Zank und Straufs, . . .
unterzeichnet: Vofs. Mit geringfügigen Varianten im Vossischen mns'nalmanach 1794
s. 172; dort nnterzeichnet: B. — Fehlt Voss^ Sämtlichen gedicliten, Königsberg 1825
und Voss" Sämtlichen werken, Leipzig 1835.
Unsere handschrift nennt Voss fälschlich als Verfasser dieses epigrammes auf
Edmund Burke (1780—1797). Die Unterzeichnung im musenahnanach Aveist viel-
mehr auf Boie hin; vgl. Redlicli, Versuch eines chiffernlexikons, Hamburg 1875,
s. 23. Weinhold, Boie 1868, s. 343. Diese deutung der chiifer wurde von Boie
selbst, bei erscheinen des almanachs, bestätigt. Boie schreibt am 22. dezember 1793
an frau von Pestel: '. . . Micb freut, flafs meine kleinen poetifchen Spielwerke Iliren
Beifall haben. Ich denke fie mit mehreren zum Thcil noch nicht vollendeten ein-
mal für meine Freunde zu fammeln, und dann felbft die Grabfchrift auf Burke nicht
auszulafsen, die, wenn einmal das politifche Für und Gegen aufhört, vielleiclit allen
•Stimme der Walirheit fcheiuen wird. . . .'
22i CONSEN'IH S
Weiterliiii in fortlaufender folge von
Seite 152 ab: Elegie. 1773.
Liebe Mädchen, was quält ihr mit troltverlangender Klage . . .
loiter zeichnet: V. Zum Göttitu/er mnsoiahnantich 1774 s. 197 bietet die handschrift
-ahlreiche Varianten. — Jn ]\)ss' Sämtlichen irerlen, Leipziij IHHf), s. 118 in iresent-
lirii ahireichender fassunf/.
(Tber den almauachsdruck dieses gedichtes auf den tod seiner Schwester
Meta ("l" 2. Juli 1773) Boie am 11). September 177.3 (in der fortsetzung seines briefes
vom 21. august 1778) an seine Schwester Ernestine: '...Die letzten Bogen des
Almanachs fchliefs ich dir bey, da die andern Briefe fchon zugemacht find. Vofsens
Denkmal uufrer verewigten Mcta wird euch allen gewifs Thränen koften, wie mir.
Die Namen find nur in wenigen Exemplaren ausgedrückt . . .' Ferner: Briefe von
Joh. Heinr. Voss hsg. von Abraham Voss I. 1829 s. 220 f.
.Seite 154 olnie fiherschrift :
Mit uns ift Gott! Mit uns ift Gott!
Und ftärkt uns Herz und Hand !
Für Erbrecht herrfcbt und Maclitgebot
Gefetz und Vaterland!
Ift einem noch die KnechtJ'chaft werth,
Und zittert ihm die Hand,
Zu heben Kolbe, Lanz' und Schwert,
Wenn's gilt für's Vaterland!
Weg mit dem Feigen! Weg von hier!
Er bettr um Schranzenbrot !
Und fauf um Fürften fich zum Thier!
Und bub' und läftre Gott!
Und putze feinem Herrn die Schuh'
Und führe feinem Herrn
Sein Weib und feine Tochter zu,
Und trage Band und Stern !
Mit uns ift Gott! Mit uns ift Gott!
Wir Francken harren fein!
Und rufen: Freiheit oder Tod!
Und fchaueu über'n Rhein !
Uns, uns gehöret Hermann an,
Und Teil, und Naffaus Held,
Und jeder freie deutfche Mann:
Wer hat den Sand gezählt!
Ob uns ein Meer entgegen wallt:
Hinein ! Sie find entmannt !
Die Knecht", und ftreiten nur im Sold,
Und nicht für's Vaterland !
Hinein! Das Meer ift uns ein Spott!
Und fingt mit lautem Klang:
Ein fefte Burg ift unfer Gott!
Der Freien Schlachtgefang!
AUS IIEINKRH CHRISTIAN BOIES XA( HLASS 22r>
Der Freiheit Engel Tchwebt daher
Auf Wolken Pulverdampf;
Schaut zornig auf der Feinde Heer,
Und l'chreckt l'ie aus dem Kampf.
Sie fliehn; der Fluch der Länder fährt,
Gleich Blitzen, ihnen nach,
Und ihre Rückeu kerbt das Schwert
Mit feiger Wunden Schmach.
Auf rothen Wogen Avälzt der Kheiu
Die Sklavenäfer fort;
Und fpeit fie aus, und fchluckt fie ein.
Und jauchzt am Ufer fort;
Und lieht an beiden Ufern hin
Vom Quelle bis zum Meer,
• Vereinte Hrudervölker blüliu.
Und Freiheit rings umher! Y.
FeJilt in (lieser forw den J^ossisclieit hiKseiiahiiaiiacJten uml den <iiis(jahe)i der (jediclde.
— Ans einer Eutiner handsclirift teilte 11'. Herbst, J. H. Voss II. 1. 1871 s. 29Sf.
COH diesem yedichte 'Für die Franken am Rhein' drei Strophen mit, die leichte
rarianten bringen. Die Eutiner handsclirift gibt die Strophen anscheinend in an-
derer folge.
Es handelt sich um die verkürzeiide umbieguug des 'Trinklieds für Freye"
(Vossischer musenalmauach 1776 s. 107 ; Voss' Sä,mtliche werke, Leipzig 1835, s. 155).
Dieses triuklied forderte die Deutschen zum kämpf gegen ihre despotischen fürsten
auf. Die umbieguug ist ein den Franzosen der revolutionszeit in den mund ge-
legter Schlachtgesang gegen Deutsehland, soweit es sich der revolutionären bewegiing
nicht anschliessen wollte.
Seite 155 Hymnus der Freiheit.-
Mel. Marfch der Marleiller.
Sei uns gegrüfst, du holde Freiheit! ...
\intr zeichnet: V.^ Fehlt den Yossischen musenulmanachen. Zum Schlesicigschen
Journal, 2. stücl- febrnar 179S s. 2.52 bietet die handschriff nur geringe mrianten.
Zu Voss' Sämtlichen gedieht n, Königsberg 1802, IV. S. 212, die das gedieht in um-
gearbeiteter fassung bringen, zahlreirlte und erhehlirhe rarianten. — Foss' Sämt-
liche icerhe, Leipzig 1835, s. 183.
Den stark durchkorrigierten entwurf, von Voss eigener band geschrieben,
besitzt die Künigl. bibliothek zu Berlin aus der Partheyschen autographensammhiug.
"\^'eiterhin in fortlaufender folge von
Seite 184 ab: Morgenlied.
Erwacht in neuer Stärke, . . .
■unterzeichnet : Vofs. Zum Vossischen musenalmanach 1800 s. 195 bietet die hand-
schrift geringe variantet^ — T'os.s' Sämtliche werke, Leipzig 1835, s. 191.
1) Es folgt im notizbuch des N. N. auf seite 158:
Hymne des Marfeillois,
par Mr. Dreux. [Dies wort gestrichen; daruntergeschrieben : Delisle. Späterer
znsatz: Rougez ift VerfalTer.]
Allons, enfans de la patrie, ...
■226 ■ cnNSENTirs
Seite 184 Der Kälberrath.
Hört, Freunde, hört den klngen Kath ! . . .
unterzeichnet : Vofs. FeJilt iJen Vossischen nixsenahnanachen. Zu Voss' Sämtlichen
(^/cdichten, Königsheiy 1802, VI. s. lHf> hietet die henidsrhrift raricmten. — Voss'
Sämtliche werke, Leip:if/ 18o.j, s. 267.
Seite 185 Abendlied.
Das Tagewerk ift abgethan. . , .
Huterzcichnet: Vofs. Zum Vossische)i muscnalnuDUirh 1800 s. 122 bietet die hand-
srlirift nur (ferinfifüe/if/e ra rimite)! . — Voss' Sämmfliche werke, Leip^ie/ 18S5, s, 191.
Seite 185 Der zufriedene Cxreis.
Ein Nachbar vor G 1 e i ni s H ü 1 1 c li e n.
Ich fize gern im Kiililen . . .
unterzeichnet Vofs. Zu Voss' Gedichten II. Könie/sberc/ 1790, s. 258 bietet die hand-
.srhrift >ii(r ganz (jeringfiujvje Varianten. — Voss' Sämtliche werke, Leipzig 18'-irj,
s. 189 '.
Seite 186 Mein So r g e n f r e i.
Wenn ich nur bei Laune bin ; ...
unterzeichnet: Vofs?. Zn Voss' Gedichten II. Königsberg 1795, s. 249 bietet die
handschrift nur geringfügige Varianten. — Voss' Sämtliche werke, Leipzig 1835, s. 209.
Seite 187 Die Kartoffelernte.
Kindlein, fammelt mit Gefang . . .
unterzeichnet : Vofs. Zum Vossischen musenalmanach 1800 s. 51 bietet die hand-
.schrift nur geringfügige Varianten. — Voss' Sämtliche werke, Leipzig 1835, s. 197.
Seite 188 Vor dem Braten.
Sehr wilikoramen, lieber Hafe, . . .
imterzeichnet: Vofs. — Zum Vossischen musenalmanach 1790 s. 75 bietet die hand-
schrift Varianten. J'o.s's' Sämtliche a-erke, Leipzig 1835, s, 198 in gekürzter form.
Seite 188 Die Nähftnbe.
Fleifsig immer feyn, . . .
unterzeichnet Vofs. Zum Vossischen musenalmanach 1798 s. 141 bietet die hand-
.'ichrift nur geringfügige Varianten. — Voss' Sämtliche werke, Leipzig 1835, s. 195.
Seite 189 Die B raut am Geftade.
Schwarz, wie Nacht, braufeft du auf, Meer! . . .
unterzeichnet: Vofs. Zum Vossischen musenalmanach 1796 s. 156 bietet die hand-
schrift Varianten. — Voss' Sämtliche u-erke, Leipzig 1835, s. 212 in erweiterter
fassung.
Seite 189 Die A n dersdenkenden.
Wohlan ! wir bleiben einig, . . .
unterzeichnet : Vofs. Zu Voss' Gedichten IL Königsberg 1795, s. 239 bietet die
handschrift geringe Varianten. — Voss' Sämtliche werke, Leipzig 1835, s. 202^.
Seite 189 Ent f chlo f f enheit.
Vorwärts, mein Geilt, den fchroffen Pfad! . . .
unterzeichnet : Vofs. Zum Vossischoi musenalmanach 1796 s. 106 bietet die hand-
schrift nur geringfügige Varianten. — Voss' Sämtliche werke, Leipzig 1835, s. 193.
1) Den abdruck im Genius der zeit märz 1795 s. 341, auf den W. Herbst,
J. H. Voss II. 1. 1874 s. 361 verweist, hatte ich nicht in der band.
2) Den Genius der zeit märz 1795 s. 839, auf den W. Herbst a. a. o. verweist,
hatte ich nicht in der band.
AUS IIEIXÜICH CIiniSIIAN BOIES XACHLASS 227
.Seite 19U Die Wehklage.
AVelie mir! ich armer Säuger kann . . .
iiiitczekhttet: Vofs. Voss' Gedichte II. Königsberg 1795, s.25(J bringen sieben Strophen,
10)1 (Jenen die gedruckte i. der handsdirift, die Varianten bietet, fehlt. — Voss' Sämt-
liche werke, Leipzig 1835, s. 193.
Seite 190 Die Duldfamkeit.
Wir leben nicht; uns träumet . . .
unterzeichnet: Vofs. Der Vossische muse}ici.lnianach 1797 s. 93 bringt nnr fünf
Strophen; die handschrift sechs. Als vorletzte Strophe der handschrift:
Ihr feht der Höh Erfcheinung,
Und nennt fie gläubig- Gott,
Gebietet eure Meinung,
Und dräuet Straf und Tod.
Gott glauben auch die Andern;
Nur auders flehu fie an.
Lafst friedfam jeden wandern,
Und glauben, was er kann !
Auch Voss' Sämtliche we'rl-e, Leipzig 1835, s. 199 bringen nur fünf strojilien.
Seite 191 Die Arbeiter.
Frifchen Mut, ihr wackren Leute! . . ,
unterzeichnet: Vofs. Der Vossische musenahnanach 1800 s. 23 bringt nnr fünf
.Strophen ; die handschrift, die geringe Varianten bietet, noch eine sechste schlnssstrophe :
Dann ans Werk, ward ausgeplaudert!
Chor, Fleifs auch fchraeckt!
Wer uns läffig fäumt und zaudert,
Chor. Wird geneckt!
Luftig, Kinder ! fchaft zur Wette !
Müd' am Abend euch im Bette
Ausgef treckt!
Chor. Luftig etc. etc.
Auch Voss' Sämtliche werke, Leipzig 1835, s. 201 bringen nur fünf atrophen.
Seite 192 Dithyrambe,
Wenn des Kapweins Glut im Kryftall mir tiaramt; . . .
unterzeichnet: Vofs. Zum Vossischen nnisencdmanach 1796 s. 94 bietet die hand-
schrift nur geringfügige Varianten. — Voss' Sämtliche iverke, Leipzig 1835, s. 206.
Seite 192 Die Rofenfeier.
Traulich kamt zu dem Freund' ihr Freunde, . . .
unterzeichnet : Vofs, Zum Vossischen musenalmanach 1796 s. 67 bietet die hand-
schrift nur geringfügige Varianten. — Voss'' Sämtliche icerhe, Leipzig 1835, s. 208.
Seite 193 Der Rofen kränz.
An des Beetes Umbüfchuug . . .
unterzeichnet: Vofs. Zum Vossischrn musenalmannch 1800 s. 33 bietet die Hand-
schrift Varianten. — Voss' Sämtliche n-erke, Leipzig 1835, s. 210.
Seite 193 Der Frühlingsaben d.
Nicht dein fchmelzender Zauberhall . . .
unterzeichnet: Vofs. Zum Vossischen musenalmanach 1800 s. 88 bietet die hand-
schrift nur geringfügige Varianten. — ^'oss' Sämtliche werke, Leipzig 1835, s. 211.
228 CnNSENTUIS, Al'S HKINUK II CIIKI.sTIAN I!OIK8 NACIILASS
Seite 194 Ne uj ah rsli ed.
(1. 31 Dez. 1794
Mit Andacht grüfst das neue Jahr! . . .
>inier:eichiiet : Vol's. Fehlt den Vossischen mnse)ialma)iachen. \'(jl. \'oss' SiiiiiHitlit
f/eiUchte, Köniijsbery 1H02, \'. s. 154. — Voss' SämfficJiP irerhe, Leipziij 1SH5, s. ::il>i^
Seite 19-1: N euj alirslied.
d. 1 Jan. 1795
Hebt euer Haupt zum Himmel auf! . . .
toiferzeic/niet: \ok. Zum Vossischcii Dinsenalmanach 1800 s. 28 bietet die iivud-
sclinft nur j/erinije raritoitcn. — Voss' Sömtlirlie irrrke, LeijKi;/ 1835, s. 216.
Seite 195 Gebet.
Vor dir, o Gott, zu beten ^ . . .
initerzeichnet: Vofs. Zum Vossischen ninsenabnmucclt. 1790 s. l/^ö bietet die lunnl-
schrift nitf (jeriiH/fUf/ige cariante)!. — Voss' Sämtliche irerl,-e, Leipzig 1835, s, 21/.
Seite 196 Friedensr eigen für Amerika.
]\nt Gefaug und Tanz lei gefeiert, . . .
unterzeichnet: Vofs. Z)iin Vossischoi luusencdmanach 1796 s. 140 bietet die haml-
schrift mir [/eriiKjfiiyiije rai-iunten. — Voss' Sämtliche tre)'],-e, Leipzig 1835, s. 22o.
Seite 197 Am Geburtstage.
Schmückt Tafel und Gemach, . . .
unterzeichnet: Vofs. Zum Vossischen niusenalmanach 1798 s. 98 bietet die haml-
schrift Varianten. — Voss' Sämtliche -werke, Leipzig 1835, s. 203.
Weiterhin in fortlaufender folge von
Seite 203 ab: Chorgefiing an der (Quelle, d. 11. Xov. 1794.
Als Hirten Iteheu ^ir und laufchen, . . .
unterzeichnet: Vofs. Zum Vossischen musenabnanach 1796 s. 37 bietet die hand-
schrift nur geringe Varianten. — Voss' Sämtliche werhe, Leipzig 1835, s. 185.
Seite 205 Beim Erntekranz, d. 13 Nov. 1794.
Die Scheun' ift vollgedrängt von Garben, . . .
unterzeicJinef: Vofs. Die erweiterte Überschrift, die Widmung und aumei-kung im
Vossischen nucseiialmanach 1796 s. 126 sind s]Kiterer zuscdz, .de)- in do- handschrift
fehlt. Zum te.rt bietet die handschrift geringe Varianten. — Voss' Sämtlielie werke.
Leipzig 1835, s. 62 als einlage in die idylle 'Die Erleichterteil' .
Seite 208 Chorgefang beim Eheinwein.
Ihr habt doch Wein genug im Hause? . . »
nnterzpichnet: Vofs. Fehlt den Vossischen musenahnanachen. Zu, Voss' Säm1liche)i
gedichten, Königsberg 1802, IV. s. 246 bietet die handschrift Varianten. — Voss''
Sämtliche werke, Leipzig 1835, s. 187.
Seite 209 Der Herbftgang.
Die Bäume fteha der Frucht entladen, . . .
■unterzeichnet: Vofs. Zum Taschenbuch von J, G. Jacobi und seinen freunden für
1796 {Königsberg und Leipzig) s. 179 bietet die handschrift nur geringfügige Variante)).
— Voss' Sämtliche werke, Leipzig 1835, s. 194.
Seite 211 Pfingftlied.
Schmückt das Feft mit grünen Maien ; . . .
unterzeichnet: Vofs. Zu Voss' Gedichten 2L Königsberg 1795, s. 264 bietet die Itami-
schrift erheblichere Varianten. — Voss' Sämtliche u-erke, Leipzig 1835, s. 194,
DAKKüKOW, ADHRA5UKE UXD DIE GERMAXISCHE FKAJIEA 229
Seite 213 Tifchlied.
Der Länder Frucht, liier aufgetifcht, . . .
tiuter-ekhiiet : Vofs. Zum Vossischen innsenalmanach 1800 s. il bietet die hand-
schrift nur f/eritujfUgige Varianten. — In Voss' Sämtlichen werken, Leiiyzig 183ö,
s. 196 um eine strojylie gekürzt.
Seite 214 A u m e i n e n S t ü 1 b e r g.
Hier unterm Baume wehts fo kühl, . . .
unterzeichnet: Vofs. Zu Voss' Gedichten II. Königsberg 1795, s. 262 birtet illi- IkuhI-
schrift Varianten. — Voss' Sämtliche werke, Leipzig 183.5, s. 193'-.
BEKLIX. ERX.Sl' COXSEXTUS.
MISZELLEX.
Adhramire und die germauische framea.
Schon Wackernagel hatte Zfda. 2, 558 darauf hingewiesen, dass iu einigen
handschrifteu der Lex Salica der rechtsausdruck adhramire durch adframire wieder-
gegeben ist, und dabei die möglichkeit erwogen, hier einen etymologischen Zu-
sammenhang mit der germanischen framea anzunehmen.
adhramire oder ßdframire entspricht einem germauisclien hrumjan, bei
Wulfila überliefert für griech. ataupoüv = kreuzigen, anheften. Wir urakjan zu
urakja (f, jo) würde sich dann hramjau zu *hramja = framea verhalten, und diese
bezeichnuug würde nach Wackernagel als waffe bedeuten : 'die haftende und heftende'.
Grimm billigte diese Vermutung Wackernagels -, aber Müllenhoff lehnte eine
solche deutung ab als 'sprachlich und methodisch gleich unzulässig, weil auch
1) Es sei noch auf H. C. Boies abschrift der Vossischen -'(Trabfchrift unferes
Haushahns' (Vossischer musenalmanach 1795 s. 113; Voss' Sämtliche werke, Leipzig
1835, s. 266) hingewiesen. Boie teilte dies gedieht mit geringen Varianten brieflich
am 8. dezember 1793 frau von Pestel mit und kam in einem weiteren briefe vom
22. dezember 1793 an frau von Pestel wieder auf diese grabschi'ift zu sprechen.
Durch Boies briefe wii-d die datierung in Voss' Sämtlichen werken, die auch Sauer,
Der GiJttinger dichterbund I = Deutsche nationalliteratur bd. 49 s. 342 übernahm,
berichtigt.
Im Boiesehen nachlass befindet sich ferner ein loses blättchen — nicht von
Boies, auch nicht von Vossens band — das mit Varianten die allerdings hier und
da fehlerhafte abschrift vom 'Hochzeitslied für Friz und Heinrich Vofs. 1781'
(Vossischer musenalmanach 1783 s. 38; Voss' Sämtliche werke, Leipzig 1835, s. 258)
bringt. Dies blättchen nennt in der Überschrift die sonst fehlenden nameu des
hochzeitspaares, denen das gedieht gewidmet ist, und das genaue datum:
Glück wunfch
an
Herrn Eadieck,
und
Mamfell Henriette Sturm,
von
Friederich Leopold Vofs,
und
Johann Heinrich Vofs,
Otterndorf den llteu Aug: 1781.
Vgl. auch W. Herbst, J. H. Voss I. 1872 s. 313.
2) Zfda. 7, 470 f. und Gesch. d. dtsch. spr. 513f.
ZEITSCIIEIFT F. PF.UTSCHE PHILOLOGIE. BD. XLIX. 16
2'S') DAIIKKROW
nicht i'in einziges lieispiel des gleichen huitühorgang-es iiineiinvlh des (h'utsclien
.sellist beizubringen ist" '.
Müllenlioffs bedenken erselieint jeddcii sofort iünfällig, wenn man annimmt,
dass die germanische *lin(iiij<( erst im lonianisciien munde 'iWY framea geworden
lind lins daher bei den hxteiniscdicn Schriftstellern mit diesem anlaut überliefert ist.
])ass /■/■ in romanischen, aus dem deutschen entlehnten Wörtern für ger-
manisches hl- geschiieben wurde, beweisen beispieh' ans dem altfrauzösisclien. wie:
anfrk. hrini ^ reif - frz. fi-imas (pic. 'friiiici-' — reifen, dazu \frlmairp' = der reif-
monat); afrlv. •hriinrlr --- saatkriihe — afrz. \l'nirr'] afrk. '///7>/7,- = rock — 'J'foc; afrk.
•Iirintl.jd = runzel. dazu '■/ronri/-'' = runzeln zieiien.
Dass diese lautsubstituierung aber auch schon im Vnlgäilateinischen statt-
gefunden hat. ci-gibt sich aus gallolateiiiischen'inschriften -. Befördert wurde sie
zweifellos durcli den umstand, dass das anlautende // im lateinischen schon am
ende <ler repnblik im volksniuiide gcscliwnnden war, während es sich im munde
der gebildeten noch etwas länger hielt*.
Die Vertretung des somit ungebi'äucblicli oder unbequem aiimiitendeu reibe-
lautes Ji durch ./' erklärt sich wolil daraus, dass dies eben der nächstverwandte
homogene laut war: stiitt der tonlosen spirans // wurde die tonlose spirans ./' ge-
sprochen'.
Dass tatsiichlicii ./' als ein dem Ji naheverwandtcr laut von dem lateiner
empfunden wurde, beweist der häufige Wechsel dieser Spiranten im anlaut'' und
die entsprechende laiitsiil)stituierung im sabinischen latein, z. b. hiiriis • jircits
hardiis >• fr/edits'''.
Wenn also vulgärlateiner, etwa römische Soldaten, die germanische waffen-
bezeichnung *hr(tiiij(f hörten, so war es für sie geradezu das nächstliegende, das
Mort als *franija = framea weiterzugeben.
Mithin erscheint Wackernagels ansetzung framea -; ''Jn-anija sowohl sprach-
lich wie methodisch als durchaus zulässig.
Es soll nun im folgenden versucht werden, diese etymologie auch noch durch
sprachverglcichende und rechtsgeschichtliche Untersuchungen weiter zu sichern.
Das gotische verb liramjan hat seine entsprechungen in griech. "/.p£p.ävv'j[it. ■ =
hänge, lit. /wr<Vc = hänge**, ags. /(rc>»;»f/>; = festmachen, hindern, an. j-ejtuua = be-
festigen, mhd. rrt»(pH = suspendere ". Auf welche weise dies /^r«»yV/>/ = festmachen,
anlieften liewirkt wurde, könnte aus den der *hra))ija entsprechenden nomiuibus
hergeleitet werden : griech. -/.psjjiäc;, ä§o; f. lit. pakorc = galgen, lett. pal-ars = liaken,
nagel. an dem man etwas aufhängt; ags. heorr, norr. /^üo/vp = türangel, altnd.
///•r/»/« = g.e.stell, stifte, genus pt^ne aculeo simile '" ; ags. In-amniK = \ÜM\e. tatze.
1) Dtsch. altcrtumsk. (12S.
'1} Pirson, La langue des inscriptions latines de la Gaule s. 83.
H) Gröber, Comnieatationes Woelflinianae 'verstummung des A, m und positions-
lange silbe im lateinischen' s. 172; Mever-Lübke, Roman, lautlehre s. 316; Romania
XI, 31)9.
4) Mackel, Die germanischen demente im altfranzösischen und pnivei:-
zalisehen s. 135.
.5) 8itti. Die lokalen Verschiedenheiten der lateinischen spiache s. (j.
(i) Schuchardt, Der vokalismus des Vulgärlateins I, 89.
7) Boisacq, Dict. etymol. de la langue grccfjue s. 51lj.
8) Zupitza. Die german. üutturale s. 113.
9) Scherz, Gloss. 9.
10) Passio S. Dionis. bei (Tallee, Vorstudien zu einem and. wörterlnieh.
A1>HRA.M(RE l'XD DIE GK1!:\[AXIS( UE lUAMKA 231
kralle. Derselbe stamm steckt \valirscheiDlich auch in an. Itrummr (adj.) beissend,
scharf und in hreuniid = da.s scbarfe, beizende, (z. b. des rauches), so dass die Ver-
mutung naheliegt, -sich unter dem urbild der *lu-amjc( als waffe einen schai-feu,
dolchähnlichen stift oder einen eisenstachel vorzustellen ', befestigt auf einem
h'Jlzernen schaft, wozu auch das zeugnis des Tacitus c. VI stimmen würde: 'Hastas
Tel ipsorum vocaliulo frameas geruut angusto et brevi ferro, sed ita acri et ad
usum habili, ut eodem telo, prout ratio poscit, vel comminus vel emiuus pugnent',
zumal hier die franiea im Zusammenhang mit dem mangel an eisen und im gegen-
satz zu den maioribus lanceis genannt ist. Auch die arcliiiologischen waffenfunde
und die daran geknüpften Untersuchungen würden mit dem geschilderten aussehen
der fraraea übereinstimmen -.
Bemerkenswert in diesem zusammenhange ist auch die von Grimm ^ angeführte
stelle aus den Melrichstadter Weistümern: 'item, wenn ein zehntpflichtiger mann
einen söhn, zwölf Jahre alt, hat, und derselbig liat einen stab, der unten und
■oben ein rinl^en und Stachel hat, der vertritt seinen vater zum satze.' Grimm
fügt hier hinzu: 'der unmündige wml gleichsam hierdurch waffenfähig und selb-
ständig.' Dieser stock mit dem eisenstachel als zeichen der waffenfähigkeit des
Sohnes und seines eintritts in das öffentliche rechtsleben erinnert auffallend an den
bericht des Tacitus c. XIII: 'tura in ipso coucilin vel principum aliciuis vel pater
vel prupinqui scuto frameaque iuveuem ornant: haec apud illos toga hie primus
iuventae bonos; ante hoc domus pars videntur, mox rei publicae."
Scliliesslich gestattet der sach- und wortzusammenhaug des aus dem ger-
manischen ins lateinische als leliuwort übernommenen rechtsausdrucks adhi-amire
noch eine Schlussfolgerung auf die ^hrainja als rechtssymbol. ciähramire erscheint
zumeist in der festen Verbindung 'sacramentum adhramire', z. b, : M. G. cap. I. p. 284;
440 sacrantenta acUiraiiiire vel jiirarn -tbl : sacraiiienta aclh rainitu (weitere beleihe
bei Du Gange), ebenso im afrz. Roman du Eenart (arnmir nn sairement).
Es ist anzunehmen, dass das vorbild dieser lateinischen formel eine ger-
manische rechtsformel war, und zwar wahrscheinlich: pkt Itranijan. Hierfür spricht
•auch der umstand, dass sich als glossiei'ung * findet: sacfa/nciifaiu adliramirp: mit
•eid Stäben.
Der symbolische rechtsvorgang der eidstabung spielte sich wahrscheinlich in
■der weise ab, dass; 'der eidempfänger dem schwörenden einen stab hinhielt, der
Tun diesem mit der band berührt wurde" °.
Auch dem ausdruck sacramenfum adliramire = cid Jiranijfni wird wohl ein
Solcher symbolischer Vorgang zugrundeliegen. nur wurde wahrscheinlich anstelle
<les Stabes die *lirainju (der speer) verwandt.
Das Zeugnis des Tacitus, dass die Germanen stets bewaffnet einhergiengen ",
ferner der umstand, dass die framea die gebräuchlichste und jedem erwachsenen
<"rmaiieu eigene waffe war. auch die besondere rolle, die der speer beim Lier-
1) '■'In-diiija = eisenstachel würde somit eine sachliche parallele zu got. (/(cds =
Stachel = lat. ItaHta ergeben ; vgl. Hirt, Die Indogermanen J, 330.
2) Richard Wegner, Angriffswatt'en der Angelsachsen s. 6; Petersdorff, Griechen
.'lud Germanen. Progr. Strehlen; Schweizer-i^idler, Tacitus' Gernuuiia s. 15.
H) Dtsch. rechtsaltertümer 137, 8.
41 Graff. Diut. I. 342 b.
."i) Hübner in Ho(i])s' Reall. I. 523.
Ci Tac. XIII.
lö*
232 * tONSENTIl'S
manischen ding spielte', legt die vennutuiig nahe, dass nicht der stah, sondiTii de:
speor das heim schwören ursprünglich«' reohtssymbol war'".
Als ausdruck für das schwören eines besonders starken eides zitiert Grimm '
norii eine stelle aus dem Simplicius simplicissimus 2, 428: 'dass du selbst, wann
du mich reden hören, einem lauferboten seinen spiess entzwei geschMoren hättest . . .'
Der waifeneid im allgemeinen ist auch sonst bezeugt bei (^uaden, Franken.
Sachsen und Angelsachsen '.
('irimm allerdings ist der meiuung, dass der ausdruck 'adliramirr' kein be-
sonderes Symbol voraussetze*, sondern einfach 'geloben' oder 'bestätigen', bezw..
'))efestigen', 'bestimmen' bedeute®.
Diese ansieht trägt jedocli nicht der eigenart des altgermauischen rechts-
lebens genügend recbnuug, für das die veranschaulichung des rechts Vorganges durcli
eine mimisch-dramatisch bewegte symbolische handlung geradezu charakteristisch ist.
Grimm beruft sich nun darauf, dass der ausdruck odhrautire in enger Ver-
bindung mit anderen rechtsymbolen vorkomme, also unmöglich selbst ein solches
Symbol in sich schliessen könne, z, b. in einer Urkunde Chlodowechs von 691 oder
092 ^quod et ita per ßsttica risvs est tir/u-znuiiissf' oder cap. 3, 818 § 15. 46 iradiioh
itdhramire und iradio adhraitiirr.
Hier braucht man jedoch nur eine erstarrung der alten rechtsfonuel an-
zunehmen, wie sie sich ebenfalls vielfach in späterer zeit bei dem ausdruck "mir
eid Stäben' findet, der auch in solchen fällen gebraucht wird, in denen gar niclit
mehr der stab als rechtssymbol benutzt Avurde, sondern avo der schwörende anden:
gegenstände, z. b. ein reliquiar berührte ■.
So wäre also der ausdruck adhratHu-v noch zu einer zeit beibehalten worden,
wo die *hramja bereits durch ein jüngeres rechtssymbol ersetzt worden Avar.
Weitere belege dafür, dass die alte sinnliche bedeutung der forme! in Ver-
gessenheit geriet, liefern Wendungen Avic '.se adhraiuire' oder ^aliijueDi (tdhrauiitxDi
habere'^,
KÖNKiSBEKG. M. DABEUKO\V.
Briefe von Klopstock.
Que[d]linburg, den 16ten März 1751 ''.
Liebe Schwefter,
Ich Aväre mit der gröfsten Freiide auf Eisleben gekommen, Avenu ich
nicht, fürs erfte notwendige Gefchäfte, wegen des neuen Drucks meines Ge-
1) Tac. XI und Schröder Z. R. G. 2U, 53 ff.
2) Vgl. Schröder, Dtsch. rechtsgesch, s. 61 f. (Thevenin, Coutributions ä
l'histoire du droit germanique', der in jedem bei einer rechtshandlung vorkommenden
Stabe die abwandlung einer waffe sieht); ferner Ehrenberg, Z. R. G. 16, 231; Kohler.
Z. f. vergl. R. W. 5, 429 ff.^ Lippert, Christentum, Volksglaube und volksbrauch s. 52(>.
der den schwurstab als 'rudiment der urwaffe' bezeichnet; im gegensatz hierzu l
von Amira, Der stab in der germ. Rechtssvmbolik.
3) Dtsch. Rechtsalt. 899.
4) Ib. 896, Hoops I, 523.
5) Dtsch. rechtsalt. 123.
6) Dtsch. rechtsalt. s. 814.
7) Hoops reall. I. 523.
8) Schröder, Dtsch. rechtsgesch. 305, 114.
9) Kurz vor Klopstocks reise nach Dänemark.
BEIEl'E VdX KL0r.S10( K 233
tichts' in Halle gehabt hätte: fürs zweite, ich Euch doch nur auf einige Stunden,
xeijen meiner Reil'egetellfchaft. hätte fehen können, u[ud] mir diefs vielmehr, wie ein
Abl'chied. als ein ^\irklicher Befuch, vorkam . So bald ich wieder in Deutfchland
komme, werde ich Euch gewifs fehen. Ihr könnt überzeugt fern, dafs ich zärtlich
^iehe, u[nd], l'o bald ich im Staude feyn werde. Euch meine Liebe durch Proben
xeigen werde. Hannchen hat Euch die Briefe der Eowe gefchickt. Diefs Buch
:nüffet Ihr, nach der BiheU am meiften lefen, u[nd] ausüben.
Empfehlet mich der Fr[au] Hofräthinn. u[nd] dem Herr Hofrath, wenn Er
zurück kömmt. Ich liin Euer treuer Bruder
F. G. Klopftock.
Ew. Hochwürden - Bi'ief. ufnd] bel'onders auch feine ümftändlichkeit ift mir
io angenehm gewefen, dafs mir es empfindlich ift, dafs ich ihn nicht Punkt für
Punkt beantworten kann. Aber ich habe heute einen fo ftarkeu Pofttag, dafs mir
tiue folche Beantwortung unmögl[ich] wird.
Mein Buch u[nd] der Subfcriptionsplan haben gar keine andre Verbindung
mit einander, als dafs ich es nach diefem Plane herausgebe. Ich hätte jedes andre
Bucli, das ich etwa hätte liegen gehabt, auch dazu wählen können. Es körnt kein
-inziges Wort von der Subfcript[ion] in dem Falle [?] vor. — Ich habe freylich bey
liefer Subfcript[ion] viel zu thuu, aber wenn fie erft wird eingerichtet feyn, dafs
heifst, wenn erft durch ganz Deutfchland genugfame u[nd] in den Zeitungen an-
gezeigte Collect[eure] vorhanden leyn werden, dann werden die, welche nach mir,
u[nd] auf meine Art {die letzten drr-l irorte aher f/estrichenem: nach meinem Plane]
woUen fubfcribieren lafsen, viel weniger zu thun haben. Denn fie linden dann
;chon i'oUect[eurs] vor lieh. — Nach dem. was Sie mir von Berlin lagen, l'o brauche
ich allerdings auffer Ihnen dort keinen Collect[eur] mehr. Von Wien hab ich, jetzt
■-venigftens noch, [das Ittzte wort und homnia nucliträ(jUch (''mgefihjt\ viel beffere
Aufrichten, als von Berlin, t'berhaupt wird die Lifte der Subfcribenten, dadurch
dafs bey jeder Stadt die Zahl ihrer Subfcribenten zuftehen kommt, ziemlich curieux
werden. Man Avird Zahl der Subfcribenten \die beiden letzten n-orte nachträglich
iiigpfügt]. und Gröffe der Städte mit einander vergleichen. Nach dem Plane
r-rhalte ich zwar die Bezahlung bey der Empfangnehmung der Exempl[are] in Altena ;
aber in Abficht auf Ew. Hochwürden will ich gern eine Ausname macheu. Nur
litte ich Sie, Niemandem davon zu lagen, dafs ich es thue. Sie brauchen mich
alto erft zu bezahlen, wenn Sie das Geld von den Subfcrib[cnten] bekommen haben.
Sie fehen leiclit. dafs ich eben keine Subfcrib[enten] zu haben wünfche, die bey
Ablieferung der £xempl[are] nicht bezahlen. — Ich mufs es darauf ankommen lafsen,
•vas man von dem Inhalte meines Buches glaube. . Denn ich habe mir einmal feft
vorgenommen, kein Wort, das auch nur von fern einer Empfehlung ähnlich feyn
könnte, davon [dies irort später eingefügt^ zu fagen.
Es ift mir ein wirkliches Vergnügen, Sie zu bitten, ein Exempl[ar] der -4" Aiis-
-;abe des Meffias von mir zum Andenken anzunehmen, das heifst: 3 Theile. Den
1) Ostern 1751 erschien der 1. bd. des -Messias" in Halle bei Carl Hermann
Hemmerde.
2) Das subfcribentenverzeichuis zur 'Gelehrtenrepublik' nennt für Berlin den
:.astor Lüdke als 'Beförderer', der 14 Subskribenten zusammenbrachte. Als 'CoUec-
"«•ur' war in Berlin noch der cantor J^ S. Pochhammer tätig.
284 ('(ixsKNTir.s
4ten Itekoinmen Sie To bald er gedruckt ift [die beiden letzten irorte .statt i/entricJ/e/iein r
vollendet ist]. Sagen Sic mir nur die Gelegenlieit, durch welche ich die 3. Theile
überfchicken foll. Ich verharre mit wahrer Hochachtung'
Ew. Hochwürden geliorfaml'ter I)[iener|
Kbipftock
Hanil)urg- den 28 Jan. 13.
Hanib[urg] d[eu] 23 May 98.
Mein alter Freund Hensler ' ift zu mir gekommen, u[nd] ich habe daher nur
eben Zeit Hinen Folgendes zu ichreiben. (Ich beziehe mich übrigens ant. meine-
beyden lezten Briefe mich Leipz|ig] u[nd] nach Weym|ar].)
Sie können mir vielleicht ein Wort darüber lagen Lfiebl'ter] B[öttigcr] - wie
viel ■ p]xemplare der Oden mir unl'er (lölchen^ zu geben gedenkt. Er hatte mich
dahin gebracht, (ich bin nun einmal fo nachgiöbig) dafs ich die Summa de.s fo-
genanten Honorars vorfchlug. Aber jezt iCt die Reihe an ihm. Er mufs die Zahl
der Exempl[are] neuneu, die er mir geben will, Sie urteilen, liebCter Böttiger, ohue
dal's ich es Ihnen läge, dal's ich gegen die von ihm genante Zahl nichts zu erinnern
haben werde. Solche Sachen gehören zu denen, bey welchen ich mich gern lo
kurz wie mögl[ich] aufhalte. Ich bin überzeugt, dafs es Ilinen nicht Ichwer werden
wird mit diefer fertig zu werden.
Der Ihrige
Kh>]i]'tock.
Johanna Elisabeth von Winthem, Hamburg den 2. September 1783,-
an Herder*: 'Oft, lehr oft habe ichs vorgehabt Ihnen in meinen, u[nd]Klopftocks
Nahmen für Ihren freundfchaftlichen Brief zu danken, n[ud] Ihnen zu lagen, wie
froh ich über Ihre Bekantfchaft bin, u[ud] wie lehr es mich freut, ilafs ich mich
fch[m]eicheln darf, Sie unter die Zahl meiner Freunde reclinen zu kiuinen. Aber
ich wils Ihnen fagen lieber Herr Herder was mich abgehalten liat. Ihnen dieles
erft heute zu fagen.
Es ift mir unmöglich etwas gegen einen Manu auf dem Herzen zu haben,
den ich fo fehr fchäze [und] liebe \vie Sie, ohne mein Herz gegen ihn au[szu]''
fchütten. Ich habe gezweifelt, ob Sie es recht ne[hmeu] würden, wen ich es mir
heraus nehme, Ihnen über etwas Vorwürffe zu machen, worin ich micli eigentlich
nicht milchen folte. üntordcfsen ift mir die Sache zu wichtig, als dal's ich ichweigen
könte. Ich will es Ihnen fagen, u[nd] ruhig erwarten ob Sie meine Abficht
verkennen.
Klopftock ei'hielt Ihren Biief in Gegenwart eines Fremden. Bey diefer Ver-
anlai'fung fagte er viel Freund Ich aftlich es von Ihnen, den Ihr Brief war ihm lehr
lieb. Der Fremde ward verwundert, K[lopftockJ von einem Manne fo freundfchaftlich
reden zu hören, der wie er fagte ihm angegriffen hätte, wie er sonft nicht an-
1) P. G. Hensler, physikus in Altona.
2) C. A. Böttiger, direktor des gymnasiums in Weimar.
3) Bei Georg .Joachim Göschen in Leipzig erschienen 1798 ff. Klopftocks werke.
4) Antwort auf Herders brief vom 3. Juli 1783 an Klopftock; vgl. Lappen-
berg, Briefe von und au Klopftock 18G7 s. 31(t.
r.HIEFK VON KLOPSTOCK 235
gegnifen wäre. K[loprtock] ward hierüber fehr verwundert. u[nd] icli wolte es
uicht glauben, daher Jiefs ich mir Ihre Briefe das Studium der Theologie
betreffend kommen. Ich kann Ihnen nicht lagen wie frappirt ich ward, als ich
fand dafs der Fremde fo fehr recht hatte. Es ift mir ein Probh^m, wie ein Mann,
den ich von einer fo fchazbaren Seite habe kennen gelernt, u[nd] den K[lopftockJ
fchon lange f[ch]ä.zt, fo beleidigent von einem Wercke urtheileu konte, dcfsen Wehrt
durch den tieffen Eindruck, welchen es nun fchon feit 30 Jahren, bey fo vielen
hundert Menfchen gemacht hat, beftimmt ift. Ich de[nlcke man kann gar nicht
zweiffein, dafs Sie nicht im 19te Briefe, [d]en Melsias, u[nd] den allein gemeint haben.
Icii möchte gerne einige trai[t]s daraus anführen, aber ich kann uicht wählen,
ich mül'te den ganzen Brief abl'clireiben, denn alles ift treffend. Folgende Stelle
ift mir mit ammeiften aufgefallen, j) 325 lafseu Sie den Dichter
Myriaden der Engel u [ n d] a b g e f c h i e d e n e n G e i f t e r n ' u. f . w. Da
ich nun uicht zweifeln kann, dafs nicht mit allen dielen der Mefsias gemeint ift,
fo ift mir der 2üt Brief, u[nd] befondcrs der Schlus, wo Sie lagen: dafs Sie den
Mefsias nicht meinen, ganz unbegreiflich. — Und !>> uubedeuten[d] war er Ihnen,
dafs Sie ihm Sich nicht erinnerten? es war fchon Jahre her dafs Sie ihm
gelefen hatten'-'. Ich kann ja nichts da wieder haben, wenn Ihnen der Mefsias
unbedeutend ift, aber wie konte es Ihnen den interefsiren Klopftock kennen zu
lernen? u[ndj fo freundfchaftlich gegen ihm zu feinV
Es wäre lächerlich wen ich mich über die Schönheit des Mefsias mit Ihnen
eiulaffen wolte, oder, ob die Materie fähig wäre fo behandelt zu weiden, wie K[lop-
ftock] fie behandelt hat. Eins mufs ich doch lagen : Es lel)t vieleicht kein üichtir
aufer ihm, der es wagen durfte ein folches Gedicht zu fchreiben. Denn fn-ylich
mufte diele Materie, mit dem Gefühl, mit der Ehrfurcht gegen Gott, fo wie es
die Evangeliften lehren, behandelt -Ä^erden. Die Erdichtungen (wefnn] ich mich fo
ausdrücken kann) muften fo im wahr[eu] Sinne der Religion erdichtet fein.
A'on den Würckungen des Mefsias mufs ich Ihnen doch noch ein Wort
lagen. Ich wolte Sie hätten einige Scenen mit angefeheu, von welchen ich Zeugin
gewefeu bin; dafs Junge, u[nd] ältere Leute, Gelehrte, u[ndj Ungelehrte, von ver-
fchiedener Denckuiigsart, zu K[lopftockJ gekomnien find, u[ndj ihm mit vieler Rüh-
rung für den Mefsias gedanckt haben, der fie von den Wege des Lafters zur Tugend
geführt, u[nd] fie würdig von Gott u[nd] der Eeligion hätte denken gelehrt. Solche
Scenen find K[lopftock] Belohnung.
Übrigens hat auch er nichts da wieder, wenn nuin über feine Schriften urtheilt,
u[nd] anders urtheilt wie er, aber beleidigent mufs mau ihm nicht angreiften. —
Sehen Sie lieber Herr Herder nun habe ich Ihnen mein Herz aufgefchüttet. hätte
ich Sie weniger gelieb[t], u[nd] gefchäzt. fo würde mir diefes nicht fchwiT auf
den Herzen gelegen haben, u[nd] ich hätte fchweigen können.
Ich habe K[Iopftock] Ihre Theologifchen Briefe nicht lefen laffen, er ift oft
nicht wohl gewefen, daher wolte ich ihm diefes erfparen. Diefen Brief foU er
aber fehen, ehe ich ihm wegfchicke, den ich bin gewöhnt ihm alle meine Briefe
zu zeigen, wie unbedeutend fie auch fein mögen.
Könte ich Ihnen nun aber auch noch fagen [w]ie gerülirt n[ud] danckbar
ich für alles Freundfchaftliche bin, was Sie mir in dem Brii'fe an Kflopftock] fagen.
1) Herders werke hsg. von Suphan bd. 10 1879 s. 221.
2) A. a. 0. s 228.
23G (DNSKNTIIS
Ich liabe mich hemüht deucn Regeln l'o viel wie möglicli zu füllen [//'es: folgen],
welche Sie mir l'o fVenndrchaftlich gegeben haben, auch il't meine Gefundheit viel
befser. Ich hoffe u[nd] wiinCche dafs Sie mir eben fo viel rrutes von dem Befinden
Ihrer lieben fchUzbaren Frau lagen mögen. Mein Herz fühlt, obwohl ich Sie nicht
rerföhnlich kenne, viel Freund fchaftliches für Sie. Empfelen Sie mich Ihr, u[nd|
den kleinen Gottfried ;uif.s l)erte.
J. E. von Winthem.
N. S. Meta u[n(l] das loie Hauchen grüfsen unzähliche mahl.
A n t r a g K 1 0 p s 1 0 c k s auf ein p r e u s s i s c h e s P r i v i 1 e g für d e n '31 e s s i a s".
Ein bogen preussisches Stempelpapier zu einem guten grolchen. Auf der
rückseite die adresse:
Ai( P,oi.
zu Händen des wirklichen Geheimdeu Etats und Justizminirters
Herrn von Münchhaufen Excellenz.
Auf der Vorderseite:
AUerdurchlauchtigfter
Grofsmächtigfter König
AUergnädigfter König und Herr!
Ich bin gefonnen, das von mir verfertigte Gedicht: der Meffias, ganz
wieder umzuarbeiten, und diefe neue Auflage auf meine eigne Koften drucken zu
laffen. Die erfte Ausgabe hatte ich dem Buchhändler Hemmerde in Halle über-
lal'fen, welcher l'ie auch bisher allein verkauft hat. Allein, da diefe nach fo vielen
Jahren vorgenommene L^marbeitung gewiffermaffen ein ganz anderes Werk ift, l'o
will ich auch damit eine ganz andere Einrichtung treffen.
Um aber allem Nachdrucke vorzubauen, l'o geht meine allerunterthänigfte
Bitte i\\\ Ewer Königl. Majestät dahin:
mir in Höchftdero Landen ein ausfchlieil'eudes Privilegium auf den
D)'uck und Verlag des erwähnten Werkes : der Meffias, allergnädigft
zu bewilligen.
Der ich in tiefl'ter Verehrung errterl)e
Ewr Königl. Majeftät
Hamburg, den 1 Mav. allerunterthänigfter
1778. der d'änische Legationsrath Klopftock.
Verlagsprivilegien gehörten zur kompetenz des lehnsdepartements. Dem chef
des lehnsdepartements, dem freiherrn von Münchhausen, gieng Klopftocks antrag
am S. mai 1778 zu. Münchhaufen verfügte, dass der magistrat in Halle den buch-
h'ändler Hemmerde über Klopstocks gesuch vernehmen und dessen erkläruug ein-
schicken solle. Demgemäss setzte der geheime tribunalsrat und lehnsarchivarius
Sebastian Anton Scherer noch am gleichen tage eine Verfügung an den magistr^t
zu Halle auf, die Münchhausen am 12. mai unterzeichnete und die am 14. in die
expedition gieng, um nach Halle befördert zu werden.
Der befehl an den magistrat zu Halle lautet im konzept:
Friderich König etc.
Unsern etc. Was der Dänifche Leyations Rath KlopstocI.- wegen einer neuen
Auflage des von ihm verfertigten Gedichts, Der Mefsias, unterm Iten diefes
1) Kgl. geh. Staatsarchiv zu Berlin: (;eneraldirektoriuni Kurmark Tit. CCXXVI.
sekt. d. lit. B.' nr. 45.
IIKIEFE VON KLOr.STOCK 237
■ey T'iis nachgefutliet hat, folclies coiiDinduciren Wir Euch hieuehcii in Abfclirift,
iiit dem allergdfteu Befehl hierüber den dortigen Buchhändler HemmeriU zu ver-
nehmen und defsen Erklärung an Unler Lehns I)rprirfe»}Piif einzuhericbteu. Sind
■:-tc. Gegeben Berlin d St J/i-/// 1778
(((J ^hdtildtinii etc.
All den Magistrat zu Halle.
Dies reskript vom 8. mai 1778 gieng am 18. mai iu Halle ein. Präsident, rats-
laeister und ratmannen der Stadt Halle gaben das königliche reskript und Klopstocks
;intrag abschriftlich an den buclihändler Carl Hermann Hemmerde (1708—1782)
veiter, der mit einiger Verspätung, denn Hemmerde war auf der Leipziger oster-
:aesse gewesen, eine von seinem Sachwalter C. W. Pohlmann aufgesetzte schriftliche
tTklärung vom 15. juni 1778, die tags darauf dem rate in Halle vorgelegt wurde,
einreichte. Heminerdes erklärung besagt:
F. F.
Dafs Ew. etc. etc. mir das an Hnien wegen des Dänischen Herrn Legations-'Rsii\\9.
hl&j)s:foc/,-s ergangene allergnadigl'te Königl. RnJ'cript d. rl. Berlin den 8ten Maj. a. c.
j.\\ meiner Erklärung abfchrifftlich communicij-en zu lafsen, haben geruhen wollen,
rrkenne mit dem verbundenften Danke. Da mir aber nurerwehnter Herr Legafions
Rath den MeJ'j'ias in Druck und Verlag übergeben, ihni'auch für jeden Bogen zvvöltf
Tbaler bezahlet und diclerhalb einen Contract mit ihm errichtet, nach welchen er
mir gedachtes Werck als mein Eigenthum übergeben, deshalb um ein befonder
uriciletjiHm angel'uchet und erhalten, dafs keiner gedachten Mesfias nachzudrucken
iiefugt fej'n folle, folglich dadurch ein Eecht erhalten, dafs keiner dasfelbe ver-
befsert und vermehrt mir zum Nachtheil und Schaden nachdrucken und dehitireix
lürhe, fo kau aus angeführten Urfachen auf keine Weile mehrgemeldeten Herrn
Leijutions P,ath geftatten, dafs er die neue Auflage des ^lesfias auf feine eigene
f\often drucken lafsen und debiUr&ü. könne. Es gelauget zu iolchem Ende an
PZw. etc. etc. hierdurch mein gehorfamftes Bitten:
Diefe meine Erklärung hochgeneigt ad acta zu legrn und felbige
abfchrifttlich nebl't Dero Bericht an das Königl. Preul's. Hochiribl. Lehns
J>pp(frfenie>if in Berlin einzufchicken.
Ich zweifle daher nicht, dafs dafselbe mich bey meiner Gerechtfaine und erhaltenen
Frivilegio auf alle Weife fcbützen werde.
Verharre übrigens etc. etc.
Ewr. etc. etc.
etc. etc.
Halle Carl Herrmann Hemmerde,
^ien 15t Jtin. 1778.
*". W. Fohlinann.
Den Verlagsvertrag, auf den sich Hemmerde berief, legte er nicht vor. Auf
liefen vertrag kam es aber an. Deshalb gab der magistrat zu Halle dem l)uch-
händlcr Hemmerde auf: 'den angezogenen über den Druck und Verlag des Mesfias
mit dem Legations Rath Klopstock errichteten Contract fowohl, als auch das an-
gezogene befondere darüber erhaltene Privilegium originaliter vorzuzeigen, um
laraus von dem Grunde feines Anführens urtheilen zu können". Auch da legte
Hemmerde den vertrag nicht vor. Vielmehr gab sein söhn gleichen namens, der
zugleich sein 'Handlungsdiener' war, für seinen 'Prinzipal' am 19. .Tuni eine münd-
iiehe erklärung ab, die zu protokoll genommen wurde:
238 CONSKNTIIS
Arfin/i Halle den 19t Jan. 1778.
EiiVlieiin't der Haiidluugs Diem-r Carl Iliiriiuutn Hemmende Nabmens IVines-
Priiicipals des liierigen Buchfülirer gleiches Nabmens Carl Hermiann HcmmfnJe
lind erklähret lieh nach Inhalt der vorgehenden reinem principal a<l ftatam h<ien<H
vorgeleg-ten rej'olntion, wie derfelbe zwar mit dem Herrn Le<iati(>nü-\i2i\\i KlopatocL-
über den Verlag des Mesfiäs einen Contracf geichlorsen, l'olchen aijei' anjetzt nicht
auffinden können, weilen fein Principal Alters und Gemiiths Schwachheit halber
feine J)ociinie)ita und Schrifftcn nachzuleben nicht im Stande wäre, fremden Leuten
aber lolches rchlechterdings nicht erlauben wolle; indel'sen habe er, (l'o»iijr;«/T»^ doch
l'o viel von leinem in-incipal vernommen, dafs nach Inhalt diefes Contracts der
Heir Leijatioiis-R9X'h Klopstock pro Bogen 12 Rthl. von dem A'erleger H. Hemmerde
erhalten und von jeder neuen Auflage des Werckes wiederum einen halben Loiris
d'or pro Bogen bekommen folle.
Wegen des in der übergebeuen A'orftellung erwehnten Fririh<iii übei- den
Mesfias aber müfste er Comparent gedencken, dafs fein I'rincipal ein dergleichen
befonderes Frivilerjium über das Werck nicht erhalten, fondern Herr Hemmerde
hierunter nur blos fein Pririlegiioit als Buchführer in Königl. Preuls. Landen ver-
rtanden halte.
Facta praelectione dimitij'io^. ii. s,
L. Dreyfig'.
Stadt Sccrctai-ias.
liemraerdes erklärungen, die schriftliche des vaters und die zu protokoll ge-
gebene mündliche des sohnes, Avurden beide vom rate zu Halle alisclirittlich unterm
21. juui 1778 nach Berlin an den künig 'zur Erbiechuug des daligen HochprcifsL
Lehns Departements" weitergegeben und dabei von selten des magistrats gutachtliclv
berichtet, dafs es darauf ankommen würde: 'ob der Legations Eath Klopstock l)ey
der erften Ausgabe feines Gedichts der Mesfias in dem über defscu Verlag mit
dem Hemmerde gefchlofsenen Coutract diefem bereits damahlen ein Verlags Becht
auch auf die anderweiten Ausgaben diefes Wercks felbft in dem Fall, einer gänz-
lichen T^marbeitung defselben zugeftanden und eingcriiumet habe?' Diese frage
konnte eben nur durch Vorlegung des kontraktcs beantwortet werden. Aber von
dem buchhän(>ler Hemmerde würde, wie der präsident, die ratsmeister und rar-
mannen der Stadt Halle Ichrieben, 'bey defsen angezeigten, auch hiefigen t)rts fünft
fchon bekannten Gemüths Zuftande die Vorlegung diefes Contracts fchwerlich zu
erhalten feyn'. Deshalb stellte der magistrat anheim: 'die Edition und Vorlegung
diefes Contracts dem Legations-Eath Klopstock aufzugeben'.
Klopstocks wiederholte, eigenen, aber vergeblichen bemühungen, eine nota-
riell beglaubigte abschrift des verlagsvertragcs von Hemmerde zu erhalten, sind
bekannt.
Beiläufig; die rathäusliche expedition liquidierte an kosten, die das postamt
in Halle vorschoss, 1 rthlr. und 21 gute groscheu ; den taler zu 24 groschen ge-
rechnet. Nämlich: 5 groschen für initteiluug des Berliner reskriptes an Hemmerde,
Aveitere .5 groschen für Vernehmung des Hemmerdeseben handlungsdieners, dann
1 rthlr. für den eigenen bericht ans lehnsdepartement, dazu noch i groschen für den
erforderlichen Stempel und ö groscheu für die reinschrift sowie die abscbriften des
Protokolls und der Hemmerdescheu Vorstellung und endlich 2 groschen 'Ausreuter-
Gebühren'!
Dieser bericht aus Halle gieiig am 1. juli 177S beim lehnsdepartement ein-
r.KIEFE VON KLol'.-rtiCK 239
^rüiichhausen setzte am 3. juli brevi iiiatiu die eiitsiheiduug auf das akteustück,
die dem geheimen tribunalsrat .Scherer die grundlag-e zu folgender resolution für
Klopstock bot: ,
Seine Königl. Mayt. vuu Treufsen etc. U. A. G. H. lafseu dem Legafii»)^ Rath
Klirpstork, auf feine Vorfteliung vom Iten May c, worin derfelbe um ein Frlvi-
Iri/iuDi über eine Neue Auflage des von ihm verfertigten Gedichts Der Mefsias
Anfuchung gethan, nebft Zufertigung einer Abschrift des hierüber von dem Magistrat
zu Halle erftatteten Berichts vom 2lt m. pc. und defsen Beylagen, hiermit in
(ünaden zur Besolntioii ertheilen, dafs ehe lein Gefuch ftatt linden kau, er lieh
mit feinem erften Verleger, dem Buchiiändler Henunerde zu Halle fetzen mufs.
Dann aufser dem, dafs es ein in der Billigkeit gegründeter Gebrauch ift, dafs ein
.Schriftfteller die zweyte Auflage feines Wereks feinem erften Verleger nicht ent-
ziehen kan, er habe fich dann vorhero wegen, der noch unvergriffenen E.remplarien
der Erften mit ihm gefetzet, oder ihm fclbige abgenommen: fo behauptet auch
der Henunerde aus feinem mit ihm gefchlofsenen Confracf, ein Eecht zur zweyteu
Auflage zu haben. Signatuni Berlin d. 3t Jnl. 177S.
ad Mand((tinn etc.
Resolution
für den Leyations Rath Klopstoch.
Das konzept dieses bescheides Murde dem geheimen rat von Münclihausen
am (i. Juli zur Unterschrift vorgelegt; am 9. juli kam es in die expedition. Scherer
vermerkte noch auf dem konzepte: 'Die Cantzeley hat die von Sr Escell. für den
Bericht ausgelegte 60 gr. wieder einzuziehen'. Das ist geschehen. Denn der
kriegsrat und geheime sekretarius Sam. Bened. Spicker setzte unter die notiz sein:
■factunr. Mit 60 groschen waren (^ie von dem postamte in Halle vorgeschossenen
auslagen und die gebühren für die bestellung nach Berlin beglichen. "Welche
kosten und schreibgebühren durch Müncbhausens entscheidung noch weiter ent-
standen, sagen die akten nicht.
Ein preussisches privileg wurde Klopstock für seiuen "Messias' nicht ge-
geben. Im jähre 1780 erschien der "Messias' in Altona bei Johann David Adam
Eckhardt 'mit Allerguädigfter Kaiferlicher Freyheif. In Altona, auf dänischem
linden, oder in den freien reichsstädten war ein preussisches privileg sehr tyit-
behrlich. Und selbst in Preussen ist die durch kaiserliches privileg geschützte
ausgäbe nicht verboten worden. Hemmerde wird zu solchem zwecke auch schwer-
lich schritte unternommen haben. Denn noch vor dem neuen drucke hatte Klop-
stock ihn wissen lassen, dass er den vertrag als erloschen betrachte, denn Hemmerde
habe ihm bei seinen eigenen nachdrucken in Halle das ausbedungene honorar nicht
gezahlt I Klopstock ' hat mit seinem ersten Verleger in sehr scharfem und hohem
tone einen unerfreulichen briefwechsel geführt, den Muncker bekanntmachte*. Des
dichters antrag auf ein preussisches privileg und Hemnieides gegencrkltirungen sind
eine fortsetzung dieses Schriftwechsels.
l'.KIMJX. KUNST CONSKN ins.
1) Archiv f. literaturgeschichte XII. ISS-i s. 22Ö-28-":.
240 NAIMA.NX
Zu den 'Naclitwachcii von IJonaventui'a".
Bei seinen unzulänglichen' versuclicn, die von Franz Schultz - tief aus der
geistigen durchdringung- der persönlichkeit seines autors geschöpften argumente
für die identität des 'Nachtwachen-Bonaventura' mit Fr. G. Wetzel, aus dem fehle
zu schlagen, hat sich Erich Frank* sonderharerweise eine der auffälligsten parallelen,
-die für den von ihm behaupteten Brentano^ spräche, entgehen lassen; übrigens
hat sie auch Berend'' nicht bemerkt. Lediglich um das zur behandlung stehende
material zu vermehren, möchte ich die bislang übersehene parallele — kein litera-
risch überkommenes, sondern zweifellos ein ganz neu aufgegriffenes, daher besonders
-charakteristisches motiv — hier unterbreiten. Nicht die Bonaventuraforschung,
sondern eine folkloristische studie " führten niici) darauf. Der bänkelsänger,
genauer der politische bänkelsänger ist das seltsame motiv, das bei Bonaventura
wie bei Arnim und Brentano gleicherweise eine rolle spielt — seltsam deshalb, weil
politik und bänkclgesang von haus aus nichts raiteiiuinder zu tun haben.
Fortfahrend in der 'rekapitulation seiner toUheiten' erzählt Bonaventura
in ler 'Siebeuten Nachtwache' [od. Michel s. 61 z. 31 bis s. 62 z. 21] folgendes:
'Ich wählte das erste beste fach, worin ich sie [grammatisch seil, die fürsten
X. 18, dem sinne uach wohl die menschen insgemein] und ihr treiben besingen
konnte, und wurde rhapsode wie der blinde Homer, der auch als bänkelsänger
umherziehen niusste.
Blut lieben sie über die maassen, und wenn sie es auch nicht sellist
vergiessen, so mögen sie es doch für ihr leben überall in bildern, ge dichten
und im leben selbst gern fliessen sehen; in grossen schlachtstücken am liebsten.
Ich sang ihnen daher mordgeschichte u und hatte mein auskommen
-dabei, ja icli fleug an, micli zu den nützlichen mitgliedern im Staate, als zu den
fechtmeistern, gewehrfabrikauten, pulvermüllern, kriegsministern, ärzten usav., die
alle offenbar dem tode in die band arbeiten, zu zählen, und bekam eine gute
uieinung von mir, indem ich meine zuhörer und schülcr abzuhärten und sie an
blutige auf trifte zu gewöhnen mich bemühte.
Endlich aber wurden mir doch die kleineren mordstücke zuwider und
ich wagte mich an grössere — an seelenmorde durch kirche und staat, wofür ic!i
gute Stoffe aus der geschichte wählte; liess auch hin und wieder kleine epi-
sodische ergötzlichkeiten von leichteren morden, als z. b. der ehre, durch den
tückischen guten ruf, der liebe, durch kalte, herzlose hüben, der treue, durch
falsche freunde, der gerechtigkeit, durch gerichtshiife, der gesunden Vernunft,
durch Zensuredikte usav. mit einfliessen.'
Die von mir gesperrten worte geben eine durchaus richtige auffassung vom
wesen des wirklichen bänkelgesangs wieder. Eng aber damit verquickt flnden sich
jene worte, die auf eine politische und anscheinend auch schulmässige ('zuhörer
und Schüler') ausgestaltung des bänkelgesangs zielen.
Wenn sich bei Wetzel sonst ähnliches fände, so hätte das Franz Schultzens
Wachsamkeit gewiss herbeigebracht. Die mir hier zu geböte stehenden Wetzeliana
[Strophen 1802; Sieben briefe des mannes im monde an mich, 1808; Schriftproben
1814 (s.u.); Aus dem kriegs- und siegesjahre 1813 (1815); Prolog zum grossen
1) Vgl. M. Morris, Deutsclio ruudschau 154, 747; Fr. Schulze, Lit. zentral-
3>latt 65, 554 und anm. 5.
2) Der Verfasser der Nachtwachen von Bonaventura 1009 und Herrigs arcliiv
129, 12.
3) (rß3I. 4. 1912 s. 417 und die gleichzeitige ausgäbe der 'Nachtwachen".
4) Allerdings an sich auch für Arnim.
5) Euphorien 19. 796.
6) Zs. d. Vereins für Volkskunde 30. 31 s. 13.
Zr DEN XA( IlTWAtHEX VON IH )XAVENTLI{A 241
mageu 1815; Jeanne d'Arc 1817; Rhinozeros 1818] habe ich uoch einmal durch-
sucht. Liest man bei Schultz s. 202 ff. Wetzeis vaganteuleben von 1799—1806 nach
und sieht man, wie der unstete und mittellose student, um sicli durchzuschlagen,
zu allerliand niedriger federarbeit gezwungen war, so könnte mau fast vermeinen,
es läge in jener Bonaventura-bänkelsängerbeichte so etwas wie ein stücklein auto-
biogTaphie vor. Gerade aus literarischen kreisen, die daranf angewiesen waren,
sehr oft auch von Studenten, haben sich die bänkelsänger in der tat ihre texte
verschafft. Vom wesen des bänkelgesangs her ist es durchaus möglich, dass auch
der junge student und skribent Wetzel tatsächlich bänkelsängerlieder gedichtet hat.
Nur mit dem satirisch-politischen einschlag würde er dabei kein glück uehabt un'l
kein Verständnis gefunden haben.
Übrigens findet sich in Wetzeis 'Schriftproben' (•niythen, romanzen, lyrische
gedichte') s. 81 die ballade 'Der spielmann', die ein immerhiu verwandtes motiv
aufweist. In dem bunten gewebe seiner Individualität hat er sie, wie er s. 2."^
'Baldurs tod' in strophe und stil der 'Braut von Corinth" goss, unter dem eiuflus-
von Goethes 'Sänger" gedichtet :
•'Es steht ein spielmayn vor der thür:
Ruft ihn herein zum feste I" usw.
Barbarossa zieht nach 7U0 jähren als spielmann im lande umher und weckt
mit vaterländisch-politischen liedern den alten geist. Das ist aber die rolle, die
Wetzel in den jähren der freiheitskriege mit seinen zahlreichen patriotischen liedern
selber spielte, und einen besonderen schluss von hier auf das politische bänkel-
sängermotiv wird man nicht ziehen dürfen.
Aber nun vergleiche man statt dessen in auffälliger parallele das Interesse,
das Arnim und Brentano am bänkelgesang, an seinem schulmässigen ausban
und seiner politischen Verwendung nahmen. Eine ernsthafte ästhetische erziehung
des bäukelsängers hatte zwar schon Gleim im äuge gehabt, wie das aus seinen,
ausdrücklichen Worten im nachwort zu den 3 romanzen ('Marianne" usav.) hervor-
geht. Aber die beiden romantiker denken neben der künstlerischen an die politisch-
patriotische erziehung. In tkm laugen briefe über die mit Brentano im juni unter-
nommene Rheinfahrt schreibt Arnim vor dem 28. juli 1802 an die grätin Schlitz
nach Regensburg:
'Ich möchte wohl gut dicliten und gut singen können, um mein Lebeu auf
dem Marktschiff zwischen Frankfurt und Mainz zu versingen. Hier in dem bunten
Gemische alles Volks standen antheillos drei Bänkelsänger: der eine mit der
grossen Gesichtsbihlung des Dante, aber dui-ch den Koth der Welt gezogen. Ein
junger trunkener Schifter sprach in göttlichem Enthusiasmus von Freiheit und
Vaterland; jeuer lachte verstohlen erst ihn an und sprach: 'Unser Herrgott
duldet doch allerlei Leute auf dieser Weif. [Steig. Achim von Arnim und Clemens
Brentano, 1894 S. 35.]
Hier zeigt sich eine ähnliche romantische Verklärung und Überschätzung des
an sich ganz armseligen und wirklich Aveit von dieser auffassung entfernten bäukel-
sängers, wie sie die rund 2 jähre später erschienenen 'Xachtwacheu" zeigen, und
zugleich schon eine deutliche wendung zu politischer auffassung. .Tedesfalls ent-
springt dieser persönlichen berühruug mit dem bänkelgesang in Mainz, nicht etwa
irgend einem literarisch überkommenen motiv, die idee zu folgendem plan, den
Arnim wenige wochen später, am 9. juli 1802, von Zürich aus dem freunde ent-
wickelt :
'Die Einsamkeit hat mir einen grossen Lebensplan angewiesen, den ich auf
242 NAi MAW, zi; iii:\ nachtw aciikn von iu»xa\kni ritA
dem Fiankfurter Marktschirtc schon aliinl(;te. mir aljcr jetzt erst recht dcutlicli
g-eworden, ich theile ihn Dir unter dem dreifachen Siciiel der Verschwiegenheit
mit, weil ich vor der Zeit nicht lächerlich werden will aher sie sei unser.
diese That, ich fühle den 3Inth und Du wirst ihn auch haben! Dichtkunst nnd
Musik sind die l)eiden allgemeinsten, genau aufeinander gepfropften lieiser des
poetischen Baumes; er trägt liier in der Dichtkunst rothe Rosen... . Unsre Arbeit
sei, diese Rosen zu erziehen .... Die Sprache der Worte, die Sprache der Noten
stärker und wolügefälliger zu nuichen, dies ist klar als erster Standpunkt unserer
Bemühung anzusehen. Also eine Sprach- und Singschule!' [So wie Tieck die g'e-
bildeteu die volkspoesie, volksl)ücher lehrte, so, nur umgekehrt, niüssten sie die
höhere poesie dem volke zufüliren| 'Götlie soll ihnen so liel» wie der Kaiser Octa-
vianus werden, mit einem Worte: der erste Punkt unserer Wirksamkeit ist die
Anlag-e einer Druckerei für das Volk in einem Lande, wo der Nachdruck erlaubt
und das l'apier wohlfeil ist, Kaiser und Könige müssen uns Privilegia geben. Die
einfachsten Melodien von Schulz, Keiciiardt, Mozart u. a. werden ' durch eine neu-
erfundene Notenbezeiciinung- mit den Liedein unter das Volk gebracht, allmälig
bekömmt es Sinn und Stimme für höliere, wunderbare Melodien. I'ies zu erreichen,
Avird von dem (iewinnst der Druckerei eine Schule für Bänkelsänger an-
gelegt; man errichtet Sängerherbergon in den Städten und verbindet und lehrt
ihnen die Schauspielkunst . . . Wichtiger ist die Bearbeitung der deutschen Sprache
für den Gesang in einer damit eng verbundenen Schule der Dichtkunst, die, wenn
es möglich, in dem Schlosse Laufen beim Rheinfall eingerichtet wird. Hier wird
die allgemeine deutsche Sprache erfunden, die jeder Deutsche versteht und bald
von allen Völkern der Erde angenommen wird. Ich sehe schon manche fünf schöne
neue Lieder, gedruckt in diesem Jahre, aus unserer Druckerei kommen! Dies giebt
dem Deutschen einen Ton und eine enge Verbindung, jeder Streit
zwischen ihren Fürsten muss sich selbst verzehren, weil der Deutsche
gegen seine Brüder nicht zu Felde zieht, die Ausländer, ihrer Unterstützung
gegen sie beraubt, müssen ihnen verbündet, Deutschlnnd der Blitzaldeiter
der "Welt werden.' [Steig a. a. o. s. 37--::59.]
LTnd Brentano antwortet, 'Marburg, August 1S02':
'. . . fjei Deinem grossen Plan ist die Handzeichnunir des Terrains, der Hhcin-
fair [die Arnim beigefügt hatte] 'recht nöthig. . . . Erfreulich ist es mir, dass ich
Savignj einen ganz ähnlichen Plan schon entworfen, tiberhaupt stellt
ein gütiger G'enius oft vci traute Sternbilder über uns beide.' [Steig s. 40.] Und
vom 6. September: 'Wenn ich Deinen letzten lieben, grossen, herzlichen Brief (aus
Zürich) lese, so rührt mich Dein Plan für eine grosse poetische Tätigkeit immer
besonders, aber die Ironie darin schmerzt mich; und wenn ich denke, dass Du
wieder den ganzen Plan vergessen haben kannst, so werde ich gar traurig, denn
dann kannst Du mich einstens auch vergessen.' [Steig s. 42.]^
Am 4. april 1803 kommt dann Arnim in einem Pariser briefe an Clemens
noch einmal auf seinen 'grossen Plan', seine 'Lebenshoffuung und Luftbild' und
auf die grosse förderung, die er sich durch den grafen Schlabrendorf erwartet,
zurück: "Endlich fasste ich Zutrauen, ihm von der allgemeinen Volksbücherdruckerei
für ganz Deutechland, von den ziehenden Säugern und Schauspielern zu sprechen. Er
ergriff alles mit Freude . . .' Und er endet, schwelgend in allegorisch verwendeten
Widern aus der eddisclien mythologie, mit dem begeisterten ausdruck der hoffnung
auf den hohen vaterländischen geAvinn aus seinem plan. [Steig s. 68f.]
Jedoch den beiden romanlikern selbst verlor sich offenbar der von ihnen mehr
ins patriotische gewandte abenteuerliche plan unter den bunten Schicksalen iler
nächsten jähre — aber jener Bonaventura hat. freilieh mehr im sarkastisch-satirischen
1) Vgl. nocli Qlemens an Arnim, S. sept. 1802: Tch habe Dich lieben lernen,
da ich Dir wie ein Bänkelsänger meine eignen Geschichten absang; da hast
Du wohl gemerkt, dass es meine Gescdiichte war, und mich lieb gewonnen.' [Steig s. 44. J
IK )(;(;>:, zu (.OKTHE.S SrüAClIE. — .TEXF.XsEU l-lItEOLOGEX-VElISAMME. 1921 24:3
ton, wie ilas der Stil der 'Xachtwaclieu' mit sich bringt, und mit offenbar noch
•direkterer wendung zur politik das ausgeführt, was' Arnim und Brentano planten.
Tauchte das seltsame motiv bei Jean Paul auf, so wäre das den Bonaventura-
forschem, namentlich Michel, sicherlich nicht entgangen. Aber es handelt sich,
wie gesagt, überhaupt nicht um ein literarisch-überkommenes motiv ; zum mindesten
mit der salonmässigen und der rokokohaften auffassunir des bänkelgesangs bei
<Tleim, Löwen. Schiebeier und den andern roraanzendichtern des 18. Jahrhunderts
besteht kein zusammen baui:'. Es liegt in beiden fällen eine romantiselie neiient-
deckung vor.
JENA. HANS XAr.MAXN.
Zu (loethos 'Sprache' (1774).
Was reich und arm ! Was stark und schwach I
Ist reich vergrabner Tme Bauch?
Ist starjf das Schwert im Arsenal V
. Greif milde drein, und freundlich Glück
Fliesst, Gottheit, von dir aus!
Fass an zum Siege, Macht, das Schwert,
l'nd über Nachbari: Ruhm ! Weim. ausg. 2, 256.
Wie in einem arsenal hält die spräche starke waffen bereit, mit welchen
sieg und rühm kann aewonnen werden, sie birgt andererseits wie in einer ver-
grabenen urue reiche schätze, welche nur gehoben zu werden brauchen. Vor der
lebhaften phantasie des Stürmers und drängers stehen die starken Streiter, die auf
-ieg und rühm aus sind, personifiziert in der macht, die er geradezu anredet.
Wir erwarten, dass er auch die Vertreter des zarten und sinnigen (freundlichen)
in der spräche als gottheit in mythisch-allegorischer gestalt erschaut habe. Es
wird daher kaum zu bezweifeln sein, dass es die milde ist, die in der 4. zeile
gemiMut war, dass also: (^reif, Milde, drein zu lesen ist. Die gegeuüberstellung
rficJi und arm — star/,- und schwach zieht sicli durch das gedieht hindurch und
ist substantivisch durch Macht und ^fdde ausgedrückt.
XELSTE'j rix. ciniisriAX uixifuc.
53. Aersamniluiig »IouIscImt ]>liil<>lügj*n und schuluiiinner.
.Jena, 27.-80. September 1921.
Sitzungen der germanistischen Sektion.
Am nachmittag des 27. September nahm die germanistische ahteilung ihre
-Itznngen auf. Eine starke gemeinde. Mehr denn l'M) teilnehmer zeicimeten sich
während der tagung in die mitgliederlistc ein.
Her voibereiteude ausschuss. gestellt durch "\'. ^liehels. Leitzmaun
und Unrein, wird zum vorstand erwählt; Bore li er d t- München und Fr. X e u-
mann -Leipzig werden zu Schriftführern bestimmt.
Michels tTinnert an die Marburger tage des Jahres 1913. Er zeigt auf die
starken heuunnisse zuUünftigen wirkens. Er gedenkt mit wärme der vielen, die
-eit der letzten Zusammenkunft der tod in feld und heimat aus wissenschaftlicher
244 .lENKXSKK l'lllI.ÖI.OCI'.WKKSAM.MI.rNd 1021
arbeit riss. Mehr denn liiinJert wclie erinuening ■weckende namen dringen auf di'
hörer ein.
Dann spricht E. S i e vers- l-eipzig-: Zur ciifslc/iini!/si/-f>is<' ((Iti/rriiKatinchci
episcfirr rj/c/itnuf/eii.
(legen die bisherigen mittel, das werden der epen verständlich zu machen,
stellt er ein neues, durch das experiment gestütztes verfaiiren: die rein klang-
liche analyse der texte (nach rhythmus, melodie, Stimmart und verwandtem
hat zeitlich vor sach- und stilkritik zu treten. — Als allgemeines ergebnis der
bisherigen Untersuchungen ergibt sich der satz: alle menschliche rede wird von
klanglichen konstanten beherrscht; sie zeigt entweder einen einzigen klangtypu-
oder wandelt sicli in verschiedene klangtypen nach einem bestimmten schema ab :
regellose willkür gibt es nicht. — Nur wer ein gewisses quantum motorischer anlagir
besitzt, kann die klangeigentümlichkeiten eines textes hinlänglich wahrnehmen. -
Auf folgende klangeigenschaften hat die Untersuchung zu achten: 1. die
tonführung ist grad (die töne ihrem klangwert nach gleich, verändern sich nur iii
einer richtungj oder krumm (anschwellen und absinken der Intensität, verbundei.
mit entsprechender Veränderung der tonhohe); 2. .sie ist steigend oder 'fallend:
ii. sie zeigt normal- oder umlegestimnie. (Der unterschied dieser beiden stimm-
arteu bedingt durch Stellung und spaunungsart des kehlkopfes. Jeder mensch ver-
mag sie nebeneinander zu brauchen; Wechsel jedoch systematisch geregelt.) Dazu
4. die Verschiedenheiten der persönlichen stinimarten, deren Zusammenhang mit
der körpereinstellung J. Rutz entdeckte. Endlich 5. drei von Be cking-Leipzig
gefundene spannungskurven, die niemals im einzelnen iudividuum wechseln. Poesie
und musik werden darüber hinaus durch 6. die gegensätze der taktarteu bestimmte
— Wichtiger hilf s satz: mau kann mit freier und gehemmter stimme sprechen:
die erfahruug zeigt, dass die stimme frei ist, wenn man auf die klanggebuug des
autors sich eingestellt hat. — Die mittelalterlichen dichtungen zerfallen in zwei
gruppen. Die einen zeigen einheitlichkeit in den klaugverhältnissen (wie Otfrid.
Heliand, höfisches epos); die anderen geben gemischten klangcharakter von einer
zum teil sprunghaften Unregelmässigkeit. So zwingt die Überprüfung des W i d s i t L
zu der annähme, dass hier ein mosaikganzes durch ineinander- und zusammen-
schieben entstand (vgl. festschrift für F. Liebermann). — Die ae. Genesis zerfällt
in drei für sich stehende teile; v. 1—234 und v. 852 ff. haben nichts miteinander
zu tun. Der Schlussteil (v. 852 ff.) bildet ein buchepos, das als erzeugnis gemein-
schaftlicher Jdosterarbeit anzusprechen ist. Eine anzahl von Verfassern und ein
nachprüfender korrekter lassen sich herausheben. Zu Cädmon führt keine brücke.
Das anfangsstüek (v. 1—234) zeigt ein klangmosaik. Ins Westsächsische sind fetzen
eingesprengt, die in ältestes Nordhumbrisch zurückgeschrieben werden müssen.
um klangfrei zu werden. Diese fetzen, stücke mehr lyrisch getragenen Charakters,
stimmen zu Cädmon (Beckiugkurve 3). — Auch der Beowulftext zeigt klang-
liches geniisch. Den grundstock bildet ein nordhumbrisches, in die zeit um 750
gehöriges fragment (i und e noch geschieden, nordhumb. rundung und dergleichen*.
Man begegnet dem 'grundtext in Sprüngen zwischen v, 4 und 1122; stücke ähn-
lichen alters, wenn auch von anderer hand, am schluss des gedichtes. Der Ur-
Beowulf im wesentlichen der Grendelkampf (vgl. Müllenhoff). Er war bereits
eingestellt auf ein grösseres gedieht, da zu ihm die einleitung mit geschlechter-
angabe gehört. Zudem schliesst epische breite die art des Hildebrandliedes aus.
Für den typus entscheidend, dass alle rückgreifenden und retardierenden episodeii
JENENSER PHILOLOGENVERSAMMLUNG 1921 245
(Sigmund, der drachenkäinpfer; Finnsburgepisode) auch im Urbeowulf standen,
ürbeowulf mitteltypus zwischen, kleinem gedieht und grossem epos ; er ist nicht nur
verbreitert, sondern auch der ältere Wortlaut ist umgestaltet. Die anschwellungs-
hypothese erhält dadurch eine neue starke stütze. — Aus dem Nibelungenliede
lässt sich gleichfalls ein ältester teil herausschälen. Diese erste band setzt in str. 2
(mit den Worten Kriemhilt geheisen) ein und begegnet bis in str. 2379 (weinen man
da sack). Auch dieser dichter wollte den gesamtstoff darstellen. Da wo Lachmann
sein viertes lied begann, zeigt sich neueinsatz. Ohne zweifei drangen einzellieder
und teilgedichte in das Nibelungenlied; vgl. die worte des Mamer und die Thidrek-
saga, die niederdeutsche lieder voraussetzt. — Der Kudruntext zeigt freie an-
schwellung. — Mit der Vorstellung des geschlossenen buchepos wird man den tat-
sachen nicht gerecht.
Am vormittag des 28. September nimmt zunächst S a r a n - Erlangen das wort
.über das Rolandslied; die knappe redezeit veranlasst ihn, sich auf Überprüfung
der französischen dichtung zu beschränken.
Das französische Rolandslied wird seinem gedankengehalt nach nur ver-
ständlich vor dem an Spannungen reichen hintergrund der zeit. — Das helden-
ideal des dichters wird deutlich an dem verständigen Olivier. Rittertum ist kein
Übermut; der held kämpft nur, wenn es sinn hat. Der dichter steht gegen über-
dehnung des ehrbegriffs, indem er den Zeitgenossen, den alten, wesentlich ger-
manischen heldentjpus vorhält. — Er schildert einen straffen lehnsstaat. Dies bild
entspricht nicht den Verhältnissen seiner tage. Seit 987 galt der könig nur als
bäron unter baronen. Um 1100 freilich kommt der Umschwung; das ideal Karls
des grossen wird lebendig. Der dichter bekennt sich mit dem staatsideal, das er
in die Vergangenheit setzt, zu dem innerpolitischen programm, das mit
dem anfang des 12. Jahrhunderts vom königtum vertreten wird. — Karl gewinnt
das ganze Abendland; auch der zug nach Spanien setzt nur diese eroberungspolitik
fort. Roland ist die stütze dieser auf Weltherrschaft gerichteten politik. Der
dichter entwirft das aussenpolitische programm der französischen könige.
"Wie begründet er diese politik? Ganelon ist gegner der eroberungspolitik, die
ihn von frau und sippe fernhält. Drum sagt er Roland die fehde- an, der ihm als
der träger dieser eroberungsgedanken gilt. Er nimmt daher diesen seinen streit
mit Roland als streit zwischen Vasallen. Karl fasst jedoch das verhalten Ganelons
nicht privatrechtlich, sondern staatsrechtlich an. Zwei verschiedene staatsanschau-
ungen treten sich gegenüber. Dass Karls eroberungspolitik nicht privatwillkür,
das entscheidet für den dichter nur gott. Karls imperialismus ist gottgewollt. —
Eine handfeste, nicht sehr tiefe kirchlichkeit, der christsein Standessache ist, erfüllt
die dichtung. Wir fassen das Frankreich alten stiis, das der reformbewegung,
dem Gregorianismus fernsteht. Deutlich wird dies an zwei polemisch gehaltenen
gestalten, dem im feudaiismus stehenden erzbischof Tnrpin und an Karl selbst,
dem priesterlichen könig, der dauernd mit gott in unmittelbarer Verbindung steht.
Siebs- Breslau sagt sodann an, dass sein buch über die bühnenaussprache
demnächst neu aufgelegt wird. Er bittet um rechtzeitige mitteilung von wünschen.
Den folgenden Vortrag hat Grimme- Münster : Syntax auf grund von sprach-
melodik.
Die Sprachmelodik erforscht die tonstufen. Alles was an grammatische
kategorien gebunden, tritt auch spr achmelod i seh zutage. Der redner hat
zunächst die grundprinzipien an seiner provinziellen ausspräche (.nordwestdeutsch)
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XLIX. 17
246 jenenser philolo(ienversammlung 1921
festgelegt. Zur graphischen darstellung benutzt er die zahlen 0—8 (modifikationen
dieser stufen durch + und — , gleittöne sowie kombinierte töne durch exponenten).
Individuelle unterschiede betreffen nicht tonstufen, sondern tonlagen (intervalle). —
Drei kategorienarten sind zu scheiden : 1. die logischen kategorien; die tonstufen
drücken das gegenseitige Verhältnis der Satzglieder aus; 2. die modalen kategorien;
die anteilnahme, die der Sprecher am gesagten nimmt, wird in den tonstufen bezeichnet;
3. gefühlskate gorie. Tonlagen und tonintervalle geben die gefühlssphäre des
Sprechers w^ieder. Diese drei kategorien durchkreuzen sich öfters, dabei schlagen
sie sich in gesetzmässiger vt^eise nieder. — 1. logische kategorien. Innerhalb
jedes Satzes hat jedes glied eine tonstufe. Im nichtinvertierten satze hält das
prädikat die niedrigste stufe (1). Es folgen Subjekt (2), acc.-objekt (3), dativ-
objekt (4), adverb des masses (5), des orts und der zeit (6), des Instruments (7),
die satzspitze des invertierten Satzes (8). Für den satzschluss gelten besondere
regeln. Eine anzahl von wortkategorieu empfindet die spräche als überstuft: so
stehen komparativ (+) und Superlativ (++) höher als der positiv, die Ordinalzahl (als
elativ gefühlt) höher als die kardinalzahl, das personalpron. der 1. (++) und 2. per-
son (+) höher als das der 3., dieser höher als jener, der plur. höher als der sing.
Für alle erweiterungen nominaler Satzglieder (attribute, apposition) ergeben sich
eigene regeln. — Nur kurz konnten 2. die modalen kategorien berührt werden.
Sprachmelodisch treten 7 modi (einschliesslich des imperativs) auf, die sich mit jedem
Satzteil kombinieren können. Der indikativ ist kein eigentlicher modus; in ihm
drückt sich keine persönliche anteilnahme aus, er steht auf stufe 1 (prädikat).
Hilfszeitwort und Infinitiv stehen gleich hoch und erweisen sich so als etwas un-
trennbares.
Minde-Pouet- Leipzig spricht über Die zukunft der bibliographischen
unter }i eh mungen auf dein gebiete der germanischen philologie.
Vor dem kriege besassen wir zahlreiche bibliographien, die aber mehr zufällig
entstanden waren. Es fehlte system und Vollständigkeit. Als unentbehrlich er-
wiesen sich die bibliographien des Euphorion, von Behaghels literaturblatt, der
Jahresbericht für neuere deutsche literaturgeschichte und der für germanische
philologie. Der krieg führte eine völlige änderung herbei. Die bibliographie des
Euphorion ist gefährdet. Die Jahresberichte für neuere literaturgeschichte sind
seit 1915 nicht mehr erschienen, ihre fortführung würde */« niillion jährlich er-
fordern. Die Jahresberichte für germanische philologie halten sich noch, die Ge-
sellschaft für deutsche philologie glaubt weiter auskommen zu können und will
ihre berichte bis zu Goethes tode oder bis 1850 erweitern, wobei sie ihr auswahl-
prinzip zugrundelegen würde. — Was soll nun geschehen? Eine vollständige
bibliographie ist nicht mehr möglich, aber auch nicht nötig. Nur muss man sich
auf das richteramt des bibliographen verlassen können. Jedesfalls müssen die
Jahresberichte für neuere literaturgeschichte in anderer form fortgeführt werden.
Doppelarbeit ist unbedingt zu vermeiden, so dass diese Jahresberichte nur als er-
gänzung zu denen der Gesellschaft für germanische philologie (d. h. also etwa von
Goethes tode ab) erscheinen dürften. Der kommentierende teil muss wegfallen, dafür
können die titel eine stichwortartige ergänzung erhalten. Kommt dies unternehmen
zustande, so stellt Sauer die bibliographie des Euphorion ein. Zur Vorbereitung
der Organisation schlägt der vortragende einen ausschuss vor. — Das wöchentliche
Verzeichnis der buchhändler, das jetzt von der deutschen bücherei bearbeitet in
einer einseitig bedruckten ausgäbe erscheint, ist für die Wissenschaft nutzbringend
JENENSER PHILOLOGENVERSAMMLUNG 1921 247
^u machen. Geplant ist ferner eine bibliographie aller privatdrucke und amtlichen
drucksachen. Die sehr kostspielige zeitschriftenbibliograpbie ist eine arbeit für die
akademien bei finanzieller staatlicher Unterstützung. — Die anschliessende erörterung
wird abgebrochen und auf den nachmittag vertagt, da volle klarheit erzielt
werden muss.
Da die redezeit beendet, zieht Fe ist- Berlin seinen Vortrag über 'Die
religionsgeschichtliche bedeutung der runendenkmäler^ zurück. Leider konnte er auch
an späterer stelle nicht mehr einrücken.
Am nachmittag desselben tages spricht zunächst Petersen- Berlin über
den bühnenplan des Frankfurter passionsspieles.
Das der dirigierrolle des Bartholomäusstiftes zugrunde liegende alte
Frankfurter passionsspiel ist keine eigene Schöpfung des kanonikus Baldemar von
Peterweil. Es wurde wohl zuerst ostern 1350 zur neueinweihung des durch brand
geschädigten domes aufgeführt. — Es erhebt sich die frage : wie weit ist es möglich,
aus der dirigierrolle, diesem regiebuch des mittelalterlichen dramas, den
tatsächlichen gang der aufführung anschaulich zu machen. Der 11. teil des Stückes
ist durchaus in der kirche spielbar, aber der erste teil erfordert häuser, setzt also
einen platz voraus. Mit umsieht und vorsieht sucht sodann der vortragende aus
den regieangaben des I. teiles und der in ihnen erfassbaren bewegung der Spieler
den platz mit seiner Umgebung und den für das spiel notwendigen einbauten sinn-
lich greifbar zu machen. Nur an einer Zeichnung lässt sich der verlauf der Unter-
suchung befriedigend wiederholen. Hier muss es genügen, das ergebnis der
Interpretation mit wenigen, ja dürftigen strichen anzudeuten. — Auf der einen
längsseite des platzes erhebt sich das haus der Martha. Dann das haus, das den
pharisäer Simon und den pater familias zu bergen hat. Vor ihm der tist;h, an
dem Jesus mit Simon speist und später das abendmahl austeilt. Die wohnung des
Herodes schliesst sich an. Bei ihr hat Johannes der täufer seinen platz. In seiner
nähe der einzige brunnen, den das spiel erfordert, in dem Jesus und am schluss
des Stückes die Juden getauft werden, der gleichzeitig als grabkammer genutzt
wird. Auf der anderen seite des brunnens finden wir Augustin und die propheten,
bei denen das spiel anhebt. Die ansetzende querseite gehört Satan. Dort der
galgen, der die höllenpforte darstellt, an dem Judas den tod sucht. Dort auch,
ungefähr Augustin gegenüber, die an dieser stelle notwendigen Juden. Die zweite
längsseite füllen die häuser des Annas, Kaiphas und Pilatus. Vor ihnen stehen
die krüppel, die Jesus heilt. Die dem Satan gegenüberliegende querseite gibt räum
für den thronus, den chor, das irdische paradies, die engel. Vor den stufen, die
zum thronus führen, erwählt Jesus die apostel. Etwas weiter in den platz hinein
sind die kreuze gerückt. In der diagonale des platzes nahe bei den Juden das
desertum, nahe bei den aposteln ein fass, das den berg der Versuchung abgibt ;
mitten zwischen diesen beiden stellen ein weiteres fass, das die zinnen des tempels
bezeichnet. Bei dieser anordnung spielt sich das stück reibungslos ab. — Aus alten
Frankfurter planen lässt sich der aufführungsort festlegen. Auf dem Nikolausplatz
muss das stück gespielt sein ; die Nikolauskirche, eine filialkirche des Bartholomäus-
stiftes, diente offenbar als garderoberaum. Die aufführung des Jahres 1492 erfordert
eine andere anordnung.
Es folgte Wolf gang S t am ml er- Hannover ; Die totentanze des mittelalters.
Als ergebnis des durch lichtbilder unterstützten Vortrages Hess sich feststellen :
Der Volksglauben vom reigen der toten, welche den lebenden in ihren kreis zwingen
17*
248 JENENSER PHILOLOGENVERSAMMLUNG 1921
und dadurch zu tode bringen, wird von der franzöBischen geistlichkeit seit dem
XIV. Jahrhundert im bilde festgehalten und als wirksam waroende bildliche predigt
verwandt. Aus der asketischen Stimmung des französischen geisteslebens im
XIII. Jahrhundert ist dieser gedanke zu erklären. Verse, welche die hinfälligkcit
des einzelnen menschen beklagen und seinen gang zum tod schildern, gaben ver-
anlassung, den bildern nach art der tituli lateinische verse beizufügen. Ursprüng-
lich beklagten nur die lebenden ihr Schicksal in solchen distichen; die wanderlegende
von den drei lebenden und drei toten gab die veranlassung, nun auch den toten
auffordernde oder warnende Sprüche in den mund zu legen. So entstand, wohl
auch in Frankreich, zuerst lateinisch, später auch in das deutsche übersetzt, ein
totentanzgedicht, in welchem abwechselnd tote und lebende miteinander reden,
welches indes den ursprünglich monologischen Charakter der menschenverse nicht
völlig abgestreift hat. — Daneben erwächst ein zweites gedieht, unabhängig von
diesen versen, in welchem an der stelle der toten der tod die menschen zum eintritt
in seinen reigfen auffordert. Dieser dialog hat seine würze! in der form der mittel-
alterlichen Streitgedichte, unter denen seit der antike auch ein streit zwischen dem
tod und dem leben vorkommt. Zugrunde liegt ein lateinisches gedieht, das in die
westeuropäischen Volkssprachen übersetzt wurde und in diesen fassungen mitunter
auch ideen oder formen des älteren totentanzgedichtes aufgenommen und in sich
verarbeitet hat. Das motiv vom tanz des todes war genährt worden durch ver-
wandte motive aus der mystik, sodass vielleicht dieser zweite text aus Deutschland
stammt. Auch der neue dialog vom tanz des todes erschien bald unter manchen
bildern; aber man empfand nicht den Widerspruch zwischen darstellung und wort.
Diese neue anschauung ist massgebend geblieben bis zur gegenwart.
Dann Schultz- Köln : Steinmar im Strassburger münster, ein fund zur
geschickte des naturalismus im 13. Jahrhundert.
Das Strassburger münster zeigt an der westwand des nördlichen Seitenschiffes
unterhalb des gesimses des 4. Spitzbogen fensters die kleine tigur eines zechers. Die
zum schütze des münsters in den letzten jähren vorgenommenen baulichen arbeiten
ermöglichen, die beigegebene Inschrift restlos zu lesen; sie gibt den namen: Stein-
mar. Die geschichte des münsters lehrt, dass diese skulptur vor 1275, wahrschein-
lich sogar vor 127Ü gearbeitet wurde. Bisher war nicht erkennbar, dass St. be-
ziehungen zu Strassburg hatte. Zu diesem aufhellenden fund treten weitere gründe,
so die tatsache, dass Walther von Klingen ein haus in Strassburg besass, dass nach
den Strassburger Urkunden im 14. Jahrhundert dort mehrere Steinmars lebten.
A. Schultes annähme, dass St. zur gruppe der bürgerlichen dichter gehöre, tritt
wieder in den Vordergrund. — Die figur entsprang realistischer auffassung, wie sie
sich damals in gotischer kleinskulptur zeigt. Die Inschrift erweist, dass St. für den
Steinmetzen ein bekannter zechkiimpan war. Der dichter ist in der pose gegeben,
die ihn auszeichnet. So gewinnen wir das erste porträt eines poeten. — St. war
mithin schon vor 1275 eine volkstümliche, ins typische erhobene erscheinung. Die
Skulptur gibt nicht nur die von schweizerischer lebensfreude erfüllte persönlichkeit,
sie setzt auch das herbstlied voraus. Daraus folgt aber, dass St. nicht erst nach
Überwindung der konventionellen gesellschaftslyrik die von ihm erlebten, natur-
wüchsigen dichtungen schuf. Beide rieht ungen hat er nebeneinander gepflegt.
Der reale fund erweist die bisherige, nur auf innere gründe gestützte darstellung
seiner entwicklung als konstruktion. Seine eigene kunst entspricht der geistigen
haltang der zeit. Seit der mitte des 12. Jahrhunderts kehrt man vom spirituellen
JENEXSER PHILOLOGENVERSAMMLUNG 1921 249
!zur natur zurück. Dem schwelger am Strassburger raünster entspricht der einsame
zecher des 'weinschtvelges'. Er setzt St. voraus. Darum ratsam, den weinschwelg
von Tirol weg mehr nach dem norden, in die nähe Rudolfs von Habsburg zu
schieben.
Am vormittag des 29. September tritt man in die letzte sitzung. Folgende
entSchliessung, die sich mit dem fortbestand des Deutschen Wörterbuches beschäftigt,
wird einstimmig angenommen :
'Das von Jakob und Wilhelm Grimm ins leben gerufene Wörterbuch befindet
sich in schwerer not. Um die bisherigen mitarbeiter festzuhalten und neue zu
gewinnen, reichen die vom Verleger zurzeit gezahlten honorare nicht aus; eine
-erhöhung wird nötig sein. Aber die herstellungskosten sind ohnedies bei den
steigenden löhnen in beständigem wachsen. Schon ist die erhöhung des ladenpreises
aufs fünffache für die neuen lieferungen gestiegen. Eine weitere Verteuerung würde
<iem grössten teil der bisherigen abnehmer den fortbezug unmöglich machen und
damit verhindern, dass das werk in der deutschen gelehrtenwelt seine aufgäbe
erfüllt. Die Unterstützung des Wörterbuches ist reichssache. — Die germanistische
Sektion der 53. in Jena tagenden Versammlung deutscher philoIogen und Schul-
männer richtet daher einstimmig an das reichsministerium des Innern die dringende
bitte, das nationale werk nicht im stich zu lassen und den zurzeit vom reich ge-
zahlten zuschuss sehr erheblich zu erhöhen.'
Die gleiche allseitige Zustimmung findet eine von Minde-Pouet verlesene
entSchliessung, die die erörterung über die bibliographischen Publikationen abschliesst:
'Die germanistische abteilung der 53. Versammlung deutscher philoIogen und
Schulmänner hält die fortsetzung der Jahresberichte für neuere deutsche literatur,
die mit dem jähre 1915 ihr erscheinen eingestellt haben, für unbedingt erforderlich.
Die not der Wissenschaft verbietet doppelarbeit und fordert beschränkung auf das
notwendigste. Es ist daher eine arbeitsgemeiaschaft mit der Gesellschaft für
•deutsche philologie anzustreben. Hierbei wird ausdrücklich die erwartung aus-
gesprochen, dass die bibliographie der neueren deutschen literatur die ihr gebührende
gleichberechtigung neben der älteren findet und bis zur gegenwart geführt wird.
Mit der förderung des Unternehmens und der ausarbeitung eines arbeitsplanes wird
ein ausschuss beauftragt, der aus folgenden herren besteht: 1 . den bisherigen leitern
der bisherigen Unternehmungen: Behaghel, Feist, Roethe, Sauer. 2. Den fach-
kollegen: Böhm, Elster, Leitzmann, Michels, Minde-Pouet, Petersen, Richter, Saran,
Schultz, Sievers (Deutschland); Arnold, Brecht, Castle (Österreich); Ermatinger,
Maync (Schweizj ; Hajek (Siebenbürgen) ; Schölte (Holland) ; Faust, NoUen (Amerika).
5. Den bibliotheksdirektoreu Collijn, Escher, Milkau, Schnorr von Carolsfeld.'
Endlich bekennt man sich zu den von Jantzen- Breslau eingebrachten
Sätzen :
'Die germanistische abteilung der 58. Versammlung deutscher philoIogen und
Schulmänner zu Jena fordert, dass dem deuts chkund liehen Unterricht bei
der kommenden neuordnung des Schulwesens die ihm gebührende führende Stellung
eingeräumt werde. Die deutschkundliche fächergruppe soll kern und grundiage
des gesamten Unterrichts werden, um in dem heranwachsenden geschlecht eine
mögKchst gründliche kenntnis und ein liebevolles Verständnis deutschen wesens und
geistes zu erwecken. Voraussetzung dafür ist, dass der deutschkundlichen fächer-
gruppe die unbedingt erforderliche zahl von stunden zugewiesen wird.'
250 JENENSER PHILOLOGENVERSAMMLUNG 1921
Dann spricht R. Un ger- Königsberg: Zru- datiernng und inneren entstehungs-
geschichte von Novalis hynmen an die nacht.
Nach erörterungen über die methodische bedeutung Ton datierungsfragen
gieng der vortr. auf die Vorgeschichte des problems ein. Schon frühzeitig wurden
die hymnen dem jähre 1798 zugewiesen, während Tieck sie dem jähre 1797 zu-
schrieb. Da die angaben sehr unbestimmt waren und sich nur auf Vermutungen
aufbauten, konnten sich drei verschiedene ansichten entwickeln. Die allgemeine
ansieht geht dahin, dass sie 1797 nach dem tode Sophiens und vor Hardenbergs
abreise entstanden seien. Daneben ist die these einer schichtenweise erfolgten ent-
stehung verfochten worden, während eine dritte erst 1893 aufgestellte ansieht die
hymnen in das jähr 1799 verweist. Alle drei meinungen bauen sich auf subjektivem
empfinden auf, da objektive kriterien fehlen. In ein neues Stadium kam die frage
durch die auffindung der handschrift, die Minor unter heranziehung der Varianten
als urhandschrift erkannte. Der Athenäumdruck zeigt ihr gegenüber nur fort-
geschrittenere künstlerische formung. Durch diesen fund war die zweite, eben
erwähnte these widerlegt. Desto schroffer stehen sich aber nun die erste und dritte
these gegenüber. Wer der meinung ist, dass die hymnen wegen Sophiens tode dem
jähre 1797 angehören müssen, der unterschätzt die inkubationszeit des erlebnisses
und übersieht, dass auch die dritte hymne stark stilisiert ist. — Auf dem wege der
inneren entstehungsgeschichte suchte nun der vortragende seine ansieht an der
hand folgender thesen zu begründen: 1. die hymnen sind die erfüUung der forderung
nach biblisch-christlichen paramythien, die Novalis, im Hinblick auf Herders antiki-
sierende paramythien, in einem aphorismus der handschrift E (nach Heilborns be-
zeichnung) seiner fragmenthefte ausgesprochen hat. Insbesondere sind die erste und
zweite hymne umdichtungen Herderscher paramythien. Das gestaltungsprinzip ist
bei beiden dichtem das gleiche. Allerdings zeigen sich bei Herder noch nachklänge
der rationalistischen auffassung, während bei Novalis romantische Christianisierung
platz greift. Ebenso stehen Herders 'Tod' und die fünfte hymne in parallele. Hier
erst findet sich die symbolisierung des todes durch Amor, den Eros psychopompos.
Diese wendung ins erotische und die gegenüberstellung von antike und Christentum
im Lessingschen sinne findet sich schon bei Herder. Nur ist sie bei Novalis ins
romantische weitergebildet. Aus diesen zusammenhängen ergibt sich, dass die
hymnen erst nach dem fragment entstanden sein können. 2. Dieses fragment steht
nun unter dem unmittelbaren eindruck der lektüre von Schleiermachers 'Reden
über die religion', ist also im 'herbst 1799 verfasst. Folglich kann auch die kon-
zeption und erste (handschriftliche) fassung der hymnen nicht vor die zweite hälfte
des September 1799 fallen, wahrscheinlich aber auch nicht viel später. 3. Welche
bedeutung hat nun die datierungsfrage ? Das fragment bezeugt, in Verbindung mit
anderen Indizien, welch wichtiges ferment in der durch Schleiermachers literarische
(und Tiecks persönliche) anregung im geiste Hardenbergs hervorgerufenen frucht-
baren gärung die Wirkung Herderscher Schriften gespielt hat. 4. Insbesondere
haben Herders Paramythien, vor allen bisher ermittelten oder vermuteten litera-
rischen einflüssen, das gestaltungsprinzip wie den ideen- und symbolgehalt der
hymnen entscheidend bestimmt, während Schleiermachers reden ihnen grundstimmung
und ursprünglichstes inhaltliches konzeptionsmotiv liehen. 5. Neben den paramythien
haben noch mehrere andere arbeiten Herders, besonders aufsätze der ersten beiden
Sammlungen der Zerstreuten blätter und die Bückeburger geschichtsphilosophie auf
die ausgestaltung der drei hauptsächlichsten gedankenthemen der hymnen gewirkt:
JENENSER PHrLOLOGENVERSAMMLUNG 1921 251
des todesmotivs, versinnbildlicht im symbol der nacht, des damit eng verbundenen
Erosmotivs, gesteigert zum bilde von seelenbrautschaft und liebesvereinigung im
grabe, und der geschichtsphilosophischen antithese: antike tages- und lichtweit,
überwunden durch das kreuz des todbesiegers Christus, des Urbildes der grossen
weltpalingenese. 6. Die hymnen an die nacht stellen, von dieser ihrer inneren ent-
stehungsgeschichte aus betrachtet, ein geistesgeschichtlich höchst bemerkenswertes
denkmal der dichterisch fruchtbaren Verschmelzung des frühidealistisch-geniezeit-
lichen und des hochidealistisch-romantischen geistes und lebensgefühls dar.
Keu seh el -Dresden stellte sich das thema: übe7- rhythmisch -melodische grund-
gestalten des lyrischen Schaffens:
Der vortragende wies auf die bedeutung der festen form für die lyrik
hin. Der von Vertretern neuester dichtung geforderte verzieht auf feste vers-
und Strophengebilde würde ästhetische Verarmung zur folge haben, um so mehr,
als dadurch erst die Verbindung mit dem musikalischen rhythmus möglich ist.
Ist dieser doch häufig schon bei der konzeption mit dem dichtenden wort ver-
bunden. Viele dichter haben nicht bloss verschwommene musikalische Stimmungen
bei ihrem schaffen, oft stehen ganz bestimmte rhythmische gebilde vor ihrer
seele. Alte, vertraute melodien, die seit kindertagen im obre klingen, wirken
mehr oder weniger anbewusst nach. Das gilt besonders von einwirkungen der
Volks- und kirchenlieder. — Der vortragende suchte dies an einer reihe von bei-
spielen zu erweisen. Hebbels 'Proteus' stimmt im rhythmus vollkommen mit
Justinus Kerners 'Wohlauf noch getrunken, den funkelnden wein' überein. Diese
einwirkung geht unbewusst so weit, dass sich auch sprachliche anklänge wieder-
finden. Ähnlich ist der anklang von Nietzsches 'Ecce homo' an die prinz-Eugen-
strophe, die auch bei Freiligrath, Fontane, Mackay nachhallt. Storms 'Schliesse mir
die äugen beide' klingt an Wolff- Webers 'Einsam bin ich nicht alleine' an. — Be-
deutsamer noch sind die rhythmisch-melodischen anregungen des protestantischen
kirchenliedes, die sich bis in die neueste zeit, bis etwa zu den Schöpfungen des
arbeiterdichters Karl Bröger verfolgen lassen. Sein lied 'Die sonne geht zur ruhe'
klingt an Claudius 'Der mond ist aufgegangen' an, das wieder eine nachbildung
von Gerhards 'Nun ruhen alle wälder' ist und auch bei Adolf v. Harless, Otto Julius
Bierbaum, Heinrich Hart, vielleicht auch bei Christian Morgenstern nachschwingt.
Oft ist die grenze zwischen kontrafakt und unbewusster nachgestaltung schwer zu
ziehen. — Die ausführungen mündeten dann in hinweise auf die rhythmische grund-
gestalt der Goethischen balladen 'Die braut von Korinth' und 'Der gott und die
baj ädere' aus. Für die letztere hatte schon Reuschels Vortrag auf der Marburger
Philologenversammlung den starken Zusammenhang mit dem Hede 'Eins ist not, ach
herr, dies eine' zu erweisen gesucht. Wenn seitdem von Münchhausen (Lit. echo
*22, 129 ff.) und Ermatinger (Deutsche lyrik 1, 210) bedenken gegen die äussere
form dieses gedichtes geäussert wurden, so glaubt der vortr. darin nur eine be-
stätigung seiner ansieht über die einwirkung eines melodisch-rhythmischen Vorbildes
im kirchengesang sehen zu können. In der 'Braut von Korinth' wirkt Zinzendorfs
lied vom 'Seelenbräutigam' nach, nachdem wieder als kontrafakt ein lied von Adam
Drese geschaffen wurde mit dem anfang: 'Seelenbräutigam, Jesu gotteslamm !', mit
dem sich die Goethische dichtung an einer stelle auch wörtlich berührt. Anderer-
seits gemahnen die fünffüssigen trochäen des gedichtes stellenweise an Schillers
'Götter Griechenlands', das auf Goethe bei seiner ersten begegnung mit dem jüngeren
dichter starken eindruck gemacht hat. So kommt der vortragende zu der schluss-
252 JENENSER PHILOLOGENVERSAMMLUNG 1921
folgerung über die entstehung der form der 'Braut von Korinth' : form und Inhalt
werden in kaum bewusstem anklang an die Götter Griechenlands gefunden, vertraute
töne des kirchenliedes steigen auf und damit der triumph des heidnischen über die
neue Christenlehre auch äusserlich erkennbar wird, schliesst jede strophe mit dem
'heidnischen versmass', dem fünffüssigen Jambus. Herrnhutische erinnerungen lassen
sich auch an anderen stellen der Goethischen lyrik nachweisen. So klingt die
moUmelodie von Georg Neumarks stellen in dem liede 'Wer nur den lieben Gott
lässt walten' in Mignons abschiedslied: 'So lasst mich scheinen, bis ich werde' nach.
Zum schluss nimmt Castle- Wien zu einem lichtbildervortrag das wort:
Bildnisse zur deutschen literaturgeschichte aus Lavaters physiognomischem kabinett
in der k. k. familienßdeikonwiisbibliothek in Wien:
Einleitend führt er aus, wie die physiognomik Lavaters mit dem suchen nach
bildlicher wiedergäbe der heilandgestalt zusammenhängt. So begann er in den
70er Jahren seine Sammlung von bildern anzulegen, die das material für seine
Publikation abgaben. Interessant ist auch, wie sein augenmerk auf die physiognomik
gelenkt wurde. Den ausgangspunkt bilden porträts, die er selbst zeichnete. Dabei
beobachtete er das auftreten verwandter züge. Darauf begann er systematische
Studien. Zahlreiche tafeln mit bänden, iiasen, obren zeigen, wie er der besonderen
eigenart jeder Individualität auf die spur zu kommen suchte. Die Voraussetzung
zu einer systematischen physiognomik war ja ein ungeheures empirisches material.
Dazu war es notwendig, auch bildnisse zu sammeln, wobei ihn der maier Schmoll
mit Zeichnungen unterstützte. Aber Lavater war nie mit den malern, noch weniger
mit den Individuen zufrieden. Sie blieben hinter seiner idee der menschheit zurück.
Allmählich häuften sich die bildermassen, die Lavater mit grossen kosten be-
schaffte. Als er starb, hinterliess er 30000 gülden schulden, denen als aktiva nur
sein physiognomisches kabinett gegenüberstand. Dieses wurde für 25000 gülden
von dem reichsgrafen Moritz von Fries erworben. Dessen söhn erlebte den fall des
hauses. Er musste konkurs anmelden. So kam Lavaters Sammlung in die konkurs-
masse und wurde in 26 stücke zerlegt. Als käufer fand sich dann kaiser Franz,
der sie der fideikommisbibliotkek zuwies, wo sie seit 1828 wieder vereinigt ist. Ihr
umfang beträgt 20000 blätter. — Der vortr. zeigt sodann eine grosse reihe, mit
liebe ausgewählter, dem philologen und literaturfreund gleich wertvoller bilder,
deren eindruck durch Lavaters erläuternden text wesentlich verstärkt wird.
Die angesetzte zeit war bereits überschritten, als V. Michels-Jena die so
anregende, arbeitsreiche und ungewöhnlich stark besuchte tagung schliessen konnte.
Siebs-Breslau fand ungeteilten beifall, als er im namen der teilnehmer dem rüh-
rigen vorstand dankte.
Es ist im rahmen dieses berichtes nicht möglich, aus der arbeit der anderen
Sektionen das herauszuziehen, was für den germanisten besondere bedeutung hatte.
Nur eines Vortrages sei gedacht, der ganz der germanischen philologie gehörte.
Am vormittag des 28. sept. sprach in einer allgemeinen sitzung A. Heusl er-
Basel über die balladendichtung des Spätmittelalters, namentlich im skandinavischen
Norden. Er kam zu folgendem ergebnis :
Die kunstform der ballade, des epischen reigenliedes, liegt im Norden alter-
tümlicher vor als in England. Eine neuschöpfung des Spätmittelalters, hebt sie
sich von den früheren gattungen, auch dem spielmännischen heldengedicht, scharf
ab, und man täte gut, den namen ballade nicht für beliebige ältere lieder zu ver-
schwenden. Sie stellt sich zu den eigentlich mittelalterlichen dichtarten als die
SCHWIETERING ÜBER MANSIKKA, RUSSISCHE ZAUBERFORMELN 253
grosse erbin; das von jenen erarbeitete münzt sie aus zu reigentexten, libretti.
Daher wirkt ihre Zeichnung vielfach wie eine travestie, ähnlich dem märchen. Das
unbestimmte kostiim, der lockere aufbau, die formein und das zersingen kenn-
zeichnen diese unzünftige dich tung. — Die entstehungs frage spitzt sich darauf
zu: Bezog die nordische bailade aus P^ankreich das fertige modeil oder nur
die einzelnen bausteine? Der vortragende tritt für das zweite ein. Schon vor der
epischen ballade herrscht weithin die kunstlosere kleinlyrik zum reigen {carole);
sie hat jene bausteine, u. a. die kehrreime, in den Norden gebracht. Die metrische
ähnlichkeit der folkevise mit der deutschen frühlyrik wird darauf beruhen, dass
eine der dänischen Vorstufen der ballade, entweder das erzählende gedieht oder
•die lyrischen tanzvierzeikr, von dem versbau der deutschen spielleute abhieng.
BORCHERDT. NEUMANN.
LITEKATUß.
y. S. Mansikka, Über russische Zauberformeln mit b erücksichtigung
der blut- und verrenkungssegen. Akademische abhandlung. Helsing-
fors 1909. XVni, 311 s. u. rg.
Keidar Th. Christiansen, Die finnischen und nordischen Varianten
des zweiten Merseburger Spruches. Eine vergleichende Studie. F(olk-
lore) F(ellows) Communications nr. 18. Hamina 1914 (auf dem Umschlag 1915).
VI, 218 s.
Mansikka gibt uns keine formelsammlung oder -Zusammenstellung mit
mehr oder minder kommentierendem text, sondern eine geschichtlich tief schürfende
Untersuchung russischer Zauberformeln mit besonderer berücksichtigung einzelner
geschlossener gruppen und wichtiger einzelmotive. Zunächst behandelt er die ge-
meinslavischen, vom Süden ausgehenden formein und dann das vielfach unter
westlich-germanischem einfluss stehende russische Sondereigentum. Die epischen
motive gemeinslavischer formein führen nirgends auf heidnisch-mythologische Vor-
stellungen, sondern ausnahmslos auf christliche anschauungen, die den zur byzan-
tinischen kirche gehörenden slavischen Völkern gemeinsam und oft über ganz Europa
verbreitet sind. Nur die sogenannte parallelismusformel spiegelt in einigen fällen
den ursprünglich sie begleitenden zauberakt wider, oft jedoch vermengt mit christ-
lichen elementen. Damit im einklang steht die äussere geschichte der formel, die
uns, wie wir es für das deutsche mittelalter, vor allem seit Schönbach wissen,
immer wieder die niedere geistlichkeit als Verfasser und Verbreiter der Zauberformel
zeigt, wofür im nördlichen Russland vor allem die konservative sekte der alt-
gläubigen zahlreiche beispiele bietet.
In der geistlichen literatur kanonischer oder apokrypher art liegen also die
quellen, von denen eine geschichte der russischen Zauberformel ihren ausgang
nehmen muss. Dass es überhaupt eine geschichte der Zauberformel gibt, scheint
selbst denjenigen, die volkskundlicher forschung nicht fern zu stehen behaupten,
immer noch hervorgehoben werden zu müssen. M. tut daher recht daran, dass er
mit wiederholtem nachdruck darauf hinweist. Gestützt auf ein reiches material,
254 SCHWIETERINO
das dem der slavischen sprachen unkundigen unerreichbar war, zeigt er auf grund
der geographischen Verbreitung einer formel ihre allmähliche Wandlung nicht des^
epischen Spruches allein, sondern auch der parallelismusformeln und eigentlichen
beschwörungen. Der üblichen anschauung vom stereotypen und starr unbeweglichen
werden geschichtlich bezeugte entwicklungsreihen mit möglichkeiten zu immer
neuen Variationen entgegengehalten. Besonders wandlungsfähig erweisen sich die
gegen verschiedene und unbestimmte krankheiten gerichteten formein, die bei räum-
licher Verbreitung und zeitlicher Überlieferung ihr anwendungsgebiet bald verengen^
bald erweitern. Ändert sich aber der heilzweck einer formel, so wird ihr Wortlaut
eben diesem neuen zweck unter Verschiebung der akzente mehr und mehr auge-
passt. Unverstandene christliche Symbole, die von vornherein mit geschichtlich
erzählenden dementen gemengt sein können, verblassen oder werden buchstäblich
aufgefasst bis zu sinnloser entstellung, so dass sich frühere forscher versuchen
Hessen, in diesen zerrütteten konglomeraten ursprungliche mythologische anschau-
ungen zu wittern. Wurde dann die formel auch mündlich überliefert, so war den
kühnsten kombinationen blühendster phantasie tür und tor geöffnet; von offenbaren
Irrtümern und Unsicherheiten des gedächtnisses abgesehen spielen dabei volks-
etymologische Umbildungen und Verwechslungen infolge lautlicher Verwandtschaft
eine bedeutende rolle. Die wichtigste Ursache für die Wandlung einer Zauberformel
besteht aber in der anpassung an den veränderten heilzweck oder wie
es von Eoethe, Sitzungsber. d. Berl. akad. 1915 s. 279 formuliert wurde: 'Der
epische Vorgang ist im gründe nichts als eine erhöhte nachbildung des Vorgangs,
der die anwendung des zaubers veranlasst hat oder den Zauberspruch erzeugen soll.'
Und wenn Mansikka die sich selbst gestellte aufgäbe 'die literarischen quellen eines
gegebenen spruchmotivs oder -typus ausfindig zu machen und andererseits den
zerfallsprozess zu zeigen' im grossen und ganzen vorbildlich löste, so hat er doch
der unter dem prinzip ,der angleichuug von formel und heilzweck schaffenden
phantasie zu wenig räum gegeben in dem verständlichen Übereifer, alle einzelheiten
unmittelbar auf christliche ideenkreise zurückzuleiten.
Die sorgfältige analyse einer einzigen formel bietet die arbeit Christiansens,
die dem .weitverzweigten mit dem Merseburger sprach verwandten verrenkungs-
segen in all seinen Verästelungen nachgeht. Der spruch hat sich von Deutschland
über die nordischen länder und Finnland bis nach Estland verbreitet, woselbst er
mit den ostwärts gedrungenen formen desselben deutschen segens zusammentraf.
Je nachdem es eines menschen oder eines pferdes Verletzung zu heilen gilt, wechselt
die vorbildlich gewählte epische einleitung. Beide fassungen wurden dem Norden
überliefert und verbreiten sich dann über Schweden nach Finnland. Im Verhältnis
zur ostfinnischen formel, die durch freie zusätze oder entlehnungen aus andern
liedem reich variiert, bewahrt die westflnnische form ein ursprünglicheres gepräge.
Diejenige formel, die der Norden im späten mittelalter von Deutschland
empfing, wurzelt durchaus in christlichen anschauungen, die auch für deutsche
Varianten des Spruches bezeugt sind: anknüpfend au den einzug in Jerusalem ist
ein dem zu besprechenden leiden paralleler Unfall Christi oder seiner begleiter er-
sonnen. Trotz dieser für die nordeuropäische formel zweifellos christlichen grund-
lage finden wir in drei schwedischen Varianten des Spruches Odin oder Freya (s. 53) ;
der finnische Ukko in je einer Variante aus Südkarelien und Mittelingermanland
(s. 121 und 151) ist appellativisch als greis zu fassen und bei dem estnischen un-
volkstümlichen Taara (s. 176) — < Tar < Tor = Thor — handelt es sich lediglich
ÜBER CHRISTIANSEN, ZWEITER MERSEBURGER SPRUCH 255
um eine literarische reminiszenz '. Um das eindringen der nordischen götter zu
erklären, werden die sonstigen schwedischen formein mit heidnischen götternamen
herangezogen (s. 54 ff.), unter denen Tor allem eine formel wider geschwüre au&
der handschriftlichen Sammlung Eääf: All tin sveda och värk döfrar tu i tre namnr
Oden, Thore, Fregge"^ keinen zweifei lässt, dass es sich um heidnische Substitution
und zwar hier der christlichen dreieinigkeit handelt. Lässt sich aber die ver-
tauschung heidnischer mit ursprünglich christlichen namen in
Zauberformeln wirklich erweisen, so haben wir uns mit dieser tatsache abzufinden,
auch dann, wenn wir vorerst noch nicht in der läge sein sollten, diesen Vorgang
allseitig psychologisch zu ergründen, und dürfen daher auch bei dem zweiten
Merseburger spruch die möglichkeit einer solchen vertauschung nicht von der band
weisen. Auch hier sind die namen das einzig heidnische: 'losgerissene namen, von
deren eigentlichen trägem der spruch nichts zu erzählen hat'. Mit S. Bugge wird
Phol und Balder als Paulus und herr interpretiert, Wodan und Frija mit K. Krohn
als Substitute für Christus und Maria; die personifizierten himmelslichter im geleit
der Jungfrau finden ihre ungezwungenste erklärung in der christlichen Symbolik,
deren bedeutung für die Zauberformel von Mansikka eingehend erörtert wurde.
Die frage, ob sich der zweite Merseburger spruch auf heidnische oder christ-
liche Vorstellungen gründet, gipfelt in dem rein literarhistorischen problem, ob
Zauberformeln mit epischer einleitung ohne christlich-orientalischen einfluss, vor
allem ohne das vorbild christlicher gebetsliteratur, möglich sind. Muss aber diese
frage auch auf grund allgemeiner erwägungen (Hälsig, Der Zauberspruch bei deu
Germanen s. 14 ff.) verneint werden, so wird der Vorwurf Steinmeyers (Kl. ahd.
sprachdenkm. s. 368), dass hier säfhtliche Schwierigkeiten durch ein einziges
allheilmittel beseitigt werden sollen, völlig unverständlich. Vielmehr hatte ich
guten grund (Zfda. 55, 148 ff.) auch den ersten Merseburger spruch auf seine christ-
lichen bestandteile zu untersuchen. Allerdings erweckt v. d. Leyens eutgegnung
in den Bayerischen heften für Volkskunde I 270 ff. von meiner beweisführung und
ihrem resultat eine völlig falsche Vorstellung. So wird mir die behauptung unter-
legt, 'dass schon die gotischen Christen im 6. Jahrhundert den gelehrten und kirch-
lichen spruch ihren laienhaften Vorstellungen anpassten, und dass er sich im laufe
der zeit immer stärker verändert habe: er sei ein sehr interessantes dokument von
der volkstümlichen Umbildung der arianisch-christlichen bildung bei unsern vor-
fahren'. Dabei habe ich am schluss meines aufsatzes lediglich im hinblick auf
Mansikkas buch,- das es in gewisser richtung zu modifizieren galt, gesagt, dass
Zaubersprüche mit epischer einleitung legendenmotive enthalten könnten, die in
die zeit des arianischen Christentums hineinreichen, ohne den Merseburger spruch
irgendwie als beispiel heranzuziehen. Wenn ich auch der möglichkeit einer Vor-
geschichte unseres Spruches dauernd rechnung tragen musste, so liegt es mir doch
fem zu behaupten, dass die formel als ganzes, wie sie uns vorliegt, tatsächlich auf
eine längere entwicklung zurücksieht; wiederholt habe ich betont, dass wir 'nicht
wissen, wie nahe unsere fassung der ursprünglichen form des Spruches steht'. Da
1) Nach briefl. mitt. von K. Krohn, dem ich auch den Wortlaut der folgenden
schwedischen formel verdanke.
2) Vgl. Bang nr. 40 : Tag det sorte paa det blaa,
tag det blaa paa hvide,
tag det hvide paa en jordfast Sten.
I Navnet Thor, Odin og Frigga.
256 SCHWIETERING
nun, soweit ich mich nachträglich überzeugen konnte, kein anderer leser meinen
Zeilen etwas ähnliches entnommen hat, rauss ich die Verantwortung für dies gröb-
liche missverständnis mit entschiedenheit zurückweisen.
Mir war daran gelegen, diejenigen anschauungen klarzulegen, aus denea ein
geistlicher vielleicht der Karolinger- oder gar erst der Ottonenzeit — der Stabreim
«iner volkstümlichen dichtung spricht nicht gegen das 10. Jahrhundert — einen
Marcellusspruch zur löseformel eines gefangenen umschuf. Warum der geistliche
verfasset den Marcellusspruch zum ausgangspunkt nahm, um dann die tres virgines
mit biblisch-legendärem leben zu erfüllen, immer im hinblick auf den zweck der
formel, dem auch die zeile suma heri lezidun ihre entstehung zu danken hat, habe
jich mich im einzelnen zu zeigen bemüht. Der uns immer wieder entgegentretenden
angleichung mehr oder minder fertig übernommener legenden an den gewünschten
heilvorgang will ich nicht nochmals das wort reden. Und wenn v. d. L. auch nichts
von der grossen, psychologisch leicht verständlichen mannigfaltigkeit im gebrauch
einer formel und der dadurch bedingten anziehungskraft für andere formelkreise
weiss, so ist diese Unkenntnis ganz besonders bedauerlich, wenn man sich das recht
anmasst, über diese dinge mitzuurteilen. Ich will nur an den Jordansegen erinnern,
der nicht nur blut, sondern auch feuer und feinde zum stehen bringen soll * und
verweise hier vor allem auf Mansikka, der dieselbe formel gegen krampf und
harnzwang (s. 71), gegen Zahnschmerz, beschreien, gebärniutterleiden, vieh- und
pferdekrankheiteu (s. 87) oder gegen blutung, zahnweh. gliederreissen und all-
gemeines Unwohlsein (s. 260) angewandt und dementsprechend variiert findet-, aber
auch auf Ebermann a. a. o. s. 31, 391, 80, 108; Hälsig a. a. o. s. 77, 84 und andere
mehr. Die ansieht, dass eine formel als ganzes kaum einer Wandlung unterliege,
d. h. auch nicht die epische einleitung, auf die es ja hier in erster linie ankommt,
und dass man von der unveränderlichkeit einer formel geradezu ihre heilkraft ab-
hängig glaubte, hat sich eben durch neuere forschungen als durchaus img erwiesen *.
Und ich betrachte es als wesentliche eigenschaft meines aufsatzes, dass er auf der
unbedingten Voraussetzung der ständigen Wandlungsfähigkeit eines Spruches auf-
gebaut ist. Auf die behauptung v. d. L.s, in der zeit mündlicher Überlieferung sei
«ine formel geringeren entstellungen und missverständnissen ausgesetzt als nach
ihrer schriftlichen aufzeichnung brauche ich wohl nicht ernsthaft einzugehen.
Mansikka (s. 123 f.) urteilt auch hier nicht aus theoretischen erwägungen, sondern
aus lebendiger erfahrung: 'Wenn der zauberer des lesens kundig ist, bleibt noch
die hoffnung, dass die Vorstellungen ihren ursprünglichen rahmen nicht verlassen,
denn er hat immer gelegenheit zur auffrischung seiner erinnerung einen blick ins
zauberbuch zu tun. Anders verhält es sich, wenn der anwender der formein un-
gebildet ist . . . Ein einmal gehörter, im unsicheren gedächtnis bewahrter spruch
läuft immer gefahr, von dem ursprünglichen Zusammenhang abzuweichen und sich
in puren unsinn zu verwandein.'
Der Ursprung und die entwicklung unseres Spruches zeigt nun grosse ähnlich-
keit mit der geschichte anderer formein des mittelalters, obwohl v. d. L. auch hier
das gegenteil behauptet. Ganz allgemein sagt Ad. Franz in seinem klassischen werk:
Die kirchlichen benediktionen im mittelalter (II s. 430): 'Die antike literatur hat
1) Ebennann, Blut- und wundsegen s. 34.
2) Vgl. auch s. 53, 93, 267 u. s. w.
3) 8. z. b. Mansikka a. a. o. s. 101, 124 usw.
ÜBER CHRISTIANSEN, ZWEITER MERSEBURGER SPRUCH 257
für diese besprechimgcn in vielen fällen die grundform geboten, -welche später unter
Verwendung christlicher gedanken und worte eine weitere entfaltung erfuhr.' Kurz
vorher (s. -127) ist unter berufung auf Jak. Grimm von der bedeutung des Marcellus
für das christliche abeudland die rede gewesen. Und Hälsig sagt am schluss seiner
dui'chmusterung verschiedener formelgruppen (a. a. o. s. 106): 'Der schon oft —
d. h, in den vorausgehenden abschnitten seines buches — erwähnte Marcellus liefert
auch hier einige beispiele, die womöglich der ausgangspunkt für spätere fassungen
geworden sind.' Aber das alles habe ich in meiner arbeit ausführlich auseinander-
gesetzt, so dass mir v. d. L.s behauptung, eine derartige entwicklungsgeschichte,
wie ich sie zeichne, stände ohne parallele, mehr als seltsam erscheinen muss. Auf
dieser grundlage und in dem bewusstsein der überragenden rolle von Christi leiden
und opfertod und den drei Marien in der gesamten christlichen zauberliteratur habe
ich dann die unserm spruch zugrunde liegenden anschauungen aus den dem mittel-
alter bekanntesten patristischen Schriften nachgewiesen. Die belege Hessen sich ins
unermessliche häufen, ich wollte nur beispiele geben. Dieselbe phantasierichtung
und dieselbe symbolische gedankenweit, die den schon früh bezeugten karfreitags-
ritus der adoratio crucis und die aus altchristlicher zeit überlieferte — v. d. L.
ebenfalls unbekannte — bildliche darstellung der drei Marien am ostergrabe um-
schwebt, offenbart sich auch in der ersten dramatischen handlung der liturgischen
osterfeier. Da die anfange des osterspiels einer wenig späteren zeit als unser
Spruch angehören, wie ich keineswegs verschwieg*, so habe ich die symbolische
handlung der Marienpriester nur zur erhellung und deutung älterer brauche und
bilder herangezogen, nicht aber als unmittelbares glied meiner beweiskette, die ich.
auch ohne diese zutat für geschlossen erachte, eingereiht.
Wenn es nun im wesen einer wissenschaftlichen analyse begründet liegt,
organisch verbundene elemente zu scheiden und gesondert auszubreiten, so hätte
ich trotzdem für v. d. L. noch besonders hinzufügen sollen, dass diese zur bildung-
eines geistlichen gehörenden einzelbestandteile im hirn dieses manues friedlich
beisammen wohnen, dass ich also keineswegs eine fülle von geistlichen und un-
geistlichen Verfassern aneinander zu reihen brauche, bis ein Sprüchlein von vier
langzeilen zusammengeschmiedet ist. Und weil ich alle diese einzelnen zur erklärung
angeführten anschauungen in der heimischen geistlichen bildungssphäre jener zeit
vereint finde, darum halte ich meine arbeitsweise für nicht unmethodischer als wenn
ich meine Zuflucht nähme zu sogenannten^ nordischen parallelen, denen der durch
endlose Wanderungen zerstampfte heimatboden entwurzelter deutscher stamme schon
seit Jahrhunderten keine nährkraft mehr bot. Auf den positiven teil der abhand-
lung V. d. L.s, der die bisherigen, sattsam bekannten erklärungsversuche in allzu
weitschweifiger und darum im einzelnen anfechtbarerer form wiedergibt, näher ein-
zugehen erübrigt sich, wenn auch die das summen und sitzen der idisi klangmalenden
s-laute (s. 276) eigentlich dazu herausfordern.
V. d. L. gab mir keinen anlass, die Verschiedenheit unserer ansichten auf
den weiteren kampfplatz der meinungen über Ursprung und werden volkstümlicher
dichtung hinauszutragen, und ich selbst bin dankbar der gefahr ausgewichen, über
1) Vorsichtig genug spreche ich s. 153 von 'symbolischen kuithandlungen,
wie wir sie zur zeit der aufzeichnung unseres Spruches zum erstenmal mit dem
dialogisierten teil der osterliturgie verbunden sehen'.
2: Eine Verwandtschaft von aisl. dls und wgerm. idis bestreitet jetzt auch.
H. Güntert, Kalypso S. 245.
*258 REUSCHEL
allgemeineren fragestellungen unsere besondere aufgäbe aus den äugen zu verlieren.
Im streit um das wesen der volkspoesie, der letzten endes im gegensatz zweier
Weltanschauungen begründet liegt, wird die romantische richtung immer weiter
unterliegen, je ausschliesslicher sie von altüberlieferten verurteilen befangen den
blick selbstschöpferisch auf ein vorgefasstes ganzes richtet, unbekümmert um die
tatsächlichen resultate einer vom einzelfall ausgehenden kleinarbeit und wenig be-
helligt durch diejenige philologische Wissenschaft, die wie keine andere berufen ist,
die fädeu, die unsere kultur mit der christlichen antike unauflöslich verbunden
halten, unserm äuge immer sichtbarer zu entwirren.
HAMBURG. J. SCHWIETKRING.
Tristan and Isolt, Astudy ofthe sources ofthe romance. ByGertrude
Schoepperle. Frankfurt a. Main. Joseph Baer & co. London. David Nutt.
1913. 2 bde. XV, 266 ss. und s. 267-590 (NewYork University. Ottendorfer
memorial serviea of Germanic monographs No 3. 4).
Die Verfasserin dieses mit grossem fleisse, zuweilen anerkennenswertem
Scharfsinn, leider aber nicht immer genügender ausnutzung der neueren deutschen
literatur über den gegenständ mit alexandrinischer gelehrsamkeit ausgearbeiteten
Werkes will den nachweis erbringen, dass Bedier im rechte ist, wenn er als quelle
der mittelalterlichen Tristanerzählungen ein biographisch gehaltenes epos annimmt.
Sie weicht von Bedier ab, indem sie den Urtristan als ein keineswegs, wie der
französische forscher und nach ihm Golther vermuten, besonders glanzvolles stück
epischer kunst betrachtet und einen kräftigen einsehlag volkstümlicher Überlieferung
<iarin zu finden glaubt. Beroul-Eilhart, Thomas und auch die Folie Tristan der
Berner hs. gehen zurück auf eine gemeinsame quelle, die estoire, auf die Beroul
anspielt. Den besten begriff von der beschaffenheit dieser 'estoire' gibt Eilhart.
Dass sie den ausgangspunkt für sämtliche Tristanbehandlungen des mittelalters
gebildet habe (dies ist Bediers ansieht), ist zu bestreiten, denn weder die fortsetzung
Berouls noch der prosaroman führen notwendig auf sie zurück. Nun hat Bedier be-
hauptet, Eilhart wie Beroul stützten sich auf eine von der erschliessbaren abweichende
fassung y. Bedeutsam war für ihn, dass Thomas anders als Eilhart-Beroul kein
abschwächen der Wirkung des liebestrankes kennt und die folge der waldszene,
die rückkehr zu Marke verschieden von ihnen begründet. Thomas muss, seinen
anschauungen über höfische minne gemäss, das ihm vorliegende umgestaltet haben.
Bediers y ist demnach überflüssig. Auch im verzieht auf die geschichte mit dem
frauenhaar, eine alte volkserzählung, offenbart sich Thomas als neuerer. Tristan
und Isolde begegnen sich zum ersten male, als der held für seinen oheim wirbt.
Eilhart, der Tristans heilung ohne Isoltes persönliche gegenwart berichtet, benutzt
die Überlieferung zweckmässig, Thomas, der Isolde bei der Werbung wiedererkennen
lässt, konnte sie nicht brauchen. Auch die doppelte namengebung (Pro und Tantris)
erscheint gegenüber Thomas als das ursprüngliche. Mit Keleminas Untersuchungen
zur Tristansage (Teutonia 16) hat sich Gertrude Schoepperle in diesen wichtigen
fällen nicht auseinandergesetzt. Immer wieder betont sie, Eilharrs fassung vertrete
für uns die 'estoire'. So umschreibt sie auf nicht weniger als 55 selten den Inhalt
von Eilharts Tristrant und Isalde, wobei es nicht an ungenauigkeiten fehlt, z. b.
8. 15 : Mortally tvounded, the Irish champion fled to his boat, pursued by the taunts
of Tristan (vgl. 908 ff.), s. 15: The Irish king commanded that all persons landing
ÜBER SCHOEPPERLE, TRISTAN AND ISOLT 259
in Ireland front Cornish ships should he hanged without mercy (vgl. 991 f., 1006 ff.)?
«. 16: He (Pro) tcas put in charge of a ship (dagegen 1264 f. dö Mz he bereitin
Mle, so tele als he ir tvol hedorfie)^ ebenfalls s. 16: If he did not return, Gorvenal
ivas to he the heir of his realm, wo die wichtige Zeitbestimmung 'within a year'
vermisst wird, s. 19 : The seneschal concluded that the knight he had met had
been ^walloived hy the dragon, was sich nicht mit Sicherheit aus v. 1694 ff. er-
schliessen lässt ; s. 26 steht zu lesen : They made slanderous verses and recited them
to the king für das mhd. (v. 3226 f.) : sie erhühin ein gedichte und sagetin ez dem
koninge. Irrig werden die verse 5695 f. he imtste schöner wtp wen sie. vor war mag
ich daz sagin hie wiedergegeben (s. 40) mit : He did not say that he knew a fairer
woman. So much maij I teil here. Reinstes phantasiegebilde ist noch der satz
s. 40 f. : The rehel vassal was forced to siibmit, and to agree to restore to Howel all
his land and to mähe good all his losses. Überflüssigerweise bedient sich Schöpperle
in ihrer nacherzählung nicht der Eilhartschen namensformen. Zu den datierungen
Bediers stellt sie sich ablehnend. Geistvoll benutzt sie, um das alter der estoire
zu ermitteln, die am wenigsten einfachen, d. h. die auf höfischen kulturanschau-
ungen beruhenden bestandteile der geschichte. Die ereignisse des zweiten teiles,
von der rückkehr der liebenden aus dem walde ab, müssen, wie sie s. 121 ff. ein-
leuchtend ausführt, unter dem einflusse der höfischen literatur, die zur zeit Eleonores
von Poitou aufkam, dichterisch gestaltet worden sein. So zeigt sie die einwirkung
der pastourelle auf die szene zwischen Kehenis und Gymele 6672 ff., der Chanson
de mal mariee auf Kehenis und sein Verhältnis zu Gariöle, der Chanson ä person-
nages auf die reue Isaldes über ihre grausamkeit gegen Tristrant, die bedeutsame
rolle, die dem 'dorch Isalden willen' zukommt, die sichere bekanntschaft der Zu-
hörer mit der hofgesellschaft des königs Artus und behandelt verständig die um-
biegung älterer erzählungszüge durch den dichter, nur dass manches nicht unmittelbar
zur Sache gehörige dabei herangezogen wird. Grossen wert misst die Verfasserin
dem zunächst unterbleibenden eheverkehr Tristrants mit der zweiten Isalde bei.
Dass Tristrant aus liebe zu der frau eines andern mit der gemahlin keusch lebt,
ist ein romantischer Idealismus, der erst in einer geseUschaft, für die Cliges und
La Charrette geschrieben waren, für uns denkbar erscheint (s. 177), Gleich Gierach
nimmt Gertrude Schoepperle die jähre etwa von 1185—1189 als entstehungszeit der
dichtung Eilharts an. Nicht viel früher dürfte auch die 'estoire' anzusetzen sein.
Mit hingebendem eifer werden in den umfangreichen abschnitten V und VI,
die weitaus den hauptteil des werkes ausmachen (V beginnt auf s. 184 und endet
mit dem ersten bände, VI reicht im zweiten von s. 267—470) die volkstümlichen
Überlieferungen auf französischem und keltischem boden, sofern sie irgend mit
motiven der estoire zusammenhängen, erörtert. In diesen beinahe 300 selten steckt,
obwohl die schon früher bedauerte neigung, eine fülle von kenntnissen, auch von
belanglosen, auszupacken, das lesen nicht eben erleichtert, der eigentliche kern des
buches, ein kern, der es für die vergleichende literatur- und Volkskunde als hoch-
beachtliche leistung erscheinen lässt und dessentwegen man das breittreten von
belanglosem ohne murren ertragen sollte. Alles im strengeren sinne kritische hat
Kelemina viel schärfer herausgehoben und oft auf einer einzigen seite mehr gesagt
als die dame auf 20. Es dürfte sich mit Kelemina erweisen, dass die änderungen
am überlieferten, wie sie die 'estoire' vornimmt, nicht so geringfügig sind, wie
Schoepperle meint; sie vermutet nämlich (s. 186 und besonders s. 265), sie giengen
nicht über das allemotwendigste mass hinaus, um einheitlichkeit herzustellen.
260 HKLM
Manche der im überfluss beigebrachten parallelen scheinen mir nichts zu besa^en.
Xoch weniger überzeugend ist rieles. was als keltische^s kultnrg-ut angesprochen
"srird. auch renneidet die Yerfasserin Wiederholungen nicht lOnd führt einmal Veldekes
Eneit nach Ettmüller an). Wichtig ist die darlegung, dass dem berichi über Tristrant*
Zweikampf mit Morholt alle hauptmerkmale des nordischen holmganges fehlen.
Unklar bleibt, weshalb die Untersuchung über die hütte, die den verwundeten beiden
Ton der umweit absondert, im zusammenhange mit keltischen Zeugnissen erscheint,
zumal Schoepperle selbst an eine nachwirkung des aus der PhUoktetgeschichte be-
kannten brauche? denkt. Die Zeremonie des zubettbrLngens der neuvermählten durch
die hochzeitsgesellschaft gehört bekanntlich auch noch der neuesten zeit an, so dass
Verhältnisse des 12. Jahrhunderts nicht als irgendwie bedeutungsvoll zu gelten haben.
Vorstufen der 'estoire' werden s. 445 f. zu ermitteln gesucht Wir hätten eine
entiahrungssage J. ungefähr gleich der keltischen von Diarmaid und Grainne, als
quelle zu vermuten : • mit der rückkehr der liebenden aus dem walde wäre sie zu
ende gewesen. Darauf folgte eine erste französische gestaltung, in der A für eine
französische Zuhörerschaft, vielleicht unter benutzung neuen, auch keltischen Stoffes
zurechtgestutzt wurde, und aus dieser B-ionn sei C, die 'estorre' hervorgegangen,
nochmals mit zügen bereichert. Übrigens gesteht Schoepperle selbst ein is. 472».
dass sieh die arbeit des dichter« der "estoire' nicht bis ins einzelne erkennen lasse.
Sie ist geneigt, dem Chrestien von Troyes einen anteü an der zweiten hälfte des
Werkes zuzuschreiben, die mit ihrem höfischen gepräge, mit ihrer leichtherzieen
auffassung von Hebe und ehe so wesentlich von der ersten absticht. Ursprünglich
keltische heimat des Stoffes wird wahrscheinlich durch den tragischen Charakter der
liebesleidenschait und der Stellung Markes zwischen dem neffen und der gemahlin.
Beigefügt sind fünf anhänge. Zunächst stellt Schoepperle den text der
Eilhartbruchstücke mit der Umarbeitung X und mit Kniescheks Übertragung zu-
sammen, ohne genauer auf Gierachs Stammbaum rücksicht zu nehmen. In einer
weiteren beigäbe befasst sie sich mit den fällen, wo Bediers versuch, den Inhalt
des Urtristan zu ergründen, von Eilhart abweicht, die dritte beigäbe ist der rolle
der zweiten Isalde und ähnlicher franen gewidmet die vierte der für Elilhart nicht
in betrachi kommenden geschieht« von der harfe und der rotte, endlich behandelt
die letzte tragische liebeserzählungen im altirischen. Ein namen- und eia Sach-
verzeichnis beschliessen den zweiten band.
DEESDEX. KAEL RETJSCHKT..
Georges Darier, La theologie dans le drame religieux en Allemagne
au moyen äge. Lille. Rene Giard; Paris, J. TaJländier, 1914. 645 8. 15 frcs.
Georges Dariez, Les apocryphes dans le drame religieux en Alle-
magne au moyen äge. Lille, Eene &iard; Paris, J. Tallandier, 19l4.
112 s. 3 frcs.
Plan und inhalt dieser beiden werke, die eng zusammengehören, lässt sich
mit wenigen worten wiedergeben. Die einleitung des hauptwerkes gibt einen
kurzen überbMck über die bekannte entstehung des geistlichen dramaa und stellt
fest, dass es dem nämlichen zweck dient wie kultus und bildende kunst: der er-
bauung, selbst noch im Stadium der loslösung von der kirche. Nachdem dann als
hauptquellen für den Inhalt der dramen die bibel und die theologische literatur der
•rirciaienTät^, idjeee doirdb nsi^r? 3DO!B|HiatioreiB Teiimi<t!tieiLt, naiHÜitaft s'eniadhit smd.
-rird in zvaBz% fereit i kapiteSn Aar ira2i£e sitit^Skrei»: des ^edstilic^«!!
Jianas gioaasteit iiiiiid ;.^.:_^:„.^ iniiitieT rädiMidaar ziitäenmg: dfr Btielleji äws .den
riazebaeB .«tödEea vior was äntage^rditel. Eis iiaii'd'eM sich 'om di« tbejua-ta: dreö-
rinigkieit, sefc^fiiBg, a^>fi, teaufdl iiEid imöEe, iB&ßBda. psa-tiiajciieD, propLeten. sibTlrL.
.üe jdttiestUDe&tlielicm praeigmrMitaikeiB OaiÖBtä usd der beilsg'es.chicliTfc. die jueiir-iL-
w*H4iBg', da.« v&Smr^emi^^ mnaii das ^fiesBitüäclae l«i>em Ciimti, die erläsimg. Jtsx.i in
GfiätbiSBmMB.e. vm ämm^ raeud Kal|)8n& Filainae idM fierc^de». die kFeuzigung-, irraMegiui^:.
i-afyx^hxm^g, Mmamähbit, ttias^essmiLg des la^ili^n ^«ä^ies. lüiamvdfahrt Msxi&e.
anfichiisl oad letetes gez&c-ht.
In da ld£n£x>ea ecfluift, öner ait siqijpleiBeDit zm <i>er eistgsaasiiltiBiL besgeicht
DiiiJ£z Tier apDfcrwpAüsdie sitioife luf^iuuadteiBdie sBen^ai d« (diämfai : -da« dut im üjnats-
hiatket sfAä. vta^etHetie MiB]Be3&iait lEanae, die xm Mieädteü^i^gt^ imd St^andufer
pgii^0BSS|Hid ^enlkallteate cäBkciJbsrafiug mid Iteireianiiits;' Jose^B T'Q(d AiiiBraitMa. dae
reiher Chnsti fior Fülaäsis aüss dtem f^anklninter gmtd Alä^dldar fos^^ams^gA maA die
tDÜt Terweilidte bMlemätlirt OasistL
Was uns lii*er .gezögt wiid, isit im dsr hampleaelie nicÜB ukeses; ■mw «ntssteiD
s«it bagiem, dass fdSic ganze geisdäthe lüatansdite pradnMörai «des niääidkittieirs ge-
tng€B «iid von eiiK». breätea strean tiKeK^iog^di»- gieile^isamk'd.t und ^dnitg', die ^a
auA in der urdltlidaen dädilbiing an zaMkseen stidleai zstage tziitt. Im der minnitiöaen
tteBdneilNDBg btä Dmi^z fcräSwiiiKBM wir nan ab^ fir dns besfciiiäjDMte g^änstt des g^t-
Udi^ druBss die t^mmpim^m zigte d«s giftRaaBtäMMk« difitäidfa «estemtaL Inai^ni
der Terfii^sa' ädi di^e b^daneSsimg zsob zieä «löner axiteü g'^etilt ^ait, luKl «r ssäate
a.3i%a)»e iren nnd flei^ts; esMSH. nnd iieidsient mnseraB igiB^t<eä]t<eQ djmk. W^tere
ai1»ät vird ja nüBcii nanflie exBacdOi^ ergänzen nmd Di^m'cäilÄg^aQ köauoiäiL eänige
Kirfrg«^ ainck in den benntelten maibaüiL sdafiess^L, das ^nesajoiitMId tdrd dadiorcih
nitebJt «esenliida .gdndialt wctden.
Xodt alk^ äcä al»»' die weiteste aiia%a98e, dse w-eg% j^dznstdOfio. hM meikiten
den änzdnen sttncfcen diese y^eg^iBt^^ KogidiiiBfifien istt^ iiD fasitieir Mxii^ die &&g%, trie
wtüt die geisltüdiiai «aäginale sdÜBSä idöe fi'aellien Ifnr die diaoiiäutiker Mldset^em. Hire
d^nitire beanturüatKng steM ntneli aais; Disiäez sSieüt ^ na:tliili<äi ss Tielen st«eUeaQ
und hat äch mmf gmnd setmor kennlnis d^ maibaüis >mstt <ögiBDe m-exBimg g^bildeiL,
die aber buim aUgeneiiaten feä&U Sndi&B wiid. ^^tzaaätäminteaii ist itit» Bairääic^
wenn €r fi^i^steljht, dass die Mr^iSBTät>Br ns^t <diidks, soisdeni le'dig'licit dundi t^-
raittliing läniger mtiit^hOimi^iiFkipr konipMaäimeiB benutzt wt^eai äi>d (die micä-
tj^sten derselben wordem im <diar eänlfättsrng s. 22 mifg^ei^iilt i : djtss aioA. noch aitder e
kohmentare benutzt änd, wird g^e;g)amffieii arwiämt (xg-L m. ti. s. 617). Wesnii
Doriez dagegen gienasaeäte kenntnK nnd ««tgehesk^tte direktie l^exurtsnimg des ib£beil-
liextes anninmt, s© wird sicfc dag«g^ffl. wie liäsäaer, so aueli tnnfüg, ädber Wider-
spruch eAdben. Gewiss feit im eini-dLMi die rädati^keäi seiiier aamatme mög-
lich; aber das natszial Üsst iii<c3iit eättenaneQ. dass die idireiktie benntEiimg der
Mhtl die legid bilddt. Keamitais der MMiseiiieii gesfchicliteE setrt in daanaüffer
zeit ebensowraiig wie henle dii^ktie bäbdlceniittnis VQTasa&. Die fcege der TexxQXtchcBg'
warai ■anni£:<jig' genng, v®r aMem bBuiBiBt der gT0itiriK«dien?t. predigt und litm^Te
in Wtiaeht.. Für eine gaaaze rähe v&a. steUea ergäM sieh sciioii ans IHiriez'' eig-eiteja
aatstShinngen di^e TenBittSmiEig^ eahlr^i^e andea^ wterdeai MszixkoiiiiBesii ; fax f?m%e
bat inzwisdien findwin in den lt'(!)i&nB ILajmgmage ^<ot>ee 1M4 HBd l'dl5 den ent-
sprechenden nachwdis gebradüt.
ZEITSCHKIFT F- DEUTSCHE JPMIlJÖiL>0«GI]E. BB. XTffX IS
262 FINNUR .T<')NSSON
Betrejfs der Apokryiihen ist Duriez' haltung merkwürdig widerspruchsvoll.
In der einleituug des hanptwerkes (s. 25) nimmt er an, die dramatiker hätten die
Apokryphen nicht direkt benutzt, sondern sich mit jüngeren kompilationen begnügt.
In scharfem gegensatz dazu steht seine äusserung in der einleitung des zweiten
Werkes (s." 9). Für die szenen von der einkerkerung Josefs von Arimathia, dem
verhör vor Pilatus und der hiiumelfahrt Mariae wird dort behauptet: 'ce n'est ni
au Vieux Passioual, ui ä TErlösung ce n'est meme pas k la Legende Doree, ni au
Speculum Historiale que se sont adresses les dramaturges : ils ont puise directe-
uient ä la source'. In grellstem Widerspruch dazu stehen wiederum, soweit die
himmelfahrt Mariae in betracht kommt, die ausführungen auf s. 72 f., wo durchaus
die Legenda aurea als grundlage des spieles behandelt wird.
Für die szenen der höllenfahrt Christi will Diiriez selbst dort, wo die ein-
zelnen deutschen stücke grosse ähnlichkeit untereinander zeigen, direkte abhängig-
keit von der apokryphen quelle annehmen. Dies führt zu der frage, ob die gegen-
seitige beeinflussung der dramen bei D. überhaupt genügend zum ausdruck kommt.
Duriez kennt natürlich die zahlreichen berührungen der einzelnen stücke unter-
einander, er hatte sie in seiner beschreibung ja in menge zu registrieren und er
macht nicht selten ausdrücklich auf zusammenhänge aufmerksam. Überall die
literaturgeschichtlichen folgerungen daraus zu ziehen, gieng über den rahmen
seiner darstellung hinaus; ieh zweifle aber nicht, dass aus dem bei ihm gesammelten
material sich noch manche wichtige aufschlüsse über das gegenseitige Verhältnis
einzelner spiele untereinander ergeben werden.
GIE.SSEN. [MARBURG.] KARL HELM.
Franz Rolf Schröder, Hälfdanarsaga Eysteinssonar. [Altnord, saga-
bibliothek 15.] Halle, Max Niemeyer 1917. VIH, 146 s. 10 m.
Die hier von neuem herausgegebene saga gehört zu den sogenannten is-
ländischen 'Fornaldarsggur'. Eine Sammlung dieser erzählungen (darunter auch die
vorliegende) wurde seinerzeit von Rafn, jedoch in ziemlich unkritischer weise heraus-
gegeben; die meisten davon erschienen dann später auch in einzelausgaben (drei
auch in der Sagabibliothek: Orvar-Odds saga, FriöJ)j6fs saga und Hälfssaga), denen
sich nun die Hälfdanarsaga als vierte anschliesst. Sie ist stofflich nicht un-
interessant und geschickt und fliessend erzählt, gehört aber nicht zu den ältesten.
Ihr Schauplatz sind, wie in manchen andern von diesen geschichten, die die Ostsee
umgrenzenden länder.
Der herausgeber hat sehr gründlich und gewissenhaft die vorhandenen hand-
schriften benutzt und auch über diejenigen, die ihm nicht zugänglich waren (die
iu Reykjavik befindlichen) zuverlässige auskunft sich verschafft; ebenso hat er
selbstverständlich auch die denselben stoff behandelnden rimur verglichen. Das
Verhältnis der hss. ist nicht besonders verwickelt, und der text ist, wie mir scheint,
im wesentlichen richtig konstituiert. Ein paar fehlerhafte lesungen seien berichtigt:
veröuliya s. 100 " und 101 '■"' st. rirduliya (an beiden stellen steht unzweifelhaft
ein i über dem r) ; n(,>kkiir s. lOl * st. n^kkut; sinn s. 104 '" st. ser (so sicher die
hs., sinn ist sprachlich unmöglich); kona s. 106 -* st. hans kona; hratt hann s. 123"
st. hratt honutn (so deutlich die hs. ; hrinda regiert immer den dativ). Abgesehen
von diesen kleinigkeiten ist, wie gesagt, nichts besonderes einzuwenden.
ÜBER S( HRÖDEK, HÄLFDAXAR SACIA EYSTEINSSONAU 268
In der gründlichen und ausführlichen einleitung handelt der herausgeber
zunächst (cap. 1) über Inhalt, komposition und stil der saga. Der stil wird etwas
kurz abgetan (s. 8 anm. werden die worte: til hrers sem hann gehl- als beispiel
einer jüngeren ausdrucksweise angeführt; dies muss auf einem missverständnis
beruhen, da der satz auch in älterer zeit nicht anders lauten konnte ; die Verweisung
auf Nygaard passt nicht für unsere stelle). Cap. 2 bespricht eingehend die 'quellen',
wobei besonders das Verhältnis zu anderen fornaldarsagas untersucht wird, z. b. das
zur Ragnarssaga, wobei sich herausstellt, dass der Verfasser diese und die Volsunga-
saga mit recht als ein zusammenhängendes ganze betrachtete. Der herausgeber
versucht zu beweisen, dass die Hälfdanarsaga in ihrer gegenwärtigen gestalt keines-
wegs ursprünglich sein kann, und er bemüht 'sich, den ursprünglichen kern und
Zusammenhang festzustellen. Er hat jedoch wohl, was ich hervorheben möchte,
mehr den Zusammenhang des zugrunde liegenden märchens im äuge und sucht
diesen wieder zu gewinnen, und hiergegen hätte ich kaum etwas einzuwenden.
Eine andere frage ist es, ob man auf grund dessen berechtigt ist, eine ältere Hälf-
danarsaga in einer dem entsprechenden form und eutwicklung anzunehmen. Dies
ist, wie mir scheint, nicht bewiesen, und ich glaube auch nicht, dass eine solche
ältere fassung existiert hat. Die Ingredienzien und zusammengelesenen motive, aus
denen die saga bestellt, sind von dem ersten autor in allem wesentlichen so mit-
einander vereinigt, wie wir sie jetzt vor uns haben. Ich bin auch nicht ganz
sicher, ob es wirklich die meinung des herausgebers ist, dass eine solche ältere
saga vorhanden gewesen sei (vgl. § 17). Verschiedene von seinen kombinationen
und Zusammenstellungen kommen mir zweifelhaft vor, ich kann jedoch hier darauf
nicht eingehen. Nur kann ich die bemerkung nicht zurückhalten, dass der heraus-
geber ganz überraschend und wenig motiviert einen irischen einfluss annimmt
— Überführung von sagenstoff nach Island im 11. Jahrhundert (s. 16); dies hätte
doch eingehender nachgewiesen werden müssen. Ebenso überraschend und un-
erwartet findet sich an anderer stelle (s. 34) die erklärung der 'brautfahrt' als einer
Hadesreise, um eine Jungfrau 'von den fesseln chthonischer mächte zu befreien'.
Diese erklärung scheint mir gesucht und wenig begründet. Was dagegen der
herausgeber über den Valsl)ättr sagt, scheint mir im ganzen richtig, und in der
kritik, die er gegen Jon Jönsson, übt, bin ich vollständig mit ihm einig.
Kap. 8 handelt über die rimur und die jüngeren rezensionen der saga. Hierzu
habe ich so gut wie nichts zu bemerken. Namentlich kann ich in seiner auffassung
des Verhältnisses zwischen A und B (oder A * und B *) dem herausgeber zustimmen *.
Was die äusserung über C* (s. 63) betriift, so muss ich zur Selbstverteidigung
bemerken, dass ich an der dort (anm. 3) zitierten stelle nicht, wie mir vorgeworfen
wird, B* und C* kontaminiert habe: ich habe nur gesagt, dass die ursprüngliche
saga schloss, wo die hs. 171b (und die rimur) enden; über das gegenseitige Ver-
hältnis habe ich damit nichts aussprechen wollen.
Cap. 4 und 5 besprechen die hss. und ihr Verhältnis zu einander, und das
6. und letzte die beziehungen einiger anderer sagas zur Hälfdanarsaga. Auch
auf diese kapitel und besonders auf, das letzte, in dem ein paarmal gegen meine
1) In der s. 62"^ mitgeteilten strophe ist statt panan zu lesen pan in (d.i.
panninn) ; rerndar ist nur unrichtige Schreibweise statt rendar (= rcndir 'dreht').
— S. 66 anm. 4 ist bari (so die hs.) die richtige neuisländ. form, die nicht in barri
geändert werden darf und das ausrufungszeichen hinter h/lditainiar (gen. sg. des
fem. hüdi-tf»in) unberechtigt.
18*
264 riNNUK .Tt'tNSSON
auffassuiigcn polemisiert wird, will ich iiiclit nälier eingehen; die dini;e, um die
es sicli handelt, sind zu unwesentlich.
Schliesslich noch ein paar worte über die erklärungen des kouiraentars. Sie
sind im grossen und ganzen richtig; einzelnes erscheint übertiüssig (z. b. die uote
s. llö zu z. 20. 21, wo die angezogene parallele nicht recht stimmt l. S. 90 ver-
weist Schröder zu Ochiinsa/.r auf A.' Olrik (Kilderne til Sakses oldhist. II, 158 fg.)
und Saxos Uiulensaki-p; er akzeptiert Olriks erklärung als undornn-ah-)- 'de sydostlige
vange' — aber wie undorn 'südost' bedeuten könnte, ist nicht nachgewiesen, und
tatsächlich ist diese bedeutung gänzlich unannehmbar, wie auch eine derartige
Zusammensetzung höchst unwahrscheinlich ist. Saxo gibt für den ort keine himmels-
richtung an, — 92 " sinna vegna bedeutet nur 'seinerseits'. — 94 '' fäla bedeutet
hier nicht 'hexe', sondern 'ungebildete person' ('femiua procax' Björn Halldörsson).
— 95" vanfenc/inn bedeutet 'schwer zu erlangen' {er eigi vanfenginn madr d möt
honum 'ein gleichwertiger mann ist leicht zu finden'). — 96 ' er allt seinna en segir
will sagen : 'es nimmt mehr zeit in ansprach etwas zu tun als davon zu erzählen',
die redensart entspricht also nicht dem deutschen Sprichwort: 'leichter gesagt als
getan'. — 101 " H6n Ut ser usw. bezieht sich auf die erfüllung der ehelichen
pflichten. — 103'' gniflar eptir knettinuni: grufla bezeichnet nicht bloss das 'vorn
überbeugeu', sondern auch das 'suchen mit tastenden bänden', — 118 " ef hon tekz
vel; übersetze: 'wenn er (der \\e,g) glückt, sich als gut erweist'. — 119' mer hwfi
bedeutet nur 'ungefähr zu der zeit' (deine ankunft und der bevorstehende kämpf
würden ungefähr gleichzeitig sein), = 125 "• *'-' sneri npj) d ser inaganum ist zu
übersetzen: 'er wendete den bauch nach oben' (der hund lag also auf dem rücken).
— Zum schluss noch ein paar kleinigkeiten : das norwegische gebirge heisst Dof-
rafjall (nicht -fj(>llp s. 52); s. 124 (note zu z. 9. 10) lies mülastykki st. stykk;
He'mingr mit e (s. 89 b) ist wohl nur druckfehler.
Dieses erstlingswerk des herausgebers darf im ganzen als eine fleissige und
tüchtige arbeit, die mit grosser gewissenhaftigkeit ausgeführt ist, bezeichnet werden.
KOPENHAGEN. KINNUR JÖNSSON.
Waltlier Heinrich Vogt, Vatnsdcela saga. [Altnord, sagabibliothek 16.] Halle,
3Iax Xiemeyer 1921. LXXVIII, 144 s. 40 m.
Zu den IslendingasQgur, die einer neuen kritischen ausgäbe dringend bedürftig
waren, gehört die Vatnsdsela. Guöbr. Vigfussons text in den Fornsögur (Leipzig 1860)
war in mancher beziehung etwas mangelhaft, besonders was den kritischen apparat
betrifft. Freilich ist leider das handschriftliche material recht schlecht und nicht
viel damit anzufangen ; es besteht nämlich nur aus ein paar nahe verwandten papier-
abschriften und einem kleinen pergamentbruchstück. Eine kritische ausgäbe hat
nun zwar das neue heft der Sagabibliothek nicht geliefert, aber der text gründet
sich auf eine neue kollation der handschriften und ist infolgedessen recht zuver-
lässig; verschiedene fehler der alten ausgäbe sind dadurch entfernt. Man darf
daher die neue ausgäbe mit freude begrüssen.
Soweit man sehen kann, ist der text im ganzen verständig behandelt; viel-
leicht hätten die lesarten des membranfragments an einzelnen stellen den Vorzug
verdient. Der kommentar ist im ganzen ein realkonimentar, in weit geringerem
grade sprachlich; diese seite hätte wohl etwas mehr berücksichtigung verdient. Ich
ÜBER VOGT, VATNSDOELA SAGA 265
habe die anmerkungen recht genau studiert und es wird zweckdienlich seiu, das,
was ich zu erinnern fand, im folgenden mitzuteilen.
S. 13 note zu z. 8 würde ich geschrieben haben : 'erg. at Uta (nicht ai rirfla).
— 8. 16 note zu z. 20 hätte die hypothese AI. Bugges nicht angeführt werden
sollen, da es höchst unwahrscheinlich ist, dass die sitte der 'pflegekindschaft'
keltischen Ursprunges ist, da sie durch eine fülle von Zeugnissen als echt nordisch
beglaubigt wird. — S. 23 note zu z. 21 : haklangr zu norw. hak 'scharte' in be-
ziehung zu setzen, ist gewiss nicht richtig; die Zusammensetzung selbst spricht
nicht dafür; dagegen ist die auffassung des altertums klar und es liegt kaum ein
grund vor, sie zu verlassen (Aarb. 1907 s. 206). — S. 25 note zu z. 1. ? finden wir
wieder einmal die unselige Vermischung der 'berserker' mit den 'werwölfen', die
nichts miteinander zu schaffen haben. — Ebda note zu z. 16 fasse ich den gedanken
anders auf; des königs meiuung ist offenbar: 'ich kann dir nicht einen andern
söhn an stelle des gefallenen geben". — S. 28 note zu z. 11: in dem worte gofugr
ist eine nebenbedeutung wie 'glücklich' nicht enthalten. — S. 50 note zu z. 5 {sjd
sfad forgiptar) : es ist nicht richtig, staö hier mit dem ausdruck / staö{imi) in Ver-
bindung zu setzen; stadr bedeutet hier 'grundlage' und ilas ganze ist nur eine
Umschreibung für forgipt selbst: 'er sollte selber bestimmen, was gegeben werden
sollte'. — S. 58 note zu z. 15: segja afhendun ist kein rechtsausdruck. — s. 60 note
zu z. 28 hätte bemerkt werden sollen, dass das at vor vera nicht das infinitiv-
zeichen ist, sondern betontes adverb ('dabei'). —Ebda note zu z. 32: die erklärung
gibt kaum die richtige Vorstellung. Per eigid 6j<jfnum til at rerja bedeutet: 'ihr
habt ihm ungleiche männer (d. h. euch selbst) zu verwenden (gegen ihn)', oder mit
anderen worten: 'ihr könnt euch nicht mit ihm messen (denn er ist ein heljnrmadr
usw.). — S. 67 note zu z. 2 : grafhür kann kaum 'einen schuppen für graftöV be-
deuten; wenn das wort- richtig ist (vermutlich liegt ein Schreibfehler st. gervi-biir
vor), rauss es ein biir bedeuten, in dem eine grübe (eine art keller) sich befindet,
wovon man ja anderwärts hört. — S. 71 note zu z. 2: mer er minna um pat be-
deutet nicht: 'das hat keine bedeutung für mich', sondern: 'das wünsche ich weniger
(d. h. durchaus nicht)', 'das gefällt mir gar nicht', nämlich, dass Ljöt zeit dazu
bekommen soll, ihren zauber auszuführen. — S. 77 note zu z. 21 : hera {sinn) sann d
bedeutet nicht 'anspruch erheben", sondern 'die sache von seinem Standpunkt aus
als abgemacht und als allein richtig betrachten (also die ansieht des gegners als
bedeutungslos ansehen)'. — S. 78 note zu z. 3: hlanp ist hier mch.i = frumlilaup
(dies bedeutet ja 'angriff'), sondern 'flucht' (vor einem angreifer). — S. 85 note zu
z. 20: die worte 'oder rakki hund' sind zu streichen, da von diesem subst. hier
nicht die rede sein kann, der artikel (enn) vielmehr beweist, dass nur das adj. in
frage kommt. — S. 94 note zu z. 3: binda hesta bedeutet nicht 'die vorderfüsse
lose fesseln', sondern 'die pferde aneinander binden' ; die vorderfüsse zusammen
zu binden, wäre in der gegebenen Situation gewiss sehr unzweckmässig gewesen.
— S. 121 note zu z. 11: Hggnuör hat mit hagna 'dienlich sein' kaum etwas zu
tun ; der gebrauch, der von dem stabe dieses namens gemacht wird, lässt eher
vermuten, dass Hegnuör (zu hegna 'begrenzen, hindern') die richtige form ist, die
zu der Wirkung des Stockes stimmen würde; der schwertname, HQgndr, dessen be-
deutung ungewiss ist, ist wohl fernzuhalten. Eine einzelheit sei schliesslich noch
in diesem zusammenhange erwähnt. Es macht auf mich immer einen eigentümlichen
eindruck, wenn moderne gelehrte ohne weiteres ein aus dem altertum selbst über-
liefertes Zeugnis verwerfen, als wenn sie besser mit dingen bescheid wüssten, von
266 FINNI'U .l()NSSON ÜF.EK VdCT, VATNSl lOKLA SAfiA
denen sie in Wahrheit nichts wissen und nichts wissen können, wie, um nur ein
beispiel zu nennen, den bericht, dass Olvir barnakarl diesen beinamen erhielt, weil
er als wiking, im gegensatz zu andern, kleine kinder vor einem brutalen tode
schützte. Man behauptet statt dessen, der name bezeichne 'einen mit kindern reich
gesegneten manu', was natürlich vollständig aus der luft gegriii'en und nur eine
moderne willkürlichkeit ist. In gleicher weise verwirft der herausgeber die mit-
teilung der saga über die eutstehung des Ortsnamens Boröeyrr (s. IL): 'Boröeyrr
hat seinen luuiien natürlich (sie!) von den vielen schüfen, die dort später anlegten',
nicht aber, weil man dort ans land getriebene planken fand. Hierzu muss ich
sagen, dass des herausgebers 'natürliche' erklärung für mich so unnatürlich wie
möglich ist. Icli wage zu behaupren, dass ein ort, an dem viele schiffe anlegten,
niemals einen solchen nanien erhalten haben würde und dass der bericht der saga
weit natürlicher ist. Man würde in jenem falle einen namen mit skij)- gebildet
haben (s. z. b. die namen im register zu Kalunds Hist.-topogr. beskivelse af Island,
wo nicht ein einziger name sich findet, der des herausgebers annähme stützen
könnte). — Zur rech tschr ei b ung ist wenig zu bemerken. Statt S^rkrir hätte
Sorkrir geschrieben werden sollen ; Föstölfr ist unrichtig st. Fgstölfr (zu fastr) und
endlich ist Kdrnsd, nicht Kurnsd (s. die note s. 59), die offenbar richtige Schreibung;
die abschriften der Landnäma beweisen klar, dass die ausspräche (noch um 1400)
Korns- war, und diese ist es, die der heutigen ausspräche und schreibM'eise {Kornsü,
Kotsä) zugrunde liegt.
Von grosser bedeutung ist die ausführliche einleitung des herausgebers, die
aus 6 kapiteln besteht. Das 1. kapitel behandelt die handschriften und ausgaben
der saga, wozu ich nicht viel zu bemerken habe. Das handschriftenverhältnis ist
ja recht einfach. Von besonderem Interesse ist hier das Verhältnis zu der Land-
näma und der sogenannten 'jüngeren Melabök', die (nicht immer wohlgelungene)
auszüge aus der saga gemacht hat. Der herausgeber schliesst sich, was diese
Melabök betrifft, grösstenteils an schon früher ausgesprochene ansichten. Zu kap. '2
(Sprache und darstellungsmittel) ist auch nicht viel zu sagen, abgesehen von einigen
kritischen bemerkungen, besonders über des herausgebers 'statistisches' raaterial
(§ 12). Man muss mit solchem material und mit Statistik sehr vorsichtig sein. Ich
habe hier einwendungen gegen den von Vogt gemachten versuch, beabsichtigte
alliteration nachzuweisen, zu erheben. Hierfür hat er offenbar kein gutes ohr, iind
wenn man dies nicht besitzt, können die resultate notwendigerweise nicht ganz
korrekt sein. Wenn Vogt so in einem satze wie : sä er Haraldr Iconimgr gaf per
I Hafrsfirdi eine stabreimende Verbindung ansetzen will, so ist das unrichtig: da
der Zwischenraum zwischen den beiden h viel zu lang ist. Es sind auch nicht
3 Stäbe in einem satze wie er vid alla vill illt eiga (hier ist eiga so schwach betont,
dass es nicht mitgerechnet werden kann); ebensowenig in dem satze hafa hendr
{ honum, wo überhaupt . von alliteration nicht die rede sein kann, da hafa nahezu
unbetont und honum gänzlich unbetont ist ; in dem letzten worte ist das h sogar
kaum hörbar gewesen, da es auf die stark betonte präpos. d folgt {d honum ist
-Lwv^ und nicht ^^^) usw. Eine auf solchen anschauungen aufgebaute Statistik ist
wertlos. — Kap. 3 handelt von der 'Stellung der saga in der Überlieferung', und
hier können wir dem herausgeber auf einem weit sichereren boden folgen. Es
wird das Verhältnis der Vatnsdoela zu vielen verschiedenen sagas untersucht, und
das resultat ist, dass nur die Orkneyinga saga, das Upphaf, die Fagrskinna und
'wohl auch' die Laxdoela die quellen des Verfassers waren. Ich bezweifle jedoch
MOSER, ÜBER TÖRNVALL, DIE ÄLTESTEN DRIM KE DES SIMrLICISSlMTS 267
sehr, dass die letztgenannte saga zu den quellen der Vd. gerechnet werden kann,
und die Fagrskinna muss wohl sicher ausscheiden, da es ganz ungewiss ist, dass
sie überhaupt in Island bekannt war. Ein zwingender beweis dafür ist nicht bei-
gebracht und wird sich schwerlich führen lassen. Das 4. kapitel handelt von der
'kunst des Verfassers' und daran schliesst sich kap. 5 : 'Geschichte und dichtung'.
Der Stoff ist zu umfänglich, um hier in einer kurzen anzeige erörtert zu werden ;
meine auffassung, die in einzelnen punkten abweicht, ergibt sich aus meiner be-
sprechung der saga in der neuen ausgäbe meiner literaturgeschichte, worauf ich
hiermit verweise. Aber ich muss hier meiner freude über die gründliche und vor-
urteilslose behandlung der hier untersuchten probleme ausdruck geben und vermag
im grossen und ganzen das 'gesamtbild' des lierausgebers (§ 32) zu unterschreiben.
Was Vogts auffassung des ha»tin(/jamoti\s anbetrifft, das nach seiner meinung der
ursprünglichen saga noch nicht angehörte, so muss ich davon abstand nehmen.
Aber ich bin einig mit ihm in der ablehnung von Bäaths annähme eines Streites
zwischen 'hamingja' und 'Schicksal'. Dagegen kann ich in der f'orsteinn-J9kull-
geschichte (s. XLIII) ein /,-olbitr-m,ot\Y nicht linden.
Trotz der einzelnen ausstellungen und bedenken, die ich glaubte erheben zu
müssen, muss die arbeit, die der herausgeber geleistet hat, als eine überaus
tüchtige und solide bezeichnet werden ; die ausgäbe zeugt von ausgebreiteter be-
lesenheit und umfassenden kenntnissen, sowie von einer im grossen und ganzen
besonnenen und gesunden Urteilskraft — eigenschaften, die auch schou in seinen
früheren abhandlungen sich bemerkbar machten. Ich möchte ihn jedoch davor
warneu, moderne ästhetische theorien auf die alten sagas anzuwenden. Es ist
etwas beunruhigend, dass er (s. LXYI anm.), wenn auch mit einiger reserve, der
ästhetisch-kritischen behandlung der Egilssaga durch A. Bley seine auerkennung
ausspricht, einer behandlung, die ich als durchweg verfehlt und verkehrt betrachte.
KOPENHA(lEX. FINNUR .J()XSSÖX.
0. Einar Töruvall, Die beiden ältesten drucke von Grimm elshauseus
'Simplicissimus' sprachlich verglichen, üppsala (Appelbergs Bock-
tryckeri A.-B.) 1917. VIII u. 2-18 s. und i bl. faksimilia.
Der zweck des buches ist, obwohl es mit ausnähme der knappen — allzu
knappen — 'Einleitenden übersieht' (s. 1—22) aus einer rein sprachlichen darstellung
besteht, eigentlich kein sprach- sondern ein Uteraturgeschichtlicher, indem die
sprachliche vergleichung der beiden ersten Simplicissimus-ausgaben wesentlich nur
der feststelhmg des Verhältnisses beider zu einander dienen soll. Dabei kommt T.
zu folgendem, bereits in der hauptsache von Schölte (Probleme d. Grimmeishausen-
forschung I [1912J, s. 192 fussn. ' und Beitr. bd. 40, s. 269 ff. -) angedeuteten - von
1) Hier muss nebenbei wieder gegen die verbreitete anfängerunsitte der
Unterlassung von stellenzitateu einspruch erhoben werden ; die feststelhmg der ge-
meinten, in ganz anderm Zusammenhang in einer fussnote(!) gemachten notiz in
jenem vielgestaltigen und die einzelnen punkte in ganz lockerer form aneinander-
reihenden werke gelang mir erst auf dem umweg über des Verfassers eigenes ge-
legentliches zitat wieder in einer fussnote seines aufsatzes Beitr. bd. 40.
2) Die abhandluug wird übrigens überwiegend - fatalerweise schou im
quellenverz. s. IV und dann weiterhiu's. 2, s. 17 fussn., s. 194 fussn. — mit Beitr. XI
268 MOSEi?
diesem aber nach des Verfassers anc:abe unabhän<jigen resultat (s. 16 ff.): B nebst
E [= 6. buch] (1669) ist die — vielleicht zum grössten teil schon 1668 g-edruckte
und anfang 1669 fertiggestellte — 'erste rechtmässige aufläge', die sprachlich über-
arbeitete ausgäbe A (gleichfalls 1669) dagegen die zweite, aber ebenfalls recht-
mässige, C (1670) nebst F [= 6. buch] (1669) wäre in unmittelbarem zeitlichen
und textlichen anschluss an BE ende 1669 und in der 1. hälfte 1670 hergestellt
worden ', ihr folgt dann noch die vierte aufläge als 'authentische ausgäbe letzter
band', die 'stark erweiterte und mit kupferstichen versehene ausgäbe D' (1671), die
sich bezüglich des titelbildes und der Illustrationen zwar an B— C anschliesst, 'in
spraclilicher und textlicher hinsiebt aber durchweg auf A beruht'. Wie man sieht,
kommt somit betreffs der editio princeps Kellers ansieht wieder zu ihrem recht,
dagegen weicht T. darin von diesem ab, dass er in A ebenfalls eine Originalausgabe
— keinen nachdruck — erkennt ; die demgegenüber von Kurz und Kögel aufgestellte,
in der tat 'abenteuerliche hypothese' eines verlorenen Ursimplicissimus und der
Priorität von A, die bis in die letzten jähre ziemlieh allgemein geltung hatte, darf
heute jedesfalls als endgiltig erledigt angesehen werden. Im ganzen treffen T.s
ausführungen über diesen punkt zweifellos das richtige, im einzelnen bleiben aber
gewisse Unebenheiten. Das über die datieruug des beschlusses der Continuatio E
s. 18 f. gesagte stimmt offenbar nicht: T. hat bei seiner rechtfertigung des Jahres
1668 die monatsangabe derselben — ende april (nicht etwa november oder dezember) !
— ausser acht gelassen, denn wenn 'die ausgäbe B', als 'G. seine Continuatio fertig
hatte', 'wenigstens noch nicht ausgegangen wai'' und man während des druckes des
6. huches 'indessen im jähr 1669 gekommen war', so hätte der letztere ca. '/« jähre
in anspruch genommen, man hätte somit zur drucklegung der ersten 5 bücher in
der betreffenden offizin 3—4 jähre gebraucht; da würde denn doch der Verfasser
nicht nur die leistungsfähigkeit einer druckerei in der 2. hälfte des 17. Jahrhunderts
ganz erheblich unterschätzen, sondern er macht auch sein argument von der flüchtig-
keit der konzeption des 6. buches völlig illusorisch. Dann wäre aber auch in keiner
weise einzusehen, weshalb man die doch nun einmal separat gedruckten ersten
5 bücher so lange unveröffentlicht hätte liegen lassen sollen. Zudem würde damit
die ganze aufstellung über A und C hinfällig. An eine an dieser stelle auf jeden
fall ganz sinnlose fälschung der datierung ist natürlich nicht zu denken, am wahr-
scheinlichsten ist mir ein druckfehler für 1669. Über die gesamte erste ausgäbe
findet sich ausserdem s. 82, fussnote eine im direkten widersprach zum obigen
stehende — übrigens auch in ihrer begründung ungerechtfertigte — bemerkung,
zitiert. Überhaupt vermisse ich in dem langen, die unbedeutendsten kleinigkeiten
geradezu pedantisch bessernden druckfehlerverzeichnis (s. VII f.) eben die richtig-
stellung der irreführenden und manchmal direkt den sinn verdunkelnden fehler:
s. 4, z. 3 V. u. muss es offenbar J statt T heissen; s. 9, z. 13 f. kann ich nur ver-
stehen, wenn ich durchaus oder völlig für allerdings einsetze, entsprechend aber
auch s. 51, z. 14 und s. 153, z. 11 (liegt hier also vielleicht ein falscher Sprach-
gebrauch in der frnhd. bedeutung des wortes vor?), s. 181, z. 7 und s, 209, z. 4 ist
das mehr zu tilgen, eventuell in ziemlich oder recht zu bessern.
1) D. h. wenn ich die unklaren ausführungen T.s über diese ausgäbe richtig
verstanden habe: ich nehme nämlich an, dass s. 19, z. 19 statt der ersten edition
vielmehr dieser edition (d. h. C) zu lesen ist, da ich sonst keinen sinn in den
Zusammenhang bringen kann (vgl. dazu den zusatz beim Stammbaum s. 21), denn
die annähme, in C liege eine blosse titelausgabe von B durch vorkleben eines neuen
titelblattes bei den restexemplaren von B oder auch neuabzügen des alten satzes
vor, ist nach den angaben bei Keller, Kurz und Kögel wohl ausgeschlossen.
ÜBER TÖRXVALL, DIE ÄLTESTEN DRUCKE DES SIMPLiriSSIMUS 269
falls es nicht wenigstens cnisti/obe statt anflaf/e heissen soll. Gänzlich unhaltbar ist
auch die behauptung (s. 17), dass A 'beinahe gleichzeitig' mit der 1. aufläge ge-
druckt sei, da man ein werk, über dessen erfolg man noch gar nichts wusste, doch
sicher nicht gleich in zwei auflagen — und das blos aus sprachlichen gründen —
druckte. Bis zu einem gewissen grad gilt überhaupt auch von T.s ausführungen
sein treffendes wort (s. .8), dass durch das hypothetische noch immer 'die Situation
mehr als nötig verwirrt' ist. Die natürliche zeitliche folge ist: BE: 1668 bis gegen
mitte 1669, A: im weitern verlauf 1669, CF: 1670 (Jahreszahl auf F wohl nur
mechanischer nachdruck der vorläge), D: 1671; dass die 2. aufläge der 1. etwas
rascher folgt als die beiden übrigen, ist eine noch heute geltende erscheinung und
ich verstehe den hieran genommenen anstoss nicht.
Eine grundfrage, die nach dem druckort beziehungsweise dem drucker der
verschiedenen ausgaben, schiebt der Verfasser vollständig beiseite, ja die sache
scheint ihm so selbstverständlich oder nebensächlich, dass er nicht einmal das
hypothetische andeutet oder auch nur seine gewährsmänner zitiert. Auf veranlassung
.J. Grimms hin (Serapeum, bd, 17 [1856], s. 175) hat Keller (a. a. o. und Simpl.-
ausg. bd. 4 [1862], s. 910 f.) das impressura Monpelgart IGedruclt hei/ Johann FiUion/
. . . mit dem hinzufügen, 'als druckort und Verleger . . . werde Nürnberg und Fels-
ecker anzusehen sein', für lingiert erklärt. Darauf und auf Kurz's ergänzung
(Simpl.-ausg. bd. 1 [1863], s. LH, fussnote) weiterbauend, hat dann meines wissens
erst Schölte (Grimmelsh. -forsch, s. 64 ff. beziehungsweise s. 58 ff.) die ganze hypo-
these völlig unzweideutig ausgesprochen und etwas ausführlicher erörtert ; einen
strikten beweis konnte auch er für keinen teil derselben erbringen, manches
fordert direkt zum wiederspruch heraus, einiges steht auch mit seinen eigenen
angaben nicht im einklaug'. T.s Stellungnahme ist ganz unklar: zuerst nimmt er
für B und A scheinbar zwei verschiedene drucker (die andeutung s. 17, abe^^ deutlich
erst bei der zurücknähme s. 247) — wobei er bezeichnenderweise das 'Verlagsrecht'
(s. 17) mit der drucklegung verwechselt, beide aber offenbar in Nürnberg befindlich
(s. 22 ist von dem 'von nürnbergisch-obd. formen durchsetzten original' d. h. B
und anderseits von gewissen 'Übereinstimmungen mit den regeln . . . des Nürn-
bergers P. Harsdörff'er' in A die rede) — an '^ ; diese kuriose annähme von zwei druckern
und Verlegern der gleichen Stadt und zu gleicher zeit bei ein und demselben werk
wird dann in den 'Nachträgen' (s. 247)' ausdrücklich zurückgenommen und sowohl
B als A der nämlichen druckerei (und doch wohl auch verlag) zugesprochen, in
der man nach einer schon vorher (s. 246) gemachten bemerkung jedesfalls 'Felß-
eckers offizin' erkennen soll. So kommt schliesslich Scholtes anschauung, W. E.
Felßecker sei drucker und Verleger aller Simplicissimus-ausgaben gewesen, zum
klaren durchbruch. Über die bedeutung und den Zusammenhang dieser frage mit
seiner Untersuchung hat sich der Verfasser sichtlich keine deutliche meinung ge-
bildet. Im übrigen schliesst er sich auch der durch Kögel (Simpl.-ausg. s. XXVII)
angeregten korrektor-hypothese Scholtes (Beitr. bd. 40, s. 303) ohne weiteres au (s. 17,
1) So die (an sich recht unwahrscheinliche) deutung des namens FiUion
(s. 70 fussn.) mit dem eintrittsjahr des Jüngern Felßeckers ins geschäft (s. 64).
2) Im hauptteil wird dann dauernd einfach von der Nürnberger drucker-
sprache als selbstverständlicher Voraussetzung gesprochen.
3) Diese ganze berichtigung ist überhaupt, wie immer in solchen fällen, eine
criix, weil sie in ihren konsequenzen verfolgt einen teil der in der einleitung ge-
machten aufstellungen wiederum aufhebt.
270 MOSEU
s. 22, s. 245f. und durcligelieiul in der sprachlichen uiitersucliunü:). Ich hatte, durch
die vorlleg-ende arbeit angeregt, zuerst den versuch unternommen, dieser drucker-
frage auf sprachlichem weg einigermassen beizukommen; um es aber gleich zu
sagen : ich sah mich immer mehr im kreis herumgeführt und kam zuletzt zu einem
glatten 'Non liquet'. Immerhin halte ich den schon von Kurz (a. a. o.) gewiesenen
Aveg für den richtigen : eine scharfe trennung von verlagsort und druckort beziehungs-
weise von Verleger und drucker. Mag man das impressum für fiktiv, Felßeckcr
für den schon anfängliclien Verleger halten — mir scheinen auch diese beiden
punkte noch nicht erwiesen — , der drucker beider ausgaben kann er meiner ansieht
nach mindestens nicht gewesen sein; das ergibt sich für mich gerade aus der
vorliegenden darstellung. Was diese Untersuchung mit völliger klarheit erweist,
ist: die 1. ausgäbe (B) zeigt einen ausgesprochen oberd., die 2. (A) ihr gegen-
über einen ebenso ausgesprochen md. sprachcharakter. Schölte (Beitr. bd. 40, s. 268 ff.)
ist mit feinem gefühl von den syntaktischen Veränderungen in A ausgegangen, die
natürlich — wie auch- die fremdwortverdeutschungen — nicht auf den drucker
zurückgehen können ; besonders ins gcAvicht fällt bei seiner Untersuchung der
parallelismus mit den Courage-ausgaben, doch bliebe erst noch festzustellen, wie-
weit sich dieser auch bei den lauten und formen erstreckt. Trotz allem kann ich
nicht glauben, dass zwei sprachlich so verschiedene drucke vom gleichen druckort
stammen und aus der gleichen presse hervorgegangen sind. Mit dem 'archaistischen
Charakter' der änderungen und dem bewussten anschluss an die Luther-sprache durch
einen korrektor in A, womit T. sich wiederholt zu helfen sucht, kommt man nicht
durch. Formen wie das ausgesprochen dialektische geflegt (s. 121), zeuch (< zeug B)
(s. 140 unten), das nd. ßciggc (s. 145) und besonders das isolierte praet. verbleib
(s. 195) können nicht als 'zielbewusste änderungen' (s. 22) — wohl gemerkt: än-
derungen gegen B! — und als solche auch nicht als auf den md. heimatdialekt
Grimmeishausens zurückgehend, sondern nur als eutgleisungen eines md. setzers
erklärt werden. Überhaupt erscheint das verfahren des 'korrektors' von A durchaus
nicht immer, wie T. gelegentlich selbst zugesteht (wie s. 25, s. 78), so 'zielbewusst'
(vergl. z. b. s. 33 über trucken : trocken). Umgekehrt scheinen in B spuren des alem.
druckorts — die Mömpelgarter druckersprache Jac. Foillets stimmt- nach meinen
Untersuchungen zur gleichzeitigen elsäss., — nachweislich zu sein : ausser dem
häutigen icii- < vi- (s. 37) uüd entrundeten i (s. 88 f.) der isolierte monophthong
in rerylich (subst.) (s. 40 unten), wo von einer 'ablautsform', da ja kein altes ei
zugrund liegt, keine rede sein kann, das ebenso isolierte stahn {e. 207), das regel-
mässig zweisilbige ohne (s. 98) (vgl. Behaghel* § 201), die echt elsäss. Lütfig
(s. 138) und frähligem (s. 140) (vgl. Beitr. bd. 13, s. 236 f., § 71). Die spräche von
B fortwährend in beziehuug zur hess. ma. des autors zu bringen, gellt überhaupt
bei deren ausgeprägt oberd. Charakter nicht an, um so weniger als dieses hess.
öfter sogar gegen B zu A stimmt (wie z. b. bei dem öftern « für mhd. e in A
gegen e in B [s. 25 f.]). Schwierigkeiten macht das häutige ni, äi (s. 40, bes. fussn.)
in beiden druclien: aus Felßeckers offizin kann es nicht stammen, da dieser ja
aus Bamberg (nicht aus Bayern oder Schwaben) nach Nürnberg kam (Schölte,
Grimmelsh. -forsch, s. 61 f.); denkbar wäre, dass ein Mömpelgarter drucker, der so
gut wie Foillet württemb. hofbuchdrucker sein konnte, es aus dem schwäb. stamm-
land dort eingeführt habe, wahrscheinlicher ist es aus dem manuskript des Verfassers
in den druck gekommen (vgl. Zeitschr. bd. 46, s. 35 ff.). AVarum hat aber der
korrektor gerade dieses deiiQ Harsdörffer-kreis und überhaupt der damaligen Nürn-
ÜBER T()RNVALL, DIE ÄLTESTEN DRÜCKE DES SIMPLICISSI.MÜ.S 271
berger druckersprache ganz oder zum mindesten in diesem umfang, noch mehr
aber der Luther-sprache fremde ai völlig unbeanstandet gelassen? Beachtenswert
und zugleich bezeichnend sind die mehrmals von T. angezogenen parallelen mit
Baeseckes Untersuchung über die s])rache Opitz's (so s. 34, s. 121): hier handelt es
sich ja tatsächlich um unterschiede zwischen alem. (Strassburger) und ostmd.
(Breslauer) druckersprache. Die weite entfernung der beiden druckoite von B und A,
die eine Versendung des Originalstockes wegen der kürze der zeit unmöglich und
auch unrentabel machte, ist für mich auch — nachdem infolge der von Schölte
und Törnvall beigebrachten gründe die annähme eines unberechtigten nachdrucks
ein für allemal erledigt ist, — die einzig ungezwungene erklärung, warum A und
nur A einen nachschnitt für das titelbild benutzte; denn dass sich im 17. Jahr-
hundert ein drucker beziehungsweise Verleger bloss wegen der orthographischen
marotte eines korrektors, wie T. will (s. 247), die kosten eines neuen Schnittes
auferlegt hätte, ist nicht denkbar, da hierbei durch Übertragung moderner Ver-
hältnisse einer orthographischen einzelerscheinung eine bedeutung beigemessen
wird, die jener zeit vollständig fremd war. Im übrigen ist im äuge zu behalten,
dass Grimmeishausen seine früheren werke durchweg anderswo verlegte und
drucken lies (s. Schölte a. a. o. s. 71 f. und s. 155, wo dies aber verschleiert
wird) und vor 1670 beziehungen desselben zu Felßecker überhaupt nicht nach-
gewiesen sind (s. Schölte s. 59 f.), dass der ältere Felßecker als drucker nur bei
einem einzigen Grimmelshausen-werk einwandfrei feststeht (Schölte s. 59 f., un-
richtig dagegen s. 71 oben [vgl. s. 60 unten]) und dass dieser selbst als Verleger
anderwärts (Fulda, Altenburg) drucken liess (Schölte s. 60, dessen begründung
selbstverständlich in keiner weise stichhaltig ist). In betracht zu ziehen wären
ausserdem noch die papierfrage (vgl. Kögel s. XXIII), viel weniger in so später
zeit die typenfrage (ebenf. Kögel a. a. o.), eher vielleicht die schriftspiegel-
verhältnisse ; doch wäre dazu fachschulung in diesen dingen unbedingt nötig.
Wie gesagt: ich wollte anfänglich die ganze frage ausführlich und systematisch
erörtern; da mich dies jedoch immer weiter über den rahmen einer besprechung
führte und ich trotzdem zu keinem festen ziel gelangen konnte, so mögen diese
paar andeutungen genügen. Ausserdem fehlt noch der grösste teil der notwendigen
vorarbeiten und wird noch in absehbarer zeit fehlen (eigene darstellung der spräche
von B, Grimmeishausens handschriftliche spräche, überhaupt alle Untersuchungen
über die druckersprachen in der 2. liälfte des 17. Jahrhunderts) und ist selbst dann
wegen des starken Verfalls und der nur mehr ziemlich geringen unterschiede der
druckersprachen jener epoche das resultat recht zweifelhaft. Man darf höchst
gespannt sein, was Schölte in seinen angekündigten arbeiten über diesen punkt
bringen wird*. Einstweilen halte ich das problem für ungelöst und — unlösbar.
Die sprachliche Untersuchung selbst einschliesslich der beherrschung der
einschlägigen grammatischen probleme und literatur- ist vorzüglich. Xicht sonder-
1) Korr.-note: Auch in seiner letzten abhandlung in der Zeitschr. f. bücher-
freunde. Neue folge 12. jhg. (1920/21), hauptbl. s. 9—21, die nur eine mehr popu-
läre Zusammenfassung seiner früheren arbeiten unter geringer bezugnahme auf die
vorliegende Untersuchung ist, hat er indess keine neuen gesichtspunkte zu dieser
grundlegenden frage beigebracht.
2) Vermisst habe ich im Verzeichnis nur Rieh. Müllers schulprogramm^'Die
spräche in Grimmeishausens roman 'Der abenteuerliche Simplicissimus', I. teil",
Eisenberg 1897, worin ich diese jedoch entgegen Schölte (a. a. o. s. 115) nicht eben
'mit anerkennenswerter genauigkeit beschrieben' finden kann, da die arbeit durch
272 MOSER, ÜBKR TÖRNVALL, DIE ALTESTEN DRUCKE DES SIMPLICISSBIUS
lieh praktisch und übersichtlicli finde ich die anordniing des Stoffes. Vielleicht
wird im hinblick auf den buchunifaiii;' bei oberflächlicher betrachtung die nieinunrr
laut werden, der Verfasser hätte statt der bis in jede einzelnheit vollständigen
vergleichung sich durch auswahl der wichtigsten unterschiede beschränkung auf-
erlegen sollen; durch die Vollständigkeit wird aber die bei einer — auch der besten —
erstarbeit besonders gefährliche Subjektivität ausgeschaltet und eine völlige Sicher-
heit bietende benutzung des materials gewährleistet. Wie wichtig bei den ver-
wickelten Griramelshausen-problemen gerade einzelnheiten werden können, dürfte
aus dem vorher gesagten hervorgehen. Das buch hat vielmehr eben darum^ dass
es ganze arbeit gemacht hat, bleibenden wert für die forschung und steht über-
haupt in jeder beziehung weit über den wenigen bisherigen, (ausser der unten
erwähnten) durchweg auch nur einzelne kapitel behandelnden Untersuchungen zu
Grimmeishausens spräche.
Von einzelnheiten greife ich zum schluss noch folgendes heraus: Wendungen
wie 'A führt die schriftspr. form wieder ein' (s. 32), zeigt 'unverkennbare annäherung
an die nhd. gemeinsprache' (s. 118) usw. sind unklar und irreführend, weil sie einen
damals noch nicht existierenden faktor einführen ; es sollte dafür nur von den je-
weiligen Schriftdialekten — meist also den md. — die rede sein. Über i und e
(s. 30 f.) vgl. Beitr. bd. 41, s. 437 ff', vermüyen, müglich in A (s. 83) sind keine
'altertümmelnde tendenz' des korrektors, sondern im md. (bes. westmd.) und bayr.
(auch nürnb.?) noch oft vorkommende formen (vgl. Bahder s. 197), während speziell
das alem. (und schwäb. V) früh die o-form von B bevorzugt. Die Synkope in
(jmtg (s. 52 f.) beruht auf dem mhd. synkopierungsgesetz (Paul ' § 61, Weinh. §§ 79—80)
und ist auch bei den md. prosaisten des 17. Jahrhunderts durchaus gebräuchlich
(z. b. auch Spee [vgl. Zeitschr. bd. 4H, s. 44] und Schottel). Ebenfalls auf das mhd.
synkopierungsgesetz gehen die änderungen von nachtonigem -ren, -len > -rn, In
(s. 56) und auch in dritter silbe stehendem -erem, -eren > -erni, -ern (s. 62) zurück
(Paul § 60, Weinh. §§ 18,- 78 und 80), dessen nachleben in den erstem fällen ich
noch öfter in drucken des 17. Jahrhunderts beobachtet habe, während es in den
letztern - wohl mehr unter einfluss des Behagjielschen gesetzes (§ 191) — eine
gewöhnliche erscheinuug ist. An ein numeraldifferenzierungsgesetz kann ich schon
hier nicht recht glauben, noch viel weniger aber betreffs der ausstossung des
m ittelsilbigen vokals bei -eii-, -er- (s. 58ff.); denn zur kennzeichnung des
numerusunterschieds kann doch immer nur die letzte silbe d. h. die endung, nicht
die mittel- d. h. die wortbildungssilbe dienen, die 'zahlreichen ausnahmen' gibt ja
auch der Verfasser (s. 64) zu. Das häufige erscheinen des thematischen -e- beim
praet. der schw. verba mit liquidem stammausgang (s. 71 f.) darf nicht mit dem
sprossvokalischen e zwischen r (nie /!) und nasal einsilbiger Wörter (vgl. üher dessen
mundartliche Verbreitung auch H. Reis, Deutsche maa., 1912, s. 61 f.) in Zusammen-
hang gebracht werden, da sich dieses nur am wortende und aus einem sonanten
entwickelt; das mhd. gesetz hat im frnhd. längst nicht mehr, beziehungsweise
hatte im md. überhaupt nie als solches geltung, sondern infolge der Vermischung
ihren ganz verfehlten Standpunkt (lediglich Verzeichnung von abweichungen gegen-
über der heutigen Schriftsprache), ihre Oberflächlichkeit (vgl. dazu gleich den Wider-
spruch: B ein 'sehr verunstalteter nachdruck' [s. 6] und 'B und A' 'in Nürnberg
bei Felßecker . . . erschienen' [s. 7]) und Unübersichtlichkeit ein völlig verschobenes
bild der spräche der zugrund gelegten ausgäbe A(!) gibt, wie jetzt vor allem der
vergleich mit T. leicht erkennen lässt.
STAMMLER CBER KISCH, I-EIPZIGEK schöffenspruchsammlung 273
der verschiedenen klassen kann überall der themavokal stehen oder fehlen (vgl.
Behaghel § 200, 1 und § 330, 2-4, auch Paul § 102). Die annähme, dass im
hess. zur zeit Grimmelsh.s das einfache (nur schwache?) praet. 'noch lebendig
gewesen' sei (s. 96, fpssn.), ist ganz unzulässig und die begründung nicht stich-
haltig; die Umschreibung ist in der schriftliclien niedersetzung nie und nirgends
durchgedrungen und als 'formen der Schriftsprache' gelten eben im oberd. und
weatmd. noch übers 17. Jahrhundert hinaus (im 16. Jahrhundert auch im ostmd.)
-et und -{e)te unterschiedslos nebeneinander. In fällen wie ein stumm (s. 181) liegt
nicht unflektierte, sondern schwache form vor (s. Paul § 210). Das zitat über
-linde (s. 209, fussn. 2) ist missverstanden, da a. a. o. nur von der bewahrung des
vollvokals, nicht des auslauts-e die rede ist; vgl. statt dessen Kehrein bd. 3, §§ 7,
39 und besonders 147,5; Behaghel § 191,5. Auffällig ist die regelmässige Schreibung
Ack. (auch ausgeschrieben Ackusativ s. 188). Zu erwähnen wäre noch die aus-
dehnung des ausdrucks frnhd. auf die 2. hälfte des 17. Jahrhunderts — also wieder
eine etwas andere Verwendung des begriffs (vgl. Zeitschr. bd. 49, s. 140).
Nicht verstehen kann ich, was mit den 'beziehungen, die zwischen dem
Simplicissimus und den schritten des Aegidius Albertinus bestehen' sollen (s. 246),
gemeint ist. Der Zusammenstellung nach hat der Verfasser hier doch offenbar
nicht literarische, sondern sprachliche zusammenhänge im äuge — letzteres ist aber
(ich habe mich eben länger mit der Münchner druckersprache des 17. Jahrhunderts
beschäftigt,) ganz ausgeschlossen.
Nachtrag: Die verwickelte frage nach den druckern der ersten Simpli-
cissimus-ausgaben ist nun seit der niederschrift obiger gedanken im sommer 1918
durch H. Borcherdts geistreiche abhandlung über 'Die ersten ausgaben v. Grimmeis-
hausens Simplicissimus", München 1921, in ein neues Stadium getreten, wobei der
Verfasser zu meiner freude z. t. zu ähnlichen anschauungen kommt; ein näheres
eingehen auf diese ist hier leider nicht mehr möglich. Durch A. Bechtolds mit-
teüungen über die anzeigen von 'Grimmeishausens Schriften in den messkatalogen
von 1660-1675' im Euphor. bd. 23 (1921), s. 496^99 ist indess gleich darauf die
Sache noch weiter kompliziert worden. Auf jeden fall rauss aber nochmals betont
werden, dass eine scharfe Unterscheidung zwischen drucker und Verleger, deren
Wohnorte schon im 16. und 17. Jahrhundert oft sehr weit auseinander lagen (Basel-
Wien, München— Köln seien nur als extrembeispiele angeführt,) — selbst wenn
letztere eigene sehr bedeutende offizinen besassen, — , zu machen ist.
MÜNCHEN. V. MOSER.
Leipziger s ch offen spruchsam mlung. Herausgegeben, eingeleitet und be-
arbeitet von Gnido Kisch. (Quellen zur geschichte der rezeption. I. bd )
Leipzig 1919, S. Hirzel. XVI, 126*, 655 s. 45 m.
Dieser monumentale band eröffnet ein unternehmen, welches das im rahmen
der 'Sächsischen forschungsinstitute in Leipzig' bestehende 'Forschungsinstitut für
rechtsgeschichte' unter der leitung von Adolf Wach ins leben gerufen hat. Die für
das gesamte geistige leben des deutschen volkes so bedeutungsvolle, so tief dahiu-
einschneidende rezeption des römischen rechtes soll neues licht erhalten, ihre Ursachen
und ziele, in betreff deren wir bisher, trotz allen scharfsinnigen Vermutungen und
forschuugen, über Stölzel kaum hinausgekommen sind, sollen an der band un-
erschlossenen materials blossgelegt werden. Damit wird, parallel zu Konrad Bur-
•J74 STAMMI.KK
daohs weitausgreifenden forschungcn, die ringende und gärende Übergangszeit vom
mittelaltor zur reformation uns, den nachfahren, im ganzen und im einzelnen klarer
werden und tieferes Verständnis finden. Deshalb muss auch der gerraanist mit dem
rechtsgeschichtlichen unternehmen von seinen gesichtspuukten aus sich befassen
und wird nicht ohne nutzen für eigene erkenntnis Bolche arbeit leisten.
Die geschichte der rezeption des römischen rechtes in ganz Deutschland kann
nur dann verstanden werden, wenn die landschaftlichen anfeile blossgelegt und ge-
deutet sind. Dies haben auch die leiter des neuen Unternehmens erkannt — Guido
Kisch, der sich bescheiden als solcher nicht nennt, dürfte wohl bei der aufstellung
des planes ein grosses verdienst zuzuschreiben sein — und demgemäss ihre Unter-
suchungen mit dem obersächsischen recht begonnen.
1523—1524 stellte ein mitglied des Leipziger Schöffenstuhles für
eigenen gebrauch aus handschriftlichen und gedruckten Sammlungen und rechts-
büchern eine kompilation von schöfifengerichtlichen entscheidungen zusammen, die
in der hs. M 20 der sächsischen landesbibliothek zu Dresden erhalten ist. Der
Sammler bezeichnet sich einmal nur mit den initialen A. B. Vielleicht Hesse sich
bei einer durchsieht der Leipziger schöffenlisteu jener zeit daraus sein name er-
schliessen; es ist nicht ersichtlich, ob Kisch den ver.such gemacht hat.
Diese Sammlung von schöffensprüchen, deren ältester von 1350 herstammt,
die letzten aus der zeit des Sammlers datieren, legt Kisch in einem sorgfältigen
kritischen abdruck, mit ausgezeichneter einleitung ' und trefflichen registern vor.
Es ist nur zu bedauern, dass nicht eine photographische nachbildung einer hs.-seite
geboten ist; man ist doch recht begierig, die von Kisch charakterisierte ungelenke
schreiberhand selbst sehen zu können. Auch halte ich es für durchaus erforderlich,
dass in jedem hss. -Verzeichnis, auch dem bloss registrierenden, stets zeit und (wenn
möglich) herkunft der einzelnen hs. angegeben, anstatt dass der leser auf mitunter
weit entfernte literatur verwiegen oder gar auf eine zukünftige publikation ver-
tröstet wird.
Mit den editionsgrundsätzen (s. 112* ff.) kann man sich nur einver-
standen erklären. Bedauerlich erscheint indes, dass die sprachlichen abweichungen
anderer hss. nicht in den apparat aufgenommen wurden ; für die erforschung der deut-
schen rechtsprache hätte es doch recht ergiebig sein können, wenn parallele formein
und Wörter zu verzeichnen gewesen wären. Mit freuden habe ich von Kischs ab-
sieht kenntnis genommen, dass er einer späteren Veröffentlichung über den oberhof
Magdeburg kartenskizzen mit Verzeichnis sämtlicher orte beigeben will, deren
rechtsverkehr mit Magdeburg und Leipzig urkundlich bezeugt ist. Vor mehreren
Jahren habe ich schon dieselbe forderung erhoben', und sie ist auch in der mir
1) Einen heutzutage häufig geübten editorischen misstand rügt Kisch meines
erachtens mit vollem recht: 'In älteren und neuereu quellenpublikationen verbreiten
sich die herausgeber in den einleitungen bald mit grösserer, bald mit geringerer aus-
führlichkeit über den Inhalt der von ihnen bearbeiteten quellen. Soweit er nicht
notwendig für die quellengeschichte herangezogen werden muss, möchte ich einem
solchen verfahren allgemein jede wissenschaftliche berechtigung absprechen. Denn
die für jede wissenschaftliche forschung zu fordernde gründlichkeit kann nur durch
Spezialuntersuchung und in monographischer darstelluug erreicht werden. Es mag
entsagungsvoll erscheinen, diese oder jene bemerkenswerte beobachtung oder schluss-
folgerung in einer bescheidenen anmerkung niederzulegen. Entschliesst man sich
jedoch nicht zu eingehender kommentierung, dann wird dies der einzige weg sein,
drr die wisseuschaftlichkeit nicht gefährdet.' (s. 110* f., anm. 1).
2) Deutsche geschichtsblätter IS (1917), s. 98: [es wäre von Interesse zu er-
l BER KISCH, LEIPZKiER SCHÖFFENSPRUCHSAMMIANG 275
damals unbekaunten Greifswalder dissertation von Werner Bötticher über die 'Ge-
schichte der Verbreitung des Lübischen rechts' (1913) angewandt vrordeu.
Ich habe noch selten eine im druck so fehlerlose edition in der band gehabt, wie
diesen- dicken band.- Nur s. 78 z. 14 ist umjeiiriffen zu lesen. Auch die anraerkungen
stehen an richtiger stelle. Ich hätte auf s. 378 zu nr. 523 bei dem manjracen
Friderlch auf Friedrich den streitbaren von Thüringen (1381—1428) hingewiesen (vgl.
die anmerkung 2 auf s. 434), zumal da hierdurch der spruch zeitlich fixiert wird.
Dagegen möchte ich auf einen übelstand aufmerksam machen, der besonders
für die register und für jede art von Zitierung lästig fällt: das fehlen der zeilen-
zählung auf den textseiten. Im register sind daher die einzelnen worte nach den
nummern der Sprüche zitiert; manche Sprüche erstrecken sich aber über mehrere
seifen, so dass in ihnen ein wort zu finden grosse zeitverschwendung erfordert.
In den folgenden bänden wird dieser fehler hoifentlich beseitigt sein.
Die register sind sorgfältig gearbeitet. Aber (und auch dies gilt für die
Zukunft)/ und v sind unter einem buchstaben zu vereinigen, nicht gesondert
nach modernem gebrauch zu behandeln. Die trenuuug führt zu unzuträglichkeiten,
die lediglich aus der Orthographie des Schreibers herrühren. . Hier muss man z. b.
volgen und seine sippe unter v suchen, nur weil der Schreiber der hs. M 20 diese
Wörter mit anlautendem r schreibt; in merkwürdiger Inkonsequenz dazu %te\\t fronen
unter /, trotzdem es in der hs. fast stets mit /■ geschrieben ist. Ich möchte auch
zu bedenken geben, ob nicht eine trennung-* von wort- und Sachregister vorzuziehen
ist. Diese ausstellungen sollen aber den wert der register nicht im mindesten
herabwürdigen ; ich weiss die in ihnen steckende riesenarbeit wohl zu schätzen und
möchte nur, dass sie ein nächstes mal noch vollendeter zustande käme.
Die spräche der hs. ist 'mitteldeutsch', wie Kisch richtig sagt. Sie lässt sich
aber noch enger als 'ober sächsis ch' lokalisieren. Wir finden einerseits: jiUlich,
gepundefi, pier, hegen, gefenknus, troen, tar; anderseits: Dhomas, eidern, merglich.
Lautlich steht häufig entrundung des ö, ü und o: schweten, Pessneck, wirdig, Lobe-
schit:; ap (statt ob), ader statt oder, oder verdumpf ung des a: daheim, doselbst,
noch (statt nach). Allerdings ist der Schreiber nicht konsequent, sondern es stehen
formen wie weib und weip, torst und dorst (= frevel), kegen und gegen nebeneinander.
Wechsel von b zu w: Eschewoch (st-dtt Eschenbach), schöpfenwar {statt schöpfenbar),
IVorlin (statt Borlin).
Leider hat Kisch, zu getreu der hs. folgend, den umlaut nur gesetzt, wo
ihn auch der Schreiber setzte, und nicht in rechnung gezogen, dass die konsequente
Umlautsschreibung recht neuen datums ist, so neuen, dass man eine zeitlang sogar
dem mittelniederdeutschen den umlaut absprechen wollte, weil er grösstenteils nicht
geschrieben zu sein schien. Die ausgäbe eines textes des XW. Jahrhunderts muss
da aber bessernd eingreifen; formen wie schuler, sunen, konig (man vgl. auch im
register s. 61.ö die Zusammensetzungen mit über-!) durften nicht stehen bleiben. Das
scheint mir auch für die eigennameu von bedeutung. Denn namen wie Döring,
Götze, Kokeritz, Mockeritz, Mulendorjf, Mnlner, Munfz, Schonau, Schroter, Sorgel,
Topfer, Tümpel haben doch wohl nur mit den umgelauteten fcrraen geltung.
fahren,] 'wo die einzelnen stadtrechte in geltung standen, wieweit sie sich er-
streckten, bei wem die kleineren städte zu haupte giengen, kurz eine (meinetwegen
rein schematische, vielleicht kartographische) Übersicht der Verteilung der geltenden
rechte im mittelalterlichen Xiedersachsen.'
276 srA.\iMM:ii
Ich möflitc irleicli lu-i den c. i yc n naiu eii ' lilcibcn, um die bedeuUm^' dieser
rechtsquelle für die deutsche philolog-ie zu erweisen. An vornanien ist mir neben
dem bei einem bauern seltenen J)onat, der wohl auch nur dem gelehrten Juristen
seinen Ursprung verdankt (s. 212, z. 11, nr. 264^), und dem typisch obersächsischen
Apit:, der seltene Arnag (ron Waidenburg, 1451—1470; vgl. auch Cod. dipl. Sax. reg.
II, 14. 3, s. 585) aufgefallen. Dass wir uns im kolonialland befinden, bezeugen die
nicht seltenen slavischen namen- wie BeUla, Latiiat-.s {Lom(i)itzs)^ Supan. Berufs-
bezeichnungen sind ursprünglich Art.:t, Brotesser {= knecht s. u.), lAtndtknecJit, liani-
pfiifer, Reisiger, Sdiiifciiieisfer, Silhersclmielzer, Sporner, Spreier, W'agenknecht, Wiesen-
roigt. Cireistlichen vorstellungskreisen entstammen Apt. Buhest, Broptzsch (-=; Propst),
FUgeram, Satan (volksetymologisiert -- Skeitan). Übernamen bilden ebenso ursprünglich
Frau Ältszch, Golden {Gulden), dazu Heller und Zehrpfennig, Haselwach ('?), Inbecher,
Kermess, Lobetantz, Misthacken, Möllnickel, Pauersang (ortsnarae V), Schultermöller.
SeJikolb (= Seekalb ?), Setisse, Silbersack, Wildfeuer. Zu den Übernamen gehören
auch die imperativbildungen Deckenkue, Findenheller, Mercknane (oder Ortsname'?),
Schirmstern (?), Schüttenwütfel, Sehkorn (= säe körn), Suchhaupt. Latinisiert finden
sieb, wohl erst durch die gelehrten Juristen, Crosius (< Gross), Blasius (der gleich-
bedeutend mit Blasing und Blesing gebraucht wird), Glorius. Neben Nickel steht
gleichberechtigt Nitzsch; überhaupt kommen, dem obersächsischen dialekt ent-
sprechend, die koseformen auf -tsch häufiger vor, z. b. Rentsch, lüiltsch, Stautsch
(wohl, wie Statze, < Statins), Zetsche (< Zachariasi'). Auch der name Heiman {Hay-
man)., der heutzutage vielfach für jüdische familien gebräuchlich ist, wird zweimal
angewandt (< Heineniunn). Die Juden heissen Abraham, Isaak, Jordan, Josse, Lasar,
Neben den eigennamen gewähren die münznamen driling, groschen, heller,
mark, pfennig, pfund, Schilling, schock, schwertgroschen, wissepfennig dem nurais-
raatiker manche ausbeute, zumal die sächsische münzreformation in einigen rechts-
fällen (nr. 259—261) eine wichtige rolle spielt. Und der metrologe kommt bei acker,
eile-, gpwende, meile, rute, scheffel und den fortwährenden massfestsetzungen nach
Magdeburger und Leipziger recht auf seine rechnung. Beispiele für pferde-
bezeichnungeu bieten graupferd und rotpferd (8.86, nr. 18).
Den Philologen zieht daneben vor allem das wortmaterial an, das in den
Sprüchen niedergelegt ist. Germanisten der juristischen wie der philologischen
Observanz haben sich ja endlich zur ausarbeitung eines 'Wörterbuches der deutschen
rechtsprache' zusammengeschlossen ; aber nach erfreulichem beginn droht es infolge
der Ungunst der äusseren Verhältnisse wieder auf jähre hinaus stecken zu bleiben.
Als mitarbeiter des 'ßwb.' interessierte mich daher der rechtssprachliche stoff, und
ich möchte einige beobachtungen darüber hier vorlegen, wobei ich von den streng
juristischen termini T,absehe.
Zunächst fehlen in der 1. (bisher einzigen !) lieferung des 'Ewb.' zwei worte :
ubgesprechen = absprechen (s. 444, z. 10—11, nr. 630: ap ich icht nieins guts neher sei
zu behalten, dan inirs kein man abgesprechen möge) und abgeziringen (s. 467, z. 5—4
V. u., nr. 663: wan ir das jemand mit rechten abgezwingen ntuge). Überhaupt ist
die bildung mit den Vorsilben ge- und ver- eigentümlich und sehr häufig (z. 1).
geändern, gedingen, gedringen., geeiden, geneinen, gerechten [= vor gericht beweisen],
1) Ich erwähne hier nur diejenigen, die sonst überhaupt nicht oder nur selten
vorkommen.
2) Einmal kommt auch koUtsch 'kuchen' (slaviech) vor.
ÜBER KI.SCH, LEIPZIGER SCHÜFFEXSl'RUCHSAMMLUNrr 277
ffeweldigen, gewissen [= beweisen], gezicht [= beschuldigung] — verdempfen [= er-
sticken], verfachen [= ablegen], verfreimarkten, vergenügen, verjaivorten, verkümmern,
verleinkaiifen, verloben [= geloben], vermahnen, verrechten, verschlagen [= vernichten],
verteilen [= durch urteil absprechen], verteuern [= schätzen], vertragen [= befreien],
verwillekoren, verwissen usw.). Das 'Rwb.' wird lehren, inwiefern diese Wortbildungen
der rechtssprache speziell oder der frühneuhochdeutschen spräche überhaupt
eigen sind.
Indes abgesehen von ausdrücken, welche der rechtsprache im besonderen an-
gehören, finden sich auch solche, welche unseren lexikalischen Wortschatz zu be-
reichern imstande sind. Auch hier wieder will ich der Zweckmässigkeit halber
alphabetisch vorgehen: armer mann, unfreier, eigener mann. — ausländisch, in der
fremde lebend. Gegensatz dazu anheimisch oder einländisch. — bidermann, unbeschol-
tener mann (mitunter dem begriff des gentlemen, des kavaliers entsprechend). — brot,
haushält. Davon brotesser, dienstbote ; vgl. D. wb. II, sp. 403 (die sein gebrotessen nicht
sein: s. 575, z. 13, nr. 819, mitte des XV. Jahrhunderts; seinen gebrötten knecht: s. 356,
z. 17, nr. 498). — entenen, berauben; vgl. D. wb. III, s, 510: enteinen {berauben und
entenen formelhaft; s. u.). — entzweitragen (was vermag sulche verpindung mit ver-
kaufen entzweitragen : s. 174, z. 15 f., nr. 195.) — erbkretzschmar, bezeichnend für
Sachsen. — erbmöller. — gemante tochter, mannbare tochter. — gemeine setzt Kisch
in Spruch nr. 503 = almende. Mir scheint dies wort indes immer die dorfgemeinde
zu bedeuten. — geschäft, euphemistisch für ehelichen beischlaf (nicht für männliche
geschlechtsteile) in spruch nr. 725, s. 516, z. 3. — hoffnung, anwartschaft. — huren-
sohn, katzensohn, kebskind als schimpfworte. — ingetume, 1. hausrat, 2. eingeweide.
— kaut, tausch. Davon verkauten, Verkantung. — kirchenwart, kirchenvorsteher. —
kröne, tonsur. — örtern, teilen. — peinschrotige ivunden. — pfänter, pfandherr. —
schlafhaftig gemach, schlafgemach. — schuchprecht heisst die schuhmacher-innung
im Spruch der Magdeburger schöffen (nr. 563, XV. Jahrhundert) ; in den Zwickauer
und Görlitzer hss. steht dagegen schuster. — selbsturbig vieh, von selbst gestorben.
— stritzen, junge pferde, s. unbesilt. — überjerig, verjährt; sowohl von dem ver-
brechen wie von dem täter gesagt. — überlei, überschuss. — unbesilte pferde sind
pferde, die noch nicht in den sielen gehen, stritzen, die teglich zu felde laufen und
man noch nicht eingespatmet : s. 144, z. 16 f., nr. 134. Gegensatz gesilte pferde: ebda,
z. 25. — unee, konbubinat. — ungericht, ungerechtes, unzuständiges gericht. — un-
geschichte, unglücklicher zufall. — xmrat, unheil, nachteil. — unwilligen, feindselig-
keiten verüben. — verfetiglich, frevelhaft. — vertraut, verlobt. — volmtmt, fundament.
Darnach pauenten wir und legenten ein volmunt auf dieselbe hofstatt und maurten
den mit steinen: s. 356, z. 13 f., nr. 498. — waldenbergen erklärt Kisch als: gewalt-
taten begehen; dazu das ?>u\)%i. waldenberger. !?ollte nicht aber ein ortsname darin-
stecken und dann eine ursprüngliche lokalverspottung, infolge des anklanges an
gewalt, sich zum allgemein gebrauchten wort in bestimmter bedeutung ausgewachsen
haben? — Zu wissebier vgl. Otto Stobbe in der Zeitschr. f. rechtsgesch. 13 (1878), s. 236.
Nächst solchen einzelnen ausdrücken sind für die deutsche rechtssprache und
weiterhin für die gemeinsprache von belang die formelhaften ausdrücke, die
sich mit Zähigkeit zum teil aus den altgermanischen rechten fortgeerbt haben;
formal ist für sie charakteristisch, dass sie denselben begriff durch zwei synonyme
Wörter wiedergeben, um durch die Wiederholung besonders eindrucksvoll auf den
hörer zu wirken. Da finden sich einmal alliterierende formein: gericht über
hals und hand — einen Übeltäter hausen und hofen (ein andermal hausen und
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOCilp:. V.T>. XLIX. 19
278 STAMMLER ÜBER KISCH, I.EIl'ZKiEll SCHÖFKENSl>UUC'HSAMMI.r.\(;
zeren) — zti hause und zu hofe heimsuchen — haut und haar — mit schild und
achwert — gang und gebe — volger und geferte (daneben volger und anheber, volger
und helfer) —.Unterkonten und unterstehen — an verändertest steten und stellen —
ein geistlich und gegeben man — abtun und endern. Ich übergehe dabei die überaus
zahlreichen Zusammenstellungen von Wörtern, die mit un-, be-, aus- oder ver- an-
lauten, um noch zwei beispiele für gereimte formein zu geben: rat utid tat —
bezichtung und berichtung. Schliesslich prosaische formeJn: bei gerochenem
/euer und geschlossener tür (vgl. Homeyer, Der richtsteig landrechts, s. 535 'bei
zugedecktem feuer, zur nachtzeit') — brief und Siegel — bei treuen und eren — mit
finger und zunge — fug und wandet oder ivandel und abtrag (= geldbusse) — stock
und galgen oder stock und banden — mit hand und mund — jähr und tag (sehr
reiche belege ; s. reg.) — vor richter und schaffen und gehegter bank oder auch nur
vor gericht und gehegter bank — recht und gesetz — zug und frist oder lag und frist
— mit gezeuge und kundschaft — der antwort los imd vertragen sein — buss und
leiden — sünlich und friedlich — mit gerüft und geschrei oder mit gerüft und mit
Zetergeschrei — bei tag und Sonnenschein — berauben und entenen — verzeichnen und
schreiben.
Schon in einer reihe dieser formein tritt die reiche bildersprache des
altdeutschen rechtes schön zutage. Noch schärfer prägt sie sich aus in Wendungen
wie : den wittibstuhl verrücken — die vier wände beschreien (vom neugeborenen kind)
— das recht über feld holen — das recht schieben — im. landrecht sitzen oder sterben
— in seiner mutter schoss erben — überzeugen noch in der alten sinnlichen be-
deutung (s, 79 z. 16 fehlt ini reg. s. 615a, wo weitere stellen stehen); ebenso ent-
schuldigen (nr. 111) und heimsuchen (vgl. die rechtsfälle nr. 777 und 786, welche
die ursprüngliche wörtliche juristische bedeutung klar erkennen lassen). Auf die
ursprüngliche art des hausbaues wirft die phrase in seinen vier pfählest licht.
Von den formein zu den Symbolen. Anch für die Versinnbildlichung des
rechtlichen gedankens durch äussere zeichen und gebärden erscheinen lehrreiche
beispiele : die beweisstücke werden dem täter angebunden (nr. 443, 688) ; aufgebet
auf dem kirchhof uud markt vor allen leuten (nr. 452); das gelöbnis oder den eid
Stäben (nr. 232, 292, 450); auflassung mit einem reis (nr. 657); kerbhölzer als be-
weis für geschuldetes geld (nr.. 259); trunk beim kauf, ^em- oder leitkauf {nr. \Sy
452); über das bettbrett geben (nr. 68); auslieferung der gerade beim tode der fr au
(nr. 136: Und wu dem man sein loeib sturb, das er iren spilmogen die gerade sol
geben, so müssen sie dem manne sein bett bestellen, als es stund bei seines tveibs
leben, den tisch mit einem tischttich und hundquel, die bank mit einem pfui und den
stuel mit einem küssen) ; Unfähigkeit den eid zu sprechen (nr. 373 : Euer stammeln
sol euch an dem eide oder in gewinnung euers vorsprechen nicht verhindern; und
mögt ir auch euer hand oder finger so lang nicht aufgehalden oder erheben, so sol
man euch die heiligen und euer finger und hand als lang halden, als lang das ir
euer recht verziehet) ; Sinnbild der Schuldigerklärung (nr. 335) ; verfahren bei Selbst-
mördern (nr. 203); brauch des besthaupts (nr. 96); verbot des gottesurteils (nr. 111:
sich zu entschuldigen, damit man ein gluend eisen trage oder in einen wallenden
Wasser greife^ ist von der heiligen kirchen verpoten).
Hingewiesen sei auf die wergeldbestimmungen in dem weistum der
Leipziger schöffen für Plauen aus dem XIV. Jahrhundert (s. 68 ff.) und auf die be-
sondere erwähnung von schriftlichen urteilen (nr. 16, 322). Die leineweber
werden ausdrücklich für ehrlich erklärt (nr, 16), und die widerspenstigen Schneider
ENDEES ÜBER KUHN, CORNELIUS' FAUSTILLUSTRATIONEN 279
genötigt, den Bohn eines müUers in ihre zunft aufzunehmen (nr 100). Neben solchen
kleinen soziologischen stellen fehlen auch nicht sittengeschichtliche bilder, die an
Boccaccios oder Bebeis schwanke erinnern; so nr. 27, deren Überschrift lautet: Zwen
nachtpauern seint mit einander zum hier gewest und bede trunken. So ist der eine
dem andern in desselbigen haus nach mitternacht in der trunkenheit zu des andern
weib gegangen und sich zu ir gelegt. Also hat dieselbe geclagt, wie sie ir nacht-
pauern fleischlich angefuchten. Was sein buss und leiden hierumb ist von recht.
Oder nr. 737: Wie einer einen in seinem haus erschhig, der bei nacht ime sein weib
notzogen wolt und ime sein gemach aufbrach bei gerochem feur; was recht ist.
HANNOVER. WOLFGANG STAMMLER.
Alfred Kahn, Die Faustillustrationen des Peter Cornelius in ihrer
beziehung zur deutschen nationalbewegung der romantik. Als einleitung zu
dem durch den verlag Dietrich Reimer veranstalteten neudruck der original-
stiche aus dem jähre 1816, Berlin (Reimer) 1916, 68 s.
Die suche nach metall hat bekanntlich die platten der originalstiche von 1816
wieder hervorgezogen und so veranlassung gegeben zu der neuausgabe von 1916.
Es ist sehr zu begrüssen, dass das büchlein Kuhns für sich erscheint, denn es ist
nicht in erster linie eine kunstgeschichtliche Untersuchung, welche der Verfasser in
grösserem rahmen baldigst vorzulegen verspricht, sondern eine ideengeschichtliche
Studie zur deutschen romantik von mustergiltiger Sorgfalt und Weitsicht. Gerade
bei diesem seiner zeit verblüffenden und epochalen werk war es notwendig, die
ideellen gruudlagen aufzuzeigen. Alles scheint zu fehlen, woraus die kunstgeschicht-
liche betrachtung neue werke zu erklären gewohnt ist: 'Das vorbild des lehrers,
die künstlerische tradition, die einflüsse durch den oder jenen zeitgenössischen
meister, eine langsam von werk zu werk zu verfolgende fortschreitung des Stils.'
Was heute für neueste bewegungen wieder gilt, das galt damals in noch
höherem grad: die kunst lebte nicht im sonderdasein neben den strömen der grossen
geistesbewegungen. Die erklärung dieser eben ganz aus der idee geborenen kunst
gibt die ideengeschichte. Und zwar sind die eigentlichen quellen literarische an-
regungen, bezeichnet durch die namen Wackenroder, Goethe, Herder, Hamann,
Matth. Claudius (s. 7). Natürlich gieng die beziehung zu Goethe zu dem jugend-
lichen Verfasser des Götz und des aufsatzes von deutscher baukunst. Alle natio-
nalistischen romantiker vor jetzt 100 jähren fanden sich zusammen in dem gegensatz
gegen alles französisch-klassizistische. Ebenso knapp wie sicher das wesentliche
vom zufälligen scheidend zeichnet Kuhn die entwicklung des nationalen gehalts
von Wieland über Mathias Claudius, Herder, den jungen Goethe, Wackenroder,
Tieck. Es wird gezeigt, wie überall das künstlerische ideal erst das nationale
erweckt (Wackenroder, Tieck, die Schlegel, s. bes. s. 25). Die religion und nicht
das patriotische moment wollte Wilhelm Schlegel der kunst verbunden sehen und
zunächst trat die deutsche kunst hinter der katholischen italienischen zurück. Wie
in Friedrich Schlegel das nationale element sich verbreitet und durchsetzt, wird
klar gemacht. Schon 1802, als er nach Frankreich zog, war er der deutschheit
voll (s. 31). Diese beherrscht dann bald seine kunstbetrachtung. 'Nachdem er
folgegerecht durchgeführt, was er zuerst in der geschichte, dann in der literatur
und zu allerletzt in der bildenden kunst erkennt, nämlich den alleinigen wert des
19*
280 KNDKKS
organisch gewachsenen und somit des lokalen, nationalen, war seine Weltanschauung
geschlossen' (s. 41). Die zeit war reif geworden für einen grossen künstler, der die
neue anschauungsweise zur gestaltung brachte, wie er erahnt war von Schelling in
der akademierede von 1807. Auch dieser künstler, Cornelius, rang sich vom
klassischen Standpunkt der 'Weimarer kunstfreunde' erst zu der neuen weit hin-
durch; das zeigt die beteiligung am Goethischen Preisausschreiben von 1799 und
die einsendung des Odysseebildes von 1803. Die brotarbeiten huldigen im ersten
Jahrzehnt des Jahrhunderts dem tagesgeschmack. Im stillen aber bereitet sich der
Umschwung vor unter dem einfluss der ßoisseree und Schlegel (s. 51 ff.), und
offenbart sich in einer heiligen familie für Dalberg von 1810, der sie, anderes von
ihm erwartend, als 'zu heilig und zu streng', d. h. also als zu charakteristisch, zu
wenig schön ablehnt. Nach diesem übergangsbild offenbart sich eine 'glühende
deutschheit' dann ganz unvermittelt in den Faustzeichnungen (die ersten sechs 1811
in Frankfurt entstanden, die übrigen in Rom 1815). Der Faust von 1808, über
dessen stil und Charakter Goethe doch damals schon ganz hinausgewachsen war,
wirkte so deutsch zündend auf ihn, wie auf die Zeitgenossen. Vergessen war alles,
was Goethe vorher in klassischer weise gedichtet hatte, man glaubte in leiden-
schaftlich nationalen kreisen, dass das grösste deutsche genie den weg zu seinem
Volke wiedergefunden habe. 'Wenn solche zeichen kommen, dann ist die
Zukunft nicht mehr fern' (Arndt). Dass dem in Wirklichkeit gar nicht so war, dass
Goethe nur halb widerwillig, gewissermassen sich historisch betrachtend bei gelegen-
heit der ausgäbe seiner Schriften als der dokumente seines Werdens, den Faust ab-
geschlossen hatte unter starker einwirkung Schillers, das ist eine wurzel der tragik
für das Verhältnis nicht nur der Boisseree zu Goethe, sondern auch ihres Schütz-
lings Cornelius. Gut, dass er, der die quellen seiner kraft jetzt in sich fühlte,
der förderung Goethes nicht bedurfte und mit dem gewundenen lob, das den
wesentlichen gegensatz verschwieg, zufrieden und glücklich war.
Es wäre zu begrüssen, wenn wir noch mehr solche brückenschlagende Studien
erhielten.
DORPAT (okt. 18)-B0NN. CARL ENDERS.
Johann Peter Eckermann, Gespräche mit Goethe in den letzten jähren
seines lebens (1823 — 1832). Kommentierte ausgäbe, herausgegeben, mit
einleitung, erläuternden und ergänzenden anmerkungen sowie mit einem register
versehen von Eduard Castle; mit 88 abbildungen und 2 handschriftenproben,
3 bände, Berlin, Bong u. co. (1918).
Wir besitzen zahlreiche ausgaben dieses unentbehrlichen hilfsmittels der
Goetheforschung und lesebuches jedes Goethefreundes. In betracht kommen ernst-
lich die erneuerung der Geigerschen ausgäbe von 1902, welche zuerst die im Goethe-
jahrbuch veröffentlichten forschungen neben den Düntzerscben anmerkungen (1885)
nutzbar machten. In dieser erneuerung Conrad Höfers (verlag von Hesse und
Becker in Leipzig) von 1913 wurde der text neu geprüft und zum erstenmal ein
reicher erläuternder bildschmuck beigegeben. Um die weitere reinigung des textes
hat sich H. H. Houben bei herausgäbe der 8. Originalausgabe von 1909 verdient
gemacht (verlag von Brockhaus). Auch für eine sachdienliche illustrierung hat er
das erste getan. Dagegen hat er für den ausbau des kommentars wenig beigebracht.
Da setzt nun die fortführende arbeit Castles ein und zwar in so mustergiltiger
ÜBER ECKERMANN, GESPRÄCHE MIT GOETHE 281
weise, dass er diese ausgäbe der goldenen klassikerbibliothek zur jetzt brauch-
barsten und damit unentbehrlich gemacht hat. Selbstverständlich hat er Houbens
neue mitteilungen auch für den text benutzt.
Die Weimarer ausgäbe, Biedermanns Sammlung der gespräche, Kipkas Goethe-
bibliographie im grundriss und H. G. Graefs 8 bände 'Goethe über seine dichtungen'
sind die materialien, die heute einen so glänzenden ausbau des kommentars er-
möglichen. Bekanntlich ist die objektive und subjektive Zuverlässigkeit Ecker-
manns mehrfach angefochten worden (Düutzer, C. A. H. Burkhardt, Biedermann).
Es ergab sich Castle daher die aufgäbe, 'bei jedem gespräch zu untersuchen, ob
Goethe das, was Eckermann berichtet, überhaupt, und ob er es an dem betreffenden
tage gesagt haben kann, dem es bei E. zugewiesen erscheint. Auf diese weise
werden komposition und kombination in E.s gesprächen festgestellt'. Diese aufgäbe
ist mit grosser Sorgfalt durchgeführt, besonders auf grund von Goethes tagebüchern
und gleichzeitigen schriftlichen und mündlichen äusserungen Goethes und Ecker-
manns. Weshalb wird zur weiteren Information nur auf das gesamtregister zur
Goetheausgabe der goldenen klassikerbibliothek und nicht auch auf das doch grund-
legende V. d. Hellens zur Jubiläumsausgabe verwiesen?
Neben dieser kritik der Überlieferung bietet Castle aber auch wertvolle er-
gänzungen auf grund der tagebücher und der briefe und nachlasspapiere Ecker-
manns. Das material gewinnt dadurch eine ungeahnte fülle.
In der illustrierung ist Castle selbständig fortgeschritten. Nach Chr. Schuchardts
katalog von Goethes kunstsammlungen Avurden die kunstblätter, von denen die rede
ist, ermittelt und in kunstdruck reproduziert. Zahlreiche originalbl^tter machte das
Goethe-nationalmuseum zugänglich, wie auch das Goethe- und Sohillerarchiv un-
gedruckte briefe Eckermanns zur benützung zur Verfügung stellte.
In der einleitung des ersten bandes wird eine geschichte des Verhältnisses
zwischen Goethe und Eckermann entworfen. Es wird gezeigt, wie sich die Ver-
trauensstellung aus einer anfänglichen probezeit (nach dem misserfolg mit Schubarth)
entwickelt, wie E. zu dem seltenen leser von Goethes Schriften wurde, der, wie
Schiller, 'verstand, literarische Produktionen ihm zu extorquieren', gewissermassen
als Vertreter des verständnisvollen publikums; wie E. auch als eifriger adept den
naturwissenschaftlichen Studien vollstes Interesse und Verständnis entgegenbringt
und sich zum einzig möglichen nachlassverwalter auswächst. Die persönlichen
Schwierigkeiten im wirtschaftlichen leben des treuen gehilfen, die inneren hem-
mungen, die von der braut ausgehen, welche mehr gesunden egoismus verlangt»
die endliche dürftige Versorgung werden dargetan.
In einem weiteren abschnitt erhalten wir eine gründliche entstehungsgeschichte
der beiden ersten teile und der beziehungen, welche sie zu andern publikationen,
wie dem briefwechsel zwischen Goethe und Schiller, gewannen, der Verzögerungen
und förderungen, welche von Goethe ausgehen, der Verlegenheiten im geschäfts-
verkehr mit Brockhaus und anderes.
Es folgt eine eingehende Charakteristik von Eckermanns arbeitsweise und
ihrer folgen für das werk, dann der Veränderungen bei der herausgäbe des 3. teils
der ja aus einem viel unzulänglicheren material erwachsen ist und eine sorgfältigere
kritik verlangt. Aus diesem gründe empfiehlt es sich auch nicht (wie es ja Deibel
in seiner ausgäbe im Insel-verlag getan hat), den -S. teil in die beiden ersten hinein-
zuarbeiten, besonders schon deshalb nicht, weil das eigentum E.s und Sorets nicht
sicher zu scheiden ist.
282 GÖTZE
Der vergleich mit Bettinas im jähr vorher (1835) erschienenen briefwechsel
Goethes mit einem kinde lag nahe. 'Bettinas denkmalsgabe bot mehr eine dar-
stellung der anbetung, als des angebeteten, nur E. zeigt den vollkommenen menschen
in seiner ganzen grosse. Darum fiel ihr der erfolg des tages, ihm der gewinn der
Zeiten zu'.
Nicht geringes lob gebührt schliesslich den ausgezeichneten rcgistern, die
die mühsame und dankenswerte arbeit erst voll nutzbar machen, zunächst ein
systematisches Verzeichnis der abbildungen und dann register nach namen, Sachen,
Schriften und kunstwerken, wobei alles, was zusammengehört, in übersichtlicher
gliederung unter einem Stichwort vereinigt ist. Diese register füllen nicht weniger
als 170 engbedruckte selten. Auch darin zeigt sich die Überlegung des heraus-
gebers, dass anmerkungen und register in einem besonderen band zusammengefasst
sind, der neben dem text liegend benutzt werden kann. Diese ausgäbe reiht sich
nach alledem würdig an die obengenannten grossen hilfsmittel, vor allem Grafs
werk an. Sorgfalt, fleiss und ruhige sachliche kritik haben auf das erfreulichste
zusammengewirkt.
DORPAT (okt. 1918) — BONN. CARL ENDERS.
Friedrich Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen spräche.
Neunte durchgesehene aufläge. Berlin und Leipzig. Vereinigung wiss. ver-
legen 1921. XVI, 519 s.
Seit dem bestehen dieser Zeitschrift ist in ihr das Etymologische Wörterbuch
noch nicht besptochen worden, trotzdem es in nunmehr neun auflagen und zehn-
tausenden von abzügen auf ganze geschlechter deutscher philologen eingewirkt und
im verlauf dieser einwirkung selbst sein gesiebt stetig gewandelt hat. Wenn darum
eine Würdigung des verdienten werks in seinem heutigen stand auf diesen blättern
doppelt angezeigt erscheint, so ist dabei nicht auf den schmalen band wesentlich
sprachvergleichenden inhalts von 1883 zurückzugreifen, sondern es ist der abstand
der neuen aufläge von ihrer Vorgängerin im Jahr 1915 abzumessen, die gleichfalls
schon vor allem Sprachgeschichte bieten wollte. Bei wesentlich gleich gebliebenem
umfang wird abstand und fortschritt leicht unterschätzt und die summe hingebender
arbeit verkannt, die in dem klug benutzten glück einer stetig wachsenden nach-
frage dem buch doch auch sein inneres Schicksal wesentlich erst bereitet hat.
Die neunte aufläge weist 90 neue artikel auf: abhang, allerhand, allitteration,
aufheben, bahnsteig, bann wäre, barfuss, bauernfänger, besen-, beting, bittschrift,
bude-, butzenscheibe, dämmer, doppelpunkt, dorndreher, einfriedigen, eisvogel,
ergebnis, exempel, fechten^, fehler, flegel-, flirren, freislich, fremdwort, gaufe, gaupe,
gefeit, gegenüber, genossame, glorie, gründonnerstag, gruppe, halbbruder, hephep,
itzt, Junggeselle, kälbern, kapieren, klapphut, klöppeln, knappschaft, kohP, köper,
ladenschwengel, lebewohl, lehnwort, liebe, löhnung, man", mondkalb, mussieren,
muten, mutmassen, norde, nordlicht, oberst, pimpeln, pinkeln, plantschen, plattdeutsch,
Pluderhose, polterabend, port, potz, prall, protze, psalm, putzig, rahne, runs, -sal,
Schlamassel, schlingern, schwalken, schwegel, selbander, Seltenheit, siel, stockt
storger, tank, trübsaJ, verschleiss, wahrspruch, weben-, wohlgemut, Zukunftsmusik,
zwiebelfisch. Diese neuen artikel zeigen die unablässige mühe des Verfassers um
ÜBER KLUGE, ETYMOLOGISCHES WJKTEUBUCU ÜER DEUTSCHEN SPRACHE 283
die Wortprobleme, sie berühren sich mit seinen übrigen arbeiten und mit vielen der
von ihm angeregten forschungen anderer. Fast noch mehr ist das der fall bei den
56 artikeln, in denen die sprachgeschichtliche auffassung oder doch ihre darstellung
neue und bessere wege zu gehen gelernt hat. Es sind: baude, beere, brett, bude',
bürste, degen''^, eilen, ekel, erbe, freitag, galosche, gaumen, gehurt, gemein, heilig,
hellebarde, humpen, hundert, kartaune, kessel, kitsch, knorpel, kuss, lugen, lump(en),
mahlen, mauer, maut, mob, morgen ', muff ', oheim, pfarre, pferch, pflüg, schach, schäkern,
Schlittschuh, schurke, sechs, sprechen, strafe, straff, sünde, täppisch, taufe, tonne,
vielliebchen, von, Waldmeister, wimpel, woche, zahm, zart, ziemen. Erweitert sind
■die artikel gülle, hurra, meute, mumpitz, mundart, orkan, prise, rädelsführer, recke,
rotwelsch, schmuggeln, tusch, Vatermörder, verrückt; gestrichen: ablang; gekürzt:
abenteuer, allod, äuge, bahre, dach, dämmern, decken, lieb. In diesen kürzungen
bewährt sich der vielerfahrene lehrer, der gern auf nebenwerk verzichtet, wenn
dadurch die wichtigen hauptzüge besser ins licht treten.
Mit all diesem leisen inneren wandel ist nun auch schon der weg vorgezeiclinet,
der der entwicklung des buches in zukunft zu wünschen ist. Denn es wird ja
schwerlich bei neun auflagen bleiben, und das schonungsbedürftige papier, auf das
1921 gedruckt werden musste, macht es doppelt wünschenswert, dass die zehnte
aufläge bald folgen möge. Für sie einige vorschlage. Neu verdienten aufgenommen
zu werden : abhilfe, absage, all, angebinde, annektieren, attacke, ausstand, azur,
babusche, bannkreis, bastei, bastion, beanspruchen, beeinträchtigen, begine, beseligen,
beteiligen, binsenwahrheit, brigant, brimborium, diphtheritis, ehrentrunk, falkaune,
faulpelz, feldzug, fibel 'nadel', gazelle, gefallsucht, gelassenheit, geuickstarre, glüh-
wein, gosche, gose, grenadier, grundsatz, hauptmann, holk, intakt, jura, jurassisch,
kadett, kai, karabiner, keuper, kodak, kokarde, kolonne, komet, kröne (als münz-
nameX kunstwort, lafette, landsturm, langeweile, lasur, liebreiz, lila, lombard, luss,
luftmeer, lützel, majestät, malschloss, marienglas, matrikel, medizin, meisterschaft,
militär, miliz, mitglied, mitwirkung, morgenstern, motette, munition, muskete,
musketier, nachreiten, nonsens, patrone, patrouille, pergament, pionier, pomade,,
primel, pulsader, punkt, pupille, qualle, regiment, rekrut, reptil, rosa, Sammler, sich
scheren, Schlüsselblume, Sekunde, sergeant, Sinngedicht, spat, 'geschwulst', Stickstoff,
Syphilis, träumerisch, tübel, ulan, ungeld, ürte, vermöbeln, violett, Völkerwanderung,
vorstellen, Vorstellung, vorwort, Waldeinsamkeit, wegwarte, wehtag, Wissenschaft,
wörtlich. Verweisungen wären angebracht von ackermännchen auf Odermennig, von
ätzen auf flözen, von barbier auf halbier, von baxen auf boxen, von beherzigen auf
erspriesslich, gelassenheit und langeweile, von echt auf gerücht, von eintracht auf
Zwietracht und beeinträchtigen, von erdapfel auf kartoffel, von flaum auf pfauchen
(wegen des anlauts), von gebären auf käfer und rächen (wegen der Schreibung mit ä),
vom himmelschlüssel auf Schlüsselblume, von jul auf Weihnachten, von kaditte auf
Schmetterling, von kapeile auf forelle, gazelle, libelle (wegen der betonung), von
krass auf grässlich, von laken auf Scharlach, von linnen auf inlett, von marmel
auf marmor, von messingisch auf missingsch, von pilger auf halbier und marmel
(wegen der dissimilation des r), von rasen auf wasen, von schleife auf kiäusel
(wegen der behandlung von altem öu), von' seidel auf kreide, von unhold auf hold,
von weitall auf all. Enttäuschend ist die gegenwärtige Verweisung von bauernwetzel
auf mumps, sie findet ihr ziel erst bei ziegenpeter.
Zahlreiche wertvolle vorschlage und nachweise bieten G. Schoppes Wort-
geschichtl. Studien 1—3 in den Mitteilungen der schles. gesellschaft für volksk. 18
2S4 GÖTZE
(1916) 71-104. 19 (1917) 215-247. 20 (1918) 121-171. Von da wären zu bereichera
oder neu zu gestalten die artikel ablaut, abmarachen, abtritt, affenschande, ampel,
anbiedern, anheimeln, animos, bildsam, blasiert, böckeln, dunstkreis, einheimsen,
energie, engelmacherin, erbaulich, erbfeind, erpicht, fee, hausmusik, juchten, kneipe,,
krach, lebenskünstler, moschus, mucker, musterstaat, naiv, paschen, putsch, salbader,
schneiden -, Schwibbogen, senkel, skala, spitz ', Steckbrief, Stimmvieh, streben, treib-
eis, Überproduktion, umsatteln, Unternehmer, wagehals, wrinschen. H. Pauls
Deutsche grammatik gibt mit bemerkungen ihres ersten bandes anlass, einige Wörter
anders zu beurteilen : allmählich 312, backen 33, biese 198, blach 275, boxen 173,
brezel 169, dolch 333, drechseln 183, drell 182, dreschen 58, drüben 206, dunst
und dust 334, eppich 311, fächeln 173, farre 179, ferkel 261, fieber 196, flegel 284,
fracht 173, fünf 203, futter 200, hauderer 338, hechse 173, 175, hippe 196, 269,
höcker 295, jener 190, käfig 187, kiebitz 198, kunkel 200, lager 174, lehnen 190,
locker 295, lolch 311, morchel 261, morgen 337, neffe 279, papagei 224, pfarre 285,
pfirsich 196, plänkeln 179, predigen 189, predigt 331, preiselbeere 224, propst 170,
rahm 174, raps 271, rettich 171, rüffel 204, rutschen 351, sahne 174, schach 352,
Schacht 312, schäm 189, schemel 186, schlafittich 304, Schleuder 338, schnauben 277,
Schoppen 269, schroff 279, seuse 183, stahl 33, stint 326, forte 173, traben 275,
trän 174, trichter 196, Ungeziefer 283, verdriesslich 206, wittib 274, zwiebel 198.
Stoff zur Umgestaltung mancher artikel und zur aufnähme neuer Wörter bietet viel-
fach P. Kretschmers Wortgeographie der hochdeutschen Umgangssprache (1918),
namentlich bei amarelle, apfelsine, aprikose, besing, bohne, Champagner, gänseklein,
inlett, kartoffel, mirabelle, orange, pomeranze, sellerie, doch auch bei vielen anderen
Sachworten. S. Singers Neidhartstudieu (1920) ermöglichen schärfere erfassung
der Wortprobleme von flau 37, geliebter 68, Schabernack 18 und wach 46. Eine
reihe wichtiger nachweise liefert A. Wrede, Köln und Flandern-Brabant (1920)
111 ff., z. b. für admiral 127, bankerott 125, bilanz 125, börse 124, galeere 126,
garnison 128, kabel 126, krakeel(en) 111, lotterie 116, makler 111, netto 125, preis
123 f., proviant 129, stoff 130, taft 131. Namentlich altersbestimmuugen und Sicher-
heit über den weg, den romanisch-neuniederländische lehnwörter nach Deutschland
genommen haben, sind aus den Kölner archivalien, die A. Wrede durchgearbeitet
hat, zu gewinnen, so auch für Wörter, die künftig aufnähme verdienten wie kanevas
131, kapitän 127, profit 123. Aus lebender mundart liefert bereicherung und be-
stätigungen z, b. E. Seelmanns aufsatz über die mundart von Prenden (krei&
Niederbarnim) nördlich von Berlin im Nd, Jb. 34 (1908) 1—39 für ammern 10,
barch 23, biest 13, egge 20, eichhom 12, hirse 16, litis 7, kieme 13, kürbis 16,
lauch 20, liesch 14, löffel 9, mauhvurf 7, miete ^ 13, quasseln 23, töle 14, zäh 11,
zecke 9, zeisig und zieche 13. Wertvolle belege sind aus Treitschkes briefen
herausgegeben von Cornicelius band 1—3 (Leipzig 1914—20) zu gewinnen für ab-
stecher 1, 330; keilen 453; krawall 159; ochsen 133. 139. 141; pepo 154; prügel-
knabe 2, 442. 3, 99. 146 (dazu auch E. v. Künsberg, Rechtsbrauch und kinderspiel,
1920 § 14); spritze 'ausflug' 1, 120. 131. 133. Zu Janhagel ders. Hist. und polit.
aufs.* 2, 445. Ein versuch, die fastnachtspiele von H.Sachs für die zwecke des
Wörterbuchs auszuschöpfen, hat noclj zu belegen geführt für ähnlich 76,40; drude
76, 110; helligen 13, 329; muff 75, 118; schranz 75,63; schwefel 57, 143. Dazu
treten aus den fabeln und schwanken bilch 876, 17; pinscher 876, 4; schampf (im
ablaut mit schimpf; 777, 11. 15. ans den werken herausgegeben von Keller 3, 471, 23^
das adverb: loh.
ÜBER KLUGE, ETYMOLOGISCHES WÖRTERBUCH DER DEUTSCHEN SPRACHE 28&
Dörffef und kleyne weyler
die brunnen hoch und lo.
Nachweise zu einzelnen Wörtern mögen sich in alphabetischer folge anreihen:
ähnlich 'similis' hat von gleich ^aequalis' nicht erst J. Kepler 1616 unterschieden,
sondern die Scheidung ist schon 1533 bei Schmid, Geometria 28 und durch das
ganze 16. Jahrhundert vorhanden: A. Schirmer, Wortschatz der mathematik (1912)3.
- Bei alchimie ist mit H. Diels, Antike technik (1914) 110 von gr. xü(ia 'metall-
guss' auszugehen. — Armee hat das ältere armada schon vor beginn des 30jährigen
krieges zurückgedrängt: aus belegen von 1617 macht das einleuchtend Helbling,
Zfdw. 14 (1912) 36. — Aufnahme verdiente babusche, das aus türk. pabudsch
über it. pappuccia und frz. babouche entlehnt ist. Das ausstrahlen vom türkischen
beleuchten pers. päpüs, serb. papudzi, rum. papuci, ung. papucz : Meyer-Lübke 6216
und Arch. f. slav. phil. 32, 386 f. Im deutschen verfolgt H. Schulz das fremdwort
zurück bis 1829. — Dass der idg. name des baren den Germanen und Slaven fehlt,
weist auf alte tabusitte: man scheute sich, den echten namen zu nennen, der das
gefährliche tier herbeirufen konnte. — Barrikade ist älter als 1695, denn Zesen
verdeutscht es 1667 mit 'stachelwehren oder spanische reiter' : Zfdw. 14 (1912)72.
Den Ursprung hat E. Ljunggren, Studier tillegnade E, Tegner (Lund 1918) 398 ff.
aufgeklärt: frz. barricade gehört zu barrique 'fass', ist berühmt geworden durch
den barrikadensonntag in Paris 1588 und damals ins span. (barricada) und it. (barri-
cata) gedrungen. In Deutschland ist barrikade bekannter erst seit 1832, volkswort
seit 1848: Zfdw. 3 (1902) 165. -^ Bei beginnen besteht die merkwürdigkeit, dass
Adelung noch 1793 das wort als 'im hochdeutschen grössten theils veraltet' abtut.
Gleich ablehnend verhalten sich Adelung, Campe, Dornblüth, Gottsched, Schönaich
gegen abenteuer, altvordern, behagen, fibel, flink, geschmack, heimat, mitglied,
sacht, schlicht, wonne, zerstreut. — Bettel ist offenbar rückgebildet aus älterem
betteln, fehlt aber bei D. Nichtenhauser, Rückbildungen im nhd. (Freiburg 1920).
— Zu bildungsphilister s. Ilbergs Neue Jahrbücher 1921 I 453. - Ungedeutet
bleibt bluse, das H. Schulz im Fremdwörterbuch seit 1827 belegt. Murray, der
blouse im engl, seit 1834 nachweisen kann, nennt es of obscure etymology. Brugsch,
sonntagsbeil. zur Voss. ztg. vom 25. Jan. 1891, sieht in bluse den kittel aus blauem
tuch von Pelusium an der Nilmündung. Die Vermutung — mehr ist es nicht — hat
für sich, dass der unterägyptische hafen ein hauptort des indigohandels war. p wäre
schon innerhalb des romanischen zu b geworden, wie bei babusche. — Bö 'wind-
stoss' beginnt durch die zeitungsmeldungen über luftfahrt seit etwa 1910 gemein-
deutsch zu werden, — Zu bohnenlied gibt die entscheidenden nachweise A. Kopp,
Zdvfv. 27 (1917) 35-49. — Brache gehört zu brechen, aber nicht als 'umbrechung
des bodens nach der ernte': der juni liegt vor der ernte und ist die zeit, in der
bei dreifelderwirtschaft das brachfeld bearbeitet wird. — Wie braten sind auch
zahlreiche andere namen für körperteile von mensch und tier früh ins rom. entlehnt:
kröpf, magen, milz, Schienbein, schiuken, wamme, wange. — Für braun habe ich
Wege des geistes (1918) 20 f. gezeigt, wie die bedeutung 'violett' von der gangbaren
auch etymologisch zu trennen und an lat. prünum, den namen der zwischen rot
und blau schillernden pflaume, anzuknüpfen ist. Dazu Zfdw. 12 (1910) 200 ff. und
K. Borinski, Sitz.ber. der bair. akad., phil.-hist. kl. 1918, abh. 10 und 1920, abh. 1.
Brausche ist mhd. nur aus der Livl. reimchronik belegt, die vier stellen zu brüsche
gen dort bedeuten aber 'auf streifwache ziehen', s. L. Meyer, Zeitschr. 4, 429 ff_
Unser brausche ist demnach erst nhd., es stellt sich zu nd. brüs, mnl. broosch, nnl.
286 GÖTZE
broos, Schwab, brausch, Schweiz, brüsch 'brüchig'. — Brigade ist als lehnwort
etwa gleich alt mit fourage und kampieren, während bataillou und batterie älter
sind. — Buchstabe nicht 'buchenstab, der zum einritzen von runen bestimmt
war', sondern 'bücherslab' im gegensatz zur rune, die man nicht ins buch schrieb.
— Diele in der nd. bedeutung 'hausflur' dringt mit einer neuen bauweise seit
beginn des 19. Jahrhunderts auch nach Mittel- und Oberdeutschland. — doppelt
ist offenbar mischform aus doppel und gedoppelt. Die belege sind der annähme nd.
einflusses nicht günstig. — Einbaum jetzt Schweiz, id. 4, 1234. — Eingeweide
wird (nach J. Grimm) gedeutet als 'gesamter Inhalt von magen und darm, bauch-
inhalt'. Inzwischen hat H. Wunderlich, DWb. 4 I 5430 glaubhaft gemacht, dass
■es vielmehr den teil des wilds bedeutet, der den Jagdhunden als 'weide' vorgeworfen
wird, und ich habe das. 14 I 575 gefunden, dass diese auffassung allein auch dem
alten verb weiden 'exenterare' gerecht zu werden vermag, das privativen sinnes ist
wie köpfen. — Unter ekel und heikel wird der Zusammenhang der beiden Wörter
erwogen. Sie sind auch bedeutungsmässig zu vermitteln. Aurifaber lässt Luther
sagen: Ich halts gewiss bei mir dafür und glaube, dass Schwaden Himmelbrot sei;
so ekel ists, wenn man mit einem Finger davon nascht, so ists verdorben Tischr. I
353, 19 Weim., und nach Veit Dietrichs nachschrift sagt er : Ego persuasus firmis-
sitne credo, quod Schwaden sit manna. So eckel ists, ivenn man mit den fingern
drein naschet, so verdirbts das. 471, 7, im lat. text: estqiie impatiens tactus. — Bei
elentier ergibt sich aus der gleichung vorgerm. *alkis, urslav. olsi, dass in sehr
alter zeit Germanen und Slaven gemeinsam im gebiet dieses dem süden fremden
tiers gelebt haben. Vgl. lachs. — elf: die form ölf beruht offenbar auf voraus-
nähme des Vokals von zwölf beim hersagen der Zahlenreihe. — eng: die beziehung
zu angst und zu bang haben die theoretiker des 17. Jahrhunderts, als sie die heutige
Schreibung mit e feststellten, offenbar nicht erkannt, ebensowenig übrigens die von
Stengel zu stange, von anstrengen zu sträng, von edel zu adel. — exerzieren
ist im 16. Jahrhundert aufgekommen: Roth 1571 bucht, Fischart Garg. 288 ver-
wendet es. Im militärischen sinn zuerst 1601: Zfdw. 14, 68. — Zu f alt er bringt
H. Krause, Geschichte der neueren zool. nomenklatur (1918) 48 wertvolle nachweise
seit 1798. — Fett weist merklich früh auf hd. boden nach K. Bücher, Bevölkerung
von Frankfurt a. M. 1 (1886) 545 : Mosche von Eppenstein, des vetten Jacobs sone,
Frankfurt 1472. — Götze in heutiger bedeutung bahnt sich in Frankfurt a. M.
schon 1376 an: Heincz Franke, gotzendreger 'der heiligenbilder zum verkauf herum-
trägt' K. Bücher, Berufe der stadt Frankfurt (1914) 53. — Grinsen in der Schrei-
bung grinzen noch Wagnervolksbuch (W^ien 1799) kap. 29: D. lit.-denkm. 3, 30, 54.
— Zu grog Sandfeld-Jensen, Sprach wiss. (1915) 46. — Hornung als einziger
monatsname aus kaiser Karls liste, der sich erhalten hat, war schon zu dessen zeit
alt. Doch spiegelt auch er schon die Verkürzung des raonats um 2 bis 3 tage, also
römischen einfluss. — Aufnahme verdiente hupe aus oberhess. huppe 'kleine schlechte
pfeife aus weidenrinde' und ähnlichem, durch das kraftfahrwesen gemeindeutsch
geworden. — Jelängerjelieber: der name ist wohl aus der langen blütezeit
der pflanze zu erklären. In Eupen heisst das Stiefmütterchen We langer we levver:
Tonnar und Evers (1899)' 226. — Aus den nachweisen für jul unter Weihnachten
wäre ein eigener artikel zu gestalten. Grundform ist *jehwla 'zeit der sclinee-
stürme' zu anord. el n. 'Schneegestöber': Kluge, Engl. stud. 9, 312. Ahd. ist *gehal^
got. 'jaX^l vorauszusetzen, mnd. jul, anord. j6l, schwed. dän. jul, ags. jeol, jeohhol,
<jngL yule sind bezeugt, dazu als monats- oder Jahreszeitname got. jiuleis, ags.
ÜBER KLLGE, ETYMOLOGISCHES WÖRTERBUCH DER DEUTSCHEN SPRACHE 287
^iuli, jeola, anord. ylir. Aus dem uraord. sind entlehnt finn. juhla 'feier, fest',
finn. joulu 'Weihnachten', daraus wieder läpp, juovla 'Weihnachten': Nilsson, Arch. f.
rel.-wiss 19 1919) 1H8. Die entlehnungen beweisen, dass die Germanen ein vor-
christliches, mehrtägiges mittwinterfest gefeiert haben. — Zu kalfatern Meyer-
Lübke 8 (i. — Kaliber hat nach A. Kluyver, Zfdw. 11, 219 ff. eine anziehende
und lehrreiche wortgeschichte. Mlat. *calibrum 'halseisen des gefangenen, kummet
des Zugtiers' wird in der älteren ballistik zur bezeichnung der lehre, durch die
der durchmesser und damit zugleich das gewicht von kanonenkugeln bestimmt
wird. So ist im 15. Jahrhundert it. calibro für das messinstrument vorhanden, es
wird etwa 1478 ins französische, nachmals ins spanische als calibre entlehnt, dabei
die bedeutung vergröbert zu 'durchmesser der geschützmündung, gewicht der kugel'.
Aus dem franz. ins nhd. entlehnt erscheint caliber zunächst als mask. bei Wall-
hausen, Kriegsmanual (1616) 108. — Kamille: die Verkürzung aus mlat. camomilla
hat sich wohl unter einfluss des römischen namens Camilla vollzogen. — Bei kegel
'uneheliches kind' darf man an mhd. kegel 'eiszapfen' denken und mit F. Pfaif,
Schneeburgen im Breisgau 20 an das unerwünschte Wachstum des schneekinds im
Modus Liebinc erinnern. Die form kekel stimmt gut: Dwb. 5, 287. 389. — Keib
%as' belegen H. Fischer, Schwab, wb. 4, 147 und Schweiz, id. 3, 100 seit dem
13. Jahrhundert. — Für kerl wird urnord. karlaz erwiesen durch läpp, källes:
W. V. Unwerth, Lit.-blatt 39 (1918) 93. - Klinge 'talschlucht' ist beute auf obd.
mundart beschränkt, war einst aber weiter verbreitet. Den ersten beleg bietet
um 820 die Hammelburger markbeschreibung: in thie teofun clingun Kl. ahd.
sprachdenkm. 62, 18 Steinmeyer. — Kofel 'bergspitze' heisst in Luzern khövl, hat
also altes o, denn Vertretung der alten länge ist oa: groas, proat. — Bei kreide
ist von vulgärlat. creda auszugehen, wie bei seide von seda. — Bei Kreti und
Pleti ist die beziehung zu der philistäischen leibwache des königs David herzu-
stellen: Pleti ist nebenform zu Pelischtim, Kreti bezeichnet den teil dieses volks,
der auf Kreta blieb und der insel den bis heute geltenden namen gab, wie die
Syrioi Palaistinoi seit Hadrian dem alten Judäa seinen noch heute giltigen namen
liehen. Aus dem Philisterland der deutschen Studenten stammt der verächtliche
klang der formel, der im alten testament durchaus fehlt: F. Stähelin, Die philister
(Basel 1918). — Der lachs fehlt im gebiet des mittelländischen, schwarzen und
kaspischen raeeres. Die Germanen, Slaven und Litauer, denen der name gemeinsam
ist, haben in sehr früher zeit gemeinsam das Ost-Nordseegebiet bewohnt. Vgl.
elentier. — Der letztere steht zuerst wohl in J. Keplers Weinvisierbüchleiu 1616,
Op. omn. 5, 6:H Frisch. — Löschen 'ein schiff entladen' hat das ihm zukommende
8S mit seh vertauscht unter einfluss von löschen, ahd. leskan. — Mahl-\ erster
wortteil in mahlschatz und mahlstatt, ist zweiter bestandteil im namen der Stadt
Detmold, alt Dietmella 'versammlungsstätte des volks'. — Bei masse ist mit H.
Diels, Antike technik (1911) 121 f. an griechisch fiä^a anzuknüpfen: das wort be-
zeichnet zunächst den brotteig, der durch hefe aufgeht, dann aber das metall, das
durch Zusatz echten materials sein volumen vergrössert. — Messe 'Jahrmarkt' ist
zuerst in Frankfurt a. M. 1329 nachzuweisen, messe- geht aus von lat. missuui 'das
aus der küche geschickte'. — Messer, mhd. mezzer, ist aus älterem mezzeres her-
gestellt, indem ein scheinbarer gen. in seinen nom. umgewandelt wurde. — Nudel
wird früh bildlich gebraucht im namen des nudelturms, eines 1529 angelegten, ehe-
mals runden Vorwerks der reichsstadt Memmingen: J. Miedel, Oberschwäbische
orts- und flurnamen (1906) 23, — Die wortgeschichte von Odermennig entwirrt
•288 (iCnZK ÜBER KLUGE, ETYM. WÖRTERBUCH DER DEUTSCHEN SPRACHE
Sandfeld-Jensen, Sprachwissenschaft (1915) 17. — Zu p a p a verspricht ausbeute
S. R. Gerstäcker, Dissertatio philologica de blanda Gallorum conipellatione Papa usu
hodie inter nos accepta, Leipzig 1708. — Pfalz in den verschiedeneu stufen seiner
entlehnung untersucht H. Schreibmüller, Pfälzische heiraatkunde 12 (1916) 51 ff.
und 13 (1917) 97 ff. — Pfeil war von seinem älteren einheimischen synonym strahl
wohl sachlich unterschieden, etwa durch eine eiserne spitze. — Das m von pflaume
erklärt A. Walde, Lat. etym. wb.- 620 aus gr. 7tpoO|j.vov: dann entfällt die mög-
lichkeit, den Wechsel von n und m in pfriem (ags. preon, anord. prjönn) mit dem
Vorbild von pflaume zu stützen. — Pfund zeigt wandel von lat. o zu u vor nasal
und konsonant wie kunkel. — Pritsche in pritzenschlaher 'narr' 1532 Luthers
Tischreden 2, 439 Weim. - Proviant 1556 bei Frisius, seit 1525 Zfdw. 14, 52^
seit 1486 das. 15, 204. — Zu ross 'honigwabe' vgl. H. Schuchardt, Sitz.ber. der
Berliner akad. 1917, 156 ff. und L. Spitzer, Lit.-blatt 38 (1917) 328. - Salweide:
ahd. salaha ist auch im namen Seligenstadt zu finden. — Bei same ist auffällig
das fehlen im gesamten englischen. — Zu schachten stellt sich in Frankfurt a. M.
zu ende des 15. Jahrhunderts secher: K.Bücher, bevölkerung von Frankfurt 1 (1886)
543. — Schimmer, rückgebildet aus dem älteren schimmern, wird seit 1734 nach-
gewiesen von D. Nichtenhauser a. a. o. 19. — Neben Schornstein steht westfäL
schotstein urspr. 'hervorschiessender stein' Holthausen, Soester mundart 105. —
Schwadron hat zwischen 1578 und 1616 älteres geschwader ersetzt: Weigand^
2, 809; Zfdw. 14, 45. — schwanen darf doch wohl mit Lindquist, Beitr. 38,329.
39, 389 von es wänet mir aus gedeutet werden. — Zu sklave Wellhausen D. lit.-
ztg. 1892 nr. 18. — Sorte ist mnd. seit 1381 nachgewiesen: Schiller-Lübben 4,
296a, hd. seit 1534: Weigand* 2, 894, sortieren das. seit 1678. — spinnen ist
in südwestdeutscher mundart verbreitet für 'verrückt sein', doch wohl, weil in Irren-
häusern alter zeit spinnen als Zwangsarbeit eingeführt war. — stauen fehlt in
obd. und md. mundart, dafür stemmen, gestemmen, stemmung in Nürnberg 1339:
Anz. f. künde d. d. vorzeit n. f. 12 (1865) 63. - Zu steif weist Dwb. 10 II 1778
weitere Verwandtschaft nach. — Teich ist von weiher landschaftlich abzugrenzen:
als romanisches lehnwort hat weiher den süden und westen erobert, ist obd. und
fränkiSch, dagegen herrscht ostmd. und nd. von altersher teich, wird von da aus
schriftwort und dringt seit ausgang des mittelalters nach Bayern und Österreich,
Thüringen und Hessen vor. — Tintenfass kommt mit dem 15. Jahrhundert auf:
Lexer 2, 1441; Dwb. 2, 1181. 11, 503. Mittelalterlich ist das tintenhorn, das der
Schreiber am pult hängen hatte: W. L. Schreiber und P. Ileitz, Die deutschen
accipiesholzschnitte (1908) tafel 45 (aus Strassburg 1500) oder in der linken hielt:
S. Brant, Narrenschiff, holzschnitt zu kap. 79 (aus Basel 1494). — Trikot wird
vonWeigand* als dunkler herkunft bezeichnet und ist in deutschen Wörterbüchern
nicht vor 1801 gebucht. Der verdacht liegt nahe, dasn der name des gewebes den
ort wiederspiegle, in dem es zuerst hergestellt wurde wie rasch und kammertuch.
Tricot ist tatsächlich ein ort im nordfranzösischen textilgebiet mit alter sarsche-
fabrikation (dep. Oise, arr. Clermont): Zedier 45 (1745) 647; Ritter, Geogr.-stat.
lex. 2 (1910) 1074a. Bereits Littre 2 (1869) 2344a erwägt die möglichkeit, vom
Ortsnamen auszugehen. — Turner hat Jahn nach turner 'junger soldat, tummel-
haffter wacker kerly' bei Moscherosch, Ges. 2 (1650) 416 gebildet. Über dessen
beziehung zu furnier s. Jahrbuch d. d. turnkunst 1893, heft 7, 8. — Urne steht
1616 in J. Keplers Weinvisierbüchlein: Vier Congij haben gemacht eine vrnam,
hat den Nameu vom Tauchen, vnd so haissen wir heutzutag den Aimer am Schöpff-
BLNZ ÜBER HODLER, WORTBILDUNG UND ■WORTBEDEUTUNG IM BERXDEUTSCHEN 289
brunnen Op. omn. 5, 592 Frisch. — Verdutzen 'betäuben' gehört zu mhd. duz, tuz
*8tos8' Dwb. 2, 1773. In Brants Narrenschilf 92, 42 spiegelt und putzt sich eine
närrin der weit zu tutz 'womit sie alle weit vor den köpf stösst'. Dazu Leitzmann,
Beitr. 41 (1916) 382. — Viertel in Stadtviertel 'quartier' zunächst bei Städten wie
Mainz, die aus römischen standlagern hervorgegangen die vierteilung im grundriss
aufwiessen, wie Zara und Spoleto noch heute. — Bei wald verdienen die plural-
formen erwähnung: ahd. walda, mhd. wälde, nhd. Wälder. — Die angäbe, dass
weigand im 18. Jahrhundert aus der wieder bekannt werdenden mhd. literatur
entlehnt sei, lässt sich bestimmter fassen. Hamann, Moser, Bürger, Arndt haben
das seit dem 16. Jahrhundert versinkende wort neu belebt, die theoretiker Gottsched
Adelung und Campe leisten keine Unterstützung, so dass das wort über den ge-
lehrten kreis (Uhland, Gervinus) kaum hinausdringt. — Unter Weihrauch, das seit
mitte des 8. Jahrhunderts in Oberdeutschland auftritt, und von da nach Mittel-
deutschland drang, bevor die ags. mission ihre Wörter dort einbürgern konnte
(Braune, Beitr. 43, 404), wären zu ahd. wihrouch und mhd. vvi(h)rouch auch die
formen der übrigen germ. dialekte zu fügen : asächs. wihrok, mnd. wirök, mnl.
wierooc, nnl. wierook und dän. virak. — Wiemen: auf eine lautliche Schwierigkeit
im Stammvokal weisen mnl. wime Verdam, Mnl. handwb. 694 und westfäl. wuime
(mit ui aus i) Holthausen, Soester mundart 106 gegen nnl. wieme Kramer (1759)
2045. - Zu zahl vgl. ßosenhagen, Zfda. 57 (1920) 189 f. - zer- ist obd. mundart
heute und seit langem fremd.
Aus vielen einzelerkenntnissen baut sich die geschichtliche deutsche wort-
kunde auf, zu deren gebäude unter den lebenden keiner so viel bausteine geliefert
hat, wie Friedrich Kluge. An sich kann man fragen, ob dem gegenständ die form
fortlaufender darstellung nicht ebenso angemessen wäre, und ganz ist deren ton
den artikeln des wb. nicht immer ferngehalten. Der erfolg hat durch nun fast
40 jähre dem entschluss recht gegeben, den der Verfasser als junger anfänger ge-
fasst hat, der uns als reifer meister in seiner deutschen Sprachgeschichte nun auch
die fortlaufende darstellung beschert hat.
FREIBURG I. B. ALFRED GÖTZE.
Werner Kodier, Beiträge zur Wortbildung und Wortbedeutung im
Berndeutschen. (Sprache und dichtung. Forschungen zur linguistik und
literaturwissenschaft, herausgegeben von Harry Maync und S. Singer. Heft 16).
Bern, A. Francke 1915. 166 s. 4,40 m.
Manfred Szadrowsky, Nomina agentis des schweizerdeutschen in
ihrer bedeutungsentfaltung. 1. teil. Zürcher dissert. Frauenfeld,
Huber u. Co. 1917. 86 s. (Erscheint vollständig als band 12 der von A, Bach-
mann herausgegebenen 'Beiträge zur schweizerdeutschen grammatik'.)
Die mundartforschung hat bisher viel zu ausschliesslich sich der laut- und
formenlehre zugewandt und ist an der fülle von problemen, welche die Wortbildung
der mundarten bietet, mehr oder weniger achtlos vorbeigegangen. Nach dem er-
scheinen einer so ausgezeichneten grundlage für weiterdringende einzeluntersuchungen,
wie wir sie in der zweiten abteilung von Wilmanns' deutscher grammatik besitzen,
war das eine unbegreifliche Unterlassung. Es ist darum mit freuden zu begrüssen,
dass darin ein wandel sich anbahnt, und zu wünschen, dass die beiden vorliegenden.
290 BINZ
das hochalemannische gebiet betreffenden Untersuchungen bald zahlreiche nachfolget
in anderen teilen des deutschen Sprachgebietes finden werden. Denn beide sind
tüchtige und wertvolle leistungen und können, wenn auch nicht vielleicht in allen
einzelheiten, als vorbildlich bezeichnet werden.
Ho dl er macht es freilich dem leser nicht ganz leicht. Ohne irgendwelche
Vorbereitung über ziel, methode und umfang seiner Untersuchungen, über das Ver-
hältnis der gesprochenen lelTendigen mundart zur literarischen Überlieferung, über
die in der gesprochenen spräche sich bemerklich machende Schichtung nach ständen,
berufen usw., ohne erklärung der von ihm angewandten abkürzungen für die von
ihm benützten textausgaben und grammatischen monographien beginnt er seine
darstellung. Auch sein kurzes Inhaltsverzeichnis gibt kaum einen riclitigen begriff
von der mannigfaltigkeit der gegenstände und der art der beobachtungen, die er
uns bietet.
Wir heben hier einige der wichtigeren feststellungen hervor und knüpfen je
nach umständen sich aufdrängende bemerkungen daran. Zunächst behandelt H.
die ableitung von verben aus Substantiven. Eine solche ist bei den meisten kon-
kreten Substantiven möglich durch die beifügung der infinitivendung -a (^zscÄ.-fjsc/ta),.
wobei sich gewisse lautliche besonderheiten ergeben bei den vokalisch endenden
Substantiven, namentlich denen auf -i (beri : bera), oder bei solchen, in denen n im
auslaut verstummt ist (stet : steina, räga : rägna). Hiatustilgend ist n in schuana :
schua, flöna :flö, auch tv und j z. b. in souiva : sou, farbreija : brei. Diese art der
bildung ist im Bemdeutschen durchaus lebendig und zwar in einem viel weiteren
umfang als dies z. b. im Baseldeutschen möglich wäre. Dass der Wortschatz beider
mundarten ganz erheblich von einander abweicht, ist allgemein bekannt; über-
raschender ist die weitgehende Verschiedenheit nicht nur in den mittein der Wort-
bildung, sondern auch in dem grad der lebendigkeit der gleichen mittel. Fürs
Bernd, ist es bezeichnend, dass nur ein geringer teil solcher ableitungen von verben
aus Substantiven zum festen bestand des mundartlichen Wortschatzes gehört, dass
vielmehr die meisten hervorgebracht werden können, um einem augenblicklichen
bedürfnis zu genügen und dann wieder fallen gelassen zu werden. Doch bedarf
diese aufstellung wieder einer einschränkung: tatsächlich wird doch nur ein kleiner
teil aller möglichen ableitungen gebildet, da diese bildung eben sich nach dem
bedürfnis richtet. Wo ein solches sich einsteilt, und wo nicht, lehrt eine Übersicht
der bedeutungen. Von allen an sich möglichen bedeutungen wird naturgemäss
diejenige am ehesten verwirklicht, welche die im vorstellungskreis des sprechenden
am wesentlichsten und engsten mit dem substantivbegriff verbundene tätigkeit be-
zeichnet. Die ableitung erscheine nicht in bedeutungen, sagt H., für welche die
spräche bereits über einen verbalen ausdruck verfügt. Beispiel: holza nicht = holz
kunstvoll verarbeiten, da dafür verben wie schnitza, schrinara, zimmara usw. vor-
handen sind.
Beispiele : schrinara^ schlossara, spünglara, aber nicht wäbara, seilara, chorbara,
hekcha, weil dafür wäba, seih, cJiorba, bacha vorhanden sind; wohl chirsa, nussa,
öpfala, bera, höuja, grasa — kirschen usw. ernten, nicht aber chorna oder milcha, weil
dafür ärna, mälcha existieren. In solcher allgemeinheit ist freilich, wie Behaghel
im Litbl. f. germ. und rom. phil. 1917, sp. 306 mit recht hervorhebt, H.s behauptung
kaum richtig. Tatsache ist, dass die meisten der üblich gewordenen verbal-
ableituugen eindeutig sind und sich in bedeutungsgruppen zusammenfassen lassen.
Auf eine durchbrechung seines grundsatzes macht H. selbst aufmerksam, die herbei-
ÜBEK HODLEK, WORTBILDUNG UND WORTBEDEUTUNG IM BERNDEUTSCHEN 291
g-eführt wird durch das nebeneinander von synonymen, die entweder verschiedenen
landesgegenden oder verschiedenen Standessprachen angehören; auch unterschiede
der Vulgärsprache von der spräche der gebildeten spielen dabei gelegentlich mit.
Natürlich ist verf. auch sonst noch häufig im verlauf der arbeit genötigt, auf die
Verschiedenheit des Sprachgebrauchs in stadt und land hinzuweisen, auf eigenheiten
der Schüler- und Studentensprache und anderer berufs- und Standessprachen zu
achten und auch dem nicht nur in der stadt, sondern auch auf dem sonst doch im
allgemeinen zäher am alten hängenden land sehr tief gehenden einfluss der Schrift-
sprache aufmerksamkeit zu schenken. Das ist vielleicht nicht immer in genügendem
masse geschehen und mag zum teil in einer schwäche des Verfassers, dem in der
jungen generation erstaunlich verbreiteten mangel an Sprachgefühl für das, was
echt mundartlich ist und was nicht, begründet sein.
Im einzelnen weist das Bernd, hinsichtlich der ableitung von verben aus
Substantiven deutliche unterschiede gegen das Baslerische auf. Vielfach kennt
Basel solche ableitungen gar nicht oder nur in geringerem umfang; z. b. bei den
berufsbezeichnungen fehlen von H.s beispielen im Basl. sciuiestar», schuemachara,.
steihoutvdrd, taglöndra, üremachara ; von verben, die eine Zubereitung, herstellung-
oder ähnliches bezeichnen, kennt das Basl. nur wenige der angeführten z. b. mosta,
chüachh. Unter den das versehensein mit etwas bezeichnenden verben sind dem
Basler unbekannt tappeta, asfaltd statt tapeziara, asfaltiara. Meist ganz unmöglich
sind dem Basler bildungen, die ein herbeischaffen, sammeln, suchen, gewinnen be-
zeichnen : chirsa, nussa, bera, chöla, feijala, blüamala, ebenso solche, die ein fortschaffen,
befreien von etwas ausdrücken: asta (bäume beschneiden), barta (rasieren). Aus
H.s 5., andersartige Verhältnisse des verbums zum substantivischen grundwort
zeigenden gruppe finden sich im Basl. nur betta, sunna, lufta, brosma, löffla, buach^
(Lehnwort aus der schriftspr. !), zäna wieder.
Bei den aus adjektiven abgeleiteten verben ohne umlaut, ausläufern der ahd.
e?i-verben, erscheint die umlautslosigkeit als das die gruppe zusammenhaltende
Clement; auch die bedeutung ist einheitlich eine inchoativ-intransitive, während
der etwa daneben vorhandenen umgelauteten form faktitive bedeutung zukommt.
Auch hier wieder ist diese ableitungsweise im Bernd, viel lebendiger und ver-
breiteter als im Basl., wo sie fast gar nicht mehr anzutreffen ist. Im Bernd, selbst
aber ist ihr gebiet weniger gross als das der ableitung von verben aus Substantiven.
Auszuschliessen sind alle adjektive, die mit einem als solchen noch gefühlten
Suffix verseilen sind, alle partizipien und alle zusammengesetzten adjektive. Der
bedeutung nach zerfallen diese verba inchoativa in zwei ungleich grosse gruppen,
die einen sind perfektiv oder resultativ: frda, swra = faul, sauer werden; die an-
deren, viel zahlreicheren sind imperfektiv: magara = magerer werden, junga = jünger
werden. Ausschlaggebend für die bedeutung ist der begriffswert der zugrunde
liegenden adjektive; bei absolutem begriffswert hat die ableitung perfektiven, bei
relativem komparativische bedeutung, wobei relativ nicht in syntaktischem, sondern
in lexikalischem sinne zu nehmen ist, d. h. relative adjektiva solche sind, deren
begriffswert neben verschiedenen beziehungswörtern sich verändert wde z. b. gross
in 9 grossi flö, a grossa boum. Am veränderlichsten sind die mass- und grössen-
bezeichnungen wie gross, läng, breiig dikch, hoch, alt, schivär ; schon bestimmter
sind die negativen chll, chnrts, schmal, dünn, jung, da man wohl sagt numa tswe
mi'tar gross, läng, hoch, aber nicht tsice nietar chiirts. Absoluter bedeutung nähern
sich färben- und geschraacksbezeichnungen, unbedingt absolut ist etwa töd. Aber
292 BIN/.
die Veränderlichkeit des begriffswerts wird durch das beziehungswort eingeschränkt :
siir mag noch verschiedene grade zulassen in siira öpfal, sür3 wi, aber in sih-i milch
iat es absolut. Entsprechend tritt auch beim verb bei verschiedenem Subjekte das
komparativische momeut mehr oder weniger hervor; es wird z. b. stärker empfunden
in as rhaltät, wenn vom wetter die rede ist, als in tsuppd chaltat, wo ehalt die be-
stimmte temperatur ungewärrater speisen bezeichnet.
Die ableitung wöU (as woht mar) beziehe ich lieber auf einen satz wie »s
isch mar wöl als mit H. auf ein » bi wöl, das doch einen andern sinn (= ich bin
gesund) hat.
Die ^an-ableitung ist nicht mehr produktiv. Bildungen dieser art weichen
immer mehr der direkten verbalisierung, also nagb gegen mhd. negeln, antworta
gegen mhd. antivürten, chalcha gegen mhd. kelken usw., im wesentlichen mit der
Schriftsprache übereinstimmend ; doch wird dieser gegenüber die umlautslose ab-
leitung in der mundart durch den umstand unterstützt, dass hier die vokale dem
Umlaut mehr widerstanden als im mitteldeutschen. Welche lautgeschichtliche regeln
iJafür gelten, gibt H. leider nicht an. Es sind im Bernd, wohl schon in früher
zeit nebenformen analogischer art im engsten anschluss an die nicht umgelauteten
nomina anzusetzen. In vielen fällen war durch die verschiedene entwicklung der
laute oder der bedeutung die beziehung zwischen ableitung und grundwort ver-
dunkelt ; solche fälle fielen natürlich als muster weiterer ahleitungen ausser betracht.
Die beispiele H.s scheinen mir dabei nicht durchweg treffend: litscha 'knüpfen'
gehört eher zu litsch als zu latsch, strala zu stral 'kämm', nicht zu strdl, schweitse
'rösten' zu schweitsi 'bratenbrühe' eher als zu schweis.
Die mundart lässt ein bestreben erkennen, die faktitiven (jati-) ableitungen
von den inchoativen (in-) ableitungen auch formal zu scheiden; da aber die gruppe
der inchoative viel geschlossener dasteht, muss das faktitive verb nach einer neuen
"form suchen. Diese findet es echt mundartlich fast ausschliesslich in der Um-
schreibung mit 3LAjekü\ + macha : grad macha, länger macha usw. Was H. an an-
deren bildungeu auf s. 18 unter a, ß, y aufführt, ist fast ausnahmslos nicht echt
mundartlich, sondern aus der Schriftsprache übernommen.
Eine sehr ergiebige quelle der verbalen neuschöpfung bildet dagegen wieder
die ableitung mit den suffixen -la, -ala, -arla, mit der meist, aber nicht ausnahmslos
eine deminutive, häufig eine iterative, frequentative und intensive bedeutung ver-
bunden ist. Die entscheidung der frage, ob die deminuierung dem verbum oder
schon dem zugrunde liegenden Substantiv zukommt, ist nicht immer leicht, Sie
wird dem verbum zukommen, wo ein zugrunde liegendes deminutives verb oder
Substantiv nicht zu belegen ist wie in hratla 'leicht braten', und umgekehrt dem
Substantiv in fällen wie chüachla 'kleines buttergebäck backen', schibla 'in kleine
scheibchen schneiden' zu chüachli, srhibli. Weniger zuverlässig ist der umlaut als
kriterium. H. stellt die allgemeine regel auf, dass die deverbativa auf -ala um-
gelautet, die auf -la umlautslos sind. Verba auf -ab ohne umlaut oder solche auf
la mit umlaut sind in der regel denominativ, nicht deverbativ. H. stellt so (mit
recht) sandaU 'mit sand figuren modeln' zu sand, nicht zu sanda 'sandstreuen', die
umgelauteten hakla, rhüachla, rössla zu hdka, chuacha, ross (richtiger vielleicht zu
den entsprechenden deminut.subst. h'nkli, chüachli, rössli).
Hodler in seinen sehr eingehenden ausführungen über die Verwendung und
bedeutung der drei suffixe zu folgen, würde zu weit führen. Er gibt viele rech
LJ5KU 110]>LEK, WORTBILDUXU UND WOBTBEDEUTUXG IM BERNDEUTSCHEN' 298
feine beobachtungen. AViederum fällt der unterschied zwischen Bernd, und Baseid.
in vielen punkten auf.
Das Suffix -U ist zwar sehr häufig, aber weniger produktiv als die beiden
andern; oft haftet den damit abgeleiteten verben ein tadelnder, spöttischer, gering-
schätziger ton an, der auf andere verben dieser gruppe, auch isolierte, übergehen
kann: häriwrU, tsürchdrla 'wie ein Berner, Zürcher sprechen', ässle, ärU, stakkh
alle drei sprachliche Unarten, beinh, scheichU, füdh Unarten des ganges bezeichnend.
Besonders die bubensprache liebt diese bildungen: töüchh 'beim baden untertauchen',
tsügb 'schwimmen', iürntschU 'turnen'. In dem masse wie das suffix sich von rein
deminutiver bedeutuug entfernt, wird es dem burschikosen gefühlston zugänglich,
für die eigentliche kindersprache aber, die einen zärtlichen gefühlston verlangt,
unverwendbar. Auf verschiedenen wegen führt dann die deminuierende bedeutung
zur iterativen und frequentativen: fragh, pröble, schnäpsh, schlükchh.
Viel produktiver ist -da, das meist mit umlaut des stammsilbenvokals ver-
bunden ist. Es hat sich ergehen aus verbalisierung von Substantiven auf -all : blüa-
ntdla, schätsaU; durch ableitung aus Substantiven auf a, ( mvitois -U : rägaU, tropf ah,
chirsaU, herala ; aus verbalisierung von Substantiven auf -3l:öpfala, die sonst freilich
in der regel zur form -la führt: meissla, löffla, gahla. Die formen löffala, gäbah
bezieht mein Sprachgefühl lieber auf die deminutiven substantiva löjfali, gäbeli, als
dass ich sie mit H. für weiterdeminuierung der verba löffla, gabla halten möchte.
Dieses suffix ist häufig in bezeichnungen von spielen oder spielerischen be-
schäftigungen, meist denominativ: wägala 'zum vergnügen mit einem kleinen wagen
fahren', sandala, härdela (aber basl. sandla, dräkla) 'mit sand, erde spielen', scMtsala
^liebeln'; am häufigsten aber vermittelt es — seiner beliebtheit in der ammen- und
kindersprache entsprechend — eine zärtliche, kosende bedeutung: chumala [basl.
kiimali!] tsu mir, gangala nid tsum pappali! heschala dürstali? Diese letzteren bei-
spiele sind allerdings insofern nicht ganz zutreffend, als nicht etwa alle formen der
verben chumala, gangala usw. gebildet werden, sondern nur der 2. person sing. ind.
präs. od. dem imperativ die Verkleinerungssilbe angehängt wird.
Leicht entwickelt sich daraus eine bemitleidende, dann eine ironische, endlich
eine verächtliche bedeutung; doch schwächt die deminution eine schon vorhandene
tadelnde bedeutung ab z. b. in waschala, chosala, pfösala vom unbehilflichen gang
kleiner kinder gegenüber dem gröberen waschla, chosla, pfosla.
Eine hauptfunktion ist aber die bezeichnung der ähnlichkeit : sürala 'säuerlich
riechen oder schmecken', gröüjala nach Schimmel, röükala nach rauch, nüachtala
modrig riechen, möntschala, bökchala, tsäpfala nach menschen, nach dem bock, nach
dem pfropfen riechen oder schmecken ; häufiger wohl denominativ als deverbativ,
da die meisten von H.s bcispielen deverbativer entstehung ebensowohl auf deno-
minativen Ursprung zurückgeführt werden können.
Den ableitungen dieser art mit frequentativer oder iterativer bedeutung stehen
im Baseid. nicht selten bildungen ohne mittelvokal gegenüber: lotla 'wackeln',
kitsla, wakla, kessla 'lärmen', niggla 'tadeln' gegen bernd. lodala, chutsala, waggala,
nikkala.
Das jüngste der drei suffixe ist -arla, das die höchste Steigerung jedes demi-
nutiven gefühlstons ausdrückt. Es ist im Bernd, viel produktiver als im Baseld.,
während es im schriftdeutschen fast kaum nachweisbar sein dürfte, jedenfalls bei
Wilmanns nicht belegt ist. Es dient zur deminuierung von verben : chocha : chöcharla,
tsabla : isäbarla, tritt aber niemals selbständig an nominale stamme. H. rechnet
ZEITSCHKIFT F. DF.UTSCHE PHILOLOGIE. IJD. XLLX. 20
294 BiNZ
höppdrU neben boppla 'klopfen' (mit unrecht) zu den isolierten, da ein boppar» da-
neben fehle. Ein solches hat gewiss im Bernd, so gut daneben bestanden wie
heute noch im Baseid.
Ein letzter abschnitt gilt den übrigen verbalsuffixen, die meist nicht mehr
produktiv sind: -Jra, -tsa (-ksa, -sa, -tsch»), -na, -iara, -Igd. Da bleibt auch nach
Rödlers ausführungen noch manches aufzuklären, sowohl hinsichtlich der geschicht-
lichen entwicklung wie des heutigen zustands, namentlich des nebeneinanderbestehens
verschiedener solcher ableitungen vom selben stamm. Bei den unpersönlich ge-
brauchten verben auf -ara, die einen unwiderstehlichen, sich immer wieder meldenden
drang ausdrücken, wie es schläffarat mi, es lächarat mi^ es chötsarat mi (mir ist
kotzerig), es leyarat mi (es bringt mich zu fall) weist H. die Vermutung, sie seien
nach dem Vorbild von es hungert mich entstanden, mit dem hinweis darauf ab, dass
dieses Vorbild in der mundart gar nicht vorkomme; ich muss gestehen, dass mir
auch die beiden zuerst genannten beispiele den eindruck machen, dass sie nicht
echt mundartlich seien. Aus dem Baseid. Hesse sich es tschüderet mi (mich schaudert,
aber nicht in moralischem, sondern in rein körperlichem sinne = ich schaudre zu-
sammen), hinzufügen. Dass futtara 'schimpfen' aus franz. foutre abzuleiten sei, ist
mir lautlich und der bedeutung wegen wenig wahrscheinlich. Spudara 'mit starker
Speichelentwicklung sprechen' wird mit spöütsa verwandt sein. Dieses Verhältnis
der verschiedenen ableitungen vom gleichen stamm-, das wir noch oft beobachten
(vgl. z. b. lottla neben lodara, gagla neben gagara 'sich unruhig hin- und herbewegen',
zettla neben zattara) verdiente eine eingehende Untersuchung, die auch auf das Ver-
hältnis der Stammvokale und der stammauslautenden konsonanten (z. b. basl. tschät-
tara gegen bernd. tschädara) auszudehnen wäre. Lohnend wäre auch eine gonder-
darstellung der verben &\\i-tsa, -ksa, -sa, -tscha (die auf ältere -aszen und -/sön-bildungen
zurückweisen) und ihrer bedeutungsentsprechungen in anderen ableitungsarten.
Hodlers etymologieu dieser verben scheinen mir da grossenteils sehr anfechtbar,,
lautlich wie inhaltlich.
Von den zahlreichen präfixen des mhd. sind im Bernd, nur noch fer- und er-
wirklich produktiv (im Baseid. nur noch fer-). Auch dieses kapitel würde zu er-
schöpfender behandlung, wie H. selbst sagt, einer speziellen und reichen material-
sammlung bedürfen; was er gibt, ist mehr zufälliger art.
Das prätix g {k)- <: ge- wird an folgendes b, d, g, p, t, ts echt mundartlich
assimiliert und zwar reichen die anfange dieser assimilation in mhd. zeit zurück.
Ich glaube nicht, dass H.s annähme, dass daneben von jeher nicht synkopierte und
nicht assimilierte formen als die korrekteren fortbestanden, richtig ist. Ich meine
in der tat, dass Wörter wie gehät, gehurt, gedankche, gedult, gebore aus schriftsprach-
lichem einfluss (dazu gehört auch der einfluss der Bernischen kanzleisprache) zu
erklären« seien ; denn alle diese Wörter erkennt das unverdorbene Sprachgefühl mit
Sicherheit als fremdlinge. Entsprechendes gilt für die vorsilbe be-. Das im ein-
zelnen zu belegen, würde überflüssig viel räum kosten. Überraschend ist H.s fest-
stellung, dass auch im Bernd, (wie im Basl.) die perfektivierende kraft der vorsilbe
ge- nicht mehr produktiv sei. Das stellt das Bernd, mit dem Baseid. in gegensatz
zur mehrzahl der schweizerischen raundarten, namentlich der ostschweizerischen,
in denen diese funktion noch lebendig ist. So ganz abgestorben ist ge- in dieser
bedeutung übrigens auch im Bernd. — wenigstens auf dem lande — noch nicht.
Das unfeste k- nach dem hilfsverb möga = 'imstande sein', 'vermögen', das nach
möga — 'geneigt sein', 'lust haben' niemals erscheint, kann doch nur so erklärt
ÜBER HOLDER, WORTBILDUNG UND WORTBEDEUTUNG IM BERNDEUTSCHEN 295
werden : i ma klouffd = 'ich kann [die strecke] gehen' in resultativem sinne, aber
i ma loxiffd = 'ich habe lust, [zu fuss] zu gehen', weil da die durative bedeutung
des infinitivs der Zusammensetzung mit g- im wege steht. In der Stadt Bern frei-
lich fängt der unterschied an, zu schwinden, zweifellos unter dem einfluss der
Schriftsprache. Wo die zusammengesetzte form sich von der nicht zusammen-
gesetzten in ihrer bedeutung schon weiter entfernt hat, ist auch in der stadt das
präfix regel: i ma kchö = ich kann auskommen, ich habe genug; es ma klänga 'es
kann langen, ausreichen'.
Die partizipia präteriti sind noch nicht durchweg mit dem präfix versehen.
Einzelne an sich effektive verben entbehren wie in alter zeit des präfixes: chö,
tcordd, fundd (wenigstens auf dem lande). Dagegen geht die mundart in der hinzu-
fügung von g zum partizip vielfach weiter als die Schriftsprache bei den verben
auf -iard, bei denen es nicht — wie Hodler meint — darauf ankommt, ob das fremd-
wert schon in sich ein präfix enthält, sondern einfach auf den grad der Volks-
tümlichkeit des lehnworts: echt mundartlich gewordene nehmen das g- an, nicht
echt mundartliche nicht. Dass in formen wie fidrkekkat 'viereckig', sdillfkschudnat
'Schlittschuh gelaufen' das präfix nach dem muster des partiz. trennbarer komposita
ins innere des wortes gedrungen sei, bedarf wohl des Zusatzes, dass dies bewusst
humoristische neubildungen etwa wie schriftspr. fnVigestückt sind, die dann all-
mählich allgemein üblich wurden.
Aus dem umfänglichen kapitel über die häufigste und produktivste aller
Partikeln fer-, die im alemannischen auch das alte zer- fast ganz verdrängt hat,
mag einiges hervorgehoben weiden, zer- ist in der stadt Bern völlig verschwunden,
auf dem lande im allgemeinen nur in spärlichen resten, im Berner Oberland aber
verhältnismässig wohl erhalten, fer- erscheint auch an stelle von he- z. b. far-
schmird, farchräntsa, von er- z. b. fdrtsella 'erzählen', farsuffd, fartragd, farUda,
farbarmd, si farchelta. In gruppe 7 sind wieder allerhand beispiele aufgenommen,
die sicher nicht echt mundartlich sind: fararbeita, fam-ässara, farsilbara, fargöttara,
farbinda, si farloba, si farhürdta, ebenso in gruppe 9 farbliba 'sitzen bleiben in einer
klasse', in gruppe 11 fardikcha, farwij,astd, faruntröüja, farwarlosa, farliadarlecha ,
farschönara, farbessara, ferbösara, farmera, fargrösara, fardiUnard (echt mundartlich
dicker machen usw.).
Im gegensatz zum Baseid., wo es nur noch isoliert und erstarrt sich findet,
ist im Bernd, auch er- noch produktiv. Es ist öfters an stelle von en- oder ein-
getreten, bald vermöge einer bedeutungsberührung, bald infolge einer mehr äusser-
lichen, lautlichen ähnlichkeit, wird aber seinerseits häufig durch fer- verdrängt.
Ertrünna scheint eher zur gruppe der Zusammensetzungen mit er + ent zu gehören,
in der wir etwa noch artle'na, artschUpfa finden. Diesen stehen nicht nur in ost-
schweiz. mundarten, wie H. meint, sondern auch im Baseid. Zusammensetzungen
mit fert- aus ver -\- ejit gegenüber: fartwütscha, fartschldffa, fartUna, fartlaufa, die
der Bernd, mundart ganz unbekannt sein sollen. Produktiv ist das präfi« er- nach
H. nur in unsinnlicher bedeutung, indem es entweder zur bildung von verben dient,
welche eine eintretende handlung bezeichnen, oder von solchen, bei welchem der
abschluss der tätigkeit ins äuge gefasst wird; namentlich von der gruppe der
verben aus, die als objekt das ziel der tätigkeit haben wie arbätüa, arrdta, arläba,
artrouma, arioütscha, arlüga, gelangt das präfix im Bernd., abweichend vom Baseid.,
zu fast unbeschränkter Produktivität. 'Das kompositum besagt, dass das affizierte
objekt durch die im verbum simplex ausgedrückte tätigkeit erreicht, gewonnen
20*
296 BiNZ
wird, oder dass die auf das affizierte objekt gewendete tätigkeit den zweck
erfüllt.'
Die aus Zusammensetzungen mit betonten Partikeln bestehenden perfektiven
Verben verspricht H. an anderer stelle zu behandeln.
Der zweite teil des buches (s. 65 bis schluss) ist dem Substantiv gewidmet.
Zunächst handelt H. über das geschlecht, über fälle von unentschiedenem geschlecht,
über anhaltspunkte zur bestiramung des geschlechts, über geschlechtswandel infolge
lautlicher Veränderungen. Dann führt er im einzelnen die abweichungen vom ge-
schlecht der Schriftsprache auf, die häufig auf unterschiede zwischen ober- und
mitteldeutsch seit mhd. zeit zurückgehen. Sonderbar, aber durch ähnliche beobach-
tungen z. b. in Württemberg und in Rheinhessen bestätigt, ist dabei der unterschied
im geschlecht der buchstabennamen, die in protestantischen gegenden neutra, in
katholischen maskulina sind. Dass balU fem. 'der ball' sein geschlecht einer an-
lehnung an chmgU 'kugel' verdanke, ist zweifelhaft, man kann auch an einfluss
des französ. la balle denken. Auch im geschlecht weicht das Bernd, vielfach vom
Baseid. ab. Weiter behandelt H. die doppelgeschlechtigen substantiva, d. h. solche,
bei denen das geschlecht aus verschiedenen gründen schwanken kann oder die
in verschiedenen bedeutungen mit verschiedenem geschlecht auftreten. (Sollte das
weibl. geschlecht für back bei Albr. v. Haller nicht auf mittel- oder niederdeutschen
einfluss aus seiner Göttinger zeit zurückzuführen sein?)
Es folgen einige selten über die einteilung der substantiva in absolute und
relative, abstrakte und konkrete, dann der wichtige dritte abschnitt über die bildung
der substantiva, in welchem H. sich aber auf diejenigen ableitungen beschränkt,
die noch produktiv oder doch durch eine genügende anzahl von beispielen vertreten
sind, um als gruppe gelten zu können, und wo zugleich die ableituug als solche
durchsichtig ist. S. 90—112 nehmen die nomina agentis ein. Ich erwähne aus
der übrigens — wie auch ein vergleich mit Szadrowsky lehrt — keineswegs er-
schöpfenden und auch nicht ganz klar angeordneten darstellung einige besonder-
heiten. Reste des noch im mhd. substantivisch auftretenden schwachen adjektivs
hat die mundart des landes noch erhalten in a stumm, a bling 'ein blinder' {mancher
halbbling bei Gotthelf), a tvältsch 'ein Welscher', a meisterlos 'ein unbezähmbarer
mensch'). Die von H. aus der Stadtmundart angeführten beispiele chund, her, müntsch,
nütnuts, stach sind ältere, heute isolierte bildungen. Warum H. bildungen wie »
schlamp, schlarp, tschalp, hötsch 'nachlässiger mensch, trottel', schuaputs, schuatvüsch
für jung ansieht, ist nicht klar. Reicher als das Baseid. ist Bernd, an bildungen
von nomina agentis auf -/, namentlich an solchen mit tadelndem und schmähendem
sinn. Von jedem verb solchen Inhalts kann im Bernd, ein männliches Substantiv
auf -| abgeleitet werden: dampi 'schwätzer', tschalpl 'trottel', trappt 'einer, der
schwerfällig auftritt', stürmt, stnidli usw. Von verben, denen an sich dieser tadelnde
nebensinn nicht zukommt, werden solche ableitungen nur dann gebildet, wenn sie
einen tadelnden sinn annehmen können: a redt 'ein vielredner', a re^fan 'wer überall
und bloss zum kujonnieren befehlen will.' Den maskulinen auf -/ stellt sich eine
weibliche ableitung mit dem schwachen suffix a (< germ. o?;) an die seite: dampa,
tschalpa, trappa, stürma. Im allgemeinen gehören freilich diese ableitungen mehr
der mundart des landes an; in der stadt sind sie seltener (wie auch das ßaseld.
sie gar nicht kennt), und werden durch Zusammensetzungen wie bri'iali-, tsanki- wfb
{• frou, -meitlj) vertreten. Die Verwendung dieses suffixes zur derainuierung kommt
später zur spräche.
ÜBER HODLEK, WORTBILDUNG UNI) WORTBEDEUTUNG IM BERNDEUTSCHEN 297
Das in der mundart wie in der Schriftsprache noch produktive suffix -ar
(-Ur, -nar) ist ursprünglich bei ableitungen aus Substantiven zu finden. Das Sprach-
gefühl der mundart bezieht aber heute alle ableitungen, die dies irgendwie erlauben,
lieber auf verben. Die unterschiede der bedeutungsgruppen spürt Szadrowsky mit
schärferem sinne auf als H., dessen Stoffsammlung übrigens auch nicht erschöpfend
ist. Einige besonderheiten seien angemerkt. Die schülersprache liebt die langen
Wörter, namentlich die langen Zusammensetzungen, durchaus nicht und greift darum
auch bei den ableitungen auf -ar zu gewaltsamen Verkürzungen : gimabr, prögabr,
sekchabr sind die schüler des gymnasiunis, des progymnasiums, der Sekundärschule;
kchlassalar die klassenchefs. Gimalar ist übrigens meines wissens auch die bezeich-
nung für die gymnasiallehrerprüfung, die ich bei H. nicht erwähnt finde. Die
deverbativa auf -ar, die einen menschen nach seinen moralischen eigenschaften,
meist unvorteilhaften, charakterisieren, werden stark beeinträchtigt durch die ab-
leitungen auf -/, im gegensatz zum Baseid., das die -er-ableitungen auch in diesen
fällen Torzieht. Bei den herkunfts- und Zugehörigkeitsbezeichnungen auf -ar kennt
das Bernd., wie die oberdeutschen mundarten überhaupt, in der regel keinen umlaut :
fribnrgar, ürnar, äntlibuachar, icorhar, burgdörfar, chirchdorfar, neftebachar, fürtahr,
Schaffhusar ; warum in einzelnen fällen doch umlaut eintritt wie in utzastörfar, ist
nicht klar. Die die Zugehörigkeit zu einer Strasse oder einem Stadtviertel bezeich-
nenden ableitungen auf -lar dagegen, wie mättalar, chrdtngässUr, scJioshäldalar,
muesmättbr 'bewohner der Matte, Kramgasse usw.' weisen durchweg umlaut auf.
In der bubensprache sind solche bildungen auf -ar, -br nicht nur für die bewohner,
sondern auch für die örtlichkeiten selbst, besonders als abkürzungen, beliebt: chilchar
für ts chilchafäld, schivebr 'schwellemätteli', brämer 'bremgartenwald', daligar 'dähl-
hölzliwald', buabar 'bubenseeli' usw. ; im Baseid. sind dafür kürzende ableitungen
auf / üblich: minsti 'münsterplatz', seibi 'säuplatz' (für barfüsserplatz). Die dever-
bativeu ableitungen für sachen, die als handelnde kräfte vorgestellt werden oder
wurden, wie chlopfar, löüffer, schiaber, ivekchar, brönnar, ufhäyxkchar, drükchar sollen
nach H. noch eine produktive gruppe bilden. Das ist mir deswegen zweifelhaft,
weil die meisten seiner beispiele der entlehnung aus der Schriftsprache dringend
verdächtig sind.
Die feminina zu den maskulinen auf -ar erscheinen im Bernd, in den drei
formen -aH, -ari und ariti. Es ist kaum zweifelhaft, dass die erste form (wie auch
im Baseid.) die echt mundartliche ist. Die zweite form erscheint auf dem lande
(im Zusammenhang- mit mittel- und ostschweiz. mundarten ?). Die dritte ist aus
der Schriftsprache eingedrungen. Im Baseid. finden wir an ihrer stelle -ai-ln, das
kaum unmittelbar auf das mhd. dafür vorkommende -erhi zurückgeht, sondern das
schriftsprachliche -erin wiedergibt unter Verlängerung des in der mundart in un-
betonter Stellung vor auslaut. n nicht vorkommenden kurzen vokals und unter ein-
führung eines nebenakzents. Man hätte gerne erfahren, wie die mehrzahl zu einer
solchen einzahl im Bernd, gebildet wird, ob auch dort wie im Baseid. oft Zusammen-
setzungen mit -teibar, -froua dafür eintreten. Während in der Schriftsprache die
femininen formen von familiennamen t mülbra, t meijara, t sigitabra usw. nicht
mehr üblich sind, leben sie im Bernd. — wie in anderen deutschen mundarten —
freilich meist in etwas herabwürdigendem sinne fort.
Auch bei den femininen auf -ara treten ableitungen mit sächlicher bedeutung,
vorzugsweise auf dem lande, für örtlichkeiten auf, an die sich die Vorstellung
eines kollektivbegriffs knüpft: dörnara 'dorngebüsch', wäspbra 'wespennest', ameis-
298 BiNz
bra 'ameisenhaufen' ärpssra, bonara 'ort, wo erbsen, bohnen gepflanzt werden', be-
sonders häufig in flurnamen wie hasUr», rosara, südara, goldara mit nicht immer
durchsichtiger bedeutung, in einer fülle, wie sie das Baseldeutsche nicht kennt.
Ihnen schliessen sich die kürzungen von strassennamen in der Stadt an wie chürnar»
'kornhausbriicke', schönara 'schönau', spittlara, arbärgara, spichara für spital-, aar-
berger-, speichergasse. Sie scheinen auch — doch ist der psychologische Zusammen-
hang nicht klar — das Vorbild abgegeben zu haben für die Verstümmelungen der
Schülersprache, die ein chenm-a, gogera, fisara, nattara, biblara usw. für chemle,
geographie, physik, naturgeschichte, bibliothek liebt.
Bei den femininen auf -in scheint die Berner mundart nur die entsprechung
-| als echt mundartlich zu kennen, das in der Stadt herrschende -in entstammt nicht
wie H. meint, den obliquen kasus, sondern der Schriftsprache. Auffällig ist das
fehlen des dem ahd. -inna entsprechenden -ana, das im Baseid. gilt, auch für
Völker- und familiennamen z. b. d'Schwöbana, Franzesana, Schmidana, Freiana, d'Im-
hofana vgl. oben das zu -ara gesagte.
Das suffix -al zur ableitung persönlicher maskulina erklärt H. für nicht mehr
so produktiv wie in mhd. zeit; ich glaube, man kann richtiger seine produktive
kraft für erloschen erklären, muss doch H. selbst fast alle seine beispiele zu den
isolierten bildungen zählen. Surnibal 'griesgram' bringt H. mit nebel zusammen,
wie denn ? Im Baseid. lautet das wort süribal = saures übel. Bängal soll im
Bernd, auf persönliche bedeutung beschränkt sein, während ihm in anderen Schweiz,
mundarten eine sächliche zukommt. Trossal 'brautausstattung' sei eine -aZ-ableitung
zu mhd. trosse < franz. trousse; eher unmittelbare entlehnung aus afranz. trossel =
neufr. troussiau.
Die ableitungen auf -ling mit erhaltenem nasal haben nicht nur unter dem
einfluss der Schriftsprache die ältere form -ling zuweilen wiederhergestellt, sondern
sind trotz Hs zweifeln sicher alle junge entlehnungeu aus der Schriftsprache.
Produktiv ist das suffix in der mundart nicht mehr.
-ach, -lach verwendet das Bernd. — noch ganz produktiv — zur benennung
der verschiedensten apfelsorten: büppach, maltsach, spitsorach, sürgräuivach, tüttlach,
transparentach, frenach, renettach, golparmänach usw., die nach dem Idiot. I, 367 ff.
in der übrigen Schweiz fast ausschliesslich auf -achar (echar, -ichar, -ochar) enden.
Ob man mit H. die Bernd, bildung für ursprünglicher, die andere als Weiterbildung
von -ach mit dem die herkunft bezeichnenden suffix- -ar ansehen darf, ist fraglich.
Wie steht es denn mit der mundartlichen echtheit des auslautenden konsonanten?
Er kommt im Bernd, allerdings in gleicher weise in Wörtern vor, wo das suffix
anderen Ursprungs ist: eblch 'efeu', tvägarach, latlach, ratach, pfirsach, chnoblach,
schnittlach, chressach, die im Baseid., soweit sie überhaupt vorkommen, auf -ig,
(-{) enden.
Auf die im Bernd, so reich entwickelten arten der deminution kann mit
rücksicht auf den räum nicht mit der ausführlichkeit eingetreten werden, die sie
verdienen würden. Trotzdem gerade dieses gebiet in früheren grammatischen ar-
beiten, auf die H. allerdings kaum oder gar nicht bezug nimmt, behandelt worden
ist, erfahren wir doch noch manches neue und beachtenswerte.
Die produktivsten suffixe sind -Ij und -ali, häufig, aber doch weniger pro-
duktiv ist -/, noch seltener sind -tscht, -al und -kl, -kal, vereinzelt -tscha'i, wobei
noch eine weitere differenzierung durch eintreten oder fehlen des umlauts des
Stammvokals eintritt. Oft kann dasselbe Substantiv alle diese verschiedenen derai-
ÜBER HODLER, WORTBILDUNG UND WORTBEDEUTUNG IM BERNDEUTSCHEN 299
nutivformen entwickeln. Diese unterscheiden sich dann zum mindesten im gefühlston,
wenn nicht in auseinandergehender Spezialisierung der bedeutung.
Die auf s. 114, mitte, unter den deminutiven erwähnten, von verben ab-
geleiteten feminina auf -i sind zu unrecht dorthin gestellt. Sie gehören in den
abschnitt über konkreta und abstrakta s. 88, unter a) oder c); von irgend einer
Verkleinerung ist bei ihnen gar nicht die rede. Eine solche ist heute vielfach nicht
mehr fühlbar bei den ungemein verbreiteten kurzforraen der Vornamen und Ver-
wandtschaftsbezeichnungen auf -/. H. zitiert zum beweis dafür zwei dies gut ver-
deutlichende stellen aus Gotthelf : 'Sie rief Stüdeli, Lisebethli, Bäbeli, dann [als sie
ungeduldig geworden war und darum auf den zärtlichen ton verzichtete] Stüdi,
Lysi, Bäbi, aber niemand kam', und 'Jedem Babi sagte sie Bäbeli und jedem Trini
Trineli und wusste gar schön und süss zu klütterlen.' Noch weniger ist etwas
von Verkleinerung oder Zärtlichkeit zu spüren bei den in der bubensprache beliebten
Verkürzungen zweisilbiger geschlechtsnamen auf -ar, -al-.darmeiji, viülli, musti,
iväbi für Meier, Müller, Muster, Weber, dar tveibali, tsüttali Weibel, Züttel.
Die sonderbaren Verschiebungen des geschlechts, neutrum und femininum für
männliche wesen, wie sie den Walliser mundarten (s kuani, s blaschi für der k., der
bl.) und dem Baseid. * {d schmudb, d mtilU, d fonsh = der Schmid(l/), der Müller, der
Alfons) in solchen fällen eigen sind, scheinen im Bernd, nicht vorzukommen. Bernd,
ist nur, wie allgemein schweizerd., das neutrum des deminutivs für weibliche per-
sonen: ts näbdrli, ts ntejarli, ts le'mali, bei männlichen wesen beschränkt sich nach
H. die deminution mit -li auf zwei- und mehrsilbige langvokalisch ausgehende
namen: dar dübudli (Dubois), millie'li (Milliet», schirardel/ (Girardet).
In gewissen gegenden des Emmentals und des Berner Oberlandes sind fast
alle konkreten begriffe nur noch in der verkleinerten form gebräuchlich; nicht nur
bei kindern, sondern auch in der spräche der erwachsenen, die dann von ihren
•ärmli und beindli reden, ähnlich ts chäsli, breili, chuali, rössli, hüsi, chnächtli] von
einem fränkli statt einem franken zu sprechen, ist eine auch in der übrigen Schweiz
weit verbreitete sitte. Solcher usueller, spezialisierter oder isolierter deminutiva
gibt es im Bernd, noch eine ansehnliche menge, vielfach in Übereinstimmung mit
4em Baseid., aber doch oft über dieses hinausgehend.
Noch produktiv (im gegensatz zum Baseid., das nur noch wenige erstarrte
bildungen dieser art besitzt) ist im Bernd, -al oder sein lautgesetzlicher Stellver-
treter -u als Verstümmelungssuffix in der bubensprache a) bei konkreten Substantiven :
chäppu, hüatu, büchu (bauch), schökku (Schokolade) ; b) bei einsilbigen geschlcchts-
und Vornamen und mehrsilbigen geschlechtsnamen, deren letzte silbe einen stärkeren
nebenton trägt: näfu Näf, rotu Rot, labhärdu Labhart, äbersöldu Abersold, näpprc
Napoleon, kchöbu Jakob, fridu Friedrich.
Dem in der landmundart, besonders im Oberland, noch produktiven suffix
tschi in meitschi, müntsch! kuss, tänntschi, bäümtschi, chalbtschi, hüentschi usw.
(dass auch der name des dorfes Ablentschen abländschi hieher zu ziehen sei, ist
Iraglich; man denkt an romanischen Ursprung < avnlanche) wendet H. seine be-
sondere aufmerksamkeit zu. Es erscheint ausser in appellativen auch in zahlreichen, weit
über den kanton Bern hinaus verbreiteten, aus Vornamen entstandenen farailiennamen:
Bertschi, Fritschi, Dietschi, Rüetschi, Santschi, Üeltschi, Witschi usw. als kurzformen
zu Albert, Friedrich, Dietrich, Rudolf, Samuel, Ulrich, Wilhelm. (Man vergleiche
1) Vgl. Wilh. Brückner im Schweiz. Archiv f. Volkskunde 21, 1917.
300 BFNZ
die bis nach Norddeutschland hin sich findenden Bartsch, Peitsch, Förtsch, Fritsch,.
Fritzsche usw.) Die herkunft dieses suffixes ist unaufgeklärt. Dass es sich aus
ahd. -zo entwickelt haben könnte, ist nicht wahrscheinlich, weil diesem in der
regel -z entpricht : Benz, Fritz, Kii^nz, Küanzi, Sanzi. H. meint, man müsse auf
-seh zurückgehen, das sich nach l und n leicht zu tsch fortbildete, und werde damit
auf ahd. -sk geführt, das z. b. in frösch, tvintsch, hübsch, wältscii, dütsch, niöntsch
erscheint. Nach dem muster mennisc : man sei ein bruodisc {> brüatsch) : bruoder
anzunehmen. Für diese auffassung spreche auch der umstand, dass die ableitung
mit tscJi sich vornehmlich bei pert^önlichen Substantiven und bei-namen von haus-
tieren finde. Die weitere ableitung mit -tn sei verhältnismässig jung. Darnach
müsste die ausbreitung des suffixes tschi statt schi .von den auf d, t, l, n endigenden
Stämmen aus erfolgt sein.
Auf niederdtsch. -hin und den einfluss der mit mittelniederfränkischen be-
staudteilen durchsetzten höfischen literatursprach e will H. das bei männlichen und
weiblichen vornamen begegnende und von dort auf tiere und sachen übertragene
suffix -ki zurückführen. Das ist zweifelhaft, weil dem k die bei solcher herkunft
zu erwartende aspiration fehlt, weswegen im Baseid. und in anderen Schweiz,
mundarten dafür häufig gg geschrieben wird. Den beispielen von H. Hessen sich
noch hinzufügen: 6'mä"Av' = August, Silckj = Cecile, Makki — Marguerite, Nokki =
Nora, Fikki = Sophie, das appellativ sukki = schwein. Jokki, Nikki, Sckükki < Jakob,
Nikolaus, Jacques brauchen nicht unbedingt hierher gerechnet zu werden ; sie
könnten auch zur Masse der -/-ableitungen gehören und vielleicht die Vorbilder für
einige von den anderen mit -ki gebildeten kurzformen abgegeben haben.
Wir haben oben die tatsache erwähnt, dass bei den deminutiven nomina
umgelautete und unumgelautete formen nebeneinander auftreten. Eine regel ver-
mag H. dafür nicht zu erkennen; vielleicht handelt es sich um unterschiede von
allgemein üblicher oder nur gelegentlicher, von älterer und jüngerer bildung. Im
Baseid. sind in abweichung vom Bernd, die unumgelauteten formen ganz selten;
im Bernd, dienen sie, namentlich in der kindersprache, zur Verstärkung des zärt-
lichen gefühlstons.
Zur bezeichnung weiblicher abstrakter substantiva dient allgemein alemanisch
im weitesten umfang das suffix -i, mit dem fast von jedem einsilbigen adjektiv ein
noraen qualitatis abgeleitet werden kann. Wenn die Berner stadtmundart davon
einen beschränkteren gebrauch macht als die landmundarten und dafür die ablei-
tungen auf -heit vorzieht, so macht sich darin zweifellos einfluss der Schriftsprache
geltend. Fulkeit bei Gotthelf, Glättiknt bei Haller haben nichts auffallendes, ihr k
rührt von -igheit her; doch ist echt mundartlich im ersten wort die aspiration ver-
mutlich auch Bernd, früh verloren gegangen wie im Baseid. ft'dgat, krangget. Ausser-
dem ist -i noch ganz produktiv für die bildung konkreter substantiva, die den ort
bezeichnen, wo eine tätigkeit vor sich geht: brauwf, hänkchi, länti, sdgi, stampf i,
schivemmi, chorbi korbmacherei. Zum teil freilich mögen unter den abstrakten wie
unter den konkreten dieser, bildungsart eindringlinge aus der Schriftsprache stecken,
bei denen dem schriftsprachlichen endungs-e ein mundartlich allein mögliches -i
substituiert wurde.
Bei den koUektivbildungen , mit ge- scheinen mir die in der mundart seit
alter zeit bodenständigen Wörter durchweg reduktion des ge- zu g- beziehungsweise
assimilation an den anfangskonsonanten des grundworts zu verlangen. Daneben
kommen — im Bernd, vermutlich so gut wie im Haseid. — bildungen mit ///- vor»
ÜBER HODLER, -WORTHILDUNG UND WORTBEDEUTUNG IM BERXDEUTSCHEN 801
besonders wo die lautgesetzliche assimilation des g- an h, p, d, t, g, k des grund-
wort die Zusammensetzung nicht mehr erkennen lässt, und auch dann grösstenteils
als jüngere entlehnungen aus der Schriftsprache: gidna, gikar, gibabbdl. Diese
jüngeren Wörter haben fast ausnahmslos einen tadelnden sinn.
Reich vertreten sind im Bernd, wie im schweizerd. überhaupt die femininen
substantiva auf -dta < ahd. ata, das Wilmanns als aus dem romanischen entlehnt
ansehen will. In diese gruppe scheinen mir aber houptata (chopfata) fuassata nicht
zu passen ; sie dürften eher auf die Zusammensetzungen houpt-, köpf-, fuss-ende
(des bettes) zurückgehen mit Schwund des n nach Verlust des nebenakzents. Im
Bernd., namentlich auf dem lande, steht daneben das suffix -at < ahd. öt in männ-
lichen noraina actionis : uryiat, höüjat, s'uijdt usw., von da übertragen auf die mit
diesen arbeiten verbundenen feste und dann produktiv für feste und spiele aller
art wie tantsat, schiringat, üsschiassat, grännat (gesichterschneiden).
In der stadtmundart findet man für abstrakta viel häufiger die ableitung auf
-ig (< -ing < ung)^ daneben neuerdings immer öfter -iirig. H. hält die annähme,
dass diese biidungen unter dem einfluss der Schriftsprache sich ausgebreitet haben
und ausbreiten, nicht für richtig, sondern meint, dass das suffix -ig beziehungsweise
-ung von jeher in der Stadt eine kräftige gruppe unterhalten habe und dass auch,
der grossteil der ableitungen, die sowohl mit -ig als -ung gebraucht werden, echtes
und altes gut der mundart seien. Dem kann nicht beigestimmt werden. Die form
-ung ist unter allen umständen der mundart fremd; natürlich sind auch viele von
den wortern auf -ig trotz ihres scheinbar echt mundartlichen äussern entlehnungen
aus der Schriftsprache, freilich so eingebürgerte, dass die jüngere generation mit
ihrem allgemein schwächer gewordenen Sprachgefühl sie nicht mehr als fremdkörper
empfindet. Ähnliches wäre über das Verhältnis von -«ms ; nis zu sagen.
Aus dem den schluss (s. 152—166) bildenden kapitel über die komposition
mag erwähnung finden, dass in der Stadt Bern an stelle der nur mangelhaft ent-
wickelten weiblichen nomina agentis auf -i, -a Zusammensetzungen treten: chärifrou,
tsankiuib, brüeliiclb gegenüber ländlichen chära, tsmika usw. oder witfrou, biirafrou,
meistarfrou, bärnarmeitschi. Da die männlichen nomina agentis mit tadelnder be-
deutung in der regel nur auf erwachsene personen bezogen werden, tritt bei beziehung
auf jüngere leute kompositum als ersatz ein: brüalibuab, schnudarbiiab, tsankibueb
(auch sonst: schualbueb, Urbuab, milchbuab), ebenso für persönliche kollektivbegriffe:
büralüt bauern, stattlüt städter, heralüt herren.
Merkwürdig ist die Verkürzung langer vokale (beziehungsweise bewahrung
alter kürze) im ersten kompositionsteil gegenüber länge des vokals im entsprechenden
einfachen wort. Nach H. tritt dies nur ein, wenn die komposition zu entschiedener
begriffseinheit verwachsen ist, nicht bei loseren beziehungen oder gar bei gelegent-
lichen biidungen z. b. : a) kürzung alter länge in schneballa, schnemd, aber
schneschüfle, schnewassar, haröl, aber hdrwassar, schumachar, siber schualada, husfrou,
stifmnatar; b) alte kürze erhalten: graswiirm raupe, aber grdsfuadar, badhose, aber
bddtsiniDtar (lehnwort!), sagmäl, aber sdgbokch, taglön, aber tdghemli.
-s- als kompositionBbildendes element findet sich Bernd, in weiterem umfang
als im Baseid., z. b. auch bei weiblichem erstem teil: chuchistnr, stubasdü); ougs-
dfchla, chilchshirm.
Dass in Wörtern wie bierdurst, mostwirt, holzsagi das Sprachgefühl ein akku-
sativverhältnis der beiden teile wahrnehme, möchte ich bezweifeln.
Unter den beispielen von Zusammensetzungen, in denen ein verbalstamm im
302 lUNZ
«rsten teil den zweck oder die bestimmung bezeichnet, nennt H. s. 164 auch läb-
chuacha. Wie ist das zu verstehen? Wo ist da der verbalstamm? wo der zweck?
Hodlers arbeit ist im ganzen beschreibender art; sie begnügt sich mit der
feststellung des heutigen tatbestandes, geht nur gelegentlich auf die Vorgeschichte
und die psychischen faktoren ein, die für sie bestimmend geworden sind und noch
sind; sie beschränkt sich ausserdem auf das Berndeutsche. Szadrowsky dagegen
zieht nur eine einzige gruppe von bildungen — diese aber auf dem ganzen gebiete
schweizerischer mundarten — in betracht, nicht als Statistiker, sondern als sprach-
psychologe, und sucht für die in seinem Stoffe liegenden probleme lüsungen, die
für die prinzipien der Sprachgeschichte bedeutung haben. Lautliche probleme treten
iiuch für ihn in den hintergrund und das morphologische kommt nur insoweit in
betracht, als es mit fragen der bedeutung zusammenhängt. Geschichtliche Unter-
suchungen über das vorkommen der Wörter sind nur beiläufig einbezogen. Aber
wichtig ist für ihn die feststellung in jedem einzelnen fall, ob ein wort dem lebenden
Sprachgebrauch angehört oder nur literarisch bezeugt ist. S. stützt sich natürlich
auf das reiche material des Schweizerischen Idiotikons, das er aber nur bei den
sprachpsychologisch besonders interessanten gruppen, den bezeichnungen für wind ,
und wetter, für affektionen, für abstraktes und bei den fällen mit nicht aktiver
bedeutung lückenlos darbietet. Der als dissertation erschienene teil beschränkt sich
auf die fruchtbarste bildungsweise der nomina agentis, die deverbativen e/--ableitungen.
Diese ordnet S. nach ihren bedeutungsgruppen, mit feinstem Sprachgefühl
alle zartesten bedeutungsabstufungen unterscheidend und auseinander entwickelnd.
Es muss jedem, der sich für solche fragen interessiert, überlassen bleiben, die aus-
gezeichnete darstellung des Verfassers im original zu studieren ; ein noch so aus-
führliches referat könnte ihren Vorzügen nicht gerecht werden. S, unterscheidet
«/•-deverbativa als bezeichnungen für personen, tiere, pflanzen, körperteile, gegen-
ständliches, wind und wetter, tage und monate und flurnamen, physische und
psychische affektionen, Vorgänge und tätigkeiten (abstraktes). Zuletzt bespricht er
übersichtlich die e>--deverbativen nach der logischen beziehung des bezeichneten
zur Verbalhandlung.
Auf einige punkte mag indessen auch hier noch etwas näher eingegangen
werden. Das persönliche nomen agentis auf -er bezeichnet 1. den träger einer
wiederholten (berufs- oder gewohnheitsmässig ausgeübten) handlung, den durch den
verbalbegriff dauernd charakterisierten; 2. den träger einer einmaligen handlung,
<ien handelnden schlechthin. In der heutigen mundart scheint mir indessen die
zweite gruppe nicht wirklich bodenständig, sondern der nachahmung schriftsprach-
lichen gebrauchs entsprungen. S. selbst stellt fest, dass bezeichnungen für den
ausüber einer einmaligen handlung selten sind, zum mindesten viel seltener als
bezeichnungen des beruflichen oder gewohnheitsmässigen trägers von verbalbegriffen.
Dass das gedeihen des e/--typus auf dem boden der pflanzenbezeichnungen
keineswegs mythische vorstellungsweise voraussetze, sagt S. meines erachtens mit
recht. Wundt hat zwar zur erkläruug davon auf die mythologischen Vorstellungen von
der pflanzenseele, den Vegetationsdämonen hingewiesen, die in keimen und wurzeln,
bäumen und fruchten lebten, oder auf die visionären eindrücke von feld und wald
im dunkel und in der einsamkeit. Diese er-bildungen erklären sich aber nach S.
leicht und natürlich damit, dass das Wachstum solcher pflanzen (cJiriecherli, höckerli,
i/rüperli, rutscherli) einen vergleich mit menschlicher oder tierischer bewegung
zulässt, dass also die pflanze selbst als tätig erscheint.
ÜBER SZADROWSKY, NOMINA AGENTIS DES SCHWEIZERDEUTSCHEN 303
Die überaus reiche entfaltung des typus der deverbativen ableitungea mit
gegenständlicher bedeutung muss an die deverbativen ableitungen mit persön-
licher bedeutung anknüpfen. (Da das neutrum dafür nicht vorkommt, werden latei-
nische masculina auf -arius das feste muster für diese gattung abgegeben haben:
Jocarius > focher blasebalg, binariiis > biner milchmass, sextaritis > sester hohl-
mass). Wenn eine viehschelle chlepfer, ein glockenschwengel plumper genannt
wird, sind das dinge, die chlepfen, plampen, sie sind träger einer handlung, wenn
auch unpersönliche Vollstrecker derselben. An wirklich handelnde wesen im sinne
einer Personifikation braucht man dabei nicht zu denken, wenn auch nicht selten
Personennamen und andere personalbezeichnungen sowie tiernamen auf gegenstände
übertragen werden : hoher-, chorn-, weizen-michel, grossmüeterli, fuchs, has, rätsch-
vogel, yüggel als bezeichnung der letzten garbe. S. stellt mit recht solche Wörter
in den Vordergrund, wenn es gilt, eine brücke zu schlagen zwischen den kategorien
der Personen- und der gegenstandsbezeichnungen. Nach diesen mustern konnten
weitere bezeichnungen für gegenständliches aufkommen, die nicht tätige dinge be-
zeichnen, sondern gegenstände, die als mittel zur ausführung einer tätigkeit, als
Werkzeug dienen: chnütscher, rüerer, süger. Die grenze zwischen beiden gruppen
ist schwer zu ziehen. Im falle von schlapper (der schlappende schuh) würde ich
lieber S. zustimmen, der den schlappenden schuh als träger der handlung auffasst,
als Behaghel, der in ihm ein mittel zur ausführung der handlung sieht. S. be-
merkt sehr richtig, dass es von wert wäre, wenn seine theorie über das aufkommen
der gegenständlichen er-ableitungen sich stützen Hesse durch tatsachen der wort-
geschichte, d. h. wenn sich nachweisen Hesse, dass tatsächlich die ersten gegen-
standsbezeichnungen auf -er solche in gewissem sinne aktive dinge bezeichnet
haben, dass Wörter mit rein instrumentaler bedeutung erst nach diesen aufkamen.
Das wäre aufgäbe einer besonderen Untersuchung. Aber auch unmittelbar lassen
sich die nomina instrum. an die nomina agentis anknüpfen. Der borer ist ein ding,
das bohrt, wie der borer im persönlichen sinn ein mensch, der bohrt. Sehr nahe zu
den persönlichen nomina agentis sind z.b. auch die häufigen scherzhaften bezeichnungen
des Weines und branntweines zu stellen: chratzer, rachenbittzer, rippenchlemmer usw.
Bei den pflanzennamen auf -er hat S. die annähme mythischer Personifikation
als überflüssig abgelehnt, bei den windnamen erkennt er deren berechtigung an.
Wenn auch bei benennung von dingen und erscheinungen der natur eine mehrfache
möglichkeit der deutung sich biete, so verdiene doch auf diesem gebiet die mit
weniger mittein auskommende erklärung keineswegs aus gründen der methode den
Vorzug vor einer deutung, die dämonen und geister zu hilfe nimmt, um so weniger, als
in abgelegenen ländlichen oder gebirgigen gegenden der mythos noch jetzt zu hause sei.
Besondere vorsieht verlangt die deutung der flur- und geländenamen ; neben
maskulinen auf -er, in denen vielfach familiennamen der besitzer stecken mögen,
treffen wir da häufig feminina auf -eren, in denen verschiedene bildungsweisen
zusammengeflossen sein können, Risleren, riseren, /alleren deutet S. unter vorbehält
als nom. agentis = ort wo sand, kies und dergleichen herabrieselt, beziehungs-
weise Schutthalde, beziehungsweise 'die fallende' (waldnamej. In anderen derartigen
hildungen vermutet er altes latein. -ar/a-suffix, in anderen altes -/yöH-suffix. Grossen-
teils sind übrigens, wie wir schon bei der besprechung von Kodier gesehen haben,
diese namen nicht deverbativ, sondern denominativ als bezeichnungen von orten,
wo die im namen steckenden pflanzen, tiere und stoffe in mengen vorkommen.
Ganz besonders gelungen scheinen mir die psychologischen ausführungen des § 9
304 HINZ CHER SZADUOWSKY, NOMINA AOENTIS DES SCHWEIZERDEUTSCHEN
Über bezeichnungen physischer und psychischer affektionen (krankheiten, rausch und
ähnliches) und der § lü über bezeichnungen für Vorgänge und tätigkeiteu (abstraktes)
darunter lautvorgänge (juchzer, Jodler usw.), hewegungsvorgänge (tanze usw.).
Das ergebnis des letzten kapitels über die logischen beziehungen des bezeichneten
zur Verbalhandlung lässt sich so zusammenfassen: Die deverbativa auf -er bezeichnen:
1. alle arten von kausaler beziehung;
a) was die verbalhandlung ausführt, aktive beziehung, weitaus der häufigste
fall — beispiele überflüssig;
b) was^die verbalhandlung ausführt und zugleich von ihr betroffen wird,
reflexive beziehung; schwach belegt, meist nur in älterer spräche, in
Sprichwörtern usw., aber auch sonst gelegentlich z. b. schneller ein
käfer zu [sich) schnellen;
c) dasjenige, womit die verbalhandlung ausgeführt wird, instrumentale
beziehung, reichlich vertreten: borer, Schöpfer;
d) was zur ausführung veranlasst, kausative beziehung: inmickerli (schlaf-
liedchen), Springer, laufer (durchfall). Doch ist gerade bei der letzten
art von beispielen kausative aüffassung nicht durchaus notwendig;
e) was von der verbalhandlung betroffen wird, das objekt des verbalbegriffs,
und zwar:
a) strikte passive beziehung bei deverbativen von transitiven verben, eine
abart von passiver beziehung bei deverbativen von intransitiven
verben: anhenker, Schieber (schiebfenster), versuecherli, kleines muster
zum versuchen (eine solche bildung kann den Übergang von instru-
mentaler zu passiver beziehung vermitteln); triber ein junges schwein,
stark genug, dass es getrieben werden kann. Die hierher gehörigen
Personenbezeichnungen lassen in älterer spräche denominative aüf-
fassung neben der deverbativen zu : ächter = ächter und = geächteter,
verfolgter, zu ächten oder acht; buesser frevler, der busse leisten
sollte, aber nicht wirklich leistet; anchläger = a.nkX&g&r und = be-
klagter, Schuldner. S. wendet sich in seiner erklärung solciier fäll©
gegen Behaghel, der meint, es sei da die bedeutung in ihr gegen-
teil umgeschlagen, also ein Widerspruch gegen die formale logik in
der Sprachentwicklung. S. sieht im tatbestand keinen anlass zu
solchem Vorwurf, da es sich einmal um zwei selbständige, gleich-
berechtigte bedeutungssphären handelt, ächter = der aktiv oder passiv
bei der acht beteiligte, und da angeklagter nicht der logische gegen-
satz zu ankläger sei, was vielmehr einer, der nicht anklagt, wäre;
ß) was bei ausführung der verbalhandlung sich ergibt, das produktiv-
objekt, den effekt: trüller, haarkuoton, der durch trüllen entsteht;
Spritzer^ der durch spritzen entstandene flecken.
2. den ort der ausführung der verbalhandlung, räumliche beziehung, sehr
selten: hocker, gegenständ auf dem man hockt; meist ist die beziehung
nicht rein räumlich, sondern instrumental ;
3. was zur verbalhandlung in zeitlicher beziehung steht, sehr selten: heim-
gäer der letzte tanz beim tanzfest.
MAINZ [jetzt Bern]. ' gustav binz.
FRIEDRICH-NIETZSCHE-PREIS FÜR 1923. — NACHRICHTEN. 305
FRIEDRICH-NIETZSCHE-PREIS FÜR 1923.
Preisausschreiben der Stiftung Nietzs che-archiv.
Welche fingerzeig-e gibt die Sprachwissenschaft, insonderheit die etymologische
forschung, für die entwicklungsgeschichte der moralischen begriffe ab ?
(Nietzsche, Zur genealogie der moral. Anm. am schluss der 1. abhandlung
'Gut und böse', 'Gut und schlecht'.)
Für die bewertung kommen nur arbeiten in betracht, die die philosophischen
wie sprachwissenschaftlichen gesichtspunkte nach streng wissenschaftlicher
methode behandeln.
Zu berücksichtigen sind in erster linie die indogermanischen sprachen. Doch
ist es sehr willkommen, wenn auch das material aus anderen sprachen herangezogen
wird, wobei dem bearbeiter indessen, . soweit er sich ein selbständiges urteil nicht
zu bilden vermag, gestattet wird, über das aus zweiter band geschöpfte lediglich
zusammenfassend zu referieren.
Die arbeiten sind bis spätestens 1. april 1923 an das Nietzsche-archiv
in Weimar einzureichen. Jede arbeit ist mit einem kennwort zu versehen; der
name des Verfassers darf nur in einem mit dem gleichen kennwort versehenen ver-
schlossenen Umschlag angegeben sein.
Alle arbeiten bleiben unbeschränktes eigentum der Verfasser.
Der ausgesetzte preis beträgt 5000 m. Er soll am geburtstag Fr. Nietzsches,
den 15. Oktober (1923), ungeteilt einer arbeit zuerkannt werden. Ist keine arbeit
preiswürdig, bleibt es den preisrichtern überlassen, über die Verwendung der aus-
gesetzten summe zu befinden.
Das Preisgericht besteht aus:
1. Universitätsprofessor Dr. Bruno Bauch, Jena.
2. Frau Dr. h. c. Elisabeth Förster-Nietzsche, Weimar.
3. Graf Harry Kessler, Berlin.
4. Oberbürgermeister Dr. Adalbert Oehler, versitzender der Stiftung Nietzsche-
archiv.
5. Universitätsprofessor Dr. Ferd. Sommer, Jena.
NACHRICHTEN.
Am 14. mai 1921 starb zu Kopenhagen der Sprachforscher und grammatiker
Karl Arnold Edvin Jessen (geb. am 1. Januar 1833 zu Randers); am 8. Ok-
tober 1921 zu Askov (Jütland), der als autorität auf dem gebiete der Volkskunde
und als lexikograph der jütischen mundarten rühmlichst bekannte pastor emer.
Henning Frederik Feilberg (geb. 6. august 1831 zu Hillerod); am 26. Ok-
tober 1921 zu Königsberg der ausserordentl. professor dr. Wilhelm Uhl (geb.
23. november 1864 zu Braunschweig); am 4. november 1921 zu Stockholm der
durch seine prähistorischen forschungen hochverdiente Nestor der schwedisclien
archäologen, prof. dr. Oskar Montelius; ende dezember 1921 zu Prag der
ausserordentl. professor dr. Hans Lambel (geb. 26. august 1842 zu Linz); am
31. dezember 1921 der ordentl. professor an der Universität München, geh. hofrat
dr. Hermann Paul (geb. 7. august 1846 zu Salbke bei Magdeburg); am 4. Ja-
nuar 1922 zu Jena der ordentl. professor der vergleichenden Sprachwissenschaft,
306 . NACHRUHTEN
geh. hofrat dr. Berthold Delbrück (geb. 26. juli 1842 in Danzig) ; am 13. märz 1822
zu Erlangen der ordentl. professor, geh. hofrat dr. Elias Steinmeyer (geb.
8. februar 1848 zu Nowawes bei Potsdam) ; am 4. mai 1921 zu Wien der bekannte
und verdiente skandinavist, hofrat dr. Josef Calisanz Poes tion (geb. 7. juli 1853
in Aussee).
Delbrück, Jessen, Paul, Steinmeyer und Ubl waren hochgeschätzte mitarbeiter
unserer Zeitschrift, denen die redaktion ein dankbares angedenken bewahrt.
Berufen wurden : der privat dozent, studienrat dr. W a 1 1 h e r H e i n r. Vogt
in Marburg an stelle des in den ruhestand getretenen ordentl. professors der nordischen
Philologie, dr. Hugo Gering nach Kiel; der ausserord. professor an der- Universität
Jena dr. Hans Naumann als nachfolger von Karl Helm nach Frankfurt a. M.; der
geh. hofrat professor dr. Oskar Walzel in Dresden als ordentl. professor der
neueren deutschen literaturgeschichte nach Bonn; der ordentl. professor der neueren
deutschen spräche und literatur, dr. Franz Schultz in Köln nach Frankfurt
a. M. ; der ausserordentl. professor dr. Friedrich Eanke in Göttingen als ordentl.
professor der germanischen philologie nach Königsberg; der privatdozent dr.
Ernst Bertram in Bonn als ordentl. professor der neueren deutschen spräche und
literatur nach Köln; der ausserordentl. professor der deutschen literaturgeschichte
dr. Christ. Janentzky in München als Ordinarius an die technische hochschule
in Dresden.
Befördert sind: die ausserordentl. professoren für neuere deutsche spräche
und literatur dr. Robert F. Arnold in Wien, dr. Eugen Wolff in Kiel und
dr. Phil. Witkop in Freiburg i. B. zu Ordinarien; der ausserordentl. professor der
deutschen spräche und literatur dr. Friedr. Neumann in Leipzig (zuvor privat-
dozent in Göttingen) zum Ordinarius; der ordentl. honorarprofessor dr. Walther
Ziesemer in Königsberg zum Ordinarius; der privatdozent dr. Robert Faesi in
Zürich zum ausserordentl. professor für neuere deutsche und schweizerische literatur-
geschichte. Der Oberlehrer prof. dr. Gustav Rosenhagen in Hamburg wurde
zum honorarprofessor an der dortigen Universität ernannt, der privatdozent dr.
Fr. Braun in Leipzig zum ordentl. honorarprofessor der germ. philologie.
Dem professor dr. Adolf Hauffen in Prag wurde die neuerrichtete professur
für deutsche Volkskunde an der dortigen deutschen Universität übertragen; der
privatdozent an der Universität Halle, dr. Wolf gang Liepe, erhielt einen lehr-
auftrag für geschichte des theaterwesens und dramaturgie.
Es habilitierten sich: für deutsche literatur dr. Gustav Bebermeyer
in Tübingen, für deutsche literaturgeschichte und deutsche Sprachkunde dr.
Martin Sommerfeld in Frankfurt a. M Der privatdozent dr. Karl Wesle
hat sich von Frankfurt nach Jena urahabilitiert.
Der ordentl. professor, geh. hofrat dr. W. Braune in Heidelberg wurde zum
korrespondierenden mitgliede der preuss. akademie der Wissenschaften ernannt; der
ordentl. professor, geh. regierungsrat dr. Friedrich Vogt in Marburg zum
korrespondierenden mitgliede der Göttinger gesellschaft der Wissenschaften, der ordentl.
professor, geh. regierungsrat dr. Edward Schröder in Göttingen zum korrespon-
dierenden mitgliede der bayr. akademie der Wissenschaften.
NEUE ERSCHEINUKGEN 307
NEUE ERSCHEINUNGEN.
Die redaktion ist bemüht, für alle zur besprechuiig geeigneten werke aus dem gebiete der german.
Philologie sachkundige referenten zu gewinnen, übernimmt jedoch keine Verpflichtung, unverlangt
eingesendete bücher zu rezensieren. Eine zurücklieferung der r e z en s i o u s - e x e m-
plare an die herren Verleger findet unter keinen umständen statt.
Alexander, Meister. — Hase, Günther, Der minneleich meister Alexanders und
seine Stellung in der mittelalterlichen musik. [Forschungsinstitut für neuere
phüoiogie in Leipzig. I. Altgermanistische abteilung unter leitung von E. Sie-
vers. Heft 1.] Halle, Niemeyer 1921. (VIII), 96 s. 18 m.
Anzeugrubers werke. Gesamtausgabe nach den handschriften in 20 teilen, mit
lebensabriss, einleitung und anmerkungen herausgegeben von Eduard Castle.
Leipzig, Hesse & Becker o. j. (1921), geb. (in 7 bände) 140 m.
Arzneibuch, Das Gothaer mittelniederdeutsche, und seine sippe, herausgegeben von
Sven Norrbom. [Mnd. arzneibücher, herausgegeben von Konrad Borch-
ling. Bd. 2.] Hamburg 1921. 4». (VI), 240 s.
Bell, Clair Hayden, The sisters son in the medieval German epic. A study in
the survival of matriliny. [üniversity of California publications in modern
philology, vol. X, 2.] Berkeley 1922. 120 s.
Bibeltraktate (Gothaer). — Im Kampf um die deutsche bibel. Zwei traktate des
14. Jahrhunderts, herausgegeben von Josef Klapper. Breslau, Eigenverlag
1922. VUI, 56 s.
Blöndal, Sigfüs, Islandsk-dansk ordbog. (Hovedmedarbejdere : ßjörg 5". Blöndal,
Jon Ofeigsson, Holger Wiche). 1. halvbind. Reykjavik, Kebenhavn og
Kristiania 1920-22. XII, 480 s. gr. 4. 35 kr.
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in de 19 <^ eeuw. 'De Sikkel', Antwerpen; Em. Querido, Amsterdam o. j. 108 s.
Bojunga, Klaudius, Deutsche spräche und deutsches Volkstum. Die behandlung
ihrer zusammenhänge im Unterricht auf höheren schulen. [Deutschunterricht
und deutschkunde, heft 6.] Berlin, Otto Salle 1921. 72 s. 6 m.
Borinski, Karl, Geschichte der deutschen literatur von den anfangen bis zur
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Bruns, Frifedr., Modern thought in the German lyric poets from Goethe to Dehmel.
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Edda Saemundar. - Den teldre Eddan tolkad av Axel Akerblom. 2 delar.
Uppsala, J. A. Lindblad 1920-21. 186; 226 s. 24 kr.
308 nki:k kk.s(;iikini;.nc;i-:n
Edda Sapinundar. ^ Die Edda mit historisch-kritischem kommentar, herausgegebea
von R. C. Boer. Haarlem, H. D. Tjeenk Willink & zoon 1922. 2 bände.
XCI, 320 und VIII, 398 s. geb.
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brand, völlig umgearbeitet von Hugo Gering. 4. aufl. Paderborn, Schiiningli
1922. XXVIH, 484 s.
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(VIII), 58 s. 15 m.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XLLX.
21
310 NEUE KKSCHEINUNCEN
Jiotker. — Hoffmann, Paul Th., Der mittelalterliche mensch, gesehen aus weit
und umweit Notkers des deutschen. Gotha, F. A. Perthes 1922. (VIII),
356 s. 40 m.
Olafs saga helga efter pergamenthaandskrift i Uppsala universitetsbibliothek
Delagardieske samling nr. 811 utg. av den Norske historiske kildeskriftkom-'
mission ved Oscar Albert Johnsen. Kristiania, J. Dybwad 1922. LVIL
116 s. und 1 facs. 7 kr.
Ordbog over det danske sprog grundlagt afVerner Dahlerup med understöt-
telse af undervisningsministeriet og Carlsbergfondet udg. af det Danske sprog-og
litteratur-selskab. Tredje bind, brge — de. Kebenh., Gyldendal 1921. VI, 4 s,
u. 1268 sp. - Fjerde bind, debe - flytte. VI. s. u. 1276 sp. 1922.
Paul, UermaBn, Über Sprachunterricht. Halle, Niemeyer 1921. 29 s.
Petsch, Robert, Deutsche dramaturgie. 1. band: Von Lessing bis Hebbel. 2. aufl.
Hamburg, Paul Härtung 1921. LVI, 194 s. geb. 26 m.
Plpping, Hugo, Inledning tili studiet av de nordiska spriikens Ijudlära. Helsing-
fors, Söderstrom & co. 1922. XII, 211 s.
Pohl, Gerhard, Der strophenbau im deutschen Volkslied. [Palaestra 136.] Berlin,
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Rother, herausgegeben von Jan de Vries. [German. bibliothek, herausgegeben
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enings tidskrift. Göteborg, Elanders boktrykkeri a. b. 1921. 13 s.
Schiffniann, Konrad, Das Land ob der Enns. Eine altbaierische landschaft in den
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bourg 1922. XII, 248 s. cart. 68 m.
Schleierinacher. — Schleiermacher als mensch. Sein werden, farailien- und freundes-
briefe 1783—1804. In neuer form mit einleitung und anmerkungen heraus-
gegeben von Heinrich Meisner. Gotha, Fr. Andr. Perthes 1922. (IV),
368 s. und 3, abbildungen geb. 60 m.
Seiler, Frledr., Deutsche sprichwörterkunde. [Handbuch des deutschen Unter-
richts . . . begründet von A. Matthias. IV, 3.] München, C. H. Becksche
Verlagsbuchhandlung 1922. X, 457 s. geb. 85 m.
Skalden. — Meissner, Rudolf, Die kennin^ar der skalden. Ein beitrag zur
skaldischen poetik. [Rhein, beitrage und hilfsbücher zur german. philologie
und Volkskunde, herausgegeben von Th. Frings, R. Meissner und Jos.
Müller. I.] Bonn und Leipzig, Kurt Schröder 1921. XII, 437 s. 80 m.
Sprüche, Merseburger. — Meissner, Rudolf, Cuonio uuidi. [Sonderabdruck
aus der Festgabe für Friedr. von Bezold.] Bonn, Kurt Schröder 1921. 16 s.
Stolz, Alban. — Mayer, Julius, Alban Stolz. Freiburg i. Br., Herder & co.
1921. X, 619 s., 10 abbild. und 1 facs. geb. 115 m.
Studier i modern spräkvetenskap utgivna av Nyfllologiska sällskapet i Stockholm.
VIII. Upsala, Almqvist & Wiksells boktryckeri-a.-b. 1921. (IV), 163 s. 6,50 kr.
Darin u. a. : A. Nordfeit, Det historiska beviset för Eufemiavisornas
älder. — J. Reinius, Nägra anmärkningar tili tysk grammatik.
Studiei', Nysvenska. Tidskrift för svensk stil- ok spräkforskning utg. av. Bengt
Hesselraan och OlofÖstergren. 1. arg., 1—3. haftet. Uppsala, Akadem.
bokhandeln 1921. 144 s. Preis für den Jahrgang 8 kr.
NTIUE ERSCHEINUNGEN 311
Neue folge von 'Spräk och süV, die ihr erstes heft mit einem aufsatz von
Nils Syanberg über Heines einfluss auf Fröding eröffnet.
TannhäDser, Der, herausgegeben von S. Singer. Tübingen, J. C. B. Mohr 1922,
VIII, 47 8. 15 m.
Yogi, Friedr., Geschichte der mittelhochdeutschen literatur. 1. teil. 8. umgearb.
aufläge. Berlin und^ Leipzig, Vereinigung wissenschaftlicher Verleger (Walter
de Gruyter & co.) 1922. X, 363 s. 55 m.
Wasserzieher, Ernst, Deutsche Sprachgeschichte, anregungen und beitrage zu ihrer
behandlung auf der schule. [Deutschunterricht und deutschkunde, heft 7.]
Berlin, Otto Salle 1921. 64 s. 6m.
Weibull, Curt. Sverige och dess nordiska grannmakter under den tidigare medel-
tiden. Lund, Gleerup 1921. VIII, 196 s. 12 kr.
Wolff, Ludwig, Studien über die dreikonsonanz in den german. sprachen. [German.
Studien . . ., herausgegeben von E. Ehering. 11.] Berlin. E. Ehering 1921.
(IV), 190 s. 24 m.
Wolters, Friedr. und Petersen, Karl, Die heldensagen der germanischen frühzeit.
Breslau, Ferd. Hirt 1921. (VIII), 315 s. 34 m.
ZEITSCHRIFT
FÜR
DEUTSCHE PHILOLOGIE
BEGRÜNDET von JULIUS ZACHER
HERAUSGEGEBEN
VON
Hugo Gering und Friedrich Kauffmann
FÜNFZIGSTER BAND
VERLAG VON W. KOHLHAMMER /STUTTGART 192G
Druck V 0 II W. K o li 1 li a ni in e r in Stuttgart
P 1' i u t e d in G e r ni a n y
Inhalt.
Abhandlungen.
Seite
Der Eügelberger prediger. Von Philipp S trau ch 1. 210
Der Ursprung der lateinischen osterfeiern. Von Joseph Klapper. . . . 46
Zur Eddametrik. Von Hugo Gering 128
Die nordische und deutsche Hildebrandsage. Von H. de Boor 175
Hugo Gering, Von F. Kauf f mann 339
Über den schicksalsgluuben der Germanen. Von F Kauffmann .... 361
Briefe von Klopstock und Gleim. Von K. Vietor 408
Miszellen.
Auszüge aus briefen der brüder Grimm an Salomon Hirzel. Von Albert
L e i t z m a n n .')B. 241
Liscows zitate. Von AlbertLeitzmann 79
Magister Ardelio. Von AlbertLeitzmann 92
Runensachen. Von Th. von Grienberger 274
Die komposition der Geuchmat Thomas Slurners. Von Eduard Fuchs . . 419
Übertragungen bekannter und unbekannter lateinischer gedichte Paul Flemings.
Von AntonEnglert 429
Matthissoniana. Von AlbertLeitzmann 431
Literatur.
Eduard Sievers, Die Eddalieder; angez. von HugoGering . . . . 93
Rittershaus, Frau Dr. Adel in e, Altnordische frauen ; angez. von W.H.Vogt 97
Friedrich Michael, Die anfange der theaterkritik in Deutschland; angez.
von HansDevrient 97
Werner Mahr holz, Deutsche Selbstbekenntnisse; angez. von Philipp
Strauch lol
Albert Leitzmann, Quellenschriften zur neueren deutschen literatur;
angez. von KarlBorinski 104
Borcherdt, Dr. Hans Heinrich, Augustus Buchner und seine bedeutung
für die deutsche literatur des 17. jahrhundeits; angez. von K. Boriuski 105
Hans Sperber, Motiv und wort; angez. von KarlBorinski Iü7
Kazimir Beik, Zur entstehungsgeachichte von Goethes Torquato Tasso;
angez. von Otto Pnio wer 108
Karl Vietor, Die lyrik Hölderlins; — Die briefe der Diotima; — Hfilderlia
und Diotima; angez. von FranzZinkernagel 111
Hermann Glockner, Fr. Th. Vischers ästhetik ; angez. von Paul Schultz 114
Wolf von Unwerth, Proben deutschrussischer mundarten; angez. von
V. Moser 115
J. Lindem an n, Über die alliteration als kunstform im volks- und sjjiel-
mannsepos; angez. von GeorgBäsecke 117
Friedrich Kluge, Deutsche namenkunde; angez. von Th. v. Grien berge r 118
Pa.ul Gau er. Von deutscher Spracherziehung; angez. von Th. Matthias . 119
Dr. Katharina Schreiner, Die sage von Hengist und Horsa; angez. von
Walter A. Berendsohn 234
Friedrich Seiler, Die entwicklung der deutschen kultur im Spiegel des
deutschen lehiiworts; angez. von Gustav Bin z 285
rV INHALT
Seite.
Humbert Dell'mour, Altdeutsche Sprachlehre für anfänger; angez. von
V. Moser '. 286
Walther Zies einer, Das grossfi ämterbuch des deutsclien ordens; angez.
von Karl Hei in. . . .1 '291
Albert Küster, Die raeistersing,-erbühne des 16. Jahrhunderts; angez. von
Johannes Bolte . . . j 292
P rieb seh, Bruder Rausch; angez. von Robert Pctsch 293
Hans Schauer, Christian Weises biblische dramen und Christian Reuters
werke; angez. von GeorgEllinger 296
Hans Müller, Lebeusansichten des katers Murr und Zwölf berlinische ge-
schichten aus den jahreu 155il-1816; angez. von Georg Ellinge r . 299
Johannes Günther, Dar theaterkritiker Heinrich Theodor Rötscher; angez.
von Hans Devrient . BIS
Louis Brun, Hebbel sa personnalite et sou osuvre lyrique; angez. von
H. Weiss-Bass 322
Karl von A m i r a , Die germ. todesstrafen ; angez. von M. P a p p e n h e i m . 443
Dr. Paul Th. Hoff mann, Der mittelalterliche mensch; angez. von H. Nau-
mann 455
Andreas Heusler, Nibelungensage und Nibelungenlied; angez. von Fried-
richPanzer 4!)6
J. Tauler ed. A. L. Corin, Bibliotheque de la faculte de philosophie et
lettres de l'universitede Liege; angez. von Philipp Str au ch . . . 462
Albert Schreiber, Neue bausteine zu einer lebensgeschichte Wolframs
von Eschenbach; angez. von AlbertLeitzmann 467
Karl Lach mann, Die gedichte Walthers von der Vogelweide 8. ausg.;
angez. von AlbertLeitzmann 4()8
Sven Norrbom, Das Gothaer mnd. arzneibuch und seine sippe; angez. von
J. Klapper . 471
Hugo Gering, Abwehr . 326
Scherer- Stiftung 122
Neue erscheinungen . . . : 122. 333
Verzeichnis der Mitarbeiter und ihrer Beiträge in Band XLI— L der Zeitschr. 474
Nachrichten 126. 332. 489
Mitteilung ' 338
Register zu band 49 und 5(>. Von 0. Schar bou 490
Die Zeilsclirift für deutsohe pliilolo^ie erscheint in bäiideu von je 4 heften in duichechnitt-
lichera umfang von K bosou zum preise von Ji 20. — jiro band. Zu beziehen durch alle buch-
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Die erste korrektur der beitrage wird in der druckerei, die zweite vom Verfasser, die
dritte von der redaktion gelten.
DER ENGELBERGER PREDIGER
Wackernagel hat in seinen Altdeutsehen predigten aus zwei Engelberger
hss. - cod. 335 (Sa) und 336 (Sb), siehe B. Gottwalds Cat. p. 237,
Wackernagel s. 283 f. - unter nr. LXVIII, LXIX und LXX (s. 182-208)
drei predigten mitgeteilt, die Rieger ebenda s. 583-598 durch weitere
handschriftliche excerpte aus Wackernagels nachlass ergänzte, um darauf
s. 436-438 seine Charakteristik des an Tauler gemahnenden Engel-
berger Predigers aufzubauen. Vgl. auch Cruel, Gesch. der deutschen
predigt im raittelalter s. 399-402; Linsenmayer, Gesch. der predigt
in Deutschland s. 151, 444-447; Preger, Gesch. der deutschen mystik
3, 230 f. 359. Schon die auszüge Hessen eine anziehende persönlichkeit
als Verfasser dieser an die Engelberger benediktinerinnen gerichteten
klosterpredigten erkennen, in denen 'tiefsinnige und gemütvolle auf-
fassung mit entschiedener betonung der praktischen anforderungen des
christlichen lebens' auf das glücklichste vereinigt ist. Es dürfte daher
geboten sein, nochmals und eingehender auf diese sermone zurück-
zukommen. Einer meiner schüler, H. Pansegrau, nahm im jähre 1906
an ort und stelle eine sorgfältige, zeilengetreue abschrift der beiden
Codices, musste dann aber von der weiteren bearbeitung abstand
nehmen. Die abschrift ist jetzt eigentum des Deutschen Seminars in
Halle und sollte von meinem schüler Friedrich Knopf näher unter-
sucht werden. Auch hier Hess der krieg - Knopf fiel am 13. februar
1916 - es nicht über vorarbeiten hinauskommen. Da nun in abseh-
barer zeit kaum ein vollständiger abdruck der predigten zu erwarten
ist, möchte ich im folgenden die ergebnisse längerer beschäftigung mit
dem gegenstände vorlegen.
Cod. 335 (Sa bei Wackernagel; das Engelberger benediktiner-
nonnenkloster wurde 1615 nach Sarnen verlegt), eine papierhs. 4" aus
dem 14. Jahrhundert, enthält 17 predigten und bricht mit bl. 148b i ab,
dessen letzte zeile nur noch das textwort der 18. predigt bietet. Eigent-
1) Die blattzählung Wackernagels zeigt von der obigen kleine abweichungeu.
ZEITSCIIUIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. L. 1
8TRAUCH
lieh sind es nur 147 bll., da vor bl. 148 ein blatt, das letzte einer
läge, abhanden gekommen ist. Wackernagel vermutete, die bälfte der hs.
möchte verloren gegangen sein, doch siehe s. 3. Es sind tünf
Schreiberhände zu unterscheiden: I bl. la (am oberen runde Fiiieat in-
cepUnn scä Maria meum) bis 40a, 24 zeilen auf der seite, enthalten die
predigten 1-4. II bl. 40b-51b^ 25-27 zeilen auf der seite, predigt nr. 5;
bl. 52a unbeschrieben. III bl. 52b-56b, 36 und 37 zeilen auf der seite,
predigt nr. 6 ; die schrift ist im allgemeinen elegant und klar, die ab-
schrift als solche jedoch oft flüchtig. Der Schreiber der 6. predigt
unterscheidet sich in manchem von den übrigen bänden: eingangs ist
das biblische textwort nur in deutscher Übersetzung wiedergegeben,
der sonstigen gepflogenheit in der hs. entgegen. Bl. 561^ findet sich
nach dem Amen am schluss der predigt der auf ihren Inhalt bezug
nehmende eintrag: Bittend got für mich, das mir dis lieht und och
allen, den ich des selben gunn, ze grimd offen iverd, hie dur vorttan
('gottesfurcht'?) und minne, dörcht dur messen und schoben. Auch in
der Schreibung geht diese band ihre eigenen wege, während sonst die
Orthographie der einzelnen bände ein ziemlich gleichmässiges gepräge
zeigt. Bl. 57a, 58a, b unbeschrieben; bl. 57b enthält nur den eintrag
sei spirif assit nöb gra. IV bl. 59a-63a, 28-31 zeilen auf der seite,
predigt nr. 7 mit dem vermerk am schluss Gedeiikent och min durch
got Vnd biiend öch got für mich. amen, das ivd; bl. 63b unbeschrieben.
V bl. 64a _ zum schluss, 24-26 zeilen auf der seite, predigt nr. 8-17.
Pansegrau hält den zweiten und fünften Schreiber für identisch. V um-
fasst sieben lagen zu zwölf blättern, also sexterne; in läge 7 fehlt das
letzte blatt (147); die Verteilung der lagen ist folgende: bl. 64-75,
76-87, 88-99, 100-111, 112-123, 124-135, 136-147; mit bl. 148
begann die achte läge, womit die hs. abbricht.
Cod. 336 (Sb bei Wackernagel, vgl. s. 284 nr. LXX), eine
papierhs. 4*^ aus dem 14. Jahrhundert mit 212 blättern, enthält 23 pre-
digten, von der letzten nur den anfang. Auch an ihr waren mehrere
Schreiber tätig, doch kommt der grösste teil auf rechnung der auch in
Sa wirksamen fünften band und zwar bl. 1-62, 92-200. Bl. 1-60 mit
25 Zeilen auf der seite sind aus fünf lagen zu 12 blättern gebildet,
bl. 12b, 24b, 36b, 48b zeigen unten am rande das kennwort, mit dem
die neue läge beginnt. Bl. 61, 62 sind angefügt, um die 6. predigt
zum abschluss (62b, 8) zu bringen. Bl. 92-200 ergeben gleichfalls
neun lagen zu 12 blättern mit 27 zeilen auf der seite bis 139b, von
140a ab mit 29, 25, 24, gelegentlich auch 26 und 27 zeilen auf der
seite. Der erste sextern trägt 92a unten die lagenbezeichnung Tre-
DER ENGELBERGER PREDIGER
decimus, bl. 188» als letzte Vicesimus primus. Wenn Pansegrau in
Übereinstimmung mit Wackernagel den Schreiber in Sb mit der fünften
band in Sa identifiziert, dann dürfte Wackeruagels Vermutung, von Sa
sei die hälfte verloren gegangen, vielleicht genauer dahin festzulegen
sein, dass man einen abgang von im ganzen fünf sexternen anzu-
nehmen hat. Umfasste Sb 92-200 die lagen 13-21, Sa 64 bis zum
jetzigen schluss läge 1-8 (von letzterer blieb freilich nur bl. 148, mit
dem lagenvermerk (versehentlich 9' statt) 8' auf bl, 148a unten am rande,
erhalten), dann hatte der jetzt fehlende teil von Sa ursprünglich wohl
ausser dem 8. noch die sexterne 9-12 gefüllt. Beide Codices wären
dann auch ihrem äusseren umfange nach fast gleich gewesen.
Neben diesem tätigsten Schreiber (I), der im ganzen 15 predigten
(nr. 1-6, 12-20) aufzeichnete, haben aber auch in Sb noch andere
bände mitgewirkt. II bl. 63a-91b, 32, vereinzelt 27-33 zeilen auf der
Seite, pred. nr. 7-11; die band ist im vergleich zu I wenig sorgfältig;
für mensche, auch für menschheit {z. b. 69a, 5) ist M geschrieben, Jhesvs
durch ih^ und /^ abgekürzt. Vorübergehend setzt für bl. 71a eine dritte
band ein, aber nur für diese eine seite; sie ist wesentlich klarer,
gefälliger als 11, sie stellt die buchstaben etwas mehr nach links hin-
über, während II sie senkrechter setzt, zwischen u und n ist strenge
geschieden. Bl. 9la ist halb, 91b garnicht beschrieben. IV bl. 201* bis
203a, 24 Zeilen auf der seite, schluss der pred. nr. 20 ; bl. 203b frei.
V bl. 204a-212c, zweispaltig, die spalte mit 40 zeilen, abgesehen von
gelegentlichen Schwankungen, pred. nr. 21, 22. Der Schreiber hat oft
recht flüchtig geschrieben. VI bl. 212c, d anfang der pred. nr. 23, wo-
mit die hs. mitten im satze abbricht. Der Schreiber schreibt nicht
schlecht, doch ist die schrift völlig verblasst, am rande verstümmelt
und abgegriffen.
Sa wie Sb sind abschriften. Das äuge des Schreibers ist gelegent-
lich vorausgeeilt, der Irrtum ist dann nachträglich durch b, a richtig
gestellt (Sa 3b, 10) oder der vorweg genommene satz gestrichen worden
(Sa 3b, 16 f. vgl. 4a, 1. 2; 7a, .5 vgl. 7; 12a, 19 vgl. 21; 84b, 15 f. vgl.
17 f.; Sb 32a, 3 vgl. 5; 76b, 1 vgl. 3; 108a, 13. 14 vgl. 17. 18). -
Sa 129a, 19 ist eine zunächst übersehene stelle nachgetragen, wie über-
haupt des öfteren die gleiche band nachgebessert hat; nur vereinzelt
findet sich correktur oder nachtrag von anderer band (Sa 20b, 21).
Lücken sind selten (Sa 6b, 16. 118a, 9 = Wackernagel Altd. pred. 68
z. 352; Sb 82b, 25).
Die predigten, in Sa 17 an der zahl (nr. 18 ist nur noch durch
das textwort vertreten), in Sb 22 (von nr. 23 ist nur der anfang über-
1*
4 STRAUCH
liefert), halten keine feste anordnung nach dem kirchenjahr ein. Sie
verteilen sich auf folgende tage ^ :
Sa 1'^ nr. 1 Adventspredigt. Luc. 3, 4 ist das evang. Sabb. Quatt. temp. Adventus,
Joh. 1, 23 das evang. Dom. IV Adventus nach dem Missale Constant. (1504);
da der prediger aber diesem textwort nach der deutschen Übersetzung so-
gleich Matth. 3, 2 folgen lässt, bevorzugte er wohl die mit den genannten
evangelisten gleichlautende bibelstelle Matth. 3, 3.
9b nr. 2 Vo» dem Adventt Christi: 1 Reg. 7, 3 lässt sich für den advent nicht
belegen, wohl aber im brevier (Brev. Constant. von 1516) in Feria IV post
Dom. II post Pentec.
19a nr. 3 S. Andreas (30 uov.).
29b nr. 4 S. Andreas, Matth. 4, 19.
40b nr. 5 Vigil. s. Andreae, Joh. 1, 39.
.52b nr. 6 Epiphania, Isai. 60, 1.
59b nr. 7 ? , Apoc. 3, 12.
64a nr. 8 S. Benedictus (21 märz), Job 28, 10, der text ist im Missale Constant.
bei s. Benedict nicht zu finden.
73* nr. 9 Fortsetzung von nr. 8.
84a nr. 10 Feria IV Quatt. temp. Quadrag., Matth. 12, 43-45.
91«, 101» nr. 11. 12 Fortsetzung von nr. 10.
106b nr. 13 Dom. II Adventus nach dem Missale Constant., Dom. I Adv. nach
dem Missale Romanum, Luc. 21, 25.
120b nr. 14 Dom. XXI post Pentec, Joh. 4, 52.
129a nr. 15 In ascensione domini ? Ps. 96, 3. (Der psalm ist der erste der 3. noc-
turn im brevier dieses tages.)
137a nr. 16 Fortsetzung von nr. 15.
145a nr. 17 Dom. I Quadrag., 2. Cor. 6, 1.
148b nr. 18 ? , Apoc. 14, 13.
Sb la nr. 1 Dom. I post Pentec. (Missale Constant.), 1. Joh. 4, 16.
10b nr. 2 Dom. I post Pentec, Luc 16, 19.
2ob nr. 3 Dom. II post Pentec. (Missale Constant.), Luc. 14, 17.
33a nr. 4 Dom. II post Pentec, Luc 14, 17.
43b nr. 5 Fortsetzung von nr. 4.
53b nr, 6 ? ,1 Macc. 4, 57, 58,
63a nr. 7 Feria VI post Dom. III Quadrag., Joh. 4, 5.
74a nr. 8 Dom. X post Pentec, Luc. 18, 10.
77b nr. 9 Dom. XIII post Pentec, Luc. 17, 11.
83a nr. 10 Dom. XIV post Pentec, Gal. 5, 16, 17.
87a nr. 11 Dom. XV post Pentec, Gal. 5, 25, Fortsetzung von nr. 10.
92a nr. 12 Maria Magdalena (22 juli), Cant. 6, 9 (die textstelle nicht im Missale).
102a nr. 13 ? , (Jerem. 6, 2).
1) Bei der festlegung der sonn- und festtage hat mich K. Bihlmeyer in
Tübingen, bereitwillig wie immer, unterstützt. Wenn nicht alle predigttexte auf
bestimmte tage des kirchenjahres sich festlegen lassen, so darf vermutet werden,
dass der prediger dann seinen text nicht der liturgie entnommen, ihn vielmehr
frei gewählt hat.
DER ENaELBKRGKR PREDIGER 5
lib^ nr, 14 Dom. VI post Pentec, Marc. 8, 8.
128a nr. 15 S. Petri viucula (1 aug.), Act. 12, 6.
135a nr. 16 S. Peter (29 juni), Matth. 16, 16.
14:4b nr. 17 Dedicatio ecclesiae, Ps. 33, 9, Luc. 19, 4, 5.
163a nr. 18 ? , Ps. 29, 2.
184a nr. 19 Dom. III Adv. (Missale Constant.), Matth. 11, 3.
1901» nr. 20 Dom. III Adv. (Breviar. Constant.), siehe unten.
204a nr. 21 Nativitas Domini (vgl. Migne. Patrol. lat. 184, 827), Cant. 1, 2.
208a nr. 22 schliesst sich an nr. 21 an, Cant. 1, 2.
212b nr. 23 Missa HI Nativitatis Domini, Joh. 1, 14.
Die sermone beginnen mit dem lateinischen textwort, das un-
mittelbar darauf verdeutscht wird, gelegentlich auch zu einer ausführ-
licheren Wiedergabe des capitels führt, dem das einzelne textwort
entnommen ist. Neben den lateinischen bibelcitaten und der folgenden
deutschen Übersetzung stehen freiere deutsche ohne lateinischen text;
diese sind nicht immer sicher zu identifizieren, da sie nicht den Wort-
laut des Originals genau wiedergeben, sondern nur den gedanken zum
ausdruck bringen. Am schluss der predigt stellt sich weitaus über-
wiegend die formel des helf (dz verlieh Sb 20) uns (mir wid lich
Sa 13, Sb 4, 18, 19) der vatter (got der v. Sb 22) und der sun und der
heilig geist. amen ein, der Sb 13, 15 noch der satz daz uns dis allen
gescheche, Sb 20 daz uns dis allen g. hie in zu und dort in ewigkeit
vorausgeht. Abweichend lautet nur Sa 2 des helf uns der minnenklich
gemachel Christus selber, amen, Sa 7 dar zu helf uns daz dripersönlich
einiges wesen vater sun heiliger geist, Sb 6 d. h. uns du hoch drivaltikeit
selber, amen, eivanklich amen; Sa 6 klingt aus unser herr J. Chr. der
mit dem vatter in minn des hailigen gaistes lept und richset von weit ze
weit. amen. Ohne formelhafte Schlusswendung sind geblieben Sa 16,
17, Sb 21.
Sämtliche predigten rühren von einem und demselben Verfasser^
her, der zweifellos dem Engelberger benediktinerkloster angehörte und
wohl beichtvater bei den dortigen benediktinerinnen 'bei St. An-
dreas' war, an die alle stücke in erster linie sich wenden ^. Der
1) In Sa bezieht sich nr. 5 auf die 4. predigt, nr. 9 ist fortsetzung von 8,
nr. 11. 12 von 10, nr. 16 von 15; in Sb setzen nr. 5 predigt 4, nr. 11 predigt 10
fort, die 2. predigt beruft sich 18b, 15 auf^ nr. 1, die 15. predigt 132a, 27 auf nr. 13
(110b, 2), die 22. predigt 208a, 49 f. auf nr. 21.
2) Vgl. Sa 9Ga, 18 du vindest öch menig gut bild an dinen froiven, die tot
sint, vo7t den du hörst sagen, wie volkomenlich si gelebt haut, und du stehest öch noch
gät bilde an dien die noch lebent. — Nur eine weibliche Zuhörerschaft ermöglichte
auch den ausspruch : Sa 85b, 15 bei seiner gehurt ist das kind ein kind des teufeis,
getauft wird es ein kind des vaters, eine Schwester des sohnes, ein gemahl
des h. geistes.
b STRAUCH
schweizer ' Ursprung wird durch folgende Wendungen gestützt: Sa 93a, 16
(Wackernagel s. 436) werden die menschen, die uf disen bergen erzogen
sint, von den Städtern unterschieden, Sb 13a, H min frowe du schidt-
heiss(e), min herre der amman (Schweizer idiotikon 2, 1683. 4, 246) zitiert.
Ob an Einsiedeln gedacht werden darf, wenn Sb 198a, 5 neben Pilger-
fahrten nach Rom und Avignon auch zil unser frowen genannt ist^?
Basel wird Sb 82a, lo (= Wackernagel 70, 223) erwähnt, desgl. Sb 101a,
6 f. Zürich (siehe unten).
Ich gebe im folgenden zunächst eine inhaltsanalyse der predigten.
Sa 1. Bl. la. Adventspredigt. Ego vox clamantis in deserto. Ich bin ein
Stirn des raffenden in der wüsti (Matth. 3, 3, Vgl. Luc. 3, 4 ; Joh. 1, 23). Penitenciam
agite, appropinquavit e?iim regnum celorum (Matth. 3, 2). Die auslegung gilt den
Worten vox damcmtis und desertum. Es gibt dreierlei wüste (2*, 22 ff.): eine leib-
liche, eine geistliche und eine göttliche. In die erste ruft die stimme der 'Ordnung',
in die zweite die stimme Jesu Christi, in die dritte ruft gott sich selbst: hie estfilius
mens dilectus. In der ersten findet man nüt kitten (ausser einsiedlern und heiligen),
denn sie ist wüst, in der zweiten sind nichts als disteln und dornen (menschliche sünden,
Christi leiden), in der dritten rote und weisse rosen und mengerley minnenklicher
blämen tmd süsse wolgeschmaki kriitter und edel würtzen und der minnenklichen vSgellin
gesang; in ihr sind die menschen, die do sint tvorden formlos und bildlos aller
geschafner dingen (4», 10 ff.). Des rufenden stimme ist eine siebenfache (5a, Iff.):
vox doniini super aquas (= sünden, 5* 3), vox d. in virtute (5b, 10), vox d. in magni-
ficentia (grosmutkeit der tiigent 6a, 10); zuo dem vierden mal so rüffet disti stim uf
den zederböm (6b, 4, siehe unten); vox d. intercedentis flamam ignis (7a, 9), vox
d. concutientis desertum (7b, 11), vox d. preparantis cervum (hie mit manet er den
mdnschen das er sich bereit als der hirtz 8», 16, siehe unten). ■
1) Siehe auch die schweizerischen werte: ^
*asne (asnü) Sb 107a, 7: schitter ab einer a. tverfen 'balkenwerk über dem
herde zum trocknen und dörren des holzes', Schweizer idiotikon 1, 504;
ettich stf. hectica Sb 149», 19 f. in e. vallen, siehe Schweizer idiotikon 1,599 ff.;
*hirte swf. eine bestimmte zeit des Jahres (siehe Schweizer idiotikon 2, 1649):
Sa 82b, 22 s. Benedict der tvas als gar mit got vereint, das er mit ivüste,
weler hirten es in dem jar was.
kerse (kris) stf. Sa 81b, 8, 14, siehe Schweizer idiotikon 3, 480.
luvetsche (lubetsch) stm. einfältiger mensch, narr Sb 4», 1 = Wackernagel
Altd. pred. s. 597, 16, siehe Schweizer idiotikon 3, 997; Schmidt, Hist.
wörterb. d. elsäss. mundart s. 227b j
*vlederschen swv. flattern, von der taube Noas Sb 6b, 9, siehe Schweizer
idiotikon 1, 1230;
vluo (fl&h) stf. steiler fels Sb 78a, 27 = Wackernagel 70, 28, siehe Schweizer
idiotikon 1, 1184.
2) Sb 198a, 3 wir Sechen das wol wo ein grosz geselleschaft mit ein ander gat
ze Rome oder ze Aviun oder zä unser frowen odvr ande(r) ferr weg usw. Dem zu-
sammenhange nach könnte aber auch ein entfernterer Wallfahrtsort gemeint sein.
DfiR ENGELBKRGER PtlEDIGßR 7
2. Bl. 9^. T'o« dem Ädventt Christi (rot). Prepaiate corda vestra domino et
servite Uli sali et liberavit vos de manibiis inimicorum vestrorum (1. Keg. 7, 3). Auf
siebenerlei weise sollst du dein herz bereiten, entsprechend den sieben gaben des
heiligen geistes (10», 2 ff. ; vgl. Isai. 11, 2; Tauler ed. Vetter 105, 32 ff.) : timor domini
(10a, 5) führt dich zu reue und beichte (IQa, 3); scientia (kiinst 10», 9. 14», 13)
soll dich schützen, dass dein herz nicht in die sünde zurückfalle, miltikeit (pietas
10a, 12. 16a, 9j; gdtlichi sterk (fortitudo 10a, 15. 16^, 9) soll dich vor uHtstveifikeit
bewahren; rat (consilium IQa, 17. 17a, Xi); verstantnüs (gemerk, intellectus 10a, 20.
18a, 8 ff.); wisheit (sapientia 10a, 24. 18^, 16). Sa 16a, 13 ff. heisst es, wo der prediger
vor der witschweifkeit warnt: (du) solt din hertz setzen in einkeit. nu mochtest du
sprechen: ich bin doch tinder einer mengi, wie sol ich denne in einkeit komen? min
kint, das mäs geschechen, das din fiinf sin und alle din vichlichen sinne zesamen
zwingest schiva du sitzest, gangest oder standest, das du din gedenk alwegen zä got
richtest, du mäst dur menigvaltikeit komen in einkeit. du solt betrachten eticas von
got. ist dir das ze schwer iind du es noch mit kanst, so solt du gedenken von got.
macht du das mit tan, so solt du reden von got. (16^) macht du das mit tUn, so hör
reden von got oder du bett etwas, macht du das mit tan, so schrib oder sing von
gott, si es dir erlöbt. macht du das mit tän, so beger doch, das du es mSchtist
tän. macht du das och mit tän, so setz dich jiider und bitt got, das er diner sinnen
hutt und dinr gedenken gewaltig si, und also kumest du dur menigvaltikeit in
einkeit. —
3. Bl, 18^. Von dem wirdigen zwelfbotten sant Andres (30. nov.). 0 bona
crux quam diu desiderata et iam concupiscenti animo prejiarata (aus der Passio beati
Andreae apostoli bei Mombritius, Sanctuarium. nova ed. 1 (1910), lOo, 57 ff.). Im
anschluss an die Andreaslegende handelt die predigt vom nutzen des kreuzes und
der frucht des leidens. 20a, 1 ff. ein kreuz wird — auch sonst ein beliebtes thema zur
ausdeutung — aus vier teilen (stamen) hergestellt: der stamm, der auf dem erdreich
steht, gleicht dem anfangenden leben, der zur rechten bezeichnet die behenden
t6d, die der mSnsch sol nemen dur eigenen tvillen brechen, der zur linken bedeutet
ein gednltig frolich minrich liden, der obrost ein schowlich leben und heissef ein
bahnböm. Im weiteren verlauf wird der ganze kreuzigungsprozess allegorisch
ausgedeutet. 24a, 3 ff . werden die drei zuerst genannten kreuzeshölzer als an-
fangendes und zunehmendes leben gefasst, der palmbaum eines voUkommnen lebens
ist der stain der uff dem kriitz ist.
4. Bl. 29^. Von dem himelfursten sant Andres (rot). Venite j^ost nie, faciam
vos fieri piscatores hominum (Matth. 4, 19). Eingangs wird vor behandlung des
eigentlichen textwortes dem hörer der biblische Zusammenhang aus dem evangelium
erläutert (3Ga, 14. 30^, 5). Dann wird der text wort für wort durchgenommen, mit
Unterabteilungen in der disposition. Der heiligung der jünger Christi, insbesondere
des Andreas und des Petrus, sollen auch wir nachstreben (33a, 1 ff.). ]\^u sint alle
die Ordnung der heiligen cristenheit in disen zwein stuken beschlossen: das ist miden
die siind und tiln das gut, dann hast du alles was nötig ist zu einem ewigen und
zu einem anfangenden, zunehmeuden, vollkommenen leben. 33^», 5: In drei dingen
ist alle Sünde, die die menschen begehen, beschlossen, das erst ist gebrest der schuld,
das ander ist lust der natur, das dritt uppikeit der weit, die ersten hasset got, die
andren gevallent im mit, die dritten sint vigent gottes. das erst nicis man überwinden
mit bitterkeit der rüw, das ander da mi'is man ßiechen ursach der sünd, zä dem
dritten mal so mäs man die weit versmachen.
8 STRAUCH
5. BJ. 40^ (ati dem ahent sancti Andree 40b, 4). Venite et videte (Joh. 1, 39).
Die predigt nimmt bezug auf die vorhergehende (40b, 4ia, 43b als ir an der vordren
brudiie hortent und dike von mir gehört hant). 41^1, 22 ff. Die berufung des Andreas
und Petrus zum 'schaueu und ansehen' schon hier auf erden, daz si ewklich ge-
hrucheti s6nd, ist eine vierfache, gott hat sie gerufen, auf dass sie werden bekettner
und erkenner {41b, 4) gottes, jünger gottes (44b, 12 ff.), apostel gottes (47b, 14) und
Christi (41b, 1) und heimliche freunde gottes. Zu jeder dieser vier stufen gelangt
man auf dreierlei weise. Zur ersten: man lernt gott erkennen a) in und an der
kreatur, b) in gnaden, c) in einem glorioslich schowen oder erkennen. Von der kreatur
heisst es, wie auch an anderer stelle (17», 22 ff.) ganz ähnlich: an der schönen
kreatur sieht man die Schönheit des Schöpfers, an der Veisen' kreatur den weisen
minniglichen gott, an der minniglichen blume den minniglichen schöpfer, der in der
weissen rose als weisser, in der roten rose als roter gott erscheint: irisz in siner
luteren tinvermasgoten monscheit, rot an siner briinnenden minnricheyi gotheit (42*,
1 ff.). Und doch ! stehest du nu a»t alle creaturen, so rindest du dinen minnenklichen
got in inen allen: und si sint doch mit got (42*, 8). — Um 2. liebe jünger
gottes zu werden, müssen wir a) seine geböte kennen und erkennen lernen, b) sie
halten, c) einander lieb haben, wie er uns lieb gehabt bat (46b, 1). — 3. Zum apostel-
amt Christi oder gottes bedarf es gleichfalls dreierlei weisen: Christus sprach zu
Petrus: minnest du mich? ja herre : a) so spis mir minu scheffli. disii spis ist guti
lere, die ein mönsche dem andren tän sol, wie die apostel es taten, — also bist du
ein mund gottes (48b, 3)j b) so tveid mir mini'i scheflin: in Worten und werken sollst
du ein gutes vorbild geben ; c) so bitte für minü schefU: wenn a und b beim eben-
menschen nichts helfen, dann bitte gott für ihn in diner andacht und in diner
heimlikeit. — 4. heimlich frmid gottes: wenn sich hier in der zeit zwei menschen
recht lieb haben, so zeigt sich das in dreierlei weise: a) sie sehen einander oft;
b) sie sind einander heimlich und sagen sich gegenseitig heimlichii ding, tver der
mönsche ist, der dir rechter heimlicher dingen heimlich wirt und du im dar nach
der dingen, der er dir heimlich worden ist, uß" slachest (49b), (^as ist ein zeichen, daz
sich alle mSnschen vor dir s6nd hüten, daz si dir niemer heimlich werden; c) gute
freunde sind einander treu; auch wenn sie nicht bei einander sind, sind sie doch
einander treu mit dem herzen. 49b, 5 ff. wenn nun irdische menschen sich gegen-
seitig lieb haben und doch die liebe dieser weit falsch und unstät ist, dann ist es
doch wohl billig, dass wir den lieb haben, dessen treue und liebe von ewiger dauer
ist. So wie die liebe zwischen zwei mensclien besteht, so muss auch die liebe
zwischen gott und dem menschen sein und zwar gleichfalls eine dreifache (häufiger
sehen, 'heimlich' sein, freundestreue); ad a heisst es: gott sieht dich im kor, im
reventer ob dem tische (50*, 1), im kreuzgang oder avo du auf erden bist, du aber
sollst Christus sehen in der krippe: letzteres wird im einzelnen weiter ausgemalt,
dabei der gegensatz hervorgehoben: 50'^, 19 als klein und als unmngent als er dnr
dich ist tvorden und er doch den sivere^i last himelriches und ertriches hat gehenket
an sin dry vinger und in sinen kleinen füstlin allen den gewalt hat den er ietzunt
hat tiber himelrich und ertrich.
6. Bl. 52b. Epiphania. (S)tand uf Jerusalem und wird erluhfet, won din
licht ist komen und die glori dines herren ist uf gestanden über dich (Isai. 60, 1).
Der sermo handelt von dem göttlichen licht der gnaden gottes, von der geistlichen
geburt in der inu-endikait der sei. Welche frucht bringt dir diese geburt! ist dis
mit ewig leben, das du got mit got wurdest? Nu stand uf, Jerusalem, und wird
DER ENGELBBRGER PREDIGER 9
erh'ihtet! sid man disi'i wort zi'ihet uf ain gaistlich gebtirt, so ist es nu ze merken,
wie dis licht in Jerusalem der sei enzündet iverd oder wie disi yaistlichi gebnrt an-
gecayigen, gemittolot und geendot iverd. wen ivir aber von unser krankhait wegen
dis blossen ivarhe(i)t an bild mit wol verstan mugent, so züch ich dis verni'mftig
licht uf das licht der natürlichen sunnen, wie der uf brichet ze Orient und loffet gen
occident mit sineti natürlichen stapheln. dar nach wie der göttlich sitnn, unser herr
Jesus Cristus, vahet in dem zirkel der sei gaistlich schinnen und gle{p2>^)sten, da
merkend, das der natürlich su)t an dem himel hat sechs staphel, da ynit er volbringet
sinen teglichen lof, die alle gezogen werden uf den lof der gnadrichen sutmen in der
sei. Die sechs Stadien des Sonnenlaufes sind 1. der vor Sonnenaufgang fallende
tau, 2. die dämmerung (wissi und graici des tages) ', 3. das morgenrot, 4. der sich
üher die weit ausbreitende sonnenglanz, 5. die dadurch hervorgerufene hitze und
ihre kraft, 6. Untergang und verblassen (blaichi) des lichtes. Dies wird dann im
einzelnen gedeutet, um stufenweise die geistliche geburt in der seele zu bewirken,
'den vollkommenen tag eines wahrhaften erkennens seiner selbst und aller dinge
aufgehen zu lassen'. Jede Staffel, auf der die göttliche gnade sich in besonderer
weise im menschen betätigt, schliesst wieder eine dreiteilung in sich: wie der tau
unbemerkt aufs erdreieh fällt und wieder schwindet, aber erquickung zurücklässt,
so auch die gnade usw. — Dem menschlichen schuldbewusstsein (stufe 1 und 2)
folgt tiefes Schamgefühl (stufe 3); allmählich bereitet sich der neue mensch vor
(stufe 4), bis er itthitzig (55», 14) wird, auf diesem 5. grad macht der gaistlich
sunn in der sei sollich hitzig und inbrünstig minn, das die menschen uss ir selbers
wesen flüssen . müssent. und disü menschen werdent hertzlos. wie da^ beschech, das
merkent: tvir sechent wol, tvenn man bli oder wachs zä dem für tat, so wirt es ze
dem ersten lind, dar nach so zegat es. nach dem so flüsset es von silier stat und
verainet sich ze ainem ain in end sines ßusses. also gelich beschicht disen menschen
uf dem fünften staphel. ze dem erstell : iri herczen werdent geendrot und gelindert
von der gegenwüfrjfikeit des ewigen Hechtes, dar nach zergan die kreft des herczen.
da wirt der mensch so berobet sin selbers, won disü menschen sind uf der vart, das
si gezukkot sond werden von ir selbes istikait. ze hand so flüsset hin der (mensch)
von allikait des inwendigen wesen. war flüssent disü menschen ? si fltissent in die
tünsterhait der ungeschaffen gothait und in die ungeburtlichhait des blossen tvesen
gottes, und da verainent si sich mit gott in gott und empfinden nichts als gott
(^55^, 5) ; alles äussere ist ihnen gleichgiltig, sie ahtond nüt, was von in gehalten
iverd, ivon sie enhaltend och von in selber nicht. Aber wie die sonne untergeht und
ihr licht verblasst (stufe 6), so erbleichen auch diese menschen, gottes fründ, wenn
sie sich durch schwere arbeit, siechtum und furcht gehindert sehen, sich der göttlichen
gnade entzogen meinen, wenn sie glauben, gott halte sich vor ihnen verborgen, sie
hätten ihren herren verloren, sie en mugent der weit nütes nüt, so hand si och
gottes nüt nach ir begerung — ; aber auch Christus hat die stunde des todes ge-
fürchtet und sich dem willen des vaters untergeordnet. So tu auch du, mensch.
7, Bl, 59». Qui vicerit, faciam illum columpnam in templo meo (Apoc. 3, 12)-
Kein leben bleibt ohne anfechtung und Versuchung (bekorunge). Werde selbst eine
Säule, eine stütze für die andern menschen! Leide! Die worte dieser predigt lauten
vom überwinden. Wie können wir mit gottes hülfe das erreichen? Dreierlei ist
1) Sa bS^, 19 denn so blasent und kündent die wahter in den stetten und uf
den bürgen den tag, da mit si das volk ermündron.
10 STRAUCH
ZU beobachten: 1. unterschied und mannigfaltigkeit der anfechtung, 2. widerstand
gegen jegliche Versuchung, 13, lohn und glori derer, die ritterlich die Versuchung
überwunden haben : es ist billich daz der mensch, der durch die tilgend des crüces
stritten(d)e und überwindend ist, daz er ouch sig niessend des genuachsamen kipper-
truben so dar an gewahssen und geheftet ist mit (dem) band der liebt. Die predigt
behandelt dann für alle drei gruppen je sieben verschiedene arten der anfechtung,
die den meuschen bedrängen und die er siegreich zu überwinden hat; sie werden
ihm auferlegt von gott, seinen mitmenschen, vom büscn geist, von der weit, vom
fleisch, von ihm selbst, von den guten werken. Die ausführung ist von grosser Innig-
keit getragen im anschluss an Apoc. 3, 21. 5; 2, 7. 11. 17; 3, 12; 21, 7.
8. Bl. 64*. S. Benedictentag (21. märz). Omne preciosum vidit oculus eins et
in profunda fluviorum scrutatus est (Job 28, 10). Zunächst wird im anschluss an
des üregorius Vita S. Benedicti (vgl. 74a, 5^ 17 f.) das bibelwoit ausgelegt und zwar
z. t. wort für wort. Wie die biene den honig aus den blumen saugt und ihn in
einen winkel zusammenträgt, so hat der heilige Benedictus seine 'regel' aus den
Vätern Augustin, Ambrosius, Gregorius, Hieronyraus, denen anachronistisch auch
der h. Bernhard angereiht ist, zusammengestellt; der prediger schätzt die regel so
hoch ein, dass er 65*1, 11 sagen kann: wie das ist das sant Augustinus regel die erst
was, so ist si doch uß diser regel komen! 07% 15 und dar umbe so süllen wir
Sechen, wie wir getan, das ivir benedicti iverden, tvon sin nam heisset Benedictus und
ist ouch gesegnet von dem mund gottes, und also ist er ztvivaltenclich gesegnot a7i detn
namen und ouch von got. 67^, 21 ff. drei dinge hatte Benedictus — 65^, 17 e)-
gieng uß der schäl ungelert wolgelert und wolgelert ungelert (nach der Vita des
Gregorius) — voraus und hat sie 'vollbracht', was uns nicht möglich ist. Es ist
nicht jedem gegeben bücher zu schreiben oder zu predigen, und keiner ist zu einem
gelübde gezwungen. Wer es aber ablegt, der soll es treu befolgen und tun was
die regel vorschreibt, was der prälat und die äbtissin, der prior und die priorin
oder 'die auf den stuhlen sitzen' (67^', 20) einen heissen. Dein gelübde sollst du
in dreifacher hinsieht vollbringen: 1. äusserlich mit einem übenden leben, 2. mit
einem inwendigen leben, 3. Vereinigung mit gott mit einer volkomner volkomenheit.
Punkt 1 erfährt abermals eine dreifache gliederung mit je drei Unterabteilungen:
a) aufgäbe alles zeitlichen gutes : a) des väterlichen erbes und sonstiger gaben.
69'S 8 (vgl. auch Wackernagel 70, 138) wer in einem geistlichen leben hat eins
helblinges tvert ane notdurft und ane der meisterscJtaft gunst und urlob, sicher,
mensche, ane allen zivivel, der ist mit eins helblinges wert vor got. — ß) verzieht auf
nutzniessung zeitlichen gutes, y) geistige armut. — b) Jungfräulichkeit: a) aller
unlauterkeit aus dem wege gehen, ß) streng hert Übung, askese, y) concordantia
cordis (einhellutig des herzen). — c) aufgäbe des freien willens: a) der nicht 'wieder
genommen' werden kann (es wäre todsünde), es sei denn aus notdurft und mit
erlaubnis der 'raeisterschaft', ß) im gegenteil: der freie wille soll zunehmen, y) du
sollst ihn 'ewig machen', als solltest du bis zum jüngsten tage leben. Gott wird
dirs lohnen.
9. Bl. 73a. s. Benedictentag. Derselbe text wie in nr. 8 und fortsetzung
davon, vgL 74'^, 1. Kii s6nd wir anvachen da wir an der ersten brudie Hessen.
Dort war zunächst nur die erste stufe, das übende, anfangende leben ausführlich
behandelt worden; hier nun wird näher auf die zweite und dritte stufe, das innere
leben und die Vereinigung mit got (em mit got werden 78*», 21), auf das zunehmende
und vollkommene leben eingegangen und zwar ebenfalls in drei abstufungen, deren
DER ENGELBERGER PREDIGER 11
jede wieder dreiteilig ist. — Das innere leben (stufe 2) bedingt: a) din conciencie
(gewüssenü) rieh machen: a) du sollst dein gewissen reinigen, es luter, pur, klar
macbeü, ß) reich machen durch Übung der tugenden, y) durch von herzlicliem mit-
leid getragene betrachtung von Christi leiden; b) din verstäyiUnist subtil machen:
a) der gnade gottes stilUcheii warnehmen: ein einziges wort kann gelegentlich den
menschen tiefer bewegen (rüren), als wenn er einen ffantsen vocabulum möcht über-
lesen (75b, 25) oder aller münden gebete spreche, ß) bescheidenheit (Verständigkeit),
die frd'iv diner sele, soll wie eine ehrbare hausfrau oder wie ein Schulmeister es mit
seinen schülern macht, die Oberaufsicht über die 'Jungfrauen der seele' führen,
sowohl über die bekennerin und niinnerin wie Über die bilderin (einbildungskraft)
und klafferin (geschwätzigkeit), y) erschliess dich gott und seiner gnade: got ist
allen mönschen bereit sin gnade ze geben, weren loir bereit ze enphachen (78*, 4);
c) din reminiscentia (angedenhniist) mit got vereinen : a) alle deine gedanken sollen
dir Zeugnis geben von gott, ß) erhebst du dich zu ihm, so neigt er sich zu dir
herab, y) gottes gnade umgibt dich, wie es Moses auf dem berge (Sinai) geschah. —
Das vollkommene leben (stufe 3): a) wirkendes leben: a) alles wirken soll ein
dahkber u/tragen zu gott sein, ß) zu immer neuen tugenden emporsteigen, um wieder
zum Ursprung, aus dem wir gekommen, zu gelangen, y) setze dich mit Maria
Magdalena zwischen die füsse Christi: seine gerechtigkeit und sein erbarmen, und
lausche seinen worten: hie werdent die zwo zungen redent mit eina7ider, der sele
und gottes, das ist die minn die die seh zä got hat und die gunst die got zu der
sele hat (80^, 3); b) minnenklich unverschidt gedultig liden: a) Christus litt unschuldig
und geduldig, ß) fröhlich, y) standhaft (vestenklich, constanter) ; c) vollkommne Voll-
kommenheit: a) Caritas (holtschaft), sie gehört zu einem anfangenden, ß) dilectio
zu einem zunehmenden leben, y) ardor amoris (fürin, brünninde minne).
10. Bl. 84^. Fer. IV Quatt. temp. Quadrag. Cum immundus spiritus
exierit (Matth. 12, 48—45). Der besen (Matth. 12, 44) nimmt nur die obere
Staubschicht, die groben Sünden auf, das gestüppe und das bulver der kleinen schulde
bleibt, und da setzt der böse geist ein und die menschen werden schlimmer als
bisher. Christus trieb den bösen geist von den Juden, indem er ihnen die zehn
geböte durch Moses gal) und dar nach die monscheit nam von jüdschem gesiecht.
Allein die Juden nahmen das wort nur äusserlich nach dem text in sich auf, nicht
nach der glosse (ebenso 92b, 21 ff.), und so blieb ihnen der christliche glaube ver-
schlossen, während die beiden durch die predigt der apostel sich zu ihm bekannten
'ein kunigrich hie, das ander da'. So hat Christus den bösen geist ausgetrieben bei
allen, die getauft werden wollten, und sie durch die taufe zu kindern des ewigen
lebens bestimmt. Wer sich aber zur weit, zur sünde bekennt, ist ein kind des
teufeis, falls er nicht durch das sacrament der reue zu Christus zurückkehrt. Dies
wird nun in eindringlich-bilderreicher spräche ausgeführt mit dem Schwerpunkt auf
das geistliche, klösterliche leben, das die seele unter völliger aufgäbe des eigenen
freien willens zu einer höhern Vereinigung, zu einem gehunt mit gott, zur freiheit
Christi führen soll. Das klösterliche, gott geleistete gelübde, das die weibliche
Insassin abgelegt hat, stellt die höchsten anforderungen : es brechen wäre schlimmer
als der weit meineidig werden. Andererseits aber heisst es sich hüten vor jeg-
lichem Pharisäertum.
11. Bl. 91a. Dasselbe textwort wie in nr. 10 und fortsetzung der letzteren.
In nr. 10 waren bereits sieben gaben erwähnt, die der geistliche mensch vor dem
weltlichen voraus hat: zwei davon, das gelübde und die dadurch bewirkte ver-
12 STRAUCH
mählung der seele mit gott, sodann die göttliche speisung, die dem zuteil wird,
der sich frilich an in lasse und sin sor(/valtikeit alzemale in in werfe, waren schon
dort (Bl. 89») berührt worden. Von den übrigen gaben folgen hier zwei weitere :
als dritte das minnigliche wort gottes (93» 11—97'^, 3, vgl. das excerpt bei Wacker-
nagel s. 583 f.), das a) die eigene Sündhaftigkeit, die sich in reue und beichte kund
gibt, b) die einzelnen tugenden, in denen der mensch sich üben soll, erkennen lässt.
Kannst du auch nicht jedes wort in dich aufnehmen, darum sorge dich nicht, nie
mochtest du alles das einer stunde behüben das ich vil jaren hab yelernet! Wähle
dir das beste aus (zur erläuterung wird ein beispiel aus den altvätern eingeschaltet).
Jeder mensch hat eine verschlossene tür in seinem herzen, die sich bei gegebenem
anlass (einer predigt etwa) auftut und dann wieder schliesst, und was da empfangen
wurde, das kommt einem noch im tode zustatten, c) gottes wort, das 'die sinne'
erschliesst und für die subtilen dinge empfänglich macht, das um so lieblicher grünt
und blüht, je mehr die zeitlichen dinge im menschenherzen ausgerodet sind, je
freier es sich fühlt: da lernst du gottes wort verstehen (wirst künstig) ; was man
nicht versteht, darüber kann man nicht sprechen, willst du das wort aber in dir
aufnehmen, so findest du treffliche Vorbilder nicht nur in der schrift von Christi
und seiner auserwählten freunde leben, sondern auch bei deinen klosterschwestem,
verstorbenen und lebenden. Wer seine fünf sinne besitzt, muss wissen, was er tun
und lassen soll, er sei weltlich oder geistlich. Wer viel weiss, künstig ist, der wird
sich, auch wenn er fällt, wieder aufrichten, empfindet er aber diese kunst nicht als
von gott gegeben, irenjie der (97"') demi vallet, so vallet er so vil schedlicher so vil
er bas iveis, wie er gestan sölt, und er sin kunst nüt nutzklich anleit. — Die vierte
gäbe betrifft das allerheiligste sacrament, den fronleichnam, vor dessen unwürdigem
empfang der prediger warnt', um den gewinn um so stärker zu betonen. Aus
zwei gründen gab Christus sein leben hin : einmal im selber ze einer ere, won er
hat ellil ding getan im selber zu einer günlichi, sodann dem menschen zum nutzen
und zwar 1. zur Stärkung seiner geistlichen kräfte, 2. um hier in disem eilenden zit
und später im ewigen leben unser wegleiter zum himmlischen Vaterland, 3. beim
jüngsten gericht unser fürsprecher zu sein, 4. um unsere geistlichen kräfte zu •ver-
leiblichen', wie es der mutter gottes geschah, als sie das ewige wort des vaters
empfing, als das wort fleisch wurde.
12. (Bl. 101a), Ässunipsit alios Septem Spiritus (secum) nequiores se et ingressi
habitant ibi (Matth. 12, 45). Fortsetzung der nrr. 10 und 11, in der die letzten
drei der sieben gaben (s. nr. 11) abgehandelt werden; die drei nummern bilden also
eine einheit (vgl. 101a, lO). Die fünfte gäbe, die dem geistlichen menschen vor-
behalten ist, bilden die süssen minnenklichen trSst und das heimlich kosen, das got
in der sele tat: a) so dass sie mit dem psalmisten (Ps. 119, 103) und Maria Magdalena
(Luc. 7, 47) empfindet; b) ein in jeder beziehung reines gewissen, das alles aus-
geschaltet hat, was von gott trennen könnte ; c) ein aufgehen der irdischen minne
in die göttliche, aus der sie geflossen ist ; d) eine innere läuterung, die den menschen
zum Vorbild seiner mitmenschen macht (102a, 14 ff.): dis ist wol ein süsser jubil und
mag wol heissen die heimliche trSst, die got der sele git, und in disem ist hillich
fröide über fröide. — Das gebet eines geistlichen menschen schätzt — es ist dies
1) Unter berufung auf 1. Cor. 11, 29 und Joh. 6, 59 ff. Genauer als Job, 6, 60
ist Sa 98t>, 15 die zahl der jünger nach Hieronymus mit 72 angegeben, von denen
aich die zwölf eigentlichen jünger (Joh. 6, 67) dann abheben.
DER ENGELBERGER PREDIGER 13
die sechste gäbe — gott höher als das des weltlichen, vorausgesetzt, dass es stets
im einklang mit Matth. 26, 42 geschieht, sodann in der Zuversicht deinerseits, dass
was du bittest auch erhörung findet, hier in der zeit oder zu deinem ewigen nutzen.
War doch auch der h. Benedictus so eins mit dem willen gottes, dass er nichts
wollte als was gott wollte und gott nichts als was er wollte. — Die siebente gäbe
ist der vollkommene friede, es si haben oder darben, geluke oder ungelüke, es konie
von got oder von creature, unter berufung auf Job. 14, 27 und Rom. 8, 35. — Wer
diese sieben gaben nicht dankbar in sich aufnimmt, sondern dem weltlichen wieder
räum gibt, der ist für gott weder kalt noch warm (Apoc. 3, 16), er hat sich
zwischen zwei stuhle gesetzt und gleicht der fledermaus, die weder vogel noch maus
ist. Wollte aber solch ein sich untreu gewordener geistlicher mensch sich auch
gern wieder bekehren, es wäre ihm kaum möglich, so ist er mit dem ungern für-
komen, es sei denn durch einen behenden niderslag, wie er Paulus traf. Dise
mSnschen sint recht ir selbers helrich, won helle und himelrich ist nienant ivon in
dem mönschen. Solcher menschen gebet wird auch nicht erhört, sie geben nur böses
Vorbild. Aber ein mSnsche das sich luterlich hielti z& sinem geistlichen leben, das
imirde sin selbers himelrich, ivon das rieh gottes das ist in uns.
13. ßl. 106b. Dom. II Adventus. Erunt signa in sole et luna et stellis
(Luc. 21, 25) = Wackernagel nr. 68 (s. 182 ff.), vgl. Cruel 8.401 f., Linsenmayer s. 444.
Das hauptthema ist die mystische erklärung der fünfzehn Vorzeichen des jüngsten
gerichts nach Hieronymus *.
14. Bl. 120^. Dom. XXI post Pentec. Quia heri hora septima reliquit enm
febris (Joh. 4, 52) = Wackernagel nr. 69 (s. 193 ff.), vgl. Cruel s. 400, Linsenmayer
8. 445.
16. Bl. 129a. Ignis ante ipsum precedet (Ps. 96, 3). Es gibt 32 arten göttlicher
minne und neun staffeln sind zu ersteigen, um auf die zehnte zu gelangen, auf dass
der mensch empfänglich werde für die weslich minne wid dis ist got allein. Die
minne verlangt eine dreifache speise : 1 lesen und beten : 129^, 4 ff. ich oder ein
brödier der die bucher kan lesen oder die geschrift gelernet hat, der sol in der ge-
schrift lesen, da findet er gottes Ordnung und unterscheid aller dinge, und wie die
lieben heiligen und die hochen lerer die geschrift gemachet hant und so groß arbeit
gehebt hant. Wir sollen nun schneiden, was sie gesät (Joh, 4, 37). Ja die minnenk-
lichen fründe gottes die hant menig lieplich bäch gemachet als si geiviset wurden von
dem heiligen geiste und hant groß arbeit dar umbe gehebt, und dis alles niessen wir
nu. Du aber, die du nicht die geschrift kannst, sollst in der kreatur lesen und er-
kennen, wie liebevoll gott alles geschaffen, den himmel mit sonne, mond und sternen,
das erdreich mit rosen, blumen, mit mancherlei frucht und gebaum geschmückt hat,
hier körn und dort wein wachsen lässt, das die länder dann gegenseitig austauschen.
uttd dis ist du gemein bräderschaft die die liit zemen habent nach liplicher wis ze
nemen. So lernst du einen weisen, starken, schönen gott erkennen ! — Zum andern
sollst du die minne vuoren ('speisen, nähren') mit betrachtunge, und das steht höher.
In der schrift lesen und beten ist gar siecht, einvaltklich (130*», 3), aber hie muß
der mönsche stund und stat geben dar zä. tvon wil ich ein brodie studieren, ich muß
mich gar wol dar uf bedenken, iine ich si betracht, das ich si ze velde bringe, das
*
1) Aus der Zeitschr. 46, 228 angeführten parallele zwischen Sa 120;», 13 ff. =
Wackernagel 68, 418 ff. und Seuse 242, 7 ff. wird man keine folgerungen ziehen
dürfen.
14 STRAUCH
got da von gelopt werde und min ebenmonsche gebessret. So tu auch du, denn
'betrachtung' ist mehr als 'lesen', won zli dem ersten so sptst man die kint mit tnilch
und mit brot, das ist ein liechtvertig spis. rtt dem andren male so es gebinnet {'■hegiimV '),
ivachsen das es ein völliger mSnsche sol werden, so miiß man im besser und sterker
spise geben. — dar nach so wirt es denne ein volkomner mansche, denne bedarf es
aller best starker spise. Und so muss nun auch 3. die rainne gekräftigt werden und
zwar durch aufgeben des eigenen willens, wie es s. Paulus tat (Act. 9, 6). — Die
neun minnestaffeln sind in folgender weise charakterisiert: 1. im 'anfangenden' leben
ein siechi minne (131^,20), und zwar a) siech aus Sehnsucht nach gott (Cant. 5,8),
b) dem siechen ist alle speise — alle weltfreude verleidet: das man vor inen (den
siechen menschen) tantzoti, das mochte si 7iützit gefroicen, won ein siecher mansche,
der dem psalterioti und sungi und seiti alliu du fröide du in dirre zit ie wart und
man ime alle dis weit ze eigen gebe, er gebe niitzit dar umbe, und were allü du weit
sin, die gebe er frdlich dar umbe das ime ein artzat wider hülfe, der artzat were
ime lieber denne alle sin frt'tnde und alles das disii weit geleisten mag, c) den siechen
erkennt man an der blässe des antlitzes (1. Sam. IG, 7); diese wird hervorgerufen
a) durch arbeit (wachen, fasten, beten usw.), ß) durch siechtagen, y) durch Sehnsucht
nach gott (Cant. 2, 16), der sich dem menschen zeitweise entzieht: in der freude
der göttlichen gegenwärtigkeit vermag die liebende seele davon nicht zu schweigen
und si dch (133*) da von nicht völklich gesagen mag, won das si halbü wort redet
recht als si nß utisinnen redi und si sprich et : Dilectus meus michi et ego Uli. Min
geminter mir und ich ime. was weis si des? do hat si es enphunden. dis sint gar
kintlichü wort, won si kan von rechter minne so si zä dem geminten hat [so kan si]
niitzit anders reden, won es ist der minne recht, das si nützit kan ivon gar stumpf-
lich reden und gar slechtlich, und so ir also hertzlich wol ist, das si niitzit bessers
begerti, so ziichet sich ir ir geminter under. Ihn dann zu entbehren, lässt sie mit
8. Bernhard sprechen: mochti helle in dirre zit sin, so tvere — das pinlicher denne
helle. — 2. (133^, 20) eiti übendü minn (Matth. 25, 40) : — allü möyischen müssent dur
übent leben zä dem schowlichen komen. — 3. (134^, 9) ein s&chendii minn (Cant. 3,
1—3), siehe Wackernagel s. 596 unter Sa 132^. — 4. (135^, 5) ein unmüdi minn. —
6. (136^, 16) ein ungestümi minne (Cant. 1, 3, 4). — 6. (136^, 7) ein löffende minn:
wie die heiligen einst von tugend zu tugend eilten, so sollen auch wir in edlem
wettlauf- dem ziel, dem ewigen leben zustreben, und wer der ist der aller meist
tugent volbringet, dem wirt du krön ewiges lebens. nu was ir vil die nach der krön
lüffen, und si wart doch mit won einem, dis bezeichnet geistlich ze (137») nemeyi alle
creft der sei die löffent, und wirt doch allein dem blossen wesen. Die übrigen minne-
staffeln behandelt die folgende predigt.
IG. Bl. 137*. Derselbe text wie in nr. 15 und fortsetzung in der auslegung
der neun (zehn) minnestaffeln: 7. (137^, 10) ein getiirstig minn: (Maria Magdalena)
sacht den engel des grossen rates, das was got selber, also tänd dch disü manschen.
1) Wie auch sonst beobachtet worden ist, findet bisweilen Verwechslung von
h und g statt, d. h. die schriftzeichen müssen sich sehr ähnlich gewesen sein, auch
phonetisches mag mitsprechen: Sa 2*, 16. 130*, 20. 131*, 23. 25. 146^, 5. Sb 41b, 8.
81b, 18. 98b, 4 siQ\ii gebin(ne)t für beginnet, Sb 81b, 20 sogar bint, Sb 81b, 22. 93b, 10
gebonde(n) für begonde(n).
2) Sa 136b, 15. Es was hie vor in der alten E da man ein zil gemachet hat,
und lüffen vil lüten zä dem zil, und welr der erst icas der das zil erlüf, der hat öch
gewunnen, das denn hieß (hs. ließ) wetton.
DER ENGELBERGER PREDIGER 15
St envindent mit e das si den herren selben vindent. si hant niH ffenüff, das (138a)
ef inen sin hotten sendet, das sint die hrodier. si xvend in selb selber, recht als ob si
sprechfenj : ich wil weder Chernbin noch Seraphin, ich ivil in selber, habe er kein
minn sä mir, so sende (er) mir keinen botten, sunder er sol selber komen mit siner
gegentvürtikeit. Die getiirstig iiiinne geht in die brautkammer, weckt den geliebten,
dass er sich mit ihr vereinige als ob nieman mer were in zit won si zwey. —
8. (138a, 14.) ein verstrichti minn. Die 'Verstrickung' zwischen gott und der seele
ist eine dreifache : a) gott ist zä der sele verstrikket als ein bilgrim d. h. vorüber-
gehend, ivas nu Hecht ist verstrikket, das ist och Hecht entstrikket. Der minnigliche
herr wird, dem pilger gleich, oft smelich uß getriben von der sele und dis geschieht
mit der sele willen und über allen sinen willen (hinweis auf Luc. 19, 41). — hie maß
die gnade gottes verborgen ligen schedlich in dem manschen, won er hat si von ime
rertriben und lat si in ime mit wurken; b) als ein huswirt, den nieman nß getriben
mag: hie gat got von der sele mit sin selbs willen u?id über der sei willen. Entzöge
gott nicht zeitweise seine gnade, die auf dieser staffel stehenden menschen würden
sich zu tode üben. Sie ringen wie Jakob mit dem engel um den segen gottes, sie
erhalten ihn auch, daz si untz an iren tod müssent hinken wie Jakob (Gen. 32, 25).
diser segen — der ist das er (der lierr) inen brichet die adren ob der rechten huf:
das ist ir begirde die si zii ziilichen dingen hant, wo7i wenne si har abe gant z&
zitlichen dingen daz si ir notdurft müssent suchest: wenne si denne die zehen des
rechten fässes uf das ert (139^^) riche bietent, so kumet doch die versen niemer
gentzklich uf das ertrich. war umbe? do hinkent si an dem rechten fasse, das ist ir
begirde die hinket zä allen zitlichen dingen, und hebent iren fäs snelklich uf zä got-
lichcn dingen und hant behendenklich genüg; c) als ein minnenklich gemachel zä
siner gemachlen. hie gant si beidü von einander und dis geschieht och mit ir beider
willen, der sele und gottes. ja si lasset hie got dur got und dient und hilft den
(kloster)schwe8tern, überhaupt ihren mitmenschen um gottes willen, ohne deshalb
auf sich selber unachtsam zu werden. wo7i ein mansche mag einer stunde uß gan von
liechtkeit von der gnade gottes {1¥)^) und das er si darnach gern hetti, das si im i7i
langer zit niemer tvider wirt. won die gnad gottes ist also zart, das si mit itallich
bi dem monscJien beliben wil und kumt si einig zä dem manschen, so wil si aber
fruchtberlich wider komett. — 9. (11:0^,8) ein fürin minn: zum vergleich wird die
schwarze kohle, bis sie im feuer zu asche wird, herangezogen, ihr völliges aufgehen
am leben der Maria Magdalena an der band ihrer legende veranschaulicht (siehe
unten); ihr ist nachzueifern und zwar gleichfalls in dreifacher beziehung: 1. min
kint, laß dich! der kol bi dem für lat sich wellen ('rollen, schieben') war ynan
iril. also solt du dich lassen, ivie got oder creatur mit dir tänd, das soll du
liden (hinweis auf Gal. 6, 11). 2. Im feuer wird die kohle dem feuer gleich : so sollst
auch du das feuer, das in deinem herzen glüht, deinem nächsten, bedarf er dessen,
mitteilen, sei es dass du von gott sagen hörst in der predigt oder anderswo. Ist dir
et^as von der paradiesesfrucht zuteil geworden, so spende davon auch deinem mit-
menschen, und wäre es eiti einig loiblin, ein einziges gutes wort, in der predigt
gehört oder in gnaden empfangen, du macht nüt wüssen wo dur got den manschen
wil ziechen, dur dich oder dur ander lüt. 3. Die kohle geht gänzlich im feuer auf
und wird zu asche: so gehe auch du ganz in der göttlichen minne auf. in disen
manschen — lebet got und iveset in in und würket allüjr trerk, won'\er ist ir tän
und ir lassen und si sint in got alzemale als si u'aren in ir erstem Ursprünge, do si
von in selber und von keiner creature nützit wüston. — 10. (143», 14) die zehnte und
16 STRAUCH
höchste stafifel ist du wcslich minn, die got selber ist. Gott schuf uns nach seinem
bilde, machte uns an der gerechtikeit sich gleich und an der grussi. Durch Adams
fall beleih dem menschen mit won du grussi, als vil als der M. das antlit der sele
— das ist der fri wille — na(c)hbildet dem leben Christi. Wie Christus alles dem
vater zur ehre, dem nächsten zum nutzen, der ganzen menschheit zum guten Vor-
bild tat, so sollen auch wir in gleicher weise aus 'freier minne' handeln, als vil du
dich tiu gelich haltest Christus leben, als vil belihet das antlüt diner sele gelich got.
Wie Noe das edel tüblin aus der arche aussandte und dieses einen grünen zweig im
Schnabel heimbrachte als Wortzeichen, als wares urkünd der Versöhnung zwischen
gott und dem menschen, so hat gott aus der arche seines väterlichen herzeus den
menschen auf den plan dieses zeitlichen lebens gesandt, auf dass er sich luterlich
halte das er das grüne zwy sines verdienens und siner ersten unschulde und des
minnenklichen verdienens Christi bringen solt in dem munde, als es die küngklich
magt Maria bracht in der hant ('auf den armen' nämlich das Christuskind, vgl.
A. Salzer, Die .Sinnbilder und beiworte Mariens s. 501, 10), also bringent es alle
mSnschen in dem munde, won sicher, mansche, tvilt du ivider komen in die arch des
vätterlicJien hertzen, uß der du komen bist, so m^st du ze siben malen schSner
(werden) denne du sunn, aber din sele die muß ze acht malen schöner werden denne
du sunne, also das si lücht dur den lib. — du müst werden also edel als du uß ge-
flossen bist, solt du wider in fliessen in das grundlos mer der hochen gotheit. Nach
dem schluss, dem Amen der predigt heisst es dann noch 145*, 13 Wer nu dis zechen
Staffel übergangen hat, der vindet in zit kein räwestat , won er sich in weslicher
minne mit got vereinet hat und er sin gemüte mit dem adler in die hSchi erhaben
hat und sin gevider erswungen hat und blikket mit dem adler in der sunnen rat.
Dis ist du sunne der hochen gotheit, mit der ist er vereint in ewiger Sicherheit
mit der hochen dryvaltikeit. Kaum ein zusatz des Schreibers, da es am schluss
der folgenden predigt (14:8b, 9 ff) fast wörtlich, wenn auch ohne reimprosa, ebenso
lautet (siehe unten).
17. Bl. liöa. Dom. I Quadragesimae. Hortamur vos ne in vacuum graciam
dei recipiatis (2. Cor. 6, 1). Es sind sechserlei gnaden, durch die gott den menschen
aus einem sündhaften leben in ein geistlich göttlich leben führt: 1. ein tribendii
gnad, 2. ein ziechendü gn., 3. ein gandii gn., 4. ein löff'endu gn., 5. ein fliegendü gn.,
6. ein zukkendtl gnade. Wie der esel durch schlage und die aufgebürdete last vor-
wärts getrieben wird, so muss auch der mensch mit bitterkeit 'angetrieben' werden,
damit er den rechten weg gehe (siehe unten). Des weiteren 'entzieht' gottes
gnade den menschen zitlicher wollust. (Durch den Verlust von bl. 147 erfahren wir
nur noch die ausführungen über die fünfte und sechste gnade). Die 'fliegende' gnade
macht den menschen so leicht, das er auffliegt wie eine taube : wie diese gern in
den mauerspalten ihre wohnung nimmt, so der begnadete mensch in den wunden
und im herzen Christi (mit verweis auf Job. 10, 9). Entgegen 145b, 24 (ein zukkendü
gnad) heisat es 148b, 5 ein flnkkendil oder ein zukkendü gnad, wohl weil der adler,
der auffliegt, in das sonnenrad blickt und an der sonne hitze sein gefieder versengt,
zum vergleich herangezogen werden soll (siehe unten), also tänd och disü
minnenklichen manschen, die werdent mit den ögen der Vernunft und des bekentmisses
in blikent in das rad der sunnen als vil es tnuglich ist einem mönschen in zit, und
ir gevider wirt besenget von der sunnen, das ist ir minn wirt enzündet in der sunnen
der hochen gotheit, und si werdent verzükket von aller zitlicheit und wider ingefüret
in iren ersten Ursprung, uß dem si geflossen sint, do werdent si mit got vereint.
DER EliGELBERGER PREDIGER 17
18. Bl. 148'\ Mit dem textwort Beati mortui qui in domiyio morinntur (Apoc.
li, 13) bricht die hs. ab.
Sb. 1. Bl. la. Dom. I post Pentec. Dens Caritas est et qui manet in caritate
in deo manet et deus in eo (1. Job. 4, 16). (2*, 2) Amor vincit otnnia. minne tiber-
windet alhi ding, sid das nu ist in sitlichen dingen, so ist es vil billicher in gotlichen
dingen. (2«'^, 17 if.) Es gibt vier arten der minne, die uns zu gott zieht: die götliche,
natürlicbe, brüderlicbe und selpliclii minne ; besitzest du diese in richtiger weise, so
wirst du mit gott vereint. Die erste, die göttliche minne analysiert unser prediger
in Worten, die den Stempel innerer anteilnahme, eigensten empfiudens tragen; Abel,
Moses und Elias werden zum vergleich herangezogen; siehe auch die excerpte bei
Wackernagel s. 597 unter 'S. Bernhard' und s. 595 unter 'Funke'. Die natürliche
minne * gibt anlass zu einer allegorischen ausdeutung von Noes raben und den
beiden wieder in die arche zurückkehrenden tauben. Die brüderliche liebe zu seinem
nächsten soll gleich der zu gott sein, mit zwei ausnahmen : ihn nicht mehr zu lieben
als gott und ihn damit zu einem abgott zu machen, und ihn nicht als gott anzu-
beten. Lehre ihn auch nicht subtili ding von der gotheit, das kommt dir nicht zu,
ist vielmehr die aufgäbe der lehrer (die das gotz wort uf den stälen si'dlent thi
15b, 20) und prediger; beschränke dich darauf, ihn den christlichen glauben und die
zehn geböte zu lehren sowie die, die einem orden angehören, nach der regel zu
leben, der meisterschaft ane murmulon gehorsam zu sein (7a, 16 ff.); vgl. auch das
excerpt bei Wackernagel s. 584 z. 15— 23^ Die selplich minne ist die liebe zu
sich selbst, sie soll so gross sein, dass du keine sünde in dir ungerochen lässt. Der
mensch soll stets das rechte äuge (die gerechtigkeit) auf sich selber gerichtet halten,
was oft nicht geschieht. Es gibt viele menschen, die dis minne gar unredlich
bruchent, die alwegent mit dem geissögen uf iren ebenmonschen secJient, eine an-
spielung, die mit einem einleitenden wir lesen (8b, 4) des näheren erläutert (siehe
unten) und durch hinweis auf Matth. 5, 29 gestützt wird. 9b, 1 ff. führt eine
scholastische auslegung des vierteiligen kirchenjahres ^ mit nutzanwendung zum schluss.
2. Bl. 10^. Dom. I post Pentec. Homo quidam erat dives et induebatur pur-
pura et bisso et epulabatur cotidie splendide (Luc. 16, 19). Der text vom reichen
1) Und dise minne ist also edel, so du nature stat in irem adel, das kein
mittel ist zivuschent got und nature wen (Sb 5^») das got ist wesen und nature ist
ein gäbe, ja ! got ist ane anvang und ane ende, so ist nature anvang und ende und
ist uß got geflossen\nnd ist ein gäbe gottes.
2) Dem excerpt bei Wackernagel, im Zusammenhang mit ihm, geht Sb 8a, 2
der eigenartige vergleich voraus : hette ein monsche den andren lieb und tvere der
mönsche in einem vasse, als vil sin in dem vasse tvere gesin, also vil hette er das vas
lieb, also solt du tän.
3) Die teilung ist folgendermassen gruppiert: 1. die zeit von Septuagesima
bis zum Sonntag so das marterzit an rächet; es ist ein zit des irrganges, als Adam
aus dem paradies Verstössen ward und mit ihm das ganze menschengeschlecht; in
diesem Zeitabschnitt liest man das bäch Genisi (!). 2. Advent bis Septuagesima
— zit der ividerrüffunge, seit Christi geburt. — lectio; die buch der propheten und
der ivisagen. 3. Sonntag de passione Domini — so das marterzit an rächet untz an
den sunnentag das man an vachet Deus omnium (respons der zweiten brevierlectio
der Dominica III post Pentec.) — zit der versünunge, marter, tod und auferstehung
Christi, aussendung des h. geistes. — lectio: das bäch Jeremie. 4. von da bis zum
Advent — zit des strites, streit und sieg der könige: ecclesia militat, ecclesia
triumphat. — lectio: das bäch libri (!) Regum, libri (!) Sapiencia und andrü blich
— libri Machabeornm. Die einteilung entspricht im grossen ganzen dem Breviarium
Coüstantiense (vor 1500).
ZEITSCHEIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. L. 2
18 STRAUCH
manne und Lazarus erfährt geistliche deutung. Beide, der arme wie der reiche,
sollen im menschen 'vollbracht' werden, tco^i du bist der ander himel und du minder
weit (mikrokosmus). Willst du ein reicher mensch werden, so musst du arm werden,
denn der reichtum entspringt aus der arniut. Diese aber bedingt ein dreifaches im
klösterlichen leben: 1. freier verzieht auf zeitliches gut, auf das erbe der eitern und
verwandten, unter berufung auf Matth. 19, 16ff. ; 2. verzieht auf jeglichen 'nutz des
gutes', auf die ausnutzung dessen, was andere besitzen, denn dann wäre es schon
besser gewesen, das väterliche erbe zu behalten. Siehe das excerpt bei Wackernagel
s. 592 unter 'Nonnenleben' (z. 4 ist gilen zu lesen, desgl. s. 593, 19 ab mit gilen)\
3. völlige aufgäbe seiner selbst, 'das ist die grösste armut und gelassenheit' ; berufung
auf Matth. 19, 27, Joh. 12, 25. Dis int ein armät der snellenMich volget grosser
geistlicher richtam. Zu diesem führen fünf staffeln : 1. sich von allen sündlichen
gebresten kehren, sich den tugeuden zuwenden, den Untugenden entfremden; 2. ein
tapferer manlicher flis alle tilgende ze roibringen nf ir volkomcnheit. Lass dir die
niedrigsten dinge zu tun angelegen sein ; 3. ein erluchtet consciencia — oder ein wis
bescheiden minne — ; das ist das der mansche also erluchtet si und alsolichen under-
scheid enphangen habe von got, das er ieklichem dinge sin recht ordenlich kunne
geben. Man soll nicht alle menschen auf einen punkt treiben, denn was dein leben
ist, kann eines andern ewiger tod sein ; 4. versäume nicht den rechten aiigenblick
(hlickschos IG^, 21), wenn gottes gnade sich dir nähert; sie wird dir vielleicht nie-
mals wieder zuteil ; 5. sei allen ein vorbild durch einen in werten und werken
geordneten lebenswandel. Im weiteren verlauf werden die textworte 'purpur', 'bissus',
'grosse Wirtschaft' im sinne des geistlichen reichtums ausgelegt, es wird gezeigt,
dass dieser geistliche besitz den menschen erst befähigt, auch innerlich arm zu
werden, zu sterben und entwerden gotz und aller siner gaben von innan, was wieder
an der haud des textes ausführlich veranschaulicht wird.
3. ßl. 23^. Dom. II post Pentec. Homo quidem fecit cenam magnam et vocavit
multos (Luc. 14, 16). ^ach vollständiger mitteilung des evangelientextes folgt die
auslegung im einzelnen: des brntlöf und des abentessen, der spendung des altar-
sacramentes. Unter den drei gruppen, die nicht der einladung des herren folge
leisten, sind gitig und hochvertig liite sowie solche zu verstehen, die ein unlauteres
leben führen. Über erstere siehe das excerpt bei Wackernagel s. 594 unter 'Strass-
burg'er messe'. Wer da sagt 'entschuldige mich' und weiss, dass er unrecht getan,
der tut wie Adam, der die schuld auf Eva und die schlänge schob. Da wählst du
dir besser Maria Magdalena zum vorbild (Marc. 14, 3 ff). — Die hochfertigen (gruppe 2:
26b, 2 ff.) sind wie die rinden die, Avenn man ihnen das joch auflegt, im zorn mit
beiden hörnern alles verletzen was ihnen in den weg kommt. Man ist ihnen gegen-
über, auch im kloster, machtlos ; wider ein wort geben sie zehn, lassen weder geist-
liches noch göttliches gelten, das recht harn (27») ist die geschrift, die valschent si
und sprechent was si gelesen iind gehört haben und wie man tan si'dle, als inen denne
in irem hopte ist. won si wend uß ihrem höpte leben und wend schlechtlich nieman
gehorsam sin. das sint wol die menschen, von dien da stat in der regel s. Benedicti
die do heissent selbweller (siehe die Engelberger benedictinerregel, Geschichtsfreund
89 (1884), 15 23j 16"). — dise manschen verkerent die heiligen geschrift, wan die ge-
schrift lat sich biegen als das wachs und dar umbe spricht man, si habe ein wechsln
nasen^ aber wenn man si richtig nimmt, so lehrt sie niemanden etwas unrechtes.
Mit dem andern hörn glauben sich die hochfertigen zu wehren, indem sie sagen :
ich tue nichts als was du auch tust ; du kannst dich aber vor gott damit nicht ent-
DER ENGELBERGER PREDIGER 19
schuldigen, dass die andern auch tun was sie nicht tun sollten (mit berufung auf
Matth. 23, 2—4; ebenso 106^, 9). 28, 5 ff. werden die fünf joch rinder (ein joch zwen
ochsen) auf die fünf aus- und inwendigen sinne gedeutet (vgl. auch Eckhart 114, 30 f.).
— Über die unlauteren menschen (3. gruppe) siehe das excerpt bei Wackernagel
8. 593 z. 20—41. — Aus der weiteren, jeden einzelnen satz des bibeltextes auslegen-
den predigt sei noch folgendes ausgehoben : 31a, 8 ff. gross war das 'abendessen'
(Luc. 14, 16), weil der gastmahlgeber 'ein grosser herr', Jesus Christus war, u-oti
was ein keiser gebe, das teere vil getneiner denne das ein kleiner mansche gebe, weil
alle Patriarchen, propheten und apostel zugegen waren, der heilige geist selber
schenke, die mutter gottes kelnerin, die gerichte und speisen edel und vin waren,
warum es ein nach tmahl war, sagt das weiter unten mitzuteilende excerpt.
4. Bl. 33a. Dom. II post Pentec. Dicite invitatis ut venirent qnia parata sunt
omnia (Luc. 14, 17). Unser prediger hat die neigung, öfter die präfiguration ' als
mittel der veranschaulichung zu verwenden. Er 'beweist' seine ausführungen mit
figur und mit der geschrift. So auch hier. Das Luc. 14, 16 ff. erwähnte abendmahl,
zu dem 'alles bereit' ist, hat schon im alten testament sein vorbild in dem fest-
mahl des königs Aswerus (= Christus, siehe meine anm. zu Heinrich v. Xördlingen
XXXni, 3,ö ff.), das osterlembli (= fronleichnam), das da gebraten wart ayi dem
heiligen krütze in dem himelbrot, das der rabe täglich dem Elias brachte (1 Könige
17, 6; ausser an dieser stelle 34", 7 wird nochmals 45a, 1 und 12315, 17 darauf an-
gespielt) und mit dem das volk Israel in der \vüste gespeist wurde (unter bezug-
nahme auf Exod. 12, 8, vgl. auch bl. 45*, 8 ff.). In weiterer ausführung von Esth. 1, 3. 5
werden zu dem von könig Aswerus veranstalteten mahle viererlei menschen geladen:
die fürsten und edelleute, gewaltig hite, dur das si der porten und der toren solten
hüten, die schönsten kinder, um dem volk und der herschaft kurzweil zu schaffen,
das 'gemeine' volk : vier gruppeu, die ausführlich im geistlichen sinne charakterisiert
werden;]^ die ausdeutung ist hier oft eine recht gewaltsame, weit hergeholt und
gesucht. 37^, 5 ff. bis zum schluss handelt dann vom sechsfachen nutzen eines
würdigen geniessens des osterlamms und des altarsacramentes, vor dessen unwür-
digem, sündigem empfang besonders eindringlich gewarnt wird.
5. Bl. 43b. Der gleiche text wie in nr. 4, auf die sich der prediger auch
beruft (44a, 9 f.). Wieder wird an des Aswerus festmahl als präfiguration des
abendmahles Christi angeknüpft. Christus genoss (nos) zuerst sich selber, um allen,
die ihn begehren, genug zu tun ; alle, die verderbent in wasser oder in füre oder an
stritten oder des gechen todes: sie empfangen den fronleichnam als gewerlick geistlich
als ob si in enphiengen von des priesters hant. Um das n achtmahl, das sacrament
würdig zu empfangen, bedarf es zwölferlei (4 X 3) dinge, erkenntnisse und Übungen :
1. in welcher weise und warum Christus es eingesetzt hat: a) auf dass die flguren
der alten e vollbracht würden, Avobei ausser auf Elias, das den kindern von Israel
gespendete manna und Moses' bestimmung über den genuss des osterlamms (siehe
pred. nr. 4), auch auf Jesaias 45, 8 und Ps. 77, 25 hingewiesen wird. Des Martyrium
Isaiae wird bei diesem anlass in einer eigenartigen fassung gedacht: 45'', 7 ff. do
man den (Jesaias) tcolt tuden, do hat er sich verborgen in eine böm vil zites, und die
vigent kamen und sagten den bön. und do si kamen im in sin hopt, do rt«ft er das
1) du alte und dti nihve E (Sb 142b, 14 werden sie durch die beiden hörner
der bischöflichen inful versinnbildlicht), die gant gar gelich mit ein ander, toan waz
du alt e hat in figure, das hat du niUv in gnade (Sb 60^, 4).
9*
20 STRAUCH
si uf horten, und si taten es nnd hatten ime in sin höpte gesagt, das ime sin blät
über sin antlit nider ran. do sprach er: es werdent komen die tage, das die himel
werdent trophent von süssiJk'eit nnd es wirt geben ein spis den manschen, das ich die
spise solte niessen, so ivolte ich ir gerne in diser bitterkeit beiten. Dis sprechent die
lerer, das es nochten was nündhalbhundert iar, e das Cristus die spis bereit^. —
b) dass Christus das naclitmahl einsetzte aus überströmender liebe zum menschen-
geschlecht (Jerem. 31,3), wofür der prediget sich u. a. auch auf sanctus Urbanus
beruft, der do schribt von dem sncranient (46b, 12) ^ — c) dass aucli der inwendige
mensch von geistlicher speise gespeist werden sollte; 2. der Vorbereitung zum
empfang des sacraments innerhalb 3 oder 4 tagen : a) indem du dich begangener
Sünden schämst und sie gewissenhaft, aber kurz beichtest, won ein. lange bicht zoiget
ein verirt gewitssenil (cotisciencia) — und du benimest dinem bichter sin edel zit und
verirrest dich selber und och in (47^, 1 ff.). In der alten e büsste man die schweren
Sünden durch darbriugung eines opfers. Wir beichten dem menschen, denn gott
ist mensch geworden. Dar umbe saste sant Jakob ^ uf, das man de manschen bichtet
an gotes stat totsiinde und der gelich (47b, 21 ff.). Zuerst aber beichte gott, dann
erst dem priester. — b) indem du deinem nächsten gegenüber friedlichen herzens bist
(Matth. 5, 23. 24), — c) indem du die feste und ernste absieht hast, dich vor Sünden
zu hüten ; weder papst noch bischof, prälat noch leutpriester können dich sonst
absolvieren; 3. der Vorbereitung am morgen und in dem augenblick (dem ^e^en-
tf'iirtigen nn), da du das sacrament empfangen sollst: a) dazu ist nötig ein reuiges,
gesammeltes (geordnot) herz, nach dem du genügend geschlafen, dich nicht un-
ordenliche)- Übung der nacht hingegeben hast; — b) inbrünstige Sehnsucht nach
dem sacrament, so dass dir nicht leider geschehen könnte als wenn man dir sagte :
dii kilch ist verschlagen, du mäst ane das sacrament sin. dir solte vil lieber sin, das
man dir seite, das din vatter und niäter und alle din frthide tot weren, ja ob ma7i
Joch spreche des gechen todes (49b, H ff ), _ e) alle andacht zu lassen, vielmehr habe
der mensch darauf zu achten, in nichts ärgernis'zu geben, sich zu hüten, das er
mit sinen tüchren noch mit keinen dingen den jjriester irre noch das sacrament nüt
rare noch ime kein untvirdikeit erbiete und Unachtsamkeit noch den kelch nüt schütte
(..0», 11 ff.). Manche menschen sagen, man solle beim empfang des sacramentes aus
andacht niederfallen : das ist mit recht, sicher ane zivivel, won der mansche macht
salich andacht haben, das er sin selbes vergesse und ime das sacrament uß dem
mnnde enphiele, — — er soll deshalb darauf bedacht sein, dass er dem sacrament
von ussnan genug tüge (50'i, 15 ff.); 4. des Verhaltens nach dem empfang: a) nach-
dem du in dem kor den mund geöffnet und dem sacrament von ussnan genug getan
1) Über das Martyrium Isaiae siehe Schürer, Geschichte des jüdischen Volkes
3*, 386 ff. ; Kautzsch, Apokryphen und pseudepigraphen 2 (1900), 122 f.; Protest,
realencykl. 8 (1900), 71 4, 24 ff'. Aus der älteren deutschen literatur kenne ich nur
die anspielung in Heslers Apokalypse ed. Helm 13271 ff. mit der anm. Zu do sprach
er usw. vgl. Luc. 17, 22; Joel 3, 18; Amos 9, 13; Ps. 135, 25. Dazu schreibt mir
K. Bihlmeyer : 'die christliche Weiterbildung der legende mit Weissagung der eucharistie
kann ich zunächst nicht belegen.'
2) Gemeint ist pabst Urban IV (f 1264), der Stifter des fronleichnamsfestes
(Magnum Bullarium romanum I (Luxemb. 1742), 121 f.). 'Die bezeichnung Urbans
als ,sanctus' erklärt sich wohl daraus, dass sich nach seinem tode das gerücht ver-
breitete, auf seine fürbitte hin seien wunder geschehen. Deshalb wurde auch der
leichnam aus der dominikanerkirche in Perugia nach dem dorne daselbst überführt.
Vgl. L. Duchesne, Liber pontificalis 2 (Paris 1892), 455.' (K. Bihlmeyer.)
3) Vgl. Jac. 5, 16 und Beda: Schönbach zu den Altd. predigten 3, 88, 34.
DER ENGELBERGER PREDIGER 21
hast, solt du nu den mund diner sele uf tän, das ist diu begirde, und du solt din
hertzlieb umbevachen mit dien armen dinier sele (bezugnahme auf Cant. 3, 4). Dann
erschliesst er dir den minniglichen verborgenen schätz seines leidens und wird jedem
menschen gegenwärtig auf seine weise, diesen in dem kripflin, an der säule, unter
der dornenkrone, unter oder an dem kreuze, jenen im grabe, in der vorhölle bei
den altvätern, oder bei der auferstehung, der himmelfahrt, beim gericht. 51b, 8 ff.
Etlichi manschen werdent aber in grosses darben und hertikeit gesetzet, sind gnadlos,
etliche werden schleffent von turri und von trakheit iind gelassenheit. Wenn dir
derartiges widerfährt, dann prüfe dich, womit du es verschuldet hast, oder schicke
dich darein, wenn du dir keiner schuld bewusst bist: dann ist es eine gäbe von
gott. Du vermagst vielleicht in der hertikeit mehr gutes zu bewirken (schicken)
als in überfliessender gnade. Alles gute aber haben wir von gott, — b) du sollst
an jenem tage oder bis du wieder das sacrament empfängst, diesem zu ehren etwas
besonderes tun oder lassen: darin liegt die verborgene frucht des sacramentes: an
fugenden zu-, an Untugenden abzunehmen, c) ein minnenklich bibeliben bi dem sacra-
ment und ein stilles warnemen din selbes, won ie stiller du dich haltest bi dem sacra-
ment, ie langer es dir belibet (53a, 3 ff.) ]S[u ist ein frage, wie lange das sacrament
leiblich im menschen bleibe: nur solange die oblate ganz bleibt; geistig genommen
aber bleibt das sacrament so lange als der mensch bei ihm bleibt und bei sich
selbst (58a, 7 ff.).
6i BI. 53^. Ornaverunt fadem templi coronis aureis et dedicaverunt altare
domino et factß est letitia magna in populo (1 Maccab. 4, 57. 58). Die predigt handelt
von drei tempeln, geziert mit guldinen kronlinen: ein materglicher tempel (der
tempel Salomos), ein liplicher tempel (Jesus Christus), ein geistlicher tempel (jegliche
reine minnende seele (vgl. 1. Gor. 3, 17. 6, 19). Diese drei tempel, zu gottes ehren
erbaut, wurden dann aber zerstört, um abermals wieder aufgerichtet zu werden. Von
Salomos tempel blieb unter seinen söhnen * Eoboab und Naason nichts bis auf das
gemi'ir ein wenig, Christus ward gemartert (.Job. 2, 19. 12, 24), aber nach dem kreuzes-
tod schnell wieder erhoben zu göttlicher klarheit. Und ebenfalls ward der dritte
tempel zerstört mit menger hande suntlicher werke, mit dien sich der mansche von
got hat gekeret: soll er wieder aufgerichtet werden, müssen wir Maria Magdalena
zum Vorbild nehmen. Aber auch den tempel S^alomo8 lieas Israel später um so
schöner neu erstehen, aussen und innen, und zwar innen noch kostbarer als aussen.
59^,21 Disi ustvendig gezierde d^s ußirendigen anthites betutet, das du- din ußicctidig
antlüt solt zieren,! ^^'* ^^ allen mönsche(n) wol gevalle und gilt bilde da von nemen.
Dis antlüt ist din [60^) conversacion, das ist din nßivendige wandlunge, di soltu zieren
in Worten, in werken, in wandel, in geberde, das alle manschen gut bilde von dir
mugen nemen (Matth. 5, 16). — aber du solt mit hochfertig da von sin. — das inivendig
antlüt des tempels — das betütet, das das inivendig antlüt diner sele sol vinlich geziert
sin mit rot guldinen kranlinen. das antlüt der sei ist der fryg wille des manschen,
der sol geziert sin mit der rot guldinen gotlichen minne, ivon gotlich minne ist als
1) Zugrunde liegt 1 Kön. cap. 12, der krieg zwischen Rehabeam und Jerobeam
und die zerteilung des reiches Salomos, wie es in der predigt heisst in regnum Juda
und regnum Israel; zu ersterem hätten sich drei der zwölf geschlechter von Israel
vereinigt. Die biblische Überlieferung kennt nur Roboam (Rehabeam) als söhn
Salomos. Naason beruht wohl auf der irrtümlichen auslegung des satzes Naasson
genuit Salmon (Ruth 4, 20; 1 Paral. 2, 11; Matth. 1, 4; Luc. 3,' 32). Wo aber ist die
quelle für diese Variante?
22 STRAUCH
edel vin rot golt wider kupher und andrem gesmide. Der altar aber im teinpel
Salomos sei dein herz : dies gib gott allein und nicht der kreatur (Sprüche 23, 26).
61^, 18 were ein grosser herre in zit, der begerte diner minne, du leitest allen dinen
flis dar an, wie du in lieb gehettest. nu were der nachten tatlich und macht dir nüt
dins hertzen gehuten als der wirdig ewig got. Ach! min liebes kint, gib ime allein din
hertze und tä denne uf mich was du teilt, wan ich tun dich des sicher ane zwi{<o2^)-
vel, das du dorne nützit vermacht denne das er tvil, ivon du bist hertzlos, und alles
din würhen, das tat er und ist sin. Mit bezug auf das textwort 1. Maccab. 4, 58
Es geschach ein grSssi frSide in dem volle heisst es 62*^, 6 : was ist dis anders tüoti
wenn din friier iville vereint wirt mit gatlichem willen: denne wirt ein grosse fraide
allen kreften der sele. Nu sprechent die lerer, das di't sele habe als mengen willen
als menig gelid der üb hat, und das ist vierdhalb hundert^, Dis willen alle siillent
vereint werden mit gatlichem willen, denne wirt vil und grassi fröide allen kreften
der sele und ze male dem intvendigen mönsche. Hie ist rechti kilchwi und anders
nienant. Hie ist nät hundert tage ablas, niere hie ist ablas aller schulde, hie ist uf
ein stunde me fraiden denn an allen kilchtcinen ie wurde van anfange der weit untz
an das ende. Nu ist der liplich tempel, das ist du person Christi, enmitten geleit
entzwiischent dis ziven tempel, den materglich und den geistlichen, und billich, tvon
Christus ist ein schlosstein, der do ze samen schlüsset du zwei geschlecht, iuden und
heiden, und des nujnschen Hb und sele och ein{62^)lig machet mit einander.
7. Bl. 63a. Feria VI post Dom. III Quadrag. Venit Jhesus in civitatem Samarie,
que dicitur Siclien (!) iuxsta predium qiiod dedit Jacob Joseph filio suo (Joh. 4, 5).
Die texterklärung und -ausdeutung der geschichte von Christus und der Samariterin
ist eine sehr ausführliche und knüpft fast an jedes wort- an. Auf eine eingehende
analyse kann verzichtet werden, doch sei verwiesen auf die excerpte bei Wacker-
nagel s. 593 z. 42 ff. und s. 596: Quellen der geistlichen lehre. Anlässlich des ge-
horsamgelübdes heisst es 68^, 2ff. : ia du tverest gar gern gehorsam, der dich nützit
hies denn das du gern tetist. du stundist gern ze metti uf, der tags metti lutti. du
rastetist gern, der dir fünf trahten oder sechs geb und ztvo simlen oder dry. du hast
mit genüg mit einer kannen mit win, du hettist gern zwo, und recht schlechtlich
gerett : dii natur der ir volget, si (hs. so) benügti den manscheti niemer, weri loch
ellii du ivelt ir eigeyi.
8. Bl. 743'. Dom. x post Pentec. Duo homines ascenderant in templuni ut
orarent (Luc. 18, 10). Nach der textwiedergab e befasst sich der prediger eingehend
mit der ausdeutung des 2)^iarisetis (gelichsner) und j^^Micanus (si'mder), die nach
geistlicher wis beide im menschen ^Is leib und seele vereinigt sind. Den pharisäer
kennzeichnet ein dreifaches, wenn auch das an dritter stelle das allein entscheidende
ist: 1. ein geistlicher wandel nach aussen in Worten, gebärden und tracht. also
waren ir kleider lang und gar geistlich, der schriberen und der pharisei, und hatten
denn du x gebot geschriben an berment und uf irii habter geleit und torn an ir
1) Ähnliches im Legatus divinae pietatis der h. Gertrud IV, 23 (Revelationes
Gertrudianae ac Mechtildianae 1, 371) legit vice omnium memhror}im suorum 365
vicibus illud evangelium (Luc. 22, 42). Vgl. auch Regimen sanctatis salerni ed.
Ackermann 1790 cap. 84 v. 253—257 und im Talmud: D. B. von Haneberg, Die
religiösen altertümer der bibel- 1869 s. 134 (K. B.).
2) Die fünf männer (Joh. 4, 18) werden wie Eckhart 109, 26. 114, 36. 187, 10
nach Augustin auf die fünf sinne gedeutet (Sb 671). 10). Siehe Lassen, Meister
Eckhart s. 297.
DER ENGELBERGER PREDIGER 23
kleider undnan gemachet, und die torn stachen si in die versen7ien: so solten si
denn vermant werden an dii x gebot, und tvas gar ein geistlich ding. 2. äussere
Übungen mit fasten, wachen, gebet, kirchgehen und dem was nach aussen grossen
schein hat, aber inwendig wening gät meinung ; so tun noch heut gar viele menschen,
damit sie gesehen und für heilig gehalten werden (Matth. 6, 2). 3. die gelichsner
lassen sich von niemandem zurechtweisen, sie halten sich für besser als andere,
massen sich aber an über diese zu urteilen und zu richten. So auch die pharisäer
und 'Schreiber' Christo gegenüber, aber so ist es auch heute noch und dreifach ist
die gefahr. daz erst ist daz der inStisch der gaben und der gtiad gottes unachtsam
ist und dien vermammgen und dem triben des heiligen geistes tveder loset noch volget
(2. Cor. 6, 1). — daz ander — daz ist daz der mSnsch dem liden Christi (75b) widerstat.
ja es sint etlich manschen, die in ireni ersten anvang daz liden Christi so hertzclich
liep haut, daz inen die trehen so bald über ir wangen nider löfen, so si daran
gedenkent oder do von hSrent sagen, und recht bald dar nach in kurtzer zit so kerent
si der von und widersta^id im und tänd daz dar umb daz si die behenden tod die
daz liden Christi von dem manschen vordrot, daz si die mit volbringen went und ir
natürlichen gesäch mit toend absterben, ivon daz liden Christi vordrot alwegent in
dem mönschen behend töd der natur und des eigenen tvillen, und der dis mit tun
wil, der valt denn gern in ein phariselich tvis, und sprechent : ach ! ich ivil ze kor
und ze kilchen gan und tän als die und die, die werin och gern ze himelrich und
sint gar Hecht dabi. min kint, dis ist mit recht, got vordrot nie denn ze kor gan
und des gelich, er vordrot daz alles din leben imvendig und uswendig in sim lob
verzert werd. Das dritte ist Undankbarkeit ' gegen die gaben gottes, wie wir es an
Lucifcr und Adam sehen. Wer das 'heilige almosen' empfängt, hat fünf dinge zu
beachten: 1. du sollst es suchen an gesäch, d.h. du sollst es nicht beanspruchen
als etwas was dir zukommt; wird es dir zuteil, dann sollst du es in demut emp-
fangen ; 2. empfang es an gelichsnon, daz ist einen helbling ass danlcberlich ass einen
guldin; 3. soltn es gehalten an gitkeit daz du din hertz do von kerest ass ob du sin
mit hettest; 4. es bruchen an bist — daz du kein üppig ding niemer do mit kdfest,
tveder schont messer noch paternoster noch gesmeltz noch schtechtlich geret nützit tcon
blos noturft gewandes oder spis und daz selb nach noturft und mit nach lust noch
nach begird, won dir git menig monsch sin almüsen, daz sin bass bedorfti denn du
und sin stveis und sin blät darum rert; 5. es verlieren an rtiwen, aso ob du es öch
dur got gebest oder es dir genomen werd, so laß es varn aso lidclich ass du es
enphiengt. Im weiteren verlauf der textausdeutung bemerkt der prediger zu Luc. 18,
12 : 76b, 27 ja es ist vil mönschen, die vasient die zäkiinft (advent) oder die vasten
oder ander tag, ja sie vastent der spis daz si nüt won einest essent, aber der siind
vastent si mit daz si die miden, und so die lüt vastent in der vasten, so tantzent si
denn zu dien Östren oder vor der vasten ze vasnacht, und dis ist ein unredlich (77*)
vasten und ist mit dti vast du Christus meint. — wel eilend ding daz ist, gistu got
den X. teil dines gutes und gist die nun dir selber und dinen f runden ! es vervachtich (!)
nützit. — got wil dich gantz han mit einander oder er wil din aber zemal nützit. —
ina! min kint, tvirf vatter, mäter, bräder, swester in den einigen vatter, der all
creatur versieht, es ist mit genäg daz du mit einem teil (das ist tot sin allen crea-
turen und got allein leben) bist bedeket, mit einer kutten umhenket, me du solt din
hertz und din gemät got allein geben.
1) 76a, 23 iveri du mäter gottes in zit. si geb sich wol schuldig, daz si gott
mit aso dankber weri ass si s<i.
24 sTRAuca
9. Bl. 71^'. Dom. XIII post Peutec. Dntti iret Jhesns in Jet-nsalem, transiebat
per medium Samariam et Galileam. (Luc. 17, 11) = Wackernagel iir. 70 (s. 201 ff.),
vgl. Cruel s. 400 f.
10. Bl. 83!>'. Dom. XIV post Pentec. Fratres, spiriiu amhulate et desideria
carnis non perficietis. Caro enim concujnscit adversns spirltnm, spiritus enini adversus
carnem (Gal. 5, 16. 17). Ermahnung zu einem 'inwendigen leben des gemütes'. Wie
groß, wie gilt werk man iemer gewi'irken mag von iisnan und wie gotformlich si ipch
schinent oder sint, so sint doch die inwendigen ahvegent got die nechren und die
liebren. Es sind drei kräfte der sele, die in uns eigenartig wirken und uns zur
einkelir in uns selbst verhelfen: intellectus (verstantni'ist), voluntas (will), memoria
(angedenlcnt'ist). Der intellect kennt viererlei gedanken: rerswekt gedenk oder bös,
versumt gedenk, gute und vollkommene. Erstere, die minderwertigen gedanken, sind
solche, do der m. Itistet in sinen fnindeti oder in citlichem gilt oder er oder Inst der
natiir oder gnüglicheit der zit oder slechtlich gerett tvaz got mit ein ist noeh redlich
notdurft und do du dinen lust suchest in dien dingen, du dir in der regel din meister-
schaft verbütet, oder das do ist wider Ordnung der kristenheit, das ist das do ist
tcider du x gebot oder wider den globen, und du dinen lust tvilt nemen wider die er
gottes und du in weder minnest noch meinest mit won din wol sin. Von solchen
unreinen gedanken kehre dich! wie schon Ezechiel (36, 25), Jesaias (1, 16), Jere-
mias (4, 14) gemahnt haben. Bei den 'versäumten' gedanken aber, gedanken an
die verlorene zeit, an dein sündiges leben halte dich nicht lange auf, mit 'ver-
wegenem gemüte' entschliesse dich, dich zu bessern, denke nicht, du wollest dich
morgen oder dann oder dann' bessern, nach der predigt: du solt es iegenot (hs.
regnot) an vahen mit einem gantzen fürsats. Sei gewiss ! gott will dir viel bereit-
williger helfen als du es zu wünschen vermagst. Die 'guten' gedanken richten sich
auf befolgen der zehn geböte und dessen, was die christliche kirche anordnet (unter
beruf ung auf Matth. 19, 17), 'vollkommenen' gedanken aber gibt der mensch räum,
wenn er seine äusseren 'viehischen' sinne und kräfte, wie Moses seine schäüein
(Exod. 3, 1 ff.), in die 'innere wüste' treibt, wo er das tvesen gottes tvirt bekennent
und schöwent, und sin sei wirt entsündet und wider inflamment in das minneclich
Wesen, in dem er etvclich gewesen ist, und wift also begabot und entsündet, das er
all menigvaltikeit rerlüret tind ein istig wesen mit got irirt.
Der wille, der so vielgestaltig ist wie die glieder des menschen, deren vierte-
halbhundert ^ sind, wirkt sich gleichfalls in vierfacher weise aus und erscheint als
bös oder rerswekt, miissig, gät und glorioslich. Über die erstere art s. das excerpt
bei Wackern: s. 584 f. z. 24—51, woran unmittelbar anschliesst (85^, 22): der m. der
in einem geistlichen leben ist, der solt altvegen sin gehorsami vor allen dingen t&n
und lassen, nein! disi m. dti hant sich nietnan selassen. warum? do hant si iren
willen also gar besessen, das inen mitsit gevallet das si vor gehorsami täti solten,
nu dunkt si dis zehert, denn selang, nu lutet man ze früg metti, den7i liitet man
zelang, denn bettet man (86'i) se vil, denn sint du sit selang, detin rastet man ze vil,
denn git man in ze wenig, und alwegent gebrist in etwas und körnend niemer zefrid.
dis komet alles von eignem willen, das dir niitzit gevallet won das din, weri joch
das vil herter ujid tinordenlicher. — Einen 'müssigen' willen zeigen jene menschen,
die dies und das tun wollen, alles mit dem munde tun, aber nichts wirklich an-
greifen und ausführen, ja., du wilt gern vil vernünftiger bredig horeti und ril
1) Siehe oben s. 22.
I
DER ENGELBERGER PREDIGER 25
buchren in diner kisten beschliessen und aber nut mit leben eri-olgen (Prov. 13, 4);
ja, du u-erist gern gat, gieng es dir zä an arbeit, du woltist aber gar nngern scham-
lich ze ca2}itel gesteh werden und der dingen gezigen der du nut schuldig werist, ass
Christus und alleyi cristfarmlichen m. dik geschechen ist und noch geschieht, und
harnmb so vint man och so wening heiliger m. under geistlichen Inten. Die beiden
weiteren willensarten dürfen hier übergangen werden.
Die dritte kraft der seele, die memoria, ist etwas anderes als der erst be-
sprochene intellectus, icon in dien gedenken hat man wol bosi und giiti ding, aber
angedenknüst da mag man nützit haben won g&t gedenk, das ist ein gät memoria,
do der m. angedenkig ist das man im seit von got und daz man höret an bredien
oder von der heiligen geschrift oder ivaz es ist daz götlich ist. der m. hat mit ein
g&t memoria, der angedenkiger ist dag man im seit von sinen f runden oder von zit-
lichem gat oder er und des gelich; was man ihm aber predigt oder von gott redet,
das geht zu einem ohr hinein, zum andern hinaus, und dis ist ein bös memoria.
11. Bl. 87a. Dom. XV post Pentec. Fratres, si vivimus spiritii, spiritu et
ambulemus (Gal. 5, 25). Die predigt setzt die vorige, auf die sie sich 87^, 5. 88^, 7
beruft, fort. Die sich einem inneren leben zugewandt haben, sollen auf diesem
Wege fortschreiten im einklang mit dem h. Bernhard, nach dem ein diener gottes
auf dem wege zu ihm nicht stille stehen dürfe ; es gebe nur ein vorwärts (für sich
gan) oder zurück (hinder sich gan). Es gilt ein vierfaches: 1. sich sammeln gegen
alle äusserlichkeit fnswendikeit), Zerstreuung (Zerstörung, lies zerströwung) und ent-
stellung (verbildung) zeitlicher dinge, einkehr halten im eigenen gemüt — dem edlen
fiinkli der sei, daz do {do daz hs.) lebet und verborgest ist, 2. es strafen, wo es sich von
gott abgewandt, 3. es vom zeitlichen zum göttlichen erheben (Phil. 3, 20), 4. es
ganz in gott haften zu lassen (1. Cor. 6, 17). — Den drei kräften der seele wird
hier eine andere Wirksamkeit als in dem vorhergehenden sermo zugeschrieben, was
besonders hervorgehoben ist. Es sind n-arterin — und si ist ein kiinklichi jungfrötc
und heisset ein tohter von Syon —, schetzerin und schöwerin. Ihre aufgäbe ist es
des menschen von innan, von usnan, gegen got war ze nemen. Der warferin wirken
ist ein dreifaches. 1. sie beobachtet des menschen mannigfaches verschulden und
die art, warum, wo und wann er sich in sünde verstrickt, ob aus Übermut (frevel)
oder furcht, ob vor den äugen seiner mitmenschen, die dadurch selbst zum un-
rechten verleitet werden, zu welchen zeiten und an welchen statten, ivon ze heiligen
ziten und an heiligen stetten ist ein ding mer siind demi ettcenn anders. 2. zu dem
andreti mal so nimpt disi kraft warterin war waz ubels ir erlanget und ervolget ist
dur die schuld, und dis ist, daz si iemer mer ist geneigt z& der siind denn ein luter
m., daz sich vor siinden gehüt hat, und im blibet ie daz toürtzeli und die geneiglicheit
der sihid. irie genot joch der m. sin sünd rüwet, bichtet und usrütet, alles geschieht
dem m. von gütlicher trüw. und des nim bild bi den kijiden von Ysrahel. do die
vil stetten und lendren liberwunden und getoten und inen an gesigten, do konden si
ein klein volk nie tiberwinden und dis umb dri sach. zu dem ersten mal darum daz
si sich mit tiberhüben daz si so gros volk iiberivunde7i hatten, zu dem andren mal
dartun : hetten si daz volk libermmden und getödet, so teerin tvürm in dien muren
geicachsen, die iverin inen schedlicher gesin denn die m. ze dem dritten mal darum,
daz si alwegent lerneten striten und niemer müssig wurden, also beschicht och dien
m.: zu dem ersten mal so ein m. sin sünd gerüicet und gebüsset und dar nach vil
(89^) tind groß bekorting tiberivint und groß Übung tat, so lat got dem m. eticenn
einen kleinen gebresten allen sinen lebtagen, daz er den niemer tlbericinden kan und
26 STRAUCH
(//,s- um dry sach: a) damit er demütig und sich seiner Sündhaftigkeit, seiner ge-
bresten bewusst, dessen eingedenk bleibe, dass, was er gutes getan, allein gott in
ihm gewirkt habe (Job. 15, 5), b) dass er in jedem augenblick sterbebereit sei, denn,
glaubt er eine anfechtung oder Untugend überwunden zu haben, so sind andere
gegenwärtig: überall haben wir wider unsere feinde, die weit, den teufel und unser
eigen fleisch zu kämpfen (Col. 3, 13, jedoch nicht genaues zitat, vgl. Ephes. 4, 2. 82. 5, 2.
Job 7, 1), c) damit der mensch zeige, ob er göttliche minne habe (unter berufung
auf Paulus '). — 3. daz drit daz disi kraft (warterin) tmirket, das ist daz si war neme
des menigvaltigen gutes daz ir got getan hat, indem er sie nach dem bilde der
h. dreifaltigkeit geschaffen hat, sie, die gefallen, mit seinem tode erlöste und wieder-
kaufte. Unfähig dafür zu danken, geswiget si alles lobes und begert allein, daz got
sich selber lob, und dis ist daz grSst und daz minnrichest, daz man got in der zit
getan mag, und harum so wirt ir z& gesprochen von got: Enge ancilla usw.
(Matth. 25, 21 sowie Luc. 7, 47. 50 werden citiert). tvenn des menschen hertz gerürt
wirt also daz der mensch bewegt wirt zu niiiver andacht, denn ist dir dis tcort von
got zä gesprochen.
Dil ander kraft der sei di'i heisset schetzerin — und hat öch drierha^it wilrken. —
dii erst kraft warterin du tat dich wol sitzen in dim stäl an diner andaht, aber
schetzerin du nimpt din von ussnan war in tvorten, in wandel, in tun und in laßen
bi allen liiten, an allen steilen, a) der mensch soll darauf bedacht sein, daz er im
selber mit schedlichi bild in trag, die in der gnad gottes hindren. b) diese kraft
schetzet, wie lustlich und wie minneclich got in der zit allü ding geordnet hat. Alles
weist die kreatur auf den götilichen Ursprung, der es recht nemen teil und den nüt
die gegenwürtikeit der natur blendet, c) diese kraft erkennt aber auch, dass diese
natürlichen, gar lustlichen dinge vergänglich sind und ende nehmen. Daher soll
der mensch schon hier wie Christus und die freunde gottes darauf verzichten, sich
selber tödten in allen unredlichen dingen und im selber allen lust abbrechen, disi
kraft schetzerin sieht öch an, daz got, der ellii ding vermag, der vermag daz mit,
daz er kein tugent mit keinen dingen mag vergelten denn mit im selber, ja ntlt daz
minst Ave Maria daz der m. in der zit ie gesprach in rechter Ordnung: got teil sich
selber darum geben. — du drit kraft der sei heisset schöwerin ttnd disi kroft schötret
und sieht wie tögenlich, wie minneclich got in der sei tviirket.
12. Bl. 92^. Am tage s. Marien Magdalenen (22 juli). Qiie est ista que ascendit
per desertum sicut aurora consurgens, pulchra ut luna, electa ut sol ? (Cant. 6, 9).
Die bekehrung (ker) diser lieplichen froiven ist Christus selbst wunderbar erschienen
(Luc. 15, 10. 7), der nicht gesagt hat, der riiw redet oder gedenket, er hat gemeitit,
der rmv tat mit deti werken, das ist mit luter bicht, mit gantz büß und mit dem
festen vorsatz, nicht wieder zu sündigen, so weit das bei der eigenen schwäche
möglich ist. Sodann aber mussten sich auch die engel verwundern, indem die eben
noch grosse Sünderin nu so snelklich uf ist gefarn durch die tvüsti, ja, man möchte
sagen, dur das si so wüst ist gewesen aller creaturen, dar umb ist si so hoch uf
gefuret in die titnsterlichen wüsten gotheit, do si sich selber alzemale gar und gar
rerlorn hat und aller geschaffner bild bildlos ist worden, du heilig kristenheit endlich
1) Sb 89^^, 10 tvon Paulus sprichet: gStlich minn wirt niemer müssig. nunquam
est dei amor otiosus. operaiur enim magna, si est; ^i vero operari renuit, amor non
est. si wi'irket alwegent grossi ding ob si ist; würket si nüt, so ist si minn mit.
Das citat findet sich wörtlich bei Gregor, Homilia XXX in Evangel. n. 2 (Migne 76,
1221) und ist eine erklärung zu Joh. 14, 23, nicht zu Paulus (K. B.).
DER ENGELBERGER PREDIGER 27
findet es gleichfalls wunderbar, dass die, die sie eine Sünderin nennt, so schnell
sich aller Sünden entledigt hat. Das verwundern gilt den drei in der textstelle
der Maria Magdalena beigelegten eigenschaften sicut anrora consurgens usw. Dem
morgenrot wird Maria Magdalena in dreifacher weise verglichen. Die ausraalung
der an sich poetischen naturerscheinung kommt auch der weiteren darstellung, in-
sofern sie den vergleich auf die Sünderin überträgt, zugute (siehe unten), jeder teil
ihres körpers, der früher weltlichen zwecken diente: die äugen, das haar, der mund,
der vordem oft verlassnii wort geredet, die füsse, die vormals so oft zum tanze
gegangen, die bände: sie sind jetzt dem dien.Ste des herren gewidmet. Aus der
Sünderin ist eine 'reueriu' eine 'schauerin' geworden (94b, 21 ff., ebenso Sa 123^, 22 ff ).
— Bl. 97b, 23 pulchra ut luna. Auch dem monde gleicht Maria Magdalena in drei-
facher art. Der mond ist der nidreste planet, der schnellste, won er louffet in ei?iem
manot me oder als vil als dil spinne in einem jar; auch kommt er der sonne am
nächsten {aller gelichest der sunnen 98», 8). So auch Maria Magdalena : sie war du
aller nidrest an der diemät (im einklang mit Luc. 14,11. 18,14), beständig zu den
fassen des herren; sie war die schnellste, tvon uf dem ersten nu do (98b) si gerä,ft
wart, do kam si schnelklich und überliess alles ihrer Schwester Martha (im einklang
mit Matth. 19,21); sie steht aber auch der sonne Christus am nächsten: icon die
mäier gottes so ist kein heilig als ch risfforndich in allen si7ien werken als si (im
einklang mit Matth. 11,29). — BI. 98b, 25 electa ut sol. Wie die sonne der schönste
planet ist, achtmal so schön und gross als das ganze erdreich, zugleich auch der
heisseste (99^, 15) und der fruchtbarste (lüOb, 25), so auch Maria Magdalena : mögen
auch 8. Margareta und s. Katharina von jugend auf reiner gewesen sein, in der
litanei steht doch Maria Magdalena an erster stelle (zä de' erste) vor den andern
jnngfrauen, ^von die heilig kilch hat si fi'ir die andren Marien an der grossi und
an der tvirdikeit. Sie ist aber auch du aller hitzigost under allen megden oder
andern /runden gottes, das hat si vor allem am ostertage am grabe Christi, als si
es leer fand, gezeigt. Und endlich ist sie auch die fruchtbarste gewesen, denn sie
zog nach der auferstehung des herren aus zu predigen und warb für den Christen-
glauben wie irgend einer der apostel und dar umbe nemt man si ein böttin. si
bekert von Marsylia der stat alle di lut imtz gegen Zürich (siehe unten) und auch
später noch, nachdem sie in die einöde gegangen und dort dreissig jähre verweilt
hatte, zog sie auf gottes geheiss abermals hinaus, die menschen zu bessern.
13. Bl. 102'i. Speciose et delicate assimilavi te, filia Syon (Jerm. 6, 2). Syon
bedeutet einen geistlichen spiegel, in dem ein christförmiges leben sich äusserlich
und innerlich wiederspiegeln soll. In grosser ausführlichkeit wird die auch sonst
gern ausgedeutete geschichte von Ahasver und Esther (siehe oben s. 19) wieder-
gegeben und auf Christus und jede reine Jungfrau, insbes. klosterjungfrau bezogen.
Ganz ähnlich dem S. Georgener prediger (Rieder s. 44 nr. 15, vgl. Cruel, Gesch. der
deutschen predigt s. 357) schildert unser prediger die einkleidung einer nonne
durch sieben Jungfrauen, ihre einführung ins klösterliche leben, sich auch hier in
mannigfachen divisionen und subdivisionen gefallend. Die sieben Jungfrauen sind
Paupertas (armät 104*, 7), Hurailitas (diemät lOä», 16), Obedientia {gehorsami lUG», 14),
Erubescentia {megdlich schäm 110», 21), Castitas- (megdlich luterkeit llQb, 16), Pax
{frid 112'^, 4), Caritas (gotlich minne 113^,14). Die arniut kann dreifacher art
sein (104a, 19), insofern es von haus aus arme gibt, die schon gern reich wären,
nun aber um gottes willen arm sein wollen, aus der not eine tugend machen ; an
zweiter stelle stehen diejenigen, die, obwohl reich, arm werden, indem sie ihr gut
28 STRAUCH
mit den armen und den freunden gottcs teilen, als hätten sie es nie besessen; an
dritter endlich die geistig armen im sinne des evangeliums (Mattli. 5, 3), deren
armut abermals eine dreifache ist (unter berufung auf Gal. 6, 14 und Job, 15, 5). —
Beim gehorsam, der für alle klosterinsassen, männliche wie weibliche, ein ganz
besonders gewichtiges gelübde bedingt, werden nicht weniger als sieben arten unter-
schieden (1()7'\ 14): 1. lauteren gehorsam (107», 18) findet man bei dem, der keinen
lohn fordert in zeit noch in ewigkeit; als abschreckendes beispiel ist für die, die
nur um zeitlichen gutes oder zeitlicher ehre willen gehorsam sind, awf Simon
Magus (den zöfrer lü7b, 4 vgl. Att. 8, 9 ff.) hingewiesen. 2. williglicher gehorsam
(1071^, 22), nicht erzwungener, wie bei Simon dem roten (107'\ 24. Simon von Kyrene,
Matth. 27, 32) ; gott liebt nur einen fröhlichen ufgeber (2 Cor. 9, 17) ; 3. demütiger
gehorsam (108^, 10), Vorbild sei Simon der aussätzige (108^1, 13^ der beiname beruht
auf Vermischung von Marc. 1, 40 mit Marc. 14, 3), doch sagt die biblische Über-
lieferung nicht, dass der aussätzige begehrt habe, diesen beinamen beizubehalten
clur das, das er sich seiner reincheit nnt überhübe. 4. geduldiger gehorsam (108^, 10),
wie ihn Simon Machabeus zeigte, und wie er ganz besonders im kloster verlangt
werden muss : din meisterin mag dich heissen icas si teil. — si mag dich heissen essen,
so du sultest rasten, — doch soll kein abt, keine äbtissin erlauben, was die regel
verbietet; — ehe man in geistlichem orden unrecht geschehen lasse, solle man lieber
den tod wählen. 5. getreuer gehorsam (109^, 3) mit Simon Petrus als Vorbild
(Act. 3, 6; Matth. 25, 21). G. andechtiger gehorsam (109b, 26, vgl. Ps. 141, 2).
7. minnereicher gehorsam (HO**, 7), das du alwegent begerest zechnii ze tände, dero
du kiim eins volbringen macht unter berufung auf Eöm. 8, 37. — Zur Charakteristik
der tugenden Castitas, Pax, Caritas (megdlich luterkeit, frid, götlich minne) wird die
Lapidarius-literatur symbolisch verwertet. Nachdem bei ersterer an das gleichnis
von den klugen und törichten Jungfrauen erinnert ist, wird von dem ringe, mit dem
Castitas die königin Esther schmückt, gesagt: (111^,2) m diesem vingerlin lit
ein stein der heisset Ägathes. der ist der nature daz er bi nieman belibet won bi
einer jungfrowen du ein magt ist, und weht frow in hat du nüt ein magt ist, und
tvere er joch umbendum gantz vermacht in silber oder in golt, er springet uß uß dem
galt und von dem manschen das in hat. und dis selbe hat Christus och an im, daz er
bi keiner Jungfroweti belibet dii mit ist ein luter magt und si kein liebi anders in ir
hertzen hat: do sprijtget Jhesus von dem manschen und belibet do mit (Matth. 6,24).
— minnest du die weit, ganzer steter minn gewännest du ze got niemer. und er wil
öch kein ziveiunge liden: das bettelin ist se enge do der lieb gemachel und sin geminti
sond mit einander slaffen. wenne das dritte kumet, so flächet Jhesus und mag do nüt
beliben. (Il2ä>) sicher sicher! es ist gar billich das er fli'ichet. ein zitliches mag doch
das ander nüt erliden, wie solte denne das ewig bi dem zitlichen beliben ! — Von dem
mantel, den der friede* (Pax) der königin Esther umlegt, heisst es 112b, 11 Nu muß
diser mantel ein schlos haben oder er vieli ab. und dis slos hat einen stein der heisset
Topassius"^. diser stein hat aller stein variv : er hat als wol des kislings vartie, der
doch ze keinem ding vervacht won z& eitler mur, so man phlaster und sand dar zä
1) Der friede kann äusserer und innerer art sein (Job. 14, 27), der innere
kommt aus einem reinen gewissen (1. Cor. 4, 4). got gebe im (dem menschen), got
neme im, er habe sussikeit oder bitter keit: im belibet ie sin inwetidiger frid (11 2b, 9).
2) Nach Marbod versinnbildlicht der topas das beschauliche leben, dann auch
jene, welche gott und den nächsten lieben (A. Salzer, Sinnbilder und beiworte
Mariens s. 277, 17).
DER ENGELBEROER PREDIGER 29
treit. disiu varive hat Topasiiis als wol als des aller edlesten steins den man vinden
kan. dis slos betütet einen ungeteilten frid mit allen monschen, bos und g&t im ein-
klang mit des Paulus Worten Eöm. 12, 15. 1, 14. 11, 13. 1 Cor. 9, 20. wer dis mitm und
dis gelicheit und disen frid mit Jtetti z(i allen manschen, sicher! do viele der mantel
abe. — Die 7. Jungfrau Caritas bringt der Esther eine kröne und krönt sie damit
(113a, 14) ; die kröne aber bedeutet die gotliche minne (unter berufung auf 1. Cor. 13, 3),
denn minne ist die kröne aller tugenden. Die kröne hat fünf steine. IIS^, 23 der
erste heisset ei?i Smaragdus ' und lit vornan in der krön und hat ein grüne varive
und hat die craft: der dürre blämen dar zä leit, so werdent si grün, und dis bettitet
die Üblichen minn. — 113^, 3 der ander stein heisset Jacinctus^ und ist gät für bos
trSme und vertribet die fantasien und die falschen bild die sich dem monschen
erzöigent in dem tröme. Manche an sich gute menschen wollen gern andere in
ihrem sinne bestimmen, andernfalls sie sie verurteilen, mit diesen valschen bilden
machent si sich selber rasig, das ist unsinnig, und vallent von dem urteil irs nechsten
in unrecht friheit. Davor soll dieser stein behüten und sol dich zä, den rechten
bilden leiten. Der stein liegt in der kröne rechts: mit der rechten hant wiirket man:
also solt du würken du werk der gerechtikeit und dur die gerechten bild gan, die dich
leiten in unbild (bildlosigkeit), totd dis sint die minnenklichen bild. und das leben
{und liden 114», 26) Jhesu Christi usw. in schöner auslegung von Job. 10, 9. —
IHa, 27 der dritte stein — ist ein Jaspis und der lit zä der linggen siten. diser stein
ist also stark, das in nieman gebrechen mag. er ist sterker denne der adamast. und
viel ein isiiier hamer von dem himel har abe nf disen stein, er mochte in mit brechen,
diser stein betiitet die starke minn im einklang mit Cant. 8, 6 und Eöm. 8, 35, von
der den menschen nichts zu scheiden vermag, nicht messer, noch schwert, noch tod
noch leben, noch engel noch teufel, nocli priticipatus noch potestates, weder leiden,
noch bitterkeit, noch betrübnis. Alles ist ihm ein weg zu gott. e das got disii
monschen ane liden ließ, er gebe e einem hiindlin gewalt liber si, das es si biss, tvon
er tveis, das si allii ding nement von der friien hant gottes. — IM^", 25 der vierde
stein das ist ein Ämatistus^ und der ist gät für trunkenheit und der lit hin{\\b'^)denan
in der krön, tvon hindnan in dem hobt lit das hirni und die sinne des monschen,
und ivenne der mansche getrinket, so siecht der win den monschen hindnan uf in das
hirni und in die sinne, und das sol diser stein verhüten, diser stein bettitet messikeit —,
ivon messikeit behaltet luterkeit und machet wis. — 1153', 16 der fünfte stein lit obnan
uf den ciborien der krön, won hie vor in der alten e trüg man besloßne krönen als
die da mit man die megde mechelt, so man si ivilet; aber man hat si in rvening
klostren. diser stein heisset ein Saphgr* und hat eine blawen himelvarive, und das
bezeichnet das der mansche sin gemüte hab uf gerichtet zä got, daz er der himelschlichen
u'onunge des Vaterlandes niemer vergesse (Phil. 3, 20).
14. BJ. 115b. Dom. VI post Pentec, Manducaverunt et satnrati sunt (Marc. 8, 8).
Der evangelientext Marc. 8, 1—9 (die hi/storia llb^, 23) wird zunächst ausführlich
und genau wiedererzählt, die auslegung dann mit den worten nu u-il ich tu sagen
die geistlichen sinne eingeleitet. Nachdem vier menschengruppen besprochen worden,
böse und gute, deren jede sich von Jesu speisen Hess, so verschieden auch die
gefolgschaft Jesu von jeder einzelnen aufgefasst wird, heisst es 118», 18 nu koment
1) Siehe A. Salzer a. a. 0. s. 267, 18 ff.
2) Ebenda 8.230,15. 231,6.
3) Ebenda s. 202, 23. 203, 2i. 204, 4, 6. 205, 6 f., 14.
4) Ebenda s. 254, 14 ff.
30 STRAUCH
ouch geistlich vierer hand lüten zu Jhesn und zwar 1. solche, die nur ins kloster
geben, um andern ein kreuz zu sein: sie sind zornig, ruhelos, eigenwillig, über-
mütig, ungehorsam und stiften nur Unfrieden, 2. die andern, um nicht für ihren
unterhalt arbeiten zu müssen, 3. die dritten, damit sie den minniglichen wandel
Christi sehen, sein wort (Matth. 11, 30) hören: die 'anfangenden' menschen, 4. die
vierten, die nur gott leben und leiden und das sind die 'volkommnen' menschen.
Siehe das excerpt bei Wackernagel s. 585, 52—88. Des weiteren handelt unser
prediger dann im anschluss an Marc. 8, 2 vom dreifachen erbarmen Jesu (119^, 23. 26;
120*, 13) und drei 'tagweiden', dis volk hat Christum gelitten dry tag. wilt du nu
'wissen was dis dry tagtveid sin, die du Christo solt geistlich liden und nach volgen :
der mansche bestat von dryn dingen: von gät, von übe und von sele, und dur disii
drü inäst du Christo nach volgen dis dry tagweid, ivilt du recht zu Christo komen.
Erste tagweide: aufgäbe zeitlichen gutes (121a, 11—122», 7) unter berufung auf
Matth. 19, 21. Da sind manche klos'terinsassen, die, wenn sie auf ihr väterliches
erbe verzichtet haben, anderen, seien es obere oder ihres gleichen, etwas 'abzu-
streifen' suchen, sei es in gestalt von pfründen oder almosen, ja ein recht dazu für
sich in anspruch nehmen. Hätten sie dann doch lieber ihr gut behalten ! denn keine
schlimmere sünde kann man im geistlichen stände begehen, als seinen eigenwillen
wieder freventlich geltend zu macheu, nachdem man ihn einmal aufgegeben. Das
ist totsünde, so lehren es die h. schrift und s. Bernhard. Ist dirs aber zu schwer,
dann speise wenigstens mit deinem gute die freunde unseres herren und gib den
armen dein almosen. Almosen tilgt die sünde wie wasser das feuer löscht. Stütze
dich aber auch nicht auf dein gut wie auf einen stab [ivenne dir einhcdb din gät
abgange, daz du dich denne anderthalb dar uf neigest 1211*, 23). Christus hat seinen
Jüngern stäbe und sacke verboten (Luc. 9, 8), ja den sah der ane boden ist (ebenso
Sb 65*, 10 ff.) '. daz sint die mönschen, di niemer-benuget an zitlichem gät, won so
si ie mer habent, so si gerner me hetten. ivon sicher das ist ivar, daz nüt gät hilfet
für gitekeit. und dar umb hat es öch Christus verbotten, won er das tvol tvüste. —
Zweite tagweide: bezwingung des körpers (122^, 7 ff.). — Dritte tagweide: betrifft
die seele (122^, 21 ff.): kehre deinen freien willen und deine liebe allein zu gott,
zu enheiner creatur, tvon allein in got utid dur got: minne dinen frund in got und
dinen viient dur got. — Aus Marc. 8, 3 greift der prediger (122b, 4 ff.) den begriff
des 'von ferne gekommen' heraus. Alle Christen stammen von den beiden. Die Juden
stehen Christus näher als die beiden, die abgötter anbeteten, die Juden dagegen
hatten viele gesetze und Ordnungen : die bücher Mosis (sie werden einzeln benannt)
und die zehn geböte, und Christas hat die monscheit (hs. nuhische) von ir gesiechte
enphangen, und har umbe do (lies so ?) ivaren si im nüt als ferre als tvir, U7id über
dis gät alles das inen Christus hat getan, so ist ir tvening, (123») die von Rom har
uß komen siien zä christetieti geloben. — Es folgt 123», 6, anknüpfend an Marc. 8, 4,
das bei Wackernagel s. 586, 89—147 abgedruckte stück, das, mit Nu ist eiti frage
eingeleitet, eine weit ausholende allegorisch-mystische deutung des begriffes wüste
gibt. — 124^, 24 ff. wird der Marcusstelle 8, 6 Job. 6, 9 gegenübergestellt, die sieben
brote den fünf gerstenbroten : Marcus sage nicht, dass die sieben brote von gerste
1) Von den sacken, die keinen boden haben: dz ist der grünt der bosheit,
der hat nüt bodems und ist unergrüntlich, tvon ie me man in us wirket, ie mer er
hSschet und begeret. Kurz vorher (64^, 23) hat der prediger den brunnen im gleich-
nis von Christus und der Samariterin als grünt der bosheit gedeutet, us dem der
münsch all siti untugent wirket.
DER ENCtELBERGER PREDIGER 31
gewesen wären, so dürften es Weizenbrote gewesen sein. Gerstenbrot sei kalter
nature (Konrad von Megenberg -ilS, 11 f.) und kühle die hits zitUcher begirde, weizen
sei dagegen hitzig und soll den menschen zu göttlicher liebe entflammen. Die fünf
gerstenbrote werden auf die fünf bücher Mosis bezogen (125'*, 8), mit den sieben
broten sind die sieben sacramente (1253^, 13), und die sieben gaben des h. geistes
(125^,23) gemeint, sie bedeuten aber noch sieben andere eigenschaften (125^, Iff.):
göttliche kraft, Weisheit und gute: diese drei verleiht die dreieinigkeit und zwar
den drei seeleukräften, sodann leutseligen lebenswandel, liebe (Matth, 22, 37. 39;
Marc. 12, 31. 33), willigen gehorsam und ein volherten in allen guten dingen bis ans
ende (Matth. 10, 22). — Bei der Speisung der 5000 heisst es Job. 6, 10: sie lagerten
auf gras (liöii). Das veranlasst den prediger (126a, 21 ff.) zu folgenden ausführungen :
einige konnten sich auf dem 'heu' lagern, wo sie linder sassen, andere nur auf blosser
erde. Im alten testament hatten die menschen es leichter: sie hatten dem gebot:
'der dich liebt, den liebe auch, wer dich hasst, den hasse auch du' zu folgen; das
war leicht. Wir aber sitzen auf blosser erde und haben ein schwereres gebot zu
erfüllen: 'wer dir übel, böses tun will, dem tue du wohl'. So unterscheidet sich
auch 'übendes' und 'schauendes' leben. Im übenden leben sitzt man auf dem 'heu',
der mensch geht noch mit bilden um, und das ist leichter als ane bild. Im schauen-
den leben aber fällt bild und form ab, der mensch muss bloss und ledig sein alles
nfenthaltes, und diese menschen sitzent uf dem blossen Herten ertrich. Gleichzeitig
wird uns in diesem Zusammenhang noch ein weiterer hübscher bildlicher vergleich
nahe gebracht, indem die 'grünende' und verblühende blume, die morgen zu heu
wird, mit der zeitlichen und ewigen gnade gottes in beziehung gesetzt ist (126^, 18 ff.):
do ist mit hiit froide, morn leid ; es ist unirandelbar froide ane alles truren. — Auch
das gleichuis von den sieben broten und den zwei fischen wird (127^, 7 ff.) auf das
wirkende, übende und das schauende leben gedeutet. Wie das brot nötiger als die
fische, so jenes nötiger als dieses, aber das schowlich leben ist wertvoller. Ohne die
schauenden menschen könnte die h. kirche nicht bestehen, einige von ihnen sind
'säulen der Christenheit'. Die predigt klingt aus mit dem textwort, das sie einleitete
(Marc. 8, 8), mit dem hinweis, dass essen an sich noch keine wahre Sättigung ver-
schafft. Die anfangenden menschen nehmen die ganzen brote, die zunehmenden die
schnitten, die sint got etwas dankberer, die vollkommenen nehmen die brosamen,
die sint aller dankberest : zu diesen gehören die jünger des herren, die die brosmen
gütlicher gnade uf hebent und si got dankberlich wider gebent.
15. Bl. 128^. S. Petri vincula (1 aug.) Erat Petrus dormiens inter diios milites
vinctus duabus catenis (Act. 12, 6). Auch hier legt die predigt den biblischen text
(Act. 12, 1-11), die hystoria (129», 25), von wort ze wort (128^, 8. 129^, 22) aus,
damit die geistlichen sinne besser gemerkt werden könnten. Der anfang der aus-
legung (129b, 3 ff.) ist bei Wackernagel s. 595, 15 ff. wiedergegeben. Mit der einen
der beiden ketten, mit denen Petrus gefesselt ist, sind die sündigen handlungen des
menschen versinnbildlicht: wie ring an ring sich zur kette fügt, so auch die ein-
zelnen 'Untugenden' des menschen : sie bilden eine lange unlösliche kette. ViO^, 13 ff.
wenne man einen kling oder einen apt wil setzen, so hat man si balde erivelt mid
gesetzet, aber wölte m^an si Verstössen, das möcht mit also balde gescheche?t. recht also
geschieht dem mönschen, der den schalk siner nature ze einem herren setzet über sich
selber, daz wirt gar lange e das man in Verstössen muge, won der schalk ist din
herre worden und du bist sin knecht. won wer der siinde dienot, der ist dch ein knecht
der siinde. Die andere kette meiut den freien willen, den du der sünde zu eigen
32 STRAUCH
gemacht hast, sie bindet noch fester als die erste, die seele hat deshalb noch stärker
unter ihr zu leiden. In den kerker, des mSnschen Hb, in dem das bekennen gottes
gefangen liegt, in alle winkel der seele leuchtet der engel des grossen rates, gottes
gnade, hinein, und nun wird sichtbar, was vorher verdunkelt und verborgen war,
der mensch erkennt seine Sündhaftigkeit. Der erste gnadenbeweis ist die gracia
pyeveniens, du fiirkoment g)iade^ icoii si färknniet de monsclicu und leret in sin si'inde
an Sechen, gott gibt sie unverdient, aus freien stücken, aus reinem erbarmen. Das
herz aber trifft er (nicht etwa den arm oder fuss), weil dieses ein sessel der sele ist
und ivar sich das hertze neiget, dar neiget sich dii sele mit einander (mit berufung
auf Prov. 23, 26). So gib auch du dein herz nicht der weit, nicht deinen freunden,
sondern gott allein : es sol gante gante (!) hi got sin ungeteilet, won der mansche ist
nie do er minnet denne do er lebet. — Die geistliche ausdeutung von Act. 12, 7 surge
velociter zieht ausser Eöm. 13, 12 und Cant. 3, 1. 2 auch die Benediktinerregel heran :
es ist uns iete zit nf se stan, was zu der allgemeinen bemei-kung 131b, 15 etlichü
manschen so die geweket werdent, so müssent si sich ranggen und gebarent sich als
tragklich daz si ivider entslaffent, und disen monschen ist mülich ze helfm anlass gibt.
Der 'gürteP (Act. 12, 8) symbolisiert die heheblikeit {continentia), du den manschen
behebt daz er mit ze witsu-eif wirt mit sinen fünf sinnen (132=\ 18 ff.), wie er schon
vorher (110^, 2) als Sinnbild der schäm bezeichnet war. Die 'schuhe' (Act. 12, 8)
sind hüt der toten tieren und behutent des monschen fasse vor den steinen im einklang
mit Ps. 91, 12, mit hinweis auf Rom. 8, 13 und auf das leben der heiligen Jung-
frauen (Katharina, Margareta, Oecilia, Agnes) und altväter, die die weit und den
teufel überwunden haben, während der 'mantel', den Petrus bei sich im kerker
hatte und auf des engeis geheiss wieder umlegte (Act. 12, 8), eine stete erinnerung
{angedenkunge 133^, 25) an das bisherige sündige leben sein soll, wie heilig einer
auch immer werden mag. Vgl. Matth. 9, 6 und des h. Gregors wort: 'wer zu stehen
glaubt, sehe zu, dass er nicht falle'. Und endlich (133^, 18) die auslegung des
Sequere me (Act. 12, 8) mit bezugnahme auf Joh. 8, 12: 'nicht (gehe mir) vor, sondern
folge mir nach', sprach der engel zu Petrus, ivon wer do gat vor dem Hecht, d. h, in
sinem natürlichen Hecht und verstan, und das ist ein falsches licht, der gesteht nüt
als tvol als der do gat dem Hecht nach. Das haus aber, do die fri'md gottes in tvaren
(Act. 12, 12), ist die h. Christenheit, die unablässig für den sünder bittet und ihn
seiner erlösung zuführt (Cant. 5, 6). Im anschluss daran folgt das excerpt bei
Wackernagel s. 587 f. z. 148-165.
16. Bl. 135^*. Am Tage s. Petri (29 juni). Tu es Christus filius dei vivi
(Matth. 16, 16, worauf am rande verwiesen ist, während im texte Marcus (8, 29)
genannt ist; aber 136^, 24 steht auch im text Matthäus). Auslegung des biblischen
textes Matth. 16, 13—19 von wort ze wort. Auch wir sollen uns das himmelreich
verdienen wie Petrus und die andern heiligen. Die partes Caesareae Philippi
(Matth. 16, 13) geben dem prediger zu folgenden erwägungen anlass, für die er sich
ausser auf die bibel (Ps. 18, 5. Luc. 12, 3L 17, 21) auf Gregor und die lenr beruft:
in der ersten weit waren alle dinge gemeinsam, dann aber fand teilung statt: dem
einen herren gehörte dies, dem andern das, und 'jetzt in dieser zeit' ist ein teil der
scheflinen dem prälaten, ein anderer einem leutpriester unterstellt. So kann man
von vier teilen sprechen, denen allen die apostel das evangelium verkündet haben, auf
dass keiner sich entschuldigen könne, er wisse davon nicht. Der mensch hat glicheit
mit aller creatur, ist ein teil davon, und zu diesem teil kam Jesus (Matth. 16, 13);
der mensch ist der mikrokosmus, du minder weit, er ist der andere himmel (Luc. 17, 21).
I
DER ENGELBERGER PREDIGER 33
— Aus mancherlei gründen hat Christus die frage Matth. 16, 13. 15 an die jünger
gerichtet, um darzutun, wie er sich selbst stelle {sich rergiht) zu den anfangenden,
zunehmenden und vollkommenen menschen, zu jedem in seiner besonderen weise
(anders und anders), sodann, um zu erfahren, wofür man ihn hielte. Inwiefern
Christus bald züge mit Johannes Baptista, mit Elias,- mit Jeremias und sonst einem
der Propheten gemein habe (Matth. 16,14) und diese auf die lebensweise gewisser
auserwählter menschen übertrage, wird im einzelnen dargelegt, unter heranziehung
von Ps. 68, 10; Matth. 5, 10; Ps. 142, 8 (?). Auf die frage Matth. 16, 15 antwortet
nicht sofort Petrus, vielmehr citiert der prediger 138», 27 If. für die Schweigsamkeit
der jünger die lerer ^, die berichten: vergeblich seien. Johannes, Jacobus, Thomas,
Bartholomäus und die andern jünger befragt worden, ein jeder habe sich auf
Petrus berufen: das bekennen solle antworten, womit dann wieder der biblische text
(Matth. 16, 16) einsetzt. Matth. 16, 17 wird eingehend commentiert: 139», 23 «k hat
sich hie in Petro verjechen vatter, sun, heiliger (feist, das ist du hoch drivaltikeit mit
einander. — 140^, 15 nii spreche^it die lerer, war unib Christus z& Petro sprech das
er selig icere, er, der doch den herren verleugnet habe. Selig nannte er ihn, da er
ewiglich bei ihm bleiben sollte, weil er allein mit göttlicher Weisheit gott begriffen
habe, nicht mit zeitlicher und nicht mit natürlicher Vernunft. Was haben Aristoteles,
TuUius, Plato und andere heidnische meister mit ihrer weisheit erreicht? nichts.
Wie die biene aus den bluraen den honig, so hat Petrus seine erkenntnis gesogen
aus den fliessenden honigwaben der hohen gottheit, — 141b, 18 (vgl. Wackemagel
s. 588 z. 166 ff.) Petrus war ein fundament der kirche (Matth. 16, 18) und also
geschieht noch geistlich in allen dien manschen, in dien sich verjechen hat du hoch
drivaltikeit uß dem bekennen des vatters. — wo sich der grünt der bosheit har
neiget, do kunnen si sich wider setzen uft dem minnenklichen bekennen, das si uß dem
vatter hant genomen. Es sind 'vollkommene' menschen, eine stütze der Christenheit.
Die heiligen Gregorius, Augustin, Ambrosius und der ehrwürdige Beda haben mehr
zeichen und lehren getan als Christus selbst (Joh. 14, 12). — 142», 27 ff. Die Ver-
leihung des himmelschlüssels an Petrus (Matth. 16, 19) gibt anlass zu einem längeren
excurs, den man bei Wackernagel s. 589 z. 203 ff. nachlesen mag: er handelt von
zwei schlüsseln : kunst und geivalt, dem pabst und den bischöfen und auch denen
gegeben, die freunde gottes werden wollen.
17. Bl. 144^. Dedicatio ecclesiae (hochzit der kilchici). Gustate et videte quo-
niam suavis est dominus (Ps. 33, 9). Die predigt bringt die psalmstelle mit Luc. 19, 4. 5
(15, 7. 10) in beziehung^ Zachäus stieg auf den feigenbaum um den herren zu sehen,
dieser aber veranlasste ihn herabzusteigen, da er noch heute bei ihm einkehren
wolle. Der dürre feigenbaum trug fortan die frucht ewigen lebens, denn er bezeichnet
das heilige kreuz. So können auch wir durch Selbsterkenntnis und gotteserkenntnis
emporsteigen, und dann spricht der herr auch zu uns die 'lieblichen worte', die er
zu Zachäus sprach. Das hus dz Christus (Luc. 19, 5) meint dz ist ein ieklicher mansche
(1 Cor. 3, 17 ; auch s. Gregor wird citiert). Ist nun das reich gottes in uns (Luc. 17, 21),
so gilt es, uns dessen auch voll bewusst zu wei-den (1. Cor. 6, 19 ; Prov. 8, 31 ; Luc. 19, 9).
— Wer das textwort (Ps. 33, 9) an sich wahrmachen will, der muss die inneren
äugen der seele darauf richten (147b, 15 ff.), denn wie der leib, so hat auch die seele
1) Wer ist gemeint? Eine art parallele bietet Hermann von Fritzlar, Heiligen-
leben 92, 10-15.
2) Vgl. Tauler ed. Vetter 379, 1 ff.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. L, 3
34 STRAUCH
zwei äugen: erkenntnis dessen, was man tun und lassen soll, und die begierde, gött-
liche Wahrheit zu erschauen. Im anschluss an Joh. 4, 37. 88 (vgl. Act. 4, 4) wird auf
die apostel verwiesen, die die frucht des ewigen lehens geschnitten haben, die
Christus durch lehre, wandel und dienstbereitschaft gesät hat, sowie auf Gregor,
Hieronymus, Augustin, Arabrosius und den ehrwürdigen Beda, in deren Schriften wir
allen den unterscheid finden, des wir bedürfen zil ewigem lebeti. Man muss unter-
scheiden lernen zwischen gutem und bösem, nini eben war tvas ich dir sage und nim
mit eins fiir das ander (148b, 16 ff.). Es gibt vier arten der liebt, do ist etlichü ze
male boß und die sol man lassen : die erste heisst dilectio personalis, ein personlichi
liebi, die liebe zu sich selbst und um das eigene wohl. Disii manschen müssent
Undi betti haben und lindi und l-ostlichii kleider tragen. Disen mönscheyi mttß man
die spis gar eben vor bereiten, ja zwen tag oder dry muß man si rosten und bereiten,
dz Laurencius uf dem roste nie also gebraten noch gekochet wart; sie darf nüt ver-
saltzen sin noch dien ögen mit unlnstlich ze sechen noch dem gesmah nüt bitter sin
und slechtlich ane gebresten, oder si murmlent do wider tind loerdent zornig wider
die die joch groß arbeit do mit hatten. Solche menschen versagen sich der göttlichen
gnade, die ihnen angeboten wird, sie wollen sie nicht und gant uß und sächent
zitlich ivollitst und sprechent, si müssen frolich sin und müssen sich hüten dz si mit
in ettig vallen (Schweizer Idiotikon 1, 599 ff.). Dir were gät, mochtest du dich vor
ettig hüten und si für komen und du aber das tettis.t dz du dich bessrotist und dar
inn meintest die ere gottes und du hessriinge diner sele. Andernfalls wäre es besser,
du stürbest oder wärest nie geboren (Matth. 26, 24). Diese art liebe ist im anfange
wohl süss, sie hat aber in sich verborgen gift und galle. Etwas besser steht es mit
der zweiten art, der dilectio beneficialis {ein begabetü liebii), doch auch sie ist nicht
die wahre, wenn der mensch gott nur liebt, weil er ihm zeitliches gut und glück
gegeben, ihn vor not behütet hat, die eitern hat geachtet sein lassen, auch wenn
sie arm waren, und wenn er gott bittet, ihm dies glück bis an sein lebensende zu
erhalten. Ein solcher preist gott nicht darum, dass er gegeben und wie treu er
gegeben hat. Dd dritte liebü heisset dilectio mercurialis, das ist ein mertzellendu
liebi. Hie git der monsche ein liebi umb die andren, denn er hat gottes ewige liebe
erkannt (Jerem. 31, 3) und will sie ihm mit liebe wieder vergelten (Marc. 12, 33).
Und doch ist auch diese liebe, obwohl sie das ewige dem zeitlichen vorzieht, noch
nicht die höchste, es ist ein koufti liebü (150^^, 9), geübt umb das widergelt (Matth..
19,27; Ps. 119, 112). Erst die vierte liebe ist die volkomnü liebü (150^,23), wo
der mensch gott darum liebt, dass er um unsertwillen mensch geworden ist. Disi'i
manschen hant allein got lieb dur got und iimb das gät dz si an ime erkennent und
umb die edelkeit ir natnr, wobei bezug genommen ist auf eine weihnachtshomilie
des Augustin und auf Joh. 10, 14. enivere joch u'eder helle noch himelrich (ebenso
119*, 25), so wend si in doch dar umb lieb haben, dz er ane underlaß eiti (151b;
lustlich wolgevallen in inen haben mng. Es folgt dann das excerpt bei Wackernagel
s. 590, 255-592, 343, das die seelsorgerische befähigung des predigers besonders gut
charakterisiert. Im unmittelbaren anschluss hieran werden die tiefelslichen fantas-
ma{ta) (fantasien, inbildunge: 158b, Ig = Wackeruagel z. 836), die den von dem/«'/-/«
flammenden tvinde götlicher gnade und minn voll erfassten (geterrten) menschen be-
drängen, um siegreich überwunden zu werden, in vierfacher weise unter allegorischer
beziehung auf Josua 3, 13 ff. ; Luc. 11, 21; Exod. 14, 22 ff. ; Tob. 6, 1 ff. zergliedert,
des weiteren sieben gründe augeführt, weshalb gott dem ihn suchenden menschen
zeitweise seine gnade entzieht (156*, 18. 156^4. 158b, 4. 160^,14. 160^,19. 161b, 12.
DER ENGELBERGER PREDIGER 35
162b, 2). Er soll dadurch letzten grades Christus nur immer näher kommen, durch
die menscheit in die gottheit, durch den söhn zum vater, durch bild und form in
die hildlosigkeit {iinbild), in die wustutige der hocken gotheit gelangen (156'\ 22 if.)-
— Vgl. das excerpt bei Wackernagel s. 598, 10—33, wo es am schluss heisst
(Sh 158a, 13): als inen got ist mansche worden, also werdent si ime got.
18. Bl. 163a. ETcdtabo te domine quoniam suscepisti (me) (Ps. 29, 2). Die
nummer kann als typischer Vertreter einer das thema vielfach gliedernden predigt-
weise gelten. Die psalmstelle wird zunächst auf Davids Wiedereinsetzung in sein
königreich bezogen (2. Sam. c. 17 und 19), dann geistlich angewendet auf den sündigen,
doch durch das göttliche erbarmen wieder aufgenommenen menschen, insbesondere
aber auf den aus der weit ins kloster, ins geistliche leben tretenden. Der begriff des
geistlichen klosters knüpft schon au Adam an, der aus dem kloster des paradieses
(163b, 19 f.) gestossen ward. In diesem kloster waltet Christus als prior, der heilige
geist als zuchtmeister, der himmlische vater als abt (164^^ 9 ff.). Im einzelnen werden
ein leibliches, ein geistliches, ein ewiges kloster unterschieden. Zum leiblichen
kloster, dar in man kint tat, eine jiingfrowe tun tvil, gehören sieben dinge. 1. man
m&ß ein phränd gewinnen: dazu benötigt man dreierlei: a) 161^^24: man muss dem
abt und denen, die des klosters pfleger sind, bekannt oder diensthaft sein mit Hb
oder mit gut oder mit beidem, b) 165», 7 jemanden haben, der einem nahesteht
{der der jungfroiven lip si und geschaffen joch von natiirlichem sypUit (= sippeblnot),
vgl. 166a, 1 sypfründe)^ der einem zu phründe verhelfe, ^ 165a, 13 eindringlich um
aufnähme bitten (tribt man die, die do bittent, zä einer tür nß, so sund si zu der
andren icider in gan). Ins geistliche übertragen und dann zum ewigen führend,
wiederholen sich diese drei forderungen im geistlichen kloster (165», 22. 165b, 23.
166b, 6), in dem gott, Christus und der heilige geist als höchste Instanzen wirken (a),
die irdischen verwandten {sip)pefriHnde) durch die engel ersetzt sind, deren niftel
oder fründin zu werden die aufzunehmende in megdlicher luterkeit (Hieronymus [?] : '
rirginitas est angelorum societas) bestrebt ist (b), zu dem c) der einlass dem nach-
haltig bittenden gewährt wird im sinne von Luc. 11, 9. 5—8. — 2. 167, 3 ff. Man
fragt bei der aufnähme eines kindes in ein kloster, a) ob es ieman ützit gelten stille,
do mit man nachin nf das kloster macht vallen, won man hat etztvas anders in
klostren ze tän denne man für si gelten müsti, b) ob es iemans eigen si, eines herzogs
oder sonst jemandes : es möchte nach 15 jähren nf das kloster vallen und das gotzhus
nmtriben, c) ob es irgend ein körperliches leiden habe. Darauf auch hier die geist-
liche ausdeutung der drei Voraussetzungen (167», 20. 167b, 13. löS^*, 10) mit der an-
wartschaft auf das ewige kloster. — 3. 168a, 22 ff. vor dem klostereiutritt ist die
hertikeit, die der orden auferlegt (ze metti gan, ze köre, ze reventor, ze cappittel,
schweigen und fasten) nachdrücklich hervorzuheben. So auch im geistlichen kloster:
der mensch muss sich in sineni inwendigen gründe gruntlich erbieten und lassen in
alle die hertikeit des Ordens, wie es im joch tüge we oder ivol, süssikeit oder herti-
keit: louff im engegen von innan oder von ussen, von got oder von creatitre: tust du
das, so tcirdest du ane allen zivivel in gand in das ewig kloster des himelrichs. —
1) 'Auffalleuderweise wird auch im index zu Mignes Patrol. lat. 3, 707 f. bei
keinem lat. kirchen vater dies zitat erwähnt. Verwandte stellen finden sich aber
natürlich häufig, so bei Hieronymus Ep. 130 ad Demetr. n. ll (Migue 22, 1119):
servi dei . . . qiii in terra positi imitantur angelorum co)iversationem ; Ambros. Exhort.
virg. c. 4 n. 19 (Migne 16, 342): virginitas vitam angelorum exhibet; August. De 8.
virginitate c. 4 n. 4 (Migne 40, 398): rirginitas coelestis vitae imitatio, c. 18 n. 12
(1. c. 401) : virginalis integritas angelica portio est'. (K. B.)
3*
36 STRAUCH
4. Bl. lG8b, 24. Wie man im 'leiblichen' kloster dem leint das alte gewand abzieht
und Jhm ein neues anlegt, so soll man im geistlichen kloster 'tugenden' für die
alten gewohnheiten und sitten eintauschen. Wir sollen den von Adam ererbten,
aus feigenbaumblättern (die wohl süss sind, aber den verborgen heimlichen schalk
der natur bezeichnen) hergestellten rock ablegen und uns neu kleiden gemäss
Pauli Worten (Ephes. 4, 24) und nach Schlangenart (vgl. den Physiologus) : die alte
Schlangenhaut bedeutet das alte sündige leben, die zwei steine, zwischen denen die
schlänge hindurchschlüpft, versinnbildlichen das strenge urteil gottes und Christi
würdiges leiden. Die kurz vorher erwähnten feigenbaumblätter rufen im prediger
die erinnerung au ihre zungeuartige form wach (169^, 18 ff. = Wackernagel s. 598
z. 34—10) und veranlassen ihn zu einer längeren scharfen äusserung über den miss-
brauch mit der zunge (hüt diner znngen!) unter hinweis auf die Benediktinerregel
cap. 6 mors et vita est in manihus linguae (Prov. 18, 21) und auf das, was der
Physiologus vom alt gewordenen adler zu erzählen weiss: 170b, 1 also solt du dinen
Schnabel, dz ist din zungett, vor ab billen, also dz dti si behütest dz du si ze keiner
schedlicher rede bruchest. — 5. Bl. 170^, 7. Nach der darbringung (geophret) und ein-
kleidung setzet man dz leint ze orden und git ime a) einen orden in dem köre und
ein stimme tcirt ime erlöbt, do mit es sol singen und lesen mit dem convent — daz
din gemüt diner stimme ebenhelle (Ps. 137, 1), b) einen orden im reventor, wo ihm
ein trunk weines und ein gät tracht gereicht wird, auf dass der mensch oft zum
tische des herren gehe und nach speisung verlange wie das kananäische weib
(Matth. 15, 22 tf. 5, 6), und dass auch ihm jene fünf trachten zuteil werden, mit
denen die jünger am gründonnerstag gespeist wurden: dii hochgelojyt wirdig gotheit,
sin zartt'i vini geminti sei, sin lutseligü minnenklichü mfmschheit, sin fleisch, sin
rosvarwes kostber minnwallent blät, c) ein stimme in dem cappittel (Ps. 18, 5). —
6. 171b, 13. Hierauf wird dem convent ein dienst, eine ehrenvolle aufwartung gegeben
in gestalt von wein und brot, wie es brauch ist, wo herren und frowen sich in
einem kloster zusammenfinden, do man ein kint ophret, doch speiset der geistliche
dienst, die freude über die aufnähme eines menschenkindes aus der weit Unreinheit
in ein göttliches geistliches leben mehr als der 'leibliche' (Job. 4, 31. 34; Luc. 15, 7).
So man nu den dienst uß gerichtH, so gat dar nach anni probacio (172b, 10), daz
jar der versächnng (174»', 1), das mit eindringlichen worten unter berufung auf
Rom. 8, 14 charakterisiert wird. Wenn es da u. a. (173*, 18 if.) heisst, dass der
mensch im leid gott weniger vergisst, als wenn es ihm wohl ergeht, so veran-
schaulicht der prediger dies, indem er auf 2. Sam. 16, 5—11. 19, 18—23 anspielt. —
7. 1743-, 3. Nach Jahresfrist (anni probatio) findet dann die endgiltige aufnähme
ins kloster statt: der mansche irirf gentzUch enphangen in den orden und mihichet
man in. In der völligen Verbindung mit gott und seinem orden wird er ein anderer
mensch, bis die seele vom leibe scheidet — und dis ist ein Eisgang uß dem liplichen
kloster in das geistlich kloster oder in das himelschlich kloster, do er denne in
enphangen wirt.
Damit ist der prediger zu seinem ausgangspunkt (Ps. 29, 2) zurückgekehrt,
um in einem zweiten teile (174b, 5 ff.)? wortspielend, eine neue auslegung des gleichen
textwortes zu geben. Exaltabo bedeutet so viel wie frowen, die freude aber, die
der mensch hat, ist zweifacher art: eine ist ußwendig, heisset exultabo, eine inivendig
exaltabo: letztere heisst eine springendil fröde (eine bezeichnung, die eigentlich
besser zu exultabo passt) und erhebt sich in dem hertzen, kann sich aber dort nicht
enthalten, ivon daz si har uß springet in die ußtvendigen creft des mönschen. So
DER ENGELBERGER PREDIGER 37
ergieng es der mutter gottes (Luc. 1, 46. 47), so David und anderen {f runden gottes
176a, 11). Es ist eine freude, die aus dem empfinden einer fromden süssikeü hervor-
geht: 175*, 9 tvenne der m. sin selbs uß gat und aller creatnr tmd denne in gat in
den inwendigen grünt sins wesens und siner seh in das heimlich verborgen rieh gottes,
do got r'ichset und lebet und dem manschen necher und heimlicher ist denne der m.
im selber, do ivirt er enj)hindent eitler verborgner fromder siissikeit. Die 'inwendige'
freude findet dreifachen ausdruck: in gedanken, werten und werken (175^,25):
1. in gedanken, die eingegeben sind a) durch ein gutes (luter) gewissen (171^1, 16),
b) im gefühl, dass gottes gnade gegenwärtig ist (nQ^,l\, wobei s. Dionysius citiert
wird) oder c) dem wünsche entsprungen sind, geduldig zu leiden im sinne der nach-
folge Christi (177a 7 unter beruf ung auf Gal. 6, 14 und 2. Cor. 12, 9). Wie tief
empfunden ist es, wenn im anschluss an das letztgenannte zitat unser prediger
hinzufügt: 177^, 5 der m. ivi'tsse es oder wüsse es mit, so treit doch got die burdi
des criHzes, das ist das liden, an dem stoersten teile, und er tvigt aller m. craft und
git nieman nie ze liden denne er getragen mag. — 2. äussert sich die innere freude
in Worten, indem man a) (177^, 11) dii ivort trulcet, d.h. sein innerstes empfinden
im gebet zum ausdruck zu bringen sucht, sie presst wie die traube, um aus ihr den
klaren edlen wein zu gewinnen, was auf Christi menschheit und die in ihr ver-
borgene gottheit gedeutet wird; so wirst du — dur du wort und dnr den text in
gand in du glos und dur den einhornen siin des vatters in die gotheit, ujid do
■wirst du enphindent des safs und der süssikeit so in den worten verborgen ist;
b) (178b, 21) insofern man seine worte auf die wagschale legt, behh ist in sinen
Worten, niemanden truket, gegen jedermann eineti unschedlichen mund hat; c) (179a, 7)
wenn sie von gott reden hören oder selbst von ihm sprechen. Da lieben die einen
von Christi menschheit, dem kleinen kindlein Jesu zu hören, die andern von seinem
leiden, seinem grabe, seiner auferstehung, seiner himmelfahrt, von der sandunge und
gäbe des heiligen geistes. Ist diese Vorliebe für dieses oder jenes auch berechtigt
(Job. 14, 2), so soll man doch nicht aus dem äuge verlieren, dass gott in allen seinen
werken, in seiner totalität erfasst sein will: da ist jegliches sunderbar und ist doch
mit tvon ein weg zä dem himelrich. Wenn da von natürlicher art gerne hörst, von
dem kleinen Jesuskinde, dann sei dir bewusst, dass schon bei seiner geburt in ihm
jene vier dinge vorhanden waren, die du dir aneignen musst, wenn du ihm nach-
streben willst : die lauterkeit (won er was pur und luter an siner monscheitj, armut.
demut, gehorsam. Das wird im einzelnen weiter ausgeführt, wie auch aus den
erwähnten sechs lebensstadien Christi nutzanwendungen für die klosterinsassin ab-
geleitet werden : indem der prediger an Jesaias 29, IH (nicht Jeremias, wie die hs.
bietet) erinnert, führt er des weiteren aus: es lit mit an schonen worten, vielmehr
an einem liebreichen herzen, es lit an riehen sinnen: das ist minncnldiehn lere der
heiligen geschrift. Wort und werk sollen band in band gehen. Pauli briefe (Col. 3, 1 ;
Rom. 6, 9. 8; 1. Thessal. 4, 13; Phil. 3, 20) sind auch hier dem prediger mehrfach
Stützpunkt seiner ausführungen. — Während diesem zweiten punkt ein breiter räum
gewidmet ist, findet der dritte und letzte nur kurze behandlung; das thema war
gelegentlich schon vorher berührt: es handelt sich 3. um die werke (183b, 5), durch
die ein inneres freudegefühl geweckt wird. Es sind a) ordnunge der heiligen kristen-
heit: wie hoch der m. ienier gezogen wirt, tvenne er zu ime selber kumet, so sol
er die ordnunge der kristenheit minnen und lieb haben und nützit do wider tän;
b) (183b, 10) was innerlich am meisten befreit vo7i bilden und von formen: gebet oder
38 STRAUCH
betrachten oder wiirken, deren Inhalt allein gott und Christus sei; c) (183^,16) alles,
was die liebe zu Christus zu entzünden vermag.
19. Bl. 184'\ Dom. III Adventus. Tu es qui ventiirus es an alinm exjjectanms?
(Matth. 11, 3). Die predigt legt eingangs Matth. 11, '2—5 aus und verweilt nament-
lich bei der geistlichen ausdeutung von v. 5: Christus allein kann uns von diesen
geistlichen siechtagen heilen, und zwar nähert er sich uns in dreifacher weise. Sein
kommen ist 1. ein verborgnü z&kunft (185b, 17)^ 2. eine geistliche (ISGi^, 7), 3. eine
offenn zakunft (ISßt», 22). Im kinde, das noch nicht zwischen gut und böse zu
scheiden versteht, sowie bei den menschen, die aus gottesliebe sich selber ze tode
übten, wenn nicht die göttliche gnade selbst einhält geböte — und solchen wäre
deshalb eine Ordensgemeinschaft anzuempfehlen — , erscheint die gnade als ein ver-
borgnii zäkunft; 'geistlich', d. h. innerlich erwerben wir uns Christi kommen, seine
gnade durch begirde und andechtig gebet, die uns über manches wunder, d. h. zweifei
und Unsicherheit hinweghelfen (vgl. Matth. 11, 3), bis in der gelicheit und der
mithellunge zwischen gott und der seele sein kommen sich ganz offenbart: das ist
dann du offenn ciikunft. Hierauf folgt dann (186'', 22 ff.) eine ausführliche geistliche
Interpretation der sechs Matth. 11, 5 aufgezählten menschlichen gebresten und ihrer
heilung, die durch den warmen seelsorgerischen ton zu fesseln vermag; ich wähle
aus dem abschnitt 'die blinden sehen' folgendes stück als beispiel : man kann nicht
gott lieben ohne ihn zu erkennen. IST^, 15 du solt sechen tmcl bekennen dz gut mit
sinem gewalt hat geschaff'en alle creatur, und mit siner wisheit hat er si ordenlich
gezieret, und mit siner güti hat er si erfüllet, nu hat got allü ding ordenlich und
minnenklich geschaffen, aber vor allen dingen so solt du sechen dz dich got von nicht
ze icht gemachet hat und hat dich allein under allen creaturen nach im selben gebildet
und das bild siner ho(187^)chen drivaltikeit in din sei getrnket, utid du bist allei7i
ein redlich vernünftig creatur der gotheit vor allen creaturen, und er hat alle creatur
geschaffen dir ze dienst, und du bist ein herre aller creatur (Ps. 8, 7) — du solt och
got sechen und bekennen in allen creaturen. sichest du ein gewaltig creatur, min
kint, so sich einen gewaltigen got der si geschaffen hat. sichest du ein wise creatur,
got der ist der aller tvisest, von dem si geschaffen ist. sichest du ein gütig creatur,
so sich, dz got ist du guti von dem allü güti flüsset. sichest du ein rosen, ein blumelin,
min kint, so sich und bekenne dz allü du wisheit und kunst du in zit ie ivart, dii
könde mit so vil, dz si das kondi schöpfen oder machen, hie sichest du aber dz es
allein von got geschaffen ist. also vindest du in aller creatur, wie klein si iemer
werden mag, in ieklicher sunderbar einen gantzen got. und sicher ! wer der monsche
ist der also speculieret in aller creature und nüt vindet denne got uttd got, der gat
allii zit dur die geschöpfte in (188*) de7i schopher. von diesem m. begerent alle crea-
turen dz si von ime wider uf getragen werden zä got. und dar umbe solt du wissen:
und kondi das klein greslin reden, es spreche zu disem m.: is mich und trag mich
wider uf in minen Ursprung uß dem ich komen bin.
20. Bl. 190b. Adventspredigt. Veni domine et noli tardare^). Disü wort hat
gesprochen ein heiliger wissage von der minnenklichen Zukunft unsers herren (109^,
3. 194b, 13. 15). Eine kunstvoll gegliederte predigt. Gott erbarmte sich Adams und
seines falles, indem er seinen eingeborenen söhn sandte; auch auf Noe erstreckt sich
1) Der text steht im Constanzer brevier als responsorium zu lectio IX der
in. nocturn der Dominica III Adventus und schon vorher als antiphon zur terz der
feria II post Dominicam I Adventus (übrigens auch heute noch im Brev. romanum
als responsorium zu lectio VIII der III. noct. Dom. 11 Adventus). (K. B.)
DER ENGELBERGER PREDIGER 39
die verheissung (Gen. 9, 13) : wie der regenbogen, dessen färbe rot, bleich und grün
ist, so zeigte auch Christus am kreuz diese drei färben : rot von bl&t, gel und bleich
von totlicher not, grün z'A einem urkiind siner urstendi, in der er nach sinem tode
tvider gränent und hlügent wart; sie bezeichnen das anfangende, das zunehmende
und das schauende leben, und zwar, abgesehen von letzterem, gleichfalls auf dreierlei
art. Wenn der anfangende mensch von der göttlichen gnade berührt wird, so wird
er einmal von rechter schäm rot inivendig in dem hertzen und och ußtcendig an
dem antlut — Maria Magdalena so sehr innerlich, dass sie aller äusseren schäm ver-
gass — , sodann wird er rot aus zorn über sich selber, über sein sündiges leben,
und er übt die tugend irascibilis (vgl. Paradisus anime intelligentis 78, 33. 111, 6).
Nicht hierher, sondern besser zum ersten faU gehört die dann folgende hübsche
stelle: 191^,10 disil rSti kuntet och von megdlicher schäm, iron ein magt hat das
von nature dz si sich schämet tvenne si eins mans person sieht xind getar in doch
mit mit vollen ogen an gesechen. und dis schäm hat du müter gottes volkomenlicher
denne ie kein magt, und das bewart si, do der engel Gabriel zä irkam: do er schämt
si sich hertzhlich i(nd erschrak och, won er kam in eins Junglings person. 3. aber
werden solch anfangende menschen rot von grosser arbeit, von selbst auferlegter
bürde wie fasten, wachen, beten, kasteien, oder wenn gott seine gnade versagt und
sie verstummen, wo sie meinten, aus sich selbst zu haben, was doch alles gottes ist.
— Die bleiche färbe, die das zunehmende leben bezeichnet, kommt 1. von siechtagen,
von der Sehnsucht nach dem 'geminnten' (Cant. 5, 8), 2. von arbeit: hat sich der
geliebte der liebenden entzogen, so glaubt sie durch strenge arbeit bei tag und
nacht ihn wiedergewinnen zu können, 3. im sterben, durch den tod: diese menschen
sind nicht nur äusserlich bleich, weil sie aller creature tod sind, sie sind auch
geistlich bleich, d. h. sie müssen auch innerlich alles das sterben, ertöten, was gott
jemals durch sie und für sie gewirkt hat. Gott entzieht sich ihnen völlig, sie werden
wie ein stock, der von gott nie etwas vernahm. 192^, 15 hie ist wol ein tötlichi
bleichi: won der m. ist als ein sterbender m. der in zit noch in ewkeit keinen trost
hat. und dar umb sprichet sani Bernhart von disen monschen: inen ist wirs denn
ob si in der helle werin, won si dnnket disu gelassenheit helle ob aller helle. —
192^, 21 ff. Das vollkommene leben endlich versinnbildlicht die grüne färbe. Gemeint
sind alle die, die dem grünen zwijlin Jesus Christus (dabei bezugnahme auf Luc. 23, 31)
durch alle leiden hindurch bis unter das kreuz gefolgt sind, ja weiter noch den
palmbaum des kreuzes erstiegen haben : und do schowent si und sechent mit der
müter gottes das angstlich welich liden Jesu Christi und si helfent der mäter gottes
mitliden und sechent wie die Juden under dem criitze giengen (hiengen?) an sinen ogen
in sine totliche smertzen und tantzeten von froden. So ganz im mitleiden mit dem
gottessohn aufgehend, wird der mensch wie Maria Magdalena, der der silsse kern
der gotheit offenbar ward, mit gott vereint. 193'^ 5 hie werdent die zwo geistlichen
Zungen redent mit einander: das ist dii minn die der m. hat zä got und die gunst
die got hat wider umb zä der sele. dis ist ein minnenklich vereinen der (hs. du) sei mit
got. dz ist tcol ein volkomen leben. Damit kehrt der prediger zu seinem textwort, das
er noch durch hinweis auf Ps. '42, 3. 80, 3 verstärkt, zurück, um hierauf die frage
was bringet diser herre oder das minnenklich kindli? und tcie kumet diser herre?
in planmässiger abstufung zu beantworten: er bringt sechserlei gaben, ieklich selb
drytt; er kommt in sechsfacher weise.
194^, 7 ff. Gott kommt 1. als ein strenger richter der missetat, 2. als ein wiser
artzat, 3. als ein wegleiter nu hie in disem eilende und har nach z& dem himelsch'
40 STRAUCH
liehen vaUerlcmde, 4. als ein gewaltiger kling (Asswerus zä der künigin Hester 200"^, 8),
5. als ein tvol gezierter schälphaJJ'e, 6. als ein zärtlicher minnenklicher gemahel z&
siner gemachlin. 194^^ 1 ff . Als strenger rieht er bringt er dreierlei gaben (unter
berufung auf Job. 16, 8) und dis sint hert gaben: er straft den menschen a) um seiner
Sünde willen, auch wegen der kleinsten täglichen Sünden {das bnlver der schulde),
b) u})ih die gerechtikeit, c) nmb das gericht, und zwar in den beiden letzteren fällen
mit dem hinweis, dass der mensch an sich selbst den gleichen masstab anzulegen
habe wie an seine mitmenschen. — 196», 6 ff. Als arzt (celestis medicus 1961^, 5) bringt
der herr a) eine milde salbe aus öl zur heilung der wunden, es ist das öl des
erbarmens, b) latwerge zur Stärkung der siechen und c) eine kostbare wider tribent
salbe als heilsalbe für die wundenmale. Geistlich gedeutet, bewirken diese mittel
auch ein dreifaches gesunden (197», 10 ff.). — 197^,22 ff. Als ein wegleiter {iveg-
geferte 198», 13) macht Christus dem menschen a) den weg kurz, h) lieht d.h. leicht
{behend, siecht, snell 198», 24), c) eben: er rechtvertigot dem menschen seinen weg.
Bei a) heisst es 198», 3 wir sechen das tvol, tvo ein groß geselleschaft mit einander
gut ze Rome oder ze Aviun oder zä unser frowen (Ein siedeln ?) oder ande(r) ferr
tveg, hant si einen m. under inen der Uechtvertig ist oder frölich, der singt oder seit
iemer etwas dz si alle frSlich werdent, und machet in die wil also kurtz: so si ein
gantz mil gegangen hant, so wennent si etzwenn dz si kuni einen vier den teil haben
gegangen. Geistlich gewendet sendet Christus dem, der gottes wort gern hört und
daher von gott ist (Job. 8, 47), seine boten und briefe, das sint die lerer und gottes
wort, das die lerer verkündigen, geistlich betrachtunge kürzt den weg. so der tag
vergangen ist, so ist er inen (solchen menschen) also kurtz gewesen, dz er dick wennet,
er sy noch halber hie vor. Zur Charakteristik des liehten, snellen weges (b), der durch
die zehn geböte und zwölf rate führt, siehe das die seelsorgerische begabung der
Predigers treffend kennzeichnende excerpt bei Wackernagel s. 594 f. 'Pilgerfahrten'
z. 1—14. Des 'wegleiters' dritte gäbe (c) ist, dass er den weg rechtvertig machet.
Von den hindern Israels kamen von tausend nur zwei (Josua und Kaleb) ins gelobte
(geheissen) land, won si umgiengen einen berg und do si xl jar giengen, do waren
si do si an viengen^. So geht es auch allen jenen geistlichen menschen, die do umb
gand in ir eigenen willen. Nach 30 oder 40 jähren stehen sie noch am anfang. Er
geht einen unrechten weg, wer seinen willen in die band seiner meisterschuft auf-
gegeben hat und ihn dann wieder zurücknimmt. Der vergleich mit den kindern
Israels ist auch im folgenden noch festgehalten, wenn vom wegleiter Jesus Christus
gesagt wird : 199^, 18 er wist dich dur das rot mer, das ist dur fleisch und dur
blät: do dur solt du tringen unts dz du es überwindest und och din eigenen natur.
— er wist dich dur den Jordan, das ist dil siben heilikeit, und dur di siben gaben des
h. geistes sowie dur die wusti (200»), das ist dz du wüst und ledig und quit solt
werden aller creature — .• so kommst du in das geheissen laut, — in die hochen
wilden tvüsti der gotheit. — 2ü0», 6. Als k ö n i g kommt der herr wie Aswerus zur
königin Hester (siehe oben s. 19. 27); auch er bringt drei gaben und lässt seine
freunde a) seinen reichtum (stett und bürg, liit und land), b) seine heimlich ver-
borgenen schätze (hdrde) schauen und gestattet ihnen c) ein lustig niessen dieser
gaben, deren geistliche ausdeutung 200», 21 ff. dann folgt. — 200^, 18 ff. Der herr
kommt als ein tvol gezierter s ch alpha ff e. Nu möchtest du sprechen: sol ich nu
^ 1) Vgl. Petrus Comestor, Hist. schol. libr. Numerorum c, 23 (Migne, Patrol.
lat. 198, 1232).
DER ENGELBERGER PREDIGER 41
erst an rächen lernen? ja, min kint! merk dz noch neisivas ist das du mit kanst,
tvan das du es noch müst lernen von disem minnenklichen schalphaffeji, tinserm
herren (201^) JJiesu Christo, die ersten zwo gaben — dz sint zicen tvinkel der sele,
die solt dti lernen erkennen: — a) der grund der bossheit, tiss dem du alles dz ivurkest
dz du si'tntliches tust in ivorten, in werken und in gedetiken. Diser grund ist un-
ergri'mtlich, — ist recht ein helrich mit einander, und fi'irkeme dich got nut mit siner
gnad und erbermd, du vermöchtist all die bosheit aller tn. uss disem winkel u-ürken.
Der andere winkel ist b) ein gütlicher w, in dem got lebet und richset und alles dz
gut würket, dz du in Worten, in tverken oder in gedenken täst oder mit allen sinnen
usicendig oder inwendig würkest. Die dritte gäbe (c) lehrt dich zwuschent disen
zwein winklen durchgan in demut, dankbarkeit und lobpreisung. — 201^, 18 ff.
Endlich kommt der herr auch als liebender gemahl zu seiner gemahlin und bringt
ihr drei richlich morgengaben : es sind ■ die drei 'königlichen' seelenkräfte : a) du
hoch gotlich ma(202^}genkraft der sei du heisset gehügnüst oder angedenkmist
(memoria, reminiscentia), b) Vernunft, c) freier wille, die mit der dreifaltigkeit in
beziebung gebracht werden, a) mit dem vater, b) mit dem einborn sun, des vatters
ewigii wisheit, c) mit der süssen minne des heiligen geistes.
21. Bl. 204^. Oleum effusiim est nomen tuum. Ideo adolescentule dilexerunt te
(Cant. 1, 2). Es ist eine weihnachtspredigt und feiert Maria ' und das Jesuskind,
won öch der nam Jhesus geborn und geprosset ist und us gegangen von dem. tvirdigen
tabernaculum Marien, in der dz ewig wort des vatters hat (204/^) an sich genomen
monischlich natur und in dem lieplichen lustlichen paradys des megdlichen herczen
hat geräwet Villi manod als ain küng in ainer ivolgezierten phallentz und als ain
gemachel an sinem brütbet. Jedes einzelne textwort wird durchgesprochen. Wie das
öl über allem feuchten schwebt, darauf zerfliesst, so ist Maria ain ob swebendii frotv
aller geschafner kreatur, — der fruchtber olebom, der Ölbaum des götlichen erbarmens,
dessen frucht Jesus ist". Wer erbarmen begehrt, der soll kommen zä dem namen
Maria; sie versagt sich keinem. 201^, 65 nti hat du alt e gemurmelt, dz du niiwe e
den phenning hat genomen und aber si die burdi in der hitz des tages hat getragen:
aber dz tat du heiig kristenheit mit: du gan wol allen m. (204^) dz si genad und
erbermd vinden und den phenning des ewigen lebens verdienen und besitzen. —
'Effusiim esf : Maria ist allzeit bereit die von gott empfangene gnade denen, die
sie anrufen, mitzuteilen, icon si hat die genad gottes also fruchtberlich enphangen,
dz alles dz got ist und hat, dz ist alzemal durch si und in si geflossen, dz ir niitzit
gebristot ivon dz si mit selber got ist, anders so hat si alles dz von gnaden dz got
hat von natur. — 'Nomen tuum': der name Maria ist «/h gezierd aller namen tind
1) Es heisst immer der name Maria, der name Jliesus.
2) Zum vergleich Marias mit dem öl und Ölbaum siehe A. Salzer, Sinnbilder
und beiworte Mariens s, 26. 177 ff. 497 f., bes. die citate 497, 19. 30 ff. Dem herrn
p. Anselm Manzer O.S.B. in Beuron verdanke ich durch Karl Bihlmeyers Vermitt-
lung das folgende : 'Oleum, id est tu, sacratissima rirgo Maria und Nomen tuum,
beatissima virgo Maria, comparat}ir oleo: beide äuBserungen finden sich bei einem
berühmten französischen augustiner aus dem 14. Jahrhundert (1381), bei Eaymundus
Jordanus (Chevalier, Repertoire 2, 2650), Piae lectiones seu contemplationes de beata
Virgine. Pars IV^, contemplatio II n. 1 in J. J. Bourasse, Summa aurea de laudibus
beatissimae virginis Mariae, t. IV. Paris 1862, sp. 890. Einen Vorgänger aus dem
13. Jahrhundert (1245) hatte R. Jordanus an seinem landsmanu von Rouen Richardus
a S. Laurentio (Chevalier, Rep. 2, 3961; Hist. lit. de la France 19, 23). Seine Libri XII
de laudibus b. Mariae stehen in Jammys ausgäbe des Albertus magnus. Lyon 1651.
t. XX, vgl. bes. p. 7. 402. Vgl. auch über Richardus Bourasse a. a. o. t. X sp. 42 f.'.
42 STRAUCH
disen namen rufet an alles dz in zit und in ewikait ist und diser nam wirt in
meniger tvis an gerüft und geloht, in ehraischer sprach nemet man si Meo oleo ', in
der stat Cyrino (beruht auf missverstäudnis von Luc. 2, 2) do nemmet man si Domina
gentium '^. dz ist als vil gesprochen als ain fröiv der geschlechtejt, ja wol ain fröiv
über allit geschlecht in himel und in erd. Maria ist öch als vil gesprochen als mer-
stern *. der merstern der luchtet und schinet dz man sich nach im richtet uff dem
mer. also ist öch Maria ain erlüc]i{te)rin der sünderen, die sian ruffent, won^ si
getürren öch z'ii dem namen Maria (2048) getürstlicher komett denn zu, dem namen
Jhesu, won Jhesus ist ain richter der mistäf, aber Maria du ist ain mütter der
erbermd. Gibt es jemanden, der sie angerufen und dem sie nicht geholfen hätte?
Niemand! (s. Bernhard). — 'Ideo dilexerunt te' : hier wird Maria in merkwürdiger Ver-
wechslung von turris und cnrrus im anschluss an Gant. 4, 4 (vgl. A. Salzer, Sinn-
bilder und beiworte Mariens s. 12. 284 ff.) dem ivagen her Davides verglichen, mit
Schiiten — seiner ritter und amptlüte — umjienket, vor denen die feinde erschrecken :
so ist auch die mutter gottes umgeben von allen den Schilden, die wider die ivelt
hant gestritten und ir angesicht und ewig leben mit strit haut getvunnen: gemeint
sind die altväter, apostel, David, die bekenner, märtyrer und jimgfrauen, ins-
besondere auch die jugendlichen mit hinweis auf Act. 14, 4. Von denen, die wie
s. Katharina, s. Agnes, s. Margareta und s. Cecilia von jugend auf 'ihr krönlein
oder schappel mit weissen lilien, untermengt mit roten rosen' (d. h. mit strit = leiden)
getragen, sind jene unterschieden, die ihrer megtlichen luterkait verlustig gegangen
waren, dann aber durch reue, beichte und busse wiedergeboren worden sind. — Nach
dem überschwänglichen Marienlob ^, für das sich unser prediger auf die hohen
lehrer Augustin, Ambrosius, s. Bernhard beruft und das niemand ze grund erg^-ünden
kann, werden 205b, 41 ff, die gleichen textworte auch auf den namen Jesus bezogen
und gedeutet. Bei 'effusum est' heisst es : usgegosseji ist als vil gesprochen als ain
usgiessen gütlicher gnad und ain erfüllen der himelschen trophen alli'i mimienden
hertzen ® und alle die, die sin emphenklich si^tt, iekliche nach siner begird, als do stat
geschriben de vigilia vtgilia(e), an des heiigen abents abent in dem respons ' De illa
occulta (habitatiotie) descendet visitare et consolari^ : er ist gesant ze sechen und ze
1) Volksetymologische deutung aus hebräisch möri? mör 'salböl' (nach freund-
licher auskunft meines coUegen K. Brockelmann).
2) Das reiche material, das Salzer a. a. 0. s. 450 ff. unter 'domina' zusammen-
getragen hat. verzeichnet die hier gebrachte deutung nicht, doch wird nach freundl.
mitteilung des h. p. Anselm Manzer Maria so in einem gebet genannt, das unter
dem namen des h. bischofs Mauritius von Eouen (f 1067) überliefert ist; siehe
Bourasse a. a. 0. t. IX sp. 1114 mitte, X sp. 983 f.
3) 'Stella maris' ist die gewöhnliche deutung des namens seit dem 10. Jahr-
hundert. Siehe Bardeuhewer, Der uame Maria. Bibl. Studien I (1896) s. 93 f. ; Salzer
a. a. 0. s. 404 ff. ; Zeitschr. 15, 40.
4) toon si] hs. ivo (zeilenschluss) irer oder wer?
5) Sb 204^, 71 und darum ist billich, dz man den namen Marien an raff und si öch
lobi und er für alles dz in zit und in ewkait ist, won si öch du liepst und du minnen-
klichest kreatur ist an die menscheit (? hs. il/«) Christi du in zit und in ewikait ist.
6) Der accusativ von erfüllen abhängig?
7) Das unbiblische citat (siehe auch Kelle, Spec. eccl. 22, 29 ff.) dient In vigilia
vigilie nativitatis Domini (Grotefend, Zeitrechnung ] , 1. 83) als respons zum capi-
tulum der vesper: De illa occidta habitatione sua egressus est filius Dei, descendet
risitare et consolari omnes, qui eum de toto corde desiderabant. Versiculus : Ex Syon
species decoris eins, Dens noster manifeste veniet. Breviarium Constantiense s. 1. et a,
[vor 1482], Tübinger univ.-bibl. Gi 28 fol. (K. B.).
8) Hs. consolare.
DER ENGELBERGER PREDIGER 43
tröstend alle die die sin von hert::en begerend. — Bei 'nomen tuum' ist auf Luc. 1, 31
verwiesen. — Dieser erstmaligen kürzeren deutung auf Jesu folgt dann 206^, 9 ff.
noch eine zweite weit ausführlichere, wiederum die textworte der reihe nach durch-
gehend. 1. Die leuchtkraft des Öles, seine schmackhaftmachung der speisen — und
darum ist man in welschem land über dz jar bomoley — sowie seine wundenheilende
eigenschaft (mit bezugnahme auf das gleichnis vom barmherzigen Samariter) finden
auf Jesus anwendung, insofern er a) 206*, 36 ff. die sonne der gerechtigkeit, das
gewar Hecht (Job. 1, 9. 8, 12), ein erlühter aller vinsternis *, b) 2063-, 80 ff. ein spiser der
hungrigen, ein trank der turstigen (Job. 6, 51 ; Eccli. 24, 29 - ; 49,2?=*), c) 206'', 26 ff.
ein arzt für alle wunden ist, bist du gnadlos und treg an lügenden oder krank. —
2. 206b, 40 ff. 'nsgegossen': darin bezugnahme auf die geschichte von der witwe und
dem ölkrug (2. Kön. 4, 2 ff.): also geschieht dir: ist lU ital in dir von creatur, dz
tvirt erfüll mit gütlicher gnad, wer aber ist beheftel mit Tcreatur, do geslal dz oley
der gnad gottes und mag noch wil dar nüt körnen. — 3. 206b^ 74 ff. 'din nam' : den
namen Jesus rufe in allen lebenslagen an (Matth. 9, 27; Luc. 17, 13)! da heisst es u. a.
er ist ein gantzer vocabxd in dem du vindest alles dz dir gebristet., er ist du liberig
in der do verborgen ist aller der underschaid des du und all menschen noturftig sint
ze wissen z& ewiger selikait. 4. 207^, 40 ff. 'Ideo adolescentule dilexerunt te'. Wenn
auch das wort zunächst an die jungen gerichtet ist, gilt es doch auch für die alten.
Diese sind die volkomen menschen, den 24 alten der Apocalypse (4, 4) vergleichbar,
während die jungen die anvahenten menschen sind, die eisten an hebent ain gStlich
tugentiich leben. — dis ist als ain manen und ain triben und ain anreizen, dz si den
sächen und im nach löfent der in dis süskait git. ach, min kinl, t& es luterlich dur
got und las dich nüt da mit beniegen wz dir gelüchten oder gesmaken mag. Wie der
Jagdhund der spur des hirsches folgt, so tue anch du und ruhe nicht eher als bis
du den wilden ainhürn im schösse der Jungfrau gefangen hast. 207'', 4 ff. Die
menschen werden ungleich gezogen und gehen ungleiche wege. Die einen gehen
durch das wort, die andern in das woit, die dritten ohne {an) das wort. Die
ersteren geben ganz in dem auf, was vom Jesuskinde und von der menschheit Jesu
Christi gesagt und gepredigt wird und reden auch selber gerne davon. Die andern
suchen den kern in der schale, die gottheit in der menschheit Jesu Christi und
stehen somit auf höherer stufe. 207'', Hl ^md harum so spricht ain lerer *^ haisset
Eabanus^ : 'wen ich hör sprechen got und mensch, so zerßüs ich', war zerfliis ich?
1) 206a, 63 und darum so sprechen wir von disem geminten namen und von
der klarhait dises namen billich und wol: 0 oriens, splendor lucis eterne! o du uff
brechend morgen[t]rot, ain glantz des ewigen Hechtes und ain sun der gerechtikait,
kxvm und erlücht die sitzenden in der vinstri und die do umgeben sint mit dem
schatten des todes. o du erluchtes Hecht, erlücht al die die dinen geminten namen
an rüfent. — 0 oriens, splendor Incis aeternae (vgl. Zach. 6, 12 ; Sap. 6, 26) ist der
anfang des .5. der 7 (früher 12) sog. grossen, je mit 0 beginnenden autiphonen zum
Magnificat der vespcr vom 17.— 23. dezember (die 5. zum 21. dezember) des bre-
viers (K. B.).
2) 206'', 15 und darum sprichet die minnent sei: Qui te gnstant esiirinnt, qni
te bibunt adhuc sitinnt. die dich essent die hungrot noch, die dich trinkent die
lürstent noch,
3) 206'', 19 ^ind aber sprichet si: du bist ain honigsegm in dem miinf und ain
süsses saittenspil dien oren und ain Jubel in dem hertzen.
4) Hs. leif, darüber rer, so dass lerer gemeint scheint.
6) Trotz allem bemühen Hess sich über diesen autor nichts ermitteln. Einer
nach Engelberg gerichteten bitte um nochmalige einsieht in die hs. wurde bisher
44 STRAUCH
US mir selbe?', aber zerfliis ich. tvar zerfliis ich? wider in mich selber, aber zerßüs
ich. war zerflüs ich ? von mir selber, aber wider ßüs ich. tvar flüs ich ? in dz selb
ainig tvese{n), do da veraint ist got und mensch in ainkait des wesens, in drihait der
personen und ainvaltiger istikait gütliches wesens. in diser ainkait verh'ts ich all
menigvaltikait und kum in zerfliessender tvis in min ersten istikait gütlicher weslicher
ainikait. — Die dritten, die 'ohne wort' gezogen und in gefuret werden, dz sint äie
menschen die sich erhaltent über bild und form und tiber alles dz man genemen oder
gedenken mag. — si werdent vil necher in gefuret den die ersten oder die andren.
Kannst du aber zu dem besten und nächsten nicht kommen, so halte dich fest an
das Jesuskind und die menschheit Christi — , denn alle menschen können nur durch
das leiden Christi in das ewige leben eingehen. — Die predigt endet im anschluss
an Apoc. 5, 1—8 (207'^, 61 ff.) 208^, 16 also geschieht dem menschen, wen im uf-
entschlossen wirt dz bäch der haimlichait gottes, so tvirt allii trurkait gewendet und
die tierli vallent nider, dz ist allii bild und form und alles dz man geworten mag,
und der mensch wirt zerßiessent us siner istikait in die istikait gottes. do tvirt er
also minnenklich veraint mit dem stat gottes, dz ist dz wesen gottes, dz er im selber
und aller creatur enttvirdet tmd ain mit got tvirdet, also dz got sin eivig wort in im
gebirt tmd ain als lustlich tvolgevallen in im hat als in sinem aingebornen sun (es
folgt Mattli. 3, 17). — ja er hat ain minnenklich tvolgevallen in im, tvon er sieht siti
eeterlich wesen in ime und sin ewig niinrich gebern.
22. Bl. 208/^. Dasselbe textwort wie in nr. 21 und an diese anschliessend. Ihr
hörtet, wie der name Jesus der menschen herzen zu sich zieht und diese ihm nach-
folgen. Nun gilt es ihm einen würdigen empfang zu bereiten. In diser tvirdigen
gab (mit bezug auf Joh. 3, 16) ist veraint got t(nd mensch in ain person und crea-
tur en, in ain götlich wesen, her und knecht in ain form, tmd du ewig gothait hat dz
zit enphangen und ist doch ewig beliben an anvang und an end. dti almechtikait hat
sich genidret und ir almechtikait ist do von tmgekrenket. die wishait ist getöret und
doch mit tintvis tvorden. du hohi hat sich genidret tmd gediemütet iti mejischlich natur
und ist doch sin gewalt tmd sin er do von mit geminret. die süsmutkait des hailigen
gaistes du ist zerflossen über alles (208'') ertrich und hat tvider in geflötzet in den
ersten ursprtmg alle die sin enphenklich sitit. Deshalb kann das Jesuskind, von dem
Jesaias 9, 6 gesagt hat: Parvnlus filius natus est nobis, garnicht würdig genug emp-
fangen werden. Aller menschen und enge! zungen reichen nicht aus : es will mit
dem herzen, dem gemüt und durch taten gepriesen werden, wie auch der hoch sus
mitirich lerer Gregorius in der omelia die man uf den phingstag liset (Migne, Patrol.
lat. 76, 1220) lehrt: Probacio dilectionis exibitio operis: die bewarung der liebi ist
ain erbietung der werken. 208^, 27 ff. Das Jesuskind will wie ein edel lieb kind
{edler lüten kind 209b, 47) liebreich erzogen sein, denn tnan mäs die kint gar lieb
haben, tvon tnan mochti si anders tiüt erziechen. Der prediger gibt dann eine breit
ausgeführte Schilderung der kindeserziehung ', indem er zwölf Jungfrauen an uns
nicht entsprochen. — Hss. in St. Florian (Czerny s. 144. 148) enthalten Chaubanus
de Tempore, Chlaubcmns de Sanctis; s. auch Franz, Drei deutsche minoritenprediger.
Freiburg 1907. S. 40(?).
1) Ähnliches bei Bonaventura, siehe Linsenmayer, Beiträge zur gesch. der
predigt. Passau 188!'. s. 9, doch kann Bonaventuras De quinque festivitatibus pueri
Jesu (Opera ed. Quaracchi VIII, 88 ff.) kaum gemeint sein. Weitere .parallelen bei
Schönhach, Über eine Grazer hs. lat.-deutscher predigten. Graz 1890. s. 81 nr. 27,
s. 82 ff. nr. 36; Borchling, Niederdeutsche hss. 1, 102. 3, 30. 53. 157; ms. Berol.
germ. quarto 164 bl. 268 b ff.
DER ENdELBERGER PREDIGER 45
vorübergehen lässt, deren jede mit einem besonderen amt in der kinderpflege betraut
ist. Jede einzelne handreichung wird uns anschaulich gemacht und zeugt von
guter beobachtungsgabe. Da (208b, 35 ff.) waschen und trocknen zwei Jungfrauen
die windeln (das trocknen an der sonne — heisst es — ist empfehlenswerter als in
der Stube), zwei weitere wickeln das kind ein, nachdem die eine die windeln auf
dem schoss zerspreitet hat (208^, 45) ; zwei legen das kind in die krippe oder wiege
und sorgen dafür, dass niemand es wecke: die eine Jungfrau kommt der andern
zuvor und nimmt das strohsäcklein oder kissen, auf dem das kind liegen soll,
schüttelt es aus, ob auch nicht staub {bnlver) darinn sei, der sich 'aufblähe' und
des kindes äugen schädige (208^, 50). Wieder zwei baden das kind ; die eine richtet
das bad, dass es nicht zu kalt noch zu warm sei, die andere hält das kind im bade,
dass es nicht falle und ertrinke (208^, 60). Dann nehmen zwei das kind auf,
wecken' und tragen es: die eine räumt der andern die steine aus dem wege, damit
sie nicht falle, wenn sie das kind trägt (208b, 67). Die 11. und 12. Jungfrau endlich
speisen das kind (208^, 73). — Wo man so sorgfältig, fährt der prediger fort, schon
ein irdisches kind erzieht, um wie viel mehr verdient da das Jesuskind diese Sorg-
falt. Es werden dann 209^, 22 ff. die vorher behandelten ämter der zwölf Jungfrauen
allegorisch auf das Jesuskind bezogen, es fehlt dabei nicht an naiven ausdeutungen,
doch darf man nicht vergessen, dass es sich um eine weibliche Zuhörerschaft handelt.
Als stütze für seine ausdeutungen zieht der prediger bibel und patristik ausgiebig
zurate. Die zweimal sechs Jungfrauen sind ins geistliche gewandt: 1. Penitencia
— ruw (209a, 49) und 2. unverdachti bicht (209a, 81) unter bezugnahme auf Ps. 6, 7,
Augustin, Ps. 4, 7; 3. ain luter gewizzen — coxscientia (209^, 31. 56) und 4. karitas — mimi
(209b, 32. 60; 210* 20), dazu herufung auf Cant. 1, 16, Gregor, s. Bernhard
= Cant. 2, 16; Rom. 8, 28; 5. Tranqnillitas mentis — stilheit des gemätes (2103-, 57)
und 6. SoUicitiido — sorgvaltikeit (210b, 54. 62 f.), dazu berufung auf Matth. 6, 33,
Luc. 17, 21, Gregor, Ps. 84, 9, Apoc. 12, 1 ff., Luc. 1, 35, 1 Sam. 26, 16; 7. Pietas
- miltikeit (211a, 34; 211b, 8. 11) und 8. Meditatio - betrachtnng (211a, 4. 52;
211b, 24), betracJiterin oder andechtig gebet (211», 53), dazu berufung auf Ps. 44, 24,
Matth. 8, 24. 25 (ist der evangelientext für Dom. IV post Epiphaniam, daher 211», 50
als ivir 7iu bald lesen), Cant. 5, 6. 3, 4; 9. tcilligi gehorsami (21 tb, 35. 41; dii treit
dz kindlm mit sunt Cristofet) und 10. ein erlücht geloub (211b, 40. 64) mit bezug-
nahme auf Cant. 8, 6, 1. Cor. 10,12 und wiedergäbe des glaubensbekenntnisses ;
11. Misericordia — erbermherzikeit (212», 36. 49); sie git dem kindli ze essen, dz ist
allen dien gelidren Christi, di sin nottürftig sint, nnd iveren es joch btden und
bUinnen) und 12. senftmütikeit (212% 37. 58) unter bezugnahme auf Matth. 25, 40;
Ps. 118, 103. 115, 1 ; Joh. 10, 30 vgl. 17, 11.
23. Bl. 212y Missa IIT Nativitatis Domini. Verbiim caro factum est et habi-
favit in nobis (Joh. 1, 14). Anfang: disi wort hat gesprochen der hochfliegent adler
sanct Johans der ewangelist in der ersten ler sines hochen berinde(n')des und disi
irort begrife{n)t dz drivaltig ivesen nach person, dz einig ein (hs. sin), dz ivesen der gotheit
usw. Bereits auf bl. 212 5 bricht die hs. ab.
1) Vgl. 211a, 41 won etlichi ki)idli sint also zart, so man si uff dien armen
hat, dz si noch den slaffen; 56 ff. und si tat d'ch als man dii kindli weket etwen mit
(ieplich geberd, etzwen mit einem kuss dz man si kiist an ein wengli, etztven in ein
ugli, etwen an ir mündli, etzwen in ir Srli. (Fortsetzung folgt.)
HALLE A. D. S. PHILIIM" STRAUCH.
46 KLAPPER
DER URSPRUNG DER LATEINISCHEN OSTERFEIERN.
Im gegensatze zu der forderung Milchsacks (Die oster- und
passionsspiele, Wolfenbüttel 1880), der für die dramatische oster-
liturgie eine urform aus der band eines Verfassers annehmen wollte,
kam Karl Lange (Die lateinischen osterfeiern, München 1887) zu dem
ergebnis, daß sich eine abhängigkeit der denkmäler der einzelnen
länder voneinander nicht erkennen lasse, dass vielmehr das ritual die
gemeinsame quelle aller sei (s. 78). Auch die neueren versuche der
herleitung dieses liturgischen grundstockes aller religiösen Schauspiele
des mittelalters aus französischen kultübungen haben die frage zu
keiner annehmbaren lösung geführt. Eine erkenntnis aber scheint
Lange gegenüber allgemein geteilt zu werden : die dramatischen texte
müssen auf eine bestimmte heimat zurückgehen; sie können bei der
wesentlichen Übereinstimmung ihrer vier sätze nicht an verschiedenen
stellen etwa gleichzeitig zur dramatischen form aus liturgischen brevier-
versen entwickelt worden sein. Wo diese heimat zu suchen ist, soll
die folgende darlegung an der band einer neuen quelle ergeben. Wir
vergegenwärtigen uns zunächst die grundlegenden tatsachen, die durch
Langes Untersuchungen bereits festgestellt worden sind. Die litur-
gischen osterfeiern sind zunächst auf klösterliche kultübung beschränkt ;
sie sind nie ins römische rituale aufgenommen worden. Ihr haupt-
verbreitungsgebiet ist Deutschland und Frankreich. Die ältesten texte
reichen ins 10. Jahrhundert zurück; im 11. sind die feiern schon
überall im gebrauch. Nach Langes vorgange gliedern wir die texte
in eine ältere stufe, die nur die frauen-engelverse enthält, eine zweite,
die den apostellauf hinzufügt, eine dritte, die die Magdalena- Jesus-
szene enthält. Wir gliedern den text der frauen-engelszene in die
folgenden sätze:
1. 0 deus, quis reoolret nobis lapidem ah ostio monumenti ?
2. Quem queritis {in sepulchro)?
3. Jhesum Nazarejium.
4. Non est hie, surrexit, sicut predixerat; ite, nunciaie, quia
surrexit.
5. Alleliiia. Resurrexif.
Dabei ist im einzelnen zu beachten:
Satz 1 hat nur selten (Fecanip XIV. s., Toul XIII. s.) die an-
rufung: 0 deus. Der ganze erste vers wird in vielen texten der
ältesten Überlieferung weggelassen und von Lange nicht als grund-
bestandteil der ältesten feiern angenommen.
DER URSPRUNG DER LATEINISCHEN" OSTERFEIERN 47
Satz 4 lautet in den texten der zweiten entwicklungsstufe (Deutsch-
land, Holland, Italien) :
Non est hie, quem queritis, sed cito euntes nutUiate discipulis eins
et Petro qiiia siirrexit Jesus (Sutri XIII. s. Lange s. 81).
Diese zweite stufe setzt mit dem ende des 11. Jahrhunderts ein.
Ausserhalb des Verbreitungsgebietes der zweiten stufe findet sich der
Zusatz: quem queritis in keinem texte, also nirgends in Frankreich.
Der Zusatz deckt sich, was wesentlich ist, nicht mit einer evangelien-
stelle, sondern mit einem alten brevierverse, wie er im Gregorianischen
brevier vorliegt: Jcsum, quem quaeritis, no7i est hie, sed surrexit (Jos.
Mar. Thomasii Opera omnia. Romae 1749 p. 237).
Die Weiterbildung des dramatischen textes der 1. fassung läßt
somit im 4. satze das dem Matthäusevangelium 28, 6 f. widersprechende:
que^n quaeritis fallen und bindet sich dem breviertext entgegen an den
evangeliumstext.
Die Weiterbildung der 2. fassung behält den breviertext bei und
bindet sich in ihrer ausgestaltung an eine evangelienharmonie oder
einen kommentar, wo der Wortlaut von Matth. 28, 6 f. durch den text
von Marc. 16, 6 f. ergänzt worden w^ar:
Matth. : noii est hie, surrexit enim, sicut dixit . . . et cito euntes,
dicite discijjulis eins, quia surrexit.
Marc: surrexit, non est hie . . . Sed ite, dicite discipuUs eins et
Pitro . . .
Der 4. satz der zweiten entwicklungsstufe hat, eben weil er an
die brevierüberlieferung enger angelehnt ist, die ursprüngliche fassung
treuer bewahrt.
Eine rückbildung der beiden fassungen gemeinsamen grundlage
müßte also im 1. verse: 0 deus zeigen (diese anrufung kann nicht
erst in ihrer eigenartigkeit spätere zutat sein) ; sie müßte vor allem
den 4. satz auf die knappen worte beschränken : Non est hie, quem
queritis. Der Charakter des Stückes w^ürde dadurch rein liturgisch,
nicht den gedanken ausführend, sondern den evangelienvorgang sym-
bolisch durch brevierversikel andeutend. Je stärker der text zur
dramatischen veranschaulichung für die große masse der laien dienen
sollte, je mehr er also dem reinen breviergebrauch der geistlichen
entrückt wurde, desto enger musste der anschluß an die worte der
evangelien gesucht und die handlung ausgestaltet werden. Nach diesen
Vorbemerkungen können wir an die handschrift herangehen, die uns
dem Ursprünge des grundtextes zuführen soll.
Die pergamenthandschrift I qu. 175 der Staats- und universitäts-
48 KLAPPER
bibliothek zu Breslau, die unseren neuen text enthält, stammt aus dem
14. Jahrhundert. Sie enthält einen Ordodivini officil per totum annum
und gehörte einst in die bücherei der kreuzherren mit dem doppelten
roten kreuze in Neiße nach dem eintrage auf der innenseite des vorder-
deckeis: Conuoitm Cnicigeroruni cum dupUci ruhea Cruce Nissensis.
Die handschrift ist auf meine bitte von dem liturgieforscher Albert
Schönfelder beschrieben und als wertvolles liturgisches denkmal ge-
würdigt worden in dem aufsatze: Die prozessionen der lateiner in
Jerusalem zur zeit der kreuzzüge (Historisches Jahrbuch der Görres-
gesellschaft 1911, s. 578-597). Ich kann mich daher auf diesen auf-
satz, der leider kaum beachtung gefunden hat, beziehen. Ein kalender
(6 bl.) erwähnt die translation der hl. Hedwig (kanonisiert 1267);
ebenso die translation des hl. Adalbert, doch sind beide eintrage von
etwas späterer band. Nach blatt 6 sind 2 blätter herausgeschnitten;
zwischen blatt 115 und 116 fehlt eine läge; nach blatt 127 fehlen
mehrere blätter; erhalten sind heute 130 blätter; sie sind 25 cm hoch
und 16,5 cm breit, zweireihig zu je 28 zeilen beschrieben von einer band.
Die bedeutung der handschrift für die liturgieforschung liegt
darin, daß sie eine abschrift (mit einigen erweiterungen) einer hand-
schrift des 12. Jahrhunderts ist, die den gesamten Ordo divinl officii
enthielt, wie er in der kreuzzugszeit in Jerusalem bei den lateinern
in Übung gewesen ist. Die abschrift war für die Prager kreuzherren
bestimmt, und nach ihr regelte man dort den gottesdienst. Die heute in
der hs. vorhandenen lücken betreffen die erste adventswoche, die
heiligenfeste vom 15. juli bis 8. September und vom 13. november
bis 5. dezember. Die hs. enthält auf blatt 7-81 die liturgischen an-
weisungen de tempore und de missis votivls, auf blatt 82-130 die an-
weisungen de sandorum proprietatibus und das Commune saitctorum.
Die entstehungszeit der vorläge unserer hs. läßt sich einiger-
maßen genau aus mehreren hinweisen entnehmen. Aus anlaß der
dedicacio ecclesie wird blatt 115 erwähnt: Quam agimus sollemimüer
iuxta mnndatum jdomini fulchern patriarche. Fulcherius war patriarch
von 1145-1157. In der palmsonntagsliturgie wird die beteiligung des
königs erwähnt (bl. 37 rb)- nach 1187 hat Jerusalem keinen könig mehr
gehabt. Das Jerusalemer original unserer abschrift muß also im dritten
viertel des 12. Jahrhunderts entstanden sein. Dass auch diese Jeru-
salemer hs. wieder auf eine ältere vorläge zurückgeht, wird später
erwiesen werden. Unsere abschrift zeigt keine nachweisbaren erwei-
terungen im teile de tempore, einige wenige auf das 13. Jahrhundert
und Deutschland bezügliche erweiterungen weist der auf die heiligen
DER URSPRUNG PER LATEINISCHEN OSTERFEIERN 49
bezügliche teil auf, desgleichen der ursprünglich für Jerusalem be-
stimmte kalender; dieser enthält das fest der hl. Elisabeth am
19. november (1235 kanonisiert) und das fest des hl. Thomas von
Canterbury (1173 kanonisiert).
Wesentlich für die in Jerusalem geltende lateinische liturgie sind
die zahlreichen feierlichen prozessionen. Jeden sonntag fand eine
solche nach der frühmesse statt; vom sonntag nach ostern bis zum
feste Christi himmelfahrt geht die prozession vom chore der grabes-
kirche zum Speisesaal des dazugehörigen klosters, zur kreuzigungs-
stättc, hinter das hl. grab und zurück zum chore (bl. 50); ähnlich ist
der weg vom trinitatissonntage bis zum advent ; daneben finden kürzere
prozessionen vom chor der grabeskirche hinter das hl. grab und zurück
statt. Am hl. abend gehen die brüder des klosters vom hl. grabe
zum kapitel; nach dem kapitel ziehen patriarch, prior und einige
kanoniker des hl. grabes nach der geburtskirche Christi in Bethlehem,
von wo sie erst nach der zweiten weihnachtsvesper zurückkehren
(bl. 11). Am aschennittwoch zieht die prozession zur kalvarienkirche,
wo die ötFentlicben büßer mit asche bestreut aus der kirche verwiesen
werden (bl. 26). Am feierlichsten vollzieht sich die palmsonntags-
prozession. Vor Sonnenaufgang zieht der patriarch nach Bethanien
zum grabe des Lazarus in begleitung des thesaurarius der grabes-
kirche, der das kreuz trägt, der prioren der Sions- und Olbergskirche
und des abtes von st. Maria im tale Josaphat mit ihren genossen-
schaften. Auf der rückkehr trägt der patriarch das kreuz. Inzwischen
versammeln sich die drei in Jerusalem zurückgebliebenen konvente
der grabeskirche, des Johanneshospitals und der kirche St. Maria
de Latin/s mit dem ganzen volke beim tempel des herrn zur weihe
der [):ilinen. Dann gehen sie dem patriarchen entgegen. Vier voraus-
geeilte Säuger begrüßen das kreuz mit der autiphon : Ave rex noster.
Unter genau angegebenen wechselgesängen kehren alle zurück, wobei
unterwegs auf einer bühne ein diakon und ein subdiakon vor dem
Patriarchen, deni könige und den vornehmen geistlichen das evangelium
Math. 21 lesen. Auf der Porta aurea begrüsst ein knabenchor die
durchziehenden, die sich zum tempelvorhofe, dann die stufen hinab
zum tempel Salomons, darauf an die südtür des vorhofes begeben, wo
mit gesungen die schlusstation gemacht wird. Ahnlich eindrucksvoll
verläuft die karfreitagsliturgie mit der Ädoratio criici^. Prozessionen
finden desgleichen statt am karsamstag, am ostersonntag, am montag
in der rogationswoche, am dienstag und mittwoch, am ptingstsonnabend,
am pfingstsonntag; ferner am 5. dezember zur kirche des hl. Sabbas,
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. 15D. L. 4
5ü KLAPPRR
am 17. dezember zur kirche des hl. Lazarus in Bethanien, am 25. de-
zember, am 26. dezember vom hl. Stephanus zur Johanneskirche, dann
zurück zur grabeskirche, am 27. dezember von der Johanneskirche
zur grabeskirche; am 2. februar zur kirche Templum domini und mit
den geweihten kerzen um die kirche herum ; am 25. raärz, am 25. april
nach der tempelkirche ; am 3. mai (kreuzauffindung) in den chor der
grabeskirche, hinter das hl. grab und durch das kloster; am 24. juni
(Joh. der täufer) hinter das hl. grab, nach der Kalvarie und zum
Johanneshospital; am 15. juli, dem dankfeste der befreiung Jerusalems,
zur tempelkirche, dann zur stelle, wo die kreuzfahrer am 15. juli 1099
zuerst die mauer erstiegen, dann zum hl, grabe ; am feste kreuzerhöhung
(14, September) mit hochamt in der Kalvarie; endlich an allerseelen
(2, uovember) nach der kirche Halceldama, die auf dem Matth. 27, 8
erwähnten begräbnisplatze errichtet war.
In der anordnung des gottesdienstes, in der auswahl der anti-
phonen und der wenigen hymnen, die erwähnt werden {Crux fidelis,
Salve festa dies, Veni creator, Te deum), sowie der psalmen, ferner
in der eingliederung mehrerer feste (allerseelen, allerheiligen als fest
des 1. novembers, kreuzerfindung und des dankfestes für die ein-
nähme der Stadt am 15. juli), gewiss auch in der ausschmückung des
feierlichen ritus als folge der Wiedererrichtung des patriarchats und
der errichtung eines königtums ist die liturgie ein werk der abend-
ländischen kirche und teilweise erst das werk der kreuzzugszeit. Das
hindert aber nicht, dass in ihr in stärkster weise ursprüngliche litur-
gische Überlieferungen Jerusalems selbst aufnähme gefunden haben,
die in dem einheimischen ritus der vorkreuzzugszeit in griechischer
spräche ihre feierliche ausgestaltung in engster anlehnung an die heiligen
Stätten erfahren hatten und auf eine jahrhundertelange Übung zurück-
blickten, die auch bereits durch die pilger und die Ordensnieder-
lassungen des abendlandes ihre Wirkung auf die abendländischen
liturgischen formen geübt hatten, vornehmlich im hinblick auf die
ausgestaltung der abendländischen prozessionen. In der grossen zahl
der prozessionen, in dem wege, den sie wählen, und in dem kerne
ihres gebetsritus spiegelt unser Ordo divini officii Jerusalemer sondergut.
Die liturgischen Wechselwirkungen zwischen Jerusalem und der
lateinischen kirche sind immer sehr stark gewesen ; Rom und das
ganze abendland haben vieles der hierosol3'mitanischen liturgie ent-
lehnt (S. Bäum er, Geschichte des breviers, Freiburg i. B. 1895 s. 105);
der ritus der karwoche, die prozession des palmsonntages, die von
Caesarius von Arles eingeführte Verlesung der Resurrectio in den metten
DER URSPRUNG DER LATEINISCHEN OSTERFEIERN 51
des sonntags (Bäumer s. 150) und viele einzelheiten weisen auf die
bis zum Schlüsse des 6. Jahrhunderts besonders bei den Monazontes
Südgalliens stark, wirksamen Vorbilder ägyptischer und palästinensischer
normen zurück, die mit abendländischen formen verbunden wurden
und die grundlagen für das abendländische Offizium abgaben (Bäumer
s. 193). Umgekehrt ist zu beachten, dass bis um das jähr 600 „Jeru-
salem noch eine römische stadt war, wo neben der von Justinian er-
bauten basilika der theotokos, das pilgerhaus für die Wallfahrer des
erdkreises, stand" (F. Arnold, Die geschichte der alten kirche, Leipzig
1919, S. 241), Es ist somit trotz des mangels entscheidender nach-
richten sehr wohl denkbar, daß die römische brevierreform ihren ein-
fluss etwa in der form des Respojisorhim S. Gregorii Papae um 600
auch in Jerusalem geltend machte, wo die abendländer gewiss in
eigenen gottesdienstlicheu gemeinschaften lateinische spräche und
römischen ritus lange vor den kreuzzügen gepflegt haben. Sicher aber
ist, dass die abendländischen pilger in der läge gewesen sind, den
gebeten und dem prozessionsritus der griechischen liturgie Jerusalems
genau zu folgen, wohl eben an der band lateinischer erkläruugen und
Übersetzungen. So sind die grundbedingungen für einen liturgischen
ausgleich in Jerusalem zur kreuzzugszeit gegeben. Schon im jähre 1101
überwiegt in dem vom patriarchen gefeierten karsamstagsgottesdienste
die lateinische liturgie. „Der bericht eines Foucher von Chartres aus
dem jähre 1101 (abgedruckt im anfang von Noroffs ausgäbe des Daniel
[Felerinage en Terre Sainte de l'igoumene Rust<e Daniel an eonniun-
cement du XII' siecle traduH . . . pctr Noroff. St. PetersJ)our(j 1864]
s. 198-207: Recit de Foucher de Chartres, en 1101, siir rapparition
de la lumii-re fainie en Samedi-Saint) zeigt den abendgottesdienst des
karsanistags mit dem wunder des heiligen feuers als einen allerdings
von Griechen, Syrern und Lateinern gemeinsam gefeierten, aber doch
als einen wesentlich lateinischen, bei welchem - es wird dies aus-
drücklich von Foucher gesagt - der lateinische patriarch pontifiziert.
Das nämliche gilt von der entsprechenden, um etwas mehr als ein
Jahrzehnt jüngeren Schilderung des Russen Daniel" (A. Baumstark
im Oriens christianus V (1905) s. 283).
Hier in Jerusalem war somit im frühen mittelalter die statte, an
der sich die abendländer mit den fruchtbarsten anregungen und Vor-
bildern für die gestaltung ihrer eigenen liturgie erfüllten, wogegen
das Abendland seinerseits auf die Jerusalemer liturgie formgebend
und ausgleichend, seit der ausbau der römischen liturgie vollzogen
war, besonders seit den kreuzzügen wirken sollte.
i*
52 KLAPPER
Nach der klarlegung' dieser Verhältnisse erst können wir jetzt
die auferstehungsliturgie würdigen, die unser Jerusalemer ordo ent-
hält. Sie lautet auf blatt 45'* unter auflösung der starken abkür-
zungen :
In die sancto Pasce ad matutinas non dicitur Domine, labia
mea nee deus in adiutorium meum, sed primo incipiatur inui-
tatorimn Alleluia, surrexit dominus. Psnlmus Venite. Ympnus
non dicitur. Antiphona Ego snm qui sum. Psalmus Beatus vir.
Antiphona P ostulavi patrem. Psalmus Quare facieni^. Anti-
phona Ego dormivi. Psalmus Domine, quid multi. Antiphona.
dnplicentur versicidi. R esur rexit dominus, alleluia. Lectores
[bl. 45''''] et cantores cappis sericis induantur. Lecciones III de omelia.
ewangelium. Mar ia Mag dalena. Responsorium Angelus domini.
Versus Ecce precedet. Responsorium Dum transissei. Versus
Et valde. Gloria pa tri. Reiter atur Dum transisset. Quod
dum cantatiir, preparantur tres clerici iuvenes retro altare in modum
mulierum iu.cta con^uetudinem. antiquam. Finito responsorio procedant
inde contra sepulcrum, deferentes singuli vas aureum ucl aryenteum
cum aliquo ungento candelahris et turibulis preeuntibus cantando ter:
Ode u s ! Qui s reu ol u e t ?
üumque ad portam sepulcri venerint, duo alii chrici iuxta portam
sepulcri albis uestiti et habentes amictus super capita et candelas in
manibus cantando respondeant sie:
Quem q ueritis?
Midieres :
Jhesum Nazarenum.
[Bl. 46 '-^j Tunc Uli duo:
Non est hie, quem queritis,
Interim mulieres introeant in sepulcrum. Ibique facta oracione
breui exeant inde. Et uenientes in medium chori alta uoce nuncciabunt
cantando:
Alleluia. Re surrexit.
Sed uisitacionem haue modo non facimus propter astancium multi-
tudinem. Quibus Jinitis incipiat piatriarclia Te deum lau dam us.
Versus In re s u rrec c i one t u a , Ch r i s t e. Alleluia.
Aus diesem text ergeben sich folgende wesentlichen tatsachen:
Der Wechselgesang ist eine consuetudo antiqua ; er ist nicht mehr
in der zweiten hälfte des 12. Jahrhunderts in der grabeskirche in
1) Hs. Quare fre.
DER URSPRUNG DER LATEINISCHEN OSTERFEIERN 53
Übung-, weil die pilg-er und kreuzfahrer zu zahlreich sind und das ge-
dränge diese prozession nicht mehr gestattet. Es handelt sich wirk-
lich um eine prozession ganz in der art der zahlreichen sonntags- und
festtagsprozessionen, die vom chor zum grab und zurück stattfanden.
Diese prozession der drei kleriker vollzieht sich candelahris et turibidis
preeunt/bus, unter vorantritt von leuchter- und rauchfassträgern. Die
frauenkleidung, die salbengefässe, das Zwiegespräch mit den engein
sind die dramatischen demente. Die consuefndo antiqua trat unorga-
nisch zu der liturgie der Matutin, deren text etwa dem Responsorium
S. Gregon'i Papae entspricht. Der brauch muss also in der grabes-
kirche bereits alte Überlieferung sein, also doch wohl vor der neu-
regelung der liturgie durch die lateinischen kreuzfahrer dort bekannt
gewesen sein ; die kreuzfahrer schaffen ihn ab. Der text unseres ordo
führt also an dieser stelle auf eine Jerusalemer hs., die die bemer-
kung von der Unterlassung der prozession, wohl als randbemerkung,
enthalten hat, während die aus frühester kreuzzugszeit des beginnenden
12. Jahrhunderts stammende origiualhandschrift den auferstehungsritus
noch als übliche Zeremonie der grabeskirche gekannt haben muss.
Der text unterscheidet sich von allen anderen angaben der hand-
schrift im Wortlaute in entscheidender weise dadurch, dass vor keinem
seiner fünf sätze ein hinweis breviertechnischer art steht, wie etwa :
Antiphoiia, Ver.'tus, Psa?mus\ Es ist von grundlegender bedeutung,
dass man sich darüber klar werden muss, ob wir es mit abgekürzten
Versen oder mit dem vollständigen Wortlaute des dialogs zu tun haben.
Es kann kein zweifei sein, dass in den breviermässigen angaben der
hs. die meisten textstellen nur den anfang der antiphona oder des
psalmenverses geben; es ist aber ebenso sicher, dass in der dramatischen
prozession der vollständige Wortlaut der texte vorliegt. Die Frauen
singen dreimal die beiden sätzchen: 0 deus.' Qii/'s reuoluet? Der
prozessionsgesang ist also durchaus liturgisch gebunden ; er ist noch
nicht durch anlehnung an den evangelientext inhaltlich anschaulich
geworden. In gleicher, fast symbolischer form erfolgt das Zwiegespräch :
Quem queritis? - Jhemm Xazarenum. — Non est hie, quem qneritif'.
Der eintritt ins grab und das gebet, sowie die rückkehr der prozession
zum chor ist noch strenge prozessionsliturgie ohne die absieht einer
veranschaulichung der auferstehung, einbeziehung von tatsachen der
evangelienberichte; desgleichen die dem brevier entsprechende Ver-
kündigung: Allelnia. Resurrexit. Der gesamte ritus steht somit stil-
echt in dem rahmen der prozessionsliturgie der hl. grabeskirche und
in der tradition der ältesten breviertexte. Er liefert, wie wir aus
54 KLAPPER
einem vergleich mit den beiden abendländischen grundformen der
dramatischen auferstehungslitiirgie entnehmen können, einen text, der
die gemeinsame grundlage für die stufe I und II sein kann.
Lässt es sich somit wahrscheinlich machen, dass die im Jerusalemer
Ordo vorhandene dramatische osterprozession nicht aus dem abend-
lande dort eingeführt worden ist, sondern eine bodenständige liturgie-
form der hl. grabeskirche darstellt, so ist es als sicher anzunehmen,
dass wir hier die quelle aller abendländischen dramatischen osterlitur-
gien gefunden haben, dass von Jerusalem von monastischen pilgern
diese prozession wie viele andere nach den klöstern Frankreichs und
anderwärts verpflanzt worden ist. Ob diese Jerusalemcr prozessions-
liturgie ihre sätzchen griechisch oder lateinisch enthalten hat, ist dabei
belanglos; die lateinischen entsprechuugen waren jedem pilger geläufig.
In den fünf Jerusalemer sätzen der auferstehungsprozession ist
nichts enthalten, was eine entlehnung aus dem abendländischen ritus
sein müsste ; nichts widerspricht darin der annähme eines Jerusalemer
Ursprungs. Die verse sind alten brevierlektionen entnommen, ohne
sich in dieser form mit den evangelistenworten zu decken; Dens!
Quis reuoluet geht auf Mark. 16, 3 Qui!^ revolvet. - Quem qiieritis
nach Luk. 24, 5 Quid quaeritis. - Jhesum Nazareniwi nach Mark.
16, 6 Jesum quaeritis Nazarenum. — Non est hie, quem queritis nach
Luk. 24, 6 (=Mark. 16, 6 = Matth. 28, 5) Non est hie. - ÄUeluia.
Besurrexit nach Luk. 6 (= Mark. 16, 6 = Matth. 28, 5) siirrexit.
Die Umformung der evangelistenwoite in den text der brevierlektionen
zeigt noch heute der breviertext Dominica in Albis (Resp. nach
lectio IV) Jesus, quem quaeritis non est hie, surrexit . . . alleluia,
oder in einer dem dialog näher kommenden form das Responsoriale
et Ant/phonarium Bomanae Ecelesiae in Jos. Mar. Thomasii o^^era
omnia, Bomae 1749, p. 94: Besp. (Ad noeturnam) Anyelus Domini
loeutiis est mulieribiis dieens. Quein quaeritis? an Jesum quaeritis?
jam surrexit, venite et videte, alleluia, alleluia. Wie diese Umformung
der evangelistenworte in den breviertext und daraus in die dialogform
der auferstehungsliturgie vorgegangen ist, lässt sich noch nicht ermitteln ;
auffallend allerdings ist es, dass sich in zwei eng verwandten vulgata-
handschriften des beginnenden 9. Jahrhunderts hier eine eigenartige
Variante zur gemeinüberlieferung findet, die sinnlos bleibt, wenn sie nicht
als dialog aufgefasst wird. Nach dem Variantenapparate zu Luk.
24, 4 des Novum Testamentum Latine {ree. Wordsworth-
White, 1 Qnatuor Evangelia 1889-1898) zu der stelle: quid
quaeritis viventcm cum mortuis? non est hie, sed surrexit enthält der
DER URSPRUNG DER J.ATEINISCHFA" OSTERFEIERN 00
Cod. l) i b 1 i 0 r. H u b e r t i a n u s IX oder X. s a e c. (aus dem Ar-
denuenkloster S. Hubertue) sowie der Cod. bibl. T li e o d u 1 f i a n u s
(einst dem bischof Theodulf von Orleans 788 — 821 gehörig) die lesai t :
quem quaer'Uis iesum nazarenum, quum mortuis. non est hie sed surre-
xit. Das gibt doch nur einen erträglicben sinn, wenn die worte : iesum
razarenum als antwort den frauen in den mund gelegt wird und die
entgegnung der engel dann lautet: cum mortuis non est hie sed surrexit.
Deiikbar ist es somit, dass in der bibelliandselirift des Theodulf eine
von Jerusalem beeinüusste textgestaltung vorliegt, deren dialogform
auch in dem breviertexte und seiner späteren Verwendung in der
Jerusalemer auferstehungsliturgie nachwirkt. Diese liturgie wäre
demnach zu zerlegen : 1. in den prozeseionsgesang des dreimal wieder-
holten 0 Dens! Qiiis revolvet?; 2. in den dialog, der aus dem brevier-
lexte gebildet ist: Quem quaeritis? Jesum Nazarenum. Non est hie,
quem quaeritis; 3. in den prozessionsschlussgesang : AUeluia. Eesur-
rexit. Was über diesen Wortlaut hinaue an technischen anordnungen
für die prozession erforderlich wurde, ist einzig aus Lukas entlehnt:
drei frauen, zwei engel.
Dieser rein morgenländisch anmutende prozess^ionsritus ist m
unserem Jerusalemer ordo ganz äusserlich mit dem römischen brevier-
rilue verknüpft. Das von den abendländern wieder eingerichtete
Patriarchat ist in gar keine beziehung gesetzt zu der auferstehungs-
prozession, während doch sonst der patriarch bei ähnlichen funktionen
in seiner grabeskirche stark beteiligt erscheint; es handelt sich eben
um eine ausser brauch gesetzte consuetudo antiqua, die von den latei-
nern vorgefunden, aber kaum länge beibehalten worden ist. Ein kurz
nach dem ersten kreuzzuge geschriebener Tractatus de terra sanctn.
der in einer Breslauer handschrift I F 117 abschriftlich vorliegt (an-
f aiig : Terra sancta 'promissionis deo amahilis; geschr. 1362) und die
genauesten angaben über die liturgie des ostertages von einem augen-
zeugen enthält, weiss von der dramatisierten osterprozession nichts ;
sicherlich hätte er diese nicht vergessen; der bericht lautet (bl. IS""'') :
In quo loco corpus domini positum cum aromatihus honorifice sepultu)n
usque in diem tercium requieuit. Die autem tercia resurrexit. In quo
loco so.ncti angeli mulierihus aparuerunt, milites sepulchrum custo-
dientes velud mortui sunt effecti. In quo eciam loco in nocte dominier
resurreccionis ignis sacer descendit supemis. Cum autem per mtindum
^Universum dicatur a fidelibus: ,8urrexit dominus de sepulchro, cpii
pro vohis pependit in ligno' , soll canonici ecciesie resurreccionis domi-
■trice speciali prerogativa gaudent dicentes, ad oculum demonstracionem
56 KLAPPKR
facicntes: ßurrexit dominus de h o c sepulchro/ Similiter in ewangeh'o
paschali cum. dlcitvr: ßurrexit, non est hie , dyaconus, qui legit ewan-
fietium, digito demonstret dominicam sepulturani. Wir können den
])ericht auf seine treue an unserem -Terusalemer ordo selbst prüfen.
Dae wunder der herabkunft des lieiligen feuers am ostersonnabende
ist auch in den vom patriarcben verordneten weihen von feuer un'l
kerzen erwähnt (bL 45) : Letania. ... cantatur, quousque ignis adue-
nerit. Qui dum aduenerit statim. incipitur T e de um laudamus.
Quo finito secundum preceptum domini patriarche ignis henedictus et
cereus a dyacono henedicitur. Das privileg der zusetzung des Jwc'^ zu
.sepulchrurn spiegelt sich wiederholt in dem Jerusalemer ordo; bl. 49 ;
■hl. 50; bl. 56; bl. 63 heisst der versus immer: Surrexit dominus de
h 0 c sepulcro. ■ . .
Der dialogisierte prozessionsritus kann also unmöglich in Jeru-
salem von lateinern eingeführt worden sein, da sie ihn selbst nicht
mehr üben, sondern als consuetudo antiqua nur noch im ordo erwähnen.
Er hätte zu einer zeit, wo der dramatische text im abendlande schon
die weiteste Verbreitung und in doppelter fassung seine starke Weiter-
bildung erfahren hat, auch unmöglich in der knappen grundform dort
eingeführt werden können, die den abendländern gar nicht mehr ge-
läufig Avar. Die bodenständige Jerusalemer prozessionsliturgie ist
eben dein römischen breviertexte der kreuzfahrer am auferstehungs-
jnorgen gewichen, und zwar zur gleichen zeit, w^o im abendlande selbst
die v/eitergestaltung des aus Jerusalem einst von mönchen eingeführteji
textes zum innner umfänglicheren liiteinisehen auferstehungsdrama
\^or sich geht.
ISTieht aus dem abendlande in die Jerusalemer liturgie, sondern
umgekehrt aus der liturgie der grabeskirche ins monastieche abend-
in nd ist die auferstehungsliturgie ihren weg gegangen.
Am heiligen grabe selbst waren alle bedingungen seit der frühzeit
des oliristentums für die ausbildung einer solchen liturgie vorhanden.
Tm abendlande lagen die gleichen anläisse nirgends vor. Man vergegen-
w^ärtige sich, mit welcher aufmerksamkeit die gallischen pilger die
liturgischen Vorgänge der grabeskirche verfolgt haben, mn sie zur
nachbildung ihrer heimat zu vermitteln. Im ältesten uns erhaltenen
derartigen berichte möchte man bereits alle grundlagen für eine dva-
ruatisclie auferetehungsfeier angedeutet finden. Sanctae Silviae Pere-
grinniio (Paul Geyer, Itinera Hierosolymitana = Corpus scr. eccles.
lat. vol. XXXVIII, Vindobonae 1898, p. 71), die um 383 geschrieboa
DER URSPRUNG DER LATEINISCHEN OSTERFEIERN 57
ist, erzählt nach eingehender Schilderung der liturgie der grabeskirche
in derkarwoche den verlauf der ostertagsliturgie wie folgt (s. 73) :
Septima aufem die, id est dominlca die, ante pallorum cantum
colliget se omnis muUitudo, quaecumque esse potest in eo loco, ao si per
pascha in hasilica, quae est loco iuxta Anastasim, foms tarnen, uhi
luminaria pro hoc ipso pendent. Dum enim uerentur, ne ad pullorum
cantum non occurrant, antecessus ueniunt et ibi sedent. Et dicuntiir
■ijmni nee non et antiphonae, et fiunt orationes (/-y-Ta) singulos ymnos uel
antiphonas. Nam et presbyteri et diacones semper parati sunt in eo
loco ad uigilias propter multitudinem', quae se colliget. Consuetudo
enim. talis est, ut ante pullorum cantum loca sancta non aperiantur.
Mox autem primus pullus cantauerit, statim descendet episcopus et
Vit rat intro speluncam ad Anastasim, ilbi iam luminuria infinita
lucent, et quemadmodum. ingressus fuerit popuUis. dicet psalmum
quicumque de preshyteris et respondent omnes, post hoc fit oratio. Item
dicit psalmum cpticumque de diaconihus , similiter fit oratio^ dicitur et
iertius psalmus a quocumque clerico, fit et tertia oratio et commemo-
ratio omnium. Dictis ergo h^is trihus psalmis et factis orationibus
trihus ecce etiam thymiataria inferuntur intro spelunca Anastasis, ut
t^pta hasilica Ana,stasis repleatur odorihus. Et tunc ihi stat episcopus
imro canceUos, prendet euangelium (p. 74) et accedet ad hostium et
leget resurrectionem Domini episcopus ipse. Quod cum coeperit legi,
tantus rugitus et mugitus fit omnium hominum et tantae lacrimae. ut
quamuis durissimus possit moueri in lacrimis Dominum pro nobis
tanta sustinuisse. Lecto ergo euangelio exit episcopus et ducitur cum
ymnis ad Crucem et omnis populus cum iUo.
Also schon hier der andrang des Volkes zur aufer5>tehungsliturgie.
ii; deren mittelpunkte die handlungen am und im hl. grabe selbst
stehen, die lichter, der weihraueh, eine prozession ; sobald die liturgie
vom Id. grabe Aveg in den Chor verlegt wurde, musste sich mit notwen-
digkeit eine prozession zum grabe entwickeln; die einflihrung der
frauen und tngel und ihr dialog boten sich in ähnlicher weise dar wie
die draraatioche darstellung der palmsonntagsprozession mit dem vor
dem kreuz herziehenden und niederfallenden volke und den gesängen
der kinder von der goldenen pforte herab, wie es in unserem Jerusa-
Icmer ordo geschildert ist und sclion ganz ähnlich von Silvia-Aethena
Vrerichtet Avird (Geyer s. 83). Die auferstehungsprozession ist eben
nur eine der vielen dramatisch belebten prozessionen Jerusalems;
hätte sie vor den kreuzzügen dort gefehlt, so Aväre im ritual eine un-
erträgliche lücke vorhanden gewesen. Auch die fonnel : 0 Deus! im
58 l.EITZMANN
]jrozessioii8gesange weist auf morgenländisclieii braucli hin ; das abend-
land hätte so schwerlich sagen können ; hier heisst es in liturgischen
Wendungen nur Deus! Das morgenland kennt dagegen die auch in
der karfreitagsliturgie vorhandene anrufung: 0 Th'eos!
Die herleitung der abendländischen dramatischen auferetehungs-
liturgie aus der Übung des heiligen grabes in Jerusalem stösst somit
kaum auf ernste Schwierigkeiten. Noch nicht beantwortbar dagegen
ist die frage, wann in Jerusalem die prozession eingeführt wurde und
wann sie von dort nach Gallien und Deutschland übernommen worden
ist. Die älteeten abendländischen handschriften mit dieser liturgie
führen ins 10. Jahrhundert zurück. Die gallische liturgie des Caesarius
von Arles, die auf orientalischem beziehungsweise jerusalemischem ein-
fiuss beruht (S. Bäumer, Gesch. des breviers, s. 150), kennt im anfange
des ß. jahrhimderts die auferetehungsprozession noch nicht; sie wird
somit auch um diese zeit nocli in Jerusalem nicht üblich gewesen sein.
Ee bleibt daher für die jerusalemisohe entsteh ung und die abendlän-
dische Übernahme der liturgie der lange Zeitraum frei vom beginnenden
ö. bis zum ausgehenden 10. Jahrhunderte. Die Wahrscheinlichkeit spricht
jedoch dafür, dass die herübernahmejerusalemischer Übung ins monasti-
'sche Gallien vor die durohfülirung der gregorianischen reform mit
ihrer zentralisierenden tendenz fällt, also in Frankreich vor die zeit
der Karolinger, in der die benediktinisch-römische regel eingeführt
wurde; denn in Rom ist die dramatische osterfeier nie offiziell ge-
A\'orden. Wenn uns aus der zeit vor dem ausgehenden 10. Jahrhunderte
abendländische texte der dramatischen osterliturgie fehlen, eo ist
d.aran jedesfalls nur die Seltenheit der liturgischen handschriften
dieser zeit schuld. Die ausgestaltung der Jerusalemer liturgie in dem
dramatischen sinne könnte dann in die zeit zwischen dem anfange des
('-. Jahrhunderts und der mitte des 8. Jahrhunderte fallen.^)
BRESLAU. JOSEPH KLAl'PER.
MISZELLEN.
Auszüge aus briefen der brüder Grimm an Snlomon Hirzel.
Aus Hans Gürtlers nachlass herausgegeben von Albert Leitzmaun.
Auszüge aus briefen von Jacob und Wilhelm Grimm an Salomon Hirzel,
soweit sich deren Inhalt zunächst auf die geschichte des Deutschen Wörterbuchs
bezieht, hat Matthias Lexer im Anzeiger für deutsches altertum 16, 220 und 17, 238
veröffentlicht; doch sind auch manche 'für personen- und zeitverh.ältnisse inter-
1) Vgl. Journ. of engl. and. gerraan. Philology 21 (1922), 692. Red.
AUSZÜGE AUS BRIEFEN" DER BRÜDER GRIMM AN SALOMON HIRZEL 59
essante oder für die briefschreiber überhaupt charakteristische' beraerkungen ein-
bezogen worden. Der im besitze der Göttinger Universitätsbibliothek befindliche
sammelband (Cod. Philos. 178'"), in dem sich diese geschäftsbriefe beider brüder
nun zusammengebunden befinden (für die wenigen sonst vereinzelt erhaltenen ist
der jetzige aufbewahrungsort besonders angegeben), enthält jedoch ausser diesen
teilweise schon herangezogenen briefen noch eine ganze reihe anderer bemerkens-
werter, deren kenntnis sowohl für die Schreiber selbst erwünscht erscheint als auch
die geschichte des Wörterbuchs vervollständigt. Ihrem werte nach sind sie aller-
dings sehr ungleich : mit ausführlichen briefen wechseln oft einfache mitteilungen
und flüchtig hingeworfene bemerkungen. Diesen grossenteils undatierten, teilweise
auf losen blättchen geschriebenen und den manuskriptsendungen beigefügten mit-
teilungen die richtige reihenfolge anzuweisen, war nicht leicht. Bei manchen ist
auf der rückseite ein empfangsvermerk, zumeist aber eine erst viel später nach-
getragene Zeitbestimmung angegeben, die zudem in einigen fällen ungenau ist.
In der handschrift sind sie oft an falscher stelle eingeheftet. Ich gebe im folgenden,
für jeden brief oder jede kürzere mitteilung unter besonderer zahl, einen auszug
aus dem bände: die von Lexer ausgehobenen stellen sind nachverglichen, besse-
rungen eingefügt, nur nebensächliches übergangen. Von den von Lexer mitgeteilten
briefen Hirzels sind ausser dem einen vom 24. februar 1863, nur teilweise in dem
Sammelbande erhaltenen, nur noch einer vom 14. märz 1854 (wegen einiger angaben
im quellen Verzeichnis zum ersten band) und der auf die dritte briefseite von Jacobs
brief vom 27. September 1857 entworfene anfang der antwort Hirzels vorhanden.
Zur Geschichte des Wörterbuchs vgl. die arbeiten von Hofmann und Meissner
in den Preussischen Jahrbüchern 136, 472 und 142, 62, sowie die dort angeführte
literatur.
I. Von Jacob Grimm.
1. Naumburg 20 juli 1838.
... In Weißenfels saß ich gestern abend noch neben herrn von Gaudy* zu
tisch, und langte 12 uhr mitternachts hier an. ich bin eben im begrif meine wande--
rung nach Pforta anzutreten; das wetter könnte mehr versprechen. . . .
2. Liebe freunde,
Frau Bettine von Arnim, die uns hier mit ihrem besuch erfreut hat, wird
über Leipzig zurückreisen, und zu Ihnen kommen, sich Ihres raths in einer literari-
schen angelegenheit zu erholen ^ Sie ist uns mit wahrer schwesterliebe zugethan,
und vermag bessere auskuuft über unser gegenwärtiges leben, wohnen und treiben
zu ertheilen, als es briete können.
Sein Sie und Ihre frauen herzlich von mir gegrüßt.
Cassel 29 nov. 1838.
Jac. Grimm.
3. Cassel 18 jun. 1839.
Da Sie, lieber freund, nach Berlin reisen, oder schon dort sind, in welchem
fall Ihnen der brief nachgeschickt werden soll, so sende ich Ihnen einen an Meuse-
bach, den Sie ihm vielleicht gern selbst überbringen. Er hatte mir vorigen monat
1) Der dichter Franz freiherr von Gaudy (1800—46)?
2) Wegen der gesamtausgabe von Arnims Schriften.
60 LEITZMANN
durch den Wiener Karajan gefichrieben, ich höre aber seitdem, daß er sich unwol
soll befunden haben. Ich hoffe niclits anders als daß er dennoch zur rechten zeit
uns mit erwünschten beitragen freude mache.
Für die der Kleeschen ' sendung heigepackte rede Hermanns * danke ich
besonders, sie hat mich sehr erquickt, mehr als das Thierschsche taschenbuch ^,
das doch zu gewöhnliche dinge vorträgt.
Noch eine bitte, mein bruder, der mahler, hat seine radierten blätter (einige
hundert stück, größere und kleinere, portraits, compositionen, landschaften, thier-
stücke) in ein werk gesammelt, und läßt exemplare in einzelne bände heften.
Rathen Sie nun, wie er mit dem vertrieb am besten fahren würde? ob ein solider
leipziger oder dresdner kunsthändler sich damit und unter welcher bedingung
befassen könnte?
Gödeke hat mit seinen manuscripten Unglück; sein trauerspiel ^ hat ihm die
censur so mitgenommen, daß man ihm nicht anders rathen konnte, als es zurück-
zuziehen. Was er über Platen sagt" ist garnicht übel, und vernünftiger als das
Minckwitzische ge^ede^ Ihr Jac. Gr.
4. Steil Oct. abends [1841?]
Lieber Hirzel . . . mit dem kommen war es nichts, Sie aber höre ich kommen
noch diesen monat, worauf ich mich freue ; an andern besuchen, die mir meisten-
theils lange nicht so lieb sind, ist jetzt hier einiger Überfluß. . . .
an Ihre frau und Reimers grüße
Ihr Jac. Grimm,
ich lege blätter für die hauptische Zeitschrift an,
damit es nicht scheint als wolle ich nichts weiter
für sie thun; zu besserem war aber noch nicht zeit,
man sagt daß schon 2000 exemplare abgesetzt wer-
den, neulich hatte Benecke einen guten namen, der
uns voriges jähr nicht einfiel: altdeutsche scheuer.
5. Lieber Hirzel, [1841]
. . . Die heiliegenden von Waitz erhaltnen glossen ' stellen Sie dem heraus-
geber der Zeitschrift für deutsches alterthum zu und sagen ihm. daß Warnung
2328 eide kaum etwas anderes sei als egide, egge. ... Zu den weihnachtsferien
werden Sie noch einen bericht über die wörterhuchsangelegenheit empfangen.
Herzliche grüße an Ihre frau und Reimers
Ihr .Tac. Gr.
Das paket an Kehrein ^ (leider nicht Kehr rein, der leser kehrt schlecht)
lassen Sie an Hinrichs abgeben.
1) .Julius Ludwig Klee (1807— 67\ rektor des gymnasiums der alten kreuz-
schule in Dresden; seine Verdienste um das Wörterbuch hat .Jacob in den vorreden
zu den ersten beiden bänden hervorgehoben.
2) Gottfried Hermann, Oratio in tertiis sncris saecularibus i-eceptae a civibi(s
Lipsiettibus reformafae per M. Lufhenim religionis, Leipzig 1839.
3) Taschenbuch der neuesten geschichte, Stuttgart und Tübingen 1839.
4) König Kodrus, eine missgeburt der zeit, Leipzig 1839.
5) Als einleitung zur ausgäbe der Gesammelten werke (Stuttgart und Tü-
bingen 1839).
6) Graf von Platen als mensch und dichter, Leipzig 183S.
7) Erfurter glossen (Zeitschrift für deutsches altertum 2, 204).
8) Josef Kehrein (1808—76), schulmann und literarhistoriker.
AUSZÜGE AU.S BRIEFEN DER BRÜDER GRIMM AN SALOMON HIRZEL bl
6. Lieber Hirzel,
. . . Beifolgenden poetischen erguß von Palleske * hat die Dahlmann hier
vergessen. . . .
Den brief an Pfeiffer* bitte ich . . . zuzufertigen.
Oft noch habe ich und Dortchen an die unruhe gedacht, die wir Ihrem hause
vor zehn tagen bereiteten ; das überwinden Sie alles mit Ihrer freundlichkeit, die
Ihnen natürlich ist, also leicht wird,
[von Hirzels band: Oktober 1845.] .Jacob Grimm.
7. Liebster Hirzel, Berlin 2 sept. 1846.
Sie können sich denken daß ich Ursache gehabt habe, die antwort auf Ihren
brief vom 17 aug. zu verschieben, ich bin nemlich seit meiner rückkunft aus Lipp-
springe auf das verschiedenste und lebhafteste bewegt und zu geschäfteu bewogen
gewesen, an die ich gar nicht dachte. Nun gehn mir auch meines buchs ' wegen
noch ein paar dinge im köpf herum, die ich zuvor durch neue Untersuchung be-
ruhigen muß, und gegen ende des monats soll ich nach Frankfurt zu der ver-
samlung. Folglich bedarf es noch einer frist, sobald ich kann werde ich Ihnen
raanuscript senden.
Grüßen Sie alle die Ihrigen . . . Wilhelm ist in Teplitz und will, ohne erst
heimzukehren, über Wien und München nach Frankfurt reisen. Wer hätte ihm
diesen reisemut zugetraut? Jac. Grimm.
8. [Frankfurt] Mittwoch 6 sept. [1848]
Lieber Hirzel, gestern abend, als ich aus einer stürmischen Sitzung heim
kam, fand sich das längst erwartete buch, gedankenvoll über die gefahr und den
erfolg des ebengefaßten beschlusses, zu dem ich mitgestimmt hatte, mochte ich das
buch kaum öfnen und erblicken was mir einige jähre lang durch den köpf gegangen
war. wie klein erscheint einem das eigne werk gegenüber des Vaterlandes noth.
die versamlung, wenn sie mit ehren fortbestehen wollte, muste den Waffenstillstand*
verwerfen, komme was über uns verhängt ist.
Ich danke für alles, die ausstattung des buchs ist gut und schön, aber
lassen Sie, falls es noch nicht geschah, zu Berlin gleich meinem bruder zwei
exemplare übergeben, denn er soll eins davon dem könig schicken, und er wartet
selbst darauf weil er dann verreisen will.
[Original im besitze des geschichtsvereins in Hanau.] Jacob Grimm.
9. Lieber Hirzel,
hier sende ich Ihnen meine rede auf Lachmaun '". [Exemplare für Zarncke
und Koberstein.]
13 sept. [1851] Ihr Jac. Gr.
10. 5 Jan. 52
[Anzeiger 16, 222.] aber Herrn Ilildebrands" erste beraerkuug ist begründet
und das übel daher entspringend, datz für namen kleinere majuskel gebraucht
1) Emil Palleske (1823—80), dramatischer Vorleser und schriftsteiler.
2) Vgl. Germania 11, 111.
3) Geschichte der deutschen spräche, Leipzig 1848.
4) Von Malmö ; zwischen Dänemark und Preussen, am 26. august.
5) Kleinere Schriften 1, 145.
6) Rudolf Hildebrand (1824—94), lehrer an der Thomasschule in Leipzeig.
62 LfitTZMAKN
werden sollte, als die gewöhnliclie, unter der andern schrift verwendete ist. Ich
weisz keinen andern rath, als dasz wir der majuskel' ganz entsagen, besorge auch
keinen nachtheil davon, mau schriebe Göthe, Luther, wie Westfalen, Fulda, nur
wird es mühe kosten, diese majuskel aus dem schon gesetzt stehenden wegzuschaffen.
in der majuskel selbst buchstaben verschieduer grösze anzunehmen streitet wider
alle gute regel.
Den hiernach geänderten ersten halben bogen wünsche ich vorher zu sehen,
das manuscript will ich Ihnen durch Dieterich zurücksenden. Sie brauchen nicht
immer soviel porto auszugeben und können die beifügung des manuscripts unterlassen.
Nicht Seiten sondern spalten sind zu beziifern, damit man nicht 8* 8** zu
citieren braucht, da aber in die mitte der spalte die anfangsbuchstaben gehören,
musz die zahl neben an die seite rücken, die eine vorn, die andere hinten.
Zu Vermeidung der dummen striche hinter flusz-, ab- wollte ich erst die
Wörter zusammenschieben (fluszundortsnamen, abundzulauf), sehe aber, dasz es zu
sehr auffallen würde, und ergebe mich der alten gewohnheit.
Dies alles in eile, da ich zur academiesitzung fort musz.
herzlichen grusz Jac. Gr.
Sollte der setzer es unthunlich finden, die gesetzte majuskel zu tilgen, so
gebe ich auch hier nach und gestatte
BÜRGER an A. W. Schlegel
dann müste aber stehn überall Luthrr G()the.
da ich so weich gestimmt bin, konnten Sie mir sogar noch fs für
sz aufnöthigeu. ich denke mehr an die sache als an die gestalt.
11. Liebster Hirzel,
das paket ist gekommen, die auszüge aus dem bienenkorb sind noch sehr braucii-
bar, aber mühsam zu ordnen und unterzubringen, wenn Müller den Geliert aus-
gezogen hat, so weiß ich nicht was, denn im A treten mir wenigstens keine zettel
vor äugen. [Anzeiger 16, 222.]
Sie wollten ein blatt zur probe ausgeben, falls Sie damit nicht noch länger
und auf ein besseres warten wollen, so nehmen Sie col. 33—36, worauf auch ein
spasz steht den niemand merkt.
von haus Ihr .Jac. Grimm,
es ist nicht gut dasz die zweite vom setzer noch unberichtigte correctur mir zur
revisiou geschickt wird und besser wäre die zweite correctur dort einzutragen und
dann einen abzug zu nehmen und hierher gehn zu lassen, sonst mischen sich
Hildebrands und meine correcturen und die clare einsieht der letzteren wird erschwert.
[Bittet Hirzel um nachweisuug eines Goethischen Spruches.]
12. [Dankt für Hirzels nachweis aus Logau.]
Alles heil zu Ihrem gestrigen geburtstage, in diesem monat fällt auch Wil-
helms, möge uns der himmel alle zusammen schützen!
Auf Dünzers oder Düntzers pamphlet bin ich begierig, noch mehr auf die
auszüge, die Sie davon ins Centralblatt geben werden.
Bald müssen nun aushängebogen kommen, es freut mich, daß .setzer und
corrector so verständig sind.
samstag 14 febr. [1852] nipiim Jac. Gr.
1) für die mannsnamen, wie für die ortsnameu.
AUSZÜGE AUS BRIEFEN DER BRÜDER GRIMM AN SALOMON HIRZEL 63
13. Lieber Hirzel,
es ist schön, daß Sie im Wörterbuch immer thätiger eingreifen . . .
Hierbei folgt manuscript p. 501-702, dessen eingang ich auf der nächsten
correctur unten kurz anzuzeigen bitte.
Bogen 13'*' liegt hier durchgesehn gleichfalls bei. . . .
freitag nachmittag [1852] Dies alles in eile Gr.
14. [Anzeiger 16, 223.] Dieser tage sandte mir ein postmeister Fitger aus Delmen-
horst zwei auszüge über bönhase und knüppelvers als gut gemeinten beitrag, mit
dem erbieten nöthigenfalls die ganz bekannten folianten einzusenden, denen er
sie entnommen habe.
[Bittet um abschrift eines Goethischen gedichtes.]
2. ich sehe dasz Sie die Vossische zeitung lesen, weisz aber nicht ob auf-
heben, im letzten fall bitte ich auch um das was im blatt vom 19 merz der
schändliche Förster gegen mich geschrieben hat. . . .
[Anzeiger 16, 224.]
einlage an Tischendorf ' ersuche ich bestellen zu lassen.
freitag 23 apr. [1852] Jac. Grimm.
15. Lieber Hirzel, •
die erklärung der abkürzungen ist zu weitläuftig, als dasz sie auf dem Umschlag
platz hätte, ohnehin habe ich jetzt keine zeit sie zu sammeln und abzufassen, die
leser müssen sich also bis zum schlusz des bandes I gedulden, wie es auch in
anderm betraclit uachtheiiig ist, dasz wichtige erläuterungen verspart bleiben müssen.-
das sind übelstände des heftweise ersclieiiiens, aber unvermeidliche. . . .
diese zeilen nimmt professor von Lilienkron - mit, welcher für die Kieler
monatsschrift (die in Halle gedruckte) alle fertigen aushängebogen zu haben wünscht,
Müllenhoff will das werk besprechen. Vielleicht können Sie diese bogen oder
gleich das fertige heft ohne Verzug nach Kiel senden.
dienstag. [1852] Ihr Gr.
16. Lieber Hirzel,
alles war schön und erwünscht ausgestattet; wenn der innere werth des buches
gleichen schritt hält mit dem äußeren, so wird die Zufriedenheit allgemein sein,
daß blöden und verwöhnten äugen der druck zu fein und blaß scheint, thut nichts,
sie müssen sich nur dran gewöhnen.
[Druckfehler.]
hierbei folgt mauuscript 703—900. ob ich den beiden gierigen raben, den setzern,
immer so futter verabreichen können werde, steht dahin, dies manuscript muß fast
schon das zweite heft füllen, vielleicht weniger einen bogen, würde ich nur nicht
von andern mit zugesandtem unverlangtem manuscript geplagt, ein Marburger
Professor sendet mir seins zum lesen und beurtheilen, auch soll ich ihm einen Ver-
leger dafür schaifen. wollen Sies? es ist eine abhandlung über den Büdinger wald
1) Lobegott Friedrich Konstantin Tischendorf (1815—74), theolog. bekannt
durch seine ausgaben des nenen testaments.
2) Rochus freiherr von Liliencron (1820—1912), prufessor der philosophie
in Jena.
04 Lfitt2MAi<ti
und zweitens sein process mit der Darmslädter regierung, nebst beilagen. Dann
schickt mir Pertz die von Graff hinterlassenen raanuscripte, ich soll mich über ihren
werth und den preis äußern, für den sie zu erkaufen seien.
Den beiliegenden brief Strodtmanns (dessen söhn, glaube ich, dem Kinkel
durchgeholfen hat, überlasse ich Ihrer entscheidung. . . .
für die gesandten abschritten und auszüge besten dank, und sonst glück-
liche messe.
montag. [1852] Jac. Gr.
17. Lieber Hirzel,
[Anzeiger 16, 22i.]
Das zweite heft wird zu bestimmter zeit erscheinen, oder schon früher,
manuscript liegt bis zu bogen 35. bereits fertig.
[Anzeiger ebenda.] ich schicke Ihnen hier eine anzeige aus der Königsberger
zeituug, deren Verfasser es haben will; an sein lob knüpft er aber die ängstliche
meidung von seinem unverlegten eignen manuscript und von seiner unconfirmierten
tochter. ich musz fürchten, das vielleicht ganz leidliche manuscript war schon in
Ihren bänden, mich hat der Witte bis jetzt noch damit verschont, sodann ein
mehr gefaszter brief von Dr. Friebelt aus Hamburg, der sich als Verfasser des
artikels in den grenzboten nennt, den ich noch nicht gelesen habe, mit einem
dutzend anderer briefe, die blosz mich quälen, behellige ich Sie nicht.
Aber diese stücke bitte ich mir gelegentlich wieder aus.
an Klee werde ich unmittelbar schreiben und sein anerbieten' dankbar
annehmen.
Reimer frug neulich wegen auszügen aus Lichtenberg, sie sollen willkommen sein.
[Anzeiger ebenda.]
von herzen Ihr Jac. Gr.
22 Mai. [1852, nicht 2 mai, wie Lexer nach der unrichtigen angäbe von
andrer band auf der rückseite des briefs angibt]
pastor Strodtmann ' aus Wandsbeck hat mir dankbar geantwortet.
18. [Jacob Grimm schickt: rerne den flexx niondes, deutsches uiuseum, schul-
zeitung, in denen anzeigen über das Wörterbuch stehen, zurück.] alle diese berichte
lauten günstig, und doch ist einiges, was mir das wesentliche scheint, noch von
keinem berichterstatter ausgesprochen, nun es thut nichts.
[Anzeiger 16, 224.]
montag 14 juni 1852. Ihr Jac. Gr.
19. Lieber freund,
ich habe vorige woche, laut ertheilter quitung 555 erhalten und danke dafür, hier-
bei sende ich 901—1076, was nun sclion weit ins dritte heft laufen wird, in der
ausarbeitung gerathe ich jetzt an ein wort, das bei frauen nicht aufgeschlagen
werden darf, ein phtlolog kennt aber nichts obscoenes, ihm erscheinen alle Wörter
und gerade solche sehr wichtig und wissenswerth. alle lateinischen und griechischen
Wörterbücher lassen ihnen auch gebührendes recht widerfahren, was kümmern uns
die modernen?
1) Johann Sigismund Strodtmann (1797-1888), der entsetzte pastor von
Hadersleben.
AUSZÜGE AUS BRIEFEN DER BRÜDER GRIMM AN SALOMOX HIRZEL 65
Ein brief an Zarncke liegt bei, sodann eine anzeige, die Sie, wenn Sie davon
kenntnis genommen und sie gebilligt haben, ihm auch zustellen, es sollen dadurch
die einlaufenden wilden beitrage gezügelt und in das rechte gleis geleitet werden.
Gebe der himmel dasz jetzt alle kranken in Ihrem hause geheilt und her-
gestellt sind.
[1852] Ihr Jac. Gr.
20. Das zweite heft schlieszt ominös mit anstehn. es fragt sich, ob dem publicum
die arbeit ansteht, sonst könnte sie anstehn, wie Reimer gerade hinzu schreibt,
keinen fortgang haben.
Was für mühe und erfolg darin steckt, weisz ich am besten, die leser merken
sehr langsam, und sehn fast nur auf äuszerliches. das dritte, weil mehr einfache,
unzusammengesetzte Wörter enthaltend, wirft den Sprachforschern eine gute zahl
neuer entdeckungen ins gesicht.
Das publicum weisz gar nicht, was es sich unter einem Wörterbuch denken
soll, einer meint, den vollen gehalt der heutigen spräche; als wenn der nicht vor
30 Jahren ein andrer war, in 30 jähren nicht wieder ein andrer sein wird, ein
andrer sucht blosz nach alten, schweren Wörtern. Die vorrede musz manches auf-
klären, ich könnte sie aber diesen augenblick noch nicht schreiben, lerne sie erst
im verlauf der ausarbeitung abfassen.
Der artikel in der nationalzeitung ist so einfältig wie boshaft, ich rathe aber
nicht auf den Verfasser, vielleicht sind die buchstaben B— s fingiert, zu erwidern
hätte ich einem solchen kein wort, es gehört ihm was Logau 2, 1, 94 * sagt.
Schaden kanns wol bei der groszen Verbreitung des blatts, doch werden sich die
gegengifte von selbst darthun, es ist zu unbedeutend.
Ich gehe den begonnenen, vorbedachten weg ruhig fort.
Hirzel meldete vom storch, der bei seinem schwager ein kind abgelegt habe ;
da er aber mehr als einen schwager hat, räth man nicht, welchen er meint.
Die gesandten hefte habe ich durch Dietrich zurückgehn lassen.
19 juni [1852] Jac. Gr.
21. [Anzeiger 17, 241.] Nachdem einige schwere artikel beseitigt sind, hoffe ich
in den Zusammensetzungen mit auf wieder schneller vorzurücken.
[Anzeiger ebenda.] Auszüge aus Eyering wird Fallenstein- senden.
Mich soll wundern ob sich nicht Düntzer über die art und weise wie Göthe
im Wörterbuch benutzt ist, äuszern wird, neulich fand ich das früher vergeblich
gesuchte aar für adler doch im letzten theil des Faust.
Das zeitraubende briefschreiben suche ich auf alle weise abzuschneiden, es
geht nicht immer.
30 juni [1852] Viele grüsze Jac. Gr.
[Anzeiger ebenda, lies „für sie" und „erst fertig."]
22. [Schickt mit Bogen 361» neues manuscript jpa<;r. 1181-1276.] [Anzeiger 17, 242.]
16 juli [1852] in groszer hitze Ihr Jac. Gr.
1) „Wann ein böser gute schmäht, wann ein kind den wind verbläst, gilt es
gleich, ob unten diß, jener oben athem lässt.''
2) Georg Friedrich Fallenstein (1790—1853), geheimer finanzrat in Berlin.
Ausserdem hat er besonders Fischart ausgezogen. In der vorrede zum ersten bände
hat Jacob (S. LXVIII) seine hilfe ausdrücklich erwähnt.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. L. 5
66 LEITZMANN
23. [Anzeiger 16, 225.]
[Nachtrag aus Agricola zu spalte 565, der nicht mehr aufgenommen wurde.
Unerträgliche hitze.]
19 juli [1852J Jac. Gr.
24. Als mein improvisierter einfall mit der atzel ' weg war, fiel mir ein, daaz
die geschichte des vogels, der sich mit fremden federn putzt, eigentlich von der
dohle oder krähe, je nachdem man graculus beim Phaedrus deutet, erzählt wird,
nicht von der elster. (zwar gehören corvus monedula, corviis cornix, corrns pica
zu derselben classe.) so gut nun das geborgte haar der perücke zur geborgten feder
stimmt, schlage ich doch lieber die beifolgende redaction vor.
[1852J Jac. Gr.
25. Manuscript sandte ich bereits gestern mittag in richtiger ahnung ab p. 1277
—1390, das wird den bogen 43 füllen und für den schlusz des hefts soll bald ge-
sorgt sein. Zarncke habe gelesen, Prutz noch nicht, gestern reiste professor de
Vries- wieder ab, aber Uhland und Gervinus waren noch nicht da.
[1852]
26. Liebster Hirzel,
heute kam ein mahler Engelbach ^ mit einer nach dem Biowschen ^ lichtbild ge-
machten Zeichnung und der bitte um Sitzungen, damit er sie verbessern könne,
was haben sie damit vor? es that mir leid, dasz sie Reimer gekauft hatte, die
ganze composition ist mir zuwider, und wenn das daguerotyp noch durch die band
des mahlers und kupferstechers gehu soll, kann auch nichts ähnliches daraus werden,
es bleibt zeit genug, einmal ein besseres, glücklicheres zu erlangen, wenn Sie zum
achten bände des Wörterbuchs den treu gebliebnen käufern ein porträt der Verfasser
in den kauf geben wollen. Lieber zwei einzelne bilder von uns vor einzelne bände
als eine solche Zusammenstellung. Neulich hat sich mein bruder in öl mahlen lassen,
und recht gut, das müssen Sie sich ansehn, wenn Sie einmal herkommen.
Das heft von Prutz geht Ihnen durch Dieterich zurück, den ton und die
bedeutung der anzeige (die schon hinreichend gute frucht getragen hat) misversteht
er ganz ; was er sonst vorbringt, ist passend und zusagend. Die merkwürdige
catholische Opposition kann auch nichts schaden, und ich möchte das catholische
Wörterbuch sehn, das mit auslassung aller citate aus Luther, Göthe, Schiller und
andern Sündern oder ketzern der Borromäusverein unserra Wörterbuch auf dem fusze
folgen lassen will. Das alles geht von dem fanatischen Hermann Müller ^ aus,
der mich im Jahre 1837 besungen hat, allerdings wird verständigen durch das
Wörterbuch auch die nichtigkeit der catholischen religion, die keine deutsche
literatur zeugen kann, offenbar.
donnerstag abend [1852] Ihr Jac. Gr.
1) Vgl. Wörterbuch 1, 596.
2) Matthias de Vries (1820—92), professor in Groningen.
3) Georg Engelbach (1817—64), maier, bildniszeichner und lithograph.
4) Raphael Biow (1771-1836), maier.
5) Hermann Müller (1803— 76): vgl. über ihn Allgemeine deutsche biographie
22, 559.
AUSZÜGE AUS BRIEFEN DER BRÜDER GRIMM AN SALOMON HIRZEL 67
27. Lieber Hirzel,
da Sie wieder kein manuscript haben, so schicke ich p. 1391—1470, es geht aus der
hand in den mund. die geschichte mit dem bild ist mir nicht recht und thut mir
leid, der Biow quälte uns zum daguerotyp für seine samlung und ich überliesz die
getroffene anordnung damals ganz seiner phantasie, weil wir das bild gar nicht
für uns bestellten, nun sitzt Wilhelm da im stul wie ein kranker und ich habe das
ansehn eines herangerufenen hausverwalters. mehr in meinem sinne gewesen wäre,
wenn [wir] nicht zum ersten bände gleich, sondern am Schlüsse des ganzen werks
auf zwei stillen gerade neben einander sitzend aufgenommen und der weit vor-
gestellt worden wären. Das hätte sich ruhiger und natürlicher ausgenommen,
auszerdem weisz ich nicht, ob aus Engelbachs correcturen und der dritten hand des
kupferstechers irgend etwas gutes und ähnliches hervorgehn wird.
[Schickt die Hamburger nachrichten und den Wiener llovd mit den anzeigen
des Wörterbuchs zurück.]
[Freut sich auf den besuch von Hirzels Schwester.] heute ist Wilhelm mit
Dortchen und frl. tochter nach Friedrichsrode bei Gotha auf i, 5 wochen gereist
und ich befinde mich mit beiden neffen allein.
Die immer nachkommenden excerpte machen schwere mühe, die Harzer*
waren alle aus Schuppius, der bisher fehlte, und vor zehn jähren bestellt war.
statt dasz der mann diesen schon seit fünf jähren fertig liegenden pack längst hätte
senden sollen, hielt er ihn zurück, weil noch ein stück unausgezogen war, und erst
unsre neuliche aufforderung schärfte ihm das gemssen.
[etwa 20. august 1852] von herzen Ihr Jac. Gr.
<
28. [Anzeiger 17, 242.]
Die dritte lieferung, worauf ich gewartet hatte, ist heute morgen nicht ein-
getroffen, ich werde sie also erst bei der heimkehr vorfinden.
[Nachtrag zu aufschreien p. 730 aus Goethe, nicht aufgenommen.]
Bis auf weiteres alles gott befohlen
montag 6 sept. 52. Jac. Gr.
29. Lieber Hirzel, 26 sept. [1852]
heute ist ein milder tag, wärmer als einer war während ich reiste, ich beginne mich
also hier zu erholen und der ausflug hatte mir mehr geschadet als genutzt, zudem
auch der besuch bei Dahlmann mislungen war. . . . Gustchen ist von dem ersten
anblick des Rheins noch ganz entzückt.
[Anzeiger 16, 226.]
[Korrekturen und nachtrage.]
Treulich Ihr .Tac. Gr.
30. [Anzeiger 17, 242.]
Vorgestern kam bestätigung von Dahlmanns besserung durch frau Blume oder
vielmehr Bluhme; andere leute sind froh das überlästige h auszuwerfen, der hat es
wieder angenommen, ich glaube um dem Robert Blum desto unähnlicher zu scheinen.
hierbei folgt di^ Darmstädter recension wieder und noch p. 1589—1602.
1) Vom pastor Schulze in Altenau.
68 LEITZMANN
[Bitte um Vervollständigung der aushängebogen,]
Bruder und Schwägerin erwarte ich morgen aus Thüringen zurück.
Grüsze an Reimer,
dienstag 28 sept. [1852] Jac. Gr.
revisiou 4:7b liegt auch bei.
31. Längst schon habe ich Ihnen, lieber Hirzel, für die sauberen, zwischen Pfeifers
auszüge gesteckten siegel zu danken, die in unserm hause räthselhafte Überraschung
verbreiteten, allerdings aber wurde bald nur auf Sie, dem so etwas möglich wäre,
geraten, auch der Maaler ist eingetroffen und liegt auf meinem tisch, als Ihr
eigenthum, neben dem Logau.
Dieser tage ist kein revisionsbogen eingetroffen, er wurde vielleicht zu Roslau
zerquetscht.
Kann in bogen .49 noch etwas gerückt werden? ich habe das seltsame auf-
wartete für aufwärter nochmals gefunden.
Grüsze an Reimer und dank für dessen brief
[von anderer band : Berlin 5. Oktober 1852.] Jac. Gr.
32. Lieber freund,
ich sende mit dem bogen 50», der noch einmal kommen musz, zugleich manuscript
p, 1599— 17U0, damit die setzer nicht zuviel spazieren gehn.
[Anzeiger 16, 226], ich wünsche dasz Zarnke ganz leicht an ihm vorüber-
streift nach meinen gedanken ungefähr wie es auf beiliegendem blatt geschieht,
doch will ich es nicht geschrieben haben, sondern bitte es abzuschreiben und auf
sich zu nehmen, auch nach gutdünken zu verbessern. Die anzeige von Heufler
müste aber unmittelbar dahinter folgen.
[Anzeiger ebenda.]
15 oct. [1852] Jac. Gr.
33. Ich schicke alles fertige manuscript^. 1801—1870, was über das heft hinaus
reichen wird, zugleich liegen die anzeigen von Prutz und Darmstadt bei. aus-
heben ist nach herrn Hirschfeld berichtigt, bei aushelligen waren herrn Hildebrands
bedenken überflüssig, man helligt den ermatteten falken aus, indem man ihn hungern
läszt. durch den hunger sollen ihre bauche, die sich übernommen hatten, wieder
leer und rein werden, aushelligen kann also nicht conficere, nur reficere heißen.
[1852]
34. [Nachtrag zu ausstich Wörterbuch 1, 988.]
35. [Wegen Hirzels reise.]
Sie sandten mir die hierbei zurückkehrenden correcturbogen bis zu spalte 1000,
ich lege manuscript hinzu bis zu s. 2000. ich habe nun den buchstaben A über-
wunden, es werden nur noch ein paar blätter daraus folgen; wären die übrigen
buchstaben des alphabets auch so nahe erlegt, ich hätte nichts dagegen, mir machen
jetzt schon die nachtrage die grüszte freude, wenn Sie wieder einmal herkommen,
sollen Sie mit erstaunen sehen, wie vieles meinem breiten exemplar schon bei-
geschrieben ist.
AUSZÜGE AUS BRIEFEN DER BRÜDER GRIMM AN SALOMON HIRZEL 69
Dergleichen ergänzimgen werden dadurch erst möglich, dasz die gedruckte
fassung vor äugen liegt. [Anzeiger 16, 226.]
freitag abend den 17 dec. 1852 Jac. Gr.
dank für die zettel aus B.
36. Lieber Hirzel,
wundern Sie sich nicht, dasz das manuscript ausgeblieben ist und die setzer nun
allen Vorrat aufgezehrt haben, ich bin seit den letzten tagen des vorigen Jahres
krank und zum arbeiten unfähig oder unaufgelegt, man sieht auch, dasz die wünsche
nicht helfen, wenigstens nicht gleich, denn sonst hätte mir seit meinem geburtstag
wieder sehr wol sein müssen, die sache wird von dem arzt noch für ungefährlich
ausgegeben, ich soll mir mit häufigen Spaziergängen helfen, wozu die winterliche
zeit wenig antreibt, mein herzschlag ist in Unordnung, und die pulse bleiben aus,
es vergeht und kehrt wieder, 'gestern fühlte ich mich freier, heute wieder beengt.
ich hoffe dasz sich das übel in einigen wochen legt und dann soll alles versäumte,
wie nach der letzten herbstreise bald eingeholt werden, es thut mir leid, dasz
gerade im augenblick eine kleine Unterbrechung stattfindet, wo Sie das verlag-
geschäft übernehmen. . . . und ein neuer buchstab begonnen wird.
Auf spalte 1048 kommt nichts mehr von B, sondern 1049, d. h. die folgende
blattseite fängt damit an, es ist kein neuer bogen, sondern die zweite hälfte des
bogens 66.
Da auf der letzten seite (1047—48) leerer räum ist, kann der setzer einige
Zusätze einschalten, obgleich es ihn bemühen wird.
Sobald ich kann sende ich neues manuscript. es ist gerade im eingang des B
allerhand schweres vorzubringen, das ich nicht gern anbeisze; hernach geht es leichter.
Dieterichs frau, das arme Jettchen, soll unrettbar verloren sein, es thut uns
allen sehr leid. . , ,
Von andern mündlich, wenn Sie diesen monat noch hierher kommen.
montag den 11 jan. 1853. Ihr Jac. Grimm.
37. Lieber freund,
ich sende, damit wir endlich aus der unangenehmen Unterbrechung kommen,
manuscript 2007-2066.
besteht der drucker immer noch darauf, dasz auf spalte 1047. 48 auch der
anfang von B komme, so scheint mir besser, dasz man A auf spalte 1047 auslaufen
und B auf 1048 beginnen lasse, dadurch wird dem übelstand in den rubriken gesteuert.
Durch den Wiederabdruck der geschichte der deutschen spräche wird mir die
angenehme hofnung verdorben, das werk ansehnlich, wie ich könnte, zu verbessern,
denn in der berechnung eines schnellen absatzes dieser unverbesserten zweiten
aufläge könnten Sie sich teuschen ; möglicherweise blieben meine gesammelten
collectaneen für immer verloren, auch ist zu bedenken, dasz eine zweckmiiszlge
Umarbeitung nochmals einen groszen theil der vorigen käufer anziehn würde, denen
mit dem bloszen wiederdruck nicht gedient ist. ich würde diesen sommer die abend-
stunden dazu verwenden, ein planiertes exemplar zu corrigieren und zu vermehren,
auch hin und wieder zu mindern, überlegen Sie daher nochmals bevor Sie be-
ginnen, denn beginnen Sie, so gebe ich nach und ziehe mich jetzt zurück.
Gervinus wird heute den kämpf siegreich bestanden haben '.
28 jan. 1853. Ihr Jac. Gr.
1) Vgl. brief Wechsel Grimm-Dahlmann- Gervinus 2, 119.
70 LEITZMANN
38. Hierbei manuscript 2111—2184, was mehr als zwei bogen gibt, für den
Bobrik ' und VoUmann danke ich, der letzte ist interessant, aus Bobrik, fürchte ich
und wünsche ich, wird wenig aufzunehmen sein.
montag 28. febr. [1853] Jac. Gr.
39. ich frage nach einem unanständigen wort, das man in den Wörterbüchern
vergeblich sucht, das aber im gröszten theile Deutschlands gilt, dessen ausbreitung
ich erfahren möchte . . . der kalte bauer-.
[1853]
40. Hierbei manuscript 2185—2244, was beinahe den bogen 74 füllen wird, das
übrige soll bald folgen, ich danke schön für den zusatz aus Atta Troll, der mir
willkommen war. die recension des Lanzelet folgt zurück. Sie hatten mich dadurch
zu einem einschiebsei über barlaufen verführt, das besser zu spalte 1140 verarbeitet
worden wäre, doch habe ich nun hier darauf bezug genommen und es dient auch
für den ersten anlauf wenn man barlaufen aufschlägt, nur wäre spalte 1134, wenns
geht, beizufügen s. harre 3. Die meistentheils erfundnen oder falsch angewandten
turnwörter bei Jahn vermeide ich möglichst.
Sonnabend nachmittag [1853]
41. Lieber freund,
die beendiguDg des fünften hefts unterliegt keinem zweifei und was noch an
manuscript abgeht, soll und kann gesandt werden, sobald Sie es fordern. Sie sind
besorgt wegen der ausdehnung des buchstaben B, und werden sich bei der nächsten
lieferung schon beruhigen, ich fasse mich ao kurz es nur geht, doch sind mehr
etymologien nöthig als im A, wo sie bei den Zusammensetzungen mit ab an auf aus
unpassend gewesen wären ; auch hat sich der Vorrat des materials durch viele seit-
dem eingelaufene beitrage für B allerdings verstärkt, es wird aber lange nicht
alles zugelassen.
Warum aber enthalten Sie die aushängebogen vor? ich habe nur bis 65 ind.
und bin begierig zu sehn, wie sich manche einschaltungen gemacht haben.
Ein kleines Unglück musz ich berichten, das eine der Ihnen gehörigen jagd-
bücher, das von Göchhausen, alten weidmannischen verlags ist mir seit einigen
monaten unter den bänden weggekommen und alles suchen danach hilft nicht,
es musz mir aus der stube entwendet worden sein. Sollte es sich noch einmal in
maculatur finden, so gäbe es wol Reimer her (dem ich für die gesandten auszüge
schönstens danke)? ich hatte gerade etwas darin nachzuschlagen, worüber mich
Döbel und Tänzer unaufgeklärt lassen.
Da Sie mir herrn Köhler auf den hals geschickt haben, müssen Sie auch nun
die einlage an ihn besorgen.
Düntzer läszt ja allen groll fahren, dasz er Ihnen ein werk über Göthe
anbietet.
mittwoch 23 merz [1853] Ihr Jac. Gr.
42. Hierbei folgt p. 2245—2294, was über bogen 75 hiuausreicht.
29 merz [1853]. J. Gr.
1) Nautisches Wörterbuch, Leipzig 18öO,
2) Vgl. Wörterbuch 1, 1176.
AUSZÜGE AUS BRIEFEN DER BRÜDER GRIMM AN SALOMON HIRZEL 71
43. Lieber Hirzel,
Sie haben wort gehalten, meine neugeborne fünfte tochter ist heute morgen hier
eingetroffen; dasz Sie A und B, nach dem S, für die stärksten buchstaben des
deutschen alphabets erklären, scheint mir aber eine kühne annähme, die demnächst
durch V und W widerlegt werden kann; vorläufig mag es zur beruhigung des
publicums dienen, diesem zu sagen, dasz in den ersten band nothwendig auch die
vorrede gehört, wäre vielleicht gut gewesen, wir wollen sehen, ob auszer ihr noch C
hinein kommen wird.
Auch Ihre früheren Sendungen sind in meinen bänden und ich danke. Göch-
hausen ist aber nicht der verlorne, welcher in quart war und bilder hatte, für unsern
zweck verschlägt es nichts.
Hier folgt manuscript 2357—2456, genau hundert Seiten, ich wünsche glück-
liche messe, und dasz sie von vielen abnehmern des Wörterbuchs gebaut werden möge.
am 20 apr. 1853 Ihr Jac. Grimm.
44. Lieber Hirzel,
mit der zurückgehenden correctur 82a sende ich manuscript 2493—2558. zugleich
empfangen Sie Kühnes Europa no 39, worin der artikel über unser Wörterbuch keinen
heller werth ist. dagegen hat mich Fleglers ' anzeige erfi-eut, ich kann doch
das heft behalten? weil ich es demnächst bei abfassung der vorrede brauchen musz.
Wahrscheinlich ist das mir fehlende heft von Kehrein nicht zu erlangen,
sonst hätten Sie es mir angeschaft. das schreckt mich nicht ab, Sie um eine andere
gefälligkeit zu ersuchen, in der dortigen handelsschule ist neulich ein programm
erschienen C. H. Monicke notes and queries on the Ormulum^, das ich haben möchte.
Hermann schickt Ihnen seinen Demetrius ^, aber mit der bitte, niemand
davon zu sagen, das stück soll erst, wie er denkt, aufgeführt werden, eh es als
buch erscheint; ich glaube dasz die leute, wie sonst bei trauerspielen, nicht bis
eilf uhr aufgehalten werden.
Dank für Ihre ■\villkommnen nachtrage
dienstag 31 mai [1853] Jac. Gr.
45. L. H. ich sende hierbei 2701—26, welches für die lieferung ausreichen wird,
obenstehendes * lassen Sie doch auf den Umschlag setzen, der artikel bandhüter war
eine dummheit, zu der mich ein secerpt aus Schlegels Shakespear verleitete. [Fehler
im abdruck.] glücklicherweise kleinigkeiten, doch das äuge beleidigend, ein exemplar
bitte ich von nun an auch an professor Gervinus nach Heidelberg abzusenden (die
früheren hefte hatte ich ihm selbst geschickt), folglich eins weniger hierher zu senden.
[1853]
46. Lieber freund,
ich danke für den nachweis der beiden stellen und habe auf beifolgendem zettel
angegeben, wie verfahren werden musz, um sie noch einzuschalten. . . .
6 juli 1853. Ihr .Tac. Gr.
1) Alexander Flegler, dozent der geschichte in Zürich, dann archivvorstand
des germanischen museums in Nürnberg.
2) Leipzig 1853.
3) Leipzig 1854.
4) Vgl. Kleinere Schriften 8, 543.
72 LEITZMANN
47. Sonnabend 9 juli [1853]
L. H. sobald der bogen 90 durchgesehn ist (das manuscript reichte, da Sie
nichts bemerkt haben, sonst hätten leicht ein paar blätter mehr gesandt werden
können) geht meine reise über Basel, Bern, Genf nach Lyon und Marseille; haben
Sie mir noch rathschläge zu geben, so thun Sies umgehend, vier wochen werde ich
ausbleiben, wenn mir nichts zustöszt.
. . . Über den heute eingetroffenen bogen 85 können Sie wieder bei Hirschfeld
lärm schlagen. [Stehengebliebene druckfehler, nachtrag.]
Bleiben Sie gesund und vergnügt, soll ich Ihnen einmal von unterwegs
schreiben ?
die fertige sechste lieferung heben Sie mir dort auf bis ich heimkomme,
denn Wilhelm reist auch auf länger fort, Dortchen ist schon fort.
48. Marseille 24 juli 1853.
Lieber freund, ich halte mein versprechen Ihnen einmal von meiner reise aus
zu schreiben, sie ist bisher ganz glücklich vonstatten gegangen, zu Basel empfieng
mich, von Ihnen aufgefordert, Wackernagel aufs freundschaftlichste, es war um ein
paar tage geschehn, so hätte ich ihn wieder verfehlt, denn er stand im begrif mit
sack und pack nach dem landgut seiner Schwiegermutter, ich glaube im canton
Solothurn gelegen, abzureisen. Zu Bern wohnte ich im Distelzwang', der Ihnen
ohne zweifei bekannt ist. der weg von da nach Vevey führt durch prächtige felsen
des Münsterthals, Friburg gefiel mir, doch nichts geht über die reizende läge von
Vevey, wo ein sehr gutes gasthaus ist. Auf dem see fuhr ich nach Genf, dessen
Umgebung hinter der von Vevey zurück bleibt. Die diligence von Genf nach Lyon
ist unbequem. Von Lyon hatte ich geringere Vorstellung, die Stadt ist nicht nur
grosz, sondern auch an den quais oft anmutig und gefällig. Auf der Rhone, die
breiter als der Rhein ist, aber nicht so schön flieszt, fährt man im dampfscbif schnell
herab bis Avignon, das schif war übervoll, hauptsächlich von kaufleuten, die nach
Beaucaire, dem französischen Leipzig giengen und alle bequemlichkeiten immer vor-
weg nahmen, sodasz mau sich in dem gedränge nicht wol befand, eine büchermesse
ist aber zu Beaucaire nicht. Avignon, Montpellier, Nimes sind lauter ansehnliche
und sehenswerthe städte, Nimes zumal, bei dem unumwölkten himmel ist die luft
heisz und schwül und grosze plage von stechenden mucken. Auf den eisenbahnen
aber mäszigt ein kühlender luftzug. Sie haben keine Vorstellung davon, wie man
bei der ankunft zu Marseille im bahnhof aufgehalten wird, ich rathe jedem fremden,
womöglich, dieser Stadt auszuweichen, denn wenn man endlich seinen koffer hat,
kann man damit nicht fort, sondern musz endlose enregistremens abwarten, ich
konnte erst eine stunde nachher den gasthof erreichen.
Heute verweile ich ungern hier, weil erst morgen ein schif nach Genua, das
mich aufnehmen wird, abgeht. Von Genua reise ich über Mailand nach Venedig
und Triest.
Grüszen Sie Ihre gute frau.
Jacob Grimm.
49. Berlin 11 aug. 1853
Lieber freund, ich halte wort und bin wieder da. ich habe den Rhein, die
Rhone, den Po, die Etsch, Donau und Elbe, auch das meer zweimal passiert, bin
1) Vgl. Wörterbuch 2, 1197.
AUSZÜGE AUS BRIEFEN DER BRÜDER GRIMM AN SALOMON HIRZEL 73
Über Marseille (wo ich einige zeilen an Sie in den briefkasten warf), Genua, Mailand,
Verona, Venedig, Triest, Graz, Brück, Salzburg, Ischl, Linz, Budweis, Prag, Dresden
zurück gereist; Sie werden mir einräumen, dasz ich den angesetzten monat tapfer
angewandt habe. Den andern allen ists nicht so gut ergangen, sie sind noch nicht
am Rhein, sondern Dortchen wurde zu Marburg krank und im guten fall werden
sie erst ende dieser woche nach ihrem bestimmungsort weiter vomicken. Zum glück
erfuhr ich die künde, die mich auf der reise sehr beunruhigt oder früher zurück-
geführt hätte, erst in Salzburg, zugleich mit der nachricht yon eingetretener besserung.
Hier hat es mich betrübt zu hören, dasz Jettchen Reimer nun doch dahin ist.
die arme mutter.
Nun solls wieder angehn. Hermann erzählt mir, dasz beide hunde, Sander
und Wurm, von neuem gebollen haben, gelesen hab ichs noch nicht.
« Ihr Jac. Gr.
50. Ich will wieder frucht auf die müle schütten, und schicke hierbei p. 2,121
—2830. Sanders zweites heft* habe ich durchgesehen, es sind lauter kleinliche,
feindselig vorgetragne, aber fleiszige beitrage, die willkommen und brauchbar ge-
wesen wären, hätte er sie vor dem druck liebreich mitgetheilt. Jetzt mag der
gehässige mensch zum teufel gehn, und keinen dank dafür haben, wenn man etwas
in Zukunft aus ihm gebrauchen kann, offenbar aber hat ihn -dieser hasz erst zur
arbeit befähigt, sonst hätte ihm nichts zu gebot gestanden. Solch ein wesen ist zum
glück den meisten menschen, und vor allen Ihnen, von grundaus entgegengesetzt.
16 aug. 1853. • Ihr Jac. Gr.
51. Lieber Hirzel,
der Sanders ist ein Schmeichler gegen den Wurm''', dessen freche und übermütige
Impertinenz alles hinter sich läszt. er bildet sich ernstlich ein, durch seine kritik
das Wörterbuch zu gründe gerichtet zu haben, und bereitet sich vor, ihm durch
einen wiederholten schlag den letzten stosz zu versetzen. Ich mag mich, wenigstens
jetzt noch, nicht mit ihm einlassen, gut geschienen aber hätte mir, wenn Zarnke
die derbe lüge, dasz die recension im centralblatt von mir herrühre, abgefertigt
hätte. Das niederträchtigste ist, dasz er s. 15 mich sucht politisch anzuschwärzen.
Ich weisz kein beispiei sonst, dasz ein niemand beleidigendes, niemand an-
greifendes vaterländisches werk, das auf den ersten blick so viel neues und einen
reichthum von Wörtern bringt, die man noch nicht gehört hatte, gleich bei seinem
beginn so gelästert und verfolgt wird.
Es wäre gut, dasz ein kundiger, bewanderter mann diesen pamphleten etwas
entgegenstellte, die hauptgesichtspuncte dabei wären,
1) zu zeigen, dasz Adelung, den sie jetzt als classisches muster anpreisen, in
unzähligen stücken geirrt hat und jetzt schlagende Verbesserung erfährt.
2) dasz nicht nur die heutigen schriftsteiler wie Göthe, Schiller, Lessing usw.
zuerst in reicher Stellenauswahl vorgeführt werden, sondern dies noch mehr
in bezug auf Luther, Keisersberg, Fischart pp gilt, deren wortreichthum
bisher völlig ungekannt war.
1) Das deutsche Wörterbuch von Jakob und Wilhelm Grimm, kritisch beleuchtet,
Hamburg 1853.
2) Beleuchtung der 5. lieferung des deutschen Wörterbuchs, München 1853.
74 LEITZMANN
3) (lasz überall die Wörter grammatisch scliarf aufgestellt und vom standpunct
der heutigen philologie ihnen etymologien beigefügt werden, die im gegensatz
zu den alten, falschen mindestens durch ihre frische und neuheit, wo nicht
befriedigen, doch anziehen.
4) dasz in der auswahl der belege und in den erörterungen auf poesie und
Volksgebrauch geachtet und dadurch dem Wörterbuch seine trockenheit be-
nommen wird.
Dies alles mit schlagenden aber reichen beispielen darzulegen ist aus den er-
schienenen sechs lieferungen nicht schwer und musz jenen burschen das schamlose
maul stopfen.
Dasz aus dem meer von Wörtern, aus der ungeheuren masse von büchern
nicht alle Wörter gewonnen sind, liegt in der natur der sache. greife man nach
irgend einem band Göthes oder Lessings und lese ihn genau mit rücksicht auf a
und b durch, so wird sich mangelndes und ausgelassenes ergeben; und wie viele
bücher und schriftsteiler sind gar nicht gelesen und ausgezogen worden! auch
soll ja nicht die ganze literatur ins Wörterbuch eingetragen werden, nur gestrebt,
dasz nichts wesentliches entgehe.
Beide Sanders und Wurm ziehen alles was sie wissen und hervorbringen,
blosz aus der neuen spräche, verstehn von der alten und älteren nichts, und würden
den ärgsten irrthüraern anheimfallen, sollten sie eigne artikel liefern.
Im punct der Orthographie und der äuszeren einrichtung musz meine vorrede
ahgewartet werden.
19. aug. 1853. Ihr Jac. Gr. ■
52. Lieber freund,
ich danke für die schönen geschenke. Da Sie mir früher einmal gesagt hatten, auf
Wurms erstes pamphlet ' sei gleich ein häufe bestellungen nach Nürnberg rückgängig
gemacht worden; so glaubte ich, ähnliche nachtheile fürchtend, es sei jetzt an der
zeit, diesen schändlichen leuten ordentlich zu leibe zu gehn, und sie durch eine
wahrhafte darlegung des Sachverhalts zum schweigen zu bringen. Die bisher vor-
gekommnen günstigen beurtheilungen reden alle zu allgemein, ohne auf das bündig
einzugehn, was durch das Wörterbuch gegenüber den älteren arbeiten gewonnen und
erreicht wird, das würde den schreiern auf einmal das maul stopfen. Indessen
raüste es mit groszer sachkunde und umsieht geschrieben werden und ich weisz
nicht wer es schreiben sollte. Mit der zeit wird die sache von selbst durch ihre
innere gewalt vortreten und dann die lüge verstummen. Meinetwegen also mag
nichts geschehn, ich erhalte ohnedem in der vorrede gelegenheit mich über wesent-
liche puncte auszusprechen. Was Häuser" sagen wird, kann zwar gut sein, wird
aber doch nichts helfen, er ist übrigens seit einigen wochen hier, um das archiv
zu benutzen, als er mich besuchte, kam die rede gar nicht aufs Wörterbuch und
ich mochte natürlich jene sache nicht berühren.
Lesen Sie doch einmal einliegenden brief. dieser Candidus^ ist ein nach
Lothringen verschlagner Elsäszer, eigentlich Weisz geheiszen, ein begabter mensch,
1) Zur baurteilung des deutschen Wörterbuchs von Jakob und Wilhelm Grimm,
München 1852. *
2) Ludwig Häusser (1818—67), professor der geschichte in Heidelberg.
3) Karl August Candidus (1817-72), lehrer in Markirch, dann 1846-58 in
Nancy, seitdem in Odessa.
AUSZÜGE AUS BRIEFEN DER BRÜDER GRIMM AN SALOMON HIRZEL 75
von deutscher gesinnung und voll treuer anhänglichkeit an uns und unsere literatur.
Er hat eine Messiade gedichtet *, auf die er, wie sein schreiben an mich zeigt,
grosze stücke hält. Ich will Ihnen nun nicht rathen das gedieht in verlag zu nehmen,
der gegenständ seheint mir schwierig und bedenklich; doch wäre es kein groszes
Wagnis, da die 2000 verse etwa nur 8—10 bogen füllen würden, auf jeden fall
müste er das manuscript vorher einsenden, dann wüchse vielleicht Ihre lust und ich
könnte bestimmter zurathen, würde auch gern, wie er wünscht, ein vorwort bei-
fügen ^, Sie dürfen aber auch rund die sache von der band weisen.
Ist denn Ihr söhn von seiner ersten Schweizerreise glücklich heimgekehrt?
Dortchen erholt sich zu Breitbach langsam, Wilhelm ist in diesen tagen zu Bonn
gewesen. Dahlmann, beide Gervinus, und Fallenstein reisen im Berner Oberland,
Tirol und durch Baiern zurück.
mittwoch den letzten august 1853. Ihr Jac. Gr.
Göthes briefwechsel mit der Lotte soll jetzt wirklich bei Cotta gedruckt
werden ^ ; das buch hätte ich Ihnen lieber gegönnt, es musz alsbald noch fürs
Wörterbuch ausgezogen werden.
53. [Berichtigung einer stelle im Wörterbuch.]
Die leute sind toll, wenn sie meinen, dasz ich gerade ihnen Verleger suchen
müsse, den tag nachdem ich jenen brief von Candidus empfangen hatte, kam ein
andrer meines alten freundes Wigand, der preuszische rechtsalterthümer oder so
etwas fertig hat*, zum spasz lege ich ihn bei, ohne im mindesten dazu zu rathen.
Von Oandidus habe ich schon wieder autwort (briefe aus Nancy kommen unglaublich
jetzt in einem tage hier an); Sie sehen es ist ein guter mensch, ich habe ihm
noch keine hofnung gemacht und Ihren namen noch nicht genannt, nur geschrieben,
er solle mir sein manuscript schicken.
samstag 10 sept. [1853] Jac. Gr.
54. [Nachträglicher beleg aus Goethe zu bescheiden, am rand Hirzels Stellen-
nachweis, Wörterbuch 1, 1556.]
Auch wünsche ich spalte 1560 statt des nachgetragnen studentischen schissier
lieber die deutsche form schisser gesetzt, also das i getilgt.
[Wegen krankheit von Haupts frau.]
donnerstag [1853]. Gr.
55. ■ Berlin U oct. 1853.
Wünschen Sie mir glück, liebster Hirzel, zum hundertsten bogen. Gott wird auch
weiter helfen ; ich habe das manuscript zum 7 heft fast fertig und kann es schicken.
Haupt erzählte mir von groszer schwulität, in der das Webersche unter-
nehmen * bereits, und höchst verdienter maszen, stecke.
Sobald die geschichte der deutschen spräche versendbar wird, bitte ich, in
1) Der deutsche Christus, Leipzig 1854.
2) Kleinere Schriften 8, 390.
3) Goethe und Werther, Stuttgart und Tübingen 1854.
4) Denkwürdigkeiten für die Staats- und rechtswissenschaft, für rechtsalter-
tümer, sitten und gewohnheiten des mittelalters, Leipzig 1854.
5) Sanders wollte sein Wörterbuch anfangs bei Weber in Leipzig erscheinen
lassen, überwarf sich aber mit diesem und wandte sich an Otto Wigand.
76 LEITZMANN
meinem namen, ein exemplar an Gerviuus gelangen zu lassen '. auch sonst zu
geschenken hätte ich gern eine mäszige anzahl.
[Nachtrag zu heschmitzen spalte 1585 aus Spees Trutznachtigall] da sonst aus
diesem dichter, weil er oft zu läppisch ist, nicht viel aufgenommen wurde, talent
besasz er dennoch. Ich merke, dasz Sie nun auch den Schillerband von 1840
besitzen. Der neue Lessing ist hübsch gedruckt, ich kaufe ihn aber nicht, weil
doch nach Lachmann citiert werden musz. Jac. Gr.
56. Montag 17 oct. 1853.
Lieber freund, unsere letzten briefe und gedanken haben sich gekreuzt.
Wenn Sie pakete an mich expedieren lassen, bitte ich zu sorgen, dasz auszer der
strasze auch die hausnummer 7 ausgedrückt werde, weil sonst die pakete nicht
gebracht werden, sondern zu holen sind. . . .
Nun sage ich herzlich dank für das schön gebundne exemplar und für die
besorgung an Gervinus. von der eintheilung des buchs in zwei hälften hätte besser
ganz abgegangen werden sollen, sie geschah das vorigemal nur weil der band zu
dick wurde, jetzt erscheinen beide bände zu dünn und es werden, da die Seiten-
zahlen fortlaufen, unnöthige citate von band 1 und 2 veranlaszt. beim register
hätten, da sie doch neben stehen, die alten Seitenzahlen genommen werden sollen,
mit dem honorar halten Sie es doch ganz nach Ihrer bequemlichkeit.
Der druckfehler augenbehalten ist ein leidlicher ; ich war beim niederschreiben
der wenigen worte unschlüssig, ob ich nicht dankbar erwähnen solle, dasz ein von
Hildebrand verfasztes register der neuen aufläge einigen werth verleihe, ich werde
aber in der vorrede zum Wörterbuch bessern anlasz finden, seines Verdienstes um
mich zu erwähnen. Grüszen Sie ihn von mir, und seine bemerkungen zum letzten
bogen seien begründet gewesen und gebraucht worden.
Das heute abgegangene manuscript reicht bis zum wort besuchen und wird,
meine ich, das heft ausfüllen, widrigenfalls noch einige blätter nachfolgen sollen.
Die meinigen sind immer noch nicht vom Rhein zurück, weil Dortchen einen bösen
husten bekommen hatte, der vor dem antritt der reise weichen soll.
Ihr Jac. Gr.
57. Lieber Hirzel, das übersandte blatt aus der schulzeitung enthält nichts als
erbärmliches, wenn schon wol meinendes gewäsch, ohne alle ahnung von dem was
zu sagen nöthig wäre, diese leute verdienen das freie exemplar nicht und ich
rathe es einzuziehen.
Von den mir noch zugedachten exemplaren der geschichte der deutschen
spräche bitte ich in meinem namen nach Euszland unter folgenden adressen zu
versenden (Brockhaus steht in lebhaftem verkehr mit Helsingfors) :
eins an die Finnische Literaturgesellschaft zu Helsingfors,
eins an die ehstländische literarische Gesellschaft zu Reval,
und ferner eins an die
Kongl. Vitterheds, Historie och Antiqtiitets Academie zu Stockholm,
Für Simrocks Walther ^, der mir eben auch seine deutsche mythologie^ schickt
1) Das buch ist ihm gewidmet.
2) Zuerst Berlin 1833.
3) Handbuch der deutschen mythologie, Bonn 1853—55.
AUSZÜGE AUS BRIEFEN DER BRÜDER GRIMM AN SALOMON HIRZEL. 77
und oifenbar zuviel schreibt, schönsten dank. Dortchens husten, der die heimreise
immer aufhält, macht mir sorgen.
freitag 21 octob. 1853. Stets Ihr Jac. Gr.
58. 31 octob. [1858]
[Dankt für sechs exemplare der Geschichte der deutschen spräche.]
Die grenzboten folgen mit dank zurück, sowie die schulzeitung und das
Bremer sonntagsblatt. . . . statt dasz der berichterstatter über das Wörterbuch selbst
redete, spricht er von Sanders !
Obgleich Sie kein manuscript begehren, übersende ich hierbei fürs achte heft
pag. 3175—3252, worin viel hübsche Sachen vorkommen.
Noch immer ist mein bruder und die Schwägerin nicht zurück, müssen aber
nun alle tage eintreffen. Ihr Jac. Gr.
59. Lieber freund,
Candidus hat mir seine dichtung nun übersandt. ich finde meine erwartung
noch übertroffen, es ist reine und innige poesie, die wie ich glaube auf die leser
eindruck machen wird und durch ihre gedankenvolle Schwärmerei rühren, würde
das büchlein zu Weihnachten dem publicum geboten, so müste es wol abgang finden,
falls Sie noch entschlossen sind es zu verlegen und dem Verfasser schreiben wollen,
so ist dessen adresse ä Mr. Candidus pastenr protestant ä Nana/, er schreibt kein
wort von honorar, ich halte dafür, es liegt ihm nicht daran und er sehnt sich blosz
das werk der weit zu übergeben, betrachten Sie sich das manuscript und melden
mir Ihren entschlusz. gefragt werden müste er auch nach den anmerkungen, deren
gedacht wird, die aber nicht beiliegen, vielleicht nur eine oder einige selten, eine
versprochene kurze vorrede würde ich gern liefern.
den 11 nov. 1853. - Jac. Grimm.
60. Lieber Hirzel, ich danke Ihnen, dasz Sie an Candidus geschrieben haben,
kommt die sache zustand, so bin ich es, der Ihnen für allen schaden haftet, der
daraus entspringen könnte, weil Sie nur mir zu gefallen sich darauf eingelassen haben.
[Berichtigung zu betriegfen Wörterbuch 1, 1714.]
Es ist schön dasz Sie so genau und glücklich aufpassen, die briete an Lotte
lesen Sie schon.
Samstag morgen [20. november 1853] Ihr Jac. Gr.
61. Lieber freund,
anfangs dachte ich, die drei ersten bucbstaben ABC in den ersten band zu bringen,
sehe aber immer deutlicher ein, dasz es sich nicht thun lassen wird. A und B
halten sich ungefähr das gleichgewicht, und A hat 4'/3 lieferungen gefüllt, allein
die erste, wo ich noch nicht recht in die arbeit eingeschossen war, behandelt
manche artikel zu kurz, und A würde jetzt, wenn noch einmal augefangen würde,
mindestens 4'/2 einnehmen, woraus folgt, dasz B erst mit lieferung 9 schlieszen
kann, C nebst vorrede und quellenverzeichnis noch die zehnte lieferung fordert,
zehn lieferungen geben einen band von 1200 selten, was ihn, so dünn das papier
ist, doch zu sehr anschwellt, kaum wird es auch möglich sein lieferung 8. 9. 10
zur ostermesse zu stellen.
Überlegen Sie also, und ziehen Sie auch Reimer, der dem Wörterbuch seine
alte theilnahme forterhalten wird, mit in den rath, ob es nicht besser sei, davon
\
78 LEITZMANN, AUSZÜGE AUS BltlEFEN DKR BRÜDER GRIMM AN 8ALOMON HIRZEL
abzugehn, dasz die bände sich nach den buchstaben richten, wie wir hefte von
15 bogen geben, lassen sich auch bände von acht heften oder 960 Seiten absondern
und ohne rücksicht auf den inhalt abbrechen, ich denke überhaupt, dasz es vortheil-
haft i«t, durch das ganze werk die spaltenzahl fortlaufen zu lassen ; reicht der erste
band bis s. 960 oder spalte 1920, so wird der zweite bis s. 1920 oder spalte 384-0
reichen usw. Nehmen wir diesen grundsatz an, so hört alle uoth und sorge wegen
des abschlusses der bände nach den buchstaben auf. dann aber lassen Sie das
werk seinen gang ruhig gehn, es wird sich von selbst im rechten masz halten, und
verkaufen sich die erscheinenden bände gut, so liegt nichts dran, dasz am ende
einer mehr kommt, als man sich anfangs vorstellte.
In der ausarbeitung kann ich mir keinen zwang auferlegen und eine ab-
kürzung der bibelstellen nicht gefallen lassen. Der grund des werks ist auf Luther
und Göthe gebaut, Luthers spräche hat auf die ganze entwickelung des nhd. den
entschiedensten einflusz, die citate aus der bibel sind schon ausgewählt und jedes
einzelne sichert eine besondere Wendung des ausdrucks; auch musz durch häufung.
der citate die gangbarkeit des worts vor das äuge gestellt werden. AUmälich, wie
Sie wissen und selbst dazu mitwirken, gehn noch aus andern Schriftstellern auszüge
ein; soll man sie abweisen? und nicht lieber durch ihre aufnähme das werk ein
wenig ausdehnen?
Billigen Sie meinen verschlag, so liefere ich noch zu heft 8 ausreichendes
manuscript und mache mich gleich an die vorrede; dann wird band 1 im merz aus-
gegeben werden können. Wollen Sie aber mindestens ganz B in den ersten band,
so musz es länger bis zu Johannis damit währen.
Wie viel bogen schlagen Sie das gedieht von Candidus an ? es wird vom
gewählten format abhängen.
26 nov. 1853 Ihr Jac. Gr.
62. Kaum sind Sie fort. Lieber Hirzel, so fällt mir etwas ein, was in Überlegung
kommen musz. nemlich, da im verlauf des Wörterbuchs unvermeidlich noch manche
bisher unbenutzte quellen hinzutreten werden, so kann das jetzt zu gebende Ver-
zeichnis nur ein sehr unvollständiges sein, das am schlusz des ganzen von neuem
gedruckt werden musz. fragt sich also, ob man dessen beifügung zum ersten band,
wie sie freilich versprochen wurde, für unentbehrlich hält und es damit lieber nicht
anstehn läszt? mir scheint es warten zu können und es bliebe in der vorrede nur
das erforderliche darüber zu sagen.
Sie müssen mir nicht übel nehmen, dasz ich von dem gedanken des fort-
paginierens immer noch nicht zurückgebracht bin. ich werde Ihnen neuere bücher
angeben, die Sie auf der bibliothek bei Hartenstein ' nachsehen können, um sich zu
überzeugen, dasz die sache ausführbar ist.
Ich habe Ihnen entweder gesagt, oder Sie wüsten es schon, dasz Schweizer-
in Zürich vor hat, die etymologien des Wörterbuchs zu recensieren. es wäre gut,
wenn Sie ihn vom baldigen erscheinen der vorrede benachrichtigten, worin ich mich
über meine art und weise auslassen will, spräche er vorher über die sache, so
gäbe es mancherlei misverständnisse; wartet er aber- ab, was ich sage, so kann er
mich desto sichrer beurtheilen.
1) Gustav Hartenstein (1808—90), profess.or der philosophie in Leipzig, ober-
bibliothekar der Universitätsbibliothek.
2) Heinrich Schweizer-Sidler (1815—94), professor der phüologie in Zürich.
LEITZMANN, LISCOWS ZITATE 79
Candidus ist seelenvergnügt und hat mir ein Volkslied mit musik geschickt;
doch ich lege Ihnen lieber seinen brief bei.
Sonntag abend. .Jac. Griram.
[Auf der rückseite von andrer hand : 17. december 185.S.]
63. am 26 dec. [1853]
Lieber freund,
diese tage waren so bewegt, dasz ich erst heute dazu gelangt bin, die beifolgende
vorrede zu Candidus zu schreiben, von deren abdruck ich mir eine revision zur
lesung ausbitte, auf dem titel darf mein name nicht stehn. es wird alles mit,
lateinischen buchstaben auf meine weise gesetzt, um dies büchlein
hab keinen kummer,
wie die Schweizer sagen, es wird bald verkauft sein und ich sehe schon eine neue
aufläge kommen.
A propos Schweizer. Sie, als solcher, hätten mehr dringen sollen auf auszüge
aus Gotthelf für das Wörterbuch, ich habe in den letzten wochen viel in seineu
büchern gelesen ; er war mir sonst verleidet durch sein schimpfen auf Deutschland,
was kann das helfen? ich gewahre, dasz unter allen jetzt lebenden deutschen
Schriftstellern keiner die spräche so in seiner gewalt hat wie er, und dasz, seit er
aus den allgemeinen alterthümlichen erzählungen heraus gekommen ist in die innige
Schweizerart, ungeheuer viel aus ihm zu lernen und zu gewinnen ist. seine natur
erscheint höchst begabt.
Wenn Sie und Hartenstein in bezug auf fortgeführte payma einmal nachsehen
wollen Richardson . . , Valentini . . . Tommaseo . , . Kowalewski ... ja sogar Heyse
deutsches Wörterbuch, so werden Sie gar nicht verkennen, dasz bei solchen werken,
die ihrer natur nach unaufhörlich artikel abbrechen, es keinen rechten sinn hat
für einzelne bände äuszerliche und sichtbare abschnitte, die nur stören, einzu-
schwärzen. es gibt im Wörterbuch keine andere als die beim anheben neuer buch-
staben. der band hat auf dem titel blosz anzugeben wie weit die einzelnen Wörter
in ihm gehn, gerade wie es bei den ausgegebnen einzelnen heften geschah.
Wol aber musz ich mich Ihren gründen ergeben, die für beifügung des quellen-
verzeichnisses schon zum ersten band sprechen, vor dem Verzeichnis selbst ist mir
aber bang, mehr als vor der viel schwerern vorrede.
Eben bringt mir Ihr freundlicher hausgenosse Ulrich den brief vom 2-1-, wofür
ich danke. Ihr .Tac. Gr.
(Fortsetzung folgt.)
Liscows Zitate.
Ich zitiere in der folgenden abhandlung Liscows Schriften nach der von ihm
selbst Frankfurt und Leipzig (in Wahrheit Hamburg) 1739 veranstalteten 'Sammlung
satyrischer und ernsthafter Schriften' und zwar nach der nach besserung der im
letzten bogen verdruckten Seitenzahlen 903 selten umfassenden ausgäbe, die in
dieser Sammlung nicht mit aufgenommene schrift 'Über die unnötigkeit der guten
werke zur Seligkeit', von der mir der erste, von Pott Leipzig 1803 besorgte ab-
druck nicht zugänglich ist, nach Müchlers abdruck im ersten teile seiner Liscow-
ausgabe (Berlin 1806). Jene bezeichne ich mit S und der Seitenzahl, diese mit M
80 " LBITZMANN
und der Seitenzahl. Die Schriften Liscows zerfallen in verschiedene zeitlich ge-
trennte gruppen : 1. die epistel an Lange über die guten werke, 1730 (M 3—104);
2. die Satiren gegen Sievers, 1732 (S 1-134); 3. die Satiren gegen Philippi, 1732-34
(S 135-472); 4. die schrift über die elenden skribenten, 1734 (S 473-574); 5. die
epistel über Manzels naturrecht, 1785 (S 629—804) ; 6. die kleineren rezensionen,
deren echtheit bei vielen starken zweifeln unterliegt (S 805—903; vgl. darüber
Litzmann, Christian Ludwig Liscow in seiner literarischen laufbahn S 114, dessen
auffassung ich mich im wesentlichen glaube anschliessen zu müssen); endlich 7. die
beiden vorreden zur ganzen Sammlung und zu dem darin enthaltenen neuen abdruck
^von nr. 6, 1739 (S 1—84, vor den Satiren gegen Sievers besonders paginiert, und
S 577—628). Was ich im folgenden zu geben beabsichtige, ist ein uachweis, welche
Schriftsteller und zu welchen zeiten sie Liscow zitiert hat, ferner wo sich die zitierten
stellen bei ihnen finden. Zuweilen gibt Liscow genaue zitate der fundstellen der
von ihm zitierten verse und sätze, zuweilen zitiert er nur den autor oder das werk,
nicht aber die stelle, zuweilen auch diese nicht einmal. Eine kleinere anzahl von
Zitaten habe ich trotz aller beniühung und freundlicher beihilfe kundiger kollegen
als vorläufig nicht identifizierbar auf sich beruhen lassen müssen, die am Schluß
jedes abschnitts zusammengestellt sind. Wem eine solche Untersuchung, wie die
vorliegende, wertlos und überflüssig erscheint, dem halte ich mit Bernays in seiner
geistvollen abhandlung 'Zur lehre von den zitaten und noten' (Schriften zur kritik
und literaturgeschichte 4, 345) Leasings worte entgegen: 'die Wichtigkeit ist ein
relativer begriff und was in einem betracht sehr unwichtig ist, kann in einem an-
dern sehr wichtig werden. Als beschaffenheit unserer erkenntnis ist dazu eine
Wahrheit so wichtig als die andere, und wer in dem allergeringsten dinge für
Wahrheit und Unwahrheit gleichgiltig ist, wird mich nimmermehr überreden, dass
er die Wahrheit bloss der Wahrheit wegen liebet'.
1. Zitate aus der bibel.
Für diesen ersten teil der aufgäbe ist die hauptarbeit bereits getan: Johannes
Müller, ein schüler Oskar Schades, hat in einer abhandlung 'Liscow und die bibel'
(festschrift zum 70. geburtstage Oskar Schade dargebracht s. 187) die bei Liscow
vorkommenden biblischen zitate äusserst sorgfältig zusammengestellt und erläutert,
so dass mir nur eine kärgliche nachlese übrig bleibt. Die generationen vor der
erneuerung unserer literatur durch Klopstock, Goethe und Schiller (Lessing muss
hier beiseite bleiben, denn bei ihm sind, obwohl er in einem pfarrhause aufwuchs
oder vielleicht gerade deshalb, nur äusserst wenige anklänge an bibelstellen zu be-
legen, während spräche und stil der genannten drei geradezu von bibelzitaten er-
füllt und durchtränkt ist) dachten darüber strenger und sahen in biblischen anklängen
der weltlichen rede leicht eine profanation oder entweihung des heiligen wortes.
So musste sich Liscow, der in diesem punkte schon etwas freier und weitherziger
dachte als seine Zeitgenossen, da sein biblisch gefärbter stil vielfach ärgernis er-
regt hatte, ausdrücklich gegen den Vorwurf der profanation und des frevelhaften
angriffs auf das heilige verteidigen, ein zweck, dem er seine 'Unparteiische Unter-
suchung der frage, ob die bekannte satire Briontes der jüngere . . . mit entsetzlichen
religionsspöttereien angefüllet und eine strafbare schrift sei' (S. 197) gewidmet hat.
Ich habe nicht den eindruck wie Müller (s. 197), als habe Liscow absichtlich bib-
lische Wendungen, bilder und gedanken angebracht, um seine gegner zu ärgern,
LISCOWS ZITATE 81
die 80 gerne 'uuter die kanoueu der kircbe retirieren' (S 646), glaube vielmehr,
dass Liscows Sprechweise ähnlich wie die der folgenden generationen sich von klein
auf am bibelstil gebildet hatte und er bei seinem streben nach naiv treffendem,
volkstümlichem ausdruck ganz unbewußt in den Wendungen der Lutherscheu Über-
setzung schrieb, wie wir das auch in Goethes und Schillers Jugendsprache in gleicher
weise beobachten können (vgl. Hehn, 'üoethe und die spräche der bibel' im Goethe-
jahrbuch 8, 187 und Boxberger, Die spräche der bibel in Schillers räubern, Erfurt
1867) und wie es bis zum überdruss und zur manieriertheit etwa Hippels 'Lebens-
läufe' zeigen. Man lese Müllers sorgfältige listen durch und man wird mir, glaube
ich, recht geben müssen. In diesem zusammenhange ist besonders eine stelle in
der dritten satire gegen Sievers zu beachten, die Müller (s. 216) eigentümlicher-
weise übersehen hat und die so lautet (S 131): 'Was das anlanget, dass ich ge-
saget habe: Niemand verachte meine Jugend [S 41; das zitat stammt aus dem ersten
brief des Paulus an Timotheus 4, 12], so möchte ich wohl von den gewissenhaften
personen, die mir dieses zur süude deuten, belehret sein, "wie ein mensch, der sagen
will, man solle ihn seiner Jugend wegen nicht verachten, seine worte ordnen müsse,
wenn er sich nicht versündigen will. Ich vor meine person wusste es nicht kürzer
und deutlicher auszudrücken und kann nicht davor, dass Luther eine gewisse stelle
in deu briefen Pauli ebenso übersetzet hat. Ich halte es für eine gar zu grosse
beschwerlichkeit, allezeit, wenn man etwas reden oder schreiben will, die nase in
der koukordanz zu haben, um zu sehen, ob die redensarten, der man sich bedienen
will, auch in der bibel stehen. Meine heiligen richter müssen dieses tun, falls man
nicht mutmassen soll, dass es mit ihrem engen gewissen nicht viel zu bedeuteu
habe. Ich beklage sie desfalls und gehe weiter'.
Ungefähr 24ü stellen der bibel aus beiden testamenteu hat Müller zusammen-
gebracht, die von Liscow zitiert werden, viele von ihnen mehrfach. Das wenige,
was ihm entgangen ist, stelle ich hier zusammen :
'Dass derjenige eine mehr als eiserne stirn haben müsste' M 9: 'Denn ich
weiss, dass du hart bist, und dein uacken ist eine eiserne ader und deine stirn ist
ehern' Jesaias 48, 4. An der vertauschung von 'ehern' und 'eisern' (auch Lessing,
Sämtliche Schriften 2, 291. 4, 395 spricht von 'eiserner stirn') darf man keinen au-
stoss nehmen: erscheint doch auch der aus 5 Mose 28, 23 stammende 'eherne himmel',
den Goethe im Werther (Werke 19, 129 = Der junge Goethe 4,295) und in der
Natürlichen tochter vers 2645 (Werke 10, 37üj richtig zitiert, in Klopstocks Messias
11,692. 699 als 'eiserner".
'Das werk mag seinen meister loben' M 87: 'Das werk lobt den meister'
Sirach 9,24; vgl. auch Schillers lied von der glocke vers 7.
'Unserer gesellschaft, die dich als ihren augapfel hoch hält' S 195: 'Er be-
hütet ihn wie seinen augapfel" 5 Mose 32, 10; ähnlich psalm 17,8; sprüche Salo-
mouis 7,2; Sirach 17,18.
'Verstelle deine gebärde' S 859: 'Da ergrimmte Kaiu sehr und seine gebärde
verstellte sich', 1 Mose 4, 5.
'Die geringste kluft, die zwischen ihm und seinem nächsten nachbarn be-
festiget ist' S 480: 'Über das alles ist zwischen uns und euch eine grosse kluft
befestiget' Lukas 16, 26.
'Und mein freund Sievers würde längst vor kummer wie ein Schemen ver-
gangen sein, wenn nicht das lob der alten weiber . . . seine gebeine fett machte'
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. L. 6
82 LEitZMANlJ
S 527: 'Sie gehen daher wie ein scheinen' psalm 39,7; 'Ein gut gerächt machet
das geheine fett' Sprüche Salomonis 15, 30.
Folgender merkwürdige umstand, mit dem ich von den hiblischen zitaten
abschied nehmen möchte, scheint bisher der aufmerksarakeit entgangen zu sein.
Litzraann berichtet (s. 94) darüber, wie sich Liscows gegner Philippi in seinen
späteren schriften, die er mit recht 'ausgeburten eines völlig zerrütteten geistes'
nennt, über Liscow geäussert hat, und gibt proben seiner reumütigen Selbsterkenntnis.
In diesem zusammenhange zitiert er einmal (s. 95): 'Die schlage des liebhabers
raeinens nicht böse, spricht könig Salomo'. Dieser satz, genauer 'Die schlage eines
liebhabers meinens recht gut' (sprüche Salomonis 27, 6), bildet das motto von Liscows
Schrift gegen Lange über die guten werke (M 8) und man dürfte daraus wohl ein
neues argument dafür entnehmen, dass diese schrift tatsächlich, wie auch Litzmann
nachzuweisen versucht hat, von Liscow verfasst ist.
2. Zitate aus der griechischen und römischen literatur.
Die antike literatur, und zwar in erster linie die lateinische (denn seine
griechischen kenntnisse waren massig, seine griechische belesenheit minimal), trägt
nächst der bibel den löwenanteil von allen zitaten Liscows davon : es fehlt nicht
viel an 200 stellen. In seiner ersten, unter der maske eines geistlichen Verfassers
auftretenden schrift von den guten werken zieht er, nachdem er kurz nacheinander
Lucrez und ein kirchenlied zitiert hat, sich selber ironisch wegen dieser anleihen
beim heidentum auf (M 11): 'Ich weiss wohl, dass der geschmack der heutigen
weit so verderbt ist, dass sie lieber siebet, wenn man seine reden und schriften
mit stellen der heidnischen poeten ausziert, als wenn man sich der worte des
heiligen geistes und der schönsten stellen geistreicher gesänge bedient. Man spottet
der Prediger, welche dieses letzte zu tun gewohnt sind, und hält es für ein sicher
kennzeichen eines postillanteu. Allein gleich wie es unter den predigern gottlob
noch so tapfere männer, und zwar im überfluss, gibt, die sich durch dieses alberne
urteil der närrischen und gottlosen weit nicht irren lassen, sondern ihre predigten
grösstenteils aus anmutig untereinander gemischten sprücheu aus der bibel und
Versen aus gesängen zusammensetzen ... so können ew. hochedelgeboren daher
schon zufrieden sein, dass ich, um Ihren vermutlich auch verdorbenen geschmack
zu vergnügen, lieber mit dem Lucretius als dem apostel Paulus reden wollen . . .
Sie können glauben, dass ich mir, um nicht bei Ihnen zum gespötte zu werden,
gewalt angetan habe: endlich konnte ich es nicht länger aushalten. Das macht die
gewohnheit nebst der kleinen begierde, meine priesterlichen, mir auf das gesang-
buch zustehenden rechte beizubehalten'. Seine reiche kenntnis der antiken Schrift-
steller breitet der zitatenfreudige mann mit eifer und lust vor seineu lesern aus.
Nach der Unterrichtsmethode seiner zeit, die auf energische und um ihrer
selbst willen getriebene griechische Studien noch nicht den wert legte, den sie
dann zu ende des Jahrhunderts gewannen, traten dem schüler, der ins altertum
eindringen wollte, die Griechen wesentlich in lateinischer Vermittlung, die griechischen
schriftsteiler mit und durch lateinische Übersetzungen nahe. Auch Liscow war das
vom Lüneburger Johanneijm her gewohnt, das ihm für das akademische Studium
die letzte feile gab (vgl. Schröder Euphorion 13, 55G). Wenn Liscow von einem
übelwollenden leser seiner ersten satire sagt (S 8): 'Er wird herzlich lachen, dass
ich einige griechische stellen angeführet, und stein und bein schwören, ich ver-
i
LISCOWS ZITATE 88
Stünde' nichts davon; ja wer weiss, ob er nicht gar sagen wird, ich könne nicht
einmal griechisch lesen', so spricht die Seltenheit griechischer zitate dafür, dass er
sich hier, um zu verblüffen, eines trumpfes rühmt, den er nicht in seiner karte zu
haben ungern zugeben mochte. Und wenn er an einer andern stelle (S 48) gar
von der lektüre Pindars und den gemütsbewegungen spricht, 'die ich spüre, wann
ich diesen alten Griechen lese', so ist der Zusammenhang zu deutlich ironisch, als
dass man ihm für sein renommieren ernstliche vorwürfe machen dürfte. So finden
sich denn in all seinen Schriften nur fünf griechische stellen zitiert, zwei davon
aus dem altvater Homer mit lateinischer Übertragung, je eine aus Euripides und
Plutarch nur in übersetzter fassung und zwei komikerverse in der Ursprache, die
er aus irgend einem kommentar entnommen oder sonstwie kennengelernt haben mag.
Aus Homers Ilias zitiert er zwei durch nichts besonderes ausgezeichnete stellen :
I, 219 vom zurückweichen des streitbaren Achilleus vor Pallas Athene S 403 und
II. 390, einen gnomischen satz, S 362. Welcher Übersetzung die lateinischen
fassungen entstammen, die er beiden stellen beigibt, vermochte ich bei der kürze
der Zitate nicht einwandfrei festzulegen: Henricus Stephanus liegt jedenfalls nicht
zugrunde; am nächsten steht bis auf winzige abweichungen, die sich übrigens
Liscow auch sonst hie und da einmal erlaubt, der lateinische Homer des Hubert
van Giffen (Giphanius), der Strassburg 1572 erschien (vgl. Finsler, Homer in der
neuzeit s. 124). Die beiden verse aus Menander, dem 'alten comicus graecus\
S 25 finden sich im vierten bände von Meinekes 'Fragmenta comicorum graeco-
nim' in seinen Monosticha vers 432 und 21. Die 8 27 in lateinischer prosa ge-
gebene stelle aus Euripides ist die berühmte und vielzitierte aus den Phoe-
nissae 524: 'E'iTtsp y^P ä^ixstv XP"/], xopawidog Tispi -/.dcÄÄiaTOv äS'.xsTv, TaÄXa
d" e'j3i^=tv xp£(j)v' (ich verdanke diesen nachweis meinem verehrten koUegen
Friedrich Zucker) ; die Übersetzung, die Liscow benutzt hat, ist nicht die ge-
läufige von Barnes (vgl. auch Litzmann s. 24). Nach Xylanders Übersetzung 2, 150 e
(Frankfurt 1620) endlich zitiert Liscow die stelle von den unmusikalischen eseln, deren
knochen zu den schönsten flöten verarbeitet werden, aus Plutarchs ''Ezxä ao-^öv
a'jlJLuöaiov' S 566 (vgl. auch Litzmann s. 97 anm.). Für seine kenntuis des philosophen
von Chaironeia zeugt auch die erwähnung der schrift 'IIspl xöv äpsay.övTcov cp'.Äoaö-
voi;' und die bemerkung (S 108): 'Ich habe die apophthegmata der alten bei dem
Plutarchus gelesen'. Seine epoche war damals für Deutschland noch nicht ange-
brochen (Vgl. Hirzel, Plutarch s. 167). Der hinweis auf das 34. kapitel von Longins
'Ilspl u^^oug' (S 181), zu dessen Übersetzung von Heinecke Liscow später eine vor-
rede geschrieben hat, bringt kein wörtliches zitat.
Neben diesem schwachen Schimmer griechischen einflusses steht wie ein voller
und breiter ström fremden lichtes der lateinische, der sich durch Liscows
Schriften von der ersten bis zur letzten periode in reicher fülle ergiesst. Ich scheide
dichter und prosaisten und ordne jede gruppe unter sich alphabetisch an, lasse
aber die ganz wenigen christlichen autoren und Neulateiner für sich als anhang
die reihe schliessen. Ein kreuzchen vor dem zitat aus Liscow bedeutet, dass er
selbst keine andeutung gibt, woher er das geborgte dictum entnommen hat, dass
ich also seine quelle selbständig suchen und finden musste.
Zunächst die dichter. Ausonius' drolliges epigramm vom Faustulus und der
ameise {MenUae et Ugoleii eingrammata '20 in Schenkls ausgäbe) finden wir S 328
zitiert, einen kurzen satz aus seiner vorrede zum Cento nuptialis (bei Schenkl
28, 1, 32) S 231. (Das 'p. ni.\ das sich hier und sonst häufig noch bei Liscow in
6*
84 LElTZMAtJK
Zitaten findet, fasse ich als 'pagiina mihi (oder meay und verstehe darunter die seite
des iu seinem besitz befindlichen oder ihm zur Verfügung stehenden exemplars;
ähnlich zitiert Jacob Grimm in der grammatik 1, 409. 415. 937. 9ü3 'Orlenz mihi\
933 jvaterunser mihi\ 935 'Wittich mihi', 939 'Wolfdietrich mihi\ 983. 984. 989
'Opitz mihi\ 1009 'hohelied mihi\ endlich in den Kleineren Schriften 4, 11 wie
Liscow 'pagina milii' und meint damit seine abschriften und exemplare.)
Aus Calpurnius' eklogen 4, 23 finden sich beissende mahnungen für professor
Philippi gezogen S 885: es ist dieselbe gröbliche abführung, wegen deren der be-
troffene bei der Hamburger Stadtverwaltung über den Verfasser klage führte (vgl.
Lisch, Chr. L. Liscows leben s. 81).
Dionysius Cato 4, 14: M 66.
CatuU ist mit drei stellen vertreten: dem vielzitierten, an Hamlets mouolog
anklingenden vers vom jenseits 3,12: *S 471; der ironischen Schilderung des voll-
kommenen menschen '23, 15: S 747; der apostrophe an Ravidus 40, 1 : S vorrede 83.
Sonst liefern die triumvirn der liebe Liscow keine pfeile (vgl. nur nachher Properz).
Claudian finden wir gleichfalls dreifach: 7 (Panegyrikus auf das dritte kousulat
des Honorius), 96. 97: *S 173; 17, 209: S 536; 33, 5: ö 139.
Horaz, den 'grossen dichter' (S 12. 80), den er ironisch einen 'alten grillen-
fänger' nennt und ihm 'vorsätzliche torheit, den menschen das schreiben schwer
macheu zu wollen' zuschreibt (S 515), zitiert Liscow 41mal und zwar je 12 stellen
der öden und satiren und 17 stellen der epistelu. Aus den öden: 1,3,30: S 705;
1, 22, 19: *S74; 1, 37,1: S357; 2, 16, '29: *S 457 ; 3,1,1, viel zitiert: S 214;
3, 14, 13: S 356; 3, 25, 7: S 473 als motto der schrift über die elenden skribenten;
3, 30, 14: S 188; 4, 4, 51: S 622; 4, 4, 61: *S 439; 4, 7, 15: *S 457; 4, 7, 21: S 452
als zweites motto der 'Bescheidenen beautwortung der einwürfe'. Aus den satiren:
1,1,24, oft zitiert: S 274 (vgl. auch S vorrede 71: 'Ich habe einigen elenden
Skribenten ... im lachen die Wahrheit gesaget'); 1, 1, 66: S 6; 1, 3, 99, die Schilderung
der goldenen zeit: S 661; 1, 3, 117: S 268; 1, 4, 34: S 106; 1, 10, 14: S vorrede 80;
2, 1, 23: S 203; 2, 1, 44: S 134 als ausklang; 2, 1, 60: S 826 (statt XI ist I zu
lesen); 2, 1, 84: S 336 als ausklang; 2, 3, 137: S 870; 2, 3, 152: *S 754. Aus den
episteln: 1,2,62: *S 126; 1,7,46: S 366; 1,10,24, viel zitiert: *S84; 1,11, '23:
S 178 (statt 2 ist 11 zu leseu) ; 2, 1, 108: S 125; 2, 1, 151: S 205; 2, 1, '269, die
vielzitierten schlussverse : S 531; 2, 2, 51 : S 897; 2, 2, 106: S 534; 2, 2, 126: S 540;
'2, 2, 129. 135: S 751; aus der Ars poetica (2, 3) 25: S 12; 38: S 515; 163: S 873;
355: S 898; 385, viel zitiert: S 193; 470: S 424.
Juvenals satiren sind nicht so kräftig benutzt, wie man erwarten könnte.
1,49: S 623; 1,73: S 384; 1, 165: S 204 ; 2,20. 21: M 100. 101; 2,38: S 273;
7, 207: *S83; 7, 241: S 314; 8, 71 : S vorrede 82 (statt III ist VIII zu lesen);
8, 73: S 488 (vgl. auch S 54); 14, 204: *S 28.
Lucans Pharsalia 9, 572 : S 619.
Lucrez, De rerurn natura 2,7: M 10; 3,1025.1042, eine berühmte stelle:
S vorrede 45 (statt IV ist III zu lesen) ; 4, 11 : S 282.
Martials epigramme 1, 41, 1: S 362; 5, 60, 1 : S vorrede 83 (statt 81 ist 60
zu lesen); 11, 104, 1. 11: S 756 (statt IX ist XI, statt 105 104 zu lesen).
Naevius nr. 59 in Diels Poetantm romanorum reterum reliquiae: S 99.
Liscows quelle waren, wie die unmittelbar folgenden sätze zeigen, Ciceros Epistidae
ad familiäres 15, 6, 1 (vgl. ferner ebenda 5, 12, 7, Tuscnlanae disputationes 4, 67
und Senecas episteln 102, 16). Es ist das gleiche wort, das Joseph von Lassberg
LISCOWS ZITATE 85
in einem briefe an Wackernagel (Briefe aus dem nachlass Wilhelm Wackernagels
8. 93) in sehr freier nmformung zitiert und das ich in den anmerkungen nicht
belegen konnte (vgl. meinen rezensenten Wocke im Literaturblatt für germanische
und romanische philologie 1921 s. 363), dessen rudimenten ich aber seitdem mehr-
fach bei Schriftstellern des 18. Jahrhunderts begegnet bin (vgl. Lichtenbergs
briefe 8, 101. 136; Briefe an Johann von Müller 3, 280. 4, 275. 288; Wieland, Aus-
gewählte briefe 2, 285).
Aus Ovid finden sich nur 15 zitate, davon natürlich 11 aus den Metamorphosen
entlehnt sind: 1, 81, die berühmte Schilderung des menschen: S 479 (vgl. auch
S 726); 2, 107, der wagen des Phoebus: S 559; 5, 191: vorrede zu Heineckes
Übersetzung des Longin s. 46 (das einzige zitat in dieser letzten arbeit Liscows,
die 1742 erschien); 7, 9: S 651; 8, 631. 709, der wünsch des alten Philemon: S765;
8, 688: S209; 11, 172: S 13 (statt IX ist XI zu lesen; die geschichte des Midas,
zu der diese stelle gehört, erwähnt Liscow auch sonst gern, vgl. S 373. 477. 504.
560); 13, 16: S vorrede 6; 15, 120: S 621; 15, 871, das selbstbewusste schlusswort:
M 93. Aus andern ovidischen dichtungen finden sich' yl;s atnatoria 3, 799: S 756;
Arnores 1, 15, 39: M 94; Tristia 4, 10, 19: S 192; 5, 6, 13: S 29.
Persius' Satiren sind fast so oft zitiert wie die Juvenals bei viel kleinerem
umfang: i, 7: S 534; 1, 41: S 527; 1, 107: S 204; 1, 110: S 105: 2, 17: *S 645;
3, 86: S 523; 4, 23: S vorrede .58 (vgl. auch s. 50. 60); 4, 46: S 528.
Properz 5, 10, 3 liegt sicher *S 59 zugrunde, Liscow hat nur 'iter ascendo'
in 'opus aggredior' geändert, was leicht auf untreuer erinnerung beruhen kann (ich
verdanke den nachweis der generaldirektion des Thesaurus linguae latinae).
Von Senecas tragödien zitiert Liscow zweimal den Hippolytus, den wir jetzt
Phaedra nennen: 177. 184. 195. 202: S 652; 607: S 141.
Statins, Thebais 1, 188: S 352 als ausklang; 2, 449: S 354.
Terenz, Etmuchus 4: S vorrede 62; 'die scharfsinnigen worte' Ennuchus 415:
S 109; Ennuchus 427: *S 108; Heautontimorumenos 805: S 685; Phormio 458:
*S 63; Phormio 1026 liegt dem titelmotto zur 'Stand- oder antrittsrede' S 337
zu gründe, wobei sich allerdings die worte 'ollus defertur' nicht im original und
überhaupt nicht bei Terenz finden.
Vergil endlich liefert unserm Liscow 26 zitate, davon sind 21 der Aeneis und
5 den Georgica entnommen. Aus der Aeneis werden zitiert: 1, 11, viel zitiert:
*S 124; 1, 401: S 15; 2, 325, viel zitiert: M 54; 2, 389: S 482; 2, 390: S420;
2, 584; *S 896; 2, 724: S 4; 3, 56, viel zitiert: S 31 ; 3, 461, viel zitiert: S 422
als ausklang; 4, 174, viel zitiert: S 30; 4, 625, Didos berühmte letzte worte:
S 397; 4, 666: *S 82; 6, 86: S 396; 6, 126, viel zitiert: S 573; 6, 687: S 353
als motto der 'Höflichen antwort des ältesten der gesellschaft der kleinen geister';
7, 586: *S 81; 9, 641, viel zitiert: S 15; 12, 101: S 342 als motto der 'Stand-
oder antrittsrede'; 12, 233: S 483; 12, 427: S404; 12, 951, die schlussverse vom
tode des Turnus: *S 442 als ausklang. Aus den Georgica: 3, 289: S 474; 3, 292:
S 46 als motto der 'Yitrea fracta' ; 3, 513: S 398; 4, 116: *S 89; 4, 414: S 382.
Nun zu den prosaikern. Apulejus, Apologia sive de magia 3: S 212.
Cicero, der 'grosse mann', der 'vortreffliche TuUius' (S 98), 'ein redner, der
seinesgleichen schwerlich hat' (S 862), trägt naturgemäss bei seiner beherrschenden
Stellung in der römischen literatur, besonders in der nachweit, den löwenanteil an
Zitaten unter den prosaisten davon. Liscow, der ihn S 362 'einen grossen spötter
seiner zeit und abgesagten feind unserer gesellschaft (der kleinen geister)' nennt
86 I.EITZMANN
(vgl. auch S 380), hat 32 zitate aus seinen werken, 4 aus den reden, 8 aus den
rhetorischen, 13 aus den philosophischen Schriften, 7 aus den briefen. Aus den
reden finden wir angeführt: In C. Verrem 2, 4, 56, viel zitiert (vgl. auch In Ij.
Catilinam 1, 2; Z)c (.lomn sua 137; Pro reffe Dejotaro 31): *S 76; In M. Anton iitm
philippica 3, 22 : S S63 (es handelt sich hier nur um eine einzelne wondung, nicht
um einen zusammenhängenden satz); Pro L. Flacco 42. 46: S 862, wo die Schluss-
worte 'ubi—literarum' sich übrigens im original nicht finden ; Pro Sexto Roscio Amerino
56: S 520. Aus den rhetorischen Schriften: Brutus 225: S vorrede 79; Orator 7:
S 1.50 (Liscow zitiert die stelle nur deutsch); 24: S 523; De oratore 1, 130. 251:
S 174; 2, 222 (ein wort des Ennius) : S 565; 2, 237. 2.38: S 251; 3, 64: S 536:
3, 220: S 174. Aus den philosophischen Schriften; Academicae quaestiones 2, 9:
S 478 (statt IV ist II zu lesen) ; De divinatione 2, 119 : S 489 ; De finibus bonorum
et malornm 2, 80: S 255; De natura deorum 2, 9: S 362 (statt I ist II zu lesen);
2, 49 (ein wort des Ennius): S 726; 2, 74: S 863 (statt I ist II zu lesen); 3, 9:
S 576 als motto zu der schrift gegen Manzels naturrecht; 3, 69: S 506 ; De ofßciis
I, 99: S 98; Tusculanae disputationes 1, 6: S 270 und 824 (beide stellen sind
ungefähr gleichzeitig) ; 5, 62: S 463; 5, 103: S 527. Aus den briefen: Ad Atticum
14, 20, 3: S 271 (statt 23 ist 20 zu lesen); Ad familiäres 5, 12, 9: S 43 (im ori-
ginal steht 'gloriola' statt 'ffloria'); 7, 10, 1: S vorrede 19; 7, 27, 2: S vorrede 341
9, 16, 3: S 524 (statt 'ad Atticuni' ist 'ad familiäres' zu lesen); 15, 6, 1: S 99;
Ad Qnintum fratrem 2, 15, 5: S vorrede 60,
Macrobius, Convivia satnr'nalia 2, 7, 4: *S 244. Unter denen, bei denen er
'viele bofia dicta [bons mots) und scharfsinnige einfalle gefunden' habe, nennt Liscow
(S 108) neben Plutarch und Cicero auch Macrobius: ich habe jedoch nur vier seiner
zitate bei Macrobius nachweisen können (Aeneis 2, 390: 5, 16, 7; 7, 586: 6, 3, 1:
12, 101: 4, 1, 2; Georgica 3, 289: 6, 2, 2); er verdankt also dem gefüllten köcher
des alten Sammlers und exzerptors nur sehr wenige pfeile.
Petrons Satiren 10: S 45 als titel (vgl. Litzmann s. 46); HO: S 327; 118:
S 549.
Aus Plinius dem älteren zitiert Liscow eine allgemeine pessimistische er-
örterung in ihren hauptstellen, eine bemerkung über die ärzte und eine natur-
historische tatsache, die er sehr witzig ausdeutet: Naturalis hisioria 7, 1, i: S 492;
II, 115: S 538; 29, 11. 18: *S vorrede 82. Auch die briefe des jüngeren Plinius
hat er angelesen: 1, 5, 13: S 2 als motto der 'Anmerkungen über die klägliche
geschichte von der Zerstörung Jerusalems'; 1, 12, 8: S 820.
Quintilian, De institutione oratoria 5, 13, 22 : S 897.
' Sallust, lugurtha 10, 6, ein sehr häufig zitiertes wort: S 22.
Seneca rlietor, Controversiae vorrede 10 : S 269 ; Suasoriae 7, 12 : S 850.
Seneca der philosoph, sein söhn, der 'so zierlich geschrieben hat' (S 557),
'der vortreffliche' (S 558), 'der uns (die elenden skribenten) sehr genau gekannt
haben muss' (S 561), ist bei Liscow sehr beliebt und er zitiert ihn 16mal, wovon
allein dreiviertel der stellen auf die briefe fallen. Aus diesen findet sich angeführt:
9, 22: S 544; 41, 6: S 559 (statt 44 ist 41 zu lesen); 90, 18: S 670; 90, 44. 46:
S 657; 94, 17: S863; 95, 18. .20. 23: S 706; 106, 12: S 75; 108, 18: S 694
114, 1. 2. 3: S 557; 114, 12: S530; 115, 2: S 558; 115, 18: S 561. Aus den
philosophischen Schriften: De beneficiis 3, 6, 2 und 4, 37, 1: M 23; 3, 7, 2. 3 :
M 22 ('artig ausgedrückt'); De ira 2, 27, 2: S 692; De tranquillitate animi 17, 10:
S 372 (statt XV ist XVH zu lesen).
. LISOOWS ZITATE 87
Suetons biographien werden besonders in der ersten schrift gegen Sievers
benutzt, wo Liscow auch (S 24) sich ausführlich über ihn auslässt und aus Bor-
richius' 'Conspectus praesfantiorum scriptonim latinae linyiiae' (Kopenhagen 1705)
eine längere lateinische stelle über die Suetonausgaben anführt. Im einzelnen
zitiert er: Nero 10: *S 123; Vespasian 24: S 28; Titus 1. 8: S 31.
Tacitus, Agricola 12: S 477.
Vellejus 2, 35: S 192.
Es bleiben endlich die wenigen Christen und Neulateiner. Von den früh-
christlichen Schriftstellern zitiert Liscow Augustin, den 'grossen kirchenvater' (S 757),
und Hieronyinus. Von jenem: Confessiones 8, 17: S 757; 8, 19: S 284; De ciri-
fate dei 14, 23, 3. 24, 1: S 744; die berühmte und vielzitierte stelle von den
tugenden der beiden als 'splendida vitia' (M 31. 44) habe ich nicht aufgefunden.
Von diesem zwei stellen der briefe: 71, 5, 2: S 21; 75, 4, 1: S 256. Aus Alcimus
Avitus, De originali peccato (= De spiritalis historiae gestis 2) werden zwei längere
stellen angeführt: 145, 169: S 598. Ein mittelalterliches lied \vird S 457 zitiert.
Aus Dominicus Baudius' (Baudier, 1561—1613) Poemata (Amsterdam 1640) finden
sich zwei zitate: aus der Praefatio ad lectorem: S 214; aus lambicorwn 1, 9:
S 136 als motto zu 'Briontes dem jüngeren' (vgl. auch S 290).
Zwei hexametrische stellen habe ich trotz alles angestrengtesten suchens
nicht auffinden können: 'Xatn grave formeii tum fcnttes' S 29; 'Non moror, an landet
me turpis an iniprobet osor' S 99 (nach freundlicher auskunft vom Thesaurus
Unguae latinae ist der vers wahrscheinlich mittelalterlich oder neulateiuisch). Auch
das 'sehr alte skytbische Sprichwort' S 513, 'dass es eine grössere kunst sei, aus
einem ledigen als aus einem vollen glase zu trinken', dessen quelle ja wohl der
antike angehören wird, kann ich nicht nachweisen.
Eine grosse anzahl dem deutschen text eingestreute lateinische brocken sind
mehr oder weniger sprichwörtliche Wendungen, für die in den meisten fällen Eras-
mus' Adagia oder noch mehr die ebenso betitelte, eine zahlreiche reihe von nach-
folgern des Erasmus verwertende Sammlung (Frankfurt 1646) weiterhelfen (ich
gebe in den klammern einige zitate) : so S 20. 27. 28. 29 (s. 226a). 30. 52 und 216
(s. 671b). 103. 109. 119. 147 (s. 234 b); 364. 394. 487. 520. 713. 740. 754. 828.
864. 871 sowie M 25. 31. 32. 86. 94. Andres sieht aus wie reminiszenz aus der
akademischen Vorlesung (S. 25. 27. 110. 115. 127. 260. 553. 638. 639. 666. 725;
M 19. 33. 55. 89, S vorrede 63. 84) oder aus der lateinischen pennälersprache
(S 98. 280. 396) und trägt somit nicht eigentlichen zitatcbarakter. Zu diesen
reminiszenzen rechne ich auch die zitate aus Pomponius (S 227), Ulpian (S 306)
und Comenius (S 545). Wer aber ist Josephus Quercetanus, der 'berühmte fran-
zösische medikus', der S 370 zitiert wird?
3. Zitate aus der französischen und italienischen literatur.
Aus dem gebiete der französischen literatur kennt Liscow eine reihe
dichter und prosaiker und zwar nicht nur namen ersten, sondern auch minderen
ranges. Ich gebe zunächst das material in alphabetischer folge der in betracht
kommenden autoren.
Von .Jean Louis Guez de Balzac wird S 489 eine stelle aus 'Äristippe ou de
la conr' und S 517 eine aus den briefen zitiert: die letztere habe ich nicht auf--
finden können; auch muss in Liscows angäbe ein fehler stecken, da es 23 bücher
briefe von Balzac nicht gibt.
88 T.EITZMANN
Bayles, des 'vortrefflichon mannes' (S 760), werke, vor allem sein 'Dictionnuire
historique et critique', waren ja auf lange hinaus grnndbücher des wissens und
Urteils der damaligen zeit: es kann daher nicht wunder nehmen, dass wir ihn auch
bei Liscow häufig genannt finden. Der 'Dictionnaire' wird S 651. 6ö3. 727. 731.
753. 755 zitiert., die 'Peiisee.s diverses sicr la coniete' S 17. 693. 700, die 'Xourelles
lettres de Vantenr de la critique r/enerale de l'histoire du calvinisme du pcre Maim-
honrg' S 760, die von Bayle herausgegebenen 'Nouvelles de la r^pnbliqne des lettres'
S 771 ; auch nennt er ihn S 475 als musterbeiapiel eines 'unstreitig guten skribentcn'.
Wie sehr Liscow in seinen literarischen anschauungcn von Boileau beeinflusst
ist, hat Litzraann (s. 73) zuerst eingehend gezeigt und Seuffert scheint mir in seinem
angriff auf diese beliauptung Litzmanns (Afda. 11, 71) etwas zu Avoit gegangen zu
sein : auch mir scheint Bo:leaus einfluss wichtiger als der Swifts. Schon S 79. 80
nennt er ihn neben Horaz als den regelgebenden geist und überragenden kritischen
köpf in ästhetischen fragen. Von direkten zitaten aus der 'Art po(Hique', die er
hier vor allem im äuge hat, findet sich allerdings nur ein einziges, häufig ange-
führtes: 1, 232: S 243. Dagegen werden seine satiren 14mal angeführt: 1, 149:
S 128; 2, 76: S 540; 2, 81: S 521; 2, 87: S 265; 2, 93: S 540; 7, 2: S 105;
7, 13: S 106; 8, 55: S 679; 8, 61 : S 699; 9, 169: S256; 9, 187: S257; 9,209:
S 255; 9,225; S 92 als motto zu dem 'Sich selbst entdeckenden X Y Z'; 9, 305-
S 198 als motto zu der 'Unparteiischen Untersuchung'.
Cyrano de Bergeracs geistreiche ^Histoire comiqne des etats et empire de la
Inne', das Vorbild für Swifts Gulliver und Voltaires 'Microm^gas', wird einmal 8 695
zitiert: die stelle steht in Jordans ausgäbe s. 151.
Charles Riviere Dufresny, Amüsements s^rieux et comiques 9 : S 499 (statt 49
ist 69 zu lesen).
Von Fontenelle, 'einem von unsern (der elenden skribenten) ärgsten feinden'
(S 493), zitiert Liscow die Schlussworte des ersten der '■Dialognes des morts anciens'
zwischen Herostrat und Demetrios von Phaleron S 493.
Von Fran(}ois Garasse, der eine gewisse ähnlichkeit mit unserm Abraham a
sancta Clara nicht verleugnen kann, wird eine stelle aus der 'Sotmne the'ologiqne
des ve'rite's capitales de la religion chretienne' S 535 angeführt.
Der pater Jean Baptiste Girard, der eben damals 1733 gestorben war, wird
S 116 wegen seiner amoureusen neigungen, S 569 mit einer nachgelassenen schrift
genannt, die ich genauer nicht nachweisen kann und deren existenz vielleicht nur
auf einem scherz Liscows beruht.
Der Polemiker Jurieu, Bayles bekannter gegner, begegnet M 56 und S 70.
Labruyere, Des ouvrages de l'esprit 18 : S 303.
Lafontaine, fabeln 3, 10, 7: S 668; 8, 5: S 244 (statt II ist VIII zu lesen):
9, 1, 89: S 279 (statt III ist IX zu lesen). Als fabeldichter neben Aesop wird er
auch S 902 genannt.
Rene Lepays, briefe 35: S 666 (die Seitenzahl bezieht sich auf den zweiten
band der 'Nouvelles oeuvres') ; Ode irreguliere ä mousieur Chorier 52 : S vorrede 5
(die fehlende Seitenzahl ist als 2, 219 zu ergänzen).
Malebranche, Becherches de la r^ritd 1, 18: S 129.
Moliere, L'i^fourdi 585 (2, 4): S 472 als ausklang der 'Bescheidenen beant-
wortung der einwürfe'. Seine 'FrScieuses ridicules' werden S 560 genannt.
Gern zitiert Liscow die essais Montaignes, den er 'einen der besten skribenten'
(S 501), den 'vortrefflichen' (S 692), den 'weisen' (S 752) nennt. Von den 8 mehr-
LISCOWS ZITATE 89
fach längeren zitaten, die er aus ihm anführt, sind 7 dem überlangen philosophischen
kapitel 2, 12 'Jpoloffie de Raimond Sebond' entnommen (ich zitiere nach der aus-
gäbe Paris 1827): 4, 228: S 692; 4, 247: S 739; 5, 37: S 543; 5, 53: S 491;
5, 53: S 498; 5, 210: S 501 ; 5, 234. 235: S 494; ausserhalb dieses kapitels nur 2,
215. 216 (1, 29): S 752 (statt 27 ist 29 zu lesen). Auf Montaignes einfluss auf
unsere literatur ist neuerdings von Unger (Hamann und die aufklärung 1, 393)
für Hamann, von Schneider (Euphorien 23, 23. 369) für die geniezeit und für
Hippel mit nachdruck hingewiesen worden: Liscows hohe Schätzung des originellen
Franzosen, mit dem er auch die lust zum zitieren der antiken literatur gemein hat
(aus ihm 5, 174 entlehnt dürfte wolil das Cicerozitat S 489 sein), reiht sich diesen
Zeugnissen an.
Regnier, Satiren 2, 38: S 107.
Jean Baptiste Rousseau, episteln 1, 3, 58: S vorrede 56 (statt 2 ist 8 zu
lesen); öden 2, 2, 9: S vorrede 81.
Eine stelle aus Saint-Evremond, die Liscow in einem briefe vom 12. februar 1734
zitiert (Heibig, Ch. L. Liscow s. 33), habe ich nicht auffinden können.
Jean Frangois Sarrasin, Ballade dn paijs de Cocagne 2: S 674/ Sonnet ä
monsienr de Charleral 10: S 659.
Endlich zitiert Liscow noch zwei anonyme Sammlungen französischer gedichte :
S 223 die ^Arleqiduiana ou les bons mofs et les ht'stoires plaisantes et agreables,
recueillis des conrersations d'Arlequiu' (Paris 1694; Verfasser ist nach Barbier Coto-
lendi) und S 499 'Je ne sais qiioi' (Haag 1723; Verfasser ist nach derselben quelle
Cartier de Saint-Philip).
Dass er auch den roman des Cervantes, den er S 391. 440 nennt, nur in
französischer Vermittlung gekannt hat, darf man aus der bezeichnung 'chevalier de
la triste figiire' (S 811) schliessen.
Die französischen zitate Liscows und ihre Verteilung auf seine verschiedenen
Schriften spielen eine rolle in einer chronologischen frage: in der frage, wann die
Schrift gegen Manzels naturrecht entstanden ist, ob 1726—29 oder 1735, d. h. mit
anderen worten, ob Liscow als parodist seine schriftstellerische laufbahn eröffnete
und als ernster schriftsteiler abschloss oder ob sein ernstestes und gedanklich bestes
werk, eben das gegen Manzel, am anfang steht. Kürzlich hat Schirokauer (Eupho-
rion 22, 663) im gegensatz gegen Litzmann, der (s. 8) für frühe entstehung ein-
getreten war, vor allem aus den französischen zitaten, die erst 1733 mit dem 'Sich
selbst entdeckenden X. Y. Z.' beginnen und in der schrift gegen Manzel einen grossen
räum einnehmen, den nachweis geführt, dass die letztere erst 1735 ihre endgiltige,
uns vorliegende gestalt erhalten haben kann, wobei es immerhin möglich ist, dass
ältere schriftliche materialien und ausätze damals vom Verfasser benutzt worden
sind. Das resultat dieser Untersuchung von Schirokauer ist ohne jeden zweifei
richtig, aber dass die Untersuchung selbst in dieser form erscheinen konnte, ist ein
trauriges zeichen für die nachlässigkeit, mit der jüngere forscher vielfach heute
ihre elaborate veröffentlichen, ohne sich in der nächstliegenden literatur über den
betreffenden stoff genügend umgesehen zu haben. Dass Litzmanns schrift bald
nach ihrem erscheinen in unsem fachblättern eingehend besprochen worden ist,
ist selbstverständlich, und den 'Afda. und deutsche literatur' darf und soll man ja
wohl kennen, auch wenn man, wie ich es von dem Verfasser annehme, nicht gerade
germanist im strengeren sinne des wortes ist. Hätte Schirokauer den naheliegenden
gedanken gehabt, dort nachzusehen, so hätte er seinen aufsatz entweder ungeschrieben
90 I.EITZSrANN
lassen oder doch sehr kürzen können, denn er hätte gefunden, dass Seuffert dort
(11, 70) schon vor 37 Jahren die streitfraffe ganz im gleichen sinne und durch die
gleiche beohachtung erledigt hat. Was Schirokauer über Seuffert hinaus bietet,
ist unerheblich; ja man muss jenen aus diesem in manchem verbessern und er-
gänzen, obwohl Schirokauers wortreicher aufsatz einen halben bogen, Seuflferts knappe
behandlung der frage eine seite umfasst.
Zitate aus der italienischen literatur bringt Liscow dreimal; sie genauer
auf ihren Ursprung hin festzulegen, ist mir leider nicht gelungen. Den S 826
deutsch angeführten sutz von Guariui habe ich weder im 'Pastor fido' noch in den
Sonetten und madrigalen finden können, ebensowenig den S 451 als erstes motto
der 'Bescheidenen beantwortung der einwürfe' in der Ursprache gegebenen vers
aus Tasso in den werken der beiden dichter dieses namens. Auch die S 753 zitierte
anonyme schrift 'Precetfi da es.ser vnparati dalle donne ebree' kann ich nicht genauer
nachweisen. Das M 79 angeführte, noch heute oft gebrauchte italienische Sprich-
wort soll nach Büchmanns nachweis bei Giordano Bruno stehen, kam aber auch
Liscow sicher wie uns heute aus der lebendigen umgangsrede zu.
4. Zitate aus der deutschen und englischen literatur.
An der spitze der deutschen zitate Liscows steht Luther, 'dieser teure
mann' (M 14), 'unser seliger vater' (M 14. 47. 49. 78. 82. 85), der in der unter
theologischer maske erscheinenden' schrift über die guten werke eine reihe von
malen genannt wird. Aus der schrift 'De servo arbitrio' : werke 18, 675 Weima-
rische ausgäbe: M 14; aus dem Genesiskommentar: 24, 207. 20S: M 47. 48; 355.
425: M 51. Die M 78 zitierte bekannte stelle von der strohernen epistel Jacobi
findet sich am schluss der vorrede zur septemberbibel. Das S 845 genauer nach
seinem fundort bezeichnete zitat aus der antwort an Heinrich VIIT. von England
steht in einer rezension, die Liscow nicht gehört (vgl. Litzmann s. 115).
Brockes, Irdisches vergnügen in gott 1, 43: *S 678; 1, 456: *S 746.
Canitz, Klagode über den tod seiner ersten gemahlin 19: S 820; Satiren 3, 29:
S 192. Die an der letzten stelle sich findende parallelisierung von Canitz und
Ovid entnahm Liscow aus Königs lebensbeschreibung von Canitz s. 17.
Eichey, Auf die Lastrop und von Beselerische Verbindung in Hamburg 5
(Deutsche gedichte 1, 76): S 423 als motto der 'Sottises champHres' .
Schlot, Poetanim splendida miseria 72 (Eine handvoll poetischer blätter s. 8):
S 206.
Kirchenlieder werden zitiert M 11. 15. 39. 67 ; S 25.
Die Worte eines 'mystischen skribenten' S 162 und die eines 'gewissen
Skribenten' S 210 kann ich nicht nachweisen.
Genannt werden noch S 522 Happel, Menantes, Uhse (Wohlinformierter redner,
Gotha 1730) und Hübner (Fragen aus der oratorie, Leipzig 1726—30), sowie S vor-
rede 4 Buchka (vgl. Goedekes Grundriss* 3, 356).
Von der englischen literatur zitiert Liscow fast nichts, nur einzig S 516
Prior, Another epistle to Fleefwood Shephard 31. Er kennt weder Shakespeare, der
ja damals aus seinem langen dornröschenschlaf noch nicht erweckt war, noch
Miltoo, der ihm manche pfeilc hätte bieten können, und nennt auch Swift, dessen
einfluss auf ihn auch nach meiner meinung überschätzt worden ist (vgl. schon Litz-
mann s. 73), nur indirekt S 209 in einer aus Thomas Swifts 'Complete hey to the
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92 LEITZMANN, MAGISTER ARDET.IO
tale of a tnb' (London 1710) zitierten äusserung William Wottons in einer späteren
aufläge seiner zuerst London 1694 erschienenen 'Reflections upon ancient and modeni
learniAg'.
JENA. ALBEKT I.EITZMANN.
Magister Ardelio.
Aus dem nachlass des badischen hofrats Eing, dessen Schilderung Klopstocks
durch Erich Schmidts 'Charakteristiken' allgemein bekannt geworden ist, hat Funck
vor vielen jähren ein anekdoton Wielands hervorgezogen, das für die Züricher
'Freimütigen nachrichten' bestimmt, aber dann durch die zensur, die darin eine
Satire gegen den bibelkommentar eines einheimischen kirchenlichts vermutete, unter-
drückt worden war, die besprechung einer Horazausgabe, 'Quinti Horatii Flacci
opera, der lieben Jugend zum besten mit anmerkungen herausgegeben von magister
Ardelio, Greifswalde 1753' (beilage zur Allgemeinen zeitung 1884 nr. 131, jetzt
bequemer zugänglich in der akademischen ausgäbe von Wielands Gesammelten
Schriften 1, 4, 62; vgl. auch Seuffert, Prolegomena zu einer Wielandausgabe 1, 42).
Den genaueren nachweis dieses Greifswalder Horaz von 1753 und seines heraus-
gehers und kommentators magister Ardelio, dessen lächerliche und trivial-kindische
anmerkungen Wieland zitiert und mit den theologischen des 'berühmten herren
magister Sievers', des bekannten Schlachtopfers der satirischen geissei Liscows,
auf eine linie stellt, hat noch niemand zu geben versucht. Ganz arglos spricht
vielmehr Seuifert 1, 63 vom 'Ardelioschen Horaz' und Budde, Wieland und Bodmer
s. 176 hält gar 'Ardelio' für einen lateinischen dativ, obwohl Wieland selbst sein
Opfer zweimal (63, 10. 64, 30) 'herr magister Ardelio' nennt, und tauft den rätsel-
haften mann 'Ardelius'.
Wieland würde ins fäustchen lachen, wenn er sähe, dass er noch die gelehrten
einer späten nachweit mit seiner rezension genarrt hat. Es gibt Aveder einen
Greifswalder Horaz von 1753 noch überhaupt einen magister Ardelio. .Jenes lehrt
ein blick in Schweigers Handbuch der klassischen bibliographie (Leipzig 1830-34),
dieses eine stelle des Phaedrus (2, 5, 1):
Est ardelionum quaedam Romae natio,
trepide cotiaifsans, occupata in otio,
gratis anhelans, mnlta agendo nil agens,
sibi molesta et aliis odiosissima.
In diese beneidenswerte menschenklasse gehört natürlich auch unser magister
Ardelio, der ebenso wie sein Horaz eine reine Aktion Wielands ist, der unter dieser
sprechenden maske jenen seichten bibelkommentator treffen wollte. Dass Wieland
die Phaedrusstelle gekannt hat, beweisen, wenn es überhaupt noch beweises be-
darf, zwei briefstellen. An Bodmer schreibt er aus Bern am 30. januar 1760 (Aus-
gewählte briefe 2, 117): 'Hier arbeitet niemand, wen nicht der hunger dazu treibt.
Alles wimmelt von ardelioneu, deren einziges geschäft ist, zu machen, dass andere
ehrliche leute ebenso wenig tun können als sie selbst'; ähnlich an Jacobi aus Weimar
am 15. august 1774 (Jacobi, Auserlesener briefwechsel 1, 170): 'Sie erinnern sich
doch noch aus Ihrem Phaedrus der ardelionen, die immer in hewegung sind und
doch nichts tun? Diese ardelionen sind die hoüeute'. Auch der bearbeiter der
briefe an Jacobi kannte seinen Phaedrus nicht, denn er druckt beidemale 'aedelionen'.
GEftlNG ÜBER SiEVERS, DIE EDDALIEDER 9B
Wir literarhistoriker aber sollen uus aufs neue immer wieder Horazeua regel
gegenwärtig halten : Vos exemplaria graeca (in diesem falle latina) nocturna ver-
sate manu, versate diurna.
JENA. ALBERT LEITZMANN.
LITERATUR.
Die Eddalieder klanglich untersucht und herausgegeben von Eduard Sievers.
[Abhandlungen der phüologisch-historischen klasse der sächs. akademie der
Wissenschaften. Band XXXVII nr. 3.] Leipzig, Teubner 1923. (11;, 188 s. gr. 8.
E. Sievers ist bekanntlich seit einer reilie von jähren bemüht, auf grund von
ihm entdeckter oder vervollkommneter Untersuchungsmethoden die ganze altger-
manische metrik auf eine neue basis zu stellen. Diese methoden, die den forscher
angeblich auch in den stand setzen, die frage nach der heimat jeder einzelnen
dichtung mit Sicherheit zu entscheiden und Interpolationen zweifellos zu erkennen,
hat Sievers bereits in seinen Metrischen Studien IV, 1 (Leipzig, 1918) auf die Här-
barjisljöt) und die Lokaseuua angewandt, und es folgt nun in dem vorliegenden
buche eine ausgäbe der Edda, in der nur die Svipdagsuiyl, der Grottasgngr und die
in prosaschriften zerstreuten, wenig umfangreichen bruchstücke fehlen. Prüfen wir
an einzelnen beispielen, was bei dieser umstürzenden neugestaltung des textes
herausgekommen ist, und ob die ergebnisse annehmbar sind.
Die Gripisspü galt bisher als ein einheitliches, von Interpolationen un-
berührtes gedieht isländischer proveuienz. Nach Sievers ist sie dagegen ein gemisch
von norwegisch und isländisch, und zwar wechseln nicht nur norwegische Strophen
mit isländischen, sondern häufig fällt die Scheidung zwischen den beiden mundarten
mit der helmiuggrenze zusammen, so dass also die erste halbstrophe einem nor-
wegischen dichter zugeschrieben wird, die zweite einem isländischen oder umgekehrt.
Wie dieses sonderbare mosaik zustandegekommen sein soll, verrät uns der heraus-
geber nicht; ich könnte mir nur eine — allerdings sehr unwahrscheinliche — mög-
lichkeit denken, nämlich die, dass zwei befreundete dichter, ein Norweger und
ein Isländer, sich den jux gemacht haben, das lied gemeinsam zu verfassen, und,
wie bei dem bekannten gesellschaftsspiel, entweder von strophe zu Strophe oder
von helmingr zu helmingr miteinander wechselten. Doch wie dem auch sein möge,
jedesfalls war es die absieht der beiden autoren, ein regelmässiges gedieht zu ver-
fassen. Denn wenn es auch glaublich ist, dass Norweger und Isländer sich durch
die klangfarbe der gesprochenen rede unterschieden (wie z. b. heute das ge-
sprochene norwegisch eine von dem gesprochenen schwedisch und dänisch deutlich
abweichende modulation besitzt), so hat doch diese Sprachmelodie niemals die Um-
gestaltung eines bestimmten metrums verursachen können: wer dichten wollte,
und gar in einem so allgemein bekannten und häufig benutzten metrum, wie das
fornyröislag es ist, der musste, mochte er ein Norweger oder ein Isländer sein,
den gesetzen dieses metrums, die sich aus hunderten von Strophen ablesen lassen,
gehorsam sein, wenn er nicht als ein skäldfifl verspottet werden wollte. Ich halte
es daher für völlig ausgeschlossen, dass solche unverse, wie sie Sievers in seinem
texte zu dutzenden drucken liess, verse, die überdies die merkwürdige eigentümlich-
keit haben, dass sie durchweg, ohne die Wortfolge zu ändern, mühelos in korrektes
Ö4 Uering
fornyröislag- mit regelmässiger alliteration sich umschreiben lassen — also in die
form, die wir in allen früheren ausgaben finden — , jemals produziert werden konnten,
und ich bin überzeugt, dass die meisten kenner altnordisciier diclitung mir ohne
weiteres zustimmen werden '.
Das gesagte möge durch einige proben erläutert werden. Grp str. 1 (man
vergleiche eine beliebige ältere Eddaausgabe) erscheint bei Sievers in der folgen-
den form:
'Uvlrr bi/ggir her börgir öessarY
hvat dann pjopkonumj Jn^gnar nefnai"
'Gripir heitir gihnna stjöri sä er
fdstri rcfÖr földu ok p^gmun'.
Diese 'besserung' (in der z. 2 und 4 zäsurlos sein sollen) wird dadurch erkauft, dass
1. z. 3a 6 Silben erhält; 2. z. 3b alliterationslos wird; 3. die relativpartikel er die
hebung tragen muss, was ich für ebenso viele Unmöglichkeiten halte. Z. 2—4 sind
überdies so holprig, dass ich sie auch einem minder gewandten dichter nicht zu-
trauen kann.
Schlimmer noch ist der str. 9 mitgespielt worden:
'Fi/rst montu, fi/lkir, f^Öur um Mfna,
ok Ef/lima dllz harms re'kä :
pü nuint harda Hi'mdings sönü snjdlla
fella, »lünt sigr hdfä /'
Gegen diese 'restitution' ist folgendes zu sagen : 1. hinter Et//i»ia muss interpungiert
werden ('du wirst deinen vater und den Eylimi rächen, für den ganzen kummer
räche nehmen') und daher liegt hinter dem nameu offenbar die mit unrecht ge-
leugnete Zäsur; 2. 3b alliteriert nur in sich selbst, nicht mit 3a, was durchaus
gegen die regel ist; 3. z. 4 ist ohne Stabreim; 4. dass das hilfsverbum in zelle 3
und 4 eine hebung tragen sollte, das darauffolgende nomen aber nicht, ist ganz
unglaublich und würde eine überaus mangelhafte teciinik verraten. Dagegen ist
alles in schönster Ordnung, wenn man den bisherigen text unverändert lässt.
Ebenso halte ich die Jierstellung von str. 10 für verfehlt:
'SegÖü, Ur könioigr, lettingi, mi'r
heldr hdrskliga, ir vip hngat mtelom:
ser /)il Sü/xrdar snör brögP fi/rir
dtiu er htest
fdra niid Ji/iiniis skäiitumf"
Hier ist folgendes zu beanstanden: 1. in der angeblich zäsurlosen z. 2 ist ein iktus
auf die konj. er gelegt, nicht aber auf das reimwort hugat (die alliteration, die man
bisher als den zuverlässigsten Wegweiser für die abgrenzung der verszellen und die
Setzung der ikten betrachtete, ist ja neuerdings für SIevers gänzlich irrelevant!)
1) Man kann auch anders argumentieren, um zu demselben Schlüsse zu ge-
langen: von den 53 Strophen der Grp sind auch in dem texte von Sievers, wenn
man von geringeren entgleisungen absieht, 49 korrektes fornyrölslag, und es ist
daher höchst wahrscheinlich, dass auch die übrigen 4 In demselben metrum abgefasst
sind. Diese Wahrscheinlichkeit wird dadurch zur gewisslielt, dass die Strophen 1
und 9—11 sich ohne weiteres in das l)ekannte metrum umschreiben lassen, wobei
alle Sonderbarkeiten und fehler in fortfall kommen, an denen man in dem neuen
heratellungsversuche anstoss nehmen musste.
I
ÜBER SIEVKRS, die EDDALIED^U Ö5
und die ganze zeile ist höchst ungeschickt (ein erträglicher rhythmus würde erst
durch Streichung des vip geschaffen); 2. die athetese von z. 3 und die ansetzuug
einer lücke in z. 4 erscheint völlig unmotiviert; 3. die zäsurlose z. 5 ist ohne
Stabreim. Alle diese Unmöglichkeiten fallen fort, wenn wir der Überlieferung und
den bisherigen ausgaben folgen.
Ich schliesse gleich noch die IL, sehr stark verunstaltete strophe an:
'Mondu einn vegä 6nn enn fruna dann er
yrüöiiyr liygr ü Gnitaheidi:
ßu munt badum at bdna veröa, Regin
oh Fufni: rett segir Gripir !''
Es wird kaum einen germanisten geben, der den neuen text dem alten vor-
ziehen wollte. Dass das den relativsatz einleitende pron. mit der partikel er (die
wieder einmal die hebung tragen muss !) nicht an den schluss von z. 1 gestellt
werden darf, dass in z. 2 die stabreimeuden silben yräd- und Gnit- die hauptikten
tragen müssen, die praepos. « dagegen nicht fähig ist, die hebung auf sich zu
nehmen, dass die beiden durch ok verbundenen eigennamen nicht auseinandergerissen
werden können, liegin vielmehr, wie die alliteration beweist, in die vierte zeile
gehört — das alles waren früher für jedermann (und auch für Öievers selbst) selbst-
verständliche dinge, die ich auch heute noch für selbstverständlich halte.
Dasselbe Hesse sich noch über zahlreiche andere, von Sievers hergestellte
Strophen sagen, z. b. über HH I 31. 32, die ich als ein besonders abschreckendes
beispiel noch anfüge. Diese beiden Strophen erscheiuen bei Sievers in folgender
gestalt :
En peim sjtdfnm Sigrün o/an fölkdjörf um barg
ok fdri peira : snöriz ramllga
Run ör hendi gjul/rdyr könungs
at Gnipalundi, svut par um dptan
I Unavugnm flaust fagrbtdn
fijöta knättu, en pur sjtllßr
fra Svarinshdugi mep hermÖar-hüy
her könnudu. Fra gop)börinn . . .
Neben vielen anderen Unmöglichkeiten, die uns schon in den frühereu zitaten
begegnet sind, wird uns hier noch die Ungeheuerlichkeit zugemutet, dass die kon-
struktion aus einer strophe in die andere hinübergreift.
Für höchst bedenklich halte ich auch die von Sievers postulierten langverse
mit zwei Zäsuren. Rm 3 und 4, die schon Bugge u. a. für unecht erklärt haben,
bezeichnet Sievers als eine isländische Interpolation, und dass wir es mit einem
späteren einschub zu tun haben, ist in der tat sehr wahrscheinlich. Aber ich kann
nicht verstehen, warum diese beiden atrophen nicht ebenso gut Ijööahättr sein
sollen wie 1 und 2. Der 3. teil der vier langzeilen alliteriert nur in sich selbst,
hat also das volle anrecht darauf, als eiuzelzeile zu gelten, und es ist völlig un-
begreiflich, warum 3* Itf { lypa s^lum anders beurteilt werden soll als die gauz
gleich gebaute z. 1* flnn mer lindar loga. Dasselbe wäre zu Fm 11 zu sagen (wo
schon Bugge die erste vollzeile durch einsetzung des Wortes erlQy gewiss richtig
ergänzt hat), ebenso zu Fm 18 und 19 (wo die einleuchtende besserung galzt statt
gazt vermutlich 'klanglich' nicht befriedigte), zu 2U. 30 usw. Die ganzen Vaf-
90 nERING ÜBER SiEVERS, DTE EDDALIKUEU
ljriiönism(»l sind nach Sievers iu diesem phantasiemetrum abgefasst, das wir ruhig
ablehnen dürfen, um uns mit dem alten wohlbekannten Ijööajjättr zu begnügen.
Es ist dem herausgeber auch widerfahren, dass er, seineu klanglichen theorieu
zuliebe, Verstösse gegen die grammatik begieng. Hym 3 * lautet in den hss. :
panns (ßann E) ek ((er Ä) QÜiim ypr gl (gl i/pr R) of heita {heiti A)^
und Sijmons schrieb mit leichter ändcrung:
Jjanns pHom i//jr gl of heitak.
Sievers ändert gl in glvi. Diese konjektur werde ich so lange für verfehlt ansehen,
bis man mir nachweist, dass das denominative traüsitivum heita 'herss machen,
brauen' jemals mit dem dat. konstruiert worden ist. Ungrammatisch ist ferner
Vkv 41^- * (Sievers 39 b):
btp du Bgpvildi, meyna brähißto,
gdnga fagrtärip vip fgöv.r rieÖa !
Die herausgeber haben daher geändert; ich schrieb:
bip Bgpvildi ena * brdhvitu,
gangi ■^ fagrvarip • vip> fgpur rSpa,
Heusler (bei Neckel):
, bijj JjH Bp/jvildi brdhvita ganga,
fagrvarpa mey, vip fgjmr ropa;
Sievers lässt dagegen (wieBoer!) die unmögliche konstruktion bestehen, vermutlich,
weil ihm die zeilen melodisch keinen anstoss erregten; ebenso (gleichfalls wie Beer!)
Hm 22* (28 b):
1 blööi brugnar Itgn lomip ör hnusii Gütna,
was Neckel durch die einsetzung von vus (vor komij)) besserte, während ich den
überlieferungsfehier in der ersten halbzeile vermutete (bl6p bragnar öjm). Endlich
ist auch frk 32'- (wiederum wie bei Boer!) ein grammatischer fehler (den Sievers
in den 'Proben' verbessert hatte!) stehen geblieben:
di'äji haitii iiia dldnu jgtna sysfnr
hol er (lies: hinas od. es) brR/jf?ar itiii bcOit hdfdi.
Man könnte noch hunderte von dingen beanstanden. Z. b. dürfte man fragen,
wodurch es sich rechtfertigt, dass ikten mit Vorliebe auf das 2. glied von compositis
(selbst wenn das 1. träger des Stabreims ist !) oder auf schwere ableitungssilben
gelegt werden, dass präpositionen, konjunktionen, encliticae (z. b. die angehängte
negation) für fähig erachtet werden, die hebung zu tragen, dass mit dieser sogar
üexionssilben beglückt werden {röpit er of räp, rlklr ero komnir), dass auslautende
vokale, die bisher als kurz galten, als längen angesetzt worden sind {smradi, ekkl,
Vera) usw. usw. Doch ich breche ab, da das vorstehende genügen wird, um mein
urteil über diese revolutionäre Eddaausgabe zu motivieren.
Sievers verlangt von dem leser, dass er seine experimente mit benutzung
der von ihm gebrauchten hilfsmittel (die vielleicht imstande sind, leute, die für
solche einwirkungen empfänglich sind, zu hypnotisieren), dem unten dicken und
oben dünnen taktstocke, den optischen Signalen usw. nachprüfe. Ich für meine
1) Das hsl. meyna ist unmöglich, weil das nomcn an der alliteration teil-
nehmen musste und der angehäugte artikel in der dichtung hohen stils nicht ver-
wendet wird.
2) So änderten bereits v. d. Hagen und Finmir Jönsson.
VOGT CBEU KITTEKSIIAUS, FRAU DR. ADELINE 97
person imiss diese forderung ablehnen, da ich die ganze raethode für völlig un-
brauchbar halte. Sie wird durch die fruchte, welche sie zeitigt, gerichtet, denn
weil sie zu so haarsträubenden ergebnissen führt — ergebnisseu, die den grundsätzen
besonnener philologischer Untersuchung und den sicher festgelegten gesetzen der
verskunst und grammatik geradezu ins gesiebt schlagen — , muss sie notwendiger-
Aveise falsch sein.
Ed. Sievers war es, der uns durch seine bahnbrechenden Untersuchungen,
deren ertrag er in seiner ausgezeichneten Altgermanischen metrik zusammenfasste
{die ich nicht, wie der autor selber, als antiquiert betrachte, sondern immer noch
^Is ein 'kanonisches' buch ansehe), das wissenschaftliche Verständnis der alliterierenden
verskunst zuerst eröffnet und dadurch alle seine fachgeuossen zu unauslöschlichem
danke verpflichtet hat. Ich glaube diesen dank am besten dadurch zu betätigen,
dass ich gegen alle Schädigungen des stolzen und, wie ich hoffe, unzerstörbaren
Werkes (auch gegen die von dem begründer selbst unternommenen) entschieden und
energisch front mache.
KIEL. HUGO GERING.
Rittersliaus, Fr;iu Dr. Adellne, privatdozent an der Universität Zürich, Alt-
nordische frauen. Frauenfeld und Leipzig, Huber & co. 1917. 240s.
Dies buch ist von einer frau für unsere frauen geschrieben. Und so werden
in ihm die altnordischen Verhältnisse und Charaktere mit den äugen unserer frauen
gesehen. Das ergibt für den, der sich in die aisl. weit und vorstellungsweise einge-
lebt zu haben glaubt, einen fremdartigen eindruck: gerade, was die saga verschweigt,
wird gesagt, und gefühle, die sie kaum erreicht, deutlich ausgesprochen. Es mag gut
sein, dass die auch in guten Übersetzungen schwer verständlich bleibende altnordische
weit in dieser verdoTmetschung an die leseriunen hemngerückt wird. Warum werden
dann aber so innige züge wie das verschen der tördis Ljösv. s. c. 5, Helgas abschieds-
blick Gunnl. s. c. 14-, die idylle von den beiden J'öras Sturl. s. hg. Kälund I, 248 ff.
nicht aufgenommen? Der druckfehlerteufel gibt der weisen Audr den weisen Ölafr
zum manne s. 9U; ist er's auch, der für den altnoniischen nanien Griss unser ß bemüht
s. 27 ? Die darstellung des altnordischen frauenlebens in der einleitung von 88 s.
bedurfte unbedingt einer heherrschung durch überragende gedanken. — Nun, damen
lesen das buch gern, die aus den sagas gezogenen einzelnen 'frauenleben' gefallen,
und so erreicht das buch wohl seinen zweck.
MOYS B. GÖULirZ. SV. H. VOGT.
Friedrich Michael, Die anfange der theaterkri ti k in Deutschland.
Leipzig, H. Haessel 1918. IV, 110 s. 4 m.
Es ist eigentlich nur die einleitung zu einem buche, das erst kommen soll,
wie es ja auch der titel ausdrückt: 'Die anfange der theaterkritik in Deutschland'.
Wie aber schon die Volksweisheit erkannt hat, 'aller anfang ist schwer', so ist auch
hier für das ganze gebiet der Untersuchung über die deutsche theaterkritik das
schwere, der anfang, geleistet. Die ersten regungen einer erscheinung nachzuweisen,
führt immer in noch unergründetes gebiet, und mit besonders vielem versagen
eines erfolges wird der forscher da zu rechnen haben; zumal auf einem gebiete,
dessen ernste ergebnisse von der Wissenschaft noch so umstritten und augezweifelt
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. P.D. L. 7
98 DKVUIKNT
werden wie die der deutschen theatergescliichto, eines jungen Wissenszweiges, der
sich mit einer kunst beschäftigt, der die ästhetik und die geschichtswissenschaft
noch heute oft das recht des daseins bestreiten möchten, vielleicht, weil ihre grund-
lagen so tief in allen lebensäusserungen der menschlichen natur wurzeln, dass sie
gerade in ihren höchsten leistungen, der abspiegelung des menschen von aussen und
von innen, ganz selbstverständlich zu sein scheinen, und dass das geheimnis dieser
kunst wohl vor allem auf der engen Verbindung von kunst und natur beruht.
Noch immer streiten wir uns um die bestimniung der anfange der deutschen
bühnenkunst und ihres besonderen gebietes, der Schauspielkunst; da ist es nicht zu
verwundern, dass Friedrich Michaels forschen nach den anfangen einer kritik dieser
kunst nur so selten durch freudiges finden belohnt wird. Mit viel fleiss und Spür-
sinn durchsucht er das wenig bebaute land, und die ausdauer bei der schwierigen
arbeit an oft recht entlegenen, schwer zu findenden quellen ist im dienste der
erkenntnis der geschichtlichen Wahrheit um so anerkennenswerter, als sie fast immer
in diesen anfangen ergebnislos bleibt. Und es ist gut, dass sich M. durch den
geringen positiven ertrag nicht hat zurückschrecken lassen, ehe er sein feld bis
zum markstein der Hamburger dramaturgie durchfurcht hat. Denn auch das negative
ergebnis ist ein ergebnis: dass es nämlich vor Lessing in Deutschland überhaupt
noch keine theaterkritik gegeben hat. Was sich auf den 1C4 Seiten von Michaels
büchlein zum gegenständ und was sich nebenher ergibt, ist oft wissenswert genug.
In 6 kapiteln verfolgt M. sein ziel, gestützt vor allem auf W. Creizenachs 'Geschichte
des neueren dramas' und K. Borinskis 'Poetik der renaissance und die anfange der
literarischen kritik in Deutschland', durch viele ursprüngliche und abgeleitete quellen
hindurch, zu denen er sicherlich in friedenszeiten, wo alle wasser fliessen, noch
manche hinzugefunden hätte, ohne doch wohl im ganzen zu einem anderen Schlüsse
zu gelangen. Im Vorworte halte ich es nicht für notwendig und nicht für glücklich,
wenn der Verfasser in stolzer finderfreude als anhänget einer neuen wissenschaft-
lichen theatergeschichtlichen forschung ihre Vorläufer aus den kreisen 'dilettierendcr
theaterliebhaber' verachten zu müssen meint, denen unsere forschung eben doch die
ersten werke verdankt, die in wissenschaftlich kritischer methode wohl laien waren,
auf dem gebiete des theaters jedoch als künstlerische fachleute uns oft spuren ver-
rieten, von denen die gelehrtenweit nichts weiss. Man sollte nicht das einbringen
seines neuen fündleins mit dem billigen versuche einführen, die Vorgänger herab-
zuwürdigen. Ein grosses neues sollte so stark durch sich selbst sein und seine
inneren gründe, dass alles schwächliche und falsche, das vorher im wege stand, von
selbst umfiele beim nahen des neuen.
Es scheint natürlich, dass in all den Jahrhunderten, solange es noch keine
ernst zu nehmende bühnenkunst gab, auch ihre kritischen bcobachter nicht zu finden
sind. Und doch wäre es an sich nicht ausgeschlossen, dass sich gelegentlich, durch
begeisterung oder durch abscheu getrieben, vereinzelte stimmen gefunden hätten,
die uns vom auftreten eines mimen oder von der aufführung eines dramas einen
bericht hinterlassen hätten, der einen ästhetischen Standpunkt des heobachters ver-
riete. So, wenn (kap. I) aus sydonalbeschlüssen und stimmen von kirchenvätem,
aus glossaren und ritualen sorgfältig nach notizen über darstellungen des antiken
theaters gesucht wird, so, wenn das geistliche Schauspiel des mittelalters in den
kirchen nicht sicher ist vor dem spüren nach dem kritiker. Herrad von Landsberg
und Gerhoh von Reichersberg erzählen in ihren polemischen berichten wohl ein-
zelnes von den raysterienspielen ; von ästhetischem abstaudnelimeu eigentlicher kunst-
ÜBEK MICHAEL, DIE ANFÄNGE DER THEATEUKllITIK IN DEUTSCHLAND 99
kritik kann natürlich nicht die rede sein. Das II. kapitel führt in wohlunter-
richtetem überblick in die spalten der stadtchroniken mit ihren vermerken von
bürgerspielen hinein, kapitel III in die schulkomödie, kapitel IV zu den englischen
komödianten. So wenig ergiebig die spiessbürgerlichen oder hochgelehrten urteile
von geistlichen und laien der renaissance- und barockzeit rein künstlerisch auch
sind, so ist mit der allgemein zunehmenden wissenschaftlichen bildung doch die kritische
Stellungnahme wenigstens zu den literaturwerken auch auf dramatischem gebiete
gewachsen. Ganz anders aber lauten zur selben zeit schon wirklich kunstkritische
stimmen über theaterkunst in Frankreich, wie sie Fr. Michael aus Petit de Julle-
villes Histoire de theätre en France anführen kann; doch nur, um uns auch auf
diesem gebiete zu zeigen, wie Frankreich kulturell im mittelalter durchaus den
Vorrang vor Deutschland behauptet. Da steigen wohl unsere mhd. höfischen dich-
tungen oder die bauten romanischer und gotischer dome zum vergleiche vor uns auf,
mit ihren grundlagen in Frankreich fussend, ihre spitzen im deutschen ströme
spiegelnd. Freilich bleibt auf dem kunstkritischen, besonders theaterkritischen felde
Deutschland die nachfolge, nachahmung und Vertiefung ganz schuldig, die es in
poesie und baukunst so wundervoll über das pfadfindende Frankreich hinaushebt.
Ahnlich bietet Etigland zur zeit der englischen komödianten ebenfalls schon ausätze
zu einer bühnenkritik, die um die gleiche zeit bei uns fehlt. Das England der
Elisabethanischen zeit ist ebqp wie das 'süsse' Fpankreich des 14. und 15. Jahr-
hunderts in bühnenkünstlerischer beziehung ein altes, reifes kulturland, in Deutsch-
land fehlt die jahrhundertlange durcharbeitung des bodens. Auf dem umwege der
gelehrten bildung aber, zum teil auch durch reisen einen Standpunkt des ver-
gleichens findend, kam dann endlich durch das wachsen der Wissenschaften auch
bei uns eine literarische kritik und spuren einer theaterkritik auf, zu der freilich
die fragwürdigen leistungen der englischen komödianten und ihrer uachfolger in
Deutschland allein noch nicht sehr reizen mochten, obwohl eine starke Wirkung
ihres auftretens, gelegentlich unbeholfen genug, bestätigt wird. Doch auch dann
noch ist die abhängigkeit des künstlerischen geschmacks und des literarischen
Urteils vom auslande für Deutschland bezeichnend. Vortreiflich zeigt das Michael
in seinem V. kapitel, theorie und kritik; Wo um die wende des 16. und 17. Jahr-
hunderts in der kritik Verständnis für theaterkunst sich zeigt, da ist es ein aus-
länder, wie der niederländische humauist Scaliger, der in seiner poetik die eindrücke
nicht deutscher, sondern französischer mystcrienspiele abspiegelt. Seine urteile
schreiben die deutschen poetiken des folgenden Jahrhunderts getreulich und ohne
jede eigene anschauung aus. Wie dürftig gebärdet sich den ausländem gegenüber
unser pedantischer Opitz in seiner 'Deutschen poeterei'. Viel mehr eigene Sachkenntnis
einer selbstgeschauten bühnenweit verraten die Nürnberger, wie Harsdörffer, bei
denen freilich neben der lust am spiele der englischen komödianten oper und Sing-
spiel aucli schon in den kritiken ihren siegeszug antreten, zu dem sich bald fast
alle künste vereinen. Die pracht der ausstattung ist es, die hierbei auch der kritik
anlass zu ästhetischer Würdigung bietet. So hält sich die stimme des urteilenden
Verstandes und der bildung bei den Deutschen noch fast ein Jahrhundert lang an den
aussenseiten, ja an den äusserlichkeiten der bühnenkunst auf, während ihr kern, die
szenische und gar die Schauspielkunst aus Verachtung ihrer träger oder aus Unver-
mögen der beurteiler unbeachtet bleibt. Auch der berüchtigte Hamburger opern-
streit, so eigenartige späne er für die religions- und kulturgeschichte im allgemeinen
abwirft, bringt keinen beitrag zur eigentlichen theaterkritik. Französische kunst-
7*
100 DKVRIENT CKER MICHAEL, DIE ANFÄNGE DEU THEATEUKRITIK IN DEUTSCHLAND
forderung bleibt massgebend, vorbildlicli und unerreicht, solange das theater in
Deutschland nicht für literaturfiihig gilt. Das ändert Gottsched. Er ist in der
theorie und in ernsten ausätzen der ausführüug der begründer der deutschen theater-
kritik, wie Lessing ihr erster meister ist. Sie sind beide eigentlich die ersten
gebildeten raänner der deutschen kulturgeschichte, die Schauspieler und theater
selbst kannten und so deren künste als eine eigene kunst zu würdigen verstanden.
Dazu gehörten freilich — das zeigt Michael in seinem letzten (VI.) kapitel als
schönstes ergebnis seiner ganzen Untersuchung — nicht nur die kritischen vorreden
und die betreifenden kapitel der 'Kritischen dichtkunst für die Deutschen', nicht
also nur büclior, die in der stnbe des gelehrten studiert, im boudoir der damen
durchstöbert wurden, sondern ein neues orgauon, das eindringlicher in den alitag
des geschäftigen ■Deutschen hineinrief: Zeitschrift und zeitung.
Und mit dieser erfindung schliesst die anfangsgeschichte der deutschen theater-
kritik ab. Denn nun ist jener unselige wechselbalg geboren, der unsrer ernsten
kunst des theaters der grösste helfer hätte sein sollen, und der in Wirklichkeit ihr
leider unendlich viel mehr geschadet, oft ihre schönsten keime und bluten zerstört
hat, die theaterkritik der tageszeitung. Bemerkenswert ist, zu beobachten, wie
sogar noch auf dieser schwelle zum ersehnten tempel deutscher theaterkritik immer
wieder, auch wo einmal ästhetische kritik versucht wird, eigentlich nur literarisch-
dramaturgische fragen untersucht werden, und kaum einmal darstellerische. Da ist
es bezeichnend, dass die stelle, wo schüchtern die leistung der darstellungskunst von
Gottsched einmal gewürdigt wird, von der ersten bedeutenden deutschen Schau-
spielerin unwillkürlich und unwiderstehlich hervorgerufen ist, von der Neuberin.
Sollte das nicht ein Sngerzeig dafür sein, dass eben bis dahin in Deutschland von
einer wirklichen Schauspielkunst noch keine hinreissenden beispiele geboten worden
waren ; wie hätte da eine ästhetik sich damit befassen sollen. Das kunstwerk, der
künstler muss immer — das gilt nun für die ganze folgezeit — eine kunstkritik
erst hervorrufen und nach seinen innersten trieben lenken ; nicht soll die gelehrte
betrachtungsweise richtung und werden eines kunstwerks erzeugen und bestimmen
wollen. Der künstler schafft, der gelehrte kann nur erklären. Das misstrauen der
ganzen künstlerschaft gegen das amt des kritikers hat in dem verkennen dieser
tatsache, so selbstverständlich sie an sich ist, seinen oft nur zu berechtigten psycho-
logischen grund. Aus dieser karapfstimmung der beiden aufeinander angewiesenen
gebiete erklärt sich doch auch mit, nicht nur aus mad. Hensels gekränkter eitelkeit,
das tiefbedauerliche abbrechen von Lessings eigentlicher theaterkritik, so dass auch
die 'Hamburger dramaturgie', unser berühmtes erstes, fast einzig dastehendes werk
dieses zweiges der ästhetik, auch wieder in eine poetik, eine besprechung der
dramen, freilich der aufgeführten, sich auflöst.
Möchte Michaels hauptwerk, auf das alle diese fragen in ihren ausätzen schon
in diesem büchlein als stimmunggebende grundakkorde hinweisen, von dem gleichen
echt wissenschaftlichen geiste der Vorsichtigkeit und Selbständigkeit des Urteils
getragen sein, wie es auf diesen blättern wohltuend geschehen ist, damit nicht nur
'der theatergeschichtler ebenso wie der literarhistoriker', wie M. es von diesem
ersten versuche über die anfange erhofft, daraus 'einigen nutzen ziehen kann',
sondern damit dieses werk auch, wie es die kritik immer soll, unsrer deutschen
bühnen- und Schauspielkunst selbst diene!
WEIMAR. irANS DEVRIENT.
STRAUCH ÜBER MAHRHOLZ, DEUFSCHK SELBSTBEKENKTNIS&B 101
"Werner Mahrholz, Deutsche Selbstbekenntnisse. Ein beitrag zur geschiebte
der Selbstbiographie von der mystik bis zum pietismus. Furche-Verlag. Berlin
1919. VII, 254 8. 8 m.
Die vorrede des hier besprochenen werkes begründet, wie der Verfasser zur
abgrenzung des von ihm behandelten themas gelangt ist. Ursprünglich weiter ge-
steckte ziele, die die aufnähme Goethes und seiner werke in der deutschen kritik
und im deutscheu publikura ins äuge fassten, nötigten zu vorarbeiten, die, um den
bruch zwischen dichtung und publikum um 1780 begTeiflich zu machen — man
denke an den erfolg des Werther, den misserfolg der Iphigenie — , gestützt auf
zahlreiche autobiographische äusserungen aus dem bürgertum, zu der erkenntnis
eines inneren Zusammenhanges zwischen der bürgerlichen lebensform und der ent-
wicklung der autobiographie führten. So gibt der Verfasser in diesem ersten bände
eine entwicklungsgeschichte deutschen seelentums, wie es sich auf der grundlage
mystischer religiosität im bürgertum ausprägt. Die bürgerliche lebensform, die sich
vom 13. Jahrhundert an aufsteigend entfaltet, bricht um 1600, in derzeit der gegen-
reformation, und dann während des dreissigjährigen krieges zusammen, um seit dem
ausgang des 17. und im anfang des 18. Jahrhunderts sich ganz allmählich neu zu
gestalten, zu verinnerlichen und zur jiöhe zu führen. Es sind wege, die uns schon
Karl Biedermann und Dilthey gewiesen, auf denen wir mit dem Verfasser fort-
schreiten, indem er die drei stufen der bürgerlichen geistesentwicklung an der band
autobiographischer aufzeichnungen zu veranschaulichen sucht. Er ist dabei mit
geschick vorgegangen und hat aus der reichen literatur, die nicht so leicht zu
erschöpfen ist (siehe die bibliographischen Zusammenstellungen s. 244 ff.), soweit ich
sehe, eine grössere reihe markanter typen, und zwar typen der entwicklung, denen
eine grössere bedeutung zukommt als den Individuen, den trägem der entwicklung,
ausgewählt. Nachdem er einleitend das wesen des klein-, mittel- (man wünschte
eine geschmackvollere bezeichnung!) und grossbürgertums charakterisiert sowie den
wert der Selbstbiographie als geschichtlicher quelle besprochen, schildert er im ersten
buche zunächst den frühindividualismus und die entstehung der autobiographischen
typen. In Mechthild von Magdeburg strömt als einer der ersten das ichgefühl stark
aus bei immerhin möglichst objektiv gehaltener darstellung, bei Sense steht die
künstlerische form, bei Margareta Ebner die psychologische im Vordergrund. Seit
dem 14. Jahrhundert gibt auch das reisen mehrfach anlass zu schriftstellerischer
Selbstbetrachtung; die beweggründe können dabei verschiedenster art sein. Pilger-
reisen nach dem heiligen lande, aus religiösem bedürfnis unternommen, regen zur
aufzeichnung des äusserlich und innerlich erlebten an, doch bleibt die darstellung
anfänglich stark konventionell ; aber auch der aus abenteuerlust reisende (Philipp
von Hütten), der künstler (Dürer), der kaufmann (der Ulmer Ulrich Krafft), der
forschungsreisende (Leonhart Rauwolf aus Augsburg) fühlt den drang dauernd fest-
zuhalten, was ihm fahrten in ferne lande an eindrücken, erfahrungen und kennt-
nissen eingetragen haben. Das tägliche leben, die stoffquelle für die eigentliche
hauschronik, ist dem Nürnberger Ulman Stromer gegenständ der betrachtung, in
noch reicherem, persönlicherem masse ein Jahrhundert später für den Augsburger
kaufmann Burkhard Zink, im 16. Jahrhundert für die beiden Schweizer Thoraas und
Felix Platter. Lebensinhalt und darstellung bewegt sich in grossbürgerlichera sinne
in aufsteigender linie (s. 58 ff.). Das öffentliche leben ruft verteidigungs- und recht-
fertigungsschriften politischer und religiöser natur hervor; es sind die anfange einer
memoirenschreibung, die bis ins 14. Jahrhundert zurückreicht (Kazmair, Arnecke
102 ^ * STUAIU^II
Götz von Berlicliingen) und in den ausfiihrliclion aiifzeicbnunffcn Bartholomaeus
Sastrows den hohcpunkt grossbürgorlicher selbstdarstclluiig vor dem dreissigjährigeu
kriege erreicht.
Seit dem ansgang des 16, jahrlmndorts und vollends während des grossea
krieges im 17. Jahrhundert lässt sich, durch die verschiedensten Ursachen bewirkt,
ein niedergang des bürgertums, und damit des volksgeistes erkennen, das gross-
bürgertum bricht zusammen, der raittelstand schaltet aus; auch die autobiographik
verliert an bedeutung, vermag sich doch nur eine traurige Wirklichkeit in ihr wider-
zuspiegeln: die typen gehen verloren, die darstellungsmittel sind einseitig und un-
beholfen. Der Verfasser schildert diesen verlauf in dem zweiten buch seines Werkes
und sucht ihn aus den wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen zu erklären.
Der Individualismus wird in seiner entwicklung vielfach gehemmt, zu vernichten
war er freilich nicht, und wir begegnen ihm später aufs neue, nun vertieft und
nachhaltiger in seiner Avirkung. Den haus- und familienchroniken des 17. Jahr-
hunderts fehlt der weite blick, sie beschränken sich zumeist auf das, was die eigene
persönlichkeit angeht, und was sich im engen kreise der familie abspielt. Dem
kleinleben des tages gilt das hauptinteresse, wir vermissen das geistige, seelische,
die innere wärme. Einige aufzeiclmungen dieser art werden s. S8 ff. analysiert, unter
ihnen die des Augsburger stadtliaumeisters Elias HoU. An sich durchaus nicht un-
bedeutende persönlichkeiten, stehen sie als selbstbiographen doch unter dem druck
ihrer zeit. Andererseits freilich wurde ebendadurch der sinn für verinnerlichung
und Versenkung ins eigene leben geweckt, religiöser selbstbetrachtung geneigt
gemacht. Aber die religiosität des barocks war eine andere als die des reformations-
zeitalters. War diese 'gemeindebildend' gewesen, so wurde jene eine angelegenheit
des einzelnen, die in glaubeiisbekenntnis und glaubensverteidigung oder in mystik,
ckstase uud vision ihre ausdrucksform fand. Als beispiele der ersteren gattung hat
M. die aufzeichnungen des astronomen Keppler sowie die aus Arnolds kirchen- und
ketzerhistorie bekannten äusserungen des Schwärmers Felgenhauer und Peter Moritzens
aus Halle gewählt, die zweite gattung ist durch Greulich, den niederländischen
bauern Hemme Hayen und Quiriuus Kuhlmann (nicht Kühlmann) vertreten.
Es brauchte zeit, um nach dem dreissigj ährigen kriege — und damit setzt
das dritte und' letzte buch ein — die freude am dasein im deutschen bürgertum neu
zu beleben, ihm die lebenszufriedenheit wiederzugeben, den einzelnen zur selbst-
fichilderung anzuregen. Ähnlich wie im 15. Jahrhundert verlaufen auch jetzt die
phasen der entwicklung, doch sind die aufzeichnungen lebendiger, die Verfasser
mitteilsamer; das äussere, zwar immer noch engbegrenzte leben, falls nicht eindrucks-
vollere erlebnisse der jugend- und wanderjahre oder sonstige reisen abwechslung
gebracht haben, bleibt nach wie vor die hauptsächlichste stoffquelle, das innere
leben äussert sich wenn überhaupt nur nach. der religiösen seite hin als fromme
betrachtung. Erst der pietismus erhebt die autobiographie zu einer im höheren
sinne literarischen gattung. Der Verfasser lässt wieder Vertreter der einzelnen
stände als typen an uns vorüberziehen: den gelehrten von beruf (J. Fr. Reimmann,
nicht Reinmaun), rausiker wie Mattheson, Dreyer, Franciscis, Printz und Telemann,
den pfarrer J. L. Hocker, den handwerkermeister Job. Dietz, und sucht die eigenart
ihrer darstellung zu veranschaulichen. Die frommen autobiographen des pietismus
sind Spener, Francke, das ehepaar Petersen, Spangenberg, das moralische motiv
tritt bei Haller und Geliert in den Vordergrund, das rein dichterische bei Sclinabel
und Günther: für den Verfasser der Insel Felsenberg und den lyriker Günther ist
ÜBER MARHOLZ, DEUTSCHE SELBSTBEKENNTNISSE 103
die 'seelenaufrüttelnde gestalt' des pietismus 'die Voraussetzung ihrer individua-
lisstischen darstellungsweise'. Günthers lyrik ist zum grossen teil poetisches Selbst-
bekenntnis im sinne Goethes, die Insel Felsenberg eine Sammlung von autobio-
graphicn, deren Schema in der m ehrzahl doch wohl reale begebenheiten verwertet. —
Für den pietismus als romantik hat der Verfasser Hamann, Jung-Stilling und Bräcker
als typen gewählt. 'Die erhabenheit Hamanns, die moralisch-deduktive betracht-
samkeit Stillings, die idyllische frömmigkeit Bräckers: damit sind die möglichkeiten
des Spätpietismus erschöpft, die auflösung der frömmigkeit in reine romantik, in
gefühlsscliwelgerei und skepsis sind die nächsten stufen der entwicklung'. Mit ihnen
beschäftigt sich das schlusskapitel: Die psychologische autobiographie. Sie ist aus
frommen betrachtungen erregter und erweckter uaturen hervorgegangen, für die
das innere erlebnis das entscheidende ist, das zur aufzeichnung drängt. Aus den
Sammlungen solch frommer Selbstbekenntnisse, deren wir manche besitzen (Scrivers
Seelenschatz, Teerstegens Auserlesene lebensbeschreibungeu heiliger seelen, Gerbers
und Eeitz' Historie der wiedergebornen), gibt der Verfasser charakteristische proben
aus dem Eeitzschen werk, um dann an Adam Bernd und Lavater zu zeigen, Avie
die frömmigkeit, der moralisraus sich mehr und mehr in psychologische beobachtung
auflöst, bis schliesslich unter dem einfluss des rationalismus — die darstellung der
rationalistischen autobiographie behält sich der Verfasser in anderm zusammenhange
vor (s. 244) — das religiös-moralische moment völlig ausgeschaltet wird, wofür
K. Ph. Moritz als geeignetster typus gelten kann: sein Anton Eeiser ist der erste
psychologische roman in Deutschland, sein Verfasser 'der erste deutsche psychologe',
(las wort in seiner modernen bedeutung genommen, wie das von Moritz in den
Jahren 1786/8 herausgegebene Magazin für erfahrungsseelenkunde als erste psycho-
logische Zeitschrift angesehen werden kann. M. legt daraus s. 224 ff. einige äusserst
lehrreiche exzerpte vor, die zeigen, dass Moritz mit seinen bestrebungen nicht allein
stand: die menschliche seele wird seit der zweiten hälfte des 18. Jahrhunderts nicht
mehr religiös-moralisch gewertet und gedeutet, sondern im sinne der aufklärung
beschrieben und zergliedert, ihre 'falschen empfindungen', 'ihre sentimentalen er-
lebnisse, denen keine geistige realität entspricht' werden als krankhaft erkannt, die
blosse existenz des Individuums aber wird andererseits 'schon als wert, ja, als der
wert schlechthin empfunden'.
Die anregende schrift schliesst mit dem hinweis, dass, so sehr auch Moritz
und wohl auch Stilling mit ihren autobiographien auf Goethes lebensbeschreibung
eingewirkt haben mögen, 'die weltweite Goethes von der engen begrenztheit Stillings
und von der insichgekehrtheit Anton Reisers' weit abstehe, der weg noch lang sei,
'ehe man die Goethische autobiographie als das glied einer organischen entwicklung
zu erkennen vermöge'. Der Verfasser soll uns als führer auf diesem noch zu be-
schreitenden pfade willkommen sein !
Den anraerkungen, die die belege für die exzerpte zusammenstellen, bat der
Verfasser ein Verzeichnis von autobiographischen aufzeichnungen bis zum ausgang
des 18. Jahrhunderts beigefügt mit der bitte um Vervollständigung. Über die grund-
lage der Selbstbiographie handelt auch K. Jahn in den Geisteswissenschaften 1,28 ff.
Freytag, der schon in den Bildern 4^, 29 ff. Petersens und seiner gattin lebens-
beschreibung verwertet hat, gab ebenda 3^ 123 ff. auszüge aus den fragmentarisch
auf uns gekommenen niederschriften des pfarrers Martin Bötzinger sowie aus den
lebensaufzeichnungen Ernst Friedrich Haupts (4^ 325), des vaters von Moriz Haupt,
und Christ. Wilh. Heinrich Sethes (4^, 376), die beiden letzteren sind bisher un-
lOi liOlUNSKl ÜBEU Lr:iTZMANK, QUEI.LENSCIIKUTEN ZUJl DEUTSCHEN LIIERATUR
gedruckt geblieben; Jakob von Axeus Haus- und familienbuch (gleichfalls hand-
schriftlich) erwähnt 0. Beneke in seineu Hamburgischen geschichten und denk-
würdigkeiten *1886 s. 478. — Erinnerungen des Schauspielers J. A. Christ ei schienen
1912 unter dem titel: 'Schauspielerleben im 18. Jahrhundert', zum erstenmal ver-
öffentlicht von R. Scliirmer. — s. li. Neben Hildegard von Bingen durfte nocji
Elisabet von Schönau (siehe Afda. 12, 25 ff.) ihrer ausgesprochenen und temperament-
vollen persönlichkeit wegen genannt werden. — s. 16. Die authentizität der Seusi-
schen vita ist neuerdings verdäclitigt worden; ich hoffe darüber demnächst eine
Untersuchung eines meiner schüler vorlegen zu können. — s. 20. Das citat aus
Preger stammt nicht aus Seuse, sondern betrifft eine briefstelle Heinrichs von Nürd-
lingen. — s. 22. Siehe jetzt auch L. Zoepf, Die mystikerin Margareta Ebner.
Leipzig 1914. — s. 61 z. 11 v. u. lies anm. Gl, s. 64 z, 3 v. u. anm. 61. — s. 93
z. 1 V. u. ,ein beiher' (= eine untergeordnete angelegenheit) ist doch eine recht
unschöne Wortbildung! — s. 138 'Der reisende gerbergeselle', Liegnitz 1751, hat
den ratskämmerer Samuel Kleuner zum Verfasser, siehe Mensel, Lex. 7, 79.
HALLE A. D. S. PHILIPP STRAUCH.
Quellenschriften zur neuereu deutschen literatur herausgegeben voa
Albert Leitzmann. Nr. 7. Histoire du Cid. Nach der ausgäbe von 1785
herausgegeben von Albert Leitzniaun. Halle a. S. 1916. VI, 142 s.
Zu dem abdruck Köhlers (1867), Voegelins (1879) und zu den Zusammen-
stellungen Redliclis in Suphans Herderausgabe (28, 564) tritt hier ein neuer druck
der französischen quelle Herders im zweiten Juliheft der Bibliotheque universelle des
romans s. 3—176; verbunden mit der romanzensammlung Sepulvedas Bomances nneva-
rnente sacades de historias antiguas de la cronica de Espana (Antwerpen 1551), die Herder
von der Göttinger bibliothek an stelle des nicht erhältlichen Escobar, des Stützpunkts
des Franzosen (Couchut?); sowie den ersten neun romanzen aus dem französischen,
der romantischen geschichte des Cid, die der Neue deutsche Merkur von
1792 I 199—215 (februar) mit der Zeichnung S. brachte, unter dem man schon früher
(vgl. Hans Lanibel, Herders werke II, XXXIX in der Deutschen nationalliteratur Nr. 75)
wie der Verfasser bemerkt 'allerdings ohne zwingenden grund' einen der Seckendorfs
hat sehen wollen. Voegelin hat für die schlussromauzen, wo die französische quelle
fehlt, einen andern spanischen text benutzt, als den von Herder gebrauchten Sepulveda
und hat infolgedessen unnötige und unhaltbare konjekturen vorgeschlagen. Indem
der neue herausgeber jetzt die richtige quelle gibt, erhofft er 'eine ins einzelne
gehende vergleichung Herders mit seinen vorlagen', die 'noch immer ein wünsch der
forschung bleibe, zumal Herder auch in seine endgiltige fassung der aus der fran-
zösischen prosa hergeleiteten stücke einzelne motive spanischer romanzen eingefügt
hat', (s. V). Zu der einleitung der französischen prosa (bis s. 19) hat der heraus-
geber auf s. VI die vorkommenden gelehrten bezüge und zitate nachgewiesen ; sowie
Geibels Übersetzungen (Gesammelte werke 8, 164, 235) zweier darin vorkommender
romanzen.
MÜNCHEN. KARL BORIXSKI (t).
r.ORINSKI ÜBER BGRCHERDT, liUCHNER UM) DIE DEUTSCHE LITERATUR 105-
Aujrustus Büchner und seine bedeutung für die deutsche literatur
des 17. Jahrhunderts von Dr. Haas Heinrich Borcherdt, privatdozent an
der Universität München. München, 0. Beck 1919. VII, 175 s.
Diese scbrift, die 1914, 15 der Müncheuer fakultät als habilitationsschrift
vorlag, ist in den ersten 6 bogen 1915 gedruckt worden; in den übrigen fast 5 bogen
später mit kürzungen, zu denen der Verfasser, 'dem buche fremd geworden', 'sich
leichter entschloss, als es vor jähren der fall gewesen wäre'. Dadurch sind die
deutsclien dichtungen verhältnismässig hinter den lateinischen zurückgetreten. Der
Verfasser glaubt dies mit dem 'klassizistischen Charakter' und der 'schwachen dichter-
persönlichkeit' Büchners rechtfertigeu zu können, denen zufolge 'der sprachstil und
die nietrik der Wittenberger schule', die Buchner auch nur in der äusseren form
bestimmte, hauptsächlich zu betrachten •waren. 'So zwangen die ergebnisse der
Untersuchung zu einer einseitigen betrachtungsweise, die im wesentlichen dem form-
problem des 17. Jahrhunderts zugute kommt'.
Buchners persönlichkeit und seine werke genauer zu betracliten, wird mit der
absieht motiviert, 'die griindlagen seiner bildung und seiner interessen festzustellen'.
Darüber geht das tatsächlich gebotene hinaus. Auf den Umschwung in der beur-
teilung Buchners als dichters durch die forschung Hoffmanns von Fallersleben wird
kritisch hingewiesen (s. 4). Es folgt ein erstes kapitel über Buchners ahnen und
leben (s. 7—12), ein zweites über die Persönlichkeit (s. ]'2— 16), wobei bereits der
lateinischen rede für Gustav Adolf 1682 gedacht wird, die durch einen ehemaligen
Schüler Buchners in Leyden gedruckt ward. Die britfe (s. 16—24), die bekannteste
Seite Buchners, beleuchten die kriegsnot von objektiv-neutraler seite, aus der die
Passivität der protestantischen gelehrten und der aufschwung der philologie hervor-
tritt. Die vollständigste briefsammlung, die wir von einem deutschen dichter des
17. Jahrhunderts besitzen, 'vermittelt zwischen den kulturzentren im ostcn und
Westen' (S. 20), ist überschwenglich in ihrem freundschaftskultus, so dass sie uns
unwillkürlich an die zeiten der romantik erinnernt' (s. 21 f.). Die lateinischen iverke
(s. 24—32) erörtern die 'möglichkeit dichter zu sein, was ihm im deutschen oft ver-
sagt blieb', besprechen die hauptsächlichsten 'de philosophia ecloga', die Opitz
'Marone ipso dignissimum' fand; den 'Joas', den Joh. Klaj 1642 ins deutsche über-
setzte; die gleichfalls ins deutsche übersetzte 'Gratulatoria' und 'Panegyricus funebris'
au kurfürst Johann Georg I. ; die von Jakob Thomasius und Philipp Zesen übersetzte
Übungsrede, die Karl I. von England 'hätte -halten können nach dem urteilsprueh
gegen sich'. Wie 'persönliche anteilnahme an dem geschick des königs dazu be-
wog', so wird auch auf Andreas Gryphius hingewiesen, der im 4. akt 'ohne einen
wörtlichen anklang' eine solche bringt (s. 30 A.). Die ,stilistischen avfsätze' Buchners
werden (s. 32) kurz und abweisend besprochen. Buchner als herausgeber (s. 32—35)
in grammatik, lexikon, altchristlichen und namentlich lateinischen autoren ist 'von
pädagogischen Interessen' bestimmt (s. 85). Mittelhochdeutsche Studien und Vor-
lesungen über deutsche poetik (s. 8f.— 44)' besprechen die 'fast ein Jahrhundert dauern-
den' beraerkungen in seiner poetik mit ihren Schreibungen, die dissertation seines
Schülers Carl Ortlob (Scholowsky s. 17 f.), endlich eine briefstelle au den hofprediger
Hoe von Hoenegg (s. 40 ff.), aus der ein schulbetrieb in der poetik zu Wittenberg
geschlossen wird (Paul Gerhardt). Die ausgaben der poetik (s. 45—54) erklären sich
gegen die annähme einer ausgäbe von 1642 (s. 49) und geben der ausgäbe von
Praetorius den vorzug vor der Gözischen, die aber der fassung der dreissiger jähre
entspricht (s. 52). Allgemeine theorie der dichtkunst (s. 55—64) hebt hervor, dass-
106 BORINSKI ÜBER BORCUERT, BÜCHNER UNU DIE DEUTSCHE LITERATUR
Buchners poctik keine blosse konipilation ist, wie die anderen poetiken (s. 56),
erklärt sich aber gegen die anffassung der poesie als einer älteren pliilosophie (s. 62)
und gegen den ausschluss der erotischen poesie (s. 63 f.). Spracfistil (s. 71—83)
behandelt 1. Wortschatz: und wortformen nach Opitzischen prinzipen und der klang-
wirkung, sowie (im klein gedruckten anhang) speziell nach Buchners diclitungen ;
2. syntaktische bemerkungen, gleichfalls Opitzisch, spraclie lebendig ohne leidenschaft
(mit anhang); 3. aesthetische erweiterunf/en des sprachstils, unter unverständlichem
titel, die tropcn, heftig gegen die renaissanccpoesie, mit einem kurzen anhang zur
oithographie (gegen doppeltes ch und kk). Metrik (s. 84—102) beurteilt den rhrjth-
mus nach der klangwirkung; scheidet streng zwischen quantität und akzent; nimmt
den takt (silbenausfall und Verlängerung) gleichfalls nach der klangwirkung; 'er-
weitert vorsichtig' die Opitzischen lehren über den vers, 'wandelt auf eigenen wegen'
in der Zulassung der daktylen und nimmt anapästische rhythmen an statt der dak-
tjlen mit auftakt; dringt auf /«»/gleiche reime; belebt die strophe wieder. Im
ganzen geht die poetik von der antiken und mittelalterlichen weise aus, offenbart
am deutlichsten den renaissancecharakter mit absage an das volkstümliche dement.
Ihrer 'goldenen mittelstrasse' zwischen den revolutionären bestrebungen der Zesen
und Harsdörffer und der reaktion der Fruchtbringenden gesellschaft war der erfolg
beschieden. Morhof hat sie fortgesetzt (s. lÜU ff.).
Buchners deutsche dichtungen (s. 103—122), von ihm grossenteils zurück-
gehalten, werden auf grund einer von Rud. Schloesser begonnenen, auf 51 gedichte
angewachsenen Sammlung und des in der italienischen operndichtung wurzelnden,
schwerlich aber übersetzten 'Orfeus', des deutschen daktylenverbreiters (s. 116),
besprochen; ihr religiöses und seit der renaissance lebendigeres naturgefühl hervor-
gehoben (8. 118 ff.), auch schon das 'beginnende barock' aufgezeigt (s. 121). Buchners
freundschaft mit Opitz und seine beziehungen zu den andern schlesischen dichtem
(s. 122—138), Kirchner, Nüssler, Köler, Tscherning, wird auf grund der vorhandenen
literatur aufmerksam durchgesprochen. Buchner und die Fruchtbringende gesellschaft
(s. 138—164) setzt dies fort, bringt die verzögerte aufnähme durch Hübner zur
spräche, den tadel Dietrichs v. d. Werder (S. 149) bis zu seinem tode 1636 und
Opitz' aufgang in der gesellschaft. 'Der kämpf um den daktylus' (s. 153 ff.) und die
Gueinzische Sprachlehre (s. 156 f.) führt dann zu seiner aufnähme 1641 (s. 159). Von
Zesen wird hier das tadelnde stammbuchblatt Buchners (ep. I 179) in das jähr 1648
gesetzt. Buchner und die junge generation (s. 164—175) prüft genau jede mögliche
beziehung, verweilt länger bei Paul Fleming (s. 166 ff.), Paul Gerhard (s. 17üf ) auf
grund des Hahnischen aufsatzes im Euphorien XV (1908) s. 19—34, Johann Klaj
(S. 171 f.) und Justus Siber (s. 174 f.). Auf prüfung der beziehung zu J. G. Schoch,
dem Buchner ein anerkennendes distichon widmete, wird verzichtet, 'da wir die
lebensschicksale dieses dichters noch sehr wenig kennen' (s. 171). Mit der hervor-
hebung von Buchners vermittlerverdieust für Opitz, dem er einst die bahn gebroclien
hatte, schliesst das buch.
MÜNCHEN. KARL BORINSKI ("i").
BORIXSKI ÜBER SPERBER, MOTIV UND WORT 107
Motiv Tind wort. Studien zur literatur- und Sprachpsychologie.
I. Motiv und wort bei feiustaT Meyrink von Hans Sperber. 11. Die
groteske gestaltungs- und sprachkuust Christian Morgensterns von
Leo Spitzer. (Mit einem bisher unveröfientlichten briefe des dichters). Leipzig,
0. R. Reisland. 1918. 123 s. (- § 7).
Die beiden abhandlungen sind Wilhelm Meyer-Lübke gewidmet, als 'dem
gemeinsamen lehrer, dem jedes forschungsgebiet gleich wertvoll, jede forscliungs-
methode gleich vertraut ist'. Die erste folgt nach der 'einleitung' den prinzipien,
-die Zs. 47, s. 421—424: von uns vorgeführt wurden. Nur ist die 'zensur' von
ihrem bezuge auf das sexualgebiet 'auf den geschmack des hörers oder lesers,
auf die gute sitte, auf gewisse grammatische oder kunsttheoretische regeln usw.'
übertragen. Die zweite erklärt nach ihrem 'motto' : 'im französischen heisst le
mot nicht nur 'das wort', sondern auch 'die lösung eines rätseis'. Man kann also
sagen: le mot est le mot de la Situation. Die erste verbreitet sich über den
'vorsteliungskreis des erstickens' in drei Unterabteilungen, über den ,vorstellungs-
kreis der blindheit' und über 'die vampirmotive und ihre sprachlichen reflexe'.
Die zweite konzentriert sich nach 'psychologischer analyse der sprachlichen neu-
bildungen Morgensterns auf 'motiv- und Wortforschung' 'in doppeltem gegensatz zu
^er Wörter- und sacheuforschung' 'der bekannten Zeitschrift', d. h. 'auf psychisches',
'auf die psyche des individuellen Sprechers'. Sie verweist auf ihre dissertation 'Die
Wortbildung als stilistisches mittel bei Rabelais', findet wort- und motivforschung
bei Richard Messleny, der in seinem Spittelerbuch (Halle 1918) 'Rhythmus und stil'
als primären entstehuugsgrund behandele, und erkennt im gegensatz zu einem
kritiker der 'Summa' (2 viertel s. 105 ff. welchen Jahres ?) nicht 'wortkonstruktion',
sondern 'sinuesadaptierung an die bestehenden worte' als das 'wesentliche in Morgen-
sterns schaffen'. '!Nicht die 'paritätische, sinnvolle gegebenheit', der gegenüber ein
'äusserlicher nebensinn' abfallen müsste, sondern das erschaffen eines neuen sinnes
aus der gegebenheit des wortes', 'die sprachkritik (in dem von Fritz Mauthner
geprägten wortsinne), die zu einer phänomenologischen anschauung gelangt ist',
ist nach Spitzer Morgensterns eigentümlichkeit. Mit einem hinblick auf Leopold
Ziegler, Karl Kraus und die spräche ("Wien 1918), das 'die ewig ungelöste ver-
quickung von spräche und erleben hervorhebt' und vier , anhängen', die 'biblio-
graphisches über individuelle Sprachschöpfung' nachtragen, sowie berührungen mit
Fritz Mauthner auch in dem nachgelassenen werke Morgensterns ('Stufen, eine ent-
wicklung in aphorismen und tagebuchuotizen', München 1918) schliesst das werk.
Die erste abhandlung schliesst sich an das lebenswerk eines der hoffnungs-
losesten und abgesagtesten pessimisten. 'Worte, welche eine starke affektbetonte
Vorstellung bezeichnen, haben nämlich eme starke tendenz, ihr gdUinjsgebiet über
das traditionelle hinaus zu erweitern. Wo der sprechende etwas ausdrücken will,
wofür die traditionelle spräche noch kein adäquates wort besitzt, da drängen sich
ihm mit Vorliebe worte für affektbetonte Vorstellungen auf, welche, sei es modifiziert
durch ableitungssilben, sei es in übertragener, uneigentlicher bedeutung, das so
erworbene neuland in besitz nehmen' (s. 19). Worte von solcher 'expansivität' sind
nun bei Meyrink die des erstickens (erwürgens, erhängens). . . . 'wenn er sagt,
•dass vorhänge das gebrüU von wilden bestien, dass zufallende türen die klänge
■eines klaviers, dass die schatten der bäume das zirpen der grillen ersticken, so ist
wohl jeder zweifei daran ausgeschlossen, dass bei ihm die Vorstellung des erstickens
■über das gewöhnliche mass hinaus sprachlich produktiv ist' (s. 20). 'Sekundäre
108 I'NIOWEU
motivc' sind ihm solche, 'welche aus irgendeinem gründe . . . die Vertretung von
anderen afifektstärkeren übernehmen' (s. 29). Solche 'setzen die geschichten zum
komplex des erwürgens in beziehung' (ebenda). Der vorstellungskreis der blindheit
ist gleichfalls 'nur ein untergeordnetes ylied einer noch höheren einheit, die wir als
vorstellungskreis der behinderten körperfunktionen bezeichnen könnten' (s. 32\ Als
höchste scheint der 'vampirkomplex' zu figurieren, . . . 'gespenstische doppelgänger
der erdenwesen, die deutlich als vampirartige Schemen charakterisiert werden: sie
fressen den menschen das leben und die zeit weg, nähren sich von dem marke ihrer
irdischen Urformen, saugen uns aus wie vampire' (s. 43). Zu ihren höchsten und
verbreitetsten formen scheinen die seitegel zu gehören, die 'sich von den vergeblichen
hoflnungen nähren, Avie die betschnecken von leeren gebeten leben' (s. 47).
Die zweite abhandlung knüpft an den melancholischen dichter der 'galgen-
lieder' u. ä., wie au 'das grosse Lalula' in ihnen, gedanken der absoluten sprach-
erfindung. 'Der leser ist eben gewohnt, in einer publikation spräche zu suchen,
d. h. einen ausgedrückten inhalt, während der dichter nur laute im Schriftbild fixiert.
Der leser verfällt immer wieder in die gewohnheit, das gelesene zu vertiefen, aus-
zuweiten, er überdichtet den dichter'. . . . 'Wie bedeutungslose laute so denkt sich
Morgenstern auch dinge, die sind, ohne zu bedeuten, autonome dinge, nicht zeichen,
die über sich hinausweisen: so ein exlibris ohne bild (s. 57 f.). Sein gedieht 'Der
mond' ist eine 'glänzende ironie' auf seinen 'beruf, beim ab- und zunehmen ein
a und ein z zu formieren. Die ganze witzsinphonie des nähe im 'kategorischen
komparativ', näher und näherin, des deklinierten werwolf, des ztvölefant, des nacht-
u-indhunds, der agel als feinslieb des igels, des nasobem (von ß'^iia), der niessivurz-
sonate, des siezgeists, des simmaleins (von symbolisch)^ der hnänel und greuel, des
gingganz usf. im verein mit der raelancholie des zwi-, des nichtaufgeliens im einen,,
wie bei mutter und kind von der gehurt, und der 'unverdaulichen worte', wie
bildungshung{er), vielfress dienen dazu, die Mauthnersche spraclitheorie zu erhärten^
dass die sprachen unsinnige Irreführungen des menschengeistes und 'lachen und
schweigen die orientalischen kuren' dagegen sind (113).
Wer die neigung dazu verspürt, möge sich dieser sprachentstehung aus dem
nichts einer übersättigten bildung hingeben.
MÜNCHEN. KARL BOllINSKI (f ).
Knzimir Beik, Zur entsteh ungsgeschichte von Goethes Torquato
Tasso. Widerlegung der hypothese Kuno Fischers. Leipzig. W. Schunke 1918.
IX, 100 s. 3 m.
Der Verfasser tritt recht siegesgewiss auf. S. 71 schliesst er einen abschnitt
mit den triumphierenden worten : 'Die Fischer-Rueffsche hypothese ist wurzellos.
Wir haben festen fuss gefasst. Die Tassoforschung ist der Danaidenmühe enthoben'.
Ganz so weit sind wir nicht. B. ist sich, was wir seiner Jugend — die
Schrift ist aus einer dissertation hervorgegangen — zugute halten wollen, der
grossen Schwierigkeiten, die gerade die entstehung des 'Tasso', des geschlossensten
Werkes Goethes, der wissenschaftlichen erkenntnis bietet, nicht bewusst. Indessen
scheint mir sein Standpunkt gerechtfertigt. Auch ich halte Kuno Fischers hypothese
für verfehlt. Nach ihr soll das drama zunächst 1780/81 ohne den Antonio resp.
ohne eine ihm entsprechende gestalt geplant und dieser gegenspieler erst in der
ÜBER BEIK, ZUR ENTSTEHUNGSGESCHICHTE VON GOETHES TORQUATO TASSO 109
zweiten phase der entstehung der dichtuug (1788/89) zugeführt worden sein. Fischer
stützte seine ansieht hauptsächlich auf eine 'dramatische antinomie'. Sie soll darin
bestehn, dass in den letzten drei akten des dramas Antonio für einen alten be-
kannten Tassos gilt, während die beiden ersten voraussetzen, dass der held ihn
zum ersten mal sehe. Eine solche Unstimmigkeit könne sich nur aus einer in die
tiefe gehenden Störung des poetischen prozesses, aus einer fundamentalen änderuug
der konzeption und des grundgedankens der dichtung erklären.
Dieser auffassung stehn vornehmlich zwei schwere bedenken entgegen. Ein-
mal wäre ein so eklatanter Widerspruch nur dann möglich, wenn zwischen der
Ausführung der beiden verschiedeneu plane ein beträchtlicher Zeitabschnitt läge.
Das ist aber nicht der fall. Die neue dichtung, d. h. die abfassung der akte 3—5
fällt in die zeit von 1787—89. In denselben jähren aber wurden die zuerst 1780/81
gedichteten beiden ersten akte umgegossen. Sollte da Goethe der Widerspruch
nicht zum bewusstsein gekommen und von ihm ausgeglichen worden sein?
Dann aber, wie steht es um die antinomie selbst? In der abhandlung 'Zwei
Tassoerklärer' (Heidelberg 1896), in der sich Kuno Fischer gegen Heinrich Düntzer
und Franz Kern, die seiner hypothese entgegengetreten waren, wandte, erläuterte
€r diese antinomie an zwei stellen des gedichtes, den versen der prinzessin aus
<3em zweiten akt:
Und nun, da wir Antonio wieder haben,
Ist dir ein neuer, kluger freund gewiss (v. 939 f.),
und den versen:
Es ist unmöglich, dass ein alter freund,
Der lang entfernt ein fremdes leben führte,
Im augenblick, da er uns wiedersieht,
Sich wieder gleich wie ehmals finden soll usw. (v. 767 ff.).
Die zweite stelle erklärt er so, dass die prinzessin Antonio einen alten freund
ihres hauses nennt, der dem Tasso zunächst fremd gegenüber stehn muss, ihn
allmählich aber bei näherer bekanntschaft zu würdigen wissen wird. Das kann
man gelten lassen. Unmöglich aber ist seine ausnutzung der ersten stelle. Die
beiden verse 939 f. müssten, da sie, wie er meint, voraussetzen, Tasso habe jetzt
erst die bekanntschaft Antonios gemacht, der alten dichtung angehören. Ist dieser
schluss richtig, dann beweisen die worte aber auch, dass schon in ihr vorher, d. h.
in der letzten szene des ersten aktes jemand aufgetreten, resp. das auftreten jemandes
geplant gewesen sei, den wir für keinen andern als einen gegner Tassos halten
müssen. Gerade dies motiv aber spricht Kuno Fischer der dichtung von 1780/81
■ab. Nach seiner ansieht schloss der erste akt mit Tassos krönung, ohne dass ein
antagonist des beiden hinzugetreten sei. Wollte man, um die Schwierigkeit zu
beseitigen, annehmen, dass die verse unursprünglich sind und erst bei der Um-
arbeitung des zweiten aktes hinzukamen, dann muss man fragen: wie ist es möglich,
dass Goethe, der in den nicht lange vorher gedichteten akten 3 bis 5 Tasso und
Antonio alte bekannte sein lässt, hier davon ausgeht, dass sie sich eben erst kennen
gelernt haben? Nein, die antinomie ist ein phantom. Nach der Voraussetzung des'
dichters sehen sich Antonio und Tasso keineswegs zum erstenmal, als jener, aus
Kom zurückgekehrt, diesen mit dem lorbeerkranz gekrönt antrifft. Kuno Eischer
bat, was ihm auch bei seiner darstellung der entstehungsgeschichte des 'Faust'
begegnete, hier eine lässigkeit Goethes (wenn man will), einen scheinbaren Wider-
spruch aufgebauscht und daraus ein kriterium für verschiedene dichtuugspläne ge-
110 I'NIOWKR ÜBER ]?E[K, (^.OETIIES TASSO
schaffen. Möglicli, dasa dabei der philosoph dem literarbistoriker zum schaden ge-
reichte. Denn auf poetische gehilde lässt sich dialektische schärfe gewöhnlich
ausser etwa beim alten Ibsen nicht anwenden. Ein dichterisches werk ist kein
logisches eystcm, das bis in die kleinste eigenheit den ansprüchen des Verstandes
genügt. Kuno Fischers einfühlungsgabe und intcrpretationskunst versagte auch
sonst dem 'Tasso' gegenüber. Nach ihm ist die grundidec des draraas; dass der
held die ihm durch sein temperament, seine natur auferlegten leiden mittels der
ihm verliehenen gäbe des dichterischen gestaltens überwindet. Tasso ist ein Werther,
dem jedoch die scliüpferische kraft schliesslich die heilung bringt. Das drania ist
nach ihm also ein Schauspiel im modernen sinne, in dem eine tragische Verwicklung
zu einer friedlichen lösung geführt wird. Tasso soll an der freundschaft Antonios
einen halt fiirs leben gewinnen. Sie wird ihn — mit dieser hoffnung soll uns da»
Schauspiel entlassen — vor dem Untergang bewahren. Dass diese auffassung irrige
ist, wurde wiederholt dargetan; vgl. mein buch 'Dichtungen und dichter' s. 74 f.
und neuerdings Roethe, Jahrb. d. Goethcges. 9 (1922) s. 119 ff. Sie wird schon
durch die äusserung widerlegt, die Goethe gegenüber Caroline Herder über den
eigentlichen sinn des Stückes tat. Es ist, sagte er, die disproportion des
taleuts mit dem leben' (Caroline an Herder den 2Ü. mürz 1789). Ein anderer,
fast unbegreiflicher irrtum Fischers ist die grundvoraussetzung seiner ansieht über
die im wesen angeblich verscliiedenen dichtungeu von 1780/81 und 1788/89.
Danach soll der Goethe jener jähre noch nicht fähig gewesen sein, den tj'pischen
gegensatz von Tasso und Antonio zu konzipieren. Das wird bei einem dichter
geltend gemacht, der bereits gestalten wie Clavigo und Carlos, Faust und Mephisto,
Orest und Pylades geschaffen hatte !
Somit war Beik durchaus im recht, die Fischersche hypothese zu bekämpfen.
Dass er sie mit klarheit und einprägsamkeit widerlegt, kann man nicht behaupten.
Eins seiner hauptargumente ist, dass er dem Heinsiscben aufsatz in der Iris von
1774 'Leben des Torquato Tasso' einen starken anteil an der konzeption des
Goethischeu dramas beimisst. Allein er überschätzt sichtlich seinen einfluss und
presst Heinses därlegungen mit bedenklicher gewaltsamkeit. Schwerlich hat Goethe
von ihnen mehr als eine anregung empfangen. Überhaupt reflektiert B. zu viel.
Was der Tassoforschung not tut, ist eine rein quellenmässige behandlung der
hauptmotive. Es müsste einmal schlicht und klar unter Vermeidung jeglicher
hypothesen und mit hervorkehrung des durchaus sicheren festgestellt werden, welche
Übereinstimmung zwischen der dichtung und den von Goethe benutzten Schriften
von Koppens einleitung zu seiner Übersetzung von Tassos Befreitem Jerusalem an
bis zur biographie Serassis bestehe. Dabei wird sich, wie ich nicht zweifle, ergeben,
dass der einfluss dieses buches verhältnismässig gering ist. Damit würde Kuna
Fischers ansieht, wonach seine lektüre eine neue dichtung bewirkt habe, hinfällig
werden. Da seine hypothese, wie wir gesehen haben, sich auch sonst als wenig
haltbar gezeigt hat, würde sie mit diesem nach weis wohl für abgetan gelten
können.
BERLIN. OTTO I'NIOWER.
ZINKERXAGEL ÜBER VIKTOR, DIE LYRIK HÖLDERLINS 111
Karl Yiötor, Die lyrik Hölderlins. Eine analytische Untersuchung. Frank-
furt a. M., Moritz Diesterweg 1921. XVI, 240 s.
— Die Briefe der Diotima. Veröffentlicht von Frida Arnold. Leipzig, Insel-
verlag 1921. 77 8.
— Hölderlin und Diotima. Sonderabdruck aus den 'Preussischen Jahrbüchern',
bd. 182, s. 298-320. Berlin "1920.
So viel auch in neuerer zeit über Hölderlin geschrieben worden ist, so fehlt
es an exakten arbeiten doch noch durchaus. Am meisten hat Hölderlins lyrik
darunter zu leiden. Denn in dem masse, als ihre Würdigung von reinen anempfindern
ins kritiklose gesteigert wird, entschwindet der forschung der boden unter den
füssen. Das prädikat 'unvergleichlich' wird zum freibrief für jede überschwanglich-
keit. Um so erfreulicher wirkt V.s versuch eiuer streng exakten analyse, zumal
wenn man aus seinem vorwort ersehen hat, wie sehr er sich der Schwierigkeit
seiner aufgäbe bewusst ist.
Weit davon entfernt, sich sein geschäft auf kosten der gründlichkeit etwas
genialischer machen zu wollen, untersucht V. in jeder der 5 perioden, in denen sich
ihm der entwicklungsgang des lyrikers darstellt, allergenauestens tendenz, bau,,
diktion und metrik. Erst auf grund dieses befundes zeichnet er dann jeweils 'die
Stellung innerhalb der zeitgenössischen lyrik' und 'die entwicklung innerhalb dieser
periode', um alsdann erst, wenigstens für die drei mittleren perioden, den 'eigen-
wert' zu würdigen. Natürlich wird schon in der analyse auf das vom dichter über-
nommene gut stets nachdrücklich hingewiesen, so dass es auch insofern an wieder-
liolungen nicht fehlt. Aber man nimmt sie gern in kauf, da die Übersichtlichkeit
des ganzen nur so gewahrt bleiben konnte. Erst jetzt überschauen wir vollkommen,,
wie die den bahnen des Horaz folgende odendichtung in antiken Strophen sich von
der basis der unter dem bestimmenden einfluss von Klopstock, Schubart, Matthisson,
Stolberg und Schiller stehenden, meist reimenden Jugenddichtung abhebt, w^ährend
sie in die spätere hymnendichtuug in freien rhythmen viel allmählicher übergeht.
Dieser bedeutsamen entwicklung mit aufmerksamer hingäbe und feinstem verständnis^
folgend, bietet V. eine fülle von wertvollen einzelheiten, die nur in ganz seltenen
fällen noch zu berichtigen wären.
Eine besonders wertvolle feststellung ist ihm in bezug auf den bau gelungen..
Er weiss zu zeigen, wie von der 3. periode ab die ode Hölderlins sich in der form
von thesis, antithesis und synthesis dreigliedrig aufbaut. Er sucht auch nach einer
erklärung und findet sie, den spuren W. Michels behutsam folgend, in der eigenart
von Hölderlins empfindungsweise. Michels ausdeutung der späteren fassung von
Hölderlins 'Stimme des volks' in den dreiklaug 'Form — Chaos — Friede des alls'^
schärft ihm den blick für die durch weit und ich gegebene dissonanz in der seele
des dichters und den ausgleich, den sein künstlerisches streben einbegreift. Aber
er glaubt trotzdem nicht auf den hinweis verzichten zu dürfen, dass die zeit-
genössische Philosophie für ihre dialektische methode eine ganz entsprechende formel
fand, ganz zu derselben zeit und gleichsam unter Hölderlins äugen. Freilich, auf
die kitzliche frage, ob und wie wir uns hier einen Zusammenhang vorzustellen
haben, geht V. nicht ein. Er beschränkt sich darauf, gewissenhaft alles anzuführen,
was dem dichter diese formel nahebringen konnte. Und er durfte sich darauf be-
schränken, da eine rein analytische arbeit hier ruhig halt machen darf. Aber eine
antwort auf die angrenzende frage, ob es sich bei dem dreigliedrigen aiifbau der
112 ZlNKKKNACiKL
Hölderliuschen ode überhaupt um ein bewusstes kunstmittcl handelt oder nur um
den unbevvussten niederschlag seiner individuellen erapfindungswelt, dürften und
sollten wir erwarten. Aber selbst diese frage wird — bewusst oder unbewusst —
vermieden.
Und doch liegt sie au sich gewiss nahe. Sie drängt sich uns geradezu auf,
wenn Avir uns die ganz ausscrgewöhnliche bewusstheit vergegenwärtigen, die aus
Hölderlins theoretischen betrachtungen zu uns spricht und gerade in der späteren
zeit, wo sie zu der wachsenden Unklarheit seines denkens in den seltsamsten gegen-
satz tritt, uns so unheimlicli anmutet. Gleichwohl wird V. die annähme, es könnte
sich bei dieser dreigliederung um ein bewusstes aufbauen handeln, vermutlich ab-
lehnen, und wir würden ihm schliesslich beistimmen. Neigt aber V. zu der eut-
gegengesetlten auffassung, dass hier eine unmittelbare Zwangsläufigkeit wirksam
ist — und es scheint durchaus so — , dann genügt selbst Michels ausdeutung. die
an sich tiefer greift als die V.s, wohl kaum, und wir werden in unserer abieitung
noch weiter zurückgreifen müssen. Wir werden versuchen müssen, bis zu dem
punkte zurückzugehen, wo das irrationale uns endgütig den weg versperrt. Schlagen
wir diesen weg • aber ein, so finden wir vielleicht auch eine erklärung für den
umstand, dass Hölderlins dichtuug sich innerhalb der polarität 'hyranus — elegie' von
<'inem extrem zum andern bewegt, dass sie, um mit Hcllingrath zu reden, zwischen
tag und nacht wechselt. Vielleicht, dass dann sogar die seltsame rolle, die der
dreiklang selbst noch in den katatonischen Stereotypien des kranken spielt, eine
hellere beleuchtung erfährt.
Das alles aber sind wege, die von denen V.s weit abliegen. So korrekt seine
Untersuchungsmethoden an sich sind, so wenig versucht er sich von seinem Unter-
suchungsgegenstand z.u distanzieren. Freilich sichert gerade das seiner arbeit die
persönliche wärme, die sie so liebenswürdig erscheinen lässt. Aber es liefert ihn
-auch der gefahr aus, ins schlepptau moderner ästheten zu geraten. Und dieser
gefahr ist V. schliesslich doch nicht ganz entgangen. Es zeigt sich das im grossen
und im kleinen : im kleinen etwa da, wo er im hinblick auf das 'Schicksalslied' und
das gedieht 'Andenken' das wort 'jahrlang' als 'wundervoll' bezeichnet (s. 105),
während schon der vergleich beider Verwendungen ilim sagen müsste, dass dies
'wundervolle wort' an sich äusserst unkünstlerisch ist, und dass nur die klangliche
Position ihm im ersteren falle den künstlerischen wert gibt; und im grossen etwa
da, wo er Gundolf das paradoxe wort nachspricht, dass Hölderlins Griechenliebe
sich nicht aus seiner enttäuschung über die urawelt erkläre, sondern umgekehrt
(s. 129 f.), während hier doch allein schon die abhängigkeit von Schiller das gegen-
teil beweisen sollte. Entscheidend aber wird dies angekräukeltsein von modelheorien
erst da, wo es sich um die Würdigung der späten hymnendichtung handelt. Gerade
V. zeigt uns an sich so recht einleuchtend, wie sich der dichter hier aller bisher
von ihm gepflogenen kunstmittel entäussert und wie exzentrisch im gründe der
weg ist, den die entwicklung hier plötzlich einschlägt. Und doch gibt er sich der
modernen Illusion gefangen, dass hier erst Hölderlins kunst ihre 'bedeutendste höhe
erreicht' habe (s. 222), während es sich meines erachtens trotzdem immer nur um
<lie tatsache handelt, dass das künstlerische gefühl sich trotz der durch die geistes-
krankheit bedingten mangelnden beherrschung der bis dahin erworbenen fähigkeiten
noch gelegentlich in rhythmischen Satzgefügen auswirkt, die die zugrunde liegenden
liühnen intentioncn uns nur noch ahnen und erraten lassen. Dass sich gerade
■dabei gelegentlich ästhetische Wirkungen einstellen, die erst durch das zurücktreten
ÜBER VIKTOR, DIE LYRIK HÖLDERLINS 113
der gedanklichen bindung möglich geworden sind, ist an sich nicht überraschend
«nd erklärt sich aus der natur der sache.
Doch diese einwendungen mögen unberechtigt erscheinen angesichts einer so
gediegenen und ausgeglichenen leistung, wie V.s arbeit sie darstellt. Denn letzten
endes ergeben sie sich doch nur aus der divergenz des ästhetischen Standpunktes.
Stellen wir uns aber auf den Standpunkt des Verfassers, so gebührt ihm zweifellos
das lob, anscheinend so ziemlich alles erreicht zu haben, was sich mit den ihm
zugänglichen untersuchungsinethoden erreichen Hess. Anders gestaltet sich das
urteil erst, wenn man die frage aufzuwerfen beginnt, ob umfassendere methoden
überhaupt möglich sind. In welcher richtung sie vielleicht zu suchen wären, zeigen
■Schillers Unterscheidung von naiv und sentimentalisch und Nietzsches gegenüber-
«tellung von apollinisch und dionysiscL sowie die dazwischen liegenden versuche
■der romantiker. Freilich ist auch bei V. von den erstgenannten polaritäten ge-
legentlich die rede, da sie in Hölderlins eigenen reflexionen eine wesentliche rolle
spielen. Aber sie werden für V. nicht zu wirksamen kriterien. Eine solche Ver-
wertung aber erscheint zum mindesten denkbar. Und der Verfasser der vorliegenden
erstlingsarbcit wird es infolgedessen nur als anerkennung empfinden, wenn seine
leistung an den grenzen des möglicherscheinenden gemessen wird.
Noch eine weitere arbeit V.s ist hier zu würdigen. Er hat vom Inselverlag
den ehrenvollen auftrag bekommen, die kürzlich bekannt gewordenen Diotiraabriefe
■erstmals herauszugeben und hat sich dieser aufgäbe mit Sorgfalt und geschmack
«ntledigt. Es galt vor allem, die 19 briefe, die die eukeliu von Hölderlins Stief-
bruder Karl Gock endlich der öifentlichkeit unterbreiten zu dürfen glaubte, zu
ordnen, zu datieren und die datierung zu begründen. Diese aufgäbe ist in restlos
befriedigender weise gelöst. Danach setzt der briefwechsel der beiden -liebenden
ein mit dem Zeitpunkt, wo Hölderlin unmittelbar nach der gewaltsamen trennung
im September 1798 in Homburg festen fuss zu fassen beginnt, und dauert bis in
den sommer 1800, d. h. bis in die :?eit kurz vor seiner rückkehr in die heimat.
Leider sind es nur die briefe Diotimas, die, seit vielen Jahrzehnten schmerzlich
vermisst und nur aus ganz wenigen Sätzen bekannt, hier endlich ans licht treten
— und obendrein nicht einmal ganz ohne gewollte oder ungewollte lücken — ,
während wir uns für die briefe des dichters nach wie vor mit den drei fragment-,
kopien begnügen müssen, die vor 16 jähren ' durch W. Böhm aus G. Schlesiers
nachlass bekannt geworden sind. Was aber zur aufhellung der beziehungen zwischen
den beiden liebenden noch irgendwie beigebracht werden konnte, das hat V. in
übersichtlicher weise in seinen anraerkungen getan. Die wichtigste unter ihnen
bringt die feststellupg, dass jene eifersüchtige regung, von der Diotima im 14. briefe
schreibt, auf Charlotte von Kalb geht, wobei freilich die weitere frage, ob mit oder
ohne berechtigung, noch immer offen bleibt. Gerade dieser satz war einer jener
wenigen, die von Christoph Schv\'ab dem früheren besitzer der briefe abgeluchst
worden waren. Doch hatte er leider mehr irregeführt als aufgeklärt, da er aus
Unkenntnis des Zusammenhangs auf Schiller bezogen werden musste.
Gleichsam gekrönt aber hat V. das ganze mit einer überaus feinsinnigen
Würdigung dieser dichterliebe, die wir freilich in den Preuss. Jahrbüchern nachlesen
müssen, da sie der ausgäbe aus irgendwelchen gründen leider vorenthalten geblieben
ist. Sie betont noch einmal die reinheit dieser beziehungen, nicht weniger aber
auch deren beiderseitige Innigkeit, die mehr als jene gelegentlich angezweifelt worden
war. Auch hier tut V. vielleicht des guten eher zu viel als zu wenig, so z. b.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. L. 8
114 SCIUJI.Z ÜHKR GLOCKNKK, KU. TU. VISCIIKHS ÄSTIIEIIK
mit der behauptung, dass Diotimas briefe den vergleich aushielten mit den be-
rühmtesten liebesbriefen aller zeitcn und Völker, ja, dass die europäische literatur
seines wissens überhaupt keine briefe kenne 'von solch edler einfalt und klugheit,
glut und beherrschtheit, Sehnsucht nach glück und Opfermut' (s. 309). Aber wie
dem auch sein mag, unverständlich erscheint uns heute — vorausgesetzt freilich, dass
jene lücken wirklich rein zufällige sind — das ängstliche bedenken, das diese
rührenden dokumente so lange verheimlicht hat. Es hätte der rechtfertigung durch
die derzeitige besitzerin der briefe, die in einem nachwort der briefausgabe bei-
gefügt ist, nicht bedurft, um die Veröffentlichung als eine in jeder beziehung ver-
dienstliche tat erscheinen zu lassen,
BASEL. FRANZ ZINKKUNAGKL.
Hermann Glockner, Fr. Tb. V ischers ästhetik in ihrem Verhältnis zu
Hegels Phänomenologie des geistes. Leipzig, Leopold Voss 1920.
VI, 74 8. 11,50 m.
Die als bd. XV der von Th. Lipps und K. M. Werner herausgegebenen 'Bei-
träge zur ästhetik' erschienene monographie stellt sich als eine dankenswerte und
fruchtbare Sonderuntersuchung über die geschichte der Hegeischen ge-
dankenweit dar. In 3 kapiteln, denen ein anhaug von auf reiches quellen-
material sich stützenden anmerkungen angefügt ist, entrollt Glockner ein ebenso
scharfsinniges wie anschauliches bild der engen gedanklichen beziehungen zwi-
schen Hegels panlogismus und Vischers panästhetizismus. Die genetische struktur
der Hegfelschen begriffsbildung, die sich von der aufklärerisch-Kantischen epoche
seines denkens über die mystisch-pantheistische bewegt und zur enzyklopädistisch-
panlogischen aufgipfelt, vertieft sich in der darstellung Glockners zu einer das
ästhetische weltfühlen als das philosophische grundferment aufweisenden entwicke-
lung. Hegels Verhältnis zu Kant und Fichte, Schelling und Hölderlin, Spinoza
und Leibniz ist im ganzen ungemein treffsicher und schlüssig gekennzeichnet.
Im Interesse einer geschlossenen beweislinie hätte es sich vielleicht verlohnt,
der tiefen Wurzelverwandtschaft zwischen der absoluten idee Hegels und dem
Goethischen 'urphänomen', die G. mit feinem Spürsinn für ideengeschichtliche zu-
sammenhänge aufdeckt, eindringlicher nachzugehen. Wo G. die ästhetischen
Vorlesungen Hegels in vergleichende betrachtung zur 'phänomenlogie des geistes'
rückt, zeigt er sich in auffassung und einfühluug aufs glücklichste von Simmel und
dessen ringen um feststellung typischer geistigkeiteu beeinflusst. Der hier ange-
tretene beweis, dass die Phänomenologie des geistes 'die wahre naturphilosophie
Hegels' enthält und das ästhetischste seiner werke bildot, insofern es letzte geistige
zusammenhänge unter dem gesichtspunkt des kunstwerks anschaut, während die
ästhetischen Vorlesungen vom blossen kategorialen begriff des schönen ausgehend
das Schema der enzyklopädie zugrunde legen, erscheint durchaus zwingend und
unwiderleglich. Die erneuerung der Hegeischen ästhetik durch freiere anwendung
der in der Phänomenologie entwickelten dialektischen methode erblickt G. in Th.
Vischers künstlerischem und philosophischem schaffen. In tiefschürfender, auf gründ-
lichen quellenstudien fussender Untersuchung wird die geistesgeschichtliche ent-
wicklung Vischers an dem Zwiespalt zwischen künstlerischem urerlebnis und philo-
sophischem bildungserlebnis verfolgt und die Versöhnung ursprünglich gegensätz-
MOSER ÜBER V. UNWERTH, I'ROIiEX DEUTSCHRrS.SISCHER MVNDARTEX 115
lieber richtungselemente in der an eifrigen Shakespearestudien und naturfreudiger
Italienwanderung erblühten systembildenden äs th etik Vischers aufgezeigt.
Auch hier macht G. allenthalben den grundcharakter dialektischen welterlebens in
Vischers gesamtschaffen auf höherer stufe der betrachtung ersichtlich. Xur in
einem punkte lässt G. eine abweichung Vischers von Hegels formalem intellek-
tualismus gelten: in der lehre vom zufall, wie ihn der künstlerraensch Vischer in
der freude an der charakteristischen einmaligkeit schöner erscheinungen erlebt.
ULM. PAUL A. .SCHULZ.
Wolf Ton tnwertli (tX Proben deutschrussischer mundarten aus den
Wolgakolonieu und dem gouvernementCherson. (Einzelausgabe aus
den abhandlungen der Preussischen akademie der Wissenschaften, Jahrgang 1918.
Phil. -bist, klasse. Xr. 11). Berlin 1918 (Verlag der Akademie der Wissenschaften.
In kommission bei Georg Reimer). 94 s.
Nicht ohne stille wehmut legt man diese letzte reife gäbe des früh dahin-
geschiedenen aus der band. Hat doch durch seinen tod die germanistik, vor allem
aber die mundartenforschung einen herben verlust erlitten. "Welch ein fortschritt
von Weinholds schrift 'Über deutsche dialectforschung' zu U.s 'Schlesischer mund-
art'! Freilich ist nicht alles sein verdienst, sondern zum grossen teil das allgemeine
ergebnis mehr als halbhundertjähriger dialektforscbung. Aber die kristallklare art
der darstellung mit ihrer pointierten Charakteristik der ma. und der scharfum-
rissenen heraushebung der wesentlichen züge ist es, die diese erstarbeit eines noch
nicht zweiundzwanzigjährigen auf Jahrzehnte hinaus direkt vorbildlich für jede zu-
sammenfassende darstellung eines grössern dialektgebiets macht '.
Die gleichen Vorzüge zeichnen auch die vorliegende arbeit, wodurch uns ein
an und für sich ziemlich fernliegendes gebiet — zumal solange im stammland sehr
grosse gebiete noch mehr oder minder neuland für die wissenschaftliche forschung
sind, — in plastischer form nahegebracht wird, aus. Zur behandlung steht einer-
seits das umfängliche, zu beiden selten der Wolga in der gegend (grösstenteils
südlich) der Stadt Saratow (etwa zwischen, dem 52. und 50. ") gelegene kolonialgebiet,
anderseits die beiden kleinen an der ostseite der Dnjestermündung und westlich
des untersten Bug nächst dem Schwarzen meer befindlichen kolonien, wovon ersteres
in der zweiten hälfte des 18., letztere zu anfang des 19. Jahrhunderts besiedelt
wurden ; dagegen finden sich die zahlreichen zwischen diesen zwei gebieten (besonders
östlich des untern Dnjeper) wie auch westlich des Dnjester gelegenen Schwarzen-
meer-kolonien nicht einbezogen. Den stoff lieferten aus jenen gegenden stammende
kriegsgefangene des westfälischen lagers Holthausen ; daher konnten naturgemäss die
zur darstellung bestimmten gebiete nur durch ausgewählte typen einer anzahl von
ortsmaa. vertreten werden. Voran geht jedesmal die mundartliche wiedergäbe von
AVenkers Sätzen, dann folgt eine grammatische darstellung nach lauten, formen, satz-
bau und Wortschatz und zuletzt die 'heimatsbestimmuug'. Im einzelnen ist bei der
glänzenden Stoffbeherrschung des Verfassers wenig zu sagen und auf einige kleine
1) Wohl nur infolge eines bedauerlichen zufalls muss man gerade diese hervor-
ragende arbeit in den neueren aufIngen von Behaghels Gesch. d. deutschen spräche
bei aufführung der dialektliteratur schmerzlieh vermissen.
8*
\
116 MOSER ÜBER V. UNVVERTH, PROBEN OEU^SCHRUSSISCHER MUNDARTEN
ausstelliingen wird man daher ohne weiters verzichten dürfen. Auch den unter
mühevollster ausnützung des Sprachatlasses gewonnenen fixierungen der entsprechen-
den, durchweg rheiu fränkischen stammmaa. — es handelt sich (nach der termino-
logie der Bremerschen karte) bei den westlich des flusses gelegenen Wolga-kolonien
im norden und der mitte (probe I und II) um Mittelwetterauisch (im südöstlichen
Oberhessen und dem anschliessenden Hessen-Nassau etwa zwischen Vogelsberg,
Nidda und Einzig) und südlicher (probe III) um südöstlichstes Wetterauisch und
anschliessende nördlichste Untermainma. (östlich der Einzig am nordrand des
Spessart), bei den östlich gelegenen nördlich (probe VII und VIII) um das südwest-
liche Westrichische (in der südwestecke der Rheinpfalz, besonders der gegend um
Zweibrücken), südlich (probe IV— VI) um die südwestlichste Untermainma., das
nordöstlichste Vorderpfälzische und die nordwestliche Unterneckarma. am Rhein
(also das bei Worms zusammenstossende hessische, rheinpfälzische und badische
gebiet), bei den Dnjester-Bug-kolonien um den südlichen teil des Vorderpfälzischen,
der südlich (im nordöstlichsten Elsass, also noch zum Südfränkischen gehörend,
probe IX) und nördlich (südöstliche Rheinpfalz, probe X) der ^-verschiebungsgrenze.
liegt, — kann man an sich vollauf zustimmen. Dagegen werden sich prinzipielle
bedenken, für die indes nicht der Verfasser, sondern die auftrageberin (die Preus-
sische akademie) die Verantwortung trägt, erheben, inwieweit denn überhaupt der
dialekt dieser kolonien durch Zuhilfenahme solcher einzelner, von der schölle los-
gelöster persönlichkeiten bestimmt werden kann. Wird sich uns doch recht ge-
bieterisch die frage aufdrängen, ob eigentlich bei der verhältnismässigen kürze der
besiedlungszeit bereits eine völlige Verschmelzung der den einwanderern ange-
stammten mundartlichen Verschiedenheiten zu einem einheitlichen dialekt statt-
gefunden hat. U. selbst weist wiederholt auf fremde demente sogar im dialekt des
einzelnen gewährsmanns hin (so s. 54, 71 f.). Auch das thema der bevölkerungs-
vermischung hat er, freilich nur bei den Schwarz-meer-kolonien (s. 88 und 93),
wenigstens gestreift, ohne sich begreiflicherweise auf eine heikle auseinandersetzung
näher einzulassen. Dieses problem des Verhältnisses der spräche zur kolonialen
bevölkerungsmischung hat erst kürzlich wieder Wrede in seinem aufsatz 'Zur ent-
wicklungsgeschichte der deutschen mundartenforscliung' (Z.f.d.maa. 1919, s. 9 ff.) an-
geschnitten und höchst instruktive aufschlüsse dazu gegeben : Wenn eben — wie
hier in einem fall direkt nachweislich — 'keine einzige der einwandererfamilien
genau aus dem gebiete stammt, das als heimat der heute geltenden ma. zu er-
schliessen ist, ihre herkunftsorte sich vielmehr in einem ziemlich engen kreise
aussen um dieses dialektgebiet herum gruppieren' (s. 93), so haben hierbei doch wohl
schwerlich kolonisten anderer orte 'den ausschlag gegeben bei der herausbildung
der kolonistenma' (höchstens sie in sehr bescheidenem mass, z. b. durch einheirat,
beeinflusst), sondern es liegt hier sicherlich ein unabhängiges, aber naturgemäs der
heimatlichen mittelma. sehr nahekommendes kompromissprodukt vor. Schliesslich
müssen aber doch auch die Ortsnamen ursprünglich alle einen sinn gehabt haben:
dass die ansicdler von orten wie Mannheim, Speier oder Earlsruhe nicht überwiegend,
ja sogar gar keiner unter ihnen aus den gleichnamigen städten selbst stammen
müssen, da im erstem fall eine gewisse soziale oder intellektuelle Überlegenheit
für die namengebung ausschlaggebend gewesen sein kann, während diese im letztern
lediglich zu ehren ihrer hauptstädte erfolgt sein kann, ist klar; aber wie soll man
sich namen schweizerischer orte wie Luzern oder wie Neu-Weimar (literarische
einflüsse bei letzterm sind bei der damaligen bäuerlichen bevölkcrung jedenfalls
BAKSECKE ÜBER LINUEMANN, ALLITERATION 117
ganz ausgeschlossen) durch eine reine besiedlung aus dem hessisch-rbeinpfälzisch-
badischen grenzgebiet erklären? Ist unter diesen umständen der zufällige gewährs-
mann wirklich der Vertreter katexochen für die lokale ma. oder stossen sich hier
vielleicht hart im räum noch mehr oder minder stark voneinander abweichende
dialektunterschiede? Diese dinge lassen sich aber nur an ort und stelle, nicht aus
der ferne, wo besonders in diesem krieg die gedanken gern allzu leicht beieinander
wohnten, beantworten. Es dürften darum immerhin zweifei entstehen, ob dem unter-
nehmen, das tragischerweise ein blühendes leben forderte, als solchem eine allzu
grosse bedeutung zukommt. (Mit recht ist es daher auch nicht fortgesetzt worden
[korr.-note].)
Man kann sich des gedankens nicht erwehren, dass gerade U. die geeignete
persönlichkeit zur Zusammenfassung und ausgestaltung der weitverzweigten mund-
artenliteratur zu einer gramraatik der deutschen oder hochdeutschen mundarten,
die heute wohl ebenso nötig wie vor einem menschenalter die der historischen ist,
gewesen wäre, da leider das sonst immerhin verdienstliche büchlein von Reis vor
allem mangels der sj-stematik seiner darstellung infolge unangebrachter populari-
sierungsbestrebungen (die aber, wie die darstellungen von Meringer, Loewe und
anderen zeigen, auch im rahmen der Sammlung Göschen gar nicht notwendig waren)
diesem zweck auch für den anfänger nicht zu genügen vermag. Es war ihm und
uns nicht gegönnt!
MÜNCHEX. V. MOSER.
J. Lindemann, Über die alliteration als kunstform im volks- und
epielmannsepos. Diss. Breslau 1914. 63s.
Eine bunte Sammlung von alliterationen, die aber für das thema zunächst
nichts ergibt, und zwar aus mangel an metrischer grundlage. Es war von vorn-
herein in echte und unechte alliteration zu teilen. Die echte kann sich nur an den
stabstellen und im rhythmus des alten verses zeigen, also auch nicht im viertakter,
(Denn mag man über den alliterationsvers denken, wie man will, dass er nicht die
vier takte des altdeutschen reiraverses hat, darüber herrscht wohl Übereinstimmung.)
spieze, swert linde sper, auch langverse wie diu was geheizen Hildebiirc, frmi Hilde
Heigenen tvip gehören also nicht dazu : sie lassen sich nicht als alliterationsverse
lesen. Noch verkehrter ist es, eine reimzeile mit drei stabenden hebungen (sie
glasten als ein gliiendiu glüot) deshalb als bewusste anwendung der alten technik
anzusehen: die verband ja vielmehr zwei kurzzeilen durch drei (oder zwei) stäbe.
Entscheidend ist der dipodische rhythmus, der denn auch sofort die alten formein
hervortreten lässt : in stürmen unde in stn'ten (aber nicht: so sage ich m von stürmen
und von striten) ; aber auch Verbindungen wie Röther der riche, Dietrich der de'gen,
Wdlfrut der tvigant werden so als altertümlich erwiesen. Sogar langverse finden
sich 80 zusammen: in leidet bi den vroüwen unde liebet bt den mannen oder zur
not: wie liebe mit leide ze jungest lönen kdn. (Aber gerade den Nibelungen- und
Kudrunvers stellt der Verfasser als 'dreihebig' abseits — . als ob dann nicht auch
alle klingenden reimpaarverse dreihebig w-ären !) — Nur in diesen, hier in der masse
aufgehenden gruppen liesse sich nach einem fortleben der alten technik spüren.
Die übrigen stehen auf der linie des zufälligen Stabreims, der bei der germanischen
118 GRIENBEUGKU ÜBKU KLIKJE, DEUTSCHE NAMENKUNDE
eprechart einst zum geregelten geführt hat, aber auch fremden, rhetorischen, antiken
Ursprungs sein und als schmuck dienen kann; was er gerade im alten alliterations-
verse nicht getan hat.
Erst nach dieser sonderung Hessen sich aus dieser Sammlung, wenn sie gut
und zuverlässig ist, Schlüsse ziehen.
KÖNKJSHKRG. GEOKG BAKSECKE.
Friedrich Kluge, Deutsche namenkunde. Hilfsbüchlein für den Unterricht
in den oberen klassen der höheren lehranstalten (Deutschkundlichc bücherei).
Leipzig, Quelle & Meyer 1917. 4» s. 0.60 m.
Diese jilangemäss gedrängte Übersicht der deutschen namenkunde, deren stoff
in der form feststehend herausgearbeiteter tatsachen vorgelegt wird, die ihre bei-
spiele ohne polemik, ohne urheberzitate und literaturverweise anführt, ist auch vom
rein wissenschaftlichen Standpunkte aus beachtenswert und ohne zweifei geeignet,
dem namhaft gemachten uutcrrichtszwecke zu entsprechen. Literarisch angesehen
gleicht sie dem orientierenden artikel eines kouversatiocslexikons, abzüglich der hier
fehlenden literaturangaben. Den drei kapiteln: familienuamen, taufnamen, topische
namen sind als viertes die namen der Wochentage und einige ausdrücke des christ-
lichen kalenders beigegeben. In 1 behandelt Verfasser die patronymika, die geo-
graphischen namen im weitesten sinne, die beinamen nach eigenschaften und nach
berufen, die nameu nichtdeutscher herkunft, das Verhältnis der namen zum jeweiligen
Stande des Sprachschatzes, Veränderungen und Weiterbildungen aus namen, den Ur-
sprung der namen aus der Umgebung des trägers, die namen aus kalenderbezeich-
nungen, akrophonische differenzierung und doppelnamen. In 2 bespricht er die
historische Schichtung: ererbte germanische, adoptierte christliche, von anderen
Völkern entlehnte namen, die bildung charakteristischer gruppen für je eine person
darch Vermehrung der Vornamen, die verschiedene funktion des Vornamens und Zu-
namens je nach dem Umgebungskreise, die weiblichen taufnamen nach äusserer
erscheinung und bestand (kürzungen, entnähme aus dem kalender und von anderen
nationen her, deminutiva), bei denen im besonderen das fehlen durchgreifender ein-
deutschung angemerkt werden muss. In 3 Völker- und ländernanien, siedlungs-
namen, namen nichtdeutschen Ursprunges (keltischen und lateiuischenj, fluss- und
bachnamen.
Dass diesem ausschnitte der namenkunde noch mancherlei details fehlen, ist
bei seiner knappheit wohl zu verstehen. Es ergibt sich aus der ganzen art des
Vortrages, den der Verfasser mit psychologischen begründungen durchflicht, mit
fragen des nutzens und der Zweckmässigkeit, der absieht, des beliebens, dass er
dem leser das phänoraen der namengebuug in den einzelheiten des historischen
geschehens und in den motiven nahezubringen bestrebt ist. Es darf doch eingewendet
werden, dass grundsätzliche unterschiede zwischen alter und neuer namengebung
eigentlich nicht bestehen und dass der namenbeilegung nach Vorbildern der familie,
gesellschaft, der gesc-hichte und literatur* auch in alter zeit eine wesentliche rolle
zukommt, dass ferner die alten, zweistämmigen namen vielfach zugleich als appel-
lativa, im besonderen der poetischen spräche, nachweisbar sind und im sinne eben
1) Vgl. R. F. Arnold, Die deutschen vornamen. Wien 1900.
MATTHIAS ÜBER CAUER, VON DEUTSCHER SPRACHERZIEHUNG 119
dieser verstanden, klassifiziert und übersetzt sein wollen. Chönrät z. b. ist ein bahu-
vrihikompositum wie an. kaldrddr, illrädr 'übelwollend, böswillig' und als appel-
lativum vom einfachen adjektiv chuoni sehr wenig entfernt, wogegen die komposita
Gerhard und Eberhard modal bestimmt sind und auf den zweiten teil, das adjektiv
kard, das hauptgewicht legen. Geistige, beziehungsweise moralische kraft wird in
dem einen falle, körperliche Widerstandsfähigkeit in dem anderen zum ausdruck
gebracht. Es mag ferner nützlich sein, daran zu erinnern, dass bei allen namen der
wortsinn gegenüber dem persönlichen Inhalte, als dem eigentlichen zwecke der
namengebung, mehr und mehr zurücktritt und dass deshalb die namen die tendenz
haben, blosse lautgebilde zu werden, die nach den erfordernissen der bequemlichkeit
unter einhaltung gewisser stilgesetze reduzierbar und formbar sind. Es soll endlich
auch darauf hingewiesen werden, dass der passus über die plurale -hausen, -hofen,
-lehen s. 35 nicht in der fassung, die ihm Kluge gegeben hat, bestehen kann. Der
nachweis, dass es sich hier vielmehr um persönliche bildungen aus dem singularischen
Ortsnamen 'die leute von' handle, ist von Eud. Kögel in P.B.B. (1889) s. 113 f. in
überzeugender weise erbracht worden. Unter den hydrographischen namen vermisst
man die seenamen, unter den für rinnendes gewässer die gruppe -affa, unter den
von nichtdeutschen Völkern her übernommenen ortsbezeichnungen die baltische und
«lavische gruppe wie Stallnpönen, Trakehnen, Breslau, Damig, Dresden und andere.
Dass neuere ländernamen und in moderner zeit aufgekommene amts- und berufs-
titel unter den familiennamen seltener erscheinen, ist eine leicht verständliche sache.
Sie fehlen jedoch nicht völlig. Der name Reinländer findet sich z. b. im Jahrgang
1901 des Schematismus f. d. k. u. k. beer, die namen Würtenberger und Rektor im
Wiener wohnungsanzeiger 1919, II. Konkurrenzen der ableitungen kommen in be-
tracht für die namen Hager (örtlich), Hammer (gegenständlich), Haslach (kollek-
tivisch), Altmühl (hydrographisch). Des weiteren ist Elkan offenbar hebräisch *El-
kän, Hattemer ein name auf -emer (= -heimer), Wieland vorzugsweise der deutschen
heldensage entnommen; die familiennamen auf -sch(e) zeigen Zugehörigkeit an, die
ländernamen auf -ei: Wendei, Slowakei, mhd. -le:NormanJe, gehen offenbar von
der französischen gestalt des romanischen suffixes -ia aus. Der name der insel
Rügen führt auf die Rügen, nur mit einem umwege über die slav. Rugiani, Rniani,
auch i?unt und i?a?j/ des Heluiold, zurück. Zwei Wörter sind weiler und -weil, mhd.
wller m. und wll{e) f. aus mlat. (Ducauge) villare, villaris, vlllarium und v'illa. Die
existenz einer altdeutschen göttin Ostra s. 45 ist um so mehr zweifelhaft, als auch
die aufstellung Baeda's (De tempor. ratione cap. 15) einer ags. göttin Eostre nicht
als gesichert angesehen werden kann.
WIEN. GRIENBERGER.
Paul Cauer(f), Von deutscher Spracherziehung. Beobachtungen und rat-
schlage. Zweite, erweiterte und zum teil umgearbeitete aufläge. Berlin, Weid-
mannsche buchandlung 1919. VIII, 323 s. geb. 11 m.
Das buch ist auch in der neuen aufläge in kern und wesen dasselbe geblieben,
als was es im jähr 1906 zum ersten male ausgieng: die anregende darstellung eines
tiefverankerten und weitschauenden lehrverfahrens im deutschunterricht der mittel-
iind vor allem der oberklassen humangymnasialer anstalten, das, wesentlich literarisch,
120 MATTHIAS
doch wirklich 'auf erziehung zum leben in menschlicher gemeinschaft', auf ein-
dringendes Verständnis fremden und wohldurchdachtes gestalten eigener gedankcn
gerichtet ist. Im aufbau und in dem tiefen ernste, womit die sozialethischen auf-
gaben der neuen furchtbaren zeit verantwortungsbewusst und liilfbeflissen, aber mit
charaktervoller treue gegen unser Volkstum angegriffen werden, hat das um 50 selten
gewachsene werk sogar noch gewonnen.
Abgesehen von der neuen fassung mancher eingänge und Überleitungen, von
kleineren einschaltungen und Verschiebungen, die alle betrachtungen und vorschlage
in unmittelbarere zeitnahe rücken, sind bedeutsamer die folgenden Veränderungen.
Die philosophische Propädeutik, für die verständigerweise eigentlicher fachbetrieb
und vor allem die experimentelle psychologie von den statten höherer allgemein-
bildung zwar auch jetzt noch abgewiesen wird, tritt doch erst hinter den dem
deutschunterricht im engeren sinne zufallenden aufgaben (literaturgeschichte —
lektürc — spracbgescbichte und Sprachrichtigkeit — freradwörter — stil — inter-
punktion — disponieren — themata = abschnitt I— VIII) in selbständigerer Stellung'
auf, und von ihr ist noch ein besonderer X. abschnitt: Sittliche fragen und auf-
gaben, abgezweigt. Indem ihm hier die erörterung des tragischen, das ja freilich
andere der ethischen betracbtung überhaupt entrücken zu müssen meinen, in den
schatten unseres grausamen Schicksals rückt, sieht der Verfasser zu dessen ver-
scheuchung vor allem zwei mittel geboten: eine ausgedfhntere berücksichtigung
unseres politischen Schrifttums, besonders seit dem zusammenbrach von Jena, und
lehrerpersönlichkeiten, die die schwere aufgäbe, auf deren lösung sie die Jugend
einstellen sollen, selbsterziehung, d. h. Selbstüberwindung, ihnen vorleben. Und er
wird mit alldem bis weit nach links, bis an den oberrealschulen warmen Widerhall
wecken, zumal er ein gut teil der bildenden kraft der alten sprachen jetzt auch
dem neusprachlichen Unterricht ausdrücklich zugesteht, wenn 'er sich psychologisch
vertieft statt nur der aneignung geläufiger ausdrucksformen zu dienen.'
Desto lebhafterer einspruch dürfte sich zumal an real- und reformanstalten
gegen die anderen gebiete regen, denen die Umarbeitung und erweiteruug des buches
hauptsächlich gegolten hat: die behandlung unseres immer noch höchst stiefmütter-
lich bedachten mhd. und des wesentlich der freien privatlektüre überlassenen neueren
deutschen Schrifttums über LudAvig, Hebbel und Grillparzer hinaus sowie die ent-
schiedene ablehnung einer grundlegenden deutschen Sprachlehre, auch soweit sie schon
möglich wäre, mit deutschen fachausdrücken. Unverkennbar ist im allgemeinen
die grössere Vornehmheit des tones, womit er hier seine gegner, voran den All-
gemeinen deutschen Sprachverein und die führer des Deutschen germauistenverbandes,.
Sprengel und Bojunga, jetzt würdigt und Überzeugung gegen Überzeugung gelten
lässt, aber es fragt sich doch, ob die für die eigene Überzeugung angeführten gründe
durchweg stichhaltig sind und die bei einem so feinsinnigen kenner des altertums
wie P. Cauer nur zu verständliche gewohnheit und neigung nicht der pflicbt ab-
brach getan hat, gemäss der ja auch ihm vertrauten voraussage J. Grimms (s. 291)
auch der neuzeit und heimat die wachsend immer nötigere geltung zuteil werden
zu lassen.
Im einzelnen nur so viel: Friedrich Rückerts schönes bild von der frei wachsen-
den und der angebundenen winde, mit dem C. s. 286 seine Stellung zu deutscher
Sprachlehre decken möchte, Avurzelt als bild im gefühl und ist kein beweis für deren
richtigkeit, kann es doch ebensogut für eine deutsche sprachkunde in anspruch
genommen werden, die sich von bindung und meisterung der heimischen sprach-
ÜBER CAUER, VON DEUTSCHER SPRACHERZIEHUNG 121
entwicklung nach willkürlichen regeln oder gar fremden mustern frei hält nnd nur
sorgfältige beobachtung heimischen wurzelns und Wachsens pflegt. Wieviel von
solcher beobachtung für wirkliches inneres Verständnis deutscher Sprachfügungen zu
gewinnen ist, sollte zuletzt Behaghel nicht umsonst gezeigt haben; und nachdem
die deutsche Sprachforschung längst den beweis geführt hat, wie sehr unsere sprach-
entwicklung in der lateinischen Zwangsjacke gelitten hat, sollte sie endlich auch
erwarten dürfen, dass ihr die schule nicht immer noch auf die lateinischen muster
und regeln eingeschworene hörer zuführt, ganz zu schweigen von den schülern,
denep keine hochschule die schulmässige auffassung berichtigt, wie ihnen bloss
gelegentliche sprachgeschichtliche aufklärungen auch kein bild deutscher Sprach-
geschichte wenigstens in grossen zügen vermittelte. Von seinen geliebten Griechen
weiss der Verfasser doch selbst sehr wohl, dass sie ihre Sprachlehre an und in
der muttersprache ausgebildet und deren entwicklung dadurch durchaus nicht ge-
schädigt haben.
Betreffs der fremdwörterfrage, deren behandlung von wenigen seiten
unter 'Sprachgeschichte und Sprachrichtigkeit' zu einem ausführlichen sonderkapitel
aufgeschwellt ist, hat sich C. in sofern eine bessere Stellung geschaffen, als er nicht
mehr so grundsätzlich den manchem 'allzu massvollen' Allgemeinen deutschen Sprach-
verein zum gegner nimmt, sondern sich namentlich mit dem entschiedensten be-
kämpfer der welscherei von heute, Ed. Engel, auseinandersetzt. Und dessen Stand-
punkt, 'jedes von einem gebildeten, seine spräche achtenden und liebenden Deutschen
in guter absieht und nach eruKstem bedacht geschaffene wort zur verdrängung^
eines welschen sei allermindestens so gut oder besser als das welschwort', lässt frei-
lich für die zwar nicht alleinige, aber stärkste und gesündeste wurzel des sprach-
lebens, das stille, natürliche Wachstum, nicht genug boden. Aber im übrigen
scheint auch hier Cauers unvoreingeuommenheit zweifelhaft, wenn er nach s. 91 an
H. Wernekes aufsatz in den Preussischen Jahrbüchern, nov. 1918, 'seine freude ge-
habt' hat, der an anderer stelle, Weidmanns Jahresbericht über das höhere Schul-
wesen XXXIII, wohl richtiger als ausfluss knotiger und unflätiger gehässigkeit
bezeichnet worden ist und dessen seligpreisung der öfter herausgekehrten miene
sachlicher friedfertigkeit wenig steht. Was soll man z. b. zu dem einwand gegen
die Verdeutschung 'ausspräche' für debatte s. 100 sagen, dann lasse sich der gegen -
satz: 'die debatte dauerte zwei stunden, führte aber zu keiner rechten ausspräche',
nicht ausdrücken ? Als ob nicht 'erörterung' ein besserer ersatz für debatte wäre !
Ebenso willkürlich ist Cauers kämpf dagegen, dass Verdeutschungen oft zu Ver-
engungen des begriffes führten, wie in der gerichtssprache 'auftrag' für mandat,
'Vermutung' für Präsumtion; ist doch der begriffliche reichtum der spräche tausend-
fältig dadurch gewonnen Avorden, dass sich durch diesen Vorgang (wie auch den um-
gekehrten) bestimmtere (allgemeinere) bedeutungen von der ursprünglichen weiteren
(engeren) abspalteten. Es sei nur an 'zitieren' vor gericht uud in büchern, an volumen
für 'band' und in der naturlehre, an deren 'elemente' neben der allgemeineren
bedeutung des Wortes erinnert, und was dem freradwort hingeht, wird wohl auch
für heimische rechtens sein. Auch gegenüber Sprengel, der sich für deutsche fach-
ausdrücke der Sprachlehre auf J. Grimms schon oben angezogene voraussage beruft,
den Vorwurf nicht vollständigen anführens zu erheben, steht dem nicht zu, der den
altmeister der deutscheu Sprachforschung ganz einseitig nur für die fremdwörter
in die schranken ruft, während er doch im nämlichen vorwort zum Deutschen wörter-
buche lesen konnte, dass Grimms letzte wünsche auf das abschütteln dieses fremden
122 SCHBREU-STIFTUNG. — NEUE ERSCHEINUNGEN.
anfluges unserer spräche gerichtet waren. Wenn C. ferner bei den eprachreinigern
■den rechten geschichtlichen sinn vermisst, so musste ihm seinerseits das geschicht-
liche gewissen doch auch verbieten, Grimms gegen gewalttätige 'teutschtümelnde'
wortmacher wie Wolke und genossen geschleuderte anwürfe gegen puristen auf
'die' Sprachreiniger allgemein zu beziehen. Meine Schrift: Der deutsche gedanke
bei Jak. Grimm (Leipzig, Vogtländer 1915) hätte ihm nicht nur diese beziehung,
sondern auch recht viele Verdeutschungen nachweisen können, die Grimm selbst
angewendet oder gar gebildet hat.
Cauers gründe für eine grundsätzliche Stellungnahme gegen die sprach-
reinigung halten aber durchaus nicht immer stich, und wenn er s. 25 die leseweit
anklagt, die sich dem zeitgenössischen Schrifttum verschlossen und damit ihr amt
versäumt habe, 'mit beifall oder ablehnung auf die richtung der schaffenden ein-
fluss zu üben', so fällt diese anklage, wie seine Zustimmung zu klagen von hoch-
schuUehrern über stilistische unbcbolfeuheit ihrer hörer, auf den sonst so berufenen
führer der Jugend selbst zurück; hat er doch in seiner Stellung zu unserem neueren
Schrifttum und unserer sprachbew(!gung eine unumstössliche psychologische tat-
sache verkannt, die tatsache, dass die bevorzugende beschäftigung mit dem fernen,
iand- wie zeitfernen, zumal in Deutsehland von je den irrtum genährt hat, das nur
gelegentlich herangezogene nahe und heimische sei 'nicht weit her'!
PLAUEN I. V. THEODOR MATTHIAS.
SCHERER-STIFTÜNG.
Der verehrlichen redaktion wird hierdurch mitgeteilt, dass das kuratorium der
Wilhelm-Scherer-stiftung den diesjährigen Schererpreis geteilt und durch ihn aus-
gezeichnet hat die herren privatdozenten dr. Herbert Cysarz in Wien für sein buch
'Erfahrung und idee. Probleme und lebensformen in der deutschen literatur von
Hamann bis Hegel' (Wien und Leipzig 1921) und privatdozent dr. Karl V^ietor in
Frankfurt a. M. für sein buch 'Geschichte der deutschen ode' (München 1923).
Das kuratorium der Scherer- Stiftung
ROETHE.
NEUE ERSCHEINUNGEN.
Die redaktion iet bemüht, für alle zur besprechung geeigneten werke aus dem gebiete der german.
Philologie flaclikundige referenten zu gewinnen, übernimmt jedoch keine Verpflichtung, unverlangt
«ingesendete bücher zu rezensieren. Kine zurückliefer ung der r e z en s i o u 8 - e x e m-
plare an die herreu Verleger findet unter keinen umständen statt.
Ammon, Herrn., Repetitorium der deutschen spräche (gotisch, althochdeutsch, alt-
sächsisch). [Wissenschaftl. repetitorien. YIII.J Berlin und Leipzig, Walter
de Gruyter & co. 1922. (VIII), 79 s.
Bauckner, Arthur, Einführung in das mittelalterliche Schrifttum. München,
J. Kösel & Fr. Pustet 1923. X, 174 8.
Beck, Erust H. F., Die Impersonalien in sprachpsychologischer, logischer und
linguistischer hinsieht. Leipzig, Quelle & Meyer 1922. IV^, 106 s. 32 m.
NEUE ERSCHEINUNGEN 123
Bibelübersetznng', Vorlutlierische. — Brodführer, Eduard, Untersuchung
zur vorlutherischen bibelübersetzung. Eine syntaktische Studie. [Hermaea XIV.]
Halle, Niemeyer 1922. (X), 304 s. Grundpreis 8 m.
Caniiin.a Burana. — Die deutschen lieder der C. B. nach äex hs. CLM 4660 der
Staatsbibliothek München, hrg. von Fr. Lüers. [Kleine texte für Vorlesungen
und Übungen, hrg. von H. Lietzmann nr. 148.] Bonn, A. Marcus u. E. Weber
1922. 34 8.
Edda (Sieraundar). — Die Eddalieder klanglich untersucht und hrg. von Eduard
Sievers. [Abhandlungen der philol.-hist. klasse der sächs. akademie der
Wissenschaften. XXXVII nr. 3.] Leipzig, .B. G. Teubner 1923. gr. 8. II, 188 s.
Grundpreis 3,50 m.
Fassbinder, Franz, Kahle, Aug. und Kortz, Friedr., Die deutsche dichtung in
ihren kulturellen zusammenhängen mit charakteristischen proben. Eine ge-
schichte der deutschen literatur. XI, 262 u. VII, 252 u. XII, 342 s. Freiburg
i. B., Herder & co. 1922. Geb. Grundpreis 17,50 m.
Faust. — Bittner, Konrad, Beiträge zur geschichte des volkssehauspiels vom
doktor Faust. [Prager deutsche Studien. 27.] Reichenberg i. B., Sudetendeutscher
Verlag (Franz Kraus) 1922. (IV), 30 s.
Friedrich, Joli., Lehrbuch der gotischen spräche für den Selbstunterricht mit
übungsbeispieleu, lesestücken und Wörterverzeichnis. [Bibliothek der sprachen-
kunde 132.] Wien und Leipzig, A. Hartleben, VIII, 94 s. geb. Grundpreis 2 m.
Glosseu. — Die althochdeutschen glossen, gesammelt und bearbeitet von Elias
Steinmeyer und Eduard Sievers. 5. band. Ergänzungen und Unter-
suchungen. Bearbeitet von E. v. Steinmeyer. Berlin, Weidmann 1922. XII.
524 s. Grundpreis 15 m.
ixoethe. — Zinkernagel, Franz, Goethes Ur-Meister und der typusgedanke.
Akad. rede. Zürich, verlag Seldwyla 1922. 30 s. 1,20 m.
4jroethe und Schiller. — Die quellen von Schillers und Goethes Balladen, zusammen-
gestellt von Alb. Leitz'mann. 2. aufl. [Kleine texte . . . hrg. von H. Lietz-
mann nr. 73.] Bonn, A. Marcus und E. Weber 1923. 60 s. u. 3 abbild.
trimme, Hubert, Plattdeutsche mundarten. 2. aufl. [Sammlung Göschen.] Berlin
und Leipzig, W. de Gruyter & co. 1922. 152 s. geb. 210 m.
Orimmelshausens Courasche. Abdruck der ältesten Originalausgabe (1670) mit den
lesarten der beiden anderen zu lebzeiten des Verfassers erschienenen drucke,
hrg. von J. H. Schölte. [Neudrucke deutscher literaturwerke des 16. und
17. jhs. 216-248.] Halle, Niemeyer 1923. LVI, 168 s. Grundpreis 1,80 m.
Günther, Christian. — Frei ist der bursch. Studenten- und Wanderlieder und
sonstige Zeugnisse von und über Günther mit anmerkungen, hrg. von Adalb.
Hoff mann. Schweidnitz, L. Heege o. j. (IV), 66 s.
Heine. — Loewenthal, Erich, Studien zu Heines 'Reisebildern'. [Palaestra
nr. 138.] Berlin und Leipzig, Mayer & MüUer 1922. (VHI), 172 s. Grund-
preis 25 m.
Heliand und Genesis hrg. von 0 tto Behaghel. 3. aufl. Halle, Niemeyer 1922.
XXXVI, 290 s. Grundpreis 8 m.
Hellquist, Elof, Svensk etymologisk oi-dbok. Lund, Gleerup 1922. 13 u. LXXIH
u. 1284 s. 71 kr.
islendingabök. — Ares Isländerbuch, hrg. von Wolg. Golther. 2. aufl. [Altnord,
sagabibl. 1.] Halle, Niemeyer 1923. XXXII, 54 s. Grundpreis 2 m.
124 NEUE ERSCHEINUNGEN
Kauffiiiann, Friedrich, Deutsche altertumskunde. Zweite hälfte : Von der völker-
wanderund bis zur reiclisj^ründung. München, C. H. Becksche verlagsbuch-
liandlung (Oskar Beck) 1923. VIII, 711 s. und 30 taff.
Lenz, J. M. K. - Huber-Bind schedler, Berta, Die motivierung in den
dramen von J. M. K. Lenz. Ein beitrag zur psychologie Lenzens. [Züricher
dissert. 1922.] (VI), 157 s.
Lübeck. — Veröffentlichungen der Stadtbibliothek zu Lübeck. Erstes stück, hrg.
zur dreihundertjahrfeier der stadtbibliothek. Lübeck, M. Schmidt 1922. VI^
26 u. VIII, 101 s.
Inhalt: W. Pieth, Mitteilungen über die Lübeckische stadtbibliothek 1616
(1622)— 1922. — Paul Hagen, Die deutschen theologischen handschriften der
Lübeckischen stadtbibliothek.
Marr, Nikolaus, Der japhetitische Kaukasus und das dritte ethnische element im
bildungsprozess der mittelländischen kultur. Aus dem russischen übersetzt von
F. Braun. [Japhetitische Studien, hrg. von F. Braun und N. Marr. IL]
Berlin, Stuttgart und Leipzig. W. Kohlhammer 1923. 76 s.
Merker, Paul, Neuere deutsche literaturgeschichte. [Wissenschaftl. forschungs-
berichte, hrg. von K. Honn. VIII.] Stuttgart und Gotha, Andr. Perthes 1922.
(VIII), 142 8.
Murner.— Thomas Murners Deutsche Schriften mit den holzschnitten der erst-
drucke, hrg. unter raitarbeit von G. Bebermeyer, K. Drescher, F. List, P. Merker,
V. Michels, M. Spanier u. a. von Franz Schultz. Band IV. Die mühle von
Schwindelsheim und Gredt Müllerin Jahrzeit, hrg. von Gust. Bebermeyer.
Berlin und Leipzig, W. de Gruyter & co. 1923. VIII, 205 s.
Naumann, Hans, Althochdeutsche grammatik. 2. aufl. [Sammlung Göschen.] Berlin
und Leipzig, Walter de Gruyter & co. 1923. 159 s.
Nibelungensage. — Pol ak, Leon. Untersuchungen über die sage vom Burgunden-
untergang. [Groninger dissert.] Berlin 1922. VIII, 124 s.
Noreen, Adolf, Einführung in die wissenschaftliche betrachtung der spräche. Bei-
träge zur methode und therminologie der grammatik. Vom Verfasser genehmigte
und durchgesehene Übersetzung ausgewählter teile seines schwedischen Werkes
'Värt spräk' von Hans W. Po Hak. Halle, Niemeyer 1923. VIII, 460 s.
Grundpreis 12 m.
Ordbog over det danske sprog grundlagt af Verner Dahlerup med understottelse
af undervisningsministeriet og Carlsbergfondet udg. af det Danske sprog-og
litteratur-selskab. Femte bind, flyve — frette. Kebenh., Gyldendal 1923. (IV)-
s. u. 1312 sp.
Pelagia. Eine legende in mnl. spräche mit einleitung, anmerkungen und glossar
von A. F. Win eil. Halle, Niemeyer 1922. XVIII, 50 s. u. 1 facsim. Grund-
preis 2 m.
Reinniar von Zwetei*. — Bonjour, Edgar, Eeinmar von Zweter als politischer
dichter. Ein beitrag zur Chronologie seiner politischen Sprüche. [Sprache und
dichtung . . . hrg. von H. Maync u. S. Singer. 24.] Bern, Paul Haupt 1922.
59 s. 32 m.
Schirokauer, Arnold, Studien zur rahd. reimgrammatik. Preisschrift der Münchener
philos. fakultät. [Sonderabdruck aus den Beitr. zur gesch. der deutschen
.spräche und lit., bd. 47.] Halle, Niemeyer 1923. (IV), 126 s. Grundpreis 4 m.
NEUE ERSCHEINUNGEN 125
Schrader, 0., Reallexikon der indogermanischen altertumskunde. Grundzüge einer
kultur- und völkergeschichte Alteuropas. 1. band (A— K), hrg. von A. Nehring.
Berlin und Leipzig, W. de Gruyter & co. 1917-23. X, 672 s. u. 59 tafeln.
Stefausky, Georg, Das wesen der deutschen romantik. Kritische Studien zu ihrer
geschichte. Stuttgart, J. B. Metzler 1923. (VIII), 324 s. Grundpreis 9,50 m.
Steiniuar. — Schultz, Franz, Steinmar im Strassburger münster. Ein beitrag
zur geschichte des naturalismus im 13. Jahrhundert. [Schriften der Strassb.
wissensch. gesellsch. in Heidelberg, n. f. VI.] (IV), 15 s. u. 1 tafel in lichtdruck.
Berlin und Leipzig, W. de Gruyter & co. 1922. 20 m.
Sturm und drang. — Stockmeyer, Clara, Soziale probleme im drama des Sturmes
und dranges. [Deutsche forschungen, hrg. von Fr. Panzer u. J. Petersens.]
Frankfurt a. M., M. Diesterweg 1922. V, 244 s.
Taylor, Archer, Northern parallels to the Death of Pan. [Washington university
studies, vol. X, 1.] 1922. 100 s.
Tieck. — Lüdeke, H., Ludw. Tieck und das alte englische theater. Ein beitrag
zur geschichte der romantik. [Deutsche forschungen, hrg. von Fr. Panzer
und J. Petersen. 6.] Frankf. a. M., M. Diesterweg 1922. VIII, 373 s.
Totentänze. — Stammler, Wolfgang, Die totentänze des mittelalters. [Einzel-
schriften zur bücher- und handschriftenkunde. IV.] München, Hofst Stobbe
1922. 64 s. und 6 bll. tafeln.
Trojan, Felix, Das theater an der Wien. Schauspieler und volksstücke in den
Jahren 1850—1875. Wien und Leipzig, Wilaverlags-aktiengesellschaft 1923. 77 s.
Unger, Rudolf, Herder, Novalis und Kleist. Studien über die entwicklung des
todesproblems in denken und dichten vom Sturm und drang zur Romantik.
[Deutsche forschungen, herausgegeben von Fr. Panzer und Jul. Petersen,
9.] Frankfurt a. M., M. Diesterweg 1922. VIII, 188 s. 1600 m.
Volkskunde. — Hoffmann-Krayer, E., Volkskundliche bibliographie für das
jähr 1919. Im auftrage des Verbandes deutscher vereine für Volkskunde heraus-
gegeben. Berlin und Leipzig, W. de Gruyter & co. 1922. XVf, 142 s. 54 m.
— Naumann, Hans, Grundzüge der deutschen Volkskunde. [Wissensch. und
bildung. 181.] Leipzig, Quelle & Meyer 1922. (IV), 158 s. geb. 100 m.
Waltlier von der Vogehveide, hrg. von Karl Lachmann. 8. ausgäbe, besorgt
von Karl v. Kraus. Berlin und Leipzig, W. de Gruyter & co. 1923.
XXXIII, 232 s.
IVeckherlin. — Johnson, Elizab. F., Weckherlins Eclogues of the seasons.
[Dissert. der John Hophius univ.] Tübingen 1922. 68 s.
Wolfram von Eschenbach. — Schreiber, Albert, Neue bausteine zu einer
lebensgeschichte Wolframs von Eschenbach. [Deutsche forschungen, hrg. von
Fr. Panzer und J. Petersen. 7.] Frankfurt a. M., M. Diesterweg 1922.
IX, 233 s.
— Palgen, Rud., Der stein der weisen. Quellenstudien zum Parzival. Breslau,
Trewendt & Granier in komm. 1922. (IV), 60 s^; 30 m.
Wortspiele. — Buch der Wortspiele, hrg. von J. Gössel. Köln a. Rh., Hoursch &
Bechstedt 1923. 95 s.
Ziehen, Eduard, Die deutsche Schweizerbegeisterung in den jähren 1750—1815.
[Deutsche forschungen, hrg. von Fr. Panzer und J. Petersen. 8.] Frank-
furt a. M., M. Diesterweg 1922. VIII, 214 s.
NACHRICHTEN
NACHRICHTEN.
Am 25. Oktober 1922 verstarb zu Weimar der Goetheforschcr dr. Wilhelm'
Bode (geb. zu Hornhausen 30. märz 18Ü2).
Der ausserordentl. professor der nordischen philologie an der Universität
Leipzig, geh. studienrat dr. Eugen Mogk wurde zum Ordinarius befördert, ebenso-
der ausserordentl. professor dr. AlbertLeitzmann in Jena.
Der ordentl. professor dr. Julius Petersen und der geh. studienrat dr.
Johannes Bolte in Berlin wurden zu ordentl. mitgliedern der philos.-hist. klasse
der preuss. akademie ernannt; der ordentl. professor, geh. regierungsrat dr. Edward
Schröder in Göttingen zum korresjtondierenden mitgliede der Münchner akademie.
Für deutsche philologie habilierteu sich: in Frankfurt a. M. dr. Karl Victor,
in Giesseu dr. Karl Karstien, in Göttingen dr. Günther Müller und dr.
Ludwig Wolff, in Leipzig dr. Fritz Karg; für neuere deutsche literatur-
geschichte: in Frankfurt a. M. dr. M. Sommerfeld und in Wien dr. Herbert
Cysarz.
PHILOLOGEN-VERSAMMLUNG IN MUNSI^ER 1923.
Die 54. Versammlung deutscher philologeu und schulmänner findet vom
27.-29. September 1923 zu Münster i. W. statt. Als obmänner der germanistischen
Sektion fungieren professor dr. J. Schwering in Münster, Erphostr. 29 und
professor dr. P. Kluckhoh u in Münster, Neustr. 8. Vorträge sind bis zum 20. juli
anzumelden.
ZUR EDDAMETRIK^
(Härbar|)slj 6f), Sigr drifumol, Atlakvi|)a, Atlamyl,
Ham|)esm()l.)
I. Harbarl)sljöl).
Dass die lang-zeile 18^ (z. 45 Sijmons), in der die beiden halb-
verse ihre eigene alliteration haben (ok ör dale djüpom 1 grund of gröfo)
\\\ R fehlerhaft überliefert ist, liegt auf der band. Bereits Bergmann
stellte mit recht chiastischen Stabreim her {ok grund or drde \ djupom
<jn>fo), und es ist schwer begreiflich, dass diese auf den ersten blick
einleuchtende emendation, die Hildebrand und ich in den text auf-
nahmen, späteren herausgebern zu kühn erschienen ist. Ebensowenig
bedurfte es besonderen Scharfblicks um zu sehen, dass str. 12 (z, 27
Sijmons) in Unordnung geraten ist : auch hier boten die reimbuchstaben
das mittel zur heilung dar, die jedoch noch keinem vollständig ge-
lungen ist. Was ich noch in meiner letzten ausgäbe aus den beiden
vorausgegangenen wiederholte, ist nämlich noch nicht befriedigend ;
es lassen sich aber ohne besondere Schwierigkeiten zwei korrekte
langzeilen herstellen :
En pot sakar eigak, fyr slikom sem pü est
monk forpa fJQvve, nemo feigr seak.
Neckel war hier bereits auf dem richtigen y^Q^t, wagte aber noch nicht
das völlig entbehrliche nihio, das den vers überlädt, und das J)ä zu
streichen: die halbzeilen 12^'' und 12 ^^ bilden nämlich einen satz
und die kommata in ^'° sind vom übel.
Diese beiden stellen beweisen, dass es mit der Überlieferung des
liedes nicht zum besten bestellt ist, und diese erkenntnis gibt, wie ich
meine, dem herausgeber das recht, bei der herstellung des textes etwas
kühner zuzupacken. Man darf sich nicht mit der meinung beruhigen,
dass man es mit 'freien rhythmen' (oder mit 'sagversen' !) zu tun habe,
oder dass unser dialog (wie bei Shakespeare) aus poesie und prosa
gemischt sei. Die verwendeten verse sind nämlich in der weitaus
überwiegenden mehrzahl dieselben, die auch in den übrigen eddischen
1) Diese ausführungen bilden eiae ergänzung zu dem im Arkiv för nord.
fijßl., bd. XL erschienenen aufsatze, der die in reinem foruyrl)islag abgefaßten Edda-
gedichte behandelt.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE nilLOLOGIE. BD. L. 10
128 GEitiN«;
massen (fornyr}Mslag-, niälahättr und ljul)ah;\ttr) sich finden, und die
prosa beschränkt sich, wie mir scheint, auf die immer wiederholten
kurzen fragen: llcat cant pä mepan, pörr'i' Hvat vant pü mepan,
IL'irburpr'^ Am stärksten war der autor ohne frage von der gnomischen
und dialogischen dichtung beeinflusst: mehrere Strophen sind ja in
nahezu korrektem Ijöl^ahättr oder galdralag abgefasst (s. unten § 30).
Ich lasse das denkmal in der gestalt, wie sie sich nach längerer be-
schäftigung mit demselben mir ergeben hat, folgen; die verstypeu sind
links und rechts am rande angegeben.
H urbar I)slj ü[).
I^örr för or austrvegi ok kom at sundi einu; 9|j)rum megum sundsins
var ferjukarlinn niej) skipit. ]:>('»rr kalla})! :
C* 1 ' Hverr's sä sveinn sveina, es stendr fyr sundet handan? BA
Ferjukarlinu kva}» :
C* 2 ^ Hverr's sä karl karla, es kallar of vägenn? aA
tön- kval):
A 3 ^ Fer mik of sundet ! f0{)ek pik ä morgou : AA
El * meis hefk ä bake, verpra matr enn betre. AA
El ° At ek i hvilf), äpr heimau förk, D 2
A '^ sildr ok hafra: sajjr emk enn pess. E2
Ferjukarlinn kvali :
A 4 • ' Arlegom verkom hrösar verpe pinom •, AA
E2 veiztattu fyrer, [veslingr!] gorla: A21
EC ^ dopr 'ro pin heimkynne, dauf) hykk at pin möper se. EE
f'örr kva}) :
D2 5 ^ Hitt seger \m nii, es hverjom pykker aA
P raest at vita, at min möper daup se. aA
Ferjukarlinn kva]»:
E2 6 '° f)eyge's sem pü \m\\ bü gö|j eiger: AC
El ^' berbeinn {ni stendr ok hefr brautinga gorve; CE*
F ^2 patke at brokr pinar hafer! F
1) Hverr er R. 2j Hverr er K. 3) Fer]pu K. löl)i ek R. matrinn betri R.
5) äjjr ek heiman för R. 6) am ek R. 7 *• -) Arlegom — gorla eine zeile (säsur nach
vert)enom) S. 7 ') hrösar l)ü R. ver{)e J)inom Bm, verjjinum R. 8) dQpr eru R. hykk]
hygg ek R. 9 *■ -) als zwei langzeilen Nl, als dine [zäsnrlose) langzeile S. 9 ') HittJ
I'at R. 10) l'eygi er R. 11) hefir R. 12) eine langzeile edd. at \m hafer brökr
Jjinar R.
ZUR EDDAMETRIK 129
f^örr kvaj) :
AA 7 '^ Styr{)U hingat eikjo! st9l3na monk |)er kenna; AA
B ^* ej)a hverr a skipet es heldr vi^j landet? aA
Ferjukarlinn kvaj) :
E*l 8 '^ Hildolfr sä heiter, es mik halda bal?, B*
D*l ^^ rekr enu ra|3sviniie i Räl)seyjarsimde; CA
BC ^^ ba{3at hlennemenn flytja ef)a hrossa {^jofa, aA
A ^^ gö{)a eina ok {)äs gorva kunnak. aA
A ^^ Segjoii til nafns pins, ef of sundet vill fara. BC
t'ürr kvaj) :
aA 9 ^^ Monk segja til nafns mins, I^öt ek sekr seak, C*
C* ^^ ok til alz 0f)les: ek em ÖJ)ens sunr, B
A ^^ Meila brolier, en Magna fa{)er, B
A2k ^^ {)rül3valdr goJ)a; vij) f>6r knattu her döma. CE*
DE* ^* f)ess viljak nii spyrja, hvat {)ii heiter. C
Ferjukarlinn kvaJ) :
E*l 10 ^° Härbar{3r ek heite, hylk of nafn sjaldan. AC
f'örr kva}):
EIC 11 ^" Hvat skaltu of nafn hylja, uema Jxi sakar eiger? AC
Härbarl^r kvaJ) :
C* 12 -^^ En {jüt sakar eigak, fyr slikom sem |)ii est aA
aA monk forpa fjorve, nema feigr seak. C
föiT kval):
F 13 -** Harm Ijötan hykk mer 1 {3 vi [vesa], AC
BB at val^a of vag til |)in
BC (katal.) ^^ ok vseta ggor minn;
E* ^° kogorsveine I^inom skalk launa kangenyrj^e, BA
AB J)äs ek komomk of sund.
13) eikjunni R. ek mun lier stoljua kenna R. 14) \)n heldr R. 16) es bj'r
i R.R. 17) bal)at hann R. 18) l^äs] l)ä er R. gorva kunnak J, ek g^rva kunna R.
19) ef l)ü vill of sundit fara R. 20) Segja mun ek R. seak] sjäk R. 24) Pesä]
Hins R. viljak S, vil ek R. 26) eine zäswlose langweile S. 27 *' *) ^ine langseile
{zäsur nach eiga) .S'. 27^) l)6t ek sakar eiga R. fyr — est hinter mino (27^) R edd.
27-) l)ä mun ek R. fjorvi minu R. feigr seak J, ek feigr se R. 28'*^) eine lang-
zeile (zäsnr nach l)vi) .S'. 28') hykk — vesa] mer {jykkir i l^vi R. 28'-) väginn R.
28-*. 29) eine langseile G. 29.30*) eine langseile (ok vs.'ta. qsoy minn | skyldak launa
kogorsveine Innom) S. 30*) skyldak (skylda ek R) launa kogursveini [)inum | kan-
ginyr|)i G mit R. kangenyrt)e als erste halbzeile mit 30"* verbunden S. 30* l)äs] ef
ek R. sundit R.
10*
130 GERING
HärbarJ)!' kvalK
A 14 ^^ Her monk standa ok bel)an J)in bi|)a-, CG
B* ^^ faiitat harfiara mann at Hrungne dau[ian. aA
l^örr kval) :
El 15 ^^ Hins vildu nü geta, es vit Hrungner deildom, aA
CB ^^ sa enn sturiil)ge J9tonn, es 6r steine vas h9fol)et ä ; aAB
E*l ^^ {i6 letk hann falla ok fyrer hniga. C
(Prosa) ^^ Hvat vantu |)ä mejjan, Härbar{)r?
Härbarjir kvali :
C* 16 ^' Vask raej) FJ9lvare fimm vetr alla A21
aA ^^ i eyjo {^eire es Algron heiter; aA21
A ^^ vega J)ar kn^ttom ok val fella, C
A *" margs at freista, mans at kosta. A
förr kvaj) :
B* 17 *^ Hverso snünoJDO yj)r snöter yjjrar? A
Härbar|)r kva}) :
AA 18 ^^ Sparkar ^ttom snöter, ef at spgkom yr|)e, C
AA ^^ horskar gttom snöter, ef oss liollar vsere: aA
A ** {)8er 6r sande sima nndo A
B *^ ok grund 6r dale djiipom gröfo. A
C* "^ Varf)k {^eim einn gllom 0fre at r(}J)oin, A
B *'' hja systrom I)eim sjau ek hvildak A
C *** ok gej) (Htak alt jDeira ok gaman. El
(Prosa) *^ Hvat vantu {iä mel^au, f)6rr?
i'örr kva|) :
A 19 ^"^ Ek drap f>jaza, enn |)rül)mul)ga J9ton, CB
A ^^ upp varpk augom Alvalda sonar El
BB ^^ ä ]3ann enn heijm himen;
B* ^^ J)au'ro merke mest minna verka, A
CB ^* |)aus menn si[jan of se.
(Prosa) "^ Hvat vantu mej^an, Härbar|)r?
31) mun ek R. bin he]ian R. 32) fantattu mann enn har^ara R. 35) let
ek R. 37) var ek R. 38) eyjo] ey R. 39) vega ver \ydr kn. R. 41) zäsm-lose
langzeile edd. snöter] konur R. 42) snöter] ver konur R, ef oss R. 43) snöter]
ver konur R. 45) ok or dale djüpom | grund of gröfo R edd. 46) Var^ ek R.
47) hvildak (livilda ek R) hjä lieim systrum sjau R edd. (als zäsurlose seile). 48) ok
hafbak (haf^a ek R) ge\) beira alt ok gaman R edd. {als zosurlose zeile). 51) ek
varp R. 53) bau eru R. 54) pau er aller menn RA.
ZUR EDDAMETRIK 131
Härbar[)r kvaj) :
D*l 20 ^^ Miklar manvelar ek haf|)a vif) myrkrijjor, BC
BB ^^ es ek velta f)ä frä verom ;
F ^^ har{)an joton hugjoak Hlebar|) vesa: aA2k
BB ^^ bann gaf mer gambantein,
BB ®° en ek velta bann 6r vite.
i'örr kva]3 :
D2 21 ^^ Gjafar launaper |)ü g6|)ar illom buga. AB
HärbaiJ)r kva]5:
F 22 ^^ f)at befr eik es af annarre skefr: CB
BB ^^ es i sliko bverr of sik.
(Prosa) ^^ Hvat vantu me]3an, fxjrr?
{•örr kvaf» :
F 23 '^^ Ek vas austr ok jotna bar|)ak aA
D*l ^^ briij^er b9lvisar es til bjargs gengo: C*
EC "^^ mikel munde sett J9tna, ef aller lifj^e, aA
B* *'^ munde manna vaetr und mi{)gar{)e. C
(Prosa) "^ Hvat vantu mejjan, Harbarf)r?
Härbarjjr kva}) :
D*l 24 " Vask ä Vallande ok vigom fylgf)ak, aA
A ''^ attak j^from, en aldre ssettak, aA
E*2 '■* Ö{)enn ä jarla {)as i val falla, C*
BB '^ en f)6rr ä |)riela kyn.
t'örr kva]) :
A21 25 '* Ojafnt skipta munder me|) ysom lij^e B*
BE '^ ef Setter vilge mikels vald.
Härbail)!- kvaij :
AC 26 ^'^ f)örr ä afl öret, en etke bjarta: aA
BC '^ af bräizlo ok bugbleype vas {)er i banzka trof)et BB
BC ''^ ok {jötteska J^orr vesa;
57) es] l)ä er RA. 58) \mg\)& ek A, ek hugba R. 59) gaf bann RA. 61) Illum
huga launajjer {)ü bä gö^ar gjafar (gjafir A) RA (i-o« den edd. als prosa betrachtet).
63) of sik er bverr i sliku RA. 68) vä^tr mundi manna RA. 70) Var ek RA.
71) atta ek RA. 72) bäs] liä er RA. 74) er bii mundir RA. 75) ef ^\\ ä-ttir RA,
77) l)er var R. 78 ^ötteska \n\ R, <<boftizkattu» A.
132 OKHIXC
A ''^ hvärke l)ii |)or[)er fyr liräzlo l)iiine aA
A **' fisa ne hnjosa, svat Fjalarr heyr|)e. C
l'örr kva|):
A2k 27 ^^ HärbarJ)!- rage! mundak I)ik i hei drepa, B*C
BB ^'^ ef ek seilask mjetta of simd.
Härl)arl)r kval» :
BC 28 ^^ Hvat skaltu of sund seilask, es sakar 'o alz engvar? BC
(Prosa) ^* Hvat vantu \n\, {^6rr?
IVirr kvalj:
F 29 ^^ Ek vas austr ok (}na varj)ak, aA
A ^® J3as mik sotto ])eir Svärangs syner; aA2k
A ®' gi>>te mik b9r|)o, gagne ])(') litt fegner AC
A **** ur|)o J)eir fyrre frij^ar at bi[)ja. A
(Prosa) ^^ Hvat vantu Jn'i mepan, Härbar])r?
Härbarl)r kva^):
F 30 ^' Ek vas austr ok vi|) einhverja döm[)ak, C*A
D*l ^^ lekk vij) linhvita ok launping haf^ak, aA2b
D*l ^^ gladdak gollbjarta, gamne m^er unl)e. D*l
t*örr kva}) :
D2 31 ^^, Mä't yttol) er maukynne I^ar. El
Härbarl)!- kvaj) :
A21 32 ^* p>ins lil^s I)urfe, I:>()rr, vierak I^ä, D2
aA at heldak henne, enne livito mey. B*
f*6rr kvaj) :
AE 33 ^^ Veita mundak J^er {jat, ef ek vil)r of kviemomk, aA
Härbai-Jir kval) :
D2 34 ^^ Trua mundak J)er, nema mik i tryg|j veiter. BC
79) l)u J)ä RA. 80) hnjösa ne fisa R. svä at RA. 81) ena rage RA. ek
munda RA. 82) mst'tta seilask RA. sund R, sundit. A. 83) skaltu A, skyldir \)n R.
sakir 'ro R, sakar eru A. 86) l3äs] t)ä er RA. l)eir söttu mik A. 87) [)eir mik RA.
gagne urljo l)eir Ijö (1)6 am. A) RA. 88) 1)6 url)u RA. lieir mik f^rre RA. 91) lek
ek RA. vili ena jinhvito (lindhvito R) RA. long Inug R. 92) gladda ek A. ena
gollbjgrtu R, hina guUhvitu A. 93) Mä't] Göl) RA edd. öttu [)er A, (ittu l)eir R.
l)ar l)ä RA. 94 ''O eine langzeile {zäsiir vor at) S. 94*) Lii)S J)ins va?ra (var A)
ek l)ä l)urfi törr RA. 94 ") heldak henne] ek heida Jjeire RA. linhvitu RA. 95) Ek
munda l)er ]);i l)at (l^at Jjä A) veita RA. ek om. A. vilj A. «kfemumz» A,
ckomiz» K. 96 a) Ek nuuula l)er Jiä tn'iu RA. 96b) nema l)ii RA.
ZrK EDDAMETRIK 133
l*6rr kTa{) :
€* 35 "' Emka hselbitr sä sein hülDskor forn a vär. BB
Härbarl)r kvaj) :
(Prosa) 36 '^^ Hvat vantu niej^an, p>orr?
P'örr kva|j :
D*l 37 »^ Brillier berserkja barijak i Hleseyjo, D*l
C* ^"^^ h9fl)0 {)£er verst unnet, vilta I)jö|i alla. D*l
Harbar}»r kvaJ) :
AB 38 ^''' Klajke vantu, |:)urr! es ä konom bar[)er. C
l*6rr kva{) :
E*l 39 ^°^ Vargyiijor v(>ro, en varla konor; B
A ^"^-^ skeldo skip mitt, es ek skorfjat hafj)ak, aA
D*i ^°^ t'gl^o mer jarnlurke, en elto {^jalfa. aA
(Prosa) ^'^^ Hvat vantu melian, Harbar|)r?
HärbarJ)!' kvajj:
B 40 '°^ I hernom vask, es hingat gorliesk aA
D*l ^"^^ gnaifa gunnfaua, geir at rjöf^a. A
Pnrr kvajj :
El 41 ^"^ f)ess vildu nü g-eta, es {^ü fürt o/// oss bjojia. aAA
Härbarjjr kvajj :
E*2 42 '^^ Böta skal [)er I)at bauge raundar, A
aA ^1' sem jafuendr unno, I)eirs okr vilja s^etta. CA
1*0 rr kvajj ;
El 43 ^^^ Hvar namtu or[) Jjesse en hnüfelego, AB
aA ^^^ es ek heyrj)a aldre in hnüfelegre V aA
Härbarln* kvajj :
A 44 113 isi^am]^ af f/tom euom aldrönom C
Bß ^^* es i heimes haugom ])ua.
97) Emkat ek sä luvlbitr RA. 99) barlja ek A. Hlesey A. 100) l)*r
hofl)U RA. velta R. 101) vantu l):i RA. es \)\\ RA. 102> vüru l.ä-r R, l)at vom A.
lO.'i) baflm A. 106) Ek vark (var A) i bernom RA. 108) ölil> oss] oss «ölubax»
(«oliyfä > A) at RA. 109) l)at liä R, om. A. munda baugi RA. 110) |)eir.s] l)eir
«r R.V. sä'tta R, s;vtt hafa A. 111) zäsur nach namtu S. l)essi en hnöfiligu orl)
JRA. 112) aldregi R. in] hin A, 15;». R. 113) Nam ek RA. ytom Bitgi/e, monnum
R, om. A. l)eim enonx R.\. 114) er büa i heimis skögum (<'skagö«> A) RA.
134 GERING
i*nrr kva}) :
F 4b ^^^ pd gefr |iü gött nafn dysjom, A2I
B*B "^ es I)ü heimes havga heitr.
Härbarj)!" kva)) :
F 46 ^1' Sva (lumek of slikt far. F
l'örr kvaj) :
El 47 ^''^ Orjjkringe |)in mon [xir illa koma, B*^
BB *^^ ef ek rädp a vag at vajja;
A ^'^° ulfe htera hykk |)ik üpa mono, B*
BB ^^^ ef hlj'tr af hamre hogg.
llärbarj)!- kva]»:
AC 48 ^^^ Sif a hör heima, bans mont fuud vilja, AC
AC ^-^ {)anii mont ftrek drygja, |)at's |)er skyldara. AC
{•nrr kvalj :
AC 49 '-•* Mjeler at münz rixpe, svät mer shjh verst {jykkja, BC
D*l ^^'^ halr enn hugblanl:)e! hykk at {hi Ijüger. E*2
Härbarjjr kva]j :
DA 50 ^^*^ Satt hykk mik segja; seinn'st at f9r |jinne; AC
El '-' langt munder komenn, ef NJ> of fdrer. aA
f'örr kvalj:
A2k 51 ^'■^^ Härbarl)r rage! heldr hefr nü mik dvaljian. AA
Härbarl)r kva}) :
F 52 '^^ Asaf)örs hug{)ak aldre mundo AA
AE ^-^^ glepja farhirfje farar.
f'örr kvat) :
AA 53 ^^^ Rä|) monk per nü ra|)a: rö {du hingat bäte; AA
D*l ^^^ hsettom hotinge, hittu fo|)or Magna. AC
115) f'ä S, Pö RA. 116) es \)\i kallar ^äir (om. A) heimis sköga RA. haugom
(114) und hauga (116) hessernny von Bngge. 117) säsiirlosc zeile edd. dömi ek RA.
120) hygg ek BA. i)ik äpa munu A, at })ü opa mynir R. 121) ef Ijü hlytr RA.
122) h(')r] hö RA. muntu A, mundo R. 123) muntu RA. l)at er RA. skyldra A.
124) mä'ler Ijü RA. svä at RA. skyle J, skyldi RA. 125) hygg ek RA. 126) hygg
ek RA. mik R, Jiik A. seinn ertu RA. 127) munder Jni nü komenn (I'örr add. R)
RA. ef liü RA. lilj of Hild., litum RA. 128 enn rage RA. \m nü RA. dvallianR,
dvalit A. 129) Äsaljörs R, Äsal)ör A. huglia ek R, ek hugjia A. aldregi RA.
130) farhirj)e SvhJ. Egilsson, fehir})i RA. 131) raun ek RA. bätinum RA.
ZUR EDDAMETRIK 13&
Härbar])r kvaj) :
AC 54 ^^^ Farlni firr siinde! {)er skal fars synja. AC
PöTT kva|) :
BB 55 ^^^ Alz vilta mik ferja of vag, [pä] visa f)u leil)ena mer. BB
Härbarl)r kvaj) :
A 56 ^^^ Litt's at synja, langt's at fara: F
A ^^" stund's til stoksens, til steinsens 9nnor, aA
BA '^^ halt sva til vinstra vegsens, unz Verland hitter. aA2l>
A ^^^ f)ar mon Fjgrgyn hitta pör sun sinn C*
F ^'^^ ok hon mon h(>nom kenna A.
E*l ()ttunga brauter til OJiens landa. aA
förr kva[) :
C 57 ^^« Mon ^/;n- taka I^angat i dag? El
Härbar{)r kva^) :
C 58 ^■'^ Vi{3 vil taka ok erfil^e, C
CA '*■- at upvesande solo, es ek dila pik nä. B-
f'örr kva|3:
EC 59 ^^^ Skamtmonnümälokkat, alzmersvararskytingo eiune; CE*
AC ^*^ launa monk farsynjon, ef vit finnomsk i sinn annat, B*C
Härbarljr kvaj):
AC 60 ^^'' Far|ni J^ars g^rvallan gramer J^ik hafel DC
1. Versbau und strophenbau.
1. Von den 264 zeilen unseres denkmals (246 halbzeilen und
18 Vollzeilen) kommen 42 (= 15,9 "/o) auf den typus A. Normalverse
(ohne nebenhebungen und verschleifungeu) sind die folgenden: sildr
133) firr K, frä A. 134 a) hinter 131 b RA. Alz - väg] alz bii vill mik (nu
add. A) eigi of väginn ferja KA. 134 b) Jiä om. RA. leibena mer] mer nü {om. A)
leifjina RA. 135) Litit er RA, at(l) om. R. langt er RA. 13Ö) stund er RA.
stoks A. 9nnor (er add. A) til steinsins (steins A) RA. 137) haltu RA. vegs A.
unz In'i hittir Verland (Yalland A) RA. \^%^-^) eine langzeile {zästir nach \>r&\\%Qv) S^
139 ') ok mun bön kenna hönum RA. 140) zäsurlose zeile edd. förr] ek RA.
i dag R, :i degi A. 141) zäsurlose seile edd. Taka vi}) vil ok (vit add. A)-
erfibi RA. 142) zäsurlose zeile edd. upverandi R, uprennandi A. fetla] get RA^
bik nä] bäna R, bau» A. 143) okkat A, okkat vera R. alz — einne] alz \ni mer
skötingu einni svarar R, er b^ vill skötingu eiuni svara A. 144) monk] mun ek
ber RA. 145) zäsurlose zeile (prosa) edd. Farjiu nü RA. gQrvallan — hafe] b'^^
hafi allan (allir A) gramir RA. ♦
I
136 GERING
ok hafrn 3*", göpa eina^ 8*% Meila broper 9'"^'', her mo7ik sfandd 14:''";
ferner 16 <'^ 16**> 18 ^^ 18 ^''^ 19"* 19"' 19 ^^ 24 ^^ 29'" 39«'' 40«" 42'^
441a 473a 56 2a Ausserdem wären, wenn die vorgenommenen ände-
rungen als annehmbar befunden werden, hinzuzurechnen : djnponi grüfo
18^", sjau eh hvtldak 18"'', litt's ot mnja 56"', h<}iiom kcnna bQ-''°. -
Der untertj'pus A2k ist zweimal bezeugt: pn'ipvcddr (lojm 9*", Hdr-
hurpr {enn) rage 271« (=511") 5 A21 3mal: fimm retr cdla 16 1^ öjafnt
xkipta 25"', gött 7iafn dgsjom 4b^^; dazu käme, wenn meine ergänzung
richtig ist, [veslingr] ggrla 4^'^ sowie 32"' (wo der überlieferte text
nur leicht geändert wurde): plns Ups pmrfe. - Nebenhebung im
2. f u s s e begegnet 2mal : segpu til nafas p'ins 8 ^\ par nwn FJQrgyii 56 ^'\
2. Verschleifung der 1. hebung kommt 2mal vor: vegcf
(irr) par kngttom 16^*, fripar at bipja 29*"; verschleifung der binnen-
senk ung 8mal: fer{pu) mik of sundet 3"', drlegom verkom 4"', segjm
tu nafns plns 8-''\ ofre at rrjpom 18^", hvdrke pü {pm) P)orp>er 26*',
Jisa ne hnjösa 26^", grjöte {peir) mik hQipyo 29^", urpo peir (mik)
fyrre 29*".
3. U b e r 1 a d e n e s e n k u n g e n sind durch Streichung überflüssiger
Wörter stets zu beseitigen: /('/•(^m) mik of sundet 3"', vega (ver) par
knpttom 16 3% hvdrke pü {pä) porper 26*% Härbarpr {enn) rage 27"'
{= 511*), grjöte {peir) mik bf>rpo 29^", urpo peir {mik) fyrre 29*".
4. Typus B ist nur durch 8 belege (3,04 ^Vo) vertreten, die meist
V e r s c h 1 e i f u n g e n (z. t. mehrfache) aufweisen : ejja hverr ä skipet 7 •^'',
ek em Opens sunr 9''^", rn Magna faper 9^"; en varla konor 39 1";
dazu 4 verse, in denen emendationen nötig waren : ok grund 6r dale
18*-', hjd systrom peim 18''", / hernom vask 40 1*, es ek dtla p)ik nä 58''^".
5. Die zahl der C-verse beträgt 13 (4,94 "/o), darunter 4 normale:
hvat p)ü heiter 9^", ok val fdla IQ'^^, ok gep dttak (emendation) 18'",
und mip)garpe 23*". Der untertypus C2 (2. hebung auf kurzer silbe)
kommt 4mal vor: nema feigr seak {nema ek feigr se R) 12^'', man
porr taka (mon ek iaka RA) 57"', vip od taka {taka vip iilJlk) 58"',
ok erfipe 58 1". — Verschleifung der e i n g a n g s s e n k u n g begegnet
2mal: nema feigr seak 12^'', {peim) enoni aldrönom 44 1"; verschleifung
der ]. hebung ebenfalls 2mal: ok fyrer hnlga 15'^", scdt Fjalarr
heyrpe 26^"; beide auflösungen nebeneinander finden sich wie-
derum 2mal : ef {oss) at spQkom yrpe 18 1", es {pü) u konom barper 38 1".
1) Sievers (Upplandslagh I, 132; Eddalieder s. 37) will auf grund seiner
neuen melodisch-rhythmischen kriterien vor göpa ein geradezu sinnwidriges nema
«inschieben und hinter göpa ein ganz überflüssiges menn.
ZUR EDDAMETRFK 137
Überflüssige, das metrum störende Wörter miissten 2mal entfernt werden
(181^ 3811').
6. Ein D-vers (D2) wird 3 ^^ herzustellen sein : apr heiman förk
(/(pr ek h. für R). Dazu kämen, wenn ich richtig- emendiert habe,
noch die folgenden: hitt {pat R) seger Jm nü (verschleifung der
2. hebung) 5i% mdd {gop RA) gttop er 31 1", gjnfar launaper pm
(verschleifung der 1. hebung und der Senkung 21 ^-^ (s. den
text), pürr va/rak pu 321" ^g_ ^^^ text), trua mundak per (verschlei-
fung der 1. hebung; ek munda per pm trua RA) 34 1\ Die zahl
der belege stiege damit auf 6 (2,27 *Vo).
7. Normale El sind die folgenden 4: tU ek i hc'dp 3-^^, berheinn
pü stendr 6^-', orp)kringe p'm 471'', pangat i dag 571''; (jjjjr^ ^ach
meiner emendation: hvar namtu orp 43 1" (s. den text). Verschleifung
der schlu SS hebung findet sich 2mal: meis hefkä bake S^'\ Alvalda
sonar 19-*'; dazu nach meiner emendation: langt miuider {pü na)
komenn (porr) 50-^; auflösung der Senkung und der schluss-
hebung: hins vildu nn geta 151'"' (ebenso - nur pess st. liuis - 41 1");
dazu nach meiner Umstellung: alt peira ok gaman 18 ^i* (s. den text). —
E2 sind: sapr emk enn pess 3^'\ P^eyges sern pü 6 1", mankynne par
(pa) 3111* und (mit verschleifung der 2. hebung) veiztattu fyrer
4•^^ Summa der belege 14 (5,30 ''/o).
8. Auch der dreisilber F ist nur spärlich vertreten (13 belege =
4,94 'Vo). Fl sind: härm Ijötan 13 1=^ und svä domek 46 1"; F2: mest
at vita 5-", patke at {pü) brökr (Umstellung) 6^'"*, plnar hafer (Umstel-
lung) 6 3b, harpanJQton 20 3», p^,i j^^f^. ^^^ 22 1", ek vas austr 23 1% (= 29 1''
301^), A'sapors b2'\ langt's at fara 56 1^; F 3 : pa gefr pü 45i'\ of
sUkt far 46 1^, ok hon mon(?) 56 ^^ Nur in F 2 kommen verschlei-
fungen vor: auf der Schlusshebung 5-" G'^^' 20^-' 561'', g^^f ^jg,.
Senkung 6^''\ Streichung eines entbehrlichen Wortes war nur 6^-^ nötig.
9. Von den fünf silbern (mtilahättr) ist aA der häufigste typus
(36 belege = 13,64 "/a). Normalverse (ohne nebenhebungen und ver-
schleifungen) sind die folgenden 14: es hverjom pnjkker 5''', at Hrnngne
daupan 14^^, i eyjo peire 16 2^'; 231" 233b 24 1^ 24 ^^ 261" 26^'' 291"
393b 401" 432b 56 6b^ \)2JLV. kommen 5, die der besserung (durch
Streichung entbehrlicher Wörter, Umstellung usw.) bedürftig waren : es
{pü) hcldr vip landet 7"-", {p)a) monk forpa fJQrve {m'ino) 12'-*, at
heldak kenne {at ek heida peire RA) 32''^'*, ef {pü) lip of {lipuni RA)
ferer 50-", til steinseiis gnnor {<jnnoi til steinsens R, Qnnor er til Steins A)
56-". Der untertypus aA21 ist 4mal bezeugt: es Algrßii heiter 16"^",
ok launping hdpak 30^", sem jafneiidr unno 42'-*, unz {pü) Verland
138 GERING
hitter {hitter Verland R, h. Valland A) 56 ^"^ ; aA2k 2mal : peir Svdrangs
syner 29 ^^ und 20 ^^ (s. u.). Ver Schleifung des auftakts begegnet
5mal: epa hrossa pjöfa 8^^, ef oss hollar vwre 18^'', ef ek vipr of
kvämomlx 33^^, es eh skorpat hafpak 39 ^''j es ek heyrpa aldre 43^";
auflösung der binnensenkung 2nial: es kallar of vdgenn 2^^\ monk
sepja tu naftis m ins 9^'\ Einen 2silbigen unver schleifbaren
auftakt hat sich der dichter ein paarmal gestattet (4 belege): at
mm moper daup se b^^, ok päs ggroa kiinnak S^^, es vit Hrumjner
deildom 15 1**, hugpak Hlebarp vesa 20^^ (oder AA?).
10. B* {^x±\x±) ist selten (9 belege = 3,4 '7o). Normal sind
die 2 verse: es mik hcdda hap 8^'', Jmu 'ro merke mest 19^"; dazu
2 von mir emendierte: munde manna vd'tr {vMr munde manna RA) 23*'\
enne hoito (Imhv/tu'RA) meg S2'^^. 2mal findet sich ver Schleifung
der Senkung: fantat{tu) harpara matin 14^^, hverso snünopo ypr
17 1"; 3mal ist die Schlusshebung aufgelöst: {es pü) munder mrp
<}som lipe 25 i**, mon per lila koma 47^^, hykk p)/k opa mono 47^^. Die
schwer überladene (ösilbige) eingangssenkung in 25 ^^ Hess sich durch
Streichung der ersten beiden Wörter wenigstens auf 3 silben reduzieren ;
ausserdem war nur noch einmal (14 2*) tilgung einer silbe erforderlich.
11. Typus C*(^x^ux) ist durch 12 halbzeilen (4,54 ''/o) ver-
treten. Normal sind die folgenden 7 ; hverr's sä sveinn sveina 1 ^%
hverr's sä karl karla 2 ^^, ok tu alz 0ples 9 ^", earpk peim emn gllom
1 8 ^^, es tu hjargs gengo 23 ^'', päs i val falla 24 ^^, hitta pör sun sinn
56■*^ Der untertypus C*2 findet sich 2mal: p6t ek sehr seak 9^^, vask
mep FJglvare 16 ^'\ Verschleifung findet sich nur je einmal auf der
2. eingangssilbe und auf der 1. hebung: hgfpo p&r verst unnet
37^"'; en p6t sakar eigak 12 i'\ Einmal ist nebenhebung auf der
schlussilbe bezeugt: emka hiib'är S(( 35 ^^
12. Die 14 D*-verse (5,3%) gehören sämtlich zu dem typus D* 1
(_ixUo.x) und sind meist normal: rekr enn räpsvinne S'^'-^, miklar man-
velar 20 ^'\ hri(J)er bglvisar 23 '•^", vask ä Vallande 24 ^'\ gamne md'.r
unpe 30 3'', Irüper berserkja 37 ^'■', vilta pjöp alla 37 ■^'', halr emi hug-
blaup)e 49^-', hwttom hMinge 53 2"; dazu kommen 2 halbzeilen, die
einer kleinen berichtigung bedurften : Ukk vip Unlivlta {lek ek vip ena
linhvUu-lmdhvitu R— RA) 30'-', gladdak gollbjarta {ena gollbjgrtu R,
ena goWivitu A) 30 ^\ - Verschleifung findet sich nur 2mal auf
der binnensenkung: barpak l Hleseyjo 37 ^^, ögpo nier jarnliirke 39 ^'\
13. E* ist auf 9 halbzeilen (3,4 "/o) beschränkt. 6 davon gehören
zu E*l (jL^xUx): Rudolf r sä heiter 8 1", pö Utk kann falla 15^%
Qtfunga braiäer 56*'"; dazu ein yers, in dem eine silbe zu streichen
ZUR EDDAMETRIK 139
war: vargijnjor vc/ro {ßd'f) 39^"- und ein vers mit verschleifung
der 1. hebung: Icggorsveine p'mom 13^". Die übrigen 3 verse sind
E*2 (-ixj_ij.x): Openn a jarla 24^", liijkk at pu Ijüger 49 ^'^ ; in dem
dritten musste das am Schlüsse stehende adverb getilgt werden: böta
skal per pat (pd) 42 '\
14. V^on den dreihebigen schwellversen ist AA {j.x\±x\±x)
durch 11 belege (4,18 °/o) vertreten. Korrekt überliefert sind 3 : /d^«^•
p/Jc d morgon 3 ^'', verpva matr enn betre 3 -'', rdp nionh per nn rdpa
53 ^"^ ; geringer nachhilfe (durch Streichung überflüssiger Wörter oder
Silben) bedurften die folgenden 4 : stippu hingat eikJo{mie) 7 '^''', heldr
hefr (pd) nn niik dvalpan bl^^, hugpnk aldre(ge) mundo 52 ^^'j rö p)ü
hingat bdt€{nom) 53^^. 18''' sparkar gftom (ver) konor und 18'-'^
horskar (}tiom {ver) konor war nicht nur das pronomen zu tilgen,
sondern auch das Substantiv durch das synonyme snoter zu ersetzen,
weil dieses 17^: hverso sndnopo ypr \ snoter {konor R) ijjjrar als
zweites reimwort zu substituieren war. 4^*^ hrosar {pd) verpe p/nom
(verpenom R) war die besserung schon von Bergmann gefunden.
Anm. Vielleicht gehört hierher auch 41 1'', wo ich schreiben möchte: es pn
fort ölip oss bjöpa 'dass du es warst, der uns verdruss bereitete'. AÄ.-verse mit
auftakt kommen allerdings im liede sonst nicht vor, auch nicht in der Ijöjjahättr-
dichtung.
15. Ein korrektes BA {x±\x±x\s.x) ist 1^'': es stendr fgr sundet
handan, und 56^-'': halt{u) svd til vinstra vegsens brauchte nur das
enklitische pronomen getilgt zu werden (A liest vegs, bietet also ein
regelmässiges BB). 13 ■^'': skalk launa kangeni/rpe wurde durch Um-
stellung gewonnen (s. oben die fussnote zum texte). 3 belege (l,14"/o).
16. Normale CA (x^Uxi-ix) sind 42'^'': pei7'S okr vilja sdita
{sd'tt hafa A verstösst wider den rhythmus; Sievers kombiniert aus
beiden lesarten ein unmögliches scHta hafa) und 58 -" : at iipvesande
solo (verschleifung der 2. hebung). 30^^: ok vip einhverja dom-
pak wäre wegen der 2silbigen eingangssenkung als C"^A zu bezeichnen.
8 -'' : (es b)jr) i Bdpseysarsnnde tilgte bereits Finnur Jönssen (in der
Hallischen ausgäbe) die ersten beiden worte. 4 belege (1,51 "/o).
17. DA (^Ux|-ix) kommt nur einmal vor: satt hi/kk (hygg ek
RA) mik segja 50'^*.
18. AB (zxUjxj.) findet sich 5mal (1,98 7o)'- ^s ör steine ras
hgfopet ä (aAB; verschleifung des auftakt es, der 1. Senkung
und der 2. hebung) 15'-'', göpar illom hiiga (durch Umstellung ge-
wonnen; verschleifung der Schlusshebung) 21^'', kld^ke vanta {pd)
porr 38 ^^, pesse en hnöfelego (durch Umstellung gewonnen ; verschleifung
140 GEUiN(;
der 1. Senkung und der Schlusshebung) 43^''; pas (?/ R) ek
komomk of mnd{et) (verschleifung der 2. hebung) 13^ (vollzeile in
einer Ijöjiahättr-strophe).
19. Verhältnismässig häufig (16 belege = 6,06 7o)ist BB {x±\x±\ xw-x).
12 von diesen versen sind voUzeilen in Ijöjjahättr-strophen, wo dieser
typus besonders beliebt war (Ljööah. § 135 ff.). Normale BBl
(Schlusshebung einsilbig) sind darunter die folgenden: hann
gaf {gaf hann RA) mer gambantein 20*, en pörr ä präla kyn 24*, ef
(ßii) hhjtr of hamre h{>gg 41*-^ dazu: at vapa of vag{enn) tu p'in (ver-
schleifung der 1. hebung) 13^; ferner (nach vorgenommener um-
Istellung): ^.s- /' sllko hverr of sik {of sik es hverr l sliko RA) 22^ (ver-
schleifung der eingangssenkung), ef »k seilask mcetta {nuHta seilnsk
RA) of siind {sundit A) 21'^ (verschleifung der eingangssenkung)
und (mit stärkerer emendierung) : es pü liehnes hauga heitr {es pu
kallar pär heimis sköga^W RA) 45 ^ (2silbige eingangssenkung), - Zum
typus BB2 (Schlusshebung ver schleift) gehören: a pcinn enn
heipa keimen 19^, es {pd er RA) ek veltn pÜT frd veroni 20^, en ek
vHta hann nr vite 20^, ef ek rdpj d vdg at vapa 47'^ und (mit Um-
stellung) es ! heimes haugom bua {es hiia i heimis skogom^W RA) 44^.
In den 4 letzten versen ist die eingangssenkung ver schleift.
Als 1. oder 2. teil der langzeile begegnet BB nur4mal: (BBl)
sein häpskör forn d vdr (schwere Senkung- nebenhebung? - nach
der 1. hebung) 35 ^'\ alz vilta mik ferja of vdg (Umstellung: ah pu
v/U mik {nd add. A) eigi of vd ginn ferja RA) 55^" (verschleifung
der 1. und 2. Senkung), [pm] vlsa pu leipena mer (Umstellung: v'isa
pü mer nü {om. A) leipina RA) 55 1*'; (BB2) vas per i hanzka tropet 2Q'^^.
20. CB(x^U|xw-x) ist viermal vertreten (1,51^/0). Einer von
diesen versen ist eine vollzeile: paus {aller) menn sipan of se (ver-
schleifung der binnen Senkung) 19 '^; von den übrigen 3 haben
2 die letzte hebung aufgelöst (CB 2) : sd enn storupge jtjlonn (ver-
schleifung der eingangssenkung) 15^% enn pyrdpmopga j(jton 19^'';
der dritte ist reguläres CBl: es af annarre skefr (verschleifung der
eingangssenkung) 22 ^*\
21. Die zahl der AC-verse {±x\±^^x) ist 17 (6,44"/„). Normale
ACl (3. hebung auf langer silbe) sind die folgenden 8: hylk of nafi
sjaldan 10^'', pörr d ofl oret 26^', Sif d hdr heima 4:8 ^'\ hans mont{u)
fund vilja 48 ^'\ p)ann moni{i() prek drijgja 48^% sein st {seinn ertu RA)
at fgr p'inne 50^'', farpn firr sunde 54^^*, P)er skal fars synja 54 "\
1) Dieser lächerliche fehler feiert in der 'herstellung' von Sievers seine
fröhliche auferstehunff.
ZL'K EDDAMETRIK 141
Ver Schleifung der 1. hebung- findet sich 6^'': priu hii gop eiger;
verschleifung der binnensenkung 29^'': gagne p6 litt fegner, 4:9'^^:
nuf/ler {pi() at münz räpe, 59^^: launa inonk {per) fursynjon; ver-
schleifung der2. hebung öS-^'-: hittu ßjjmr Magna; verschleifung der
1. und 2. hebung 11^'': nema pn sakar eiger. Tilgungen entbehr-
licher Wörter oder silben waren 48^'' 48 ^'^ 49^'^ 50^'' 59 ^'^ erforderlich.
Eine stärkere änderung dürfte 60 ^ vorzunehmen sein, um der langzeile
den 2. reimstab zu schaffen: farpu {nü) pars ggrvallan \ gramer pik
hafe {farp)u nü pjars pik hfife allan — allir A - gramir).
AC2 (3. hebung auf kurzer silbe) ist nur einmal überliefert:
pdt's per skgldara 48^''. Dazu käme noch 13^'': har7n Ijötan \ hjkk
mer i pv'i [cesa] ; die Überlieferung {härm Ijötan mer pijkkir i pcl) ist
ungrammatisch.
22. Von den 12 BC-versen (4,54 7o) haben die 7 BCl {x±\^±^±x)
mit einer ausnähme verschleifungen. Auflösung der eingangs-
senkung ist 2mal bezeugt: bapat {kann) hlennemenn flytja 8^*, nema
ipti) mik l irygp veiter 34 ^''; auflösung der 1. hebung einmal: es
sakar 0 alz 0ngiar 28^''; auflösung der binnensenkung 3mal: af
hrd'zlo ok hugbleype 26--', hvat skalta of sund seilask 28^''', svdt mer
skyle verst pykkja 49 ^'', Der 7. vers ist unregelmässig, da sowohl
die eingangssenkung wie die binnensenkung zwei nicht verschleifbare
Silben enthalten: ef vit ■ finnomsk i sinn annat 59'^'\ - Ein fata-
le kti seh es BCl ist die vollzeile 13^: at väita ggor mi.nn (ver-
schleifung der 2. hebung).
Auch die 4 BC2 (x^ i x_!.| .^x) haben durchweg mehrsilbige
Senkungen: ef of sundet rill fara (auflösung der eingangs-
senkung) 8^'', ek hafpa vip myrhipor (auflösung der binnen-
senkung) 20 1'^; ok potteska {pü p)d) porr vesa (2silbige nicht
V e r s c h 1 e i f b a r e binnensenkung) 26 ^ (vollzeile) ; mundak pik i. hei
drepa (2 silbige, nicht verschleifbare eingangssenkung) 27^^.
23, CC (x w-x I _L I jL x) kommt nur einmal vor: ok hepan pin {p>in
hepan R) ö/pa (verschleifung der 1. hebung) 14"'.
24, Ein DC2 (^^ u | ^ x) wäre, wenn meine herstellung richtig ist,
60"': gramer pik hafe (auflösung der 1. hebung),
25, EC ist 4mal belegt (1,51"/,), Auf EIC (- xU|^x) und E2C
(xxjlU|_!lx) kommen je 2 halbzeilen: hvat skalt{n) of nafn hylja \l^^,
mikel munde dit Jgtna (auflösung der 1, hebung) 23"'''; dopr'o pln
heimhjnne 4 2'', skamt mon nü mdl okkat 59'".
126. Die beiden typen von AE (^ x u jl x | o^x AEl, ^ x u x j. | v/x AE2)
sind nur je einmal vertreten: glejyja farhirpe farar 52'^ (vollzeile mit
142 OEUINO
auflösung- der letzten hebung); veita mundak per pat (so von
mir hergestellt ; ek munda per pä pat - pat pä A - veita RA).
27. BE (x JL I xjLxjL I j^) ist nur durch eine vollzeile bezeugt: ef {pi'i)
ä'tter vilfje mikeh vald (versohl ei fung der nebenhebung) 25^.
28. CE findet sich 3nial (1,14'Vfl). Ein CE*1 (xzi^^x,^x) ist
6-'': ok he fr brautinga rjorce, ein CE*2 (x j. | zxjl | j.x) G'*'': vip pöv
kndttic her döma, ein C*E*1 (j-x^x Ujlx | j.x) 59 ^'': alz (pii) mer srarar
skötingo einne (so von mir hergestellt; alz pu mer sköthuju einni sva-
rar R, er J)ü vill skötingu einni svara A).
29. DE*2 (^Uxi|jLx) und ElEl {jl^x\±^><\±) begegnen nur je
«inmal: Jjess {hifis R) viljak (vilekU) na spyrja 9^-'; daup hjkk {hijgg
ek R) at Jnn möper se 4^^.
. 29 a. Enjambement ist selten: 'feste' bindung findet sich 3^''
231. -2 26*- 5; 'lose' G^-'^ 16 ^'^ l'd^-^.
30. Die Härbarj3sljö{), eine einzigartige dichtung - ein keim, aus
dem unter günstigeren Verhältnissen ein altnordisches drama sich hätte
entwickeln können - mussten für die bewegteren partien des dialogs,
in denen frage und antwort, invective und abwehr, höhn und drohung
schlag auf schlag blitzartig aufeinander folgen, auf die Verwendung
regelmässiger Strophen verzichten. Aber auch diese stellen sich ein,
wenn die beiden gegner in ihrem mannjafaapr ausführlicher ihrer
kämpfe und abenteuer sich rühmen ; nur sind sie nach form und um-
fang recht verschieden. Die zahl der zeilen steigt von 2 bis zu 7
und neben Strophen, die fornyr|)islag (F), mälahättr (M) und schwell-
verse (S) mischen oder nur eins oder zwei dieser metra verwenden,
stehen andere in ausgesprochenem ljö|3ahättr (L) oder galdralag (G),
in denen also langzeilen (1) mit vollzeilen (v) wechseln. Die nach-
stehende Übersicht gibt ein bild von der Zusammensetzung des denkmals.
I. Einzelzeilen: (F) 31. 46. 57. (M) 2. (S) 11. 28. 41. 54.
55. 60. (FM) 17. (FS) 21. 34. 51. (MS) 1. 10. 33. 35. 38.
IL Strophen.
a) zweizeilige: (M) 37. (S) 48. 59. (FM) 5. 12. 32. 39. 40. 42.
<FS) 58. (MS) 49. 50. 53. (FMS) 7. 14. 43. (L) 22. 25. 27. 52.
b) dreizeilige: (FM) 39. (FS) 4.6. (FMS) 15.30.
c) vierzeilige: (FM) 16. (FSj 3. (FMS) 23. 29. (L) 44 + 45.
47. (G) 24 (31 + Iv).
d) fünfzeilige: (FMS) 8. 9. (G) 13 (1 + 2v + 1 + v). 19 (2 1 +
V + 1 + V). 20 (1 + V + 1 + 2v). 26 (21 + v + 2 1).
e) sechszeilige: (FMS) 56.
f) sieben zeilige: (FMS) 18.
ZUR EUDAMETKIIC 113
2. Alliteration und reim.
31. Doppelalliteration in der 1. lialbzeile findet sich in A
5mal: 19 -^ 24 ^^ 32^''' 39 ^'^ 56 ^^1 in E einmal: peyges sem pü 6^^ (doch
ist es, möglich, dass 6--' berbeinn pü stendr auch die nebenhebung mit
reimen sollte); in F einmal: ek vas austr 23 ^"^ (=29^'' 30^'"); in aA
2mal: 12 ^^ 32 2"; in B* einmal: pauro merke mest 19*^; in C*4mal:
hverr's sä sveinn sveina 1^^, Jn^err's sei karl karla 2^^ (in beiden fällen
annomination) ; 9^-' 18^". In D* (nurD*l ist bezeugt) ist die doppel-
alliteration in der ersten halbzeile ohne ausnähme durchgeführt: 8^='
20 la 23'-^^ 241^ 30 2^^ 30 3^ 37 1'' 39 ^^ 49^=1 532«; in E* kommt sie
4mal vor: S^^^ lOi'* 2^^^ 39l^ Von den schwellversen hat AA
einmal doppelreim: räp monk per ml räpa (annomination) 53 ^•■'; ebenso
einer von den 3 BA-versen : halt svd til vinstra vegsens 56 ^^ und der
einzige DA-vers: satt hykk mik segja 50^*. AC hat in den a-versen
mit einer ausnähme (59 ^a) immer zweifachen Stabreim: 1. und 2. hebung
reimen 48 ^^ pann mont prek dri'/gja^ 49^*^ iniHer at münz räp>e, 54^''
farp)u firr sunde; 2. und 3. hebung 26^" pörr ä aß öret und 48^''
Sif d hör heima : dass in diesen beiden versen das an dej* spitze
stehende nomen gegen die regel am Stabreime nicht teilnimmt, darf
nicht als fehler bezeichnet werden, da auf dem zweiten (aß, hör) ein
besonders starker nachdruck ruht, s. Sievers, Altgerm, metrik (1905)
§ 21, 3b. Von den 2 BC-versen mit doppelalliteration hat der eine
Stabreim auf der 1. und 2. hebung (af hrcezlo ok hugblei/pe 26-^), der
andere auf der 2. und 3. (hrat skaltu of sund seilask 28 ^•■'). Endlich
kommt auch in EC ein vers mit Stabreim auf 2. und 3. hebung vor
(mikel munde <Ht jcjtna 23^=^): hier ist es fehlerhaft, dass das am an-
fang stehende adjektiv von der alliteration ausgeschlossen wurde,
32. Die vollzeile der Ijoljahättr-strophen hat der regel entsprechend
fast immer 2 reimstäbe. Die 1. und 2. hebung alliterieren: (BB) at
vapa of vag til p'm 13 2, hann gaf mer gambantein 20*, en pörr d
prcela kg7i 24*, es i heimes haugom bun 44-; (BC) ok pötteska pörr
vesa 26^; die 1. und 3.: (BB) es ek velta pcer frd verom 20-, en ek
velta hann ör vite 20^, es i sUko hverr of sik 22*, ef ek seilask md'tta
of sund 27 2; die 2. und 3.: (BB) ä pann enn heipa hinten 19^, ef ek
rcep d vag at vapa 47 2, (CB) paus menn sipan of se 19 ^. — 3 stäbe
finden sich 47*: ef hlgtr af hamre hggg (BB) und, wenn meine her-
stellung das richtige getroffen hat, 45 2; es pü heimes hauga heitr (BB).
Anm. Der katalektische BC-vers at vceta ggor minn 13' reimt entweder v:
Tokal (vgl. unten § 33 und 35 anm.) oder ist an die voraufgehende vollzeile, i»
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHII.OLOGIE. BD. L. 11
144 GRRIN(;
der 2 mit r anlautende Wörter träger der alliteration sind, angereimt. Eine solche-
anreimuiig findet sich auch in dem AB-verse 13* pds ek komotnk nf sund, dem eine
langzeile mit 2 ^•-stäben vorausgeht.
33. Mehrmals ist in der 1, halbzeile die alliteration auf die
2. hebung beschränkt. In A-versen findet sich dies 5mal: pcer ör
sande \ {s'ima wido) 18^ (wo übrigens durch Umstellung- leicht ein B
her7Aistellen W'kxt {ör sande Jjdr), ek drap Jyjaz(( \ (eint pri\pmüp.ja ji^tony
19', ^/6- mik söfto | (/^iV Svdra7i(/s syner) 29''^ (vgl. §35), nnmk r/t
ytom {mgnnom R) | {enom aldrmom) 44^; auffallend ist der vers 4^
(hiegom verkam \ (hrösar vivpe J^hiom), da das am anfange stehende
adjektiv an der alliteration teilnehmen sollte, vgl. jedoch § 35 anm. -
In einem F-verse reimt nur die 2. hebung 22': ßat he fr eik \ (es af
nnnarre rkefr).
34. Gekreuzte alliteration ist 2mal überliefert: mm hefk a
hake \ vertrat matr cnn betre 3 ^, dt ek i hv'dp \ äßr heiman förk 3 ^
Wenn die Umstellungen 18"^ {ok grund ör dale \ djupom gröfo) und 18^
{ok gej» (Hiak \ alt pelra ok gaman) mit recht vorgenommen sind, würden
auch 2 fälle mit chi astischem Stabreim zu verzeichnen sein.
35. Verstösse gegen die alliterationstechnik sind selten. 2mal
ruht der Stabreim auf konjunktionen: | äpr 3^'^; nema 11"' (vgl. da-
gegen 12^''), 9"' und 29^'' stehen zwei gleiche reimstäbe in der
2. vershälfte {p')t ek sekr senk; peir Svdrangs syner). 23 '" hätte das au
der spitze des verses stehende adjektiv an der alliteration teilnehmen:
sollen (§ 31 am ende); dass menn 19^ von ihr ausgeschlossen ist,
erklärt sich aus der abgeschwächten bedeutung des Wortes. Über 26 "^
und 48'" s. oben § 31.
Anm. r mit vokal zu reimen hat der dichter, wie es scheint, für zulässig
gehalten {vd^ta : p,r/o>- 13 ^, vil : erfipe ,Ö8 ', drlegom : verkom : verße 4 '). Vgl. § 32.
anm. ; 33.
ir. Sigrdrifomöl.
1. In den 2'/2 fornyrjjislag-strophen der Sd (20 halbzeilen) ist
typus A 9mal vertreten (45 "/o).
A2k kommt nur einmal vor: brynpings apaldr 5"', wo auch der
2. fuss eine nebenhebung hat.
2. Verschleifungen fehlen. Überladung der 1. Senkung
ist 2mal bezeugt ; sie ist in dem einen verse leicht zu beseitigen : fidlr
es {kann) IjöPa 5^", nicht aber in dem andern : annarr JiH Agnarr 4a'\
3. Der einzige B-vers: hrerr felde af mer l^'^ hat ver Schleifung:
auf der binnensenkung.
ZUR EDDAMETRIK 145
4. Unter den 6 C-versen (30 "/o) findet sich ein C2 : ok Uknstafa
5 3''. Ver Schleifung der 1. hebung ist 2mal bezeugt: ok megen-
tlre 5 2'^, ok gamannma 5^'^.
5. Von den 2 D-versen (10"/o) ist der eine normales Dl: hrafns
hrcelunder 1 *'', der andere hat in der 2. hebung eine kürze: hjorr
Sigur]?ar 1 ^^.
6. Die beiden E-verse sind normale El : Sigmundar burr l^»,
fjjör förek per 5 ^^.
7. Von den t3'pen-kombinationeu der langzeile sind nur
die folgenden belegt: A ^ C (3), E + A (2), A + A (1), B + A (1), C + A(l),
C + C (1), D + D (1).
8. Enjambement kommt 3mal vor ('feste' bindung 1 '^- *, 'lose'
51.2 53.4)^
9. Doppelalliteration in der 1. halbzeile findet sich in A
2mal (4a ^" 5*^), in C einmal (P^) und in D einmal (1 *-')• Auf die
2. hebung beschränkt ist der Stabreim in dem A-verse 5^''.
Die '12zeilige; aus mälahättr und fornyrf^islag gemischte fjula'
erfordert eine gesonderte betrachtung.
10. Die A-verse, 11 an zahl, haben sämtlich auftakt, sind also
'mälahättr' : (^ Sleipnes tgiinom 15^*, ä bjarnar hrammv 16 ^'^ usw.
11. Verschleifungen finden sich öfter, 2mal auf dem auf-
takt {ok d ÄUvinz höfe 15^^, ok d gumtia lieilloyn 17^''); Imal auf
der 1. hebung und der binnensenkung (d giere ok d golle 11^"^))
Imal auf der binnensenkung {l v'nie ok l virtre 17--'; das e in
vme muss vor dem nachfolgenden vocale elidiert werden).
12. Einmal findet sich nebenhebung im 1. fusse (A21): ok
d Älsvinz höfe 15 ■-'^', einmal auch im 2. fusse: d eijra Ärvakrs 15 -^^
13. Die 4 B-verse sind alle viersilbler, denn auch 15^": d
pol hvele es snijsk ist das demonstr. sicher zu tilgen, und 15^'': und
reiß Hrungnes bona {bana ist die treffliche ergänzung von Finnur
Jönsson) muss das wider das alliterationsgesetz verstossende reiß un-
bedingt gestrichen werden. - 2mal ist die eingangssenkung auf-
gelöst (ok d arnar nefe 16 2'', ok d liknar spore 16^'') und in diesen
beiden versen, sowie 15^'' (wenn bana richtig ergänzt ist) auch die
Schlusshebung, was sonst streng verpönt ist.
14. Auch die 7 C-verse sind fornyrjnslag. 6raal sind eingangs-
senkung und 1. hebung verschleift: ok d shßa fJQtrom 15^^, ok d
11*
14:6 GERING
Braga tungo 16'^ usw. (16 ^''^ 17^^ 17 ^'^ 17*'^). Einmal ruht die
2. hebung auf kurzer silbe: d ulfs kloom 16 ^'^ (einziger vers ohne
verschleifung).
15. Der vers 15^'': peims stendr ftjr skhiande gope bleibt auch,
wenn man die ersten beiden Wörter streicht, höchst auffallend (ein
E-vers mit auftakt und aufgelöster schlusshebung?).
16. Doppelalliteration im 1. halbverse kommt nur in A
vor (5 fälle): 15 2" 16*'^ 17^*' 17*"; beschränkung des Stabreims auf
den 2. fuss niemals.
III. Atlakvil»a.
(341 halbzeilen.)
Da das lied als eine kompilation aus mehreren gedichten, die
in verschiedenen versmassen abgefasst waren, anzusehen ist, müssen
das fornyr{)islag einerseits, mälahättr und schwellvers andererseits,
gesondert behandelt werden.
I. Fornyr{)i8lag.
A. Versbau.
1. Von den 116 halbzeilen, die dem 'alten metrum' angehören,
fallen 69 (59,6%) auf den typus A.
Nebenhebung im 1. fusse vor nachfolgender länge (A21)
findet sich 4mal: ögl'ikt hjarta 24^" 26^''', heiptmöpr hgrpo 34*% väpn-
sgngr virpa 35*% forn timbr fello 45 3»; vor nachfolgender kürze
(A2k) ebenfalls 4mal: menv(j)p bitols 33^^, glreifr {glreifa R) tvaa 40^'',
banorp höret 46*'% fjargkns ruko A5^^.
2. Verschleifung der 1. hebung ist auf 2 fälle beschränkt:
figndom s'mom 20^'', sona he fr p'inna 39 ^^ Weit häufiger (18 belege)
ist auflösung der binnen Senkung: kallope {pä) Knefropr 2^", hr'is
pat et imera 5*-', hver (fehlt R) ero peira 7^% kvadde pä Gtmnarr 9^%
sMer (pt'i) 'i SQplom 17 ^''*, sk^ro peir hjartn 23^-'', Hjalla 6r brjoste 23^^,
(ok) b^ro ipnt) fijr Gunnarr 23*'' 25*% Hjalla ens blaupa 242" 26 3%
Hggna ens fröhia 24^^ 26 2'', ey vgromk (vas mer R) tj/Ja 28^'^, Alle
enn rike 31^", dynr vas i garpe 35^% drQslom of prunget 35^^, sera
pü (das pu ist entbehrlich) s'ipan 40^'', bröpra at hefna 46 2''; dazu
ferner die beiden verse: pä kvap pat Gunnarr 24^"^, mwrr kvap pat
Gunnarr 26^% in denen die beiden zusammenstossenden / gewiss
nur einmal artikuliert wurden: s. Ark. 40, 13 (§5a). 185 (§ 4b). Beide
verschleifungen neben einander finden sich nur einmal: Ufera ml
Hggne 28 2^, wo jedoch das adv. zu streichen sein wird.
ZUR EDDAMETRIK 147
Anm. 20 2 eii enoni dtta \ hratt (kann) l eld heitan ist en ohne zweifei zu
streichen und die zäsur hinter hratt zu legen, wodurch 2 normale viersilbler (B + C)
gewonnen werden. Dass die konj. en die 1. hebung tragen sollte, ist überdies
höchst unwahrscheinlich. Die ganze Strophe war ursprünglich gewiss fornyri)islag.
3. Überladung der binnen Senkung ist ein paarmal über-
liefert, sie lässt sich jedoch durch tilgung entbehrlicher Wörter überall
beseitigen: knllape {pä) Kuffrepr 2^'\ ukter {pi'i) '( sgplom 11 ^'\ svd
.sk((lt{u) Atle 27 1", kallara (pii) s'ipan 40 1\
4. Typus B ist auf 3 halbzeilen (2,6 °/o) beschränkt, von denen
2 eine 2silbige verschleif bare eingangssenkung haben: es
(( bjopö liygr 24^'' {= 26*''), es und einom mer 28^". In dem 3. verse:
es hon wca gret 41 ^'^ ist das pron. vollkommen entbehrlich.
Anm. Über den vers 20 '^a^ der vermutlich ebenfalls hier einzuordnen ist,
s. oben § 2 anm.
5. Die zahl der C-verse beträgt 24 (20,6 %). Von ihnen haben 5
die nebenheb ung auf kurzer silbe (C2) : skoret haldrißa 22 '^'°,
es mjgk bifask 24*=', es Utt hifask 26*% es ek einn lifek 28^^, ok meirr
papan 33^='.
6. Verschleifung der eingangssenkung ist 4mal bezeugt:
skoret baldripa 22'^'', mepan (vit) tveir lifpom 28 ^'\ es ek einn lifek
(das ek ist entbehrlich) 28*'', nema ein Gvprün 41 ^'\ Häufiger ist die
auflösung der 1. hebung (9 belege): ok sUpe Vanpa?- b^^, d Gnita-
heipe 6^'\ ne ngungr annorr 9^'', sem konungr skylde 9^'', vip fira
halda 34^'', Ul knea plnna 40^'', ! sete mipjo 40 ^'', ne mara keyra 40 ^'',
ok bure sväsa 41*''.
7. Überladung der eingangssenkung kommt nicht vor,
denn 28^'' mepan vit tveir lifpom ist das pers. pron, entbehrlich und
in den beiden versen : blöpogt ok d bJ6p Iggpo 23 *'', blopogt pat d bjöp
Iggpo 25*'' ist das wort blöpogt ohne zweifei beide male interpoliert,
da die überlieferten worte in kein Schema sich fügen. - Über 20^''
s. oben § 2 anm.
Anm. 38 1 hält Sijmons die worte : Skcemße ßci en ski'rleita, von denen er
ßä streicht, für die erste hälfte eines verstümmelten langverses; ich möchte dagegen
einen vollständigen fornyrl)islag-vers E + C annehmen : sk(evape pd \ en skirleita.
8. Typus D ist auf 8 halbverse (6,9%) beschränkt. Ein nor-
males Dl ist 28-'': hodd Nifliinga ; dazu käme 41*": bröpr (pina)
berharpa, wo das pron. zu streichen sein wird, da auch die 2. halb-
zeile {ok bure svdsa) %m fornyr|)islag-vers ist, und 17*'*: ndr navpfgha
(die ganze langzeile ist jedoch sinnlos und nur durch konjektur zu
heilen ; ich schrieb : nars norner leter \ naupfglva grata). - D2 ist durch
143 GERING
2 verse vertreten: frökn hrinydrife 34*''", /a eyrskaan 35 2", - Für den
untertypus Dlnk ist ein beleg zu buchen: pjoßkominga ^Q^^\
Anin. üb die 5 verse mit verschleifter 1. hebung: boga bekksoma
(Dl) 7-t"-, slef/enn sessmeipom (Dl) 14- ^b^ syne pjöpkomings (D2) 22 31j, slegenn r6g-
pornom (Dl) 312», gimtar gransij)er (Dl) 373a hier einzuordnen sind, ist zweifel-
haft: sie gehören eher zum typus D* (s. unten § 24).
9. Auch die E-verse sind nur sehr spärlich bezeugt (5 belege =
4,3*^/0). Auf El fallen davon 4: dolgr^gne drö 33 2"', lifanda graut
(Verkürzung der 1. hebung) 34^", lands s'ins d vit 35 ^'\ solheißan
dag (die überlieferte halbzeile sölheißa daga ist unmöglich) 17^''. Ein
Elnk ist 38^'": akd'vape pä (s. oben § 7 anra.).
10. Von den ebenfalls seltenen drei silblern (7 belege = 6,0 7»)
gehören 3 zu dem untertypus Fl : geirniflungr 2Q^^\ golz mißlendr 4S)*''^
(in diesen beiden versen hat die 3. silbe einen nebenictüs), manar
meita 40^" (verschleifung der 1. hebung). F2 und F3 sind durch
je 2 beispiele bezeugt: lagpe i garß 34^'', Atla 1 g0gn (vgl. jedoch § 39)
36^'' (in beiden versen ist die Senkung verschleift); til daups
skokr 33 ^'^j ßanns i-kripenn ras (auflösung der 1. hebung) 34'^".
Hierher gehört wohl auch noch 20 ^* : svd skal frßkn \ (ß^ndom verjask
(s. § 33 anm.).
Anm. Der halbvers 35' Atle let ist ohne zweifei verderbt (s. unten § 14).
11. Verstösse gegen die natürliche betonung kommen
kaum vor. Dass 34-'"* panns skripenn vas das hilfsverbum eine hebung
trägt, ist nicht besonders störend, da der zweite ictus weniger nach-
druck besitzt als der unmittelbar voraufgehende erste. Vgl. auch
unten § 14.
B. Alliteration und reim.
12. Doppelalliteration in der 1. halbzeile ist nur für B
und C nicht bezeugt. In A findet sie sich 2^"^ 17 ^^ 21=*^ 24'^^' (=26 2")
251a 343a 344a 354a 402a 40 3a 453a 4(^ 2a 40 4«. [^ £) 174a 352a 414a.
in E nur einmal (32 2^); in F ebenfalls nur einmal (40^^^). - Gekreuzte
alliteration kommt 2mal vor: sjau hjö Hggne \ sverpe hagsso 20 "^ (die
zwei anlautenden h in der 1. halbzeile sind störend, daher wird hJ6
durch vä zu ersetzen sein), tiema ein Gupri'm \ es (hon) d-va gret-il^'^
chiastische einmal: es litt bifask \ es a bjöpe liggr 26 *\
Anm. Ein zweiter fall von chias tisch er alliteration lässt sich vielleicht
6* herstellen: hrls Jjat et mcera \ es Myrkvipr heiter; die überlieferte 2. halbzeile
{es mepr Myrkvip kalla) ist kaum möglich.
ZUR KDDAMETRIK 149
13. Nicht selten ist in A der Stabreim in der 1. halbzeile auf
<die 2. hebung beschränkt: 17 ^'^ 23 3" 24 ^^ 24 3^' (=20^^) 21^^ 28 ^^^
284a 31 ui 46 3a^ Einmal findet sich derselbe fall auch in C: es mjgk
bifask I es ä hjöpe Hgyr 24^. - Gegen die regel ist zweimal auch der
hauptstab in A auf die 2. hebung gelegt: hodd Niflumja \ lifera
{nü) Hgyne 28-'', gluwpo strenger \ svä skal Tjolle 34^''.
14. Von sonstigen Verstössen gegen die all Iteration s-
technik ist nur noch zu notieren, dass 2mal das 1. nomen der
1. halbzeile am Stabreime nicht teilnimmt: wem* kvap pat Gunnarr \
geirnifluugr 26 ^'\ ÄÜe enn r'/ke \ reip glauine nv/norn 31' (die ganze
jzeile ist vermutlich verderbt; vgl. unten § 32). Fehlerhaft überliefert
ist offenbar auch 35 ' : Alle let \ lands suis d vit, da der am eingange
stehende eigenname die alliteration tragen müsste (durch die einfügung
von rinna hinter let wird nichts gebessert); ob meine konjektur (Ut
J>d Ä(le) das richtige getroffen hat, erscheint freilich auch zweifelhaft.
Über 20--'', wo nach der Verstellung bei^Sijmons die konjunktion en
trägeriu der hebung und des Stabreims wäre, s. oben § 2 anm.
II. Mälahüttr und Schwellverse.
A. Versbau.
15. Von den 172 malahättr-versen gehören 35 (20,3 %) zu typus
aA (A mit auftakt), darunter 17 normale (ohne verschleifung , und
nebenhebung) : ok skafna aska 4^'\ ok Hüna menge 4-'', af möpe störom
9*'*, mep gumna JiQndom 10^'', ef Gunnars misser 11-'', ef Giinnar
ine) k0mrat 11*'', of fJQÜ at pgrja 13 1'', en Atla sjcdfan \1 ^'•\ ok
biindo fastla 19^'', / liende Uggja 22^'', ok dr of nefndn 32 ^'', mep
gyldom kalke 36 ^^, '/ pinne hgllo 36 3'', hon bepjom brodde 44 ^-'^ gaf
blop üt drekka 44^'', ok hvelpa leyste 44^'^, es inne vgro 45^''.
Anm. 20 * ist verstümmelt überliefert : [sem'] Hgyne varpe . . . (sem ergänzte
Bugge). Ich vermute, dass die langzeile ursprünglich gelautet habe: sem hendr
sinar \ Hpgiie varpe (C + A). Die ganze Strophe bestand wohl aus fürnyrl)islag.
16. Nebenhebung im 1, fusse vor nachfolgender länge
(aA21) findet sich 3mal : en dyljendr pQgpo 2 ^'', es Myrkvipr heiter
(konjektur; es mepr Myrkvip kalla R, was schon wegen der 2 m un-
möglich ist) 5*'\ ok at Sigfys berge 32 3^; vor nachfolgender kürze
(aA2k) ö'iumal : i ormgarp koma (die in der hs. vorausgehenden worte :
IHer pH sind aus z. 4 ungeschickt von einem Schreiber herübergenommen)
17 '\ Im 2. fusse ist nebenhebung einmal bezeugt : sore goUe Giipnhi
<s. unten § 17) 42'".
150 GERING
17. Verschleifung im auftakt ist 8mal bezeugt: ok at Gun-
nars hgllo 1^'', ok at bjore sv<}^om 1^'', ok af gyldom stofnom 5^'', at
{J)ü) i bri/njo förer 17^'', ok l fJ(A'>'(t {fj<jfor R) i^etto 19 ^'\ ok at Sigiijs
berge 32^"', ok at hringe Ullar 32^'', i^0re golle Ouprün {gölte sore G.
R, was ein recht unwahrscheinliches AC wäre) 42^" (§ 16); ver-
schleifung der 1. hebung einmal: vij) hunang of tuggen 39 2''; ver-
schleifung der binnensenkung 2mal: en hrijnjor 6r golle 7*'', svä
gange ph- Aile 32'-'.
18. Überladener auftakt Hesse sich einmal (17"') durch
tilgung eines entbehrlichen pron. beseitigen : at {pn) i hnjnjo förer;
aber 32 ^'' sem (pä) v/p Gunnar aiter lässt sich durch Streichung de»
pron. der 3silbige auftakt nur auf einen 2silbigen reduzieren. Auch
45^'': es frä morpe peira Gunnars kann der 2silbige auftakt nicht
angetastet werden, dagegen ist peira eine offenbare, schon von Finnur
Jonsson mit recht gestrichene interpolation : dass auch Gunnars ge-
fährten ermordet wurden, wird sonst nicht berichtet. Über 17*"' s.
oben § 16. 11^'' ef Gunarr nr komrat ist das die binnensenkung
überfüllende ne vollkommen entbehrlich, da das verbum bereits durch
das enklitische -ai negiert ist.
19. Der typus B* {^x±\xj) kommt nur 3mal vor (l,7''/o): pds
i brjoste la 24^'' 26^'' (an der 1. stelle hat R es statt p<U), päs (höii)
viP Atta gat 41 ^'', puu IH {liön) bröpra gj(jld {(jjgld bropra R gegen
das metrum und die alliterationsregeln) 44*''. In den letzten beiden
versen müssen die entbehrlichen pronomina entfernt werden.
20. Typus C* (c^xzUx) ist durch 19 halbzeilen (11,0 °/o) ver-
treten, darunter nur 3 C*2 (2. hebung auf kurzer silbe): kotnenn
6r hgll K'/ars 7^'', lcit{tu) a ßep vapa 10"', pds / hrßl saman 37'^''.
Die nebenbetonte 1. silbe ist 3mal verschleift: komenn 6r hgll
K'/ars 7'''', vripet i hring raitpom 8^'', hnigo i eld keitan 45^'' (das
verbum nimmt am Stabreime nicht teil). — Mehrmals werden über-
schüssige Wörter zu tilgen sein: läi{tii) ä flep vapa 10 ^'', (at) vekja
gram hilde lö'*'', i'/kvesk (er) hvelvggnom 30^'', {at) reipa gjgld rggne
36 2", Qjyl ^,^g (5^;) l^^l-^ l,glf.g 43 3a^
Anm. Ein unmögliches monstrum mit 4 hebungen ist v. 46 2b: komner vQro
6r Myrkheime ; es ist gewiss zu lesen : kvpnto ör Myrkheime (verschleifung der
2. und 3. eingangssilbe). — Über v. 20 ^b^ der nicht hierher gehört, s. oben § 2 anm.
21. Der beliebteste typus unter den mälahattr- versen ist D*
(73 belege = 42,5 "/o). Der normale vers D* 1 (zxU^x) findet sich
31 mal: hjalma goUhropna 4-% serke valranpa 4'^*', sal of suprpjopom
ZUR EDDAMEIRIX 15t
143a. 22a (^152,1) 2*a 44b 76a 94a lO'^a 111b (=29-^'^) 112a 113a ^ ^ 4n
12 1'"^ 12^'' 13^^' 13**^ 17 5'^ 18 *b 22^=' 25 2" 32*-'' 36 ^^ 37 1" 37 ^^ 39 ^^^
39 3b 412b 416a 442a 444a_
Mehrmals hat auch der 1. fuss eine nebenhebung: Myrkvip
ökunnan S^^ (= 13 2''), silfrgyld sQpolkl&pe ^^''\ m'inn veitk mar haztan
7^% här fannkhei]>lngja S^^, (} (fehlt R) svlnn dskunnn 29^", GuJ>rün
sigtiva 31 ^".
22. Verschleifung der 1. hebung ist 3mal bezeugt: dafar
[okj darraj>ar 4:*^, vapen i pijsh(^llo 31*^, eia at (ßkrQsom 39*^; ver-
schleifung der 2. hebung 3mal : bekkjoni arengreijijom \^^, silfrgyld
SQpolkläpe 4^-', viprar Gnitaheipar 5^^; verschleifung der binnen-
senkung 3mal: mar enom melgreypa S^'*, björe vas {hon) litt driikken
16 2^*, brunno ok skjaldmeyjar 45*''; verschleifung der 1. hebung und
der binnensenkung einmal : m ara ena melgreypo 1 3 '^^.
23. Überladung der binnensenkung ist selten und lässt
sich durch tilgung entbehrlicher Wörter immer beseitigen : drukko {par}
drotmeger 2^^, vrpko (peir) vandstyggva 13'*=*, khkkva (kann) siz hiigpe
252'', reifpe (Jwn) hüskarla 42 ^b.
24. Verkürzung der 1. hebung findet sich 5mal (7**^ 14^"^ 22^^
312a 37 3a^ jyfgjj liönnte diese verse natürlich auch als einfache Dl
mit verschleifung des einsilbigen fusses betrachten (§ 8 anm.), da sie
jedoch mit einem 2. mälahattr-vers verkoppelt sind, dürfte es richtiger
sein, sie mit Sievers (Beitr. 6, 348; Proben 47; Altgerm, metrik § 4^
anm. 2) als zulässige Spielart von D* aufzufassen. — Verkürzung der
nebenhebung (D*lnk) ist 6mal bezeugt: driikko {par) drötmeger
2^^, dafar [ok] darropar 4*^, grcHendr gimnhvatan 122% syne pjöp-
konungs 22-^'', naupog neffglom 38*'*, inne aldrstamar 4b^'\
Anm. Der vers 6-^ ßats rit rettema | annat slikt ist offenbar unrichtig über-
liefert, aber Finnur Jonssons änderung {annat jafnmiket) ist verfehlt, da sie 2 reim-
8täl)e in die 2. halbzeile bringt. Ich schrieb: pats vit jafnmiket \ annat ne hefpem
(C* + D*). — 45 ^'^ bor huplunga ist, da er in einer mälahättr-str. steht, um eine
Silbe zu kurz, aber Sijmons' ergänzung {bor brann B.) ist kaum zulässig, da die
3 b störend wirken; ich würde daher rank st. brann vorziehen. — 32-» eißa opt
of svarpa wird das of zu streichen sein; falls die Überlieferung richtig sein sollte,
müsste die halbzeile als schwell vers (AA) gelten.
25. D*2 ist nur durch 5 halbzeilen vertreten: U'jpa sinnes til 18^^,
hifpesk h()lfo meirr 24^*, kvikvan kumblasmip 252-', bifpesk sväge mJQk
26^% hrait fyr hallar dyrr 443".
26. Der typus E* (von Sievers in den proben als erweitertes E
aufgefasst, später aber - minder richtig - als A* bezeichnet') zählt
1) Altgerman. metrik (1905) § 47, 2. 50, 8. Einfaches E (-'- x x U) verhält
152
GERING
42 verse (24,5 '^/o). Normales E'l {±^x\±x) begegnet 8mal: goU rissak
etke 6-^", bröpr hennar hüper 16 ^■■', blößoyt ör brjosfe 22^", rogmalme
skatna 29^'', hapirs ml i bgndotn 30^'', >jmr vnrp ä bekkjom 41^'',
i^kgp let hon cnxa 42 ■^■'', fullröWs of petto 4G*". Dazu kommen noch
die folgenden 3 halbzeilen, in denen überschüssige wörter zu streichen
«ind: Knefropr vas (sd) heitenn 1 -'\ betr hefper (pä) bröper 17^",
VQpn hafpe {kann) etke 43 ■^•', endlich 18^", wo ich das pron, oss ein-
setzen möchte, um einen ösilbler zu gewinnen, da fornyrlnslag in der
ganzen Strophe nicht vorkommt: langt's [oss] at leita.
27. Einige male findet sich in E*l auch im 2. fusse neben-
liebung: r/'/nendr ne räpendr 9'--', iH gekk pä Giiprün 36''''; dazu noch
(mit Streichung eines entbehrlichen pron.) sjau eigom (vit) salhus 7^"
und vielleicht 19 ^'\ wo die hs. in einem helmingr, der sonst nur
malahättr-verse enthält, ein D bietet, das überdies gegen die allite-
rationsregeln verstösst: v'tn Borgunda \ (ok bundo fastla), wofür ich
Borgunda hoUvhi in den text setzte (das compos. begegnet Frg. bist. 4^
und öfter bei den skalden). - Nebenhebung auf kurzer silbe
(E*lnk) ist einmal bezeugt: varnape vip töroin 31*'\ - Ver Schlei-
fungen sind selten: einmal ist die 1. hebung aufgelöst: fetom leio
J'mkner 13 ^'■', einmal die neben hebung: land (lies: IiqU) sqo peir
Atla 14^", und einmal die binnensenkung: varnape cip fgrom 3P".
28. Normales E*2 sind die folgenden 10 verse: sverpa ftdl hvcrjo
(lies: hver 'ro?) 7 ^^, erfevQvpr H^gna 12 -^'^ syster fann peira 16 ^% seinat's
nü syster 18--', fengo peir Gunnar 19^'"', afkgr d'ts JQfre 38'^", afkärr
SQngr virpa 41 ^'', öpan sik dridiket 43 ''\ optarr umb fapmask 43 ^'\
f errat svä s'ipan 46^''; dazu noch 12 andere, in denen Streichungen, er-
gänzungen oder andere leichte änderungen notwendig erscheinen:
vreipe sgosk {pi'ir) Hüna (hier ver Schleifung der ne benheb ung)
2^^, hgfpe vatt {pä) Giinnarr 6^'"*, vf}pom nlfs varpan {varenn ulfs vQpom
R, was schwerlich richtig ist, da der abhängige und am Stabreime
nicht beteiligte genet. besser in der nebenhebung einen platz findet) 8 2",
nipjarge JivQtto (wo die hs. noch Gunnar hinzufügt, was unbedingt
unmöglich ist) 9^'^ räpenn est{u nü) Gunnarr 16-^", hgll gakk (pi'i) 6r
snirnma 16^^, Bin skal {nü) räpa (das nü ist mit recht von Sievers ein-
gesetzt, da die ganze strophe aus 5- und 6silblern besteht) 29^^% pggja
knätt(ii) pengell 36^% Hüna b^rn iglposk (Hünar R ist unwahrschein-
lich, da die übrigen 5 halbzeilen der strophe nicht dem fornyrjjislag
sich doch zu dem erweiterten E* (-^ xx I -ix) genau ebenso wie einfaches D (-^^ i -^ xx)
zu dem erweiterten D* (± x\ ±x x).
ZUR EDDAMETRIK 153
angehören) 37 ^'\ gengo inn Jivasser {hvater R) 37-^*', melta knätt^u)
moßogr 39 ^^ (§ 29), elde gnf {hon pä) alla 45 ^^
29. Eine 2. nebenhebung im 2. fusse findet sich 3mal:
hristesk qU Hunmrtrk 13^*, iH gekk pä Gupnhi 36 "\ ynelia knätt{u)
mdpogr 39 ^^ (§ 28).
30. Von den 53 schwellversen fallen auf den typus AA {j.x\±x\±x)
12 halbzeilen (22,6*^/0): kiaman segg atripa 1"^^, Bupla greppar standa
14tl^, veyper SQto üte \b^^, leter norner grata 17*'^, hjarta skal nier
Hggna 22^% Hüna b^niom sk'tne (sk. H. b. R) 29 ^'\ nvarr hafpe Atle
43^-''; dazu ein vers mit versehleifung der 1. Senkung: Atle mik
hingat sende 3^^, einer mit versehleifung der 2. hebung: sk^ldo knegop
pat' irlja 4:^'', und 2 mit überladener 1. Senkung, die sich durch
tilgung eines entbehrlichen pron. heilen lässt: hvat hyggr {pü) brüpe
bendo 8^% /igkk at {hön) VQvnop bjöpe {bype R) 8-'*.
Anm. 35*'' vqko af heipe komner (der einzige schwellvers in einer fornyr-
Jjislag-strophe) ist höchst wahrscheinlich fehlerhaft überliefert. Ich schrieb : es af
xipe kvQtno (C). Vgl. § 40.
31. CA (x^Ux|^x) zählt ebenfalls 12 halbzeilen (22,6 °/o): an
see allra Hüna (versehleifung der 1. hebung) 7*"', ne peirs riker v<}ro
^^^, pars harpmöpger furo 13^'', ok hlipskjalfar djüpar 14^^, ä borg
enne hgvo 14 ■^'', i veltanda vatne 29^% ok glkräser valpe 38^^\ en nip
sagpe Atla 38*", ok ör onduge at senda (versehleifung der 2. hebung)
39^'', ok hüskarla vakpe 44 3''; dazu zwei weitere, in denen das metrum
überfüllende Wörter gestrichen werden raussten : hvat rdpr {pü okr)
seggr enn öre 6'-", ef (peir) hans vif ja kcä'me 15^''.
32. Als DA (j.i^x|^x) sind vielleicht zu fassen 123-': pä kvnp
(pat) enn öre und 31 1'': reip Glaume mdrom (so Finnur Jonsson statt
•des unmöglichen mgnom). Aber die ganze langzeile ist offenbar verderbt
(§ 14): wahrscheinlich stand in der 1. halbzeile nicht der eigenname,
sondern eine minder genaue bezeichnung Atles, die ein mit g an-
lautendes wort {geirvaldr ?) enthielt, und ein Schreiber hat geändert.
-2 belege (= 3,8 '^/o).
33. Sichere AC (j.xU|_lx) sind die beiden halbzeilen: gif skr es
vegr okkar S*"", rlstu nü- FJgrner 10^-''; dazu kommt ein vers mit ver-
sehleifung der 2. hebung: idfar mono räpn 11^" und ein paar
andere, in denen das metrum überfüllende Wörter zu streichen sind :
sat {hann) a bekk hgvom 2*'', vqU Uzk {ykr ok) gefa mundo (ver-
sehleifung der 2. hebung) 5^*, heiler farep (nü ok) horsker {horsker
ist vocat. !) 12*-'. Schwerer verderbt ist 16^^: snemst at peir i sal
154 GERING
küQmo, da in b doppelalliteration nicht zulässig ist •, ich vermute : pegar^
i sal kvpmo. Summa 7 verse (13,3 °/o),
Anm, 20 3" siä skal frökn verjusk gehört kaum hierher, da die ganze Strophe
gewiss ursprünglich im fornyr})i8lag abgefasst war; der 2. helmingr lautete wohl:
srd skal frökn \ ßpndom verjask || sem hendr sinar \ Hpgne varpe.
34. Zum typus BC (x jl i x ^ | jlx) werden die folgenden 18 verse
(33,9 "/(,) zu stellen sein : at (jgrpom kcam (kann) Gjäka 1 ^'', at hipja
ykr Gimnarr ^'^'\ at it d bekk kömep 3^*^, at sökja heim Atla 3*'', af
(bez. mep) geire gjallanda 5-*' 15*'\ ok Hggna til sagpe 6^'', en mceke
hvassastan 7^^, at ripa egretide 8^^^, 6r garpe Niflunga 12^^, vip Uüna
harmbvQgpom 16*% at samna Niflungom 18^'', of rosmofJQÜ R'inar 18*'',
at solo suprhQllo 32^'; dazu 2 halbzeilen mit verse hleifung der
2. hebung: mep (bez. sem) hjglmom arengreyjioni 3*" 17^''; 2 mit
kurzer silbe in der 3. hebung: at varpa {peim) Gunnare 15^-', en
skiron malm rapa 42'^^. Den vers überfüllende Wörter mussten 2mal
gestrichen werden (l^'' 15'^").
35. CC (xj:U| jLx) kommt nur einmal vor: at sea heim Atla (ver-
schleifung der 1. hebung) 17 2''.
36. Auch AD {±^\±\±^>) ist nur durch ein beispiel bezeugt :
hjalm ok skjgld hvitastan T""". Vielleicht gehört aber auch 43^**, der
verderbt überliefert ist, hierher: varnapet hann vip Guprüno; ich ver-
mute: säska hann vel Guprünar.
B. Alliteration und reim.
37. Doppelalliteration im 1. halbverse ist für die mala-
hattrzeilen in aA nur 2mal bezeugt: f0)-e gölte Guprnn (s. oben § 16. 17)
42 ^% hon hepjom hrodde 44 ^^ ; dagegen ist in D * der doppelreim
geradezu regel, da von 50 a-zeilen nur 7 (l*'' 4-* 7*''^ 17^* 24^"
26 6a 3]^ 3a-) gj^jj jjjj^ einem stabe begnügen; die beispiele sind: drukko
(par) drötmeger 2^^, vin i valhgllo 2"^% [p] svinn äskunna (das unent-
behrliche () ist von mir ergänzt) 29 2**; 2**^ 32'' 43'' 4*" 7 3" 7*'^ 8^=*
94a 102a ll-ia 113a 114a 121a 122a 132a 134a 143a 152a 22 ^'^ 25 ^^^
32 2a 32 4a 36 4a 371a 33 4a 392a 394a 412a 4I Ba 442a 443a 444a 454a
(vgl. § 24 anm.) 45 ^^ Häufig ist die doppelalliteration auch inE*
(16 belege in den 31 a-versen): sjau eigom (oit) salhus 7 1", v(}pom
Ulfs varpan 82» (vgl. §28); 9^« 13 1-' 13^^» 16^'' 17'-' 18 ^^ 18 ^^ 22^«
291'» 36 3a 333a 393a 451a_
38. In den schwellversen ist doppelalliteration in der
1. halbzeile ebenfalls nachzuweisen; 2mal in AA: hiat hyggr {pü}
ZUR EDDAMETRIK 155
■hrüpe bendo 8^=*, hjnrta skal mer Hgyna 22^''; einmal in CA: i veltanda
vatne 29^''; 2mal in AC: ylfskr es vegr okkarr 8*", heiler farep (nü
ok) horsker 12 *'' (§ 33) ; 6mal in BC : at ggrpom kvam {kann) Gji'(ka
13a. 52a 154a 16 4a i^i^ 32 3a. einmal in AD: hjnltn ok skjgld hvitastan 7 5\
39. Gekreuzte alliteration ist in den 5- und 6-silblern nur
2mal bezeugt: svd gange per Äfle \ sem (ßü) vip Gunnar atter (aA + aAj
32 \ //;; gekk pa Guprim \ Atla i gogn (E* + F?) 36 ^ Der 2. fall
ist jedoch bedenklich, da die verkoppelung eines 5-silblers mit einem
3-silbler höchst auffällig ist und die ganze Strophe gewiss ursprünglich
im malahuttr gedichtet war. Ich schrieb daher in der handausgabe:
Atla fit mote (vgl. Haustl9ng 2- = Sk. B I, 14; Vellekla 19* - Sk. B I,
120 u. ö.).
40. Ein schlimmer V er sto SS gegen die alliterationstechnik findet
sich 14 '^^ : sal of svprpjopom \ slegetin sessmeipom (4 gleiche reimstäbe
in der langzeile!), wo doch wohl vorderbnis vorliegen dürfte. Dass
das part. an der alliteration nicht teilnehmen sollte, wie Sijmons
meinte, ist gewiss nicht anzunehmen (vgl. auch 31 2-'); vermutlich hat
sessmeipom an stelle einer anderen kenning {bekkmeipom?) sich ein-
geschlichen. Kaum erträglich ist es ferner, dass 35^ {vdpnsQtigr virpa
j vgro af heipe komner) das hilfsverbum den hauptstab trägt (s. § 30
anm.). Dass einmal ein poss. pron., auf dem kein rhetorischer
nachdruck liegt, den Stabreim trägt {piggja kncHtn pengell \ i ptnne
JiqUo 36 ^) ist technisches Ungeschick.
IV. Atlamöl.
(749 halbzeilen.)
Über die metrik dieses liedes haben Sievers in seinen 'Proben'
{s. 45-62) und Rud. Leonhardt in seiner fleissigen dissertation :
'Der malahattr der Atlamöl' (Halle 1907) ausführlich gehandelt, doch
wird, wie ich hoffe, meine eigene darstellung, in der ich von meinen
Vorgängern mehrfach abweiche, nicht für überflüssig augesehen werden.
Vor allem muss ich dagegen einspruch erheben, dass Leonhardt sich
Tjeständig auf seinen eigenen 'angemessenen' Vortrag beruft, ohne uns
sagen zu können, worin diese 'angemessenheit' beruht, und dass er
konjekturen abzulehnen sich erkühnt, weil sie nach seiner meinung
'das melodische kolorit der Strophe zerstören', ein ding, das ebenso-
wenig definierbar ist. Es muss einmal mit allem nachdruck betont
werden, dass der Vortrag einer dichtung durchaus eine subjektive
leistung des vortragenden ist. Zwei verschiedene tüchtige Schauspieler,
Ton denen jeder den anspruch erheben darf, einen 'angemessenen'
156 GERING
Vortrag zu besitzen, werden dennoch den monolog des Hamlet nicht
in derselben weise rezitieren, und der geniale mime oder der ge-
schulte rhapsode werden feinheiten im detail herausarbeiten, an die
vielleicht der dichter selbst (der bekanntlich keineswegs der beste
rezitator seiner eigenen Schöpfungen zu sein pflegt) nicht im entfern-
testen gedacht hat. Es darf auch nicht vergessen werden, dass der
dichter eine variable (aflfektcn und Stimmungen unterworfene) person
ist, die nicht, wie der fink, immer wieder dieselbe weise pfeift, und
öfter auch fremden einflüssen ausgesetzt ist, wie z. b. Sighvatr, nach-
dem er längere zeit in Schweden sich aufgehalten hatte, in seinen
späteren poesien durch unverkennbare suecismen diese einwirkung
verrät. Es dürfte daher nicht unwahrscheinlich sein, dass isländische
skalden, die jähre lang am norwegischen hofe lebten, auch spräche
und tonfall norwegisierten, so dass ich schon aus diesem gründe die
kühne behauptung, dass man heute noch imstande sei, unzweifelhaft
festzustellen, ob eine Strophe von einem Isländer oder von eineni
Norweger herrühre, für durchaus unglaubwürdig halte. Wir wissen
auch nicht - und werden es nie wissen - wie ein fmlr seine kvipa
oder ein skäld seine drapa vorgetragen hat, da die kunst, die mensch-
liche stimme auf der platte des grammophons zu fixieren, damals noch
nicht erfunden war.
Sowohl Sievers wie Leonhardt haben es verkannt, dass in Am
neben eigentlichen mälahätti-versen (d. h. versen von den typen aA,
C*, D*, E* - B* hat der dichter gemieden -) auch eine nicht unbe-
trächtliche zahl von dreimal gehobenen seh well versen sich findet.
Durch diese erkenntnis erledigen sich verschiedene von den in der
Sieversschen rhythmisierung angebrachten fragezeichen und mehrere
fälschlich als aD oder aE bezeichnete verse finden ihre richtige er-
klärung.
1. Versbau.
1. Der um die auftaktssilbe vermehrte A-vers (aA) ist fast ganz
auf die zweite halbzeile beschränkt: von den 83 belegen (11,1 ^/o)
fallen nur 3 auf die erste. Von diesen Ist 69--'': / kne gengr Jinefe ,
{ef kvii^Ur pcerra) ein im ganzen liede sonst nicht wieder vorkommender
typ, nämlich ein aA2k. Auffallend ist auch 74^'': enn f rette Atle \
(hvert farner vctre), da bei natürlicher betonung das adv. eiin einen,
hauptictus und das folgende verbum nur einen nebenictus tragen sollte ;
wahrscheinlich hatte der dichter einen vers E*l mit doppelalliteration
beabsichtigt, da aber ein vokalischer reimstab für den 2. halbvers sich
ZUR EDüAMETRIK 157"
ihm nicht ohne weiteres darbot \ machte er aus der not eine tugend
lind Hess das hierfür nicht geeignete freite mit dem partizip der
2. halbzeile alliterieren. In dem 3. verse 90^'': mepan iQnd pau iQgo
ist die auftaktssilbe aufgelöst.
2. Verschleifung des auftaktes ist auch in den aA-versen
der 2. halbzeile häufig (12 fälle): pegars hm rep vnhia 10*'', ef it
brälld Jccdmep 12 ^^'j cpa valda aprer 12^^, nema laiina eigem 13^^.
ef it stundep pangat 14 ^"^j epa ella hrcepomk 14*'^, mepan Jwkk (ek
Iwgg B.) gpr galga 36*'', mepan sjalfer lifpo (vgl. jedoch unten § 25^
anm.) 48^'', meJ)on heiler vfjrom 56^'', mepan Hggne lifpe 67*^, ok i
l linde öxom 68 ~^, ok d teine sfeikpak 78^^. Auflösung der 1. heb ung
kommt nur einmal vor: at vega pik sjalfan SP**; auflösung der
binnensenkuug 2mal : ok föro i brynjor 39 ^^, ok fengo i snöre 42 ^^
(Leonhardt stellt diese beiden verse mit unrecht zu E*2).
3. Zweisilbiger, nicht verschleifbarer auftakt lässt
sich meist durch tilgung überflüssiger wörtchen beseitigen: pars{pi()
bldjo hugper (so schrieb Sijmons mit recht statt des hsl. pars pü
hl&jo mit, (vgl. unten § 4) 15*'', i^vdt {ver) mdiiem etke 16^^', es {hon)
ekka heyrpe 43^'', es {pn'i) härm p>inn (pinn härm unrichtig R) tiner
SS***, at {hon) ser ne ifnpet 54*'', {ok) rep heldr at bregpa 64^'', es
{hann) sd pd hverge 74*'', ef {pü) ggrva reyner lh'^^\ pats {niit) dpan
fygom 81°^. Durch Umstellung wird 9*^: at vas vant at rdpa zu
heilen sein (lies: at vant vas at rdpa); den unmöglichen vers 81^'':
Jjats menn dorne vissot til besserte Sijmons durch tilgung von menn
und til; 90-^ es mer leifpe Bupile ist gewiss mit Sijmons (fussn.) es
leifpoynk B. zu lesen.
Anm. Zn aA gehöreo gewiss auch die 3 als viersilbler überlieferten verse
313b 354b 59 ^b^ 8. § 28.
4. Typus B* (^xjlIxjl), der in Akv ein paarmal vorkommt, wurde
von dem dichter der Am gemieden. Das einzige 'sichere' beispiel,.
das Sievers (Altgerra. metrik § 50, 2) aufführte {p(vrs pü bMjo satt
IS***) wird ebenfalls zu streichen sein, da. sdtt vermutlich das ursprüng-
liche hvgper (vgl. 15^'') verdrängt hat. Dass derselbe gelehrte in den
'Proben' auch 49-'' ok ondnrpan dag und 88 ^'' alt vas itarlekt als
B-verse bezeichnete, ist natürlich nicht richtig: der erste vers ist ein.
CB (§ 23), der zweite ein D=^2 (§ 14).
I) Ein gewandter poet hätte sich zu helfen gewusst, z. b. :
enn fritte Atle, hvert unger före
sveinar at leika . . .
158 UERING
5. Die zahl der C*-verse (x><^Ux) betrügt 113 (15,1 ''/o). Der
nebenton der 1. silbe ruht häufig auf einem verbum: felde stoj) störa
2"\ fellskat sapr svipre 6^=^ (ebenso 3^*^ 5 ^'^ 7 1-' 8'=^ 10*" 12 ^^ 13'^"
21 4u 24 ^•■' 34** 44*^' 48 2=' 50 ^^ 51 ^'' 59 1" 661*^ 84 1" 84 ^'^ 85 2" 85*''
874a 87 41) 90 in 90 5a 951a 981--1); zuweilen auch auf einem verbalnomen
(part., inf.): frett hefr gld öfö \'^'-\, reifa glöpraupo 13"', ganga mon
iyki) andd'res 14*^, sküpo (inf. praet., das überlieferte skopa - es wäre
der einzige beleg für den eingang ^x - ist unrichtig) s'jkn sverpom
48'*''; öfter auf einem pronomen: hvat {peir) d lann nuPlto 3^'^ hvat
pd larp) vitre 12'^^, okr mon gramr golle 13^-'', paus er litt röhp 15 ^'',
pau mono brdtt bvinna 15*% p)at mon oss drjugt deilosk 18^-', sü vas
hinzt kvepja 44 ^'', sü mon erfp epter 65-^", hverr vd smi Bupla 85^'',
panns per vel triier 86^^, pats til hags skylde 91^''; am häufigsten auf
adverbien und konjunktionen (hvarges 99*'', hvars 46**^, nü 56 *ä 69^"
76** 81^% opt 232% svd ]2=^% pd 33* 332% Jjar 88*% peyge 47 ^b. „/^
26 3% at 18*^ 20 2b 39 ^b 46*'' 56*'^ 59^»' 64 *b 68 s'' 83 *b 952% „^j^.
381b 413b 58 4a^ f',pr 42b 3311. 34 4b^ ^,y 71b 72b 303b 304b 374a 594b
652b 69:3b 70 2b 842", ella 36*% es 5^^ 282b 421b 535b 585b 672b 86 -'b
951b 96 *b, hve 32*'-, inepan 38 2b, nema 65*% sem 8* 48 ^b QQih qq3u
^7*b 992% svdt 47 *b, imz 28*'' 92*% p6t 13*'' 50 ^b gi^'O^ E^^te nomina,
die am eingange des verses hätten alliterieren sollen, erscheinen hier
nur selten (22 2" 371a 734a 86 sa 942a). g_ darüber unten § 30.
6. V e r s c h 1 e i f u n g der nebentonsilbe ist nur 3mal bezeugt :
bupjo pje/'r heim Hggna 7^'^, mepjan l gnd hixte 382b, nema ek auk deyja
65*''. Häufiger ist die auflösung der binnensenkung (13 belege):
skyldo of sd' s/'gla 3*", ganga mon (ykr) andd'res 14**^, Pmu mono brdtt
brinna 15*", pat mon oss drjiigt deilask 182% ^,^^ Jigforn einn feldan
41 ^b^ -j^il erom svd sdrer (wo jedoch, um den hiatus zu beseitigen,
besser nd Vo/>« geschrieben wird) 56*% at hafe svd genget 64='^^, kannka
ek sliks synja (wo aber das ek wohl zu streichen ist) 66^", at va're
grimmr Äila 83 *b, kvgmo i hiig kenne 84^", fylgpe oss herr manna
87*'\ fannka l huy heilom 90^", kvamtat {komtapm R) af pvl pinge 95'".
Anm. Ob in den drei versen : at t^cere hamr Atla 18*'>, at rcere grand svefna
202b, es VQro sakar minne (§7) 67 2b auflösung- der verbalforni anzunehmen sei, ist
mir zweifelhaft; sie könnten auch als schwellverse von dem typus BC angesehen
Tverden.
7. Selten ist die verschleifung der 1. hebung: alz pos fara
(stlat 26 -^b^ ß//(j5 hepan blpep 36*'. Dazu vielleicht noch 67 2b: es vgro
^akar minne (§ 6 anm.).
8. Der nebentypus C*2 (ix_LUx) kommt nur 5nuil vor: ( f at
ZUR EDDAMETRIK 159
i/pr Jyge 30^'', vgrom prir teger 50'^'*, sem pü -yglf viler 66"*'', patms
per vel triier 86 °^, par vas fjglp fear 88 '*'*■.
9. Neben hebung auf der schlussilbe ist ein einziges mal
bezeugt: frett hefr gld 6f() 1^-'. Da dieser fall ganz singulär ist,
-dürfte doch vielleicht gfo statt üfg zu lesen sein.
10. Typus D* ist durch 197 halbzeilen (26,3^/^) vertreten, darunter
140 normale D*l (zxIzjlx) wie segger samkundo 1^'', kunne skil ri'ina
'9 ^^ usw. Der untertypus mit der nebenhebung auf kurzer silbe (D*lnk)
begegnet 24mal : hugpe at manvite 3'^, kvam [ja Kostbera 6^", h^mlor
slitnopo 34=^"; d^^ 9'^* 20 1" 25*» 27 3--' 45 ^^ 46i^ 49^^' 5030 54-^'' 61»"
ß44a 72 la 742a 784a §3 ib §4 ib 873a 892a 98 2a 99 2a^ dazu noch (wemi
richtig ergänzt ward) [/Jarre] of fjQrp Lima 4*-'.
11. Einen anderen untertypus (D*lhlk) bilden die den Am eigen-
tümlichen verse mit verkürzter erster hebung (/-x!j.jlx): kona
kapps gäleg 6^'', bryte fötr ykra 24 3*, rifo kjgl half an 34^'', farep firr
hüse 36 ^^, hlapen halsmenjom 43 *'"', Ufa ipjrofter 63 '^^, Bero tveir sveinar
49^^, spyrep) liit epter 73^", kurom land papra 93^'', hlute hvdregra
96'^'' (10 belege). Man darf diese halbzeilen gewiss nicht als vier-
«ilbler mit verschleifter erster hebung betrachten, da die spärlichen
viersilbler, die sonst in dem liede sich finden (§ 26) sämtlich fehlerhaft
überliefert und meist leicht zu heilen sind.
4mal ist in diesen versen ausserdem die nebenhebung ver-
kürzt (D*lhlknk): hryte hgr löge 15 ^^ haer brotnopo 34»", skuto
skarplega 42 ^^'j kono välega 51**. — Ein singulärer vers mit Ver-
kürzung der 2. hebung findet sich 92"-'': fylgpom Sigorpe; er darf
jedoch nicht angetastet werden, da eigennamen auch sonst Unregel-
mässigkeiten veranlasst haben. Ganz unmöglich dagegen ist 32 ^'' :
Hgyne svarape (2. hebung und nebenhebung auf kurzer silbe!); hier
muss durch konjektur geholfen werden (lies: hitt kcap pa HQgne, vgl.
Sg 31 ' Hm' 6 1 u. ö.).
12. V er Schleifung der 1. hebung findet sich allerdings eben-
falls (8 belege): bopyet i sinn petta ll*^ borenn 6r serk pinom 22^'',
vesall lezk v'/gs peira 58»=*, prifo peir Pijöpgöpan 61 1'"*, alen vit upp
vrjrom 68^^, faret vip gram slikan 81'^", fara i /Jos annat 82*'', segep
et sannasta 85 »\ Selten (2mal) ist die 2. hebung verschleift: skiipmsk
veger peira 33-'', pjrwla pria t0go 89-^, dazu (wenn die besserung
richtig ist) 49*'': 0fre firom urpo (ofre peir nrpo R). Häufig ist da-
gegen auflösung der binnensenkung (23 fälle): hugpe at manvite
3^0, si'/sf.e of JjQrf gesta 6*^, allar 'o illüpgar 13^'', eige l sinn petta
14^'', liggja her Vmkld'pe 15»*, munn[e\ oss mgrg hefpe 16»=', vgknopto
ZEITSCHEIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. L. 12
160 (;euin(;
velboren 20'", veitkok ef {veitkat ek hvi'irt R) verp launep 29^**, fijrr
i{)rom faUrdpa 40^", enn eroj) öbuner 41^", mdite af manvite 45^*,
hugpe (i harpva'J>e 46 '^'', vinna et vergasta ÖO'*", iiv'i mynem her vilja
60^", hni'fpak of hotvetno 67'", (jolle ok hahmeHJom 68-*'', kunne of
hn</ md'la 70-"', f<h'o '/ fafmi mnpor 72"*'', bröpra eii kappscinna 74'^',
hafpa at (jlshjlom 11 '^^\ sagpak at kalfs vcere 78^^, hugpe d störräpie
83 ^^ hersar d h{>nd gengo 93-". - Verschleifung der 1. und 2. hebung
nebeneinander ist nur einmal bezeugt: fare sem (ek) fgrer mdiek 31^".
13. Überladung der binnen Senkung findet sich nur 4mal
und lässt sich durch tilgung überflüssiger Wörter stets beseitigen: ser
rep (hann) litt eirn 30^'', fnre sem (ek) fgrer nniiek 31'", >iwns efit{u)-
sja/fskapa 64*", ofk(}r {ek) dpr pöttak 67^". Dass der dichter sich in
dem 4. verse statt der Senkung eine nebenhebung gestattet hat, ist
singulär: sie wurde beim vortrage gewiss nicht markiert.
14. Der typus D*2 mit nebenhebung auf der schlussilbe
(jL X u X jl) ist sehr selten (4 belege) : alt vas Itarleki 88 '", varr at vettoge
37^", oomk ek aldrege 13''", böta aldrege 68*^. In den Wörtern vettoge
und aldrege müssen natürlich die icten auf die beiden glieder des
kompositums verteilt werden: die betonung vettoge, dldrege wäre un-
natürlich (R schreibt auch stets aldregi, wvagi, vettugi^ niemals -ge). -
13'" ist die hebung aufgelöst.
15. E* ist von den mälahättr-typen der Am weitaus der häufigste
(303 belege = 40,6 °/o), besonders aber E*2 (^x^Ux), das vor E*l
(i4.x|jLx) in auffälliger weise bevorzugt wird (244: 59).
Von den E*l sind 35 völlig normal, wie lag hegrpe orpa 3 ■^",
Qlowrer urpo 5'" usw. In dem verse 35^", der ohne zweifei auch
hierher gehört, ist eine Umstellung vorzunehmen, um die beiden sta-
benden Wörter in die hebungen zu bringen : h()tt grinder hrikpo {h()tt
hrikpo grindr'R: die seltenere zweisilbige form des- plur. verlangt das
metrum). - Der untertypus mit verkürzter nebenhebung (E*lnk)
begegnet 5mal: emjopo idfar 22"'", forpopo fingrom 42 2", lokkape {hon)
litla 72-^", glupnopo grimmer 72^**, Qrkopom at aiipno 92^". Sievers
(Proben) betrachtet diese verse als E2, aber C-verse des fornyrjjislag
wie es vaknape, of sahiape f>rk 1 '• ^ beweisen, dass die präterital-
formen der alten verba auf -oh ursprünglich gewiss den nebenton auf
der 2. silbe hatten. Allerdings können die beiden schlussilben auch
'verschleift werden {leitapak l llkna 45^" kann kaum anders als ein
E2 mit verschleifung der binnensenkung aufgefasst werden).
Anm. Nebenhebung auf der schlussilbe ist zweimal durch den eigen-
namen Guprün veranlasst: (/rimm rastu Gußriin 80^'^, f roß vilde Gx/inhi 98 3".
ZUR EDDAMETRIK 161
16. Von ver Schleifungen ist nur die der 1. hebung häufiger
bezeugt (13 belege): amng foro sißan 10^", bane i/kkarr beygja 12^%
konor hugpak davpar 2h^^, syner vgro {peir) Hggna 28^'', Bera kvap
at orpe 31^% roa tigmo rike 34 ^•\ {ok) skolop p6 her komner 4b'^^,
fegenn lezk pö Ejalle 59 ^'*, yfer r(}pomk ganga 75^", vapet he fr {p>i'i)
at rige 86*% priu VQrom sgMken 92^% koniing drQpom fyrstan 93^'^,
fara ser at spilla dS^^. Auflösung der nebenhebung begegnet nur
einmal : Jwg vasot [at] hjaldre (die notwendige ergänzung der präpo-
sition ist von Sijmons vorgenommen) 46^*; 35'=" bö .^fo peir standa
ist die auflösung - vielleicht unnötigerweise - erst von den neueren
herausgebern statt des überlieferten sä in den text gesetzt. Verschlei-
fuug der binnensenkung ist 2mal zu buchen: Glaumvfjr kvap at
orjje 29^'"^, Qrkopjom at aiipno 92 ^'\
17. Überladene binnensenkung kommt ein paarmal vor,
ist jedoch durch Streichung überflüssiger- wörter stets zu heilen : lok-
kape {hört) Htla 12^"^, vier Id'fr {pu) oJc sjfßfom SO'*^', brend mont
{mundii R) d bdle 82^^, vapet hcfr {pu) at vlge 86**.
18. Von den versen des typus E*2 ist die weitaus grössere
mehrzahl (189) normal: sendemenn Ätla 4^'', hvitabjgrn hugper 17^*;
hjona vd'tr sipan ^0'^^, ekkjo nafn hljöta 94 2''; illa rezk Atla 2'^^,
dtte p(j hygqjo 2 ^^, föro pä slpan 4 ^*, hengpo d sülo 5 ** usw. Der unter-
typus mit verkürzter 1. hebung (E*2hlk) begegnet 23mal: stopalt
monojj ganga 14'", bryte iq/p stokka 16^'', seoni J>d ropro 19 ^''j loket
pvl Uta 19*^ (= 71-5"), pyte af pjöste 24 ^'S lito es hjste 27 1% sQOsk til
sipa7i 33^'^, hcater fyr hgllo 43 2-'', skQpom vipr mange 45 ^'\ slitosk
(sl'dask R) af brynjor 48*^, fee opt svikvenn 52'^'', gopom pat pakkak
(ek pat pakka R) 53 ^'\ sea pat md'ttak 54*", takep er Hggna 55^%
skerep ör hjarta. 55 ^", skolop pess ggrver 55 ^^, tgkom ver Hjnlla 57 "^^y
dgo pd dgrer 63 1", fegenn est(u) Atle 65^", lagat vas drykkjo 71^^,
maga hefr {pu) plnna 11 ^"^^ nnfotn af storom 88^^, hgfom gll skar-
pan 96'-^
Anm. Nebenhebung im 2. f.usse ist auf eigennamen von der form -^^
beschränkt (7 belege): glgp vas auk Glaumi-gr G^b^ gcettesk pess Glaumvgr 202a,
gtol vas pd Gtipnin 43 ^a, yödde okr Grimhildr 68 3a, krrypp vas pd Guprtln 70 3a,
li'/gr pü fiH, Guprün 961''', g^rptu nn Gupm'm 96 3a.
19. VerSchleifungen sind nicht häufig. Auflösung der
1. hebung kommt 12mal voi*: koma i ngft hingat 25'^, hugat vas
pv'i illa 27*^, gtol vas pd {ruprun 43^", bera varp pann sipan ^1^^,
bryte vas hann Atla 57"', Ufera svd lengehl'^'^, mane monk pik hugga
66^", bana mont mer bröpra 68*", glapa nion {pik) minzt Atle lo'^^t
12*
162 (lERING
vile mer enn vd're 81^", vegenn las pä Alle 84^", Ufa mon pat epter
99^"; auflösung der binnen Senkung llmal: dreifpe (kann) oss qU
blope 18''^'', IHoat heldr segjask (es liegt jedoch nahe, letot zu schreiben)
28 ^^'j md'lte hon vip Vinga (das pron. haben die neueren heraiisgeber
gestrichen) 29-'', bragps skolop[f'r] h{>ggner 36'*', hofpu pat fram sjal-
dan (die neueren herausgeber schreiben ha f pat) 37^^, helta in lengr
riime 58 ^''j heym d pä skr&kton 60*'', he'p'pa kann svd kunne (das pron.
wird von den neueren herausgebern getilgt) 61 *", ä mono pfr iprar
65'-'', Igst vgromJx pess lenge 73-'', hgggja d pgrf hverja 97 *■'; auflösung
der nebenhebung 2mal: hehnan goresk (pii) H(jgne IP'S sitopalt
monop ganga 14^",
20. Überladung der b i n n e n s e n k u n g ist immer durch
Streichung überflüssiger Wörter zu beseitigen (7 fälle): dreifpe {kann)
oss gll blöpe 18 ^'', ilt mont (mondu R) per lengja 37*'', iQfkr mon {kann)
d' heitenn 57*'', stt' {hann) 6f pd bdpa 64^'', mint hefr {pi'i) per hollra
64^'', glapa mon {pik) minst Alle Ib^'^, drygpak {per) svd drgkkjo 77*-'';
ebenso Überladung der nebenhebung (10 fälle): rünar nam {at)
r'tsta 4'", g<Ha varp {hon) tungo 9^'\ heiman goresk {pä) H<jgne 11'",
n0kpan tök {hon) md'ke 46^", bröpor hjö {hon) Atla 47'-", maga hefr
{pü) p'inna 11 '^'^^ etke rett{ii) leifa 78^^, barna ve/zf{u) p'inna 79^",
dylja monk {pik) eige 86^% sv&ro lezt{u) p'ma 90*".
21. Auftakt ist in E*-versen so selten überliefert, dass es rät-
lich scheint, ihn zu beseitigen: {ok) fagnape komnom 4:4:'^^, {ok) skolop
p6 her komner 45^^, {ok) kcadde pd bdpa 6'-'', {ok) mgrper til hnossa
53 ^^ {ok) hyldep mep kn',fe 55 1^, {ok) lagpe vip stokke 12'^.
22. Dass in den Am auch eine beträchtliche zahl von schw di-
versen vorkommen, ist nicht zu leugnen. Sichere AA {sx\ j.x\^j.x)
sind die folgenden: IqUo dvalt Ijosar 28^", barna p'mna blöpe 80 2",
vilder dvalt vd'gja 95^'"'; dazu ferner bld'Jo hugpak p'ma 15'", blöpgan
hiigpak mwke 22 1" (in beiden versen ist es nicht nötig, hugpak durch
sdk zu ersetzen'; und cesn mon pat fyr nekkce (verschleifung der
1, hebung) 24*''. Wahrscheinlich gehört auch 21'" hierher: gorcan
hugpak per galga, wo entweder per zu streichen oder !<dk statt hugpak
zu schreiben ist.
23. CA (xjL Ux|j.xj ist durch 2 verse vertreten: at endhjngo Jiüse
18"' (= 24'") und es lipr pinn d't-e 86''\ Ein DA (^Ux|^x) ist 92'":
skii^e hvert rdrt styrpe (verschleifung der 1. hebung); ein CB (xzUjxj.)
49*": ok Qudurpan dag (von Sievers in den 'Proben' wohl nur ver-
sehentlich als B bezeichnet, während er es Altgerm, metrik § 50, 1
als aE erklärt). Ich habe die langzeile, die auch Leonhardt als iuter-
ZUR EDDAMETRIK 163
poliert ansieht, als unecht eingeklammert, wie ich jetzt glaube mit
unrecht, da auch der viersilbige 1. halbvers sich ohne mühe vervoll-
ständigen lässt {('Mo ggroolla): eher wird die 3. zeile mit dem auf-
fälligen endreime auszuschalten sein (s. unten § 33).
24. Von den C-versen ist AC ■{±x\±\±^) nur durch einen beleg
bezeugt : peire vas vip hrugpet (verschleifung der binnensenkung) 48 ^^.
Besonders häufig ist dagegen der typus BC (x ^ i x ^ , .ü x) (39 beispiele) :
es vpro sannrdj'ner 1 ***, af hragpe hop sende 2 *'*, at kuiime brdit mägar
2**^, um ßöite ftdldrulket 8'^^', es shjlde vilt rlsta 12^'*, at segja naup-
mamie 22 -^ sein henne veri p.'Me 29^**, at firra ypr Ufe 40-^, ef Jigf-
pop dpr rdpet 41"^^, at letja t/kr heiman 45^^, ok nipja fjgr varpe
46 ^'', t heljo pann ]iafp>e 47^^, es uuno bgrn Gjnka AB'^^, unz mipjan
dag l'/dde 49^'', siz kcamt i hendr ossär 52^^, es skijlde vdss gj'alda
58^^, at drna dnaupgom 60^*, at fremja leik pennaßO^^, es kunno
gorst heyra 62^^, ne vinna pess etke QS^^, at erfa br0p)r sina 71^'',
vip svQrfon ofinikla 71*'', at lyfjft ykr eile 73'-^, es gorua svd mdtter
80^'', at bipja phi Gupjrün (man beachte die durch den eigennamen
veranlasste nebenhebung auf der schlussilbe !) 87 ^''j at koma l hüs
Atla (verschleifung der 1. hebung) 94^'', at verja pitt llke 97^^.
25. Für CC (xiUjzx) sind 7 belege zu buchen: ok et sama
sunom Gji'ika (verschleifung der eingangssenkung und der beiden ersten
hebungen) l*'', at munem skammceer (verschleifung der 1. hebung) 26*'',
at l sundr hruto baiigar (verschleifung der eingangssenkung und der
2. hebung) 43^^, es vdtt bröpy mina 75*'', ok barep dpr grjöte (ver-
schleifung der 1. hebung) 82^'', en sumo sunr Hggna (verschleifung
der 1. hebung) 86 -^'^ EC (zjlx u i'^x) kommt 2mal vor: bjgrn hvgpak
inn komenn 16 ^'\ gm hugp)ak inn fljüga 18^''. Endlich ist auch noch
ein DD* (^ u x | ^ i, x) zu notieren : skgp öxo {öxto R) skjgldunga 2 ^'^.
Anm. Nach der Überlieferung wäre auch 483a ein DD, aber die ganze laug-
zeile {srd kvppo Xiflunga | mepan sjalfer lifpo) ist ohne zweifei verderbt ; ich schrieb :
Uniflunj/a kr^po \ mejjan heiler lifpo (E*l + aA).
26. Die wenigen viersilbler, die in dem liede sich finden,
sind gewiss sämtlich verstümmelt beziehungsweise fehlerhaft überliefert.
31"' ok sigr drnep und 59^'' dpr ods kende können einfach durch die
einsetzung der partikel of vor dem verbam zu regelmässigen aA ver-
vollständigt werden (vgl. 1^7*); 30 ''"' sor pd Vinge ist das starke
Präteritum durch die schwache nebenfoim svarp)e zu, ersetzen; 81'*
greipt glöp storan ist hinter dem part. das verbum hefr ausgefallen ;
35*'' pats (}ii vwre ist der von Sijmons eingesetzte compar. beir (der
jedoch besser hinter qh seine stelle findet) gar nicht zu entbehren (die
164 CKKING
ergänzung ergibt allerdings den sonst nicht vorkommenden typ aA21);
49'*" Otto alla wird das simplex durch das von dem dichter zweimal
(30* 43*) gebrauchte kompositum {(jQrvalla) zu ersetzen sein (§23);
43'^" h(}tt fijr IioUo ist mit .Sijmons hvater statt h(}tt zu schreiben und
hinter hoUo stark zu interpungiereu; 61^'' hlö pä Hgyne hat der eigen-
name vermutlich ein dreisilbiges appellativum {herstiller?) verdrängt.
Auch die beiden zu einer laugzeile verbundenen viersilbler 84*: sunr
vc'i H^gna \ ok -yQ/f Gußriin sind schwerlich, wie Sijmons meinte, aus
einem älteren liede herübergenommen : Finnur Jonsson änderte an-
sprechend: sunr V('( hann lloytia \ sj{>lf olle Gupnin.
27. Die natürliche beton ung ist nur selten verletzt. l*ist
die hebung auf die copula gelegt {es v(}ro sannrdpner); dagegen ist 24*
vesa mon pat fyr nekkce der starke ictus auf dem verbum nicht zu
beanstanden, da diesem eine ausgeprägtere bedeutung hat {vesa fijr elio
'etwas bedeuten'). Sonst hat nur die alliteration den dichter oft ver-
anlasst, Wörtern einen ungewöhnlichen nachdruck zu geben (i^ 30),
27a. Enjambement ist verhältnismässig selten: 'feste' bin-
dung findet sich l'-'' 12 3-* 27 ^-^ 27'-* 43 i ^ 483.4 494.5 541.2 g] 1.2
661.. 743.4 813.4 961.2 963.4 991.2. «log^' 1 3. 4 4;i.4 61 2 351.2371.2
4^3.4 433.4 584.6 QQi.i QQi.i ^^ i \ - X){q siuncspause zwischen den
beiden helmiugar fehlt str. 24. 25. 28. 30. 42. 97. - Dass das lied
ursprünglich nur aus vi erzeiligen Strophen bestand, darf als
sicher gelten, da in allen fünfzeilern eine zeile als entbehrlich ge-
strichen werden kann und Strophen, die das normale mass nicht er-
reichen, meist auf den ersten blick als verstümmelt erkennbar sind,
was in mehreren fällen die V9lsungasaga, die einen vollständigeren
text paraphrasiert hat, bestätigt.
27b. Von den typen-combinationen ist in Am E* - E* die
häufigste (56) ; es folgen E* + aA (42), D* + E* (41), E* + D* (39) E* ^ C*
(30), D* + D* (24), D* + aA (22), D* + C* (22), C* + E* (16), C* + aA
(14), E* -r BC (12), C* + D* (10), C* + C* (7), D* + BC (7), aA + aA
(3), AA + E'^ (3), C* + BC (3), D'^ + CC (3), BC + C* (2), E* + CC (2),
EC + CA (2). Nur je einmal belegt sind : AA + aA, AA -r BC, AA + D*,
BC + BC, BC + E*, C* + AA, CC + BC, CC + C* D* + AA, D* + CA,
D* + CB, DD + aA, DD* + E*, E* + AC, E* + DA, EC + E*.
2. Alliteration und reim.
28. Doppelalliteration in der 1. vershälfte ist für aA (das
bis auf 3 fälle auf die zweite halbzeile beschränkt ist: § 1) einmal
bezeugt: mepan bjnd Jjau l(}go 90 2". In C* und D* ist doppelalliteration
ZUR EDDAMETUIK 165
die regel: in C* haben von den 51 a-versen nur 4 einfache stabung
<23'^^ 36*» 50 3a 901=*), in D* von 122 a-versen nur 8 (24-^^ S2^^ 34 ^^
49 Sa 51 la 51 4a 561a 731a. j^zu noch - falls meine konjektur utto
gQrvalla richtig- ist - 49-"). In E* halten sich verse mit doppelter
und einfacher stabung ungefähr die wage: von den 52 a-versen in
E*l haben 24 nur einen stab, in E*2 von 132 a-versen Gl. Dass
von diesen 85 einstabigen versen nicht weniger als 29 einen eigen-
namen enthalten, ist gewiss kein zufall. - Was die sehwellverse
anbetrifft, so haben von 5 AA-versen 4 doppelalliteration (auf der
1. und 5. Silbe): 21^' 2%^=" SO^^^ 95 3''^; von 5 BC-versen wiederum 4
(auf der 2. und 4. silbe 2*» 50** 60 2% auf der 2. und 5. silbe 47 ^'^)-,
von den 2 CC-versen einer (auf der 2. und 3. silbe, 1 *^). Endlich
iiat auch der einzige DD*-vers (2^'') Stabreim auf der 1. und 4. silbe.
Anm. Die einfache alliteration in dem auffallenden verse 32 1'* : HQgne sra-
rape (§ 11) verstärkt den verdacht fehlerhafter Überlieferung.
29.T)ass in dem 1. halbverse der Stabreim auf die 2. hebung
.beschränkt ist, kommt nur in E*2 ein paarmal vor: furo pä s'ipon
I {sendimenn Atla) 4 ^, töko peir förner \ {es l)ehn fr'ipr sende) 5^, md'lte
(hön) vip Vinga \ {sein henne vert px'jtte) 29 '^, takep er H^gna \ {ok
hyldep) wep knift) 55 ^ if)kom ver Hjalla \ {en H<jgna forpjom) 57 ^.
30. In der alliterationstechnik erweist sich der dichter der Am
im übrigen als ein stümper, da er sehr oft den Stabreim auf Wörter
legt, die schlechterdings nicht hervorgehoben werden durften. Besonders
häufig sind hilfsverba^ träger desselben: hugpo vdir vela \ es {peir)
vpro komiier 5'^, rgknopo velboren \ vas Jjar sams dorne 20^, vwre
vertbünor \ vilde pik kjösa 25^, vcirr at vettuge \ es varp at reyna 37 ^,
mc'elte af manvite | ef mundo sd'itask 45 '^ skerepj 6r hjarta \ skolop
pess ggrver 55 '^ hei ek per hgrpo \ hefk pik nü mintan 76^, vegenn
vas pä Alle \ vas pess skamt hipa 84^, vapet he fr at v'ige \ pjot vd'ret
skaplegt 86*, varp)a v<}n lijge \ es vir of reyndom 87 \ gröftu Sfä
under \ g0rpet ('did not') hlut piggja 90^; öfter auch andere bedeu-
tungsschwache Zeitwörter: ggrvati hugpak per galga \ genge r at hanga
21 ^, rakkar p)ar rinna \ rdpask mjgk geyja 23 \ krgpp vas p)d Guprün j
kunne of hug mdia 10'\ hausa veizt p)eira \ hafpa at Qhk(}lom 11^,
Igtomk pvl valda \ es üpr plna dwe 86^, leyfp vastu ekkja \leto
störräpa 87 2, bgrposk bröpr imger \ börosk rög mille 91^, vggom 6r
sköge \ panns vildom syknan 93^, Mute hväregra \ hgfoni oll skarpa}i
1) Fälle, in denen diese verba eine i)rägnantere bedeutung- haben, sind nicht
mitgerechnet: hrat pd varp vifre 'was ihr zustiess' 12^, rerpa (man) Ott snimma
"•'wird eintreten' 17 '.
166 GBRIN«
96*; zuweilen endlich personal- und possessiv-pronomina
ohne rhetorischen naehdruck: sf/n cas svipc'fse j <f J>eir sin g(t'J>e 7-,
t!(igj>e horsk hilme \ J>eyars hun rep vakna 10^, scarpe pd Vinye \ ser
rep litt eira 30', sen pat nuHtak \ at ser ne ynpet 54*, syn cas soip-^
eise I ef kann sin g<ipe 70*, settom pann sdian \ es ser ne ättet 93^;
Sdiny furo slpan \ sina pau Hgyne 10 \ alt vns itarlekt \ of örar
ferPer 88 ^ Gegen die regel verstösst es auch, dass 3mal das 1. nomen
des Verses an der alliteration nicht teilnimmt: orp kvap hitt Hgyne j
huyPe litt vdgja 37^ (vgl. dagegen 35*: orp kvap pä Vinye \ pats gn
beir vtere), skgmm nion rö reipe \ ef reyner ggrca 73*, strängt vas
anyr unyre \ ekkjo nofn hljöia (lies: vas anyr strängt nngre?) .94'^^
Anders zu beurteilen sind 22^: ilt es svefa slikan \ at segja naiipmanne
und 86°: ilt es ein cela \ panns per vel triier (vgl. Ark. 40, 198 § 24).
Fehlerhaft ist es ferner, dass das dem nomen folgende pronomen alli-
teriert, jenes aber keinen Stabreim bildet: hygyja d pQrf hrerja \ seni
Vit hall cdrem (lies: d hverja p(^rf hyyyja?) 97*. Unge^hickt ist
endlich die Wiederholung des Zeitworts 56*: rgskr monk per reynask \
reynt hefk fyrr hrattan..
Anm. Einmal nimmt, wie es scheint, auch die nebenhebung eines E-verses
an der alliteration teil, was sonst nicht üblich ist: tre tekr at hniga \ ef hbggr tpg
iindan 69^ — oder liegt hier ein schwell vers DA vor?
31. Gekreuzte alliteration findet sich 4mal: svd cas d visat \
seni under cdre 12 ^ spyrep litt epter | spilla (Hlak hQponi 73', pd he fr
pu drnat \ pats pd d- beiddesb 82^, ndr rarp pd Atle, \ nipjom strip
0xfe 98 \
32. Hypertrophische alliteration, die ömal vorkommt, ist
kaum beabsichtigt: 8^ b/)ro tnjgp md'rer \ margs vas a'z deine ist also
schwerlich eine nebenalliteration (bgro: beine) anzunehmen, ebenso-
wenig 12': eitt ek niest undromk \ mdkat enn hygyja {mest: mdkat),
69 ^ Ire tekr at hniga \ ef hoggr tpg undan {hniga : hoggr), 87 * förtu
heim hinyat \ fylgpe oss herr manna (förtu: fylgpe), 98* urpo dcgl
dvgra \ dö [hön) i sinn annat {urpo: annai).
33. Der einzige endreim des liedes: flöpe cgllr bldpe 49^^ kann
•kaum als lautmalerei betrachtet werden und wirkt daher störend. Er
vermehrt den verdacht, dass die überschüssige langzeile interpoliert
ist (§ 23).
V. Hamlt^smol.
(212 halbzeilen.)
Dass die Hm nicht das einheitliche werk eines dichters sind,
liegt auf der band. Dem ersten aufzeichner waren nur noch bruch-
ZUR EDDAMETRIK 167
stücke verschiedener lieder bekannt (darunter fragmente eines sehr*
alten liedes vom untergange Hamf)ers und S9rles, das malahättr und
Schwellverse mischte, und eines jüngeren gedichtes im fornyr|)islag,
das denselben stoff behandelte, sowie wohl auch einzelne Strophen
einer Gu|)rünarhv9t in dem letzteren metrum), die er, so gut es gehen
wollte, miteinander zu verbinden und chronologisch zu ordnen ver-
suchte. Die kontamination ist unentwirrbar, da nicht nur mälahattr-
und fornyr{)islag-strophen nebeneinander stehen, sondern auch inner-
halb einer Strophe und sogar innerhalb einer langzeile die beiden
metra abwechseln. Als jüngste Interpolationen werden der aus drei-
silblern bestehende helmingr 2^-^ und die lj6{)ahättr-strophe 29 zu
betrachten sein.
Unter diesen umständen müssen die beiden metra: fornyrjiislag
(nebst dreisilbler) und malahättr (nebst schwellvers) gesondert behan-
delt werden.
A. Fornyr{)islag und dreisilbler.
1. Versbau.
1. Von den 117 halbversen, die wir dem 'alten metrum' zuweisen
müssen, fallen 59 (50,4%) auf den typus A.
Nebenhebung im 1. fusse vor nachfolgender länge (A2I)
rindet sich 3mal: fiillting frihidom 13^*, mcefingr mcHte 22 -'^, vargtre
vindkgld (hier nebenhebung in beiden füssen) 17 2-'; vor nachfol-
gender kürze (A2k) 4mal: hornung vesa 14*'', Jönakrs simo 26*'',
BqU rgp koma 27^^, svalt pä Sigurpr 7^^ (einziger beleg für den vers-
ausgang ^jl). Ausserdem ist nebenhebung im 2. fusse noch 4mal
bezeugt: hitt kvap pä Hamper ö^"" (= 25^* 27^''), hve mon Jarpskamr
12*% tri/tte ((' tvQno hvot 17*'* (vermutlich verderbt, s. § 2 anm.), hitt
kvap pä hröprglgp 22^^.
2. V er Schleifung der 1. hebung begegnet nur 3mal: joom
of tradde 3"^'\ vopen at vllja 4^-', lipo pä imger IP". Weit häufiger
ist die verschleifung der binnensenkung (18 belege): hvHom
ok svQrtom 3^'*, fallen at fnhidom 4^^, etiler es prunget 5-'', saztu ä
hfpjom 6*", hokr vgro plnar 7^'^, saztu of daupoin 7^*^, vilka {vilkat ek
Rj vip möpor 9^% gengo 6r garpe IP'', ggrver at eiskra 11 '% fundo
ä stnHe 12 ^"'^ drögo (peir) 6r skipe 15 ^'", säran d meipe 17"^'', glaumr
vas i hgllo 18^*, segger und hJQlmom 19 2'', riker'o komner 19 ^'\ grgtep
i/'r) ä gumna 26^*.
Anm. In dem verse Yl^^: tr//tte (e tt-Quo hvot ist sowohl die binnen-
senkung als auch (was sonst streng verpönt ist) die 2. heb ung verschleift. Dieser
168 GERING
umstand bestätigt die Vermutung, dass diese schwer verständlichen worte nicht
richtig überliefert sind.
3. Überladene bin nensenkung lässt sich öfter durch tilguug
entbehrlicher Wörter beseitigen : vllka {vilkat ek R) vip mußor 9 '^''\ • drögo
{ßeir)6r sk/pe 15^", s&U \ {ek) pa pöttomk 21 ^% grytej) (er) ä gumna 26-*''.
In den beiden versen : hitt kcop pa Hamper 6 ^* (= 25 ^* 27 ^'') und
hitt kvap pü hröprghjp 22 '■' wurden die beiden zusammenstossenden /
gewiss nur einmal artikuliert. (Ark. 40, 13 § 5 a). Die zweisilbige Senkung
in dem verse 23^"^ binda epa her ja ist wenig störend, erträglich auch
10'** siijom her feiger (a in<jrom ist sicher Interpolation).
4. In der langzeile 5 ^ Ufep einer er \ pätta d'ttar minnnr ist das
«rste nomen der 2. vershälfte, weil es am Stabreime nicht teilnimmt
und überdies völlig entbehrlich ist, sicher zu streichen, wodurch ein
normaler A-vers gewonnen wird.
5. Verse mit auftakt sind unten § 18 unter den fünfsilblern
behandelt.
6. Typus B ist nur schwach vertreten (9 kurzzeilen = 7,6"/o).
Normalverse ohne verschleifung begegnen 5mal: siis Jgrmonrekr 3 2",
ilt's hlaiipom hol (vgl. unten § 17) 14 ^'^, ok systormn^ 17--'*, t hörn
of paut 18^'', en Hcimper hne 31 2", dazu auch 14'^''' es mdr of Uk,
wo die relativpartikel mit recht von Sijmons ergänzt wurde. Ver-
schleifung der eingangssenkung kommt 2mal vor: Ufep einer
er 5^% kvepa harpan mjgk 14** (das überlieferte ki-r}po ist sicher un-
richtig, da nur das Sprichwort ('bastarde pflegen tapfere leute zu sein'j
einen guten sinn gibt'.
Anm. Ob der vers 23 ^^ at hli/pege mi/ne hier einzuordnen ist, erscheint
höchst fraglich. Die doppelte Singularität (verschleifung der binnensenkung
•und der Schlusshebung) macht es sehr wahrscheinlich, dass eine Verderbnis
vorliegt. Sicher aber dürfte 11 3'* hierher zu stellen sein, wo of lirer/ fjfßl statt
lireg fjrjll i/fer zu lesen ist (§ 26).
7. Die zahl der C-verse beträgt 30 (25,6 "/o). Von ihnen haben
7 die 2. hebung auf kurzer silbe (C 2): en glgstQmo^ 1-'', a hervege
1) Wisen wollte systor stjüpson schreiben. Aber wenn man es für wahr-
scheinlich hält, dass der dichter das verwandtschaftliche Verhältnis zwischen Svan-
hildr und Randver genau angegeben habe, würde es genügen, stin durch stjäp zu
ersetzen, um nicht unnötigerweise einen fünfsilbler mit einem regelmässigen A-verse
zu verkoppeln.
2) Boer entscheidet sich im entgegengesetzten sinne, ich biu also völlig
sicher, das richtige getroffen zu haben.
3) Die überlieferte langzeile ist jedoch kaum möglich; ich schrieb in der
Handausgabe: at </l//.<itnmo \ gräte alj'a (d. i. at niorne).
ZUR EDDAMETRIK 169
3^^, ne lioldyyoen 13*^, a mars bake 14"^'', i goßcefe'^ 16 '''\ sem bjgni
hnjte 26 *^ at hüsbake 31 -^
8. Verschleifiing der eingangssenkung ist 4mal bezeugt:
eiiar blähv'ito 7^'', smuyo göpborner'^ 16-^, ef eh sea kndttak (das über-
flüssige ek wurde von Sijmons gestrichen) 21^'', es (es vit R) d braut
vQyom 28'^''. Etwas häufiger ist die auflösung der 1. hebung
(8 belege): enn hugomstöre Q^^, en banar hlögo 6*^, ok bure sväsa 10^'',
ok Hl gota etke 18"-", ef {ek) sea knd'ttak 21^'', mej> boga strengjom
21^^, enn regenhmnge 26^"^, at salar gafle 31 ^'\
9. Überladung der eingangssenkung lässt sich 2mal durch
Streichung entbehrlicher Wörter beseitigen: es {p\l pami) belg legster
27-^, es (vit) d braut vögoin 28 ^^ In einem dritten falle werden die
beiden schwach betonten wörtchen der eingangssenkung beizubehalten
sein: ok tll gota etke 18 2".
Anra. Ein C-vers war ursprünglich wohl auch 23 3b: [ horg enne hfjvo (lies:
/ bofg JiQvo oder / borg hgre).
10. Von den 7 D-versen (5,9 ''/o) sind 3 normale Dl: störbygg-
püttan 12 ^^ okr fiiUtlngja 12**^, hQnd annarre 13*''. Verschleif ung
der 1. hebung findet sich 3mal: grgom gangigmom (Dlnk) 3*'\ mgrotn
hunlenzkom (Dl) 11*'\ haier glreifer 18^'' {haier ist natürlich in gmnar
zu ändern, da das am eingange der 1. halbzeile stehende nomeu
— glaiimr - an der alliteration teilnehmen muss). Der 7. vers ist pjop-
konnnga 5-^ (Dl mit 2. hebung auf kurzer silbe): das in der hs. dem
compositum voraufgehende ykr ist ohne zweifei zu streichen.
11. Normale 4silbige E-verse kommen nicht vor.
12. Von den 12 d r eis ilb lern (10,5*^/0) gehören 10 zu dem
typus F2: sprutto d tae 1 ^'\ vasa pat nu 2'^^, ne '/ gwr 2^'', pat hcfr
langt 2'^-', GJiika boren 2^^, hvat mege fötr 13^% pd koap pat Erpr 14 ^•■*
(vgl. oben § 3), sköko lopa 16^% röpep {er) of rdp 19^*, vel hgfom
(vit) veget 30^''. Fl und F3 sind nur durch je einen beleg vertreten:
lipet stpan 2-''; es Siyorp peir (oder plnn?) Q'^'^ (die hs. kürzt ab:
[er p. siy.]). ^ Ver s ch 1 eif u n g der 1. silbe findet sich 2mal
(21^^ 2-'^), verschleifung der 2. silbe 4mal (O--^ 13 ^^^ W" 19 ^'O. ver-
Schleifung der 3. silbe 2mal (2^'' 16^-'). 2. und 3. silbe sind 2mal
aufgelöst (1 1" 30 ^'^). Streichungen überflüssiger worte mussten 2mal
vorgenommen werden (19^" 30 ^'■').
1) Ich lese mit Niedner: smugo göpbonier \ / gopvefe (ok göpb. smugo i gopv. R).
Das C* in der 2. vershälfte ist hier unwahrscheinlich.
\
170 GERING
13. Verstösse gegen die natürliche betonung kommen kaum vor,
2 ^" vasa pat ml ruht die hebung auf dem verbum substantivum, das
jedoch durch die negierung an gewicht gewonnen hat.
2. Alliteration und reim.
14. Doppelalliteration in der 1. halbzeile ist für A, B^
D und F bezeugt; in A findet sie sich 4^'^ 4 3« 6'=' (=251'' 27'") 7^'^
IP" 132» 153» 173^^ 17 ^-^ 22 1^ 222* 23^" 26'^'* 26^'' 26*"; in B nur
2mal: 5'* 31 2*; in D nur einmal {gr<^om gangigmom 3*"); in F 2mal:
19-^" 30^''. - Gekreuzte alliteration (ab | ab) findet sich nur einmal:
mgrom hünlenzkom \ morps at lief na 11*. Der vers 5*: epter es ßninget \
yh- pjöpkonunga zählt nicht mit, da das pronomen ohne zweifei ge-
strichen werden muss.
15. Mehrmals ist in A der Stabreim in der 1. halbzeile auf
die 2. hebung beschränkt: 1^" 5^" 6*" 9'^" 11-^" 12 1« 12*" 15i"23i^
31 1\ Fehlerhaft ist es, dass einmal auch in der 2. vershälfte der
Stabreim (also der hauptstab) auf der 2. hebung ruht: hitt kvaj> pä
hröprglgp \ stöp of Jilepom 22 ^.
16. Auch in F trägt 5mal die schlussilbe der 1. halbzeile
allein einen stabreiin: sjynitto d tae \ (tregnar /per) 1*, vasa pat iiii\
(ue i gwr) 2 \ pat hefr langt \ {lipet s'iparh) 2'^, hvat mege fötr \ {föte
veita) 13^*, pd kvap pat Erpr ( {eino sinne) 14 ^
17. Dass in dem verse 18 1; Glaumr ras i hßXo \ haier glreifer
das au der spitze stehende Substantiv an der alliteration nicht teil-
nimmt, ist gewiss nur ein fehler der Überlieferung, der durch eine
leichte änderung (gumar statt haier) beseitigt werden kann. Dagegen
darf 14^: ilt's blaupom hal \ hranter henna nicht geändert werden,
s. Ark. 40, 198 § 24. Ein Ungeschick des dichters ist es aber, dass IS'"*
ok tu gota ethe \ gorpot heijra das auxiliare an stelle des vollverbums
die alliteration trägt. Beabsichtigt ist offenbar die annomination fötr:
ßte 13 s.
Anm. ski'pe sktpelsani 15 * ist eine so grobe Ungeschicklichkeit, dass wir sie
dem dichter nicht zutrauen können : ich habe daher skipe durch ein synonym {sIcqI-
potk) ersetzt*.
1) Selbst Boer meint, dass Bugge das wiederholte sk/pe 'wohl mit recht' für
unrichtig halte, er unterschlägt aber natürlich meine konjektur.
ZUR EDDAMETRIK 171
B. Mälahättr und schwell v er se.
1. Versbau.
18. Unter den 75 malahattr-halbzeilen finden sich 15 (d. i. 20%)
A-verse mit auftakt (aA), davon 7 normale (ohne verschleifung und
nebenhebung) : se^n gsp l holte 4:^^\ til moldav hntga 15*'', ftjr m<}ikom
mgunom 19*'*-, 4^^ S**» 19-" 21-''. Zweimal begegnet nebenhebung
im 2. fusse: es hvatte Gvprün 2°'\ hvers hipr pü (nii) Gvpri'in 9*'*.
Ver Schleifung im auftakt ist zweimal überliefert: hafep {er) mey
of tradda 19*'', megot tveir metin einer 23^*^; verschleifung der
1. hebung und der binnensenkung je einmal: sem fiira at kviste
A-^'y sem erner d kviste 30 '-'^. Nur 2mal ist die entfernung überflüssiger
wörtchen notwendig (9*'' 19*'', s. o.); einmal eine Umstellung: d galgafei<ta
ai*** (die hs. gibt einen vers A3 mit dem hauptstab auf der 2. hebung:
festa d galga). Eine lückenhaft überlieferte halbzeile ist von Finnur
Jönsson glücklich ergänzt: pd hraiit vip [rwser^ \ enn regenkiinnge 26 ^
19. Ein vers B* (}.x±\x±) lässt sich durch Umstellung und durch
tilgung eines überflüssigen wertes herstellen: let l hende ser \ {hvarfa
ker gollct) 20 ^'-^ . Die hs. bietet eine halbzeile, die nur als schwellvers
(AA) mit alliteration auf der 3. hebung erklärt werden könnte (let
hann Sf'r '/ hende), was zwar nicht unmöglich (vgl. 19^*), aber doch
unwahrscheinlich ist.
20. Der typus C* (^xx^Ux) ist durch 10 halbzeilen (13,4 Vo)
vertreten, darunter 7 normale: pd's en kvistskßpa A*^, ropnar valundom
1'^^, leidda ticer rage 10-'', sknltu auk Gupri'm \0^^, IHo mgg iingan
15**, sd d skJQld hvHan 20^'', opt 6r belg orpgom 27 ^^ Ver Schlei-
fungen kommen nur in den der 1. hebung voraufgehenden eingangs-
silben vor: ßuto / vers dregra 7 2'', stgtidom d val Gotna 30^''. Ein
vers mit dreisilbiger eingangssenkung: ot hefna Svatihildar 2®'' ist
sehr bedenklich; Bugge konjizierte: si/stor at hefna.
21. Typus D* (^xUo,x D*l; ±x\±x^ D*2) zählt 20 halbzeilen
(26,6 ^/o). Normales D*l begegnet Umal: komr of dag vartnan 4*'',
legfa d<}p Hggna 6-''; Gnnnarr (per) scd cilde 7*'', sverpie sdrbeiio 8*",
tiipjja tidhorna 10--', fimdo vdstigo 17 ^'', skök hann skgr jarpa 20^'"»,
hvarfa ker goUet 20*'', sfukko glskdler 24^'', bropra sammöpjra 25'^'',
verr enn vipfräge 28^"; der untertypus D*lnk nur einmal: fdtt es {es
fdtt R) fornara 2*". Verkürzung der 1. hebung (Sievers, Beitr.
6, 348; Proben s. 47; Altgerm, metrik § 49 anm. 2) ist einmal be-
zeugt: ofa)i eggmöpom 30-''; die halbzeile könnte natürlich auch als ein-
faches D (mit verschleifung des 1. fusses, s. oben § 10) erklärt werden,
172 GERING
da sie aber mit einem aA zu einem langverse verkoppelt ist, dürfte
die andere auffassung wahrscheinlicher sein. Ver Schleifung der
1. hebung kommt einmal vor: gume enn giinnhelge 28^', die der 2.
ebenfalls einmal: fjarre mimom deijja 10*'' und einmal auch ver-
schleifung der Senkung: hröper enn h^pfrokne 28--' (die hypertrophie
des überlieferten verses - hröper okkarr enn iK^pfrökne - musste durch
tilgung des pron. poss. beseitigt werden). Eine nebenheb ung im
1. fusse von D*l hat v. 21^": göp bgm Guprünar. - D*2 findet sich
nur 3mal : ykro higroge 9^'', hlö pä jQrmonrekv 20^'', <Pster J^rmon-
rekr 25 2'\
22. Von den 29 E*-versen ' (38,6 "/o) sind die folgenden 9 nor-
males E*l (jL jLxUx): Sranhildr of helfen 3'^, einsiop enik orpen 4:^^,.
bropr gni'ir pn plnn 10'^^, fram Iggo brauter 17^% Hanpe ok Sgrla 21-%
styrr varp t ranne 2A:'^'-\ okkarrar kvpmo 25 2'', b(jl vant pd bnper 27 '^'^^.
dazu auch wohl der von Bugge geänderte vers 30'^": göps fengom
t'irar (die hsl. Überlieferung: göps hgfom tirar /enget - ein schwellvers
AA - wäre übrigens nicht unmöglich). - N e b e n h e b u n g im 2. fusse
ist 3mal zu buchen: lUt munder (pü pä) Gvpn'm e-", orps pgkker enn
vant 9^", hug he fr pü Hamper 27** (§ 26); verschleifung der
1. hebung 3mal: simo sina unga 2^% bure mundak {pä) bindn 21 ^'V
tio hundrop Goina 2S'^^; verschleifung der binnensenkung einmal:
af vdre nn haufop (das nü ist jedoch entbehrlich) 28 ^'^
Normales E*2 (j.xj-Ux) ist 9mal belegt: fremr vas pat hglfo 2*'V
syster vas ykkor 3 ^'^, svefne ör vgkpo 6 ^'', g/yja (pü) nf gaper 7 *^y
hitt kvap pä Sgrle 9^", heiddesk at brgngo (verderbt und unverständlich;
ich vermutete: beinde sh'ig vangd) 20^*, Jgrmonrekr orpet 2b°^, Qttomk
(besserung statt hvgttomk R) at dlser 28^'',, gorpomk at v'ige 28*''.
Verschleifung der binnensenkung kommt 2mal vor: hgpvapesk
at vtne 20-'', kveld Ufer mapr etke 30*. - Unmöglich sind die beiden
zu einer langzeile vereinigten verse 25*: fötr ser {pü) p'ina \ hgndom
ser {pü) phiom, da die an der spitze stehenden substantiva nicht vom
Stabreim ausgeschlossen werden konnten und der Wechsel der kon-
struktion nicht minder unglaublich ist; ich änderte daher: hgggnom ser
hgndom \ hgggnonl ser fötoni.
Anm. Das metrura überfüllende und entbehrliche Wörter brauchten nur selten
getilgt zu werden (6^'' ?■*" 21 ^^-^ 2b *'^-^).
23. Unter den 20 seh well ver sen sind die AA (zx 1 jlx| zx) die
häufigsten (7 belege): Atla pöttesk (pü) stripa 8'*, svlnna hafpe {hann)
1) Über die bezeichnung dieses typus s. s. 151 § 26.
ZUR EDDAMETRIK 173-
hyggjo 9^*^, svd kvazk veiia mundo 13 ^'\ segja furo <vrer (das nomen
ist von Sijmons ergänzt, Bugge hatte ^ar/ar vorgeschlagen) 19^% hende
drap d knnpa 20^'', komet 6r brjöste Gotna (verschleifimg der 1. hebung)
24*^*, innen horgar pinnar 25^''; dazu vielleicht auch noch 30 ^'^r göps
hQfom tirar f enget (verschleifung der 1. Senkung; s. § 22).
DA (zUxij.x) ist 2mal vertreten: okr grata hüpci^ 10^'', hlöp
bragnar öpo^ 24**; AB {j-x\j-\x±) einmal: mikels es d mann hvem
vant (verschleifung der 1. hebung und der 1. Senkung) 21^^] AC
(_LxU|^x) 3raal: pat ras {per) enn verra 8^^, verja Hl aldrlaga (ver-
schleifung der 1. Senkung) 8^**, ureg fJQÜ yfer (vgl. jedoch unten § 26)
11^^; BC (xj.ixjL|^x) 5mal: ok af Eitels aldrlage (verschleifung der
eingangssenkung) 8^* (vgl. jedoch meine note z. st.), es (pn) at grate
ne fd'rat 9'*'', alz geirar ne bita 26^^, ef [pu) hefper hyggjande (s. u^
§ 27) 27*^, pöt ni'( epu i gdn- c?^?/^m (verschleifung der binnensenkung
und elision des a von epa vor dem folgenden vokaP) 30^''; EC
(j. j. X u I ^ x) einmal : svd skylde hverr gprom 8 ^''.
Anm. 1. Der vers 13 1»: svarape enn sundmiopre Hesse sich ebenfalls al&
ein AC erklären, aber die ganze Strophe ist so lückenhaft überliefert, dass ihr nur
durch eingreifende konjekturen aufgeholfen werden kann. Schon Bugge änderte
gewiss richtig : svarape Erp)' \ enn snndnnöpre.
Anm. 2. Streichung entbehrlicher und den vers überfüllender Wörter brauchte
nur 5mal vorgenommen werden (8ia 82b 91b 94b 274b).
2. Alliteration und reim.
24. Doppelalliteration im -1. halbverse ist für die mala-
hattrzeilen in aA nur einmal bezeugt: fyr mc}tkom mQn7iom 19 ■*'*^
in B* und C* gar nicht, während sie in D* und E* häufig auftritt.
In D* haben sie von 12 versen 10 (83,3 Vo): fdtt es fornara 2*%
sverpe sdrbeiio 8^^, nipja ndborna 10 2% skök kann skgr Jarpa 20^*^
göp bgrn Gvprünar 21**, d'sier jQvmonrekr 25^*, bröper enn bQpfrökne
1) Die langzeile lautet in R: okr skaltu ok Guprün \ grata bäpa; die Um-
stellung skaltu aid: Gupriin \ okr gr. b. haben Finnur Jönsson und Sijmons vor-
genommen. Ich schrieb: gr. okr bdpa (E*2). was 2 mälahättrverse ergäbe (C*-fE*2'
mit gekreuzter alliteration).
2) In E lautet die langzeile : l blöpe bragnar l(Jgo \ kämet ör brjöste Gotna,.
was schon deshalb nicht richtig sein kann, weil nach dieser lesung die bragnar
und die Gotar identisch wären. Die besserung (von mir vorgenommen) gab das
part. komet an die band, das nicht als Interpolation getilgt werden darf. Möglich
wäre auch: / bloße bragnar stöpo \ komna 6r brjöste Gotna (BA-|- AA).
3) Oder Streichung des /? Vgl. {"jüljolfr Amörsson, 3Iagnusfl. 18° (Sk. B I,
336): gier flugo mold ok m /'/rar .. .flaugar dgrr ; ders., lausav. 1* (Sk. B 1, 317):.
(fwr sdk . . . steine . . . haf-plega kastat.
174 GERING, ZUR EDDAMKTRIK
28 2", verr enn vipfnfge (oerr ist besserung von Bugge statt des hsl.
varr^) 28^", gume enn gunnhelge 28^-', ofan eggmöpom 30 2''; in E* von
20 versen 8 (40°/o): einstöp eml: orpen 4^% glyja {J>u) ne güper 7*",
orps piß-ker enn vant 9^*, belddesh ot bvQugo (verderbt) 20 2", biire
mimdak (pu) binda 21^^, jQrmonrekr orpet 25^% bgl vant pü broper
272% hug hefr pü Hamjjer 27** (vgl. jedoch § 26).
25. Auf die 2. hebung der 1. halbzeile ist der Stabreim in
aA zweimal beschränkt: es hvatie Guprün | Gjuka boren 2^, hvers b/pr
])ii {nii) Gvprün \ es (pu) at grate ne fwrat 9 *.
£6. In den schwellversen kommt doppelalliteration in
der 1. halbzeile 2mal vor: ok at Eitels aldrlage (vgl. jedoch oben
§ 23) 8 2", mikils es a mann hvern vant 27 ^■'^ (über 13 i" s. § 23 anm. 1).
2mal ist gegen die regel doppelalliteration auch in der 2. halb-
zeile bezeugt, sie beruht jedoch in beiden fällen sicher auf fehler-
liafter Überlieferung: lipo pd unger \ i'treg fJQU yfer (lies: of nreg fj^ll,
B, v^as auch deswegen sich empfiehtl, weil die übrigen 5 halbzeilen
der Strophe ebenfalls fornyr{)islag sind) ll^*"; hug hefr Jm Hamper \
ef (pi'i) hefjjer hyggjande (lies : hug ättu Hamjier \ ef d'tfer hyggjande)
21 *. Es fragt sich, ob nicht noch eine weitere änderung {broper statt
Hamper) vorzunehmen wäre, um die 5 reimstäbe auf 4 zu reduzieren.
27. Gekreuzte alliteration findet sich in den mälahattr-
iind schwellversen 10^: skaltu auk Onprihi \ okr grata bdpa, vielleicht
auch 27* (§ 26).
28. Verstösse gegen die alliterationstechnik sind selten.
4* J)ds en kvistsköjya \ k0mr of dag varman ist der hauptstab unge-
schickterweise auf das bedeutungsschwache verbum gelegt und 30'
göps fengom i/rar \ pöt nü epa (f) gar deyem hätte das erste adverbium
{nu) eher anspruch auf den Stabreim als das zweite (gar).
Die Eddaausgabe von E. Sievers ('Die Eddalieder klauglich
untersucht und herausgegeben von E. S.', Leipzig 1923) kam erst in
meine bände, als die vorliegende arbeit beendet war, und zu nach-
träglichen änderungen fühlte ich keine veranlassung, da ich gegen die
richtigkeit der von S. aufgestellten neuen theorien sehr erhebliche
zweifei hege, die in meiner anzeige des buches (Zeitschr. 50, 93) be-
gründet wurden. Nicht zugänglich war mir die schrift von R. C. Beer,
1) Boer schreibt halt- statt rerr, wodurch die änderung von hvpftomk- in
OUoml- überflüssig würde. Man beachte jedoch, dass auch in z. 2 und 4 die attri-
butiven adjektiva mit dem zugehörigen Substantiv alliterieren.
H. DE BOOR. DIE NORDISCHE UND DEUTSCHE HILDEBRANDSAGE 175
Studien over de metriek van het alliteratievers (Amsterdam 1916), was
ich für keinen besonderen schaden halte, da die metrischen benier-
kungen in seiner Edda (Haarlem 1922, 2 bde.) gewöhnlich verfehlt sind.
KIEL. HUGO GERING.
\
DIE NORDISCHE UND DEUTSCHE HILDEBRANDSAGE.
(Schluss.)
IL
III. Äsnmndarsaga und Hervararsaga.
Es ist nun an der zeit, die eingangs gestellte frage zu wieder-
liolen: ist in der erzählung der Asmundarsaga, so wie wir sie aus
der verwucherung mit rein deutschen Hildebrandmotiven herausgelöst
haben, noch anlass vorhanden, an der Identität der nordischen und
deutschen Hildebranddichtung festzuhalten ^ ?
Ein wichtiges moment bleibt der name Hildebrand selbst. Ich habe,
oben s. 151, zu erweisen versucht, dass nicht Saxos Hildigerus, sondern
Hildebrf^nd der saga und des liedes die älteste, uns erreichbare nordische
namensform ist. Das ist immerhin beachtenswert, denn obwohl der
name gelegentlich im norden auch sonst belegt ist"'*, so ist er als typ
unnordisch, wie übrigens auch Saxos Hildigeirr, und er dürfte überall,
wo er auftritt, aus der Verwendung in der dichtung herzuleiten sein.
Beide namenskomponenten sind dem norden jedoch geläufig und in
der form korrekt (vgl. einerseits Asbrand, Gudhrand, andererseits
Hildiglümr, HildihJQrg und ähnl.)
An diesen Hildebrand ist das motiv des Verwandtenkampfes ge-
knüpft, wie an den deutschen Hildebrand des Dietrichkreises, und
zwar in derselben weise wie in der ältesten deutschen version. Hilde-
brand selbst weiss, dass sein gegner ein naher angehöriger ist, wird
aber endlich durch das gebot der ehre gezwungen, den kämpf mit
dem nah verwandten gegner aufzunehmen. Der konflikt ist also ebenso
wie im deutschen Hildebrandslied angelegt auf die zur tragik getriebene
kontrastierung von sippengebot und einem der gefolgschaftsethik ent-
wachsenen ehrgebot, das das sippengebot bricht.
1) Housler, EinleituDg zur Übersetzung von Hildebrands sterbelied in Genz-
mers Edda (beldenl. s. 211) leugnet die Identität der beiden Stoffe; der nordische
Hildebrand hat 'mit dem deutschen fast nur den namen gemein'.
2) Die belege stellt H. Naumann, Altnordische namensstudien, s.4:7 zusammen.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. L. 13
176 H. DK BOOK
Ein dritter Vergleichspunkt ist die beziehung zum Hunnenkönig.
Der eine der beiden kämpfenden verwandten tritt in dem streit als
'Vorkämpfer der Hunnen' auf, wie auch Hadubrand seinen vater als
solchen auffasst und anredet. In beiden fällen ist der Hunnenkämpfer
der siegreiche.
Diese drei punkte bleiben, soviel ich sehe, immerhin recht be-
deutsam. Freilich darf man die auffälligen abweichungen daneben
nicht vergessen. Dem tragisch tieferen, deutschen vater-sohn-konflikt
steht der nordische bruderkonflikt gegenüber. Der Wechsel liesse sich
immerhin begreifen. Es sind in beiden fällen epische formein, die
jeweils mit persönlichem gehalt gefüllt wurden. Die Varianten des
kampfes zwischen vater und söhn in der indogermanischen helden-
dichtung hat Busse (PBB. 26, 1 ff.) zusammengestellt und verglichen.
Die Häufigkeit des tragischen bruderkampfes betont H. Schuck in
seinem schon oben 49, 167 zitierten rektorprogramm über die Hervarar-
saga, Upsala 1918.
Schwerer w4egt die umkehr von glück und Unglück im kämpf
der verwandten. Hildebrand ist in der nordischen Version der sterbende,
er, der das unselige des Streites einsieht ; auf dem überlebenden lastet
der Vorwurf törichter vorschnelle. Die kraftvolle tragik der deutschen
Version, in der Hildebrand, der wissende, seinen söhn dem gebot der
ehre folgend, tötet, ist in der nordischen ermattet. Erleichtert wird
diese umkehr durch die Indifferenz des bruderverhältnisses gegenüber
den differenzierten gestalten vater und söhn. An stelle der Stimmung
einer unerbittlichen tragik tritt ein weicher, elegischer fatalismus, der
sich in Hildebrands sterbelied ausdruck sucht. Aber damit ist nichts
für die haltung der älteren nordischen Hildebrandsdichtung bewiesen.
Solche wehmütigen rückblickslieder sind junge versuche, alte herbere
Stoffe in weichere beleuchtung zu rücken. Sie sind nicht denkbar
ohne eine ältere epische tradition, die stützend dahintersteht. Ob
die erzählte oder geschriebene saga unbedingt erfordert wird, um
gebilde wie Hjalmars oder Hildebrands Sterbelieder lebensfähig zu
machen, wie Heusler, Eddica minora behauptet, möchte mir doch
zweifelhaft scheinen. Auch die rückblickslieder des eddischen corpus
waren nur dem begreiflich, der in dem stoff der Siegfried- und Gudrun-
dichtung zu hause war, das zeigt schon die prosaisch angedeutete
Situation, die der sammler skizzieren zu müssen meint. Auch gedichte,
wie Hildebrands sterbelied, verlangen nur eine episch geprägte und
bekannte tradition, keine reale prosaerzählung, von der sich für den
kundigen das rückblickslied abhebt. Diese epische tradition ist uns
DIE NORDISCHE UND DEUTSCHE HILDEBRANDSAGE 177
für den Sigurdstoff direkt, für den Hildebrandstoff nur in der späten
prosaumprägung der saga erhalten. Ihr Verfasser erachtete es aus
seinem jüngeren geschmack heraus für nötig, gerade nur das sterbe-
lied mit seiner lyrischen Stimmungsweichheit vollständig mitzuteilen.
Wie die ältere epische tradition aussah, weissen wir nicht. Hildebrands
tod wird durch das aus ihr erwachsene sterbelied jedenfalls auch für
sie festgelegt und bleibt eine bedeutende, wenn auch nicht entscheidende
abweichung von der deutschen Hildebrandversion.
Es scheint mir also wohl möglich, doch zunächst noch verfrüht,
sichere parallelen zur deutschen dichtung zu ziehen. Ihre nächste
Stoffverwandtschaft hat die Asmundarsaga vielmehr auf nordischem
boden, in teilen der Hervararsaga. Diesen nachweis hat Schuck in
seinem genannten programm erbracht. Die analyse des gesamten
bunten konglomerates erneut zu versuchen, das diese saga darstellt,
ist hier nicht meine aufgäbe. Auch habe ich nicht das Verhältnis der
beiden stark abweichenden rezensionen zueinander näher zu bestimmen,
um so weniger, als der hier allein in betracht kommende schluss der
saga in cod. reg. 2845 4to ziemlich im anfang der uns interessierenden
partie, der Hunnenschlacht, abbricht, die Hauksbok uns schon vorher
im stich lässt und wir im übrigen auf junge papierhss. angewiesen sind.
Die hier zu besprechende Schlusspartie der Hervararsaga grenzt
sich so klar gegen die vorangehenden abschnitte ab, dass ihre alte
Selbständigkeit längst erkannt ist. Aus der masse typischer Wikinger-
dichtung hebt sich der schluss durch milieu und Stimmung ganz heraus.
Von der Wikingergeographie der Ostseeländer (Samsey, Reidgotaland,
Saxland, Upsala, Garöariki) wendet er sich entschlossen mit könig
Heidreks tode südwärts, indem er ihn 'undir HarvodafJQllum verlegt,
d. h. in ein gebiet, das der namensform nach genau den Karpathen
entspricht. Die neue lokalisierung setzt sich konsequent in dem weiteren
erzählungsverlauf fort, dessen poetisches rückgrat das lied von der
Hunnenschlacht ist. Aus der meeresstimmung der Sämseyszenerie,
aus dem weiten umherschweifen der übrigen Wikingerperspektive treten
wir in eine typische binnenlandschaft; ein einsamer see, von einem
fluss durchströmt, weite flächen mit grossen strömen, und umgrenzt
von dunklen Waldgebirgen. Die geographischen deutungsversuche der
Ortsangaben, die namentlich Heinzeis Scharfsinn geliefert hat, (sitzber.
d. Wiener Ak. W. 1887 phil. bist. kl. bd. 114,417 ff.) und die dann
Boer (PBB. 22. 342 ff.) und zuletzt G. Schütte (arkiv 21. 30 ff.) fort-
geführt haben, sind zwar nur in wenigen punkten zu wirklicher klar-
heit gelangt, während die meisten Ortsnamen, so sehr sie nach wirk-
13*
178 H. DK BOOlt
lichkeit, nicht nach Aktion aussehen, eine zweifellose deutung nicht
zulassen. Aber die beiden wirklich klaren lokalitäten, Danpar(stadir)
und Dun(Jieictr), Dniepr und Don oder Donau, verweisen die ereignisse
ebenso sicher nach Südosteuropa wie die HarvadnfJQlL Daher ist
Heinzeis gesamtdeutung des Hunnenschlachtliedes auf die katalaunischen
gefilde verfehlt und Schucks polemik dagegen berechtigt. Die nationalen,
hunnisch-gotischen gegensätze und die grosse entscheidungsschlacht
des gedichtes haben sich in Osteuropa, nicht in Frankreich abgespielt.
Auf diese frage wird noch zurückzukommen sein, hier sei nur erwähnt,
dass schon Heussler in den Eddica minora mit der möglichkeit öst-
licher lokalisierung rechnet, ohne ihr doch weiter nachzugehen oder
die katalaunische hypothese aufzugeben, an der er vielmehr auch im
artikel 'Hunnenschlacht' des Hoopsschen reallexikons entschieden festhält.
Neckeis kleine altnordische literatur (Natur und geistesweit 782) scheint
ebenfalls mit der östlichen herkunft zu rechnen. Jedesfalls ist die
Scheidelinie zwischen dem Hunnenschlachtteil und der übrigen saga
unleugbar und in geographie, stil und pathos von Heusler in den
Eddica minora genügend scharf herausgearbeitet.
In diesem schlussteil der Hervararsaga liegen die Vergleichspunkte
zur nordischen Hildebranddichtung. Die möglichkeit, dem nationalen
konflikt persönliches gepräge zu geben, findet die Hunnenschlacht-
dichtung in dem tragisch endenden zwist zweier brüder. Das ist auch
das Zentralmotiv der Asmundarsaga. Beweisender für unmittelbaren
Zusammenhang ist die tatsache, dass die streitenden brüder nur halb-
brüder sind. Ich kann nicht mit Schuck einen wesentlichen unter-
schied darin finden, dass in der einen version die mutter, in der
anderen der vater gemeinsam ist, und ich sehe mich nicht veranlasst,
hier Schucks konstruktionen zu folgen, der die gemeinsame mutter
für das ältere motiv hält. Ich sehe nämlich nicht, dass die mutter in
der Asmundarsaga ein 'konstitutives dement' ist. Sie wäre es, wenn
sich aus dem Asraund-Hildebrandkomplex irgendwie als leitmotiv
herauslesen liese: 'die mutter, die, ohne es zu ahnen, den tod des
sohnes verschuldet'. Das kann aber Schuck nur mit gezwungenster
Interpretation hineinlegen. Den einzigen halt nach dieser richtung
überhaupt gibt die Saxovariante, gegen die wir ein berechtigtes miss-
trauen haben. Hier erhält wirklich Haldanus das verhängnisvolle
Schwert von der mutter. Aber von poetischer ausnutzung des motivs
ist auch bei Saxo keine rede; auch bei ihm wird nicht der eine söhn
von der mutter in den verhängnisvollen kämpf 'geschickt'. Die schluss-
szene zeigt auch hier nicht die mutter verzweifelt vor dem ausgang
DIK NORDI.SCHE UND DEUTSCHE HILDEBRANDSAGE 179
des kampfes. Sie ist vielmehr im schluss ganz verscliwunden und
vergessen, nachdem sie ihre einzige aufgäbe, mutter der beiden söhne,
einmal in gezwungener ehe, zu werden, erfüllt hat. Die tragische
Schlusspointe liegt vielmehr auch in Saxos darstellung bei Hildebrand,
der im bewusstsein, Sippenheiligkeit zu verletzen, dem gebot der ehre
folgt und in den kämpf eintritt, in dem blut von nah verwandter band
vergossen werden muss. Vollends ist es unmöglich, das tragische
motiv der mutter in die Hervararsaga hineinzuinterpretieren und Herv9r,
die Schlachtjungfrau, zur mutter HI99S und Angantyrs zu machen.
Die Sämseyepisode, in der Herv9r das schwert aus dem grabhügel des
vaters hervormahnt, ist eine in sich geschlossene dichtung, die mit der
Hunnenschlacht erst in sehr später zeit äußerlich verbunden ist und
für diese keine konstitutive bedeutung haben kann. Im Hunnen-
schlachtlied ist nur der gemeinsame vater überliefert und ist dort auch
allein sinngemäss. Denn wenn irgend etwas in diesem gedieht alt
ist, so ist es die eindrucksvolle erbforderung Hlo5s, und die aus-
einandersetzung der brüder über das vatererbe ist erfüllt von der
wuchtigen und knappen Spannung altgermanischer dichtung. Die erb-
ansprüche als treibendes motiv bedingen aber den gemeinsamen vater
als den erblasser von reich und gut.
Wohl aber wird uns im Hunnenschlachtlied der sinn der halb-
bruderschaft klar. Er liegt in der unebenbürtigkeit, der bemakelung
eines der brüder. Nur Angantyr entspringt anerkannter Verbindung
und fühlt sich als berechtigten erben. Hlgör, der söhn der verstossenen
Hunnin, muss sich von dem alten pflegevater Angatyrs, Gizurr, den
höhnenden und die tragische wendung unvermeidlich herbeiführenden
Vorwurf anhören, dass er ein pßjar harn sei, emphatisch zweimal
hintereinander dem erbanwärter entgegengeschleudert. Da haben wir
dasselbe cognomen plenuni ignomi7iiae, auf das Saxo anspielt, und das
in dem nah verwandten kellingarson des färöischen liedes wiederkehrt.
Auch die Asmundarsaga oder wenigstens ihje verse haben eine
schwache erinnerung an die nationalen gegensätze bewahrt, die hinter
den persönlichen der brüder stehen. Während die Goten in dem
skandinavisch-wikingischen milieu der saga aufgegeben und willkürlich
durch Schweden ersetzt sind, bleibt die beziehung des anderen bruders
zu den Hunnen gewahrt, die sich in den Ruthen! des Saxo verbergen,
und die mit Boers richtiger Interpretation in der ersten Strophe seines
preisgedichtes vor seiner braut direkt als seine freunde bezeugt sind.
Die bezeichnung /.Y^/;j(j/ Hiaimaga, Vorkämpfer der Hunnen, bezieht
sich auf Asm und. Die massen Wirkung freilich, mit deren wuchtiger
180 H. DK BO(JK
und plastischer Schilderung das Hunnenschlachtlied in der altger-
manischen kunst überhaupt alleiusteht, ist hier verschwunden; der
üblichere einzelkampf ist an die stelle getreten.
Der kämpf der brüder endet in beiden darstellungen tragisch.
Der persönliche zwist der brüder, der im Hunnenschlachtlied vor den
nationalen gegensätzen zurückgetreten war, drängt im schluss wieder
in den Vordergrund. Die sagaprosa, der die gcstaltungskraft völlig
mangelt, gibt eine blasse und schablonenmässige darstellung des ent-
scheidungskampfes der beiden brüder. Aber die schlusszene des ge-
dichtes, der brüder an der leiche des bruders, lässt eine stärkere
poetische behandlung des kampfes selbst erwarten. Mit dem ererbten
väterlichen schwert, das im eingang des liedes als symbol der Unteil-
barkeit der väterlichen herrschaft verwendet worden war, war Angantyr
dem brüder entgegengetreten und hatte ihn gefällt. An seiner leiche
spricht er die nachdenklichen worte:
bglvat er okkr brödir:
bnni em ek pinn ordinn !
pat mim oß uppi;
ülr er dömr norna ^
In der Hildebranddichtung wird der kämpf der brüder von vorne-
herein ganz in den mittelpunkt gestellt und in Hildebrands sterbelied
noch einmal reflektierend beleuchtet. Auch hier ist es das erbschwert
in der band des einen bruders, das dem andern den tod bringt. Und
die fatalistische Schlussbetrachtung in Saxos versen (Holder s. 245) steht
dem schluss des Hunnenschlachtliedes überraschend nahe:
sed quaecunque ligai Parcarum praescius ordo,
quaecunque arcanum superae rationis adumbrat . . .
niilla caducarum rerum conversio tollet.
Wir sahen (s. 176), dass diese nornenformel, die so auffällig an den
schluss des Hunnenschlachtliedes anklingt, nicht nur Saxos eigentum
1) Neckel, Beiträge zur Eddaforschung s. 256 ff. sieht diese strophe mit ihren
scharf geschnittenen kurzzeilen als jüngere stilistische nachahmung von Gizurs fluch
Str. 24 an, indem er hier die stilform in der atemlosigkeit der Stimmung begründet
findet. Eine solche beurteilung schliesst naturgemäss immer ein subjektives dement
in sich und kommt über eine gewisse annehnibarkeit nicht hinaus. Auch die tief
gepresste Stimmung des bruders, der bruderblut vergiessen musste, kann sich wohl
in solchen gehackten, den glatten redefluss durchbrechenden formen ausdruck suchen.
DIE NORDISCHE UND DEUTSCHK HILDEBRANDSAGE 181
ist, sondern durch das färöische lied für die älteste, uns erreichbare
fassung des sterbeliedes bestätigt wird^
Dieser . schluss mit seiner fatalistischen ergebung legt es nahe zu
fragen, ob nicht auch das motiv des fluches, der in beiden dichtungen
auf dem schwert lastet, und mit ihm die eingaiigserzählung von der
herkunft der Schwerter niit ihrer starken ähnlichkeit auf alter Ver-
wandtschaft beruhen. Die Übereinstimmung ist in der tat sehr gross.
In beiden erzählungen zwingt der ahnherr des geschlechts zwei zwerge,
ihm ein schwert von besonderen qualitäten zu schmieden; das fertige
schwert wird von den zwergen mit einem fluch belegt, der sich an
den nachkommen erfüllen soll. Auf die einzelausgestaltung, die in
der Hervararsaga ein geläufiges motiv aus dem Volksglauben, in der
Äsmundarsaga das ebenfalls weiterverbreitete novellistische motiv des
Wettschmiedens aufgreift, kommt es dabei nicht an, noch weniger auf
die entstellung, die es in der saga erfahren hat. Der fluch, den die
Äsmundarsaga auf das schwert legt, steht in klarer beziehuug zu ihrem
inhalt; es soll den beiden tochtersöhnen Budlis zum unheil werden,
bezieht sich also auf Asmund und Hildebrand; er ist nur insofern
falsch, als er beiden brüdern gleichmässig gilt, eine folge der ent-
stellung, die beide Schwerter zu zwergenwerk macht. Liegen somit
die dinge bei der Äsmundarsaga klar, so sind sie bei der Hervarar-
saga verworrener, einmal, weil die beiden alten Versionen beträchtlich
voneinander abweichen, und dann, weil es sich fragt, zu welcher der
verschiedenen episoden, die sich an das schwert Tyrfing knüpfen, die
einleitende geschiehte gehört. Nur die Hauksbuk berichtet ausführ-
licher über die zwerge, nur sie kennt auch den fluch, den die zwerge
auf das schwert legen. Dieser bestimmt erstens, dass damit drei
'niöingsverk' ausgeführt werden sollen ; zweitens, dass es dem ersten
liesitzer, könig Svafrlami, den tod bringen solle. Die drei niöingsverk
hat Schuck (a. a. o. s. 37) mit recht als ein fremdes, formelhaftes dement
aus der saga ausgeschieden, denn nur gezwungenste Interpretation
kann die drei Untaten darin entdecken, und die greifbarste solche,
die ermordung Angantyrs IL durch seinen bruder Heidrek, findet sich
nur in der version der Hauksbök an das schwert Tyrfing geknüpft;
in der Regiusversion sieht die darstellung zweifellos individueller so
aus, dass Heidrek den bruder zufällig mit einem stein tötet, den er ins
dunkle hinein gegen eine schar von männern schleudert, deren reden ihm
1) Auch die erste Strophe von Hildebrands sterbelied in der saga zeigt die-
selbe fatalistische schicksalsbetrachtung, nur dass die nornen als ihr symbol hier
fehlen.
182 H. DE BOOR
bedrohlich erscheinen. Ebenso ist die erzdhlung von könig Svafrlamis
tode, die aus dem fluch der zvverge folgt, nur der Hauksbök eigen.
Der Kegius kennt weder fluch noch gewaltsamen tod des ersten
Schwertbesitzers. Dagegen ist beiden Versionen eine dritte, von den
zwerge'n an das schwert geknüpfte bestimmung gemeinsam: jedesmal,
wenn das schwert gezogen wird, soll es einen menschen töten. Ge-
meinsam ist ferner die in Hauksbök von Svafrlami geforderte eigen-
schaft, immer sieg zu geben. Mit diesen zwei durch die beiden Ver-
sionen bezeugten eigenschaften wäre das schwert fähig, im rahmen
der erzählung vom bruderzwist zu wirken.
Es bleibt indessen zunächst weiter zu fragen, welche Tyrfing-
episode die schwerterwerbung von hause aus eingeleitet habe. Eine
konstitutive rolle spielt das schwert im verlauf der Hervararsaga an
zwei stellen, in der Sämseydichtung und in der Hunnenschlacht. Zu
beiden kann das zwergenmotiv gehört haben. Dass es in den Sämsey-
strophen erwähnt wird (str. 7, 10, 18 der Edd. min.), besagt bei dem
relativ jungen lied nichts für die ursprüngliche Stoffzugehörigkeit, da
in Strophe 7 auf Svafrlami, in Strophe 10 auf den zwergennamen
Dvalinn angespielt wird, auf namen also, die nicht älter als die saga-
prosa sein werden. Dagegen ist es wichtig, dass die Sämseyepisode
gegen den tatsächlichen verlauf der saga aus sich heraus einen fluch
auf das schwert legt, der von dem zwergenfluch abweicht. Das ge-
spenst Angantyrs, das an Herv9r das schwert widerwillig ausliefern muss,.
verkündet ihr zugleich den darauf lastenden fluch :
s/n tuhii Tijrßngr,
ff pH trüa mccttir,
(ßtt pinni, mcer,
allri spilla.
Dieser fluch stimmt nicht zu dem weiteren verlauf der saga, nach der
Horvyrs enkel Angantyr die Hunnenschlacht siegreich überlebt und der
ahnherr des Skjoldungengesohlechtes wird. Der zweimal (str. 16 und 25)
wiederholte fluch erhält an beiden stellen eine nähere ausführung. In
Strophe 17 verkündet der haughui seiner tochter, dass sie einen söhn
haben werde, der Heidrek heissen und der reichste mann unter der
sonne werden solle. In Strophe 26 entgegnet Hervgr selbst dem fluch
des vaters: 'wenig bekümmert es mich, wie sich meine söhne später
entzweien'. Heusler in seiner einleitung zum Hervgrlied hebt mit
recht hervor, dass die Sämseydichtung episodischen charakter trage
und auf eine zukunft hinweise, die notwendig folgen muss, die aber
DIE NORDISCHE T'ND DEUTSCHE HILDEBRANDSAGE 188
anders verlaufen ist, als die sagaerzählung. Die andeutungen der
fluchstropben über den weiteren verlauf führen leider nur wenig weiter.
Strophe 26 mit Herv9rs hinweis auf den zwist ihrer söhne ist nicht
aus dem dialog heraus entwickelt, sondern aus der saga abstrahiert.
Nichts in Angant}'rs warnenden Worten hatte den späteren zwist der
Hervorsöhne berührt und die trotzige antwort der tochter heraus-
gefordert. Die andere stelle, wenn sie wirklich älter ist, nennt nur
den einen söhn Heidrek. Sie widerspricht damit dem sagaverlauf,
hat also einen gewissen anspruch auf beachtung. Wie und warum
aber dieser Heidrek oder seine nachkommen von dem fluch betroffen
werden, ist aus dieser Strophe nicht zu erfahren.
Da die Samseydichtung also ihren fluch auf dem schwert aus
sich selber trägt und dieser seine eigene richtung nimmt - ausrottung
des ganzen geschlechtes -, lässt sich sehr wohl mit der möglichkeit
rechnen, dass die zwergenepisode zwar gewiss nicht von anfang an,
aber doch, um das fatalistische dement der ganzen dichtung zu unter-
streichen, schon sehr früh zu der dichtung von Angantyr und Hlgd
gehört hat. Dann wäre die herkunft des Schwertes und seine Ver-
fluchung ein weiteres gemeinsames glied der Angantyr- und der Hilde-
branddichtung. Ein klarer beweis für einen wirklichen Zusammenhang
wird sich indessen bei einem letzten endes formelhaften Schema
schwerlich führen lassen. Ich verzichte daher auf diese gemeinsam-
keit der einleitung und sehe den parallelen aufbau der beiden dich-
tungen auch ohne sie als erwiesen an.
Gegenüber diesen Übereinstimmungen darf man indessen nicht
vergessen, dass die beiden dichtungen einige konstitutive züge auf-
weisen, in denen sie auseinandergehen. Die art, wie völkerkampf
uud bruderzwist gegeneinander abgestimmt sind, mag immerhin nur
ein stilunterschied sein. Die grosszügige, alte dichtung von der Hunnen-
schlacht hat poetische Voraussetzungen zur Schilderung eines zusammen-
stosses der massen, die dem schematischen sagamann absolut fehlen.
Die Fornaldarsaga arbeitet statt dessen mit ihrem lieblingsmotiv des
persönlichen Zweikampfes, das ja der Hunnenschlachtdichtung nicht
gefehlt hat. Als Vertreter der kämpfenden Völker stellt der sagaver-
fasser die brüder gegeneinander.
Sehr viel wesentlicher ist der unterschied, dass nur der eine
bruder weiss, was in diesem kämpf eigentlich geschieht, und dass er
darun. auszuweichen sucht, solange es geht. Das gibt der pointe des
Stoffes eine ganz andere wendung, sie vertieft die tragik des einen
bruders auf kosten des anderen, indem sie ihn in einen tieferen
184 H. DE BOOK
seelischen konflikt hineinstellt. Davon kann in dem bruderzwist der
Hunnenschlacht keine rede sein. Da zerreisst das band bei den erb-
verhandlungen, wo sich ansprach unausgleichbar neben ansprach stellt
und schliesslich nur die wafien entscheiden können. Beide brüder
wissen im kämpf voneinander, und keiner will den andern schonen.
Auch die elegische schlusstrophe Angantyrs ändert daran nichts; im
kämpf selbst gab es für ihn im vollbewusstsein seines rechtes kein
bedenken, und der konflikt zwischen brudergefühl und ehre, den
Hildebrand durchzumachen hat, bleibt ihm fremd.
Von gewicht ist ferner die scheinbar mehr im äussern haftende
tatsache, dass im Hunnenschlachtlied der unebenbürtige hunnische
bruder dem echt geborenen gotischen, dem besitzer von reich und
Schwert unterliegt, in der Hildebranddichtung dagegen der hunnische
Vorkämpfer Asmund im besitz des Schwertes den bruder überwindet.
Aber dieser zug ist doch in beiden dichtwerken konstitutiv. Die
Hunnenschlacht mit ihrer gotisch-nationalen wärme kann nur so endigen,
wie sie es tut; HI9Ö ist im unrecht und büsst dafür. Die Hildebrand-
dichtung dagegen ist in der form, wie wir sie kennen, auf die recht-
fertigung des unebenbürtigen aber tapferen Asmund eingestellt, und
kann ihn, den eigentlichen beiden, nicht am schluss durch Hildebrand
fallen lassen. Da der nationale gegensatz sehr verblasst, die nationale
anteilnahme ganz geschwunden ist, begegnet der sieg- des hunnischen
partners aus diesem gesichtspunkt keinen Schwierigkeiten mehr.
Es ist nun kein zufall, dass diese drei wesentlichen abweichungen
der Hunnenschlacht von der Hildebrandversion ausgemacht nach der
richtung der deutschen Hildebranddichtung hin liegen. Das Hilde-
brandslied hebt vater und söhn aus dem gedränge der kämpfenden
beere heraus, das mit den worten u)ttar heriun tuhn nur als hinter-
grund in knappster kontur gezeichnet wird. Ehrismanns ausgezeich-
neter aufsatz zum Hildebrandslied (PBB. 32, 260 ff.) hat die grundlage
der ethik und des handlungsaufbaus des gedichtes im germanischen
rechtsstreit erwiesen, sofern dieser durch den Zweikampf entschieden
wird. Die private einrichtung des gerichtlichen Zweikampfs wird zur
öffentlichen, wenn politische machtansprüche dadurch zum austrag
kommen. Hildebrand und Hadubrand fühlen sich als die gegner in
einem streit um recht und unrecht zunächst in ihrem rein privaten
zusammenstoss und fechten ihren kämpf als einen rechtsstreit durch,
in dem die gottheit über recht und unrecht zu entscheiden hat. Aber
in ihrem privaten zwist fühlen sie sich zugleich als die politischen
Vertreter ihres volkes oder ihrer partei und empfinden den ausgang
DIE NORDISCHE UND DEUTSCHE HILDEBRANDSAGE 185
ihres persönlichen kampfes als bedeutungsvoll für den kämpf ihrer
heere. Ein offizieller Zweikampf in Stellvertretung des kampfes der
beiden heere scheint mir dagegen in dem gedieht nicht dargestellt oder
beabsichtigt zu sein. In gleicher v^^eise stehen sich Hildebrand und Äs-
mund als die Vertreter politischer ansprüche gegenüber. Äsmund
kämpft für das recht seiner auftraggeber, der sächsischen herzöge,
die nur an stelle der älteren Hunnen getreten sind, Hildebrand für
das seines Schwiegervaters Lascinus. So entstellt der hergang hier
rein stofflich ist, indem Asraund, der den versen nach für die Hän-
meyir kämpft, in der prosa zwei persönlichkeitslosen sächsischen
herzögen dient, so veräusserlicht der sittliche gehalt, so unverstanden
der sinn des Zweikampfes ist, wenn er in Stoffhunger und äusserlicher
kraftmeierei durch Asmunds kämpfe mit der sich immer mehrenden
anzahl berserker eingeleitet wird, der grundgedanke dieses holmganges
ist derselbe wie der des deutschen Hildebrandliedes. Saxos darstellung
steht der eigentlichen politischen zweikampfformel näher, wenn bei
ihm Hildigerus als Vorkämpfer der Schweden einen Rutherien zum
kämpfe herausfordert.
In diesem rechtsstreit dem nah verwandten manne mit bewusst-
sein gegenüberzustehen, ist das harte Schicksal Hildebrands hier wie
im Hildebrandsliede. Erst diese auffassung als rechtsstreit gibt Hilde-
brands läge die färbung bitterer notwendigkeit ; vor dem kämpf zurück-
treten, heisst nicht nur sich, sondern auch seine partei ins unrecht
setzen. Darum muss Hildebrand den kämpf durchfechten. Auch hier
ist die saga äusserlich und unklar; äusserlich, indem der apparat der
berserker vorangehen muss, um Hildebrand endlich zum eingreifen zu
bewegen, unklar, weil man nicht erfährt, wie Hildebrand zur kenntuis
von Asmunds namen und herkunft und damit zur feststellung ihrer
blutsverwandtschaft gekommen ist, die er unvermittelt in seinem sterbe-
lied offenbart. Denn der in der vorangehenden szene an die sachsen-
herzöge ausgesandte V9ggr bereitet zwar den leser auf die erkennungs-
szene vor, indem er die wunderbare ähnlichkeit von mann und schwert
mit seinem herrn und dessen waffe nachdrücklich bestaunt und berichtet.
Aber er erfährt und nennt auch Hildebrand keinen namen, so dass
dessen kenntnis uns verwundern muss. Es ist kaum vermeidlich, vor
dem Zweikampf die formelhafte namensfrage und -nennung voraus-
zusetzen, die das Hildebraudslied einleitet. Etwas logischer ist Saxos
darstellung aufgebaut. Wir hören hier gleich nach der alten heraus-
forderung, dass Hildigerus den wahren Sachverhalt irgendwie weiss
und daher zunächst dem kämpf auszuweichen sucht. "Woher seine
18fi H. DE BOOK
kenntnis stammt, verrät auch Saxo nicht, es folgt vielmehr auch hier
erst einmal Haldanus' kämpf mit den berserkem, erfunden und durch-
geführt unter dem zv^^ang der jüngeren grundtendenz der sagadarstellung:
'erkämpfung eines ehrennamens {kappabani) durch den unebenbürtigen
Haldanus-Äsmund'. Erst als diese kämpfe vorüber sind, treibt nun
das ehrgefühl Hildebrand in den bruderkampf. Die alte, unerbittliche
ethik des gottesgerichts ist also auch hier gebrochen, wenn ein heraus-
forderer andere an seiner stelle in den kämpf schicken kann. Aber
der konflikt zwischen verwandtschaftsgefühl und ehre ist hier doch
deutlicher das treibende moment geblieben.
Das alte deutsche Hildebrandslied hat im kämpf des vaters mit
dem söhne zweifellos Hildebrand, den Hunnen Vorkämpfer, siegen lassen.
Die deutschen demente in der nordischen .darstellung, vor allem das
färöische lied, stehen ja unter der nachwirkung dieses Schlusses. In
der nordischen behandlung ist Hildebrand der unterliegende. Aber
wir sahen, dass entgegen der ganzen tendenz des Hunnenschlachtliedes
auch hier der Vertreter der hunnischen partei siegreich aus dem kämpf
hervorgeht. Und das entspricht der deutschen Hildebranddichtung.
Als resultat der Untersuchung ergibt sich also folgendes: die
älteste nordische form der Hildebranddichtung ist eine stoffliche paral-
lele zu der im schluss der in der Harvararsaga verwendeten Hunnen-
schlachtdichtung. Sie zeigt jedoch ab weichungen davon ausser in dem
namen Hildebrand selbst in drei wichtigen punkten, die sämtlich eine
Übereinstimmung mit der deutschen Hildebrandtradition bedeuten. Wir
werden also die entstehung der nordischen Hildebranddichtung so zu
verstehen haben, dass der stoff vom gotisch-hunnischen bruderkampf,
den das Hunnenschlachtlied überliefert, von einem dichter zu einer
einheit verschmolzen wurde mit der alten dichtung vom tragischen
zw^eikampf Hildebrands mit seinem söhne, den wir aus dem Hilde-
brandsliede kennen.
4. Die gotischen wurzeln.
Wie und wo hat sich dieser verschmelzungsprozess vollzogen?
Zunächst liegt es nahe zu fragen, ob nicht auch diese Hildebrands-
motive dem deutschen schub angehören, den wir in abschnitt 1 und 2
aus Saxo, saga und lied ausgeschieden haben. Darauf ist zu ant-
worten, dass dort nur dinge zur erörterung und zum abscheiden ge-
kommen waren, die sich als ein leicht entbehrlicher, oft dem übrigen
Inhalt widersprechender anfing erwiesen hatten. Hier dagegen handelt
es sich um züge, die in gefüge und komposition der dichtung unent-
DIE NORDISCHE UND DEUTSCHE HILÜEBRANDSAGE 187
behrlich sind. Die tragik Hildebrands, des wissenden bruders, ist
die Schlusspointe, auf die die ganze erzähhmg zustrebt, und die nicht
entbehrt werden kann, ohne das ganze zu entwurzeln, Hildebrands
Sterbelied und seine Stimmung ist nur so denkbar. Die auffassung
des kampfes als beauftragter rechtsstreit, nicht als erbstreit, ist eben-
falls im gefüge der ganzen erzählung vorbereitet; die landlosen
Wikinger sind von vorneherein nicht danach angelegt, ihren kämpf
als erbzwist auszufechten. Besonders deutlich liegen die zwei schichten
zutage bei der beziehung zu den Hunnen. Die jüngere ist 'enn hart
Hildibrandr, hi'inakappi . Sie kann nicht ebenso alt sein wie die Vor-
stellung: Asmund, der kappi der Hunmegir. Wir stossen vielmehr
auf eine weit ältere, zu wirklich organischer Verschmelzung geführte
Schicht Hildebranddichtung, die in den stoff des bruderzwistes ein-
verleibt ist. Nach ihrer herkunft, nach ihrem alter haben wir zu
fragen.
Zwei möglichkeiten kommen in betracht. Erstens kann deutsche
Hildebranddichtung mit tragischem ausgang schon in sehr viel früherer
zeit, etwa gleichzeitig mit der ältesten Wanderung des Nibelungenstoffes
nach dem norden gekommen und dort mit dem bruderzwiststoff ver-
arbeitet worden sein. Gegen diese an sich plausible auffassung steht
immerhin das bedenken, dass Hildebrandsdichtung in Deutschland nur
als eingegliedert in den stoffkreis von Dietrich von Bern gedacht
werden kann. Von der ganzen reichen Dietrichdichtung hat der norden
aber vor dem 12. Jahrhundert nichts aufgenommen, vermutlich weil
die pflege der Dietrichdichtung zur zeit der lebendigen kultur- und
literaturübernahme der frühen Wikingerzeit noch nicht in fränkischen
bänden war. Das Hildebrandslied in Fulda ist ein erster früher vor-
stoss bayrischer dichtung nach westen und norden. Eine so früh-
zeitige Übernahme der Hildebranddichtung nach dem skandinavischen
norden unter sekundärem verlust von Dietrichs namen stellte ein iso-
liertes faktum dar, dessen möglichkeit man nicht leugnen kann, das
aber aus dem rahmen des wahrscheinlichen herausfällt.
Daneben besteht eine andere möglichkeit. Alle werden darüber
einig sein, dass das Hunnenschlachtlied ursprünglich gotische dichtung
sei. Heinzel, der vater der als grundlegend anerkannten katalaunischen
hypothese, braucht doch eine östliche durchgangsstufe für die Hunnen-
schlachtdichtung, um ihr südöstliches lokalkolorit zu erklären. Seinem
gedanken, diese bei den russischen Warägern des 11. Jahrhunderts zu
suchen, wird niemand mehr gerne folgen. Auch die auhänger seiner
grundanschauung haben hier seinen Standpunkt verlassen. Die lokali-
188 H. UE BOOK
sierung weist, wie gesagt, ausgemacht auf pannonische und russische,
üiclit auf gallische ereignisse. Von den versuchten namensdeutungen
nimmt Neckel (Beiträge zur Eddaforschung) nur Danparstodir, Heusler
(Reallexikon) daneben Di'mheiär und zweifelnd JassarfJQÜ (= südL
Karpathen) als geglückt auf. Auch sie müssen also mit dem östlichen
moment rechnen, das sie nun aber nicht mit Heinzel als späten Zuwachs
betrachten, sondern umgekehrt als besonders alt ansehen. Eine alte,
aus den pannonischen sitzen mitgebrachte dichtung vom gotischen
bruderzwist ist in der als westgotisch anzusehenden Hunnenschlacht-
dichtung mit den jüngeren ereignissen der katalaunischen Schlacht
verschmolzen worden. Auch an den historischen parallelen Heinzeis,
die an einem überspitzten Scharfsinn leiden, hat bereits Neckel eine
berechtigte, aber nicht durchgreifende kritik geübt. Die gleichsetzung
der zwei unbedeutenden fränkischen prinzen, die in einem zwist hilfe
bei Aetius und Attila gesucht haben und in der katalaunischen schlacht
auf verschiedenen parteien standen, mit den gotischen königssöhnen
Angantyr und HI9Ö, ist nicht haltbar. Ebenso unmöglich aber scheint
mir der historische Synkretismus, durch den römisch-fränkische und
römisch-westgotische wirren der jähre 428 und 439 in die Hunnen-
schlachtdichtung eingespielt hätten; ausfallen muss auch der 'prophe-
tische einsiedler' und der bischof von Orleans mit seiner voraussage
des Schlachttages als spezifisch christlich legendenhafte arabesken an
den ereignissen. Am meisten halt hat die beliebte, auch von Neckel
und Heusler aufgenommene gleichsetzung des Vandalenkönigs Geise-
ricus, Attilas bundesgenossen, mit dem Gizurr Grytingalidi des liedes.
Aber die parallele verlangt eine radikale Verschiebung dieser persön-
lichkeit, nicht nur von der hunnischen auf die gotische seite, sondern
eine ganz besonders krasse Umstellung ihres ethos, indem dieser Gizurr
zur Verkörperung des gotisch-völkischen Überlegenheitsgefühls über
das Hunnentum wird, und einen entsprechend gebildeten, stabenden
beinamen erhält. Dieser poetische frontwechsel nimmt der gleichung^
ihre Wahrscheinlichkeit. Es bleibt letzten endes von allen parallelen
nur die grosse Völkerschlacht selbst mit einem warmen ton gotischen
Siegergefühls. Gerade der gotisch-nationale einschlag ist aber, selbst
wenn man westgotische herkunft des Hunnenschlachtliedes annimmt^
bei dieser internationalen römischen begebenheit weniger verständlich,
als wenn man einen der freiheits- und existenzkämpfe der Goten mit
den Hunnen in den durch Danpr, DunheUlr und JassarfJQll festgelegten
pannonischen gegenden als historische grundlage ansieht. Die hier
ausgefochtenen schlachten, uns ferner gerückt und weniger bekannt.
DIE NORmSCHE UND DEUTSCHE HILDEBRANDSAGE 189
weil sie die römische weit und ihre Chronisten wenig interessierten^
müssen mit gotischen äugen gesehen und mit gotischem herzen durch-
fochten als ereignisse von zentraler bedeutung erschienen sein, die
in der nationalen phantasie gewaltige masstäbe annahmen. Der süd-
östliche einschlag ist einmal da, warum soll man nicht versuchen, auf
ihm von grund aus aufzubauen? die mischungshypothese ist ja nur
eine Verlegenheitsauskunft, die schon in Heinzeis darlegungen gegeben
war. Von Schütte, der an der katalaunischen hypothese festhält,
wurde sie straffer herausgearbeitet, blieb aber formlos und ohne Um-
grenzung der konkreten bildungselemente. Neckel sucht die künst-
lerisch geformten einheiten herauszuschälen, aus denen das misch-
produkt entstand K Alle versuche aber erwachsen aus dem bestreben,
Heinzeis bestechende hypothese zu halten, auch nachdem sich ergeben
hatte, dass sie allein für die analyse der ganzen Hunnenschlachtdichtnng
nicht ausreichte. Hier hat denn Schuck den richtigen griff getan,
indem er die Heiuzelsche hypothese entschlossen beiseite tat und ver-
suchte, mit den gotisch-pannonischen ereignissen allein auszukommen.
Da die meisten eigennamen jede historische anknüpfung verweigern,
ist eine klare historische festlegung nicht möglich. Die auf Heinzel
zurückgehende gleichung Angantyr = Aetius, Hlgör = Chlodio ist in ihrem
ersten teil sprachlich so weit hergeholt, dass man allenfalls von einer
sonst ganz sicheren basis aus versuchen könnte, die beiden namen in
Übereinstimmung zu bringen ; um eine selbst noch unbewiesene an-
nähme zu stützen, ist die gleichung unbrauchbar. Weit einleuchtender
ist die gleichsetzung Hl9Ör-Chlodio, nur ist leider der von Heinzel
herangezogene Franke Chlodio an der katalaunischen schlacht nicht
beteiligt, sondern schon 428 von Aetius besiegt, während 451 die
Franken nicht seine gegner, sondern seine verbündeten sind. Hier
1) Hier entspringt auch Neckeis versuch, den namen Tjrfingr als schwert-
namen für unursprünglich zu erweisen und ihm im alten lied die bedeutung eines
Völker- oder ländernameus im anschluss an die bezeichnung der Westgoten als
'Tervingen' beizulegen. Er gewinnt so einen ostgotisch- westgotischen bruder- und
erbzwist als Inhalt des alten gotischen liedes, das sich mit der dichtung der kata-
launischen Schlacht verschmolz. Mir will diese konstruktion weder nötig noch
glücklich erscheinen. Soviel ich sehe, ist der name Tyrfing zunächst gut der
Sämseydichtung, wo das schwert die entscheidende rolle spielt, und wo der name
seine etymologische berechtigung erhält (Tyrfingr zu an. torf = torf, rasen, d. h.
also das unter der rasenscholle verborgene, aus der erde gewonnene schwert). Dass
Tyrfingr in den katalogaufzeichnungen der Arngrirasöhne mehrfach als name eines
Sohnes auftritt, ist für mich nur so aufzufassen, dass der name des ihnen zugehörigen
Schwertes missverständlich in die aufzählung eingedrungen ist.
190 H. DK BOOK
Stimmt also zwar die etymologische, aber nicht die historische parallele.
Um diesem mangel abzuhelfen, hat Heinzel weitere parallelliguren
herbeigezogen, nämlich Litorius, den Aetius im jähre 439 besiegte und
Laudaricus, einen verwandten Attilas, der in der katalaunischen schlacht
fiel. Dieser Synkretismus der gestalten und namen zu dem einen
Hlgdr entbehrt für mich jeder inneren Wahrscheinlichkeit und beweist
nur die Unmöglichkeit, auf diesem wege das wirkliche historische
Vorbild für Hlgör zu gewinnen. Nun fehlen freilich auch auf ost-
gotischem boden alle möglichkeiten einer anknüpfung der namen
Angantyr und Hlgö, und es ist zu erwägen, ob sie nicht erst nordischen
Ursprungs sind\ Ihre frühe existenz wird jedenfalls durch den Widsid
1) Die namen Hlgft und Humli sind bekanntlich auch in die dänische Vor-
geschichte an der spitze der Skjoldungenreihe aufgenommen worden. Die aufnalime
ist nicht für beide namen gleichzeitig erfolgt. Saxo kennt beide, aber auch hier
zeigen sich die dän. königsreihen nur sehr z. t. von Saxo beeinflusst. Seine reihe
ist: Humblus — Dan etAngul — Humhlus etLotherus als söhne Dans— Skyoldus als söhn
des Lotherus. Diese reihenbildung mit zwei Humblus und einem Lotherus als
enkel des älteren Humhlus hat von den ausführlichen dän. reihen nur der ganz von
Saxo abhängige Petrus Olai und die Ry-annalen (Chronikon Erici, f bei Olrik), die
auch in der einführung des Haldanus Saxos einfluss verrieten. Sonst haben den
älteren Humblus nur noch die längere runenreihe (Olrik e), die ebenfalls Saxos
Haldanus aufgenommen hatte, den jüngeren Humblus ohne verwandtschaftsangabe
a in seiner reihe: Dan-Humli-Löther-Skjold, und wieder sahen wir a von Saxo ab-
hängig in der aufnähme des 0stmarus, der bei Saxo Borcarus von Schonen ersetzt.
Dagegen fehlt Humblus nicht nur in den kürzeren reihen (Sven Ageson, Lunder
annalen, Catalogus regum in Script, rer. dan. I, 13 f) die auch Lotherus nicht kennen,
sondern auch unter den längeren reihen in b und c. Die kürzere runenreihe (Olriks d)
ist im anfang verstümmelt und kommt deswegen nicht in betracht, wird aber
durch 5 (Kongetalet bei Rerdam, Mon. bist. dan. 453—456) ersetzt. 3 stellt sich
trotz einiger entstellungen zu h und c mit seiner genealogie: Dan, der erste Dänen-
könig—Dans söhn Lother — Dans söhn Skjoldoe. Lother und Skjold werden hier also
brüder statt vater und söhn. Das ist vielleicht ein schwacher anklang an Saxos
brüder Lotherus und Humblus. Ebenso konnte die erfinduug eines Herr Pethar als
Dans vater durch Saxo veranlasst sein. Aber der name Humli ist 5 unbekannt.
Dagegen ist Lotherus der ganzen gruppe der längeren reihe eigen, auch b, c und 3
kennen ihn; er ist also älter als Saxo. Die reihenfolge Lotherus-Skjold als vater
und söhn ist das festeste, was die königsreihen in dieser ältesten zeit überhaupt
haben, schon Müllers Notae uberiores machen darauf aufmerksam. Da der folge
Lotherus-Skjold in isl. quellen eine folge Ödinn-SkJQldr entspricht, besteht Müllers
schluss zu recht, dass auch der Lotherus der königsreihen mythologischen wert
habe, wenn auch seine noch von Heinzel aufgenommene gleichung: Lotherus = Lödurr
wenig Wahrscheinlichkeit hat. Der gang der entwicklung war also der, dass Saxo
den Lotherus, den er in den königsgenealogien vorfand, mit dem Hl9dr der Her-
vararsaga gleichsetzte, ihm ganz richtig einen grossvater Humli zuschrieb und ihn
in einen bruderzwist verwickelte, wobei der Saxo sichtlich unbekannte name des
DIE NORDISCHK UND DEL'TSCHE HILDEBRAXDSAGE 191
■erwiesen. Das nebeneinander von HeaJ)oric, Sifeca, HliJ)e, Incgen|3eüw
kann nicht zufällig sein. Dagegen steht Wyrmhere bedeutend weiter
ab und braucht nicht zu dieser gruppe zu gehören. Jedesfalls kann
ich aber mit Heusler (reallexikon) nicht einverstanden sein, dass der
sechs Zeilen später erwähnte kämpf mit AJtlan leodum sich gerade
auf diese gruppe beziehen und Zusammenhang mit der niederlage
Attilas auf den katalaunischeu gefilden erweisen solle. Dem wider-
spräche schon der alte gotische erbsitz Wistlaiviidu, der weit vor
Attilas zeit fällt. Ich kann auch hier nur erinnerungen an sehr frühe
gotisch-hunnische gegensätze im östlichen Europa erkennen, in denen
die gesamten, in den voraufgehenden Zeilen genannten Gotenhelden als
Vertreter ihres volkes den Hunnen gegenübergestellt werden. Die
bezeichnung .Etlan leode = Attilas volk ist rein periphrastisch ohne
bestimmte historische festlegung. Von hier aus ist also weder eine
anknüpfung an die katalaunische Schlacht noch eine klärung der namen
zu gewinnen '. Es ist also einstweilen am vorsichtigsten, von einer
deutung der namen überhaupt abzusehen. Der einzige wirklich greif-
bare Personenname ist der beiname Gri/tingnlidi, der schon längst und
wohl allgemein anerkannt auf den völkernamen der Greutungen -= Ost-
goten gedeutet ist, also auf ostgotiscbes milieu verweist und von den
Vertretern der katalaunischeu hypothese in dem westgotischen gedieht
erst einem radikalen umwandlungsprozess unterworfen werden muss.
Über das ansprechende der namensgleichung Gizurr = Geisericus ist
bereits gesprochen. Aber auch die ostgotische tradition liefert eine
parallele, die einen wenigstens ähnlichen namen mit einer stofflich
weit besser passenden persönlichkeit verbindet. Es ist der bekannte
Ge(n)simundus des Cassiodor, den Müllenhoff (ZE II) als historisches
Vorbild des deutschen Hildebrand erkannt hat. Er hat immerhin den-
selben ersten namensteil aufzuweisen wie Geisericus — in ostgotischer
lautgestalt Gesi -, der in Gizurr entstellt nachleben könnte. Er hat
aber daneben dieselbe rolle, die Gizurr im Hunnenschlachtlied zufällt,
die eines älteren erfahrenen Schützers und beraters eines jungen ost-
bruders durch den des grossvaters Huiuli ersetzt wurde. Diese aus der Hervarar-
saga vermehrte genealogie hat einzelne der una erhaltenen längeren königsreihen
beeinflusst, ist aber erst von spezifischen Saxoepigonen wie Petrus Olai voll an-
erkannt worden.
1) Auf deutschem boden ist der name Angandeo nur sehr spärlich belegt.
Von den beiden stellen bei Förstemann fällt die aus Einharts Annalen (Scr. I, 198)
fort, da es sich hier um einen dänischen königsohn handelt. Es bleibt nur der
vereinzelte fuldische beleg bei Dronke.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. L. U
[
192 H. DE BOOK
gotischen königsohnes; der beinarae Grytingalidi = Greutungenschutz
ist damit historisch gerechtfertigt. Die poetische Verklärung des Gesi-
mundus bezeugt uns Cassiodor an jener stelle ausdrücklich. Er ist
ostgotischer held und verweist uns in die zeit der brüder Valamir,
Vidimir und Theodemir, in die gleiche zeit also, in der die Ostgoten
das hunnische joch unter Attilas schwachen söhnen kräftig abschüttelten.
Das stimmt wieder gut zu dem siegesfrohen klang, der durch die
Hunnenschlachtdichtung geht, sodass Schucks hinweis gerade auf die
kämpfe dieser zeit volle beachtung verdient. Eine zug für zug durch-
geführte historische vergleichung, dessen ist sich auch Schuck wohl
bewusst, ist damit nicht gewonnen. Sie ist auch vielleicht nicht das
wesentlichste. Viel wichtiger ist es jedesfalls, die Stimmung von
feindschaft zwischen Goten und Hunnen vom Zusammenbruch des
grossen reiches Ermanarichs bis zur abschüttelung der Hunnenherr-
schaft unter Attilas söhnen kräftig hervorzuheben. Das nationale Über-
legenheitsgefühl eines selbstbewussten und kulturell hochstehenden
Volkes gegenüber seinen unzivilisierten und hässlichen oberherrn ist
auch in dem sympathischen Attilabild der mittelhochdeutschen epik
nicht ganz vergessen. Bei den Zeitgenossen muss der Widerspruch
geistiger Überlegenheit und politischer unterwenfung zu heftigen inneren
Spannungen geführt haben, die sich auch tatsächlich in wiederholten
befreiungsversuchen entluden. Das bild des grossen germanischen
Völkerhirten Attila, das gewiss seine berechtigung hat, ist in der
deutschen dichtung schon frühzeitig so in den Vordergrund getreten,
dass man nur zu leicht vergisst, dass germanische Völker und herrscher
schwer unter dem politischen und moralischen druck der Unfreiheit gelitten
haben. Der Attila der eddischen dichtung mit seinen zügen wilder grausam-
keit, masslosigkeit und heimtücke, - das sollte man nicht vergessen - ist
nicht weniger als der Attila der Dietrichdichtungen eine germanische
poetische gestaltuug, die in ihren anfangen auf zeitgenössisch-germanischer
beurteilung des grossen Hunnenkönigs beruht. Das eddische Attilaporträt
wurde zuerst entworfen in kreisen gotischer edler, denen sein tod
eine erlösung, und denen die früh von der dichtung ergriffene Hildico
eine heldin war. Wir haben keinen grund zu zweifeln, dass die fast
hundertjährige Hunnenherrschaft und die unter ihr brennenden natio-
nalen gegensätze poetische Verarbeitung gefunden haben. Aber auch
innere Zersplitterung und Parteigänger der Hunnen sind uns aus
dieser zeit bekannt (z. b. die geschichte von Vinitharius bei Jor-
danes) und können anlass gegeben haben zu einer dichtung von
idiotischen bruderkämpfen. Der Hervararsaga haben wir es zu
DIE NORDrSCHE UND DEUTSCHE HILDEBRANDSAGE 193
danken, dass sie uns ein stück gotisch-nationaler dichtung* bewahrt
hat, deren pragmatisch-historische grundlage nicht mehr eindeutig be-
stimmbar und vermutlich überhaupt mehrdeutig ist, deren ganzer
psychologischer quellboden aber deutlich und verständlich uns vor
äugen steht.
Eine besondere stütze hatte die katalaunische hypothese darin,
dass sie die Vermittlung des Stoffes nach dem norden gut erklären
konnte. Die westgotische Hunnenschlachtdichtung, die alte gotische
erinnerungen (erbstreit der brüder) mit dem gewaltigen eindruck der
katalaunischen schlacht zusammenarbeitete, ist von den benachbarten
und in der schlacht verbündeten Franken aufgenommen und wie der
Nibelungenstoff von ihnen dem skandinavischen norden weitergegeben,
in Deutschland selbst aber später vergessen worden. Dagegen bliebe
bei einer ostgotischen entstehung die weite Wanderung über Bayern
und Franken nach dem norden schwer verständlich, die dem so popu-
lären Dietrichstoff nicht geglückt ist.
Indessen haben wir den richtigen kulturellen hintergrund für die
bewahrung eines Stückes in poetischer formung von seiner ostgotischen
entstehung bis in die isländische saga hinein erst in letzter zeit recht
verstehen gelernt. Seit wir wissen, wie lebhafte kulturbeziehungen
sich von den russischen und pannonischen Goten die ostdeutschen
ströme hinab nach dem skandinavischen norden erstreckt haben, wird
uns auch die wanderungsstrasse des Hunnenschlachtliedes klar. Diese
östlichen kulturzusammenhänge sind zuerst den germanischen archäo-
logen aufgefallen und von Bernhard Salin in seinem buch über die
altgermanische tierornamentik für das germanische kunsthandwerk
näher verfolgt worden. Die lagerung des Zentrums und der wege
dieser kulturströmungen erwiesen sich dabei als ziemlich, entsprechend
den Zügen und Verschiebungen der Goten in ihren versuchen, den von
Osten andrängenden Hunnen auszuweichen. Erhöhte kulturgeschicht-
liche bedeutung erhielt die östliche Verbindung des nordens mit süd-
germanischen Völkern durch von Friesens nachweis, dass die kenntnis
des runenalphabets dem skandinavischen norden auf diesem wege
zugekommen sei. Auf mythologischem gebiet haben u. a. Olrik seine
Ragnarokstudien und Neckel sein buch über Baldr auf der tatsache
dieses östlichen weges aufgebaut. Neckel denkt dabei an Wanderung
der mythologischen Vorstellungen in poetisch festgeprägter form. Auch
die erforschung der heldendichtung wird sich diesen weg zunutze
machen müssen. Sie wird die seinerzeit auf zu schmaler basis auf-
i
194 H. IJK HOOK
gebaute hypothese Mogks * von einer direkten Vermittlung der gotischen,
durch Jordanes vertretenen Ermanarichdichtung an die skandinavischen
Völker wieder aufnehmen müssen, woran Neckel in seiner kleinen alt-
nordischen literaturgeschichte andeutend zu denken scheint. Und sie
wird sich fragen müssen, ob nicht auch die nordische darstellung von
Attilas tode und vom Burgundenuntergang diesen weg gegangen sein
kann. So erst tritt auch die ostgotische herkunft der nordischen Hunnen-
schlachtdichtung in einen breiteren kulturgeschichtlichen Zusammenhang,
durch den sie organisch und wahrscheinlich wirkt. Sie ist ein zeuge
für die östliche kulturwelle, die neben einer in so alter zeit übrigens
noch schwächeren westlichen welle dem skandinavischen norden die
erweiterten Weltkenntnisse, erfahrungen und kulturgüter der Germanen
vermittelte, die mit der römisch-griechischen weit in berührung getreten
waren. Es ist dabei unnötig, wie Schuck es in Heinzeis fusspuren
tut, warägische zv^'ischenstufen vorauszusetzen. Das festgeformte gotische
Hunnenschlachtlied des 5. Jahrhunderts ist auf östlichen wegen dem
norden zugekommen, und in den hochaltertümlichen teilen des arg
zersetzten gedichtes dürfen wir einen direkten nachklang alter gotischer
verse verehren.
Viel kürzer kann die heimat der Hildebranddichtung behandelt
werden. Es besteht wohl nirgends ein zweifei, dass sie ostgotischer
herkunft ist, und Mülleuhoffs hiuweis auf den ostgotischen Ge(n)simundus
als historisches vorbild für den alten Hildebrand hat wohl allseitige
Zustimmung gefunden. Damit stellt sich neben die eine möglichkeit,
dass deutsche, durch die Franken übermittelte Hildebranddichtung im
norden mit dem bruderzwiststoff verschmolzen sei, die andere, dass
diese Verschmelzung sich schon in der band der Ostgoten vollzogen
habe. Welche von beiden möglichkeiten vorzuziehen ist, muss die
Untersuchung erweisen. Für die zweite hätte man sich zu entscheiden,
wenn auch die deutsche Hildebranddichtung selbständige und von
der nordischen Hildebranddichtuug unabhängige beziehungen zum
Hunnenschlachtliede aufwiese. Dann ergäbe sich ein gotisches lied,
das Hunnenschlacht und Hildebrandsschicksal "in eins verschmolzen
hätte, als der wahrscheinliche quellpunkt. Und das ist in der tat
der fall.
Im Hunnenschlachtlied hebt sich als markante persönlichkeit der
alte ziehvater Angantyrs, Gizurr, heraus. Er hat im lied zwei indi-
1) E. Mogk, Die älteste Wanderung der deutschen heldensage nach dem
norden. Festgabe für Eud. Hildebrand s. 1 if.
DIE NORDISCHE UND DEUTSCHE HILDEBRANDSAGK 195
vidiielle aiiftritte, die scheltrede gegen HI9Ö, in der er ihm den vor-
warf seiner unechten geburt entgegenschleudert, und den kundschaftsritt
zum feindlichen heer. Dieser zweite auftritt verläuft so, dass der könig
mit freigebigem angebot vergebens einen seiner mannen zu dem gefahr-
vollen ritt zu werben versucht, bis sich endlich Gizurr ohne goldenen
lohn dazu erbietet. Er trifft das Hunnenheer und ruft es an; den
Speer schleudert er hinein und weiht damit die feinde Odinn zum
opfer. Da ruft Hloö, man solle Gizurr Grytingalidi ergreifen, Humli
aber wehrt ab, dass die masse über den einzelnen herfalle. So kommt
Gizurr unverletzt davon und berichtet seinem herrn von der unüber-
sehbaren Hunnenschar. Nach dieser szene der Hunnenschlacht hat
Saxo eine episode seines sechsten buches gestaltet und sie an Frotho HI.
(= Angantyr) und Ericus (= Gizurr) geknüpft. Auch hier finden wir
den prächtigen auftritt des einsamen spähers gegenüber den wimmelnden
massen. Aber es ist eine zweifellose Störung, wenn hier Ericus das
Sittengebot: einer soll nicht von vielen angegriffen werden, im eigenen
Interesse selbst geltend macht.
Der soeben näher analysierte auftritt Gizurs hat seine deutliche
entsprechung in der deutschen Hildebrandtradition, die eine typische
szene herausgearbeitet hat: 'Hildebrand auf der wart'. Und zwar ist
diese szene im kontext der Rabenschlachtdichtung entwickelt, deren
kern entschieden ostgotischen Ursprungs ist. Am klarsten ist die
Situation in der fassung der Rabenschlacht bewahrt, die, vielfach von
der Heinrich des Voglers abweichend, der Thidrekssaga als vorläge
gedient hat. Die sehr ausführliche und keineswegs klare darstellung
der saga reflektiert hier nur den ebenso gearteten, angeschwellten und
breit epischen auf bau der deutschen quelle, die mit den komplizierten
und schwankenden freundschafts- und feindschaftsverhältnissen arbeitet,
die der historisierenden Dietrichdichtung eigen sind. In der nacht
vor der grossen schlacht reitet Hildebrand durch eine fürt auf kund-
schaft gegen Erminriks lager jenseits des flusses, er stösst auf einen
anderen einsamen reiter, in dem er seinen alten freund Rseinalld er-
kennt, der doch Erminrik treu geblieben ist. Rseinalld erklärt Hildebrand
die gliederung von Erminriks heer. Als sie zu Dietrichs lager um-
kehren wollen, damit Hildebrand Rieinalld denselben dienst erweise,
begegnet ihnen eine bewaffnete schar, vardmenn Öifkas, mit denen
es zu einem vorübergehenden zusammenstoss kommt. Doch gelangen
Hildebrand und Rseinalld über den fluss zu Dietrichs lager, über
dessen aufbau Hildebrand dem freunde umständlichen bericht gibt.
Dann trennen sich beide in freundschaft und kehren zu ihren lagern
196 H. DE liOOK
heim^. Als Rseinalld bei den seinen ankommt, findet er Sifkas zeit
in aufruhr und zurüstung zur Verfolgung des von den vnrdmenn ge-
meldeten Hildebrand. Da tritt Rseinalld Sifka entgegen und droht,
dass der weg zur Verfolgung Hildebrands nur über den kämpf mit
ihm selbst und seiner schar gehe ; er wolle Erminrik wohl treue halten,
'aber nicht kann ich euch das gestatten, dass ihr Hildebrand erschlagt,
während er allein davonreitet'. Hildebrand kommt zu Dietrich und
berichtet, was er gesehen hat. Reduziert man diesen episch ver-
breiterten und in mehrere auftritte zerdehnten bericht auf seinen kern,
so erhält man die Gizurrepisode des Hunnenschlachtliedes. Hilde-
brand-Raeinalld-Sifka entsprechen Gizurr-Humli-Hl^ö. Der alte königs-
pfleger reitet einsam aus, dem feindlichen beer entgegen, um es zu
erforschen. Als man seiner ansichtig wird, will Sifka-Hlgö ihn an-
greifen und erschlagen, aber Rseinalld-Humli tritt für ihn ein; man
soll den einsam reitenden kundschafter nicht mit Übermacht überfallen.
So kehrt er heim und kann berichten, was er gesehen hat.
Die szene: 'Hildebrand auf der wart' ist in der deutschen dich-
tung typisch geworden. Für die Rabenschlacht haben wir das zeugnis
der saga anzurufen, da die deutsche Rabenschlachtdichtung die szene
abgeblasst hat bis auf eine blosse aufzählung der feindlichen scharen
durch Hildebrand vor Dietrich (str. 474 fif.), also den alten schluss.
Aber Dietrichs flucht, die überall die Rabenschlacht ausschreibt, macht
sich das motiv zweimal zunutze ; sie schickt Hildebrand jeweils selb-
viert auf die wart (3150 ff., 6141 ff.), ohne doch das motiv 'einer gegen
viele' poetisch auszuwerten. Abermals sehen wir Hildebrand auf der
wart in Alpharts tod (str. 327 ff.) bei dem entsatzzug von Breisach
her. Auch hier reitet Hildebrand zunächst mit vier andern aus, aber
von Str. 338 an löst er sich von den genossen los, und bei dem zu-
sammenstoss mit dem feindlichen häufen ist er allein. Wie Ericus
bei Saxo verbirgt er seinen namen, wird aber erkannt und bedroht.
Das motiv 'einer gegen viele' kommt zur entfaltung, doch in der
stereotypen form der mhd. epik, dass der held den massenkampf auf-
nimmt. Die alte kriegerethik des Gizurrauftrittes ist verklungen.
Aber der hauptinhalt des gedichtes, die wart des jungen Alphart ist
1) Nebenbei ein interessanter beleg für die Wandlung der gefolgschaftsethik
mit ihrer leidenschaftlichen Parteinahme für den gefolgsherren zu einer mechanisch
nüchternen lehensauffassung, die den einzelnen zwar zur heerfolge bei dem lehns-
herren zwingt, aber auf seine persönlichen neigungen und abneigungen keinen
einfluss hat. Wie anders tiefgreifend behandelt noch das Nibelungenlied dasselbe
problem in Rüdigers seelenkonflikt.
DIE NORDISCHE UND DEUTSCHE HILDEBRANDSAGE 197
ganz darauf aufgebaut. Er selbst schlägt das thema vor dem ausritt an :
Str. 99. sol einer nach dem andern an mich ze strite gän,
also ez von alter her reht ist gewesen,
in stürmen und in strtten getrüwe ich harte ivol genesen.
Das alte ehrenhafte kampfgebot wird denn auch hier wie im Hunnen-
schlachtlied von dem anständigsten seiner feinde zu seinem schütze
geltend gemacht. Als hüter alter sitte tritt ein grauer ritter für ehr-
lichen kämpf ein.
Str. 162. si wollen alle ze male üf in geslagen hdn.
dö sprach ein alter ritter des müest ivir immer laster hdn.
str. 163. in beste der man bestmder, als ez reht 6v gewesen.
Das ist ganz die alte szene, die dann freilich mit der gefühllosigkeit
dieser epik für stil doch wieder zu dem üblichen kämpf des einen
gegen die masse weitergeführt wird. Noch einmal wird der grundsatz
in Alpharts letztem kämpf mit Witege und Heime hervorgekehrt. Alphart
selber sagt:
Str. 279. ez geschach nie mer daz zwene einen sint an gegdn:
ivelt ir ez an mir heben, des müezt ir immer laster hdn.
Das mhd. Alphartlied hat freilich so wenig wie der dän. geistliche
Saxo gefühl für den ethischen ernst der alten kriegerregel, wenn er
sie dem angegriffenen, nicht dem angreifer in den mund legt \ Hören
wir nun dieselbe maxime dem kämpf Asmunds und Hildebrands in
der Asmundarsaga als leitwort vorangestellt (/lann kvad einn skyldi
einum imöt koma), so schliesst sich hier ein fester kreis von dichtungen
zusammen. In allen drei gedichten der historisierenden Dietrich-
dichtung, ßabenschlacht, Flucht und Alphart, kommt die typische
szene 'Hildebrand auf der wart' zur Verwendung; sie wirkt sich in
der eigentlichen wartdichtung, Alpharts tod, weiter aus und ist hier
sowie in der Kabenschlachtvariante der Thidreksaga am stärksten,
nicht nur auf das epische bild: 'einer gegen viele', sondern spezieller
auf das ehrgebot: 'einer ist vor dem angriff vieler sicher' eingestellt,
das endlich in der nordischen Hildebrandsdichtung wieder hervortritt.
Schliesslich wäre es verlockend, das alte Hildebrandslied selbst in
diesen kreis einzuziehen und sich die rahmensituation zu dem tragischen
1) Diese ausführungen decken sich, wie ich erst nach ihrer niederschrift
feststellen konnte, zum teil mit dem, was Neckel in seinem hübschen aufsatz über
christliche kriegerethik (Zfda. 58, 288 ff.) zu dieser stelle gesagt hat.
198 H. DK BOOK
kämpf so zu denken, dass sie durch Hildebrands wartraotiv bestimmt
ist. Als Späher und böte wie im Hunnenschlachtlied vorausreitend,
trifft Hildebrand auf seinen söhn und tritt in den verhängnisvollen
kämpf ein '.
Der quellpunkt dieses motivs und seiner dichterischen handlung
na(^h beiden selten hin ist das Hunnenschlachtlied, das also die deutsche
dichtung in einer ihrer typischen Hiidebrandsituation beeinflusst hat.
Das ist um so bedeutsamer, als Hildebrands repertoir nicht eben reich
ist. Die allgemeine und überall wiederkehrende aufgäbe des alten
Waffenmeisters und königspflegers ist nur zu wenigen, speziell um-
grenzten und charakteristischen auftritten ausgemünzt. Neben dem
kämpf mit dem eigenen söhn, der aber älter und tiefer ist als seine
vvaffenmeisterrolle, sind es eigentlich nur der wartmann, der länder-
kundige Wegweiser und der besorgt seinem abenteuernden herrn nach-
reitende erzieher, während die szene, in der Hildebrand Dietrichs Ver-
zagtheit durch einen aufreizenden schlag in wilden kampfzorn verwandelt,
wohl erst jünger ist: die doppelte Wirkung der Hunnenschlacht auf
nordische und deutsche Hildebranddichtung, die damit erwiesen ist,
bringt nun auch die entscheidung der zuvor gestellten frage nach dem
ort der berührung. Sie kann nur in gotischen bänden stattgefunden
1) Die beziehungen zwischen Hunnenschlachtlied und Rabenschlacht sind
mit dem oben ausgeführten vielleicht nicht erschöpft. Es ist nicht undenkbar, dass
die grosse entscheidungsschlacht überhaupt nach dem Vorbild der älteren Völker-
schlachtdichtung gestaltet wäre. In dem nachlass von W. von Unwerth fand ich
ein notizblatt, aus dem hervorgeht, dass er an eine solche möglichkeit gedacht hat.
Zweifellos hat die gesamtsituation eine starke ähnlichkeit. Ein gotischer reichs-
ünd thronprätendent tritt auf, um mit hilfe des hunnischen königs seine ansprüche
zu verwirklichen. In ältester dichtung konnte wohl auf Dietrich, dem söhn der
beischläferin Erelieva, der Vorwurf unechter gehurt lasten wie auf Hhiö des Hunnen-
schlachtliedes. Über Dietrichs mütterliche herkunft schweigen ja noch die mhd.
dichtungen mit ausnähme der töricht konstruierenden 'Flucht' hartnäckig. Die
ansprüche Dietrichs werden in einer gewaltigen schlacht ausgetragen, deren dimen-
sionen zum teil mit ähnlichen forraeln geschildert werden wie die der Hunuenschlacht.
Beide dichtungen kennen endlich die oben eingehender analysierte scene des alten
königspflegers auf der wart. Die beziehungen sind also wirklich nicht gering. Für
eine breitere Wirkung des Hunncuschlachtliedes auf deutsche dichtung ist ferner die
bekannte stelle des Waltharius manu fortis heranzuziehen, in der Etzel seinen
Hunnen überreichen lohn verspricht in ganz ähnlichen formein wie Angautyr seinem
bruder reichen anteil am erbe zusichert. Diese schon von J. Grimm erkannte gleich-
heit der formel hat zuletzt G. Neckel (Germ.-rom. mtschr. 9, 216 ff.) behandelt und
weiteren Zusammenhang der beiden dichtungen wahrscheinlich zu machen gesucht.
Bei dem hohen alter der Hunnenschlachtdichtung ist die richtung der beeinflussung
von Torneherein festgelegt, der Waltharius ist der nehmende.
DIE NORDISCHE UND DEUTSCHE HILDEBRANDSAGE 19^
und von dort aus nach Deutschland und Skandinavien hinüber ge-
wirkt haben.
Wir gewinnen so eine gesamtübersicht über die älteste entwiek-
lung. Im Zusammenhang der Huunenschlachtdichtung mit ihrem bruder-
zwist wird Gesimundus, - in nord. form Gizurr Grytingalidi besungen,
Cassiodors notiz damit bestätigt. Ein anderer ostgotischer held in ähnlicher
königspflegerrolle ist Hildebrand, zugleich träger des tragischen motivs
vom kämpf des vaters mit dem söhn. Hildebrand, als poetische Schöpfung
der jüngere, erfährt bald entscheidende beeinflussung von der dichtung
über Gesimundus, sodass ein gotischer dichter eine volle Verschmelzung
der beiden tragischen Sippenkämpfe unter Hildebrands namen voll-
zog. Diese dichtung hat der norden direkt von den Goten über-
nommen und sie wesentlich umgestaltet. Eine auf dieser grundlage
ruhende nordische Hildebranddichtung ist die epische folie zu Hilde-
brands Sterbelied und der liedmässige kern der späten prosadarstellung
in der Äsmundar saga kappabana, deren spezifisches, romantisches
Wikingermilieu natürlich abzuziehen ist. Sehr viel später, nicht vor
dem 11. Jahrhundert ist die deutsche Hildebrandversion dem norden
bekannt und oberflächlich mit der vorhandenen Hildebranddichtung
verflochten worden.
5. Die deutsche entwieklung.
Nachdem so die nordische entwicklung und ihr Zusammenhang
mit der deutschen dichtung klargestellt ist, bleibt es noch übrig, auf
die Wandlungen des deutschen zweiges einen blick zu werfen. Auch
dieses oft besprochene problem lässt sich doch unter einen neuen
gesichtspunkt stellen.
Wir haben ja hier das seltene glück, einer 700jährigen entwick-
lung folgen zu können, indem am eingang und schluss der deutschen
heldendichtung im älteren und jüngeren Hildebrandslied derselbe Stoff
nicht nur dichterisch Verwendung gefunden hat, sondern auch in der-
selben form als geschlossenes einzelglied behandelt wird. Zwischen
diesen beiden endpunkten der entwicklung steht die erzählung der
Thidrekssaga, die schon starke Verwandtschaft mit dem jüngeren Hilde-
brandslied (j. H.) zeigt und uns einen terminus ante quem für die
Umgestaltung der alten tragischen dichtung in die gemütliche des j. H.
liefert. Die formal gleichartige behandlung desselben Stoffes in so
weit geschiedenen zeiten pflegt als ein musterbeispiel dafür zu gelten,
wie derselbe Stoff über alle Wandlungen des stils und der anschau-
ungen hin doch seine liedhafte grundform durch die Jahrhunderte
200 n. DE BOOK
bewahrt. Die entwicklungsgeschichte des Hildebrandstoffes zu ver-
folgen, bedeutet also hauptsächlich, dem wandel des Zeitgeschmacks
nachzugehen, der sich innerhalb desselben rahmens verschieden aus-
wirkt. So etwa hat, freilich nur kurz andeutend, zuletzt Heusler in
Hoops reallexikon unter dem Stichwort Hildebrand die sache gefasst. Das
j. H. dient damit gleichzeitig als eines der faktischen beweisstücke für
das fortleben der altgermanischen liedtechnik, für das als zweiter beleg
das niederdeutsche lied von Ermenrikes dOt gilt. In der festschrift zum
sechzigsten geburtstag von Th. Siebs ^ habe ich diese bewertung des
Ermenrikliedes zu erschüttern und dieses selbst in einen ganz anders-
artigen Zusammenhang mit der ausgebildeten dänischen volkslieder-
dichtung zu setzen versucht. Für das j. H. kommt ähnliches nicht
in frage; seine entwicklung hat sich in der tat ganz auf deutschem
boden vollzogen, aber doch vermutlich anders, als man im allgemeinen
annimmt.
Der entscheidende unterschied zwischen dem alten fragment und
dem j. H. liegt in dem ausgang, der dort tragisch, hier versöhnlich ist.
Aber dieser ausgang ist natürlich keine isolierte erscheinung, sondern
die ganze anläge muss auf ihn eingestellt sein. Im alten fragment
hat der vater den söhn getötet in einem ernsthaften kämpf, trotzdem
er ihn erkannt und sich ihm zu erkennen gegeben hat, dem gebot der
ehre folgend, da der söhn ihm kränkend den glauben verweigert. Im
j. H. weiss Hildebrand von vorne herein, mit wem er kämpfen wird,
noch ehe er mit dem söhn zusammenstösst, und er sucht den kämpf
nur, um die kraft des sohnes zu erproben, seinen Übermut zu dämpfen.
Dagegen weiss der söhn nicht, wer sein gegner ist, die ganze pointe
ist vielmehr, dass jeder den eigenen namen verschweigt und den
andern zu zwingen versucht, sich durch nennung seines namens als
überwunden zu erkennen. Dieser zwang gilt gegenüber der freiwilligen
und selbstverständlichen selbstpräsentation der kämpfenden im alten
lied als eine ritterliche schände. Der söhn verweigert also, auch als
er überwunden ist, dem vater die namensnennung, sodass Hilde-
brand schliesslich keinen andern ausweg weiss, als sich freiwillig selbst
zuerst zu nennen, was ihm als sieger kein Vorwurf sein kann. Sobald
diese frage ritterlicher ehre gelöst ist, erfolgt unmittelbar die Ver-
söhnung und der fröhliche heimritt.
Es ist also nicht nur eine Verschiebung der tatsächlichen vor-
1) Beiträge zur deutschkunde, festschr. Th. Siebs zum sechzigsten geburtstag
dargebracht. Emden 1922 s. 22-38.
DIE NORDISCHE UND DEUTSCHE HILDEBRANDSAGK 201
gänge, sondern eine Umstellung und veräusserliehung des etlios in den
beiden Hildebrandsliedern, oder vielmehr die vertauschung ethischer
gegen konventionelle triebkräfte. Im alten fragment ist es das ernste
gebot der mannesehre, das den vater dazu zwingt, das schwerste
Schicksal auf sich zu nehmen und den söhn wissentlich mit eigener
band zu töten. Im j. H. ist der kämpf von vornherein als ein ritter-
liches messen der kräfte gedacht, ein spiel, dessen pointe eine rein
ritterlich höfische und formelle ehrenfrage, die namensnennung ist;
der altgermanische held kannte diese ehrenpflicht nicht, noch dem
Nibelungendichter ist sie unbekannt, als Siegfried herausfordernd an
den Burgundenhof kommt; auch die Kudrun kennt sie nicht, ver-
wendet vielmehr die selbstpräsentation z. b. in Ludwigs letztem kämpf,
Str. 1432. Das höfische epos dagegen arbeitet ständig mit diesem aus
Frankreich stammenden paragraphen des ritterlichen ehrenkodex, und
wo der höfische stil das volksepos beherrscht, wie etwa im Biterolf,
dringt auch diese anschauung mit ein. Insbesondere scheint mir
Wolframs so populär gewordener Parzival für die Umgestaltung des
Hildebrandliedes von bedeutung geworden zu sein. Ich denke dabei
an den zusammenstoss zwischen Parzival und Feirefiz (15. buch, 745 ff.).
Parzival trifft hier unerkannt auf seinen bruder Feirefiz, und da keiner
dem anderen seinen namen nennen will, kommt es zum kämpf. Par-
zival wird besiegt, will aber lieber sterben, als seinen namen kundtun.
So entschliesst sich der sieger, Feirefiz, sich zuerst zu nennen, und
das führt zu unmittelbarer erkennung und Versöhnung. Dies ritter-
liche Schema des Verwandtenkampfes hat die darstellung des j. H.
hervorgerufen. Wie beliebt und zugkräftig es war, ersieht man daraus,
dass es in der deutschen heldendichtung noch einmal Verwendung
fand in Siegfrieds kämpf mit seinem neffen Amelung, den die Thidreks-
saga in ihren Bertangazug eingefügt hat, und der nur eine Variante
des Schemas des j. H. ist, denn auch hier weiss Siegfried von vorn-
herein, wer ihm gegenübersteht und unternimmt den kämpf nur, um
seinem übermütigen neffen einen denkzettel zu erteilen. Auch der
scherzhafte kämpf zwischen Alphart und Hildebrand im Alphartliede
dürfte zu derselben gruppe mit demselben Schema gehören, worauf
Jiriczek in seiner Heldensage aufmerksam macht. Jedesfalls wird
durch die zentrale Stellung der namensfrage im verlauf der ereignisse
das j. H. in eine gruppe von produkten gerückt, in denen die alten
heldenstoffe sich bis in ihren kern hinein stärker als etwa das Nibe-
lungenlied mit ritterlichem denken und wesen durchsetzt haben, eine
gruppe, deren hauptvertreter der Biterolf ist. Schon diese erwägung
202 U. DE 1500R
macht es zweifelhaft, ob das j. H. tatsächlich nur als ein rein volks-
tümliches, kurzes lied existiert hat.
Man kann in dieser richtung der kritik weitergehen. Das alte
fragment beginnt mit dem zusammenstoss zwischen vater und söhn
undar heriun tuem. Das jüngere lied hat eine vorbereitende szene
von vier Strophen davorgeschoben. Hildebrand äussert seinen wünsch,
nach Bern zu frau Uote zu reiten. Da warnt ihn herzog Abelon vor
dem jungen Alebrand, von dem er 'angerannt werden würde'. Hilde-
brand aber freut sich auf diese begegnung und will dem söhn einen
tüchtigen denkzettel geben, an dem er ein jähr lang zu tragen haben
soll. Dietrich von Bern legt jedoch ein gutes wort ein, da der junge
herr Alebrand ihm von herzen lieb sei. Die szene führt also in das
kleine stück mit seinen zwei oder - frau Uote eingerechnet - höch-
stens drei personen, zwei weitere persönlichkeiten, herzog Abelon und
Dietrich von Bern unvermittelt ein, ohne dass sie im verlauf der
haupthandlung eine rolle spielen. Die liedhafte einheitlichkeit und
geschlossenheit der fabel wird damit nach vorne zu völlig durchbrochen.
Eine ähnliche durchbrechung der liedmässigen abrundung ist auch für
den schluss erweislich, wo nur die korruption des textes den über-
blick erschwert. Von dem MSD^ H, 26 ff. mitgeteilten kritischen
text der drucke können die abschlüsse beider gruppen als ganz jung
nicht in betracht kommen. Weder die flickzeileu der gruppe aik»
noch die entlehnung aus der Möringerballade im rest der drucke gehen
über die archetypi zurück. Etwas besser steht es mit den hand-
schriften, die einen vollständigeren schluss bieten. Von ihnen kommt
in erster linie Kaspar von der Rhön in betracht, demnächst die nieder-
ländische Version und die Woltfenbüttler hs. Letztere war mir hier
nicht zugänglich. Das kleine Wiener fragment, mitgeteilt in von der
Hagen-Primissers Heldenbuch ist verworren und wenig aufschlussreich.
Kaspars text ist in vielem natürlich wieder ein greuliches machwerk,
ist uns aber hier wichtig als der Vertreter einer längeren version, die
sonst nur noch in niederländischer Übersetzung vorhanden ist \ Weder
1) Die längere version verteilte die reden zwischen mutter und söhn (str. 19
der drucke) auf zwei Strophen, ehenso sah die vorläge der druckversion aus, denn
str. 20, 1 gehört noch zum alten bestand. Den rest schnitten die drucke zugunsten
ihrer verkürzenden Schlüsse weg. Kaspar macht drei Strophen (24—26) daraus, von
denen 26 ganz und 25, 5—8, seine eigene mache sind. 24—25, 5 werden grösstenteils
durch das verworrene Wiener fragment gedeckt, von dessen 16 halbzeilen 11 teil-
weise stark umgestaltet, bei Kaspar wiedererscheinen. Die letzte zeile der ersten
.««trophe des Wiener fragments ist ausgemachtes flickwerk, ebenso die zweite halb-
DIE NORDISCHE UND DEUTSCHE HILDEBRANDSAöE 203
Kaspar noch N. schliessen mit der erkennungsszene zwischen Hilde-
brand und Uote ab, die ein gegebener schluss für den versöhnlichen
ausgang waren, wenn es nicht mit dem abschluss des kampfes genug
sein sollte. Vielmehr beschliessen die herren und Uote nach der
erkennungsszene, sich nunmehr nach Bern zu begeben. Trotzdem die
eingangsstrophe also voraussetzte, dass Hildebrand in Berner gebiet
hinein tritt, um mit seinem söhn zusammenzutreffen, ist Uotes bürg
nicht Bern, sondern es schliesst sich ein ritt dorthin an. Bei Kaspar
lautet die strophe:
Sie het im hoff alleine, fraw Gut und auch ir sun
der alt Hilprant gemeine, der must zu hoff sein nun
inn Lamparten zu Berren, do hin stund im sein syn,
er gesegnet si in eren vnd reit do mit do hin.
Wie der anfang eine nicht liedmässige personenerweiterung, so bringt
also der schluss eine unnötige lokale erweiterung, die aus dem lied
allein nicht zu verstehen ist. Anfang und schluss des j. H. über-
schreiten den alten rahmen in einer weise, die nicht aus stil- und
formgründen motiviert werden kann, sondern auf reste einer umfäng-
licheren darstellung mit einer grösseren menge von auftritten, personen
und Schauplätzen weist.
In einen breiteren epischen rahmen, der geeignet ist, anfang
und schluss des j. H. zu erklären, spannt den stoff nun tatsächlich die
Thidrekssaga ein. Der kämpf Hildebrands mit seinem söhn wird hier
zu einer episode in dem gesamtverlauf von Dietrichs heimkehr, in
einer form, die dem versöhnlichen ausgang des j. H. sehr nahe steht.
Edzardi, Germania 19, 316 f. hat die wörtlichen parallelen zusammen-
gestellt. Der nordische text des 13. jahrhunder-ts ist mehrfach besser
als das j. H.; dass das junge lied den ausruf Hildebrands 'den sireich
lert dich ein wib^ missverstanden hat, während die saga den richtigen
Zusammenhang bietet, ist schon früh erkannt und zur erklärung des
alten liedes mit benutzt worden. Die dreifach gestaffelte anläge des
kampfes, jeweils mit einer ruhepause und dem versuch eines gütlichen
ausgleichs, ist sicher nicht erfindung des sagamannes sondern grössere
epische ausführlichkeit seiner quelle. Dem kämpf Hildebrands mit
Alebrand geht in der saga eine andere episode voran. Als Dietrich
und Hildebrand auf ihrem einsamen ritt in der nähe des heimatlandes
ankommen, treffen sie auf eine bürg, die dem herzog Ludwig und
zeile der ersten langzeile. Die längere Version Kaspars wird also gegenüber der
knapperen der drucke als ursprünglicher erwiesen.
204 H. DE BOOK
seinem söhn Konrad gehört. Ihnen als alten getreuen gibt sich
Dietrich zu erkennen, hört von ihnen die freudenkunde von Ermenrichs
tode und erfährt die erste huldigung als rechtmässiger herr des landes.
Nach dieser begegnung will Hildebrand nach Bern voranreiten, um
womöglich seinen dort waltenden söhn zu treffen. Konrad begleitet
ihn ein stück weges, und schildert ihm warnend die stärke und kampf-
lust Alebrands. Und als Hildebrand nun gerade beschliesst, den jungen
beiden zu bestehen und ihn zur nennung seines namens zu zwingen,
rät Konrad ihm an, dem jungen recken gegenüber lieber freundschaft-
lich aufzutreten. Der ausführliche, auf breiter deutscher quelle be-
ruhende bericht der saga gibt uns die erwünschte erklärung für den
anfang des jungen Hildebrandsliedes. Der rätselhafte herzog Abelon^
der warner, ist der junge Konrad der Thidrekssaga. Er führt im
lied den herzogtitel wie Ludwig und Konrad in der saga. Der saga-
mann kann seine erzählung nicht den kurzen eingangsstrophen des
j. H. entnommen haben, allein die namen Ludwig und Konrad ver-
bieten eine solche annähme. Sie müssen vielmehr der saga in ihrer
deutschen quelle bekannt geworden sein, deren episch-breite erzählungs-
weise die saga getreulich wiederspiegelt. Die Ludwigepisode und die
Alibrandepisode haben in dieser quelle ein ganzes gebildet, und dieses
liegt zeitlich und quellenmässig vor dem jüngeren Hildebrandsliede.
Damit ist die liedhafte Überlieferung bereits durchbrochen, eine solche
Zusammenstellung zweier ganz heterogener episoden gehört der epischen
darstellung an.
Man kann jedoch weiter gehen. Die deutschen namen Ludwig-
und Konrad konnte der Norweger nur aus seiner deutschen quelle
haben. Wenn das j. H. statt Konrad einen anderen namen zeigt, so
weicht es damit von der zu erschliessenden Vorstufe des 13. Jahr-
hunderts ab. Das lied nennt den warner Abelon oder ähnlich (eir,
Kaspar von der Rhön, N), Amelon (1), Abelunc oder ähnlich (abcdfgmop),
Amelung (knqWV). Von diesen formen gibt nur Amelung (dazu die
leichten entstellungen Abelunc, Awelung) einen guten reim und eine
vernünftige anknüpfung an bekannte deutsche heldendichtung und ist
daher vorzuziehen.
Wiederum kann die rückkehrdichtung der Thidrekssaga zur er-
klärung herangezogen werden. Unmittelbar vor der erkennungsszene mit
herzog Ludwig hat Dietrich einen feindlichen anfall durch den jungen
jarl Eisung zu bestehen, der alte unbill rächen möchte. Mit ihm
reitet sein junger schwestersohn Aumlungr = Amelunc. Diese kampf-
szene ist durch die trotzige Verweigerung aller auskünfte auf dasselbe
UIE NOHDISCHE UND DEUTSCHE HILDEBRANDSAGE 20&
ritterlich-höfische niveau gestellt, wie die Alebrandepisode, und zeigt
überhaupt keine geringe Verwandtschaft mit dieser. Doch ist ihr aus-
gang blutiger. Eisung und die meisten seiner ritter fallen. Nur
Aumlungr hat ein freundlicheres geschick; er kämpft mit Hildebrand,
der ihn überwindet, aber verschont, und dem er zum dank von Er-
menrichs schwerer krankheit künde gibt, wie nachher Konrad von
Ermenrichs tode. Auch Aumlungr ist keine erfindung des sagamannes.
Mit Eisung und Amelung stehen wir vielmehr, was hier nur kurz
angedeutet werden kann, auf dem boden des Bayernabenteuers des
Nibelungenliedes. Dort wird neben dem herzog Else der 'Elses man
Amelrich' genannt, für den sich Hagen auf rat der meerfrauen aus-
gibt. Die hier behandelte episode von Dietrichs heimkehr in der
saga muss also irgendwelche deutschen Vorstufen haben, die dem
Nibelungenliede nahe standen. Wir haben also folgende konstellation :
die Thidrekssaga kennt aus ihrer deutschen quelle einen Amelung, der
sich in seiner rolle mit dem gleich darauf folgenden Konrad stark
berührt. Das j. H. bietet an einer stelle, die der Konradepisode der
saga entspricht, den Namen Amelung, Dieser befund lässt nur den
einen schluss zu, dass dem j. H. eine dichtung voraufliegt, die Amelung
und Konrad nebst ihren von der saga überlieferten rollen gekannt hat,
und dass das j. H. die beiden figuren zu einer einzigen verschmolzen
hat. Wir werden damit auf eine deutsche dichtung geführt, in der
die drei szenen : Amelung - Ludwig und Konrad - Alebrand in
derselben reihenfolge wie in der saga zu einer erzählungskette ver-
bunden waren, und diese deutsche dichtung ist die Vorstufe des j. H.,
d. h. aber, dass wir noch weiter fort von einer liedhaften zu einer
epischen darstellung geführt werden und zwar zu einem epos, das
Dietrichs heimkehr zum stoff hatte'. Die Aumlungrszene der saga
hat mit dem j. H. ausser dem namen noch den auffälligen zug gemein,
dass der junge gegner den ergrauten beiden Hildebrand verächtlich
androht, ihm den hart auszuraufen. Solange das j. H. als Vertreter
einer stets liedmässigen tradition gelten konnte, war man in der tat
berechtigt, von zerdehnung in der saga zu sprechen. Der alte stolf
vom kämpf des vaters mit dem söhne hätte dann eine reihe aus-
geprägter motive besessen, die in der saga auf zwei auftritte verteilt
wurden, von denen der des jungen Aumlungr der jüngere war. Solche
1) Auch die phantastische, nach spielmäunischer gewohnheit schmeckende
lokalisierung Aumlungs in Babylon dürfte der deutschen quelle der saga angehört
haben. Sollte es möglich sein, dass sie den anstoss zu der namensform Abelou
gegeben hat?
206 H. DE BOOK
epische zerdehnung mag wirklieh einuial eingespielt haben, doch nicht
in der saga, sondern in deren epischer quelle. Sobald aber auch für
das j. H. eine episch breite Vorstufe feststeht, ist auch für das
bartmotiv das Verhältnis des j. H. zu der Aumlungrepisode anders
zu beurteilen. Es muss auch dies motiv beim zurechtschneiden der
jungen liedform aus der älteren epischen darstellung von der Aum-
lungrepisode herübergeholt worden sein.
Wie die einleitenden, so führen auch die schlusstrophen in die
episch breite darstellung der Thidreksaga hinein. Die längeren Versionen
des j. H. schliessen wie erwähnt mit einer kurzen andeutung, dass
die wiedervereinigten sich nun nach Bern aufmachen. So berichtet
auch die saga im anschluss an die erkennungsszene und als einleitung
der nun folgenden ereignisse: epier pnt taka peir s'ina hesta og riäa
til Bernar. Man sieht, dass der schlusstrich des liedes nicht an einer
markierten grenzstelle im sagatext gezogen werden kann. Der auf-
bruch nach Bern ist nicht der beruhigende abklang des aufregenden
zusammenstosses zwischen vater und söhn, sondern der auftakt zu
den nun folgenden kriegerischen Schlussereignissen. Bern ist der
ausgangspunkt der aktion Dietrichs gegen Sibeche und der Versamm-
lungsort des heeres, mit dem die aktion durchgeführt werden soll.
Hier empfängt Dietrich die ersten öffentlichen lehnshuldigungen und
regelt die lehnsverhältnisse neu. Von dieser sehr breiten darstellung
ist begreiflicherweise nichts in dem lied vorhanden. Aber der erste
schritt des ganzen, der aufbruch Hildebrands nach Bern ist doch be-
richtet und ist uns ein zeugnis dafür, dass das j. H. auch hier nur
ein ausschnitt aus einer ausführlichen epischen darstellung ist. Die
art, wie dieser zug nach Bern bei Kaspar v. d. Rhön berichtet wird,
dass Hildebrand in 'Peren inn Lamparten zu hoff' sein musste, lässt
doch den offiziellen charakter dieser lehnsversammlung noch sehr wohl
empfinden.
Als gesamtresultat ergibt sich also, dass das j. H. kenntnis der
ganzen heimkehrdichtung von der Amelungepisode bis zum beginn der
Schlusskämpfe verrät und am anfang und schluss Überschussstücke hat,
die sich genau in den sagaverlauf einpassen. Da die saga selbst als
quelle des j. H. natürlich nicht in frage kommt, so werden wir auf
eine deutsche epische dichtung des 13. Jahrhunderts gedrängt, die als
gegenstück zu Dietrichs Flucht als 'Dietrichs heimkehr' bezeichnet
werden kann. Dieses epos machte sich eine reihe älterer episoden
verschiedener herkunft zunutze, und hatte die absieht, den zyklus von
Flucht und Rabenschlacht, so wie er sich unter dem eindruck von
DIE NORDISCHK UND DEUTSCHE HILDEBRANDSAOE 207
Dietrichs teilnähme an der Nibelungenkatastrophe gestaltet hatte, zum
abschluss zu führend Das so erwiesene epos näher zu analysieren,
fällt aus dem rahmen dieser Untersuchung. Nur andeutend sei gesagt,
dass es zunächst mit motiven der Klage arbeitet und nach dem abschied
von Etzel dem weg der Klage über Bechlarn nach Bayern folgt. Das
Bayernabentener des Nibelungenliedes oder damit zusammenhängende
dichtungen werden in dem vorsichtigen reiten der einsamen heim-
wanderer und in dem Eisungabenteuer ausgenutzt. Nach der sonst
unbekannten erzählung von Ludwig und Konrad wird dann Hildebrands
kämpf mit seinem söhn, der ja von anfang an seinen chronologischen
hintergrund in Dietrichs rückkehr hatte, dem gesamtkomplex der rück-
kehrdichtung einverleibt. Für das entscheidende schlussgefecht bei
Raan ist die Rabenschlacht selbst, für den ganzen historisch-politischen
anstrich der grossen Schlussaktion zeitpolitisches Interesse massgebend
gewesen. Dieser aufbau aus grösstenteils nachweisbaren motiven
anderer dichtungen und der mehrfach betonte höfische einschlag in
der ganzen lebensform und lebensautfassung bestimmen das epos von
Dietrichs heimkehr als ein relativ spätes produkt und weist es der
Schicht später quellen zu, die wir neben recht altertümlichen in der
saga beobachten können (herzog Iron, Herburt und Hilde u. a.).
Aus dem rahmen, in den so das j. H. tritt, verstehen wir nun
auch besser die Umstellung von tragischer zu freundlicher anläge. Sie
geschah nicht aus einem allgemeineren, behaglicheren Zeitgeschmack
heraus, sondern aus der speziellen künstlerischen notwendigkeit der
gesamtstimmung des werkes, in dem es nur episode war. Das alte
fragment hat als deutlich gefühlten historisch-poetischen hintergrund
Dietrichs kriegerische heimkehr, die in der Rabenschlacht, dem schweren
und blutigen sieg über Otacner, gipfelte. Dazu stimmt die tragik des
alten, getreuen Waffenmeisters. Das mittelhochdeutsche epos der späten
rückkehr führt Dietrich und Hildebrand als einsame wanderer in die
heimat zurück, nachdem die Nibelungenkatastrophe die letzten getreuen
hingerafft hat. Es ist die wehmütig stille erfüllung eines lebenstraumes,
den die kraftanstrengungen der Rabenschlacht nicht hatten verwirk-
lichen können, und die nun als späte frucht dem alternden beiden
von selber zureift. Die ergebung und wehmut dieses letzten glucks
1) Priuzipiell richtig ist das j. H. schon in v. ünwerth-Siebs Ahd. literatur-
geschichte s. 67 bewertet, wo jedoch verständlicherweise die ausführliche einzel-
analyse nicht gegeben werden konnte. Meine darstellung gibt das wieder, was in
häufigen besprechungen mit W. v. Unwerth über die komposition der Thidrekssaga
von uns für eine partie der saga gewonnen worden ist.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE.. BD. L. 15
208 H. DE BOOR
klingt in den worten nach, mit denen Dietrich nach gewonnener
Schlacht den getreuen Alebrand begrüßt: 'gewiss ein glücklicher tag,
aber wenn das glück neun jähre früher gekommen wäre, stände es
besser um Amiungenland.' Die ganze heimkehr ist in matte, wolken-
lose herbstbeleuchtung getaucht; wie sollten da grelle kontraste und
starke schatten platz linden ! Dietrich kehrt heim wie Odysseus ; das
schwerste ist durchlitten, die bösewichter haben ihren lohn dahin, das
späte glück darf nichts mehr trüben. Unter dem druck dieses Stimmungs-
moments wurde die alte, hier unmögliche tragik des HildebrandstoflPes
umgestellt auf eine darstellung, die den glücklichen ausgang von vorne-
herein verbürgt. Auch das Bayernabenteuer der saga hat deutlich
diese freundliche und versöhnliche neigung. Dem dichter gieng es
freilich nicht auf, wie sehr er den zur tragik geschaffenen stofif de»
kampfes von vater und söhn damit entwurzelte.
Ich glaube, dass diese neue beleuchtung des j. H. auch eine ver-
änderte beurteilung der bekannten Marnerstelle verlangt, an der er
sein repertoire aus der heldendichtung aufzählt. Unter den angeführten
stücken befindet sich nach der Kolmarer handschrift auch : von wittich
und voti keimen strit, von des jungen albrandes tot. Holtzmann wollte
Germania 5, 445 hier einen Schreibfehler für ^Älpliartes erkennen, die
stelle' also zusammen mit der vorangehenden zeile auf das Alphart-
lied beziehen. Strauch in seiner Marnerausgabe s. 36 drückt sich
über die stelle höchst unklar aus. Er führt mit recht gegen Holtz-
mann aus, dass ein 'junger Alebrand' im bereich der deutschen
heldendichtung als söhn Hildebrands existiere, der hinweis auf
Alphart also unnötig sei. Zuletzt aber hebt er selbst diesen hinweis
wieder auf und meint: 'die annähme eines Versehens hat hier die
grösste Wahrscheinlichkeit'. Die gesamtdarstellungen von Jiriczek und
Sijmons übergehen das Marnerzeugnis, scheinen sich also Holtz-
mann oder Strauch anzuschliessen. Aber wie soll man sich ein solches
versehen denken? Wie soll aus dem text der Pariser Marnerhand-
schrift: Sigfriedes ald kern Eggen tot die Kolmarer fassung durch ein
versehen entstanden sein ? Oder wenn man wirklich von Alphart ausgeht,
wie kommt dann Alebrand, der held eines glücklich endenden kampfes,
durch ein versehen an diese stelle, die gerade nur seinen tod erwähnt?
Ich glaube, man muss das Marnerzeugnis einfach nehmen wie es da-
steht, nämlich als einen beweis für das fortleben der tragischen kampf-
version noch um die mitte des 13. Jahrhunderts. Dann wäre die
Pariser version so aufzufassen, dass sie von einem aufzeichner stammt,
der die glückliche form des rückkehrepos kannte, und der darum den
DIE NOKDISCHE UND DEUTSCHE HILDEBRAND SAGE 209
jungen Alebrand durch zwei bekannte tragische beiden, Siegfried und
Ecke, ersetzte. Nach der oben entwickelten entstehungsgeschichte der
versöhnlichen version des Hildebrandstoffes ist diese nicht älter als die
erste hälfte des 13. Jahrhunderts, und ist in dem Zusammenhang eines
einzelnen, ganz bestimmten dichtwerkes entstanden. Das ältere einzel-
lied mit tragischem ausgang, das noch im 12. Jahrhundert dem skan-
dinavischen norden bekannt wurde, hat natürlich daneben noch weiter
existiert und kann um 1250 sehr wohl zum repertoir des fahrenden
Marnei; gehört haben. Später ist es vergessen worden; die Pariser
Variante des Marnerspruches ist ein zeugnis dafür.
Ich habe hier versucht, der entwicklung des Hildebrandstoffes,
sofern wir damit den kämpf des vaters mit dem söhn bezeichnen,
möglichst genau zu folgen, und stelle hier noch einmal kurz die
resultate zusammen. Der Hildebrandstoff ist ostgotische lokalisierung
eines alten epischen motivs vom kämpf des vaters mit dem söhn auf
eine vermutlich historische persönlichkeit. Indem der alte Hildebrand
mit dem Gesimundus der ebenfalls ostgotischen Hunnenschlachtdichtung
vermengt wurde, trat er auch in den dort geschilderten tragischen
bruderkampf ein. Er wurde der held eines solchen, doch unter bei-
behaltung der alten Hildebrandtragik vom wissentlichen kämpf inner-
halb der sippe. Diese dichtung gab die grundlage für die weitere
behandlung des Stoffes im norden.
Der deutsche zweig zeigt die berührung der beiden genannten
dichtungen in anderer form ; der eigentliche Hildebrandstoff bleibt frei
davon, der kämpf des vaters mit dem söhn entfaltet ungehemmt seine
tragik, indem er in den historisch-poetischen Zusammenhang von
Dietrichs schwererkämpfter rückkehr (Rabenschlacht) gestellt wird.
Diese selbst zeigt wenigstens in der szene von Hildebrands wart, viel-
leicht aber in weiterer ausdehnung einfluss der Hunnenschlachtdichtung.
Die tragische form des Hildebrandstoffes bleibt in Deutschland lange
lebendig; sie wird im 12. Jahrhundert dem skandinavischen norden
bekannt, der sie seiner Hildebranddichtung äusserlich und ungeschickt
einverleibt; sie ist noch für das 13. Jahrhundert durch den Marner
bezeugt. Die Umgestaltung der Rabenschlachtdichtung, die mit rück-
sicht auf Dietrichs teilnähme an der Nibelungenkatastrophe mit frei-
williger neuer landflucht endigt, führt in der immer konsequenter
ausgebildeten Dietrichbiographie zu einer letzten dichtung 'Dietrichs
heimkehr'. Bewahrt ist uns diese in dem bewusstesten versuch einer
harmonisierenden gesamtdarstellung von Dietrichs Schicksalen, der nor-
wegischen Thidrekssaga. In dieser dichtung wird der Hildebraudstoff
15*
210 STRAUCH
episode, die sich der gesamtstimmung anpassen, ihren tragischen
schluss aufgeben und höfische motive aufnehmen muss. Die eignung
des Stoffes zum inhalt eines einzelliedes führt dazu, dass die episode,
nun mit gemütlichem ausgang, aus dem epischen gesamtkomplex von
neuem herausgelöst wird (j. H.). Die unsichere Schnittführung lässt
aber die angrenzenden teile der epischen darstellung noch wohl er-
kennen. Das j. H. kann also nicht als zeuge für eine fortdauernde
liedhafte tradition auf dem gebiet der heldendichtung dienen.
GREIFSWALD. H. DE BOOK.
DER ENGELBERGER PREDIGER
(Schluss.)
Fehlerhafte flexion in fremdworten und eigennamen wird oft dem
abschreiber, der hie und da auch in der kapitel- und versangabe der
perikopen irrt (Sb la, 7. 12a, 4), zur last zu legen sein: vil ceremoniis
(acc. pl.) Sa 84b, 24; dien phariseus (dat. pl.) Sa 88b, 12. 21; Sb 74b,
13 (daneben aber auch richtige flexion) ; no vi eins {dat. pl.) Sb. 40b, S;
das buch Genisi (acc.) Sb 9b, 13; und dar umhe liset jnan nach libri
Begmn libri Sapiencia Sb 10b, 3j vocahidum als acc. masc. Sa 75b, 25;
fantasma (nom. pl.) Sb 153b, 18; Nemo assirü (nom.) Sb 80 a, 28 statt
Naaman Syrus (Reg. 4, 5), vgl. die varr. nennian, neumati Sb 80b,
15. 16 = Wackernagel nr. 70 var. zu z. 136. 151. 152; Yessi fannili
(= famuli) Heli/{sei): Yessi was ein knecht Heliseus Sb 80b, 13. 14.
Dagegen kommen folgende entgleisungen auf rechnung des predigers:
Sa 2a, 2 uf den berg in montana, vgl. Luc. 1, 39; Sb 204b, 30 in der
stat Cyrino beruht auf einem missverständnis von Luc. 2, 2 a j)raeside
Striae Cyrino; Sb 205a, 14 ist turris (Cant. 4, 4) mit currus ver-
wechselt (siehe oben s. 42); Sb 145b, 17. 22 Zachäus ein färste der
sunderen eine Vermischung von Luc. 19, 2 princeps publica nonan und
Luc. 19, 7 peccator, siehe übrigens p. A. Schott, Das messbuch der
h. kirche (Missale romanum), 21. aufl., s. [74] anm. Die Übersetzung
der 9. Strophe aus der fronleichnamssequenz Lauda Sion salvatorem
(Sb 31b, 14ff., siehe unten s. 215) greift fehl, indem sie vermutlich bei in-
teritus an interius denkt und dieses durch inwendig wiedergibt: in (den
fronleichnam) nement bös und nement in gfit, aber das los valt ungelich
in inwendigem leben, er ist ein tot der bösen und das leben dien
STRAUCH, DER ENGELBERGER PREDIGER 211
guten. - Vgl. auch Sb 135a, 25 f.; 136», 8 f. in die teil des keisers
{Cesaris) Ph/hppi für partes Caesareae Philippi (Matth. 16, 13). Auf-
fallen muss auch die fröw von Samaritern Sb 63», 11. 14 (Job. c. 4).
Schon Rieger bat bei Wackernagel s. 436 aus gelegentlichen an-
spielungen in den predigten unseres anonymus die zeit ihrer ent-
stehung nach 1350 angesetzt, da Sb 199a (= Wackern. s. 595 z. 12 oben)
vom Jubeljahr - nur dieses jähr kann neben der erwähnung von Avig-
non (Sb 198a, 5. 199a, 4. 15 = Wackern. s. 594 z. 3 unten, 595 z.
11 oben) in betracht kommen — geredet wird. Die rnannigv altigen
freisen, die ietzant sint in aller der cristenheit und ivie recht sorgklich
es ietzant stat umh die lüt (Sa 12P, 16 f. = Wackern. 69, 40 f.) kennen
wir auch aus Tauler und der Gottesfreundliteratur. Über die Strass-
burger Verhältnisse zeigt sich der prediger wohlorientiert, wenn es
heisst: (Sa 92a, 8 if . = Wackern. s. 583 unten z. 3 ff.) nu macht du
niut ge^prechen, das du sin (gottes wort) niut habest und du im niut
mugest nach gelouffen, so ivirt es dir aber nach getragen subtilklicher
und minneclicher denne dien die ze Strasburg in der stat sint und eti-
mitten dar under sint. Es ivirt dir nach getragen von den lieben
friunden gottes. JJnt ivirt dir wenig lieplich buoch gesendet. Er will
damit wohl sagen, dass die weltabgeschiedenen nonnen von Engelberg
ihr geistliches leben nachhaltiger fördern könnten als die, welche dem
unruhigen städtischen getriebe in Strassburg ausgesetzt seien. Und
ähnlich lautet es Sb 82 a 7 ff. = Wackern. 70, 221 es ist vil geistlicher
menschen, die wenent inen well himelrichs und ertrichs gebresten, und
louffent mit ir sinnen und sorgen har und dar. ja! si louffent gen
Basel, gen Rom und gen Strasburg, ina! min kint, was wiltu gen
Strasburg umb holtz, du vindest sin doch hie genuog.'r du bleibst doch
im gedränge, wenn du dich nicht 'lassen' willst. S. auch Sb 25 a, 22 ff.
(Wackern. s. 594, abschnitt 2, z. 13 ff.) man kann nicht zwei herren
dienen, nicht gott und dem reichtum. min kini, nu muostu doch disü
zergangklichen unmUzen ding gar tiure kouffen, da« du dinen got dar
umbe ver Hurest und dinen fride zerstoerest und din hertze (25 1>) ver-
wirrest und din inivendikeit zerstroeivest und du recht Strasburg wirdest,
das alles das, das dise zit geleisten mag, guot und boes, das das alles
stat in dir vindet. Davon wende dich ab und gehe zu dem, wo du
allein ewiges leben, freude und friede findest ane aWs kouffen. Auch
hier ist also Strassburg als statte des unruhigen Verkehrs gedacht und
Wackernagel gab dem exzerpt den titel 'Strassburger messe'.
212 STKAUCH
Den bevorzugten heiligen des Engelberger klosters, s. Andreas
und s. Benedikt, gelten besondere predigten an ihren festtagen: dem
ersteren Sa nr. 3-5, s. Benedikt Sa nr. 8. 9 in anknüpfung an des
Gregorius Vita s. Benedicti, vgl. auch Sa 102b, n. Gelegentlieh sind
Zitate aus der Benediktinerregel ^ und zwar aus der deutschen im
13. Jahrhundert zu Engelberg verfassten Übertragung (Geschichts-
freund 39 (1884), 1 ff., s. dazu Braunes Beiträge 44, 483 ff.) entnommen:
Sb 27a, 6 f. die mönschen — die, do heissent selbweller (sarabaitae) =
15, 23. 16, 7; Sb 131b, 20 ez ist uns ietz zit uf ze stan von dem
slaffe == 12, 7f. ; Sb. 170*, 19 f. der tot und das leben ist in dem ge-
walt der zungen = 24, 18 f. - Auf die legende der h. Agnes wird Sb
106a, 18 angespielt: Induit me dominus ci/clade, vgl. Mombritius, Sanct-
uarium 1, 41, 3, auf die h. Katharina Sb 152 a, 20 (Wackernagel
s. 591, 286 ff.), auf die h. Tecla und Paulus Sb 162 b, i. Zusammen
genannt werden des öfteren die h. Jungfrauen Agatha (Sb 14b, 7),
Agnes(a) (Sb 14b, 6. 79a, 16. 106a, 18. 132b, 26. 205b, 65), Cecilia
(Sb 92 a, 20. 132 b, 25. 205 a, 66), Katherina (Sb 79 a, 16. 92 a, 19.
99 a, 4. 132 b, 24. 205 a, 65), Margareta (Sb 14b, 7. 79 a, 16. 92 a, 19.
99 a, 3. 132 b, 24. 205 a, 65).
Wie in der Gottesfreundliteratur spielt auch in unsern predigten
Maria Magdalena eine vorbildliche rolle. Sie hat den vortritt vor allen
Jungfrauen: mögen auch die h. Margareta und Katharina luterer von
jugent (lies tuyent ?) gewesen sein, so leuchtet sie doch vor allen und das
sichest du wol, das man si in aller der cristenheit an der letanie an erster
stelle nennt (Sb 99 a, 3 ff.). Nicht nur, dass ihrem gedenktage eine
besondere anspräche (Sb 92 a nr. 12) gewidmet ist, auch sonst wird
an zahlreichen stellen (Sa 83a, I5ff. 123b, 4 ff . 141b, 3 ff. Sb 19a
23flf. 58a, 6 ff. 123a, 15 ff. 191a, 22 ff. 193a, 23) auf sie hingewiesen,
wie sie in ihrem Schamgefühl blindlings auf den herren zustürzt als
ein löivin der ir kint genomen sint, Sa 123 b, 22 (= Sb 94 b, 21) si
gieng in ein sünderin und viel zu dien fässeti Christi ein ruwerin und
stund uf zu dem höpt Christi als ein schowerin {won hi dem höpt ver-
stat man ein schowent leben Sb 94b, 25), wie sie dann als böte {böttin)
des herren ganze königreiche bekehrte und, als man ihr das predigen
untersagt, sich in die wüste zurückzieht, wo sie von gott mit himmels-
brot gespeist, aus der sie täglich siebenmal durch engel in den himmel
entrückt wird, das dreifache Sanctus der Seraphin und Cherubin zu
1) Von ihr, einer auswahl, einer Zusammenstellung aus der patristik heisst
es Sa 66*>, 3: won es ist besser ein bicch wol gelernet und gelesen ilnd das wol be-
halten denne vil hüchren lesen und si mit behalten.
DER ENGELBERGER PREDIGER 213
hören (vgl. Heinzel zu Heinrichs von Melk Erinnerung v. 26). Der
Prediger beruft sich, um seinen ausführungen grösseren nachdruck zu
geben, für einzelnes auf Gregor (Sa 123 b, 8) und Origenes (Sb 99 b,
19. 25). Im allgemeinen folgt er der legende, wie wir sie bei Hra-
banus Maurus und anderen lesen. Hervorgehoben zu werden verdient
jedoch Sb 101a, l ff. ; yach der urstendü Christi do (jieng si uss
hrödien und bfkeri als vil lüte zu kristeneni geloben als kein apostolus.
— si hekert von Marsylia der stat alle die Inf untz gegen Zürich und
die minren stat Zürich, nüt das si gegen Zürich kerne, si bekert aber
den küng (Turicus), des du stat was, si und ir stvester Martha und
cecus natus der blint geborn was (Joh. 9, 6) und du frowe du do sprach
zu Christo: Beatus venter. Selig ist der Hb der dich trüg (Luc. 11, 27).
D/sü frowe hies Maximilla (recte Marcilla oder Marcellaj. Dem Engel-
berger prediger mochte als Schweizer diese legendenvariante aus
volkstümlicher Überlieferung geläufig sein, vgl. die gründungssagen von
Zürich in der Chronik der Stadt Zürich, herausgegeben von Joh.
Dierauer (Quellen z. Schweizer gesch. bd. 18), Basel 1900, s. 6, 2 ff.
und s. 7 anm. 1.
Im übrigen hat die legende vom missionswerk der h. Magdalena,
Martha und des Lazarus in der Provence, insbes. in Marseille und
Aix weite Verbreitung gefunden, s. L. Clarus, Gesch, der h. geschwister
Magdalena, Martha und Lazarus, Regensburg 1852, s. 254. 140 anm.;
Ch. Barthelemy, Les vies de tous les saints de France 1 (1860), Iff. 83;
La grande encyclopedie 21, 1078 art. Lazare; Analecta Bollandiana
15, 84 f.; B. Altaner, Venturino von Bergamo s. 112 anm. 9.
Auf den h. Franziskus nimmt Sb 34 b, 35 bezug, eine stelle, für
die sich Herman von Fritzlar im Heiligenleben 215, 9 ff. auf Bona-
ventura (wo? ich finde nur ähnliches) beruft, Sb 80a, 17 (Wacker-
nagel 70, 127 ff.) gibt ein zitat aus der Vita Augustini (Mombritius,
Sanctuarium 1, 115, 14 ff.), das sich ebenfalls in Hermanns Heiligen-
leben 186, 39 ff. findet. Vgl. auch Sb 161b, 05 ff. _ Auch die alt-
väter sind bisweilen dem prediger erwünschte gewährsmänner: Sa
94 a, 20 ff. (vgl. Väterbuch, herausgegeben von Reissenberger v. 14 105 ff.) \
Sb 105 b, 7 ff. (Reissenberger v. 2407 ff.), 107 a, 4 ff., 178 a, 4 ff . (Reissen-
berger V. 12 747 ff. y 21095ff. ?). - Auf ein handschriftliches Marien-
leben beruft er sich Sb 204 b, 77 2.
1) Dasselbe exemplum auch bei Hartuug von Erfurt s. J. Weruer, Aus
Zürcher hss. 1919 s. 16 f.
2) Es stat och geschriben, dz si von der ubertrejfenden schöni so ir minnenk-
lich antlit hat die wil si dz gemint kindeli Jhesus trSg, da si (205'») Joseph ir ge-
214 ' STRAUCH
Um seinen lehren grösseren nachdruck zu geben, beruft sich der
belesene prediger auf die kirehenväter, die liehen heiligen und die
hocheii lerer Ambrosius, Augustin, Beda (den erwirdigen), Gregor (den
.süssen lerer) und Hieronymus, sowie auf Ori(g)enes (Sb 99 b, 19. 25.
100b, 11) und den hochwirdigen lerer s. Dionysius (Sb 69b, 7. 176b,
24), denen sich Leo M, (Sb 72b, 3), der hoche himelfürste und heilige
vater Benedictus und s. Bernhart {der minneiit B. Sb 204 b, 46) an-
reihen. Wie viel mehr nutzen haben die Schriften dieser väter ge-
stiftet, in denen wir allen den underscheid finden des wir hedürffen
zu ewigem leben, als die beiden Aristoteles, Tullius und Plato, deren
Weisheit und Vernunft doch nur zeitlich war und daher auch mit der
zeit verUiffen ist (Sa 65a, 2 ff . Sb 72b, 2 ff . 140b, 27 ff. 142a, 16 ff.
148 a, 22 ff.) M Ausser diesen zitaten ist Ambrosius auch noch Sb
205 b, 9 genannt. Augustin ist ausserdem noch neunmal mit aussprüchen
vertreten, auf seine regel Sa 65a, 12 bezug genommen; einer weih-
nachtshomilie wird Sb 151a, 11 gedacht, seine Vita zweimal (Sb 80 a,
17= Wackern. 70, 127 ff., Sb 161b, 25 ff.'^ berührt. Aussprüche des
Gregor sind 16mal zu verzeichnen, auf eine osterpredigt ist Sb 115 b, 26
(Migne 76, 1169 homil. XXI), auf eine pfingsthomilie Sb 208b, 23
(Migne 76, 1220 homil. XXX, s. oben s. 44) angespielt. Auf Hieronymus
fusst pred. 13 in Sa: die 15 Vorzeichen des jüngsten gerichts, zwei
aussprüche von ihm werden Sb 102b, 13,3 i66a, 21 {Virginifas est
angelorum societas)"^ zitiert. Als lieblingsautor unseres Seelsorgers hat
der h. Bernhard zu gelten, auf den er sich nicht weniger als 29mal
maehel recht nie bekant e dz si ir liebes kindli gebar: do wart er si erst recht be-
li-ennent, won er si do erst volkomenlich macht angesechen. Vgl. inhaltlich des
Schweizers Wernher Marienleben v. 2491—2500.
1) Tauler denkt hier anders, s. Vetter 332, 19 ff.
2) Sb 161^,24 also liset man von dem hochen lerer sancto Augustino, das er
also behät was [\%2^) in allem sinen wandel, dz man nie gesach, wo er lachet, dz
sin antlüt sich ie dar zä geschafti.
3) Sb 102 b, 12 uttd dar umbe so liset man, das eins künges tochter, di'i was
ein heidnin und kerte sich z& kristenen geloben und es wart ein also gross sechen uf
si in allen dien landen, das ir der hoch lerer sanctus Jeronimus enbot U7id sprach
z'd ir: bereite dich und mache dich uf mit einem tugentlichen gütlichen wandel und
leben, won allü monschen haut ein ufsechen uf dich, und dar umbe so lag, das si
ni'itzit an dir sechen, das si geergren muge, oder si ivellen sich denne an guten dingen
ergren. des stand du ze friden.
4) Ich finde die stelle nicht bei Hieronymus. Vgl. auch Ambrosii De vir-
gin bus lib. 1 c. 9 ; Job. Damasceni De fide orthodoxa IV, 24 (Migne, Patrol. graeca
94, 1210) Virginitas angliaim est vitae genus.
DER RNGELBERGER PREDIGER 215
beruft, s. auch Wackernagel s. 597. - Sb 13b, 3.1 156a, 24^ geben
ohne nähere bestimmung zitate eines heiligen; vgl. auch Sa 76 a, 7 ich
han gehört von einem mönschen, der zu mir sprach, Sb 82 b, 12 ich
weis einen M. in der zit noch lebent. — Sb 46 b, 12 wird sanctus Urbanus
zitiert, der do schriht co7i dem sncrament: gemeint ist papst Urban IV.
und seine einführung des fronleichnamsfestes, s. oben s. 20 anm. 2.
Aus der dem Thomas von Aquin zugeschriebenen fronleichnamssequenz
Lauda Sion salvatorem werden Sb 3 b, 13. 31b, 15 strophe 9 und aus
der 8. v. 4 ausgehoben, s. Kehrein, Lat. Sequenzen des mittelalters
1873 s. 125 nr. 150; Chevalier, Repertorium hymnologicum 2 (1897),
19 f. ; Thalhofer-Eisenhofer, Handbuch der katholischen liturgik 2, 83.
- Neben den zehn geboten und den glauben sartikeln, an die der
prediger selbstverständlich öfter gemahnt, werden Sb 198 b, 23 auch
die zwölf rate erwähnt, vgl. Sb 78a, 18. 78b, 12 Galilea = ein volbringen
der XII reten. S. darüber Banz, Christus und die minnende seele
s. 122. 373, wo auf die Engelberger hs. 155 bl. 161 Dis sint die zwelf
rate des heiligen geistes aufmerksam gemacht ist, s. auch Eugelb. 243 bl. 80 '.
- Mit der Physiologus- und Lapidarius-literatur ist er vertraut, s. Sb nr. 13
und unten s. 231 f., auch sonst finden wir bisweilen mit wir lesen
eingeleitete zitate: Sa 55b, 16. Sb 8b, 4. 89a, 22. S. unten s. 236.
Mit besonderer Vorliebe wendet der prediger auf die verschiedeneu
gewährsmänner die bezeichnung /m<«o?ß gottes im sinne von Joh. 15, 15.
Jac. 2, 23 an, für David Sb 176 a, 11), Jesaias (Sb45b, 20), Petrus
(Sb 129 a, 23), Nicodemus (Sb 55 a, 14), für die icissagen, patriarchen
(Sb 190 b, 7), apostel (Sb 119 a, 11) und märtyrer (Sb 58 b, 23) wie
für Gregor, Augustin, Benedictus und s. Bernhard (Sb 151b, n. Sa
64 b, 3. Sb 4a, 3), bald ohne (Sa 56 a, 32. 115 a, 22. Sb 64 b, 16.
70b, 10. 85b, 13. 90b, 24. 104a, 27. 134a, 13. 151b, 22), bald mit
hinzugefügtem epitheton: heimlich (Sa 64 b, 3. Sb 55 a, 14), minneclich
(Sa 78 b, 7. 129 b, 18. Sb 135 a, 2. 142 b, 7), uzerwelt (Sb 200 a, 22),
colkomeu (Sb 127 b, 27), ivar (Sb 8 a, 9. 14), die rechten geivaren armen
1) Es spricht ein heilig: und hab ich allii ding gelassen und han ich mich
selber mit gelassen, so han ich nüt gelassen.
2) So spricht ein heilig: 0 edlü sele, erkenne dich, dz allein an got lit din
leben und (156 b) din heil und allü din selde, und erkenne dich, dz du din tugent
und alle din selde allein von ime hast und wie krank du wirst, wetm got sin gnade
underziichet.
3) Das kleine stück begegnet auch soust hslich, wie es scheint, in ver-
schiedenen fassungeu: Trier hs. 627 (Keuffer 5, 83 f.). 2017 nr. 5 (Verzeichnis der
deutschen has. 7, 58); Strassburg L. germ. 516 2'> bl. 168 (Becker s. 27); Stuttgart
hs. Brev. 88 4" bl. 62 b? (Simon, Schwester Katrei s. 26); Zeitschr. 14, 82.
216 STRAUCH
fr. (j. (Sb 13 a, 18 f.). Eine Sammlung der wichtigsten stellen gibt
Wackernagel s. 583-588, vgl. auch Sa 127 b, 1 f. = Wackern. nr. 69,
226 flf., Sb 82 a, 22 = Wackern. nr. 70, 232, Sb 135 a, 3 ff. = Wackern.
588, 160 und s. 438: cjelebter (lotescriunt, auch bei Tauler (Schmidt,
Job. Tauler s. 38 anm. 2, fehlt bei Vetter), Seuse {geleptü menschen,
Bihlmeyer 338, 2), Bannerbüchlein ed. Jundt 398, 12 ; Sb 151 b, 22 ff. -
Wackern. 590, 271 ff., Sb 153 b, 6 ff. = Wackern. 592, 328 ff. Genau
wie bei Tauler (Wackernagel s. 437, Schmidt s. 167, Denifle, Taulers
bekehrung s. 30, Preger, Gesch. der deutschen mystik 3, 229. 395)
erscheinen auch hier die gottesfreunde als dte sül der heiligen krislen-
heit, vf die die heilig kristenheit gehuwen ist, und enweren dis ?n6n-
(Sa 2d^)schen niH, du heilig kristenheit gestund ein stund nüt (vgl.
Tauler ed. Vetter 169, 28 f. wörtlich ebenso, s. auch 407, 5f. ; die
sulen der ivelte 24, 4. 80, 18. 406, 35), als ein fundament der heiligen
kristenheit, won got hat gebmven und gesalzt sin kilchen (Sb 142 a)
uf disii volkomen manschen, ivon si'i sint ein uf enthalt der kristenheit^
won ane disü minnenklichen manschen so möchte du kilche ein stund
nid gestan; Sb 127 a, 15 also ist es umb das schowlich leben, das ein
ding ist dar in got grossen lust hat an den monschen und die heilig
Mich grossen nutz, und du möchte nnt bestan ane disü monschen, won
etlichü von inen sint sül der kristenheit. Auch das Bannerbüchlein ^
(Jundt 401, 33 ff.) hat den terminus von Tauler übernommen (s. übrigens
Gal. 2. 9). Das widerspiel dieser wahren gottesfreunde sind die
fryen geist, die sich fry machent mit valscher lidikeit Sa 87 b, 5 f.,
vgl. Tauler ed. Vetter 219, 1. 250, 4; Schmidt, Tauler s. 140.
Mehrfach wird auch auf lehrmeinungen (Wackernagel s. 597
*s. Bernhard') eingegangen unter berufung auf die meister und lerer.
So heisst es:
Sa 26 b, 4 mit bezug auf 1. Cor. 2, 9: hie ist ein hoch disputieren von den
grossen meistren und lererren, was dis si das nieman gesprechen mag und
doch der lieb sanctus Paulus so minnenklich dar us gesprochen hat. ist das war?
ja! hat ers aber gesprochen als ers bevand? nein! er hatz gesprochen als ers macht ;
Sa 51*, 26 won die meister sprechent, das der mönsche nie ist do er ininnet
denne do er leben git, ebenso Sb 2*, 9 als die meister schribent;
Sa 59a, 26 dar umb die heilig cristenheid ist genemet von den lerem die
strittend kilch, won si in iren gelidern strittend wider alles dz got mit ist;
Sb 13 f», 19 mit bezug auf Matth. 19, 27: dar umbe spricht ein lerer:
O Petre, du hast wol geret, won du hast das aller liepste gelassen das du hattest,
und das wert du selber, und alles das du in diner begirde möchtest han gehebt;
1) Überhaupt kommt die gauze Strassburger Gottesfreund-literatur hierfür
gleichfalls in betracht. S Bauz, Christus und die minnendc seele s. 56 zu v. 136 flf.
DER ENGELBERGER PREDIGER 217
Sb 4")*^, 17 mit bezug auf Jes. 45, 8: dis sprechent die lerer, das es nochten
was nündhalbhundert jar e das Christus dis spis bereit ;
Sb 109 »•, 11 ein lerer (ganz ähnlich Sa 69*^, 8 ein ho eher yn ei st er)
sprichet: ein abt ist mit dar umb siner miinchen abt noch ein ept ischin ir froicen
■meistrin, dz si inen erlöben stillen dii ding du die regel verbütet, sunder si sond es
inen werren als verre si mugen (Joh. 10, 12). — e das man das unrecht in geistliche
Orden sülle lassen für gan, won siille e den tot do für kiesen;
Sb 136b, 3 nu spricht ein lerer, das der mansche ist microcosmus ^ das ist
dii minder weit und der mansche ist der ander himmel Lac. 17, 21). Vgl. Sa 1071»,
19 f. = Wackernagel 68, 33 f. 41 ff. ; Paradisus anime intelligentis s. XXXI anm.
zu 34, 20; Sb 138 a, 27 Hie sprechent die lerer, 138 b, 19. 26. 139», 5. 13 aber
sprechent die lerer, desgleichen in derselben predigt Sb 140 b, 15 nu sprechent
die lerer , s. oben s. 33 ;
Sb 62 ii, 9 f. mc sprechent die lerer, s. oben s. 22;
Sb 95 1>, 1 ff. Maria Magdalena hat den herren mit kostbarer edelsalbe gesalbt,
was Judas als Verschwendung bemängelt und von der stunde do stalte er iemer mer
dar uf, ivie er Christus verriet und verkdfte, da er itne selber das wider leite und
vergulte das ime do was engangen. dis ivas zweij Jar vor Christus tot, aber etlich
lerer sprechent, dz es tvere anderhalb jar. aber es ist gelöplicher das es zwei/ jar
tverin, won es ist ane ztvivel daz ^laria Magdalena in der rasten bekert wart.
Allein bei aller ehrfurcht vor den 'meistern' und 'lehrern': es
gibt noch ein höheres ! ^ Was allen 'meistern von Paris' verborgen
ist nach der geschrift, vermag gottes gnade zu offenbaren fSa 78 a, 2).
- Mit bezug auf 1. Cor. 9, 20 ff. : die schlichteste predigt des ödesten
'phaffen kann das gleiche wirken wie die aller vermmftigoste brödie eines
hochen meistres von Pargs: ich (Paulus) hin mit allen dingen alles das
si sint dur das ich si bringe zu der minn Christi und ich bin doch
Paulus (Sa 115 a, 13 ff. = Wackernagel 68, 260 ff.). - Mit bezug auf
Joh. 4, 16 heisst es: Johannes, der so tief eingedrungen ist in das
tunsterlich wesen der gotheit, was seine zunge dann so subtilklich und
lieblich ausgesprochen hat: wäre es noch tiefer ingefuret, es were allen
hochen meistren ze unergriffenlich und ze tiefje ze verstau (Sb la, 11 ff.);
als ein kranker mansche erschriket ab dem tonrschlag, also erschrikent
(mit bezug auf Marc. 3, 17 Johannes filius tonitrni) alle lerer, so si
ze gründe uss si'dlent sprechen das er geschriben und (Ib) gesprochen
hat von dem verborgnen heimlichen wesen der gotheit (Sb la, 21 ff.,
ähnlich auch Sb 138b, 12 ff.). S. auch Sa 1181', 21 = Wackernagel
68, 376 ff'. ; Sb 123 b, 10 = Wackernagel s. 586, 109 ff.
In hervorragendem masse versteht es der prediger, seiner seel-
sorgerischen aufgäbe gerecht zu werden. Taulers predigten, wenn
auch überwiegend in der klosterkirche gehalten, haben immerhin eine
1) Hs. ngcrocosmus.
2) Vgl. Banz a. a. o. s. 57 zu v. 186 f.
218 STRAUCH
Zuhörerschaft im äuge, die sieh nicht auf klosterinsassen beschrankt.
Er gibt seinen lehren eine auf weitere kreise berechnete färbung. Des
Engelberger predigers worte richten sich an die seiner geistigen
führung anvertrauten Ordensschwestern, sein ton wirkt persönlicher,
er bemüht sich, die fruchte seines Studiums wie seine reiche erfahrung
inhaltlich wie formell fasslich und anziehend seinen zuhörerinnen mit-
zuteilen. Trotz des scholastisch-allegorisierenden beiwerks in so mancher
seiner predigten bricht immer wieder das streben hervor, die nutz-
anwendung aufs rein menschliche zu stimmen, sie gemütsvoll und
warmherzig zum ausdruck zu bringen. Es liegt ihm daran, nicht als
lehrer, sondern als seelenführer, als gottes- und menschenfreund seinen
Schützlingen nahe zu kommen und sie per Christum hominem ad
Christum deum hinzuleiten. Er ist von der hohen aufgäbe des geist-
lichen berufes nicht nur seiner Vertreter, sondern auch derer, die noch
im aufstieg begriffen sind, ganz erfüllt und stellt an ihn nicht geringe
anforderungen, dabei beobachtet er aufmerksam die dinge des täglichen
lebens auch ausserhalb der klostermauern und verwertet sie zur ver-
anschaulichung seiner betrachtungen.
Die folgenden exzerpte, die nur in kleiner auswahl hier geboten
werden können, mögen dies erhärten.
Das Verantwortungsgefühl der vorgesetzten wird nachdrücklich
betont :
Sa 105 '^j 3. Artzatj artzen dich selber ! wilt du andern lüten tverren tvit höbt-
loch und gesnebel sch&ch, so solt du dch sechen, daz du dich selber gesunt machest^
das gezimet einem artzat tvol das er och gesunt si. es ist menig gross sünder von
geistlichen litten gesunt worden ; sölte er die artznie gekoft han, es hette in gross gät
gekostet, und dar nmbe soltu, geistlicher m&nsche, och vor din selbs artzat sin, daz
du tügest das du och lerest. Das ist die aufgäbe der häupter der heiligen kristen-
heit, der prälaten und priester, und in den klöstern der meisterin und priorin: sie
sollen gute hirten sein (Job. 10, 12), uss gotllicher minn und mit uss zornmütikeit
strafen, und haben gott darüber rechenschaft zu geben;
Sa 135b, 15. Weisst du nicht den weg, der zu gott führt, so frag die lerer;
gebristet dir an leben, so frag die die usser dien weiden koment und das leben ge-
hebt han, aber fragest du mich, ich wiste dich und lerte dich noch tvol nach der
geschrift, aber sicher nüt nach dem leben;
Sb 7 b ,5. Der prediger darf sich seine mühe nicht verdriessen lassen ; wollte
er es tun, weil seine lehre nicht befolgt wird, er predigte besser überhaupt nicht
mehr. Ein prediger wirkt bei 500 zuhörern in der kirche vielleicht auf keinen,
wohl aber auf dem felde, do man hoivet und gross arbeit hat und wo nur zwei oder
drei (empfängliche) menschen sind: si werdent allü enphengklich der brodle;
Sb 106 b, 1 heisst es mit bezug auf Matth. 12, 45: wilt du nu wissen, ob du
mit disen 6 (richtiger 7) bösen geisten besessen siest, das merk: bist du lang ein
geistlicher mSnsche gewesen und bist du hür nüt besser denne rem, so soltu wissen
DER ENGELBERGER PREDIGER 219
ane allen ztvivel, das du mit dissen sibeti bösen geisten allen besessen bist, bist du
aber htir besser denne verne, und hast du joch da zicischen hundert totsi'mden getan,
ich icil dir einen leiten weg geben, so bist du doch mit besessen, won der gerecht
mSnsche valt ze sibeti malen an einem tag;
Sa 12*, 13 mönsch, hast du mit gantzen willen din büss ze leisten und dich
Jürbas vor sütiden hütten und vor allen den dingen, die dir ursach der siind bringent,
so mugen dir alle die bebst die ie icurden, ob sy doch alle dir applas sprechin, so
miigent si dich mit entpiyiden (vgl. Tauler ed. Vetter 202, 34 fif. 282, 10 f. 296, 27.
356, 24 ff.), wilt du dich aber bessren, so wirt dir applas gesprochen von dinem
bichter, iver er doch ist, und dir tvirt der himmel uf entschlossen und got sol dir
sin minnenklichen hant uf din höbt legen;
8. auch Sa 129*>, 4 ff . ISO*', 3 ff . (oben s. 13) und weitere charakteristische
stellen Sa 134 b, 4 = Wackemagel s. 596 'buchstabe und geist', Sb 199 *, 1 — Wacker-
nagel s. 594 f. 'Pilgerfahrten'.
Allgemeine betrachtungen, ratschlage und belehrungen.
Sb 79 a, 21 ff. = Wackernagel nr. 70, 77 ff. (s. 203) ; Sb 80 b, 22 ff. über simonie
(Wackernagel nr. 70, 156 ff.);
Sb "29 *', 14 min kint, es ist mit als du wenest: man kumet mit mit vinselwerk
zu got. sicher! ane zicivel: man 7nuss htit umb hut geben;
Sb 197 a, 14 ff. Wer noch in alte fehler zurückfällt, ist noch nicht wieder
TÖllig gesund, wöltest du ^rechen oder gedenken mit wolgevallen oder mit lust: do
tvere du verne oder d& oder d&, an dem hofe oder dem tantz, oder bi diser fröide
oder bi der tvolluat, und du mit begirde daran gedechtist und dich lusti aber do ze
sin, so mästest du schriien mit her David (ps. 38, 6);
Sa 45^, 21 wem got de Vernunft geben hat, das er weis was er t&n tind
lassen sol, der ist och verschult, das er es tuge;
Sb 43 a, 14 ff. Wer das altarsakrament unwürdig empfängt, martert und
kreuzigt den herren aufs neue, dis ist mit von mir erdacht, mere von dem h, geiste
der es durch s. Paulum (1. Cor. 11, 27) gesprochen;
Sa 78^, 4. Gott ist bereit allen menschen gnade zuteil werden zu lassen,
wären wir nur bereit sie zu empfangen ;
Sa 87t>j 4. Von der christenfreiheit heisst es: dis ist mit ein fryheit, als die
fryen geist sich fry machent mit valscher lidikeit;
Sa 47 a, 5 hie vor in der alten E do tvas geboften, das man die minneti die
einem monschen wol taten. Aber nu in der miiven ist gebotten, daz man die sol
minnen die tins übel tänd. S. auch oben s. 31.
Sa 126 a, 21 ff. Bist du redselig (gerede) und redest gern von dingen, die
dich nichts angehen, so bringe deinen mund zum schweigen: gesweigest du den
mund, got gesweiget das hertze;
Sa 135a, 3 f. du musst durch gottes wort dringen, soll dir gott werden;
Sb 107 b, 16. Es ist kaum ein geistlicher mensch so vollkommen, wollte er
so oft sehen, was er entbehren könnte, als er oft sieht, was er nötig hat und gern
besässe; man entbehrt oft manches, was man für sehr nötig (zu besitzen) hält;
Sa 86 a, 7. Der geraahl Christus tut nicht so wie der zeitliche mensch.
Verlässt diesen sein gemahl, so nimmt er sie nicht wieder auf. Das tut Christus
nicht: als dike sin gemachel kumet dur das sacrament der rüwe, so wirt si wider
enphangen ;
220 STKAUCH
Poetisch empfunden heisst es Sa 85 '^, 4 dem es hiit wol gat, dem gat es morn
nbel, der hiit gesunt ist, der ist morn siech, min kint, sich an ! war ist der meig
komen mit aller siner bl&st? war ist der sumer tvorden mit aller siner snmertinm?
war ist der herbst worden mit aller siner frucht ? es ist alles zergangen als der
sehne vor der sunnen. Vgl. die sehr ähnliche stelle Sa 122'', 3 ff. = Wackernagel
69, 47 ff. ;
Sb 137 =', 28. le einklicher sich der mönsche haltet, ie heimlicher im got ist.
ie friier, ie lediger aller creature, ie voller gottes. ie nie du fluchest allen trost der
creatur, ie süssklicher dir der trost gottes werden (137 '') sol in zit und in ewikeit'
Sa 25 b, 5. ein mansch hat den andren lieb, der ander schon gewant, der
dritt gütti bücher und recht schlechtlich : was der monsch lieb hat, da geräwet er e
nietner e es im wirdet: so ringent und vechtent dem vollkommenen leben zustrebende
menschen tag und nacht, dass ihnen der gemahl Christus zuteil werde;
Sa 78^, 14. da ein kurzer mansche wer, der mit einem langen manschen reden
wölt, so müste er nemen einen stäl und dar uf stan, und tioch denne so were er ze
kurtz, so müste sich der lange mansche gediemütigen und müste sich har nider tän
za dem kurtzen mönschen also daz er mit im gereden macht und er in gehören
macht, also neiget sich got ze dein andren male zu dir, so du dich z& dem ersten
hin uf zä im erhebest, also das du din gedenke mit im vereinest.
Gern knüpft die belehrung an sprichwörtliche Wendungen an:
Sa 23', 14. bi icissem bekennet man schivarz ;
Sb 25^, 22 f. nieman mag zwein herren gedienen (Matth. 6, 24. Luc. 16, 13);
Sa 142 a, 13. git dir got, ninit dir got (Job 1, 21);
Sb 164 *, 2. ivaz du wellest, dz dir nieman tüge, daz tä öch du nieman (Luc.
6, 81. Matth. 7, 12) ;
Sb 102 bj 24 f. als man sprichet: fac juste et neminem time. tä recht und
fürchte nieman;
Sa 9*1, 2. Sb 122'', 16. in gottes weg still stan, ist hinder sich gan gibt einen
gedanken s. Bernhards wieder.
Sa lost), 20. Von den lauen geistlichen menschen, die weder warm noch
kalt sind, heisst es : disen m. geschieht recht als einem m. der ztmschent zwein stülen
nider sitzet und zä enwedrer siten mit enhat da er sich müge enthalten;
Sa 105 1>, 3. artzat, artzen dich selber!
Sa 135 a, 1. Wer den kern haben will, muss erst die schale zerbrechen (auch
M. Eckhart 333, 25 f.) ; ebenso von der nuss Sb 178 a, 24 ;
Sb 2^, 2. Amor vincit oynnia. Minne überwindet allü ding. Wenn dies für
zeitliche dinge gilt, wie viel mehr noch in göttlichen !
Sb 104 a, 24. und machent also ein tugent uss der notdurft ;
Sa 42=1, w ff. als mati sprichet: got ist allt'i ding in allen dingen, und ist
doch niit got allü ding ;
Sb 27 a, n. die geschrift lat sich biegen als das wachs und dar umbe spricht
man, si habe ein wechsin nasen (Deutsches wörterb. 13, 130 f.) ;
Von guter beobachtungsgabe zeugen stellen wie
Sa 44 b, 26 ff. Wir sollen gottes geböte erkennen lernen als man den kinden
zä dem ersten, so man si leren wil, das (45») ABC für leit und man si leret einen
hächstaben nach dem andren;
Sb 33 b, 15. kinder vachent mängerhande an das den Ititen kurtztvil machet;
DER ENGELBERGER PREDIGER 221
In der predigt nr. 22 in Sb zeigt sich der redner völlig vertraut mit der
kinder-, spez. Säuglingspflege, s. oben s. 44 f. ;
Sb 87'', 16. recht .als man di'i kint lert gan mid einen fäs für den andren
setzen, also mäs der mensche vo7i tugejit ze tugent gan. S. auch Sa 130 b, 18 (oben
s. U), Sb 211a, 41. 56 ff. (oben s. 45 anm.).
Sb 162*, 3. Es ist vil frowen die sich hütent daz si ir tvirt ungern erziirndin
mit grossen Sachen, aber si hütent sich mit ivan das si si mit kleinen dingen er-
zürnnent. und dien wirt etzwenn ein zornlich antlät erzeiget von ir tcirten. So
geschieht es auch dem menschen, der sich vor grossen sünden hütet, aber unachtsam
ist Meiner dingen;
Sb 100 *>, 7. ivir Sechen das wol, ivenne es brünnet, das die lüte gross burdi
tragent, die si vor kum uf erhüben, und das geschieht von ernst me denne von eigener
craft. So auch Maria Magdalena: die wollte auch aus inbrünstiger liebe des herren
leichnam, den vier männer kaum gehoben hätten, getragen haben ;
Sa 75 a, 14. so man ballot, so loffent licht zwentzig mönschen einer ballen
nach, das si iekliches gerne vienge: also solt du din consciencie rieh machen mit
übunge und mit gittikeit der tugend was du sichest oder hörest das notdürftig sii,
dz du doch der tugent nieman bas gunnest und der arbeit ze volbringen als dir selber ;
Sa 84^1, 19. was man mit dem besem witschet, do nimt mit won daz grob
obnan ab und das dein gestiipp wirt mit gerüret. und dis nimef^ nüt won das
gross obnan abe, das sint die groben sünde. aber das gestüppe und das bulver der
cleitien schulde das belibet do, das , der (84 ^) M. sin selbers nüt gar kleinlichen
war nimet;
Sa 77''», 1 ff. (ebenso Sb 67 *, 31) wird die bescheidenheit als 'frau der seele*
(Zeitschr. 16, 45) bezeichnet, du ist recht als ein e>-ber husfrowe, dti vil jungfröwen
under ir hat, icnd loetine du frdwe da heim ist, so sint si alle gar züchtig und wol-
behüt. aber wenne du frowe ienent gat, so sint si alle vil bas gemüter denne so du
fröw har tvider kumet. wie das ist, das si ntitzit tügint das ungenemefsj si, so
sint si doch frölicher und liechter denne so es du fröw sichet: recht als do öch ein
grosser Schulmeister ist: so der von sinen sch&llerren gat, so springent si und sint
gar frolich, wenne aber der schälmeister har wider kumet und si sin erst gewar
werdent, so gand si wider in die schäle und sint gar züchtig. So fühlen sich auch
die Seelenkräfte, die 'Jungfrauen der seele' liechtvertiger und unbehäter denne si vor
und nach sin, so du bescheidenheit (die 'frau der seele') — uß gat {uß löffet). An
anderer stelle (Sb 67 **, 25) wird die bescheidenheit einem erber biderman verglichen :
so der in sinem hus ist, so rieht er alles sin husgesind, daz si sich züchtig und
redlich müssend halten;
Sb 4a, 17 heisst es (ähnlich M. Eckhart 297, 1 ff.) : ein grosses stück holz,
in den ofen geworfen, geht im feuer völlig auf, wird dem feuer gleich, sich selbst
ungleich : so auch der mensch in der göttlichen minne. S. Wackernagel s. 595. —
Ähnlich Sa 140^,9 f.: die menschen, die in &qx fürinen minne sind, die t&nd reöht
als der swarz kol der bi dem füre lit. lasset man in stille ligen, so lit er öch stillCf
der in aber in das für wirfet, so flammet er mit dem für uf untz das er gentzlich
dem für gelich wirt, der in 'mit tvider uß dem füre nimet. aber ze jüngste so er-
windet das für niemer, e das der kol gentzlich verwirdet und ze eschen wirdet^:
1) Hs. meinet oder niemet.
2) Dieser naturprozess wird dann ausführlich bis zum absonderlichen an
Maria Magdalena veranschaulicht. Sa 140 a, 18 ff. : auch sie Hess sich 1. u-ellen als
222 STRAUCH
Sb 77 '', 10 recht als ein kechbrunn quilt latig in dem ertrich, als quilt du
st'md in dem inwendigen manschen lang e si harus brech and sie der mansch usüb
mit werken;
Sb 31 'S 25 ff. mit bezug auf Luc. U, IG ff.: es war ein nachtmahl, kein im-
biss : ersteres ist edler und kostbarer und man ladet dazu seine allerliebsten freunde,
-während der imbiss für reich und arm ist, insbesondere für das 'gemeine Volk' und
man gibt auch gemein spise. Man reicht ihn nach dem schlafe zur kräftigung (32* 2)
ze dem strit, won es ist gewonUch, das man nach dem imbis gan sol ze labor, das
ist dz man arbeiten maß des man bedarf;
Sb 42 ^, 15. won recht als einem manschen besehicht das einen untawigen
magen hat: was spise er isset, wie gut si ist, so wirt si doch ze ungesuntheit in dem
manschen : so geschieht es auch dem, der das heilige sacrament mit 'ungesundem',
weil sündenvollen herzen empfängt. Da hilft kein irdischer arzt, denn er ist geist-
lich ungesund. Nur der ewige arzt im Sakrament, der da ist ein heiler aller wunden,
kann dir helfen;
Sb 105», 16 ff. Die Jungfrau Humilitas 'beschuht' die zur königin erhobene
Esther (die reine klosterjungfrau): und dis sint mit gemein sch&ch: es sint sunder-
lich schüch %md heissent sandalia und leit man si dien byschoffen an so si wichent,
U7id ritter tragent si ach und dis sch&ch sint undnan gantz, dz si den f&s behütent
vor dien steinen, aber obnan sint si minnenklich zerschnitten, dz man do dur sieht
WZ man dar under treit grün oder rot. 105 b, 3 also behütet diem&t den mSnschen
vor dem gestiippe zitlicher dingen, ^a von des m. gemüt und hertz zerzert möcht
werden. 105 1^, 18. als man rot oder grün oder ander varw sieht lüchtejt dur dis
sch&ch, also luchtent alle tugent minnenklich do bi diem&t ist. In ähnlicher weise
wird Sb 110 % 21 ff. in allegorischer deutuug ausgeführt, wie ein guter gürtel be-
schaffen sein soll und wozu er dient;
Sb 59 t), 6 ff. wenne man nu an kilchirinen (beim kirchweihfest) wil die
tempel loblich zieren, so stost man tiß usserthalb des tempels rot guldin renli,' dur
das das usser antlit des tempels geziert werde, das es lustlich werde an zesechen, aber
inwendig so ziert man das inwendig antlit des tempels mit heilt&m und mit schonen
altart&chen und mit aller der gezierde so man kan erdenken, das es vin und lustlich
werde dien ögen an zesechen: also was och der tempel her Salomons aussen und
innen klarlich geziert usw. Es folgt dann die nutzanwendung für den äusseren
und inneren menschen, dessen herz den altar im tempel Salomos bedeutet und allein
dem herren geweiht sein soll.
der kol und ihrer Schwester Martha klage über sich ergehen; sie schwieg, weil sie
a) darauf nichts zu antworten wusste, b) ihre zeit besser vertreiben zu können
meinte, und c) weil Christus für sie die antwort gab, sie entschuldigte (Luk. 10,
38 ff.), und dis t&nd noch die lieben f runde gottes: die lassent sich ir Heben minner
Christus verantwürten. 2. Wie die kohle so flammte auch M. M. auf, als sie, wie
wir lesen, auf der kanzel predigte, ganze königreiche zum Christentum bekehrte,
mehr als dies einem der apostel gelang, und als man ihr das predigen untersagte,
in die wüste ging, um keine kreatur fortan sehen zu müssen. Und endlich 3. Wie
die kohle im feuer vergeht und zu asche wird, so ward auch M. M. in dem feuer
göttlicher liebe so völlig rersmeltzet, dass sie, sich selbst und aller kreatur ent-
rückt, alle tag ze siben malen erhocht wart über alles ertrich uf in die luft von den
heiligen englen also das si hört singen (142«) Cherubin und Seraphin vor dem
künglichen tron 'sanctus, sanctus, sanctus' (letzteres ebenso Sa 83», 19 ff. Sb öS'',
16 ff. 123», 17 ff.).
.DER ENGELBERCtER PREDIGER 223
Die kulturgeschichte kann einigen gewinn aus dem ziehen, was
der prediger seinen beichtkindern von weltlichem tand aufzählt, dem
sie nicht anhangen, ihn wenigstens nicht überschätzen sollen. An
verschiedenen stellen kommt er darauf zu sprechen und nennt Sb 29 a,
7 ff. 68 a, 13 f. (= Wackern. 593, 27 f. 50) Melder, Uemoede, i^pis,
trank, gespilschaft, ungeordnote geselleschaft, Sb 76 a, 6 f. schöni messer ,
pafernoster, geömeltz, Sb 82a, 27 ff. (= Wackern. nr. 70, 236 ff.)
schöni messer lieschlageni, röti und agsteinü paternoster, guldlni Schlosser
an den büchren, Sb 29a, 19 ff. (= Wackeru. 593, 35 ff.) die linden
hetti, die grossen Icüssi, kannen 7üid schön köphe, paternoster die ko7'-
rallin sint, beschlagen kuphe und beschlagen messer und Silbergeschirre
und lind gewant. Vgl. auch unt höbtloch und gesnebel schlich Sa 105b, 4 f.
Der prediger lebt ganz in der mystischen tradition. Die drei
stufen des anfangenden, zunehmenden und vollkommenen lebens, des
übenden, inwendigen und minniglich mit gott vereinten menschen sind
ihm geläufig, und er wird nicht müde, die einzelnen entwicklungs-
stadien, die nicht eigentlich aufeinander folgen, sondern oft parallel
laufen, immer und immer wieder und doch abw^echslungsreich zu
schildern. Vgl. Sa 20a, 3. 9. 24a, 4 ff. 33a, 17. 65a, 8. 73a, 2 ff.
Sb 70b, 23. 25. 71a, 4. 119a, 16. 119b, 13. 126b, 10 ff. 128a, 14 ff.
136 b, 19 ff. 138 a, 17 f. 191a, 5 f. 207 a, 5 ff. und oben die inhalts-
analysen der predigten Sa nr. 8. 9., Sb. nr. 14. 21.
Auch von unserm prediger gilt, was Linsenmayer (Gesch. der
predigt in Deutschland s. 72) von meister Eckhart sagt, dass er fast
in jeder seiner predigten, auch wenn der text zunächst keinen anhalts-
punkt bietet, auf seine mystischen Spekulationen über die dreieinigkeit,
die gottesgeburt, die seelenkräfte und den seelenfunken überzuleiten
w^eiss. In der trinität vereinigt sich die gewalt und kraft des vaters,
die Weisheit des sohnes, die gute des h. geistes:
Sa 42 3', 21 ff. Christus ist ain bild des vatters und ain person der drivaltikait
und ain glatitz des ewigen Hechtes und du minn des heiligen geistes und ain almechti-
kait aller volkomenheit (Sb 204 b, 67); er ist der weg nach der menscheit, du tvarheit
nach der gothait (Sb 207*, 23), daz ewig word und der ainhorn sun des vatters
(Sb 209 a), von dem der vatter sprichet: Filius meus es tu. ego hodie genui te. min
sun bistu. hüt hab ich dich geborn (Ps. 2, 7). dis hüt ist nu. in ainem ieklichen
ougenblik so gebirt der vatter sinen sun, und daz ist an anvang und ist auch an
end und ist der ewig tag der tiiemer end genimet. daz ist daz vetterlich geberen, in
dem alhi ding sint geschaffen und us geflossen und tvider in fliessent und in im und
dur in werdent behalten und ewig leben mit im besicent (Sb 208 b, 82 ff.). Christus
ist US gefruchtet us dem wingarten, den der himelschlich vatter vor angeng der weit
gezwiget und gephlanzet hat u»d fiirsechen in siner ewigen Ordnung, dz si (Maria)
w(e)rd ain mäter sines kindes, dii do wz ain tochter des vatters und ain gemachel
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. L. 16
224 STRAUCH
des heiigen geistes und ain mitgebererin mit dem ratter sines eiligen wortes, daz er
an underlas gehirt iis sinem veterlichen hertzen und doch in helihet in sinem ewigen
istigen ungetvordnen wesen gütlicher natur, in dem er (Christus) dem ratter und dem
hailigen geist etvklich gelich ist gewesen und ewklich wesen sol an end (Sb 205 b, 21 ff.).
Das thema der gottesgeburt im menschen wird oft berührt: Sb 210 b, 28 also ge-
schieht discn menschrn: so si sich wüst und quit haltend aller creatur, so gebirt der
vatter siuen einbornen sun an underlas in inen. Sb 208 ^i, 23 rfo ?i'/r^ er (der mensch)
also minnenklich veraint mit dem stat gottes — dz is dz wesen gottes —, dz er im
selber und aller creatur enticirdet und ain mit got wirdet, also dz got sin ewig wort
in im gebirt. Vgl. auch Sa nr. 6.
Auf die Seelenkräfte kommt der prediger verschiedentlich zu
sprechen, vgl. Preger, Mystik 1, 411 ff.; Tauler ed. Vetter 9, 9 f. 300,
11 f.; Schmidt, Tauler s. 100; A. Vogt-Terhorst, Der bildliche ausdruck
in den predigten Joh. Taulers s. 35.
Sb 38b, 23. sei ist do seh, do si dem lij) leben git und dien
geUdern bewegunge. aber denne ist si ein geist, so si erhaben wirt mit
dien obren kreften in das einig ein der gotheif. Durch diese drei
oberen (königlichen) kräfte äussert sich im menschen die trinität: der
memoria {geJmgnust, angedenknust) gibt der vater alvermugentheit, dem
intellectus {vermin/t, verstantnüst) gibt der eingeborene söhn des vaters
ewige tvisheit, dem friien (eigenen) ivillen gibt der heilige geist, dz er
ein einigu minn tvirt mit der minn des h. geistes \ Vgl. Sa 26 a, 5 ff.
Sb 83 b, 21 ff. (s. oben die inhaltsangabe der predigt nr. 10). 125, 9 ff.
154b, 6. 162 b, 20 ff. 201, 21 ff. - Sb 139 b, 17 ff. Sie, die hohe drei-
faltigkeit ist gebilt in dy dry kreft der sele als ein ingesigel in ein
icachs (anm. zu A. Langmann 67, 29ff. ; Paradisus animae intelligentis
103, 28 f.) und dar umb so büket das edel fimkeli der sele von sinem
natürlichen adel ane underlas ivider in das ungeschaffen götlich u-esen
uss dem es geßossen ist und vergicht sich ein istig wesen sin mit der
istikeit gottes. Nach Sb 19 b, 16 ff. sind vater, söhn und heiliger geist
eiyi einig wesen und ein einvaltig substancia in driheit der personen.
Hie werdent die dry krefte der sele versöift in ir ersten geschaffenheit
und verlierent sich seiher in got in ir ersten Ursprung, uss dem si ge-
ßossen sint, und das bild der hochen drivaltikeit tvirt ingetruket in die
dry crefte der sele, nach der und uss- der die sele gebildet ivart in ir
ersten (20 a) geschaffen heit. Hie gebirt der vatter sinen eingebornen
sun in die {sele) und die sele sich wider durch den sun in den vatter
und wirt gar und gentzlich mit inen als si was do si in inen eins ivas
vor ir geschaffenheit.
1) Vgl. Eckhart 511, 2 ff.; Lasson, Meister Eckhart s. 121. 149.
t»ER ENGBLBERGER PREDIGER 225
Über den drei kräften der seele steht aber noch ein höheres:
der schon eben genannte seelenfunke\ der adenlidi spief/el der kochen
drivalükeit (Sb 140 a, H ff,), der gneiste von Syon, das ist das edel
fnnldi der sei, iis dem der mönsch würket alles das yotlich (ist) und
in dem ist verborgen das rieh goUes, in dem got richset und lebet
(Sa 7a, 12 ff.), der gneiste von Sijon, der aus dem eitoven von Jerusalem
— das ist got selber, du weslich mlnne uss dero allü minrie ent><pringet —
kommt, aus dem feuer, das .gottes antlitz ausstrahlt (Sa 129 a, 23 ff.,
vgl. Sb 4 a, 25 ff. = Wackern. s. 595, 5 ff.). Sb 117b, 14 ff. 119 a, 27 ff.
der gneist oder das fänkli der sele, das da komen ist uss dem stat
gottes, das hat alwegen ein widerneigen in got in sinen ersten Ursprung,
Sb 129 b, 12 ff. = Wackern. s. 595, 20 ff. synderisis hat alwegent sinen
widerglast und sin luchten in got und in den stat gottes dz ist das
tvesen gottes; dies fünklein erlischt niemals, auch nicht in denen, die
in der hölle sind (vgl. Eckhart 113, 38, vgl. auch 395, 20. 11, 31), es
kann wohl verdunkelt werden durch sünde, wie die sonne durch die
wölke, aber ihr (der sonne) schein und ihr glänz vergeht niemals. -
Zur lehre von der synteresis vgl. Paradisus anime intelligentis s. XXXIV
zu s. 58, 37; Lasson, Meister Eckhart s. 348.
Mit besonderer eindringlichkeit betonen die predigten immer und
immer aufs neue als hauptziel des menschlichen, vor allem des geist-
lichen lebens wieder zum ersten Ursprung zurückzukehren ^, aus dem
wir geflossen sind: Sa 28a, 2. 79b, 12. 148b, 23. Sb 6a, 3. 19b, 22.
90b, 10. 117b, 17. 21. 158a, 20 ff. 163a, 3f. Da heisst es z. b. Sb
2b, 13 der {das) weisser fragte, war umb ßüssest du stettenklich? konde
es reden, es spreche: das ttin ich dar umb das ich kom in niinen Ur-
sprung, uss dem ich geflossen bin. der das für fragte, war umbe flammest
du über dich ? das tun ich dar umb das ich ivider kome in den fürin
himel, uss dem ich komen bin. min kint, also durgang alle creaturen,
so stehest du und hörest du, das ein ieklich ding wider illet in sinen
Ursprung uss dem es komen ist, und also soltu gereitzet werden von
allen creaturen wider ze kereji in dinen Ursprung uss dem du geflossen
bist. Ganz ähnlich auch Sb 117 b, 23 ff., wo auch noch die ivilden ti erlin
genannt sind, die aus scheu vor den menschen wieder in den wald
oder die wüsti, dannan si koinen sinf, fliehen.
Den begriff der 'wüste' (desertum) zerlegt gleich die erste predigt
in Sa (s. oben s. 6) in drei arten, indem eine leibliche, geistliche und
1) S. Zeitschr. 16, 43 f.
2) S. Lasson, Meister Eckhart s. 158.
16*
226 STKAUCH
göttliche unterschieden wird, auch auf die drei ordensgclübde der
armut, des gehorsams und der lauterkeit wird er vergleichsweise an-
gewandt (Sb 78 b. 79 a .= Wackern. nr. 70 z. 47 ff.). In erster linie ist
aber unserra prediger die bei Eckhart, Seuse und Tauler so beliebte
mystisch-allegorische deutung auf das absolute, unbestimmbare wesen
der gottheit^ gleichfalls geläutig: er ist geradezu unerschöpflich in der
Variation der terminologie für das göttliche wesen. Vgl. die breite
ausführung Sb 123 a, 6 ff. = Wackern. s. 586 f. z. 89-147 ; inre wüsü
Sb 85a, 5; hoche ivilde wüsti der gotheit Sb 200a, 4; Sb 124 a, 4. 7.
157 b, 23 die {stille) icüsti der gotheit; ie hocher man gat in die tvilsti,
ie süsser weid man vindet und ie bas die vögelli do singejit und ie
wolgesmaker kriit und ie schöner blnmeii man do sieht, und dar umbe
so zückt der himelsche vatter das grün zwyli, sinen einbornen sun, dem
mönschen vor, dur das der mansche im nach gange in die wüsti, ja
dur die mönscheit in die gotheit, dur den sun in den vatter, ja dur
bild und forme in unbild. hie gat der mansche in in die wüstunge der
kochen gotheit^ (Sb 157 a) in das tünsterlich istig ivesen, in dem allü
wesen anevang und ende nement: das ist du still wüsti, in der der
mansche ivüst und quit wi^'t aller creature und ime ab vallet alles das
man geworten mag und ivirt in der ivüsten gotheit also minnenklich
vereint mit dem einigen ein der gotheit und ivirt also enzünt, dz er
ein Hecht wirt und ein glantz und ein spiegel der gotheit. Ahnlich
auch Sb 114 a, i ff. in auslegung von Job. 10, 9. In diesem längeren
excerpt haben wir bereits alles vereinigt, was an anderen stellen ver-
einzelt, jedoch bei grosser abwechslung, ausdruck findet:
Sb 69*, 20. ein lutter hertz dz sol uf gan in got und in anbetten mit einem
minneelichen vereinen in dz istig einig ainn ^ der gotheit und in die ungenaturten
natur gottes die anvang nie gewan und end niemer gewünnet;
Sa 3b, 2. 7>>, 3. 15», 21; Sb ßb, 17. 38b, 26. 157?, 7. 188b, 12 das (bloz) einig
ein der gotheit (das got ist); Sb 188b, 12 das einig ein der verborgen gotheit;
Sb 19 b, 14. 32 b^ 20. 212 b, 12 das [bloz) einig wesen der gotheit (gotes);
Sb 85a, 15 ein istig wesen mit got werden; Sa 26 », 11. Sb 1<% 15. 114 *, 14. 157», 1.
das tttnsterlich (istig) wesen der (hochen) gotheit;
Sb 205 b, 22 in sinem ewigen istigen ungeivordnen niesen götlicher natur -
Sa 55 », 32 die tunsterhait der ungeschaffen gothait.
Sb Ib, 5 das einig gät das got ist; Sa 144b, 24 das grundlos mer der hochen
gotheit.
1) Vgl. zu Marg. Ebner 76, 18 f.; Denifle in seinem Archiv 2, 455; Bihl-
meyer, Seuse im glossar s. 626 =' ; A. Nicklas, Die terminologie des mystikers H. Seuse
s. 143; Zeitschr. 16, 24. 46, 420 f.; ßech, Granum sinapis s. XII zu V. 35. 3S. 70.
2) Vgl. A. Nicklas a. a. 0. s. 47 ; Zeitschr. 46, 395 ; A. Gebhard, Die briefe
und predigten des mystikers H. Seuse. 1920. s. 52.
DER ENGELBERGER PREDIGER 227
Der gleichen terminologie gehören auch im sinne der in gott aufgehenden
kreatur Wendungen wie bildlos und formlos Sa 4", 14. 26 a, 15. Sb 114 a, 15, i'iber
bild und tiber form Sa 82 1*, 6. 84 a, 2, ein istig wesen sin mit der istikeit gottes
Sb 139 b, 23 an.
An allegorischen, vereinzelt auch etymologischen namensdeutungen
hat der prediger besonderes gefallen gefunden:
Sb 164 S', 25 nu ist abba als vil gesprochen als ein apt oder ein vatter;
139 '1, 26 Christus ist als vil gesprochen als ein gesalboter (Job. 1, 41);
129 b 8. 184 b, 18 Herodes daz ist der schalk der natur ;
64 b, 2 Jacob ist als vil gesprochen als ein striter oder ein rechter und ouch
ein uberu-inder, denn er rang mit dem engel ; ebenso Sb 138 b, 23 ;
Sa 23', 20. Sb 184 b, 16 Johannes (Baptista): ich bin geheissen dii gnad gottes;
ebenso Sb 138 b, 17 auch Johannes evangelista: seit Hieronymus geläufig, s. die
register in Schönbachs Altd. pred. bd. 1—3; Sa 28% 21 Johannes evangelista: vox
tonitrui ein stim des tonren, vgl. Sb 1 =*, 22. 123 b, 9. 138 b, 9 fiUus tonitrui ein
sun des tonren (Marc. 3, 17).
Sb 64 b, 10 Joseph (Jakobs söhn) der — ist als vil gesprochen als ein senft-
mutiger ;
110''', 19 Josepf der ivas bekleidet mit einem rok, der gieng ime untz an
sin anklatcen uttd der bezeichnet och gehorsami ;
204b, 28 ff. Maria: in ebraischer sprach nemet man si Meo oleo, in der stat
Cyrino do nemet man si domina gentium, dz ist als vil gesprochen als ain fröw der
geschlechten — Maria ist och als vil gesprochen als merstern. S. oben s. 42.
81'"*, 13 Ozias das ist als vil gesprochen als ein schower der dingen;
129 b, 5 so ist Petrus als vil gesprochen als ein bekennen gottes, vgl. 138 b, 17 ff.
(cognoscens Hieronymus) ;
140'"^, 23 Sijmon ist als vil gesprochen als ein gehorsamer mansche (pbediens
Hieronymus, s. Schönbach zu Altd. pred. 1, 366, 29 f.);
Sa 20 b, 21 Egi/pten ist als vil gesprochen als dis zerganklich leben (sonst —
tenebrae, ongustiae, tribulatiö);
Sb 78 'i, 18. 78 b, 12 Galilea betüt als vil als ein volbringen der XII reten;
Sa 52 b, 14 Jerusalem ist als vil gesprochen als ain stat des frides (sonst
visio pacis), vgl. Eckhart 342, 6 f. ;
Sb 154''', 18 der Jordan ein gross fliessent ivasser und das betütet behorunge
und anvechtunge {apprehensio Hieronymus);
Sb 78'"', 16. 78 b, 2. Samarium ist als vil ges2)rochen als ein Mit der gebott
gottes {custos, custodia, custodita Hieronymus) ;
Sb 102*, 15 Sgon ist als vil gesprochen als ein geistlicher Spiegel, in dem man
du ding sieht (specula, speculatio, traditionell seit Hieronymus).
Des Predigers spräche ist bildreich. Wenn er vom 'adel', vom
'antlitz der seele' (Sa 3b, 9. Sb 17b,20. 18 a, 6), von der 'galle des
hasses und neides' (Sb 144 a, 16), der 'schale der bitterkeit' (Sb 193 b, 2),
vom 'schatten des todes' (Sb 206 a, 72), vom 'kleid der Unschuld'
(Sb 195a, 17) spricht, so sind das auch uns noch geläufige metaphern.
228 STRAUCH
Dem Engelberger prediger aber ist bildersprache ein bewusst geübtes
Stilmittel der belebung- und veransehaulichung, wobei wir gelegentlich
gesuchtes, ja für unser gefühl geschmackloses mit in kauf nehmen
müssen. So redet er vom 'den wein der ewigkeit schenken' (Sb 159a,
17), vom 'schenken aus der quellenden quelle der dreifaltigkeit (Sb
33 a, 1), vom 'pfenning des ewigen lebens' Sb 204 b, 2, von dem 'sauren
wein der reue' (Sb 195 b, i), vom 'hammer des leidens' (Sa 120 a, 19),
vom 'kerker unseres leibes' (Sb 184 b, 18), von der 'mauer der geduld'
(Sa 13a, 12), von dem ijhulment rechter demut (Sa Ca, 15), von dem
biilcer der sünde, der schuld (Sa 5 a, 15. 34 a, 3), von 'der natur den
hals abwürgen' (Sa lila, 23. 126a, 8), vom gestüppe zeitlicher dinge
(Sb 105 b, 4), von den 'abgöttern zltUcher liehi' Sa 50 b, 20 (veranlasst
durch Gen. 31, 19), vom herzen als dem 'sessel der seele, dem thron
gottes und dem lustlichen paradies der dreifaltigkeit' (Sb 55b, 12.
131a, 17), von dem 'tiefen abgrund', der 'arche des väterlichen herzens'
(Sb 157 b, 24, — Sa 7 b, 4), von der ivol riechenden appotek des himlsch-
liclien vatters (Sa 6 b, 21, vgl. Seuse, Zeitschr. 46, 429), vom 'roten
purpur des rosenfarbeuen blutes' Christi (Sa 42 a, 7), von der 'pforte
der durchlittnen menschheit Jesu Christi', dann aber auch der 'pforte
seiner vinen klaren gottheit', durch die der weg zu gott führt (Sb
114a, 2 f., vgl. Joh. 10, 9), vom 'spiegel', von der 'sonne der gottheit'
(Sb 157 a, 9. 140 a, 10), vom 'mark der göttlichen natur' (Sa 28 a, 14), »
vom 'grundlosen meer der hohen gotheit' (Sa 144 b, 24), vom he-
schlossnen 'brunnen der ewigen Weisheit' (Sa 28 a, 12), vom 'regen
götlicher gnade' (Sa 84 b, 19), von den grülichen ivasicetren dirre zer-
ganclichen zit (Sa 114b, 25), von den Sturmwinden der zerganklichen
1(76^^ (Sa 16 b, 18), vom 'winde des heil.geistes' (Sa 84b, 18). - Der fiichti-
keit zitliches lustes (Sb 153 b, 21) wird die türri der creften (Sb 153 b,
19), die die tiefelslichen fantasma(ta) — si sint gern an fliehten stetten —
vertreiben soll, gegenübergestellt : die natur des menschen neigt zur
'feuchtigkeit' zeitlicher lust, gottes freunde dagegen sind yederret von
den flammenden winden göttlicher minne' (Sb 153b, 4. 24, vgl. 95a,
21. 23). Vgl. auch die fühtlkait Adams, die im begnadeten menschen
trucken wirt (Sa 55 b, 4) und 'die feuchten wölken des sündigen lebens'
der Maria Magdalena (Sb 93 b, n). - üas teuer, das gottes antlitz
ausstrahlt, kommt aus dem eitoven von Jerusalem und entzündet den
gneisten in Syon, - auf dass sie ein feuer werden (Sa 129 a, 23 f., vgl.
7 a, 7 f. Sb 4b, 1). - Vom 'winkel der seele' ist öfter die rede (Sb 93 b^'
17. 130b, 27. 201a, 2; auch bei Tauler: A. Vogt-Terhorst a. a. 0. s. 44 f.),
vgl. dazu hie gat der mansch iinder die ategen der sei und wischet (hs.
DER KNGELBERGER PREDIGER >229
ivisl/eit) har für das bulcer der schuld (Sa 5 a, 14. 123a, 9). _ Der
nam Jesus ist - von der Jungfrau Maria us gesjjrosset ics dem paradys
irs m endlichen hertzen und us gefruchtet us dem ivingarten des himm-
lischen vaters (Sb 205b, 17 ff.). - Gesucht wirkt: und ivirt den vinger
sines verstans in tunkent in den honigwaben göilicher nature (Sb 191), 4)
oder ivo dir das snf sines lidens zehüwen iverde under die zene diner
verstantnusse, do helib (Sa 50 b, 4, vgl. dazu David v. Augsburg, Pfeiffer
1, 375, 25, Sieben staffeln des gebetes, ebenda 1, 389, 34), dagegen
wird treffend bei der auslegung von Matth. 3, 3 die stimme als das
'kleid des wortes' (Sa 2 a, 20) bezeichnet. Neben der bekannten auf-
fassung von Jesus als dem himmlischen arzte, dem medicus celestis (Sa
121b, 9. 11. Sb 196 a, 18. 196 b, 5), oder dem hirten (Sb 123 b, 20 ff.
156 b, 9 ff.) wirkt auf uns befremdend und spielerisch der vergleich
mit einem niemals versagenden vocabular, mit einer Uherie, die über
alles, was zu wissen ist, aufschluss gibt (Sb 207 a, 14 ff. s. oben s. 43).
Die rote rose versinnbildlicht den 'roten, in göttlicher liebe allzeit
brennenden', die weisse den 'weissen' gott, in siner luteren unvermas-
goten menscheit oder die 'minnigliche menschheit Christi' (Sa 17 b, 10 ff.
41t», 23 ff.). Für das minnigliche leiden Christi ist die rote rose in
ihrer schönsten röte und ihrem süssesten dufte ein beliebtes symbol
(Sa 97 b, 12 f.), wie sie an anderer stelle (Sa 128 a, 6 ff. = Wackern.
69, 246 ff.) den menschen daran erinnern soll, dass alle kreatur ein
ingang in den schöpf er ist. Auch sonst versenkt sich der prediger
gern in die pflanzenwelt und entnimmt ihr wie auch der feld-
und gartenkunst seine bilder und vergleiche.
Sb 126^, 18 Der bläm ist ein schon histlich ding dien ögen an ze sechen, die
u'il er nf dem velde stat. aber tvenne er wirt abe gebrochen, so toirt er dürr als
das how. also ist es wnb die gnade gottes und die süssigkeit, die der mensch
empfängt die tvile er in sit ist: dii ist recht als das tiirre hdw, das hütt ist grüne,
morn ist dürr wider der froide du uns gehen wirt nach diseni leben, so ivir werden
sechent von ögen ze ögen, von antlit ze antlit (127^) unverdacht in iemer werender
Sicherheit, do ist mit hüt froide, morn leid: es ist unwandelber froid ane alles
truren. Vgl. auch oben s. 220 ; Sa 35 ^, 4. — Sb SO^^, 20 ff. Christus erschien der
Maria Magdalena hi gartners wise z& einem Urkunde, das si den garten und das
paradi/se ir sele umbezi'men sölte —und öch alles unkrut uss jeten. Sa 112^, 11 e
das sich du natur gentzlich liessi, si hafti sich e an einen roten aphel oder an einen
bl'umen und ncme da Inst oder geyiügde als vil ir werden möchte, ebenso Sb 68", 9 ff .
(s. Wackern. s. 593, 47 ff. mit dem zusatz und das sieht man wol in geistlichen
Orden). — Sb 5^, 10 ff. findet das bild vom pfropfen eines grünen zweiges auf
einen stoh Verwendung: die frucht artet nach dem grünen zweige und nicht nach
dem alten stamm: also ist die nature des mönschen got gezwiget und ähnlich Sb 52t>, 18
recht als der alt stok des bömes sin alten natur lat und an sich nimet die kraft des
Jungen zwilis, also wirst du abziechent din alten natur und den alten mSnschen. —
23Q STRAUCH "
Sa 16 ''j 10 liie inirket disi gab {foHüudo-cjoÜidie sterki) an dir, das du diu rieh-
liehest sin und diu fünf sin recht ze samen bindest als einr tat, der einen böni ziviet
(lies mit Sb 132 '', 4. 8 ztvinget). der bindet die jungen est ze samen engegen dein
himel, uf das si sich nüt ze tvitt teilen, dur das si von dem regen und von dem
icint nicht verderben, also solt du och hätten, das du von dien Sturmwinden dirr
zerganldichen weit mit werdest beröbet diner sinnen uswendiger noch inwendiger, oder,
wie es Sb 132 b^ ß heisst, also sol der mansche mit der tugent continentia beheblicheit
zesamefi zwingen sin fünf sinne und alle sin krefte usswendig und imvendig. — Sa
■ö**, 4 if . der zederbum ist ein gar schöner böm mit vil esten und lober und ein gar
schöner told (s. Tauler 274, 10 und Wortregister; Seuse 254, 10; Zeitschr. 46, 423),
und die teil er ufrecht stat, so ist er ze nicht nütz, wand er bringet kein fnicht.
wenn er aber nider ivirt geschlagen, so ist er ze menger artznie gät, recht als öch
der maser, der in dem tvald stat: der ist öch ze nicht gUt die wil er in dem wald
stat. wen man in her us bringet, so machet man kSphf dar us und ander ding die
man gern hat. So gleicht auch der mensch dem zcderbaum: erst wenn er nieder-
geschlagen, demütig geworden ist, wird er eine wolriechcnde a-ppotek des himrlsch-
lichen vatters und ein artznie aller sünderen. Derselbe vergleich mit fast den
gleichen worten auch Sb 27 b, 4 ff. mit der nutzanwendung : also müstu din stoltz
hofertig gemüte biegen und undertruken under das jach der gehorsami (Matth. 11, 30).
- Sb 104 a, 9. 169 a, 10. 169 b 18 = Wackern. s. 598, 34 f. geben eine deutung des
feigenbaums, mit dessen blättern Adam im paradiese bekleidet war. — Sa 95 ^, 1 ff.
wird der prediger mit einem gäten ackermann verglichen, der alivegent seijet. er
achtet mit, ob im eins jares nützit wirt, er seijet aber des andren, ob im einest mit
werde, das ime doch des andren jares etwas werde, also sol der brodier aliregen
seijen, und were joch, das es an dem manschen nüt hülfe vor sinem tode, got gebe
doch e dem manschen einen rüwen an sinem tode, das der sanie des bradiers doch
nüt gentzlich verdirbet. Sb 7'', 17 heisst es ebenso mit bezug auf den prediger,
der predigt, auch wenn das, was er lehrt, nicht befolgt wird: und also tlit och der
ffät akerman. der lat och mit abe dar umbe das die vogel den samen essent. doch
belibet ime iemer etwas da von. Hier mag auch Sa 95 a, 12 eine stelle finden: nu
ist ein brodier recht als ein kenel, der das tvasser leitet und ist der kenel dik das
er mit won mies bringet, und wenne der brunne uf das ertrich dur den kenel Jlüsset
das zem ersten tiirre und tmfruchtber ist, so wirt es denne fruchtbar und grüne und
bringet menger hande frucht. das geböume und alles das uf dem ertrich ist, da der
brunne hin flüsset, das wirt fruchtber. also geschieht och dien manschen die das
wort gottes gerne hSrent. die joch vor ttirr und unfruchtber sint, die werdent denne
grunent und blüiigent. — Sa 89 b, 23 es stat menger mSnsche einen gantzen tag und
hakket und (90 "i) rütet, das im der sweis über allen sitten lip nidergat. dem git
man licht ze nacht nüt wan einen Schilling phenningen, und er hat licht siben kint
und der git dir die phenning, der sinü kint licht vil notdürftiger werin und er si
öch so sh'angklich verdienet hat. und dar umbe ist es billich, das du dankber sigest,
won du mit tcüssen macht, wie sure es (hs. er) erarnet ist, e es dir werde, wan du
mäst lange betton und knüwen e das dir der sweis also creftenclich dur dinen Hb
nider rinne als einem werkenden manschen dik und vil eines tages geschieht. Deshalb
sei dankbar für das kleinste wie für das grösste, das dir gott oder die menschen
zufügen.
Die ti er weit wird mannigfach zu ausführlichen vergleichen
DER ENGELBERGKR PREDIGER 23t .
herangezogen, wofür der Physiologus die hauptquelle abgibt, aber
auch eigene beobacbtung kommt in frage.
Die schlänge', die im alter durch zwei 'enge' steine schlüpft, sich die
alte haut abstreift und eine neue bekommt (Sa 126 b, 1 = Wackern. 69, 192 ff.),
wird unter hinweis auf gottes strenges gericht am jüngsten tage (die steine) auf
den alten sündhaften menschen gedeutet, der einen neuen anlegen soll. In etwas
anderer auslegung, in der die zwei 'harten' steine auf gottes strenges gericht und
Christi wirdigez leiden bezogen werden, auch Sb 169 a, 23 ff. (s. oben s. 36).
Sa 148 1», 4 ff . Der begnadete mensch hat sich von den zeitlichen zu den
göttlichen dingen erhoben, dass er mit dem adler uf fliiget und inblikket in der
sunnen rat der hochen gotheit (ebenso Sa 145 '^^ 18. Sb 69 a, 18 f.). hie flüget der
inSnsche der sunnen als nach als der adler: von dem liset^ man, das er der sunnen
als nach flieget, das er sin gevider besenget in der hitz der sunnen und er blikket in
das rad der simnen. — Sa 126 b, 19 £f. = Wackern. 69, 203 ff. wird auf den adler
angespielt, der den durchs alter krumm gewordenen Schnabel abwetzt ''). also
solt du dinen mund billen- an dem herten stein der gerechtikeit gottes, du kein tin-
müssig wort ungerochen lat eintweder (127 ^) in zit oder in eirikeit. dis leret dich
steigen von allen unnützen warten und allein von Christo sprechen. Ganz ähnlich
auch Sb 170 a, 22. - Sb. 116 b, 27 ff. Bei der speisung der 4000 (Marc. 8, 1 ff.)
heisst es: Jesus tet recht als der adler: wenne der einen röb genimet, so lat er alle
die vogel mit ime essett, die bi ime sint, recht klein und gross, und also tet der
süsse Jhesus. e>- Hess alle die mit ime essen die zä ime kamen, böse und gut, Judas
als Johannem, Judas als Petrum.
Wiederholt begegnet die beliebte deutung vom hirsch und vom einhorn auf
Christus. Zunächst drei besonderheiten des hirsch es als vorbild für den menschen:
Sa 8 a, 18 der hirtz hat dri'i ding an im, die sol öch ein gätter mansch an im haben,
das erst: er hat die aller bittersten ogen, die kein tier an im hat. ze dem andren
mal: er hat den aller schnellasten löff wen man in vachen teil, den kein tier hat,
und sichet mit hinder sich als andrti tier tünt. zä dem dritten mal so loffet (8^)
e)- uff das aller höchste gebirg und birget sich mit in die hiilinen als ein ander tier.
— Auf Christus* bezogen: Sa 25 a, 13 so man in (den hirsch) jaget, so lat er sin
fässtaphfen einen süssen gesrhmack nach, und so des die jaghunt gewar werdent, so
loffent si im iemer me nach, untz das si den hirtzen gevachent. also tänt och dis
manschen: die I5ffent disem edlen hirtzen nach, untz das si in gevachent. Ebenso
Sb 157«, 3ff. = Wackern. 598, 10 ff. - Sb 96 b, 8 ff . Christus entzog sich der
Maria Magdalena von innan, das si {im) denne stetklich und hitzklich nach jagt als
de)- jaghunt dem süssen spor des hirtzen }iach jagt untz daz er in ergriffet. — Sb
157 '\ 20 Der gottsuchende mensch läuft dem hirsch (Christus) nach untz in die
höchi des gebirges und der wüsti recht als du kmigklicli mäter Maria, du da in der
wüsti der gotheit und in dem tieff'en abgründe des vätterlichen hertzen und in der
schos der gotheit gerieng den wilden e inhü rti^ (IbS^) und ring in in ir schos und
1) Vgl. Lauchert, Gesch. des Physiologus s. 15; Tauler 95, 7 ff. ; Vogt-
Terhorst s. 122.-
2) Vgl. Lauchert s. 9.
3) Vgl. Lauchert s. 9 anm. 3.
4) Vgl. Banz s. 58 zu v. 213; Vogt-Terhorst s. 126. S. auch Kieder, Der sog.
St. Georgener prediger 236, 1 ff.
5) Vgl. Lauchert s. 22 ff. ; Historisches taschenbuch 1867, 224 ff. ; Zeitschr. 46, 438.
2d2 STRAUCH
beslos in ir hevtze. Ebenso Sb 207, 70 ff. — Typologisches vom bären: Sa 81b 7 =
Wackern. s. 597.
Sa 1488', W £)i'( tube^ hat die geiconheit das si nienent (ferner wonhaft ist
denne in dien rigluchren der muren (ebenso Sb 144*, 18 ff.): also tänd disü minnenk-
lichen mönschen: die jliegent uf mit ir andacht und mit ir gemüte in die minnrichen
wunden Christi und sunderbar in das ufgetan minnrich hertz Christi. — Sb 143 b,
19 ff. Petrus gleicht der taube in dreierlei weise: 1. sie wandelt gern auf dem
wasser, vor dem habicht verbirgt sie sich. So auch Petrus: das wandeln auf dem
wasser bedeutet die h. schrift, die ein schütz ist vor der minn craft der natnr
(habicht). 2. Auch Petrus war ohne galle. 3. Auch Petrus wohnte stets mit seinem
gedanken in Christi herzen wie die taube in den hohlen mauerlöchern. — Sb G», 4ff.
werden rabe und tauhe in der arche Noe gedeutet: der rabe meint die menschen,
die ihre natürliche minne uf das tot as creaturlicher mijine kerent. Die erste taube
fand keine ruhe, flatterte in dem wasser hin und her und kehrte zurück: so soll
es auch der mensch machen: findet 'die seele keine ruhe im zeitlichen, so kehre sie
zurück in die arche des väterlichen herzens und berge sich dort vor aller 'mannig-
faltigkeit'. Die zweite taube brachte den ölbaumzweig als friedenszeichen gottes:
so komme auch du in die arche mit dem grünen zweig aller tugeudlichen werke
und des minniglichen 'verdienens' Christi, so wirt ein gantzer sän zwischen dir und
gott, deine natürliche minne wird vereint mit seiner göttlichen weslichen minne.
Sa Sa, 6 du seit tän als der schneg: wenn du sunn undergat, so schlüffet
er in sin hi'ttli und schnn'iket sinü lirli untzent früge, dz aber der sunn uf gat, so
kuntet er aber har us : so sollst auch du warten, bis die sonne der gerechtigkeit
aufgeht: ortus est sol iustitiae (Mal. 3, 20),
Sa 146 a, 14 der mönsche tat recht als der esel, den müss man triben oder
er gat nüt den rechten weg, won alle die tvile so der esel ungeladen ist, so gat er
niemer einen rechten tveg, und ivenne er geladen ivirt, so kumet er fiirbas niemer uss
dem rechten iveg. und recht also müss got den menschen triben mit bitterkeit: nu
nimet er dem mönschen sin fründe, denne gibet er im liden, nu dur den frtind, denne
dur den vigent. nu gibet er im siechtagen, denne versmecht, denne eilende, nu hunger,
nu durst, nu dis, nu das, denne frost, denne {hitze): (1471', 2) so tvirt der munsche
getriben von der weit zä got,
Sa 103b, 23 ff. Die lauen geistlichen menschen gleichen der fledermaus'^
die nicht vogel, nicht maus ist. Sie vernam zu einem male, das die vogel ein ge-
richt tvolten haben, und si kam geflogen zä inen — das sint möttschen di got lieb
habent —, und sprachen zä ir : gang balde von uns, du hörest nüt zu uns, ivon du
hast zene — dz ist: du bist mit dinen fründen und mit zif liehen dingen als gar be-
kthnhert, das du zä uns gentzlich mit hörest — und hast mit vedren als wir. und
also wart si von den voglen vertriben. do kam si zä den inüsen, die wolteti och
einen tag haben, die sprachen zä ir: gang, gang balde von uns, du hörest gentzlich
nüt zä uns, du hast doch vetken. (104'', 8) also tünd die weltlichen mönschen. die
^prechent: gang von uns, du bist ein bräder oder ein nunne. du hörest niH zä uns,
won du verkertest uns alles das loir teten.
Sa 64 b, 23 recht als das minnenclich bygli ze samen treit das honig uss
1) Vgl. Lauchert s. 26.
2) Vgl. E. Peters, Der griechische Physiologus s. 77. 45c; Renner 11 982 f.;
Megenberg 226, 27 ff.
DER ENGELBERGER PREDIGER 233
oillen blamen utid treit es in einen winkel, so hat der h. Benedict aus den kirchen-
vätern seine 'regel' zusammengetragen, s. oben s. 10, ebenso Sa 73 '■. 12 ff., des-
gleichen s. Peter uss dem fliessenden honigicaben der hochen gotheit alles sin be-
kennen gesogen (Sb 141 a^ 4 ff.). Sb 1%^^ 9 recht als sich ein voller wabe nüt enthalten
mag, das honig das müsse usstrophen und zerfliessen: also trophet die götlich süssi-
keit her abe uf dis manschen.
Sb 90 •», 1 ff. Gott hat alles hier auf erden minniglich geordnet, man vint
in der zit einen vogel, der mag nienent leben denn in dem fiir (der phönix'), so
ist ein stein (bernstein) : der den enznnti, er brunne eicclich, die ivil du zit stat, so
vint man einrhant bUimen, die sint winter und Stimmer grün, so vint man ein
krtitli^: iceler mansch dz hetti in siner hant, dem gieng lachend sin sei us: so ist
alles lustlich und minniclich geordnet und alles weist wieder auf den göttlichen
Ursprung, aus dem alle creatur gekommen ist.
Weiterer aufhellung bedarf der vergleich mit Igel und löwe: Sa 60^, 21.
Ze dem sibenden mal so bekorend uns unseri gäten werch, wenn uns die von ver-
smechung der creatur, unser ersten frtinden, Adams und Even, nüt lustet ze voll-
bringen und ze würkend. tvon alles gät ist uns mülich ze tänd, es sig denn, dz wir
es mit emsiger Übung ze geivanheit bringen, von den geschriben stat: der igel bi der
seilen und der low an dem tveg. bi dem igel schuhen g'äter iverk, (61 ^) bi dem
loiven forcht der selben werch, ivan gäti werch hand schtihen in anvang und forcht
in volbringen.
Unter den naturerscheinungen, die für bildliche Verwendung nahe
liegen, nimmt die sonne und ihr glänz, in dem sich das göttliche
wiederspiegelt, die erste stelle ein.
Die 6. predigt in Sa verfolgt ihren lauf von aufgang bis zum
niedergang in allegorischer ausdeutung. Der aufgang vollzieht sich
mit hrasten, mit lautem getöse - sie brastet und schriyet als lut das
die menschen ze Orient sich cerbergen müssen — und ist ein Symbol für
die ewige hohe geburt Christi (Sa 53 a, 14 ff.) - Poetisch empfunden
ist es, wenn Sb 93 b, 2 das erröten der Maria Magdalena (innerlich
aus Schamgefühl, äusserlich im antlitz) mit dem morgenrot verglichen
wird: so der tag uf iringet und die sunne begint glentzen, so icider-
tribet si die fliehten tvidken und vom widerglast der sunnen so si diir
die wulken glestet, so iverdent si rot. und dis hat die lieb M. M. geist-
lich an ir. Sb 96 b, 13 ff. Beim morgenrot singen die vöglein min-
niglich und loben ihren schöpfer: so auch sang und jubilierte und
freute sich M. M., nachdem der herr zu ihr gesprochen (Luc. 7, 50).
Sb 97 b, 2 ff. Wie die sonne ihren schein über die ganze erde aus-
giesst, so auch M. M., won si alle tugent volkomentich usgeübet hat.
- Auch mit dem monde wird bei Maria Magdalena der vergleich
fortgeführt, s. oben s. 27. - Über die bildliche Verwendung des
donners s. oben s. 217.
1) Vgl. Lauchert s. 10.
2) Welches kraut ist gemeint? wohl kaum saffran (Megenberg 392, 28—33).
234 STRAUCH
Sa 109*^, 20. Der mensch ist unstät wie das meer. hüt ist er gät, morn
ist er bös, hüt ist er gesunt, morn siech, nu hungert in,, nu türstet in, nu frtirt in.
nu wil er dis (110*), denne wil er das, und ist im ein stund mit ze mät als die
andren, einest ist er wolgem&t, so balde wirt, so ist er trurig. nu lachet er, sa
balde wirt, so weinet er. und recht slechtlich geret: an dem menschen ist nützit won
unstetikeit in Worten, in werken, in allem sinen tän und lassen. — Sa 59», 22 als
wenig dz wild mer belibet an gewill, als wenig belibet ach des menschen leben an
bekorung.
Aus dem berufsieben sind einige vergleiche entnommen.
Der himmlische arzt, so oft auf gott und Christus bezogen (Sb 42 b, 2 got
der ewige arzat, der da ist ein heiler aller unmden. 168«, 17. 194% 12. 196 a, 19.
196'», 5. 206 b, 32) gibt anlass zu weiteren ausführungen über die ärztliche kunst:
Sb 186 iJ, 3: der arzt gibt dem kranken die mittel, die der krankheit 'am wider-
wärtigsten' sind. So zieht der strebende mensch mit tugenden gegen die vor-
handenen Untugenden und laster zu felde. — Sa 121 b, 4 tvellen wir tiu gesunt
werden von dem ritten, so bedurffen wir tvol eins gäten artzatz, der uns den magen
wol runien kunne und von dem ritten gehelfen künne.
Sb 162 b, 4 ff. Gott tut wie der kauf mann, der in fremde länder fährt
und seiner frau kleinöde und kremlin mitbringt, und ist si inie getriiw gewesen, so
git er ir dis minnenklich gaben und si ist im vilHieber denne vor. So tut Christus
seiner gemahlin, der seele.
Sb 126 a, 2. Wie ein schütze, der sins sils war nimet, so soll der mensch
auf ein vollkommenes leben sein ziel richten. Vgl. Tauler 9, 23. 212, 9.
Sa 17 a, 1 wer möcht nu einem h afn e r sines hafens vor gesin oder einen
kann er sin kannen, die er gemacht hat? das ist nieman, won er hat si gemachet
und sol billich mit ir tun was er ivil. leit er si an ein sitten, stützet er si uf: ivie
er mit ir tat: das mag er wol tun, wond si ist sin, er hat sie gemachet, also solt
• du och din hertz lassen dem des es och ist, won er es selber höschet.
Sb 41b, 3 ff . Vom bildschnitzer. Der mansche der solt recht tän als
einer der ein bild tvil machen, der schlecht zä dem ersten abe einen bon. z& dem
andren so howet er abe die grossen spene 7nit grossen icaffnen. zu dem dritten mal
so nimet er ein kleinü waffen und begint (hs. gebint) nu die gelider und die vinger
machen und müss denne gar subtilklich sin selbs war nemen: won wölt er nu mit
grossen waffnen das bild an komen, er zerzarte es gar und gentzlich. min kint, also
solt du dich selber besniden, wellest du dis osterlembli wirdenklich niessen. Du musst
1. abschlachen den mürdigen stammen her Adams, 2. abhoiven die grossen spen
(Sünden), 3. kleimi ivaffen nemen und die kleinen gelider beschnideyi, das ist das du
din selbs subtilklich war 7iemest recht der minsten silnde als der meisten usw. Hier
mag sich Sa 88 b, 3 ff. anreihen : {si) t&nd och recht als da man ein höltzen bild
iibergitldet. so schinet es gar schön, aber wenne man das gold ab schabet, so ist
das bilde kleines Schatzes wert, also ist och der mönsche: wenne man im sin ussre»
übunge ab spreche, so ist er mit won blos nature, und in dem gründe do es alles
solt har uss quellen, da ist weder got noch gutlich meinung.
Sb 17 b, 2. Das purpurgewand des reichen mannes im evangelium veranlasst
den Prediger zu folgenden ausführungen: pur pur Meid ist das vinest Meid das
man vinden mag, und es wirt gemachet von der vinesten wullen, so man hat in der
zit. und z& dem ersten ist du wulle wis und denn nimet man ein tierli, ist in dem
DER KNQKLBERÜER PREDIGER 235
m,er, heisset coccus, und das todet man und tfukt man sin blät uss und trukt man
die wullen oder das Meid von der vinen wullen gemachet dar in und es tvirt denne
rot, einer brunen roti, und ivirt der aller edlest purpur den man in der zit hat.
So soll auch der mensch seinen natürlichen adel tnd-en in das rosenfarbene blut
des lammes Jesu Christi. Vom bisstis heisst es ebenda Sb'lS^, 22: ßechsin täch
ist gar fin under allem linin täche und es tragent gerne edel lüte an der hut, wan
•es hat die nature an ime, wer es freit, das der nienter als unrein mag (19 a) werden
an der lieh als ein a)ider nionsrhe. Die deutung geht auf ein Inter geivüsseni, ein
reines gewissen, mit dem der mensch bekleidet sein soll.
Nicht selten sind die vergleiche weit ausgesponnen ; so z. b. Sa
86 b, 18: min kint, nu solt du sechen, das du dich vor getvarnot habest: als einer
der ein bürg buwen wil, der muss vor sechen, das er die kost hab da mit er es vol-
bringen mi'ige. ivon gebreste im kost, so muste es under wegen beliben. also müst du
vor gedenken tvaz du gelobest (wenn du dein gelübde ablegst), das du das och dar
nach vol (87 ^)bringest. du mäst uf einen grünt buwen, sol es ein phüment werden,
wan butvet man dar uf mit, so ist es ein grünt und nüt ein phüment. das ist du
tn&st din antheis volbringen mit guten werken oder es mag nüt ein geistlich leben
heissen. Der Schleier und die kutte machen es nicht und dass du ins reventer, zu
kor und kapitel gehst: du must auch ein inivendig capitel han. — Sa 12t», 9 ff. i(,iit
du nu din hertz behütten, so mäst du recht tun als einr der ein schon bürg hat.
so dem sin viant die bürg ivent besitzen, so mäs er drier hant hat han. zu dem
ersten so mäs er han zwo ringmuren umb die bürg, zu dem andren mal so mäs
man haben gilt waffen, zä dem dritten mal so mäs man haben lütt uf der btirg die
der bürg hüten, und die It'it müssen haben gnäg spis, dtir das in ir kreften nüt ge-
brest. Die bürg ist das herz, gegen das drei feinde kämpfen: der teufel, die weit
und die eigen natur. Die beiden ringmauern sind paciencia^ (gedultikeit) und con-
tinentia {beheblikeit ; 13 a, 5 steht irrtümlich consciencia), die waffen demut und
Sanftmut, die speise das tvirdig sacrament, mit dem din geistlichen kreft gespiset
müssen werden, won dis ist das volk, daz diner bürg hütet. — Sa 87 1», 12 nu solt
du sechen, das du lügest als einer der ein ürlig tvil haben, der mäss zä dem ersten
sechen, das er gät waffen und vil lüten habe, wan hat er ze wening, so er gegen
den vigenden kerne, müst er denne erst um frid senden, das were im unerlich. So
mache auch dir klar, ehe du in ein geistliches leben eintrittst, das du dinen vigenden
mugest angesigen, ivon du hast dry vigent die stettenklich wider dir sint: die weit,
den teufel und den schalk der nature. aber si mugent dir niemer angesigen, die
wil du inen das ivaffen dines frien willen nüt liehest. Vgl. auch Sb 38**, 20 das
wort gottes ist — durchsnident als ein spitzig swert, vgl. Seuse 270, 18 f.; Zeitschr.
46, 4:25 f.
Ein beliebtes bild ist auch der Spiegel.
1) Sa 13 a, 9 Facienda — sol hütten der bürg dins hertzen vor allen den
schössen der vigenden, won wa die phil har schiessen, das das die mur der gedultikeit
gedtdteklich enphache, uiond wenn dem mönschen ein phßl geschossen wirt von sinem
vigent, es sin zornlich wort oder geberd, und das der mansch gedultenklich enphfachet,
so keret sich der phßl wider umb und schüsset den manschen wider durch siti hertz,
von dem er zä dem ersten kam (hs. kan) und enphfachest aber du'den phßl ungedultiklicli,
so blibet er dir, und wen du des gewar u-erdest, das du von krankheit diner natur
habest vergessen der mur diner gedultkeit, so solt die behendklich griffen zä der
andren mur du da heisset continentia.
236 STRAUCH
Sa 93 '^j 1 recJit als man in einem Spiegel die masen des anthites stehet, also
sich et man in dem Spiegel der heiligen geschrift alle masen, die da sint an dem
antliit der sele (ebenso Sa 15^, 22. Sb 144», 6). und dar nnib hat Salomon^, do
der den tempel buwt, do hie{z) er im Spiegel usserthalb des tempels machen: alle die
in den temjiel giengen, das sich die ersechen, ob kein masen an ir antlüt iverin, das
sie sich de>ine wüschen, e dz si in den tempel giengen. also soltn: was dir der
Spiegel der heiligen geschrift zeiget, das soltu mit rüwe und mit bicht abe tveschen. —
Sb 139 b, 26 tvenne man nem einen spiegel oder einen guldin schilt (ebenso Sb 17^^
22. 54", 23) und hette matt si (140«'', 1) gegen der sunnen, so git du sunne iren
glantz in si und si widerglestent gegen der sunnen von ir minnenklichen schSni, so
si allü wider einander habent: also geschieht dem manschen, der do ist in der un-
vermaskeit sines wesens und do stat in dem minnenklichen bekennen sines herren.
Auf profane quellen gehen letzten grades folgende üiit wir lesen
eingeführte beispiele zurück.
Sb 89 a, 22 wir lesen ^, dz zä einem mal die von Rom und die von Cartagine
lang zit mit einander stössig waren, dz sie nieman verschlichten kond, und do es
lang zit gewert, do tvurden si versänt, und ward alles dz dz in dien zwein stetten
was gar fro denn ein einiger man, der ivas gar ein witziger biderman. und er tvard
gefraget, wz er do mit meindi. do sprach er: do furcht (89 b) ich, dz unser sün
nu lernen spilen und ander unnützi ding, die inen schedlich werdent an sei und an
eren, und des taten si vor mit: si mästen alwegen bereit sin ze striten. So läuft
auch der mensch gefahr, träge und unachtsam in göttlichen dingen zu werden,
wenn er nichts mehr zu bekämpfen hätte.
Sb 8 b, 4 wir lesen '^, das ein mansche übergieng ein veld und im kam ein
stude in ein öge, das im das age gar uss kam, das es mit wider in mochte kamen,
und do stand ein geis und si nanien die geis die bi im waren und brachen der
geis ir öge uss und sasten es dem mSnschen in sin höpte, und wo der mansche ie
gieng für einen zun do lob ivas, so sach er aliregent mit der geisse ög dar, und
das ög stand alwegent nach geisse nattir ob sich dem lobe nach, aber der mund
mocht sin mit essen, wan es mit sin nature was. und der mSnsche wart do von als
hertzklich getrenget, das er im hies das öge wider uss brechen, dur das (er) ze fride
kerne, also mäss der mansche tun, er m&ss der geisse öge uss brechen (Matth. 5, 29).
Die innere anteilnahme und gemütswärme, die des predigers
gedankenweit und Weltanschauung durchströmt und in bildern, aus-
geführten vergleichen und allegorien ihren ausdruck findet, wird nun
1) Für das folgende vermag ich ebensowenig die quelle anzugeben wie für
Sa 55 bj 16 Wir lesen, das Salomon sinen temjyel inwendig von vinem golt zierot und
von edelm gestain, aber usnan iimbhankt er [in) mit hiiton der tieron. also tänt
disii (begnadeten) menschen: si zierond den tempel ires hertzen von innen mit
allen tngonden (1. Cor. 3, 16). — und wenn der tempel gezierot ist, so behenkend in
disii menschen, mit hüten ir selbes krankhait.
2) Wo?
3) Ähnliches erzählen die Gesta Romanorum (üesterley c. 76 s. 393). Vgl.
auch Br. Grimm, Kinder- und hausmärchen nr. 118 und die anmerkungen dazu:
Bolte-Polivka 2, 552. - Cod. Pal. germ. 341 bl. 274 ^ (Rosenhagen s. 119 nr. 147)
erzählt die gleiche geschirhte, jedoch vom katzenauge. — Engelberg besitzt eine hs.
(259, 12) der Gesta aus dem .14. Jahrhundert.
DER ENGELBERGEK PREDIGER 237
auch durch die frische und lebendigkeit seines stils auf das glück-
lichste unterstützt. Es ist nicht mangel an Stilgefühl, wenn er häufig
einen bereits ausgesprochenen gedanken, selbst wörtlich, wiederholt:
gerade dem prediger steht eindrucksvolle rede wohl an. Aber auch
im kleinen liebt er Wortwiederholungen: der wiederholte wortklang
begünstigt das aufmerken des hörers ebenso wie es ein anruf tut
{sich an Sb 117b, 26. 118a, 2. 5, sechent Sb 128b, 26. 130b, 12),
eine verstärkende bejahung oder Verneinung {ja! Sb 117b, 3. ii,
118a, 13, nein es! Sa 122a, 20. Sb 117b, 13, /wa! Sa 17a, 24. Sb
66b, 26 und sonst). Von formelhaften Wortwiederholungen begegnen:
aber mid aber Sb 99^, 25, anders und anders Sb 116b, 5. Uga, 17, 136^',
22, bilUch billich Sb 153 b, 3. 197 a, 1, dicke und dicke Sa 112 b, 19. sb 21 b, 24,
so dick und so dick Sa 34 a, 5. Sb 47'% 14, gang, gang Sa 104», 8, gang für, gang
für Sa 42 a, 14. 128% 2. Sb 2», 10, gantz gantz SblSlb, 4, gar und gar Sb 93% 7,
ie oder ie Sa 118 a, 17. Sb 22% 15. 180% 1. 209% 67, me und me Sb 66 1, 17,
sicher sicher {ane allen zxvivel) Sa 117 b, 12. 145^,26. 147% 24. Sb6%22. 112%!.
142 a, 15. 176 b, 20 ; vgl. auch du tvilt dich morn oder denn oder denn bessron
Sb 84 b, 4, do were du verne oder da oder dil {an dem hofe oder dem tantz usw.) Sb
197a 16. _ Zum reim führt der wortklang: liden und miden Sa 35b, 18, in m.
in l. Sb 168 b, 9, lide^i miden steigen Sa 117 b, 3. 132 b, 12 (vgl. Tauler 206, 27.
376, 12 f.), liden miden, haben oder darben Sa 103% 10 (vgl. Tauler 146, 5).
Die rhetorische frage findet häufig Verwendung:
ivarumbe? Sa 105% 16. 22. 116a, iß. 20. Sb 5a. 7. 15% 25 ff. 107% 22, vier-
mal einander folgend Sb 117b, 6. 8. 13. 19; wie nu? Sb 69b, 23, ob mit? Sb 70% 3,
und sechent ein ander unrecht als was wil hie werden? Sa 113 a, 21. 116 a, 25, tcie
sieht man got? Sa 118 a, 23, waz geschach? Sb 77b, 2.
Mit seinen zuhörerinnen, die er mit min kint, minü (liehen) kinder
anredet, steht der prediger in lebendiger Wechselbeziehung, die sich
stilistisch zum dialog gestaltet. Da fragt er wohl: 'willst du hören'?
und antwortet selbst im sinne des gefragten mit einem 'ja gerne'
(Sb 146 a, 17), begegnet einer etwaigen frage mit das ivil ich dir
sagen (Sa 8 b, 13), oder schaltet in der erwägung, vielleicht kümmern
sich deine freunde (verwandte) gar nicht mehr um dich, haben dich
vergessen ein 'möchtest du ihrer vergessen'! (Sa 104», 23) ein. Die
möglichkeit, dass, wer die klostergelübde einmal abgelegt, jemals
wieder aus dem kloster austreten könnte, weist er selbst sofort zurück
mit den Worten : ich ivil vergessen (gar nicht daran denken), dz er ez
iüge\ (Sb 174a, 14), Um nicht zu ausführlich zu werden, bringt er
seine erörterungen oft mit einem 'schlechtlich geret' zum abschluss oder
überlässt ein weiteres ausmalen der hörerin, so wenn er von Jesu
werken und taten sagt: dil ich dir ietz nüt allii zellen mag, ich lasse
dich si Zellen (Sb 176 a, 8).
238 STRAUCH
In die kategorie des Wortspiels weisen folgende Wendungen:
simi werk waren so minnerich, das si nienig geladen hertse entladen und
entbunden (Sb 54 '\ 17); komment zä mir alle die geladen sint und ich tvil i'tch
entladen (Sb 61^, 1 - Matth. 11, 28); exaltare-exiiltare Sb 174b, 7 ff. (s. oben
6. 36); got ist allii ding in allen dingen und ist doch mit got allü ding (Sa 42=', 11);
hat ein geistlicher m. eins helblings wert, so ist er mit eins helblings irerf, ich mein
an urlop oder an noturft (Sb 80 », 30 = Wackern. 70, 138, ebenso Sa 69 ^, 8,
8. oben s. 10) ; s, Bettedictiis gieng uss der" schäl ungelert wol gelert und wol gelert
nngelert (Sa 65b, ig nach der Vita des Gregorius),
Von weiteren mitteilungen über den dialekt der handschriften
sowie über den Wortschatz muss mit rücksicht auf den mir zur Ver-
fügung stehenden räum zunächst abstand genommen werden. Ich habe
das hierfür gesammelte material der Universitätsbibliothek zu Halle
übergeben.
NACHTRÄGE.
S. 6 z. 21. Zur siebenfachen vox domini verweist Bihlmeyer auf Ps. 28, 3—9.
S. 6 anm. 2. Für das 14. Jahrhundert möchte Bihlmeyer eher an Aachen
als an Einsiedeln denken. Vgl. meine anm. zu Heinrich von Nördlingen 44, 41 ff.
S. 10. Zu pred. nr. 8 : Sa 71 a, 3 dar unib so hat der heilig vattcr sant
Benedict also minnenclich allü ding geordnot in sineni orden, das man sol ze metti
gan und das quin qua gen a lesen und disciplin nemen und wachen, vasten und
nachtes in dem gewande slaffen, das man alles dar unibe thi sol, das man das
fleisch und den schalk der natur do mit tibertcinde.
Ich kann die wendung das quinquagena lesen sonst nirgends belegen, es kann
sich aber doch wol nur um die 50 psalmen, ein drittel des psalters, handeln, wenn
auch für ein litaneiartiges gebet der ausdruck lesen kaum passt. Bihlmeyer schreibt
mir dazu: 'in den alten poenitentialien kommt wiederholt vor, dass, wer einen tag
nicht fasten kann, dafür 50 psalmen zu beten habe. Siehe H. J. Schmitz, Die buss-
bücher und die bussdisziplin der kirche 1883 s. 144. So heisst es in einem römischen
poenitentiale des frühmittelalters, im Poenitentiale Valicellanum I can. 104 si quis
jejunare non potest quando debet jejunare, pro uno die in pane et aqua cantet cum
venia psalmos L, et sine venia LXX (Schmitz a. a. o. s. 323). Ähnlich bei Burchard
von Worms (-]- 1025), Decretorum lib. XIX c. 12 (Migne 140, 981): pro uno die
quem in pane et aqua jejunare debet, L psalmos genibus flexis in ecclesia decantet.
Diese stelle zitiert auch der liturgiker Eadulph de Rivo (f 1403) in seinem Trac-
tatus de psalterio observando, s. C. Mohlberg, Radulph de Rivo IL Texte (1915),
237, 17 ff. Man wird also annehmen dürfen, dass die Übung noch im 14. Jahrhundert
bestand. Die zahlreichen, wenn auch bisher meist ungedruckten Summae confessorum
(vgl. Dietterle in der Zeitschr. f. kirchengesch. 1903-1907 bd. 24-28) dürften noch
weiteren aufschluss geben.
S. 11 z. 6 einen gantzen vocabulum: vielleicht ist das berühmte und weit
verbreitete Vocabularium des Papias (saec. XI) gemeint. Eugelberg besitzt mehrere
vocabularien, s. z. b. Catal. s. 132 (K. B.).
S. 17 z. 11 s. auch J. Bernhart, Bernhardische und Eckhartische mystik.
Würzburger diss. 1913 s. 20 anm. 1.
DER EXGELBERGER PREDIGER 239
S. 21 z. 36 conrersacion: Bihlmeyer verweist mich auf M. Rothenhäusler und
T. Herwegen, Studien zur benediktinischen profess (heft 3 der Beiträge zur gesch.
des älteren mönchtums und des Benediktinerordens. Münster 1912) I, 20 ff. II, 47 ff.
und B. Linderbauer, S. Benedicti regula monachorum. Hg. und philologisch erklärt.
Benediktinerstift Metten 1922 s. 144 f. Die conversacio {sive conversio) nionim ist
neben der stabilitas und obedientia ein hauptstück des benediktinischen profess-
gelübdes. Conversatio (so nach der besten Überlieferung, nicht conversio) kommt
ausser einmal im prolog lOmal in verschiedener bedeutung vor, meist handelt es
sich um den asketischen lebenswandel im kloster.
S. 23 z. 44 wil: vgl. den ritus der professablegung der nonnen im Pontificale
romanum : De benedictione et consecratione virginum. Bei Überreichung des Schleiers
spricht der bischof : accipe velamen saci-nm, quo cognoscaris ninndiun contempsisse et
te Christo Jesu reraciter humiliterque toto cordis annisii sponsam perpetualiter snb-
didisse. S. auch s. 29 z. 34: den nonnen wurden henedizierte torques sive coronae
bei der profess aufs haupt gesetzt (K. B.).
S. 34 z. 37 f. 214 z. 15 f. Sb 151 ^i, 7 ff. und teere ioch der mansche mit ge-
i-allen, das doch got mönsche ivolt sin worden von rechter liebi die er z& uns hat.
und das bewert der hoch lerer sant Augustinus in einer silier Omelga, die man list
uf den heiligen wienachttag. und der liep Christus bewert es selber in dem heiligen
ewangelio (Joh. 10, 14). 'Die stelle bereitet erhebliche Schwierigkeit. Soviel bis
jetzt bekannt, ist Rupert von Deutz (f 1185) der erste, der die hier vorgetragene
lehre vertritt : De gloria et honore filii hominis super Matth. 1. XIII (Migne 168,
1628) und De glörificatione Trinitatis III, 20 (Migne 169, 72 C). Sie wurde von
Albert dem grossen wieder aufgegriffen und von Duns Scotus weiter ausgebildet,
in dessen schule sie (auch hierin im gegensatz zur thomistischen) zur herrschaft
gelangte. Vgl. L. Thomassinus, Dogmata theologica, ed. nova III (Paris 1866), De
incarnatione 1. H c. 5—7; J. Pöble, Lehrbuch der dogmatik 11** (1914), 179 ff.;
Fr. Diekamp, Kath. dogmatik 11^ (1918), 165 ff. Die auffassung, dass gott die
menschwerdung seines sohnes unabhängig von der voraussieht des sündenfalles be-
schlossen habe, ist ganz und gar unaugustinisch. Es liegt also ein Irrtum des
Predigers vor. Es ist auch wohl nicht eine pseudoaugustinische homilie gemeint,
da die obige lehre im christlichen altertum unbekannt war. — Wie kommt aber
der prediger zu seiner falschen anschauung? Die ausführungen bei A. Hauck,
Kirchengesch. Deutschlands 4 (1903), 418 anm. 1 dürften den Schlüssel zur lösung
geben. Rupert beruft sich nämlich im Zusammenhang obiger stelle De gloria et
honore filii hom. auf Augustin, De civitate dei XIV, 23, allerdings für etwas anderes,
aber ein oberflächlicher leser des Rupert konnte meinen, er zitiere Augustiu auch
für die lehre der sog. unbedingten Prädestination des gottmenschen. Eine solche
Verwechslung war um so leichter möglich, als der name der zitierten theologischen
autorität. Augustin, am blattrande vermerkt sein konnte.
Übrigens liegen, wie Hauck hervorhebt, in gewissem sinne doch die Voraus-
setzungen zu Ruperts lehre bei Augustin. Der augustinische gedanke aus dem
Tractatus in Joannem I. n. 17 (Migne 35, 1387), dass clie Weisheit gottes der idee
nach alles enthalte, bevor sie es verwirklicht — also auch die menschwerdung
Christi als bestandteil eines ewigen göttlichen dekrets! — , schwebt ihm augen-
scheinlich vor, so namentlich an der zweiten stelle De glorif. Trinit. III, 20. Nun
aber wird ein stück aus dieser augustinischen homilie im brevier (nämlich Tract.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. L. 17
240 STRAUCH, DKK EXGELBKRGER l'REDIGER
in Joannein I. c. 1 im alten konstanzer, u. 10—11 [teilweise] im heutigen römischen)
an Weihnachten als lectio III der 3. nocturn gelesen. Man kann also immerhin
verstehen, wie der Engelberger prediger oder sein Gewährsmann zu der meinung
kommen konnte, Augustin vertrete jene lehre. Übrigens nimmt Ilupert I. c. auch
auf die augustinische auslegung von Joh. 1, 3 in dessen Tract. in Joannem I.
n. 16 bezug. Vgl. auch Schönbach, Altd. pred. 3, 246, 18 ft'.' (K. B.).
S. 84 z. 42 fantasmata: vgl. in dem alten hymnus Te lucis ante tenninum
im completorium, das die benedictinernonnen verrichten (Chevalier, Registrum
hymnologicum 2, 646; Wackernagel, Kirchenlied 1, 15): I'rocid recedant somniay.
Et noctium phuntasmcita (K. B.).
S 41 z. 18. Über die drei seelenkräfte (nach Augustin) s. J. Bernhart, Die
philosophische mystik des mittelalters. 1922 s. 58 f. und die anmerkungen dazu.
S. 41 pred. nr. 21. Zu Maria = oleum vermutet Bihlmeyer als unmittel-
barere quelle Jacobus a Varagine, Mariale sive sermones de beata Maria Virgine.
Venetiis 1497 (Universitätsbibl. Tübingen, Gb. 216): bl. XLVr ein sermo über das
thema: Olira signat Mariam, bl. XLVIr ein sei'mo mit der aufschrift: Oliva signat
Mariae misericordiam. — In der anm. 2 z. 3 sowie s. 42 aum. 2 z. 3 lies 'Mauser'.
S. 48 anm. 3. Bihlmeyer verweist auf die worte in dem hymnus Jesu[sJ
dulcis memoria (vesper des festes s. nominis Jesu an Dominica II post Epiph.) aus
dem 13. Jahrhundert, fälschlich öfter dem h. Bernhard zugeschrieben (s. Chevalier,
Registrum hymnologicum 1, 574; Wackernagel, Kirchenlied 1, 117 ff.): JesufsJ
dulcis memoria, Dans vera cordi (alias cordis) gaudia, Sed super mel et omnia, Eins
dulcis praesentia. Nil canitur suavius, Nil auditur jocundius, Nil cogitatur dulcius,.
Quam Jesus Dei Filius. — Str. 23 Jesu, decus angelicuni, In aure dulce cantictim^
In ore mel mirißcwn, In corde nectu)- coelicuni.
S. 43 anm. 5. Im mysteriösen Eobanus möchte Bihlmeyer auf grund ihm
zur Verfügung gestellter notizen des h. p. A. Mauser vielleicht doch eine Verderbnis
von Alanus annehmen. Alanus ab Insulis (f 1203) war in S. Blasien sehr bekannt,
s. die Chronik des Otto von S. Blasien (Mon. Germ. SS. 20, 327, 17 ad a. 1194).
S. Blasien aber ist das mutterkloster Engelbergs. Im cod. 234 der Engelberger
klosterbibl. (Cat. s. 179 f.) findet sich ein stück von Alanus, Bern besitzt mehrere
Alanus-codices. S. auch Seuse s. 178, 12 anm. und den Traktat von der minnenden
seele, Banz s. 364 f. Das zitat an unserer stelle findet sich zwar nicht direkt in
den Schriften des Alanus, wohl aber klingen ähnliche gedanken an im Hohelied-
komm^ntar (Migne 210, 51 ff.) und in der Summa de arte praedicatoria (Migne
210, 151 ff.).
S. 211 z. 12 ff. s. noch R. Durrer, Das fraueukloster Eugelberg als pflege-
stätte der mystik, seine beziehungen zu den Strassburger gottesfreunden und zu
den frommen laienkreisen der Innerschweiz. Geschichtsfreund 76 (1921), 195 ff.
bes. s. 212. 213, nach Bihlmeyer auch als exkurs in des Verfassers bruder Klaus.
Die ältesten quellen des sei. Nikolaus von Flüe 2 (Stans 1921), 1053 ff. Dass der
Engelberger prior Joh. von Bolsenheim die predigt Sa 11 selbst gehalten hätte, ist
wenig wahrscheinlich.
S. 213 z. 29 ff. s. auch in einer predigt des minoriten Konrad von Sachsen :
A. Franz, Drei deutsche minoritenprediger 1907 s. 29.
S. 214 z. 18 f. und zww Homil. XXI in evang. n. 6 (Migne 76, 1172): si
niembra nostri Redemptoris sumus, praesumamus in nobis, >piod gestum constat
in capite.
LEITZMANN, AUSZÜGE AUS BRIEFEN DER BRÜDER GRIMM AN SAI.OMON HIRZEL 241
S. 214 anm. 3. Es Avill keiner der Hieronymusbriefe recht passen, es müsste
denn nur ganz frei zitiert, dir was ein heidnin ein irrtum des predigers oder seiner
vorläge sein. Man könnte denken an Ep. 22 ad Eustochium (Migne 22, 394 ff.)
oder Ep. 79 ad Salvinam (Migne 22, 724 ff.), die eine tochter des mauretanischen
fürsten Gildo war — eines knnges tochter, — oder namentlich an Ep. 130 ad Deme-
triadem (Migne 22, 1107 ff.), vgl. dort c. 1 : Demetrias virgo Christi qiiae et nobili-
tate et divitiis jn-ima est in orhe Romano; ihre hinwendung zur askese machte
grosses aufsehen, die Hieronymus zu seinem briefe veranlasste (K. B.).
HALLE A. D. S. PHILIPP STRAUCH.
MISZELLEN.
Auszüge aus briefen der brüder Grimm an Salomon Hirzel.
Aus Hans Gürtlers nachlass, herausgegeben von Albert Leitzmann.
(Fortsetzung.)
64. Lieber freund,
[Anzeiger 17, 244.]
Die bogen der briefe an Lotte lege ich wieder bei, dem vernehmen nach
hat nun Cotta doch alles flott gemacht und es soll bald erscheinen, ein blatt der
Kölner zeitung mit einem aufsatz Dünzers über Göthes liebesverhältnisse ist Ihnen
vielleicht noch unbekannt, Sie können es, wenn Sie wollen, behalten, ist denn das
Candidusbüchlein fertig geworden?
31 Jan. 1854. Ihr Jac. Gr.
65. Hier bekommen Sie, lieber Hirzel, manuscript 61—80, das nächstemal,
hoffe ich, soll der schlusz folgen, falls das Webersche Wörterbuch, wie Sie äuszerten,
im februar erscheinen sollte, wäre mirs ganz recht,. damit ich mich darüber aus-
sprechen kann, ich denke auch dasz man im publicum erwartet, dasz ich mich
über die sauberen leute, den Sanders und Wurm erkläre.
Müssen Sie das atbenaeum zurück haben?
Jahns aufsatz Göthe in Leipzig ' war hübsch, vor einigen wochen versprachen
Sie den Candidus zu schicken ; da Sie es nicht getan haben und sonst nicht
pflegen dergleichen zu vergessen, musz es damit besonders bewandt sein. ^
Hier verbreitet sich das gerücht, Carl Reimer wolle Leipzig verlassen und
hierher ziehen, werden Sie dann sein haus kaufen oder auch kommen?
montag 21 febr. [1854] Ihr Jac. Grimm.
Dort bei Otto ^\'igand ist der ungrische simplicissimus erschienen, ein ganz
interessantes buch, auch mit allerhand brauchbaren Wörtern. [Anzeiger 17, 244.]
[Bittet, von der vorrede keine aushängebogen an ihn zu übersenden.]
66. L. H. ich schicke hier manuscript j). 123-134. [druckfehlerverbesserung
zu besengen. Zitat der Jenaer Lutherausgabe und aus Andreae.]
montags. [1854] * Ihr J. Gr.
1) Goethes briefe an Leipziger freunde - s. i39.
17*
24:2 LEITZMANN
67. Lieber freund,
sonst pflegen Sie mir den empfang des manuscripts umgehend anzuzeigen ;
vorigen niontag sandte ich die fortsetzung ab, habe aber bis jetzt keine benach-
richtiguug erhalten, sollte es nicht in Ihren bänden sein?
Donnerstag nachm. [1854]
J. Gr.
68. Sie haben recht, lieber Hirzel, und Ihrem verlangen nach ist alles, woran
Sie anstosz nehmen, getilgt, wodurch auch hinreichender räum gewonnen worden,
dasz die vorrede nun bequem auf p. LXVIII auslaufen kann. Die eingänge der
abschnitte 23 und 24 müssen aber nun ausgefüllt werden, wie auf beifolgendem
blatt angegeben ist.
Vor den klatschblättern habe ich zwar keine angst, denn die wissen sich
doch material zu bereiten; und halte es auch für recht, andern, wo sie mich im
stich gelassen haben, das oifen zu bekennen, doch wird nun alles besser sein.
eben schreibe ich an Zacher, dasz er die jahrzahl des von ihm ausgezognen
Agricola unmittelbar nach Leipzig melden solle, vielleicht wäre auch von Eückert,
falls er noch in Zittau wohnt, die jahrzahl der drei von ihm excerpierten bände
Luthers am kürzesten durch einen brief zu erfragen, unter den von Wilhelm
bisher aufbewahrten briefen kann ich keine von ihm entdecken.
J. V. Andreae reformation ist nach einem citate Meuselbachs, gewis also
richtig, ich will bei der con-ectur alles wahren und ordnen, musz aber auch von
der vorrede noch eine haben.
Gestern empüengen Sie das Verzeichnis bis Loher, der schlusz des ganzen
folgt in drei oder vier tagen.
freitag mittag. [10. märz 1854] Ihr Jac. Gr.
69. [Anzeiger 17, 244.] Die drei von Rückert excerpierten bände hat Hermann
durch vergleichung der ausgaben auf der bibliothek glücklich ermittelt: [nähere
angaben.] [Anzeiger ebenda.]
Grosze last verursacht das fehlende citat der ausgäbe von Agricola. Zacher
meldet eben, dasz er ihn gar nicht excerpiert hat; es geschah durch Günther, der
fast wie Zacher schreibt (sehen Sie beiliegenden brief an), was den irrthum veran-
laszte. ich schreibe heute an Günther, wenn er nur noch in Halle ist.
Unter die excerpenten gehören noch
^ Müller in Wiesbaden
C allin in Hannover,
wollen Sie druckfehler anzeigen? ich kann noch mit mehr aufwarten.
15 merz [1854] Ihr Jac. Gr.
70. Hierbei übersende ich manuscript 3419—66. gestern abend sind Freitags
Journalisten hier mit groszem beifall gegeben worden, ich habe sie durchgelesen
und besonders die trinksceue und die erzählung der feuersbrunst wirksam gefunden,
in diesen tagen erscheint von Hermann ein gedieht träum und erwachen. Den
Candidus will professor Weisz in der hiesigen theologischen zeitung beurtheilen,
ein weiszer den andern.
montag 27 merz Ihr Jac. Gr.
1854
AUSZÜGE AUS BRIEFEN DER BRÜDER GRIMM AN SALOMON HIRZEL 243
71. Lieber freund,
Hermann behauptet Ihnen sein jetziges gedieht, freilich noch in gestalt einer
novelle, gesandt zu haben, die aber damals von Ihnen abgewiesen worden sei.
[Anzeiger 17, 245.]
Jac. Gr.
Klee, höre ich, soll hierher kommen und Böcking *, wohnen beide bei Haupt.
[Ende märz oder anfang april 1854.]
72. [1854.]
[Wegen zitat der Ägricolaausgabe im quellenverzeichnis. Druckfehler in der
vorrede verbessert.]
73. [Die Zitate Günthers ausAgricolas sprichwörtersaramlung seien aus Sebastian
Frank.] Von Agricola ist kein druck von 1570 bekannt, folglich sind alle seine
citate Agr. spr. falsch, und enthalten Frank . . . dieser Irrtum ärgert mich ungemein
. . . beim nächsten Verzeichnis musz die sache berichtigt werden, ich will sobald
ich dazu kommen kann citate und buch selbst vergleichen, und — Agricolas Sprich-
wörter von neuem durchlesen, denn was nach capiteln aus Voss angeführt wird
genügt lange nicht.
In den bänden von Luther wollen wir Hermanus angaben folgen, die richtig
sind. [Andere drucke.]
Es stimmt durchaus nicht zu dem stil meiner vorrede, dasz ich Hildebrand
als lehrer an der Thomasschule bezeichne, das wird schon hinreichend bekannt
werden, und Zarncke könnte es allenfalls in der anzeige demnächst bemerken,
höchstens läszt sich für den fall, dasz es mehrere Hildebrande zu Leipzig gäbe,
der Vorname beisetzen.
[Dankt für büchersendung (Freytag, Usteri, Hebel).]
die geschichte mit Agricola ist fatal, ich denke mir aber am schlusz musz
das ganze Verzeichnis berichtigt und erweitert neu gedruckt werden, das jetzige
ist nur ein provisorisches.
[1854.] Ihr Jac. Gr.
74. Lieber freund, ich hoffe, Sie sind durch den eingenommenen Günther voll-
ständig hergestellt; diesem niüste dafür dasz er uns so angeführt hat auferlegt
werden die gedichte seines weltlichen namensverwandten neu herauszugeben. Der
angerichtete schade ist so grosz nicht, weil dadurch die egenolfische Sammlung, so
gut ers verstand, ausgezogen wurde, geärgert habe ich mich aber auch über Zacher,
der in einer ex professo augestellten Untersuchung der spriclnvörter^ die egenolfischen
abdrücke nackt hinstellt, ohne etwas über ihr Verhältnis zu ermitteln und zu sagen,
ich bitte folgendes einzuschalten: [folgen die im quellenverzeichnis gedruckten
angaben über die benutzte Ägricolaausgabe.]
im 16. Jahrhundert, wie ich auch spalte XXXVII sage, veriuhr man ohne
alle umstände mit den büchern, kürzte ab oder erweiterte nach gutdünken.
Ich habe nichts dawider, dasz Sie Alxinger und Derling einschalten, von
letzterm aber müssen beide werke angeführt werden, denn ich weisz nicht aus
1) Eduard Böcking (1802—70), professor der Jurisprudenz in Bonn.
2) Die deutschen sprichwörtersammlungen, Leipzig 1852.
24:4 LEITZMANN
welchem die spalte 512 nach Campe gegebne stelle stammt. Campe citiert nirgend
genau, immer nur die nameu.
[Wegen Lisch, Wörterbuch 1, LXXX.]
Hoffentlich sind wir mit dem register bald fertig, mein gestolner Hebel
war auf ordinairem papier nicht Schreibpapier.
[1854.] Ihr Jac. Gr.
Ahlfeld musz unangeführt bleiben, ich und Wilhelm wissen nichts von ihm.
er kann nicht die ganze schar eröfnen.
75. [Anzeiger 16, 229.]
Hierbei sende ich manuscript 3467—3552 und eine anzeige von Zensz, in
deren eingang Pott ' sich auch angemessen über das Wörterbuch ausläszt. Sie
dürfen das blatt, wenn Sie wollen behalten, an den dummen recensenten in der
Darmstädter- schulzeitung (es ist Wagner ^ selbst) lassen Sie doch kein höchst
unverdientes exemplar weiter verabfolgen? er hatte sich herausgenommen für den
Umdruck des cartons besserungen zu empfehlen, die lauter grobe fehler gewesen wären.
[Wegen Goethezitaten. Dank für bücher.]
17 apr. 1854. Jac. Grimm.
76. Lieber freund,
ich übersende Ihnen manuscript 3558—3648, welches drei bogen geben wird, ferner
einen brief an Daseut* mit einem exemplar des Wörterbuchs an ihn abzusenden, wie
Sie es wollten.
Dank für die Zürcher sachen. Auch Ihnen wünsche ich künftig einmal für
Ihre Ottilie einen solchen bräutigam wie Mommsen^ ist, doch müssen Sie sie noch
nicht sobald hingeben. Zarncke hat sich zwar sehr gut und freundschaftlich, aber
auch kurz gefaszt*; mir ist bang, dasz er sich, wie Haupt, zu viel auf einmal
auflädt. Die übrigen sachen habe ich noch nicht angesehen.
Sonntag mittag [1854]. Ihr Gr.
77. [schickt manuskript 3649-3748.]
27 mai [1854].
78. Gleich einem fürsten sind Sie ja, 1. H., beständig auf reisen, da Sie den
Umschlag zum neuen heft vielleicht schon zurüsten, bitte ich beifolgendes^ mit
darauf setzen zu lassen und mir die insertionsgebühr anzurechnen.
donnerstag [23. juni 1854] Ihr Jac. Gr.
79. [Anzeiger 17, 245.]
Die artikel aus der Hannoverschen zeitung habe ich schon gelesen, ich schrieb
es Ihnen blosz, damit Sie sie auch einsähen.
1) August Friedrich Pott (1802—87), professor der Sprachwissenschaft in Halle.
2) Karl Wagner (1802—79), lehrer am gymnasium in Darmstadt.
3) Sir George Dasent (1818-96), advokat in London, dann hilfsredakteur
der Times, auch als germanist tätig.
4) Mommsen hatte eine tochter Karl Reimers zur frau.
5) Im Literarischen zentralblatt nr. 18.
6) Kleinere Schriften 8, 543.
AUSZÜGE AUS BRIEFEN DER BRÜDER GRIMM AN SALOMON HIRZEL, 24:5
Aui spalte 218 bitte ich, wie beifolgt, setzen zu lasseu.
Ihrer guten uachrichten mich freuend Jac. Gr.
Sonnabend. [185-i]
^ü. Hierbei manuscript 3843—3874 und den band Voss mit dank zurück. Zeitung
für Norddeutschland Hannover no. 1516, 1523 eine anzeige des Wörterbuchs.
[1854] Jac. Gr.
81. Ich hoffe dasz Ihre äugen wieder hergestellt sind und sende manuscript
5901—3952, sowie den Daterich ' mit dank zurück.
7 sept. [1854] Ihr Jac. Gr.
82. Mittwoch 13 sept. [1854] abends.
Lieber Hirzel,
da heute so schönes wetter war, habe ich mich entschlossen und reise in
einigen stunden nach Danzig ab, das ich noch nicht gesehen habe ; was dann weiter
geschieht, soll von meinem befinden abhangen, doch denke ich nicht viel über acht
tage auszubleiben, von meiner rückkehr gebe ich sogleich nachricht. ich hoffe
Ihre äugen sind ganz hergestellt, obgleich Sie der heutigen correctur nichts, es sei
dann ein einziges t, hinzugefügt haben. Ihr Jac. Gr.
[Anzeiger 16, 230.]
83. Ich bin ohne sonderlichen vortheil, scheint es mir, für mein wolbefinden wieder
glücklich heimgekehrt und hoffe mich an der arbeit besser zu erholen, dort in
ganz Westpreuszen und Ostpreuszen, wo alles sandig und unheiter, und fern von
dem belebenden hauch der Appenzeller natur ist, möchte ich meine tage nicht
hinbringen, bin vielmehr froh sie anderswo hingebracht zu haben.
Hierbei sende ich alles manuscript was ich habe 3953—3988, die correctur 18a,
einen zusatz zu spalte 271 und die mitgetheilten recensionen zurück. Zarncke hat
sich wieder freundlich ausgesprochen *, ich hoffe aber, dasz er sich auch an meinen
-etymologien gewaltig versieht.
Schön dasz Sie zu Kosen waren, und grüszen Sie Ihre gute Frau.
Donnerstag. Jac. Gr.
[Ende September oder anfang Oktober 1854.]
84. hierbei manuscript 4047-4108
und eine anzeige Stöbers wegen Göthischer briefe.
eilig J. G. freitags [1854].
85. [Stellenangabe zu dem im Wörterbuch 2, 479 unter büchslein angeführten
beleg. 12. november 1854.]
86. Lieber freund, ich danke für das geld, für das interessante buch von
1) Niebergalls Darmstädter lokalposse (1841).
2) Im Literarischen zentralblatt nr. 37.
246 LEITZMAXN
Dümmler*, und für das brauchbare badische landrecht (hätte ichs doch schon
früher gehabt!)
Sie erhalten hierbei mannscript 4185—4252, das beinahe fürs heft ausreichen
wird und schon tapfer in BV eingreift.
Auf der bibliothek war Fichards frankfurter archiv verliehen, in dessen
drittem band 365 die redensart ins büchslin blasen vorkommt, ich musz aus dem
Zusammenhang beurthoilen, was sie bedeutet, vielleicht findet sich das buch auf
dortiger bibliothek, und Sie thun mir den gefallen nachzusehn.
Wissen Sie, oder können Sie erfahren, ob Hildebrand meine mythologie hat?
ich würde ihm sonst die neue ausgäbe^ schenken.
Sie selbst haben das buch wol in der ausgäbe von 1844, welche correcter
als die neue ist, und völlig einstimmt; sonst würde ich auch Ihnen ein exemplar
zugehn lassen. Schlemmers einziger söhn, ein angehender buchhändler, hat sich
zu Wien erschossen.
Mit meiner gesundheit wills immer nicht gehn.
montag 13 nov. [1854] Ihr Gr.
[Anzeiger 17, 245.]
87. Lieber Hirzel,
Ihr exemplar der mythologie sowie fortsetzung des manuscripts liegen bereit,
sein Sie so gut die einlage an Zarncke zu besorgen, das bröschen haben Sie
noch angebracht gefunden, von spalte 442 bitte mir vor dem abdruck noch einen
abzug aus, ich bin unsicher, ob etwas recht eingetragen ist.
[1854] J. Gr.
88. [Anzeiger 17, 245.]
Schlieszen und fangen Sie gut an,
80 dec. [1854] Ihr .Tac. Gr.
89. [Anzeiger 16, 230.] ein neues drama, Rotrudis, hat er wieder als manuscript
drucken lassen, zur Versendung an bühneu.
[Anzeiger 16, 231.]
am 5 Jan. abends [1855]
90. Hierbei 4411—42 und ein paket an professor Jacobi zu gütiger abgäbe.
23 Jan. [1855] Jac. Gr.
Rotrudis hat Hermann durch Dietrichs beischluss abgesandt.
91. L. H. ich sende hierbei p. 4443—4464, wenn allenfalls der bogen 37 nicht
ausgedruckt worden wäre aus mangel an manuscript, wozu meiner meinung nach
das früher gesandte hinreichte. [Anzeiger 16, 231.] Waren denn unter den schwer
bezahlten zetteln aus der HGO keine C? jetzt ists zu spät dazu.
mittwoch 14 febr. [1855] Ihr Jac. Gr.
92. [Anzeiger 16, 232.] der setzer hat den ausgang des B zu meinem verdnisz
auf spalte 598 eng zusammen gedrängt, mir wäre lieb gewesen, dasz er einigen
1) Pilgrim von Passau und das erzbistum Lorch, Leipzig 1854.
2) Göttingen 1854.
AUSZÜOE AUS BRIEFEN DER BRÜDER GRIMM AN SALOMON HIRZEL 247
räum für zusätze gespart hätte, wie sie sich am ende eines huchstabs leicht pflegen
einzufinden, es sieht so auch nicht gut aus, freilich besser als der schlusz des
ersten bauds. [Anzeiger 16, 283-] bestellen Sie beim setzer, dasz er das C nur
auf der zweiten blattseite schliesze und D auf die erste eines neuen blattes bringe.
[Anzeiger ebenda.]
Die Jacobsbrüder sind für Sie.
Viel herzliche grüsze von Ihrem
Jacob Grimm.
Hermann hat eine novelle im morgenblatt drucken lassen, die mir mehr gefällt
als seine Eottrud.
[Am köpf des briefs von Hirzels band : 3 März 55.]
93. [Bittet, die unvollständige Ptolemaeusausgabe nicht für ihn zu kaufen, wenn
sie nicht zu erniedrigtem preise zu haben sei. 22. august 1855 nachmittags.]
94. Lieber freund,
ich danke schönstens für die beiden Ulpiane. es ist mehr ein kunststück, als
dasz ich groszen nutzen davon absähe, sonst gab man die classiker aus den hand-
schrifteu heraus in druck, jetzt sucht man sie aus den drucken wieder in die
handschrift zurückzutreiben.
Sie haben sich wegen des Ptolemaeus bemüht, bald wird sich für Bädeker
ein gelehrter finden, der dem werk die abgehende 7. 8 lieferung zufügt, ich weisz
schon wer oder vielmehr welche, denn es werden ihrer zwei sehr dazu passende
sein, käme Ihnen unterdessen ein gutes exemplar der 6 ersten lieferungen vor
die äugen, so gäbe ich wol 4 thaler darum.
Das zu Wolfenbüttel vorrätige nachtbüchlein in 2 bänden ist von einem
Leipziger setzer oder schriftgieszer, Valentin Schiiman.
[Anzeiger 17, 245 (lies 'Göttingen, Hannover, vielleicht').]
3 sept. 1855. Ihr Jac. Grimm.
95. [Anzeiger 17, 245.]
Habe ich Ihnen für die gütige besorgung des Ptolemaeus noch nicht ge-
dankt ? es wäre schändlich.
Mit den Northern Antiqiiities kann ich Ihnen in keiner der drei auflagen
dienen, auch nicht mit Herbertz miscellaneons poetnj. diese beiden stehn in zu
geringem rufe, als dasz ich mich je darum bemüht hätte; man kann sie, glaube
ich, entbehren, doch enthalten Sie mein urtheil dem herrn Möbius vor, aus dessen
feder eben eine Blomsttirvallasaga ' hervorgegangen ist.
freitag 12 oct. [1855] Stets Ihr
Jac. Gr.
96. Lieber freund, Berlin 6 dec. 1855.
ich danke schönstens für die neuen geschenke, Sie werden ja ganz zu einem
joristischen Verleger. Stobbe- hatte mich hier besucht und mir wol gefallen, um
so' angenehmer kommt mir sein buch'. Huschke*, dem Bücking deu Gajus mit
1) Leipzig 1855.
2) Otto Stobbe (1831—87), professor der Jurisprudenz in Königsberg.
3) Zur geschichte des deutschen Vertragsrechts, Leipzig 18.55.
4) Philipp Eduard Huschke (1801—86), professor der Jurisprudenz in Breslau.
248 LEITZMANN
zugeeignet, hat eben ein unglückliches werk über die oskische spräche geliefert *.
[Anzeiger 16, 234.]
In Ihrem process werden Sie sicher ehrenvoll freigesprochen. Zu anfang
neujahrs . . . hoffe ich Sie hier zu sehen.
Stets Ihr Jac. Grimm.
[Frage nach einer von Serrure in Gent herausgegebenen Zeitschrift über alt-
niederländische literatur, in der das neugefundene Nibelungenstück stehe ( Vader-
landsch musetun 1, 1).]
97. Liebster Hirzel,
es soll mich freuen, wenn ich durch Ihre Vermittlung das belgische buch bald
erlangen kann.
[Anzeiger 17, 246.J
Lesen Sie beiliegenden himmlischen brief, der geprüder schreibt und nach
Göttingen geschickt war; er hat entdeckt, dasz unser aiphabet aus 25 buchstaben
besteht (wobei sieben vergessen sind) und bittet seinen namen noch geheim zu
halten. Sie können mir den brief wieder mitbringen, wenn Sie herkommen.
Gestern erhielt ich aushängebogen 49, doch 46. 47. 48 haben Sie mir nicht
gesandt, auch will sie Wilhelm nur einfach, nicht doppelt empfangen haben.
10 Dec. 1855. Jac. Gr.
98. [Anzeiger 16, 237.]
In der reime des deux mondes vom 15 fevrier rühmt ein Saint Rene Taillan-
dier Ihren verlag, bespricht das werk von Prantl'^ und fügt auch einige sätze über
das Wörterbuch an.
Dahlmann soll männliche fassung beweisen, sein Schwiegersohn Reyscher war
gerade hier, als die todesbotschaft ankam ^. eine fräulein Schramm, höre ich, wird
das hauswesen besorgen.
[Anzeiger ebenda.] Ihr. Jac. Grimm.
18 febr. 1856.
99. [Anzeiger 16, 237.]
Zum verlegerlied hätten Sie einige namen beisetzen sollen, ich verstehe nicht
was mit dem bock gemeint ist, auch nicht was der hanswurst neben soll und haben
bedeutet.
[Anzeiger ebenda.] Immer Ihr treu ergebner Jac. Gr.
26 mai abend [1856]
100. Lieber freund,
hier schicke ich die neulich schon angekündigte abhandlung*, plage Sie aber
zugleich mit der bitte, das weiter beigelegte dutzend abgeben und versenden
zu lassen.
[Anzeiger 16, 238.] Dar Jac. Gr.
n juni 1856.
1) Die oskischen und sabelüschen Sprachdenkmäler, Elberfeld 1856.
2) Geschichte der logik im abendland, Leipzig 1855—70.
3) Dahlraanns frau war am 9. februar gestorben.
4) Über den Personenwechsel in der rede (Kleinere Schriften 3, 236).
AUSZÜGE AUS BRIEFEN DER BRÜDER GRIMM AN SALOMON H[RZEL 249
101. Liebster freund,
das centralblatt spalte 611 hat iu einem auszug von no 35 des auslands:
'Lord Neaves über den Ursprung und das Vaterland der ossianischen gesänge'. ich
kann das ausländ hier nicht auftreiben (das lesezimmer der bibliothek hält es nicht),
wahrscheinlich liegt es dort vor, und ich hätte gern eine abschrift jenes artikels
über Lord Xeaves. es werden nur einige zeilen sein.
Sollte die dortige Universitätsbibliothek besitzen :
Dana Oisein mhic Fhinn. Duneidin 1818
(gedichte Ossians. Edinburg 1818)
80 bitte das buch zu leihen und mir zu senden, ich würde es auch kaufen, falls
es Weigel hätte.
Neulich bin ich von einem photographen etwas besser behandelt worden und
ich hebe Ihnen einen abdruck des bildes auf. Ihr Grimm.
Wilhelm ist zurück und wird es Ihnen schon gemeldet haben.
[Auf der rückseite von anderer band: October 18ö6.]
102. Lieber Hirzel,
wenn Sie da sind, vergesse ich meistens einige Ihnen aufgesparte fragen . . .
wer hat die Gallischen alterthümer oder samlung alter gedichte. Leipzig bei Weid-
manns erben und Reich 1781 in zwei bänden übersetzt? das buch war ganz gut
und ist es später durch seine damals unbrauchbaren noten geworden, vielleicht
wurde es durch Herder veranlaszt.
Haben Sie den band landkarten, worin ich Ihnen das bild legte, bei Georg
oder Dietrich zurückgelassen? . . . Haupt ist wieder krank und es scheint wieder
das nervenübel, von dem er 1849 zu Leipzig heimgesucht wurde.
Ihr Jac. Gr,
montag [auf der rückseite von Hirzels band: November 1856J.
103. Berlin 21 febr. 1857
Lieber freund, den band Herder werden Sie durch Ihren söhn, der mich auf
meinen geburtstag- besuchte, zurückerhalten haben, ich bin Ihnen schon lange dank
und antwort schuldig, diesmal kam freilich kein seltnes bücheichen, das Sie sich
selbst weggenommen hatten, zum angebinde, fürs nächste mal erbitte ich mir* aus
Ihrem verlag eine abhandlung von Droysen über Windeck, wenn sie unter den
Schriften der leipziger gesellschaft der Wissenschaften ' besonders ausgegeben wird.
Zum neuen Jahrbuch des deutschen rechts wünsche ich Ihnen glück, ich wüste
wol auch beitrage dazu, wenn ich zeit hätte, ich spüre, im alter nehmen die
plane und gedanken nicht ab, sondern zu, aber die ausführung wird schwieriger,
die gelenke werden steifer.
[Anzeiger 16, 240 lies 1 'ungeordnet' und 8 'sehr' hübsches].
Neulich liesz ich Sie durch Möbius bitten erkundigung über die hinterlassene
bibliothek von Zeusz einzuziehn. Carl Reimer, an den ich dasselbe ersuchen ge-
richtet hatte, meldet mir, dasz in ermanglung naher verwandten alles noch ver-
siegelt liege, vernehmen Sie in zukunft etwas, so theilen Sie es mir mit.
[Anzeiger 16, 242.] Ihr Jac. Grimm.
1) 2. 149.
250 I>E1TZMANN
101. L. H.
hoffentlich siud Sie von Ihrer reise wieder daheim. [Bitte um bestellung von
abzügen seines aufsatzes 'Recht von Hinsfeld' (Kleinere Schriften 7, 454).]
24 juni [1857] Jac. Gr.
105. [Anzeiger 16, 244.]
Jetzt stecke ich gerade in dem von der Ossianic society zu Dublin diesen
augenblick edierten Tornigheac.lit DJuarmmla agns Ghraintie 315 selten 8*. das
hängt zusammen mit Ossian, leider aber ist der angekündigte band of Ossianic
poems noch in preparation und unerschienen. ich würde meine arbeit zwei, drei
monate hinlegen, dürfte ich nur die von Göttingen und von hier geliehnen bücher
länger mit gutem gewissen behalten. Ich bitte nur in Ihrem herzen den Ossian
nicht zu verwünschen, er ist genug verwünscht gewesen.
Wir haben besuch von professor Weigand aus Gieszen mit seiner tochter
Mathilde, vorgestern führte ich sie in den zoologischen garten, was mir einen
vollen nachmittag wegnahm und mich abmüdete; besser getaugt dazu hätte einer
meiner ueffen, wären sie hier, mit Wilhelm, Dortchen und Gustchen ist bei solchem
anlasz nichts anzufangen, leider ist die letzte weniger gesund von Carlsbad zurück-
gekommen als hingereist. Herman weilt noch in Rom, soll aber im november
heimkehren.
30 sept. 1857 abends. Vielmal gegrüszt Jac. Gr.
106. am zweiten ostertag 1858 [5. april]
[Anzeiger 16, 245.]
Nun folgen doch gleich ein paar bitten, der pastor Friedrich Schrader zu
Horste bei Bielefeld ist einer der treusten, sorgfältigsten und uneigennützigsten
arbeiter zum Wörterbuch, seine auszüge sind zehnmal tauglicher, als die von
Götzinger waren. Es wäre mir lieb, wenn Sie ihm 50 thaler senden könnten, er
ist glaube ich arm und ohne vermögen, hat jedoch nie das geringste verlangt, so
dasz er sich über das geld wundern wird, diese 50 thaler werden natürlich, wie
bisher geschehen, verrechnet und abgezogen.
Bei Brockhaus ersuche ich einen mir fehlenden bogen zu fordern . . . Ein-
liegender brief ist an Möbius, er wird Ihnen darauf ein kleines büchleiu für mich
übermachen.
Bleiben Sie gut Ihrem freunde ^
.Jacob Grimm.
mir nöthigt bewunderuug ab, wie schnell Sie sichere nachricht aus Dublin
einzuholen vermochten.
107. [Anzeiger 16, 245.]
Erst dieser tage hat mir Schrader seine nützlichen zettel für E geschickt . . .
darüber kommt nun einiges zu spät, doch konnte noch auf dem letzten correctur-
bogen, der den setzer sehr geplagt haben wird, einzelnes nachgetragen werden.
Das regenwetter scheint endlich nachzulassen, möge nun auch die viele
trauer in Ihrem haus aufhören und ungestörte freude folgen.
freitag 6 aug. [1858] ' Jac. Gr.
[Anzeiger 16, 246.]
AUSZÜGE AUS BRIEFEN UER BRÜDER GRIMM AN SALOMON HIRZEL 251
108. L. H. hierbei manuscript 49—152, ich bin fleißzig gewesen, es heiszt Sie
giengen nacli Kreuznach. Jac. Gr.
Dank für den Dentzler. haben Sie dem Schrader das geld geschickt, wol
lange schon? bei ei! liesz mich Klee gewaltig im stich, er hatte keinen einzigen
Zettel dafür.
[1858.]
109. Lieber freund,
lassen Sie doch spalte 42 zeile 17 von unten hinter Mathesius 104a noch
einrücken (vgl. Uhland 618).
ich habe, als Sie neulich hier waren, vergessen Ihnen zu erzählen, was Sie
interessieren wii'd, dasz unser gemeinschaftlicher bekannter Candidus Nancy
verlassen hat und mit sack und pack nach Odessa reist, wo er deutscher und fran-
zösischer prediger geworden ist. er wird anfang Septembers bereits dort anlangen.
Wissen Sie aus dichtem beispiele von wie einer = welch einer, was für
einer? z. b. wie ein schöner tag! (was für ein schöner tag).
er ist ein guter mann? 'und wie einer!' analog dem öfter vorkommenden
so e i n e r = ein solcher.
[1858.]
110. 1 Oetober 1858
[Anzeiger 17, 250.]
Dortchen und Wilhelm erwarte ich heute abend von Harzburg zurück, beide
befinden sich leidlich . . .
Dem neuen unternehmen der Staatengeschichte wünsche ich aUes gedeihen,
Wurm ^ wird etwas gutes liefern, einige andere namen kenne ich nicht. Mordt-
mann ^ ist verschiedentlich hart angegriffen worden.
In dem päckchen war ein neues gedieht Corrodis, de herr Vicari^, das zu
lesen ich mich freue.
Den bogen p. 89—96 hatte ich mir nochmals zur ansieht erbeten, es wird
unnötig gewesen sein.
Herzliche grüsze an Sie, frau, Schwiegermutter, die braut und den söhn.
-Jac. Grimm.
111. Was ist das ? lieber freund, Sie haben den druck eingestellt, widerspricht
das nicht Ihrem frühern verlangen nach einem baldigst erscheinenden 2 heft? erst
vermutete ich ein hindernis in der druckerei, allein dasz Sie im letzten brief völlig
über die zogerung weggleiten, das fäUt mir auf. unterdessen habe ich tüchtig
fortgearbeitet und werde in dieser woche mit dem manuscript für den bogen 15
fertig, meine schuld ist es also nicht, wenn das heft diesen winter nicht erscheint.
Dank für John und das neuste stück der bekkerschen Zeitschrift.
am 1 nov. 1858 Ihr ^
Jac. Grimm.
1) Christian Friedrich Wurm (1803—59), professor der geschichte in Hamburg.
2) Andreas David Mordtmaun (1811—79), spanischer geschäftsträger in Kon-
stantinopel.
.3) Winterthur 1858.
252 LEITZMANN
112. Das schwere wort ein macht einige zusätze nöthig. der erste gehört gleich
in den bogen, woran jetzt gesetzt wird, das andere blatt wird sich leicht ein-
schalten lassen.
Sonntag 7 nov, [1858] Gr.
118. [Anzeiger 16, 246.] ob das angebliche erste heft' zu Leipzig angelangt ist,
weisz ich nicht, hier hat es noch niemand, ein solches heft soll^20 silbergroschen
für 10 octavbogen kosten, auf jeden fall viel theurer als unser buch.
[Anzeiger ebenda.] seit anfang September bis heute sind anderthalb bogen
gesetzt.
Sie stecken jetzt in andern buchhändlerischen geschäften, wozu ich Ihnen
glück wünsche, die epistolae obscurormn virorum müssen Ihnen freude gemacht haben.
Mit besten grüszen
Jac. Gr.
mittwoch 17 nov. [1858]
114. hierbei folgt manuscript p. 309—412. [Anzeiger 16, 246.]
Jac. Gr. 26 nov. 1858.
115. Lieber freund
lassen Sie den bogen 9 immer abdrucken, ohne die änderung; Sie sollen
mir bald einen andern gefallen erweisen.
Dieser tage sende ich das übrige manuscript für dies heft.
Ihr Jac. Gr.
was nennt der buchdrucker denn ablegen P^ . . .
bitte, lassen Sie sich doch von Hildebrand aufschreiben, was das für eirt
buch ist : Rädlein Sprachschatz ^ mir noch unbekannt.
[november 1858?]
116. Ich habe, lieber Hirzel, das eineinzig noch zugesetzt und sogar einen beleg
aus Hippel beigefügt, schade, wenn Ihre zettel für E verloren gegangen wären,
bei der ausarbeitung sind mir allerdings keine vor die äugen getreten, einbändig
ausgenommen, das Sie mir einzeln in einem briefe mittheilten. Sie pflegten immer
stoszweise Ihre beitrage für die eintretenden buchstaben zu senden, die für spätere
zurückzubehalten, ich entsinne mich nicht etwas aus dem E von Ihnen empfangen
zu haben, zwar liegen in meinem beschränkten räum zwei körbe voll eingelaufner
auszüge übereinandergeschichtet, ich will sie nächstens einmal revidieren, ob sich
etwas eingeschoben haben könnte.
[Anzeiger 16, 247.J
Der Setzer wird spalte 165. 166 nicht segnen, ich habe hoffentlich genug
eingeschaltet was in die lücke treten soll, ist noch mehr nöthig oder bleibt etwas
unklar, so bitte ich um noch eine revision . . .
[Anzeiger ebenda.] Ich rede nicht von der äuszeren, uns gleiclafalls zum
vortheil ausschlagenden einrichtung, es war wesentlich nothwendig die dichterstellen
1) Wurm, Wörterbuch der deutschen spräche von der druckerfindung bis zum
heutigen tage, Freiburg 1858—59.
2) Vgl. Wörterbuch 1. 70.
3) Vgl. ebenda 2, XIV.
AUSZÜGE AUS BRIEFEN DER BRÜDER GRIMM AN SALOMON HIRZEL 253
abzusetzen und damit dem äuge vorzuführen, bei Wurm wie bei Hoffmann ' ver-
schwimmt alles. [Anzeiger ebenda (lies 'durch die arbeit').]
Dank für das geschenk der zierlichen Valentine ^, die ich sehr gern lesen
werde, den Göthe au Zelter 4. brauchen Sie ja nicht gleich zurück?
Jac. Grimm.
3 dec. 1858.
117. Lieber Hirzel,
ich bitte um rücksendung des manuscripts von dem blatt an, worauf EINS steht
(wird etwa j^. 403 sein) bis zu p. 412 incl.; ich habe etwas nachzutragen, was ich
bei der correctur nicht gut bewerkstelligen kann, dieses manuscript wird ohnehin
noch nicht gebraucht und soll bald zurückkehren.
Die verlorenen zettel sind wiedergefunden, sie hatten sich in den unrechten
korb geschoben.
Die Valentine habe ich gelesen, es ist mir zuviel hofleben darin und der
spitzbübische dieuer eine sehr gewagte figur. auf Wörter und redensarten habe ich
ein äuge gehabt, doch gar nichts fürs Wörterbuch darin gefunden, so leicht kommen
selbst gute Schriftsteller mit dem gewöhnlichen aus.
Schönste grüsze
Jac. Gr.
die letzte Tübinger sendung musz allzulang bei Ihnen oder hier bei Gnast
gelegen haben, ich war über das ausbleiben des Karlmeinet' betroffen, den andere
hier 2 wochen früher hatten, und schrieb darum hin. jetzt ist er da. das 34.000
versa lange gedieht zog mich an und ich habe es von anfang bis zu ende genau
durchlesen und ausgezogen, wenn nur die plagenden kopfschmerzen nicht zu oft
einträten, ich bin manchmal ganz angegriffen davon.
[dezember 1858]
118. Lieber freund, da es sich nun mit dem heft bald zu ende neigt, so kommt
der gefallen, den Sie mir thun sollen, vielmehr wollen, lassen Sie auf des gelben
Umschlags rückseite, nicht in zwei spalten, sondern in breiten zeilen, die beifolgende
treffliche erzählung* drucken, sie zieht an sich an, enthält aber einen wesentlichen,
erst später von mir aufgefundnen beitrag zum artikel eh, der alle leser freuen
wird, ich musz aber eine correctur davon erhalten.
[Postschwierigkeiten.]
Leben Sie wol und vergnügt.
18 dec. [1858] Jac. Gr.
man kann sich nichts naiveres denken als das Selbstgespräch des bettlers und
die Schätzung des mantels.
119. Lieber freund, dem correcturbogen füge ich manuscript 401-500 hinzu und
danke für die übersandten, zierlich gedruckten bogen der neun felsen '". was den
Inhalt anlangt, so Liest man solche werke und weisz nicht was man gelesen hat.
der von Pfeifer herausgegebne meister Eckhart® ist ungleich günstiger und sprach-
1) Vollständigstes Wörterbuch der deutschen spräche, Leipzig 1859—61.
2) Von Gustav Freytag.
3) Stuttgart 1858.
4) Kleinere Schriften 8, 544.
5) Von Merswin, Leipzig 1859.
6) Leipzig 1857.
254 r.ETTZMANN
gewandter; doch selbst aus einer so seltsamen Schreibung wie der in Schmidts
handschrift befolgten läszt sich sprachlich allerhand lernen.
Da Ihr letzter brief glücklicherweise von einer krankheit der braut nichts
weiter gedachte, durfte ich schlieszen, dasz sie gehoben sei, das hat mir hernach
auch frau Hirzcl mündlich bestätigt.
Wie hat es sich denn bei Ihnen über Kindlebens Studentenlexikon ^ aufgeklärt?
besinnen Sie sich, dasz ich Ihnen des Candidus Versetzung nach Odessa "meldete ?
-auf dem nemlichen blatt meine ich Ihnen auch den empfang des Kindleben angezeigt
zu haben, von dem Sie zwei, vielleicht gleich eingebundne exemplare erworben
haben mussten.
[Anzeiger 16, 251.]
Ihr
Jac. Grimm,
donnerstag abend [1859].
120. [Anzeiger 16, 248.] selbst Hoffmann füllt 6 bände und Wurm, falls er, was
der himmel verhüte, zum ende gelangt, würde nicht mit wenigem ausreichen; was
sollen die greulichen, das buch unlesbar machenden abkürzungen, zusammen-
ziehungen und strichlein ! wie edel sieht dagegen unser druck aus. [Anzeiger ebenda.]
Schönsten grusz. 1 febr. abends 11 uhr [1859].
Jac. Grimm.
121. folgt manuscript 501-602.
Berlin 22 febr. 1859.
122. Hinterher fällt mir ein, dasz die dem spalte 296 eingeschalteten einsiegel
zugefügte erklärung von emballage und einsiegeln wahrscheinlich falsch ist. Streichen
Sie sie aus und setzen blosz: vermuthlich nichts . . .
Das achte [der] gegenwärtig unter presse befindlichen deutschen Wörter-
bücher ist das von Gutzeit in Riga-, dessen verlag Sie früher abgelehnt haben,
ein sehr fleisziges und willkommnes werk.
Schön, dasz Sie in der nachdruckssache der märchen uns beraten und einen
tüchtigen advokaten schaffen wollen, ich weisz nicht wie die Leipziger gesetze
lauten, aber der compilator hat über dreiviertel aus unserm buch gestoleu und
dann zur versteckung des handeis noch einiges anderwärts entnommen, meines
erachtens müste Wigand verurtheilt werden, den ertrag beider ausgaben heraus-
zugeben und zu erstatten.
Ihr
Jac. Gr.
manuscript liegt fertig, ich kann es nächste woche absenden.
[februar 1859?]
123. Lieber freund,
ich danke für die Fabier^ und werde sie schon lesen, das päckchen enthielt gute
auszüge von Wolf in Stuttgart.
1) Halle 1781.
2) W^örterbuch der deutschen spräche Livlands, Eiga 1859.
3) Von Gustav Freytag, Leipzig 1859.
AUSZÜGE AUS BRIEFEN DER BRÜDER (iRIMM AN SALOMON HIRZEL 255
Von Wurm sollen nun 2 und 3 heft heraus sein, es wäre gut gewesen,
■wenc mein zweites heft sich auch zur ostermesse gezeigt hätte, doch wirds kaum
möglich sein, der setzer ist zu langsam gewesen, das schon über den schlusz des
hefts hinausreichende manuscript liegt bereit.
Ich bin begierig darauf was Wigand thun wird, die nachdruckssache mag
ihn doch ärgern.
[Anzeiger 17, 250.] heute war das wetter so schön warm, dasz ich eine
stunde lang spazieren gewesen bin.
[von Hirzels band: 22/4 59.]
124. Lieber freund, den artikel entalinen möcht ich nicht gern tilgen, es kam
darauf [an] in einem guten beispiel zu zeigen, wie man verha mit ent und eigen-
namen bildet, im gegensatz zu heliebreichen, hejunkern 1, 1203. wer auf derselben
Seite spalte 489, 4). entalinen bereits gelesen hat, wird an kein kleidungsstück
denken, im gründe legt Aline nicht blosz die Verkleidung in Aline ab, sondern
entalint sich selbst wieder durch ein andres kleid, denn sie ist ja eigentlich Aline.
ich meine also wir können alles jetzt so lassen wie es steht, ohne schaden, freue
mich aber Ihrer steten aufmerksamkeit.
[Anzeiger 16, 249.]
17 juni 1859 Jac. Gr.
125. Lieber freund,
hierbei sende ich Ihnen manuscript 835—928, das durch eingelegte zettel ein wenig
kraus geworden ist, doch sind alle bezüge genau und der setzer wird sich schon
darein finden, der leidige krieg macht einen unruhig und entrichtet, wie es im
letzten wort heiszt, die gedanken.
[Anzeiger 16, 251.] man hört ja gar nichts über die läge des Wigandschen
processes. ,
Lehen Sie wol und so glücklich als es jetzt angeht.
mittwoch [1859]. Ihr Jac. Gr.
126. [Anzeiger 16, 250.]
Hierbei sende ich p. 1091—1106, damit wenigstens böge 42 ausgedruckt
werden kann, das manuscript zu den drei letzten bogen folgt absobald es mir
möglich ist. Ihr
Jac. Gr.
22 oct. 59.
ich sehe der Sanders läszt auf seinen umschlagen allerhand aufsätze über sein
machwerk drucken, wäre unsre critik nicht so trag und faul, so hätte ihm einer
längst das maul gestopft und schlagend nachgewiesen, dasz in seinem verworrenen
buch sich kein leser, auch kein praktischer herausfinden kann und dasz er überall
grobe fehler macht. Sollen wir das alles ruhig hingehen lassen ? ich kann zu dem
Wörterbuch selbst nicht auch vecensionen abfassen, falls ich es wollte und dürfte.
was die Cölner zeitung vorbrachte, war alles ungenügend und unnütz.
127. Lieber freund, es ist mir von unsrer academie auferlegt worden eine rede
auf Schiller zu halten, was mir leid thut, weil es doch muhe macht, schreiben Sie
mir doch umgehend, wann das privileg von Cotta auf Schillers und Göthes verlag
-erlischt? wie viel jähre nach dem tod der dichter sollte es währen? und ist nicht
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. L. 18
256 LEITZMANN
schou einmal erstreckung eingetreten? ob Cotta für gegenwärtige Schillerfeier^
die ihm offenbar sehr groszen vortheil bringt, irgend etwas seinerseits geleistet
oder zu leisten verheiszen hat?
Sonnabend 29 oct. [1859]. ' Gr.
128. Hier folgt, lieber freund, meine rede *, zugleich mit der plage sieben andere
exeraplare an Hildebrand, Möbius abgeben und nach Dresden und der Schweiz be-
sorgen zu lassen, es eilt ja damit nicht und kann zugleich mit dem nächsten heft
des Wörterbuchs geschehen, in Dresden und Stuttgart wird die rede übel vermerkt
werden, ich bin aber ein alter, unabhängiger mann, der kein blatt vor den mund
zu nehmen nöthig und sich einmal herausgenommen hat, dem buchhändler pabst
die Wahrheit zu sagen, dank für die mir mitgetheilten nachrichten, Sie werden sie
wörtlich gebraucht finden.
In Ihrem exemplar liegt fortsetzung des manuscripts 1179—1202. bereits-
vor einigen tagen werden Sie 1161—1178 empfangen haben, sodass nun der zu
vollendenden lieferung nichts im wege steht, die beiden correcturen des bogens 45
erwarte ich die nächste woche, denn heute über acht tage reise ich nach Hamburg
zu einem lappenbergischen ^ Jubiläum, werde aber schnell heimkehren.
26 nov. 1859. Ihr Jac. Gr.
ich war fast zu erb geworden, gerathe aber nun in erd.
die Cölner nimmt sich der Schillerstiftung an! aus dem gründe weil sie sich'
einbildet H. Kleist sei durch noth und armut untergegangen, jetzt ist zuviel
geld gesammelt worden und sie werden nicht wissen was damit zu machen.
129. [Anzeiger 17, 252.] meine rede wird schon in zweiter aufläge gedruckt, ia
kleinerem format. die letzte correctur folgt hierbei zurück.
Ihr Jac. Gr.
2 decemb. [1859].
130. [Anzeiger 16, 251.]
Ich danke Ihnen, lieber Hirzel, für die meinem geburtstag zur ehre heraus-
gegebnen briefe von Göthes eitern'. Ihre samlungen, glaube ich, sind uner-
schöpflich, bei diesem anlasz erfuhr ich, dasz professor von Henning* hier neun
oder zehn ungedruckte, längere briefe von Göthe besitzt, die sich sehr interessant
über die farbenlehre verbreiten, er gibt nur stellen daraus her zum besten, soll
aber neulich seinem söhn geäuszert haben, nach seinem abieben könne er ein paar
louisdor dafür erlangen.
Auch habe ich noch nicht für Freytags bilder ^ gedankt, das ist ein an-
ziehendes, unterhaltendes buch, mir waren freilich die meisten zum gründe gelegten
aufsätze bereits bekannt, doch hat auch die- nebeneinanderstellung, und was sich
daran von betrachtungen anknüpft, seinen werth.
1) Kleinere Schriften 1, 375.
2) Johann Martin Lappenberg (1794—1865), archivar in Hamburg.
3) Zwölf briefe von Goethes eitern an Lavater, als raanuskript für freunde
zur feier des 4. januar 1860 in druck gegeben.
4) Leopold Dorotheus Henning (gen. von Schönhoff, 1791—1866), professor
der Philosophie in Berlin, anhänger der Goetheschen farbenlehre.
b) Bilder aus der deutschen Vergangenheit, Leipzig 1859.
AUSZÜGE AUS BRIEFEN DEU HRÜDER GRIMM AN SALOMON fllRZEI^ 257
Lieber Hirzel, Wilhelm hat eine zweite ausgäbe des Freidank * fertig hinter-
lassen, die aber nur text, lesarten und reimregister enthalten soll, so dasz ein-
leitung und anmerkungen zum text diesmal wegbleiben, da noch exemplare der
ersten ausgäbe vorhanden sind. Dieterich soll daher diese zweite ausgäbe gratis
erhalten, 550 exemplare in Leipzig, im format und mit den lettern von Haupts
Neidhart*, drucken lassen, [dr. Hildebrand soll ersucht werden die korrektur zu
übernehmen.]
Dieterich ist einverstanden und ich werde ihm das manuscript zugehen lassen,
hätten Sie wol die gute bei Hildebrand anzufragen? und falls ers nicht abschlägt,
nach den bedingungen sich zu erkundigen? diese correctur ist allerdings mühsam,
doch Wilhelms bandschrift sauber und Hildebrand geläufig, ich will dann an
Schlemmer das nähere melden, ich selbst kann auf correctur und durchsieht der-
selben keinen einflusz haben, aus mangel an zeit und weil es mich zu sehr bewegt
und angreift.
[Anzeiger 16, 252 (lies 'noch nicht wieder').]
Mommsen meinte dieser tage Ihr söhn Heinrich stehe auf dem sprung seine
reise nach England anzutreten, ich wünsche ihm glück und heil.
Unveränderlich Ihr Jacob Grimm.
12 Jan. 1860.
131. Lieber freund, es thut mir leid dasz Ihnen die titel [der im zweiten band
ausgezogenen quellen] so viel mühe machen, ich bekomme doch eine revision davon
zu gesiebt? [Zitat von J. Fr. von Tröltsch.]
[Anzeiger 17, 252.]
6 febr. 1860. ' Ihr Jac. Gr.
132. Lieber freund,
mir war unbekannt, dasz Seideraann* je einen beitrag zum Wörterbuch geliefert
und meinen bruder zu Pillnitz besucht hat ; seinen letzten band von Luthers briefen
besitze und brauche ich. auch Hildebrand habe ich, wie Sie wünschen, nun aus-
drücklich erwähnt, in meinen gedanken erstreckte sich das zu band 1 gesagte von
selbst auf die fortsetzungen. dagegen finde ich jetzt keinen platz von Tobler* zu
sprechen, der seit vielen jähren nichts mehr von sich hören läszt, es kann besser
ein andermal geschehen, das queUenverzeichnis meine ich beginnt besser auf der
rückaeite des zweiten blattes der vorrede.
[Frage nach der ersten ausgäbe und dem Verfasser der Gestriegelten rocken-
philosophie.] es ist ein dummes, doch für aberglauben und spräche nicht unebnes buch.
18 febr. [1860] Jac. Grimm.
133. Lieber Hirzel,
heute thue ich eine Ihrer würdigere frage als meine letzte war. bei Göthe kommt
irgendwo vor, was ich zu meiner abhandlung über das altera brauche und jetzt
1) Göttingen 1860.
2) Leipzig 1858.
3) Johann Karl Seidemann (1807—79), pfarrer in Eschdorf, der begründer der
modernen Lutberforschung.
4) Ludwig Tobler (1827—95), privatdozent in Bern, dann professor in Zürich.
5) Kleinere Schriften 1, 189.
18*
258 I.EITZMANN
durchaus nicht wiederfinden kann, die aus einem französischen schriftsteiler ent-
nommne und in einer recension ? oder sonst angeführte äuszerung, dasz im alter
wieder eine neue Jugend anfange und ähnliches mehr darüber.
Entsinnen Sie sich das gelesen zu haben und in welchem bände findet es sich?
Jac. Gr. 21 febr. [1860]
ich arbeite an dem raanuscript worauf der setzer wartet.
134. Hierbei folgt endlich manuscript 1208—50. die beiden bUcher, rockenphilo-
sophie und Levves' werde ich nächstens wiederschicken.
Der autor der rockenphilosophie musz aus Thüringen stammen und vermutlich
zu Arnstadt in dem letzten drittel des 17. Jahrhunderts gelebt haben, zuletzt kam
er nach Obersachsen und starb wahrscheinlich da, vielleicht zu Chemnitz, für
Thüringen zeugen besonders 3, .49 und 4, 29.
Humboldts briefe an Varnhagen ^ und dessen eingemischtes tagebuch machen
grosses aufsehn.
Jac. Gr. 25 febr. [1860J
135. Lieber freund,
der titel scheint mir unrichtig, es sollte stehen:
biermörder— dwatsch.
im quellenverzeichnis sind unangenehm die druckfehler Haszmann und Zorndorfer.
es fehlt S er iver, Christian, Seelenschatz, vierte aufläge Leipzig 1708. 2 bände
folio, bei Otho Kraukentrost sollte stehn nach der ausgäbe Nürnberg 1722. die
erste ausgäbe erschien 1664 (1671 wird die zweite sein).
ich hätte mir sagen sollen, dasz die ausgäbe [von Goethe] von 1840 dinge
enthält, die sich in [einer ausgäbe] von 60 bänden schwer nachweisen lassen, z. b.
band 3 s. 201 die stellen über die alten
s. 252 über das alter, [am rande Hirzels nachweise 49, 84. 56, 139.]
wie viel mühe mache ich Ihnen, Sie können aber alles unbeachtet lassen.
Sonnabend abend [1860]
Gr.
136. [Auf eine 'ehrerbietige anfrage' Hirzels, ob 3, 780 noch erdschlipf hinzugefügt
werden könne, mit der begründung: 'es ist ein in der Schweiz verbreitetes wort,
weil erdschlipfe sehr häufig vorkommen', schrieb Jacob auf demselben blatt unter
Hirzels nicht ausgedruckten beleg:]
ich habe nichts dagegen, wenn es der setzer noch hineinbringt, es ist gleich-
viel mit erdlaue und erdrutsch.
Was will denn Dahlmann mit seinem tadel des artikels erbkönigtum? (s.
Rudolfs beiliegenden brief), es steht ja in correcturbogen und abdruck kein wort
von Hohenstaufen, und auf fr. rev. s. 4 würde weder HohenzoUern noch Hohen-
staufen passen.
übrigens sind seit ende november vorigen jahres bis auf heute von Wörter-
buch 3 nicht mehr als fünf bogen gesetzt worden, was auf jeden monat einen
bogen bringt.
Bitte die einlage abzugeben. Jac. Gr.
14 april [1860].
1) Goethes leben und werke, Berlin 1857—58.
2) Leipzig 1860.
AUSZÜGE AUS BRIEFEN DER BRÜDER GRIMM AN SALOMON HIRZEL 259
137. hierbei manuscript 1351—1450.
22 apr. [1860] Gr.
138. eben bekomme ich ein hübsches buch, Hebel von Friedrich Becker. Basel 1860
mit 95 bisher ungedruckten briefen Hebels und mit angenehmen bildern. Jac. Gr.
11 mai 1860.
139. Lieber freund,
ich danke für das mir durch Ihren Schwiegersohn richtig übermachte honorar. da
jetzt rascher gesetzt wird, füge ich der heutigen correctur manuscript 1451—1550
bei, die nächste sendung wird dann das heft vollmachen.
die einschlagbänder sind alle. Ihr Jac. Grimm
20. mai 1860.
schon einmal mündlich berührte ich die von Franz Sandvoss (hier zu Berlin.
.Jüdenstrasse 7) für das Wörterbuch gelieferten sehr brauchbaren auszüge, die er
fortzusetzen bereit ist. ich wünsche deshalb, dasz ihm vorläufig zwanzig thaler,
die dann gewöhnlichermaszen verrechnet werden, zugi engen, das nach Paris an
Dollfus gesandte exemplar der beiden ersten bände ist wahrscheinlich jetzt schon
in dessen bänden.
140. Berlin 7 juni 1860.
Lieber freund, es ist bestimmt worden, dasz ich in vier wochen nach der Schweiz
reisen soll, um meine gesundheit zu stärken. Da vom nächsten heft noch fünf bogen
fehlen, so müste in der druckerei Vorkehrung getroffen werden, den satz und die
correctur noch bis dahin fertig zu bringen, wenn dadurch nicht ein aufschub des
hefts für mehrere monate entspringen sollte, das noch mangelnde manuscript
liegt bereit.
[Postschwierigkeiten.]
' Ihre frau hat uns noch nicht besucht, wenn wir nach Ihrer Schwiegermutter
fragen lassen, so heiszt es dasz die schwäche foitdaure, doch keine Verschlimmerung
eingetreten sei. Jac. Gr.
141. Lieber freund,
schönsten dank für das reisebüchlein in die Schweiz. [Anzeiger 16, 253.] man hat
jetzt in Stockholm den schlusz drucken laszen, der 19 '/a thaler kostet, die ich
dennoch darauf wende.
Ihr Jac. Gr.
25 juni [1860].
142. Lieber freund,
statt nach der Schweiz geht es nun nach Ems, welch ein niederschlag! das elende
schwankende wetter hat noch dazu aufgehalten und verdirbt vielleicht noch alles.
Vorher sende ich Ihnen noch allen meinen vorrath, p. 1639—1670 und füge
F Zettel bei, die der ordner wol noch einschalten kann, auch ein paar K zettel für
Hildebrand.
Leben Sie wol, ich bin etwas unsicher an mir geworden.
20 aug. 1860. Ihr Jac. Grimm.
260 LEITZMANN
143. [Anzeiger 16, 253 (lies 'weisz geschleierten bäuerinnen', 'heimreise rathsam',
'kleineren' 'Scherfers').] Dahlmann war zur zeit der abreise noch nicht zurück,
sollte aber in den nächsten tagen anlangen.
[Anzeiger ebenda.] Lassen Sie mir was unterdessen gesetzt wurde allmälich
zugehen.
[Anzeiger ebenda.]
Wie liegt denn der unselige märchenprocess ? wird denn das gericht keinen
Spruch finden? ich erlebe das ende des handeis vielleicht ebensowenig als Wilhelm,
ist Zarnke nach Leipzig zurück? Ihr Jac, Grimm.
18 sept. 1860.
144. Ihr heutiges telegramm lief nach neun minuten ein, wir alle dachten, Wigand
sei nun verurtheilt worden, sein termin scheint von neuem aufgeschoben.
Schon vor eilf uhr heute morgen hatte ich die zweite correctur, die mich
sehr geplagt hat, abgesandt, der setzer oder Hildebrands einsieht mag nun heraus-
bringen, wie sich beide correcturen einigen lassen, denn es wäre doch übel, wenn
sie mir noch einmal zugehen müsten. Wir lernen täglich unsere erfahrungen
erweitern, besten grusz und dank für alle mühe und sorge.
Jac. Gr. in eile
[Anzeiger 17, 252]
[1860.]
145. Lieber freund, ich lege den letzten correcturbogen manuscript 1671—1724
hinzu, diese bogen haben mir mühe gemacht und werden dem setzer noch gröszere
machen, das rührt daher, dasz ich mit dem manuscript vor meiner reise gedrängt
wurde und nicht alles ordentlich eintragen konnte, was ich nun nachzuholen suche.
Eine beilage von Gustchen werden sie finden.
Ein herr Blessig, dessen ritornelle ' Sie verlegt haben, scheint die neusten
hier einschlägigen bücher gar nicht gekannt zu haben.
Das verschleppen des processes ist freilich befremdlich, ich begreife kaum,
dasz unser Sachwalter, der anfangs so guten mut hatte, unterlassen hat den gang
der Verhandlung zu betreiben, da ihm doch selbst an seinem honorar und an den
kosten liegen müste.
30 sept. 1860. ' Jac. Gr.
146. Lieber freund
ich gebe der heutigen correctur neues manuscript 1725—1780 mit und bin froh
aus dem erz erlöst zu sein, obschon ich in das sehr häcklige es gerathe.
Sein Sie ja nicht böse so mit dem fatalen märchenprocess geplagt zu werden,
der Sie eigentlich nichts angeht, gestern stack ich so im Wörterbuch, dasz ich
Hermann bat einige zeilen an Sie zu richten. Wir haben nemUch bedacht, dasz
uns sehr daran liegt. Brunners manualacten einzusehen, ehe die appellation ein-
gereicht wird, ich gestehe, seine briefe und äuszerungen flöszen mistrauen in
seine behandlung der sache ein, ich fürchte er hat eine matte, schwache klage
und replik übergeben und nicht alles nöthige gewahrt. Wie kam es überhaupt,
dasz er von anfang an uns nie das geringste mittheilte, weder seine klag-
1) Römische ritornelle, Leipzig 1860.
AUSZÜGE AUS BRIEFEN DER BRÜDER GRIMM AN SALOMON HIRZEL 261
achrift noch des beklagten antwort, noch seine erwiderung ? ich hätte wahrscheiulich
einiges zu rathen und anzugeben vermocht, appellieren wir jetzt, so kann der
oberrichter wieder zurückweisen was in der klage selbst unausgeführt blieb,
an welches gericht wird dann appelliert? an ein anderes zu Leipzig? oder nach
Dresden? es soll nach einsieht der acten hier gleich alles beschlossen und besorgt
werden, dasz die appellation noch zu rechter zeit erfolgen kann.
Nr 41 der grenzboten soll eine beurtheilung des Wörterbuchs stehen, ich
bekomme die Zeitschrift nicht zu gesiebt; [bittet ihm das heft zu schicken.]
[1860.] Grüsze Jac. Gr.
147. Lieber freund, schon in diesen tagen sollte Ihnen neues manuscript zugehn,
der artikel es ist aber einer der schwersten im ganzen Wörterbuch und ich musz
«iniges umschreiben, bedarf aber nochmals dazu die zufrühe von mir gegebne
pag. 1779. 1780. sein Sie so gut mir das blatt zu schicken, ich bedauere den
kleinen aufschub.
Ich habe noch mehr zu bitten.
Der Sandvoss hat mir verschiedentlich wieder mehrere brauchbare auszüge
geliefert und es liegt ihm, wie einlage zeigt, an neuem honorar. ich weise ihm
also nochmals 25 thaler an, will ihn aber bitten nun eiuzuhaltßn, denn es wird
nachgerade des materials allzuviel, so dasz es sich nicht bezwingeu läszt.
Besinnen Sie sich darauf wo der vers steht :
leisaufzehenkoinmtsgeschlichen?
in den letzten heften der Leipziger gesellsehaft findet sich ein auszug eines
orientalischen Sagenbuches', den ich gern haben möchte, professor Brockhaus*
hat ihn gemacht, könnten Sie das heft entbehren ?
wo hat Göthe gesagt: es hat sich ausgegnädigt? das wort fehlt uns,
weil es von Klee übersehen wurde, ich kanns eben noch unterbringen.
Ich musz auch wieder etwas akademisches liefern.
Unter herzlichen grüszen
donuerstag 15 nov. [1860] Jac. Gr.
148. Lieber freund, ja, das citat aus Göthe 30, 107 zu erziehen 3 ist sehr passend,
und ich bitte es einzuschalten, auch die worte
der heutigen Schriftsprache abhanden
zu streichen.
ich danke Ihnen immer im stillen für Ihre viele mühe, jetzt einmal ausdrücklich
für das heft der sächsischen berichte und für Mörikofer^ der mir etwas zu weit-
läuftig schreibt, die Verhältnisse Bodraers und Klopstocks untereinander machen uns
heute langeweile. über Breitinger hätte ich lieber etwas ausführlicheres gehabt.
Meyers von Knonau fabeln habe ich nie gesehen, da Sie ohne zweifei das buch
besitzen, leihen Sie mirs gelegentlich wol einmal.
Geben Sie Scheuchenstuel und Gätzschmann an Hildebrand, der sich die K
darin näher ansehen mag. ist denn der Freidank bald fertig gedruckt? auch einen
brief au Härtel lege ich bei.
1) Von Somadewa' (12, 101. 13, 203).
2) Hermann Brockhaus (1806—77), professor der orientalischen philologie ia
Leipzig.
3) Die schweizerische literatur im 18. Jahrhundert, Leipzig 1861.
262 LEITZMANN
mich ärgert, dasz ich mit dem manuscript in rückstand bin, ich werde aber
gerade von mehr als einer seite bestürmt.
Ihr Jac. Or.
23 nov. [1860]
149. Lieber freund,
Das jähr soll nicht zu ende gehn ohne manuscriptsendung, hierbei 1779—1833.
ich danke für das schöne bild, das mich mahnen und warnen soll.- von Wilhelms
Freidank Avaren mir 50 exemplare zugegangen, was mich in briefschreiben stürzt,
ich lege auch eins für Sie bei. beschwert es Sie, wenn ich bitte fünf exemplare
nach Basel und Zürich andern Ihren Sendungen beizulegen? die tage schon vor
Weihnachten bis neujahr und zu meinem geburtstage sind immer unruhige für mich.
28 dec. 1860. Ihr Jac. Gr.
1.50. Lieber freund, ich wollte erst das ganze manuscript zum E schicken und es
fehlen nur ein paar blätter. um doch den setzer nicht warten zu lassen folgen
hierbei p. 1879—1914: und der rest folgt noch diese woche nach, ich hätte beim
beginn des buchstabs nicht gedacht, dasz ich über 1900 selten von ihm anfüllen müste.
5 febr. [1861] Gr.
151. Die stelle aus Scheuchzer ist gut anzuführen, es kann aber erst nach langer
zeit von meinem nachfolger, unter W, geschehen. Jetzt bleibt höchstens zu erstellen
noch zu bemerken:
8. wiedererstellen . . .
[1861.]
152. [Anzeiger 17, 253.]
Hierbei schicke ich den schlusz des E, welcher meiner ansieht nach den
bogen 75 fast ausfüllt. Lassen Sie den setzer berechnen, wie viel jetzt noch leer
bleibt, damit ich noch einige spalten aus dem F nachliefere.
Legen Sie sich nicht wieder zu bette, sondern halten sich aufrecht.
15 febr. 1861. Ihr Jac. Grimm. ■
153. Berlin 23 merz 1861.
Lieber Hirzel, ich habe schon eine woche lang nicht dazu kommen können,
Ihnen zu schreiben, das heft ist nun fertig geworden, meine kunst hat aber nicht
zugetroffen, dasz ich den buchstab E rein damit abschlieszen wollte, da noch ein
halber bogen übrig blieb. [Anzeiger 17, 255.] mit dem anrückenden sommer geht
hier meine plage an, dasz sie mich in ein bad schicken wollen, wozu ich nicht die
geringste lusi habe, zumal nach den Übeln erfahrungen des vorigen jahrs. [An-
zeiger ebenda.]
Der Gödeke wird wahrscheinlich keine recension zu stände bringen, er ist
nicht Sprachkenner genug und ich glaube, so freundschaftlich er gesinnt ist, er
befindet sich in Verlegenheit, fordern Sie also die ihm gesandten bücher mit guter
art zurück.
Über Ihre Bonner reise lassen Sie sich gar nicht aus, ich hätte gern ver-
nommen, ob sich von Dahlmann ' druckfertige manuscripte vorgefunden haben, der
1) Der am 6. dezember 1860 gestorben war.
AUSZÜGE AUS BRIEFEN DER BRÜDER GRIMM AN SALOMON HIRZEL 263^
catalog seiner bibliothek ist mir dieser tage zugelangt, er enthält weniges von
bedeutuug und Seltenheit.
Es hiesz Sie seien zur hochzeit Ihrer nichte hier, wenn auch ganz flüchtige
gewesen, ich glaube es nicht.
Ihr Jac. Grimm.
154. 30 merz 1861.
[Anzeiger 16, 257.] . . . weisthümer übernommen, wie in den öffentlichen
bekanntmachungen enthalten ist, ich dachte einen jungen mann zu gewinnen, der
groszentheils für mich einträte, aber niemand ist da, der mir genau zusagt,
Schlemmer will den druck in Leipzig veranstalten, hoffeutlich versagt Hildebrand
nicht seine hülfe bei der correctur, ich habe ihn noch nicht darum angegangen
(fragen Sie ihn doch einmal), das manuscript liegt schon bereit und bedarf nur
mäszige bearbeitung; sobald die sache in gang kommt, früher nicht, kann ich
absehen, wie viel zeit und räum mir bleibt, alles soll dann dem Wörterbuch zu-
gewandt werden. [Anzeiger ebenda.] Wann nun manuscript zum F erfolgen wird,
läszt sich nicht voraus bestimmen, im april kann der setzer anderes vornehmen,
hernach werde ich plötzlich kommen. Viele grüsze und erfreuen Sie mich doch
gelegentlich mit der Photographie von Ihrer frau, die zu der von Ihnen in meine
samlung gehört.
Ihr Jacob Grimm.
[Anzeiger ebenda.]
155. Ich danke schönstens für die bilder, beide sind ähnlich, die Stellung hätte
nur mehr geändert werden sollen.
Hermann wird Ihnen seine Vorlesung gesandt haben, wenn Sie bald her-
kommen, können Sie bei ihm einige zwanzig Originalbriefe Göthes an die Laroche
einsehen, die später auch ausgestellt werden sollen, ich schreibe auch an den könig
von Baiern, dasz er uns Stielers porträt von Göthe leiht.
Mir ist unwahrscheinlich, dasz Göthe alle römische elegien erst in Weimar
und auf die Vulpius gemacht haben solle.
Ins letzte heft ist eine kleinigkeit nicht gekommen, weil ich unterlassen
hatte Sie um auskunft zu fragen, gegen den schlusz des 17 Jahrhunderts und im
anfang des 18 war sehr üblich, namentlich in Leipzig, dasz die Verleger auf die
titel ihrer bücher setzten :
verlegts N. N.
diuckts N. N.
statt des gewöhnlichen bei, wol nach dem lateinischen typis expressit, excudebat.
wann hat das genau angefangen und aufgehört?
Hildebrand soll von mir ein exemplar der drei ersten bände weisthümer
erhalten, wer sagte mir doch neulich, durch Stallbaums* tod habe sich seine äuszere
Stellung verbessert?
11 apr. [1861] Ihr Gr.
156. L. H.
hierbei 1955-'-76. die nachricht aus Koblenz und Ihre zerstörte frohe hofnung hat
mich betrübt, vorigen dienstag ist zu Linz Hermann Dahlmanns neugeborner söhn
1) Johann Gottfried Stallbaum (1793—1861), rektor der Thoinasschule in Leipzig.
•264 T.EITZMANN
unter dem namen Christoph getauft worden und ich bin neben Gervinus, Reyscher
und der Bluhme gevatter gewesen.
Heute zuerst bricht endlich der mai ein. die GötheausstelJung soll den 15 be-
ginnen, könig Ludwig hat meinem gesuch willfahrt und das schöne bild von Stieler
geschickt, es sind auch andere von Weimar eingegangen und eins von Cotta. das
alles wird reichhaltigen eindruck machen. Wann Sie zu Moriz Reimers hochzeit
herkommen, müssen Sie auch die ausstellung gründlich besuchen, in diesem augen-
blick läuft ein brief Göthes an gräfin Fritsch aus Teplitz 1813 ein.
• [auf der rückseite: Mai 1861.] Ihr Gr.
157. Es ist schön dasz Sie spalte 1227 noch etwas hinzusetzen, mir ist facken
und facke ball gänzlich, nach wort und sache, unbekannt, ich kann auch hier in
Berlin nichts davon erfragen, der orbis pictus unter billardspiel hat nicht das
geringste.
[Anzeiger 16, 257.]
Die Götheausstellung dauert noch und ist eine neue ausgäbe des catalogs
erschienen, mit nachtragen und berichtigungen. [Anzeiger ebenda.]
Ihr Jac. Gr.
Sonntag 9 juni 1861.
158. Hierbei folgt manuscript 2009-2048.
[Anzeiger 16, 258.]
amw 1808 erschien zu Ronneburg und Leipzig J. G. Haas lateinisch deutsches
und deutsches Wörterbuch (für schüler). wahrscheinlich liegen bei dortigen anti-
quaren exemplare davon, es enthält viele obersächsische provincialismen, oder
soll sie enthalten, wäre also sehr brauchbar für unsere zwecke. Ihr sohu oder
Hildebrand werden es leicht ermitteln.
[auf der rückseite: Juni 1861.]
159. Dank, lieber freund, für die beiden bilder, diesmal sind Sie besser getroffen,
obgleich die brille immer ein wenig entstellt, Ihre liebe frau sieht aus, als schreite
sie kühn über das meer, denn der teppich hat den schein von krausen wellen.
Weigands recension des Sanders habe ich längst gelesen; hingegen müssen Sie die
hübsche und emphatische unseres Wörterbuchs in der illustrirten zeitung no 936
vom 8 juni noch nicht zu gesicht bekommen haben, Weber schickte sie mir, ohne
zweifei auf des guten Verfassers befehl alsobald zu ; ich bin aber auf die folgende,
wahrscheinlich des sandersschen buches gespannt, die wol von einem andern ver-
iasser herrührt und möglicherweise unnützes vorbringt, sie musz aber letzten
Sonnabend noch nicht gedruckt gewesen sein, oder Weber gründe haben sie mir
nicht zu senden, den Rochholz ' würde kränken, wenn sein ehrliches lob hinterher
abgeschwächt würde.
Die Götheausstellung hat ihre längste zeit gewährt, von den briefen unter
glas könnten Sie doch nur die aufliegende seite lesen, es war unvorsichtig von
Herman no 159 a herzugeben, denn man sieht gleich die Interpolationen, die freilich
in den übrigen unaufgelegten oder unaufiegbaren noch viel dichter kommen, dieser
Sache ist nicht zu helfen und wer sie zu beschönigen unternimmt, thuts auf seine
gefahr.
1) Ernst Ludwig Rochholz (1809-92), lehrer der deutschen spräche und
literatur in Aarau.
AUSZÜGE AUS BRIEFEN DER BRÜDER GRIMM AN SALOMON HIRZEL 265
das facken des balls musz undeutsch sein, mir ist noch das engl, to fay
{sprich fagg, fak) eingefallen, das erklärt wird to grow xvearij, to beut, to drudge.
kenner des ballspiels würden das beurtheilen. das billardspiel hat nichts damit
zu thun.
im Haas ist allerdings das eigenthümlichste aus Nemnich genommen, doch
ist das buch nicht unbrauchbar und ich hasche auch nach kleinem gewinn. Sie
verrechnen doch alles in uusern auslagen?
[Anzeiger 16, 258.] ich bitte einliegende Photographie herm Quandt zu
übergeben, er möge darin meinen dank sehen für die viele mühe, die ihm das
Wörterbuch verursacht.
meine plane für sommer oder herbst laufen ins ungewisse, ich wehre mich
gegen alle reisen. Ihr Jac. Grimm.
18 juni [1861].
160. Hierbei lieber freund folgt mauuscript 2049—2094, es wäre schon einige tage
irüher abgegangen, wenn ich Sie nicht hier erwartet hätte, ich wollte es dann
mitgeben, die ausstellung hatte noch einige schöne bilder erhalten, eins in pastell
von Göthes mutter aus Cöln, und Tischbeins groszes bild von Göthe im weiszen
mantel, was mir wol gefällt; es ist zwar eine gute copie aus Frankfurt gesandt,
das original wollte Rothschild nicht herleihen.
Schon mein voriger von Ihnen unbeantwortet gelassener brief wollte hören,
■welchen eindruck Rochholz über mich und Sanders auf Sie gemacht hat. kaufen
Sie mir doch das zweite blatt der illustrirten zeitung.
Sie sind so ein ordentlicher mann, dasz bei Ihnen nichts verschoben (verlegt
allerdings sehr viel) wird, das letzte mal nahmen Sie Kleists abendblätter und
ßlöraers unpassenden Vorschlag über ein Lessingsdenkmal mit. im letztern hätte
ich ein paar zeilen nachzusehen. Beide stücke habe ich nicht zurückerhalten und
den Kleist brauche ich vorläufig nicht.
Herman ist mit seiner frau in den Harz abgereist.
Mit herzlichem grusz J. Gr.
donnerstag 27 juni [1861].
161. [Anzeiger 16, 258.]
Mir war bang, wie es mit correcturen und revisionen gehen sollte, seit Hilde-
brand nach Arnstad ist, mich beruhigt, dasz sie ihm, nach Ihrem schreiben, hin-
geschickt werden, sonst könnte mir auch die berichtigung meiner correctur hierher
zur revision zugehen: ich bitte die einlage an Hildebrand abgehen zu lassen und
seine mir unbekannte adresse beizufügen.
Mit den weisthümern scheint es nun in Ordnung gekommen und ich danke
für die mühe, die Sie damit gehabt.
Das sind leidige nachrichten von der krankheit Ihres Schwiegersohns in
Koblenz * ; hoffentlich haben Sie bald bessere.
Aushängebogen empfieng ich nur 76 und 78, aber nicht 77. der kann mit 79
kommen, im manuscript ist bis 85 incl. fertig.
Ihr Jac. Gr.
[auf der rückseite von andrer band: Juli 1861.]
1) Ernst Baedeker (1838-61), söhn des bekannten reisehandbuchverlegers.
266 LEITZMANN
162. Lieber freund, darf ich Sie mit etwas plagen, was Sie gar nichts angeht?
vor ungefähr drei wochen schickte ich manuscript an Hildebrand, das ich einnähen
lassen muste, 8odasz der dazu geschriebne brief nicht ins paket kam. deshalb
sandte ich den 9 juli einen andern nach und legte 20 thaler bei. vielleicht hält
Hildebrand für unnüthig darauf zu antworten, ich möchte aber doch wissen, ob das
geld in seine bände gelangt ist, weil, wie ich höre, geldbriefe oft verloren gehn.
reisen Sie nicht nach Frankfurt zur preisvertheilung? es ist ganz rechte
dasz die geschickten Schweizer alle gewinste davontragen.
den Zettel bitte ich an Kreysing gelangen zu lassen.
Ihr J. G.
Herman ist mit seiner frau zu Heinrichsbad, unterwegs war sie in Zürich
unwol . . .
[juli 1861?]
163. Lieber freund, ein schweres leid haben Sie erfahren *, wir nehmen herzlich
theil, haben uns oft nach Ihnen erkundigt und unsere gedanken an Sie gerichtet
. . . nun nehmen Sie die arme junge witwe aus dem öden haus wieder zu sich ins
väterliche, das ist traurig und doch auch tröstlich, ich wüste nicht ob ein früherer
brief Sie in Koblenz oder Salzungen aufzusuchen hätte, und was hilft schreiben?
jetzt vermute ich Sie selbst wieder daheim . . .
[Anzeiger 17, 253.]
Hier waren dieser tage viele besuche, ich bin nicht recht wol auf und habe
einen geschwoUnen backen.
Richten Sie Ihr gemüth auf und finden sich in das was uns unabänderlich
begegnet. Ihr treuer freund
■Tac. Grimm.
Berlin 4 aug. 1861.
Sein Sie so gut, mir vom manuscript die letztgesandten selten 2178—84
zurückgehen zu lassen, ich will noch etwas hinein legen.
164. Lieber freund,
schon vor vierzehn tagen hatte ich Hildebrand ersucht sich in der Kreysingschen
druckerei zu erkundigen, was ja beim empfang oder absenden einer correctur leicht
geschehn konnte, er hat es nicht gethan oder mir zu melden vergessen, ich bitte
daher den beiliegenden zettel zu Kreysing tragen und die antwort abholen zu lassen.
Ob Ihre frau und tochter wieder bei Ihnen oder noch zu Salzungen sind,
möchte ich wissen, auch wir haben die letztere woche in sorge zugebracht, Dortchen
hatte einen schweren anfall ihres herzübels, jetzt scheint er zurückgeschlagen, sie
fühlt sich aber noch sehr matt.
[Anzeiger 17, 253.]
Sie sehen diesen zügen die eile an.
5 sept. [1861.] Jac. Gr.
165. Ich eile Sie zu beruhigen ', lieber freund, der wind hat sich vorgestern bei
mir umgedreht und ich reise nun gar nicht, bisher war ich schwankend und hatte
1) Ernst Baedeker war am 23. juli gestorben.
2) Einer früheren manuskriptsendung hat anscheinend das in dem samrafel-
band später eingeheftete blatt beigelegen : 'Gegen den 1 oct. werde ich nach München
müssen, was einige wochen kostet. Gr.' [auf der rückseite: 1861]
AUSZÜGE AUS BRIEFEN DER BRÜDER GRIMM AN SALOMON HIRZKL 267
mich endlich aus mehr als einer Ursache entschieden, nun ist aber ein neuer für
mich überwiegender grund dagegen eingetreten. Sybels entlassung ' wirft wahr-
scheinlich die ganze gemachte anstalt über den häufen und ich mag lieber nichts
mehr damit zu thun haben. Doch schütze ich alter und kränklichkeit vor und falls
die Sache zur spräche käme, bitte ich auch nichts anderes anzugeben.
Unser setzer kann also ganz ruhig seinen weg wandeln.
Jac. Gr. 19 sept. [1861.]
den Federwitz habe ich noch glücklich ausgeworfen.
166. manuscript 2287-2326.
ich lege der zurückgehenden correctur etwas manuscript bei, worin sehr viel
feld steht, die bemerkung 'schade dasz man über ohrfeige nichts erfährt' war
ungegründet, es steht ja spalte 1412. 1413, ich habe aber zum überflusz darauf verwiesen.
Sein Sie so gut das manuscript zu den weisthümem an Hildebrand zu
besorgen.
9 oct. 1861 abends.
167. Hierbei, Lieber Hirzel, 2357—92, was schon weit in den sechsten bogen eingeht.
M. H. hat eine freundschaftliche anzeige des letzten hefts in die vossische
zeitung einrücken lassen, aber nichts als die Wörter excellenz und extrameusch
hervorgehoben.
Sie sind sehr aufmerksam. Overbecks bienenwörterbuch ^ besitze ich schon . . .
Lassen Sie doch die einlage an Kreyssing abgeben.
Ich bin auf morgen abend in die urwählerversammlung eingeladen, kann
mich also des öffentlichen lebens noch immer nicht entschlagen.
12 nov. 1861. Jac. Grimm.
168. Lieber freund,
hier sende ich 2421—2466 und bin froh, dasz Sie jetzt mit mir zufrieden sind,
das neue buch von Freytag* freut mich sehr, zum lesen konnte ich noch nicht
kommen, feiern Sie Weihnachten vergnügt . . .
Ihr Jac. Gr.
bitte die einlage gleich an Kreising zu senden, das scheint ein ungefälliger
mann zu sein.
[dezember 1861.]
169. Nachtrag zu Fellbein Wörterbuch 3, 1498 aus den weistümern.
170. Von dem eben übersandten manuscript musz ich mir p. 2511—18 noch zurück-
erbitten, er ist etwas abzuändern, was ich bei der correctur nicht bewerkstelligen
kann . . .
14 Jan. [1862.] Gr.
1) Nach Dalilmanns tode entschloss sich Heinrich von Sybel, dessen lehr-
stuhl in Bonn zu übernehmen, da in München das Verhältnis zwischen ihm und
könig Max durch Sybels politische anschauungen getrübt war. Anstoss gab ihm
auch Döllingers wähl zum Sekretär der historischen klasse der akademie, die von
selten der gegner Sybels betrieben war.
2) Bremen 1765.
3) Neue bilder aus der deutschen Vergangenheit, Leipzig 1862.
268 LEITZMANN
171. Lieber freund, der setzer kann auf ein paar wochen zu anderm greifen, ich
musz einen kleinen aufschub machen, den 10 merz habe ich in der akademie einen
Vortrag zu halten und der dafür ausgedachte gegenständ lenkt mich in andere,
zum theil schwierige Untersuchungen ab. Sein Sie nicht ungeduldig, nachher sollen
die am heft noch mangelnden drei bogen schnell geliefert werden.
Haben Göthe und Schiller irgend eine ihrer Schriften jemals mit Zueignung
oder dedication versehen? ich wüste nicht, und für dichter, die sich der ganzen
weit hingeben, will es sich auch nicht schicken, fände sich doch ein dedicatiönchen,^
so wäre mir die angäbe lieb.
Die ganze zeit, seit Sie abreisten, bin ich auch mit schnupfen und husten
geplagt und noch nicht zu ende damit.
Bestens gegrüszt
Jac. Gr.
6 febr. [1862.]
172. Lieber Hirzel, hierbei endlich 2527—38, damit der böge 102 auslaufen kann,
der verfolg soll nicht auf sich warten lassen.
Von meinem Unfall wird Ihnen schon künde geworden sein, es hätte damit
viel schlimmer werden können, bei einrichtung meiner bibliothek fiel ich rücklings
von einer leiter und wider einen schrank, das gab ein loch in den köpf mit heftigem
blutverlust, weil eine pulsader durchschnitten war. der schädel konnte verletzt
sein, was sich hernach nicht gezeigt hat. ein paar tage musten kalte tücher auf-
gelegt werden und ich still auf dem sopha liegen, so bin ich glücklich davon
gekommen und schon ist alles vernarbt, nur eine Spannung zuckt hin und wieder nach.
Auch meine Vorlesung wurde abgehalten, sie handelt vom schlafe der vögel '
und ich habe eine menge von büchern dazu nachschlagen und lesen müssen, die
einleitung ist freilich auch sprachlich.
Sein Sie so gut das beiliegende paket an Hildebrand gelangen zu lassen.
Ihr Gr.
hier lebt man in sorgen um die kammer. es ist traurig dasz Preuszen,
das den kammem in Schleswig und Hessen helfen soll, mit seiner eignen kammer
in Zwiespalt geräth.
auch ein briefchen an Albrecht.
[märz 1862.]
173. Hierbei folgt manuscript 2539-2554.
ich danke für das bild von Uhland, den seine frau die nachtigall nennt, die
nun schon zwanzig jähre nicht mehr schlägt.
die fortschrittspartei hat sich, glaube ich, verständig benommen, die soge-
nannten constitutionellen oder gouvernementalen argumentieren blosz, thun aber
nichts und fangen an sich um allen credit zu bringen.
Im februarheft der preuszischen Jahrbücher steht ein aufsatz über Savigny*
und eine samlung interessanter briefe zwischen Schlegel und Schiller.* ich möchte
das heft gern haben . . .
samstag morgen [märz 1862.] Ihr Jac. Gr.
1) Kleinere Schriften 7, 485.
2) Von Stintzing (Preussische Jahrbücher 9, 121).
3) Ebenda 9, 194.
AUSZÜGE AUS BRIEFEN DER BRÜDER GRIMM AN SALOMON HIRZEL 269^
174. Berlin 20 merz [1862], hierbei schicke ich 2555—2574, womit ich schon an-
fange auf den bogen 105 zu rücken, wir werden vermutlich dies heft unter den
fischen im raeer schlieszen. der schlusz folgt nächste woche.
Ihr Schwager hat mir, wahrscheinlich auf Ihre empfehlung, wofür ich danke,
Stintziugs Savigny, wovon besondere abzüge gemacht worden sind, gesandt,
gelegentlich leihen Sie mir öun ihr exemplar zum lesen der schlegelschen briefe.
Jac. Grimm.
175. Lieber freund, ich habe gestern genug manuscript, um das heft zn schlieszen,
beigelegt.
vor der nächsten lieferung fürchte ich mich, weil darin unangenehme Wörter
kommen müssen und eine menge langweiliger composita mit fort ... .
Jac. Gr.
28 merz [1862.]
176. Hier folgt das heft zurück, meinethalben hätten die schlegelschen briefe
ungedruckt können bleiben, für unser Wörterbuch war nicht das geringste daraus
zu nehmen.
ich lege Ihnen ein heft bei, worin Sie wol einen von mir voriges jähr an
Simson über die verkehrte trilogie Schiller, Göthe, Lessing geschriebnen brief lesen
mögen ^ dasz je etwas daraus werde kann ich mir gar nicht denken.
unser fertiges heft wird wol erst nach dem fest ausgegeben werden, ich
danke Ihnen für den zusatz zu fippern aus Eeiske.
14 apr. [1862] abends.
Jac. Gr.
177. Lieber freund,
ich verreise auf etliche woclien und bitte erst dann wieder correcturen hierher
abgehen zu lassen, wann ich Ihnen nachricht von meiner rückkehr gegeben habe,
die achte lieferung könnte schon jetzt fertig sein, wenn der druck im letzten Viertel-
jahr nicht allzu schläfrig gegangen wäre; ich weisz nicht aus welcher Ursache,
einmal waren Sie mit Hirschfeld unzufrieden, es ist aber hernach, als das beseitigt
schien, nicht besser geworden, ich lege den schlusz des manuscripts 2915—50 hier
bei, denn auszer dem quellenverzeichnis, das Sie wie mir Ihr söhn meldete bearbeiten,
und einer vorrede, die ich nach meiner rückkunft schreiben will, wird nichts weiter
platz finden.
Leben Sie wol und sein Sie schönstens gegrüszt.
Jac. Gr.
19 aug. [1862.]
ich besinne mich nicht, ob ich schon für das bild von Rahn gedankt habe, es
freute mich sehr, wollen Sie mir den empfang anzeigen, so thun Sie es nach
Arnstadt (in die Henne).
178. Lieber freund, ich bin wieder da. Ihren brief habe ich unter den flügeln
der henne richtig erhalten. Ihr wünsch des schönsten wetters ist eingetroffen.
1) Zur begründung des in der sitzung des Goethecomites am 7. april 1862
von ftotho, von der Hude und Hermann Grimm eingebrachten antrags. Als manu-
script gedruckt (Berlin 1862). S. 8, vom 29. mai 1861 (vgl. Goethejahrbuch 2, 459).
270 hEITZMANN
Arnstadt hat auf allen selten reizende Spaziergänge, ich traf auch da den guten
Fritz Reuter und empfieng von ihm den zweiten band von olle kamellen, der eine
rührende höchst lebendige beschreibung seiner ungerechten gefangenschaft enthält,
doch ohne diese ausgestandne noth wäre er ja nie dichter geworden und hätte nie
das gefiihl seiner anerkennung gehabt, so bereitet mitten aus dem unglück sich
oft ein unerwarteter ersatz.
beiliegende weigandische zettel können Sie gebrauchen.
6 September [1862J. Jac. Gr.
179. Lieber freund, ich habe die mir zugesandten zettel, so gut ich konnte, aus-
gefüllt, einige unerledigte mögen ganz wegbleiben, doch bitte ich mir das auf-
gestellte Verzeichnis, bevor es abgedruckt wird, zugehen zu lassen, weil ich vielleicht
«in und das andere einzuschalten habe.
Dieser tage her lebe ich so unruhig, dasz ich noch nicht an die vorrede
gekommen bin, die kammerverhandlungen regen auf und viele besuche trafen ein.
es soll aber baldig geschehen.
Ich habe mich ganz verrechnet und dachte, dasz auch das fort noch in den
band gehen würde.
Lassen Sie doch die revisionsbogen unbeschnitten, der schmälere rand hindert
•oder erschwert die correctur.
In der Wiener Wochenschrift für Wissenschaft finden Sie eine anzeige des
fünften und sechsten heftes unterm 12 juli dieses jahres.
herzlichen grusz Jac. Gr.
Sonntag 21 sept. [1862.]
180. Lieber freund, es hat sich wider erwarten so gewendet, dasz ich nach München
Inusz, und heute mittag 12 uhr mich aufmache, ich reise aber gleich durch und
kann bei Ihnen nicht vorsprechen, eher wirds auf der rückreise in etwa zehn tagen
möglich sein.
in der letzte habe ich Sie hier vergebens erwartet, denn Zeller ' sagte mir
Sie würden kommen, ich wollte Ihnen also mündlich vortragen, dasz ich überlegt
habe und unangemessen finde dem dritten band, der mitten im F abbricht, eine
vohrede beizufügen, was alles zu melden ist, kann lieber später folgen. Sie dürfen
also abschlieszen.
da erst bogen 116 gedruckt ist, 117—120 zurückstehen, werden wir nicht vor
ende dieses monats fertig sein. • aus dem langsamen druck fast des ganzen hefts
könnte man folgern, dasz das Wörterbuch abzehre, was ich doch nicht hoffe und
wozu ich nicht mitgewirkt habe. Ihren entwurf des quellenverzeichuisses werde
ich wol bei der heimkehr vorfinden.
ich wünsche mir fortdauer des schönen wetters und verbleibe unter herz-
lichem grusz Ihr Jac. Grimm.
am 1 october [1862].
181. Lieber freund, auf der hinreise am 1 oct. kamen wir (ich und Guste, denn
ich sollte durchaus nicht unbegleitet reisen) von Bitterfeld an bis Leipzig in den
heftigsten platzregen, der noch bis Hof anhielt, wo uns um mitternacht der Branden-
burger hof nicht zum besten aufnahm, der folgende tag war besser und zu München
1) Eduard Zeller (1814—1908), professor der philosophie in Heidelberg.
AUSZÜGE Ars BRIEFEN DER BRÜDER GRIMM AN SALOMOX HIRZEL 271
§ieng alles gut bei schönem wetter und aushaltender gesundheit von statten, nur
dasz ich froh war. dasz fünf tage mit zehn Sitzungen, eine reihe von besuchen,
einladungen und gastmahlen endlich vorübergiengen. einige tage musten zugesetzt
werden. Die heimreise sollte auf Leipzig zu gehen, unterdessen hatte ich, weisz
nicht wo, vernommen, dasz Ihr haus mit besuchen von Coblenz her überfüllt sei.
in Nürnberg, wo ein tag gerastet wurde, traf ich mit einem Schweden und dessen
frau zusammen, die uns bei herrlichem wetter baten, von Bamberg aus über Lichten-
fels, Coburg, Meiningen die mir völlig unbekannte Werrabahn zu versuchen, welches
glücklich ausgeführt wurde, sodasz wir abends Eisenach erreichten, einen halben
tag, wie in sommerluft verweilten, und 10 uhr nachts in unsrer heimat eintrafen.
Dortchen war die ganze Zwischenzeit kränker gewesen, als wir es durch ihre ein-
treffenden briefe gcteuscht voraussetzen konnten ; unsere ausreise, die mit Rudolfs
rückkehr aus der Schweiz und Hermans reise von Montreux über Genua nach Rom
zusammenfiel, hatte ihr manche sorgen eingeflöszt. jetzt fühlt sie sich beruhigt,
getröstet und erholt sich wieder. Herman ist glücklich zu Rom angelangt.
Bei mir selbst ist es hinterher doch nicht so leicht abgegangen. [Anzeiger
17. 253.]
Die bairischen Sitzungen haben mir doch, wie es nicht anders sein kann,
einige pflichten und Versprechungen auferlegt und ich musz ernstlich dran gebn,
die vorrede und einleitung zum vierten band der weisthümer zu schreiben, was
mich ein wenig aus der spräche in das recht verrücken wird, der druck des
Wörterbuchs musz daher in der weise lässig fortgehen, wie er in der letzten zeit
betrieben wurde, wenn ich wieder gesund bin, will ich mich sehr zusammenhalten.
Die rückständigen 600 thaler habe ich richtig erhalten. [Anzeiger 17, 254.]
[Anzeiger 17, 253.] des Aufsess ^ ruf ist völlig zerstört und Wuttkes '^ auf-
forderung zu seiner Wiederwahl war höchst, verkehrt, wird auch erfolglos bleiben,
von herzen
Ihr Jac. Gr.
25 oct. [1862.]
Nun thut mir doch leid, dasz ich keine vorrede hinzugegeben, es lag mir
soviel in gedanken und auf dem herzen, wer kann wissen, ob es jemals zum Vor-
schein kommt, die vorhabende reise triat störend dazwischen.
182. Korrekturzusätze zu dem auf den umschlagseiteu des ersten hefts des vierten
bandes gedruckten nachtrag zu Frevel, Friedel (Kleinere Schriften 8, 545).
[1863.]
183. Lieber herr Heinrich Hirzel,
ich lege der correctur wieder manuscript 3019—3042 bei. [Anzeiger 17, 254.] am
16 apr. 1863. Jac. Grimm.
184. [Anzeiger 17, 254.1 da Littre^ mitglied der academie ist, wird das früher
begonnene academische Wörterbuch* wol beim ersten heft stecken bleiben, vom
neuen sind schon drei lieferungen erschienen, mich solls wundern, ob das so fortgeht.
[1863.] Jac. Gr.
1) Hans Freiherr von und zu Aufsess (1801—72), gründer des germanischen
museums. dessen vorstandschaft er 1862 niederlegte.
2) Heinrich Wuttke (1818—76), professor der geschichte in Leipzig.
3) Maximilien Paul Emile Littre (1801—81), der lexikograph.
4) Dictionnaire de la langue francaise, Paris 1863—72.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. L. 19
272 I.KITZMANN
185. Wenn beim eintrag meiner correcturen, deren auf dem letzten blatt ziemlich
Tiele sein musten, Schwierigkeit oder Unsicherheit entspringt, lassen Sie lieber noch
eine revision an mich gehen, ich stelle mir nemlich vor, dasz Hildebrand jeden
bogen vor dem abdruck einsieht, ob alles in Ordnung ist. ich hoffe, dasz seine
krankheit bald vorübergeht.
krankheiten und todesfälle sind sehr angreifend, ich habe vorigen monat
meinen letzten bruder zu Cassel verloren * und bin nun von den neun kindern
meiner eitern allein noch übrig. Sie brauchen also auch keine hefte des Wörter-
buchs weiter nach Cassel zu schicken.
vor einigen tagen ist die alte Savigny gestorben, mit der ich den gröszten
theil des jahrs 1805 zu Paris verlebte'-', auch das ganze damalige brentanosche
haus ist nun fort.
von Littres dktiunnaire habe ich schon vier lieferungen in 576 selten. Hachettes
pressen gehn viel schneller als Hirschfelds.
20 mai [1863.] Jac. Gr.
186. Lieber freund,
hierbei folgt manuscript 3125—82. die letzten, von Hildebrand unberührten bogea
waren ganz ordentlich, es hat vvol ein andrer dabei geholfen oder der setzer ist
jetzt gut eingeschossen.
des Professor Hagen ^ einfall, dasz die vier letzten verse der elegie Hermann
und Dorothea von Schenkendorf gedichtet seien, scheint mir einfältig, von wem
anders könnten sie sein als von Göthe? Schenkendorf hat sie in ein stammblatt
ausgeschrieben, ohne Göthes namen beizusetzen, das braucht man auch nicht, wenn
man eines berühmten und allgemein bekannten dichters werte anführt.
unser landtag ist nun gestern geschlossen, was ferner folgen wird, weisz
gott, hier ist alles erfüllt von Unruhen, eilig mit stumpfer feder.
28 mai [1863]. Jac. Gr.
187. Ich wünsche zur reise in die Schweiz gutes wetter. Ihre abwesenheit wird
uns einiger zusätze und citate berauben, die correctur von 11 a ist von mir richtig
besorgt und gleich abgeschickt worden, sollte sie sich verirrt haben und noch
nichts eingetroffen sein, so musz mir ein neuer abzug zugehen und ich mich der
mühe nochmals unterziehen, dergleichen ist schlimm, weil einzelne eintrage ver-
nichtet sind.
raptim Gr. 19 Juni [1863].
l
188. [An Heinrich Hirzel?]
Ich verstehe nicht, was mit bogen 12 a vorgegangen ist. er schlosz mit m)
lassen auf spalte 184. die eben eingehende revision von 12 b schiebt aber eine
ganze halbe spalte noch auf 185, ohne dasz ich auf 184 zusätze gemacht habe,
die dazu nöthigten.
daher bitte ich um einen neuen abzug von 12 a, denn ich kann die revision '
von 12b erst nach einsieht von 12a unternehmen.
1) Ludwig Emil Grimm starb als professor an der akademie der bildenden
künste am 4. april.
2) Gundel Brentano.
b) Ernst August Hagen (1797-1880), kunst- und literarhistoriker.
AUSZÜGE AUS BRIEFEN DER URCDER GRIMM AN SALOMON HIRZEL 273
Wie ist es mit IIa? die revision sollte verloren sein und nochmals geschickt
werden? ich habe nichts erhalten, hat sie sich hinterher noch aufgefunden?
ergebenst Gr.
28 juni [1863].
189. Werthester herr Heinrich Hirzel,
hierbei sende ich p. 3231—62, welches dem heft zur ausfüllung dienen wird; da ich
möglicherweise noch in diesem monat verreise, so darf der setzer nicht zaudern,
damit die beiden noch fehlenden bogen zustande kommen.
Wahrscheinlich kehrt Ihr vater noch diese woche zurück, ich hoffe der ausflug
hat ihm wolg^ethan und seine gesundheit völlig hergestellt.
Kannten &ie den London ßuchheim, den herausgeber des Wallenstein? ich
habe ihm neulich zu einer stelle in Kings College verhelfen.
Ihr ergebenster
.Jac. Gr. 8 juli 63.
190. ich freue mich Ihrer heimkehr nach vergnügter reise. Hildebrand war für
die letzten bogen auch durchgegangen. Herman, der jetzt auf dem Rigi verweilt,
musz erst nach Ihnen dort eingetroffen sein, herr professor de Vries^ aus Leiden,
der herausgeber des neuen niederländischen Wörterbuchs- will sich mit Ihnen be-
sprechen, stellen Sie ihm doch 'über meine entlassung' zu^. ich habe für den Um-
schlag ein paar zeilen nachtrag geschickt, da Hildebrand fort ist, Schicken Sie mir
doch den satz zur correctur, damit ich sicher bin.
eilends
Gr. mittwoch 22 juli [1863].
191. Lieber freund, ich bin noch da und eine correctur kann mir geschickt werden,
mehr manuscript habe ich nicht ausgearbeitet, sondern ein paar andere sachen vor-
genommen. [Anzeiger 17, 254.]
meine Schwägerin befand sich noch nicht recht zur reise und das wetter war
zu unstät. wohin wir ausfliegen, weisz ich selbst nicht, so vielerlei plane sind
gemacht und immer wieder aufgegeben worden, höchstens 2 oder 3 wochen soll
es dauern.
das paket mit den fertigen exemplaren ist heute nicht eingetroffen, wird also
erst morgen zu erwarten sein.
die sechs thaler mochte ich nicht an Carl August und Göthe* wenden, die
Sammlung ist viel unbedeutender als ich mir dachte und für Göthe wird wenig
daraus gewonnen, das meiste sind briefe von Carl August und geschäfts oder
gelegenheitsbriefe, hätten meinetwegen können ungedruckt bleiben, von Göthe aus
seinen zehn ersten jähren zu W^eimar nur wenig, und wie verrückt, dasz herr Vogel
nicht einmal den schönen (bekannten) brief voransetzt, auf welchen des herzogs
1) Matthias de Vries (1820-92).
2) Woordenboeh- der nederlandsche taal, Leiden 1864—65.
3) Basel 1838 (Kleinere Schriften 1, 25).
4) Nach einer bemerkung Hermann Grimms (Jacobs Kleinere Schriften 1, 186)
fand sich nach Jacobs tode in dessen schreihtisch ein frischgefalteter bogen mit
der Überschrift des buches als erstem anfang der beabsichtigten anzeige.
19*
•274 (IRIENBERGEU
antwort folgt! Göthes dictierte briefe im zweiten theil sind meistens ohne be«
deutung. fürs Wörterbuch gar nichts zu schöpfen, auszer finzlich 1, 2.
Jac. Gr. 30 juli 1863.
um die bevorstehenden turneraufzüge beneide ich Sie nicht.
192. der halbe bogen dauerte mich, ich habe also noch die andre hälfte hinzu
geschrieben.
auf fünfzehn, wenig bedeutende parabeln Göthes, die ihm Lützow lieferte,
hat nun auch Carus eine lange brühe gegossen \
dies könnte schon heute abgehn, der Leipziger feste wegen lasse ichs erst
morgen, bevor ich abreise sollen Sie noch nachricht erhalten, es wird wenigstens
noch eine woche damit anstehn.
Ihr Jac. Gr.
Sonntag 2 aug. [1863.]
leider war das grosze exemplar der letzten lieferung wieder geheftet.
193. 15 aug. 1863.
[Anzeiger 17, 254.]
der Moskauer brief folgt zurück und ich habe mein bild hineingelegt, dem
mann könnte man wol künftig einige bücher zu besorgen aufgeben.
Bleiben Sie mit den Ihrigen gesund und vergnügt.
Jac. Gr.
Runensachen.
1. Zu Arkiv 14 (1898) a. 101-136.
Die nachzeichnung H. Kerns der jünger nordischen runenreihe im Codex
Voss. lat. no. 83, 4 ° der U. B. zu Leiden, die ich für meinen aufsatz benutzte, hat
sich als nicht ganz zuverlässig herausgestellt und wird durch eine für mich von
J. Goedeljee in Leiden ausgeführte Photographie in natürlicher grosse, die nach
der Versicherung des konservators der hss. herrn P. C. Molbuysens vom 5. 4. 10
fast noch deutlicher als das original ist, in einigen punkten berichtigt.
Die eintragung steht auf der sonst leeren reversseite des blattes 24, beginnt
das ful)ark in erster zeile in der tat mit der T//s i'ett und schliesst es in der zweiten
zeile mit der Hagais cett, während die buchstaben der Frui/s cett zu je 3 auf die erste
und zweite zeile verteilt sind.
(3)ntr/k (1) rm\\m'( c2))|(+i+h
Dafür, dass im Leidener fujiark, so wie im Abecedarium Nordmannicum, das
k der Hagals ('ett zugerechnet und die zahl der zeichen dieses ahschnittes auf G
erhöht, gleichzeitig die zahl der vorhergehenden partie um eine vermindert worden
wäre, findet sich keinerlei graphische anzeige. Neben jeder rune steht in der tat
der name voll in runen ausgeschrieben und über jeder rune abermals der name in
kleineren, lateinischen buchstaben. Die dritte zeile ordnet wirklich die runen noch-
1) Goethe, dessen bedeutung für unsre und die kommende zeit s. 91.
RUNEKSACHEN 275
mals umgeschrieben in eine art von 4 physiologischen kategörien : bcdt— flm
n r }• f — a e i u — h und ist sowohl hinsichtlich der runen als der in lateinischen
buchstaben übergesetzten lautwerte vollkommen deutlich.
Zu den in runen geschriebeneu namen ist zu bemerken, dass sich bei ^ nur
^l'i'Rf'f^'f" (bijierkan) lesen lasse, d. h. kein lat. C, sondern das gewöhnliche runische
K und kein i \ dem ein a ^ übergeschrieben wäre, an zweiter stelle, sondern
blosses, direkt auf der zeile stehendes a ^ \ das runische R in |R ist aber in der
tat so platt gedrückt, dass man es für eine sorte von A halten könnte und das
schliessende H in HKPK bereitet dem äuge die wechselnde täuschung eines ^ oder
auch ^. Die in lateinischen buchstaben geschriebenen namen sind mehrfach un-
deutlich. Der erste scheint indessen komplett ti/ur gelesen werden zu sollen.
Dass dem fuljark des Abecedarium Nordmannicum gegenüber der sonstigen
Zählung 6, 5, 5 in den 3 abschnitten vielmehr die Zählung 5, 6, 5 zukomme, sagt
der text- selbst, indem er das r rät als endbuchstaben (endös/tj) der ersten
reihe /, u, p, o, r und m man als mittleren {midi) buchstaben der dritten reihe
t, b, m, l, R bezeichnet, wonach sich die zweite reihe mit notwendigkeit auf 6 zeichen
k, h, n, i a, s berechnet.
Zur syntaktischen gliederung trage ich nach: als Interpunktion nach zeile 1
ist besser komma zu setzen denn Semikolon und in dieselbe kein besonderes verbum
hineinzudenken, sondern copula und participium aus zeile 2 einzubeziehen. Da
sich zeile 2 offenkundig in ös ist himo (nämlich dem thuris) ohoro [nuritan] und
rät [ist] endös/tJ itKritan ergänzt, so gewinnen wir bei weiterer ausfüllung die
vollkommen einleuchtenden sätze feu [ist] forman [stabil nnritan], i<r [ist] after
[uuritan], thuris [ist] thritten stabu [uuritan] und entnehmen eine Wendung
*stabu writan 'mit einem buchstaben bezeichnen', die der ags. Beow. 1695 [mrh rün-
stafas gemearcian gleich ist und für stab die bedeutung des einzelnen runenzeichens
belegt. Das widerspricht jedoch nicht der meinung, dass 'stab' als schriftzeichen
eine abstraktion aus 'stab' als körperlicher träger eines geschriebenen textes sei,
2. Der brakteat von Vadstena.
(Photographie in 2:1, mir überlassen von F. Läffler in Djursholm.)
1. aversseite: buchstaben von links oben (vom beschauer) herumlaufend bis
rechts oben. Zu beginn i^ kein T^ zu ende $(,, Ein buchstabe kann durch das
unter dem henkel aufgelötete ornament (nach oben offener winkel mit kugelseg-
menten an der spitze und an den enden der schenke!, die ein grösseres kugelsegment
zwischen sich einschliessen, kein dreieckiges blatt, sondern zusammengesetztes
stab- und scheibenornament in hochrelief) gedeckt sein. Es könnte aber auch
diesem aufzulötenden Ornamente zuliebe ein buchstabe von vornherein weggelassen
sein. Die buchstaben der aversseite mit in hellerem ton hervortretendem hasten
sind augenscheinlich erhöht, es muss also die kreisförmige fusslinie und es müssen
die als helle linien erscheinenden details der figuralen darstellung im mittelfelde
(schematisiertes bild eines reiters und eines vogels) erhöht sein. Der prägestempel
1) Demgemäss ist auch Bugge, NI m. de seldre runer Indledning s. 51, z. 6—7
v. 0. richtig zu stellen.
2) Ludv. F. A. Wimmer, Die runenschrift, Berlin 1887 s. 235-236 nach der
zweiten Zeichnung von Arx aus W. Grimm, Zur lit. der runen — Arkiv för nord.
filol. 14 (1898) s. 109.
276 GUIENBERGER
ist demnach in hochrelief geschnitten und von rückwärts her appliziert, d. h. die
aversseite des brakteaten ist der den prägestempel wiederholende durchdruck, wälirend
sich die reversseite des brakteaten zur steiupelprägung als negativer abdruck ver-
hält. Der zweite, obere, punkt nach der ersten der 4 buchstabengruppen § war da,
ist aber verloren gegangen, mindestens undeutlich geworden. Die figur zwischen
4^ und Y in der dritten gruppe tritt bei besserer beleuchtung als ^ hervor. Wenig
scharf umrissen ist das zeichen O in der vierten gruppe, das wie eine einheitliche
erhebung mit abgerundeten ecken aussieht.
Die aversseite abgebildet auch bei E. Brate* in 2:1, also gleich dem masse
der Photographie, zusammen mit der aversseite der doublette in 3:1. Brate be-
merkt 8. 168 und 172 : sichere spuren eines M zu ende seien auf der kehrseite des
vermutlich dem ausgange des 5. Jahrhunderts angehörigen, 1774 gefundenen brak-
teaten nr. 178 a nicht mehr wahrnehmbar.
Der mit demselben Stempel geprägte, 1906 vom historischen staatsmuseum
erworbene goldbrakteat nr. 178 b ist an der eisenbahnstrecke nordwärts von Motala
gefunden. An demselben ist der angelötete henkel etwas mehr nach rechts gesetzt.
Vor den 10 strichen des komplexes luwatwva sieht man einen unteren punkt als
trennungszeichen und die untere hälfte des ^^ nämlich der linken aufrechten hasta
und der beiden inneren diagonalen. Diese angäbe ist an der abbildung Brätes
tafel 59 jedoch nicht nachprüfbar.
2. reversseite: genau unter dem henkel zwei parallele, aufrechte hasten, be-
ziehungsweise balken in weissen linien, senkrecht auf die kreisförmige grundlinie
gestellt. Sie lassen, nach den jeweils äusseren begrenzungen gemessen, oben wie
unten eine distanz von 4 mm zwischen sich. Das ist ganz genau die distanz
zwischen den äusseren begrenzungen des M der Umschrift nach der Photographie
der Vorderseite gemessen. Die sichtbare höhe der beiden hasten — sie sind auch
auf der kehrseite durch einen absinkenden teil des angelöteten henkeis gedeckt —
beträgt gleichfalls 4 mm, nicht sehr verschieden von der höhe des M zu 5 mm.
Dass die diagonalen des M, das man als einzigen, im fujiark des brakteaten noch
fehlenden buchstaben erwarten muss, nicht deutlich sichtbar seien, soll nicht ge-
leugnet werden. Ich konstatierte aber am 22. VII. 17, 5 uhr 25 nachmittags bei
zerstreutem tageslicht ohne direkte sonne vollkommen klar und unzweifelhaft die
von rechts unten nach links oben aufsteigende diagonale \\ in ihrer ganzen er-
streckung, soweit sie nicht von oben her durch den mittleren bügelteil des henkeis
überdacht wird. Hinsichtlich der von links unten nach rechts oben ansteigenden
diagonale, die theoretisch gefordert ist, denn eine andere ergänzung des torsos als
die zu M gibt es nicht, vermochte ich nicht zur gleichen Sicherheit vorzudringen.
Vom ui^teren teile dieser diagonale bis zum kreuziingspunkte sah ich überhaupt
nichts und der obere teil, den ich zwar wahrnahm, wurde mir in seiner geometrischen
konfiguration nicht ganz überzeugend.
In ähnlicher weise habe ich früher: Freilaubersheim, zeile 2, schluss in
*göliu den dem l Y angehörigen, allein persistierenden seitenstrich **• zum köpfe des
vorhergehenden Si. gerechnet, ohne aber jemals die entsprechende geometrische
Überzeugung gewinnen zu können. Es hat sich nachträglich gezeigt, dass dieselbe
falsch gewesen wäre, denn das o der inschrift ist ein solches mit sehr schmalem
1) Östergötlauds runinskrifter 2dra bandet, Stockholm, 1911, 4 ", tafel 59
nr. 178 a und 178 b.
RUNENSACHEN 277
köpfe, und der seitenstrich des l gehört nicht zu ihm. Es scheint aber doch, dass
der vermutliche, obere, rechte teil der diagonale am rf-torso von Vadstena nach
links unten verlängert die linke aufrechte hasta am fusspunkte treffen würde. Man
wird also auch die zweite diagonale des buchstaben als zum teil sichtbar bezeichnen
können.
3. Die abkunft der ing- rnnQ.
Nach der Zusammenstellung bei Otto von Friesen ' wird für die urnord. und
ags, n(/-rune, deren typische einheitlichkeit in den formen Vadstena und 0vre Stabu
O^, Opedal $*, ags. in fuj)arken, Themsemesser und hsl., auch in epigraphischen
texten wie Bewcastle $ * unmittelbar zutage liegt, ligatur zweier aneinander ge-
rückter griechischer gamma, cursiv und buchschrift fT behauptet, wonach man
geneigt sein könnte, die gelegentliche form dieses buchstabens im fujiark von
Kylfver ^, im wesentlichen ein auf einer Schmalseite stehendes rechteck [], mit
V. Friesen als die ursprünglichste zu betrachten. Die Umbildung würde man dem-
nach als ersatz des rechteckes durch ein quadrat oder raute und drehung der geo-
metrischen figur auf der grundlinie um 45 " definieren müssen.
Gegen diese annähme macht Bugge' die sichtliche Inkongruenz der gamma-
ligaturen v. Friesens und des ?ir/-zeichens von Kylfver geltend und leitet seinerseits
die rune, für die er die in der queraxe geöffnete und nach links verschobene form
des horns von Gallehus ^ '' zugrunde legt, aus 2 einander zugewendeten griechischen
gamma ab, i. b, in dieser meinung bestärkt durch das von ihm silbisch als ing
gelesene paar >> des brakteaten 17. Sowie dieses zeichen eine n eb eneinander-
setzung zweier griechischer gamma, sei das andere, gewöhnlichere eine griechische
ligatur zweier gamma und die ags. form, zweifellos später, in Übereinstimmung
mit Wimmer eine ineinanderschiebung zweier einander zugewendeter gamma <,
Am meisten entspräche in diesem falle das gamma der chalkidischen kolonien
von Veji < *, das als graphisches element mit dem eckigen lateinischen < und der
aus diesem bezogenen germau. rune /.; < identisch ist. Wie dieses zeichen aber
mit dem lateinischen und mit dem bezeugten runischen lautwerte /.• alphabetisch
nicht brauchbar ist, um in seiner doppelung kk den lautwert ny vertreten zu können,
so ist es anderseits schwer, an eine nebenher laufende, besondere entlehnung des
griechischen gamma < mit dem runischen lautwerte g zu glauben, sowie in den
anscheinend einfachen graphischen gebilden der urnord. und ags. rune ng irgendeine
orthographische absieht und zwar i. b. eben jene wieder zu erkennen, die dem
griechischen yy entspräche. Nur die doppelschreibung >> = {i)ng des brakteaten 17
würde dieser anforderung genügen. Die möglichkeit, sämtliche n^-zeichen aus einer
grundform zu erklären, bietet sich bei darstellung der griechischen Orthographie yY
mit den mittein des runischen typenvorrates. In der runischen doppelschreibung
99 XX ist sowohl die paarung << des brakteaten 17 als auch die urnord. raute O
1) Om runskriftens härkomst, Uppsala 1904(— 1906).
2) G. Stephens, The oldnorthern runic monumeuts 2 (1867— 6S) p. 533 und
•S. Bugge, Norges Indskrifter med de «Idre runer 1, 416.
3) Bugge, NX. 1, 298 und 300.
4) Bugge, NX. Indledning s. 28 und Stephens 1 (1866-67) p. 399.
5) Bugge, NX. Xndledning s. 7.
6) Bugge, NX. Xndledning s. 113—115.
1) Stephens, 1, 325.
8) Wilhelm Larfeld in Handb. d. klass. altertumswiss. I - (1892) s. 505.
278 (ilUENHEliUKK
enthalten und durch weglassung von je 4 Strichelementen zu gewinnen, während
die ags. form durch Verlängerung der neuen kreuzungsstriclie an der form von
Opedal zustande kommt.
Silbisch gebrauclit findet sich ng in Opedal Birgngu ' und im namen P>ew-
castle ^?H^in$ ', der nach dem vorbilde von Beowulf 2921 Mereivloing in Öswiuing:
UswiH 7 Jh., auch Öswlo^ auszuschreiben ist. Ferner in der Umschrift des brak-
tcaten 17 ', die ich mit benutzung des von Bugge zusammengetragenen materiales
l & _^ 10 15 ___ 20 2.-1
(r.) O Äk O ctEk — (1.) eltvwÄaeJck O ngE uim nge(s)s lese und gleich Bugge als
besitzvermerk erkläre, dabei ist das zeichen 1, 4, 16, eine geschlossene raute, mit
Bugge als interpunktion verstanden, das zeichen 2 und 11 aber -f- das Bugge !
transliterierte, vielmehr nach M. Olsen bei Bugge ^ als eine form der yära-rune. die
ich aber hier nicht mehr mit dem alten lautwerte ./, sondern nach vollzogener anlaut-
apokope mit dem späteren lautwerte A ansetze. Hinsichtlich der dritt- oder viert-
letzten bis vorletzten rune, für die man den holzschnitt bei Stephens nicht zugrunde
legen darf, wohl aber die phototypische reproduktiou Bugges, bin ich zu der mit
eben diesem übereinstimmenden lesung r^^M< gelangt, nur dass ich von dem an-
genommenen s an vorletzter stelle nichts wahrzunehmen vermag und das von Bugge
als g bewertete zeichen < lieber als dritte form von 7ig — so auch auf der spange
von Balingen! — in anspruch nehme. Der schluss des komplexes (1.) semng . . ^
ergänzt denselben zum genitiv eines mask. personenuamens *Iyigeringe(s)s.
Die formel *ä ek -?; *aih el- 'possideo ego' ist zweimal gesetzt, in verschiedener
Orthographie und in dem längeren teile der gesamtlegende mit unverkennbaren
namenselementen, einem beinamen *Elwa im nomicativ und einem patronymischen
genitiv mit silbischer lesung des anlautes* [i/ngeu(h)miges verbunden, während
die erklärung des komplexes Ak im kürzeren teile noch nicht mit Sicherheit gegeben
werden kann. Möglicherweise ist er als kürzung des auf den brakteaten nr. 35,
36, 89, 41a, 84, 96® erscheinenden, glaublichen personennamens AAkai< und Varianten
zu verstehen. Der name Elwa ist vom hrakteaten von Setvet' her bekannt, der
patronymische name urnord. *IngiHHgan ist als ableitung aus einem compositum
mit inghe-, ingi- zu betrachten. Nach an. Egilsson 178 Jitjihigr, gen. ßtji'ings m.
'vir dives', sowie ebenda 6U2 nidjüngr m. 'filius, cognatus, consanguineus', auch
eddischer personenname zum ./a-stamm yiidr ist germ. *inguHla-, repräsentiert auch
durch den ags. namen Ingui^ als basis des mit «^-suffix abgeleiteten namens auf-
zustellen. Die beiden namen in der gesamtlegende *Äk < cii< > d — ek, Elwa A — ek
< I > ngeünges müssen sich dabei keineswegs auf 2 personen verteilen, da gleich
dem Elwa Onla oder Onla Elwa von Setvet sehr wohl auch eine kombination
Akaii' Elwa als benennung einer person möglich ist.
Sämtliche figuren des runischen ng enthalten den Winkelhaken < als graphisches
Clement und werden in ihren vollen formen mit doppelsetzung eben dieses in ver-
1) Bugge, NI. 302 und Indledning 14.
2) Stephens 1, 399 und Victor, Die northumbrischen runcnsteine (1895) s. 15.
3) Searle, Onomasticon ("1897) s. 380.
4) Stephens 2, 529 und Bugge in Aarboger 1905 s. 222-231.
5) Aarboger 1905, 229-230.
6) Stephens 2,544-6; 3,255 und 464-66; Bugge Aarboger 1905, 199-200
und 266-269.
7) NI 1, 168-174; 2,535-6.
8) Searle 1, 317.
RUNEN SACHEN 279^
schiedener anordnung geschrieben. Mit einem solchen elemente operierte schon
Julius Zacher ', bei dem nur das eine festzuhalten ist, dass dieses graphische ele-
ment nicht zugleich auch als alphabetisches genommen werden darf. Die
bemerkung Zachers, es müsse eine zeit (auch ort fügen wir hinzu) gegeben haben,
zu der der Winkelhaken < auch die geltung von <j hatte, ist zwar an sich betrachtet
ganz richtig, wie das griechische gamma < von Lokris, Koriuth und Korkyra^ lehrt,
aber von unmittelbarer Zugrundelegung desselben für das ruuenzeichen wird man
besser absehen und i. b. die typische entstehung der «r/-rune, von der die jeweils
graphische ausführung immer zu scheiden ist, kann nicht auf diese zeitlich ent-
legenen und lokal beschränkten gammaformen begründet werden. Sie ist nach dem
vorgetragenen als eine nachbildung zu verstehen, die das germanische runenalphabet
bereits zur Voraussetzung hat.
Der name des Zeichens ags. ing, var. (h)mc', got. engnz, d. i. *iggics, sollte
im got. alphabete, das die velare nasalis ng durch die alphabetisch noch durch-
sichtige geminata gg ausdrückt, eben dieser in ihrer besonderen funktion zukommen.
Bekanntlich ist aber der name vielmehr mit dem x^ X des got. alphabetes, var. "X
verbunden *, worin ich, wahrscheinlich mit recht, freie Übertragung des im got.
alphabete überschüssigen runennamens gesucht habe-^. Das schliesst aber nicht
aus, dass der name im germ. runenalphabete nicht erst für die stilisierten Verein-
fachungen der als velare nasalis funktionierenden, graphischen geminata gg^ sondern
schon für eben diese erfunden ist.
4 . Zu den ags. m ü n z i n s c h r i f t e n.
Die verschiedene behandlung ein und desselben german. diphthongen au in
den beiden ags. namen Scänomödu und jEniwulufH, zusammengestellt von Bugge^
ist auffallend. Sie erklärt sich doch ohne Schwierigkeit nach analogen Vorgängen
in der ags. lautentwicklung. Der Übergang des diphthongen au im namenelemente
anno-, anni- ', ags. tan- ^ zu (J' schliesst sich den beispielen der ebnung (smoothing)
bei Bülbring*': kec 'lauch', flceh 'floh', tceg 'das tau' an, bei denen der urags. di-
phthong (Po zu urangl. <?, später verengt e, monophthongiert wurde; jener des au
im elemente scauni-, scöni- ^^ aber der monophthongierung ags. ea (wg. au) > e« > ä,
die in scäwung 'anblick' < Hceawtmg vorliegt und nach Bülb rings darstellung''
durch akzentverschiebung bedingt ist. Diesem gesicherten beispiele gegenüber kann
es nichts ausmachen, dass diese separate Umbildung des urags. (Po weder in den
Varianten zum appellativschen adjektiv scine^'\ noch in personennamen, wozu nur
Sceniimlf pt. LVD **, ein zweites mal auftaucht.
1) Das got. aiphabet Vulfilas 1855, s. 30-31.
2) Wimmer, Die runenschrift, tafel 1.
3) Arkiv f. n. fil. 15 (1899), s. 8.
4) Wilh. Grimm in Jahrbücher der iit. 43; 6.
5) PBB. 21, 219.
6) Aarböger f. nord. oldkyndighed 1870, s. 207.
7) Förstemann nbch. I^, sp. 207-209.
8) Searle s. 208-212.
9) Ae. eleraentarbuch 1. teil: lautlehre, Heidelberg, 1902, § 193, auch § 200.
10) Förstemann sp. 1306.
11) A. a. 0. ^ 333.
12) Boswortii-Toller s. 833.
13) Searle 410.
280 ORIENBERGER
An den rechtsläufigen runen des compositums mit möd, dessen lesung bei
Stephens ' in der 'additioual note on bracteate nr. 74' an der zweitzitierten stelle
berichtigt ist, interessiert das 4-eleraentige s; ^^ die vorform A des ags. a'n h
und die alte geltung 0 des zweimaligen 5^, an denen des linksläufig geschriebenen
composituras mit inUf des brakteaten nr. 75 aber das wie ein \> aussehende iv mit
voller Spannweite des seitendetails und das einem nordischen k gleichende -/ mit
einfachem aufstriche. Beide namen in runen finden sich neben lateinischen legenden
auf den brakteaten und sind jeweils von zweiter hand angebracht; der name
Scänomödii in einen freien teil der Umrandung eingeflickt, der name j-Eniivuhifu,
wie es scheint, direkt über eine andere legende gesetzt, von der noch der komplex
LIO stehengeblieben ist.
Beide namen sind masculin und im auslaut -u nicht ags., sondern vulgäre
latinisierung statt sonstigem -us, die nach den beispielen germanischer herkunft
Alpulfu, Anshelmu, Landeradn, Sigualdii, Sindipertu neben echt lateinischen namen
Martt?m, Mauru, Moderatu ^ zu beurteilen ist. Mau wird nicht fehlgehen, sie auf
rechnung jenes vulgärlateinisch sprechenden bevölkerungsteiles zu setzen, der von
den Angelsachsen während der ersten zeit ihrer einvvanderung in Brittannien ange-
troffen wurde ^.
Der themavokal in scäno- gehört einer ursprünglicheren gestalt desadj. west-
germ. skmmia- * an, die ein (7- oder ein «-stamm gewesen sein kann. Ja es wäre wohl
möglich, da in der got. adjektivdeklination bekanntlich bei den n-stämmen ein
teilweiser ersatz durch formen der Jo-deklination eingetreten ist, dass die beiden
bezeugten casus des wulfllanischen adjektivs nom. pl. masc, skaunjat Rom. 10, 15
und dat. sing, neutr. ihnaskaunjamma Phil. 3, 21 mit einem uominativ sing, des
einfachen adjektivs nicht *skanneis, sondern *skaunus zu kombinieren sind.
5. Ein r u n i s c h e s m o n o g r a m m.
Die auf tafel 58 seines werkes ^ nr. 173, 2 verkleinerte abbildung einer rippe
mit runeninschrift und die unter nr. 173, 3 gegebene nachbildung der inschrift in
natürlicher grosse begleitet Erik Brate 1, 163—164 mit der angäbe: in der alten
kirche zu Skärkind wurde eine rippe von 77,5 cm länge aufbewahrt, vermutlich
von einer grösseren delphinart, ähnlich dem delphinus orca Lin. mit Inschriften auf
der konkaven seite des knochens nahe dem schmälende, 10 cm von demselben beginnend
in zwei gruppen. Die eine ^A) gelesen pcettwrefen, aufgelöst ^pwttce (er refen,
übersetzt 'das ist eine rippe', -die andere (B) ein monogramm, über welches Brate
nur vage Vermutungen vorgebracht hat.
Die Umschrift der ersten gruppe bei Brate erfordert, dass sowohl die in der
ligatur mit t enthaltene rp-rune als auch das folgende /• haplographisch bezogen
werde. Das erste (e der inschrift 1 wird im unteren teile von einer parallele zum
mittleren, kreuzenden striche durchschnitten, die sich auch durch das folgende t fort-
setzt und sich mit dem linken abstriche des zweiten i nahezu vereinigt. Allem anscheine
1) 2, 879 und 1, LXVHI-LXIX.
'1) Libri confraternitatum Sancti Galli ... ed. Paulus Piper. Berolini 1884.
4" pag. 243-44.
3) Bülbring § 14.
4) Wortschatz der germ. spracheinheit von Alf Torp. Göttingen 1909, s. 465.
5) Östergötlands runinskrifter granskade och tolkade, 2dra bandet, Stockholm,
1911, 4".
RUNENSACHEN 281
nach gehört sie in der tat dem ductus eben dieses abstriches au und ist daher in
ihrer ganzen, 2 buchstaben durchschneidenden ausdehuung als zufällige Verletzung
ohne literale bedeutung anzusehen. Die phrasierung der aufschrift 'das ist eine
rippe' vergleicht sich u. a. der Stoffbezeichnung ohne pronomen auf der Stirnseite
des Clermonter kästchens hronces bdn 'walfischbein', oder der Umschrift des ringes
von Coquet— iland : + pis is sinhifnr. xx * 'das ist silber', einer ags. sonst nicht
weiter bezeugten form des stoff'namens mit schaltvokal vor dem /, wie sioliifr,
silofr einerseits und mit eben solchem nach dem /, wie sylfor, seolfur anderseits '^
Das in frage kommende demonstrativpronomen generis neutrius verzeichnet
Noreen' unter patta, pmttce als seltene nebeuform zu gewöhnlichem Jxetta und erklärt
refen, indiziert s. 586 als n. reben = aschwed. re(f)ben als sporadische assimilierung
von b an b > bb*. Wieso indessen bei Noreen a. a. o. bb aus bb als regressive
assimilation bezeichnet wird, ist mir nicht verständlich. Sie ist ja doch vielmehr
progressiv! regressiv aber allerdings die refen geschriebene form der inschrift, die
offenbar eine ausspräche *redben verlangt. Die rnnen dieser partie gehen von links
nach rechts. Dagegen entwickelt sich das monogramm (B) in zwei teilen (rune 1
und 2—6) von rechts nach links. Ich zerlege dasselbe in 6 buchstaben ^H^r"Q)t
6 5 4 3 2 1
von denen 3 gegen die schriftrichtung orientiert als wenderune, 4 als sturzrune er-
scheint. Die übrigen runen 1, 2, 5, 6 entsprechen der schriftrichtung.
Ich translitteriere 1 mit silbischem werte ha, 2—6 als ßlquk und erhalte
demnach, indem k zu ende als g funktioniert, den frauennamen *HaJ)laug. Silbischen
wert ha hat die rune >f beispielsweise auch in der inschrift des Steines von Tuan
an erster stelle des komplexes )|(R>j<r'1, genitiv des bekannten namens könig
Ha>-al(d)s°, einen frauennamen mit -lang: Kilaiik 'Gillög' enthält die inschrift eines
Steines zu Bromstad, derselbe name findet sich im genitiv Kinlaukar (Ginlög) auf einem
steine zu Ölstad, zwei andere composita klnpljank 'Gudlög' und hielmlauk 'Hjälmlög'
gewährt ein stein zu ö. Selö*. Das Verzeichnis runischer Wörter bei Noreen bietet
ausserdem Faslaug, acc. Fastlauku und Hulmnlauk, in späterer form -ISgh, -logh '.
Von deutscher seite entspricht Hadalaoe 9 St. P. oder Hadalang u. a. Schreibungen ^
Eine Wirkung des umlautes vom n der mittelsilbe (themavokal !) her vermisst man
gegenüber aisl. eddisch HQj)broddr, woraus zu entnehmen ist, dass diese form des
frauennamens schon vor Wirkung des «-umlautes den themavokal synkopiert oder
durch a ersetzt hat. Brate bezeichnete dieses monogramm als h mehr einer binde-
rune, die zu ende ein R enthalte.
Das vermeintliche R erschiene als wende- und sturzrune zugleich. In der
gegebenen auflösung hat dasselbe, das durch die abstriche des a und den ki'euzenden
aufstrich des k vorgetäuscht wird, keinen platz. Die nicht abgebildeten Inschriften
der rückseite der rippe bestehen nach Brätes angäbe C aus einem R, 3 • 5 cm vom
schmalende, und D aus 2 mit dem stabe gegeneinander gekehrten R, 15 cm von
eben diesem entfernt, woraus ich vorläufig nichts machen kann.
1) Stephens 1 (1866-67), 480-1.
2) Bosworth-Toller s. 864.
3) An. grammatik II: aschwed. gramm. Halle 1904, § 509 und a. 4.
4) Ebenda § 284.^
5) V. Friesen, Tvä Smäländska runstenar 1907, s. 17—18.
6) E. Brate, Skansens runstenar 1897 s. 5, 9, 13.
7) An. gramm. II, § 81, 2, b.
8) Libri confraternitatum 452.
282 GRIENBEKGER
6. Zu den runischen exsecrationen.
Drei iuschrifteii mit dem Charakter von defixionen hat Magnus Olsen ' zu
einer kleinen gruppe vereinigt: die von ihm schon früher veröffentlichte Inschrift
des Webeblattes von Lund* sowie jene zuletzt von H. Gering behandelte des bei-
nernen weberkammes von Drontheim ' und die durch v. Friesen bekanntgemachte
der kupferdose von Sigtuna*, sämtlich um das jähr 1000 zu datieren und auf losen
gegenständen vorfindlich, die nichts mit grabausstattung zu tun haben.
Dem texte des Webeblattes von Luud Sktiaran.-iki | mar: afa: \ (m)an:
mn: krat: \ aallatti, in an. sprachform *Sigvaraii-Inghnarr hafa man meingrat
'der Sigv^r-Ingimarr soll durch schaden verursachtes leidwesen haben', seien 8 runen
ohne sprachliche bedeutung angehängt.
Es hat sich aber Olsen entzogen, dass dieselben aus ihrer gegebenen anord-
1 2 3 4 5 6 7 8
nung a a l l a t t i in die folge 1, 3, 6, 2, 4, 5, 7, 8 gebracht, nicht nur sprech-
bare komplexe alt a lati, sondern auch deutbare Wörter ergeben, die sich mit den
entsprechenden einrichtungen in der gestalt *allt a landi 'überall im lande' ausserdem
sinngemäss dem vorhergehenden texte angliedern und ihn ergänzen, allt ist als-
adverbium zu verstehen und (/ landi als zweite, örtliche bestimmung. Da das
Webeblatt in einem glaublichen fraueugrabe gefunden ist, jedesfalls ein frauengeräte
darstellt, so liegt der schluss auf der band, dass die Verwünschung einem ungetreuen
liebhaber zugedacht sei.
Die kombination mit dem genitiv eines frauennamens Sigvarar-Ingimarr ist
von M. Olsen in seiner ersten publikation s. 9 metronymisch verstanden, wogegen
V. Friesen •'' in Sigvgr den namen der neuen geliebten des Ingimarr erkennen wollte.
Möglich ist das eine wie das andere.
Die Vermutung M, Olsens, dass der runenkomplex zu ende: atti mit der
Inschrift der steiuaxt von Veile, 13. jh., lyfatyo etwas zu schaffen habe, ist durch
nichts gestützt. Ich behaupte vielmehr, die 8 runen am ende des textchens seien
eine auflösung der beabsichtigten worte in ihre elemente und demnach eine ver-
steckschrift, der nicht notwendig irgendwelche andere, 'magische' absiebten inne-
wohnen müssen. Eine ähnliche auffassung dürfte wohl auch für die neben und
zwischen manifesten werten stehenden buchstabengruppen : 8 a, 3 Ä, 3 «, hmn, 3i*
des beingerätes von Lindholm geltend zu machen sein, unbeschadet allfälliger, be-
sonderer beziehung und bedeutung der gewählten zahlen, die man für die von S. Bugge^
verglichene formel gegen kvennagaldur Risti eg per \ dsa atta, | naudir niu, nicht
ohne grund vermuten kann.
- 1) Om Troldruner: Edda Kristiania 5 (1916) s. 225—45.
2) Trylleruneme paa et Vsevspjeld fra Lund i Skaane: Videnskaps-selskaps
forhandlinger. Christiania. 1908, nr. 7.
3) Ärkiv f. nord. fil. 33 (1917), s. 63.
4) Fornvännen 1912.
5) Ur vära fäders magi. Upsala Nya Tidning. 1911.
6) Edda, s. 228.
7 ) Bemaerkninger om runeindskrifter pu guldbrakteater : Aarbeger for nordisk
oldkyndighed . . . 1871, s. 185.
RÜNENSACHEN 283
b.
Aus dem gesichtspunkte einer Verwünschung empfängt auch der ags. text
der beinlamelle des British Museums neues licht, für dessen buchstabenbestand die
1 5 _ 10 _ 15 25 24
von mir gegebene lesung * : gäd gecnäp äua Hadda pl pis wrät zugrunde gelegt
werden muss. Diese modifizierte einteilung der 24 lettern (eingerechnet 2 binde-
runen!) empfiehlt sich angesichts der sprachlichen einwände F. Holthausens'-, von
denen mir namentlich die einforderung des Wortes gecnäp als verbalform von gewicht
erscheint. Da man aber von dem satze in Holthausens fassung 'mangel kennt
immer Hatto, der dies schrieb' nicht vriisste, welche art notiz das sein sollte und
die damit in Verbindung stehende erklärung von pi als relativpronomen 'der' von
Holthausen selbst in seiner zweiten miszelle zugunsten meiner deutung als adv. p'i
'deshalb' aufgegeben ist, befürworte ich für gecnäp nicht 3. sing, praes. indicativi,
sondern 2. plur. imperativi, d. h. contraction aus *gecnäivap und somit anrede des
verwünschten mit dem plural des verbums 'ihr', nicht 'du'. Der Charakter der
defixion tritt bei einer Übersetzung 'inopiam noscite semper Haddo, ea de causa
hoc scripsi' unverkennbar hervor und es ist durchaus verständlich, dass zwar der
vom fluche zu treffende mit namen genannt, der urheber der Verwünschung aber
in anonymität gehüllt ist.
In der vorgenannten Drontheimer Inschrift: 'ich liebte sie als mädchen, ich
■will nicht poussieren des dreckigen Erlends weib' äussert sich dieser charakter, wie
von M. Olsen s. 234 mit recht bemerkt ist, in den worten des zweiten halbverses
^als witwe würde sie mir passen', die ja das abieben des gatten ^llendr füli zur
Voraussetzung haben. An der auch von Gering in ihrer ganze aufgenommenen
lesung Bugges^ finde ich die konjektur ek nicht überzeugend. Beide abbilduugen
des textes auf der tafel Bugges zeigen keinen aufstrich am vermeintlichen /.■ und
eine verhältnismässig enge distanz zum folgenden n, während der Zwischenraum
zum vorhergehenden i relativ weit ist. Nach Bugges meinung s. 10—11 wäre im
10111-213U15H;
komplexe ' I ll I P T l zwar ik geschrieben, aber ek zu sprechen, wogegen das
zweimalige vorkommen der punktierten e-rune 4 (in req und celens\) nicht ein-
gewendet werden köime, da auch anderwärts beide zeichen das ursprüngliche / und
das daraus differenzierte e in ein und derselben Inschrift zusammen mit dem werte
« auftreten.
Aus gründen der raumverteilung halte ich es für näher gelegen, dass nicht
an der zweiten hasta (11) ein seitlicher aufstrich, sondern an der ersten (10) ein
mittlerer punkt rückerstattet werden müsse, so dass sich vielmehr die negations-
partikel an. ei, gekürzt aus eigi und eine lesung des halbverses ei vilat req ergibt,
die der bisher angenommenen schon deshalb vorzuziehen ist, weil bei ihr die durch
die allitteration bedingte, ungerechtfertigte hervorhebung des persönlichen pronomens
1. person, 'ich will nicht poussieren', vermieden bleibt.
1) Zeitschr. 41 (1909), s. 428-431.
2) Zeitschr. 42 (1910), s. 331-32 und 43 (1911), s. 378.
3) Et benstykke med runeskrift . . . Det kgl. norske Videnskabers Selskabs
Skrifter 1901 (1902) nr. 4, 19 ss.
WIEN. GRrENBERGER.
284 BERENDSOHN ÜBER SCHBMiifilt, DIE .SAGE VON HENGI.ST INI) llOliSA
LITERATUR.
Dr. Katharina Sclirelner, Die sage von Hengist und Horea. Entwicklung-
und nachleben bei den dichtem und geschichtschreibern Englands. GermanfsohÄ
Studien, herausgegeben von Dr. E. Ehering. Heft 12. Berlin, Emil Ehering,
1921. XII, 166 s. 24 m.
In dieser sehr gründlichen und sorgfältigen arbeit wird das Schicksal einer
sage, die mit recht als 'gelehrtensage' (s. 25) bezeichnet wird, über einen Zeitraum
von mehr als 1200 jähren verfolgt. Die frühesten quellen bewahren geschichts-
charakter. Als ältester zeuge für Hengist kommt der sog. Kosmograph von
Ravenna (7. jahrh.) in frage. Die berichte von Gildas (kurz vor 547; ohne
den namen) und Beda (731) unterscheiden sich in der färbung nach der nationalität
ihrer Verfasser. Die sagenbildung ist dann werk der Britten : sie erscheint zuerst
in der Historia Brittonum des sog. Nennius (ca 800) und wird dann von
Gottfried von Monmouth in seiner Historia Regum Britanniae (1135)
nach Inhalt und form vollendet. Gegen den ungeheuren einfluss Gottfrieds, der ja
die Hengistsage in stark brittischer färbung vorträgt, kommen die stimmen anderer
historiker nicht auf. Die gründe sind (s. 50): die Vorliebe der zeit für die roman-
tische geschichtsschreibung, wie er sie bot, und die politische haltung der herr-
schenden Normannen gegen die besiegten Sachsen. Ausser einigen unbedeutenden
Chroniken (s. 81) sind die zahlreichen quellen bis zum ende des 15. Jahrhunderts,
meist durch Vermittlung einer normannischen be arbeitung, von Gottfrieds sagenform
abhängig. Eine fortentwicklung der sage bringen nur wenige erweiterte dar-
stellungen, hauptsächlich La^yamons Brut (ca. 1205). Gottfrieds sagen sind
bestandteil nationaler Überlieferung geworden.
Anschliessend an den scharfen einspruch Wilhelm von Newburys
(nach 1198) gegen Gottfried erwacht die historische kritik bei Polydor Vergil
(1534), jedoch ohne durchgreifenden erfolg gegenüber der beliebtheit der sagen
auch in den dichtungen der renaissancezeit. Erst um 18U0 wird die herkömmliche
darstellung als sage erkannt in der History of the Anglo-Saxons von Turner
(1799— lb05), der zuerst den anfang der nationalen geschichte nicht bei den Britten,
sondern bei den Angelsachsen sucht. Kemble treibt die kritik in seinem werk
'The Saxons in England' (1849) bis ins äusserste, indem er, ein schüler Grimms,
die sagen als mythen ohne geschichtliche Wahrheit darstellt, bis durch tiefer ein-
dringende forschuugen das richtige mass erreicht, geschichte und sage geschieden
werden. Die Verteidiger der im kern germanischen herkunft des englischen volkes
zerstören endlich die brittische sage, welche die eigenen vorfahren in so ungünstigem
lichte zeigte (letztes viertel des 19. Jahrhunderts).
Die ganze Untersuchung ist historisch-politisch gerichtet, was im 'rückblick'
(s. 168 ff.) besonders hervortritt. Sie erörtert die merkwürdige tatsache, dass eine
vom feind geschaffene sage bei einem volke so lange geltung haben konnte. Die
Hengistsage ist aber auch dichtung. Es genügt nicht, sie als brittische erfiudung
nachzuweisen. Es lässt sich zwar durch quellenvergleich zeigen, dass Hengist viel
angedichtet ist; aber verrat, hinterlist und grausamkeit, die ihm nicht nachzuweisen
sind, haben sicherlich bei der eroberung Brittanniens durch die Germanen hundert-
mal eine rolle gespielt. Die römische kolonisation der insel hatte wie die spanische
in Amerika oder die französische in .Marokko die formen militärischer besetzung
BIXZ ÜBER SEILER, LEHNWÖRTER 285
und wirtschaftlicher ausbeutuus:, die germanische war dauernde besiedeln ng
unter ausrottung und Verdrängung der einwohner, genau wie die
englische in Nordamerika. Auch wenn uns nicht bezeugt wäre, dass die eroberer
recht unchristlich zu werke gingen (manchmal, wie bei der Vernichtung des jütischen
reicbs auf der insel "Wight durch die Sachsen, sogar untereinander), könnten wir
es daraus erschliessen. dass die brittische spräche keinen eintluss auf das angel-
sächsische erlangt hat. Die tiefe erbitterung gegen die gewalttätigen eindringlinge
war gestaltende kraft der Hengistsage und gibt ihr dichterische Wahrheit trotz der
Verfälschung geschichtlicher tatsachen. Als übernommenes erzählergut au&
sächsischer Stammestradition ist die hinterlistige ermordung der 300 brit-
tischen edlen beim gastmahl nachweisbar (s. 20 f.). Hier ist zu erinnern an das
beliebte motiv des liallenkampfes in altgermanischer heldendichtung, der ja aucb
stets zwischen wrten und gasten beim festlichen gelage entbrennt, unter bruch
aller sitten und eide.
HAMBURG. WALTER A. BERENDSOHN.
Friedrich Seiler, Die entwicklung der d euts chen kultur im Spiegel
des deutchen lehnworts. 11. Von der einführuug des Christen-
tums bis zum beginn der neueren zeit. 3. vermehrte und verbesserte
aufl. Halle a. S., buchhandluug des Waisenhauses, 1921. X, 314 s. 36 m.
Dass Verfasser und Verleger in der heutigen zeit den mut haben, die im
jähr 1913 begonnene dritte aufläge des bewährten Seilerschen buches fortzusetzen,
verdient allein schon anerkennung. Nicht weniger löblich ist aber auch die art
der bearbeitung, die dem buch einen Zuwachs nicht nur an äusserem umfang (von
etwa drei bogen), sondern auch an innerem wert gebracht hat. Die zusätze er-
strecken sich auf artikel über mährte, remter, öl und lampe, kelch, patene und
hostie, gründonnerstag, legende, bastard, erker, fee, pause, rosmarin, emian,
hederich, löwenzahn, vergissmeinnicht^ bocksdorn, spargel, sklave, messing, also
grösstenteils kulturgeschichtlich wichtige dinge; die besserungen betreffen viele
eiuzelheiten. Natürlich bleibt auch jetzt noch manche worterklärung und daratif
begründete kulturgeschichtliche schlussfolgeining unsicher; aber Verfasser versucht
nie, seine meinung als die allein richtige aufzudrängen, und macht sehr oft auf
abweichende auffassungen aufmerksam. Es mag gestattet sein, auf einige fälle
hinzuweisen, in denen genauere fassuug des Wortlauts missverständnissen vorbeugen
könnte oder in denen noch auf andere deutsche lehnwörter zur Verdeutlichung
bezug zu nehmen wäre. S. 32 anm. : c/e)-k im modernen englisch ist nicht direkte
entlehnung aus dem lateinischen, sondern aus dem französischen. Bei Schüler
könnte an die ältere unumgelautete nebenform Schtder erinnert werden, die im
familiennamen, aber auch in schweizerischen Zusammensetzungen wie schulerbnb,
schnlertnch noch fortlebt; auch dem Verhältnis zu der viel späteren entlehnung
Scholar könnte ein wort gewidmet werden. S. 37 ergäbe die berücksichtigung der
altengl. form heden statt ahd. laiinisc mit ihrem Stammvokal und erweichtem dental
kulturgeschichtlich interessante unterschiede zwischen England und Deutschland. —
Wo findet sich im altengl. ein beleg für beam = Urkunde V Ist das nicht ein miss-
verständnis des satzes ic(es se beam (= das kreuz!) böcstafum äwrüeti? — Dass die
286 MOSEu
ableitung von hior (hier) aus bihrrc beziellun(,^s\veise roraanisiertem hirere die wahr-
scheinlichste unter den verschiedenen vorgeschlagenen sei, werden wohl wenige
gelten lassen ; darum sind auch die anschliessenden geschichtlichen ausführungen
abzulehnen. — S. 68—70 verdienen die schweizerischen und rheiufränkischen bezeich-
nungen für 'pfanne', 'kachel' dilpji beziehungsweise dippe, die wohl mit topf stamm-
Terwandt sind, erwähnung: ebenso das rheinfränkische doppich — kreisel, das wohl
mit dem gleichbedeutenden französischen tonpie auf urawegen zusammenhängt. —
S. 63 ist die ableitung von rieffei aus latein. regiila doch umstritten ; sollte nicht
stamuiverwandtschaft mit reihe bestehen V — Bei Voyt s. 115 ist nicht nur der an-
lautende konsonant bemerkenswert, sondern auch der erweichte guttural im Innern,
der ebenso wie / = lat. v beweist, dass die entlehnung nicht zur älteren schiebt
gehört. — S. 227 wäre das Verhältnis von laberdan zu lebertran erörternswert. —
Dass die Nürnberger uhren ihrer form wegen 'eierlein' genannt werden (s. 248),
scheint mir zweifelhaft; vermutlich ist eierlein eine deminutivform zu aner = uhr,
das Verfasser selbst erwähnt. — Dass schöj^s (s. 275) allgemein deutsch geworden
sei, ist wohl nicht richtig. Das Schwäbisch-Alemannische kennt das wort meines
Wissens nicht, auch nicht in der schriftdeutschen Umgangssprache. — S. 14 führt
Verfasser mährte auf merenda zurück, das ein aus wein mit eingebrocktem brot be-
stehendes Vesperbrot bezeichnete, und im ahd. als merata, mereda, auch als mask.
meröt begegnet ; landschaftlich kommt ihm heute noch die übertragene bedeutung
'breites gerede' zu. Es ist bemerkenswert, dass auch im Schweizerd, märt diesen
sinn hat, aber hier wohl mit recht als Übertragung aus märt 'markt' gilt. Freilich
ist die gutturallose form märt und noch mehr die berndeutsche märit mit kurzem
Stammvokal nicht so einfach aus mercatum abzuleiten, als man in der regel sagt.
Nach S.s Überzeugung muss der geschichtsuuterricht an deutschen schulen in
Zukunft ganz andere bahnen einschlagen als vor 1918. Er möchte mit seinem buch
dem lehrer den stoff an die band geben, um sach- und Sprachunterricht in frucht-
bringender weise miteinander zu verbinden. Möchte seine anregung auf günstigen
boden fallen ! Auch für schülervorträge und aufsätze ist das buch vielfach mit
erfolg verwertet worden; um diese art der benutzung zu erleichtern, stellt S. im
Vorwort eine ganze reihe von passenden themen zusammen, die sich nicht auf diesen
zweiten band beschränken, sondern das ganze werk berücksichtigen. Auch dieser
wink verdient erfolg.
BERN (jetzt BASEL). fiUSTAV BINZ.
Humbert Dell'mour, Altd euts che sprach lehre für an fange r. Erster teil:
Wortlehre. Leipzig und Wien, Franz Deuticke, 1920. XV, 43 und V s.
Neben Braunes 'Ahd. grammatik' und dessen 'Abriss' hieven, die durch ihre
klassische Vollendung nach der wissenschaftlichen wie der pädagogischen seite und
zugleich durch ihre wiederholten, aufs sorgfältigste gebesserten neuauflagen heute
so unerreicht wie vor drei Jahrzehnten dastehen, eine neue zu stellen, gehört wohl
zu den schwierigsten und heikelsten aufgaben in der deutschen philologie. Das
haben denn bisher alle, die dies — meist im auftrag — unternahmen, ganz offen-
sichtlich deutlich genug empfunden. Eigentlich gab es zunächst nur zwoi möglich-
keiten, um nicht ganz überflüssige arbeit zu leisten: erstere durch mehr oder
minder vollständige Stellennachweise zu erweitern (was ja Braune selbst Ursprung-
ÜBER UELL'mOUR, ALTDEUTSCHE SPRACHLEHRE FÜR ANFÄNGER 287
lieh für die 3. aufläge beabsichtigt) oder letztern für die zwecke des nur flüchtig
interessierten auf die allerwichtigsten grunderscheinungen zu reduzieren. Dies hat
Schauffler schon kurz nach erscheinen des Braunischen 'Abrisses' für die 'Sammlung
Göschen' unternommen und sich der aufgäbe meiner ansieht nach — trotz der kürz-
lich im entgegengesetzten sinn geäusserten meinung — wie nach dem urteil solcher,
die sich dieses hilfsmittels für ihre besonderu zwecke bedienten, recht glücklich
entledigt. Jenes ist erst viel später durch den ungenannten herausgeber der 'Gram-
matiken der althochd. dialekte' unter durchführung der vortrefflichen idee der
Arbeitsteilung nach den grossen dialekten — ein weg, auf dem über kurz oder lang
auch die mhd. und frnhd. gramm. werden folgen müssen, — in die wege geleitet
(leider durch das noch heutige ausstehen von Bohnenbergers 'Altalem. grammatik'
noch nicht zur Vollendung gebracht) worden ; diesen gedanken hat dann zum teil
wiederum Naumann als Schaufflers nachfolger auf die kleinen masse der 'Sammlung
<jö8chen' projiziert. Die zwei letzten mit der bearbeitung des themas betrauten
Verfasser sind aber, um der gefahr und dem Vorwurf, eulen nach Athen zu tragen,
zu entgehen, sogar nicht davor zurückgeschreckt, den rahmen der Sammlung zu
sprengen: Mansion, indem er die grammatik zu einer blossen orientierenden ein-
führung zu den lesestücken (allerdings mit der hinzufügung einer syntaktischen
fikizze) zusammenzog, Baesecke dadurch, dass er in ebenso genialer wie kühner
weise an stelle der darstellung der tatsachen eine solche der probleme setzte; ob
freilich die benutzer, für die diese Sammlungen zunächst bestimmt sind, damit ganz
einverstanden sind, mag dahingestellt bleiben. Ein mangel an bequemen hilfsmitteln
zum Studium der ahd. spräche nach jeder richtung hin, wie dies vor dem erscheinen
von Braunes grammatiken der fall war, besteht also heute keineswegs.
Wohl aus diesem gefühl heraus hat denn auch Dell'mour gleich von vorn-
herein alle etwaigen bedenken im stürm zu beseitigen gesucht: 'Während zur
bewältigung anderer eingeführter lehrbücher monate nötig sind, muss es möglich
sein, das vorliegende iu zwei bis drei wochen [durchschuss vom verf.] voll-
ständig durchzuarbeiten', heisst es gleich zu anfang des Vorworts. Ein entscheidendes
urteil über die richtigkeit oder Unrichtigkeit dieser behauptung können eigentlich
nur ein über reiche pädagogische erfahrung verfügender hochschuUehrer oder viel-
leicht noch besser ein beziehungsweise mehrere mit der ahd. spräche noch ganz
unbekannte studierende, die die sache an sich selbst praktisch erproben, fällen.
Soviel darf aber immerhin gesagt werden, dass sich das erlernen nicht nach monaten
oder Wochen, sondern nach der zahl der stunden, welche man innerhalb derselben
darauf verwendet, und dann wieder nach der Intensität, mit welcher mau diese
ausnützt, richtet.
Zur erreichung seines Zweckes, 'die ahd. Sprachlehre [gemeint ist: spräche]
leicht und rasch zu erlernen', sah sich nun der Verfasser gezwungen 'eine neue lehrart
einzuführen', die nach seiner angäbe zwar nicht von ihm erfunden, 'jedoch zum
erstenmal in einem für anfänger bestimmten buche folgerichtig angewendet' ist.
Demgemäss behandelt nun der Verfasser in dem vorliegenden teil zunächst die
'Wortlehre' d. h. die flexion, der dann laut Schlussanzeige als zweiter die 'Satzlehre'
und erst als dritter und letzter die 'Lautlehre' folgen soll, woran sich schliesslich
noch eine 'Einführung in das lesen der altd. schriftsteiler' anschliessen möchte.
Bei der 'neuen lehrart' scheint es sich — über deren eigentliches wesen bin ich mir
offengesagt nicht recht klar geworden, — um die Verbindung einer systematischen
darstellung mit einer art Berlitz-system zu handeln, nur dass die Übungsstücke nicht
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. L. 20
288 MO SEK
gleich eingefügt sind, sondern der Zusammenhang zwischen theorie und praxis wohl
erst durch den angekündigten schlussteil hergestellt werden soll. Ob sich so etwas
bei einer toten spräche, bei der nach der ganzen art der Überlieferung das Studium
mehr auf die Sprachwissenschaft als auf die literatur eingestellt ist, empfiehlt,
darüber kann man immerhin geteilter meinung sein. Anderseits wiegt bei all den
vom gewöhnlichen schema abweichenden Systemen diß grössere logische konsequenz
die mängel für die präxis bei weitem nicht auf: man braucht sich hier nur des
gebiets der lexikographie zu erinnern, wo das wissenschaftlich zweifellos einzig und
allein stichhaltige System der staramanordnung schon nach sehr kurzer zeit wieder
dem alten, rein mechanischen der alphabetischen aueinanderreihung wegen der
doch notwendigen beigäbe umfangreicher und teurer indices alten Systems auch in
der strengen fachwissenschaft völlig weichen rausste. Hier zeigt sich als folge der
Umstellung der drei grammatischen hauptteile gleich der uachteil, dass zwischen-
hinein überall schon eine ganze reihe wichtiger lautgesetze kurz behandelt oder
doch angedeutet werden oder, was noch misslicher, auch blosse verweise auf die
künftige lautlehre den mangel verdecken müssen. Einen teil von Dell'mours System
bildet auch die teilweise i,imbenennung der bezeichnungen für die zeitliche und
mundartliche gliederung der deutschen spräche, wie sie schon auf dem titel
des buches ersichtlich. Sie ist streng logisch und besitzt ganz unstreitig grosse
Vorzüge ; deshalb wäre auch ihre allgemeine annähme in der germanistischen fach-
wissenschaft wie auch in weitern kreisen nur zu begrüssen. Indess vergisst der
Verfasser, wie unsere ganze neuerungsfrohe zeit, einen hauptfaktor in der rechnung :
die stille, aber unbezwingliche macht der tradition, die nicht die willkürliche aus-
geburt rückständiger gesinnung, sondern ein über uns allen stehendes ewiges gesetz
ist — selbst in so kleinen dingen. Es lassen sich eben nicht von heute auf morgen
eine ganze anzahl seit Grimms zeiten mit einem festen begriff verbundene ausdrücke
durch neue verdrängen und noch weniger alte begriffe eines ausdrucks durch neue
ersetzen: dem steht einerseits, wie gerade der philologe am besten weiss, das un-
abänderliche Sprachentwicklungsgesetz, anderseits aber auch die praxis, die vor
allem den anfänger beim lesen älterer werke völlig verwirren müsste, entgegen.
Damit kommen wir auf einen andern, viel wesentlichern punkt von Dell'mours
System, von dem mau sogar den eindruck hat, als sei dieser grammatische abriss
nicht in letzter linie um seinetwillen geschrieben, nämlich die zum grössten teil
von ihm neu angefertigten Verdeutschungen der grammatischen termina; denn 'die
lat. fachausdrücke', so erklärt er, 'wollte ich nicht gebrauchen, da mir die Sprach-
mischung als unkünstlerisch ein greuel ist'. Hier wird man — mag man über die
Sache selbst denken, wie man will, — sich damit begnügen dürfen, den Verfasser
auf die überaus treffende äusserung Behaghels anlässlich der kriegspolemik über
diese viel umstrittene frage hinzuweisen, dass die einführung einer deutschen ter-
minologie in die fachwissenschaft so lange völlig aussichtslos ist, als man sich
nicht auf eine allgemein anerkannte Verdeutschung geeinigt hat; ja man darf viel-
leicht sogar noch weiter gehen und behaupten, dass die sache für die fachwissen-
schaft erst dann spruchreif ist, wenn diese anerkannte Verdeutschung wie die Ortho-
graphie staatlich in allen volks- und mittelschulen ein- und eine generation lang
durchgeführt ist. Denn so lange — und das gilt in erster linie für ein anfängerbuch
wie das vorliegende — bedeutet die deutsche terminologie für den benützer nur
eine starke und ganz unnötige hemmung, die ihn von der sache selbst abzieht,
und aufgäbe des ohnehin zu knapp bemessenen akademischen Unterrichts kann es
ÜilER DELL'mOUK, altdeutsche SPRACHLEHRE FÜR ANFÄNGER 289
heute weniger als je sein, in so elementare dinge der grammatik einzuführenj die
von jeher ein wesentlicher Unterrichtsbestandteil der untern schulstufen waren. Mit
immer neuen Verdeutschungen eines einzelnen ist jedesfalls nichts gedient, da sich
diese ja . gerade dadurch gar nicht einbürgern können. Dass die des Verfassers
besonders dazu berufen seien, eine rolle in der ganzen frage zu spielen, glaube ich
nicht, da sie die nachteile aller übrigen teilen: sie sind grossenteils sprachlich
hässlich und auch nicht praktisch (so zur herstelluug fester siglen); auffallend ist,
dass er für 'verb', dem er sonderbarerweise diesen ausserhalb der romanistik ganz
ungebräuchlichen französischen anstrich gegeben hat (oder meint der Verfasser durch
das abhacken der endung ein deutsches wort daraus gemacht zu haben?), keine
Übertragung gefunden hat. Im übrigen fallen seine öftern auseinandersetzungen
mit andern (vielfach auch ganz unüblichen) Übersetzungen ganz aus dem knappen
rahmen seiner eigentlichen aufgäbe. In der tendenz des buches — es ist eine
völkerpsychologisch auffällige, aber kaum noch wissenschaftlich erforschte erscheinung,
dass die träger dieser idee sich häufig durch ihren namen als nichtdeutscher ab-
kunft dokumentieren, — begründet ist offenbar auch die wähl des frakturdrucks: das
bietet den nachteil, dass alle paradigmen und belege in einer grössern halbfetten
gotischen type und zwar sogar diejenigen in den mit petitdruck hergestellten teilen
mit diesem doppelt so grossen satz (ein recht hässlicbes bild!) gedruckt werden
mussten. So und durch die auch sonst nicht zu sparsame raumverwendung — auch
eine heute recht bedeutsame sache — erklärt es sich, dass hier auf einem um ein
reichliches viertel grössern räum erheblich weniger als in Braunes 'Abriss' (man
denke bloss an dessen völlige berücksichtigung des got., as. und mhd.) geboten wird.
Am beginn stehen sechs paradigmentafeln mit der flexion des verbums, des
subst. und adj., während sich am ende des buches zwei weitere mit der des pron.
und zahlw. und den Zahlwörtern von 1—2000 finden; ein grund für diese zerreisung
ist (auch drucktechnisch) nicht einzusehen. Unrichtig ist die bemerkung der ersten
fussnote zu tafel I vor allem für eine historische grammatik. Die flexion der eigen-
namen muss auf alle fälle nach der des subst. (also wenigstens am köpf der tafel VI)
untergebracht werden.
Die an die spitze der darsteUung selbst beziehungsweise deren einzelner
abschnitte gestellten ausführungen über 'Wortarten' und 'Vorbegriffe' d. h, die
definitionen der einzelnen Satzteile nebst der zum selben zweck auf tafel I gegebenen
nhd. konjugation (die entsprechenden nominal- und pronominalflexionen fehlen)
gehören meines erachtens nicht in eine — zumal so kurzgefasste — ahd. flexions-
lehre (eher vielleicht noch zum teil in die Satzlehre), daran ändert auch der ledig-
lich deshalb gewählte titel nichts. Zunächst wird nun das verbum behandelt; die
darstellung ist in der anordnung ziemlich konfus, indem zwischen die behandlung
der stamme zerstreut angaben über die endungen gemacht werden, eine zum vor-
hergehenden und nachfolgenden gehörige Übersicht (§ 25) mitten hineingesetzt wird,
am schluss wieder nachtrage zu allen klassen gegeben werden usw. Auch dass
die schwache konjugation vor der starken (im gegensatz zum nomen) behandelt
wird, erscheint unberechtigt. In der anordnung der starken verbalklassen schliesst
sich der Verfasser wieder an die altern Schemen, aber auch nicht ohne änderungen,
an. Die abschweifungen § 11 führen zu weit; § 36 z. 9 n (< m) statt -. Viel
klarer ist die flexion der subst., adj., pron. und Zahlwörter dargestellt ;' wie aber
die fem.-abstr. auf -? mitten zwischen die starke 6- und /-deklination hineingeraten,
bleibt wieder unverständlich. Indess sind alle diese abschnitte fast nur eine ziemlich
20*
290 MOSER
leichte Überarbeitung der entsprechenden von Braunes 'Abriss'; ja es muss sogar
eine — zumal im hinblick auf das hochgemute vorw. — recht peinliche feststellung
gemacht werden, nämlich dass manche stellen (abgesehen von der Verdeutschung
der termina) geradezu buchstäblich aus Braune nachgeschrieben sind (so § 89,
abs. 2 = Braune § 70, anm. 2; ebenda abs. 4 = § 71, anm. 1 ; § 90, abs. 2 = § 76,
anm. 1; § 91, abs. 2 = § 72, anm. 2 [mit der charakteristischen Wendung!]).
Über das alts. werden trotz des erweiterten titeis (altd. = ahd. + altndd. d. i.
ndfr. und ndsächs.) nur am schluss auf etwa '/4 selten einige bemerkungen gemacht ;
dass 'die zu diesem anliang gehörigen tafeln später erscheinen', spricht niclit für
die pädagogischen Vorzüge des buches. Vom altndfr. ist überhaupt nicht mehr
die rede.
Stellt man die bedürfnisfrage, die ja in dem heutigen schweren existenzkampf
der deutscheu Wissenschaft eine frage allerersten ranges ist, so glaube ich, sie nach
dem vorher angedeuteten, unbeschadet der zweifellos besten absiebten des Verfassers,
mit gutem gewissen nicht bejahen zu können. Fehlt es doch trotz der gewaltigen
arbeitsleistungen der Junggrammatiker, die uns immer wieder mit bewunderung
und ehrfurcht erfüllen, wahrlich nicht an themen in der deutschen philologie, die
dringend einer orientierenden — und sei es auch einer zunächst (wie von jeher)
nur provisorischen — Zusammenfassung, nicht allein für den anfänger, bedürften.
Solche lücken hat gar mancher studierende schon vor zwei Jahrzehnten (auch wohl
schon früher) recht schmerzlich empfunden und heute ist das doch kaum anders:
ich brauche bloss abgesehen von einer (im hinblick auf das offensichtliche nicht
mehr erscheinen des Streitbergschen Werkes dringend notwendigen) urgerm. gram-
matik etwa an eine deutsche paläographie, eine die weitverzweigte literatur knapp
zusammenfassende frühnhd. grammatik und als fortsetzung hierzu eine ebensolche
der deutschen spräche von der mitte des 17. bis ins 19. Jahrhundert, eine gedrängte
darstellung der geschichtlichen entwicklung der nhd. Schriftsprache, eine die eben-
falls ganz unübersehbare einzelliteratur sichtende und kurz verarbeitende grammatik
der hochd, und eine entsprechende der ndd. mundarten (da Lessiaks für die Streit-
bergsche Sammlung längst angekündigtes 'Handbuch der deutschen dialekte' so
wenig wie Jellineks 'Einl. i. d. Studium des alt. nhd.' in bälde zu erwarten sein
dürfte) zu erinnern. In diesem Zusammenhang ist es um so erfreulicher, dass
kürzlich Baesecke in seiner 'Deutschen philologie' (1919), jener köstlichen kriegs-
bibliographie mit ihren in ein paar worten zusammengefassten zielsichern kritiken
und meisterlichen Charakteristiken ^, einen den Zeitverhältnissen genial angepassten
gedanken (s. 7) — leider nur zu kurz — angeregt hat : den plan eines grundrisses
der Deutschen philologie.^ Das wäre kein konkurrenzwerk zu Pauls grossem
1) Bei dieser gelegenheit darf ich vielleicht in eigener sache noch bemerken,
dass meine beurteilung von H. Schulz's 'Abriss der deutschen grammatik' (Zeitschr.
bd. 47, s. 296), zu der B. (s. 16) Stellung nimmt, in erster linie durch den schon
im Vorwort zum ausdruck kommenden und auch von B. angedeuteten Widerspruch
im System, das von B. (s. 25) bei Naumann gerügte proportionale missverhältnis,
die Unklarheit der stoffauordnung, die lückenhaftigkeit der darstellung und die in
einem lehrbuch für anfänger äusserst schwerwiegenden direkten Unrichtigkeiten,
erst dann durch seine Stellung zum problem der mhd. und nhd. Schriftsprache be-
dingt war; nun bedaure ich doch einigermassen, die ziemlich ausführlichen be-
gründungen aus der ursprünglichen, ungedruckt gebliebenen anzeige nicht in die
gekürzte fassung übernommen zu haben.
2) Äusserst zeitgemäss scheinen mir auch B.s vorschlage (s. 8) zur öko-
HELM ÜBER XIESEMEK, DAS GROSSE ÄMTERBUCH DES DEUTSCSEN ORDENS 291
werk, das bedauerlicherweise schon vor dem krieg aus rein geschäftlichen gründen
aufgelöst wurde und wohl für immer auf die neuauflegung der wenigen rentierlichen
teile beschränkt bleiben wird, sondern eine höchst willkommene ergänzung zu ihm.
Hoffentlich gelingt es dem vater dieses gedankens recht bald, einen ähnlich idealen
Verleger wie sein grosser Vorgänger zur Verwirklichung seines hochbedeutenden
planes zu finden ! *
MÜNCHEN, V. MOSER.
Walther Ziesemer, Das Grq,sse ämterbuch des Deutschen ordens. Mit
Unterstützung des Vereins für die herstellung und ausschmückung der Marien-
burg. Danzig, Ä. W. Kafemann 1921. XXIV, 992 s. m. 165.-.
Das Grosse ämterbuch oder grosse bestallungsbuch des Deutschen ordens
enthält die Inventarverzeichnisse aller im jähre 1700 bestehenden komtureien und
selbständigen vogteien und pfleger mit ausnähme des gebietes von Marienburg, für
das ein besonderes, bereits 1916 von Z. herausgegebenes ämterbuch geführt wurde.
Angelegt an fasten 1400 greift das GAB. zurück ins li. Jahrhundert, indem es
jeweils aus dem alten ämterbuch die früheren Verzeichnisse übernimmt, und führt
dann die Sammlung fort bis ins erste viertel des 16. Jahrhunderts. Der druck gibt
die hs. des buches vollständig wieder. Einige ergänzungen sind hinzugefügt: die
sachlichen abweichungen der im Deutschordensbriefarchiv erhaltenen einzelvorlagen
der im GAB. enthaltenen eintragungen sind in fussnoten angeführt, ferner wurde
das grosse Zinsbuch sowie einige Visitationsverzeichnisse herangezogen, so dass der
band nun alle Verzeichnisse bis zum ende des ordensstaates umfasst.
Die bedeutung der auch bisher schon oft benutzten, aber noch nicht voU
ausgenutzten quelle liegt auf denselben gebieten wie beim Marienburger ämterbuch.
Sie übertrifft dieses aber durch ihre ungleich grössere reichhaltigkeit. Wir erhalten
hier materialien für die geistige und materielle kultur des gesamten Staates, in
gleicher ausführlichkeit erfahren wir von den beständen an lebensmitteln, an geraten
und Werkzeugen in Wirtschaft, höfen und mühlen, an kleidung und waffen usw.,
wie von der ausstattung der kirchen und bibliotheken.
Sprachlich betrachtet ist das GAB. ein wertvolles dokument der amtssprache,
wie sie seit ca. 1400 in der ordenskanzlei in wesentlich einheitlicher form geschrieben
wird: auf md. grundlage erwachsen, zeigt sie nur wenige niederdeutsche eindring-
linge, wozu indessen dith (Insterburg 1487) nicht unbedingt, wie Z. will, gerechnet
werden muss, da es auch md. nicht selten auftritt. Auch polnische und preussische
ausdrücke sind recht spärlich vorhanden. Während die lautliche gestalt keine
besonderen eigentümlichkeiten aufweist, bietet der Wortschatz zahlreiche besonder-
heiten, viel bisher unbelegtes, auch nicht wenig noch unerklärtes, wie schon die
fragezeichen bei Z. andeuten. Aber auch, wo kein solches steht, ist noch nicht
immer Sicherheit vorhanden, während sich manche frage wohl schon beantworten
nomischen Umgestaltung und Vereinfachung der bibliographischen hilfsmittel. [Sie
scheinen nun unterdessen durch die dazu berufene stelle der Verwirklichung ent-
gegengeführt zu werden. Korr.-note.]
1) Auch die neue, von Wilhelm und Mausser geplante grammatiksammlung
wird eich hoffentlich die ausfüliuug eines teils der oben bezeichneten lücken zum
ziel setzen. (Korr.-note !)
292 ROLTE ÜDER KÜSTER, DIE MEISTERSINGERBÜHNE DES 16. JAHRHUNDERTS
lässt. ertschuh, wozu Z. fragend 'am wagen'? setzt, wird der hemmschuh sein. —
ffesuntte glut ist gewiss material für herstellung von brandpfeilen, wie sie gerade
vorher genannt werden. Man wird den ausdruck als ein wort der damaligen Soldaten- *
spräche betrachten dürfen. — Die 36 rloi hostencziche7i mit Z. als Überzug zur hostie
zu erklären, scheint mir nicht möglich; vielleicht liegt eine verschreibung vor. —
lantisen, Z: im lande Preussen gewonnenes eisen. Zusammenhang und ausdrucks-
weise deuten an den beiden folgenden stellen eher auf ein bestimmtes gerate hin:
ein zymmarbeil, ein lanthei/sen, 1 eysJioke 372,32; 2 schog landyzen 656,32, während
79,12 zu Z.s deutung passen könnte, und 595,17 kaum einen aufschluss gibt. —
Indisch 697,19 vielleicht verschrieben aus lubisch; — oder steckt der name Lüttichs
darin? — es folgt gleich '/- ici^en mechelisch; — sweynschawe ist wahrscheinlich das
beim schlachten des Schweines zum abrasieren der borsten benutzte Schabeinstrument,
nicht ein küchengerät. — tJmribnlutn ist natürlich nicht ein gefäss zur aufbewahrung
der eucharistie, wie Z. angibt, sondern des Weihrauchs. — Das tibiryewelle, das Z.
in der mühle vermutet, wird dem Zusammenhang nach {2 eisen eiden, 12 czome^ czu
3 pflügen all gerethe, 1 ubiryewelle) wohl eine walze zur landbearbeituug sein. —
Worte wie abeschatz, fake, gebug, kimost, methornung und manches andere werden
ebenso wie vieles im Marienburger ämterbuch wohl erst mit der fortlaufenden arbeit
am Wörterbuch des preussischen Wortschatzes ihre erkläning finden. Der dmck ist
sorgfältig und korrekt {beleirfflig, im text beleii'fftig, groivechskorse, im text yro-
iverckskorse sind die wenigen mir aufgefallenen druckfehler), die ausstattung gut,
freilich der preis der zeit entsprechend hoch ; man muss dem unterstützenden verein
dankbar sein, dass er die drucklegung des wichtigen textes überhaupt ermöglicht hat.
FRANKFURT A. M. (jetzt Marburg). karl helm.
Albert Köster (t). Die meistersinge rbühne des 16. Jahrhunderts, ein
versuch des Wiederaufbaus. Halle, Max Niemeyer 1920. V, 111 s. 20 m.
In den ersten kapiteln seiner umfänglichen, von reicher gelehrsamkeit und
kritischem Scharfsinn zeugenden 'Forschungen zur deutschen theatergeschichte' hat
1914 Max Herr mann die bühne, auf der Hans Sachs während der jähre 1545—1560
seine koraödien und tragödien in Nürnberg zur aufführung brachte, rekonstruiert.
Da die kleine Marthakirche, welche damals mehrfach als spiellokal diente, noch
heute in etwas umgebauter gestalt besteht, so passte er die bühne dem grundriss
dieser kirche genau an und setzte sie vor den chorraujn ; das 0,80 m über dem
fussboden befindliche bühnenfeld war nach seiner ermittlung vorn 12, hinten 6 m
breit und 2,2 m tief und nach dem altar zu durch vorhänge abgeschlossen. An
dem beispiele des Hürnen Seufrid (1557) suchte er zu zeigen, wie sich unter diesen
Verhältnissen die Inszenierung des Stückes im einzelnen gestaltete.
Gegen diese darlegungen Herrmanns wendet sich nun Köster in dem vor-
fiegenden, E. Sievers zum 70. geburtstage gewidmeten büchlein. Anfangs freudig
zustimmend, hatte er für seine Sammlung von theatermodeUen eine grosse nach-
bildung der Marthakirche anfertigen lassen, um das Herrmannsche podium mit allem
Zubehör darin einzubauen; dann aber kamen ihm erhebliche zweifei. K. beginnt
seine durchaus achtungsvoll und vornehm gehaltene polemik mit der feststellung,
dass sich aus den Nürnberger ratsverlässen keine aufführung des Haus Sachs in
der Marthakirche nachweisen lässt; vielmehr spielten dort 1550, 1551, 1557 und 1558
l'ETSCH ÜBER PKIEBSCH, BRUDER RAUSCH 293
die raesserschmiede und später (1560, 1561, 1567) Jörg Frölich und seine niit-
gesellen. Hans Sachs dagegen scheint für seine aufführungen vom rate den ge-
räumigen remter des predigerklosters, von dem Herrmann s. 20 einen grundriss
gibt, erhalten zu haben. Ferner erhebt Köster gegen die einzelnen stücke von
Herrmanns bühnenaufbau (höhe, eingänge. treppen, chorgestühl, kanzel u. a.) so
viele kritische einwände, dass dieser vor den äugen des aufmerksamen lesers völlig
zusammenbricht. Die bühne, die Köster selber auf grund einer genauen betrachtung
der texte des Hans Sachs rekonstruiert und auf s. ^6 und 94 im grundriss und in
Vorderansicht veranschaulicht, ist ein 2 meter hohes gerüst, das an drei seiten von
vorhängen umschlossen wird, die auf jeder seite einen durchgang gewähren. Ein
«tück des podiums ragt über den von gardinen umschlossenen teil vor; in dieses
vordere drittel, das die stehenden zuhörer von drei seiten umgeben, schneiden zwei
treppen ein, an deren c .jrem ende zwei Standplätze für die darsteiler sich befinden,
<iie den Zuschauern sichtbar sein, den mitspielern aber verborgen bleiben müssen.
Im hintergrunde des podiums ist eine Versenkung augebracht. Dieser bühnenbau,
dessen scharfsinnige begründung im einzelneu hier nicht verfolgt werden kann, ist
jedesfalls praktisch möglich und würde gewiss vor den äugen des Hans Sachs
billigung finden. Ob er sich aber, wie es s. 93 heisst, in jedem kirchlichen und
weltlichen räume ohne weiteres errichten Hess, ist eine frage, die ich nicht un-
bedingt bejahen möchte. Bei dem von K. unternommeneu einbau in die Martha-
Mrche wenigstens entsteht die Schwierigkeit, dass die auffallend tiefe, ungefähr
quadratische bühne fast das ganze schiff einnimmt und dass für die Zuschauer, die
hinter der bühne eintreten und an ihr vorbei zum altar hinschreiten müssen, nur
ein verhältnismässig kleiner räum bleibt. Und so werden anderwärts oft andere
hindernisse der Verwirklichung der idealen meistersingerbühne in den weg ge-
treten sein.
Zu s. 7 des ungemein anregenden und fördernden buches bemerke ich, dass
der Züricher Heinrich Wurer kein anderer als der bei Baechtold näher charak-
terisierte H. Wirri ist, zu s. 34, dass sich von Puschmanns Josephdrama ein
zweites exemplar ohne Titelblatt in Wernigerode und eine, abschrift auf der Breslauer
Stadtbibliothek befindet; zu s. 40, dass über den 'processus publicus' der
Schauspieler einige nachweise in Wickraras werken 6, XCI stehen.
BERLIN. JOHANNES BOLTE.
Bruder Rausch, Faksimileausgabe des ältesten niederdeutschen
druckes (A). Nebst den Holzschnitten des niederländischen druckes (J) vom
Jahre 1596 eingeleitet und mit einer biographie versehen von prof. dr. Robert
Priebsch (= Zwickauer faksimiledrucke nr. 28). Zwickau i. S. verlag von
F. üllmann 1919. 72 s. druck und 15 s. facsimile.
Die geschichte vom teufel als klosterkoch, der die frommen müuche zum
genussieben verführt, aber schliesslich doch durch ein bäuerlein entlarvt wird und
zu kreuze kriechen muss, hatte eine lange geschichte hinter sich, als endlich Wilhelm
Herz (1882) dem 'Klostermärchen' mit überlegenem humor die letzte, sozusagen
klassische form gab. Den manigfacheu Windungen der mündlichen und literarischen
Überlieferung ist u. a. R. Priebsch seit jähren mit unermüdlicher ausdauer und
•Sorgfalt nachgegangen und legt uns heute das ergebnis seiner forschungen in an-
294 I'ETSCH
sprnchsloser und doch ansprechender form auf den Weihnachtstisch. Das bändcheit
war freilich schon vor dem kriege fertig und erscheint hier in verstümmelter
form, wovon unten die rede sein soll. Unversehrt aber ist die einleitung gedruckt.
Sie gibt zunächst* einen knappen und doch farbigen überblick über die Über-
lieferung (zugrunde liegt eine vermutlich lateinische teufelslegende von der frömraig-
keit der mönche, die den Verführer anlockt, wir denken dabei an die Theophilus-
legende), von der belauschung der teufelsversammlung (später beliebtes märchenmotiv,
Vgl. R. Köhler, Kleine Schriften, bd. I s. 281 ff.) und von der demütigung des bösen
vor dem frommen abt, wie sie dem Optimismus der älteren legende entspricht^.
Alle wesentlichen züge der ältesten unbekannten fassung dieser legende^ (D) er-
scheinen noch in einer dänischen volkssage V (bei Thiele, Danske Folkesagn 1819),
doch tritt hier zuerst der uame Runs auf (in D: 'Bruder Albrecht'), den man fast
allgemein von Tauschen' = 'stürmen' ableitet, und der teufel verwandelt sich zuletzt
in ein rotes pferd. Zugrunde liegt wohl eine niederdeutsche volkssage (X nennt
sie Priebsch), die sich vielleicht, wie spätere fassungen, schon an ein Cisterzienser-
kloster anschloss (in V : kloster Esrom). Anderseits aber gab X wohl die grundlage
für eine niederdeutsche reimdichtung her, auf die wieder die auf uns gekommenen
ndd. Drucke (A, B und C) zurückgehen. Hier waren aber schon einschneidende än-
derungen vorgenommen worden. Die geschichte hatte eine antipfäffische tendeuz
in der art der dunkelmännersatire erhalten und war um eine reihe novellistischer,
magischer und schwankhafter züge vermehrt worden : im mittelpunkt stand nun
das motiv der unkeuschheit der klosterinsassen. Die niederdeutsche dichtung drang
dann auch nach dem süden vor, ohne dort wesentliche bereicherung zu erfahren.
Dagegen ist eine niederländische bearbeitung des 16. Jahrhunderts von grösster
bedeutung für die Weiterbildung des alten Stoffes geworden. Leider wissen wir
von ihrer ältesten form (J) nur den titel, mit dem wir wenig genug anfangen
können: der Index librorum prohibitorum führt unter dem jähre 1569 an: 'De
Historie van * Broer Ruysche, by Claes van den Walle. Sine nomine authoris et
privilegio'. Aber von einem späteren druck J (Antwerpen 1596) hat K. Meyer aus-
führliche künde gegeben °. Priebsch nutzt diese wichtige ausgäbe in der vorliegenden
arbeit zum ersten male aus. Zugrunde liegt der ndrl. fassung ein ndd. druck, aber
keiner der uns bekannten. J regte nun aber seinerseits wieder eine äusserst lebendige
darstellung (E) in englischer spräche an (den 'Frier Rush' "), die auch stilistisch
ihre eigenen wege geht. Sie lässt die reichlichen zugaben von lyrischen, didak-
tischen und dramatischen 'rederijkersversen' der ndl. vorläge grossenteils weg und
setzt anderes in prosa um. Dankbarer benutzt der Engländer weitere zutaten seines.
Vorgängers. Dieser hatte einmal eine reihe von possenhaften motiven aufgenommen,
zum teil im anschluss an die Eulenspiegelüberlieferung und andererseits einige-
1) Z. t. im anschluss an den aufsatz des Verfassers über die grundfabel und
entwicklungsgeschichte der dichtung vom bruder Rausch, in den 'Prager deutschen
Studien', heft 8, s. 423 ff.
2) Vgl. meinen aufsatz über 'Magussage und Faustdichtung' in der 'Zeitschrift
für deutschkunde' 1920, besonders s. 513 ff.
3) In der 'Heiligenregel für ein vollkommenes leben', Deutsche texte des
mittelalt ers XVI.
4) Nicht von, wie irrtümlich gedruckt ist.
5) 'Niederländische Volksbücher' nr. 8, in Dziatzkos Sammlung bibliothek-
wissenschaftlicher arbeiten, heft 8. 1895.
6) Vgl. E. Schulz, Englische schwankbücher. Palästra 117, 1912.
ÜBER PRIEBSCH, BRUDER RAUSCH 295
teufelsschwänke eingefügt, die weniger dem geist der legende entsprachen, als dem
leser derbe, aber erwünschte kost bereiten sollten. Ich möchte freilich den Wider-
spruch dieser teile zu dem geist der legende, wie er sich nun einmal entwickelt
hatte, nicht so sehr betonen, wie P. es tut: wenn auch der teufel hiereinmal gutes
stiftet, indem er einem bauern den ehebrecher aus dem hause hext, so spielt er
doch damit zugleich dem verbuhlten pfaffen einen streich und das passt doch wieder
in den ton des ganzen. Es handelt sich um jene wohlbekannte geschichte, die
Hans Sachs in seinem fastnachtspiel vom 'fahrenden schüler mit dem teufelsbannen',
ergötzlich genug behandelt hat'. E. hat das letztere motiv im grossen ganzen
kühl und kurz behandelt, die Eulenspiegelschwänke aber kräftiger und eigenartiger
herausgearbeitet. Seine lust am fabulieren zeigt sich auch sonst und bringt oft
mehr klarheit und bessere motivierung in die geschichte. So regte das englische
prosabüchlein denn auch spätere dichter an, unter denen vor allem Decker mit
seiner übermütigen teufelsfarce 'If this be not a good Play the Divell is in it'
(1612) hervorragt. Es ist bekannt, dass gerade dieses spiel nachher zur erweiterung
von Marlowes 'Faust' benutzt wurde; und bei aller Verschiedenheit berühren sich
ja auch beide dramen in der Satire gegen die üppige geistlichkeit (vgl. die römischen
Szenen des Taust')- In Deutschland freilich dauerte es lange genug, bis 'bruder
rausch' durch S. Lipiner (nicht Lipener, wie s. 47 gedruckt ist) und W. Hertz seine
neubelebung erfuhr.
Dafür hat nun die deutsche forschung das ihrige getan, um die geschichte
des Stoffes aufzuhellen: vor allem hat H. Anz mit seinem aufsatz 'Broder Eusche'^
(Jahrbuch für niederdeutsche Sprachforschung 24) wertvolle Vorarbeit geleistet. Ihm
verdanken wir die erste kritische ausgäbe des 1. niederdeutschen druckes, der dem
faksimile im vorliegenden hefte zugrunde lag. Priebsch gibt in dem 2. teil seiner
einleitung ('Bibliographie', S. 51—72) eine aufzählung und genaue beschreibung der
ihm bekannten ndd., hd., dänischen, schwedischen, niederländischen und englischen
drucke und ihrer bildlichen beilagen.
Der faksimiledruck selber ist nicht durchweg klar lesbar, was wohl auf die
beschaffenheit der vorläge zurückgeht, verdient aber im übrigen alles lob. Im
höchsten grade zu bedauern ist es aber, dass der Verleger die auf dem titelblatt
verheissene und sehr erwünschte wiedergäbe der holzschnitte des holländischen
buches sich einfach geschenkt zu haben scheint, ohne dies verfahren mit einem
Worte zu entschuldigen. Die weglassung wirkt um so ärgerlicher, als s. 65 der
einleitung jede nähere beschreibung im hinblick auf die reproduktion unterblieb.
Das ist das einzige, was unsere freude an der trefflichen ausgäbe beeinträchtigen kann.
Gelegentliche Unklarheiten im faksimile gehen auf solche der vorläge zurück, von
der nur e i n exemplar (im besitz von professor Anz) vorhanden ist.
1) P. betont (s. 35 ff.) die nahe stoffliche Verwandschaft der darstellung in
J mit einem calabresischen schwanke (Arch. p. 1. studio d. tradiz. popol. VI 368 ff.),
der vielleicht wieder auf ein lateinisches original zurückgehe und mit einer ita-
lienischen Schwanksammlung nach Deutschland gelangt sei. Er hat aber diese
Sammlung nicht auffinden können. Sollte nicht dem italienischen wie dem (deut-
schen und dann) holländischen texte eine gemeinsame lateinische erzählung zu-
grunde liegen?
HAMBURG. ROBERT PETSCH.
29Ö ELLIN(iER
Hans Schauer, Christian Weises biblische dramen. Görlitz. Verlags-
anstalt Görlitzer nachrichten und anzeiger 1921. X, 124 s. und ein unbez. blatt.
Christian lieuters werke, herausgegeben von Georg Witkowski. 1916. Im
Inselverlag zu Leijjzig. 2 bände. 342 und 463 s. In halbpergauient geb. 30 m.
Wenn Christian Eeuter neben Christian Weise gestellt wird, so fällt dabei
am wenigstens ins gewicht, dass der jüngere poet im einzelnen ersichtlich von dem
älteren gelernt hat. Viel eher erscheint eine geraeinsame betrachtung dadurch ge-
rechtfertigt, dass Reuter und Weise geschichtlich zusammengehören. Denn beide
streben von der unnatur des schwulstes zum einfachen, natürlichen zurück. Aus
der tatsache, dass sie unter dem banne der gleichen zeitströmungen stehen, erklären
sich daher die wichtigsten Übereinstimmungen zwischen ihnen. Dass diese sich
trotz der verschiedenartigkeit der persönlichkeiten und ihrer absiebten geltend
machen, steigert ihren wert. Denn bestimmte selten der epoche würden gerade
dadurch am sichersten festgestellt werden, wenn man, eine eingehende vergleichung
durchführend, zeigte, wie sie sich in zwei innerlich weit voneinander getrennten
männern gespiegelt haben. Die Zusammengehörigkeit der beiden poeten mag es recht-
fertigen, dass der besprechung einer in jüngster zeit erschienenen abhandluug über
Weises dramatik eine zeitlich schon weiter zurückliegende gesamtausgabe von Reuters
werken angeschlossen wird. Infolge der Ungunst persönlicher und allgemeiner Ver-
hältnisse ist es dem berichterstatter erst jetzt möglich, auf dieses wichtige quelleu-
werk aufmerksam zu machen; er meint aber, dass ein verspäteter hinweis schliesslich
besser als gar keiner ist.
1. Schauer geht nicht darauf aus, in jedes einzelne der biblischen dramen
Weises einzuführen, sondern er fasst die gesamte stoffmasse ins äuge und sucht
aus ihr eine Vorstellung von Weises absiebten und deren durchführung zu gewinnen.
In der tat schliessen sich die zahlreichen einzelzüge zu einem anschaulichen bilde
zusammen. In Weises weltlichen dramen fehlt es, wie bekannt, nicht an versuchen,
dem gegenstände von innen her beizukommen ; die biblischen stücke begnügen sich
meist damit, den stoff durch äussere zutaten aufzuschwellen. Aber gerade wegen
dieser schematischen art erschliesst sich in ihnen das verfahren Weises leichter, so
dass die beschränkung auf das biblische Schauspiel durch die sache gerechtfertigt
wird. Beschreibend legt die arbeit die ergebnisse einer fleissigen Sammeltätigkeit
dar und dient damit ebenso der literatur- wie der kulturgeschichte des endenden
17. und beginnenden 18. Jahrhunderts.
Die stoffliche begrenzung erscheint auch deshalb zweckmässig, weil durch
sie ein vergleich mit dem älteren deutschen drama nahegelegt wird. Der Verfasser
hat, der anläge seiner arbeit entsprechend, derartige geschichtliche parallelen nur
gestreift. Ein kapitel über das biblische drama des 17. Jahrhunderts, das wohl
dazu dienen sollte, Weises Stellung schärfer zM umreissen, ist leider ausgelassen
worden ; bei der bedeutung dieses gegenständes wäre es zweckmässig, diese Über-
sicht noch nachträglich zugänglich zu machen. Empfehlenswert wäre auch ein
hinweis auf das Schauspiel der Wandertruppen. So schroff Weise über die
fahrenden abgeurteilt hat, er berührt sich mit dem volksdrama oft so nahe, dass
ein Zusammenhang kaum in abrede gestellt werden kann. Wenn er beispielsweise
einen ernsthaften Vorgang durch einen lustigen oder possenhaften parodiert, so
entspricht das durchaus der weise des volksdramas. Auch bei typischen Situationen
und figuren drängen sich ähnliche beobachtungen auf. Die bedeutsamkeit einzelner
ÜBER SCHAUER, CHRISTIAN WEISES BIBLISCHE DRAMEN 297
fortschritte Weises für die folgezeit tritt in den Zusammenstellungen klar heraus;
es sei namentlich auf die errungenschaft einer freieren ausgestaltung des dialogs
hingewiesen (s. 95); wer die spätere entwicklung ins äuge fasst, wird die nach-
"wirkung der von Weise erzielten fortschritte schwerlich verkennen, wenn auch vor-
läufig die kanäle noch nicht festgestellt sind, durch die ihre Verbreitung erfolgt ist.
2. Für eine gesamtausgabe der werke Reuters wird jeder freund unserer
älteren literatur dankbar sein, namentlich wenn sie in so i^rächtiger typographischer
ausstattung dargeboten wird wie in dem unternehmen des Inselverlags. Der reiz-
vollen aussenseite entspricht die gediegenheit der ausführung; der herausgeber hat
so viel liebe und umsieht auf die arbeit verwendet, dass eine vortreffliche leistung
zustande gekommen ist. Dieses urteil voranzuschicken, hält der berichterstatter
für seine pflicht, da er im einzelnen manche von den entscheidungen des heraus-
gebers abweichende ansichten vorbringen muss.
Die frage nach der besten anordnung von Reuters werken bietet einige
Schwierigkeiten. Am nächsten scheint eine chronologische aufeinanderfolge zu
liegen. Würde eine solche versucht, dann müsste sich an Reuters literarischen
anfang, d. h. die koraödie 'Die ehrliche frau' (der noch das nachspiel: 'Harlekins
kindbetterinschmaus' beizufügen wäre), sofort die erste fassung des 'Schelmuffskj''
anschliessen; hierauf hätten 'Der ehrlichen frau krankheit und tod', das 'Letzte
denk- uud ehrenmahl der ehrlichen frau' (siehe unten!) und die oper zu folgen;
die zweite fassung des 'Schelmuffsky' könnte dann den vorläufigen abschluss bilden.
Eine derartige chronologische anordnung hat den vorteil, dass sie einen einblick in
die entwicklung des dichters eröffnet und eine Vorstellung davon gewährt, wie die
einzelnen erfindungen sich ausgewachsen haben; insbesondere gilt das von der
gestalt Schelmuft'skys. Nun gibt es aber für die anläge einer ausgäbe keine allein-
seligmachenden grundsätze; insbesondere erweist es sich keineswegs immer als
nötig, die werke eines künstlers nach ihrer entstehungszeit aneinanderzureihen.
Auch der herausgeber schlägt einen anderen weg ein. Er gruppiert die werke nach
ihrer dichterischen form und stellt zunächst alle dramatischen bearbeitungen
des gleichen Stoffgebietes zusammen, wobei das 'Letzte Denk- und Ehren-Mahl'
wegen seiner unmittelbaren beziehung zu der zweiten komödie mit einbegriffen
wird. (Dieses werkchen konnte auch bei einer chronologischen anordnung nicht
von der zweiten komöclie getrennt werden, obgleich es in der ersten hälfte 1697,
also nach der zweiten fassung des 'Schelmuffsky' entstanden ist.) Erst nachdem
alle dramatischen versuche vorgeführt sind, die der gegnerschaft Reuters zu der
familie Müller ihre entstehung verdanken, läset Witkowski die erste fassung des
'Schelmuffsky' folgen, also das, was sich allein von allen behandlungen des gleichen
Stoffes als dauernd erhalten hat. Bis zu diesem punkte könnte man sich mit den
die reihenfolge bestimmenden grundsätzen durchaus einverstanden erklären ; wesent-
liche einwände sind gegen die Stellung zu erheben, die der zweiten fassung an-
gewiesen ist. Diese bezeichnet Witkowski als 'verbreitert und künstlerisch minder-
wertig' ; er hält sich daher für berechtigt, sie in eine art von anhang zu verweisen
und zuvor den einer ganz anderen stoffgruppe angehörenden und beträchtlich später
entstandenen 'Grafen Ehrenfried' zu bringen. Das urteil, auf das sich diese aus-
scheidung gründet, darf kaum auf allgemeine Zustimmung hoffen. Die zweite fassung
hat die erste nicht bloss aufgeschwemmt, sondern sie hat vielfach erst durch ein-
fügung der bezeichnenden und typischen züge das Charakterbild fertig hingestellt.
Freilich lässt es sich nicht bestreiten, dass nicht alle änderungen der zweiten aus-
298 ELLINdKR
gäbe als glücklich bezeichnet werden können (vgl. Zarncke, Ohr. K. 1884, s. 516 ff.
Allg. deutsche biogr. bd. 28 s. 316). Aber es geht kaum an, deshalb die zweite
'künstlerisch minderwertig' zu nennen ; höchstens kann mau das urteil Zarnckes so-
weit modifizieren, dass licht und schatten in beiden fällen gleichmässig verteilt
sind. Nach der meinung des berichterstatters liegt also ein innerer grund nicht
vor, dem werke eine solche ausnahmestellung anzuweisen. Aber auch wenn man
Witkowskis beurteilung des werkes für zutreffend hielte, müsste man gegen eine
treunung der beiden fassungen bedenken äussern ; sie gehören zusammen und zwar
um so mehr als der in der späteren ausgäbe schwerlich stark veränderte zweite
teil nur in dieser erhalten ist.
Eine ähnliche einwendung hat der berichterstatter gegen die dem nachspiel:
'Des Harlequins kindbetterin-schmauss' angewiesene Stellung zu erheben. Der
herausgeber erklärt es für apokryph und reiht es in den noch zu besprechenden
anhang ein, der spätere gelegenheitsarbeiten Reuters mit verwandten stücken aus
Reuters kreise vereinigt. 'Des Harlequins kindbetterin-schmauss' habe, wie der
lierausgeber sagt, 'schon Zarnckes bedenken erregt'. Soviel dem berichterstatter
bekannt ist, bezogen sich Zarnckes bedenken nur auf die handschrift des Stückes;
an der autorschaft Reuters hat er nie gezweifelt, zumal schon die Verwendung des
namens Hilarius, den auch 'Die ehrliche frau' (nicht aber das alte nachspiel 'Harle-
quins hochzeitsschmauss') trägt, für Reuters autorschaft spricht. Witkowski meint
'aus inneren gründen' das stück Reuter aberkennen zu müssen; nur eine leichte
Überarbeitung des (doch wohl dann ebenfalls älteren) nachspiels habe in Reuters
kreise stattgefunden. Der berichterstatter kennt diese 'inneren gründe' nicht, kann
daher zu ihnen keine Stellung nehmen, sieht aber nach einer nochmaligen prüfung
des materials keine möglichkeit, von seiner bisherigen ansieht abzulassen und kann
daher eine ausscheidung des nachspiels aus den anerkannten werken Reuters nicht
für berechtigt halten.
Dankenswert ist der den bezeugten werken beigegebene anhang; er enthält
ausser dem 'Kindbetterin-schmauss' noch die in der Wiener handschrift befind-
lichen gedichte aus dem kreise des Schelmuffsky ; zur kennzeichnung der lebensluft,
innerhalb deren Reuters poesien erwuchsen, sind sie in der tat von hoher Avichtig-
keit. Die Sammlung der schriften Reuters aus der Berliner zeit bringt auch die
'Unbeständig-beständige Spree-schäferin Miramis', die schon Zarncke in die unmittel-
bare nähe Reuters rückte ; dem herausgeber gebührt für die aufnähme des Stückes
dank; auch wenn man nicht mit so unbedingter Sicherheit wie er für die Verfasser-
schaft Reuters eintreten kann, wird man doch die auffallende ähnlichkeit in spräche
und Situationen nicht leugnen wollen.
Eine besonders wertvolle gäbe hat Witkowski selbst beigesteuert, das bio-
graphische nachwort. Absichtlich knapp gehalten, gewährt es doch gründlichen,
aufschluss über alle fragen, auf die der benützer der werke antwort erwartet. Es
unterrichtet über den lebenslauf, die persönlichen und sachlichen Voraussetzungen
der werke, den kulturgeschichtlichen hintergrund von Reuters schaffen in einer
weise, dass ein lebendiges bild der dichterischen persönlichkeit vermittelt wird.
liEKLIN. GEORG ELLINGKU-
ÜBER MÜLLER, LEBENSANSICHTEN DES KATERS MURR 299
1. Lebensansichten des Katers Murr. Nach E. T. A. Hoffmanns ausgäbe
neu herausgegeben von Hans von Müller. Im Inselverlag zu Leipzig. 1916.
320 s. Preis 1916: 7 m.
2. Zwölf berlinische geschichten aus den jähren 1551—1816. Erzählt
von E. T. A. Hoffmann. Nach der folge der handlung zusammengestellt und
erläutert von Hans von Müller. München. Georg Müller verlag. 1921.
Ivij (LVII) und 416 s.
1. Die beiden vorliegenden ausgaben erheben keine wissenschaftlichen an-
spüche. Gleichwohl sollte der philologe nicht an ihnen vorübergehen. Denn er
kann überall von dem herausgeber lernen, auch da, wo er den von ihm befolgten
Grundsätzen nicht zuzustimmen vermag. Die einkleidung von Hoffmanns 'Kater
Murr' harrt noch genauerer Untersuchung. Dem dichter kam es darauf an, in zwei
nebeneinanderlaufenden handlungen den tiefen gegensatz zwischen der weit des
künstlers und dem treiben des phüisters zu zeigen. Wie nun die eine handlung
die andere teils ironisch parallelisiert, teils deutlich parodiert, das im einzelnen
darzulegen wäre eine reizvolle aufgäbe, von Müller vertritt die in dem vorliegenden
buche allzukühne Vermutungen zeitigende ansieht, dass zwischen den beiden bestand-
teilen, d. h. zwischen Kreislers lebensgeschjchte und Murrs Selbstbekenntnissen, nur
ein ganz loser Zusammenhang obwalte. Er hat daher bereits 1903 in seinem
^Kreislerbuch' die eine der beiden hälften herausgenommen und gesondert veröffen-
licht. Man kann dieses verfahren bei den Kreislerfragmenten billigen, da sie den
mit Hoffmann nicht vertrauten manches rätsei aufgeben, und da der herausgeber
ebenso durch die anordnung wie durch seine erläuterungen das Verständnis wesent-
lich gefördert hat. Eine einzelausgabe der lebensansichten Murrs erscheint dagegen
auf den ersten blick als nicht so notwendig, weil es sich bei diesen teilen um eine
fortlaufende, leicht verständliche erzählung handelt. Trotzdem kann eine Sonder-
ausgabe des humoristisch-satirischen teiles nicht als überflüssig bezeichnet werden.
Wer das werk in der urgestalt liest, wird immer geneigt sein, die Murrabschnitte
im hinblick auf die Kreislerbruchstücke zu betrachten. Gewiss war das auch Hoff-
manns absieht, aber ebenso sicher ist es, dass er die katerhaudlung mit besonderer
liebe ausgeführt und dementsprechend auch für sie eine ungeteilte aufmerksamkeit
des lesers erwartet. In dieser tatsache liegt der innere grund für die notwendigkeit
einer einzelausgabe, und da in Deutschland bloss ein unzureichender Sonderdruck
vorhanden war, wird man von Müller für die Inangriffnahme einer aufgäbe dankbar
sein, die bisher nur im auslande zureichend gelöst worden ist (durch den Engländer
John Hazeland, von dem sonderbarerweise eine gute dänische bearbeitung der Murr-
abschnitte herrührt. 1870).
Bei der ausgäbe eines älteren werkes erscheint es als eine selbstverständliche
forderung, dass der bearbeiter dem benutzer jede mögliche erleichterung gewährt,
die sich ohne Vergewaltigung des in betracht kommenden Schriftstellers erzielen
lässt. Es ist nicht einzusehen, weshalb man dies verfahren nicht auch bei einem
neueren dichter anzuwenden berechtigt sein sollte, unter der selbstverständlichen
Voraussetzung, dass es innerlich begründet ist. Bei Hoffmann liegt nun unzweifel-
haft eine solche möglichkeit vor. Er hat in den letzten Jahren seines lebens unge-
mein schnell gearbeitet. Auf die äussere anordnung, auf satzbildung und Inter-
punktion ist daher wenig wert gelegt werden. Da er selbst meist die korrektur
nicht gelesen hat, so sind augenfällige fehler in der bezeichnung des aufbaus
300 ELLINClEi:
stehengeblieben. Wie dadurch auch der spätere bearbeiter des textes auf eine
falsche fährte gelockt werden kann, hat von Müller s. 309 anra. 1 lehrreich gezeigt,
wobei er dem berichterstatter gegenüber, der in seiner ausgäbe von Hoffmanns
Averken (Berlin o. j. [1912]) sich ebenfalls die durch Hoffmanns absatzbildung nahe-
gelegte auöassung zu eigen gemacht hatte, unzweifelhaft im rechte ist. Man wird
daher zugeben, dass in den späteren werken Hoffmanns der Herausgeber einen freieren
Standpunkt einnehmen darf, namentlich, wenn es sich um eine art von liebhaber-
ausgabe handelt, von Müller hat nun den versuch gemacht, durch eigene absatz-
bildung die gliederuug des ganzen deutlicher hervortreten zu lassen. Ohne dass
man sich mit jedem vorschlage einverstanden zu erklären braucht - dem bericht-
erstatter erscheint z. b. auf s. 68 und 139 die vorgenommene trennung nicht innerlich
gerechtfertigt — muss mau doch anerkennen, dass dieser versuch einer gruppierung
des Stoffes, einer aufdeckung des inneren Zusammenhanges sorgfältige beacbtung
verdient und von jedem, der sich mit dem aufbau des werkes beschäftigt, berück-
sichtigt werden muss. Das Inhaltsverzeichnis stellt zusammenfassend die grundzüge
der handlung dar, während das allerdings nach der weise des herausgebers allzusehr
ins einzelne . gehende register eine vollständige Übersicht über den stoff gewährt.
Zur Unterstützung des benutzers ist noch mancherlei geschehen ; nicht alles kann
hier aufgezählt werden. Die von Hoffmann als fortlaufende prosa gegebenen verse
hat von Müller abgesetzt. Das sollte man zur Vermeidung von missverständuisseii
überall tun. In der erzählung 'der Zusammenhang der dinge' springt der schön-
geistige, gern in hochtrabender spräche sich bewegende Ludwig plötzlich aus der
prosa in vierfüssige Jamben über: 'Lass dir wenigstens erzählen, was mir begegnet,
Und sprich das urteil, wenn du glaubst,
Dass ich verloren bin total'.
Die absieht des dichters ist klar: sowohl durch die verse wie durch die
wunderliche Wortstellung will er die gespreizte Sprechweise des Schöngeistes fest-
halten. Trotz dieses nicht zu verkennenden mimischen Charakters wird in einer
neueren deutschen stiUstik, die sich ebensosehr durch beneidenswerte Sicherheit wie
durch diktatorischen ton auszeichnet, die stelle als beispiel dafür angeführt, dass
Hoffmann oft in undeutscher weise die adverbiale bestimmung nachschleppt ! — Auf-
schlussreich ist die eingehende entstehungsgeschichte des werkes. Dass auch in
der katerhandlung autobiographische bestandteile enthalten sind, hatte von Müller
schon in seiner ausgäbe des Meister Floh' (1908) an einem wichtigen beispiele nach-
gewiesen, das nunmehr wiederholt wird. Manches andere könnte hinzugefügt werden:
so geben die erlebnisse Murrs in der hundegesellschaft ersichtlich den überdruss
wieder, der Hoffmann (während seines letzten Berliner aufenthaltes) in den schön-
geistigen kreisen der hauptstadt befiel; ja man glaubt, in den herablassenden
äusserungen der vornehmen hunde über Murrs schriftstellerische leistungen die
schnarrenden stimmen der Offiziere und elegants zu hören. Das Verhältnis Murrs
zu Minona parodiert (wie es scheint) die Seelenverwirrung, in die Hoffmann durch
die liebe zu Julia Mark gestürzt worden war.
Wenn vom kater Murr die rede ist, so wird man immer wieder gern auf
das allerliebste büchlein verweisen, in welchem Franz Leppmann den litera-
rischen katzentypus von Tieck bis an die schwelle der gegenwart verfolgt hat.
(Kater Murr und seine sippe von der romantik bis zu V. vScheffel
u n d G. K e 1 1 e r. München 1908 C. H. B e c k s c h e v e r 1 a g s b u c h h a n d 1 u n g.)
ZWÖLF HEKMNISCHE GESCHICHTEN .'^01
Eine ungewöhnliche Vertrautheit mit seinem stoff befähigt den verfasBer, jede den
gegenständ streifende literarische anspielung zu buchen; aber höher als diese gewiss
nicht zu unterschätzende belesenheit ist die geschmackvolle art der behandlung zu
bewerten. Als muster einer feinsinnigen, ebenso belehrenden wie unterhaltenden
monographie verdient die arbeit weite Verbreitung. — Zu s. 2n f. kann v. Müller
s. 298 verglichen werden.
2. In der zweiten publikation stellt Hans von Müller eine reihe der in Berlin
spielenden erzählungen Hoffraanns zusammen und ordnet sie chronologisch, jedoch
nicht nach ihrer entstehung, sondern nach ihrem Inhalt. Da mit ausnähme des
ersten Stückes ein jedes autobiographische bestandteile enthält, so bietet das werk
zugleich einen fortlaufenden poetischen kommentar zur lebensgeschichte des dichters,
soweit diese sich in Berlin abspielt, von Müller verfolgt keineswegs die absieht,
mit den bisherigen ausgaben in Wettbewerb zu treten, sondern er will eine ergän-
zung zu ihnen liefern. Deshalb sondert er aus seinen texten alles aus, was die
grenzen des von ihm gewählten Stoffgebietes überschreitet, niemals aber, ohne sein
verfahren genau zu begründen. Auf diese weise wird in der tat eine gewisse
einheit des ganzen erreicht, aber auch für das einzelne stellen sich die örtlichen
und zeitlichen bedingungen deutlicher heraus als da, wo es in der grossen masse
verschwindet.
Der herausgeber hat nun den versuch gemacht, mit ähnlichen mittein wie
in seiner ausgäbe des 'kater Murr' dem leser aufbau und gliederung der erzählung
zu verdeutlichen. Er zerlegt die geschichteu in einzelne teile, denen er zusammen-
fassende titel gibt, und er setzt die Zerlegung dann innerhalb der kapitel durch
die bildung neuer abschnitte fort, während er zugleich durch Sperrung entscheidende
Vorgänge oder gedanken kenntlich macht. Nicht überall vermag man dem heraus-
geber zu folgen ; aber der wert der arbeit wird dadurch keineswegs beeinträchtigt.
Nur möchte man das buch nicht sowohl als eine ausgäbe, denn als beitrage zur
erkenntnis der inneren struktur der erzählungen Hoffmanns bezeichnen. So auf-
gefasst, wird das werk seinen dauernden wert behalten und dem ein guter führer
sein, der den für Hoffmanns erzählungskunst massgebenden gesetzen nachspürt.
Nicht in gleichem masse kann man sich mit der herstellung des textes ein-
verstanden erklären. Der herausgeber legt meist die ersten fassungen zugrunde,
weil er sie für die individuellen, unverküustelten hält, und weil er meint, dass in
ihnen das stoffliche (autobiographische und lokalgeschichtliche) dement am ur-
wüchsigsten hervortrete. Dagegen wäre bei einer ausgäbe, die keinen anspruch
erhebt, eine kritische zu sein, nichts zu sagen. Bedenken erregt aber der grund-
sätzliche Standpunkt, der zur rechtfertigung dieses Verfahrens eingenommen wird.
'Eine dichtung', sagt v. Müller, 'wird durch ihre erste Veröffentlichung geraeingut.
und kein autor kann verlangen, dass man seine nachträglichen änderungen unbesehen
hinnimmt'. Diese ansieht kann nicht als richtig anerkannt werden. Die grundlage
jedes textes muss die fassung sein, die der autor für die eudgiltige und voll-
kommenste gehalten hat; von diesem grundsatz kann nur ausnahmsAveise und unter
besonders zwingenden Verhältnissen abgewichen werden. Zu welcher Verwirrung
im kunstleben der entgegengesetzte Standpunkt führt, das haben wir bei den neu-
inszenierungen älterer poetischer und musikalischer werke schaudernd selbst erlebt.
— "Während sonst der herausgeber zweifelhafte stellen der entscheidenden fassung
durch heranziehung der urgestalt zu verbessern sucht, schlägt von Müller den um-
gekehrten weg ein : er legt zwar die erste fassung zugrunde, entnimmt aber un-
302 ELLINOER '
bedenklich aus der späteren form stilistische änderungen, die ihm als wirkliche Ver-
besserungen erscheinen, und sucht auf diese weise zu einer art idealgestalt des
textes vorzudringen. Bei allen grundsätzlichen einwendungen gegen ein solches
verfahren kann man doch nicht umhin, zuzugestehen, dass auf die abwägung der
verschiedenen lesarten ein erstaunliches mass von Scharfsinn, Sorgfalt und Verständnis
iür die eigenart des dichters verwendet worden ist. Daher ist auch diese arbeit
nichts weniger als verloren, und jeder künftige herausgeber wird von ihr zu lernen
und sich mit ihr auseinanderzusetzen haben.
In den anmerkungen ist eine fülle wertvollen Stoffes aufgespeichert worden.
Wie unsere kenntnis des dichters durch diese auf genauester durchdringung des
gegenständes beruhenden forschungen überall förderung findet, kann nicht im ein-
zelnen nachgewiesen werden. Ebensowenig ist hier der ort, auf die gegensätze in
der auffassung näher einzugehen, die zwischen dem herausgeber und dem bericht-
■erstatter obwalten.
BERLIN. GEORG ELLINGER.
Übersicht über wichtigere erscheinungen des letzten Jahrzehnts
auf dem gebiete der de utschenlyrik des 17. und beginnenden
18. j ahrhunderts.
1. Hermann Petrich, Paul Gerhardt. Ein beitrag zur geschichte des deutschen
geistes. Auf grund neuer forschungen und funde. Gütersloh Bertelsmann 1914.
XIV und 360 s.
2. Hans Heinrich ßorclierdt, Andreas Tscherning. Ein beitrag zur literatur- und
kulturgeschichte des 17. Jahrhunderts. München und Leipzig 1912. Haus Sachs-
verlag. Gotthilf Haist. 10 unbezifferte und 375 s.
3. Karl Th. Strasser, Der junge Czepko. Göttinger inauguraldissertation. Göt-
tingen 1912. Druck von Kastner und Callway in München. XI und 99 s.
4. William fi-eilierr von Schröder, Studien zu den deutschen mystikern des
siebzehnten Jahrhunderts. I. Gottfi'ied Arnold (beitrage zur neuereu literatur-
geschichte, neue folge, herausgegeben von M. freiherrn von Waldberg, IX.).
Heidelberg, Karl Winters Universitätsbuchhandlung. 1917.
5. Radolf Zivetz, Die dichterische persönlichkeit Gerhard Tersteegens. Jenaer
inauguraldissertation. Halle a. S. 1915. Buchdruckerei Schmidt und Edel.
6. Philipp Witkop, Die deutscheu lyriker von Luther bis Nietzsche. 1. bd. Zweite
veränderte aufläge. Von Luther bis Hölderlin. Leipzig, Teubner 1921 (erste
aufläge 1910).
Die in der nachfolgenden besprechung vereinigten arbeiten zeigen im stoö-
lichen wie in der fragestellung viel gemeinsames. Namentlich die in der zweiten
hälfte behandelten Schriften schliessen sich eng zusammen und sind auch durch
eine immer wieder auftauchende dichterpersönlichkeit miteinander verbunden. Der
berichterstatter hat zeitlich sehr weit zurückgegriffen. Zum teil liegt die schuld
an ihm ; zur erkläruug des Sachverhaltes möge aiif die bemerkungen in dieser Zeit-
schrift, bd. 48, s. 140 f. verwiesen werden. Indessen lässt sich die berücksichtigung
längst erschienener Schriften auch sachlich rechtfertigen. Es ist nicht ohne nutzen,
wenn man einmal in einer gesamtübersicht das, was innerhalb eines grösseren Zeit-
raumes auf einem bestimmten gebiete geleistet worden ist, an sich vorüberziehen
lässt. Zumal wenn die in betracht kommenden .arbeiten gelegeuheit zur besprechung
SCHRIFTEN ZUR DEUTSCHEN LYRIK 303
einiger wichtiger fragen geben, deren völlige lösung erst ein wirkliches eindringen
in entwicklungsgang und zusammenhänge ermöglichen wird.
1. Unter den zu besprechenden Schriften nimmt dem gegenstände wie der
ausführung nach Petrichs buch den ersten platz ein. Die Verdienste des Verfassers
um die Gerhardtforschung sind bekannt; seine wertvolle schrift: 'Paul Gerhardt,
seine lieder und seine zeit' (1907) hat er zu einem gesamtbilde des äussern
und Innern lebens Gerhardts ausgestaltet. Obgleich manches aus der älteren dar-
stellung herübergenommen worden ist, erscheint das ganze doch als eine neue,
selbständige leistung. Entscheidend für diese bewertung sind nicht die mannig-
fachen einzelfunde, soviel licht sie auch über zahlreiche der aufklärung bedürftige
punkte in Gerhardts leben und schaffen verbreiten. Weit mehr fällt ins gewicht,
dass di« darstellung von echt geschichtlichem geiste zeugnis ablegt; das haupt-
hestreben des biographen ist darauf gerichtet, den dichter aus seiner zeit heraus
zu erfassen. Werden dabei, wie es sich von selbst versteht, in erster linie die
umstände berücksichtigt, die aufbauend und fördernd auf den beiden des buches
eingewirkt haben, so können doch die widerstreitenden mächte um so weniger
entbehrt werden, als auch durch sie das leben Gerhardts entscheidend beeinflusst
worden ist. Im letzten gründe handelt es sich dabei allerdings nur um ein einziges
ereignis, nämlich um den konflikt mit dem grossen kurfürsten. Das im mittelpunkte
von Gerhardts Schicksalen stehende erlebnis findet eine sachliche Würdigung. Es
liegt dem Verfasser fern, vom lutherisch-orthodoxen Standpunkt aus das urteil zu
fällen, wie es noch vor gar nicht langer zeit geschehen ist. Er hat vielmehr für
die höheren gesichtspunkte, die auch in dieser angelegenheit die handlungswei»se
des grossen kurfürsten bestimmten, volles Verständnis; freilich hebt er mit recht
hervor, dass die Staatsgewalt hier auf dinge übergriif, die jenseits ihrer berechtiguugs-
sphäre lagen — ein Vorwurf, der allerdings fast allen fürstlichen Zeitgenossen des
grossen kurfürsten gemacht werden kann. Letzten endes kommt das urteil des
Verfassers darauf hinaus, dass beide parteien recht hatten, und dass jeder der
streitenden aus seiner denkart heraus nicht anders handeln konnte. — Durch das
märtyrertum, in das Gerhardt hineingedrängt wurde, rückt doch wenigstens für
eine Zeitspanne seine persönlichkeit in eine etwas hellere beleuchtung, zumal ausser
seinen aufzeichnungen von 1667 namentlich der seit 1909 bekannt gewordene un-
schätzbare brief an die gräfin zur Lippe einen tiefen einblick in die empfindungen
ermöglicht, die ihn während jener zeit bewegten und die durchaus der grundstim-
mung seiner dichtung entsprechen. Im übrigen kann selbstverständlich die gestalt
Gerhardts nicht plastisch heraustreten. Die quellen zur erkenntnis des inneren
lebens der deutschen poeteu des 17. Jahrhunderts fliessen ja überhaupt äusserst
spärlich ; bei Gerhardt kommt als erschwerender umstand noch hinzu, dass er sich
offenbar absichtlich zurückhielt und in seiner dichtung jede beziehung auf die
eigene person vermied. So kann von irgendwelchen lebendigen färben in seinem
lebensbild nicht die rede sein. Aber wenn man den bericht über den tod seiner
frau oder der ihm offenbar wesensverwandten Schwester liest, dann atmet man doch
etwas von der lebensluft des Gerhardtscheu hauses, und das zusammenhalten dieser
Urkunden mit einzelnen liedern ermöglicht es bis zu einem gewissen grade, eine
genaue Vorstellung auch von der art zu gewinnen, in der sich die äusseren daseins-
vorgänge abgespielt haben.
Die Würdigung der poetischen tätigkeit wird auf das beste durch die frage
-nach den zwecken vorbereitet, die Gerhardt mit seinen liedern verfolgte. Sagen
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. L. 2l
304 EI.LINGEK
die grundzüge der von dem Verfasser erteilten antuort auch dem freunde des
deutschen kirchenliedes nichts neues, so fasst seine auseinandersetzung doch die
in betracht kommenden gesichtspunkte so übersichtlich zusammen, daas in zukunft
auf sie als die klarste darstellung dieser probleme verwiesen werden kann. Ger-
hardts lieder waren nicht für den gottesdienstlichen gebrauch der gemeinde, sondern
für den chorgesang und die häusliche andacht bestimmt. Wer die eigenart Ger-
hardts und seine Stellung innerhalb der deutschen lyrik feststellen will, muss diese
absieht des dichters kennen. Denn sie ist für die richtung seiner poesie ausschlag-
gebend geworden. Die rücksicht auf rein kirchliche zwecke würde ihm zu enge
fesseln angelegt haben. Mit recht weist der Verfasser darauf hin, dass erst in
dieser freieren form des liedes sich der eigentümliche Charakter seiner lyrik voll
entwickeln konnte.
Die ruhige Sachlichkeit, die den biographischen teil auszeichnet, kommt auclv
der eingehenden Würdigung von Gerhardts poesie zu gute. Um es gleich im voraus
zu sagen: diese zweite hälfte der arbeit ist eine musterhafte leistung. Alle für
Gerhardts schaffen wichtigen fragen werden sorgfältig berücksichtigt; der ästhetische
und der geschichtliche masstab ergänzen einander. Obgleich der freund der deutschen
literaturgeschichte des 17. Jahrhunderts durch diese gediegenen ausführungen gleich-
massig gefesselt wird, möge doch als ganz besonders fördernd die darlegung von
Gerhardts theologie und frömmigkeit hervorgehoben werden : dem berichterstatter
ist kein beitrag zur geschichte der deutschen poesie im 17. Jahrhundert bekannt,
der in gleich anschaulicher weise die inhaltlichen Voraussetzungen der dichtung zu
vergegenwärtigen wüsste.
Nur wenige punkte können herausgegriffen werden ; die auswahl berück-
sichtigt namentlich solche anschauungen, die noch nicht oder doch wenigstens nicht
in dieser fassung dargeboten worden sind. Mit recht wird die ausschliesslich lyrische
begabung Gerhardts betont und an beispielen dargetan, wie wenig ihm ausätze
zu epischer behandlung glücken. Dagegen braucht man die durch Wechsel und
gegensätze hervorgerufene innere bewegung seiner lyrik nicht auf dramatische
anläge zurückzuführen, da Gerhardt eich in dieser beziehung kaum von anderen
grossen lyrikern unterscheidet. Petrich reiht die geistlichen lieder im wesentlichen
dem gebiet der gedankenlyrik ein ; das ist gewiss richtig, nicht minder der hinweis,
dass es Gerhardt meist gelungen ist, die reflexion von jeder lehrhaften trockenheit
zu befreien und das bloss gedachte in poetisch angeschautes umzusetzen. Die vor-
treffliche betrachtung von theologie und frömmigkeit liefert den für die gesamt-
charakteristik wichtigen nachweis, dass die sünde bei Gerhardt aus der zentralen
Stellung herausgedrängt wird, »die sie z. b. bei Johann Heermann einnimmt; sie
tritt durchaus hinter der gottesgnade und deren vdrkungen zurück; auch diese
tatsache bekundet die 'innigliche herzenslust und freudigkeit des geistes', die nach
dem Zeugnis seines testamentes über die 'äusserliche trübsal' obgesiegt hat. Die
bedeutung, die der Gerhardtschen dichtung für das erwachen des naturgefühls zu-
kommt, wird gut dargelegt; stärker dürfte vielleicht noch betont werden, wie auch
die deutlich erkennbare begrenzung von Gerhardts naturschilderung durch die ihn
umgebende weit bedingt ist; was die spärlichen reize der landschaft an anregungea
boten, hat er reichlich ausgeschöpft, darüber hinaus ist er nicht gegangen; nur
was ihn unmittelbar berührte, wurde ihm zum gedieht. So zeugt auch diese wichtige
Seite seines Schaffens dafür, dass ihm im wesentlichen nur das äussere und innere
erlebnis die zunge gelöst hat.
SCHRIFTEN ZUR DEI TSCHEN LYRIK 305
Das mehrfach hervorgehobene kapitel über des dichters theologie und
frömmigkeit bringt die wertvolle heobachtung, dass der begriff der kirchlichen
gemeiuschaft bei Gerhardt vollständig zurücktritt. Die gründe für diese tatsache
sucht der Verfasser einerseits darin, dass die lieder hauptsächlich für die private
erbauuug bestimmt waren ; anderseits kann er sich aber der erkenntnis nicht ver-
schliessen, 'dass die religiöse und die kirchliche gemeiuschaft in seinem glaubens-
ieben, das doch in seiner dichtung sich ausspricht, überhaupt keine mitbestimmende
Stellung hat'. In dieser zwar nicht ausgesprochenen, aber tatsächlichen beschränkung
auf die bedürfnisse der einzelpersünlichkeit erscheint die grundstimmung des pietis-
nius schon so weit vorbereitet, dass dieser nur noch die letzten folgerungen zu
ziehen hatte. Auch das geringe mass von aktirität in Gerhardts eigenart und
frömmigkeit weist vordeutend auf züge, die dem pietismus eigen sind, wenn sie
ihn auch nicht ausschliesslich beherrschen. In der hauptsache erklärt sich diese
annäherung an die geistesluft des pietismus aus der anläge von Gerhardts
wesen. Aber der seltsame Vorgang, dass derselbe mann, den die Verhältnisse zum
märtyrer der lutherischen Orthodoxie machten, dem pietismus die wege bahnte,
erscheint gleichwohl nicht unvermittelt. Denn die mystischen Strömungen, die im
pietismus wieder lebendig wurden, sind auch auf Gerhardt nicht ohne einfluss ge-
blieben. Einige seiner lieder schliessen sich bekanntlich auf das engste an Johann
Arndts 'Paradiesgärtlein' (1612) an, und wenn sich auch Gerhardt, was bei Petrich
durch hübsche einzelnachweise belegt wird, bemüht hat, die weitgehenden mystischen
formein Arndts umzubiegen und in die herkömmliche spräche der lutherischen
frömmigkeit zu übertragen, so bleibt doch die ein Wirkung der in Arndt verkörperten
mystik bestehen und macht den dichter zu einem der mittelglieder zwischen jenen
älteren mystischen Strömungen und dem pietismus, so dass er also nach dieser
richtung hin in die nähe des ihm so unähnlichen Scheffler rückt. Dem bericht-
erstatter sind schon vor Jahrzehnten diese zusammenhänge aufgegangen; obgleich
sie bei Petrich etwas anders formuliert werden, freut er sich, in der hauptsache
mit dem Verfasser übereinzustimmen.
Sehr einsichtige auseinandersetzungen sind der frage gewidmet, ob sich der
dichterische Werdegang Gerhardts mit einiger Wahrscheinlichkeit bestimmen lässt.
Das material bietet zu der beantwortung dieser frage keine handhabe. Dass eine
eigeutliche entwicklung bei den meisten dichtem des 17. Jahrhunderts nicht fest-
zustellen ist, wird dem Verfasser zugegeben werden müssen. Unter den von ihm
genannten poeten möchte man nur Fleming ausnehmen, bei dem doch ein fortschritt
vom augeeigneten zum eigenen zu beobachten ist. In ähnlicher weise scheint sich
bei Gerhardt die entwicklung vollzogen zu haben; vielleicht Jiesse sich die auf
Seite 275 gegebene, durchaus einleuchtende Stufenfolge noch durch reichlichere
Zeugnisse belegen, wenn die datierung noch weiter auf demselben wege gefördert
würde, den der Verfasser mit so vielem glück und Verständnis bei der Zeitbestim-
mung des liedes: 'Was soll ich doch, o Ephraim', beschritten hat (anfang IQil,
ebenso wie wahrscheinlich die beiden lieder: 'Ist Ephraim nicht meine krön?' und
'Kommt ihr traurigen gemüter'j.
Das fehlen einer eigentlichen entwicklung bei den poeten des 17. Jahrhunderts
wird nicht übel aus der Starrheit ihres papierenen Ideals erklärt ; die massgebende
gelehrte Überlieferung gestattete nur eine geringe bewegungsfreiheit. In dieser
beziehung erweisen sich die deutschen poeten des 17. als die wahren erben der
neulateinischen dichter des 15. und 16. Jahrhunderts, denn bei diesen hat der
21*
306 ELLIN(iEK
mangel an einer entwicklung des poetischen talents den gleichen grund. Das gilt
auch von den hervorragendsten Vertretern der neulateinischen poesie, z. b. von Pon-
tanus, nicht minder von den deutschen neulateinern ; ausnahmen, wie Melissus,
bestätigen die regel.
Die beeinflussung, die Gerhardt durch seine Vorgänger auf dem gebiet des
geistlichen liedes sowie durch Johann Gerhardts Quinquaglnta meditationes, durch
die altchristliche hymnenpoesie und die neulateinische dichtung erfahren hat, wird
durch eine reihe von parallelstellen veranschaulicht. Der Verfasser ist sich der
Schwierigkeit dieses Unternehmens wohl bewusst und äussert sich über die zu er-
wartenden ergebnisse mit grosser vorsieht. Gleichwohl bedeuten diese nachweise
eine wesentliche förderung; sie sind auch da aufschlussreich, wo sie nicht über-
zeugen. Es war ein glücklicher gedanke, für die hymnenpoesie und die neulatei-
nische dichtung die Sammlungen heranzuziehen, die Gerhardt auf der schule benützt
hat, d. h. die ausgäbe der hymnen von Georg Fabricius und das Passionale Adam
Sibers. Wie stark die in dem Passionale enthaltenen stücke Stigels bei Johann
Heermann widerklingen, ist in den Neuen Jahrbüchern für das klassische altertum
usw. bd. 39 s. 378 (1917) gezeigt worden ; vielleicht ist es die in betracht kommende
stelle aus Johann Heermanns 'Herzliebster Jesu' gewesen, die Gerhardt bei den
s. 222 zitierten worten : 'Nun was du, Herr, erduldet usw.' vorgeschwebt hat. Aber
eine einvdrkung der neulateinischen dichtung auf Gerhardt wird gewiss nicht zu
bestreiten sein. Inwiefern unser dichter mittelbar oder unmittelbar von den her-
kömmlichen einkleidungen der neulateinischen poesie des 16. Jahrhunderts abhängig
ist, möge zur ergänzung der darlegungen des Verfassers noch an einem beispiel
gezeigt werden. In den beileidsgedichten der neulateiner bildet es eine stehende
erfindung, dass der (oder die) tote selbst erscheint und das wort zu tröstender
anspräche an den (oder die) hinter bliebenen ergreift (vgl. Neue Jahrbücher für das
klassische altertum usw. II. abteilung bd. 24 s. 154). Nicht, selten ist es der ver-
storbene kleine söhn, der den eitern herzlich zuspricht, sie mahnt, vom trauern
abzulassen, da er jetzt die leiden der weit mit den dauernden wonnen des himm-
lischen reichs vertauscht habe. Ein gedieht dieses Inhalts findet sich bei dem
Nürnberger Heinrich Eckard (Varia quaedam poemata. Nürnberg 1553); der zeit
nach näher an Gerhardt heran rückt Hardwig von Dassel, Poematum libri IV.
Bremae 1603, s. 110, vgl. auch die verwandte einkleidung s. 99. Hält man Ger-
hardts schönen trostgesang in der person eines verstorbenen kindes neben diese
stücke, so ergibt sich in anläge und ausführung eine so auffallende Verwandtschaft,
dass man an eine abhängigkeit von der neulateinischen dichtung glauben muss,
was selbstverständlich volle ursprünglichkeit im einzelnen nicht ausschliesst. Wie
sehr die formen der neulateinischen literatur für die deutsche poesie des 17. Jahr-
hunderts vorbildlich gewesen sind, hofft der berichterstatter noch darlegen zu können.
Nur wenige einzelbemerkungen mögen sich noch anschliessen. Den freunden
der Gerhardtschen muse war das einem lateinischen gedichte des Nathan Chyträus
nachgebildete lied: 'Herr, ich will ja gerne bleiben' von jeher ein ärgernis. Petrich
möchte es in Gerhardts Jugend verweisen, und gewiss, in die so einleuchtenden
aufstellungen des Verfassers über die entwicklung der dichtkunst Gerhardts würde
sich diese annähme gut einfügen. Gleichwohl wird man hinter diesen datierungs-
versuch ein fragezeichen setzen müssen. Der Verfasser hat selbst mit recht darauf
hingewiesen und an guten beispielen dargetan, wie wenig das 17. Jahrhundert das
ästhetisch unschöne der behandelten Vorstellungen empfand. Wenn Gerhardt sozu-
SCHRIFTEN ZUR DEUTSCHEN LYRIK 307
sagen in einem unbewachten augenblick die seine zeit beherrschende Stimmung auch
über sich selbst herr werden Hess, so wird schwerlich zu bestreiten sein, dass dies
auch bei dem reifen dichter geschehen konnte. — Noch ein weiterer hinweis möge
folgen. Gerhardts grossvater, Kaspar Starcke, hat sich auch als dichter versucht.
1593 erschien ein dünnes bändchen seiner lateinischen gedichte unter dem titel:
Casparis Starckii Lipsiensis carmina sacra ab autore nonnihil aucta et denuo con-
fessionis loco edita. Lipsiae 1593. 4. Nur diese zweite ausgäbe scheint sich er-
halten zu haben; von bekannten poeten haben Nikolaus Selneccer, Johannes Albinus
und Adam Siber, in dessen schule Paul Gerhardt später seine Vorbildung für die
Universität erhalten sollte, empfehlende versa mit auf den weg gegeben; die nicht
erhaltene erste ausgäbe muss also vor 1584 (Sibers todesjahr) erschienen sein.
Poetischen wert kann die Sammlung nicht beanspruchen, und die geringe begabung
für die neulateinische poesie scheint demnach bei Paul Gerhardt erblich gewesen zu sein.
Starckft hat seine gedichte 'als bekenntnis', 'confessionis loco' herausgegeben. Und
so wenig schwer die kleinen betrachtungen über religiöse gegenstände auch wiegen,
anziehend ist doch die persönlichkeit, die hier von ihrem Innenleben zeugnis ablegen
will. Im sinne Luthers warnt er vor der frage nach dem warum, vor dem vertrauen
auf menschenkraft und -witz ; der heiligen schritt zu glauben, ist die höchste
Weisheit. Seine leitsterne bilden gottes wort und Luthers lehr'. Doch schliesst die
hingäbe an Luther die anerkennung Melanchthons nicht aus, obgleich es wunderlich
anmutet, dass auf ein gedieht zum lobe der Loci Melanchthons sogleich eine über-
schwengliche Verherrlichung der konkordienformel folgt, also auch nach dieser
richtung hin die anschauungsweise des enkels vorbereitet wird. Manches unter den
religiösen gedichten allgemeinen Inhalts zieht durch seinen individuellen ton an:
wie der feldherr die hervorragenden krieger mit ehrenzeichen bedeckt, so zeichnet
mich der höchste, allmächtige gott mit mannigfachem kreuz, damit ich ein kämpfer
des himmels werde und dermaleinst für mein streiten den siegespreis empfange.
Ersichtlich ist auch vieles andere durch das unmittelbare erlebnis angeregt worden.
Was Starcke bei bestimmten gelegenheiten, etwa vor der hochzeit, empfand, hat er
in verse gebracht, und vielleicht hat er selbst oft das für den zur kanzel hinauf-
steigenden Prediger bestimmte gebet gesprochen :
Os mihi, vive deus, mihi sis sapientia! Care
Christe, veni sanctamque tui da flaminis auram
Terrestri famulo, docturo dogmata caeli!
Gewiss heben sich diese versuche nicht aus der durchschnittsmasse der neu-
lateinischen dichtung heraus, aber dass der grossvater Paul Gerhardts zu worte
kommt, verleiht ihnen doch eine besondere bedeutung. Und darum wird man wohl
fragen dürfen, nach welcher richtung Paul Gerhardt hier bereits vorgebildet ist.
Entscheidend sind dabei nicht äusserliche anklänge, sondern die Übereinstimmung
in der grundrichtung. Auch Starcke strebt danach, sein Innenleben aufzuschliessen;
man erkennt, wie die daseinsvorgänge dazii die äussere veranlassung bieten, ohne
dass das persönliche sich irgendwie vordrängte. Auch bei ihm lässt sich also das
erwachen der persönlichkeit und doch zugleich die Zurückhaltung im persönlichen
beobachten. Beides weist schon auf Gerhardts art, ebenso wie die subjektive färbung
der frömmigkeit. Man wird also vielleicht berechtigt sein, von einer geistigen
familienüberlieferung su sprechen.
2, Als die dichter, denen Gerhardt am meisten verdankt, nennt Petrich mit
recht Johannes Heermann, Rinckhart und Matthäus Apelles von Löwenstern, Joh.
308 ELLINGEU
Heermann, der auch in nahen heziehungen zu dem helden des gleich zu besprechenden
buches stand, hat durch Hitzeroth (Marburg 1907) eine eingehende und aufschluss-
reiche darstellung erhalten ; Löwenstern wartet noch seines biographen. Wichtige
züge zu seinem Charakterbild bietet Borcherts lebensbeschreibung Tschernings; als
väterlichen freund des jüngeren dichters lernt man Löwenstern hier von einer un-
gemein erfreulichen seite aus kennen. Der Verfasser hat den biographischen stoff
60 vollständig wie möglich zusammengebracht und baut auf ihm eine genaue dar-
stellung von Tschernings leben nnd schaffen auf. Schon dem rein biographischen
folgt man mit vergnügen; wohl haben manche dichter des 17. Jahrhunderts wenigstens
für einzelne Zeitabschnitte zusammenhängende daseinsvorgänge festgehalten ; im
allgemeinen erweist sich aber die Überlieferung als recht dürftig, so dass man schon
an sich jede Vermehrung des materials freudig willkommen heissen würde. Auch
bei Tscherning gestaltet sich selbstverständlich das bild nicht lückenlos, allein es
reicht doch aus, um die wesentlichsten züge erkennen zu lassen. Tscherning er-
scheint als eine liebenswerte persönlichkeit, treuherzig und hilfsbereit, fromm und
bescheiden; wie die Vorzüge, so springen aber auch die grenzen ins äuge: er ist
eine durchschuittsnatur ohne tiefe und eigenart. Den ergebnissen der lebens-
geschichte entspricht durchaus der eindruck seiner poetischen leistungen. Wohl
redet aus diesen versen ein harmloser, biederer mensch ; andererseits erkennt man
jedoch deutlich, dass der poet so gut wie nichts zu sagen hat; daher sein anlehnungs-
bedürfnis, das zuweilen in wunderliche hilflosigkeit ausartet. Käme es nun beim
lyriker lediglich darauf an, dass der poetische ausdruck sich mit dem Innenleben
deckt, so müsste der wert von Tschernings schaffen hoch veranschlagt werden.
Aber da selbstverständlich kraft und umfang dieses Innenlebens entscheidend sind,
kann er nur einen sehr bescheidenen platz beanspruchen. Das lob, das dem dichter
Tscherning, 'dem söhn der ewigkeiten', wie ihn sein schüler Morhof nannte, von
seinen Zeitgenossen freigebig gespendet wurde, erscheint uns heute unbegreiflich;
meist bleibt diese reimerei im allertrivialsten stecken. Gleichwohl wird man
dem Verfasser recht geben müssen, dass es sich um den typus eines renaissance-
poeten handelt. Von diesem Standpunkt aus rechtfertigt sich die ausführlich-
keit, mit der das schaffen Tschernings vor dem leser ausgebreitet wird. Den
dichtungen, namentlich den lyrischen, werden eingehende Charakteristiken zuteil,
wobei besonders die abhängigkeit Tschernings von Opitz ins licht tritt. Überhaupt
ist der Verfasser den heziehungen Tschernings zu seinem dichterkoUegen mit erfolg
nachgegangen. Das kapitel, das die literarischen Verbindungen Tschernings fest-
stellt (mit den nachtragen s. 366 ff.), erscheint daher als besonders fördernd. In
der gesamtbeurteilung der poetischen arbeiten trifft der Verfasser das richtige und
gibt zugleich die zutreffende erklärung für den einfluss, den Tscherning auf seine
zeit ausgeübt: das hauptgewicht beruhte auf der form; die sauber gefeilte poetische
spräche hat vorbildlich gewirkt und mit dazu beigetragen, die Überzeugung von
der notwendigkeit eines reinen und regelmässigen verses einzuschärfen. Man kann
daher Tschernings versuchen trotz ihres ärmlichen Inhaltes eine gewisse bedeutung
innerhalb der entwicklung der deutschen literatur des 17. Jahrhunderts nicht ab-
sprechen. Ähnlich verhält es sich mit seinen theoretischen bemühungen. Seine
poetik bietet wenig neues und will auch nichts neues geben. Sie begnügt sich,
die von Opitz und von Buchner aufgestellten regeln nochmals zusammenzufassen
und durch eigene beobachtungen zu ergänzen. Innerhalb des Wirrwarrs der damals
durcheinanderfahreudon theorien war die nochmalige einprägung des revidierten
SCHRIFTEN ZUR DEUTSCHEN LYRIK 309
Opitz-Buchnerischen Standpunktes weder unfruchtbar noch unnötig; denn dieser
gewährte noch immer den sichersten halt. Uünlitz ist also Tschernings konservative
veimittlertätigkeit auf dem gebiete der poetik nicht gewesen.
Unter den männern, mit denen Tscherning freundschaftlich verbunden war,
hätte wohl auch Christoph Freitag, hofprediger zu Oels, einen platz verdient; denn
Freitag war ebenfalls nicht ohne literarischen ehrgeiz. Der literaturgeschichte ist
er allerdings haupts<ächlich als gegner der anschauungen des kreises wichtig, der sich
um Abraham von Franckenberg sammelte. Für Freitags beziehungen zu Tscherning
liefert sein auf der Breslauer Stadtbibliothek befindlicher briefwechsel mit Tscherning
das nötige material.
Obgleich manches, so z. b. die lehrreichen Zusammenstellungen über die
metrik, zu näherer betrachtung lockt, kann hier doch nur auf einen punkt noch
■eingegangen werden. Ein wirkliches Verständnis der deutscheu dichtung des
17. Jahrhunderts wird erst dann möglich sein, wenn einige Vorfragen ganz geklärt
sind. Zu ihnen gehört in erster linie das Verhältnis zwischen der neulateinischen
und der deutschen dichtung. Die neulateinische lyrik des 17. Jahrhunderts setzt
aber die des 16. unmittelbar fort und ist ohne sie nicht zu verstehen. Wenn der
Verfasser es s. 268 als bemerkenswert bezeichnet, dass Opitz, Heinsius, Fleming
und Tscherning bei der gehurt Christi die landschaft als mit schnee bedeckt schil-
dern, so ist darauf hinzuweisen, dass diese dichter hier nur einen stehenden zug
der lateinischen weihnachtsgedichte des 16. Jahrhunderts wiederholen. — Die fest-
stellung des einflusses, den die neulateinische poesie auf die deutsche dichtung aus-
geübt hat, wird wesentlich durch eine Würdigung der lateinischen dichtung der
deutschen poeten des Zeitalters gefördert werden. Nach dieser richtung hin ist
aber bisher noch wenig getan. Nur für Gryphius' jugendepen liegen die sorgfältigen
Untersuchungen Ernst Gnerichs vor (Leipzig 1906); doch kommt gerade die — an
sich nicht unwichtige — epik der neulateiner für das 17. Jahrhundert am wenigsten
in betracht. Eine behandlung der andern lateinischen dichtungen des Gryphius
war durch Manheimer versprochen, ist aber, soweit dem berichterstatter bekannt,
nicht geliefert worden. Für Opitz', Flemmiugs, Laurembergs lateinische gedichte
fehlen bisher nähere Untersuchungen, obgleich es ungemein lohnend wäre, ihre
deutsche und ihre neulateinische hervorbringung miteinander zu vergleichen. In
Tschernings lebenswerk nimmt die neulateinische dichtung keine allzu bedeutende
Stellung ein; gleichwohl wird man nicht um die aufgäbe herumkommen können,
die beiden gebiete seiner poetischen tätigkeit nebeneinander zu halten. Den angriff
auf einen verkleinerer des Tacitus hat Tscherning sowohl in lateinische wie in
deutsche verse gekleidet. Die lateinischen distichen (Schediasmata bl. v. B 3) führen
zunächst den vergleich des kritikasters mit einem esel in der bekannten weise der
neulateiner durch und gehen dann erst zu dem eigentlichen gegenstände, der ver-
kehrten beurteilung des Tacitus, über. Irgendwelche Wirkung wird nicht erzielt;
immerhin übertrifft die lateinische bearbeitung noch ganz erheblich die deutsche
(Vortrab des sommers s. 389); diese ist offenbar nach dem lateinischen gedichte
entstanden; beide fassungen decken sich nicht vollständig, sondern das deutsche
gedieht benutzt nur einige Wendungen des lateinischen, aber schwerfällig und un-
geschickt:
Nee vivet per eum Tacitus, nee morte peribit,
Casurum nullo tempore nomen habet.
310 EI.LINOER
0 glaube mir gewiss, er wird bei weisen gelten,
Ob du ihn auch schon nicht durch deinen mund erhöhst.
Auch sonst lassen sich beziehungen zwischen der lateinischen und deutschem
dichterei Tschernings feststellen. Schediasmata nr. 15 fordert in einem ganz hübschen
anakreoiitikon zum ablassen von den klassischen Studien, zur ruhe, zu scherz, trunk
und ffesang auf. Das gedieht, das freilich einen damals viel besungenen gegenständ
behandelt, hat analogien in den deutschen gedichteu, z. b, Deutscher gedichte
früling, s. 317 ff., 8.320.
Entsorge deine brüst,
man muss die arbeit mengen
Mit einer freien lust
Und auch der ruh verbeugen.
Ein vergleich führt zu demselben ergebnis wie bei dem vorher besprochenen
gedieht: Tscherning bewegt sich im lateinischen viel ungezwungener als im deut-
schen ; das ist bei sehr vielen deutschen poeten des 17. Jahrhunderts in ihren
anfangszeiten der fall, z. b. bei dem gleich noch zu besprechenden Czepko. — Die
frage, welche ältere richtung der neulateinischen poesie Tscherning fortsetzt, ist
nicht schwer zu beantworten. Vor allen hat Friedrich Taubmann auf ihn gewirkt;
das s, 169. zitierte gedieht lehnt sich in seiner anfangszeile ersichtlich an den
anfang von Taubmanns hochzeitsgedicht für Melissas an:
Heri deambulabam
Horis meridianis.
Auch der titel Anacreou latinus stammt aus Taubmann. Will man nach
einem vermittler zwischen Taubmann und Tscherning suchen, so wird auch der
nicht schwer zu finden sein: es ist Jakob Fabricius (vgl. namentlich s. 316). Fabricius,
in der poesie schüler des Nathan Chyträus, aber seinem lehrer durchaus unähnlich,
ist neben Gabriel Rollenhagen und dem jüngeren Mynsinger der wichtigste Ver-
treter der späteren neulateinischen anakreontik. Zu Taubmann hatte er, wie seine
zweite gedichtsammlung bezeugt, persönliche beziehungen. — Für das 'Lob der
buchdnickerei' wird wohl ebenfalls am besten auf die zahlreichen neulatinischen
behandlungen des gleichen gegenständes seit dem ende des 15. Jahrhunderts ver-
wiesen werden, denen Tschernings alexandriner näher stehen als seinen deutsch
schreibenden Vorgängern.
3. Daniel von Czepko ist lange zeit unbeachtet geblieben. Nachdem ihn
Kahlert zuerst der Vergessenheit entzogen hatte, vermittelte Palm in seinem wert-
vollen aufsatz (Beiträge zur geschichte der deutschen literatur des 16. und 17. Jahr-
hunderts. Breslau lh77 s. 261 ff.) einen begriff von dem umfang seines wirkens;
Koffmanne gab die drei ersten bücher der für den gang der literarischen entwick-
liing wichtigsten schrift Czepkos, der 'Sexcenta monodisticha sapientum' heraus,
während eine auswahl aus dem ganzen werke, nach sachlichen gesichtspunkten an-
geordnet, in der ausgäbe von Schefflers 'Cherubinischem wandersmann' (Halle 1890,
Braunes neudrucke nr. 135—138) dargeboten wurde. Allein was bisher zugänglich
geworden ist, genügt zu einer genaueren erkenntnis dieser merkwürdigen persönlich-
keit keineswegs. Es ist daher zu begrüseen, dass in Strassers arbeit der anfang
zu einer biographischen darstellung vorliegt. Die frühzeit Czepkos von seinen
wenig versprechenden anfangen an bis zum jähre 1636 wird sorgfältig verfolgt und
in einer weise vorgeführt, dass die entwicklung des menschen und poeten so deut-^
SCHRIFTEN ZUR DEUTSCHEN LYRIK 311
lieh heraustritt, wie es die lückenhafte Überlieferung gestattet. Namentlich das
persönliche erscheint greifbarer, als man es sonst im 17. Jahrhundert gewöhnt ist^
und die versuche, diese persönlichen beziehungen bei den liebesgedichten heraus-
zuschälen, dürfen besonderer beachtung empfohlen werden.
Czepkos entwicklung war verhältnismässig früh abgeschlossen. Auch die
nach 1636 entstandenen werke, so die 'Sexcenta monodisticha', wurzeln in der vom
Verfasser behandelten lebensperiode. Es lässt sich daher aus dieser ein bild seines
könnens auf den verschiedenen gebieten gewinnen. Sein dichterisches vermögen
ist in der tat nicht gering anzuschlagen. Es konnte aber bei der leichtigkeit seines
Schaffens nicht anders sein, als dass er sich mehrfach an gegenständen versuchte,
die ihm nicht gemäss waren. Dazu kam, dass sich der tyrannische Zeitgeschmack
der wirklichen entfaltung seiner gaben als hinderlich erwies. Beides lässt sich in
der an knlturgeschichtlich wichtigen zügen reichen Schäferdichtung: 'Coridon und
Phyllis' deutlich erkennen. Wo aber Czepko dem antriebe des Innern folgt, da
sind ihm manche treffer gelungen. Das gilt, wie bereits hervorgehoben, namentlich
von seiner fragmentarisch erhaltenen liebeslyrik. Den schon von Palm a. a. 0.
8. 265 in ihrem wert richtig erkannten 'Unbedachtsamen einfallen' und den 'Drey
rollen verliebter gedanken' widmet Strasser lehrreiche analysen, die die tatsäch-
lichen grundlagen dieser dichtungen aufdecken und sie nach gelialt und form be-
stimmen. Wie sehr diese stücke vom erlebnis diktiert sind, tritt erst jetzt hervor;
wir haben hier einen der wenigen nachweisbaren fälle im 17. Jahrhundert, bei denen
es sich nicht um schemenhaft konventionelle erfindungen, sondern um gelegenheits-
dichtung im guten sinne handelt.
Aus der gleichen zeit wie diese dichtungen stammen nun die wichtigsten
mj'stischen Schriften dieser ersten periode, vor allem die schon in proben bekannten
poetischen werke, das 'Inwendige himmelreich' (1633 ; von Palm s. 290 richtig
datiert; die s. 1:5 Palm erteilte rüge gilt wohl Koffmanne, der 1638 angibt) und
die 'Gegenlage der eitelkeit' (wohl ebenfalls 1633). Neben diesen bedeutsamen
Schöpfungen steht ein von dem gleichen geiste getragenes, bisher so gut wie un-
bekanntes umfängliches prosawerk, die 'Consolatio ad Baronissam Cziganeam' (wohl
frühjahr 1634), in der Czepko die auch im mittelpunkt seiner liebesdichtung stehende
junge adlige dame über den tod ihrer Schwester zu trösten sucht. Nach den von
Strasser gegebenen auszügen gehört die Consolatio zu Czepkos hervorragendsten
leistungen ; von den mystikern, zuweilen bis zum Wortlaut, abhängig, trägt sie doch
den Stempel der persönlichkeit, die sie geschaffen hat. Ebenso wie in der genauen
Untersuchung der liebeslyrik wird man in der analyse dieses werkes das haupt-
verdienst der vorliegenden arbeit zu sehen haben.
Es ist nun in hohem masse anziehend, zu beobachten, wie Czepkos mystische
neigungen auch in seine liebeslyrik eindringen. Da es sich hier um eine erscheinung
handelt, die im 17. Jahrhundert ganz vereinzelt dasteht und auch sonst sich wohl
nicht allzu häufig findet, sei auf die nachweise s. 81 f. und s. 88 noch besonders
hingewiesen.
Der Verfasser ist auch der frage nach den quellen der mystischen Schriften
Czepkos nachgegangen. Als ergebnis seiner Untersuchung stellt sich heraus, dass-
Czepko in erster linie von meister Eckhart abhängig ist. Namentlich die für die
Consolatio gelieferten nachweise erheben die einwirkung Eckharts zur gewissheit.
Neben Eckhart kommt Weigel in betracht, dann folgen die anderen mystiker in
ähnlicher abstufung wie bei dem von Czepko beeinflussten 'Cherubinischen wanders-
312 ELLINGER
mann' Schefflers. Die aufstellung des berichterstatters über Schefflers quellen (in
der einleitung zu der ausgäbe des 'Cherubinischen wandeismanns', Halle 1895)
bestreitet Strasser in einem wesentlichen punkte, indem er mit Kern als haupt-
quelle Schefflers ebenfalls meister Eckhart annimmt. Der berichterstatter kann dem
Verfasser entgegenkommen; denn wiederholte nachprüfung hat ihn davon überzeugt,
•dass in der tat der unmittelbare einfluss Eckharts grösser gewesen ist, als er
früher angenommen hat. Daneben aber bleibt die ungemein starke abhängigkeit
von Weigel bestehen, so dass schwer zu entscheiden ist, wer die grössere macht
auf Scheffler ausgeübt hat, meister Eckhart oder Weigel; die einwirkung beider
wird sich ungefähr die wage halten. — Die Monodisticha können an dieser stelle
deshalb berücksichtigt werden, weil ihre anfange noch in die hier bebandelte periode
gehören, und weil sie die frühere mystische schriftstellerei Czepkos fortsetzen. In
der erwähnten ausgäbe des 'Cherubinischen wandersraannes' ist schon darauf hin-
gewiesen Avorden, wie sehr Czepko unter dem banne VVeigels gestanden hat. Für
die benutzung der 'Deutschen theologie' (vgl. Strasser s. 61 f.) sind ebenfalls dort
zwei bezeichnende beispiele angeführt worden; die paralellstellen Hessen sich in-
dessen mit leichtigkeit vermehren. Nur auf zwei Übereinstimmungen möge hin-
gewiesen werden; aus naheliegenden gründen wird die 'Deutsche theologie' nach
«iner späteren, von Johann Arndt besorgten ausgäbe (Magdeburg 1605) zitiert.
Deutsche theologie, kap. 51 s. 166. Aber in der helle wil jederman
seinen eigen willen haben, darumb ist da alles unglück uund unseligkeit.
Czepko, Monodisticha, V, 16.
Dort in der höllen hat ein jeder freien willen.
Drum steckt sie voller pein, und nichts nicht kan sie stillen.
Deutsche theologie, kap. 14:, s. 43. Und möchte der Teuffei zu dem
wahren Gehorsam kommen, er würde ein Engel.
Monodisticha I, 27.
Dör Teuffei wann er könt in den Gehorsam gehn,
Würd itzo fornen an dort untern Engeln stehn.
In gedankengehalt, anläge und Wortlaut knüpft Scheffler so an Czepko an,
dass seine abhängigkeit von ihm ausser frage steht. Aber er bezieht sich im
^Cherubinischen wandersmann', was noch nicht bekannt ist, auch unmittelbar auf
Czepko. Im 'Cherubinischen wandersmann' heisst es, IV, 90:
Die Tugend, spricht der Weis', ist selbst ihr schönster Lohn;
Meint er nur zeitlich hier, so halt ich nichts davon.
Der weise ist Czepko; die in betracht kommende stelle steht Monodisticha II, 49:
Die Tugend, die du wirkst, ist selbst ihr grösster Sold.
Eine erneuerung der wichtigsten werke Czepkos, wie sie schon Palm plante,
würde keine unnütze ausgrabung sein. Augenblicklich ist die zeit einem derartigen
unternehmen freilich nicht günstig; vielleicht aber lassen sich die aus unserer un-
glücklichen läge entstandenen Schwierigkeiten bei gutem willen überwinden. Ein
abdruck aller arbeiten Czepkos erweist sich nicht als nötig; 'Coridon und Phyllis'
ebenso Avie die 'Semita oder das heilige dreieck' könnten ohne schaden fehlen, auch
die satirischen gedichte wären zu entbehren oder doch nur auf eine kurze auswahl
zu beschränken. Vollständige aufnähme müssten finden: 1. die 'Unbedachtsamen
einfalle'; 2. die 'Drey rollen verliebter gedichte'; 3. das 'luAvendige himmelreich';
SCHRIFTEN ZUR DEUTSCHEN LYRIK 313
4. die 'Gegenlage der eitelkeit' ; 5. die 'Consolatio' ; 6. die 'Sexcenta monodisticha'.
Zu diesen grösseren werken sollten noch einige der kleineren stücke treten, so das
Exulantenlied Palm s. 270, die gedichte an Köler, Rohr und Donath, Strasser s. 34,
42 ff. Die angegebenen leistungen würden genügen, ein bild des dichters zu ver-
mitteln, der es mehr als mancher bekannte poet des 17. Jahrhunderts verdient, mit
seinem schaffen fortzuleben. Unsere Sammlungen älterer literaturwerke seien auf
diese lohnende aufgäbe ganz besonders hingewiesen.
i. Ein dankbares gebiet hat von Schröder mit seiner betrachtung der religiösen
lyrik Arnolds betreten. Er sucht die verschiedenen abschnitte der geistigen ent-
wicklung Arnolds festzustellen und dessen poetische tätigkeit iu diese einzugliedern.
Dadurch wird eine gute Übersicht erzielt. Eine andere frage ist freilich, ob sich
die stufen in Arnolds eutwicklung so genau scheiden lassen, wie der Verfasser
meint. Die neigung zu theosophischer Spekulation, die sich in der hinwendung zu
Jakob Böhme offenbart, ist doch wohl schon von anfang an bei ihm stark ausgeprägt
und tritt nur scheinbar hinter der schwärmerischen mystik zurück.
Der wünsch, den anschauungskreis genau zu kennzeichnen, innerhalb dessen
sich Arnold in den verschiedenen lebenspcrioden bewegte, führt notwendigerweise
zu der frage nach seinem Verhältnis zu den verwandten geistigen Strömungen. Sie
zu stellen ist nötig, da Arnold der einwirkung von gedankenkreisen, in denen er
etwas seinem geiste entsprechendes wiederfand, sehr leicht zugänglich war, ohne
dass freilich die nachhaltigkeit des eindnicks dieser raschen hingäbe entsprochen
hätte. Allein eine entscheidung über die frage, welche mystischen ideen ihn in
dem jeweiligen stände seiner entwicklung die bestimmende richtung gegeben haben,
ist ungemein schwierig, und man wird billigerweise nicht verlangen, dass die ver-
wickelten Probleme sofort eine einleuchtende lösung finden. Überzeugend sind die
nachweise für die tatsache, dass Arnold von Euysbroek angeregt worden ist. Aber
auch die anderen Vertreter der älteren deutschen mystik (in die Euysbroek ein-
gerechnet werden darf) sind sicher von nachhaltigem einfluss auf Arnold gewesen.
Dem Verfasser kommt es mehr darauf an, zu zeigen, in welcher weise die spanische
mystik des 16. und die französische des 17. Jahrhundert Arnolds gefühlsweise
bestimmt hat. Dass ein solcher Zusammenhang stattgefunden hat, kann nicht in
abrede gestellt werden. Die quietistische mystik Spaniens ist während des 17. Jahr-
hunderts auf dem umwege über Holland auch in Deutschland eingedrungen; es
wird eine dankbare, allerdings auch sehr schwierige aufgäbe sein, festzustellen, wie
sie sich im einzelnen geltend gemacht hat. Schwierig vor allen dingen deshalb,
weil sich viele von den gedanken der spanischen mystik auch bereits bei den älteren
deutschen mystikern finden. Wenn der Verfasser in der tatsache, dass Arnold die
gottheit Christi hinter seiner menschlichkeit zurücktreten lässt, eine veräusserlichende
anlehnung an die mystik der spanischen heiligen, Teresa von Jesu (1515—1582), sieht,
so muss doch hervorgehoben werden, dass es sich bei dieser anschauung um ein
altes mystisches erbgut handelt, welches Arnold ebenso gut von anderer seite zu-
kommen konnte und höchst wahrscheinlich auch zugekommen ist; es genügt, an
die allbekannten worte Susos zu erinnern: 'Je höher man ohne das durchgehen
durch meine menschheit aufklimmt, desto tiefer fällt man. Meine menschheit ist
der weg, den man gehen muss'. Nicht anders verhält es sich mit den weiteren,
Arnold und der spanischen mystik gemeinsamen Vorstellungen. Demnach wird man
sagen dürfen: Arnold fühlte sich zu der spanischen (und französischen) mystik
hingezogen, weil er hier ideen ausgeprägt fand, die schon früh in ihm erweckt
314 ELLINGER
worden waren. Bei der nun eintretenden näheren beschliftigung mögen einzel-
Wirkungen eingetreten sein ; die grundanschauungen werden sie kaum verändert haben.
Dass die meisten der aufgeführten Vorstellungen vor Arnold in Deutschland
bereits vorhanden waren, lehrt z. b. Schefflers 'Cherubinischer wandersmann'. Nun
ist ja freilich auch Scheffler von der spanischen mystik berührt worden (vgl. die
angeführte ausgäbe des Ch. w. Halle 1896 s. OL f.), aber allzuviel hat er ihr nicht
entnommen; der kern des von ihm verarbeiteten geistesgutes stammt aus der
älteren deutschen mystik. Dass einige wesentliche anschauungen Arnolds im Cheru-
binischen wandersmann vorgebildet sind, hat der Verfasser nicht übersehen; erweist
auf sie hin, ohne aber auf das Verhältnis Arnolds zu Scheffler einzugehen. Tat-
sächlich aber ist nicht im mindesten daran zu zweifeln, dass Arnold zeitweise unter
dem banne des älteren dichters gestanden hat. Denn Arnold war ein glühender
bewunderer Schefflers ('dieser autor hat Christum lebendig gehabt', beisst es in der
'Historie der mystischen theologie') er hat selbst eine ausgäbe des Cherubinischen
wandersmanns veranstaltet, und wie sehr er in der gedankenweit des werkes lebte,
beweist die bisher nicht bekannte tatsache, dass er noch auf dem totenbette sich
der von Scheffler geprägten Wendungen bediente (er sagte unmittelbar vor seinem
ende: 'ich esse gott in jedem bissen brot'; vgl. Cher. wand. 11, 120); es ist also
keineswegs ausgeschlossen, dass einige seiner grundanschauungen durch Scheffler
angeregt oder doch wenigstens verstärkt worden sind. Um so weniger als ja
Arnold tatsächlich von dem Cherubinischen wandersmann und der hohenliedspoesie
der 'Heiligen seelenlust' abhängig gewesen ist. Diese beziehungen zu Scheffler
lassen sich deutlich erweisen, auch in dem gedichte, das der Verfasser s. 103 f. al»
besonders gelungen hervorhebt; es zeigt in Stimmung, anläge, versmass eine auf-
fallende Verwandtschaft mit der Heiligen seelenlust, wobei man noch nicht einmal
besonderen wert auf die ähnlichkeit des Wortlautes zu legen braucht
Arnold: Komm, komm, mein schöner,
Du Nazarener
Scheffler: Ich liebe dich, du schöner;
III. 90 Ich sehne mich nach deinem Mund,
Du süsser Nazarener.
Da von Scheffler die rede ist, sei beiläufig bemerkt, dass die von dem verf.
Seite 74 angeführte, in Rosenthals ausgäbe enthaltene angebliche Unterschrift
Schefflers unter dem bilde Jakob Böhmes nicht einwandfrei bezeugt ist; zeile 1 bis 3
stammt, was man bisher meist übersehen hat, aus dem Cherubinischen wandersmann
IV, 32, wo sich auch die der konstruktion entsprechende schlusszeile findet; der
endvers der angeblichen Inschrift erweckt den eindruck, als ob es sich um eine
unorganische und nicht von dem autor bewirkte anleimung handle. Damit soll
natürlich Schefflers Verehrung, ja begeisterung für Jakob Böhme nicht bestritten
werden, so sehr sich der katholische Scheffler auch bemüht hat, seine beschäftigung
mit Böhmes Schriften als etwas zufälliges hinzustellen. — Auch wer, wie der bericht-
erstatter, über die quellenfrage anders urteilt als der Verfasser, wird sich doch durch
die übersichtliche gliederung gefördert fühlen und es begrüssen, dass die frage
nach der einwirkung der spanischen mystik auf die gleichartigen deutschen Strö-
mungen des 17. Jahrhunderts aufgerollt worden ist.
5. Einen kurzen lebensabriss Arnolds und eine summarische, die wesentlichsten
züge gut zusammenfassende Charakteristik seiner lieder gibt auch die schrift von
Zwetz über Tersteegen. Der hauptteil dieser arbeit beschäftigt sich ebenfalls mit
SCHRIFTEN ZUR DEUTSCHEN LYRIK 315
•einem gegenstände, der ungebührlich vernachlässigt worden ist. Der Verfasser
«ntwirft eine durch eigene kenntnis von land und leuten belebte biographische
Skizze Tersteegens und schafft so den Untergrund für seine literarhistorische dar-
stellung. Er unterrichtet über den gehalt der einzelnen werke, erörtert das Ver-
hältnis Tersteegens zu den bedeutendsten geistlichen liederdichtern des 17. Jahrhunderts
und bringt aufschlussreiche abschnitte über metrik, spräche sowie über die natur-
schilderungen. Alle diese Untersuchungen dienen aber ebenso wie die anderen bei-
gaben zur vergegenwärtigung der persöolichkeit, und es ist lehrreich zu beobachten,
wie sich in kleinen und kleinsteh zügen die eigenart dieses schlichten mystikers
und Seelenberaters offenbart. Um ein beispiel herauszugreifen: der Verfasser trifft
durchaus das richtige, wenn er feststellt, dass Tersteegen in der auswahl der
versmasse die dem wesen seiner natur entsprechende empfindung zeigt; sein innerstes
gefühl richtete sich, wie der Verfasser es ausdrückt, auf einfachheit und klarheit
des Strophenbaus, obgleich er, dem Zeitgeschmack folgend, seine in künstlichen
massen sich bewegenden gedichte für die besten hielt.
Tersteegens liederdichtung wird neben die Gerhardts, Schefflers, Neanders,
Arnolds gehalten und eine genaue vergleichung durchgeführt. Was sich, von der
Verwendung derselben oder ähnlicher masse abgesehen, an Übereinstimmung zwischen
Tersteegen einerseits, Gerhardt, Neander und Arnold andererseits findet, führt über
allgemeine ähnlichkeiten nur wenig hinaus. Trotzdem sind die Zusammenstellungen
fruchtbar, weil sie die möglichkeit bieten, das wesen des einen dichters durch die
betonung des verwandten oder des gegensätzlichen bei dem anderen zu erhellen.
Nach dieser richtung hin werden die sorgfältigen beobachtungen des Verfassers gute
dienste leisten.
Arnold hat weniger durch seine gedichte als durch seine wissenschaftlichen
und erbaulichen Schriften auf Tersteegen gewirkt. Was Scheffler betrifft, so schUesst
sich der Verfasser dem urteil des verdienstvollen herausgebers von Tersteegens
liedem, W. Nelle, an, der eine gemeinsamkeit zwischen Scheffler und Tersteegen
nur auf ästhetischem gebiete zugestehen will. Es wird sich empfehlen, bei der
behandlung dieser frage die verschiedenen dichtungsarten zu scheiden. Tersteegens
Spruch dichtung, seine 'Schlussreime', wie er sie in anknüpfung an Scheffler nennt,
lehnt sich offensichtlich an den Chenibinischen wandersmann an. Dass trotzdem
der grundgehalt von Tersteegens Sammlung sich sehr wesentlich von Schefflers
art unterscheidet, springt in die äugen und ist auch wohl noch nie bestritten worden.
Aber obgleich in der sinnesweise ein grundsätzlicher unterschied unverkennbar ist,
so wäre doch eine so bis ins einzelne gehende anlehnung nicht erklärlich, wenn
eben nicht Tersteegen für einen teil seiner religiösen anschauungen bei Scheffler
den vollkommensten ausdruck gefunden hätte. Denn Scheffler ist ja der erste, der
die quietistische Stimmung poetisch festgehalten hat, und nicht umsonst hat ihn
Leibniz mit Molinos verglichen. Dass die Sehnsucht nach ruhe und stille dem
wesen Tersteegens weit mehr entsprach als dem Schefflers, und dass sie daher bei
Tersteegen zur beherrschenden und verklärenden grundanschauung wurde, ändert
an der tatsache nichts, dass Tersteegen auch inhaltlich von Scheffler abhängig ist.
Es kann daher nicht zugegeben werden, dass Scheffler lediglich einen ästhetischen
einfluss auf Tersteegen ausgeübt hat. — Bei weitem nicht in gleichem masse wie
die Sprüche vom 'Cherubinischen wandersmann' sind die lieder Tersteegens von
Schefflers 'Heiliger seelenlust' beeinflusst; der grundsätzliche unterschied macht sich
hier deutlicher bemerkbar. Gleichwohl hat auch Schefflers liederdichtung auf
316 ELLINGER
Tersteegen stark gewirkt, und wie sie ihm im obre klingt, das zeigt sich sogar
in kleinigkeiten : wenn der Verfasser in seinen bemerkungen zur spräche des dichter»
das im reim auf 'nichts' gebrauchte 'geschichts' aus der spräche der bibelüber-
setzungen ableiten will, so erscheint wohl die annähme gerechtfertigter, ^ dass Ter-
steegen bewusst oder unbewusst die verse Scheftlers vorgeschwebt haben (Heilige
seelenlust, III, 83):
Liebe Jesum und sonst nichts,
Meine Seele, so geschichts.
Einer künftigen gesamtdarstellung werden diese beitrage zur geschichte der
pietistischen lyrik die besten dienste leisten. Als universale religiöse bewegung
verlor der deutsche pietismus seit dem ersten viertel des 18. Jahrhunderts seine
kraft; er blieb nur in einzelnen gebieten lebendig, so z. b. am Niederrhein, wo
Terstegen sein poetischer Vertreter wurde. Aber wenn auch die richtung religiös
als ganzes zurücktrat, ihre rolle war bekanntlich damit keineswegs ausgespielt,
vielmehr begann die entscheidende Wirkung sich erst jetzt zu vollziehen. Wie es
dem pietismus gelungen war, die hervorstechendsten züge seines empfindungslebens
der Orthodoxie aufzuirapfen (Joh. Sebastian Bach !), so teilte sich die durch
ihn herbeigeführte Verfeinerung des seelischen lebens der allgemeinheit mit. Dass
aus diesem wandel des gemütsstandes gerade der lyrik die nachhaltigste nahrung
zufloss, leuchtet ein. Ein teil des dadurch erzielten fortschrittes muss sich demnach
auch schon in der pietistischen lyrik zeigen. Aus diesem gründe drängt sich die
notwendigkeit der Inangriffnahme einer geschichte der pietistischen lyrik unabweisbar
auf Ein derartiges unternehmen müsste in möglichst umfassender weise auch die
Vorgeschichte der pietistischeu lyrik im 17. Jahrhundert berücksichtigen (vgl. oben
s. 305), wobei zu beachten wäre, was der pietismus von dem älteren liedergut als
seinen eigenen bedürfnissen entsprechend beibehalten hat (gute fingerzeige nach
dieser richtung hin liefert namentlich das Freyliughausensche gesangbuch). Deut-
licher als bisher würde sich bei berücksichtigung der ganzen stoffmasse ergeben,,
wie sehr die durch die schöpferischen geister etwa von Pyra an herbeigeführte
blute der lyrik vorbereitet war.
6. Nicht über das ganze werk Witkops, sondern nur über die in das gebiet
dieser besprechung fallenden teile kann hier berichtet werden. Den ausgangspunkt
bildete in der ersten aufläge Friedrich Spee; eine einleitung suchte über die
wichtigsten punkte der vorangehenden und gleichzeitigen entwicklung auskunft zu
geben. Diese einleitenden bemerkungen hat der Verfasser jetzt zu einem abriss
der deutschen lyrik von Luther bis Spee erweitert. Man kann nicht sagen, dass
die arbeit durch dies verfahren wesentlich gewonnen hätte. Wenn der Verfasser
zunächst von der renaissancepoeSie ausgeht und ihre Vertreter in der allerelemen-
tarsten weise charakterisiert, sich aber dann erst zum kirchenlied wendet und
Luther behandelt, so lässt sich zwar die absieht verstehen, aber man erhält trotzdem
ein schiefes bild. Dazu kommt noch ein anderer mangel. Das erwachen des
individuellen gefühls bereitet sich schon im 16. Jahrhundert vor. Die wesentlichsten
merkmale dieses Vorgangs dürfen daher nicht übergangen werden, auch wenn es
sich nur um einzelzeugnisse handelt. Huttens 'Ich habs gewagt mit sinnen' sollte
deshalb ebensowenig fehlen wie Schwarzenbergs 'Kummer Trost'; das letzte würde
trotz der Verwendung der reimpaare gerade deshalb einen platz verdienen, weil
hier deutlich zu spüren ist, wie das gefühl sich aussprechen will, aber noch mit
dem ausdruck ringt. Auch in Huttens Spruchdichtung müssten die individuellea
SCHRIFIEN ZVR DEUTSCHEN LYRIK 317
bestandteile, wie die bekaunten stellen in dem Yorwort und der schlussrede zura
'Gesprächbüchlin' herbeigezogen werden. Da das deutsch des lü. Jahrhunderts
im ganzen noch zu unfertig war, als dass es den feineren empfindungen des Innen-
lebens hätte gerecht werden können, fiel diese aufgäbe einer anderen spräche zu,
deren jeder gebildete mächtig war, der lateinischen. Wie stark in der neulateinischea
poesie des 16. Jahrhunderts das individuelle gefühl sich regt, bezeugen beispiels-
weise Micyllus und sein schüler Petrus Lotichius Secundus ; wer also die moderne
deutsche lyrik aus ihren wurzeln ableiten will, darf auch die neulateinische dichtung
nicht vergessen. — So wichtig Luthers lied ist, der individuelle drang macht
sich auch in den liedern der täufer geltend, und namentlich die märtyrerlieder
bilden wichtige parallelen zu Luthers erstem singbaren gedieht. — Den gegen-
satz zwischen Luthers und Gerhardts persönlichkeit und zeit vergegenwärtigt
der Verfasser an der oft hervorgehobenen tatsache, dass Luther im plural, Gerhardt
im Singular spricht; ganz trifft das nicht zu: bei Lutlier heisst es: 'dem teufel ich
gefangen lag', 'aus tiefer not schrei' ich zu dir' ; aber es ist richtig, dass diese
lieder aus den anfangen der reformation stammen (1523) ; eine tiefer dringende
betrachtung würde bei dem ersten liede : 'Nun freut euch, liebe Christen gemein'
festzustellen haben, wie die absieht Luthers, die empfindungen der Christengemeinde
zum ausdruck zu bringen, bereits vorhanden ist, aber durch das neuerwachte indi-
viduelle gefühl niedergedrückt wird, das dann doch schliesslich unter dem einfluss der
forderungen des tages dem anderen prinzip weichen muss.
Wie für die erste hälfte des 16. Jahrhunderts, so sind auch für die zweite
die massgebenden faktoren nicht ausreichend berücksichtigt; das gesellschaftslied
wird zwar einmal flüchtig erwähnt, aber von der bedeutenden Wirkung, die es auf
das Zustandekommen der lyrik des 17. Jahrhunderts ausgeübt hat, ist mit keinem
worte die rede.
Bei der behandlung des 17. Jahrhunderts wird die raumverteilung nach dem
platze bestimmt, der nach der meinung des Verfassers dem dichter innerhalb der
entwicklung zukommt. Man kann die berechtigung dieses Standpunktes anerkennen,
muss aber doch einwenden, dass das subjektive urteil seine grenzen hat. Paul
Gerhardt erhält zwar eine kurze Charakteristik (nicht ganz IV2 selten gegenüber 14,
die Spee gewidmet sind), wird jedoch als noch nicht völlig reif befunden ; dazu ist
zu bemerken, dass ähnliche schranken wie bei Gerhardt bei allen dichtem des
17. Jahrhunderts, auch bei Spee und Scheffler, vorhanden sind. Durchaus unrichtig
ist es, die beiden für den ent wicklungsgang der lyrik so wichtigen dichter, Fleming
und Gryphius, nur mit etwa 10 zeilen abzuspeisen. Eine darstellung, die lediglich
von gipfel zu gipfel schreitet, mag für wahrhaft produktive zelten allenfalls zulässig
sein, im 17. Jahrhundert erscheint sie als durchaus unangebracht, da die persönlich-
keit damals noch nicht so ausgebildet war, dass sie die wesentlichsten regungen
des Zeitalters in sich hätte vereinigen können. Deshalb sind zur herstellung eines
gesamtbildes der lyrik des 17. Jahrhunderts die kleineren geister unentbehrlich;
findet die darstellung des 18. Jahrhunderts räum für die anakreontiker, ja sogar
für Miller, so dürften im 17. Jahrhundert Greflinger, Stieler, Finkelthaus und
Schoch nicht fehlen.
Ausführliche Charakteristiken erhalten nur Spee, Scheffler, Brockes, Haller,
Hagedorn, womit wir zu den durch das Stoffgebiet dieser besprechung gezogenen
grenzen vorgedrungen sind. Es ist rühmenswert, dass- der Verfasser sich bemüht,
diese dichter als typen innerhalb der fortschreitenden entwicklung aufzufassen. Li
318 H. DEVRIENT
diesem bestreben wird man einen fortschritt sehen, auch wenn man sich nicht mit
allen formulierungen des Verfassers befreunden kann.
Der berichterstatter hat es stets für seine pflicht gehalten, das gute namentlich
in den arbeiten derer aufzusuchen, die das recht zu haben vermeinen, von oben
herab über ihn abzuurteilen. Mit diesem vorsatz ist er auch an das vorliegende
buch herangetreten, und est ist nicht seine schuld, dass er trotz redlichen bemühens
nicht allzuviel günstiges hat hervorheben können. Bei der besprechung des 'Cheru-
binischen wandersmanns' findet sich der folgende satz : 'Es ist müssig — wie man
getan hat — eine Stufenfolge der einflüsse herzustellen und in ihr etwa Valentin
Weigel, Eckart, Tauler, pseudotaulerische Schriften und die deutsche theologie nach-
einander zu ordnen : in den 1676 epigrammen, meist alexandrinischen Zweizeilern,
ist ohne den versuch einer Systematik fast der gesamte Ideengehalt der mystik
krystallisiert'. Gemeint ist die mehrfach erwähnte einleitung zu der ausgäbe des
'Cherubinischeu wandersmanns' in Braunes neudrucken. Die hochfahrende art, in
der die arbeit des berichterstatters als unnütz abgelehnt wird, kann diesen nicht
abhalten, die tatsache, auf die der Verfasser sein urteil gründet, in aller ruhe
nachzuprüfen. Zwei richtungen beherrschen die mystik; die eine lässt sich als
schwärmerisch gesteigerte kirchlichkeit bezeichnen, die andere verarbeitet spekulative,
in der hauptsache aus dem ueuplatonismus stammende ideen. Nur wo beide rich-
tungen gleichmässig vertreten sind, kann man von einem lebendigwerden des ge-
samten mystischen ideenschatzes sprechen. Die frage, ob die beiden richtungen
im Cherubinischen wandersmann nachzuweisen sind, muss bejaht werden. Aber in
den ersten fünf büchern, auf die es hier allein ankommt, treten die äusseruugen
der schwärmerisch gesteigerten kirchlichkeit durchaus hinter den theosophischen
Spekulationen zurück. Scheffler ist daher von den theosophisch gerichteten mystikern
ungleich mehr abhängig als von den geistesverwandten Susos. Aus dieser tatsache
ergibt sich die notwendigkeit des nachweises einer Stufenfolge von selbst. Ein solcher
nachweis erscheint auch deshalb unentbehrlich, weil Scheffler seine massgehendsten
quellen verschwiegen, dagegen andere in den Vordergrund geschoben hat, denen er
nur wenig oder so gut wie nichts verdankt. Diese darlegung zeigt, wie unzu-
treffend die annähme der Verfassers ist, so dass auch hier der hochmütige ton der
Überlegenheit, wie so häufig, im umgekehrten Verhältnis zu der kenntnis des gegen-
ständes und zu der richtigkeit der behaupteten tatsachen steht.
BERLIN. GEORG ELLINGER.
Johannes Günther, Der theaterkritiker Heinrich Theodor Rötscher.
Theatergeschichtliche forschungen. Herausgegeben von B. Litzmann. .81.
Leipzig, L. Voss 1921. 164 s. m. 15.-.
Sein buch möchte Joh. Günther dem Schauspieler in die band geben, nicht
nur dem kritiker und literaten, und das ist gut. Er will der kunst damit dienen,
die hinter allen Schriften seines kritikers Eötscher als der grosse gegenständ
seiner Untersuchung liegt, der Schauspielkunst, nicht nur der literatur. Und ich
glaube, er könnte das erreichen, könnte die kunst beträchtlich fördern, wenn nur
die künstler von den kritikern, den literaten, gefördert werden wollten. Dass aber
unsere künstler sich so ungerne in deren bände begeben, liegt nicht nur an einer
oft kindlich anmasslichen selbstgerechtigkeit der Schauspieler, sondern ebensosehr
daran, dass es so wenig kritiker gibt von der überzeugenden Sachlichkeit und der
ÜBKK (iÜNTHEK, I>ER THEATERK IIIKKR HEIN'RICH THEODOR RÖ'IVSCJIER 319
:aus bildung entsteheuden gute Rötschers. Und woher kommt seine starke Wirkung?
Man könnte meinen, dass er mit seiner philsophisch-ästhetischen theorie aus Hegels
schule auf die praktische kunst abstossend wirken müsste. Und doch scheint mir,
dass gerade darin die bedeutung von Rötschers Charakteristiken beruht, dass er
immer und unbeiiTt von dem innerlich festen Standpunkt der idee des kunstwerks
ausgeht. Das führt Günther in seinem nicht umfangreichen, aber gründlichen büch-
lein überzeugend durch.
Gut einführend in seinen stoff gibt Günther zunächst in 3 kapiteln einen
überblick über Rötschers Stellung in der theaterkritik seiner zeit, insbesondere in
Berlin, und weist als grundlage seines wirkens eben den philosophischen Stand-
punkt seiner kritiken auf. Die idee des dramas suchte Rötscher zunächst aufzu-
Aveisen und davon die idee der darstellung des ganzen kunstwerks abzuleiten. Ihm
-ordnet er dann die idee jeder rolle folgerichtig ein und unter und vergleicht an
diesem masstabe die einzelleistung jedes darstellers. Wir sehen, wie auf diese
weise Rötscher theoretisch-philosophisch als gelehrter oder äthetischer betrachter
za demselben Standpunkt kommt, der sich praktisch immer mehr in der auffassung
ernster bühnenleiter wie Schröder, Goethe und Immermann durchsetzte: der des
^esamtkunstwerks im kämpfe gegen das virtuoseutum ; und mit'genugtuung sehe
ich Rötscher so auf derselben seite stehen, auf der ein Vertreter der schauspieler-
welt, Eduard Devrient, eben damals am werke war, aus Standesinteresse seiner kunst
ihre ungeschminkte geschichte zu schreiben. Ich betone das um so mehr, als der
Verfasser einer im vorigen jähre erschienenen schrift über Rötscher sich bemüht,
einen gegensatz zwischen Rötscher und Ed. Devrient zu finden, von dem keine
rede war. Devrient blickte 'mit aclitungsvoUer dankbarkeit und inniger freude' zu
^iem wissenschaftlichen helfer und Vorkämpfer für die ehre und bedeutung der
Schauspielkunst hinüber, dem er sich in seinem wirken für seinen stand und seine
kunstwahl verwandt fühlte. Leider war Ed. Devrient gerade (1844) von Berlin
fortgezogen, als Rötscher (1845) von Bromberg nach Berlin kam und die stelle des
Ijedeutendsten kritikers übernahm, so dass beide männer sich nicht persönlich be-
gegnet sind, um sich wechselseitig zu fördern. Ein einziger brief Rötschers an
Ed. Devrient ist nur vorhanden. Ich darf ihn hier veröffentlichen, um den ton
■der beziehung beider männer zu kennzeichnen. Er ist die antwort auf Devrients
briefliche besprechang der ersten ausgäbe von Rötschers 'Kunst der dramatischen
darstellung' (Berlin 1841), eine kundgebung, die grundsätzlich und inhaltlich den
Worten in seiner 'Geschichte der deutschen Schauspielkunst' (V. 288 f. 1874) ent-
sprochen haben muss, Yon besonderer bedeutung ist in diesem briefe auch noch
Rötschers mitteilung eines gedankens von Dav. Fr. Strauss, die Schaubühne in
hervorragendem masse mit in die staatlichen bildungsstätten des deutschen Volkes
zu ziehen, gedanken, die den gleichen ideen bei Rötscher und bei Ed. Devrient
begegneten, aus denen 1848 Devrients reformschrift 'Das nationaltheater des neuen
Deutschlands' hervorgegangen ist.
Bromberg, den 16t. Oktober 1841.
Sie haben mir, geehrter Herr, durch Ihr freundliches Schreiben eine wahr-
hafte Freude bereitet. Ein ausübender Künstler und ein wissenschaftlicher Mann
fühlt sich in meiner Arbeit befriedigt und spricht dies mit einer Wärme und Energie
aus, welche mich auf das wohlthuendste berühren. Sie glauben mir, denk' ich,
aufs Wort, wenn ich Ihnen bekenne in Ihren Zeilen eine grosse Genugthuung,
einen schönen langefortwirkenden Lohn für meine Thätigkeit gefunden zu haben.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHrLOLOGIE. BD. L. 22
;^20 "• 1>KVRIENT
So. viel günstige Stimmen sich auch bisher öffentlich, wie privatim, besonders von
Seiten meiner philosophischen Freunde, über meine Leistung haben vernehmen
lassen, so darf ich Ihre Äusserungen über mein Werk noch in einem ganz beson-
deren Sinne epochemachend für mich nennen, da es die erste gewichtige Stimme
aus der Künstlerwelt selbst ist, welche sich in einer für mich so erhebenden Weise
über meine Entwicklungen äussert. Der Werth Ihrer Beistimmung steigert sich
aber noch durch die Erwägung, dass Sie selbst, geehrter Herr, alle von mir zur
Sprache gebrachten Probleme, alle Momente der dramatischen Darstellungskunst
ebenfalls zu Objekten Ihres Sinnens und Denkens gemacht, dass Sie seit Jahren
sich selbstbewusst in die Welt Ihres künstlerischen Schaffens hineingelebt
haben. So gilt mir Ihr Wort als das Wort eines Repräsentanten des edelsten
Kunstlebens und des sittlichsten Ernstes in der Ausübung der Kunst. Ich freue
mich im voraus der Zeit, wo meine Anwesenheit in Berlin mich in nähere Beziehung
zu Ihnen bringen wird, und ich verspreche mir aus unseren Discussionen die mannig-
faltio-sten Anregungen und den dauerndsten Gewinn. Vielleicht betreffen Ihre
Differenzen in Rücksicht einzelner Partien des besonderen Theils Punkte, in denen
ich jetzt selbst schon die Schwäche meines Werks anerkenne und welche bei
einer nochmaligen Arbeit wohl noch anders gefasst und tiefer begründet werden
möchten. Um aber nicht selbst übermannt zu werden muss man eine Arbeit, welche
ein ganzes Gebiet dem Gedanken zu unterwerfen unternimmt, für fertig erklären,
selbst wenn man weiss, dass eine längere Vertiefung in einzelne Theile, eine noch-
malio-e Umgestaltung derselben herbeiführen werde. W^as auf der einen Seite an
Gründlichkeit gewonnen würde ginge dabei vielleicht an Frische und Unmittel-
barkeit verloren. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie, geehrtester Herr, mir
gleich vorläufig den einen oder den anderen Differenzpunkt bezeichneten. Meine
Arbeit ist mir jetzt schon so objektiv geworden, dass ich Ihnen eine ganz un-
befangene und rücksichtslose Prüfung versprechen darf. — Ihr Schreiben spricht
die ganze Trostlosigkeit über den gegenwärtigen Zustand der deutschen Bühne
aus. Dabei mögen Sie schmerzliche Erfahrungen durchdrungen haben, die
sich gewiss täglich wiederholen werden, so lange der Zustand der Bühne unver-
ändert bleibt! Dass ich bei der Entwicklung im letzten Abschnitt auch konkrete
Verhältnisse vor Augen gehabt wird Ihnen nicht entgangen sein. Wer mir im
allgemeinen Theile zum Routinier gesessen hat, denke ich wird auch zu errathen
sein. Es wird Ihnen nicht uninteressant sein zu hören, dass Strauss mir in
einem Briefe die Absicht zu erkennen gegeben hat über die notwendige Reform
der Bühne mit besonderer Rücksicht auf mein Buch einen Aufsatz zu schreiben.
Bei der universellen Geistesdisposition und der umfassenden philosophischen Bildung
des grossen Theologen überraschte es mich nicht auch für diese Sphäre das leb-
hafteste und geistigste Interesse bei ihm zu finden. Soll die Bühne anders werden,
sagt er wörtlich, so ist dies nur möglich 'wenn auch zugleich von oben her geholfen
wird. Das Theater, fährt er im Briefe an mich fort, muss schlechterdings aufhören
Hoftheater d. h. ein Theil fürstlicher Belustigung von dem meistens schlechten
und unreinen Geschmack eines allerhöchsten Individuums und seines Hofes ab-
hängig, zu sein; es muss Nationaltheater d. h. integrir endes Glied des
Staatsorganismus werden, unter dem Ministerium des öffentlichen Unterrichts
ütehend, wenn es seine wahre Bestimmung erreichen soll'. Sie werden zugeben,
dass der grosse AUeszcrmalmer die würdigste und edelste Vorstellung von der
Bedeutung der Bühne hat. Liest man im zweiten Theil seiner Dogmatik zwischen
ÜBER GÜNTHEr, DER THEATERKRITIKER HEINRICH THEODOR RÖTSCHER 321
den Zeilen, so sieht man, dass er den Kultus der Kunst und auf seiner höchsten
Stufe ein wahrhaftes Nationaltheater an die Stelle der Kirche setzen will und dies
nicht undeutlich als die nothwendige Gestalt der Zukunft bezeichnet. Indem
ich mich Ihnen zu fernerem Wohlwollen freundlichst empfehle füge ich nur noch
den Wunsch hinzu, dass es Ihnen, geehrtester Herr, genehm sein möge mich recht
bald durch eine Zuschrift zu erfreuen. Sie sollen in mir keinen saumseligen
Mann finden. Mit ausgezeichnetster Hochachtung ergebenst
Dr. H. Theodor Roetscher.
Man könnte ja fragen, ob es richtig sei, mit einer von vornherein bestimmten
ansieht — wie der Hegelsehen Idee des kunstwerks bei Rötscher — an die beurteilung
eines kunstwerkes heranzutreten. Aber J. Günther zeigt, wie Rötscher nie gewaltsam
dem kunstereignis seinen Standpunkt aufgedrückt hat, sondern gerade immer aus
dessen charakter und innerem Organismus heraus den jeweiligen ausgangspunkt für
seine beurteilung ableitet. Und so besitzt Rötscher freilich eben in seiner philo-
sophisch abstrahierenden bildung die grundlage, auf der er zu einer sicheren
Stellung den verschiedenen werken gegenüber kommt. Die richtungslosigkeit wirft
den beurteiler nur zu leicht jeder modeströmung in die arme und nützt durch diesen
mangel an Weisheit der kunst, dem künstler und dem publikum gleich wenig.
Wir fühlen uns vor Rötschers kritiken so sicher in der gewähr gediegenen urteils
geborgen. Man lese z. b. etwa die ausführungen (s. 20 f.) über Gutzkows Uriel
Akosta, über geschichtliches drama, über tendenzstücke und im gegensatze dazu
über nationale färbung, besonders auch im lustspiel, über das umsetzen des kampfes
einer dramatischen idee in entwicklung der Charaktere im drama oder der idee in
Stimmung durch rhythmus und spräche oder in konzeption, Situationen und Charak-
tere, die alle aber zugleich ihre selbständige geltung haben. Oft macht Rötscher
vorschlage zu änderungen in einem drama, und ich bedaure nur, dass Günther —
vielleicht aus raummangel der papiernot wegen — kein bestimmtes beispiel dafür
anführt und durchprüft. Ich hätte statt dessen lieber manche umständliche über-
leitungswendung gestrichen. Der papiernot ist wohl auch die wünschenswerte
weitere ausführung der 3 teile des I. kapitels im II. buche (kritik der theatralischen
darstellung) zum opfer gefallen, so dass die Überschriften — Rötscher und das
deutsche theater seiner zeit, das Berliner kgl. theater zur zeit der kritikertätigkeit
Rötschers und Rötschers theatergeschichtliche kenntnisse in seinen kritiken — nur
volltönende Versprechungen ohne erfüllung bleiben. Dass Rötschers theatergeschicht-
liche kenntnisse nur gering gewesen sind (die Vorlesungen von Roh. Prutz und
Ed. Devrients Gesch. der deutschen Schauspielkunst waren ja noch nicht erschienen),
oder dass er keinen gebrauch davon gemacht hat, das lässt auch Günthers dritten teil
hier bedauerlicherweise recht mager ausgehen. Wohltätig aber wirkt bei Rötscher
hier gerade auch das vermeiden unsachlichen sichrühmens mit gelehrsainkeit, auch
persönliche erinnerungen an Schauspieler kommen nur sehr sparsam und nur im
dienste der gegenwartskritik vor, für unsere theatergeschichtliche forschung freilich
allzu sparsam. Die Zusammengehörigkeit von drama und Schauspielkunst ist für
Rötscher immer selbstverständlich, und doch weiss er wohl stück und darstellung
ZU trennen. Durch das aufzeigen der abhängigkeit der einzelnen rolle von ihrer
idee im zusammenhange mit der idee des ganzen Stückes wird eine positive auf-
stellung des Charakters geboten, an der die darstellerische einzeldurchfuhrung immer
wieder gemessen werden kann. Das von Rötscher so gebotene ideal der rolle geht
gewöhnlich bei ihm auch auf künstlerisch erlebtes zurück, zu dem spätere zusätze
22*
322 WKKSS-BASS
von anderen darstellern im wesentlichen bestätigung des einmal erkannten bieten.
Menschliche irrtiimer oder subjektive neigungen können natürlich trotz allen philo-
sophisch-ästhetischen Standpunkts mit unterlaufen wie z. b. das nur zu begreifliche
überschätzen Seydelmanns anderen gewichtigen stimmen gegenüber - vergleichbar
etwa Goethes überschätzen der kunst Iftlands im gegensatz zu Schillers ruhigerem
urteile. Fein und ganz im zusammenhange seiner idee von der rolle ist die Unter-
scheidung Rötschers zwischen künstlerischen und technischen mittein des Schau-
spielers und deren anwendung auf dämonische oder nur landläufige ('routinier'-)
Charakterrollen. Und höchst fördernd und lehrreich ist das aufdecken der art des
herantretens eines künstlers an eine rolle. Nicht sich zu begnügen gilt es nach
Rötschers mcinung mit dem ausführen des ersten eindrucks, sondern zur reflexion
muss er sich durcharbeiten ; dann aber muss eine revidierende rückkehr zur natur-
auifassung des frischen erlebens erst die ganzheit lebenswarmer gestaltung schaffen
(b. 60 f.). — Vortreffliche beobachtungen auch gerade der technischen mittel, wie
sie für die zeit um Döring und Dessoir, Hendrichs und die Crelinger herum so
charakteristisch und deshalb für unser Studium der theatergeschichte so lehrreich
sind, reiht Günther aus Rötschers kritiken zusammen, und wir durchleben an den
von Günther geschickt ausgewählten beispielen ein stück lieber alter theater-
geschichte in lebendigster vergegenwärtigung. In die gute und reife von Rötschers
wesen führt Günther in einem V. kapitel über ihn als erzieher des Schauspielers.
Er sagt (8.95): 'Rötscher hat eine tiefe achtung vor dem Schauspieler und seiner
kunst. Gewiss, er hat die Schattenseiten, die gemeinheiten der breiten masse des
Schauspielerstandes gekannt, aber er konnte den schauspielern am besten helfen,
indem er ihnen, den dolmetschern der ideen genialster menschen, achtung ent-
gegenbrachte, dadurch ihre Selbstachtung hob oder sie zu ihrer Wiederherstellung
zwang und sie so ihre ehre erhalten oder wiederfinden Hess'. — Besonders liebens-
würdig ist Rötscher, wenn er tadeln muss. Die würde der kunst ist ihm da oberstes
gesetz, auf das er sich beruft. — Eines freilich ist als mangel bei Rötscher gerade
als kritiker zu beklagen : er hat keinen humor. Und damit erschwert er sich so
oft das besprechen. Günther sagt sehr richtig (s. 115): 'Wir heutzutage sind des
Spottes in der theaterkritik so satt, dass wir um ein fehlen des spotts bei Rötscher
nicht trauern, aber den humor vermissen wir bei unserm kritiker ungern. Rötscher
hat, obgleich er dem theater viel zu sagen hatte, dennoch wohl überhaupt das
leichte künstlerblut gefehlt. Das ist gewissermassen eine tragik für ihn; denn
Latte er es gehabt, dann hätte er sicher auf den einzelnen theaterkünstler noch
mehr einfluss ausüben können'. — Eine reiche fülle feiner betrachtungen bringen
auch Günthers letzte kapitel über Rötschers Stellung zu den 'grossen gasten', wo
er auch in den ernsten kämpf eintritt gegen das eitle virtuosentum der zeit, seine
Stellung zu theaterleitung und regisseur und zum publikum (vergleich zwischen
Rötscher und Lessing).
WEIMAR. HANS DEVRIENT.
Louis Bran, Hebbel sa personnalite et son oeuvre lyrique, Paris,
librairie Felix Alcan, 1919, XIII, 884 s.
Mit Brun hat sich der dritte Franzose auf das gebiet Hebbelscher dichtung
begeben; und dieser hat sich das sicherlich nicht leichte gebiet Hebbelscher lyrik
zum gegenständ reichlicher forschung ausgewählt. — Der aufbau seines umfang-
ÜBER BRUN, HEBBEL SA PERSONNALITE ET SON OEUVRE I-YRiyUE 323
reichen werkes gestaltet sich folgendermassen: als natürliche ausgangspunkte für
die forsch ung ergeben sich dem Verfasser die drei von Hebbel selbst v er ötf entlichten
gedichtsammluDgen aus den jähren 1842, 1848 und 1857 (teile 11 bis IV von Bruns
darstellung). Da aber Hebbels lyrisches werk im Zusammenhang mit Hebbels per-
sönlichkeit und seiner ästhetischen theorie behandelt werden soll, ergibt sich für
jeden dieser hauptabschnitte eine dreiteilung: Persönlichkeit, ästhetische theorie,
lyrische Produktion. Zum ganzen tritt ein einleitungsteil I, in dessen zwei kapiteln
die Wesselburener zeit und die frühesten gedichte bis zur Übersiedlung nach Ham-
burg behandelt werden. Von einer ästhetischen theorie ist hier noch nicht die
rede, sondern erst von dem momente ab, wo Hebbels eigene 'fortlaufenden' schrift-
liche äusseruDgen in briefen und tagebüchern vorliegen. Ebenso entbehrt der
dreiteilung der Schlussabschnitt V, der auf die analyse des vorherigen die synthese
gibt und eine gesamtstudie über Hebbels verskunst vermittelt. — Innerhalb der
drei gegebenen festen ausgangspunkte geht nun der Verfasser in der behandlung
der gedichte genau chronologisch vor. Nur bei ganzen gruppen, wie z. b. bei 'Ein
frühes liebesieben', 'Dem schmerz sein recht', betrachtungen über 'Gott, mensch,
natur' wird das prinzip der Chronologie durchbrochen und der cyklus als einheit
behandelt, nicht aber ohne dass vorher peinlichst auf die Chronologie der einzelnen
teile hingewiesen worden wäre.
Die behandlung eines dichterischen werkes nach seiner zeitlichen entstehungs-
folge — soweit diese bekannt ist — und im Zusammenhang mit des dichters eigenen
theoretischen äusserungen mag in wissenschaftlicher beziehung vieles für sich haben.
Für Hebbel bleibt mir dieses prinzip sehr fraglich. Schon abgesehen davon, dass
er sein ziel früher erreicht als erkannt zu haben selbst bekennt, gilt auch für ihn
sein über Feuchtersieben gesprochenes wort: 'die dichterische entwicklung hat nun
einmal Stadien, die nicht in einer reinen blute aufgehen, und die das Individuum
dennoch nicht überspringen kann; wer soll sie richtig deuten und würdigen, bevor
das resultat sie erklärte und ins rechte licht rückte'? Wenn irgend ein deutscher
dichter, so verlangt gerade Hebbel einen ganz besonderen masstab der behandlung,
und wenn irgendeine der dichtungsgattungen, in denen er vor das publikum getreten
ist, so die lyrik. Wie man sich daran gewöhnt hat, Hebbels drama rückwärts
schauend, nach erkenntnis seiner pantragischen Weltanschauung und lebensauffassung
zu betrachten, so muss man sich auch für das richtige Verständnis seiner lyrik
daran gewöhnen. In diesem sinne müsste dann, da der mensch, zumal die dich-
terische einzelpersönlichkeit kein mechanisches rechenexempel ist, bei welchem
eines sich, logisch fortschreitend, aus dem vorangegangenen entwickelt, für die
systematische behandlung an stelle des zu äusserlichen chronologischen gesichts-
punktes ein gedanklicher leitfaden in der art und weise einer zentralanalyse treten.
"Wenn man aber die zeitliche entstehungsfolge als richtschnur wählt, wahrt man
den gedanklichen Zusammenhang, auf den es ja doch in erster linie ankommt, nur
unter der einen bedingung, dass man nämlich die einzelne dichtung als abgeschlos-
senes Produkt einer innerlich erledigten lebensstimmung (oder auch als den versuch,
sie zu erledigen) in den allerengsten Zusammenhang mit dem sie bedingenden
erlebnis (auch dem gedanklichen) setzt (vgl. dafür Ph. Witkop, den Brun übrigens
nicht mehr zitiert). — Auf grund eines solchen Vorgehens erhielte man wahrschein-
lich dann auch die möglichkeit, weiterschreitend auf Werners pfaden (bd. 7 der
gesamtausgabe, einleitung) eine erklärung zu versuchen über die art und weise der
Zusammenstellung der einzelnen gedichtsammlungen. Brun geht aber in der je-
324 WEISS-BAS.S
weiligen genese du recueil (yor jeder besprechung der einzelnen Sammlung) still-
schweigend der frage nach einem anordnungsprinzip aus dem wege.
Jedeafalls aber muss ein werk über lyrik auch interpretation geben, zum
Verständnis des gehaltes des einzelnen produktes beitragen. Und immer muss die
interpretation eines gedichtes ausgehen vom erlebnis des einzelnen Stoffes, vielmehr
vom Verhältnis des dichters zu all demjenigen, was er im gegebenen augenblick
aus sich herausstellen und es neuschöpfeud gestalten und formen will. Die art,
wie sie unser Verfasser anstrebt, kann nun aber nicht überall voll befriedigen.
Denn im allgemeinen (wenn er sich bei der erklärung des gedichtes nicht mit einer
einfachen paraphrasierung begnügt) scheint er darunter etwa die aufgäbe zu ver-
stehen, die abhängigkeit eines dichters (seien es die gedanken, die idee oder eigen-
tümlichkeiten der form, die in betracht fallen) von einem andern dichter oder
auch die etwa zufällige ähnlichkeit des einen mit dem andern in bezug auf ihre
Schöpfungen darzulegen. — Wie jeder dichter eine Individualität für sich darstellt,
ein sein für sich ist, das in einem bestimmten milieu lebt und seine wesenseigen-
heit auf ein bestimmtes milieu wiederum sich auswirken lässt, dabei allerdings
aufnimmt, aber das aufgenommene auf seine, nur ihm eigentümliche weise ver-
arbeitet, so muss auch seinem gedichte, in erster linie seinem lyrischen gedichte
(solange es als die ursprüngliche beichte seines Schöpfers zu gelten hat) gleichsam
ganz individuelles leben zugesprochen werden. Dass ein dichter, der dichter zu
sein beginnt, seinen weg erst suchen muss, ist selbstverständlich; ebenso dass er
sich an denjenigen schult, die vor ihm da waren. Schliesslich gewinnt er aber
seine eigene form. Wenigstens dürfen wir das von Hebbel behaupten (vgl. Wit-
kop II 239, 245). Brun scheint es hingegen gar oft dann am wohlsten zu sein,
wenn er Hebbels abhängigkeit (und zwar nicht nur für seine frühzeit) von dem
oder jenem dichter nachweisen zu können glaubt oder wenn er irgend einer ähn-
lichkeit mit einem fremden muster habhaft geworden ist. Öo durchziehen Schillers
und Goethes namen einem roten faden gleich das ganze werk. Besonders Goethe
muss recht oft herhalten, so dass man das gefühl nicht los wird, Hebbels lyrik
solle dadurch zu grösserem ansehen gebracht, wenn nicht gar überhaupt erst ge-
rettet werden. Ähnlichkeiten sind ja wohl in grosser zahl und in frappanter weise
zu konstatieren. Aber weshalb scheut man sich zuzugeben, dass geniale menschen
immer nur das ihnen adäquate aus dem zeitdenken und -fühlen sich aneignen?
Dabei wird an sich durchaus nicht geleugnet, dass zur einkleidung eines eigenen
erlebnisses fremdes muster und fremde färbe oft herhalten und hergehalten haben;
aber wichtig bleibt vor allem (und gerade neben der tatsache, dass ähnliche
Vorstellungen und gefühle bei zwei verschiedenen menschen in der darstellung oft
ähnlichen ausdrucksmitteln rufen) eben das persönliche erlebnis selbst. Was nützt
es z. b. für die interpretation eines gedichtes oder für dessen Verständnis, einen
teil desselben aus dem Zusammenhang herauszureissen und ihn dann einem ebenfalls
aus dem ganzen herausgerissenen teil z. b. eines Goethischen gedichtes an die
Seite zu stellen, um damit eine abhängigkeit zu konstruieren oder ein vorbild zu
finden (Brun 280/1)? Die anstrengungen, Hebbel Goethe zu nähern (s. 236), dürfen
aber kaum mehr ernst genommen werden, wenn ein einziges wort den ausschlag
geben soll (s. 253 anm. 6). — Auch für das versmass müssen Goethe und ühland
herhalten (s. 233 anm. 4). — Wo bleibt da die antwort auf die frage nach Inhalt
iind gehalt des gedichtes?
Dass Brun die betrachtung der Hebbelschen gedichte auf die betrachtung der
ÜBER BRUN, HEBBEL SA l'ERSONNALITE ET SON OEUVRE I.YRIQUE 325
form basieren will (s. 238/9), ist ein guter gedauke, nur hätte er für die durch-
fuhrung präziser gefasst werden müssen. Aber der Verfasser geht sogar der frage,
inwiefern für Hebbel die Unterscheidung lied, bailade, romanze, diverses bedeutung
hat, aus dem wege.
Nach dem beschluss der abhandlung über die Sammlung von 1842 (^wiederholt
für die Sammlung 'Neue gedichte' s. 524—527) kommt Brun auf Hebbels sprachlichen
ausdruck zu sprechen und zieht ziemlich weitgehende folgerungen. Es ist nicht
zu leugnen, dass aucli hier recht interessante dinge auf den plan gebracht werden ;
aber der Verfasser geht entschieden ein wenig weit, wenn er die Originalität eines
dichters oder seines werkes auf gruod einer Untersuchung des sprachlichen aus-
druckes, des stiles und der metrik zu erkennen versucht (s. 361—875). — Vielleicht
bleibt ihm nichts anderes übrig, nachdem er vorher möglichst viel quellen zu den
gedichten zusammengetragen hat! — Es gelingt ihm zwar auf der einen seite,
Hebbel vor der klassierung zu den philosophischen dichtem zu retten (einleuchtender
wäre allerdings die lösuug der noch keineswegs geklärten frage auf grund eines
Vorgehens, das auf den gehalt und die Interpretation des poetischen produktes ab-
stelltj. Auf der andern seite gelangt er aber nur zur bestätigung eines resultates,
das aus der gedanklichen analyse bereits gewonnen worden ist, nämlich dazu, dass
Hebbel nicht einmal im lyrischen gedichte den dramatiker verleugne, was an ver-
schiedenen orten erwähnt und hübsch ausgeführt erscheint (^vgl. s. 429). — Unnötig
wäre immerhin die feststelhing, dass der held iu Hebbels Ijrik Hebbel selber ist
(s. 869).
Überall vermissen wir an solchen stellen eine klare, unzweideutige definition
vom eigentlichen wesen der Hebbelschen lyrik. Sie wäre meines erachtens viel
dienlicher (und käme dem dichter "vvie seinem werke erst eigentlich zu gute) als
die viele mühe,, die darauf verwendet wird, Hebbel den richtigen platz zwischen
Goethe und Schiller anzuweisen, keinem zu nah und keinem zu fern (s. 380). Oder
aber es hätte eine prinzipielle behandlung hergehört, sowohl dieser dichter als
ihrer lyrischen werke, und dann hätte wiederum auf grund dieser eine feste grenze
und sichere Umschreibung des Hebbelschen lyrischen gedichtes erhalten und ein
Standpunkt für seine Interpretation gewonnen werden können.
Ergebnisreicher scheint mir Bruns darstellung der italienischen und der
Wiener periode zu sein, obwohl auch hiezu manches zu sagen wäre. Die behand-
lung der dichterischen reife- und spätzeit schliesst sich wenigstens der tatsache
an, dass sich Hebbel mehr und mehr auf die unverrückbaren formen des sonetts
und des epigramms verlegt. Es wird immerhin bei der behandlung der sonette
eine durchgehende linie sichtbar, die vom begriff 'Schönheit' ausgeht. Vielleicht
hätte noch klarer gezeigt werden müssen, wie Hebbel seit seinen anfangen mit
diesem begriff gerungen hat ; dass er ihn früher philosophisch zu fassen gezwungen
war, als es ihm zufolge seiner unglücklichen lebensverhältnisse versagt blieb, Schön-
heit zu geniessen, während er jetzt diese Schönheit auf schritt und tritt in sich
aufzunehmen fähig geworden ist; dass er es früher nur zum theoretischen begriff
oder nur zur ahnung der lyrischen form gebracht hat, während er jetzt das leere
gefäss mit tatsächlichem leben zu füllen vermag. Und auch hier fehlt noch die
definition des Hebbelschen begriffes 'Schönheit'. Was Brun über die sonette schreibt,
gehört immerhin zum besten in seinem werk (s. 533/4, 536). — Wenig befriedigt
hingegen wiederum die darstellung über das epigramm. Wie mancher forscher vor
ihm bleibt auch Brun dabei stehen, dieses in einen möglichst engen, dabei aber
326 GERING
sehr äusserliclien Zusammenhang mit tagebuchstellen und briefausziigen zu bringen
(s. 56Ü). Er spricht wohl von leitmotiven, die da und dort auftauchen, aber er
vorfolgt sie nicht durchgehend. Und das hängt wiederum viel mit der chrono-
logischen behandhing zusammen, deren mangel gerade hier, wo man es mit der
ganzen fülle Hebbelschen geistes zu tun hat, am fühlbarsten hervortritt. Das
wesentlichste von Hebbels begriff der form und seiner hohen einschätzung ist eben
noch lange nicht erfasst, wenn man in diesen äusserlichkeiten stecken bleibt. In
dem gesetzmässigen bau und in der grundform des aus hexameter und pentameter
zusammengesetzten epigramms liegt für Hebbel schon ein gutes stück seiner Welt-
anschauung.
Im ganzen ist Bruns werk, rein vvissenscliafilich betrachtet, ein überaus
reichhaltiges. So bleibt rühmend zu erwähnen, dass es der Verfasser an Studium
keineswegs hat fehlen lassen. An material hat er so ziemlich alles überhaupt
mögliche zusammengetragen. Jede seite strotzt von zitaten und hinweisen. In
vielen fällen setzt er sich auch kritisch mit ihnen auseinander ; besonders wenn es
sich darum handelt, Tibals rigorosität zu mildern, oder dort z. b. wo er für die
Wienerzeit Bastiers ausführungen entgegentritt, der das Verhältnis Hebbels zwischen
den beiden frauen Elise und Christine als einen den dichter fast verzehrenden
kämpf betrachtet. Für die reichhaltigkeit zeugen auch die bibliographischen bei-
gaben. Im gründe fehlt nur ein praktisches nachschlagsverzeichnis für die gedichte.
Das chronologische leistet den gleichen dienst nicht, da es nicht Hebbels gesamte
lyrische Produktion umfasst. Leider hat allerdings unter dem detailreichtum die
klarheit und Übersichtlichkeit gelitten. Im weiteren hätte man sich aber auch — da
doch einmal ein werk über Hebbels lyrik geschrieben werden musste — noch etwas
mehr als eine nur philologisch-literargeschichtliche arbeit gewünscht. Brun dringt
wohl mit kritischer methode in den stoff ein, aber bei der äusseren erscheinung
bleibt er auch stehen. Er erlebt den kern der dichterischen persönlichkeit nicht.
Wer die liebe zu Hebbel nicht in sich ttägt, dem vermag sie Bruns werk nicht zu
vermitteln.
HASEL. F. WEISS-BASS.
ABWEHR.
Esa s;l vinr ojiruni es vilt eitt segir.
Hövamöl.
Gegen meine anzeige seiner Eddalieder (Zeitschr. 50, 93 ff.) hat E. Sievers
unter der Überschrift 'Rezensentenwahrheit' in Braunes Beiträgen (48, 329 ff.) eine
erwiderung veröffentlicht, die in der anklage gipfelt, dass ich wider das 8. gebot
mich versündigt, d. h. wider besseres wissen unwahre dinge behauptet habe. Ich
bin daher — sehr gegen meinen wünsch — genötigt, zur klarstellung noch einmal
die feder zu ergreifen.
Zunächst habe ich allerdings zu bekennen, dass ich den kurzen passus
(Eddalieder s. 183 fg.), in welchem Sievers über die textgeschiclite von l'rymskvilta,
Hymiskvijja und GripisspQ sich äussert, übersehen oder bei der niederschrift meiner
hesprechung seiner mich nicht mehr erinnert habe. Ich gehöre nicht mehr zu den
jüngsten und mein gedächtnis hat mich leider schon mehr als einmal im stich ge-
ABWEHR 3'27
lassen. Aber Sievers hätte klüger getan, auf diese ausfülinmgen nicht nochmals
.nachdrücklich den finger zu legen. Seine annähme ist nämlich noch weit weniger
wahrscheinlich als meine nur im scherz ausgesprochene hypothese von den beiden
freunden, die die Gripisspö gemeinsam verfasst haben könnten, wie der norwegische
Orkneyjarl Rggnvaldr und der Isländer Hallr Pörarinsson den Hättalykill *. Es
ist unglaublich, dass (öüO jähre vor Sievers!) einem Isländer die klangfarbe eines
norwegischen gedichtes so anstössig erscheinen konnte, dass er infolge dessen zu
einer Umarbeitung sich entschloss. Gesänge isländischer skalden wurden nicht bloss
in Norwegen, sondern auch an den höfen von Lejre und Upsala ohne weiteres ver-
standen, und nirgends ist etwas davon überliefert, dass Sighvatr seine Knütsdräpa
oder Markus Skeggjason seine Eiriksdräpa, ehe er sie vortrug, auf den 'dänischen
meridian visieren' Hess. Noch weniger brauchten natürlich norwegische dichtungen
umgemodelt zu werden, um sie isländischen obren genehm zu machen. Und wenn
ein Isländer wirklich, wie Sievers meint, die norwegische Gripisspö zu islandi-
sieren unternahm, warum hat er dann nicht ganze arbeit gemacht, statt immer
nur einzelne Strophen oder helraingar abzuändern?? Es steht schlecht mit der
Zuverlässigkeit der 'schallanalyse', wenn man zu so verzweifelten hypothesen greifen
muss, um ihre ergebnisse als möglich zu erweisen.
Sonst habe ich von dem, was in meiner rezension gesagt ist, nichts zurück-
zunehmen, vor allem nicht die behauptung, dass in dem texte von Sievers gram-
matische fehler untergelaufen sind.
Zu Hym. 3 * fragt Sievers : 'Sollte Gering wirklich meinen, dies panns = pann es
könne etwa mit 'worin' übersetzt werden?' — er bedient sich also des sophistischen
kunstgriffes, die meinung des gegners von vornherein als indiskutabel zu bezeichnen.
Wie aus dem Eddawörterbuche (sp, 229'*") zu ersehen war, ist Gering allerdings
dieser von Sievers für aberwitzig erklärten ansieht, und der überlieferte text ist
ebenso 'korrektes nordisch' wie z. b. Vm \1^ sä vpllr es ßnnask n'gi at Surtr ok
en sv(jsu (joj) 'die ebene auf der sich S. und die götter zum kämpfe einfinden';
Ls64'' l)ats mik hvatti hugr 'das wozu mein sinn mich reizte'; Pläc. dräpa 7
(Sk. B I, 608) : stap Jxinns flcerpar pverri gop si/ndisk 'die Stätte an welcher ihm
gott erschienen war' usw. usw. ^ - auch hat, soviel ich sehe, noch kein mensch die
steile der Hymiskv. anders verstanden als ich: Sv. Egilsson, Lex. poet. 315b über-
setzt: 'lebetem quo cerevisiam coquam', Finn Magnusen, Den a'ldre Edda II, 61 :
'den kjedel ... hvori hau öl til dem alle brygge künde' — und diese geborenen
1) Es wäre übrigens interessant zu erfahren, ob dieses gedieht die ergebnisse
der schallanalyse, mit deren hilfe man angeblich isländisch und norwegisch reinlich
zu scheiden vermag, bestätigt: es sei daher — gewissermassen um die probe auf
das exempel zu machen — als Untersuchungsobjekt dem schallanalytiker dringend
empfohlen.
2) Dass zu der relativpartikel es oftmals eine präpos. ergänzt worden muss,
ist also eine tatsache, die übrigens jedem Studenten, der nur ein paar semester
altnordisch getrieben hat, geläufig ist. Dass ein gelehrter, der die altgerman.
sprachen in dem masse beherrscht wie E. Sievers, sie nicht gekannt haben sollte,
ist daher undenkbar: der kluge Stratege hat eben eine kriegslist angewandt.
Häutiger wird allerdings, um auch das zu erwähnen, die präpos. in dem nebensatze
später (als adv.) nachgeholt; es wäre also ebenso korrekt zu schreiben: panns ek
o/lum iipr gl i (of) Jieitak, aber von dieser konjektur, die von Sievers' lesung sich
nur durch das minus eines r unterscheidet, wird man doch abstand nehmen müssen,
da nicht der mindeste grund vorliegt, von der hsl. Überlieferung abzuweichen, und
überdies z. 3* und 33* sich gegenseitig schützen.
328 GERING
Isländer wussten ganz gewiss, was 'korrektes nordisch' ist. Überdies bedeutet
heita gl (heita mtingdt) nie etwas anderes als 'hier brauen'* und verständigerweise
muss man annehmen, dass der ausdruck auch an unserer stelle ebenso zu verstehen
ist, (>l also das objekt von heifa sein muss. Sievers dagegen, der mit unrecht pl
in (>lvi ändert, will, wenn ich ihn recht verstehe, übersetzen: 'den kessel, den ich
für euch alle zugleich mit dem biere heiss macheu könnte' — eine unnatür-
liche und verschrobene ausdrucksweise, die dem dichter schlechterdings nicht zu-
getraut werden kann. Der versuch, das fatale plvi als 'sociativeu oder comitativen
instrumental' zu erklären, ist übrigens weiter nichts als eine verlegenheitsausflucht,
nach der Sievers in ermaugelung einer besseren gegriffen hat, um eine verfehlte
konjektur und eine verlorene position zu retten.
Überhaupt wird die kühne behauptung, dass die schallanalyse 'viele schaden
der Überlieferung biossiegen könne' (Sievers, Ziele und wege der schallanalyse,
Leipzig 1924, s. 110) durch seine Eddaausgabe nicht gestützt; diese bezeichnet
vielmehr einen offenbaren rückschritt in der konstituierung des textes, da mehrmals
sinnlose lesarten, die längst durch evidente konjekturen beseitigt sind, wieder reha-
biliert werden, wenn die infallible schallanalj'se nichts wider sie einzuwenden hatte.
hüsi Vsp 17 ^ das Sievers ruhig stehen lässt, ist unmöglich, weil sich der dichter
sicherlich nicht den lächerlichen anachronisraus zu schulden kommen liess, in einer
zeit, wo es noch gar keine menschen gab, das Vorhandensein von menschlichen
Wohnungen anzunehmen. Im hinblick auf den prosabericht der Snorra Edda (I, 52) :
ßn er peir B(>rs si/nir gengu med sctivar strQiidu haben daher schon frühere
herausgeber geändert, aber weder süsi, das Rask einsetzte, ist akzeptabel, da ein
neutr. süs nirgends nachzuweisen ist, noch osi, das Grundtvig vermutete, weil da-
durch gegen die alliterationsgesetze ein vierter vokalischer reimstab in die langzeile
käme. Auch sceiH hat kaum in dem urtexte gestanden, da die entstehung der
korruptel unbegreiflich bliebe. Ich schrieb daher, indem ich einen einzigen
buchstaben änderte, Jn'oni (dat. sg. von hihii, n., das in der bedeutung 'meer'
reichlich belegt ist^), und gegen diese konjektur hat auch der scharfsichtige Sig.
Nordal in seiner trefflichen Studie über die Vgluspä (Arbök häskola Islands 1922—23
s. 51) keinen eiuspruch erhoben, während er die übrigen besserungsvorschläge als
verfehlt abwies. Ich bestreite auch entschieden, dass durch die ersetzung der
Spirans durch die liquida die 'Sprachmelodie' alteriert werde, oder gar, dass uner-
bittliche 'kurven', die überhaupt die freie willensäusserung des menschen aus-
schalten würden, den dichter zwingen konnten, einen baren unsinn zu produzieren.
— Ebenso ist Hym 40* das unerklärliche < eitt hf)rmeifiß > im texte von Sievers
unverändert geblieben, obwohl Sophus Bugge und Jon torkelsson sehr plausible
besserungen empfohlen haben, durch die meines erachteus der rhythmus der zeile
nicht im geringsten modifiziert, den gesetzen des Stabreims dagegen besser rechnung
getragen wird. Ich glaube, dass durch eine kombination der beiden konjekturen
{eitrornimei/n Bugge, eitrh(jrmeiti Jon fork.) der ursprüngliche Wortlaut hergestellt
1) Bei dieser gelegenheit sei bemerkt, dass Jon Porkelsson (Anrasirkn. til
Fritzners ordb. s. 12) Fritzners Übersetzung von /ffrarw?»^^«^ (reisebier) mit unrecht
als falsch bezeichnet.
2) Die Lex. poet. -, 293b gegebenen belege lassen sich vermehren: ste//ptic
hven- at hümi Olafs rimur B 3, 27; eldar hihns 'gold' Friö[). rimurö, 4; telja mätti
Iremiar ßmm \ franstar skeidr ä Jiihni Sturl.' rimur 1, 51; ri'.gla tök med ff nennt
html Sorlarinmr 2, 2.
ABWEHR 329
werden kann: eitrhf»-- (oder eitrhprs) meipi. Die ormkenning eitrhQrr hat ein
genau entsprechendes gegenstück in eitrpvengr Guömundr Galtason str. 1 * = Sk.
B II, 52 ; l'öröar s. hreöu str. 2 * = Sk. B II, 483, und zu der ganzen vetrkenning
finden sich zahlreiche parallelen (Meissner, Kenningar s. 109), die sich aus der
rimur-poesie noch vermehren lassen: linns striö FriöJ). rim. 5, 34: ; väöi uröa laxa
ebda. 4, 67 ; orma sind Grettisr. 6, 34 ; naudr Pjöttu baugs ebda. 6 ** ; varins ptn
FriöJ). r. 4, 40 usw. — wie umgekehrt der sommer als die den schlangen günstige
Jahreszeit bezeichnet wird (Meissner a. a. o.) — und besonders in Zeitbestim-
mungen waren die Winterumschreibungen besonders beliebt: hverja hiins nött
Rekst. 13 * (Sk. B I, 528), naprs ogn alla Hättat. 83 * (Sk. B II, 84) ; orms nauöina
alla FriöJ). r. 3, 61; fjöra ok sex riQdru galla Grettisr. 1, 16; tolf ngöru galla
VqIs. r. 3, 34 ; fimm ok prjär Fdfnes daudasoUir Vgls. r. 3, 15 ; fimm Fäfnis väda
Friö}). r. 4, 33. hverjan eitrJiQnneipi ist also dasselbe wie hvern vetr Hättat. 84 *
(Sk. B II, 84) — und die richtigkeit der konjektur wird überdies durch eine stelle
in Arnors l'orfinnsdräpa 2 ^* * (Sk. B I, 316): orms feile drakk allem . . . fen hrosta . . .
RQgnvcdds ni}}r / gQgnum, die geradezu als eine reminiszeuz au die schlusstrophe
der Hymiskv. angesprochen werden darf, völlig erwiesen. Kenntnis der einschlägigen
literatur wird für den, der konjizieren will, immer die hauptsache bleiben müssen
und jedesfalls wird auch der 'nichtmotoriker', der 'nicht geneigt und nicht geeignet
ist die wege der schall-analyse mitzuwandeln', das recht sich nicht rauben lassen,
Protest zu erheben, wenn die ergebnisse der neuen methode mit grammatik und
metrlk und mit dem gesunden mensch enverstande allzuarg in konliikt geraten.
Vkv 41 '• * haben allerdings, was Sievers bestreitet, verschiedene herausgeber
den überlieferten text:
bip pü BQpvildi meyna brdhvitu
ganga fagrvarij) vip fQpur rojja
geändert: v. d. Hagen und Finnur Jönsson schrieben 4'i gangi fagn-arip und
Heusler (bei Neckel) fagroarpa niey. Also auch diese gelehrten (darunter der
Isländer Finnur Jönsson) haben den nom. neben dem inf. für grammatisch fehler-
haft angesehen und Sievers, der die konstruktion als die 'einzig richtige' bezeichnet,
möge dies durch beibringung analoger fälle beweisen. Wenn man den überlieferten
nom. fagrvarip (nur dieser wird angeblich einer 'grundlegenden intonationsregel'
gerecht) retten will, so muss ganga in gangi gebessert werden : konjunktionslose
nebensätze sind zwar in der älteren zeit nicht häufig, kommen aber vor, vgl. z. b.
Anon. (XII) 22^- « (Sk. B I, 596):
hitt mun rdp, kvap reitinn,
raunsljorir sik pröfi;
Lilja 15' fg. (Sk. B II, 394):
, . . uni)- vip) illa engill . . .
fyrpa sveitin fSdd d jgrpu
fdi par vist, er sjdlfr Jiann misti.
Erst in der poesie der rimur sind sie massenhaft vertreten, z. b. Skiöar. 29 ^- * :
Asölfsggtu ok austr um Skgrö \ cetlag drengrinn pjrammi.
Zu HamJ). 22 * beschwert sich Sievers darüber, 'dass ich die klammer und den
"lückenansatz" kaltblütig gestrichen habe'. Warum ich dies tat, liegt klar auf der
band: die klammer ist absolut unmöglich, weil komip und blopi unbedingt zusammen-
gehören: was sollte sonst aus der brüst der Goten gekommen sein als blutV Der
330 (iEKlNd
überlieferte text ist selbstverständlich korrumpiert, aber es hat nicht ein Schreiber
seine vorläge falsch wiedergejjeben, sondern der mann, der zuerst das lied aus dem
gedächtnisse zu pergament brachte, hat sich des gehörten Wortlauts nicht mehr
genau mnnert; nur den zweiten halbvers hat er richtig behalten, im ersten aber
das ursprüngliche verbum (er wusste nur noch, dass es einen langen o-laut ent-
hielt) durch ein anderes ersetzt. Er schrieb daher l{)gu statt öjm (und daher auch
l blöpi statt bUp). Die von Rask vorgenommene änderung (kotnnn) ist ebenso un-
ziilässig wie die von Neckel (rar komit), denn dann wären die bragnar und die
Gotar identisch, was unmöglich ist, wenn anders die bekannte bemerkung Lach-
manns zum Hildebrandsliede v. 4 (MSD * II, 13) das richtige getroffen hat. Nachdem
Sijmons' Scharfsinn das ursprüngliche öpa gefunden hatte, ist erst durch meine
konjektur dem sinne und dem metrum (es handelt sich um 'schwellverse', s. oben
8. 172 fg.) völlig genüge geschehen: blup bragnar opu | komit ör brjösti Gotna
(die bragnar sind natürlich die rächer Sorli und Ham])er, die Gotar Jgrmunrekks
mannen). So kommt man mit der alten bewährten philologischen methode ' aus
und braucht nicht die requisite des modernen thaumaturgen, die mystischen draht-
figürchen und den seidsfafr (al. t'aktstock) anzuwenden — diese sollten bald-
möglichst 'in der Versenkung verschwinden'.
Zu f*rk 32 * ist nur zu bemerken, dass es vollkommen gleichgiltig ist, ob
mau hinter si/stur ein kouima setzt oder nicht: hin ist immer grammatisch un-
möglich. Es gab auch kein stilgesetz, das den dichter zwang, eine- zeile oder
halbzeile, die schon eipmal vorgekommen war, buchstäblich genau zu wider-
holen: der dichter, der es sich erlaubte, die zweite halbzeile zu verändern, hatte
auch das recht, in der ersten hinas statt hms zu schreiben.
Doch das alles sind schliesslich nur nebendinge: die hauptsache bleibt
der von mir geführte beweis, dass Grp str. 1. 9. 10. 11 usw. usw. ebenso
korrektes fürnyröislag sind wie die übrigen atrophen des gedichtes '-, und
diesen beweis, den er nicht zu widerlegen vermag, hat Sievers vor den lesern der
Beiträge glatt unterschlagen. Ich bin also befugt, den stein, den er nach mir
geworfen hat, in sein eigenes glashaus zurückzuschleudern.
Die 'doppelte bankerotterkläruug' nehme ich nicht tragisch. Wenn alle die
für insolvent erklärt werden sollen, die den neuen theorien von Sievers skeptisch
gegenüberstehen oder sie geradezu ablehnen — es hat allerdings noch keiner gewagt,
sich öffentlich auszusprechen und der katze die schelle anzuhängen — würden 90 7«
der deutschen germanisten von diesem verdikt getroffen werden: das herkömm-
liche missgeschick des propheten (Matth. 13, 57) hat sich wieder einmal erfüllt.
1) Der philolosrischen methode, wie sie z. b. seinerzeit der unvergessliche Eud.
Hildebrand übte. Wie dieser über die moderne physiologisch-phonetische, 'schall-
analysierende' methode gedacht haben würde, darf man aus einem urteil schliessen, das
er in einem erst kürzlich im Euphorion (2>, 16) publizierten briefe an Jul. Zacher
(10. 6. 72) über einen jungen gelehrten gefällt hat, der eben in der Leipziger philologen-
versammlung über die entstehung des umlauts gesprochen hatte: 'der Vortrag war
mir ein recht handgreiflicher beweis, wie man mit der beliebten physiologie
und mit bewusster abweis ung der psychologie. . . mit aller gelehrsam-
keit und Scharfsinn ins leere hinauskommen kann, ganz verfehlt, einfach
unwahr'. — On revient toujours ä ses premiers amours.
2) Ein klassischer philologe, dem jemand einreden wollte, dass im Horazischen
Integer ritae nur die hälfte im metrum Sapphicum, der rest dagegen in einem
andern, bisher ganz unbekannten versmass abgefasst sei, würde den betreffenden
.jemand ohne zweifei für verrückt erklären.
AHWKHK 331
Sievers tröstet sich, wie es scheint, damit, dass er in den Vereinigten Staaten (und
in Norwegen?) beifall erntete - aber gerade der umstand, dass er in dem lande der
unbegrenzten möglichkeiten Zustimmung fand, sollte ihn stutzig machen.
Die Wissenschaft muss sich oft mit einem Ig>iorabimus bescheiden. Wie die
hellenischen rhapsoden Homers gesänge vorgetragen haben, wie Wulfila die bibel-
übersetzung seinen Goten zum gehör bringen Hess und wie die königsskalden ihre
dräpur rezitierten, werden wir niemals ermitteln, da die tradition unterbrochen ist,
die vielleicht nur in Indien bis auf die gegenwart sich fortgeerbt hat, wo noch
heute in den Brahmanenschulen die lieder des Veda nach gewiss uralter melodie
gesungen werden. Die kunst, die menschliche stimme und die musikalischen
töne auf die platte des grammophons zu bannen und von neuem erklingen zu
lassen, ist eben leider 2000 jähre zu spät erfunden ; unsere handschriften aber sind
stumm und keine zaubermacht wird dazu imstande sein, der toten vQlva den mund
zum reden zu öffnen.
Die neueste phase in der wissenschaftlichen forschung von Ed. Sievers, die
seine wahren freunde mit trauer, die neider und gegner mit Schadenfreude ver-
folgen, erinnert in ihrer tragik an die sage von dem bildhauer, der in einer
schwarzen stunde seiü eigenes meisterwerk zertrümmerte. Glücklicherweise ist die
typentheorie auf solider philologischer grundlage so sicher fundiert und verankert,
dass sie den vandalischen hammerschlägen, die der begründer selbst gegen sie
richtet, trotz bieten wird. S i e wird bestehen, während die schallanalyse, die
übrigens, wie es scheint, noch verschiedene häutungen durchzumachen hat*, ihren
«rfinder und herold schwerlich lange überleben wird.
Irren ist menschlich. Auch grosse gelehrte haben sich mitunter gehörig ver-
hauen. Wer glaubt heute noch an die von Jacob Grimm behauptete Identität
<ier Goten und Geten und wer schüttelt nicht heute den köpf über Karl Lach-
manns wunderliche heptadenschruUe? Trotzdem bleiben die beiden männer die
grossen heroen unserer Wissenschaft, zu denen wir mit Verehrung emporschauen.
Und auch Sievers' rühm wird nicht geschmälert, wenn auch 'aus seinem dichten
und vollen ehrenkranze ein paar blätter abfallen'.
Und damit wäre ich für diesmal fertig, obwohl ich noch allerlei auf dem
herzen hätte. Wenn es aber Sievers gefallen sollte, den mir angekündigten 'kämpf
weiter fortzusetzen, wird meine klinge — trotz meiner 77 jähre — stets bereit sein,
der seinigeu zu begegnen — ich habe ja das glück, in dem Sievers der 80ger und
90ger jähre einen vortrefflichen Sekundanten zu besitzen. Möge dann die unpar-
teiische nachweit entscheiden, wer die abfuhr davongetragen hat.
1) Neuerdings (Ziele und wege s. 107) wird schon zugegeben, dass der mensch
nicht wie ein starmatz immer dieselbe melodie pfeift, sondern öfter über mehrere
stimmarten verfügt, die er nicht nur durch Vererbung von vater oder mutter
— warum nicht auch vom onkel: modurbrceönim verda menn likastir? — über-
kommen hat, sondern durch 'anpassung' an fremde personen noch weiter vermehren
kann. Wie man unter diesen umständen die schallanalyse noch als ein wichtiges
hilfsmittel für die textkritik bezeichnen und allen ernstes noch behaupten kann,
durch sie Interpolationen zweifellos ermitteln zu können, ist unbegreiflich.
KIEL. HUGO GEIUXG.
332 NACHRK'HTKN
NACHRICHTEN.
Am 5. Oktober 1928 verstarb zu Kopenhagen der ord. professor an der dortigen
Universität dr. Hermann Möller (geb. 13. juni 1850 zu Jerpsted in Schleswig);
am 28. Oktober der ord. professor an der Universität Marburg dr. Friedrich Vogt
(geb. 11. märz 1851 zu Greifswald); am 15. november der ord. professor an der
Universität Utrecht dr. Joh. Jos. Aloys Arnold Frantzen; am 10. febr. 1924
der als literarhistoriker und altertumsforscher hochverdiente direktor des isländischen
landesarchivs dr. Jon i'orkelsson in Reykjavik (geb. 16. april 1859 zu Äsar im
südl. Island); am 1. april der gelehrte herausgeber der schwedischen runendenk-
mäler, lektor dr. Erik Brate in Stockholm (geb. 13. juni 1857 im kirchspiel Nor-
berg, Västmanland); am 17. april der gymnasialprofessor dr. Paul P i p e r in Altena
(geb. 14. märz 1844 zu Spremberg); am 29. mai der ord. professor an der Universität
Leipzig dr. Albert Koste r (geb. 7. november 1862 zu Hamburg); am 30. mai der
sorgfältige sammler und herausgeber des altschwedischen Sprachschatzes prof. dr.
Knut Fredrik SöderwaU in Lund (geb. am 1. Januar 1842 zu Dräogsered in
Mailands län). In Möller, Vogt und Piper betrauert die Zeitschrift hochgeschätzte
mitarbeiter.
In den ruhestand traten: professor dr. Franz Jostes in Münster (ersetzt
durch professor dr. Arthur H ü b n e r - Berlin) ; professor dr. G u s t a v Ehrismann
in Greifswald (ersetzt durch prof. dr. Wolf gang S t a m m 1 e r - Hannover), prof.
dr. Eduard Sievers in Leipzig (ersetzt durch professor dr. Friedrich Neu-
mann ebenda), professor dr. Barend Sijmons in Groningen (ersetzt durch prof.
dr. J. M. N. Kaptijn -Leiden) und professor dr. Max Koch in Breslau (ersetzt
durch prof. dr. Eud. Unger- Königsberg).
Der ord. professor dr. Dietrich Kralik von Meierswaiden in Würz-
burg, der erst kürzlich von Wien dorthin übergesiedelt war, wurde nach Wien
zurückberufen. Berufen wurden ferner: der ao. professor dr. H. A. Korff (Frankfurt)
als ord. professor der neueren deutschen literaturgeschichte nach Giessen, der privat-
dozent dr. Theodor Baader (Münster) als professor der deutschen philologie
an die neubegründete katholische Universität in Nymwegen und ebendahin als pro-
fessor der neueren deutschen literaturgeschichte professor dr. Wilhelm Kosch
(Freiburg in der Schweiz). Professor dr. Gustav Binz (bisher in Bern) wurde
zum direktor der universitäts-bibliothek in Basel ernannt und erhielt daselbst titel
und rechte eines ord. professors mit dem lehrauftrage für englische philologie und
bibliothekwesen. Den durch den tod von prof. J. J. A. A. Frantzen erledigten
lebrstuhl in Utrecht erhielt professor dr. A. G. van Hamel.
Der ao. professor dr. Robert Petsch in Hamburg wurde zum Ordinarius be-
fördert, der privatdozent professor dr. Julius Schwietering ebendaselbst zum
direktor des kunstgewerbemuseums und des Focke-museums in Bremen ernannt.
Die privatdozenten dr. Wilh. Flemming in Rostock, dr. Helmut de
Boor in Greifswald, dr. Karl Wesle in Jena, dr. Josef Wihan an der deut-
schen Universität Prag und dr. E. Castle in Wien wurden zu ao. professoren
ernannt; den privatdozenten an der Universität Hamburg dr. Heinrich Meyer-
Ben fey und dr. Agathe Lasch wurde die am tsbezeichnung 'professor' verliehen.
Habiliert haben sich: dr. Luise Berthold in Marburg für deutsche philo-
logie und dr. Emil Schwarz in Prag (deutsche Universität) für deutsche philologie
und Volkskunde.
SKVF, KRRrHRrNUN(;EN 333
Professor dr. G u s t a v E li r i s m a n n (Greifswaldj wurde zum korrespon-
dierenden mitgliede der Berliner akademie ernannt, professor dr. Gustav Roethe
(Berlin) zum ehrenmitgliede der finnischen Gesellschaft der Wissenschaften (societas
scientiaruni fennica).
NEUE ERSCHEINUNGEN.
Die redaktion iet bemüht, für alle zur besprechung geeigneten werke aue dem gebiete der german.
Philologie sachkundige referenten zu gewinnen, übernimmt jedoch keine Verpflichtung, unverlangt
eingesendete bücher zu rezensieren. Eine zurückliefer «ng der r e z en s i o n g - e x e m-
plare an die herren Verleger findet unter keinen umständen statt.
Alpers, Paul, Die alten niederdeutschen Volkslieder, gesammelt und mit anmer-
kungen herausgegeben. Hamburg, Quickbornverlag 192^. 260 s. 3,50 m.
Aiuadis. - Mulert, Werner, Studien zu den letzten büchern des Amadisromans.
[Romanistische arbeiten, hrg. von Karl Voretzsch XI.] Halle, Niemeyr 1928.
X, 114 s. Grundpreis 8 m.
Angelus Sileslus sämtliche poetische werke und eine auswahl aus seinen Streit-
schriften, mit einem lebensbilde, hrg. von Georg Ellinger. 2 bände. Berlia
0. j. (1924), Propyläenverlag. CCVH, 265 u. 467 s. geb.
Andler, Charles. — Melanges ofFerts ä M. Ch. Andler par ses amis et ses eleves.
[Publications de la faculte des lettres de l'universite de Strasbourg. 21.] Strass-
bürg, Libr. Istra 1924. (XH), 446 s. 25 frcs.
Inhalt: F. Bälde nsperger, Joseph Görres .sous l'oeil du gurt. — C. A.
Bernoulli, Nietzsches Intellektualismus. — F. Bertaux, L'Allemagne de
Guillaume II jugee en 1889 par un AUemand. — G. Bianquis, Goethe et Bettina
d'apres leur correspondence authentique. — L. Brun, Rolf Lauckner poete et
theoricien de la nostalgie. — M. Cahen, L'adjectif 'divin' en germanique. —
A. ,Ooeuroy, Petites notes sur les touches musicales de l'impressionisme et
du symbolisme allemands. — P. Doli et P. Doyen, Les theme.s lyriques de
Mörike. — J. Dresch, Du nouveau sur Börne. — A. Duraffour, Les consi-
derations de Montesquieu dans leurs rapports avec Bossuet et Polybe. —
A. Faueonnet, Simples remarques sur l'enseignement de la phonetique alle-
mande. — J. Giraudoux, Siegfried et le Limousin. - A. Jolivet, La
Winterballade de Gerh. Hauptmann et Herr Arnes penningar de Selma Lagerlöf.
— G. Lanson, Notes pour servir ä l'etude des chapitres 35-39 du Siecle
de Louis XIV de Voltaire. - E. H. L e v y , Langue des hommes et lanque des
femmes en judeo-allemand. -A. Levy-See, La force et le droit d'apres Ferd.
Lassalle. - H. Lichtenberger, Nietzsche et la 'Crise de l'histoire'. -
M. Mauss, Gift, gift. - A. Meillet, Ä propos du verbe wec/en et des sub-
stantifs ira(/en, weg en allemand. - E. Metzger, La mutilation des morts.
Contribution ä l'etude des croyances et rites funeraires des Germains. —
G. Pariset, Babouvisme et ma?onnerie. — R. Pitrou, Cpincidences entre
Th. Storm et P. Loti. - J. Poirot, Sur l'articulation des nasales islandaises.
- G. Raphael, Les Shakespearestudien d'Otto Ludwig et le Shakespeare de
Gervinus. — J. Rouge, Lessing et la philosophie du sentiment. - A. Thomas,
Quelques notes sur Robert Owen et la legislation internationale du travail. —
A. Tibal, L'influence allemande en France an temps du lomantisme. —
y34 NKUE ERSCHEINUNGEN
E. Tonnelat, Le roi Orendel et la tunique sans couture du Christ. —
H. Tronchon, Une concnrrence k la philosophie de l'histoire en France: La
Philosophie du droit. — J. Vendryes, A propos de la racine germanique
* fmd- ^aMumer, brüler'. — E. Verraeil, Eeforme Lutherienne et civilisation
allemande. — A. Vulliod, Le probleme du mal dans IVeuvre dramatique de
Gerh. Hauptmann. — E. Zyromski, La methode poetique d'Alfred de Vigny.
ßehaghcl, Otto, Deutsche syntax. Eine geschichtliche darstellung. Band IL Die
Wortklassen und wortformen. B. Adverbiuni. C. Verbum. [German. bibliothek
hrg. von W. Streitberg. I, 10.] Heidelberg Winter 1924. XIT, 444 s.
10 goldm.
lilöndiil, Sigfüs, Islandsk-dansk ordbog. (Hovedmedarbejdere: Björg t*. Bio n dal,
.Jon Ofeigsson, Holger Wiehe.) 2. halvbind, 1. hsefte. Leggja— skessa.
Reykjavik, Kebenhavn og Kristiania, s. 481-720. 1922-23 gr. 4.
Briiiihild-sage. — Löwis of Menar, August, Die Brünhildsage in Russland.
[Pala-stra 142.] Leipzig, Mayer & Müller 1923. 110 s.
Cysarz, Herbert, Deutsche barockdichtung. Renaissance, barock, rokoko. Leipzig,
H. Haessel 1924. (VIII), 812 s. geb.
van Dam, Jan, Zur Vorgeschichte des höfischen epos : Lamprecht, Eilhart, Veldeke.
[Rhein, beitrage und hilfsbücher zur german. philol. und volksk., hrg. von
'Jh. Frings, R. Meissner und J. Müller. VIIL] Bonn und Leipzig,
Kurt Schröder 1923. XV, 132 s.
Eccius dedolatus. — Merk er, Paul, Der Verfasser des Eccius dedolatus und
anderer reformationsdialoge. Mit einem beitrag zur verfasserfrage der Epistolae
obscurorum virorum. [Sächsische forschungsinstitute in Leipzig. Forschungs-
institut für neuere philologie. IL Neugermanistische ableitung unter leitung
von Albert Koste r. Heft L] Halle, Niemeyer 1923. XIII, 314 s. Grund-
preis 10 m.
Edda (S*muiidar). — Hä v am äl tolket af Finnur Jönsson. Kobenhavn, G. E. C. Gad
1924. 170 s.
Edda Snorra Sturlusonas. Codex Wormianus (AM. 242 fol.) udg. af kommissionen
for det Arnamagnfeanske legat [ved Finnur Jönsson]. Kobenhavn og
Kristiania, Gyldendal 1924. IX, 122 s.
Feist, Sigmund, Etymologisches Wörterbuch der gotischen spräche mit einschluss
des krimgotischen und sonstiger gotischer sprachreste. 2. neubearbeitete auf-
läge. Halle, Niemeyer 1923. XV, 448 s.
Fiscliart. — Boss, Hugo, Fischarts bearbeitung lateinischer quellen. I. Fischarts
Onomastica und seine quellen. II. Fischarts Übersetzung von Wolfgang Lazius'
De gentium migrationibus. [Prager deutsche Studien, hrg. von E. Gier ach,
A. Hauffen und A. Sauer. 28.] Reichenberg i. B., Sudetendeutscher verlag
(Franz Krauss) 1923. (IV), 25 s.
Föstbropöra saga. — Die Schwurbrüder. Übertragen und mit einer einführung
hrg. von Walter Baetke. [Bauern und beiden. Geschichten aus Alt-Island.
IL] Hamburg, Hanseat. Verlagsanstalt 1924. 144 s., 1 karte und 4 abbild.
Fowler, F. G. & H. W., The pocket Oxford dictionary of current English. Oxford,
Clarendon press 1924. XVI, 1000 s. geb.
Friiiicke, Kiiuo, Die kulturwerte der deutschen literatur in ihrer geschichtlichen
entwicklung. 2. band: Die kulturwerte der deutschen literatur von der refor-
NEUE ERSCHEINUNGEN 335
mation bis zur anfklärung. Berlin, Weidmann 1923. XIV, 688 s. geb. Grund-
preis 9 m.
Gemoll, Wilhelm, Das apophthegma. Literaturhistorische Studien. Wien und
Leipzig, Höider-Pichler-Tempsky a. g. ; G. Freytag, g. m. b. h. 1924. VIII,
178 s. 5,60 m.
Gepp, Edward, An Essex dialect dictionary. 2. ed. London, George Eoutledge & sons
1923. (VI), 198 8. geb. 10 sh. 6 d.
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keley 1923. (II), 95 s.
— Seh regle, Hans, Goethes Gottfried von Berlichingen. [Handbücherei für den
deutschen Unterricht, hrg. von Franz Saran. I. reihe. Deutschkunde. IV.]
Halle, Niemeyer 1923. (IV), 168 s. Grundpreis 2 m.
— Seuffert, Beruh., Goethes theaterroman. Festtagsgruss an Konrad Zwierzina.
Graz, Wien, Leipzig, Leuschner und Lubensky 1924. 44 s.
Gottfried von Strassburg. — Wolff, Ludwig, Der Gottfried von Strassburg
zugeschriebene Marienpreis und Lobgesang auf Christus. [Jenaer germanist.
forschungen, herausgegeben von A. Leitzmann. 4.] Jena, Frommannsche buch-
handlung (Walter Biedermann) 1924. (VI), 136 s.
Grimm, Brüder. — Briefe der brüder Grimm, gesammelt von Hans Gürtler,
nach dessen tode hrg. und erläutert von Albert Leitzmann. Mit 2 ab-
bililungen und 2 facsim. [Jenaer germanist. forschungen, hrg. von A. Leitz-
mann. 1.] Jena, Frommannsche buchh. (W. Biedermann) 1923. XII, 320 s. ■
Grundpreis 8 m.
Haller, Albrecht von, Gedichte. Kritisch durchgesehene ausgäbe nebst einer
abhandlung 'Haller als dichter' von Harry Maync, [Die Schweiz im deutschen
geistesleben. 23 u. 24.] Leipzig, H Hiessel 1923. Kl. 8. 235 s. gebunden.
Grundpreis 5,40 m.
Hamel, A. G. ran, Gotisch handboek. [Oudgermaansche handboeken onder redactie
van R. C. Boer, J. J. A. A. Frantzen, J. te Winkel. III.] Haarlem,
H. D. Tjeenk Willink & zoon 1923. XV, 259 s. und 1 facsim. geb.
Hebbel. — Fr. Hebbels persönlichkeit. Gespräche, urteile, erinnerungen, ge-
sammelt und erläutert von Paul Bornstein. 2 bände. Berlin, Propyläen-
verlag 1924. XXXVIII, 630 und (VIII), 570 s. geb.
— Schnyder, Walter, Hebbel und Rötscher unter besonderer berücksichtigung
der beiderseitigen beziehungen zu Hegel. [Hebbel-forschungen begründet von
R.M.Werner. 10.] Berlin u. Leipzig, B. Behr 1923. 158 s. Grundpreis 3 m.
Hoffmann-Krayer, E., Volkskundliche bibliographie für das jähr 1920. Im auf-
trage des Verbandes deutscher vereine für Volkskunde herausgegeben. Berlin
und Leipzig, W. de Gruyter & co. 1924. XVIII, 212 s. 6 m.
Hölderlin. — Montgomery, Marshall, Friedr. Hölderlin and the German
neo-hellenic movement. Part I. From the Renaissance to the Thalia-fragment
of Hölderlins Hyperion (17. 4). Oxford univ. press. 1923. VIII, 232 s. 10 sh. 6 d.
Howie, Margaret D., Studies in the use of exempla. I. The use of exempla in
middle high german literature. IL The legend of the virgin as knight. London,
University-press 1923. 130 s. 5 sh.
Jespersen, Otto, The philosophy of grammar. London, G. Allen & Unwin (New-
^ York, Henry Holt and comp.) 1924. 359 s. geb. 12 sh. 6 d.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOL.OGIE. BD. L. 23
336 NEUE ERSCHEINUNGEN
JolianuessoD) Alexander, Grammatik der uruordischen runeninschriften. [German.
bibl., hrg. von W. Streitberg I, 11.] Heidelberg, Winter 1923. VIII, 136 8.
Jönsson Finnur, Den oldnorske og oldislandske litteraturs historie. Anden ud-
gave. Kobenhavn, G. E. C. Gad 1920-24. 3 bände. (VIII), 635; (VIII),
994; (VIII), 147 s.
Keller, Gottfried. — Maync, Harry, Gottfr. Keller, sein leben und seine werke. Ein
abriss. [Die Schweiz im deutschen geistesleben. 20.] Leipzig, H. Haessel
1923. 90 s. kl. 8. geb. Grundpreis -^70 m.
Kock, Axel, Svenak Ijudhistoria. Femte delen, förra hälften. Lund, C. W. K. Gleerup
(Leipzig, 0. Harrassowitz) 1923. (II), 234 s. 4,50 kr.
Kock, Ernst A., Notationes norroenae. Anteckningar tili Edda och skaldediktning.
I-IIL [Lunds univ. ärsskrift, n. f. Avd. 1. bd. 19 nr. 2. 8; bd. 20 nr. 1.]
Lund, Gleerup (Leipzig, 0. Harrassowitz) 1923-24. (IV), 107; (11), 68; (II),
126 s. 8,75 kr..
Konrad von Heluisdorf, Der spiegel des menschlichen heils, aus der St. Gallener
hs., hrg. von Axel Lindqvist. [Deutsche texte des mittelalters. XXXI.]
Berlin, Weidmann 1924. XXVIII, 118 s. u. 1 facsim. 9 m.
Konrad von Würzburg, Kleinere dichtungen hrg. von Ed w. Schrö der. I. Der
weit lohn. Das herzmaere. Heinrich von Kempten. Berlin, Weidmann 1924.
XXIV, 72 s.
Krohn, Kaarle, Skandinavisk mytologi. Helsingfors, Holger Schildt 1922. VIII, 229 s.
Luther. — Schullerus, Adolf, Luthers spräche in Siebenbürgen. Forschungen
zur siebenbürgischen geistes- und Sprachgeschichte im Zeitalter der reformation.
1. hälfte. Hermannstadt, komm.-verlag W. Krafft 1923. '<^96 s.
Manuel Mklaus, Die totenfresser (1523). Zum erstenmal nach der einzigen alten
handschrift, hrg. und eingeleitet vou Ferdinand Vetter. [Die Schweiz im
deutschen geistesleben. 16.] Leipzig, H. Haessel 1923, kl. 8. 89 s. u. 1 portr.
geb. Grundpreis 2,70 m.
Mitteilungen der schlesischen gesellschaft für Volkskunde, hrg. von Th. Siebs.
XXIV. Breslau, Marcus 1923. IV, 160 s.
Inhalt: W. Kroll, Der geistige niedergang der altertums. — E. Korne-
mann, Die geschwisterehe im altertum. — H. Wocke, Beiträge zum Wörter-
buch der Soldatensprache. — H. Heckel, Zur schlesischen literaturgeschichts-
schreibung. — B. May dorn, Proben zu einem Günther wörterbuche. —
J. Klapper, Mittelalterliche Wandererzählungen in Oberschlesien. — F. Rotter,
Zur kenntnis deutscher flur- und Ortsnamen — K. Roth er. Die flurnamen im
gebiete des klosters Cameuz. — G. Schoppe, Beiträge zum schlesischen
Wörterbuch. — W. Schremmer, Vom weberaufstand im Eulengebirge. —
Derselbe, Das erntekranzlied. — Fr. Graebisch, Sang und lust im Glatzer
dorf zu grossvaters zeiten. — Fr. Rotter, W^ermsdorfer adventspiel. — Lite-
ratur. — Mitteilungen.
Mogk, Eugen, Novellistische darstellung mythologischer stoffe Snorris und seiner
schule.' [FF Communications XV nr. 51.] Helsingfors 1923. 33 s.
Müller, Josef, Rheinisches Wörterbuch, im auftrag der preuss. akad. d. wiss., der
gesellsch. f. rhein. geschichtskunde und des provinzialverbandes der Rhein-
provinz auf grund der von J. Franck begonnenen, von allen kreisen des rhein.
Volkes unterstützten Sammlung herausgegeben. 1. band, 1. lieferung. A— als.
Bonn und Leipzig, K. Schröder 1923. VI s. u. 128 sp. gr. 8.
NEUE ERSCHKINUNGKN 337
Neidharts lieder, hrg. von Moriz Haupt. 2. aufl., neu bearb. von Edmund
Wies sn er. Leipzig, Hirzel 1923. LXXIX, 365 s. 8 m.
Nibelungenlied. — Bälint Höman, Geschichtliches im Nibelungenlied. [Ungar.
bibliothek I, 9.] Berlin und Leipzig, W. de Gruyter & co. 1924. 48 s. 1,50 m.
Noreen, Adolf, Värt spräk. Nysvensk grammatik i utförlig framställning. IX, 1.
Lund, Gleerup 1^23. 88 s. 3,25 kr.
— Ältisländische und altnorwegische grammatik (laut- und flexionslehre) unter
berücksichtigung des urnordischen. 4. vollständig umgearbeitete aufläge. Halle,
Niemeyer 1923. XVI, 466 s. Grundpreis 10 m.
Ordbok over det danske sprog grundlagt af Verner Dahlerup med understöttelsc
af undervisningsministeriet og Carlsbergfondet udg. af det Danske sprog- og
litteraturselskab. 6. bind, fri— gramvsegt. Kobenh., Gyldendal 1924. II s. u. 1248 sp.
Otfrid. — Jellinek, M. H., Otfrids grammatische und metrische bemerkungen.
[Sonderdruck aus der festschrift für Konr. Zwierzina.] Graz, Wien, Leipzig,
Leuschner u, Lubensky 1924. 16 s.
Poestion, J. C, Lehrbuch der schwedischen spräche. 4. aufl. Wien, A. Hart-
leben 0. j. XII, 188 s. geb. 2 m.
Bebui, Walther, Das werden des renaissancebildes in der deutschen dichtung vom
rationalismus bis zum realismus. München, C. H. Beck 19^4. (VIII), 192 s. 5 m.
Eoderich-sage. — Krappe, Alex. Haggerty, The legend of Rodrick last of
the Visigoth kings and the Ermanarich cycle. Heidelberg, Winter 1923. 64 s.
Grundpreis 2 m.
ßnnen. — Östergötlands runinskrifter granskade och tolkade av Erik Brate.
3je haftet. Stockholm, Wahlström & Widstrand 1918. S. I-XXXIV, 185-268,
taf. LXVII-XCI u. 1 karte. 4". 12 kr.
— Södermanlands runinskrifter granskade och tolkade av Erik Brate. Utgivna
med anslag av Bergerska fonden. Första haftet. Stockholm, Wahlström & Wid-
strand 1924. 4». 136 s. und 77 taff. 25 kr.
— Friesen, 0. v., Röstenen i Bohuslän och runorna i norden under folkvandrings-
tiden. [üppsala univ. ärsskr. 1924. 4.] Uppsala, Lundekvistska bokhandeln
1924. 165 8., 2 taf. u. 2 karten. 6 kr.
Rnodlieb. - Singer, S., Ruodlieb. [Sonderdruck aus der festschrift für Konr.
Zwierzina.] Graz 1924. 23 s.
Kutgers, H. W., Märchen und sage. Bemerkungen über ihr gegenseitiges Ver-
hältnis, mit besonderer rücksicht auf die Sigfridsagen. Groningen u. Haag,
J. B. Wolters 1923. (IV), 91 s.
Sachs, Hans. -Herrmann, Max, Die bühne des Hans Sachs. Ein offener brief
an Albert Köster. Berlin, Weidmann 1923. 92 s. Grundpreis 2 m.
Schlegel (Gebrüder). — Körner, Josef, Romantiker und klassiker. Diebrüder
Schlegel in ihren beziehungen zu Schiller und Goethe. Berlin, Askanischer
Verlag 1924. 239 s. geb.
Schmidt, Erich, Richardson, Rousseau und Goethe. Ein beitrag zur geschichte
des romans im 18. Jahrhundert. Obraldruck der ausgäbe von 1875. Jena,
Frommann 1924. VIII, 331 s. u. 1 portr. geb. 7,50 m.
Schwarz, Ernst, Zur namenforschung und Siedlungsgeschichte in den Sudeten-
ländei-n. [Prager deutsche Studien. 30.] Reichenberg i. B., Franz Kraus 1923.
(VI), 123 s.
Seiler, Friedr., Die entwicklung der deutschen kultur im spiegel des deutschen
23*
338 NEUE ERSCHEINUNGEN
lehnworts. III. Das lehnwort der neueren zeit. 1. abschnitt. 2. aufläge. Halle,
Waisenhaus 1924. XII, 862 s. 8 m.
— — VIII. Das deutsche lehnsprichwort. 4. teil: Das deutsche sagwort und anderes.
Halle, Waisenhaus 1924. (VI), 176 s. 4 m.
Singer, Samuel, Die dichterschule von St. Gallen. Mit einem beitrag von Peter
Wagner: St. Gallen in der musikgeschichte. [Die Schweiz im deutschen
geistesleben. 8.] Leipzig, H. Haessel 1922. kl. 8. 96 s. geb. Grundpr. 2,70 m.
Sperber, Hans, Einführung in die bedeutuugslehre. Bonn u. Leipzig, Kurt Schröder
1923. IV, 96 s.
Stammler, Wolfgang. Deutsche literatur vom naturalismus bis zur gegenwart,
[Jedermanns bücherei.] Breslau, Ferd. Hirt 1924. 141 s. geb. 2,60 m.
Tauler, Johann, Predigten. In auswahl übertragen und eingeleitet von Leopold
Naumann. Leipzig, Inselverlag 1923. 262 s. geh.
— Sermons de J. Tauler et autres ecrits mystiques. I. Le codex Vindobonensis 2744
edite pour la premiere fois . . . par A. L. Cor in. [Bibliotheque de la faculte
de Philosophie et lettres de l'universite de Liege, fasc, XXXIII. ] Liege, Imp.
•H. Vaillant-Carmanne : Paris, Ed. Champion 1924. (XI), XXXI, 328 s.
Terner, Erik, Studier över räkneordet en och dess sekundära användningar, förnämli-
gast i nysvenskan. Uppsala, Akademiska bokhandeln i distr. 1922. VIII, 234 s. 8 kr.
Tristansage. — Kelemina, Jakob, Geschichte der Tristansage nach den dich-
tungen des mittelalters. Wien, Ed. Hölzel 1923. XV, 232 s.
Victor, Karl, Geschichte der deutschen ode. [Geschichte der deutschen literatur nach
gattungen. Mit Unterstützung von Hans Naumann und Franz Schultz
hrg. von Karl Vietor. L] München, Drei maskenverlag 1923. (VIII), 198 s.
Viga-Ghims saga. — Glum der totschläger. Übertragen und mit einer einführung
hrg. von Walter Baetke. [Bauern und beiden. Geschichten aus Alt-Island. L]
Hamburg, Hanseat. Verlagsanstalt 1923. 118 s., 1 karte und 6 abbild.
Von deutscher art und kunst. Ed. by Edna Purdie. Oxford, Clarendon press
1924. 196 s. geb. 5 sh.
Walther von der Vogelweide. — Kraus, C. v., Zu Walthers elegie. [Sonder-
druck aus der festschrift für Konr. Zwierzina.] Graz, Wien, Leipzig, Leuschner
und Lubensky 1924. 13 s.
Wieland. — Ermatinger, Emil, Wieland und die Schweiz. Leipzig, H. Haessel
1924. 110 s. kl. 8» geb.
Witkowsky, Georg, Textkritik und editionstechnik neuerer Schriftwerke. Ein
methodologischer versuch. Leipzig, H. Haessel 1924. (VIII), 169 s. 5 m.
Wolfram von Eschenbach. — Gahmuret Anschevin. A contribution to the study
of W. V. E. by Margaret F. Richey. Oxford, B. Blackwell 1923. (VI), 96 s.
Wunderlich, Hermann und Reis, Hans, Der deutsche satzbau. 3. vollständig
umgearbeitete aufläge. 1. band. Stuttgart und Berlin, J. G. Cotta nachf. 1924.
XHI, 469 s. 8 m.
Der bericht über die Verhandlungen der germanistischen section
auf der philologen-versammlung von 1923, der mir von einem koUegen in Münster
fest zugesichert war, ist mir trotz dringender mahnung bis jetzt nicht zugegangen.
Er wird, falls er nachträglich noch geliefert werden sollte — worauf ich im vertrauen
auf den alten sprach: 'Ein mann, ein wort' noch immer hoffe — im nächsten hefte
erscheinen. H. Gering.
^
^
■'¥i
HUGO GERING
In der nacht vom 2. auf den 3. februar 1925 ist Hugo Gering im
78. lebensjahr einem tückischen krankheitsanfall erlegen. Am 6. februar
haben die Kieler professoren dem sanft entschlafenen kollegen das
letzte geleit gegeben, über seinem grab haben sich die fahnen der
Kieler Studenten und der kampfgenossen von 1870-71 gesenkt und
nun ruht der willensstarke und arbeitsame mann von seines lebeus
zielbewusster fahrt. Ein holdes geschick hat es ihm vergönnt, seine
bestimmuiig zu erfüllen.
Carl Theodor Ludwig Hugo Gering war am 21. September 1847
in Westpreussen auf dem im kreis Briesen gelegenen landgut Heinrichs-
berg (Lipienica) geboren. Das in der preussischen geschichte vor andern
Provinzen .ausgezeichnete land, auf dessen boden Gerings wiege stand,
hat seiner menschlichen art das gepräge verliehen, denn der deutsche
gelehrte, dessen hingang wir betrauern, ist nicht nur von geburt, sondern
mit leib und seele Preusse gewesen und wahrscheinlich hat keiner
der schmerzen so tief in sein leiderprobtes gemüt sieh gebohrt als der
täglich sich erneuernde kummer über den die sonne seines geistes, die
grossmacht Preussens verfinsternden ausgang des Weltkriegs, der unsern
freund mit der schweren not belastete, einen heissgeliebten, auf dem
fehle der ehre gefallenen söhn dem vaterlande zu opfern und trotz-
dem Westpreussens heimatliche erde unter die botmässigkeit des ver-
hasstesten der feinde fallen zu sehen. In diesem lande seiner geburt
ist H. Gering mit preussischer zucht und dienstwilligkeit, mit dem
drang zu gewissenhaftester Pflichterfüllung und mit dem pathos seines
natiohalbewusstseins begabt worden, das für ihn das fundament seiner
lebensgestaltung und die urquelle der ernstesten seiner entschlüsse
war. Wenn einer unter uns, so war H. Gering stolz darauf, ein Preusse
und ein Deutscher zu sein.
Die berufswahl war die erste frucht solcher gesinnung. Denn
die deutsche philologie, der er sich widmete, war in seinen äugen die
nationale Wissenschaft. Als solche dünkte ihm nur sie seinem wesen
gemäss und die ihn kannten, bewahren den köstlichen eindruck, dass
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. L,
24
340 KAUFFMAXN
bei H. Gering nicht nur die berufswahl, sondern die gesamte berufs-
tätigkeit eine ausdrucksform seines Charakters war.
Zunächst besuchte er in Thorn und in Kulm das gymnasium,
verliess es im herbst 1867 mit dem zeugnis der reife, um in Leipzig
die färben der deutschen burschenschaft anzulegen und philologie zu.
studieren. Auf dem gymnasium war bei ihm die andacht zum klassi-
schen altertum erweckt worden und in dieser Stimmung zog er, gleich
seinem landsmann und spätem Kieler kollegen Oskar Erdmann nach
Leipzig, später nach Bonn und nach Halle, um Vorlesungen aus dem
gebiet der klassischen und germanischen philologie zu hören (Zeitschr. 28,
228 f.). Sonst hielt er sich nur noch 'zur deutschen geschichte und
zur nationalökonomie ; er nannte Biedermann und Sybel, Röscher und
Schmoller unter seinen lehrern, denn das Interesse am Staat, seiner
Verfassung, Verwaltung und Wirtschaft schien ihm eingeboren zu sein
und war jedesfalls weit stärker als die anziehungskraft der philo-
sophie, mit der er sich nie zu befreunden vermochte. Aber der
mächtigste impuls kam vom deutschen und vom klassischen altertum.
In Leipzig Hess er sich seit 1867 von Ritschi und Overbeck für das
erlebnis griechischer Schönheit und römischer kraft weihen- als er
zum Sommersemester 1870 nach Bonn verzog, um am sonnigen Rhein
sein burschentum auszutoben, trieb er klassische philologie bei Bernays
und bei Bücheier und setzte nach dem krieg diese Studien in Halle
bei Keil fort. Der ertrag war eine ungewöhnliche Vertrautheit mit
griechischer und lateinischer spräche und dichtung; diese bildungs-
elemente sind dem werdenden Germanisten unentbehrlich gewesen und
haben ihm ausgezeichnete dienste geleistet, als er von der klassischen,
zur deutschen philologie abgeschwenkt war.
Schon in Leipzig hatte die 'sprudelnde lebendigkeit' Friedrich
Zarnckes ihn gefesselt, in Bonn hatte er bei Birlinger und Simrock
weitere anregung für das deutsche fach gesucht, aber erst das jähr
1870-71 hat die entscheidende wendung gebracht. Als der deutsch-
französische krieg ausbrach, verliess der Student sofort die rheinische
Universität und trat am 24. juli in das zu Thorn garnisonierende in-
fanterieregiment 61 als kriegsfrei williger, rückte am 9. September ins
feld, empfing in der gegend von Mars la Tour die feuertaufe, machte
die zernierung von Metz, die belagerung von Paris und den marsch
des 3. armeekorps nach süden mit, bis er am 14. januar 1871 beim
Oberkommando der südarmeein den bureaudienst überging. Im juui 1871
ist er wieder daheim, die brüst geschwellt von der grosse der tat, deren
das deutsche volk unter Preussens königlicher f ührung fähig gewesen
HUGO GERING 34t
war. Es ist für den jugendlichen patrioten in hohem grad bezeichnend,
dass dieser krieg, den er mitgemacht, in ihm den entschluss zeitigte,
nicht das Studium der Griechen und Römer, sondern das der Ger-
manen zu seinem lebensberuf zu machen und die akademische lauf-
bahn ins äuge zu fassen. Mit dieser absieht hat der 24jährige bnrschen-
schafter im herbst 1871 die Universität Halle bezogen, die seine alma
mater werden sollte.
In Leipzig und Bonn hatte er sich bei Curtius, Brockhaus und
Gildemeister mit vergleichender Sprachwissenschaft und namentlich
auch mit dem sanskrit beschäftigt, in Halle führte ihn Pott in die ver-
gleichende grammatik der germanischen sprachen ein und wenn auch
H. Gering nach 'philologen'art den sprachvergleichern nicht sonderlich
gewogen war (Zeitschr. 7, 107), so kannte er doch ihre methoden,
wusste, was sie geleistet hatten und versäumte nicht, auf ihren pfaden
seinen grammatischen horizont zu erweitern.
Das Studium der literaturgeschichte ist ihm von Zarncke und
Biedermann in Leipzig, von R. Hajm in Halle erschlossen worden.
Das amt des philologen im grammatischen und im literarischen
bereich hat ihm Julius Zacher eingeprägt. Man darf wohl sagen, dass
Friedrich Zarncke seine philologische gesinnung geformt hat, denn sein
leben lang ist H. Gering Zarnckesch liier geblieben und hat unzwei-
deutig gegen das andere lager Stellung genommen, das die führung
innerhalb der germanistik beanspruchte. Aber seit 1871 trat der jünger
dieser Wissenschaft unter die massgebende leitung von Zacher in Halle.
Er war's, der seines Schülers arbeitsweise am nachhaltigsten bestimmte.
Mit rührender pietät und unwandelbarer treue hat H. Gering stets
dieses väterlichen freunds gedacht. Er ist auch als dozent in seine
fusstapfen getreten, nachdem er bei Zacher am 18. dezember 1873 mit
der dissertation 'Über den syntaktischen gebrauch der participia im
gotischen' promoviert hatte, die dem lehrer in dankbarer Verehrung
gewidmet im 5. band der von Ziicher herausgegebenen Zeitschrift für
deutsche philologie veröffentlicht wurde. Die verdienstliche bearbeitung
des themas legt zeugnis davon ab, wie sehr die Verbindung klassischer
und deutscher philologie ihm zu statten kam, denn nur die ausgiebige
berücksichtigung des griechischen grundtextes der gotischen bibel
konnte befriedigende resultate zeitigen. Der junge doktor setzte in der
ihm gewiesenen richtung seine forschungen fort, erwies nach dem ab-
schluss seiner Studiensemester durch gelehrte anzeigen in Zachers Zeit-
schrift die Sorgfalt seiner arbeit und habilitierte sich am 11. märz 1876
in Halle für deutsche philologie mit der abhandlung 'Die kausalsätze
24*
342 KAUFFMANN
und ihre partikeln bei den althochdeutschen Übersetzern des
8. und 9. jahrliunderts' und mit einer antrittsvorlesnng über die deutsche
literatur desselben Zeitraums. Seine lehrtätigkeit, die er alsbald eröffnete,
beschränkte sich anfangs aufs gotische, weitete auf das althochdeutsche,
namentlich aber auch auf das angelsächsische sieh aus, dem
H. Gering oftmals in Vorlesungen und Übungen sich gewidmet hat.
Aber schon 1877 ist er entschlossen, seine hauptkraft auf das nordische
fach zu konzentrieren.
Familienüberlieferungen scheinen dabei mitgewirkt zu haben.
Denn die Gerings waren schwedischer abkunft, im 18. Jahrhundert
nach Pommern eingewandert und von hier nach Westpreusseu über-
gesiedelt; den schwedischen und pommerschen beziehungen seiner
ahnen ist H. Gering auch auf dem felde seiner Wissenschaft nachge-
gangen (Zeitschr. 20, 365 ff.). Befördert wurde jene ueigung durch
die gelegenheit, die dem Studenten in Leipzig sich bot, bei Zarncke
Vorlesungen über altnordische grammatik und literaturgeschichte, er-
kläruug der Edda, Njäls- und Eyrbyggjasaga zu hören. Am stärksten
wirkte aber auf den jungen dozeuten das vorbild des in Kiel hausenden,
ihm jetzt auch persönlich begegnenden Theodor Möbius.
Es mutet uns echt Geriugisch an, wenn wir erfahren, dass er
zunächst die absieht hatte, eine ausgäbe derjenigen spgur zu ver-
anstalten, die Stoffe der deutschen heldensage behandeln. Das wort
J. Grimms schwebte ihm vor, dass Skandinavien für den deutschen
forscher klassischer grund und boden sei (Eddaglossar ^ s. VII). So
rüstete er denn, nachdem er beschlossen, von der Goteubibel zum Beo-
wulf und zur Edda, zu den skalden und zu den sogur Islands sich
zu wenden, seine erste Nordlandsfahrt, vortrefflich beraten von den
massgebenden kennern. Er selbst kannte noch allzuwenig von nor-
dischem sprach- und literaturgut und es gab damals nur zwei männer
in Deutschland, von denen das einem Skandinavisten unentbehrliche
zu lernen war: den rechtshistoriker Konrad Maurer in München und
den Philologen Theodor Möbius in Kiel. Zu beiden ist H. Gering in
die freundschaftlichsten beziehungen getreten, bat beiden durch Wid-
mung wissenschaftlicher opera seine dankbarkeit bezeugt und ihnen
über das grab hinaus das ehrendste andenken bewahrt. Der natur
der Sache nach hatte der Kieler philolog dem Hallenser privatdozenten
besonders viel zu bieten. Als dieser im sommer 1877 nach Däne-
mark, Schweden und Norwegen reiste, führte sein Weg über Kiel, wo
Möbius den fachgenossen herzlichst begrüsste und seine arbeitspläne
mit ihm besprach. Sofort ging der jünger in Kopenhagen ans werk,
HUGO GERING 343
das ihm der meister empfohlen hatte. Möbiiis ist für Gering der
aussehhiggebende lehrer im nordischen fach und nächst Zacher das
zweite vorbild seines strebens und seines Schaffens geworden (Zeit-
schr. 23, 463). Der Kopenhagener aufenthalt- 1881 sich wiederholend -
setzte ihn auch mit nordischen gelehrten in kontakt ; H. Gering ist
damals Gudbraudur Vigfusson begegnet, namentlich aber ist im sommer
1877 die freundschaft mit Gustav Cederschiöld geschlossen worden,
die mit besonderer Vertraulichkeit lebenslang vorgehalten hat. Aber
die rolle, die Tb. Möbius bei Gerings nordischen Studien gespielt hat,
blieb die des protagonisten und der zögling enttäuschte nicht die auf
ihn gesetzten hoffnungen.
In Halle kündigte er altnordische grammatik und erklärung der
Eddalieder an, lieferte für Zachers Zeitschrift (8, 483) eine anzeige
der Eddaausgabe von Hildebrand, die für ihn eminente bedeutung
gewann und 'veröffentlichte im jähr 1878 isländische glossen (Zeit-
schr. 9, 385). Das jähr 1879 brachte die ein eingehenderes und aus-
giebigeres Studium altisländischer sogur bekundende kritische aus-
gäbe der Finnbogasaga. Sie war von Möbius angeraten und ist zum
dank für vielfache anregung, belehrung und Unterstützung ihm dar-
gebracht worden. Anlässlich der beschäftigung mit der Finnbogasage
war H, Gering auf den OlkofraJ^ättr gestossen, ihn bearbeitete er 1879
und steuerte den text im jähr 1880 zu einer festgabe für Julius Zacher
bei: er befuhr die gleise, auf die diese männer ihn gewiesen hatten.
Ein beleg dafür ist auch seine erste grössere publikation, die in zwei
bänden zu Halle 1882-83 erschien: Islenzk »ventyri, isländische
legenden und schwanke, novellen und märchen des 14. Jahrhunderts;
die ausgäbe, Cederschiöld gewidmet, ist von G. Vigfusson angeregt,
von Möbius, der die Sammlung zu edieren gewillt gewesen war, vor-
bereitet, dank der mitarbeit Reinhold Köhlers in den stoflfgeschicht-
lichen partien reichlich ausgestattet. Gerings verdienst erschöpfte sich
nicht in der textherstellung, den anmerkungen und dem Wörterbuch,
es gipfelt in den literarischen Untersuchungen, gelang ihm doch durch
sorgtältige beobachtung des Sprachgebrauchs, vier persönlichkeiten als
die Verfasser jener isländischen erzählungen festzustellen (Anz. f. d.
alt. 10, 395). Die anerkennung blieb nicht aus; noch im jähr 1883
ist er zum ausserordentlichen professor befördert worden und hat als
solcher in Halle, wo er inzwischen seinen hausstand gegründet und
in Frau Else den fürsorglichsten lebenskameraden gefunden hatte,
seine Wirksamkeit weiter ausgebaut. Auf der Dessauer philogenver-
sammlung des jahrs 1885 berichtete er über eine neue Eddaausgabe, wozu
344 KAUrFMAN'N
der plan in gemeinscbaft mit B. Symons in grossem masstab ent-
worfen worden war; 1887 brachte er ein im akademischen Unterricht
ausgezeichnet sich bewährendes Eddaglossar heraus, wandte sich nun
aber auch zur skaldenpocsie (Zeitschr. 14, 234) und überraschte die
fachgenossen durch die kritische bearbeitung der uns erhaltenen bruch-
stücke des Bragi Boddason (Jul. Zacher zum 70. geburtstag 15. februar
1886), die ihn selbst freilich nicht restlos befriedigte (Zeitschr. 28, 123),
schon weil sie in fliegender hast fertiggestellt werden musste - ein
Vorläufer kommender, den nordischen skalden dienender textkritischer
Studien. 1888 hat Gering erstmalig auch zur runenforschung der Skan-
dinavier das wort ergriffen (Zeitschr. 21, 487).
Hiefür stand ihm jetzt die Zeitschrift für deutsche philo-
logie zur Verfügung, da er nach J. Zachers, ihres begründers tod (im
jähr 1887) vom 20. bis zum 50. band als ihr herausgeber zeichnete
und auch auf diesem posten seinen lehrer vertrat. Dieses fachorgan,
au dem er schon zuvor fleissig mitgearbeitet, hatte unter Zachers leitung
der nordischen philologie mehr beachtung geschenkt und räum gewährt
als die andern germanistischen Zeitschriften^ war es doch von Konr.
Maurer, Th. Möbius, E. Jessen und S. Bugge mit gewichtigen beitragen
bedacht worden ; es verstärkte sich diese ihm eigentümliche tendenz,
seitdem H. Gering die redaktion führte und andererseits gab diese
Zeitschrift, mit der er innerlichst verwuchs, seiner stimme grösseren
resonanzraum und den nordischen Studien in Deutschland neuen
auftrieb.
Nach echt deutscher art verknüpfte sich die schriftstellerische
Wirksamkeit H. Gerings mit seiner akademischen lehrtätigkeit. Auch
sie war eine Spiegelung seiner forschungsarbeit. Meines erachtens ver-
lieh dem deutschen Skandinayisten vor der mehrzahl der fachgenossen
in den nordischen ländern ein übergewicht der umstand, dass er das
Nordgermanentum nicht isolierte, vom Ost- und Westgermanentum nicht
absonderte und durch seine umsieht auf gotischem, altdeutschem und
altenglischem gebiet seine Urteilskraft zu reicher sich verzweigenden
beobachtungen und erfahrungen schulte. Die nordischen spezialstudien
bettete er in das gesamtfach der germanistik ein (es wäre dringend
zu wünschen, dass es dabei auch für die zukunft in Deutschland ver-
bliebe): er las in Halle über die Germania des Tacitus (ein bekanntes
Zacherkolleg), über geschichte der deutschen literatur bis zum ausgang
des 13. Jahrhunderts beziehungsweise bis zur reformation, historische
grammatik der deutschen spräche (got. ahd. mhd.), gotische grammatik,
ahd. grammatik und erklärung ausgewählter denkmäler, ahd. dialekte,
HUGO GERING 315
Tiilul. Übungen (Hartmans Gregorius, Walther v, d. Vogelweide, Meier
Helmbrecht). Die örtlichen Verhältnisse brachten es mit sich, dass er
•daneben das ags. begünstigte: geschichte der ags. literatur, ags. gram-
matik, Beowulf. In diesem reigen erschienen die regelmässig wider-
kehrenden nordischen Vorlesungen und Übungen, die vom altertum bis
auf die neuzeit sich erstreckten.
Der in so ausgiebiger lehrtätigkeit und gründlicher forschungs-
arbeit stehende Hallenser gelehrte wurde am 9. Januar 1889 zum
ordentlichen professor der nordischen philologie in Kiel ernannt. Er
hat als nachfolger von Th. Möbius an der Kieler Universität (1898-99
-auch an der Marineakademie tätig) bis zu seiner emeritierung im
«ommersemester 1921 und bis zum letzten atemzug im Wintersemester
1925 sein lebenswerk durch hauptleistungen gekrönt.
In dänischer zeit war an der Christiana Albertina ein lektor für
nordisch, von 1824-45 der bekannte Grundtvigianer Christian Flor
für das Dänentum tätig gewesen, 1850 — 52 hatte Rochus Freiherr
von Liliencron eine ausserordentliche professur für nordische spräche
und literatur versehen wollen, war aber von der dänischen regierung
nicht anerkannt worden. Diese berief vielmehr, um die dänische Propa-
ganda in den herzogtümern zu fördern, im jähr 1853 den angesehenen
■dänischen literaten und ästhetiker Christian Molbech in das extraordi-
nariat und verwandelte es 1858 in ein Ordinariat, das Molbech bis 1864
inne hatte. In die politischen kämpfe sich verwickelnd ist er ihnen
zum opfer gefallen und hat 1865 in einem deutschen mann, dem bis-
herigen a.o. prof. dr. Th. Möbius in Leipzig seinen ersatz bekommen.
Durch namhafte wissenschaftliche leistungen empfohlen hat dieser mit
H. Gering in herzensfreundschaft verbundene gelehrte die nordische philo-
logie aufs würdigste in Kiel vertreten. Zwar brachte man in Schleswig-
Holstein vorerst dieser von der dänischen regierung gestifteten ordent-
lichen professur misstrauen entgegen - Möbius klagte, dass er zumal
von den Nordschleswigern gemieden werde — die folge war, dass seine
lehrtätigkeit in sehr bescheidenen grenzen sich hielt (Zeitschr. 23, 459 f.,
464; meist hat Möbius, wenn überhaupt, so nur vor einem einzigen
hörer gelesen), aber wichtiger war, dass es nunmehr eine Universität
in Deutschland gab, wo das nordische vollwertig in einer fakultät
nach deutscher art vertreten war und der inhaber der professur, ein
anerkannter fachmann nicht nur über altnordische grammatik und
literatur dozierte, die Eddalieder und Sogur interpretierte, sondern auch
über neuere dänische spräche und literatur vorzutragen bereit war. Als
H. Gering das Kieler katheder bestieg, trat er dem Dänentum vor-
34ß • KAUFFMANN
S
urteilsfrei gegenüber. Die unser Vaterland mit Skandinavien 'ver-
bindenden fäden, welche die Jahrhunderte gesponnen haben, konnten
politische gegensätze, die wie wir hoffen, in der zukunft sich mehr
und mehr ausgleichen werden, wohl lockern aber nicht lösen und die
Wissenschaft, die ich zu vertreten die ehre habe, will an ihrem be-
scheidenen teil dazu beitragen, sie zu erhalten und zu festigen, in
dankbarer anerkennung dessen, was die germanische altertumskunde
dem norden, dem für uns klassischen boden verdankt', so sprach
H. Gering in der Kieler aula, als er am 5. märz 1902 das rektorat der
Christian-Albrechtsuniversität übernahm (Über Weissagung und zauber
im nordischen altertum s. 3). Mannhaft hat er allerwegen die deutsch-
heit Schleswig-Holsteins betont und nicht geduldet, dass ein Deutscher
von Südjütland statt von Schleswig spreche (Zeitschr. 40, 377), aber
er w^ar diszipliniert genug, um sein wissenschaftliches denken vor den
einflüsterungen politischer leidenschaften zu behüten.
Als H. Gering zum sommersemester 1889 sein amt in Kiel an-
trat, sah er sich damit, dass die schleswig-holsteinische landesuniversität
in der geschichte seiner Wissenschaft durch die nordische professur
vor den andern deutschen hochschulen ausgezeichnet war, vor eine
verantwortungsvolle aufgäbe gestellt. Für die gewissenhafte erfüUung
solcher ehrenpflicht hat er seine ganze männlichkeit eingesetzt: er ge-
hörte nicht zu den professoren, die durch tages- oder nebeninteresseii
von ihrer Wissenschaft sich ablenken lassen; H. Gering hat restlos
jeden tag und jede stunde seinem beruf vorbehalten, für nichts anderes
müsse gefunden und niemals der bequemlichkeit oder der popularifat
seine akademische würde geopfert. Es kam ihm zu gut, dass er in
Kiel an einen Vorgänger von rang anknüpfen und dessen tradition
fortsetzen konnte, hatte aber, was die lehrtätigkeit betrifft, etwas bessere
erfolge zu verzeichnen. Dazu trug hauptsächlich bei, dass er, der alle-
zeit bekannte, für den Unterricht nicht begnadet zu sein, den rahmen
weiter steckte. Er legte grossen wert darauf, innerhalb des ger-
manistischen Seminars an der erziehung der studierenden mitzuwirken.
Sein Spezialfach vermochte er nur im grossen organischen stammes-
znsammenhang zu betreiben und würde eine institutmässige absonderung^
der nordischen Studien nicht empfohlen haben. Im germanistischen
Seminar behandelte er die ihm von Jugend auf ans herz gewachsene
gotische bibel, erklärte die ältesten dichterischen ahd., and. und ags.
denkmäler (Hildebrandslied, Heliand, Genesis, Beowulf) und wieder-
holte seine ihm von Halle her vertrauten mhd. Übungen. An Vor-
lesungen hat er nicht nur wie in Halle gotische grammatik und Tacitu»
HUGO GERING 347
Germania, sondern anch deutsche mythologie und geschichte der deutschen
heldensage angekündigt, jedoch mit vorschreitendem alter, wie seine
amtliche Stellung von ihm forderte, in den Vorlesungen auf die nor-
dischen themata sich beschränkt.
Es war immer sein wünsch gewesen, Möbius nachfolger in Kiel
zu werden und als dieser wünsch ihm erfüllt wurde, als er zum weih-
nachtsfest 1888 den ruf nach Kiel bekam, freute er sich besonders
darauf, nunmehr voll und ganz seinen auf das gesamtfach bezogenen
skandinavischen lieblingsstudien sich widmen zu können. Er fand,
als er in Kiel sich einrichtete, eine ihn beglückende, seinen absiebten
und neigungen entsprechende Verpflichtung. Die Vorlesungen gaben
ein bild dessen, was der arbeitsame gelehrte erstrebte. Grundlegend
war das kolleg über altnordische grammatik, es folgte die geschichte
der altnordischen literatur bis zum ausgang des 14. Jahrhunderts, ein-
führung in die Edda, erklärung der Eddalieder und einer reihe alt-
isländischer sogur (Gunnlaugssaga, Egilssaga, Laxdoelasaga), daneben
rückten Gerings runenforschungen in den Vordergrund : geschichte der
germanischen runeuschrift, erklärung ausgewählter runendeukmäler.
Auch im seminar wurden runeninschriften interpretiert, altnordische
Übungen abgehalten (Eddalieder, Skaldenlieder, Snorra Edda, Eyrbyggja-
saga, Islendingasggur) und auf das alt- und neudänische sowie auf das
schwedische Schrifttum ausgedehnt (Runeberg, Tegner, altdänische folke-
viser, provinzialgesetze ; Holberg, Ohlenschläger, Drachmann).
Als echter philolog* war Gering sich bewusst, dass durch Sprach-
forschung ein fester grund für das Studium der literaturen gelegt
werden müsse. Er beabsichtigte, eine historische grammatik der
dänischen spräche zu schreiben, leider ist es nicht dazu gekommen,
aber mit welcher umsieht er darauf sich vorbereitet hat, erkennt auch
der fernerstehende, wenn für seine seminarübungeu dänische Schrift-
steller des 18. und 19. Jahrhunderts ausgewählt wurden und unter
seinen Kieler Vorlesungen neben dem Hallenser kolleg über Ludwig-
Holbergs leben und Schriften elemente der dänischen grammatik und
historische grammatik der dänischen spräche erscheinen.
Innerhalb des germanistischen gesamtfachs hat er nun allerdings
nicht nach allen seiten hin gleich regsam sich verbreitet. So sehr er
von der zentralen Stellung der grammatik überzeugt war, machte er
doch halt, wo die neuere Sprachwissenschaft auf philosophische art
sich systematisierte, allzu konstruktiv verfuhr, wie Gering es ausdrückte
oder wie es bei der phonetik, deren leistungsfähigkeit er anerkannte
und bestätigte (PBBeitr. 13, 202; Zeitschr. 42, 233 ff.)» den anschein
SiS KAUFFMANN
gewann, auf naturwissenschaftliche methodeu sich einliess. Er war
nicht spekulativ veranlagt, bohrte nicht in die untersten tiefen der
schachte, strebte nicht nach einer gesamtschau und wagte sich nicht
an grosszügige würfe, sondern steckte sich grenzen, hantierte mit gram-
matik und metrik, gebrauchte sie aber im gründe doch nur als hilfs-
disziplinen, erforschte sie nicht um ihrer selbst willen, sondern nahm
die ergebnisse der theoretiker, die erkenntnisse der fachautoritäten für
seine textkritik in dienst. Denn dies war ihm das philologische
hauptgeschäft. Textkritik war das feld, auf dem er sich meister fühlte
und natureu wie die seine - auch bei Th. Möbius war dies der fall
gewesen - stellen ihr lebenswerk darauf ein, dass sie nur wollen,
was sie können. Es war nicht Gerings sache, auf eroberung neuer
reiche auszuziehen und mit den in immer weitere fernen versetzten
zielen sein können und sein wollen nach und nach zu steigern. Er
hat es abgelehnt, sein gesichtsteld bis dorthin zu vergrössern, wo er
den räum nicht mehr zu beherrschen vermochte, v\'o z. b. die text-
kritik in die stilkritik übergeht, weil er stolz darauf war, innerhalb
des von ihm begrenzten rauras sein können am nützlichsten zu ent-
falten. Er enthielt sich alles dessen, was ihm wesensfremd und darum
als allzu subjektiv oder als absurd von ihm abgelehnt wurde, weil es
die angelernte grammatik und metrik oder 'den gesunden menschen-
verstand' gegen sich hatte (Zeitschr. 50, 329). Selbst auf stilkritik,
für die er ein organ besass (Zeitschr. 43, 428. 46, 1 vgl. Arkiv 41, 140),
hat er sich nicht tiefer eingelassen, folglich hat er sich auch die Pro-
blematik der historischen kritik vom leib gehalten. H. Gering war
philolog, nicht historiker und als philolog war er textkritiker. Auf-
gabe war ihm, die uns erhaltenen texte in ihrem ursprünglichen be-
stand zu sichern, sie zu verstehen und zu erklären. Der tatsächliche
befund unserer Überlieferung, nicht ihr werden weckte sein kritisches
vermögen und reizte seine phantasie. Als er im märz 1902 beim an-
tritt des Kieler rektorats seine rede 'über Weissagung und zauber im
nordischen altertum' hielt, lag es ihm fern ein religionsgeschichtliches
panorama aufzustellen; er streifte die grossen religionsgeschichtlichen
Probleme, begnügte sich aber mit einem kapitel aus den nordischen
'altertümern'. Er sammelte mit erschöpfender Vollständigkeit was zur
Sache gehörte, erstrebte genaueste feststellung dessen, was die quellen
herzugeben vermochten, war aber kein freund von weitschichtigen
kompilationen (Zeitschr. 42, 235). Über die letzten gründe der text-
kritik und der texterklärung, wo das Verständnis eines textes für uns
nachgeborene beginnt und wo es endet, über die konstitutiven faktoren,
HUGO GERING 349
Über die in die dämmerung des geschichtlichen lebens hinabreichenden
wurzeln unserer Überlieferung hat er nie gegrübelt. Er war der meinung,
dass die nieister besonnener und scharfsinniger philologischer kritik,
auf die er schwor, die Voraussetzungen geklärt oder ihre nichtachtung
gerechtfertigt hätten. Vielleicht hat er sich allzu bereitwillig in die
gefolgschaft der von ihm bewunderten autoritäten begeben und anderer-
seits nicht weitherzig genug auf forderungen reagiert, die über die zone
seiner erfahrung hinausragten. Die metrischen forschungen eines text-
kritisch gerichteten E. Sievers besassen für ihn kanonische geltung
(Zeitschr. 50, 97), die methode und das experiment des schallana-
lytikers hat er perhorresziert.
Richtschnur war ihm die textkritik und nichts bewunderte er so
sehr als 'geniale kombinationsfähigkeit', und eine von kühnheit und
Scharfsinn beschwingte divinationsgabe (S. Bugge's; Zeitschr. 21, 243.
30, 379), war er doch selbst mit kombinatorischer phantasie begabt
und Hess es nicht an wagemut fehlen, wenn eine stelle für unver-
ständlich oder hoffnungslos verderbt galt, ihr mit überraschender
deutung (Zeitschr. 28, 241) oder durch kühnen operativen eingriff auf-
zuhelfen (Zeitschr. 26, 30). Die herzlichste freude genoss er angesichts
einer gelungeneu konjektur (z. b. V9I. 17; Zeitschr. 50, 328) und scherte
sich nicht um den einwand, dass der text dabei gefiihr laufe, einer
umdichtung oder nachdichtung preisgegeben zu werden (Edda 1904
s. X f.).
Das hauptfeld, auf dem unser textkritiker seine lorbeeren zu
ernten gedachte, waren die Eddalieder. Bei ihnen wollte er sich am
wenigsten dem Vorwurf der Zaghaftigkeit und kritiklosigkeit aussetzen
und verfocht in temperamentvollster polemik — leicht schwoll ihm die
zornesader - gegen die liebhaber konservierender texte (Zeitschr. 46,
466) oder extravaganter neuerungen (Zeitschr. 50, 93) sein recht auf
emendatiouen, weil er, wie er sagte, ein höheres ziel verfolge als die
sorgfältige kopie einer handschrift zu liefern und mit dem photo-
graphen zu wetteifern (Eddaglossar ^ s. VIII), weil er sich zutraute,
kraft seiner fähigkeit dichterische Schönheit nachzuempfinden eine an-
stössige textstelle stilgerecht zu verbessern (Zeitschr. 29, 57).
Im jähr 1879 war, mit einem vorwort von Th. Möbius versehen,
die Eddaausgabe von Karl Hildebrand erschienen. Nach dem frühen
tode des herausgebers ist dies buch in Gerings bände übergegangen
(0. s. 343) und neugestaltet im jähr 1904 der fachweit vorgelegt worden;
1912 folgte die zweite und 1922 die dritte aufläge dieses, von der
Eddaausgabe des befreundeten arbeitsgefährteu B. Symons (Zeit-
35) KAUFFMANN
sehr. 17, 117) an nicht wenigen stellen abweichenden, durch scharf-
sinnige konjektnren, sorgsamsten fleiss, den er seinen Vorgängern zu-
gewandt, und durch vollkommene beherrschung der von H. Gering
erwählten grammatischen und metrischen normen gekennzeichneten
buchs (Zeitschr. 34, 162). Unermüdlich strengte er sein gehirn an, um
immer neue feinheiten des monumentalen dichterwerks herausaüarbeiten.
Noch der 77jährige hat unverdrossen am kritischen text seiner Edda
herumgefeilt (Zeitschr. 50, 127 ff.).
In die Kieler zeit fällt ausser der edition der Hugsvinnsm()l
(Universitätsprogramm 1907) die Eyrbyggjasaga (Halle 1897). Im ver-
ein mit G. Cederschiöld und E. Mogk hatte H. Gering die altnordische
Sagabibliothek ins leben gerufen. Der erste band ist 1902 erschienen.
Mit nie ermattender dienstwilligkeit und treue hat er band für band
- ihre zahl ist bei seinen lebzeiten auf 16 angewachsen - den her-
ausgebern sich zur Verfügung gehalten und nur wenige bände haben
das licht der weit erblickt, ohne dass ihm von den autoren in warmen
Worten der für unentbehrliche beihilfe gebührende dank abgestattet
worden wäre. Der 6. band dieser bibliothek brachte in einer muster-
haft säubern fassung Gerings Eyrbyggjasaga, für die ihm allgemeine
anerkennung zu teil geworden ist. Aber damals war es nicht so sehr
der textkritiker als der text erklär er, der dies lob erntete. Gering
besass ein sehr grosses material, das er in hingebendem Sammeleifer,
namentlich für personen- und familiengeschichte Islands gehäuft und
geordnet und jedem fachgenossen in uneigennützigster weise zugäng-
lich gemacht hat. In dem ausführlichen kommentar der Eyrbyggja-
saga hat Gering selber für die realien einer saga getan, was in seinen
kräften lag, um jenes alte interessante buch zur einführung in die
sagaliteratur Islands so tauglich als nur irgend möglich herzurichten
(Zeitschr. 30, 266). Der kommentator hoffte aber, seine materialsamm-
lungen für die einzelerklärung der Eddalieder verarbeiten zu können
und in der tat, auch dies ziel seiner wünsche hat er erreicht: als
H. Gering verschied, konnte er uns einen druckfertigen Eddakommentar
hinterlassen. Dies früh geplante (Zeitschr. 17, 119) und ihm sehr am
herzen liegende werk durfte er vollenden (Edda^ s. XV), eine probe
davon 1924 in die festschrift für E. Mogk stiften; das umfangreiche
manuskript wird von befreundeter seite zum druck befördert werden.
Es widmet sich nicht den allgemeineren problemen, sondern nur der
texterklärung und hierfür hatte der kommentator durch seine wörter-
bucharbeit sich geschult.
Mit persönlichster anteilnahme verfolgte er die entwicklung der
HUGO GERING 351
deutsclien lexikographie fZeitschr. 17, 492), insbesondere das Wachstum
des deutscheu Wörterbuchs der brüder Grimm (Grenzboteu 1903 nr. 37).
Auch die grossen Wörterbuchunternehmungen der Skandinavier studierte
er gründlichst und erstattete darüber sachkundige berichte (Zeitschr. 28,
394. 48, 291; Akiv 10, 392. 13, 370). Er war also in jeder beziehung
gut vorbereitet, als er im jähr 1903 sein 'vollständiges Wörterbuch zu
den liedern der Edda' erscheinen Hess, war ihm doch das Eddaglossar
(zu Hildebrands Edda 1887) vorangegangen, das 1896 in zweiter auf-
läge herauskam und 1907 in dritter aufläge - S. Bugge zum gedächt-
nis - die eigeae Eddaausgabe zu grund legen konnte. Seitdem hat
das für den akademischen Unterricht unentbehrliche büchlein in den
Jahren 1915 und 1923 die 4. und die 5. aufläge erreicht und dem
Verfasser erwünschte gelegenheit zu Verbesserungen seines grossen
Eddawörterbuchs geboten. Dieses hauptwerk Gerings erfüllt die an
eine bedeutungsgeschichte der wörter sich knüpfenden ausprüche nicht,
erschöpft aber dank der emsigkeit deutschen gelehrteufleisses restlos
mit ungewöhnlicher akribie das material, ordnet es aufs übersichtlichste
und ist seinerzeit von Th. Möbius, als H. Gering den entwurf ihm
unterbreitete, mit dem ermunternden zuruf begrüsst worden : 'soviel ist
sicher, dass kein, absolut kein altnordisches buch mit solch freudigem
willkommen begrüsst werden wird als ein Wörterbuch zur Edda und
diese gerade von Ihnen' ! Als es fertig vorlag, war man einhellig der
meinuug, dass diese überaus sorgfältige arbeit das Unentbehrlichste
hilfsmittel der Eddaforschung sein werde.
Die Wörterbücher und die kommentare, die H. Gering verfasst
hat, waren nicht die letzten aufgaben des texterklärers. Konsequent
die folgerungeu ziehend ging er dazu über, seine lieblinge unter den
dichtungen des germanischen altertums in die literarische spräche des
19. Jahrhunderts zu kleiden. Sie war ihm wie wenigen seiner fach-
genpssen geläufig. Er schrieb in seiner wissenschaftlichen prosa einen
klarflüssigen stil, befruchtete seine Sprachphantasie aus der ihm in
grossem umfang zu eigen gewordenen deutschen poesie sowie aus der
zeitgenössischen schönen literatur Dänemarks und Schwedens, Nor-
wegens und Islands, worin er sehr belesen war. Der Übersetzer
übte seinen Sprachausdruck in versen, die ihm leicht aus der feder
flössen, wenn er in stunden der weihe zu nachahmungen sich angeregt
fühlte oder wenn seelische erschütterung ihn zu feierlicher rede drängte.
Die affekte, zu denen sein Studium ihn erregte, schlugen daher leicht
und gern in rhythmen sich nieder u§d so entstanden seine deutschen
Eddalieder (1892) und der deutsche Beowulf (1906. 1913); anderes
352 KAUFFMANN
wie z. b. die von starkem pathos getragenen Übersetzungen der skalden-
lieder des gewaltigsten poeten Altislands sind der Öffentlichkeit nicht
bekannt geworden. Diese nachdichtungen verbinden mit sprachlicher
und metrischer feinfühligkeit philologische gewissenhaftigkeit und treue
den originalen gegenüber — H. Gering war der erste, der es wagen
durfte, den alten stabreimsvers zu erneuern — , unleugbar war seine ge-
schicklichkeit, die in den schachten der Vergangenheit versunkene
altgermanische poesie dem geschlecht seiner epoche wieder zugäuglicb
zu machen. Denn Gerings Edda und sein Beowulf stehen auf ganz
anderem niveau als die Übersetzungen seiner Vorgänger (Grenzboten
1889, II, 366); seine Verdeutschungen sind die erstlinge jener mächtig-
anschwellenden bewegung, an der nicht wenige der jüngeren teil nehmen,
um durch weit eigenwilligere Stilisierungskünste als H. Gering sie ge-
wagt haben würde (Zeitschr. 44, 489. 45, 68), für die dichtung der
nordischen vorzeit durch Übersetzungen bei dem lebenden geschlecht zu
werben. Leider ist es ihm versagt geblieben, seine deutschen Edda-
lieder so zu gestalten, wie sie seiner reifsten einsieht entsprochen hätten ;
er hat es sich verbeten, dass man ihn noch heutigen tags für alles ver-
antwortlich mache, was er vor langen jähren geschrieben habe ('seit-
dem sind wir ein gutes stück weiter gekommen') und im jähr 1913
erklärt, dass, wenn es ihm vergönnt sein sollte, die Eddaübersetzung
noch einmal herauszugeben, sie ein sehr verändertes aussehen erhalten
w^rde (Zeitschr. 45, 71).
Wie das lebeuswerk so verlief auch der lebensgang des ver-
storbenen freundes in aufsteigender kurve, seitdem er nach Kiel über-
gesiedelt war. 1894-95 hat er das dekanat der philosophischen fakultät,
1902-03 das rektorat der Kieler Universität verwaltet und ist stetS'
als eines der pflichteifrigsten mitglieder den geschäftlichen beratungen
dieser körperschaft teilnehmend gefolgt. Ausserhalb Kiels waren es
hauptsächlich die nordischen nachbarländer, mit denen er den verkehr
steigerte. Zahlreichen dänischen und schwedischen, norwegischen und
isländischen gelehrten hat er nahe gestanden (z. b. Dahlerup und
Wimmer [Zeitschr. 48, 500], F. Jonsson und Bj. M. Olsen), hat am
Arkiv f. nord. fil. mitgearbeitet und ist mitglied gelehrter gesellschaften
geworden. Im sommer 1908 sah er auch den wünsch sich erfüllen,
den er lange still gehegt hatte: die Färöer und Island zu besuchen.
Das ferne Thule, das dem forscher zur andern heimat seines geistes
geworden war, den für ihn klassischen boden durfte der warmherzige
freund seiner bewohner nunmehr, betreten und von den wundern der
arktischen natur zu genuss und ehrfurcht sich erheben lassen. Glänzend,
HUGO GEKING 355
mit erstaunlicher aiisdauer ertrug er die Strapazen der reise, ritt die
kreuz und die quer durch das einsame land, beobachtete das Volks-
leben, vertiefte sich in die landschaftsbilder und bevölkerte den Schau-
platz mit den gestalten und erinnerungen, die ihm sein Studium in»
herz gesenkt hatte. Jetzt wurden sie lebendig, als er zum heim und
und zum grab Egill Skallagrimssons pilgerte, bei Snorri Sturluson ein-
kehrte und die bühne der Eyrbyggja musterte. Hochbefriedigt ist er
im August 1908 heimgekehrt hnd durfte noch lange von den ein-
drücken dieser mit besonderer dankbarkeit empfangenen nordlandfahrt
zehren. Im jähr 1911 ist er als Kieler Vertreter zum universitäts-
jubiläum nach Kristiana entsandt worden und mehrmals hat er seit-
dem die dänischen und die schwedischen gestade gegrüsst. Denn ais-
er zum Sommersemester 1921 emeritiert wurde, ist er keineswegs zur
ruhe gesetzt worden. Die lehrtätigkeit an der Universität hörte auf,
aber das Studium wurde in seiner reich ausgestatteten bibliothek so
regelmässig und unverdrossen fortgesetzt wie je zuvor.
Die Zeitschrift für deutsche philologie, deren seele er war (und
die nun wohl mit ihm ihr ende nehmen wird), hat ihn mit vielfältigen
beziehungen nach ausserhalb in atem gehalten und bis auf seinen letzten
tag zu schriftstellerischer arbeit angespornt. Am 18. Dezember 1923
durfte er die schönste feier, die einem akademiker zu teil werden
kann, das goldene doktorjubiläum begehen und sich daran erfreuen,,
dass die Hallenser kollegen in ehrender weise das diplom erneuerten
und die Kieler kollegen ihm ihre dankbarkeit und ihre Schätzung be-
zeugten. Fünfvierteljahre später ist er, der senior der deutschen ger-
manisten, der letzte von der alten garde, dahingegangen.' Das neue
geschlecht, das in die front gerückt ist, wird einem H. Gering, der um
den aufschwung der nordischen Studien in Deutschland sich hoch ver-
dient gemacht hat, den nachruhm nicht versagen. Wir aber, die wir
ihm nahe standen, ehren in dem heimgegangenen nicht nur den ge-
lehrten, sondern auch den tapferen mann, dessen bekennermut für
unsere zunft ein Vorbild war.
Den kern seiner vornehmen persönlichkeit hat er mit dem wort
enthüllt, das er im jähr 1895 anlässlich des todes von 0. Erdmann
ausgesprochen hat: 'wenn es etwas gibt, das uns mit der nichtigkeit
und Vergänglichkeit des lebens zu versöhnen im stände ist, so ist es
das bewusstsein treu erfüllter pflicht' (Zeitschr. 28, 232). In der tat,
treue war der sinn seines lebens. Deutsche treue, ja man möchte
sagen, treue im altgermanischen, im guten alten sinn, in dem die
dichter von ihr singen und sagen, hatte sich in H. Gering verkörpert i
354 HUGO GERING
treu in seinem beruf und seinem hauswesen, treu gegen seine freunde —
*das ist kein echter freund, der dem andern nur das angenelime sagt'
(Zeitschr. 50, 326) - treu war er gegen sich selbst. Dank dieser be-
glückenden erfahrung, mit einem treuen deutschen mann zusammen-
gearbeitet zu haben, spende ich ihm das totenopfer mit dem wunder-
vollen Spruch aus Goethes Faust: Nicht nur verdienst, auch treue
wahrt uns die person. F. K.
Publikationen von Hngo Gering ^
1873.
1. Über den syntaktischen gebrauch der participia im gotischen.
Hallische dissertation.
1874.
2. Über den syntaktischen gebrauch der participia im gotischen.
Zachers zs. V, 294-:}2l. ;-J93-4:33.
1875.
3. Zwei parallelstellen aus Vulfila und Tatian. Zachers zs. VI, 1—3.
4. Anzeige von H. Kluges Geschichte der deutschen nationallit.
Pädag. archivXVlI, 274-277.
1876.
5. Die kausalsätze und ihre partikeln bei den althochdeutschen ühersetzern des
8. und 9. Jahrhunderts.
Hallische habilitationsschrift.
6. Anzeige von Vulfila ed. Bernhardt.
Zachers zs. VII, 103-113.
7. Anzeige fon Ignaz Peters, Gotische konjekturen.
Zachers zs. VII, 484.
1877.
8. Mitteldeutsche glossen.
Zachers zs. VIII, 330-337. IX, 394.
9. Anzeige von Ssemundar Edda ed. Hildebrand.
Zachers zs. VIII, 483-485.
1878.
10. Isländische glossen.
Zachers zs. IX, 385-394.
1879.
11. Finnboga saga hins ramma, hrg. von H. G., Halle a. S.
Verlag der buchhandlung des Waisenhauses. XL, 115 s. 8°.
12. Shakespeare in Island.
Jahrb. der deutschen Shakespearegesellschaft XIV, 330-835.
1) Von ihm selbst zusammengestellt.
PUBLIKATIONEN 355
1880.
13. Qlkofra {)ättr hrg. von H. G., Halle a. S.
Verlag der buchh. des Waisenhauses. 24 s. 8 '. (Separatabdruck aus den
'Beiträgen zur deutschen philologie').
14. Der Beowulf und die isländische Grettissaga.
Anglia III, 74-87.
15. Anzeige von Chr. Bang, Vßluspaa og de sibyllinske orakler.
Zachers zs. XI, 496.
16. Anzeige von Clarus saga ed. Cederschiöld.
Zachers zs. XI, 496-498.
17. Anzeige von Nyare bidrag til kännedom om de svenska landsmälen eck svenskt
folklif.
Zachers zs. XI, 500-501.
1881.
18. Anzeige von Beowulf ed. Heyne.
Zachers zs. XII, 122-125.
19. Anzeige von Th. Möbius, Verzeichnis der auf dem gebiete der altnord. aprache
und lit. von 1855—1879 erschienenen Schriften.
Zachers zs. XII, 369-370.
1882.
■20. Islendzk seventyri. Isländische legenden, novellen und märchen, herausgegeben
von H. G. 1. band. Text. Halle a. S.
Verlag der buchhandlung des Waisenhauses. XXXVIII, 315 s. 8".
21. Anzeige von Ulfilas, Ev. Marci edd. Müller u. Hoeppe.
Zachers Zs. XIII, 252-254.
1883.
22. Islendzk seventj'ri. Isländische legenden, novellen und märchen, herausgegeben
von H. G. 2. band. Anmerkungen und glossar. Mit beitragen von Reinhold
Köhler. Halle a. S.
Verlag der buchhandlung des Waisenhauses. LXXVT, 396 s. 8'.
23. Zu Heimskringla ed. Unger s. 234. 491.
Zachers zs. XIV, 234-236.
24. Anzeige von Nyare bidrag til kännedom om de svenska landsmälen ock svenskt
folklif.
Zachers zs. XIV, 100-101.
25. Anzeige von J. A. Lundell, Om de svenska folkmälens frändskaper ock etno-
logiska betydelse.
Zachers zs. XIV, 101-102.
26. Anzeige von Ernst Wilken, Glossar zur pros. Edda.
Deutsche lit.ztg. nr. 35.
1884 K
27. Anzeige von J. Hoffory, Oldnordiske consonantstudier.
Zachers zs. XVI, 377-381.
1) 'Professor Gering bar pä en tid, da han var öfverhopat af egen arbete,
at mig författad de tyska referaten' G. Cederschiöld, Fornsögur sudrlanda. Lund
1884 vgl. s. CXXXIX. CLXXV. CCXVII ff. [F. K.].
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. L. 25
356 HUGO GERING
28. Anzeige von K. Müllenhoff, Deutsche altertumskunde V, 1.
Lit. centr.bl. nr. 25.
1885.
29. Über eine neue ausgäbe der Ssemundar Edda. Vortrag auf der philologenver-
sammlung zu Dessau.
Zachers zs. XVII, 117-119.
30. Anzeige von Vulfila, ed. Bernhardt.
Zachers zs. XVII, 249-253.
31. Anzeige von E. Bernhardt, Got. grammatik.
Zachers zs. XVII, 254-255.
32. Anzeige von P. Piper, Glossar zu Otfrid.
Zachers zs. XVII, 492-495.
1886.
33. Kvael)abrot Braga ens gamla Boddasonar. Bruchstücke von Brages des alten
gedichten herausgegeben von H. G. Halle a. S., verlag von Max Niemeyer»
31 s. gr.8''.
1887.
34. Glossar zu den liedern der Edda (Ssemundar Edda) von H. G. Paderborn und
Münster. Druck und verlag von Ferd. Schöningh. * VIII, 200 s. 8".
85. Julius Zacher. Nekrolog.
Hallische Zeitung nr. 71.
36. Anzeige von Guunlaugssaga ed. Mogk.
Zachers zs. XIX, 494-501.
37. Altnordisch v.
Paul u. Braunes beitr. XIII, 202-209.
38. Anzeige von H. J. Huitfeldt-Kaas, En notitsbog paa voxtavler fra middelalderen.
Zentralblatt für bibliothekswesen IV, 351.
39. Anzeige von Festskrift i anledning af boghandlerforeningens halvhundrede
aarsdag.
Zentralbl. für bibliothekwesen IV, 357.
40. Anzeige von W. Braune, Ahd. grammatik.
Zachers zs. XX, 247-250.
41. Anzeige von H. Frank, Kosegarten.
Zachers zs. XX, 365-374.
1888.
42. Zu Lauremberg. Zeitschr. XXI, 256.
43. Anzeige von Ludv. Wimmer, Dobefonten i Akirkeby kirke.
Zeitschr. XXI, 487-492.
44. Anzeige von Kr. Kälund, Katalog over den Arnamagnseanske händskriftsamling L
Zentralbl. für bibliothekwesen VI, 35—39.
1889.
45. Jordans Eddaübersetzung. Grenzboten 1889, 11, s. 366—373.
46. Eine lausavisa des Hrömundr halti.
Zeitschr. XXII, 383.
PUBLIKATIONEN 367
1890.
47. Textkritische Studien zu skaldischen dichtungen. I. Zur Hau8tl9ng.
Arkiv f. nord. fil. VII, 63-74.
48. Anzeige von: R. Henning, Die deutschen runendenkmäler.
Zeitschr. XXni, 354-361.
49. Nekrolog auf Theodor Möbius nehst chronol. Verzeichnis seiner Schriften.
Zeitschr. XXIH, 463-470.
1891.
50. Anzeige von : Morgenstern, Oddr Fagrskinna Snorre.
Arkiv f. nord. fil. VII, ;^86-87.
51. Anzeige von: Eeeves, The finding of Wineland the good.
Zeitschr. XXIV, 84-89.
1892 ^
52. Anzeige von: E. H. Meyer, Die eddische kosmogenie.
Theol. literaturzeitung 1892 nr. 2 (sp. 40-43).
53. Das zeichen <.
Litt.bl. f. germ. u. roman. philologie 1892 nr. 2.
54. Zur Geschichte des Zeichens <.
Ebda. 1892 nr. 5.
55. Die zeichen < und >.
Zeitschr. XXV (1893) s, 566-567 = Kuhns zs. 33, 479-80.
56. Die Edda. Die lieder der sog. älteren Edda, nebst einem anhang: Die mythischen
und heroischen erzählungen der Snorra Edda. Übersetzt und erläutert von H. G.
Leipzig und Wien. Bibliographisches Institut (o. J.). (VI), 17 u. 4o2 s. 8".
57. Zur Lieder-Edda.
Zeitschr. XXVI (1893) s. 25-30.
1893.
58. Der zweite Merseburger sprach.
Zeitschr. XXVI (1893) s. 145-149.
59. Drauma-Jöns saga.
Zeitschr. XXVI (ISrS) s. 289-309. Auch separat gedruckt als gratulatione-
schrift für Konrad Maurer.
60. Noch einmal der zweite Merseburger spruch.
Zeitschr. XXVI (1893) s. 462-467.
1894.
61. Anzeige von M. May, Beiträge zur Stammkunde der deutschen spräche.
Zeitschr. XXVII (1894) s. 124-125.
62. Anzeige von Joh. Fritzner, Ordbog over det gamle norske sprog, 2. udg.
Arkiv f. nord. filol. X (1894) s. 392-97.
63. Zum HeUand.
Zeitschr. XXVH (1894) s. 210-11.
64. Anzeige von : S. Bugge*, Bidrag til den aeldste skaldedigtnings historie.
Zeitschr. XXVIH (1895) s. 121-127.
1) Excerpta v. cl. Gering comiter ac benigne percensere voluit MGH t. XXIX
(Hannov. 1892) p. 254 [F. K.].
25*
358 HUGO GERING
1895.
65. Oskar Erdmann. (Nekrolog.)
Zeitschr. XXVIII s. 228-35.
66. Neuere Schriften zur runenkunde (anzeige von Wimmer, Senderjyliands historiske
runemindesmsrker ; Wimmer, De tyske runemindesmserker; Bugge, Norges
indskrifter med de aeldre runer).
Zeitschr. XXVIII s. 236-45.
67. Anzeige von: Ordbok öfver Svenska spräket utgifven af Svenska akademien.
Zeitschr. XXVIII s. 394-98.
1896.
68. Zur Lieder-Edda II.
Zeitschr. XXIX s. 49-63.
69. Glossar zu den liedern der Edda (Saemundar Edda) von H. G. 2. aufläge.
Paderborn, druck und verlag von F. Schöningh, XVI, 212 s. 8".
70. Selbstanzeige des vorstehenden buches.
Zeitschr. XXIX s. 543-44.
1897.
71. Anzeige von: Joh. Fritzner, Ordbog over det gamle norske sprog, 2. udg.
Arkiv f. nord. filol. Xm (1897) s. 370-75.
72. Eyrbyggja saga, herausgegeben von H. G. Halle a. S., Max Niemeyer. XXXII,
264 8.
73. Selbstanzeige des vorstehenden buches.
Zeitschr. XXX (1898) s. 266-2ti7.
1898.
74. Neuere Schriften zur runenkunde II (anzeige von Wimmer, De danske rune-
mindesmserker und Om undersogelsen og tolkningen af vore runemindesmserker
u. Soph. Bugge, Norges indskrifter med de seldre runer).
Zeitschr. XXX (1898) s. 368-379.
1900.
75. Zur altsächsischen Genesis.
Zeitschr. XXXIII (1901) s. 433-437.
76. Zum Clermonter runenkästchen.
Zeitschr. XXXIII (1901) s. 140-141. 287.
77. Anzeige von: Fr. Holthausen, Die altengl. Walderebruchstücke.
Zeitschr. XXXHI (1901) s. 139-140.
1902.
78. Zu flOvamgl str. 100.
Zeitschr. XXXIV (1902) s. 133-134.
79. Über Weissagung und zauber im nordischen altertum. Kiel, Lipsius & Tischer. 31 s.
(Rede zum antritt des rektorats.)
80. Die rhythmik des Ijööahättr.
Zeitschr. XXXIV (1902) s. 162-234 und s. 454-504.
1903.
81. Vollständiges Wörterbuch zu den liedern der Edda. Halle a. S. Waisenhaus,
xm s. und 1404 sp.
PUBLIKATIONEN 359
82. Bas deutsche Wörterbuch der brüder Grimm.
Grenzboten 1903, III, 677. 806.
83. Die germanische runenschrift. Vortrag.
Mitteilungen des Anthropol. Vereins für Schleswig-Holstein XVI, s. 9—22.
1904.
84. Die lieder der älteren Edda (Ssemundar Edda) herausgegeben von Karl Hilde-
brand. Zweite völlig umgearbeitete aufläge von H. G., Paderborn, druck und
Verlag von F. Schöningh. XX, 484 s.
85. Anzeige von: E. Dagobert Schönfeld, Der Island, bauernhof und sein betrieb
zur sagazeit.
Zeitschr. XXXVI (1904) s. 286-287.
1905.
86. Neuere Schriften zur runenkunde UI (anzeige von Wimmer, De danske rune-
mindesmaerker H- IV und Sonderjyllands runemindesmserker ; S. Bugge, Norges
indskrifter med de seldre runer I, 4—6 H, 1 und Norges indskrifter med de
yngre runer I; S. Söderberg, Ölands runinskrifter ; G. Stephens, The old-
northern runic monuments IV).
Zeitschr. XXXVHI (1906) s. 124-143.
1906.
87. Beowulf nebst dem Finnsburg-bruchstück übersetzt und erläutert von H. G.
Heidelberg, Karl Winters Universitätsbuchhandlung. XU, 121 s.
1907.
88. Hugsvinnsmäl. Eine altisländische Übersetzung der Disticha Catonis, heraus-
gegeben von H. G. Kieler Universitätsprogramm. XIV, 39 s.
89. Zu den Hugsvinnsmäl.
Zeitschr. XXXIX (1907) s. 238.
90. Glossar zu den liedern der Edda (Ssemundar Edda) von H. G. 3. aufl. Paderborn,
druck u. Verlag von F. Schöningh. XII, 229 s.
1908.
91. Zu dem Bornholmischen runensteine von Vester Marie VI.
Zeitschr. XL, 218-19.
92. Anzeige von: Paul Herrmarm, Island in Vergangenheit und gegenwart.
Zeitschr. XL, 374-377.
93. Um sambandsmäliö (aus einem briefe an Björn Magnüsson Olsen).
'Reykjavik' 1908 nr. 55 (1. decbr.).
1909.
94. Anzeige von: Finnur Jonsson, Den norskislandske skjaldedigtning.
Zeitschr. XLI, 231-38.
1910.
95. Altnordisch v.
Zeitschr. XLH, 233-35.
96. Neuere Schriften zur runenkunde IV (anzeige von Wimmer, De danske rune-
mindesmaerker I, 1 und IV, 2; Magnus Olsen, En indskrift fra Flaksand;
360 HUGO GERING, PUBLIKATIONEN
ders., Tryllerunerne paa et vsevspjeld fra Lund; 0. v. Friesen und Hans
Hansson. Kj^fverstenen).
Zeitschr. XLII, k:36-250.
1911.
97. Zur Lieder-Edda. III.
Zeitschr. XLIII, 132-140.
98. Die episode von Rggnvaldr und Ermingerör in der Orkneyinga saga,
Zeitschr. XLUI, 428-434.
1912.
99. Die lieder der älteren Edda (Ssemundar Edda), herausgegeben von Karl Hilde-
brand. Völlig umgearbeitet von H. G. 8. aufl. Paderborn, druck und verlag
von Ferd. Schöningh. XXV, 483 e.
100. Beiträge zur kritik und erklärung skaldischer dichtungen.
Zeitschr. XLIV, 133-169.
101. Anzeige von: Die geschieh te vom skalden Egil, übertragen von Felix Niedner.
Zeitschr. XLIV, 489-492.
1913.
102. Beowulf nebst dem Finnsburg-bruchstück übersetzt und erläutert von H. G.
Heidelberg, Carl Winters Universitätsbuchhandlung. Zweite durchgesehene
aufläge. XV, 123 s.
103. Zu Zeitschr. 44, 489 ff.
Zeitschr. XLV, 68-71.
1914.
104. Die episode von R^gnvaldr und Ermiugerör in der Orkneyingja saga. Zweiter
artikel.
Zeitschr. XLVI, 1-17.
1915.
105. Glossar zu den liedern der Edda (Ssemundar Edda) von H. G. 4. aufl. Pader-
born, druck und verlag von F. Schöningh. X, 229 s.
106. Zur erinnerung an Gustav Gering. Für verwandte und freunde als manuskript
gedruckt. Kiel 67 s.
107. Altnordische Sprichwörter und sprichwörtliche redensarten. Eine nachlese zu
Ark. 30, 61 ff., 17U ff.
Arkiv f. nord. filol. 32, 1-31.
108. Anzeige von : Edda. Die lieder des Cod. regius, herausgegeben von G. Neckel. I.
Zeitschr. XLVI, 466-469.
1916.
109. Zur runeninschrift des weberkammes von Drontheim.
Arkiv f. nord. filol. 33, 63.
110. Artus fututor.
Hermes LI, 632-635. ^
1918. H
111. Sensen als altnordische Waffen?
Arkiv f. nord. filol. 35, 181-83.
1919.
112. Njarar.
Zeitschr. XLVHI, 1-7.
KAUFFMANN, ÜBER DEN SCHICKSALSGLAUBEN DER GERMANEN 361
113. Das dänische Volkslied Paris og dronning Ellen und seine quelle.
Beitr. z. gesch. der deutschen spr. u. lit. 44, 180—182.
1920.
114. Anzeige von: H. F. Feilberg, Bidrag til en ordbog over jyske almuesmäl.
Zeitschr. XLVIII, 291-315.
115. Öttarr heimski.
Ark. f. nord. filol. 36, 326-331.
116. Ludvig Wimmer. Nekrolog.
Zeitschr. XLVIII, 500-506.
1922.
117. Zu Arkiv XXXVII, 329.
Ark. f. nord. fil. -38, 216.
118. Die lieder der älteren Edda (Ssemundar Edda), herausgegeben von Karl Hilde-
brand. Völlig umgearbeitet von H. G. 4. aufl. Paderborn, druck und verlag
von F. Schöningh. XXVIII, 484 s.
1923.
119. Glossar zu den liedem der Edda (Saemundar Edda) von H. G. 5. aufl. Pader-
born, druck und verlag von F. Schöningh. X, 231 s.
120. Anzeige von: Die Eddalieder, klanglich untersucht und herausgegeben von
Ed. Sievers.
Zeitschr. L, 93-97.
1924.
121. Das fornyröislag in der Lieder-Edda. Eine statistische Übersicht.
Ark. f. nord. fil. 40, 1-50. 176-221.
122. Grottas^ngr. Eine probe aus dem Eddakommentar. Festschrift für E. Mogk
6. 30-53.
123. Bälagardssiöa.
Namn och bygd 12, 121-126.
124. Zur Eddametrik (HärbarJ)slj6t), SigrdrifumOI, Ätlakvil)a, AtlamQl, HamJjesmOl).
Zeitschr. L, 127-175.
125. Abwehr (gegen E. Sievers).
Zeitschr. L, 326-331.
ÜBER DEN SCHICKSALSGLAUBEN DER GERMANEN
Der schicksalsglaube der Germanen ist ein religionsgeschicht-
liches problem^. Seine erörterung wird daher nicht von der mytho-
logie ausgehen dürfen, sondern die auf grund des Sprachgebrauchs ^
1) J. Grimm, Deutsche mythologie 1,* 335 ff. ; 2, 714 ff. ; vgl. 0. ^chrader,
Neue Jahrbücher 1919, 75 ff. M. P. Nilsson, Archiv für religionswissensch. 22^
<1924), 383 ff. /
2) A. Wolf, Die bezeichnungen für Schicksal in der ags. dichtersprache. Diss.
Breslau 1919; vgl. R. Jente, Die mythologischen ausdrücke im altengl. wertschätz.
Heidelb. 1921 (Anglistische forschungen 56).
362 KAUFFMANN
als gemeingermanisch erkennbaren glaubensvorstellungen zur riebt-
schnür nehmen müssen und insbesondere dies zu beachten haben^
dass die mittelalterlichen anschauungen denen des altertums nicht
kongruent sind. Ganz und gar nicht kommt für die vorzeit jene ver-
allgemeinernde und vereinheitlichende abstraktion in frage, die seit
dem 17. Jahrhundert vom weltanschaulichen denken vollzogen wurde
und den aus der spräche unserer grossen dichter uns geläufig ge-
wordenen schicksalsbegriff zur herrschaft gelangen Hess. Denn in den
denkmälern der Vergangenheit zerfällt das 'Schicksal' in eine bunte
reihe von Schicksalsfügungen, mächten und gestalten. Für jede von
ihnen wird ein eigenes Ordnungsprinzip zu suchen sein.
Das mittelalterliche Europa huldigte oder widersprach einem-
in der völkerweit altbegründeten schicksalsglauben, der durch das^
Christentum neu bestimmt worden war. Es bevorzugte unter den
Schicksalsmächten diejenigen, die der alte orient in den gestirnen
verkörpert gesehen hatte. Es hatten sich aber auch aus der griechisch-
römischen weit die parzen auf die fortschreitend sich romanisierenden
reiche der Völkerwanderung vererbt. Die planetengötter einerseits und
die schicksalsspinnerinnen andererseits sprachen die phantasie der
mittelalterlichen menschen an ^ (mag sie auch im norden von den alt-
germanischen Vorstellungen nicht losgekommen sein).
An den überlebsein des orientalischen, hellenistischen und ger-
manischen schicksalsglaubens konnte weder die bibel noch die missio-
nierende kirche gleichgiltig vorübergehen. Sie haben vielmehr ernstlich
damit gerechnet und auf die art mit ihnen sich abgefunden, dass sie
das Schicksal nicht negierten, sondern dem regiment ihres all-
mächtigen gottes unterstellten.
Die bibel hat hierfür den weg gewiesen und in grundlegender
weise zu den in den gestirnen sich offenbarenden Schicksalsfügungen
Stellung genommen. Es ist von interesse, zu verfolgen, wie die Ger-
manen sich dazu verhalten haben.
Von dem auferstandenen Christus datierte das Neue testament
eine neue Schöpfung: x.aiv7) xTict;, nova creatura, got. niuja gaskafts
(2. Cor. 5, 17; Gal. 6, 15). Mit Christus ist ein neuer aion ange-
brochen, das 'leben' der alten weit (got. fairk-us) samt dem götzen-
und Bchicksalsdienst abgetan. Jetzt hat sich erwiesen, dass die den
göttermächten anhängenden Völker einem wahnglauben verknechtet
1) F. v. Bezold, Das fortleben der antiken götter im mittelalterlichen humanis-
mus (Bonn 1922) s. 75 ff.
ÜBER DEN SCHICKSALSGLAUBEN DER GERMANEN 363
gewesen sind {galiugagude skolkinossus Gal. 5, 20; Col. 3, 5)^; denn
mit der macht der gestirne *, auf die die Völker (piudos) bisher ver-
traut haben ^, ist es nichts ; mächtig, übermächtig ist allein der lebendige
schöpfergott der Christen *.
Wie die bibel, so eiferte auch die missionierende kirche wider
die vorchristlichen mächte des Schicksals ^. Die astrologie hatte den
lebenslauf der menschen von den gestirnen abhängig gemacht und die
schicksalsgläubigen auf die sterndeutung verwiesen, weil der astrolog
{mathematlciis, horoscopiis) das Schicksal der menschen aus den kon-
stellationen der gestirne abzulesen vermochte^. Die beobachtung der
mächtigen himmelsgestirne, der tagesgötter, die die stunden regierten ^,
wurde eine weitverbreitete sitte. Sie hat bei den Germanen ihren
einzug gehalten, als sie während der Völkerwanderung die römische
woche mit ihren sieben tagesgöttern übernahmen^. Nun achteten
auch sie auf die machtwirkung eines in den Sternen geschriebenen
Schicksals^: qiii fatum malum out honum in hominibus esse credunt
. . . qui astrologia et tonitrualia legit . . . qiii signa caeli et Stellas ad
auratum inspicet {augurandi causa) . . . qui dies aspicet, quos pagani
erranfes soles lunes martes mercures ioves veneres saturni nominaverunt,
et credet sibi per hos dies viani agendam vel negotium faciendum vel
in quacumque utelitate alia aut iovamen aut gravamen fieri posse vel
1) Vgl. 1. Cor. 8, 4-6.
2) Vgl. Sapientia 13, 1— Z; oi äaxepec . . . ai Suvä^iscs ai ev zoXg obpavolg
stairnons . . . mahteis pos in himinani Marc. 13, 25 ; uf tugglam skalkinondans
Gal. 4, 3 A (Zeitschr. 49, 41 anm. 1); ags. heofones tungl Boethiua ed. Sedgefield
s. 129, 5.
3) iddjedup hi pizai aldai pis fairh^aus (aiwis) bi reih waldufnjis lustaus
Eph. 2, 2.
4) ka ufarassus mikileins mahtais is in uns paim galaubjandam bi waurstwa
mahtais swinpeins is . . . ufaro allaize reikje jah tvaldufnje Jah mähte jah frauji-
nassiwe (supra omnem principatum et potestatem et virtutem et dominationem)
Eph. 1, 19. 21 vgl. in mahtai swinpeins is 6, 10; iit allai mahtai gasivinpidai bi
mahtai wulpaus is Col. 1, 11; dazu 2, 10.
5) Caspari, Homilia de sacrilegiis s. 19 if.
6) Isidor, Eymol. VIII, 9; vgl. F. Boll, Sternglaube und sterndeutung.
Leipzig 1919.
7) dagam witaip jah menopum jah melam jah apnam Gal. 4, 10; J. Grimm,
Mythol. 2 *, 953 f. ; z. b. Vetieris dient in nuptias obstrvare et quo die in via exeatur
adtendere Martin von Bracara ed. Caspari s. 32. 12. 29 u. ö. XCVII. CIX ff. Ho-
milia de sacrilegiis s. 25 ff. Jente a. a. o. s. 241 f. Arch. f. religionswiss. 19, 118 f.
8) Kauffmann, Deutsche altertumskunde 2, 509; Martin von Bracara ed.
Caspari s. LXXVIII ff.
9) Martin von Bracara ed. Caspari s. CXV f. ; Jente a. a. o. s. 255 ff.
364 KAUFFMANN
ipsiim diem quem ioves dicunt j^f'opter iovem colet et opera in eo non
facti . . . quicumque novnm lunam contralunium vocat et in aliqua
utilitate operis sui\ sive ad agendam v/am sive ad agrum arandum vel
letamen vehendum aut vineam potandam atque colendam aut in silva
ligna incidenda aut domum contimiandam aut quocumque aliud agendum
et p)^'*' lni'Ci'>n sibi fieri impedimentum credit, iste non christianus sed
pagnnus est Homilia de sacrilegiis s. 6 ff., 19 ff. Auch diese geheimnis-
vollen Schicksalsmächte, denen die mittelalterlichen Jahrhunderte nicht
glaubten, sich entziehen zu dürfen, wurden in abhängigkeit von gott
gesetzt, das fatum seiner Providentia einverleibt ^
Als das hauptwerk des Boethius in die Volkssprachen Englands
und Deutschlands übertragen und in St. Gallen auch die 'hochzeit der
Philologie' von Marcianus Capella bearbeitet wurde, musste zu dem
fatum Stellung genommen werden.
In dem mythologischen handbuch des Spätrömers ist von den
parzen, ausführlicher jedoch von den planetengöttern gehandelt und
fitum durch ahd. urlag wiedergegeben^: der urlag heizet latine con-
stillatio . . . ist kesaget, wio an dien planetis menniakon urlag st unde
metemunga iro Itbes (cursus fafalis siderum: tiu fart iro urlaglichun
metemungo) . . . wanda mathematici ivänent taz ter urlag echert st an
demo vfrucche dero siernon, ih meino an iro ortu, dar sie alles kahes
ze ougon choment Notker ed. Piper 1, 780, 5 ff. ^.
Für diesen an der astrologie (horoskopie) orientierten schicksals-
glauben wurde damals statt des altheimischen urlag ein sonderwort,
ein die macht der planetengötter kennzeichnender ausdruck für
'Schicksal' neu gebildet: wilsulda. Dies wort besagt dass die gestirne
die 'stunden' regieren und mit ihnen glück oder Unglück bescheren*.
Notker wandelte seine aussage (fatum urlag 280, Ü *) ab, bemerkte in der
Boethiusübersetzung: tiu rihti des fati . . . duinget tero menniskon täte unde iro
wilsdlda mit festemo bände dero urhabo (a. a. o. s. 281, "iL ff.) und erwähnte in der
€apellaverdeutschung alle die wilsdlda {fortunae) dero toerlte ioh tero dieto (waz
mag in werelte sin iz newerde umbefangen mit tien ringen dero planetarum ? föne
1) PBBeitr. 35, 238.
2) Vgl. z. b. fatum heizet daz iovis kesprichet unde tres parcae gebriefent . . .
tannan diutent knuoge fatum urlag Notker ed. Piper 1, 780. 280; latein. fatum
war von haus eine schicksalsverkündigung, ein orakelspruch (versus antiquissimi,
quibus Pannus f ata cecinisse hominibus videtur, saturnii appellantur Varro 7,36).
3) tiu rihti des selben fati diu fuoret unibe den himel mit tien sternon 280, 9—11.
4) horarum effectiva potentia Arch. f. religionswiss. 19, 119. 20, 361.
5) tirlag 738, 3. 798, 21: tvilsälda 1'61, 28 (wilmaht). manigi dero wtlsdldon
(fortunarum) 707, 31 (manigi dero zutfelsäldon 710, 10; fortime daz chit tero
wilewendigi 40, 13).
ÜBER DEN SCHICKSALSGLAUBEN DER GERMANEN 365
in Wirt tero menniscon lib pesturzet so maihematici wanent) s. 709 ; tär stuont unt'
beringet al daz io zUo ward aide wirdet unde die wtlsälda allero burgo, allero dieto,
allero chuningo, allero liuto . . . under sus ketdnen ferten dero wUsäldon s. 704. Er
schilderte schliesslich die wilsälda (fortuna) folgendermassen : do cham ouh allero
diernon ferchröndosta unde diu io föne unstdtero gnuhte unde widerivartigero inda-
galtlichero liehti suepferlicho sprungezta ; si gab wilon filo, filo nam si ouh . . . dia
heizent sunteliche sortem, sumeliche nemesim, wanda sors latine unde nemesis grece
ein bezeichenent, sumeliche heizent sie wtlsälda, sumeliche chraftelösi, wanda umbe
infirmitatem wurte7i löz funden (schicksalsorakel) 8. 761: in demo iovis statahüs (consi-
storium) . . . treib trätero spuote daz unwendiga hiinelloz ein wib, tiu adrastia heizet
. . . si was tes lieza, wenne ioman solti geborn iverden aide ersterben . . . tres parce
iovis priefarun sina reda vilo gewäro scribent, ih nieino cloto, daztir chtt evocatio
s. hominum de non esse in esse, unde lachesis, taztir chtt sors s. qualiter vivant,
unde atropos, taz chtt absque ordine s. moriendi, wanda sie in allen alteren erster-
hent 8. 739 f. Von den jüngeren belegen fallen namentlich die der Kaiserchronik
ins gewicht (ed. Schröder v. 3029 ff.)': diu icilscelde ie muoz ergdn 3474. 3516.
3664 ff ^; das glück oder Unglück einer 'stunde' ist gemeint ^ Mancherlei lägst
sich dafür und dawider einwenden (3508—10), der Vertreter der astrologie bleibt
dabei : swelher ie tot lac, daz was sin wile und sin tac, er mahtes niht über werden,
swelhes tödes er solt ersterben (M537— 40) ; daz maisterent allez Septem planete, die . . .
die wile tihtent und ir iegelih besunder walzet alumbe und muoz ir ztt durh gän ;
da nekanst du mir niht von gesagen, in den puochen pin ich gezogen, zewär diu
wilscelde muoz ie dem mennisken komen, swaz im der von solt geskehen (3544—53);
iegelich ziuhet stn lip, also im diu wilscelde gtt 3107 f. ; ih spriche, daz nehain got
die werlt rihte noh sie niht antraite unt daz der uppik arbaite, der in der werlt
ihtes gere, wan also ime diu wilscelde gebe, in sicelher wtle der nienniske wirt geborn,
ditc muoz iemer über in komen (3165—72). Diesem konsequenten schicksalsglauben
gegenüber stellen die Vertreter der kirchenlehre sich auf den Standpunkt daz du
sprichest, daz wilscelde si, iz nehät nehainer slahte craft, sunder elliu disiu werlt
stät under aim skephcere (3336—39) ; der allmächtige schöpfergott der Christen (alle
dinc megende 3298) hat in siner hitote al daz in dirre werlt ist (3300).
Dass an den Schicksalsfügungen irgendwie ein gott beteiligt
sei, war schon in den Zeiten Homers* eine geläufige Vorstellung, und
so Hess denn auch Marcianus Capella seinen Jupiter die kugel der
r ortuna beschauen : tiu föne allen elementis so zesamene geduhet was, taz niehf
tarana nebrctste alles des tiu natura begrtfet; allez taz werltpilde was sament fore
iovis ougon, ivanda in gotes muote unde in gotes Providentia tvas io gebildot
unde sament pegriffen diu sunderiga misselichi allero creaturarum s. 741. Tiu spera
was tirro tverlte gescaft unde bilde . . . tcaz alle unde waz iogeliche Hute allero dieto
1) Eöhrscheidt, Studien zur kaiserchronik, diss. Göttingen 1 907 s. 44 ff. 49 ff.
(disputation über die wilscelde); ferner Frommanns Mundarten 1 (1854), 185.
2) wie mäht daz ain wile getragen, daz si in ainer wile wurden geborn und
in ainer wile doch den lip hant verlorn 3490—92. 3504—6. 3606 u. a. vgl. der wile
vier und zwenzich sint . . . 3518 ff. (ir iegelich hat ir chraft) ; wile unde stunde
3568. 3641 ; diu wile in grözen saelden 3815 f. (steht im zeichen grossen glucks).
3) uzerhalb der wilsaslde iemer iht mac gescehen 3880.
4) Arch. f. religionswiss. 22, 383 ff.
366 KAUFFMANN
tageliches ilen getuon, daz shinet al uzer demo spiegide des pildonten gotes, taz
wirt al ersetcen in dero spera; wen er wolti Idzen gedihen aide missedihen unde
wen geborn werden aide erslagen werden, daz püdota er imo al dar selbo mit sinero
haut . . . welih lant er wolti ferdösen aide gesäligon, wuoste wesen aide bühafte, daz
kemisselichota er al selbchostiger scaffare . . . tisen allelichen nrlag in dero spera
scouwonde ioh skepfende s. 745. Die mannigfaltigkeit der 8chicksalsfügungea
ist hier übersichtlich zusammengestellt und statt auf wtlsälda wiederum auf urlag
bezogen. Es ist aber nicht mehr eine schicksalsmacht, sondern ein gott, der es
'schafft', und wie auf den heidnischen so ist diese leistung nun auch auf T3en
christlichen Gott übergegangen. In Notkers Boethius steht: wer ist ouh, ter
guot innehalte xinde übel uztribe, äne got tero menniskon muoto rihtare ioh arzenare?
so er aba demo chapfe sinero pr ovidentie haranider wartendo chiuset, waz ioge-
lichento gelimfe, danne gibet er imo, daz er imo bechennet limfen. so geskihet tanne
daz sunderglicha ivimder des in rihti farenten urlages, taz kot wizzende tuot, des
sih iinwizende erchomen s. 283 f. kot, allero naturon skepfor, alliu ding sestot io
ze guote siu cherende unde ze sinero gelichi duingendo diu er geskuof ferstözet er
uzer sinemo rtche allero ubelolth mit tero nothaftun rihti des urlages
6. 290, 5—11 *. Der abschnitt de Providentia et fato (s. 274 ff.) ist der genaueren
erörterung dieses problems gewidmet : ordo fatalis ex providentie simplicitate procedit
{wanda fatum chumet föne Providentia) . . . quo tit ut omnia que fato subsunt^
providentie quoque subiecta sint, cui etiam ipsum fatum subiacet (so ist ouh fatum
undertdn providentie, wanda Providentia fore ist an gotes willen unde den ivillen fatmn
nähkändo follot) . . . sive igitur fatum exercetur famulantibus providentie qui-
busdam divinis spiritibus seu anima seu tota inserviente natura seu celestibus
siderum motibus {sunnun unde mdnen) seu angelica virtute seu demonum
(tievales) varia sollertia seu aliquibus horum seu omnibus fatalis series texitur,
illud certe manifestum est, providentiam immobilem formam esse gerendarum rerum
et simplicem, fatum vero mobilem nexum atque ordinem temporalem eorum, que
divina simplicitas gerenda disposuit (sotveder fatum gefrumet tverde . . . so ist io daz
kuis, providentiam wesen stilla unde einstuodela scaffunga dero geskehen sulndon
dinge, aber fatum fertiga chnupfeda unde zHlicha ordena dero diu gotes einfalti
scaffota ze tuonne) s. 216 {. inin diu sizzet obenan der skepfo unde rihtendo,.
cheret er dero tverlde zuol, herro unde chuning, anagenne unde urspring, selbiu diu
ea unde wtse eteilare des rehtes a. 292, 8— 13^
Eb lohnt sich, der Verdeutschung des St. Galler theologen die
ags. Übersetzung könig Alfreds gegenüberzustellen. Dabei fällt auf,
dass er für fatum das von dem Alemannen gebrauchte urlay vermeidet
und uyrd an seine stelle setzt, z. b. an dem soeben zitierten ort:
/ios wandriende (wandelbare) wijrd, J>e tve wyrd hätad . . . siddan tve hit hdtad wgrd,.
siddayi hit ^eworht bid, cer hit tvces ^odes foreJ>onc ond his foretiohhun^. pä wyrd
1) Vgl. 8. 280 f. 48, 16 ff. (wilsälda).
2) Der rechtssprache angehörende ausdrücke werden auch für das
Schicksals walten der parzen gebraucht: deposco parentem principemque maximum
s. iovem fatumque nostrum i. deorum , . . dine brievara (parcarum chorus) scafont
tero menniscon ding, tu scaffost tero goto ding Marc. Capella s. 724 f. ; Vgl. s. 762
(sie fertigen die schicksalsurkunden aus).
ÜBER DEN SCHICKSALSGLAUBEN DER GERMANEN 367
Jie ponne wyrcd odde Jmrh pd goodan englas odde /mrh momta sdwla odde purh
öderra gesceafta lif odde purh h e ofo nes tungl^ odde purh ßdra scuccena mis-
lice lotivrencas . . , ac poet is openlice cüd, pcet sie godcunde fo?'etiohhung is dnfeald
ond unandivendlic otid weit celces pinges endebyrdlice ond eall ping gehitcad. siimu
Ping ponne on pisse weorulde sint underdied pwre wyrde, sume hire tidnwuht under-
died ne sint, ac sio tcyrd ond eall pd ping, pe hire underdied sint, sint underdied
/cem godcundan foreponce . . . (King Alfreds old english Version of Boethius, de
consolatione philosophiae ed. Sedgefield [Oxf. 1899] s. 128 f.). Unzweideutig hat
also der Angelsachse Stellung genommen und das Schicksal, ohne seine macht
zu bestreiten, in des allmächtigen Christen gottes hand gelegt. Als einer
Schickung gottes- harren die christenmenschen ihres Schicksals; 'Schicksal' und
'Vorsehung' sind für sie fast nur verschiedene ausdrücke für ein und dieselbe welt-
ordnung: Pcet pcette we hdtad godes foreponc ond his foresceawung, pmt bid pd
hivile pe hit pcer mid him bid on his möde, cerpcem pe hit gefremed weorde, pd
htmle Pe hit gepoht bid; ac siddan hit fullfremed bid, ponne hdtad we hit tvyrd.
be py mceg celc man witan, pcet hit sint cegper ge twegen nainan ge twd ping,
Joreponc ond tvyrd . . . ac pcet pcet ice wyrd hdtad, pcet bid go des weor c . . . sio
tcyrd ponne dceld ealluni gesceaftum amvUtan ond stöica ond ti'da ond gemetgunga,
ac sio wyrd cyd of pcem gewitte ond of pcem foreponce pces celmehtigan godes. se
wyrcd cefter his unasecgendlicum foreponce swa hwcet swa he teile s. 128'.
Eifrigst wurde in diesem sinn gegen den schicksalsglauben der vorzeit ge-
predigt: sujne udiviotan peah secgad, pcet sio wyrd tcealde cegper ge gescelda ge un-
ßescelda celces monnes. ic ponne secge, swa swa ealle cristene men secgad, pcet sio
godcunde foretiohhung his walde, nces sio wyrd ond ic weit, pcet hio demd eall ping
swide rihte, peah ungesceadwisum men swa ne pince s. 131 ; ne win pii no, pcet ic to
atiivillice winne tvid pd wyrd, forpcem ic hit no seif tiauht ne ondrcede, forpäm hit
oft gebyred, pcet sio le'ase wyrd nauper ne mceg pcem men dön . . . ic wdt, pcette sio
widerwearde wyrd bid celcum men nytwyrdre pon sio orsorge . . ; s. 47 ; hü ne is pe
nu genoh stveotole gesced, pcet sio wyrd pe ne mceg ndne gescelda sellan s. 25 u. a. *.
Diese Christianisierung des schicksalsglaubens, ein unbestreitbarer
«rfolg der mission, schuf eine neue basis, von der aus die gescheh-
nisse beurteilt wurden. Sie kommt in der frühchristlichen dichtung
der Westgermanen deutlich zum Vorschein.
1) Vgl. 0. s. 363 got. tuggl.
2) jod, yfel wyrd a. a. o. s. 137 f. (folcisce men secjad, Jjset aelc redu wyrd
ond unwynsumu sie yfel, ac we ne sculon l)fes jelefan, forjjsem l)e selc wyrd bid
jöd). — In Skandinavien ist dieselbe auffassung vertreten worden: af gupi ero
Mir hltitir ok qU skepna hans göp en illt kallaz af Jn-i ekki at pat er engl skepna
pvi at gup sköp alla hluti gopa ok ekki illt . . . Hauksbök udg. af F. Jonsson s. 491 £f.
vgl. 494, 20 ff. 496, 15 ff. (nichts geschieht nema firir domez af gupi).
3) Brandl, Festgabe für F. Liebermann s. 257 f. ; Wolf s. 42 ; Jeute s. 197 ff., 201 ff.
4) Vgl. Metra 11, 1 ff. 22 ff. 13, 1 ff. 20, 18 ff. 28, 69 ff.; The homilies of
Aelfric ed. Thorpe 1, HO ff. (ctvcedon pcet se äteorra his gewyrd ivcere, gewite pis
^edwyld fram geleaffidlum heortum, pcet cenig gewyrd st biiton se celmihtiga scyp-
pend) 134. 273 ff. (in der arguraentation mit der Kaiserchronik [o. s. 365] sich be-
rührend).
368 KAUFFMANN
Unter den rätseln Aldhelms trägt eins die Überschrift Fahim;
der Verfasser bezeichnet scharf den unterschied der heidnischen und
der christlichen auffassung des 'Schicksals':
Facundum constat quondam cecinisse poetam: quo deus et quo dura vocat
fortuna, sequamur! me veteres falso dorn in am vocitare solebant, sceptra regen»
mundi dum Christi gratia regnet'.
Von den ags. rätseln wird derselbe Standpunkt eingenommen^
und auch in den denkmälern frühangelsächsischer gnomik ist es gott^
der das Schicksal bestimmt^. Desgleichen in der ags. Genesis und
den verwandten dichtungen ist gott der herr des Schicksals, das der
mensch zu gewärtigen hat*, und heisst darum wyrda waldend (Exod.
432, Andr. 1056-, Elene 80). Auch der Beowulfdichter dachte sich die
wyrd 'in einem dienstverhaltnis zu gott'^, der ihre machtwirkung zu
hemmen vermochte: pone amne heht golde for^yldan pone pe Grendel
(FT mäne äcwealde, swd he hyra mä wolde, nefne him ivitlg ^od wyrd
forstöde ond pces mannes mod; metod ealliim iveold ^umena cynnes
swd he nu ^it ded . . . fela scecd ^ebidan leofes ond Idpes, se pe longe
her on pyssum winda^um worolde briiceä (1053-62). Der Heliand-
dichter hat diesen christlichen Standpunkt selbstverständlich geteilt:
hahed im iviirdgiscopu metod gimarcod endi mäht godes 127 f.; godes
giscapu mahtig gimanodun 336 f., 547; thiu berhtun giscnjpu . . . endl
mäht godes 367 f. ; thu giwald habes thurh thiu helagun giscapu himiles
endi erdun 4063 f.
Aber hier wie dort fehlt es nicht an ausdrucksformen, die aus
einer andern Weltanschauung stammen. Denn die Germanen sind doch
nicht so leicht mit ihrem altererbten schicksalsglauben fertig geworden,
wie es den anschein haben könnte. Man war nicht gesonnen, ihn
aufzugeben. Man bekannte sich zwar zu der neuen weitmacht, dem
allmächtigen christengott, dem herrn des Schicksals : er ist jnihfa ^od
El. 819 ; se metoda drihten (The homilies of Aelfric ed. Thorpe 1, 598.
1) MGH Auct. antiqu. XV, 101.
2) Z. b. 41, 1 ff. (bearbeitung von Aldhelms de creatura); Tupper s. 30 ff. 161 ff.
3) tvyrd hid swidost ... is seo fordgesceaft di^ol ond dyrne, drihten dna
wdt Grein 1'^, 338 ; tveoruda god, metod meahtum swid monnum dceled , . . se pe dh
dömes getveald 3^, 140; meahtig dryhten . . . scyred ond scrifed ond gesceapu healded
. . . weoroda god . . . gesceapo ferede ceghtvylcum on eordan eormencynnes s. 150 f. ;
Tgl. Pauls Grundr. 2, 959 ff. 1036 f.
4) ^if pe altvalda i'ire drihten scirian wille se pe ^esceapu healded, pcet fm . . .
Gen. 2826 ff. ; seif es gesceapu heofoncyninges 842 f.; wyrd wechselt mit drihtnes
dorn 25701.
5) Brandl, Festg. f. F. Liebermann s. 253 f. ; vgl. Anglia 39, 11 ff., Wolf s. 37 ff.
ÜBER DEN SCHICKSALSGIiAÜBEN DER GERMANEN 369
2, 252. 316. 328. 380. 512); metod alwuhta Metr. 20, 253 {eallra
pin^n, peoda wählend, frwna ond ende . . . lätteow lif^endra ^ehwces
274-78). Aber es verstummte nicht die quälende frage: eaia min drih-
ten, pu pe ealle gesceafta ofersihst . . . eala pu celmihtiga scippend ond rihtend eallra
^esceafta . . . hwy pu la drihten cefre woldesf, pcet seo wyrd siva hivyrfan sceolde
(Boethius s. lOj ? * pu celmihiiga ealra gesceafta sceppend ond reccend . . . htci pu ece
^od xefre wolde, pcet sio wyrd on gewill tvendan sceolde yßum monnum ealles swa
swipe? . . . (firum unctid, hwi sio wyrd swa wo tvendan sceolde) . . . gif pu nu,
walde)id, ne wilt wirde st4oran ae on selftcille sigan Icetest, ponne ic wät, pcette
wile woruldmen tweogan . . . eala min drihten, pu pe ealla ofersihst worulde gesceafta
Metr. 4, 29 fif.
Angesichts dieser zweifei (Metr. 28, 69 ff.) und der unbestrittenen
machtwirkungen des 'Schicksals' ^ ist es nicht zu verwundern, wenn
nicht nur neben, sondern auch statt des gottes- und Vorsehungsglaubens
der alte schicksalsglaube zum durchbruch gelangte: wi/rd oft nered
toifce^ne eorl, ponne his eilen deah Beowulf 572 f. (,sw« mce^ unfce^e
eade gedigan weau ond wrcecs'ip, se pe ivealdendes hyldo gehealded
229 1-93) ^
Schicksalsfügungen
Das Schicksal (swaz sich sol gevüegen Nib. 1680), die urbestimmung
der geschaffenen dinge hat es hauptsächlich mit dem beginn und mit
dem beschluss ihres daseins zu tun.
Durch die bei der geburt sich vollziehende Schöpfung wird ein
geschaffenes mit den wesensmerkmalen seiner beschaffenheit begabt
und bis auf den heutigen tag ist das wort 'beschaffen' — von haus
aus mit 'geschaffen' (erschaffen) identisch - in einem besonders nahen
Verhältnis zu 'geschaffen' verblieben, auch nachdem die beiden partner
sich zu verselbständigen begannen^. Alles geschaffene ist irgendwie
1) ic p)e tvolde acsian . . . pe sio godcunde foretiohhung odde sio wyrd us nede
to pccm pe we willan ? s. 140, 19—22.
2) Boethius ed. Sedgefield s. 12, 16 ff. ; pu scedest, pcet Jni wende pcet pios
slidne wyrd Jms ivoruld wende buton godes gepeahte 13, 24 f. (30—32) ; pe puhte, pcet
seo ivyrd swidost on pinne willan wode 48, 13. Manche wähnten diesen schicksals-
glauhen vom teufel eingegeben (und erinnerten damit an die vorchristlichen mächte
der finsternis): me pcet pjynced, pcet kie for cefstum inivit syredon purh deoptie
gedu'olan deofles Icirum, hceled hinfüse hyrdon to georne tvrddnm wcerlogan, hie
sio tvyrd besicäc, forleolc ond forlcerde Andr. 609 ff. ; Wolf s. 31 f.
3) Herrigs Archiv 115, 179; Wolf s. 40 (Hess unfcege nicht zu seinem rechte
kommen).
4) sivaz ist geschaffen, daz muoz geschehen: daz ist beschaffen, daz kan doch
nienian wenden . . . mir geschiht niht wan mir geschaffen ist . . . beschaffen (fatatum)
Müller-Zarncke, Mhd. wb. 2, 2, 68 f.; J. Grimm, Mythol. 3, 258 f.
870 KAUFFMANN
beschaffen und damit nicht nur ins leben gerufen, sondern zugleich
auch naturhaft oder schicksalhaft in seinem dasein bestimmt. Darum
ist zu allen Zeiten der geburtsakt für den schicksalsgläubigen be-
deutungsvoll gewesen K Der astrolog stellte die nativität : astrologi
dicti eo quod in astris auguriantur ; genethliaci appellati pro2)ter nata-
liutn considerationes dierum, geneses enim hominum per duodecim caeli
Signa describunt siderumque ciirsu nascentium mores actus eventa prae-
dicare conantur id est quis quäle signo fuerit natus aut quem effectum
habeat vitae qul nascitur ; hi sunt gui vulgo mathematici vocantur . . .
horoscopi dlcti, quod horas nativitatis hominum specidantur dissimili et
diverso fato Isidor, Etymol. 8, 9, 22 ff. ags. tun^elwitega vel ^ebyrd-
tvitega (mathematicus) Jente s. 248 f. 261; wanda mathematici ivänent,
taz ter urlag echert st an deme ufrucche dero sternon . . . unde sower
ijiin diu geboren werde, um iovis Stella uf hat, taz temo prospera
folgeen, übe aber Stella martis inin diu chome, daz imo adversa bega-
genen suli7i, sosamo wellen sie, übe sih gemini inin diu äugen beginnen,
daz er scöne werde unde übe taurus, taz er guot accherman tverde
Notker 1, 780. nullus sibi proponat fatum vel fortunam aut genesim,
quod vulgo nascentia dicitur, ut dicat, qualem nascentia attulit
taliter erit MGH. Script, rer. Merov. 4, 707; Caspari, Homilia de
sacrilegiis s. 19^.
Statt der gestirne Hessen unsere Völker auch die parzen oder feen *
bei einem geburtsakt in tätigkeit treten : credidisti quod quidam credere
solent, ut illae quae a vulgo parcae vocantur, ipsae vel sint vel possint
hoc facere quod credunfur, id est dum aliquis homo nascitur, et tunc
valeant illum designare ad hoc, quod velitit (Burchard von AVorms;
Grimm, Mythol. 3, 409)*. Auch in der nordischen mythologie, d. h.
in den dichterischen Spiegelungen des schicksalsglaubens der nordischen
1) J. Grimm, Mythol. 2, 715 ff.
2) 'Ich finde nicht, dass in unserm ältesten heidentum das fatum aus den
gestirnen bei der gehurt beurteilt wurde, diese Weissagung scheint erst dem späteren
mittelalter bekannt. Radulphus Ardens (ein aquitanischer geistlicher des 11. Jahr-
hunderts) sagt in seinen homilien: cavete fratres ab eis qui mentiuntur, quod quando
quisque n ascitur , Stella sua secum nascitur, qua(e) fatum eius constituit{ur)
absit a fidelium cordibus, quod esse aliquid fatum dicant . . . (Migne, Patrol. ser.
lat. 155, 1732) J. Grimm, Mythol. 2\ 717. 3, 258. 402.
3) Grimm, Mythol. 1«, 838 ff. 3, 116 ff. ; vgl. KHM. 50; Bolte-Polivka 1,409.
4) ß. Pecock, der in Oxford und London wirkte und die angriffe gegen die
geistlichkeit durch seinen 'Repressor' (1455) abzuwehren suchte, redet von närrischen
opiniones einfältiger leute, wie . . . /// sistris (whiche ben spiritis) comen to the
cradilis of infantis for to sette to the habe what shal befalle to Mm (parzen; mit
der nativitätsstellung verknüpft) Brandl, Festg. f. Liebermann s. 261.
ÜBER DEX SCHICKSALSGLAUBEN DER GERMANEN 371
Völker durften die nornen dem neugeborenen die grundbestimmungen
seines lebens stiften. Als Borgbild den Helgi gebar, knüpfte sich
das Schicksal {0rlgg) eines heldenlebens und die dichtung stellte diesen
Volksglauben im stil der Eddamythologie also dar:
Ngtt varj) i bo nornir kvQmu
l)ars ol)lingi aldr of sköpu;
böl)U fjlki frtogstan ver{)a
ok bul)lunga Laztan l^ykkja.
Snoru af afli 0rlogt)öttu ...
l)8er of greiddu golliu bimu
ok und mänasal milijau festu.
Jiser austr ok vestr enda fölu,
liar atti loflmugr land d milli ;
brä nipt Nera ä norljrvega
einni festi, ey baj) lialda.
Eitt vas at angri ylfluga nil^
ok l)eiri meyju es munug}) foddi . . .
Lrafn kval^ at hrafiii . . ; (Helgakv. Huod. 1, 2—5).
Die schicksalhafte 'begabung' des beiden finden wir bei Saxo
Grammaticus in eine kurz nach der geburt erfolgende orakelkund-
gebung {fatum, nrlag) der schicksalsmächte verlegt; der schicksals-
glaube wirkte sich hier nicht in einem mythos, sondern in einem
kultakt aus, von dem man aber grund hat anzunehmen, dass seine
Schilderung nicht volkstümlicher religionsübung, sondern dem lite-
rarischen formelschatz der fornaldarsaga entstamme^: mos erat antiquis
super futuris llberormn evetiiibus x>tt>' ca runi oracula consultare. quo rttu Frid-
levus Olavi filii fortunam exploraturus nuncupatis solenniter votis deoruni edes preca-
bundus accedif, ubi introspecto sacello ternas sedes totidem nymphis occtipari cognoscit.
quarum prima, indidgencioris animi, liberalem puero forman uberemque liumani
favoris copiam erogabat. eidein secunda beneficii loco Uberalitatis excellentiam condo-
navit. tercia vero proterrioris ingenii invidenciorisque studii femina, sororiim indnl-
ge.nciorem asperiiata consensum ideoque earum donis officere cupiens, futuris pueri
moribus parsimonie crimen offixit, ita aliarum beneficiis tristioris fortune veneno
corruptis accidit, ut Olavo pro gemina munerum raciojie permixta liberalitati par-
citas tribueret cognomentiim. quo evenit, ut prioris indulgencie svavitatem inserta
beneficio nota confunderet (ed. Holder p. 181).
Die mit der geburt eines menschen sich verknüpfende be Stim-
mung seines Schicksals durch die nornen verdeutlichte der
Nornagestsjjattr (c. 10-11) mit hilfe der die wochenstube besuchenden
Wahrsagerinnen (par foru pa um land vglüur, er kallapar vdru spä-
1) Olrik, Sakses oldhistorie 2, 62 f. 68 ff. ; Herrmann, Saxo 2, 409.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. L. 26
372 KAUFFMAXN
koniir). Auch aus dieser genrehaften darstellung des mythos enthüllt
sich der schicksalsglaube (skyldu spd 0rlQg) : u eh pd i voggu ok er pmr
skißdii tala um mitt mal, ßd hrunnu yfir mir hertisljös tvau. pcer mieltu vel til
min ok sqgjju mik mikinn aupnumann ver/ja mundu ok sggpu allt svd skyldu
fara um mitt rdp. hin yngsta nornin pöttist oflitils metin af hinum, tveim, er
P(er spurjm hana eigi eptir ; var par ok mikil ribhalda sveit, er henni hratt ör sinu
S(Hi ok feldu til jarpar. af pessii varp hon skapsfygg, kallar hon ßjd hdtt oh
reipiliga, hap hinar hxetta svd g^ßnim. ummcelum vip mik: 'pvlat ek skapa honum
pat, at hann skal eigi Ufa lengr, en kerti pat brennr, er upp er tendrat hjd sveini-
num'. eptir petta tök vplvan sii hin ellri kertit ok slokkir ok bijjr möjmr mlna varp-
veita ok kveikja eigi fyrr en d sij)astum dggum lifs mtns . . . var pat ok jafnskjött,
at brunnit var kertit, ok gestr andapist . . . ok pötti sannast um lifdaga hans svd
sem hann sagpii (ed. Bugge s. 76 ff.)
Das märchen hat dasselbe motiv auf seine art abgewandelt^:
die fürstin gebar ein sehr schönes mädchen und an dem tag, an dem sie es gebar^
kamen drei weiber, die sich 'blauröcke' nannten und darum baten, das neugeborene
kind sehen zu dürfen. Die älteste nahm das wort: 'du sollst Märthöll heissen und
das bestimme ich, dass du vor allen fraueu ausgezeichnet sein sollst durch Schönheit
und verstand, aber das lege ich auf dich, dass, so oft du auch weinen mögest, deine
thränen alle zu gold werden'. Die zweite sprach: 'ich wünsche, dass dir alles zu
teil werde, was meine Schwester dir bestimmt hat ; das aber bestimme ich, dass du
einen königssohn zum gatten bekommest' . . . Die jüngste Schwester aber sagte,
sie wolle diese guten wünsche nicht zu nichte machen, aber dies 'lege ich auf dich,
dass du in der ersten nacht, in welcher du bei dem königsohne schläfst, in einen
Sperling verwandelt davonfliegen und aus dieser Verzauberung nicht befreit werden
sollst, wenn du nicht das glück hast, dass jemand in der dritten nacht das sperlings-
gefieder verbrennt: in den ersten drei nachten kannst du es abstreifen, später aber
niemals wieder'. Ais die Schwestern dies hörten, wurden sie zornig, eilten davon
und wurden nie wieder gesehen-.
Das leitmotiv dieser, verschiedenen stilarten mythischer dichtung
unterworfenen berichte ist der glaube, bei seiner geburt werde der
mensch für sein leben lang schicksalhaft begabt. In der formel skapa
mQnnum aldr oder 0rlQg drückte dieser glaube sich aus und nahm
damit für die schicksalsmächte einen in die geburt sich verflechtenden
schöpfungsakt in anspruch ^ Dies schicksalsweben hat aber nicht nur
in der dichtung, sondern auch im 'aberglauben' spuren hinterlassen,
die auf dieselbe fährte führen wie die mythischen szenen (von den
das neugeborene kind mit seinem Schicksal betreuenden nornen). Am
bekanntesten ist die aus dem römischen ins germanische folklore über-
1) Stellensammlung bei Feilberg, Jysk ordbog2, 483; vgl. Kaufmann, Balder
s. 164 ff.
2) Poestion, Isländische märchen (1884) nr. XVII s. 137 ff.; vgl. A. Kitters-
haus, Die neuisländ. Volksmärchen s. 68 ff.
B) 'Wie die nornen oder feen begaben, wie sie schaffen, danach fügt sich
der ganze lebenslauf des neugeborenen' Grimm, Mjthol. 2, 715 f.
ÜBER DEN SCHICKSALSGLAUBEN DER GERMANEN 373
gegangene sog. glüekshaube (heim). Kinder, die in die blasenartige
eibaut des embryo (die 'naehgeburt') gehüllt (ags. citdhmnd) ^ zur
weit gebracht werden ^, sind vom Schicksal ungewöhnlich begabte
'glückskinder' ^ Der anteil, den die schicksalsmächte an dieser bei
der geburt sich offenbarenden, glückverheissenden fügung nehmen *,
hatte ' zur folge, dass die glüekshaube auf Island fi/lgja heisst ^ und
eine bekannte schicksalsgestalt mit den die geburt begleitenden Schick-
salsfügungen in Zusammenhang bringt ^
Alt an Jahren sind jene schicksalsfrauen, die an der wiege den
neugeborenen die bestimmungen ihres daseins verkündigen, alt sind
die Schicksalsordnungen, die bei der geburt eines lebewesens in kraft
treten. In dem ags. gedieht Phönix ist von dieses vogels ^ecijnd (387)
die rede: pcet ne wät ceni^ monna cynnes hiUan metod äna, hü pa
ivisctn sind wundorlice fce^er fy rn^esce ap yyyih p ce s fu ;^les ^ehyr d
1) Vgl. Woordenboek der nederlandsche taal s. v. ham, heim.
2) solent piieri pileo insigniri natiirali, qiiod obstetrices rapiunt et advocatis
credidis vendunt, siquidem causidici hoc iuvari dicuntur Aelius Lampridius, Antoninus
Diadumenus c. 4 (Script, liistor. Aug. ed. Peter 1, 214); dazu ab eo tegmine obste-
trices et delirae aniciilae infantibus bona ex colore rubicundo et mala ex nigri-
cante praesagire solent Grimm, Mythol. 2, 728.
3) Wuttke, Volksaberglaube 3 s. 217. 38L 406 u. ö. ; Grimm, Mythol. 2, 728 f.
3, 2G5. ; E. H. Meyer, Germ, mythol. s. 67 if. ; 0. Schrader, Neue Jahrbücher 1919,
77; reichhaltigste materialsammlung bei Feilberg, Jjsk ordbog s. v. sejrsskorte.
4) 'Es ist in diesen tagen ein kind mit einer glückshaut geboren: was so
einer unternimmt, das schlägt ihm zum glück aus ... es ist ihm auch geweissagt,
er solle die tochter des königs zur frau bekommen' KHM. nr. 29; Bolte-Polivka
1, 288 f.
5) Biskupa SQgur 2, 168 {barns fylnja)\ exuviae et membranule, quibus infans
natus in matris venire olim indutus fuerat et quae cum eo in Incem exeunt, vocantur
apud Islandos fylgja, nomen hamr iis etiam iusto iure attribui videtur. Existit
apud Islandos traditio perantiqua, quod in Ulis membranis genius vel pars animae
infantis sedem teneat. Hinc sine dubio genius quem superstitio finxit et adhuc inter
plebejos quosdam islandicos fingit, certa forma, praesei-tim animalis alicuius, indii-
tum, hominem, perpetuo sequentem, qui hamingja et fi/lgja a veteribus vocatus fuit.
Posteriore nomine adhuc inter nostrates gaudet. Obstetrices islandicae, quae Uli
superstitio?ii deditae sunt, exuvias illas putant, tanquam sacruni quid, minime lae-
dendas, sed magna cum cautela tractandas et eas igitur sub transcedendo a matre
limine inhumant; inquiunt enim exteros, qui eas non curant, sed vel dehnt igne vel
alio modo securi abjiciunt, fylgis sive geniis comitantibus destitui. Arnamagn. ausgäbe
der Ssemundar Edda 2 (1818), 653 anm.
6) ä pessi stundu tip er borinn i Norege konungs son mep bJQrtom fylgjom
ok hamingjom Saga Olafs konungs Tryggvasonar ed. Munch (Christ. 1853) c. 5; Det
amamagnseanske haandskrift 310 udg. af P. Groth s. 10 f. u. a.
26*
874 KAUFFMANN
(357-60) ^ So rückte denn ^cbi/rd in die stelle von ^esceap-^e^ceaft
ein (conditio . . . natura ... lex gesccep, gewt/rd, gesceaft, gehyrd Anglo-
salon vocabularies ed. Wright 1, 213)^ und so wurde fi/rngesceaj) durch
eald gesceaft bekräftigt:
mödor ne rseded, l)onne heo majan ceuned,
hü liim weorde jeond worold widsid sceapen.
oft heo to bealwe bearn afeded
seolfre to sorje, siddan dreojed
his earfodu orlejstunde . . .
fordan näh seo mödor jeweald, l)onne heo majan cenned,
bearnes bla;des ac sceal on jebyrd faran
an a^fter änum: jieet is eald jesceaft
Salomo und Saturn 370-74. 383-85.
Eine ähnliche bewandtnis hat es mit ags. jeci/nd (on gemjttde
'artgemäss' Metr. 13, 55. 20, 76)^, denn dies wort, 'abstamraung'
bedeutend, bet'asst unter sich die (schicksalhafte) beschaffenheit ge-
schaffener dinge * mit der sie, kraft ihrer herkunft, bei ihrer entstehung
begabt worden sind^ Schicksalhaft vererbte sich nach germanischer
auffassung in einer sippe die Wesensart^, gebijrd und gecynd berühren
sich also zwar mit apaP, unterscheiden sich aber davon durch den
schicksalhaften einschlag, der ihnen eine erweiterte funktion verlieht
Die angeborene art, eine naturanlage (anord. epU-opli) erschien
im lichte des schicksalsglaubens als bei der geburt anerschaffen. Sehr
1) siua htm cet fruman sette sigora soäcynin^ sellicran geci/nd . . . ofer fugla
ci/n {scyppendes ^iefe) 327—30; Vgl. ivuldre ^emearcad, See is se cepelin^, se ße him
Ixet ead ^e/M 318 f.
2) on gebi/rd bedeutet geradezu 'schicksalsgemäss': 07i ^ebyrd Jiniro7i gäre
wunde . . . nalles hölinga Höces dohtor meotodsceaft hemearn Beow. 1074—77 (Jente
s. 221 f.); on gesceap Rätsel 39, 4; on gesceaft Dan. 366 (Wolf s. 54 f. 86 f.).
3) onhidyrfdon >ne of Jnere gecyjide . . . wiä gesceape minuni Rätsel 72, 1—6.
4) PhöQ. 252 ff.
5) ßjrngesreap, eald gesceaft (s. o.) : ealdgecynde Metr. 13, 40 ; vgl. 10—13.
61 ff. ; ßä gecynd pe him Crist gesccop 8, 17.
6) Die frage unde hnic oninia ista^ Matth. 13, 56 behandelt der Heliand-
dichter volkstümlich, indem er ausführt: he is theses kunnies hinan, the man thurh
mägsicepi . . . Icüd is üs is kuniburd endi is knosles gihuat, äivohs al undar thesum
werode: huanan scoldi im sulic gewit cuman, meron mahti than her odra man egin
2562 ff. ; vgl. pu eart swiäe bittres cynnes . . . ne beyrn ßu on pa inivitgecyndo
Salomo und Saturn 828 f. u. a.
7) Metr. 13, 51 f.: 55; vgl. Crist 1128 ff. 1177 ff.
8) hu-y odwite je wyrde ioiore pwt hio geweald nafad? hwy je pces deades,
ße ioto drihten gesc4op gebidan ne magon bitres gecyndes, nu he 6oiv wlce dceg onet
toweard? Metr. 27, 4—8.
ÜBER DEN SCHICKSALSGLAUBEN DER GERMANEN 375
klar kommt diese altgermanisehe anschauung durch das Verhältnis, in
dem anord. skap {skaplyndi) und skgp zueinander stehen, an den tag ^
Wurde das 'Schicksal' eines lebewesens bei seiner geburt be-
stimmungsgemäss angelegt, so vollendete es sich mit dem eintritt des
todes. Vergleichbar den nornen, die kurz nach der geburt das ge-
schick eines menschen verkündigen, erscheinen in der poesie des
mythos kurz vor der stunde des verscheidens gestalfen, die das end-
schicksal des todes ansagen (walk3TJen, hei) l Ausserhalb der dichtung,
innerhalb der religiösen Sphäre des glaubens sind die motive derartiger
mythen zu suchen. Für ihre erkenntnis ist das gemeingermanische
adj. *faigja ^ der gegebene ausgangspunkt. Denn es bezeichnete einen
dem tod verfallenen menschen ■*, besagte nicht, dass der mensch sterb-
lich sei und seiner naturhaftigkeit gemäss stferben müsse (anord. skap-
daupi, got. sivultauairpja, daiipuhleis s-i^avarw;), bezog sich mit andern
w^orten nicht auf den tod als naturereignis, sondern als Schicksal ^
Also gerade dort, veo der 'feige' vom 'toten' unterschieden wird, baut
sich die brücke, die zum Verständnis des wertes führt (z. b. fargaf
jeqiun ferah . . . than gidedn ina quican öfter döde Hei. 2351 fif.).
'Feige' sind die menschen, sobald sie durch einen wink des Schicksals
erfahren (ahnen), dass sie in die grübe fahren müssen (Balderus-Pro-
serpina s. anm. 2)^: sitjiim her feig Ir ä niQntm, fjnrri mununi deyja
Hamftism. 10, 4; vgl. werigmöd . . . on nicera mere fce^e ond geßgmed
feorhldstas beer . . . denäfce^e . . . in funfreodo feorh älc^de Beow. 841 ff. ^
Bleibt dieser wink des Schicksals aus, so sind sterbliche menschen
1) Vgl. z. b. GripisspO 32, 2 : 52, 1.
2) (Balderus) cum indubitatiuii sibi fatuni imtninere sentiret . . . die postera
prelium renovat . . . postera nocte eidetn Prosetpina per quietem astare aspecta postri-
die se eius complexii nsuram denunciat Saxo p. 77.
3) Jente s. 215 ff. (schott, fey fated to die: J. Wright, The english dialect
dictionary s.v.); J. Grimm, Mythol. 2*, 7U. 718. 3, 257; mhd. veiclich, ags-fceslic^
&nord. feiglikr, dazu anord. feiffß, ags. fcehp (.Teilte s. 217).
4) ags. hellfiis (vgl. anord. helfiiss), and. füsid an helsM Hei. 2353.
5) Dass die schicksalsbeziehung ausgeschaltet und 'feige' im profanen sinn
von 'sterbend' oder 'tot' gebraucht wurde (z. b. Elene 881-82, Nib. 2U85. 2045 B:C)
ist ebenso bekannt wie die von der Schicksalsfügung aus in der richtung auf 'ver-
flucht, unselig, furchtsam' sich wandelnde Wortbedeutung (Jente s. 216).
6) moribundus: feiger Ahd. gl. 2, 20, 54.
7) ddl odde i/ldo odde ecghete fcejum fromweardunt feorh odpriti^ed Seef.
70 f. Der mythos berichtet, eine riesische, schicksalsmacht {Mdnagarmr Sn E 1, 58 f. :
ife^Fafnism. 21—22) bemächtige sich des entweichenden 'lebens' (fyllisk fJQrvi feigra
manna VqI. 40—41. allra ßeirra manna er deyja Sn E 1, 58 f. ; som tu en given tid
skal de Egilsson-Jonsson, Lexic. poet. s. v. feigr).
376 KAUFPMANN
iu der ernstesten lebensgefahr ihres lebens sicher und begrüssen die
entscheidung, noch nicht dem tode verfallen zu sein, als ihre Schick-
salsfügung {raldre geneäde . . . nces ic fce^e pä ^ijt Beow. 2133. 2141;
vgl. 2975; unfw^e o. s. 369) ^
Hinter der vrahrung des lebens und der Schickung des todes
steht also eine schicksalsmacht: wyrd ne cüpo7i, geosceaft grimme . . .
beorscealca sum fiis ond f(P^e fletrceste ^ebea^ Beow. 1233-41; wyrd
ne mcahie in fa-^um len^ ftorh ^ehealdan . . . he pä wyrd ne meid,
fa'^es fordsid . . . ponne seo J)ra^ cymed icejen ivyrdstofum Gu|)l.
1030 f. 1319 f. 1324 f. ^ Vor dem Vollzug jener harten entscheidung,
kraft deren entweder ein mensch seines lebens verlustig geht oder
nicht, gibt sich die Verkettung des einzellebens in das schicksals-
weben kund.
Das eindrucksvollste bild, das die mythische dichtung der vorzeit
uns von dieser selbstoffenbarung der schicksalsmächte hinterliess, steht
im Nibelungenlied^: Hagen begegnet wissenden schicksalsfrauen («f^esm
wi'p * im schwanengefieder) und erfährt von ihnen, wie zuo den Hiunen
disiu hovereise ergCit 1535: ir helede küene also geladet sit, daz ir er-
sterben müezet in Etzelen lant; swelhe dar gerUent, die habent den tot
an der hant 1540. Hagen gibt dies orakel den gefährten bekannt:
wir enhomen nimmer widere in der Burgonden lant; daz sageten mir
zwei merewtp Mute morgen fruo 1587 f. Als diese vorverkündigung
sich erfüllte, fasste der dichter den verlauf der dinge in die prägnante
aussage zusammen: do was gelegen aller da der v eigen lip 2377.
Diese den tod ansagenden schwanfrauen sind die deutsche ent-
sprechung für die nordischen 'fylgjen' (o. s. 373), deren erscheinung
genau das gleiche zu bedeuten hatte: Helgi grunapi um feigp slna-
fylyjur hans h^fjm vitjat Hepj/ns, pa er /lann sä konutina rljja var-
ginum (Helgakvi{)a HJ9rvar{)ssonar) ; auch aus Skandinavien ist bezeugt,
dass der 'feige' selber seine fylgja (in tiergestalt) sieht und seitdem
- wie Hagen - weiss, dass er dem tod verfallen ist: pu munt vera
mapr feigr oh vuint pu set hafa fylgja ^ma . . . Njälssaga ed.
F. Jonsson, Altnord, sagabibl. 13, 94.
Eine, in der dichtung hohen Stils zum orakel gestempelte, schick-
1) ic sceal , . . ymb feorh sacan, lad wid läpum, pcer ^eli/fan sceal dri/htnes
dorne se ße hine dead nimed Beow. 439—41 (: ^(ed d wyrd siva hio scel 455) ; op daz
got erzeige, daz ir niht sit veige Parz. 558, 15 f.
2) Vgl. Salomo und Saturn v. 330 ff. (feoxcere f(e^es rdpas: getvundene wtjrde) ;
Wolf 8. 26 ff.
3) Vgl. PBBeitr. 32, 2G8; t)il)reks3aga c. 364.
4) feigp fira fJQlmargra sei GrottasQngr 21, 2; vgl. Sigrdrifum. 21, 1.
ÜBER DEN SCHICKSALSGLAUBEX DER GERMANEN 377
salsfügung ^ ist auch in den ausdrucksformen wiederzuerkennen, die
der Volksglaube für sie sich schuf.
Im skandinavischen altertum fürchtete man sich vor der ins un-
heimliche sich steigernden machtwirkung der schicksalsgewalten be-
sonders in dem moment, da ein mensch dem tod verfiel-. Sie gaben
in dem aberglauben sich kund, der da und dort an der Wasserkante,
besonders in England, sich eingenistet hat, wonach die menschen nur
bei ebbe, nicht bei aufkommender flut ihren geist aufgeben^ (Shake-
speare, Dickens); veicliche zeichen waren aber auch gewisse körper-
liche Symptome^, solche, mit denen der arzt den sterbenskranken ge-
zeichnet fand und andere die er im sinne wieder gesundenden lebens
deuten zu dürfen glaubtet Iceca gewuna is, pcet hi civeäad, ponne hi siocne mon
gesiod, gifhi hwilc unfceglic tdcn on hini gesiod . . . täcn pinre h celo Boethius ed. Sedge-
fields. 1U7, 28—30; Mhafnar puenum hvita lit, feiknafopir? hi/kk at feig seir Sigurjjar-
kvil^a en skamma 31; sä peir Snorri ü sdr mamia . . . ok sd par blöpflekk mikinn, hann
tök upp allt saman, blöpit ok sn(einn, l hendi ser ok kreisti ok stakk i munn se'r ok spurpt,
hverjum par hefjn bhett. porleifr kimbi segir, at Bergpori hefir blcett. Snorri segir, at
Jmt var holblöp (blut aus den inneren Organen des körpers) . . . pat hygg ek, sagpi
Snorri, at petta se feigs tnanns bläß Eyrbyggja saga ed. Gering s. 170; ist des
harnes lützel und sivarz, so ist der mensch veig Lexer, Mhd. handwörterb. 8, 45;
Mnl. Woordenboek 8, 1354*. Ein andermal kündet ein veege vogel - gleich
•den Schwanfrauen des Nibelungenliedes - nahen todesfall an (DWb
3, 1442) •'; die heldenepik hat dies schlichte motiv zu einerstehenden
formel ausgebaut und diesen angang zum schicksalsomen ^ erhöht,
wenn auf einem feldzug die tiere der walstatt den kriegern begegnen f
ef P)j6ta heyrir ulf und asklimum, heilla aupit verpr per af hjalmstQfum, ef pu
ser pa fyrri fara Reginsm. 22; imdf in walde^ and se tvanna hrefn, wwlgifre fugel
westan be'gen^ pcet him pa peodguman pohton tilian fylle on fwgum^; ac him
ßMt on löste earn cetes georn ürigfedera salowigpdda, sang hildeleod hi/rnednebba . . .
1) feigpar-orp Ynglingatal v. 1.
2) var trua peira i forneskju, at orp fe ig s manns mcetti mikit (eingangs-
prosa der Fafnismöl) ; dazu H. Gering, Weissagung und zauber 8. 9 f.
3) Plinius, nat. bist. 2, 101; Beda, Hist. eccles. 5, 3; stellensammlung bei
Feilberg s. v. hav (Zeitschr. 48, 310) vgl. z. b. Islenzk fornkv»di ed. Grundtvig 2,
138, 15 f.
4) doch ist der künec iunge so veiclich getan Nib. 1918.
5) Vgl. die mittelalterlichen arzneibücher z. b. SBW. 71, 498 f. 42, 135.
6) Vgl. aus den visur der Eyrbyggja (a. a. o. s. 226 f.) rQddo bUpvita . . .
rcBpr of fJQr manna (fjgtrar fjgr) . . . sek bengrdt d büke blöpgom, tarfr mon her
xerpa bane pinn.
7) feigs forap Fafnissm. 11.
8) gleich der wolfsgestalteten fylgja des Helgi o. s. 376.
9) slegefoege. Jud. 247 (: Uegfcege Wy 44).
378 KAUFFMANN
hdr is gesicutelod ilre si/lfra /.orwi/rd töiveard ^etdaiod, pcet pcere tide is nu mid
ni'ßiim neah ge/jnin^en, pe we life sculon losian somod, cpt scecce forweordan . . .
iculfum to willan and eac wcelg ifrum fu^lum to fröfre Judith 205 ff. 285 ff.;
hrefn weorces ^efeah, liri^fidera earn sid beheold, wmlhreowra wig, wulf sanj
aliöf, holtes gehlepn, hilde^esa stöd . . . on pcet fceje folc fldna scuras . . . on ^ramra
ßeman^ . . . hildena'dran . , .forä onsendan Elene 110 ff.; hreopon herefugolas hilde"
^nedige . . . hriefn deawi^federe , . . wann wwlceas ega , wulfas sungon atol (efen-
leod cetes on we'nan . . . cunjldrdf beodan on Iddra last leodnupgnes fi/ll . , . fleah.
/öp je gast . . . w wimist astdh . . . ne pmr mnig becivom herges to häme ac hie he-
hindan bele'ac wt/rd mid tviege . . .fcegtim stcefnnm flöd blöd gewöd . . . UHelfiPp-
mum stveop, fl6d fdmgode, fmge crungon Exodus 161 ff. 450 ff. ; se wonna hrefn
(sceal) ft'is ofer fcegnm ftla reordian, earne secgan, ht'i him (H wie speoiv, J>enx/^n
he icip Wulfe wcel reafode Beow. 3024-27. Die nahe beziehuiig, in der ival
und feig zueinander stehen, hellt sich aus diesen belegen für todver-
kündende schieksalsomir^a (der fylgjen) auf und wird ausserdem durch
mhd. ivalceige dahin aufgeklärt, dass die 'feigen' das 'wal' bilden, das
die Schicksalsmächte (walkyrjen) erkiesen (seine auslese bestimmen); die
'feigen' sinds, die sterben müssen \ allen andern (mhd. iinveige, ags.
unf(t';^e, anord. nfeigr) ist vom Schicksal ein längeres leben beschiedeii
(o. s. 376): mwik forjja fjgroi mhni, nema eh feigr se HArbar{)slj. 12^.
Das 'Schicksal' waltete nicht nur des todes, sondern auch
des lebens. feigi pflegte m\i ferh (leibhaftes leben) ^ verbunden zu
werden*, weil das Schicksal, wenn es den menschen bei seiner geburt
begabte und den eintritt seines todes bestimmte^, über die dauer des^
lebens {mepaii okkart fjgr lifir Skirnesm. 20; mepan qM lifir \q\. 16)
entschied. Über dem 'feigen' schwebt das Verhängnis des todes, weil
sein leben von den schicksalsmächten bedroht ist^ Hier setzt die
altgermanische Überlieferung für ferh ein \
1) da sterbent tvan die veigen Nib. 150 (Grimm, Mythol. 2, 718); pei'r
verpa at falla, er feigir ero l'ijirekssaga c. B3S ; mun dei/ja, er feigr er Vemundar-
saga c. 6; sprichwörtliche redensarten Arkiv 30, 82 f.; ags. fcege stnilton Andr. 1532;,
wws seo tid cumen, pmt pa^r fcege men feallan sceoldon . . . on fcegean men feorh
geivinnan . . . tva^l feol on eordan Byrhtn. 104 f. 125 f. ; na^te toill die, but he thet's
fay Engl, dialect dictionary s. v. fey; die veghe sijn, die moeten sterven Mnl. woor-
denboek 8, 1354.
2) unz{A\B wile) der man niht veige enist, so erneret in vil deiner list Iwein 1299 f..
{ich ensterbe nicht vor minem tac Herbort, Liet von Troye V. 8254; veiclichcr tac Klage
353 ; vil maneger veige lac, den ir veiclicher tac das leben hete da benomen 1203—5)..
3) 'lebewesen' Gen: 1618. 1310 ff. 1330. 1342; Exod. 361. 384 (= firas).
4) Mit Härb. 12. Vgl. 41 vgl. z. b. Hei. 2353. Gut)l. 1031 u. a.
5) Ags. swijltdceg Gen. 1221 (Beow. 2798) : feorhdagas 2358 (anord. aldrdagar).
6) Fafnir ist feigr und sagt: fJQr sitt lata htjhk at Fafnir myni . . . hv^t
hvetjask Uzt minu fjgrvi at fara Fafnism. 22. 5 ; vgl. Lokas. 57, 4. Reginsm. 10, 1^
7) Vgl. M. Höfler, Deutsches krankheitsnamenbuch s. 180.
ÜBER DEN SCHICKSALSGLAUBEN DER GERMANEN 379
Der leib ^ war der hüter eines dem menschen vom sctiicksal
anvertrauten Schatzes, des ihm geliehenen 'lebens' ^ In feindlichem
gegensatz zum 'tod' stehend^ war dies leibhafte leben etwas anderes
als die in christlicher zeit an seine stelle und in feindlichen gegensatz
zum leib tretende seele*. Jenes 'leben' hatte im blut^, d. h. in den
inneren Organen des körpers (herz, leber) - nicht etwa im atemhauch*' —
seinen sitz \ In diese 'schichten des lebens' ** getroffen (verc/tslac
Gudr. 519; Nib. 2210)^ geht das mit dem leben begabte geschöpf
(ags. feorkeacen Gen. 204), wenn es verchwunt (ags. feorhwimd) ^'\
verchser (ags. feorhseoc, anord. fJQi'f'jükr) geworden, sein verchhluot
verströmt {verch unde bluot Lanzelet 2204; Parz. 740, 2)^\ seines vevch
verlustig (fJQrnuminn Eyrbyggjasaga ed. Gering s. 205).
Dies 'leben' haben die menschen nicht von den göttern, sondern
von den schicksalsraächten empfangen (Vol. 18. 20). Nur die Snorra
1) fceges feorhhüs Byrbtn. 297.
2) feorhhord Gul)l. 1117; fce^es feorJihord Andr. 1184; f^r Jji:^ect kenne
lichoman, lif bip on sipe, festes feorhhord Phon. 219—21; vgl. on endestcef . . . se
lichoma Icene ;^edre'osed, fce^e gefealled Beow. 1753—55 (f(ege flceschoma 1568) : ende
kenan lif es 2844 f.; kenda^a 2341. 2591; oflet lifdai,asondpds kenan .^esceaft 1Q22
{:feorh dagas) ; ferh eUen wriec 2706 ; fce^e folc . . . yda xvrcecon feorh of flceschomati
Gen. 1381-86.
3) ferah : dod Hei. 2217 f. ; libbian . . . ferahes gifullid 4035; qtiican . . . fera-
hes fullan 5849—51.
4) feorhhord > sdivh hord Beow. 2419—24; feorhhtis > sdivelhiis (ffe^e
flceschoma) Gu^jI. 1008. 1114 usw. In der ags. und in der and. dichtersprache ist
ferh (feorh, ferhp) nicht nur = lif (Hei. 3154 f. 4165 f.) oder aldar (3844 f.) sondern
auch = s/o^re (4059 f. 5701—3. 3350—53) und dieselbe doppelschicht, eine ältere und
eine jüngere bedeutung des Wortes ferh^ tritt im ahd. zu tag, wenn es bald für
Vita bald für anima gesetzt wird (Tatian, Otfrid, Ahd. gl. 2, 651, 22. 641, 41. 643, 59).
5) Got. tisanan, ags. orop : e'pian, anord. andi; danach ist das Verhältnis Yon
anord. Qnd.-fjpr des näheren zu bestimmen (Helgakv. HJ9rv. 37. Sigrdrifum 25.
Sigur^arkv. 61, 2. 59, 2 f. 50, 4. 33. 52. 15, 3); am aufschlussreichsten ist v. 29
{kona varp gndu 'verlor den atem', en konungr fjgrvi 'das leben'), wozu mau HeL
2277. 2280 f. 2275 f. Beow. 2703 vergleichsweise heranziehen könnte.
6) Vgl. PBBeitr. 32, 21 f.
7) Das herz ist der lebensmuskel {fjgrsegi Fafnism. 32) ; das herz ist gemeint,
wenn es Gul)ränarhv9t 17, 4 heisst: frdnir ormar til fJQrs skripu (vgl. Vglsunga-
saga c. 37. Uddr. 29-30) oder au,ch die leber (Drap Niflunga 17. Sn E 1, 364 f.).
8) Ufs kestir Eyrbyggjasaga ed. Gering s. 136.
9) zi ferehe er nan stah Otfrid 4, 33, 27. 5, 11, 26 (herzen verch Parz. 710, 29).
10) verchtiefe immde Nib. 2134; tvnnde ze verche Parz 578, 27; vgl. ags. feorh-
benn Beow. 2740 (sceaced lif of lice 2742) ; feorhbealu (fce^um) 2077. 2249 f. ; anord.
fjgrlok, fJQrhrot.
11) feigs manns blöp Eyrbyggjasaga s. 170.
380 KAUFFMANN
Edda behauptet, die ersten menschen seien von den Borssöhnen er-
schaffen, mit ödem und leben begabt worden (Sn E 1, 52) \ während
<lie ältere mythische dichtung den ödem und den geist (oj>r), aber
nicht das leben der menschen auf Of)inn zurückführt: in Askr und
Embla steckte bereits das 'leben', wenn es auch ein wenig regsames
vegetieren pflanzlicher art war {Uit megandi, 0rfQr/lcfusa Yq\. 17)^. Dies
leben stammte folglich in seiner wurzel von denselben ahnen, von
<ienen auch die götter mit ihrem 'leben' (Skirnism. 20) begabt worden
yparen ^.
Deutlich spielt in die geschichte des Wortes ßrh das 'Schicksal'
lierein, wenn der Gote in seiner bibel von stabeis pis fa'trlvnus
sprach (Col. 2, 20. Gal. 4, 3) und nach biblischer anweisung mit eigener
Wortwahl die in der weit wirkenden, das zeitlich begrenzte, diesseitige
leben der menschen regierenden schicksalsmächte {GxoiytXoi tou x.&cjj.ou
eleraenta mundi)* und mit den 'losen dieses lebens' die von den
Schicksalsmächten abhängige lebensdauer^ ins äuge fasste.
Dies menschenlos, diese geheimnisvollen Schickungen des lebens
iferh) und des Sterbens ifciy), die wichtigsten aller Schicksalsfügungen,
1) Vgl. ond at Ufa Sn E 1, 38 (christlich); Mogk, PBBeitr. 7, 234 ff.; gnd und
lifcQndnn^ //p;-r Sigurliarkv. 29 (o. s. 379, 5); anord. gnd : andi (spiritus); westgerm.
/indo (leidenschaftliche erregimg).
2) Genau entsprechendes gilt von der 'erschaffung' der zwerge Sn E 1, 62
{sie lehten bereits, bevor sie af atkvapi gopanna urpu vitandi mannvits oh hgfpu
mannsliki).
3) Drum ist anord. ßt-ar (got. fairka habands, ahd. firahi, and. firihos, ags.
ßras) eine götter und menschen umfassende kategorie von lebewesen {fJQrg qU
Lokas. 19) = gld und aldir Lokas. 8 u. a.
4) xoa[io%päTopeg fairhu habandans Eph. 6, 12; reikja jah walduftija (ge-
stirne) o. s. 363. Zeitschr. 49, 40 f.
5) ferh bezeichnete keineswegs bloss das leibhafte, im blut sitzende leben
sondern auch die dem leib vergönnte lebens zeit. Got. /a«>/^?(s (Zeitschr. 49, 34 ff.)
wechselte mit aiws und manaseps (generation), westgerman. ferh sowohl mit lib als
auch mit aldar (lebensalter), desgleichen anord. fjgr mit aldr (vgl. z. b. Hei. 2684 f.
4612 f.; Beow. 137U f. J433f.; Skirnism. 13:20. Lokas. 57:62; anord. aldrdagar
Vgl. 64. Vafl)r. 16. ags. feorhdagas Gen. 2358). Den sichersten aufschluss über
ferh = lebenszeit gewährt das westgerman. kompositura ags. nüdfeorh, and. midfiri^
ahd. mittiferhi (mitte der lebenszeit, mittleres lebensalter Zeitschr. 49, 38 anm. 5)
und das entsprechende geogopfeorh (Jugendzeit) Beow. 537. 2664. Auch in der
spräche der Gotenbibel ist fairhus ein Sammelbegriff (gesamtheit der in der zeit
schicksalhaft lebenden wesen), der seine bedeutung auf 'weltzeit' ausgeweitet hat
(vgl. ags. 6. to feore, xvidefeor'h; die zeiten und die erlebnisse einer generation
sind bekanntlich verallgemeinert worden und so hat aiw auf 'ewig', iverald auf
*welt' geführt usw.).
ÜBER DEN SCHICKSALSGLAUBEN DER GERMAXEX 381
haben sich die Germanen durch eine umfassende grundvorstellung zu
verdeutlichen versucht. Es war die eines 'urgesetzes'.
Dass die g-eburt und der tod eines vollmenschen, dass das
Schicksal alles wahrhaft lebendigen urgesetzlich festgelegt sei, ist die
Volksmeinung gewesen, denn urlag 'urgesetz' ist ein gemeingermanischer
ausdruck für 'Schicksal' (o. s. 364) und der plural benennt^ die ein-
zelnen fügungen als schicksalsverkündigungen (orakel) im sinn ur-
gesetzlicher bestimmungen: ahd. iirlag, urlaga fatum (Notker 1,
280, 14; Ahd. gl. 2, 19, 21. 20, 47. 766, 4. 3, 238, 33; urladih
fatalis 239, 43); and. orlag {tho quamun ivurdigiscapu them ödagan
man, orlaghiüla'^, that he thit Höht farlet Hei. 3355); ags. or/opj
{drihtiies domas . . . orlcpj, ivorda ^erijnu, pä pu ivendan ne mihi Dan.
745-47); anord. 0rlgg (die nornen Igg Iggpu, l'/f kuru alda bgmum,
0r/gg f<eggja V9I. 20)^. Der nornen richterliches amt {nornn dömr
Fafnism. 11) bestand darin, gesetzliche bestimmungen über das leben
zu treffen und der männerweit aufzuerlegen. Es ist nicht zu wünschen,
dass diejenigen, denen diese gesetze gelten, vorzeitig davon künde
bekommen (Hgvam. 56); nur götter wissen darüber bescheid (Lokas.
21. 29) und seher oder Seherinnen (vglur), vor deren äugen die Schick-
salsfügungen sich enthüllen (Grip. 28 ; visindakona sü er sagp)i fyrir
ßiigg manna ok l'tf Fms. 4, 46 u. a.), geheime bestimmungen recht-
licher art, rechtschaffende urgesetze, die das geschick des lebens
oder Sterbens wirkten und darum nicht nur 'lose' {stobeis pis fair-
Jvau^), sondern auch 'gesetze des lebens' (and*, llbes gilagu) genannt
worden sind. Die frage des Pilatus (nescis quia potestatem habeo
crucifigere te et potestatem dimittere? Joh. 19, 10) hat der Helianddichter
so wiedergegeben: icest thu, that it all an minon duome sted umbi
thines Ubes gilagu . . . that ik giivaldan muot so thik te spildianne an
speres orde, so ti quellian an cruciun, so quican latan 53 43-47. Pilatus
hatte das 'Schicksal' des angeschuldigten, die rechtsgiltige entscheidung
über sein leben in der band; indem der Niedersachse dabei von den
1) Hflag ist nicht zu verwechseln mit ahd. urliugi, anord. erlygi (> orlQg)^
afries. mnd. mnl. orlog, mhd. urlog {urlüige, iirloug) krieg ; and. urlogi, urlagi, orlag
Hei. 3697. 4323; ags. orlceg, orleg Beow. 1326 u. ö. (Jente s. 2U f.).
2) Ags. orleghwü Beow. 2911 (Jente s. 213 f.) : gesccephwil Beow. 26 vgl.
Grimm, Mythol. 1*, 715. 3, 257; diese komposita sind erst unter der herrschaft
der astrologie (wilscelde 0. s. 3ii4f.) entstanden?
3) Bemerkenswert ist die im ags. und im anord. belegte formelhafte Verbin-
dung mit driugan (orleg dreogeä Dom. 29 ; erlpg dri/gja Lokas. 25. V9lundarkv. 1. 5 ;
es war der beruf der schicksalsmächte, die urgesetzlichen bestimmungen auszuführen,
der der menschen und der götter, diese Verfügungen über sich ergehen zu lassen).
382 KAUFFMANN
'gesetzen' statt von dem geschick jenes lebens sprach, brachte er die
grundvorstellung germanischen schicksalsglaubens zu wort, die um so
besser zu jener biblischen gerichtsszene passte als das Schicksal
von den Germanen im sinn einer rechtsordnung aufgefasst worden
war. Diese behauptung wird durch aldargilagu {nlderlagu), die gemein-
germanische Variante für libes gilagu bestätigt. Auch unter diesem
kollektiven neutrum pluralis sind 'gesetze' zu verstehen, von deren
durchführung das dasein der lebewesen in seiner zeitlichen dauer ab-
hing iferh = aldarlagu Hei. 3881 f.; was imu Itf fargehan, that he is
aldarlngu [aldargilagu] egan moül 4104 f.; Vilmar s. 14). Aus der
wechselnden doppelbeziehung des Schicksals auf leben oder sterben
ergab sich für aldarlag einerseits die bedeutung 'des daseins geschick'
[aldorle-^e, swä nie wfter iveard odäe ic fardor findan sceolde Dan.
139 f.) andererseits 'des todes geschick' {cefter ealdorle^e Guf)l. 1234)
und zwischen diesen grenzfällen hatte auch der altnordische dichter
die wähl frei {at Ufi . . . ok at aldrlagi 'leben' SigurJ^arkv. 5 ; at
alddagi 'tod' Vaf|)r. 52, plur. til aldrlaga Ham{)ism. 8. Helg.
HJ9rv. 30) ^
Die schicksalsterminologie, aus dem rechtswesen der germanischen
Völker stammend, wird nicht allein durch urlag{ii) und gilagu, son-
dern auch durch den kollektiven plural giscoim bezeugt, denn auch
'schaffen (schöpfen)' war ein hauptwort der rechtssprache, das schaffen-
schöpfen des rechts die verantwortungsvolle aufgäbe der urteilsfinder
(schöffen) '^ Eine analoge tätigkeit der schicksalsmächte gibt au&
ihren 'rechtsschöpfungen' (and. giscapu^ ags. ^esceapu, anord. skgp}
sich kund (parcae, fata: schepfentun i. e. skefentun, schepfen . . . scephe-
rinne Ahd. gl. 4, 84. 154)^. Die Übereinstimmung des westgermani-
schen und nordgermanischen Sprachgebrauchs fällt für diese seite de&
schicksalsglaubens der Germanen ebenso schwer ins gewicht wie bei
der sippe von gilagu und wenn diese die gesetzlichen 'bestimmungen*^
der schicksalsmächte vertreten, so sind mit giscapu ihre 'entscheidungen'
gemeint, die mit unabänderlicher Wirkung in kraft treten (niemand
1) Ags. alderle^u =feorhle3u 'vom Schicksal bestimmtes leben'; srnoiö.. fJQflasr
'tod' (Lukas. 50 f. HQvam 118).
2) J. Grimm, Mythol. 1, 337 f. 8, 116; Rechtsaltextümer 2\ 358. 389 ff. ^
T. Amira, Grundr. ^ s. 251. 258.
3) sceffara Ahd. gl. 2, 361, 5; vgl. ahd. scaffida, scaffunga dispositio, lex
Notker 1, 789, 22. 834, 1; 7wrna dömr : norna skpp Fafnism. 11. 44. 41. 39; aum-
Ug norn sköp oss i drdaga Keginsm. 2 vgl. Sigurjtarkv. 7 ; norner . . . aldr of sköpo
Helg. Hund. 1, 2 vgl. Skimism. 13 ; ferner Grog. 4. Atlam. 33 ; o. s. 366. 372.
ÜBER DEN SCHICKSALSGLAUBEN DER GERMANEN 383
vermag dagegen sich aufzulehnen: sJcgpum vipr manngi Atlam. 45
vgl. Grip. 52; urpar orpi vipr engl tnapjr FjqIsv. 47) ^
Über die dauer der lebenszeit und über die lebensart (Sn E 1,
72 f.) sind entscheidende bestimmungen getroffen, die durch anord.
skQp"^, westgerman. giscapu ihren ausdruck gefunden haben ^ und
wiederum sind es nicht die dinglichen gestaltungen ('geschöpfe')*, die
für uns in betracht kommen, sondern die 'Schöpfungen' rechtlicher art,
weil sie die Schicksalsfügungen ausmachen^, von denen das los des
menschen, die dauer und der verlauf seines lebens abhieng. Die
lebenszeit (ferh), das lebensalter (aldar), das die menschen erreichten,
nnd die lebensart, das glück oder Unglück, zu dem ihr dasein gedieh,
war ihr Schicksal und dies Schicksal war eine über lebensanfang,
lebensführung, lebensende sich hinziehende kette von urgesetzlichen
entscheidungen der leitenden mächte.
Zwar werden in der dichtung der Alt- und Angelsachsen diese
^Schöpfungen' dem allmächtigen schöpfergott der Christen zugeschrieben
(o. s. 362), aber diese neuere auffassung {godes giscapu Hei. 336. 547)^
vermag den älteren zustand {wyrda ^esceapu Rats. 40, 24) nicht zu
trüben.
Vom menschen, nicht von der schicksalsmacht aus gesehen,
werden die fügungen zu schicksalserlebnissen ; pronomina weisen auf
seine lebenserfahrungen hin: ßrlgg sin HQvam. 56; 0r(Qg ykhor Lokas.
1) hie wid god wunnon Exod. 514; tvunnon hie tvid dryhtnes mihtnm Salom.
327 : enffi md vip skgpum vinna . . . mcetti eigi vip skgpuni vinna Vglsungasaga
•c. 30. 33. 36 u. a. vgl. ma ekhi forpaz sitt dldrlag c. 35.
2) Atlakv. 42. Atlam. 2 {feigir):, göp skpp SigurlDarkv. 57; ill skgp Oddr. 32
{: skepna övi\)T. 1, 23); öskpj) (misgeschick) HOvam. 98; vgl. ags. ivonsceaft Beow.
120 ; and. wanscefti Hei. 1352. 5li04 (Ungeschick, unglück) ; ags. tvyrd : imwyrd
Jente s. 207 ; and. giivurt : ungiwurt Otfrid 1, 19, 13. 3, 20, 2 u. a.
3) Für ags. gesceap-^esceaft sind die belegsteUen gesammelt bei Jente s. 218 if. ;
Wolf s. 49 ff. 62 ff.
4) al thesaro tveroldes giscapu Hei. 4284 ; woruldgesceafte Gen. 101. 863 ;
■eorpan gesceafte 1614, eorpgesceaft Metr. 20, 194 vgl. got. gaskafts o. s. 362; ahd.
gascaft creatura, elementum Ahd. gl. 1, 42, 12. 118, 18 f.; Notker 1, 808, 4.
738, 24 usw.
5) Ahd. gaskaft fatum Ahd. gl. 2, 309, 33; gascafüih fatalis 309, 37. 282, 50;
vgl. gascaft condicio 1, 546, 39. 547, 20 dazu o. s. 37i f.
6) gesceapu heofoncgninges Gen. 842 f. ; alwalda, üre drihten . . . gesceapu
healded 2827; vgl. thiti helagun giscapu (göttlicher ratschluss der erlösung) Hei.
4063 f. ; thiu berhtun giscapu Mariim gimanodun endi mäht godes 367 f. ; lestun
thiu berhtun giscapu, waldandes willeon 118: pcet beorhte gesceap Elene 790 u. a,
(Wolf 8. 65. 71 ff.).
384 KAUFFMANN
25; sJ{Qp min ok peirn Oddr. 32^; m'me aldo^le^e Dan. 139. min
jesceapu Rats. 10, 7. 73, 6; pin ^esceapu Gen. 503; für den menschen
giltige rechtssatzungen ^ mahnen ihn seines Schicksals: mudspelles
megin ohar m,an ferid, endi thesaro iveroldes . . . sculun iro regangiscapu
frummien firiho barn Hei. 2591-94; ina is regnnogiscapu, is endago
gimanoda mahtiun swiä 3347-49 (Sievers anm.)^; tJio quamun oc
tciirdigii^caim themo ödagan man, orlaghuUa, that he thit Höht farlet
3354-57.
In einer ernsten krisis geht der mensch tapfer seines weges*^
bis des Schicksals fügungen sich an ihm verwirklichen und die ent-
scheidung im sinne der gesetzlichen bestimmungen zu gunsten seines
lebens oder seines todes fällt. Ein fester termin {;^esca'phivil, orle^-
hwil^QO'w. 26. 2427. 2911) ist hierfür festgesetzt: einu dcegri vgrumk
aldr of skapapr Skirnism. 13 (: skapadcegr), anord. eindagi, ags. än~
da^a, and. endago^. Die wähl dieses Wortes samt dem zugehörigen
and. dagthingi 4158 (prescriptus dies Notker 1, 28, 23)'^ bestätigt
abermals, dass die Schicksalsfügungen im sinne der geltenden rechts-
ordnung aufgefasst worden sind. Nach massgabe gesetzlich festgelegter
bestimmungen und entscheidungen, 'bestimmuugsgemäss' (gesceapum
Widsif) 135; on gehyrd = on gesceap, on ^esceafi Dan. 366 o. s. 374)
verläuft das leben, es ist nicht ratsam, 'bestimmungswidrig' zu handeln
{wid jeKceapu Gen. 2469), denn gegen des Schicksals strenge gesetze
vermag der mensch so wenig auszurichten (anord. vinna o. s. 382 f.) als
gegen die Ordnungen, die seinem leben durch sitte und brauch gesetzt
sind (Metr. 11, 13).
Neben giscapu trat bei den Westgermaneu das verbalabstraktum
giscafti für die altbegründeten urgesetze des Schicksals und die dem-
gemäss in der zukunft sich erfüllenden lebensschicksale der menschen:
gesceaini uceron iverimi ond ivlfinn Gen. 1573 f.; ivereda ^esceafte \)2iii.
160'; fnim^esceap Crist 840, fgni^esceap Phon. 360^; forp^esceoft^i
^eosceaft Beow. 750. 1234, eald ^esceaft Salomo und Saturn 385
{eald;^ecgnd o. s. 374); wyrda ^esceapu Rats. 40, 24; ivyrda gesceaft
1) si/ni pmnni verpra scela skgpup Eeginsm. 6.
2) gesceapu dreoged Phon. 210 vgl. orleg dreo^ed o. s. S81 anm. 3.
3) sia godes giscapii mahtig gimanodun Hei. 336 f.
4) der hüene veige man Nib. 969, 5 C.
5) Hei. 3348. 5662.
6) Ags. xvtjrda ^epinyu Dan. 546 (Jente s. 222).
7) Eäts. 10, 7 : 34,8.
8) fyrn^ewyrht, cer^ewyrht GuJjI. 944. 960.
9) is seo forß^esceaft digol ond dgrne Grein 1 ^, 389.
ÜBER DEN SCHICKSALSGLAUBEN DER GERMANEN 385
Dan. 132. "Wand. 107; uiirdgiscapuj wurdegiscpfU Hei. 3692 CM vgl.
2190. 2210. Der anord. formel skapa aldr steht ags. ealdor;^esceaft
Rats. 40, 23 (eines lebens zeitliche festsetzung ist eine verwickelte
Schicksalsbestimmung) besonders nahe, und dazu gesellt sich lif^e-
scenfta llßi^ende breac Beow. 1953 (erfreute sich eines langen lebens).
Weil aber die auf leben lautenden Schicksalsfügungen mit dem tod
endigen {ende ;:^efere lif:^esceafta 3063 f.) \ betreffen die schicksalhaften
Zeitbestimmungen des 'lebens' (ags. mceljesceaße) auch geradezu den.
tod {/ja iires call sceacen do^or^erhnes, dead un^emete neah . . . ic o?i
earde bdd mcel^esceafta . . . ponne min sceaced lif of Ike 2727—43).
Die zwischen leben und tod schwebenden 'zeitverhältnisse des erden-
lebens' (dem nach seligem ende den christgläubigen im himmel bevor-
stehenden ewigen leben vorhergehend) sind ein auferlegtes Schicksal
und werden durch and. erdlifgiscapu (lebensgeschicke, lebenszeit) - ver-
nehmlich an 2i^?>.Uf;^esce(ifte anklingend - zum ausdruck gebracht (stdor
he t/ie>e iverold agibid erthlifgiscapu Hei. 1323-31). Als 'Schöpfungen*
sind diese zeitverhältnisse des lebens gesetzlich geregelt und durch
den eintritt des todes schicksalhaft begrenzt. Es darf aber diese
Schattenseite nicht als die für das schicksalswesen der Germanen allein
massgebende hervorgekehrt werden, vielmehr ist auch auf das leben
gebührende rücksicht zu nehmen. Durch die hervorragend wichtigen
komposita and. metodgüccfti {-giscapn), ags. tneotod^esceoft {metod^cenft')
werden die Schicksalsfügungen von beiden selten her richtig beleuchtet :
thiu möder carode endi ciimde iro kindes dod . . . ina im wurth benam,
märi metodgiscapu Hei. 2190; metodigiscefti 2210; meotodsceaft bemearn
Beow. 1077^; ealle ivyrd forsweop m'ine md^as to metodsceofte 2814
('tod') ; weccad of deade drghtgumena bearn, eall rMnna cynn to meo-
iu d.^ ceaße Crist 888 ('leben') ^ metodsceaft seon Gen. 1743. Beow. 1180
(Wolf s. 45f. 96 f.) ^
Schicksalsni ächte
Hinter den auf leben und tod sich erstreckenden Schicksals-
fügungen suchen wir jetzt die leben und tod 'schaffenden' (veran-
lassenden), das Schicksal kündenden und wirkenden mächte. Denn
was man einstmals bei den Schicksalsfügungen mit besonderem nach-
druck hervorzuheben pflegte, waren ihre machtwirkungen {rik skgp
1) Vgl. Beow. 1622 [llfda^as). 2844 f.
2) nuirnan meoUidgesceaft Wy 20.
3) oder vielmehr: 'zum (jüngsten) gericht'?
4) seod ponne on ece ^eivyrht Dom, 61.
SQQ KAUFFMANN
Fafnism. 39): ina is reganogiscaim . . . gimanodiin mahtiun sivM Hei.
3347-49 (0. s. 377).
Vorzugsweise werden metod und wyrd genannt, die im hinblick
auf 7)wtod(/i.scaß und ivurdgisccqm als wirkende schieksalsmächte ge-
würdigt sein wollen: 7netod meahtum sivkt ('gott') Crist 716. Andr.
1209. 1515. Grein 3^, 140, 4 u. ö. (Jente s. 72); wgrd seo swläe
Ruine 25 ; Salomo und Saturn 442. 435 ^ ; wyrd hid swktre, meotud
meahti^ra ponne cen-^es mannen gehg^d Seef. 115 f.; wyrd bid swidost
Grein l^ 338 ^
Im neuen aion des Christentums waltet ein allmächtiger schöpfer-
gott des Schicksals^ (o. s. 3G2 f.). Die geheimnisvolle macht dieses
schicksalslenkers {mahts gudis 2. Cor. 13, 4; mahts Xristaus 12,9)
drückte sogar noch der Gote durch rüna aus*: rnna gudis ßou'XYi tou
•i>£ou Luc. 7, 30 (vgl, 21) oder rüna Xristaus [j.uaripioy Eph. 3, 3. 4if.
{öi toja mahtais is '/.ary. Tr,v svspysixv tt,? S'jva[y,£co? aurou 7). Col. 4, 3;
ritna wiljins seinis Eph. 1, 9 (vgl. 5. 11). Bisher hatten die Völker
statt der alimacht des christengottes und der mächte des neuen
glaubens ^ der macht des Schicksals gehorcht und gedient, gemäss
den volksüberlieferuugen (Col. 2, 8. 22 f.) hatten mächtige schicksals-
gewalten ihr dasein überschattet (o. s. 363) und dass die Germanen
davon nicht auszunehmen sind, besagt der Sprachgebrauch. Im Wort-
schatz der gotischen bibeP fällt nicht nur rüna, sondern auch das
gleichbedeutende, für die mächtig das Schicksal wirkenden gestirne
gebrauchte wort staheis auf (o. s. 380), das ebenso wie rüna dem
heimischen schicksalsglauben entstammen dürfte: uf raginjam . . . nf
stahini (randgl. uf tugglam s. o. s. 363) ßis fairJvaus ivesum skalkinon-
dans UTTO z-kw^oiz^c, . . . utto tv. aroiyjX'X toG x,6'jf7-ou vif^sv SeSouT^coasvoi
1) Vgl. Metr. 4, 33 ff.
2) wyrda crceftum Rats. 36, 9; ivyrda mce^enwn King Alfreds Orosius ed.
Sweet s. 62, 10.
3) mihti;^ metodes weard Dan. 235; se metoda drihten o. s. 868 f.; ^esceapu heal-
deä . . . ^esceapo ferede Grein 3 -, 150 f.
4) Zeitschr. 48, 384 f. 49, 49 ff.
5) rtma piudangardjos gudis Marc. 4, 11 ; runos ßiudinassaus gudis Luc. 8, 10
(ghiruni himilorihhes Mons. fragm. 8, 18. Tatian 74, 4); mahts: runa gagudeins,
galaubeinais 2 Tim. 3, 5. 1 Tim. 8, 9. 16 ('runenlied' Zeitschr. 48, 72. 49, 52);
macht des auferstehungsgeheimnisses Phil. 3, 10 ; 1. Cor. 15, 51 ff.
6) Vgl. almahtiga gotes chinmilsidor 'S, 1; dhazs meghiniga chiruni dhera
dh}-inissa 4, 5 (ohne latein. entsprechung) ; heilae chiruni 3, 2. 4, 6; heilac kotes
karuni Murb. hymn. 13, 2 ; thes mahtiges Cristes . . . helag girüni Hei. 4601-3 ;
dryhtnes geri/ne . . . swldor mich mcegenße^nes word GuJ)!. 1094 ff.
ÜBER DEN SCHICKSALSGLAUBEN' DER GERMANEN 387
(sub tutoribus . . . sub elementis mundi eramus servientes) Gal. 4, 2-3;
mip Xristau of stuhlm ß/'s fairkmus (tjv ypicTO) a— o t(Zv aroiyzioyj tou
y.öaiJ.ou (cum Christo ab elementis mundi) Col. 2, 20 (niuja gaskafts
Got. 6, 14 f. 0. s. 362). Diese grundmächte des weltlaufs {elementa
muncli)'^ waren für den vorchristlichen schicksalsglauben die eigent-
lichen Schicksalsmächte. Für den Christen war es ausgemacht, dass
diese mächte ohnmächtig, dass diese 'götter' keine götter seien, nur
auf heidnischem Standpunkt konnten sie für götter ausgegeben werden ^ :
ni kunnandans gup paim poei ivistai ni sind guda sknlkinodedup, ip
nu sai uf kunnandans gup . . . Jvaiwa gawandldedup izivis nftra du
Jjaim unniahteigam jah haikam stabim, pjaimei oftra iupana skal-
kinon ivileip (dagam loitaip jah menopum jah melam jah aßmam
0. s. 363) Gal. 4, 8-10. Die macht der gestirne, beziehungsweise
der planetengötter, den orientalischen schicksalsglauben hatte der
meister der Gotenbibel auf germanischen boden zu verpflanzen. Dieser
seiner aufgäbe ist ^r durch stabeis p)is fairkaus gerecht geworden.
Wenn dieser altheimisch klingende ausdruck jetzt auf die macht
der gestirne sich bezieht, so bedeutete er für Germanen eine erweiterung
ihrer Schicksalserfahrungen (o. s. 363), die an volkstümliche Über-
lieferungen sich anknüpfen liess. Denn die beobachtung der mond-
phasen^ war ein hauptstück altgermanischen orakelwesens*, das in
altgermanischem schicksalsglauben wurzelte: pd er menn sdtuvipmäl-
elda cd Fröpd, p^a sd menn d veggpili hüssins, at komit var tungl halft (halbmond);
Jmt mättu allir menn sjd, peir er i ht'isinu väru . . . pöroddr spurpi pöri viplegg,
hat petta mundi bopa. porir kvap pat vera urparindna — mun her eptir koma
manndaupi, segir kann, pessi tipendi bar par vip> viku alla, at urparmdni kom inn
hvert kveld seni annat Eyrbyggjas.iga ed. Gering s. 191. Durch Vorzeichen
kündigte das endschicksal des todes sich an (o. s. 377). Der 'schick-
salsmond' (schicksalsmacht des mondes) gewinnt für unsern Zusammen-
hang erhöhte bedeutung, weil wir daraus über die orakelhaften macht-
1) Diels, Elementum s. 50 ff. vgl. elementum : ahd. gaskaft o. s. 383.
2) Vgl. z. b. infestos deos . . . propositis inimica elementa (die schicksals-
mächte) Saxo Grammat. p. 29, 27 f.
8) Vom Cülosserbrief als nichtig abgewiesen : ni manna nu izwis bidomjai . . .
in dailai . . . fullipe (vouiir^via;, neomeniae) 2, 16. Indem der Gote den aus-
druck seiner vorläge nicht übersetzte, sondern 'neumond' durch 'voUmond' (ags.
fyllep) ersetzte (Grimm, Mythol. 2* 591 f.), verriet er uns etwas vom folkiore got.
landsgemeinden.
4) Caesar, bell. gall. 1, 50; Plutarch, Caesar c. 19; Tacitus, Germ. c. 11;
Homilia de sacrilegiis s. H. 27. 61. nidlus ad inchoandum opus . . . lunam attendat
MG Script, rer. Merov. 4, 707.
. ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. L. 27
388 KAUFFMANN
*
wirkuDgen der elemente (himmelskörper ; got. tuggla, anord. ags. tiingiy
etwas erfahren, die dem Goten vorschwebten, als er jene mächtigen
kundgebuugen der gestirngötter, die die bibel verurteilte, in seiner
übersetzung zur geltung brachte.
Fragen wir nach der art dieser kundgebungen, so lässt die wähl'
des Wortes stabeis vermuten, dass das heimische orakelwesen und zwar
insonderheit das heimische losorakeP mit seinen geheimnisvollen
Schickungen den schicksalsmächten zur Verfügung gestanden habe.
Nicht nur got. tuggla, sondern auch got. stabeis kehren nämlich bei den
Angelsachsen wieder und zwar in dem durch anord. urparmäni —
mamidaupi angedeuteten Zusammenhang. Auch bei den Angelsachsen
handelte es sich um den tod eines menschen (f((',jes forctskt)^, der
durch das geheimnisvolle weben der schicksalsmächte (ivgrd) ange-
kündigt und herbeigeführt worden ist, als die zeit dafür gekommea
war {ßomie seo ßräg cymed ivefen wyrdstafum . . . GuJjI. 1319-25).
Die Schickung des todes ist hier als ein todeslos aufgefasst. Die
geheimnisvollen machtwirkungen des Schicksals geben hier durch 'stäbe\
(d. h. lose) sich kund und die webende, wirkende schicksalsmacht heisst
wyrd. Dadurch ist eine Verbindung mit jener mythologischen szene
hergestellt, in der die n o r n e n uns begegnen, ihren schicksalsberuf
am Ur|)arbrunnr ausübend, loszeichen ins holz ritzend {shera d
skipi Vol. 20) und 'stäbe' verfertigend^. Diese stäbe, von den nornen
geritzt, bezeichnen die lebenslose (ags. wyrdstafas, got. stabeis pis-
fairhraus), wie sie den menschen unter der band der schicksalsfrauea
fallen (im zeitenschosse ruhen die schwarzen und die heitern lose).
In Skandinavien war stafir, in England stafas hauptsächlich in
Zusammensetzungen üblich, deren erstes glied die art der schickung^
und deren zweites glied die Schickungen kennzeichnete (Jenta s. 333 if.) :
es waren lose des heils {ärstnfas) oder Unheils (wrohtstaßfs), des todes
(endest aß)^, der sorge (sor,jf<tafas), des unmuts {inwitsta-f), des freveis
{fäcenstafas, anord. feiknstafir) und ähnliches^. Von besonderem in-
1) Vg]. Uz, lieza 0. s. 365 (Notker).
2) bäd se pe sceolde eadig on eine endedögor aivrecen wcelstrcelum . . . nu of
h'ce is ^wst stviäe ßis Gutl. 125S ff., vgl. 1037 ff. 1112 ff.
3) siirculi notis discreti Tacitus, Germ. c. 10.
4) Anord. helstafir = ags. wyrdstafas ?
5) Vgl. z. b. anord. bQlstafir, liknstafir. Es wird zwar mit recht angenommen^
dass das zweite glied dieser komposita funktionslos geworden sei, aber diese ein-
sieht enthebt uns nicht der pflicht, die entstehung des grundtypus aufzuklären;
z. b. ags. wrdht ('Unheil') El. 809 ist nicht dasselbe wie u-röhtstafas 925-27, weil
ÜBER DEN SCHICKSALSGLAUBEN DER GERMANEN 389
teresse ist 1. das wortpaar hennnstnfa^ (GuJ)l. 200) - heormtunas (Gen.
992) 'lose des harms' (leid), weil statt stofus nun auch das zweite
beim losorakel gebräuchliche grundwort hervortritt \ und 2. das Wort-
paar inwifsUff-inicitriin (Jul. 609-12), weil hierbei das losorakel mit
dem runenwesen in eins zusammengefasst ist'. Denn im ags. treten
wie im anord. stäbe und runen miteinander in unmittelbare Verbin-
dung^. Folglich darf ags. irijrddnßts mit wijvcla ^erynu (Dan. 149)
oder rim (542) verkoppelt werden : es hat dem könig geträumt, no he
^emunde, Jxet him metod ures (119) . . . ivyrda ;^esceaft (132) . . .
aldorle:^e (139) . . . wyrda ^eiynu (149)*; ne ma^on je pä wijrd be-
mipan, bedyrnan pä deoimn mihte . . . onwreon icyrda ^erijnii El.
582-89 {onwri^e7i ivyrda bi^an:^ 1123; dy^le ivyrd 541), inivrige
wyrda ;^erynu 813''.
Das menschenlos, die geheimnisvollen kundgebungen des Schick-
sals und zugleich die wirkenden schicksalsm ächte haben hier eine
darstellung gefunden, in die es sich ungezwungen einfügt, wenn die
parzen (und furien) ags. {hur^)nine genannt worden sind ^ In der
regel hiessen die schicksalsmächte aber ags. loyrde (anord. urpir
hier die macht des Unheilstifters zur geltung gebracht werden sollte ('unheilstiftung') ;
vgl. sdrstafas : sclrslege Gul)l. 198 f. 2u5 f.
1) tdnas sind die taciteischen siirculi; anord. teinn, afries. ten, ags. tan hiess
das holzstäbchen (anord. spdn), welches das loszeichea trug (Jente s. 270 f. 336 f.) ;
es wurde vom tdnhlt/ta, tdnhli/tere (sortilegus; Wright, Vocabularies 1, 183. 189)
gedeutet.
2) Jente s. 330 f.; von den Zusammensetzungen mit -rim {= -stafas) mag
hetertin Eäts. 31, 7. 5 nur eine dichterische Variante für hete sein, nimmt man aber
diese stelle mit Beow. 501 oder auch mit El. 1094. 1099 f. (Dan. 738) zusammen,
so kommt das scheinbar funktionslose glied zu seinem recht, weil es geheimnisvolle
macht Wirkungen unter sich befasst, die durch vorzeichea sich ankündigten [wcel-
rün El. 27— oO; anord. valriinar, aldrriinar, megenrunar).
3) Anord. stafir, rünar H^vam. 143; ags. stafas begegnet in der Verbindung
mit rüne im ags Beda (ed. Miller, Engl, textsoc. 95—96. 110—11) p. 328,6 (Grimm,
Mythol. 2, 1029 f. ; Beda 4, 22): ein kriegsgefangener sollte gefesselt werden, nee tarnen
vinciri potuit . . . comes qni euni tenehat, riiirari et interrogare coepit, quare ligari non
posset, an forte litteras solutorias (= phylacteria?) de qiiibus fabulae ferunt apud
se haberet, propter quas ligari non posset; at ille respo7idit, nil se taliiim artium
nasse > dcsode hwceder he pä alysendlecan r ü n e ci'tpe and pa s t afa s mid him
aicritene h(efpe be swylcum men leas spei sec^ap . . . Jente s. 328; Aelfric gibt die
stelle wider: purh dri/crceft op)pe purh rtinstafiim (Jente s. 329).
4) Eine ganz andere bevvandtnis hat es mit worda gergmi Dan. 732.
5) Vgl. drihtnes ^ergne Crist 41. 9ö. Gui^l. 1094 (; ahd. girüni o. s. 386).
6) Jente s. 329 ipur^ gehört zu ags. bgrgen burying-place) vgl. helrüne s. 330.
27*
390 KAUFFMANN
Siguij)arkv. 5 ; and. wurdi Hei. 4581 M.) K In der einzahl bezeichnet
das wort (anord. urpr [urparmäni o. s. 387], ags. ivyrd, and. ivurd,
ahd. wiirt) eine macht des werdeus oder geschebens^ die nicht allein
hinter den ereignissen der profanen welt^ sondern auch hinter den
Schicksalsfügungen*, dem orakel- und runenwesen steht (ags. wyrd-
stafos, wyrda gerf/nii) und durch Schöpfungen rechtswirksamer art im
menschenleben sich offenbart (ags. ivyrd^esceap Wright, Vocabularies
1, 400; and. wurd{i)giscaim Hei. 127. 197. 512. 3354. 3692 C: wurdi-
giskefti M. : ags. ivyrda ^esceaft Dan. 132. Wand. 107; wyrda ^e-
sceapu Rats. 40, 24; wyrda ^ep/ngu Dan. 54G ; wyrda bi^an;^ El. 1123).
So war es möglich, im christlichen Zeitalter die macht der Offenbarung, '
der verheissung und des Wunders auf germanische art und weise aus-
zudrücken '\ indem die geheimnisse der Schicksalsfügung auf gott be-
zogen wurden^. Auf die vorchristliche anschauung stossen wir erst
dort, wo eine un- oder überpersönliche macht genannt ist und die
grundformen des daseins auf dies 'Schicksal' zurückgeführt werden.
Das eine hauptereignis des menschenlebens, der eintritt des todes
hat die schicksalsgläubigen so gründlich beschäftigt, dass unser haupt-
wort seine bedeutung gern auf 'tod' oder 'den tod wirkende macht'
einschränktet Gemeinwestgermanische formein der dichtersprache
sind hierfür die besten zeugen ^Grimm, Mythol. 1*, 336): a) hine
ivyrd foniam Beow. 1205^; icurd fornam Hei. 761 {fornimid 3633^),
1) Ehrismann, PBBeitr. 35, 235 ff. ; Jente s. 199 ff. ; Anglia 36, 172 ff. 89, 11 ff. ;
Wolf s. 3ff.; Brandl, Festgabe f. F. Liebermann s. 252 ff.; vgl. J. Grimm, Mythol.
1*, 336 f. 3, 116; Vilmar, Altertümer im Heliand s. 10 ff.
2) urpar magn Gubrunarkv. 2, 22, 3.
3) 'die macht, die die dinge verändert' Wolf s. 47 ; in die profane Sphäre
versetzt uns z. b. Beow. 3030. Jul. 33 ('ereignis' Wolf s. 8 ff.); ags. wyrdwriUre
(historiographus) Jente s. 207; Csetvyrd (historia) s. 205 f.; ahd. ghvurt, ungiwurt,
weimirt, wurt (eventus Ahd. gl. 1, 135, 40; fortuna 153. 6).
4) fsitum :ivurt Ahd. gl. 2, 16, 56. 20, 39; fsita, : tcurte 20, 53; ags. ivtfrd,
wyrde Jente s. 203.
5) Vgl. z. b. Andr. 1500 ff. 1563. 1604 f. Gen. 2353 ff. {Jileodorcwyde 2382 :
2389 f.); wundorivyrd El. 1071; wyrd and tvundor Dan. 471. 653.
6) wyrd : metod : dorn godes Beov*^. 10.36-58. 2858 f.
7) Archiv für religionswissensch. 22, 386; Wolf s. 42 ff.; vgl. z. b. Exod.
447. 450: 456 f. (468 f. 478-81. 484-86. 512); auch anord. urßr ist gelegentlich
mit 'tod' zu übersetzen {sa urpr Ynglingatal 28; das mascul. anstatt des sonst
üblichen femin. beruhte auf einer von daupr ausgehenden analogievvirkung).
8) hie icyrd forswdop 477. 2814; vgl. d4ap fornam 488. 2119. 2236; swylt
fornam 1436 (ecj fornam 2112 ; yild nimed 2536 ; hild niine 452 : 455) ; de'ad nimed
441. 447.
9) dod fornam 2218; suht fornam 4111.
ÜBER DEN SCHICKSALSGLAUBEN DER GERMANEN 391
wurth hinam 2189; b) ivces wyrd un^einete neah Beow. 2420 (: dead
uiigemete neah 2728); thi wurth nähidß thuo {muri mäht ^oc?e6') 5394;
thiii tvurd is at handun 4619 {thea ttdi sind nu gindhid . . . thar man
mines ferhes scal, aldres ahtien 4612 f.). 4778 {:nu is iro död at hendi
2989 vgl. 4567 f.). So wenig wie bei kämpf und tod, die in ent^
sprechenden formein auftreten, liegt eine veranlassung vor, aus jenem
Sprachgebrauch auf eine todesgöttin zu schliessen. Was wir zu er-
kennen vermögen ist eine den tod wirkende schicksalsmacht.
In der christlichen weit erweiterte sich der ausblick vom dies-
seits in das jenseits, wurde das Schicksal des menschen nach dem
tode, das um ewiges leben ringende Seelenheil ein hauptanliegen.
Aber die christliche Jenseitsreligion unterstellte die zukunft des menschen
nicht einem Schicksal, sondern einem gericht, das im himmel oder in
der bölle mit lohn oder strafe den abgeschiedenen seelen zu vergelten
hatte, was sie während ihres leiblichen lebens vollbrachten (Dom.
40-43) vgl. Crist 1220 f. 779 ff. Jul. 718 ff. Trotzdem kam es vor,
dass die dichtersprache die schicksalsmacht in das jüngste gericht
einsetzte, nachdem das Schicksal unter die befugnisse des welten-
richters aufgenommen worden war (o. s. 362): imjrde bidan, drihtnes
dömes Gen. 2570 f. ^ Im allgemeinen aber ist and. ivurd und ags.
wgrd (im gegensatz zum jüngsten gericht) auf die mit dem tod ab-
schneidende lebensführung im diesseits, beziehungsweise auf das end-
schicksal der erde (Weltuntergang) eingestellt geblieben - : ivile ponne
for^ieldan ^a'sta dryhten willum wfter poire ivy\de, ('nach dem
tode')^ widdres ealdor . . . l/fes ivaldend (lic sceal l'tfe onfön, feores
cefter foldan) . . . cüp sceal -^eweordan, pa^t ic getvcegan ne mce^ wyr d
under heofenum (Dom. 81 ff.)*.
Das Schicksal der menschen nach dem tode scheint demnach
nicht zu den kompetenzen der altgermanischen schicksalsmächte ge-
hört zu haben, auf das diesseits, nicht auf das jenseits, auf den
lebenslauf und auf das lebensende erstreckte sich ihre Wirksamkeit
und wenn auch das Schicksal des todes häufiger als das Schicksal des
lebens die stimme der dichter geweckt hat^, so sind sie doch auch
1) Vgl. 887 f.: 10211 {meotudsceaft = dorn?).
2) feores bid cet ende dura gehwi/lcum Dom. 2—3 ; vgl. erdltfgiscapu Hei. 1331 ;
ymrdgiscapu {an Me) 126 f. ; 3630-33. 2586 ff. 2634 ff. 4296 ff. 4358 ff. (Weltgericht).
3) cefter heonansipe 86; vgl. orleg dre'oged 29. Crist 1272.
4) ac hü pus gelimpan sceal leoda gehwi/lcum eofer eall beorht gesetu,, byr-
nende Mg; siddan cefter päm lige lif bid gestapelad 116 ff.
5) feores orwena . . . btded wyrde bewegen wcelmiste . . . fcege Wy 40—44.
892 KAUFFMANN
an ihm nicht stumm vorübergegangen (obsehon die meisten gottes
Vorsehung dabei im sinne hatten) \ Der ags. Seefahrer machte gott
und die wi/rd für die Schicksalswenden seines lebens verantwortlich:
ivt/rdbct siviäre, meotud meahti^ra pcmne a'nges mannes ^eJnj;^d 115 f.
und der ags. Wanderer, der über die Vergänglichkeit der zeit und die
nachtseite des lebens grübelte und beim vater im himmel trost und
hilfe suchte, nennt wyrd seo mcere '^ nicht nur als todes- ^, sondern
auch als lebensmacht: eall is earfodlic eordan rlce, onwended wyrda
^esceafi weoruld under heofenion 106 f.
Als Kain das blut seines bruders vergoss, beschatteten die
folgen dieses freveis {heannianas s. o. s. 388 f.) den ganzen erdkreis und
zumal das leben des mörders (Gen. 987 ff.): we p(pt spell ma,-^on, wcel-
grimme wyrd wope cwldan (995 f.; vgl. 1013 ff.: 1031 ff.). Auch andern-
orts ist ausser dem tod das leben schicksalhaft (vom allmächtigen gott)
bestimmt; vgl. Gen. 2353 ff, 2388 ff.; -^ced d wyrd swa hio scel
Beow. 455. wyrd oft nered unfcegne eorl 572 f. (o. s. 369); ne ivces
ßa't wyrd pä gen 734; ivyrd ne meahte in fcegum leng fcorh geheallan
. . . ponne him gedemed wies Guf)l. 1030-32; wyrd gescraf, pwt Jye
peodrice pegnas ond eorlas heran sceoldan Metr. 1, 29-31 ; ivyrd ge-
scrdf, pmt he swa leof gode in ivorldrice weordan sceolde El. 1047 ff.;
auf die erlebnisse des Babylonierkönigs hatte das Schicksal bezug,
das ihm durch seinen träum {rün 542, ein von gott gesandtes omen)
offenbart worden war (icyrda gepingu Dan. 546 ; wyrda gesceajt, ivyrda
gerynu : aldorlegu, wereda gescecftc 119 ff. o. s. 389)*.
Dahingestellt muss es bleiben, ob die schicksalsmächte durch
and. regangiscapu auch unmittelbar dargestellt worden sind. Der
ausdruck bezieht sich Hei. 2593 auf das endschicksal der menschheit
(muspilli): sculun iro regangiscapu frumminn firiho barn. Somit ist
regin- hier das bekannte, verstärkende praefix (Jente s. 67 ff.), das
ursprünglich die schicksalsmächte bezeichnete, aber inzwischen pro-
faniert worden ist ^ Da nun aber die Variante regino-, reganogiscapu
Hei. 3347. 2593 C vorliegt und nicht sowohl godes giscapu 336 als
1) Vgl. z. b. Grein 3S 148 ff. (bi manna wyrdum).
2) Sieper, Elegie s. 198.
3) eorlas fornömon asca ßri/ße, tvoepen tvoelßifrn, u'i/rd seo mcere 99 f. ; vgl.
6-7 [arced [Wolf s. 36 f.] stellt sich zu got. garaips oder zu gareds? Zeitschr.
49,48); ne mceg loerig mdd wyrde widstondan 15.
4) wyrd wces geivorden . . . dorn geddmed Dan. 653.
5) megintheof : regintheof Hei. 5400. 1644; ags. regtipSof Exod. 538; and.
reginblind Eel. 3554 : ags. re^nheard Beow. 326 ; and, reginskatho Hei. 5398, 5497.
ÜBER DEN SCHICKSAIiSGLAUBEN DER GERMANEN 393
auch wurdigiscapu 3354 entspricht, ermächtigt uns diese ältere wort-
form, die Schicksalserlebnisse der menschen auf regln (anord. regln)
genannte schicksalsmächte {mahtiun sivkt) zurückzuführen'. Ihr name^
.gibt sie als jene beratenden und beschliessenden mächte zu erkennen ^,
deren gesetzliche bestimmungen und entscheidungen durch giscapu zu
Worte gebracht worden sind. Dass auch anord. regln auf diese
schicksalsmächte bezug nahm ^, ergibt sich nicht nur aus der Identität
mit dem flektierten neutr. plur. Altniederdeutschlands, sondern auch
aus der Übereinstimmung im gebrauch jenes sogenannten verstärkenden
präfixes : anord. regingrjöt enthält eine bezeichnung für die Schicksals^-
mächte (das Schicksal malend Grottas. 20), reginkunnr (Hgvam. 79)
heisst 'von den schicksalsmächten stammend'^. Diese schicksalsmächte
waren es, unter deren regiment die 'angelegenheiten' aller lebenden
wesen (ßra rgk, aldar rrjk), der götter und der menschen {tlva rgk,
J>jopa rgk) sich abspielten ** ; es waren vermutlich jene vis regin'^, die
den gott NJ9rJ)r für die weisen Wanen geschaffen haben (Vaf]3r. 39) **,
es waren vermutlich jene nf/t regvt, die auch die mondphasen (schick-
«alsomina o. s. 387) geschaffen haben {gldum at drtall Vaf|)r. 25) ^ und
es waren vermutlich jene überlegenen mächte, deren fornar staßr 0|)in
erkundete (Vaf|)r. 1. 'S), weil sie mehr als er selbst bescheid wussten:
von denen die sage gieng, dass sie die geschöpfe dieser weit mit
geheimnisvollen machtwirkungen begabt, die runen geritzt hätten
(Hgvam, 79. 143). Andere gewalten als die götter, von denen OJ)in
einer war, wurden unter diesen reg/n vorgestellt, obschon im lauf der
zeit die götter diesen schicksalsmächten den rang abgelaufen und die
1) Hei. 3347 C fehlt das pronomen is.
2) Got. raffin Zeitschr. 49, 48.
3) rpß gll ok regln Häkonarm. 18 ; vgl. regindömr (V(il. 65) 'gericht' ; reginn
(: got. ragineis); Joura. of engl. phil. 15, 251.
4) 'ordnende magter' Egilsson-Jonsson, Lex. poet. s. v. regin.
5) Folglich werden ags. re^npeof, and. reginthiof, reginskatho einen vom
Schicksal zum Verbrecher bestimmten, and. regmblind einen vom Schicksal mit blind-
heit geschlagenen menschen bezeichnet haben, bevor sie im jüngeren Sprachgebrauch
die schicksalhafte tönung des wortsinns einbüssten.
6) forn rgk (abd. rahha, ags. racu) = orlQg Lokas. 25; fornar staßr ok ragna
rQk Vafl)r. 55 vgl. v. 1. Alvism. 35.
7) fröp regln Vafl)r. 26.
8) Auch von Heimdali hören wir, er sei ragna klndar Hyndl. 37 {nlu bgru,
pann jptna meyjar).
9) Von den 'göttern' wird nur ausgesagt, dass sie die bewegungen und kräfte
der himmelsgestirne 'benannt' hätten (Vgl. 5—6).
g94 KAUlETMANN
bezeichnuDg regin von ihnen ererbt haben ^ Einstmals waren sie deö
göttern überlegen, denen sie - gleich wie den sterblichen menschen -
das Schicksal des todes bereiteten^ und die kenntnis der in der Zu-
kunft bevorstehenden dinge vermittelten'.
Unter diesen schicksalsmächten war eine richterliche Instanz das-
oberhaupt {ragna hrüptr). Seine gemeingermanische benennung metod^
gehört etymologisch mit griech. [j.i^oiv, p.eScwv zusammen^ und ist
seiner form nach ein nomen agentis wie z. b. ahd. leitud: leitid oder
scephid (creator). Das zu grund liegende verbum metan (got. (jamiian
[f/amiton], mmitan, ags. ämetan, anord. meto) reicht mit der Sphäre-
seiner bedeutung nahe an die von 'richten' heran, wenn wir davon
ausgehen, dass die aufgäbe, jemandem den ihm gebührenden anteil
abzumessen, über 'ermessen' und 'erteilen' zu 'urteilen' geführt hat''.
'Zuteilen' und 'zumessen' war ein pr'adikat der schicksalsmächte \ E^
war aber auch ein epitheton gottes {metend Gen. 1809)^ und so ist
denn in christlicher dichtung insgemein das nomen agentis metod auf
ihn übergegangen ^ Der weltschöpfer und der weltherrscher ^"j ins-
besondere der Weltenrichter ist metod genannt worden ^^ Höchste macht
1) Vgl. u. s. 407.
: 2) T>\g?,& rjvfendr (Baldrs dr. 14) veranlassten den zusammenbrach der götter
{rjiifask Vafl)r. 52. Grimn. 4. Lokas. 41. Sigrdrif. 19); aldar rof Helg. Hund. 2, 40 j
hvat verpr Opni at aldrlagi ßds of rjvfask regm Vaflir. 52 {rof und rjüfask sind,
termini der rechtssprache vgl. l)ingrof, frit)rof, grit)rof, drygl^rof).
3) gopin rQkpu til spddöma Sn E 1, 104 {spd s. 106. 114); Othinus quamquam
deofum pt-aecipuus haberetur, divinos tarnen et arnsjnces ceterosque quos exquisitis-
prescientie stttdüs vigere compererat . . . sollicitat Saxo Gramm, p. 78.
4) J. Grimm, Mythol. 1*, 18 f.
5) Dazu altir. mediu PBBeitr. 4, 210. 18, 180.
6) adomian—adelian Hei. 4291. 4388: 1486 u. a.; der teil wirt in gemezen
Notker 2, 33, 1 ; vgl. Otfrid 2, 13, 31 f. ; got. mitap gadailjan Eöm. 12, 3 ; müan-
dans jah gadomjandans 2. Cor. 10, 12-13 {gamat mitap) vgl. Hei. 1691 ff. iudicare-
metiri > adelian . . . dorn . . . giniet; ags. metan, gemet, gemetgian (Boethius ed.
Sedgefield s. 138f.), ^emetgting; anord. mjQtvipr (-< mjpiupvipr ?) Vgl. 2 (schicksals-
baum): meta Sigrdrifum 20, 4; Mikael engill . . . skal meta allt pat er pu gerir vel
ok er Jiann svd miskunnr, at hann metr Jjat allt meira er honum pykkir vel (Njäls-
saga, Sagabiblioth. 13, 233, 13) vgl. vega Sn E 1, 320.
7) J. Grimm, Mythol. l"", 338 anm.
8) Vgl. Metr. 11, 88.
9) Beow. 180. 670. 1611. 1778 usw.; Christus sunu metodes El. 461. 474.
564 u. a. (Germania 13, 129 ff.; Jente s. 69 ff.).
10) Crist und Satan v. 1 ff. 459. 697 f. ; Gen. 135 ff.; metod engla 121 (frda
engla 157, dugoda hijrde 164); celmihtig mid Ms en^la gedrght mce^encijnin^a.
ineotod Crist 942 f. ; middan^eardes meotud Dom. 65 usw.
11) Crist 1217 ff. 1366 ff. ; meptudes ddm . . . wuldorcynins meahtig cet pam>
ÜBER DEN SCHICKSALSGLAUBEX DER GERMANEN 395
kommt ihm zu \ das Schicksal wurde ihm beigeordnet {ivyrd hlä
swidre, nieotud meahti^ra ponne cennes monnes ;^ehy;^d Seef. 115) oder
untergeordnet {wHi;^ god wyrd forstöde . . . metod eallum iceold gumena
c'jnnes Beow. 1056-58), er bestimmte das Schicksal: habet im ivurd-
giscapu metod gimarcod^ endi mäht yodes Hei. 127 f. {thiu tvurd is at
handun, that it so giyangan scal, so it god fader gimarcode mahtig
4778-80) oder ordnete es an: ivyrd geteod {ahd. gizehon), 77ietod manna
gehiva's {= metod mnncynnes) Beow. 2526 oder war wie sonst das
Schicksal für den lauf der dinge verantwortlich : pd metod nolde Beow.
706 {me wces pcet wyrd pa gen 734).
Aus diesen belegen muss gefolgert werden, dass metod ein vor-
christlicher ausdruck für eine schicksalsmacht gewesen ist und tat-
sächlich hat sich diese bedeutung noch mehrfach erhalten. Der
christengott heisst se meto da drihten (Jente s. 70) oder m/'htlj metodes
iveard Dan. 235 {feorh generede)^ , in den Walderefragmenten steht
metod, ausserhalb jeder Verbindung mit der gottheit, schlechthin für
Schicksal {ic pe metod ondred 1, 19)^ und selbst im Andreas erscheint
noch das Schlachtfeld, auf dem das Schicksal der krieger sich ent-
scheidet als meotudwang v. 11 (wal statt) ^. Legte sich schon bei den
ags. belegen für wyrd (o. s. 390), so legt sich nun auch für metod die
Übersetzung mit 'tod' (Schicksalsfügung) nahe. Diese bedeutung tritt
fürs altniederdeutsche und altnordische in den Vordergrund, obschon
auch das mit der geburt eines menschen gestellte thema behandelt
wurde. Die Schicksalsfrage des lebens und des todes ist mit metod
verknüpft. Anlässlich der geburt des täufers deutet der Helianddichter
eine schicksalsbestimmung seines lebens mit den worten an: ni scal
an is übe gio lides anbitan, wlnes an is iveroldi, so habed im wurd-
giscapu metod gimarcod 126-28 und führt ein andermal die schick-
meple Phon. 524. 537 f.; abtdan sceal maga mdne fdh tniclan dömes, hii him sci'r
metod Serif an wille Beow. 977—79 : siddan icitig ^od . . . Jidli^ dryhten mcerdo deme^
swa him ^emet pince 685—87.
1) mikila mäht metodes Hei. 511: ags. metodes meaht Heliand ed. Sievers
s. 418 anm. 14; meotod meahtum sivip Jente s. 72; meotodes mihtum Gen. 189;
mcegena god . . . meotod, niihta god . . . ece rex, meotod, god mihta wealdend . . .
mcegena wealdend . . . meotod geaf mihta spe'd El. 810. 819. 1042 f. 347. 365.
2) Hei. 601. 1518 f. vgl. 191 f. und Sievers formelverzeichnis s. v. bestimmen
(ags. gemearcian).
3) n6 he gemunde, pcet him metod W(es 119 {wyrda gesceaft 132, wyrda
gerijnn 149).
4) penden Jjin god recce 23.
5) deadwang v. 1005.
396 KAUFFMANN
salsfügung eines todes mit den gleichen hauptwörtern ein: mosta sm
mid iru brudigumon bodlo giwaldan sibun ic'mtar samad, tho gifragn
ic that iru thar sorga gistod, ihat sie ihiu mikila mäht metodes tedelda,
ivred ivurdigiscopii 509-12 (: ags. dead Sievers anm.). Diese doppel-
seitigkeit der fiinktion bewährt sich auch für den ags. und anord.
Sprachgebrauch: nu scealc hnfad purh drihtnes mihi dced ^ejremede
, . . Jxrt secr^an nwg efne swa hwylc mm^pa, swa pone ma^an cende
. . . Jxvt hjre eald metod este ivcere be arn^ebyrdo: ic hine . . .
Oll wcelbedde wripan pohtc, pa't he for mund^ripe minum scolde
licgean Ufbtjsi^ . . . ic hine ne mihte, pa metod nolde . . .: abidan
iiceal . . . miclan domes ('tod'), hu him scir metod scrifan wille Beow.
940 ff. 963 ff. Bei den Skandinaviern ist für mjgtupr (schicksalsmacht)
die bedeutung *tod' die usuelle ', sie wurde es aber auch unter den
Westgernianen, hauptsächlich den Niedersachsen, denn wenn wir das
kompositum ags. metod ;^ei<ceaft {metodes ;:^esceaft), and. metod{o)gi-
acefti, -giscopu ins äuge fassen, so hat man darunter die Schicksals-
fügung des todes verstanden: bed metudgiscapu Hei. 4827 (vgl. 4181 ff.);
kihnda iro kindes död . . . ina wurih binam, muri metodgiscapu 2190 C
(metodo-M) ; mimdoda ivider meiodlgisceftie 2210 •, ealle wyrd forsweop
, . . to metodsceafte Beow. 2814 f.; Höces dohtor meotodsceoft bemearn
. . . <6v'j ealle fornam 1076-80; murnan meotudjesceaft Wy 20. Trotz-
dem darf die machtwirkung des metod nicht auf das Schicksal des
todes eingeschränkt werden ^, denn Gnom. Cott. 57. 65 f. weisen über
den tod auf das Schicksal der seelen im jenseits hinaus {metod äna
wdt . . . is seo ford^esceaft d/^ol and dgrne . . . htvglc s't meotodes
^esceoft sigefolca geseta, pcer lie sylfa wunad). Auch Crist 888 ist
gerade nicht auf den tod, sondern entweder auf das jüngste ge-
richt oder auf das ewige leben hingewiesen {weccad of deade dryht-
^umena bearn . . . to meotudsceafte), und das letztere ist in einer
christlichen formel ausgedrückt, die diese 'Schöpfung gottes' den
gläubigen im 'himmelreich' in aussieht stellt: ponne Jm ford scyle
metodsceaft seon Beow. 1180^; he ford ^ewät . . . metodsceaft seon
Gen. 1743 ^
1) Egilsson-Jonsson, Lex. poet. s. v. Auch für Vgl. 46 kommt man am besten
mit 'tod' aus, denn es handelt sich um die ersten Vorzeichen (omina), unter denen
das sterben der götter (Vafl)r. 47) sich ankündigt.
2) Anord. mJQtupr FJQlsvinnsm. 16 wirkt lebenfördernd (leiden heilend).
3) diadwic seon 1275.
4) to metodsceafte in icne ^ef^an Menol. 172 f. ; vgl.' iceras and u-if ivoruld
alcetad . . . s^od on 4ce gewyrht . . . Dom. 60 ff.
ÜBER DEN SCHICKSALSGLAUBEN DER GERMANEN S97
Gestalten
Die oberste richterliche, nach ermessen über leben und tod ent-
scheidende schicksalsmacht (meioä) ist in westgermanischer dichtung
auf den christengott übernommen worden. Darauf gründet sich die
Vermutung, dass mit metod nicht nur eine un- oder überpersönliche
macht, sundern auch eine persönliche gestalt, eine gottheit der vor-
christlichen Jahrhunderte uns bezeugt sei '. Noch scheinen ags. metoda
drihten, and. metodogiscapu (cod. M) auf die Vielzahl namenloser
Schicksalsmächte und Schicksalsfügungen hinzudeuten, aber sonst ist
gerade bei metod die einzahl so ständig und gleichmässig im gebrauch ^,
dass man geneigt sein könnte, die lesart metodgiscapii (cod. C) zu be-
vorzugen (ags. metod ^escenfi), wenn metodogiscapu ^ nicht durch regino-
c/iscapu (o. s. 393) gestützt würde. Berücksichtigt man ferner, dass ivurd-
giscapu diesen kompositis, die die Schicksalsfügungen als Schöpfungen
einer oder vieler namenloser mächte bezeichnen, ganz gleichartig ist,
so scheinen diese 'Schöpfungen' nun doch im mythos und in der religion
auf eine persönlich vorgestellte mächtegruppe zurückgeführt worden
zu sein, die bald in der einzahl, bald in der Vielzahl aus gottheiten
sich zusammensetzte. Noch fehlten diesen gestalten die personen-
namen. Nur gattungsnamen liegen vor (z. b. für die skandinavischen
^nornen')*, aber die schicksalsfrauen des Nibelungenliedes {Hadeburg,
Sigelint, Winelint) sind doch schon - gleich den antiken parzen —
nicht nur persönlich gestaltet, sondern auch - anders als die parzen —
nach frauenweise persönlich benannt worden^. Folglich stossen wir
auf gottheiten von der art der keltischen Matronae-Matres oder der
goethischen 'mütter', deren plastik - trotz der antiken bildwerke —
1) Vgl. mitodh-in Saxo Gramm, p. 25 f. (mithotyn); PBBeitr. 18, 188. 43, 250 f.
2) hahed im tvurdgiscapu metod gimarcod Hei. 127 f.
3) Anaptyktische vokale haben in der kompositionsfuge gewuchert {metodigi-
scefti Hei. 221U C; letirdegiscefti 3692 M; wurde-, icurdigiscapti 3354. 197. 512;
erdlibigiscapti 1331 M; reginblind > reginiblind 3554.
4) Die aus zeitbegriffen abstrahierte trias Urpr Verßandi Sknld (Vgl, 20) ist
das gebild eines den alten text interpolierenden mythographen, der noch gut
bescheid wusste (skera d sMpi), aber auch sein Schulwissen leuchten lassen wollte;
er schöpfte aus Isidor (praeteritum praesens futurum Etymol. 8, 89 f. 92 f.), dessen
notiz bekanntlich auf Piaton zurückgeht (J. Grimm, Mythol. 1 *, 343 f. 335 f. ; Gruppe,
Griech. mythol. 2, 880 f. 1089).
5) Unter den vielen keltischen 'feen' (fatae) sind einige vom gattüngs- zum
Personennamen vorgeschritten, aber selbst die fee Morgan ist doch nur eine 'frau
vom meer'.
398 KAUFFMANN
■weit unschärfere konturen aufweist, als wir sie bei 'göttern' gewohnt
sind. Ein ähnliches geschöpf ist der 'tod', der allerdings zum Sensen-
mann ausmodelliert, also von der 'macht' zur vollplastischen 'gestalf
erhoben, aber doch nicht mit einem eigennamen begabt und somit
nicht zum gott geworden ist^ Nicht ganz soweit wie mit dieser
Schicksalsmacht des todes^ ist es mit der wurd gekommen.
Während metod eine männliche gestalt anzuzeigen scheint, sind
es im übrigen weibliche gottheiten gewesen, die die Alten mit den
Schicksalsfügungen betraut haben. Die schottischen iveird sisters, denen
Macbeth begegnete ^ sind ein besonders anschauliches beispiel. Zwar
stammten sie, wie Brandl neuerdings gezeigt hat*, in mancher hinsieht
von den mittelalterlichen parzen, feen und hexen ab, folglich dürfen wir
ihre 'gestalt' nicht ohne vorbehält in das germanische altertUm zurück-
datieren, aber dass die schicksalsmächte der Germanen bereits in der
Vorzeit gestalt gewonnen und frauentracht angelegt hatten, dürfen wir
mit Sicherheit der erscheinung der iveird sisters entnehmen^, denn der
beweis, dass überhaupt weiblich gestaltete schicksalsmächte (soge-
nannte schicksalsfrauen) unserem altheimischen mythus oder kultus^
geläufig waren, braucht nicht geführt zu werden.
Ich erinnere daran, dass ags. wijrd und icyrde nicht nur faturriy
fata ®, sondern auch i^arcae als lemma zur seite haben '', dass ahd.
und and. wurd über die Sphäre von fatum nicht hinausragen, dass
aber die schicksalsfrauen des Nibelungenliedes ein viel weiter fort-
gesphrittenes bild vollentwickelter gestalten uns gewähren **, aber aller-
1) Grimm, Mythol. 2 *, 700 ff. ; Burdach, Ackermann aus Böhmen s. 237 ff.
2) 'Die altdän. Proserpina (o. s. 375) und ihr korrelat, die westnordische
Hei repräsentieien ungefähr dasselbe entwicklungsstadium einer schicksalsgo ttheit
(Hei. 2H53f.: Beow. 851 f.; Fafnism. 21; Sonatoriek v. 25: Helg. Huud. 1, 4, 3).
3) Grimm, Mythol. 1*, 337.
4) 'Zur Vorgeschichte der weird sisters im Macbeth' Texte und Forschungen,
festgabe für F. Liebermann (Halle 1921) s. 252 ff.
5) tres sorores, quas nos fatales dicimus esse deas im Speculum stultorum
(c. 1180) des Engländers Nigellus (Wirekere) Grimm, Mythol. 1*, 339. Th. Wright,
The anglo-latin satirical poets (London 1872) s. 125 ff. (exemplum de tribus deabus
fatalibus [quae- parcae dicuntur et finguntur fila ducere] haec mea multotiens ge^
netrix narrare solebat s. 130); three sistris (whiche ben spiritis) comen to the cradilis
of infantis Pecock, Repressor bei Brandl a. a. o. s. 261 (o. s. 370).
6) Wright, Ags. Vocabularies 245, 44. 494, 28; 407, 14. 527, 8 (fortune
400, 15. 496, 20; casus 371, 36. 500, 10. 507, 36: fors 22, 41. 406, 11. 504, 28;
sors 47, 28).
7) Wright, Vocab. 37, 3. 468, 8; Sweet, Oldest english texts s. 83. 86.
8j Die polemik, die Wolf in seiner dissertation (a. a. o. s. 3 ff.) gegen wyrd
ÜBER DEN SCHICKSALSGLAUBEN DER GERMANEN 399
dings dem verdacht ausgesetzt sind, ebenfalls unter dem einfluss der
feenmythologie gestanden zu haben \ In jeder beziehung unantastbar
ist das ags. Zeugnis Aldhelms, der das fatum als dorn/' na kannte
(o. s. 368)-. Dazu stimmt die westnordische U7'p, die nicht nur in
der gestalt der Brynhild sich spiegelt (Guf)r. 1, 23 : 2, 22 R), sondern
in der Eddamythologie ein selbständiges leben führt {ürßr, Urßar-
bninnr Vol. 19-20; Vrpar orp FJ9ISV. 47 ; Urpar lohir Grog. 7). Mit
ihr vereinigen sich die gestalten (mei/jor) der nornen (Helg. Hund.
1, 2 flf.) und nicht zuletzt die gestalten der fijlgjen, die von der typik
weiblicher erscheinung (disir) einen ausblick auf älteren theriomorphis-
mus der schicksalsgestalten gewähren {inarr er manns fylyjo Vatns-
daela c. 42 u. a.) ^. Unter ftjlgja verstehe ich nämlich die für das
Schicksal des einzelnen menschen - nicht für den allgemeinen weltlauf -
verantwortliche, ihn sein leben lang begleitende schicksalsmacht *, die
bei der geburt als hamingja (glückshaube 0. s. 373) und beim tod
durch schicksalsomina (Njalssaga 0. s. 387) in erscheinung tritt. Ihre
gestalt bekommen wir durch das medium der dichtung^ und der
bildmässigen darstellung zu sehend Die jüngere vorstellungsweise
artete ins gespensterwesen aus'.
als gottheit geführt hat ('todesgöttin' nach Ehrismann, PBBeitr. 35, 235 ff. ; 'schick-
aalsgöttin' nach Brandl a. a. 0. ; vgl. auch Jente s. 200) war allzu kurzsichtig und
ist darum der gesamtüberlieferung nicht gerecht geworden.
1) Sicherlich trifft dies für Saxo Gramm, p. 181, 21 ff. (0. s. 371 deae ni/mphae)
und für die novellistischen erzählungen vom schlag des Nornagestsl)ättr zu (0.
s. 871 f.).
2) Nigellus, Speculum stultorum v. 1 ff. : Ibant tres hominum curas relevare
sorores, quas nos fatales diamus esse deas, Unus erat cultus trihus his eademque
voluntas, naturae vitiis ferre salutis openi et quod avara minus dederat vel prodiga
tnultum, his emendandi plurima cura fiiit . . . geminae voluere sorores ferre salutis
opemj si licuisset eis; instahantque diiae dorn in am sociamque rogantes, ut saltem
silieret niitius esse nialum. lila sed e contra vultu verbisque renitens obstitit et
surda pertulit aure preces . . , quaerentes domin am . . . (Wright a. a. 0. s. 125 ff.).
3) Joh. Erici (Erichsen), Observationum ad antiquitates septentrionales perti-
nentium specimen. Kopenh. 17H9; Maurer, Bekehrung 2, 67 ff.
4) Maurer, Bekehrung 2, 71; vgl. z. b. Archiv für religionswissensch. 8, 104 ff.
5) fi/lgjur hans hQfJni vitjat Hepins, pä er kann sd konuna ripa varginum
. . . reip d vargi fljöp eitt Helg. Hjgrv. 35 nebst prosa ; trollkoim, sil reip vargi oh
hafpi orma at taumum prosa vor v. 31 (das tier war ursprünglich die erscheinungs-
form der fylgja, im Zeitalter des anthropomorphismus wurde es zum attribut des
weibes).
6) Zeitschr. 42, 241; Wiramer, Runemindesmferker 3, 37.
7) Vgl. z. B. die lüdrandi-episode der jüngeren Olafssaga Tryggvasonar c. 215
(Maurer, Bekehrung 1, 228 ff.) ; Golther, Mythol. s. 99.
400 KAUFFMANN
Um auch bei den Westgerraanen diese 'gestalten' einigermassen
zu klären, bedarf es einer Spezialuntersuchung des für wurd uns zur
Verfügung stehenden quellenmaterials. Man wird zu diesem zweck
die ags. belege durch die and. aufzufüllen und von denjenigen bestand-
teilen der dichtersprache auszugehen haben, die wurd mit metod zu
vereinigen gestatten. Es sind dies die bereits erwähnten komposita
(and. nietodyiscefti, ags. meotod^esceaft: and. wurdgiscefti, ags. wijrda
^esceaft, and. metodgiscapu : ivurdgiscopu : ags. wyrda ^esceopu, ivyrd-
^esceap). Namentlich aber sind es die tätigkeitswörter, die in iden-
tischer oder in differenzierender weise für inetod und für icurd in
anspruch genommen werden.
Die tätigkeit des Schreibens pflegte unter den Römern von
den parzen ausgesagt zu werden (fata scrihuiida) ^ Auch nach der
bibel schreibt der weltenrichter sein urteil oder findet im lebensbuch
das Schicksal der weit und der menschen geschrieben, auf grund
dessen das endurteil von ihm gesprochen wird'*'. Im ags. hat scrifan
(< lat. scribere) dem üblichen juristischen verfahren gemäss die be-
deutung 'recht sprechen' (urteilen, bestimmen, anordnen) entwickelt
und ist nicht nur mit der gottesdienstlichen ^, sondern auch mit der
schicksalsterminologie in Verbindung getreten : meahti^ drijhten . . ,
eallum daded, scyreä ond i^crifed ond gesceapu healded . . . (god) je-
sceapu ferede crjkwglcum on eorpan eormencynnes . . . monnum scr'ifeä
Wy 66. 95-98 ; fylca ^ehivylcum scyppend scrifed he ^eivyrhtum eall
(ffter ryhte Crist 1220; seo pnjnis . . . purh pa sc'iran gesceaft scrifect
> hi geivyrhtHm weorde monna gehicdm Jul. 728. Diesem biblischen
Sprachgebrauch folgte der Beowulfdichter *, wenn er das verhängnis^
des Schicksals durch den vers umschrieb : lui him sc'ir metod scrifan
■icille, (979). Von den römischen parzen gieng er dagegen aus, wenn
er die tätigkeit des Schreibens sogar der ivyrd zumutete (sied him
wyrd ne ges4i-df hred wt hdde 2574 f.). Ein ags. poet der christlichen
epoche durfte es also wagen, tiyrd und metod mit ein und derselben,
einem latinismas zu verdankenden amtshandlung zu betrauen und mit
1) Wissowa, Religion der Römer - s. 265 f. ; vgl. J. Grimm, Mythol. 1 *, 336
anm. 5; Notker ed. Piper 1, 724. 739 f. 740, 16 ff. {Jovis priefarun scribent). 762, 15 ff.
2) nomina vestra scripta sunt in caelis Luc. 10, 20; scripta nomina in libro
vitae agni Apocal. 13, 8. 17, 8 (a constitutione mundi) ; iudicati sunt mortui ex his
quae scripta erant in libris secundum opera eorum 20, 12 (vgl. 15).
3) scrift hiessen auch die bussbestimmungen der beichtiger; Zeitschr. f. d. alt.
36, 145 ff. 61, 57 f.
4) Beow. 106: Crist und Satan 33.
ÜBER DEN SCHICKSALSGLAUBEN DER GERMANEN 401
literarischem erbgut auf so seltsame art zu wuchern, dass altgerman»
metod-ivijyd und lat. scribere sich zusammenfanden ^.
Andere tätigkeiten sind von solchem Synkretismus frei und führen
uns somit näher an die gestalt der ivurd heran.
Nur die weibliche injrd, niemals der männliche metod ist von
den Angelsachsen in dem frauenberuf des webens beschäftigt worden.
Hierfür gibt es weder ein antikisches noch ein biblisches vorbild.
Die parzen spinnen^, aber sie weben nicht ^ und die nordischen
schicksalsfrauen der älteren quellenschicht sind nur ausnahmsweise
am Spinnrocken *, der regel nach sind sie am Webstuhl (am sausenden
Webstuhl der zeit) tätigt. Weder mit dem weben noch mit dem
spinnen haben es die nornen in der berühmten szene der Helg. Hund.
1, 2 tf . zu tun (o. s. 371) *', aber in andern Situationen sind die alt-
germanischen Schicksalfrauen des webens kundig': me päd icyrd ^eira-f
ond ^ewijrht /brjefl'/Reiml. 70 ^. Die Schicksalsfügung des todes ist hier
gemeint und für das wunder dieses schicksalswebens, für dies geheim-
nisvolle gewirk der schicksalsmächte hat das weben eines gewands
das gleichnis hergegeben. Die auflösung des 36. (aus Aldhelm über-
setzten) rätseis des Exeterbuchs ist 'ringbrünne'. Was ist das für ein
kunstvolles gewand {hijlüUc ;^ew(ede)? Nicht aus wollenem fiiess (son-
dern aus eisen) ^ ist es gewoben und nicht von seidenwürmern ist es-
1) Diese romanisierung der einheimischen schicksalsvorstellungen ist auch
sonst belegbar: wi/rd ^escräf, pcet he . . . leof ^ode in ivorldrice weorpan sceolde^
Criste geciceme El. 1047. ivi/rd gescrdf] pcet pe peodrice pegttas ond eorlas ?ieran-
sceoldon {god icolde pcet he gotena geweald dgan moste) Metr. 1, 29. 38 f.
2) Nilsson, Arch. f. religionswiss. 22, 387 ; Norden, Geburt des Kindes s. 23;
Brandl, Festgabe für F. Liebermann s. 255 f. ; Grimm, Mythol. 1, 343 f. 835 f. anm.
vgl. MGH Auct, antiqu. 15, 73. 89 {parcce). 117 [fusum).
3) Unter den Sophoklesfragmenten (?) hat sich der vers erhalten: . . . u-^afvsxa:.
xepxfatv aba (ed. Dindorf ur. 604).
4) VQlundarkv. 1 (Grimm. Mythol. 1*, 353); 'macht sich in diesem motiv die
alte 'fränkische' dichtung bemerkbar?
5) Jente s. 208 (iri/rd erscheint nur als Weberin, nie als Spinnerin) ; Grimm,.
Mythol. 1*, 343 f. 3, 118 f. (niemals begegnet, so viel ich weiss, in . . . deutschen
volkssagen . . . die griech. Vorstellung vom spinnen und abschneiden des lebens-
fadens); vgl. Marner ed. Strauch s. 115. 171, 26.
6) orl^gpQttr und orlggsima (Reginsm. 14) sind nicht dasselbe wie der orlags-
prdpr, den die parzen der Alexandersaga spinnen (Fritzner s.v.); vgl. Heinrich
V. d. Türlin, Krone 286 ff.
7) Jedesfalls ganz unrömisch; 'eine ganz heidnische redensart' J. Grimm a. a. o.
8) 'Das Reimlied lehrt, dass die Wyrd nicht bloss wob, sondern auch das
gewobene verteilte' Brandl a. a. o. s. 258.
9) ser.kr Jarno fenn Vglsungasaga c. 29 (Sigurt)arkvit)a).
402 KAUFFMANN
gesponnen '; die latein. vorläge (7iec vermes iexunt) hat der ags. bearbeiter
frei durch einen aus der Vorstellung des schicksalswebens ihm zu-
fliessenden zusatz erweitert: tvi/nnas mec ne awwfan ivyrda cro'ftum,
denn dieser zusatz setzt künste {heahcrccft 4) des webens voraus, über
die nicht die seidenwürmer, wohl aber die schicksalsfrauen {ivyrdt)
verfügten. Die geheimnisvolle machtwirkung dieser kunstfertigkeit
(cncftas), das wunder des schicksalswebens wird auch im 41. rätsei
gestreift, wo das schöpferwerk gottes durch wrcctlice ^etvefen
ivundorcra'fte v. 85 umschrieben und in der vorläge (Aldhelm, de
creatura) nur durch m/rr/ÄZ/g /(//?< gedeckt ist (MGHAuct antiqu, 15, 145)^.
Auch das Wunderwerk, das kunstreiche gewirk einer dichtung wurde
in der art dieses mächtigen schicksalswebens geschildert^, aber am
prägnantesten ist die (o. s. 388 erörterte) Gujjhicstelle gefasst: die
todesstunde war für den heiligen mann gekommen, sein tod mit hilfe
der runen des Schicksals 'gewebt' (^eivefen ivijrdstofum 1325)*, durch
das geheimnisvoll mächtige wirken der wyrd bestimmungsgemäss her-
beigeführt oder veranlasst worden.
Man darf also sagen, dass 'weben' ein dichterisch-mythischer ausdruck
für verursachen oder schaffen gewesen sei^. Frauenhände übten diese
tätigkeit - das weib heisst 'friedensweberin' Beow. 1942 {civenlic peaiv
1940) - und so ist denn nunmehr alles beisammen, um auf grund
der ags. und anord. Überlieferung das gewirk und geschick der wyrd
zu individualisieren und die volkstümliche Vorstellung fraulichen
webens dem schicksalsglauben und schicksalsmythos der alten Ger-
manen zu sichern. Das 57. rätsei des Exeterbuchs setzt einen
wunderbaren (dämonisch) belebten Webstuhl {tvhmende wiht) in betrieb
{holt hweorfende) : Speere sinds, die in ihn fahren {daropas ivceron iveo
pft're ■wihte). Längst ist man bei diesem ags. speergewebe auf den
1) pn pe ^eolo ;^odivehb geativum frcetwact \. 10.
2) 'too freely rendered' Tupper s. 163; vgl. Eäts. 41, 1. 6.
3) Jms ic fröd and füs . . . wordcrmft iccef El. 1288 (j«/e unscynde mcegen-
€j/ning comet 124S ; leoducrceft onleac 1251) ; wordcroeft 591 ff. (purh pa miclan
miht 597); wordgeri/nu 323 {: leodorüne 522): wyrda gerann 589. 813.
4) Das 'weben' des Schicksals mit hilfe der runen ist durch Sigrdrifum. 11
auch für Skandinavien bezeugt; darüber handelte anlässlich des mit runen versehenen
webertäfelchens von Lund (10—13. jh.) M. Olsen, Norsk vidensk. selsk. forhand-
linger 1908 nr. 7 s. 22 ff. (Zeitschr. 42. 2481). Wahrscheinlich ist es durchaus
nicht zufällig, dass auf vpebegerät (weberkamm von Drontheim) runen geritzt
wurden.
5) unrsed fremman, wefan ('anzetteln') ond weccean Gen. 31 ; dazu Ändr. 672.
El. 309 (wroht webbedan).
ÜBER DEX SCHICKSALSGLAUBEN DER GERMAXEN 403
wörtlichen anklang der anord. DarraJ)arljö]3 aufmerksam geworden ^
wo das grausig-blutige, von unheimlichen schicksalsfrauen angezettelte
;ge\virk einer schlacht vefr darropar (speergewebe) genannt ist '^ : zwölf
weiber werden in einer webekammer am Webstuhl tätig gesehen, sie
weben das männermorden einer schlacht und verdiuglichen auf mythische
art den glauben an das auf der walstatt sich vollziehende Schicksal
des todes {cefr ofenn v. 8 = kvepk r'ikjom gram n'ipenn daupa v. 7).
Damit stimmt einerseits die GuJ)lacstelle überein und andererseits die
kehrseite des heroischen schlachtgemäldes, die nicht die todgeweihten,
sondern die sieggekrönten krieger zeigt und das kriegsglück ebenfalls
in eine kette von geweben spannt {him dryhten for;^eaf ui;^i<peda
^etviofu . . . pcH hie fcond heora . . . edle ofercömon Beow. 696 ff.).
Dieser ausdrucksweise wird man erst dann vollauf gerecht, wenn man
den bildmässigen ausdruck -^ewiafa ^ mit :^esceai)u verbindet und sich
daran erinnert, dass 'weben' eine verdinglichung des 'Schaffens' war
(o. s. 402).
Die 'Schöpfungen' der schicksalsmächte (o. s. 382 ff.) heissen nun
also auch 'gewebe' der schicksalsfrauen. Dieser mythische Sprachgebrauch
fordert uns auf, nicht nur mit schicksalsmächten, sondern auch mit
Schicksalsgottheiten zu rechnen, deren funktionen mit hilfe der prädikats-
verba {metan, ivefan, scapaii) genauer bestimmt werden können.
Ihr 'schaffen' ist oftmals anonym geblieben^. Dies stand zwar
nicht dem mythischen, aber doch dem religiösen denken wohl an.
Denn die geheimnisvolle 'begabung'^, die den sterblichen widerfährt,
wird nicht immer auf einen gott, sehr gern wird sie auch auf
namenlose gewalten zurückgeführt, denen der volkstümliche Sprach-
gebrauch ein lauge währendes gedenken gesichert hat ^. Wenn aber
1) Vgl. die Übersicht bei Tupper s. 192 ff.
2) Njälssaga, Sagabibl. 13, 412 ff.; Thule 2, 48 ff.; Maurer, Bekehrung 1,
550 ff. ; die kenning darrapar vefr (kämpf) steht auch in Egils Egfui^lausn v. 5
(Zeitschr. 44, 491).
3) fatum : ^etvif (wyrd) Jente s. 211.
4) parcae : schepfentnn, sckejifen Ahd. gl. 4, 84.
5) so htiat so thi g if) id ig ford irerthan scoldi Hei. 3378; muosta im erbi-
ward gihithig tverthan 80. 195 (vgl. 3586. 4268); pcer nie gifede swa cenig yrfe-
weard cefter tcurde Beow. 2730 (vgl. Gen. 1726); anord. gipt 'glück' {ögipt unglück,
gcBfa : ögcefa, aitpna : uaiipina, skgp : üskpp), aldar gipt 'Schicksal' Sturla l)ordarson,
Skjaldedigtuing ed. Jonsson B 2, 120.
6) Z. b. 'beschert' (Grimm, Mythol. 2, 719), anord. aupinn (; a»/na Schicksal),
ags. eaden, and. ödan Hei. 124. 204. 276 {it aimid thurh gihod godes 324 vgl. 336 f.
367-69). 304. 2709. 5526; Criet 200-05; swa him caden irces iletr. 31, 9 u. a.,
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. L. 28
404 KAUFFMANN
von 'schaffen' im eigentlichen und konkreten sinn die rede war, konnte,
die persönliche Vorstellung der schaffenden mächte nicht ausbleiben.
Die ältere und die jüngere mythische dichtung überwies den nornen
das amt, das leben der menschen schicksalhaft zu bestimmen {^kapa
mgrinum aldr Sa E 1, 72; o. s. 384 f.), Hess die schicksalsschwestern
die erde besuchen^ und in die häuser kommen, wenn ein mensch
geboren wurde {pa>rs gplingi aldr of skopu Helg. Hund. 1, 2) ^, um
über sein leben die urgesetzlichen entscheidungen (0rlQg) zu treffen
und ihm sein endziel zu setzen^: gopar nornir ok vel o'ttapar skapa
gopafi aldr, en peir menn er fgrir oskQpum verpa, pa valda pvl ülar
nornir . . . sumir hafa langt llf, sumir skamt Sa E 1, 72*; ek skapa
Jionuni pat at kann skal eigi Ufa lengr en kerti pat hrennr Norna-
gestsf). 0. s. 372.
Die durch skapa ausgedrückte bestimmung oder entscheidung über
ein menschenleben ist etwas wesentlich anderes als der umfassendere
begriff der Schöpfung, der in diesem verbum gesucht und gefunden
zu werden pflegt. Die nordische mythologie hat die schöpfermächte
(götter) von den schicksalsmächten (nornen) abgesondert. Wenn sie
trotzdem beiden gruppen ein und dasselbe tätigkeitswort zueignete, so
war dies darin begründet, dass die leistungen in ihrer wurzel nicht
wohl voneinander zu trennen waren. Aber nicht von geschöpfen
(erzeugnissen) und ihrer form oder ihrer gestalt, sondern vom leben
der geschöpfe, ihrer lebensart und lebenszeit ist die rede, wo skapa
aldr für die Schöpfungen der schicksalsmächte gebraucht wird°. Diese
anord. aupit im-pr Reginsm. 22; Sagabibl. 6, 150. 233; aupit var Fiat. 1, 132 usw.
Ferner verweise ich in den S9gur auf stehende formein wie z. b. cetlat er, dkvepit
er (Sagabiblioth. 13, 15. 35. 248. 302). 'In vielen sagas ist der schicksalsglaube
die grundstimmung' Genzmer, Edda 2, 121.
1) (numina, deae, tres sorores fatales) venimus . . . invisere mundum . . . ditart
munere nostro Nigellus, Speculum stultorum o. s. 398 f.
2) III sistrts [tvhiche ben spiritis) comen to the cradiUs of infantis o. s. 398;:
nornir koma til hvers barns er borit er Sn E 1, 72.
3) einu dwgri vgrumk aldr of slcapapr ok allt l!f of lagit Skirnism. 13 ; dazu
FJQlsv. 47. Grip. 23—24. Vgl. eigi skapi Hallgerpr per aldr (den tod verursachen)
Sagabiblioth. 13, 87 ; vceri pat at skgpupu (dem Schicksal gemäss) fyrir aldrs sakir,
at Jm Ufjnr lengr okkar 3, 61.
4) Der nornen jüngste (Skuld) geriet unter die walkyrjen mit dem beruf
at kjösa val, kjösa feigp ä menn Sn E 1, 118 f.
5) Vgl. aumleg norn sköpumk t drdaga, at skyldak i vatni vajm Reginsm. 2 ;.
Ijötar nornir sköpumk langa pro SigurJ)arkv. 7.
ÜBPJR DEX SCHICKSALSGLAUBEX DER GEKMANEX 405
formel fehlt den Westgermanen ^ Aber ihre dichtersprache verfügt
über eine ganz ähnliche ausdrucksweise (o. s. 385) und so darf auch
für sie aus dieser terminologie der rückschluss gewagt werden, dass
ihre schicksalsmächte zu schicksalsgestalten ausgewachsen waren.
Wären sie nicht volkläufig gewesen, so hätten auch die griech.-
röm. parzen nicht so leicht eingang gefunden, wie es die mittelalter-
lichen Zeugnisse lehren (o. s. 362). Die hauptstelle im Corrector des
Burchard von Worms {credldisti quod quidam credere solent, ut illae
quae a vulyo parcae vocantur ipsae vel sint vel possint hoc facere
quod creduntur, id est dum aliguis homo nascitur et tunc voleant illum
designare ad hoc quod vel'tnt o. s. 370. Grimm, Mythol. 3*, 409)^ beweist,
dass die schicksalsspinnerinnen keineswegs bloss in gelehrten kreisen
ihren einfluss geltend gemacht^, sondern auch die Volksüberlieferungen
beherrscht haben, wofür Shakespeares tveird sisters die wichtigsten
zeugen stellen (o. s. 398)^. Den altdeutschen 'schepfen' {skqihentun
0. s. 382) dürfen wir für westgerman, schicksalsgottheiten ebensoviel
bßweiskraft zutrauen wie den ags. u-yrde'' : parcae (o. s. 398) und den
ags. metena : ;^ydena, die im ags. Boethius auftauchen {pa eode he fur-
diir, od he ^etnette pa ^raman metena [^ydena cod. B], pe folcisce
menn hdtad parcas . . . pa hl secgact, pcet ivalden celces mannes ivyrde
ed. Sedgefield s. 102, 21 ff.)''. Dies ist nicht nur 'ein untrügliches
Zeugnis für die fortgesetzte einbürgerung der parzen in England'
(Brandl s, 255. 258), sondern auch ein beachtlicher beitrag zu der
religionsgeschichtlichen erkenntnis, dass gestaltlose oder ungestalte
mächte, beziehungsweise Schickungen {ivyrde) zu gestalteten, wenn auch
noch namenlosen gottheiten geworden, beziehungsweise darauf bezogen
worden sind.
Brandl rang noch (a. a. o. s. 252, 255) mit der Schwierigkeit, die
sich für ihn daraus ergab, dass er den Angelsachsen eine schicksals-
göttin zubilligte, die nunmehr zwei Schwestern bekommen haben sollte.
Diese Schwierigkeit besteht für uns nicht, weil wir von vornherein
1) Nächst verwandt ist das 'schöpfen' des namens für die nachkommen
(Kauffmann, Deutsche altertiimskimde 2, 461): ahd. namon skepfen Ahd. gl. 1, 285, 15;
Tatian 22, 6. Otfrid 1, 9, 8. Notker 1, 430. 773; namon kiasan Hei. 223; naman
sajppati Beow. 78 u. a.
2) Archiv f. religionswiss. 19, 122 ff.; ferner Schles. mitteil. 17 (1915), 37. 52.
3) Notker ed. Piper 1, 739 f. 761 f.
4) Brandl, Festg. f. F. Liebermann s. 255 ff.
5) gegen urlaga Ahd. gl. 4, 84, 5.
6) meten (< nietend [metendlic : metenlicj wie scepen < sceppend; dazu Sievers,
Engl. Studien 44, 295 f.) ist das fem. zu metod (bezw. nietend Gen. 1809) Jente s. 98 f.
28*
406 KAUFFMANN
nicht mit der eiuzahl, sondern mit einer Vielzahl der den schicksals-
mäehten entstammenden schicksalsgottheiten (fylgjen) rechneten ^ und
für die dreizahl der- nornen, pavzeu und moiren keine andere erklärung
zulassen, als die, dass auch diese dreiheit (die ursprüngliche endzahl
der primitiven raenschheit) eine urtümliche ausdrucksform für unsere
'Vielheit' gewesen sei (Usener, Rhein, mus. 58, 1 ff.). Diese einzig
mögliche deutung haben die drei nornen der Skandinavier bereits in
Snorris Edda gefunden: pessar meyjar (V9I. 19-20) skofa wQnnum
aldr, pü'r hQÜiiin ver nornir, en eru fleiri nornir, pcer er koma
til hvers barns er horit er, at skapa aldr ok eru gopkyndar, en aprar
alfn (Ptiar, en ennr pripjo dverga cpttar Sn E 1, 72.
Die nornen waren aber noch für Snorri keine 'göttinnen' - sie
fehlen in dem von ihm aufgesetzten Verzeichnis — dürfen aber 'gott-
heiten' genannt werden, damit sie von allem dem, was den namen
der götter führt, unterschieden seien.
Das ist mit einigen Schwierigkeiten verknüpft, weil die grenzen
zwischen den göttern und den schicksalsgottheiten sich verflüchtigten,
sobald die funktionen dieser mächte zu nicht unwesentlichen teilen
auf jene gestalten übertragen worden waren. Dies bedeutsame reli-
gionsgeschichtliche ereignis ist bei den Germanen so gut wie bei den
Hellenen und bei den Christen (0. s. 362. 365) erkennbar^.
Nach der Eddamythologie (in der darstellung Snorris) gehörte
es zum beruf der alten götter, über das Schicksal der menschen
zu beraten und zu beschliessen (also nicht die nornen, sondern die
götter bilden den gerichtshof) : Jwat hafpisk Alfgpr, pd er gorr var Asgarpr ?
i upphafi setti kann stjörnarmenn i soeti ok beiddi Jxi, at dcema mep ser orlgg manna
ok rdpa^ . . . d6mri7in var J)ar sein heitir IpavQllr i mipri borginni Su E 1, 62.
Schon Vgluspy und GrimnismQl Hessen statt der nornen die götter
die richtersitze einnehmen, wenn sie am stamm der weltesche (des
schicksalsbaums) beim Urparbrunnr zur schicksalstagung sich ver-
sammeln (V9I. 6-9. 19-20; Grimnism. 29-30)*; jene lieder scheuten
1) Vafl)r. 48-49; dazu Eyrbyg-gjasaga ed. Gering, Sagabiblioth. 6, 41, 18;
tidrandi-episode der Olafssaga o. s 400 (Maurer, Bekehrung 1, 229).
2) 'Die anthropomorphen götter und die mächte, die mit appellativischen
Wörtern bezeichnet werden, stellen zwei schichten der religiösen entwick-
lung dar, diese unbestimmter, älter, jene entwickelter, mit plastischen, wohl um-
grenzten, individuellen gestalten' Nilsson, Arch. f. religionswiss. 22, 388 (hierzu
Zfda. 62, 47 f. corr.-note).
3) nornir rdpa orlpgum manna Sn E 1, 72.
4) at aski Yggdrasils skolu gopin eiga döma si'na hvern dag Sn E 1, 63
(Mogk, PBBeitr. 7, 254 ff.).
ÜBER DEX SCHICKSALSGLAUBEN DER GERMANEN 407
nicht vor der Seltsamkeit zurück, die beiden mächtegruppen an dem,
wie schon der name lehrt, den schicksalsmächten oder -gestalten vor-
behaltenen ort zu gleichem tun antreten zu lassen \ Unser mytho-
graphisches handbuch bewahrte zwar in dem satz: nornir hyggja vip
Urparhrunn (Sn E 1, 74) den älteren zustand. Dieser war aber nicht
mehr zeitgemäss, wenn die neueren lehrten, die götter hätten daselbst
getagt.
Es leuchtet jetzt ein, dass eine Wirkung derartiger Verschiebungen
die sein musste, dass eine allgemeine bezeichnung für die schicksals-
mächte wie ngin (o. s. 392 ff. ) für die götter in gebrauch genommen
wurde ^. Mit hgyl und bgnd wird es sich ebenso verbalten ^
Hauptsächlich war es OJ^in*, der die macht der schicksalsgott-
heiten usurpierte '. Das runenwesen, hinter dem ursprünglich die
Schicksalsmächte standen, ist auf ihn übergegangen (Hgvam. 140 f.)
und im verein mit J^or ist er sogar mit der aufgäbe der nornen be-
traut worden, einem Schützling sein Schicksal zu bestimmen {0rlgg
dcema) ^.
So fragmentarisch unsere Überlieferung sein mag, sie lässt uns
hier nicht im stich und besagt mit hinreichender deutlichkeit, dass die
macht des Schicksals ^ ursprünglich nicht durch göttliche, sondern durch
riesische gestalten^ verkörpert worden war. Bei ihnen, den mächtigen
und hochweisen fjursen schöpfte der oberste der götter sein wissen.
j) Mittelalterliche dichtung, die den christengott zum herrn des Schicksals
erhob, versetzte auch ihren Kristus, den nachfolger und erben der alten götter
an den Urparbnmnr (Sn E 1, 446); vgl. Hövam. 111.
2) blip regln Grimn. 6 = (esir 37. 41. Lokas. 32 ; holl regln 4 ; ragna rQk =
tiva vQk Vol. 44. Vaft)r. 55 vgl. 47. 52 (hier stossen die beiden schichten hart auf-
einander) ; reginkunnr (von den schicksalsmächten stammend) Hövam. 79 : regin-
kunnlgr (götterspross) Hambism. 24 u. a.
8) 'de alt sammenholdende magter' Egilsson-Jonsson, Lex poet. s. v. band;
die erklärung der beiden ausdrücke steckt in den Strophen Helg. Hund. 1, 2—4; vgl.
tie hafta und diu gebende unde chnupfeda sint tie cause allero dingo Notker 1, 278, 20.
4) cuiiis numen reges propensiore cultu prosequi cuplentes . . . Saxo Gramm.
p. 25, 11. ♦
5) Mithotyn o. s. 397 anm. 3.
6) Gautrekssaga ed Ranisch, Palaestra 11, 28 f. Grimm, Mythol. 2*, 716
(das ist literarische sagamythologie, der selbstverständlich keinerlei religiöse be-
deutung zukam).
7) Sie war den göttern übergeordnet ; Grimm, Mythol. 1 *, 352 anm. 2 ; 'die
alimacht der götter erfährt hemmung durch ein noch über ihnen stehendes Ver-
hängnis' s. 263 ; 'es ist beachtenswert, dass nach auord. ansieht nicht allen göttern,
sondern nur den höchsten kenntnis des Schicksals beiwohnte' s. 7lb anm. 2.
8) pursa meyjar änigtkar mjgk or jgtunheimum Vgl. 8.
408 VIETOK
Das wichtigste orakel \, von dem die Eddamythologie noch in dunkeln
klängen zu berichten weiss, war das des Mimir, des von 0|)in um
rat befragten riesen^; aber auch die das motiv der wissenserprobung
abhandelnden und um oldar 0rlQy (Lokas. 21) sich bemühenden Edda-
lieder setzen die dereinstige Überlegenheit der {)ursen voraus 'K Selbst
die schicksalsprophezeihungen der V^luspy sind einem höheren wesen
in den mund gelegt, das riesischen Ursprungs sich rühmte und an-
verwandte nicht nur im kreis der götter, sondern in allen weltregionen
walten sah •*.
Schliesslich darf nicht unerwähnt bleiben, dass, wo von der
mcnschensehöpfung die rede ist (o. s. 379 f.), zwar der spätere mytho-
graph im sinn der biblischen Überlieferungen die menschen von den
göttern mit leben begabt werden lässt (//jT Sn E 1, 52), der alte
mythus (Vol. 18) aber davon nichts berichtet, weil er offenbar voraus-
setzte, dass leben und tod, denen auch die götter unterworfen waren,
nicht von ihnen, sondern von den übergeordneten Schicksals mächten
herstammten (V9I. 20): sache des Schicksals, nicht der götter wars,
zu schenken das leben und es zu nehmen, sagt Minerva in Goethes
Prometbeusdrama.
KIEL. FRIEDRICH KAUFFMANN.
BRIEFE VON KLOPSTOCK UND GLEIM
Die hier zum erstenmal veröffentlichten briefe stammen, bis auf einen, aus
dem besitz von angehörigen der Frankfurter familie Bansa, welche in den achtziger
jähren des 18. Jahrhunderts durch die Verheiratung eines Bansa mit der tochter
von Klopstocks Fanny, Viktoria Maria Streiber, in verwandtschaftliche Verbindung
mit der familie Schraidt-Langensalza und so auch mit der Klopstocks gekommen
■war. Der 5. brief Klopstocks fand sich im archiv des Frankfurter Goethe-museums.
Die briefe an Klopstocks vetter, Johann Christoph Schmidt dürfen be-
sonderes Interesse beanspruchen, weil sie aus der interessanten zeit der Werbung
1) gopin rQlcpu tu spddonia Sn E 1, 104 [spar s. 106. 114); at OtJmms qtiatn-
quam deortim precipuns haberetiir, divinos tarnen et arusjnces ceterosque quos ex-
quisitis prescientie studiis vigere eompererat . . . solliciat Saxo Gramm, p. 78 (0. s. 394).
2) Sn E 1, 68 f. 190; 'Mimir ist kein ase, aber ein erhabenes wesen, mit
dem die äsen umgehen' (inbegriff der Weisheit) Grimm, Mythol. 1^ 315; hauptstellen
sind H()vam. 140-41. 143. 146. Sigrdrifum 14.
3) Auch Hyndla heisst bnipr jgtuns und ihre machtsphäre wird scharf gegen
die der götter abgesetzt iHyndl. 51).
4) eru gopkyndar, en aprar alfa cettar, en enar prijjjo dverga lettar Sn E 1, 72
(0. 6. 4Ü6) vgl. Fafnism. 13.
BRIEFE VON KLOPSTOCK UXD GLEIM 409
um Fanny stammen und die Stellung des dichters zu seinem nächsten freunde
charakteristisch beleuchten. Erst die hier veröffentlichten 5 briefe geben uns eine
grössere zahl unmittelbarer biographischer dokuraente zur beurteilung dieser
beziehungen. Denn die Klopstock-forschung kannte bisher nur 3 briefe des dichters
an Schmidt: Nürnberg, 17. juli 1750 (zugleich an Fanny, Lappenberg 48), Winterthur,
1. August 1750 (Klamer Schmidt, Kl. u. s. freunde 1810, I 102; auch bei Herm.
Schmidlin, Kl.s Sämtliche werke ergänzt in 3 Bänden, Stuttgart 1839, I 81 und Kl.s
Sämtl. werke, 1855, X 15, aber beidemal mit falschem datum [15. 8.]), Friedensburg,
•20. juli 1751 (Schmidlin I 124). Klopstock selbst ist die Ursache gewesen, dass die
mehrzahl seiner briefe an Schmidt verloren ging. Er hatte sie sich schon 1751,
nach seiner ankunft in Dänemark, aushändigen lassen und offenbar nicht zurück-
gegeben. An Gleim, Kopenhagen, 13. juli 1751: 'Schmidt hat mir einen grossen
Theil der Briefe an ihn zurückgegeben ; die schreibe ich jetzt, nebst den seinigen
.ab, weil sie fast unleserlich geworden sind, und ich die traurige Geschichte meines
Herzeus gern bisweilen mit einem Blicke übersehen möchte. Non hie de nihilo
nascitur historia!— ' (Klamer Schmidt I 266; Muncker 253). Weder die originale
noch die abschriften der beiderseitigen briefe haben sich bisher wiedergefunden
-und werden wohl als verloren gelten müssen. Durch den neuen fund ist die zahl
der erhaltenen briefe an Schmidt immerhin auf 8 gestiegen.
Über Schmidt, diesen harmlos-gemütlichen geniesser, mädchenjäger und ge-
legentlichen versemacher, vielbestürmten vertrauten im liebeshandel Klopstocks mit
Fanny, dessen schreibfaulheit der ungeduldige liebhaben immer wieder beklagt
(während Schmidt an Gleim eifrig genug schrieb; vgl. Klamer Schmidt 3—332 =
18 briefe), unterrichten hinreichend Erich Schmidt, Beiträge z. kenntnis der Kl. sehen
Jugendlyrik 17-30, und Muncker, 48 ff. Schmidt wurde später Weimarischer ge-
heimrat und kammerpräsident, Goethes kollege im conseil. Über ihn als alten
herrn berichtet anekdotisch = amüsant Caroline an Wilhelm Schlegel in einem
brief V. 1802 (ed. Erich Schmidt II 292). Nach der heirat mit Meta Moller hat
Klopstock die Verbindung zu ihm und den verwandten in Langensalza nicht weiter
unterhalten.
Die familie Bansa ist in den besitz dieser dokumente offenbar durch erbgang
von Fanny her gekommen. An den 5. brief (Hschr. im besitz des Frankfurter
Goethe-museums) schliesst sich der jüngste der bisher bekannten, der vom 20. juli 1751
(Schmidlin I 124) an. Im gleichen Privatbesitz haben sich auch eine grössere anzahl
Ton briefen Gleims an Schmidt und ein brief Gleims an Fanny erhalten. Sie sind
-durchweg ohne geschichtliches Interesse; ihre Veröffentlichung würde nur die ohnehin
uferlose flut von Gleimbriefen unnötig vermehren. Ich drucke also ausser der
galanten epistel an Fanny nur ein zusammenhängendes stück aus einem brief an
Schmidt ab, das sich auf Klopstocks Zerwürfnis mit Bodmer bezieht. Es enthält
an sich kein neues material, zeigt aber Gleims freundschaftliche Zuverlässigkeit in
•schönem licht.
Klopstock an Schmidt:
Mein liebster Schmidt,
Sie müssen ■wissen, daß ich drey Briefe in diesem Monath an
Sie geschrieben habe, davon der letzte, weil er, wie die übrigen,
an H. W[eiss]. eingeschlagen war, zu spät gekommen, ii. also retour
41Ü VIKTOR
gegangen. Ich habe auch den vierten an Sie geschrieben, u. hierauf^
ehe Sie noch diesen letzten erhalten hatten, schrieben Sie an mich.
Sehen Sie, daß ich wegen des tiefen Stillschweigens nicht anzuklagen
bin. Weil Sie es haben wollen, daß einige Oden von mir gedruckt
werden sollen, so überlasse ich Ihnen die Wahl völlig. Ihre Wahl
möchte vielleicht nicht mit auf die Ode an Sie: Schmidt, der mir
gleich ist - fallen ; diese will ich Ihnen aber mit vorschlagen. In der
Elegie Daphnis und Daphue, muß für Daphne ein andrer Nähme
gesetzt werden. - Schicken Sie mir meine Fragmente vom Mesias.
Vergessen Sie es nicht wieder. - Ich möchte einmal die kleine B . . ►
sehen, die Sie öfters umgiebt, um Ihnen wetteifernd zu sagen, wie
liebenswürdig Fanny ist. Ich möchte unsichtbar darunter seyn. Aber
wie es nach der Lehre der Zauberer wahr ist, daß man bey einer
großen Gemütsbewegung die Unsichtbarkeit verliert; so würde ich
mich bald sichtbar in Ihre Arme werfen, u. es Ihnen mit andern Ent-
zückungen sagen, wie glücklich Sie sind, eine solche S[chwester] zu
haben. Das sind unvergleichliche liebenswürdige Briefe, die Briefe
der Babet doch haben sie nicht immer mein ganzes Herz ausgefüllt.
Sie können denken, wie lange ich darüber gelesen habe, das einzige
tout a toi nimmt mir ganze Stunden weg. Man könnte in einem
etwas anderem Verstände von Babet sagen, was Virgil vom Mäcenas sagt:
Forte legit haec ipsa; multa ergo scribenda omisi,
Ah, per deos immortales! mitte iterum dialogos
Ita divinos — Ich werde unterbrochen, mehr zu schreiben.
Den 28 May 1749 Klopstock.
(Am Rande.)
Sie merken es doch, daß dieser Brief so beschaffen ist, daß ich
ihnen bald einen längeren schreiben werde?
(Nachschrift.)
H. Kühnert küssen sie von mir, das muß ihm mehr als eine
Antwort seyn ; wiewohl ich ihm auch bald antworten werde. Und
wenn Sie dies Wunder thun können; so setzen Sie den stummen
K . . . ins reden oder ins Briefschreiben. - H. Schramm ist hier ge-
wesen, und hat mir ein Diplome von der Deutschen Gesellschaft in
Jena mitgebracht.
Klopstock war bei herrn Weiss, einem onkel von Schmidt, in Langensalza
1748/49 als Hauslehrer.
Die ode 'An Herrn Schmidten', im Frühjahr 1747 entstanden, ist zu Kl.s
lebzeiten nicht gedruckt worden.
BRIEFE VON KLOPSTOCK UND GLEIM 411
Die elegie 'Daphnis uad Daphne' erschien zuerst in den 'Bremischen neuen
Beyträgen' 1749, 5. stück, und wurde später umbenannt in 'Selmar und Selma'.
'Daphne' war anfangs der poetische name Fannys gewesen, die von 1749 an auch
in briefen nur noch mit dem aus Fieldings roman 'Begebenheiten des Joseph
Andrews' entlehnten namen 'Fanny' bezeichnet wird. Über die programmatische
Bedeutung dieser Benennung mit einem modern-literarischen namen vgl. Muncker,
Klopstock, 194 f.
Über die Briefe der Babet schreibt Klopstock 12. Juni 1749 an Giseke, voa
einem Besuch bei Fanny berichtend: "Wir haben die 'Lettres de Babet' miteinander
gelesen; da sagte sie, sie wollte mir ihre beyden liebsten Briefe zeigen, und in
diesen beyden liebsten Briefen sagte es Babet zum ersten Male, dass sie liebt"
(Lappenberg 24 f.). Von Meta Moller rühmt er später (an Gleim 24. mai 1751 ;
Klamer Schmidt, I 252) : '. . . sie schreibt so natürlich wie Babet'. Dass die witzig-
natürlichen briefe der Babet und ihres liebhabers nicht ganz nach Klopstocks ge-
schmack sein konnten, versteht man leicht. Zwei jähre später lobten Geliert und
Lessing sie öffentlich, eine erste deutsche Übersetzung erschien 1755 ; vgl. das nach-
wort von Wilh. Printz zu seiner ausgäbe der briefe der Babet, 2. aufl. Berlin 1919.
Das angebliche Vergil-zitat war nicht nachzuweisen, selbst nicht in den un-
echten, früher unter Vergils namen umgehenden Elegien.
Chrn. Kühnert, der Leipziger Freund Kl.s ; Muncker 49.— Während seiner
Studienzeit in Jena 1745 46 hatte Kl. der 'Deutschen Gesellschaft' nicht angehört.
Bald nach ihm wurden auch Mylius und Lessing zu mitgliedern ernannt; Muncker 47.
Quedlinburg, den 18. Jan. 1750.
Liebster Schmidt,
Wenn sie unter dem Regen, den Sie bekamen, haben wegschlafen
können, so wünsche ich Ihnen Glück dazu. Sie sind doch gesund
angekommen? Und haben Ihren Hr. Renner gesund wiedergefunden ?
Nehmen Sie mich oder Gleimen zum Exempel. Wir schreiben alle
Tage an einander, u. vielleicht hält er sein Wort, u. kömmt heute
herüber. Unsere briefe, wie wir abredeten, sollten einander begegnen,
u. keiner sollte eine Antwort seyn. Wir werden wohl beide hierbey
unsre Charaktere behaupten ; ich mein Wort halten, u. Sie nicht. Ich
werde übermorgen, . . . künftigen Sonnabend über acht Tage nach
Braunschweig zum Besuche reisen, u. bald wiederkommen. Schreiben
Sie ja bald an mich. Wenn Sie die Post versäumt haben, so geht
den Freytag früh ein Bothe hierher. Den können Sie leicht erfragen ;
er logiert nicht weit von D. Thilo. - Was macht das anakreontische
Täubchen, das in ihrer Abwesenheit von Leipzig hergeflogen ist? Ist
es unter die Krähen und Elstern gerathen? Oder ist es nur von
einem andern frommen Täubchen gefangen genommen worden? Geben
Sie mir von den Schicksalen des armen Dinges Nachricht. - Denken
Sie was für eine Freude für mich. Gestern habe ich, u. zwar beynah
für gewiss gehört, dass Gramer hier Hofprediger werden soll. Ich
412 VIETOR
gehe deswegen zu dem Superintendant Morner[?], die Sache gewiss
XU erfahren. - Gleim ist, aber nur heute, bey mir gewesen. Er brachte
einen Brief mit, worinn uns der Hofprediger Sack bat, wir sollten
unser Wort, nach Magdeburg zu kommen, besser, als Geliert halten.
Sehen Sie, was Ebert für ein guter Briefschreiber ist. Sie sollen
<jleimen ja den Brief wieder zuschicken. Sonst wird er böse. Empfehlen
Sie mich Ihrer Frau Mama und Mademoiselle Schwester. Wenn Sie
nach Halberstadt gehen sollten, u. ich nach Braunschweig, so müssen
-Sie sich, wie Ebert sagt, schämen zu oft sieben Meilen her an mich
2u schreiben. Aber itzt thun Sie es bald.
Ihr
Klopstock.
In Braunschweig waren damals Gärtner, Ebert, Zachariä, Giseke.
Johann Andreas Gramer wurde 1750 Oberhofprediger in Quedlinburg.
A. Fr. W. Sack, hofprediger aus Berlin ; Muncker 228, 230. Vf. Litgesch. 4
<1891), 51. Ein brief von ihm an Kl. bei Lappeuberg 74. Kl. war erst im juli 1750
mit Gleim in Magdeburg; Lappenberg 4H. Vf. Litgesch. 4, 51 ff.
Quedlinburg den 14. März 1751.
Mein Schmidt,
Ich schrieb Ihnen von Halberstadt aus, gleich den Abend darauf,
■dsi Ihr Brief an Gleimen und mich des Morgens angekommen war.
Ich dachte, Sie hätten mich ganz vergessen gehabt. Aber da mein
Brief schon fort war, in der eigentlichen mitternächtlichen Stunde, las
mir Gleim Ihre Briefe an Ihn vor, die Sie seit meiner Abwesenheit
geschrieben haben. Nun verklagte ich auf einmal meinen fortgeschickten
Brief bey mir selbst. Ach, warum (dacht ich) hat dann mein Schmidt
nicht eine halbe Zeile von dem an mich selbst geschrieben, was er
an Gleimen schrieb? - - - Mein Herz, das mir Ihretwegen so sehr
schwer geworden war, durfte es nun wieder Zuversicht fühlen, dass
Sie mich liebten. Wenn Sie alles wüssten, was ich, seitdem Sie mir
nicht schrieben, gedacht u. getan habe; es würde Ihnen gewiss recht
nahe gehen, dass sie mich in dieses Labyrinth geführt haben. Nun
ist mir nur noch von dem Labyrinth ein Bischen Räthsel übrig ge-
blieben, das werden Sie mir schon auflösen, wenn ich Sie sehe. Wie
freue ich mich darauf, Sie zu sehen! Das werde ich Ihnen nur als-
dann erst recht sagen können, wenn es geschieht. Schreiben Sie mir
■aber unterdess noch -einmal. Unsere Abreise wird, wegen Gleims
Geschäften, noch über acht Tage aufgehoben werden müssen. Jetzt
werde ich abgehalten, mehr zu schreiben. Sie empfehlen mich Ihrer
Frau Mama. Ich bin Ihr
Klopstock.
BRIEFE VON KLOPSTOCK UND GLEIII 413
Am 6. märz war KL, von Zürich über Leipzig— Halle heimreisend, in Quedlln-
.lurg angekommen. Seit einem halben jähr hatte er weder von Schmidt noch von
Fanny unmittelbar gehört. Die ungewissheit über den grund dieses Schweigens
bestimmten ihn, nicht über Langensalza zu reisen ; Muncker 246.
Quedlinburg, den 20. März 1751
Mein Schmidt,
Da ich ganz von dem süssen Gedanken, Sie zu sehen, voll bin,
bekomme ich von Hannover einen Coppenhagner Brief, der schon auf
Hannover an mich adressiert ist. Womit soll ich anfangen, Ihnen
meinen Schmerz auszudrücken, dass ich Sie nun nicht eher, als
künftigen Sommer, sehen kann? Denn es ist schlechterdings not-
wendig, dass ich itzt reise. So viel kann ich Ihnen sagen (aber v^ie
mir das Räthsel Ihres halbjährigen Stillschweigens wieder einfällt, so
getraue ich mich auch diess kaum!) dass nur eine einzige Person in
der Welt ist, die mich im eigentlichen Verstände glücklich machen
kann, u. dass es um derselben willen geschah, dass die Veränderung,
■die Sie mit den alten Verwandlungen vergleichen, mit mir vorgieng.
Ich habe Ihnen immer mein ganzes Hertz gesagt. Jetzo stehen meine
Sachen so. Der König und der Graf Moltke sind mir gut, u. der
Baron Bernstorf liebt mich. Die Fabrique, von der ich Ihnen einmal
geschrieben habe, wird durch meine Vermittlung, sehr wahrscheinlich
von dem Copenhagner Hofe unterstützt, oder arbeitet für eine der
dortigen indischen Compagnien. Ich habe dieser Sache wegen schon
Briefe von Bernstorfen. . . . Aber warum sage ich Ihnen diess? Wahr-
haftig, ich weiss es selbst kaum, warum ich es thue. . . . Sie lieben
mich, wie zuvor. Denn ich will mein Herz mit keinem Zweifel, der
meinen Schmidt auch quälen würde, mehr quälen. Sie lieben mich
gewiss. Aber Sie thun dass hinter der Scene. Wenn ich mich frage,
warum hinter der Scene? So denke ich, mein Schmidt wird mir
schon einmal die Ursach davon sagen. Beklagen Sie mich, u. nicht
sich, dass ich Sie itzt nicht sehen kann. Wenn ich recht daran denke,
so blutet mir mein Hertz, dass Sie mich durch Ihr Stillschweigen zu
furchtsam machten, grade zu, ehe ich auf Leipzig gieng, nach Langen-
salza zu kommen. Ich kann nichts mehr schreiben. 0 wenn Sie es
wüssten, wie sehr ich Sie u. Ihre Schwester liebe. Vielleicht schreibe
ich morgen auch an Ihre Schwester, wenn ich an sie schreiben kann,
ohne dass sich mein Hertz darein mischt, welchem die kleine Glück-
seligkeit, traurig zu seyn, nunmehr ganz und gar verboten zu seyn
scheint. Wäre es möglich, dass ich hierinn nur einigermassen unrecht
haben könnte, so werden Sie nicht böse auf mich, wie Sie einmal in
Ali VIKTOR
Halberstadt wurden, sondern beklagen Sie mich vielmehr. . . . leb
erwarte ganz gewiss Briefe von Ihnen. Sollten schon welche unter-
wegs se^'n, so habe ich es so eingerichtet, dass ich sie bey dem Hr.
von Hagedorn finde. Haben Sie noch keine geschrieben, so schreiben
Sie bald, nach Empfang dieses, so können Sie den Brief, Herr von
Hagedorn (Lücke) . . ., nur an Ihn einschliessen, so werde ich den
Brief auch gewiss antreffen. Machen Sie mir die Freude, einen Brief
bey Hagedorn von Ihnen zu finden. Die Freude, Hagedorn das erste-
mal zu sehen, wird kaum so gross seyn.
Ich bin
Ihr
Klopstock.
Schmidt hatte endlich zum besuch in Langensalza eingeladen. Da traf
Bernstorffs brief ein. Am 23. März reiste Kl., ohne freund und geliebte wieder-
gesehen zu haben, über Hamburg nach Dänemark, nicht ohne im vorliegenden;
brief seine Werbung um Fanny noch einmal deutlich zu erneuern; Muncker 246.
Über das von Hartmann Kahn projektierte fabrikuaternehmen vgl. Dav. Fr^
Strauss, Kl.s Jugendgeschichte, Bonn 1878, 112 f. Muncker 236, 270 f., 316. KL
Schmidt I 127 ff., 183. Schmidlin I 136 f. Lappenberg 464 ebenda s. 50 ein brief
Eahns an Kl. — J. Baechtold, Gesch. d. deutsch, lit. in der Schweiz, Frauenfeld
1892, anm. s. 184.
Friedensburg, den Uten May 1751
Liebster Schmidt,
Wie ist es Ihnen möglich, nur einen Augenblick den Gedanken
zu denken, dass es etwas anders, als die Notwendigkeit, bald in
Kopp[enhagen]. zu seyn, gewesen sein könnte, dass ich nicht zu Ihnen
gekommen bin. Wie könnte ich aufhören, Sie zu lieben! Wie wäre
das mir möglich! Wenn Sie wüssten, was ich empfunden habe, da
ich reisen musste. Es würde Sie gewiss sehr rühren. Wie oft, und
wie bey vielen Gelegenheiten ist es mir schon so gegangen, das*
man mein Herz nicht ganz gekannt hat. Eh ich Zürch verliess . . ►
doch diese Sachen lassen sich allein einer Unterredung anvertrauen.
Das können sie sich vorstellen, was allein die Ursach seyn konnte^
warum ich meinen Plan veränderte. Jetzt ist es mir zwar sehr lieb,
dass beide Plane haben können vereinigt werden. Wie viel Umstände
aber mussten zusammen kommen, dass dieses geschah. Welche sorg-
fältige Behutsamkeit gehörte dazu, das so zu machen. Und wieviel
Gefahr war dabey, den einen fahren lassen zu müssen. Doch ich
will in dieser dunkeln Schreibart nicht weiter fortfahren . . . Aber,
mein liebster Schmidt, was sind es doch eigentlich für Ursachen, das»
BRIEFE VON KLOPSTOCK UND GLEIM 415
Sie geheimnisvoll gegen mich seyn müssen. Ich hätte dawieder gar
nichts zu sagen, wenn Sie mich nicht kennten und wenn Sie nicht
wüssten, dass Sie mir alles sagen könnten. Mein • liebster Schmidt,
ich habe es lange um Ihr Herz verdient, dass Sie mir mehr schreiben,
als dass Sie mich nur dem Glück überlassen.
Ich hätte hier viel Anlässe, vergnügt zu seyn, wenn ich nicht
seit drey Jahren wie unfähig dazu geworden wäre. Der König ist
ungemein liebenswürdig; u. Moltke u. Bernstorf sind, nicht nach der
gewöhnlichen Art der Minister, meine Freunde. Es ist an Leuten
von Stande besonders schätzbar, wenn Sie mehr thun, als sie ver-
sprochen haben ; u. wenn sie, was sie thun, ohne Geräusch und mit
Delicatesse thun. Der König hat mir 100 Dukaten für meine Herreise
gegeben ; u. itzt lebe ich auf seine Kosten auf dem Lande.
Es ist hier von keiner geringen Bedeutung um Moltke u. Bern-
storf zu seyn. Ich bin aber über das, was gewissen Leuten hierbey
so sehr in die Augen fällt, weg. Mir ist dabey nichts grösser u.
würdiger, als dass sie beide rechtschafne Männer sind.
Die Post eilt. Ich werde niemals aufhören zu seyn
Ihr
Klopstock
Die Post ist schon fort. Und nun kann ich die Briefe erst den
14ten schicken. Nun kann ich auch noch an unsern lieben Gleim
schreiben.
Gleim an Fanny. Halberstadt 7. Juny 1750.
Mademoiselle,
Wie viel denn bin ich dero Frau Mama, und Ihnen nicht schuldig,
dass Sie mir den Herrn Bruder auf einige Zeit haben gönnen wollen ?
Wie glücklich bin ich in dieser kurtzen Zeit gewesen! Was für ein
schöner Periode meines Lebens, der sich anfing, als ich das zufällige
Glück hatte den besten Bruder bey der liebenswürdigsten Schwester,
und der artigsten kleinen Muhme zugleich mit so viel guten Menschen
kennen zu lernen. Und was für eine schöne Folge davon ist die
Freundschaft des fürtrefflichen Klopstocks, den ich bisher nur als
Dichter hochgeschätzt, und den ich nun auch als einen Freund lieben
muß! Denn wer könnte ihn kennen, ohne ihn zu lieben, ihn, der so
menschenfreundlich ist, als sein freund Schmied, und so zärtlich wie
. . . Ich habe an ihm alles das gefunden, was ich Sie, Mademoiselle,
416 VIETOR
und das Mührachen, das wir Lalagc nennen, ausgefragt habe. Er ist
in der Tliat ein so guter Geselliger und Freund, als großer Dichter.
Ich werde die Zeit über, da er mir so nahe seyn wird recht glücklich
seyn. Denn ich werde so oft zu ihm fliegen, als es mir unerträglich
seyn wird, ohne ihn lange zu seyn. Möchte er sich nur nie weiter
von mir entfernen! Könnte ich zu dem H. Bruder, den ich so sehr
den ich von ganzem Herzen liebe, doch auch so bald kommen! Oder,
wäre er doch erst auf immer bey mir. Wenn der Himmel mir diese
Wünsche, und dann nur noch einen, einen einzigen nur noch gewährte,,
alsdann wüßte ich nichts mehr zu wünschen.
Sie haben mir es erlaubt, Mademoiselle, Ihnen die kleinen
moralischen Lieder zu schicken, in welchen ich versucht habe, ob es
möglich sey, den leichten ungeputzten Ausdruck der anakreontischen
Muse nützlicher anzuwenden. Ich bitte mir darüber ihr Urtheil aus,
und sie müssen es mir ja nicht abschlagen. Denn ich weiß schon,
daß sie Beurtheilerin des Messias sind. Ein solch kleines Lied ist
dagegen ein unendlich kleines Ding. Sie würden mir also eine allzu
kleine Bitte, (die jedoch in Absicht auf mich allzu groß ist) abschlagen.
Wenn sie finden, daß ein ernsthafterer Inhalt diesen leichten Ausdruck,
den sie so gut kennen, vertragen kann, so will ich dann nicht ferner
zu faul, oder vielleicht nicht mehr so unfähig seyn noch einige solche
Kleinigkeiten zu machen.
Ich möchte noch gar zu gern von der dritten Hand verstehen, ob
mich mein Schmied auch wirklich so liebt, als er mir es versichert.
Aber kau ich wohl daran zweifeln? Er hat ja eine so edle Schwester,
die mit einem Blick seine Verstellung tödten würde. Und wenn er
an meinel" Zärtlichkeit zweifelte, wie viel Unrecht würde er mir tun?
Empfehlen Sie mich dero verehrtester Frau Mama! Vielleicht
bin ich einmal so glücklich, diese Mutter meines Schmieds u. seiner
edlen Schwester persönlich kennen zu lernen. Denn, die Triebe der
Freundschaft, die hej mir meistens unwiderstehlich sind, werden mir
ganz gewiß einmal Flügel ansetzen, mit denen ich nach Langensalza
werde fliegen müssen. Wie soll mich der liebe Klopstock alsdann
beneiden, wenn er bey Bodmer ist, und dann weiß, daß ich bei Schmied
bin u, von ihm mit seiner liebenswürdigsten Schwester sprechen darf.
Mademoiselle Weiss mache ich ein recht großes u. vielbedeutendes
Compliment, ich würde noch dreister seyn, u. gar an sie schreiben,
wenn ich dem lieben losen Schmid trauen dürfte, der mir . . . der
mir für gewiß gesagt hat, daß Sie mir noch alle gut wären.
Mein langes Schreiben mag dieser lose Schmid entschuldigen.
BRIEFE VON KLOPSTOCK UND GLEIM 41T
Er kennt mich, und weiß warum ich nicht aufhören kann. Ich bin.
mit vollkommenster Hochachtung,
Mademoiselle,
Dero
gehorsamster D[iene]r
Gleim.
In der zweiten hälfte mai 1750 war Kl. aus seiner Hauslehrerstelle in Langen-
salza nach Quedlinburg zurückgekehrt. Er kannte damals Gleim noch nicht. Der
brieflichen anknüpfung (17. mai 1750, Schmidlin nr. 13; folgte nun — gemeinsam
mit Schmidt, der Gleim schon länger kannte — ein achttägiger besuch in Halber-
stadt (25. mai bis 1. juni) ; Muncker 229, Lappenberg 459, Vf. Litgesch. 4, 47 f.,
Ewald V. Kleists werke, herausgegeben von A. Sauer, III 117 f.
'Lalage' war der poetische name von Fannys cousine, Marie Weiss ; vgl»
Kl. Schmidt I 4, 171, 213. Erich Schmidt 28.
Eine Sammlung unter dem titel 'Mqralische lieder' hat Gleim nicht heraus-
gegeben. Es wird sich um einzelne gedichte gehandelt haben, die er dem briefe
beilegte.
Gleim an Schmidt. d. 21. Dez. 1750.
... 0 wie gern, mein liebster Schmid, möchte ich von dieser
Sache, ich meine von Kl[opstocks]. Uneinigkeit mit Bodmer, ausführlich
mit ihnen sprechen können. Woher dieselbe eigentlich entstanden,
das weiss ich selbst nicht. Denn Klopstock hat mir nur mit wenigen,
aber vielsagenden Worten davon geschrieben. Und Sulzer hat mir
bei seiner Durchreise nur merken lassen, daß Bodmer mit Kl. eben
nicht allzu [zu]frieden sey, indem dieser andere Gesellschaften der
seinigen, allezeit vorsätzlich vorzöge. Nachher aber hat er mir in
Briefen ganz deutlich gesagt, daß es mit der Freundschaft zwischen
Bodmer und Klopst. ganz u. gar aus sey, wobey er unserm Klopst»
allein die Schuld gab. Sie können leicht denken, mein liebster Schmid,^
daß ich dazu habe nicht still schweigen können! Denn warharftig
ich müßte meinen Klopstock, ich müßte seinen und meinen Schmid,
nur mit ganz gewöhnlicher Liebe lieben, ich müßte kein so aufrichtiger
wahrhafter Freund von ihnen seyn, wenn ich es nur anhören könnte,
daß man von ihm nicht mit gehöriger Achtung spricht, wenn die Be-
leidigung seiner Ehre, nicht meine eigene Sache wäre. In einigen
Briefen hatte ich Sulzern meine Meinung gesagt. Hierauf kam ich
nach Magdeburg. Wie empfand ich eine lebhafte Scheu, als ich
merkte, wie sehr die Hochachtung gegen unsern Freund, bey den
dortigen Freunden gefallen sey; u. als ich so vielerlei Dinge hören
mußte, deren Unwarheit ich mit meinem Tode bekräftigen wollte.
Denn sollte es wohl möglich seyn, mein liebster Schmid, daß unse-
418 VIETOR, BUIEFE VON KLOPSTOCK UND GLEIM
Klopstock Fehler hätte, die ihn bey irgend einem ehrlichen Manne
verhaßt machen konnten, sollte sein Herz wohl minder ehrlich und
gut seyn können, als groß seyn Geist ist? sollte er fähig seyn . . .
Doch mein liebster Schmid, ich müßte ihnen alle kleinen Umstände,
ich müßte ihnen einen sehr langen Brief schreiben, wenn ich alle
einzelne Dinge, alle Beschuldigungen, wieder welche ich unsern Kl.
Labe vertheidigen müssen, hersetzen wollte; was würde es auch helfen.
Sie haben doch keine solche Gelegenheit wie ich, dem Geist der
Lästerung dorten zu wehren. Ich habe bey meinem Dortseyn gethan,
was meine Pflicht war; ich habe bei meiner Abreise . . . bestellt,
daß er, wenn man mit Beschuldigungen fortführe, dagegen einige ge-
gelinde Vorstellungen thun, und nur bitten solle, daß man mit gänz-
licher Verdammung nur noch so lange anstehen möge, biss man von
der eigentlichen Beschaffenheit der Uneinigkeit besser unterrichtet sey.
Vielleicht sey sie nur ein Missverständniss, welches zwischen zween
so vernünftigen u. guten Menschen, als die Sänger des Messias u.
Noah wären, nicht lange bestehen könne*, es sey unverantwortlich,
daß man so wenig schwürig sey, ohne die genaueste Untersuchung,
eine Parthey zu nehmen. . . . Ich wollte an Beyde schreiben, an
Bodmern u. Klopstocken, und sie zu vereinigen suchen. Als ich von
Magdeburg zu Hause kam, fand ich einen Brief von Sulzern, worin
er mir von Bodmern wiedersagte, was ich ihm durch Ramlern hatte
sagen lassen, daß er Klopstocken nicht verdammen möchte, weil die
Schuld der Uneinigkeit wohl auf Bodmer fallen konnte; mit dem
Unterschiede, daß er mit Gewißheit Klopstock die Schuld nochmahls
ganz allein gab, und sich dabey sehr hart ausdrückte.
Zuletzt wird doch ein Schwachheitsfehler daran Schuld seyn,
den einer dem andern hätte übersehen sollen. Gewisse witzige Köpfe
verlangen, sehr wiederrechtlich, ein dritter witziger Kopf solle just in
allen Stücken so sein, als sie. Sulzer hätte Klopstocken nicht für
den Dichter des Messias, sondern für den Messias selbst gehalten,
wenn er die Gesellschaft der Mädchen verachtet u. sich mit ihm hin-
gesetzt, und von der Erlösung des Teufels Abadonna, mit ihm sich
beratschlagt hätte. So mag Bodmer auch einen Antheil an seines
Schülers Gaben haben wollen. Es ist aber Klopst. Sache gar nicht,
dünkt mich, viel von seiner poetischen Begeisterung zu sprechen . . .
Und so mag Klopst. Bodmern missfallen haben, der gern als ein
Kunstrichter mit seinen Freunden mag sjjrechen wollen. Uns, m.
liebster Schmied, gefällt gewiß unser Kl. dadurch sehr, daß er nichts
weniger ist, als ein Pedant . . .'
FUCHS, DIE KOMPOSITION DER GEUCHMAT THOMAS MURNERS 419
Über das für die damalige kulturelle läge und die besondere literarische
Situation charakteristische Zerwürfnis zwischen Kl. und Bodmer vgl. : 1. Quellen :
Leonhard Meister, Über Bodmern, Zürich 1783, 38 f.; Briefe der Schweizer, Zürich
1804, 153 ; Sulzer, Lebensbeschreibung, Berlin 1809, 28 f ; Kl. an Gleim, Schmidlin
96 f. und später; Ewald v. Kleists werke, herausgegeben von A. Sauer, II 2(i5, 211,
213; Biiefwechsel Gleim-Ramler, herausgegeben von Schüddekopf, I 279 f, 288 f.,
290 f. 2. Darstellungen : Grubers Biographie vor seiner ausgäbe von Kl.s Oden,
Leipzig 1831, I 50f. ; Dav. Fr. Strauss, Kl.s Jugendgeschichte 114 ff.; Muncker 235 ff.;
J. Baechtold, Kl. Schriften, Frauenfeld 1899, 128 ff. ; derselbe, Geschichte der deut-
schen literatur in der Schweiz 593 f. und anm. 183 f.; Albert Köster, Kl. und die
Schweiz, Leipzig 1923, 15 ff.
Sulzer war über die Vernachlässigung durch Kl. in Zürich nicht weniger ge-
kränkt, als Bodmer, und hetzte anfangs brieflich : 'Bodmer und ich sind von seinen
meisten gesellschaften ausgeschlossen, wir sind ihm zu alt und können nicht wein
trinken' Vf. Litgesch. 4, 62 f. Im august war Sulzer nach Deutschland zurückgereist
und erzählte von Kl.s verhalten in Zürich,
GIESSEN. K. VIETOR.
MISZELLEN
Die komposition der Geuclimat Thomas Murners
Im urteil über die komposition der Geuchmat (GM) Thomas Murners ist sich
die heutige murnerforschung einig. Sie behauptet, dass diese satire in ihrem auf bau
M.s flüchtigste und zerfahrenste dichtung sei.
Der letzte herausgeber der GM, Wilhelm Uhl (Teubner 189G), spricht nur
eine allgemein verbreitete ansieht aus, wenn er auf s. 4 der einleitung sagt: 'Über
die grossen mängel der dichtung ist sich der herausgeber am wenigsten im un-
klaren. Vor allem ist die idee nicht einheitlich durchgeführt; aber wann hätte das
M. jemals getan ? Dass er uns ferner die von ihm beschworenen narren, die wir
uns bereits in zweiter aufläge als zünftige schelme gefallen lassen mussten, jetzt
zum teil wieder als vereidigte gäuche vorsetzt, beweist aufs neue seine geringe
erfiadungsgabe. Frische und lebhaftigkeit der darstellung ist kaum zu finden ;
höchstens in der auch sonst recht gelungenen partie v, 3260 ff. Dagegen treffen
wir bei dem gänzlichen mangel einer konsequent eingehaltenen disposition häufig
auf ermüdende Weitschweifigkeiten und Wiederholungen', Wie sich Uhl M.s arbeits-
weise denkt, beleuchten folgende sätze auf s. 7 der einleitung: 'Der einheitlichkeit
und des schnelleren findens wegen war mir für die einteilung in abschnitte das
von M. selbst (?) vorangesetzte register massgebend, obwohl dasselbe an nachlässig-
keit nichts zu wünschen übrig lässt '. Der dichter hat nämlich entweder vergessen,
einige kapitelüberschriften in das nachträglich angefertigte register einzutragen,
oder aber, was mir beinahe noch wahrscheinlicher ist: er hat zweimal einen grösseren
abschnitt mit mehreren Unterabteilungen beginnen wollen, ist dann aber in beiden
1) Der böse zufall wollte es, dass G, Bebermeyer in Beitr, 44 (1920) nr. 59
anm. 1 nachweisen konnte, dass auch Uhls register unvollständig ist. Es fehlt die
Überschrift des 1. Unterabschnitts zu kap. 47 De7t (nicht dem^ wie B, schreibt; vgl.
GM 4114!) gouch zinsz richten. Ausserdem fehlt Eijn rorred !
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. L. 29
420
FUCHS
fällen bald wieder von diesem plane abgewichen. So kommt es, dass im texte die
abschnitte: [XLVII] 'der adelichest gouch vff erden' und [XL VIII] 'der geuch
wescher' mehrere kleine kapitel mit verschiedenem Inhalte und besonderen Über-
schriften zusammenfassen. Wieder ein zeichen für die Zerfahrenheit M.s, der selbst
eine o-ute idee — denn in dem 'adelichsten gouch' liegt eine solche ! — nicht konse-
quent durchzuführen vermochte, sondern, wie immer, so auch hier schnell wieder
aus der rolle fiel'.
Dass Uhl trotz der lauten anpreisung seines Verständnisses für die mängel
der GM von der komposition dieser dichtung nicht die leiseste ahnung hat, zeigt
er in den anmerkungen s. 230 zu v. 3778, wo M. den zwölfköpfigen gauchrat er-
wähnt: 'Gemeint kann wohl nur das XXXII. kapitel der GM sein: 'Summa sum-
marura aller geuch' (2552 ff.), wo jedoch bei aufzählung der törichten raänner die
zwölfzahl weit überschritten ist. Vom 'gäuchrat', der erst 4075 wieder erwähnt
wird, war bisher überhaupt noch nicht die rede. Vielleicht hat der dichter diese
ursprünglich geplante idee später fallen lassen, ohne sich ihrer nachher noch zu
entsinnen. Man sieht, wie nachlässig M. zu arbeiten pflegte'.
In den besprechungen der Uhlschen GM(-ausgabe) haben sich Spanier* und
K. V. Bahder ^ nicht weiter mit der komposition der satire beschäftigt. Nur V. Michels "
widmete dieser frage einige aufmerksamkeit und wies bereits Uhls bemerkung zu
V. 377S als 'unwahrscheinlich' zurück*. Michels 'betont, dass die kapitel (19)20—31
und 38—45 zu einer leidlich einheitlich werdenden dichtung gehören können'. Da-
gegen 'enthalten kap. 7—18 {den gondi locken, — falten, — berupffen, — verhouffen'
usw.), kap. 34 ('rfe>n goucli die pfyn besehen'), kap. 50—54 {'den gouch lere7i essen',
ein gouch im pfeffer essen', 'ein gouch reuchen', 'den gouch leren go7i', 'den gouch
rösten'') reihen ganz andrer art, die sich freilich keineswegs fest zusammenschliessen,.
sondern verschiedenartige ansätze erkennen lassen. Es sind hier nicht personen,
sondern handlungen auf die schnür gezogen'. 'Ob der kanzler, der Zunftmeister,
der gäucbwäscher und was sonst zur einkleidung gehört, dieser zweiten arbeits-
periode angehört oder einer dritten, altes und neues rasch äusserlich zusammen-
schweissenden, will ich nicht entscheiden'. Wie kapitel 33 'und das folgende aus
der handlungsreihe stammende kapitel, so mag auch noch anderer bauschutt in die
lücke zwischen die beiden abteilungen der personenreihe [kap. (19) 20—31 und
33—45] gestopft sein. Sorgfältige philologische Untersuchung würde wohl weiter
führen'.
Zuletzt hat sich G. Bebermeyer ^ mit der komposition der GM beschäftigt.
Er ist durchaus von V. Michels abhängig, wenn er sagt: 'Das gerüst der kompo-
sition, die allegorische ausdeutung der Verrichtungen eines Vogelstellers und -Züchters,
wird durch das wahllose hineinspielen von neuen fremdartigen motiven mit unglaub-
licher leichtfertigkeit immer wieder eingerissen, so dass der fertige bau den eindruck
einer wirren, grotesken uneinheitlichkeit hervorrufen muss und soll' ". Neu ist bei
B., dass die 'zahlen 7 und 12 den aufbau der satire, so lose und regellos er an sich
gehalten ist, äusserlich bestimmt [haben], indem nämlich je 7 oder 12 abschnitte
1) Zeitschr. 29 (1897) s. 417 ff.
2) Alemannia 25 (1898) s. 184 ff.
3) Afda. '26 (1900) s. 53 ff.
4^ A *i o fi ^Hf
5) Beitr. 44(192*0) s. 53-77: Zu M.s GM und MS.
6) A. a. 0. s. 58 aiim. 1.
DIE KOMPOSITION DER GEUCHMAT THOxMAS MURNERS 421
ZU einer wenn auch lockeren eiuheit zusammengefasst sind' '. Um diese einheiten
zusammenzubekommen, zählt B. zu den kapiteln 1—6 die 1. vorrede hinzu, über-
springt das kapitel 19 und reisst kapitel 38 aus dem logischen Zusammenhang der
kapitel 39—45. Damit dürfte wohl diese seltsame zahlenmystik erledigt sein. Sie
hilft auch zum Verständnis der GM und ihrer kompositiou gar nichts.
Nur der Vollständigkeit halber führe ich zwei stellen aus Th. von Liebenaus
werk 'Der franziskaner dr. Thomas Murner' (Freiburg i. Br. 1913) an. Von Liebenan,
der allzusehr im banne der älteren forschung steht, in diesem punkte ein selb-
ständiges urteil zu erwarten, wäre zu viel verlangt. Auf s. 86 spricht er von der
GM als 'einer gut angelegten, aber nicht durchgearbeiteten satire über die weiber-
diener'. Von M.s gvdichten im allgemeinen und der GM im besonderen sagt L.
s. 103: 'Vielleicht hat M. gerade wegen der beständigen rücksichtnahme auf das
volk es unterlassen, seine gedichte nach den anforderungen, die wir an ein kunst-
werk zu stellen gewohnt sind, einzurichten. Nicht e i n streng durchdachter plan
lässt sich auch nur in einem grösseren gedichte M.s nachweisen; wir treffen nur
eine reihe witziger einfalle über einen bestimmten gegenständ, die in ungefeilten
reimen aneinandergereiht werden. Im verlaufe der zeit hat M., wie es scheint,
einige male den versuch gemacht, einzelne stellen in seinen gedichten umzugestalten;
allein er hat bei der drucklegung die erste und zweite redaktion, nur durch ein-
zelne dazwischengeschobene blätter auseinandergehalten, nebeneinander stehen lassen.
Dazu hat er einzelne abschnitte seiner gedichte überhaupt niemals ausgearbeitet,
sondern den in prosa entworfenen plan des gedichtes statt der ausarbeitung in der
ihm eigenen eile im druck erscheinen lassen; so namentlich in der GM'.
Oberflächlichere urteile als sie L. hier autstellt, sind kaum denkbar. Ich
habe bereits in den Beitr. 48 (1923) s. 90 gezeigt, mit wie wenig Verständnis die
viermal gedruckte GM bisher gelesen und herausgegeben worden ist'. Eingehendes
Studium der GM hat mich davon überzeugt, dass auch die komposition dieser satire
von anderen gesichtspunkten aus erklärt werden muss als von dem der Zerfahren-
heit, hast und leichtfertigkeit des dichter s.
Will man den aiifbau der GM überhaupt verstehen, so niuss man begreifen,
dass sie, abgesehen von den beiden vorreden und dem beschluss wie die BF und
die MS aus zwei deutlich geschiedenen teilen (kap. 2—45 und 46—57) besteht, und
zweitens, dass der ausgangs- und mittelpunkt des ganzen gedichtes 'Die geschwornen
artickel' des fünften kapitels sind. Um diese gruppieren sich die reden und hand-
lungen der auftretenden personen. Mit kapitel 45 könnte die GM schliessen. M. hat
ja nicht nur sein thema, ^ie gäuche ordentlich zu setzen, erschöpft, sondern auch
den zwanzigköpfigen gauchrat, an dessen spitze der Zunftmeister steht, geschaffen.
Trotzdem folgen noch ausser dem 'beschluss der geuchmatten' zwölf kapitel. Sieht
man sich den Inhalt dieser abschnitte an, so entdeckt man ganz bestimmte be-
ziehungen zum ersten teile, besonders zum fünften kapitel. M. benutzt einen
kniff der spiel mau npoesie. Ein charakteristisches kennzeichen ist, dass
die haudlung durch steigerndes wiederholen der bisherigen erzählung fortgeführt
1) S. 58.
2) Auf die unglaublichen und bisher nirgends gerügten anmerkungen Uhls
zu GM H4J6 ('Sie versprach ihm das mittels handschlags' statt, 'sie wusch es ihm
mit eigener band') und zu vers 4845, wo ein druckfehler vorliegt {perinria statt
peuuria), der nach Ovids Ars amandi 1, 633 zu verbessern ist, weise ich nur bei-
läufig hin.
29*
422 ixCHS
wird (wie im König ßother, in Salman und Morolf, im Orendel). So sind kapitel
47, 48 und 49 nichts weiter als eine steigernde Wiederholung der im 5. kapitel
verlesenen artikel. Der artikel 10 ist gewissermassen die knospe, aus der sich
fieser zweite teil der GM als frucht entwickelt hat. In diesem bestehen beziehungen
ia allen artikeln mit ausnähme des 16. und 19.— 22., weil diese nicht mehr über-
trumpft werden können. Die Übertreibungen lassen das ganze in einem völlig neuen
lichte ersclieinen: wir lernen 'den ad liebsten gauch und den doppelgauch
(v. 4430) kennen. Die Überschriften der kapitel 50—54 deuten gegenüber denen
der kapitel 7—18 auf den letzten schliff bei der abrichtung des gauches und seine
erlesenere Zubereitung in der feineren küche hin, während ihr Inhalt schärfer und
derber ist.
Ich glaube den aufbau der satire und den Zusammenhang der einzelnen teile
untereinander nicht besser vorführen zu können als durch eine kurze erläuternde
darstellung des inhalts.
Die Satire wird eingeleitet durch die Vorred der geucJimatten. Sie ist milder
als das etwas schroffe Vorwort, das E//n vorred überschrieben ist. In der 'Vorred
der geuchmatten' tritt Murner selbst auf und erzählt den anlass zur abfassung der
GM (bis V. 134), seine bedenken (bis v. 146) und ihre Überwindung (147—154;
163—168), die behandlung des themas (155—162) und seine hoffnung auf Verständnis
bei den guten frauen (169—187); nicht alle Schlechtigkeit der weiber will der
dichter zur schau stellen, sondern nur ihre listen und künste, mit denen sie die
männer in der liebe betrügen (188—204); wahrscheinlich in anlehnung an einen
alten spruch bestimmt M. in scherzhafter weise den begriff der liebe (205—12),
spuckt in die bände, um bei der schweren arbeit keine Schwielen zu bekommen,
und beginnt sein werk 213 f.; sollte er nicht immer ins schwarze treffen, so weiss
er sich doch jedem tadel gegenüber sicher. Er hat sich nicht aus ehrgeiz vor-
gedrängt, sondern ist von anderen aufgefordert worden, die GM zu schreiben
(215-217).
Der 1. teil der Geuchmat.
Im 2. kapitel übernimmt M. das amt des kanzlers. Es folgt eine klage der
personifizierten schäm im 3. kapitel. Frau Scham nimmt abschied von dem ent-
arteten geschlecht. Frau Venus tritt die herrschaft an (kap. 4). Sie gibt dem
kanzler den auftrag, die Verfassung der Geuchmat, 'Die geschwornen artikel', zu
verlesen. Darin werden alle torheiten der buhlenden männer in der form ironisch
gemeinter befehle der lächerlichkeit preisgegeben (kap. 5). Auf diese artikel leisten
die gäuche im folgenden kapitel 6 einen eid, dass sie sti/ff behalten tvellen, Jo
styffer denn ein gesdiworne ee Disz artickel vnd noch v il nie, Det es schon lyh
vnd seien ive (v. 064 ff.)- Denen, die sie von ihrer gäucherei abbringen wollen,
schwören sie feindschaft (v. 667—678). Daran schliesst sich in lol versen ein
ironisches lob jener weiber, die den gäucben gefällig sind (679—779). Nachdem
das thema auf diese weise theoretisch erschöpft ist, wird uns in kapitel 7—18 an
der band von j-edensarten, wie Dem gouch locken (kap. 7), Den gouch fohen (kap. 8),
Den gouch herwpffen (kap. 9) die Verwirklichung der 22 artikel vorgeführt.
Kapitel 19 (^Venus lere vnd ermannng zu allem wijpplichen gschlecht) bildet
die Überleitung zu jener galerie historischer oder erdichteter gauchsbilder, die die
kapitel 20—32 füllen. Schon in den versen 1295 ff. hatte M. auf den Inhalt dieses
kapitels, das eine Übersetzung des 3. buches der Ars awandl des Ovid ist, hin-
DIE KOMPOSITION DER GEUCHMAT THOMAS MURNERS 423
gedeutet. Die lehren, die frau Venus ihren 'töchtern' (2086) gibt, sollten sie be-
fähigen, die männer einzufangen und auf die gäuchmatte zu bringen : M7>/» lere,
syhe ich, verfasset hatt, Wetin ir vil bringt vff disz geuchmat (2U92 f.). So werden
auch von den 12 gäuchen, die den gauchrat bilden sollen (3778), 6 durch die weiber,
die sie verführt haben, vorgestellt. In kapitel 21—26 spricht die frau die ersten
4 verse, durch die sie nach art der fastnachtspiele sich und ihren gauch einführt;
darauf erzählt der mann seine gauchtat mit ihren abschreckenden folgen. In
kapitel 24 (v. 2280-2285) und 25 (v. 2318-2323) spricht M. selbst ein kurzes
Schlusswort, das im ersten falle die ironische aufforderung enthält, ebenso wie Samson
seine heimlichkeit auszuschwatzen, im 2. falle die komische Verwunderung, dass der
gauch auch im paradies gesungen habe.
Nach dem satze variatio delectat erzählt in den kapiteln 27—29 der gaucli-
kanzler selbst die liebesgeschichten des Aeneas und der Dido, des reichskanzlers
Kaspar Schlick mit einer dame aus Alta Siena und das abenteuer des Moses mit
der Prinzessin Tharbis von Aethiopien.
Ebenso wie der papst Johannes, der sich dann als 'päpstin' entpuppt (kap. 29),
führen sich auch Ninus (kap. 30) und Holofernes (kap, 38) selber ein. Da Holofernes
ohne köpf nicht so viel reden kann, muss auch hier der kanzler Holofernes' dumm-
heit und Judiths meuchelmord berichten.
Die auswahl der gäuche ist unter zwei gesichtspunkten erfolgt, nämlich :
1. nach ständen: papst (kap. 20), köuige (21. 22. 23. 26. 30), fürsten (27. 31),
herren (28), prophet (29); 2. nach eigenschafteu : der frömmste (21), der weiseste
(23), der stärkste (24), der erste mensch (25).
Die verse 2542—2551 leiten zum folgenden kapitel 32 über: (Summa summarum
aller geuch). Um nicht langweilig zu werden, tut M. die übrigen gäuche alter und
neuer zeit (v. 2883—2886) in 396 versen kurz ab. Es ist eine wahrhaft internationale
gesellschaft, die er hier versammelt hat. In diesem kapitel werden von den mit-
gliedern des gauchrates 8 noch einmal erwähnt, nämlich David (2611 ff.), Alexander
(2735 ff.), Salomon (2618 ff.), Samson (2611 ff. und 2651), Adam (2568 ff.), Aeneas
(2670 ff.), Ninus (2578 ff.), Holofernes (2656). Dagegen fehlen die päpstin Johanna,
Herodes, Kaspar Schlick und Moses.
Die kapitel 33—37 bilden ein zusammenhängendes ganzes, gewissermassen
eine komödie für sich. Das thema ist die erwerbung eines Zunftmeisters für die
Geuchmat. Dazu sind kapitel 33 {Die syhen frijen künst frouiv Veneris) und kapitel 34
{Dem gouch die pfgu besehen) das Vorspiel. In kapitel 33 schildert M. die künste
der buhlerin noch einmal im Zusammenhang. Man muss dem dichter das zeugnis
ausstellen, dass er sich redliche mühe gibt, jene weiber recht abschreckend zu
malen. Wenn die Geuchmat nicht bessernd gewirkt hat, so war es wahrlich nicht
seine schuld. Im kapitel 6 versuchte er durch Ironie dem leser die äugen zu
öffnen, hier wendet er ernst an. Als die 7 freien künste der frau Venus zählt
Murner auf: 1. Das weibsbild betrügt ihren gauch mit einem anderen mann (3007—10).
2. Sie verlangt eines mannes unwürdige dienste von ihrem liebhaber (3011). 3. Sie
kann ihn in zorn versetzen (3012). 4. Sie veranlasst ihn zu nachtständchen (3013).
5. Sie saugt den mann aus (8014). 6. Sie bringt ihn in angst und unruhe (3015 f.).
7. Damit sie alle bequemlichkeit habe, muss er sich abmühen (3017). Das sindt
die sgben frijen künst, Die du bg den geiichin findtst (3018 f.).
Mangel an wahrer liebe befähigt die gäuchin zu diesen fertigkeiten, die in
den versen 3020—3037 durch einzelhciten noch näher beleuchtet werden. 3038-3051
424 FUCHS
wendet sich M. gegen die gutgläubigkeit der männer, denen er mi,t gewalt die
äugen öffnen möchte. Darum zeigt er ihnen auch in den folgenden versen, wo er
sich wieder mit den weiblichen Verführungskünsten befasst, die buhlerinnen ohne
jene reizenden hüllen, mit denen sie über die dahingeschwundene jugendfrische
hinwegzutäuschen versuchen (3131—47).
Das kapitel 34 knüpft mit seinen einleitungsversen an kapitel 14 au; dass
jedermann leugnet, ein gauch zu sein, ist der gemeinsame gedanke. Im kapitel 14
wird er durch den spiege) überführt, den ihm die weiber vorhalten. Im kapitel 34
herrscht eine für den charakter unserer satirc fast zu ernste Stimmung, Nachdem
zuerst eine körperliche Untersuchung des gauches geschildert worden ist (,3196 bis
3209), geht M. zur allegorischeu erklärung des Vorgangs über: Das sich ein ganch
muss bsehen Ion, Das solt ir vff den sijnn verston (32101). V. 3212 ff. werden
dem bescher in allerdings etwas drastischer Aveise' die mittel angegeben, wie er
den gauch überführen könne. Zwei mittel nennt Murner: 1. hinführung zur demut
(3212—21) ; 2. erkenntnis und bekenntnis seiner taten (3222—34). Zum schluss
(3235—55) wird der ganze Vorgang des phynbesehens auf die beichte übertragen.
Der priester soll den sünder 1. in angst versetzen (3235—41) ; ihn dadurch 2. zum
reden zwingen (3242—46); 3. auf wahre reue sehen, ohne die alles vergeblich wäre
(3247-3255).
Was M. in kapitel 33 und 84 mehr theoretisch und für den privaten gebrauch
vorgetragen hat, das wird jetzt im rahmen einer öffentlichen gerichtsverhandlung
praktisch vorgeführt.
Der kanzler der GM schlägt den gäuchen einen mann vor, den sie zum
Zunftmeister wählen sollen. Seine geeignetheit erweist er durch Verlesung seiner
in 12 artikel zusammengefassten gauchtaten (kap. 34).
Selbstverständlich leugnet der gauch zunächst alles ab. Erst als er auf der
folter peinlich gefragt wird, gesteht er nicht nur das, was ihm vorgeworfen worden
ist, sondern auch, wie ihn die gäuchin um sein ganzes vermögen brachte und den
zum bettler gewordenen von sich trieb. Aber es stellt sich heraus, dass der gauch
durch seine erlebnisse noch nicht von seiner krankheit geheilt ist. Er glaubt immer
noch an das gute herz jener buhlerin, die ihm gewiss aus seiner not helfen werde.
Der kanzler verspricht dem zum Zunftmeister ausersehenen, er wolle ihn freilassen,
wenn die gäuchiu die erwartungen erfülle, die er in sie gesetzt habe. Damit ist
die Überleitung gegeben zu jenem zeugenverhör, in das sich der gauch hineinmischt,
und das auf diese weise zu einem Zwiegespräch zwischen gauch und gäuchin wird.
Dieser abschnitt ist vielleicht das beste stück von Muniers Satiren überhaupt, gewiss
aber der höhepunkt der GM (reinste ausgestaltung satirischer laune).
Die gäuchin bestreitet natürlich, jenen mann zu kennen, obwohl sie sich
3750 ff. verrät. Als der enttäuschte, aber immer noch verliebte gauch sie um ein
kränzlein zum andenken und den zollpfennig bittet, schlägt sie ihm das geld aus;
das kränzlein will sie binden, wenn ihr der gauch die blumen dazu bringe. Damit
ist der gauch unterlegen; die gäuchmatte hat ihren Zunftmeister.
Dieser narr von Zunftmeister, den seine gäuchin verschmäht und von sich
getrieben hat, braucht einen neuen gegenständ seiner Verehrung. M. schafft ihm
1) Quelle: Hermann v. Sachsenheims spiegel (Lit. verein Stuttgart, bd. 21
8. 121 V. 19-25).
DIE KOMPOSITION DER GEUCHMAT THOMAS MURNERS 425
■diesen in den sieben bösen weibern {'Die mit dem sunfft meister alle sacken Vff der
matten sollendt machen v. 3775 f.). Diese sieben bösen weiber sollen auch den
gauchrat, der bisher nur aus zwölf männern, nämlich dem Zunftmeister und den
gäuchen aus den kapiteln 21—31 bestand, verstärken. (Denn worlichen, der (jenche
dandt Allein die nyher dichtet handt 8781 f.).
Nach dem einleitenden kapitel 38 führen sich die sieben bösen weiber in
jener weise, die wir bei der Vorstellung des gauchrats kennen gelernt haben, selber
€in (kap. 39-45).
Der 2. teil der GM
Das kapitel 46 nimmt ein motiv aus der SZ (vorr. 1, v. 14: '■und schreib der
Schelmen nammen an) auf: die gäuclie sollen ihre namen und taten in eine liste
■eintragen lassen. Die anknüpfung an die artikel des 5. kapitels ist deutlich genug:
Ir handt die artickel ivol gehört, Die ein jeder gouch hie schivert, ivie sij üch sindt
cor gelesen. Ist yemans dt/nn geflissen gewesen, Der selbig krim vnd sag sich an.
Was er für geuchs dadt hab gethan. Man setzt üch nit all vornan dran (4066—72).
Auf diese aufforderung erscheint in kapitel 47 der adelichcst gouch vff erden.
Er hat 'Die geschwornen artikel' nicht nur erfüllt, sondern noch weit übertroffen,
•er ist der Superlativ eines gauchs. In sieben kleinen abschnitten, die als Unter-
abteilungen des kapitels 47 erscheinen, erzählt teils der adelichste gauch, teils
llurner selber die gäuchischsten taten. — Der abschnitt Den gouch zinsz richten
schildert die überbietung dessen, was in artikel 2, 7, 17 und 18 des 5. kapitels ge-
fordert worden ist. Zunächst berichtet der adlichste gauch, wie er sich von seiner
gäuchin hat aussaugen lassen, und verlangt auf grund der erzählten gäuchereien
•einen platz auf der gäuchmatte. Darauf erklärt der kanzler, er wolle lieber seinen
platz abtreten, ehe man einen solchen gauch ausschlage (v. 4168 ff.), gibt aber in
scherzhafter weise auf grund seiner juristischen kenntnisse einen rat, wie man den
zins ablösen könne.
Im 2. abschnitt {Den gouch nit lassen meister syn) berichtet der Übergauch,
wie er unter den pantoffel seiner gäuchin geraten sei. Der artikel 4 des 5. kapitels
enthält den grundgedanken dieses Stückes. Die belehrungen, die sich die weiber
gegenseitig geben, um ihrer männer herr zu werden (v. 4187—4236), sind der Super-
lativ zu kapitel 19.
Der dritte abschnitt ist überschrieben: Der geuch kouffmanschatz und bietet
■eine weiterfübruug des artikels 5. Die v. 4237—78 spricht der gauch ; v. 4279 bis
4310 müssen M. in den mund gelegt werden.
In dem 4. abschnitt {Kriegen von der geucJi wegen) erzählt M. eine geschichte,
die in drastischer weise den 6. und 11. artikel illustriert.
Die ersten vier verse des 5. abschnitts, der mit artikel 9 korrespondiert,
spricht der gauch, die übrigen M., der von v. 4393 ab nach Josephus ^ einen terapel-
skandal erzählt.
Die beiden letzten abschnitte dieses kapitels trägt M. selbst vor. Auf vier
einleitende verse folgt ein stück prosa im tone der artikel des 5. kapitels. Daran
schliessen sich wieder verse, das erstemal 40, das zweitemal 47. Es erscheint mir
1) Vgl. E. Fuchs, Die herkunft der geschichten und beispiele in Thomas
Murners Geuchmat. Euphorion 24 (1923) s. 754 nr. 87.
426 FUCHS
zweifellos, dass M. diese abwechslungen im Tortrage gesucht hat, um eine ermüdende
eiutönigkeit zu vermeiden, und weil er, wie in kapitel 5, 48 und 57 die äussere
form von gesetzen und Verordnungen nachahmen wollte. Nach GM 6315—20 wäre
CS ihm ein leichtes gewesen, diese stücke in reime zu bringen (Liebenaus oben
angeführte ansieht ist deshalb als unbegründet abzulehnen).
Der 6. abschnitt schliesst an den IL, der 7. an den 12. artikel an.
Das kapitel 48 ist eine crgänzung der artikel 13-15 des 5. kapitels durch
12 lehren. M. sagt uns das selbst: Es findt sich in den geschwortien artikeln der
(/euchmatten, das ein t/eder gotich sol süberlichs mit hembderen vor den iryhen ge-
zieret gon. Disser artickel [13] han aber nit wol gehalten werden, denn man die
hembder mit andrer kleydimg verdecket; das aber solche zerte der hembder gesehen
trerde, gib ich zivelff leren vsz der geuchmatten.
An diese 12 lehren in prosa schliesst sich noch ein gereimter abschnitt
{Guten glouben halten) an, der zu artikel 3 und 5 des 5. kapitels in beziehung steht.
Er ist gewissermassen das pendant zu den 12 lehren. In diesen wird berichtet,
was die doppelgäuche zu Murners zeit alles taten, um ihren geliebten zu gefallen.
Der gereimte teil des kapitels (v. 4522—71) warnt die männer davor, sich in die
botmässigkeit der weiber zu begeben. Flucht ist das beste mittel, sich vor schaden
zu bewahren. Man hüte sich davor, ihnen glouben (d. h. vertrauen) zu schenken.
In kapitel 49 {Rechten bescheid H\//sse>i) sind die artikel 1 und 3 des 5. kapitels
miteinander verbunden. Es wird hier in überaus kräftiger weise den gäuchen ein-
geschärft, dass sie sich ja nichts auf ihre kenntnisse des weiblichen herzens ein-
bilden mögen. Als warnende beispiele werden David (4608—22), könig Xerxes I.
(4623-30) und Vergil (4642-54) angeführt.
In ähnlicher weise wie im ersteu teile kapitel 7—18 werden in den kapiteln
50—54 fünf weitere behandlungsarten des gauchs erörtert. Aber es ist eine kulti-
vierendere und kultiviertere behaudlung, die den gäuchen hier zu teil wird. In
kapitel 50 {Den gouch leren esse7i), das schon in der Überschrift eine Verwandtschaft
mit kap. 13 {Den gouch etzen) zeigt, handelt es sich nicht mehr um das Avas des
essens, sondern um das wie. Das gezierte tun beim essen wird verspottet. In'
kapitel 53 lernt der gauch von der gäuchin gehen, im eigentlichen und übertragenen
sinne. V. 4820—24 erinnern an den 8. artikel. Die kapitel 51 {Ein gouch im
2\feffer essen), 52 {Eiti gouch reuchen) * und 54 {Den gouch roesten) ^ sind zubereituugs-
arteu der feineren küche. Kapitel 52 übertreibt den 21. artikel des 5. kapitels.
Der artikel 21 schildert einen alten gauch, der sich seiner Schandtaten rühmt, die
er in der Jugend begangen hat; jener alte buhler, der geräuchert werden soll,
sündigt trotz seines alters noch weiter.
Zwar ist der strafen für die gäucherei und der folgen der sünden gegen das
sechste gebot immer wieder in der eatire gedacht worden. Aber M. will zum
schluss nochmals eindringlich warnen. So widmet er den zeitlichen und ewigen
strafen noch zwei kapitel. In kapitel 45 {Egn gansz geben) werden die strafen der
männer, in kapitel 56 {Frouu- Venus berg) die der frauen besprochen (v. 5114—18).
Da M., wie er ja auch im titel sagt, durch die GM vor allem die männer bessern
will, so hat kapitel 56 nur 96 verse, während dem kapitel 55 zum doppelten um-
1) In der Mühle von Schwindelsheim (v. 535—40) hielt Miirner diese behaud-
lung der gäuche noch nicht für möglich.
DIE KOMPOSITION DER GEUCHMAT THOMAS MURXEKS 427
fang nur zehn verse fehlen. Abgesehen von den vier vestalinnen, deren strafen M.
den klosterfrauen warnend vorhält, sind im kapitel 56 absichtlich (v. 5170 tf.) weitere
beispiele weggelassen.
Die beiden kapitel 55 und 56 forderten notwendig das kapitel 57 (Der geuch
frijheit). M. hatte ja jene unbelehrbarkeit der gäuche bereits im 6. kapitel v. 667—71
hervorgehoben, indem er sie sagen Hess: wir schwören ^Dass tvir vnsz dran nit
wellen keren, wo man vns geuchery wil weren, Vnd wellendt syn den selben findt,.
Die vnsz zu straffen geneigt sindt. All straffen wein wir lassen ston. V. 8230 ff.
sagt der dichter selber: 'Doch Jiandt die geuch ein solche art, Das sy den mundt
beschliessen hart Vnd klagent gott nit ire sünd, Bisz das ich sy im dodt bett find,
Oder oiich das jn sunst geschwindt.' V. 4269 sagt der adlichste gauch: 'Wir geuch
wein vngehunden syn' und v. 2357 ff. M. : 'Welcher solchen argwon dreyt, Dem ist
der Cantzler hie bereyt, Die fryheit wol versiglet gehen, Das sy jn wyderumb ntusz
lieben Vnd furdtbasz nümnier betrieben.
Was lag näher, als dass der dichter der GM diese dickköpfigkeit der narren
am ende seiner satire nach Vorhaltung der strafen, die ihrer warten, noch einmal
so recht lächerlich machte? Wenn man die besten stücke der GM bezeichnen
will, so wird mau diese 8 artikel der geuch fryheit nicht vergessen dürfen. M.s^
satirische laune leuchtet noch einmal auf.
In dem Beschluss der geiichmatten, der von Uhl in seiner ausgäbe als 58. kapitel
gezählt ist, haben wir ein ausserordentlich klar disponiertes nachwort des dichters
vor uns. Ich gebe den gedankengang kurz an:
I. Murners absieht mit seiner GM (5197—5219).
II. Die weit will sich nicht tadeln lassen (5220—34).
III. So muss er denn den ernst seines tadeis durch scherz mildern (5235—73)^
IV. Rechtfertigung seiner schriftstellertätigkeit (5274— 5344) :
a) Fünfzig ernste bücher mit geistlichem Inhalt hat M. verfasst und ins
reine geschrieben'; aber sie werden nicht gedruckt, weil sie dem
geschmack der zeit nicht entsprechen (5274—89);
b) schreibt er aber nach dem geschmack der zeit, so tadeln seine kritiker,^
dass er nicht lateinisch schreibe, sondern in deutschen reimen. M^
erklärt, dass er seine deutschen werke auch lateinisch abfasse. Da*
aber die drucker nur auf ihren gewinn sehen, so haben sie an der
drucklegung seiner lateinischen werke kein Interesse (5290—5314);
c) auf die äussere form seiner gedichte, ob reime oder nicht, komme es
wenig an. Die hauptsache ist, die leute verstehen ihn (5315—24);
d) allen kann es freilicli niemand recht machen (5325—44).
V. Eigene bedenken bezüglich der GM und deren abfertigung (5315—5409):
a) Er fürchtet neue kritik, weil er gegen die weiber zu ungeschminkt
und gröber, als sich für einen gebildeten manu geistlichen Standes
zieme, geschrieben habe (5345—50);
b) etwaige angriffe dieser art glaubt er durch den hinweis darauf ab-
wehren zu können,
1. dass er sein wissen über die weiber aus büchern geschöpft (5351—54);
1) Uhls bemerkung zu v. 5279 gehört zu den 'einfallen, die die drucker-
schwärze wahrlich nicht verdienen' (Spanier, Zeitschr. 29 (1897) s. 419).
428 FUCHS, DIE KOMI'OSITION DER GEUCHMAT THOMAS MURNERS
2. dass er das, was er dort hundertmal gröber vorfand, nach möglich-
keit behobelt habe (5355-58);
3. einige Ungezogenheiten hat das eifrige lesen weltlicher bücher ver-
schuldet (5359-63);
4. diese belesenheit hat aber der GM auch wieder genützt; ihr ver-
dankt er die grosse menge geschichten. Diese beweisen seinen
fleiss und seine kenntnisse (5364:— 77);
5. er wisse freilich recht gut, dass er sich um Sachen kümmere und
über zustände ereifere, die ihm gleichgiltig sein könnten (5378—80) ;
6. er bitte um Verzeihung
a) jeden menschen, den er etwa verletzt habe (5381—85);
ß) besonders die frauen, wenn er über sie etwas ungehöriges gesagt
habe. Er ziele aber nur auf die bösen, die nicht scharf genug
gestraft werden könnten (5386—5409).
VI. Widmung des gedichtes (5410—19).
Durch diese Inhaltsangabe glaube ich gezeigt zu haben, dass M. bei der ab-
fassung der GM einen bestimmten plan im köpfe hatte und folgerichtig durchführte.
Die Schwierigkeiten, die V. Michels in dem erscheinen der päpstin Johanna
unter den elf männern des gauchrats findet, kann ich lösen. Der zwölfte mann im
gauchrat ist der Zunftmeister. Die päpstin, die als Standesperson in kapitel 20
gehörte, ist im gauchrat zu den sieben bösen weibern zu stellen, so dass sich die
zahlen 12 und 8 ergeben. Warum M.s gauchrat gerade 20 personen umfasst, zwölf
männliche (David, Alexander, Salomo, Samson, Adam, Herodes, Aeneas, Eurialus,
Moses, Ninus, Holofemes und den Zunftmeister) und acht weibliche (die päpstin
Johanna und die sieben bösen weiber) erklären uns drei stellen aus Augustinus'
De civitate dei. Dass M. dieses buch genau kannte, beweisen ausser gelegentlichen
Zitaten in den Satiren besonders seine randglossen zur BF. In De civ. dei 7, 2
heisst es: 'Als solche auserlesene götter, denen Varro ein eigenes buch ge-
widmet hat, preist er an . . . (folgt die aufzählung) . . . ; im ganzen zwanzig götter,
darunter zwölf männliche, acht weibliche'. 4, 23, 3 sagt Augustinus:
,denn wer sollte es erträglich finden, dass die Felicitas weder unter die dii consentes,
(die zwölf obersten götter), die, wie sie sagen, den rat des Jupiter bilden',
noch unter die sogenannten dii selecti gerechnet wird ?' Mit bezug auf die dii
consentes heisst es 7, 33: 'die gleichsam in den götter rat auserlesen wurden'.
Was bisher erklärern und kritikern ^ als persönliche laune oder gar flüchtigkeit M.s
erschien und unverständlich blieb, das wird aus dem zeitgeiste unschwer begriffen.
Auch für diesen punkt hat man also die annähme einer hastigen, nachträglichen
Umgestaltung der satire keineswegs nötig.
Dass die GM, wie sie uns heute vorliegt, spuren der Überarbeitung zeigt, ist
offensichtlich. Schon der v. 3122, der in der gleichlautenden stelle der MS fehlt,
beweist dies. Erweiterungen, die während der korrektur gedichtet worden sind,
habe ich Beitr. 48 (1923) s. 90-92 nachgewiesen. Auch GM 1-63 ist 'ein zusatz
1) GM 3777: Ich habs im anfang n-ol betracht, Das ich zivelff man in gouch-
radt macht.
2) Uhl zu GM 3778; V. Michels s. 53 ff . ; Th. v. Liebenau s. 86; Bebermeyer,
Beitr. 44 (1920) s. 58.
ENGLERT, ÜBERTRAGUNGEN LAT. GEDICHTE TLEIVUNGS 429
der Basler redaction' und vielleicht 'im februar 1519 geschrieben' '. Dass die
späteren zudichtungen den plan des gedichtes stellenweise verdunkelt haben und
den Zusammenhang des ursprünglichen textes stören, war eins der kriterien für
ihre auf findung-.
BEUTEN O. S. EDUARD FUCHS.
Übertragungen bekannter und unbekannter lateinischer gedichte
Paul Flemings
Obwohl auf die starke beeinflussung David Schirmers durch Paul Fleming
schon längst hingewiesen wurde, blieb es bisher unbeachtet, dass sich unter den
zwölf 'Madrigalen' in Schirmers Poetischen rosengepüschen, Dresden, Andr, Löfler,
] 657, s. 475 ff. Verdeutschungen von sieben uns bekannten lateinischen Epigrammen
Flemings befinden, nämlich 1. An das Leiptzigsche Rosenthal, s. 475; 2. Über
Anemonens Armband, s. 477; 3 Über seine Verse, s. 479; 4. Über die abfallenden
Blätter s. 479; 5. Über die ertrunckene Mücke, s. 480; 6. über ein Hündlein Perle,
s. 481; 7. Der gemahlte Cupido, s. 483.
Bei Fleming lauten die titel: 1. Vcdedicit Coisu fltimini XVI. Maji (1638);
s. Paul Flemings Lateinische gedichte, herausgegeben von J. M. Lappenberg,
Stuttgart 18t)3 = Bibl. d. lit. ver. in Stuttgart, bd. 73, s. 466 (Ep. 11, 29); 2. Ar-
millae Anemones, ebd. s. 466 (Ep. 11, 31); 3. Vinum an poetarnm equns, ebd. s. 433
(Ep. 9, 47); 4. Super defluvio folionim ex arboribus, ebd. s. 460 (Ep. 11, 11);
5. Epitaphmm Culicis, alacanthino vino perempti, ebd. s. 474 (Ep. 12, 11) ; 6. Fala-
nidi . . . feliciter puerperae, deliciis Olearii, ebd. s. 473 (Ep. 12, 9) ; 7. Super Cupi-
dinis effigle, ebd. s. 461 (Ep. 11, 12).
Die Schirmerschen Verdeutschungen, die der Übersetzer nicht als solche kenn-
zeichnet, sind fast durchaus plump und schleppend. Flickwörter, ganze flickverse,
zerdehnungen und Wiederholungen müssen vielfach herhalten um reime zu gewinnen.
Im übrigen lehnen sich die Übersetzungen ziemlich genau an den sinn und gedanken-
gang der urtexte an. Nur in der ersten hat Schirmer das original etwas umgestaltet.
Während in diesem Fleming selbst vom Koisu abschied nimmt in der hoftnung
nach Holstein zurückzugelangen, verabschiedet sich in der Übertragung Schirmer,
an Flemings stelle tretend, von der Pleisse und dem auch von Fleming wiederholt
besungenen Leipziger Rosenthal, um zu seiner geliebten — auch dies ist eine zutat
des Übersetzers — nach Dresden zurückzukehren.
Für die fünf übrigen Madrigale lassen sich in den uns überlieferten latei-
nischen gedichten von Fleming keine Vorbilder nachweisen, doch ist es höchst wahr-
scheinlich, dass auch sie auf lateinische epigramme desselben dichters zurückgehen.
Es steht ja fest, dass eine grosse anzahl Flemingscher gedichte, lateinischer sowohl
wie deutscher, verlorengegangen ist (vgl. zu den ersteren Lappenberg a. a. o. s. 477 ff.),
und so mögen uns in den genannten madrigalen recht gut Übertragungen von ver-
schollenen lateinischen epigrammen vorliegen. Dass Schirmer manches ungedruckte
gedieht seines hochgeschätzten landsmanns zu gesiebt bekommen mochte, ist bei
seineu beziehungen zu Leipzig sehr leicht denkbar. Er bezog 1613 die dortige
1) Bebermej'er, Beitr. 44 s. 76 und 77 anm. 1.
2) Beitr. 48 s. 91.
430 ENGLERT, ÜBERTRAGUNGEN LAT. GEDICHTE FLEMINGS
nniversität und fand bald eingang in die Leipziger literarischen kreise. Wie mit
Tiiuotheus Kitzsch, vermutlich einem verwandten des Leipziger buchdruckers Gre-
gorins Ritzsch, der zwischen ]G31 und 1633 mehrere Schriften von Fleming druckte,
und der auch selbst dichtete*, befreundete er sich wohl auch mit anderen Jugend-
genossen Flemings und dürfte so manches jener handschriftlichen gedichte kennen-
gelernt haben, die Fleming, ohne sich selbst eine abschrift davon zu machen, an
freunde verschenkte, und die zum grossen teil nicht wieder zum Vorschein kamen '-.
Dass den fünf genannten Madrigalen verschollene gedichte Flemings zugrunde
liegen, ist nicht nur deshalb sehr wahrscheinlich, weil sie mit den sieben anderen,
nachweislich auf Fleming zurückgehenden, dieselbe metrische form gemein haben
und mit diesen zu einer gruppe vereinigt sind, sondern es spricht auch der umstand
dafür, dass sie, von kleineren zerdehnungen und ähnlichen mangeln abgesehen,
ebensowenig Avie die sieben anderen Madrigale an der den Schirmerschen dichtungen
eigenen breite und Weitschweifigkeit leiden. Auch stofflich passen sie recht wohl
in den rahmen der Flemingschen gedichte. Die beiden Madrigale 'Über den Neid'
s. 482 f. sind vielleicht Flemings trostgedichten an Olearius", Lat. gedichte s. 374,
Ep, 5, 72 und 73, anzureihen. Die gedichte 'An die Elbe' s. 477 und 'Über die
aufmachende Anemone' s. 478 handeln beide von einer geliebten, die den von
Fleming seiner braut Elsabe Niehusen * beigelegten namen 'Anemone' trägt. In
ersterem lässt Schirmer freilich das mädchen in der Elbe baden, was für die in
Reval befindliche Elsabe nicht zutreffen würde, doch mag er sich hier eine ähnliche
änderung der örtlichkeit erlaubt haben wie in dem gedichte 'An das Leiptzigsche
Rosenthal', und dasselbe mag auch bei dem madrigal 'An die Dryaden. Als er
wieder vom Hause reisete' s. 476 der fall sein, welches an die uympheu von Schirmers
heimat gerichtet ist. Das schönste von den fünf gedichten ist das 'Über die auf-
machende Anemone'. Ich kann mir nicht denken, dass ein so reizendes und in so
knappen strichen gezeichnetes bildchen eine selbständige dichtung Schirmers sein
sollte. Ich lasse hier einen abdruck der verse folgen:
Der Abend war ankommen.
Ich hatte meinen Weg bereit zu jhr genommen,
Zu Ihr, zu meiner Anemonen.
Ich klopfet an.
Bald ward mir aufgethan.
Die rechte Hand trug Ihr das Licht.
Die Lincke deckt jhr Angesicht.
So balde ward das tiefst in meinem Hertzen
Verletzt von jhren göldnen Kertzen.
Wo kam ich hin? Sah ich denn in die Ferne?
Das kan ich itzund nicht aussprechen.
1) Vgl. Paul Flemings Deutsche gedichte, I u. II, Stuttgart 1865 = Bibl. d.
lit. ver. in Stuttgart, bd. 82 und 83, s. 822 f. und 704 nr. 17 nebst den hier ange-
führten Dummern der bibliographie.
2) Vgl. die bei Lappenberg abgedruckten einschlägigen bemerkungeu des
dichters und die titelverzeichnisse der von diesem vermissten gedichte am Schlüsse
der bücher 1-5 und 7-12 der lateinischen epigramme.
3) Vgl. über ihn ADB bd. 24, s. 269 ff. und Goedekes Grundriss, bd. 3, s. 64.
4) Näheres über sie in Lappenbergs ausgäbe der Deutschen gedichte Faul
Flemings, s. 882.
LEITZMANX, MATTHISSOMANA 431
Jedoch die mir das Licht getragen,
Die war die Venus ohne Tagen
Selbselbst mit jhrem Abend-Sterne.
MC^'CHEN. ANTON ENGLERT.
Matthissoniana
1.
Ein tagebuch aus Matthissons Jugend, das er während der Schulzeit iu
Kiosterbergen vom januar bis april 1777 geführt hat, hat Helm in den Neuen
Heidelberger Jahrbüchern 10, 81 veröffentlicht und mit den notwendigsten erläute-
rungen versehen. Zu der sprachlichen form dieser aufzeichnungen macht er (s. 84)
einige bemerkungen, die mir nicht in allen punkten das richtige zu treffen scheinen.
Er hebt hervor, dass Matthisson 'mir' und 'mich' verwechselt, was bekanntlich eine
charakteristische eigenheit des hochdeutschen solcher schriftsteiler ist, die ursprüng-
lich niederdeutsch gesprochen haben und daher kein sicheres Sprachgefühl für eine
strenge Unterscheidung dieser kasus mitbringen, die es in ihrer angestammten
mundart nicht gibt. Die gleiche eigenheit bei dem dichter des Altonaer Joseph ist
ja bekanntlich, wie ich (Germanisch-romanische monatsschrift 9, 86) nachgewiesen
habe und woran auch Berendsohns Widerspruch (dessen sprachliche kompetenz ich
eider genau so beurteilen muss, wie es Behaghel im Literaturblatt für germanische
und romanische philologie 19'22 s. 368 getan hat) nichts ändern kann, einer der
unumstösslichen beweise, die seine Identifizierung mit Goethe unmöglich machen.
In Zusammenhang mit dieser Unsicherheit der pronominalen kasus, besonders nach
Präpositionen, will Helm in den kasusdifferenzen überhaupt 'eine art hyperhoch-
deutsch' des geborenen Niedersachsen sehen und führt dazu für die Magdeburger
gegeud beispiele aus Firmenichs Völkerstimmen an. Diese beispiele sind richtig,
wie ich als geborener Magdeburger bezeugen kann, aber die beurteilung muss teil-
weise eine andere sein. In der hochdeutschen Umgangssprache ist auf weite strecken
hin auslautendes m zu n g'eworden. Bei maskulinen nominalformen fallen daher
dativ und akkusativ in eine «-form zusammen; beweisend aber ist das neutrum,
denn es heisst nun 'in den buche' und 'mit seinen kinde' genau so wie 'mit meinen
vater'. In Sachsen und Thüringen ist das eine allbekannte erscheinung: dem lite-
raturforscher, der Lotte Lengefelds briefe liest, tritt sie auf jeder seite mehrfach
entgegen (ich zitiere aufs geratewohl Schiller und Lotte 1, 253 'mit ihren kinde',
t'zu seinen vorteil'; 2, 85 'in den käfig' als dativ, 'aus den anblick', 'in ihren sinn'
als dativ; 8, 125 'für den gedanken' als singulardativ). Dasselbe gilt für die
Magdeburger gegend, und dementsprechend schreibt Matthisson s. 88 'an den gestrigen
age', 'mit meinen fleiss', 'in allen', 'seit jenen schönen nachmittag' ; s. 91 'zu diesen
wichtigen vorhaben' ; s. 92 'unter seinen süssen vaterschutz' als dativ ; s. 104 'zwischen
guten und bösen' als singulardativ; s. 112 'in diesen gedanken' als singulardativ.
Es kumuliert sich also hier eine rein lautliche erscheinung mit dem nichtvorhanden-
sein des Sprachgefühls für die kasusdifferenz in der gleichen tendenz auf eine totale
Unsicherheit der Scheidung von dativ- und akkusativformen hin. Von den von Helm
s. 84 anm. 1 als rektionsfehler angeführten beispielen sind ausserdem die beiden
ersten zu streichen: 'lass mir bald empfinden' und 'er wird mir noch empfinden
432 LEiTZJrAxx
lassen' stehen auf einer gänzlich andern linie als etwa 'du kannst mich kraft geben*
oder 'noch kleben mich meine vergehungen an'; auch 'hat mir die tugend gelelirt'
ist etwas ganz anderes. Über den dativ bei 'lassen' in Verbindung mit andern
infiuitiven vgl. Deutsches Wörterbuch 6, 232 und Paul, Deutsche grammatik 3, 394,
über de» dativ bei 'lehren' Deutsches Wörterbuch 6, 565. Soviel zur beurteilung
der sprachlichen nachlässigkeiten.
Was den inhalt des tagebuchs angeht, so sind Helm, der einige der von
Matthisson eingeflochtenen verszitate mit gutem finderglück bei Sturm und Miller
aufgestöbert hat, zwei wichtigere zitate in ihrer eigenschaft als solche entgangen,
von denen das zweite besonders bedeutungsvoll ist. In den versen s. 92 ist 'tugend
nur, 0 hoher name, silberton dem ohr!' Klopstocks ode 'Das neue Jahrhundert' vers 9
'o freiheit, silberton dem obre!' (Oden 1, 1^8 Muncker-Pawel) abgeborgt. — Der
cintrag vom 80. Januar beginnt (s. 94) : 'Mitten im getümmel mancher freuden,
mancher angst und mancher herzensnot entfloh mir dieser tag'. Hier zitiert
Matthisson fast wörtlich den eiugang von Goethes gedieht 'An Lottchen' : 'Mitten
im getümmel mancher freuden, mancher sorgen, mancher herzensnot', das unter
dem titel 'Brief an Lottchen' in Wielands 3Ierkur vom januar 177G an der spitze
des betreffenden heftes erschienen war. Im gleichen Jahrgang dieser monatschrift
finden sich auch Heinses Düsseldorfer gemäldebriefe, von deren begeisternder lektüre
Matthisson in seiner Selbstbiographie erzählt (Literarischer nachlass 1, 253).
Wichtiger ist ein späteres, umfänglicheres tagebuch Matthissons, schon weil
es auf grosse strecken hin die nahezu wörtliche quelle zu seinen 'erinnerungeu'
geworden ist: nach einer auszüglichen Veröffentlichung von Hosaeus (Mitteilungen
des Vereins für anhaltische geschichte und laudeskunde 5, 348) hat es erst Bölsing
in seiner kritischen gesamtausgabe von Matthissons gedichten 2, 193 vollständig
abgedruckt. Auf diesen abdruck beziehen sich die folgenden bemerkungen.
S. 201 heisst es bei der beschreibung der jungen mädchen in dem töchter-
pensionat in Frankenthal bei Mannheim: 'I was alicaijs an admirer of happu human
faces.' Der englische satz mitten in dem deutschen kontext deutet ein zitat an,
wie man ja auf solche fremden gasten abgeborgten bluten und blätter bei dem
zeitlebens reichlich zitatlustigen und zitatfesten dichter mit oder ohne angäbe der
Vaterschaft stets gefasst sein muss. Der satz entstammt dem ersten, selbstschil-
dernden kapitel von Goldsmiths ''Vicar of Wakefield'. In den Schriften 2, 11 (ich
zitiere stets die ausgäbe letzter band, Zürich 1825—29) heisst es bei Schilderung
des besuchs in Frankenthal in deutscher fassung: 'Ich erkläre mich wie der gute
dorfprediger von Wakefield stets für einen grösseren bewuuderer von glücklichen
raenschengcsichtem als von raren Schneckenhäusern und Schmetterlingen.'
S. '203. Das trappistenkloster bei Düsseldorf hat eine gewisse literarische
berühmtheit: Fritz Jacobi pflegte befreundete besucher gern dorthin zu führen, eine
gewohnheit, der wir die expektoration Forsters in den 'ansichten vom Niederrhein'
(Sämtliche Schriften 3, 40) und die kürzere erwähnung im tagebuch Wilhelm von
Humboldts (Gesammelte Schriften 14, 59) verdanken.
S. 229. Matthisson berichtet von seiner lektüre am 1. februar 1788: 'Abends
den beschluss von Merlans korrespondenz, hierauf den Liärin'. Im namenregister
bucht Bölsing (s. 390) diesen Lutrin wie eine persönlichkeit, gesteht allerdings durch
ein fragezeichen, dass er diese nicht zu identifizieren vermag. Er durfte wolil
MATTHISSONIANA 433
wissen, dass 'Le lutrin' (das chorpult) der titel einer satirischen dichtung Boileaus
ist, zumal der dichter auch in den Schriften 4, 156 darauf anspielt.
Ebenda. Die worte 'xä xaXä £7ii -coTj äya^-oT;', die Matthisson auch seiner
'Polydora' als motto vorgesetzt hat (Schriften 8, 163), finden sich als gehet der
Lacedämonier (. , . xobg 9-eoüs StSövat xeXeuovcsg') in Piatons zweitem Alkibiades
s. 14:8c. In seinen gedichten kehren sie mit vorliehe immer wieder: 'Gieb mir als
Jüngling und als greis am väterlichen herd, o Zeus, das schöne zu dem guten'
opferlied (1, 137 Bölsing, den ich stets zitiere); 'Fleh' um das gute zum schönen'
Rousseaus grotte hei Lyon (1, 214); 'Wo mit bundestreue dem schönen sich das
gute fromm vermählt' regenteuspiegel (2, 84); 'Das gute zum schönen dir ewig
und ewig' huldigung der feen (2, 164). Das 'opferlied' machte, wie überhaupt
Matthissons gedichte, nicht nur die weltbekannte 'Adelaide', einen so tiefen ein-
druck auf Beethoven, dass er es mehrfach komponiert hat, zum erstenmal schon
1794, zuletzt 1823, gedruckt als op. 121 h (vgl. Nottebohm, Thematisches Verzeichnis
der im druck erschienenen werke vou Ludwig van Beethoven - s. 116. 178; Beet-
hoveniana s. 5(J; Thayer-Eiemann, Ludwig van Beethovens leben 2, 26, 4, 260).
Nottebohm sagt sehr richtig (Beethoveniana s. 51) : 'Es muss ihn dauernd interessiert
haben und es scheint für ihn ein gebet zu allen zeiten gewesen zu sein.' Speziell
unsere worte 'Das schöne zu dem guten' hat er noch zweimal als kanon bearbeitet
(Thayer 4, 467. 5, 2u9). Beethovens komposition seiner 'Adelaide' erwähnt Matthis-
son auch Schriften 8, 46, indem er sie eine 'zauberei' nennt.
S. 236. Über frau von der Luhe vgl. jetzt Humboldts Gesammelte Schriften
14, 229.
S. 271. Der possierliche Göttinger hibliothekar, der Heyne so gelungen zu
kopieren verstand, hiess nicht Dornedder, sondern Dornedden (vgl. Pütter, Versuch
einer akademischen gelehrtengeschichte von der Geoig-Augustus-universität zu
Göttingen 3, 415).
3.
Einen kommentar zu Matthissons gedichten, der vielfach recht nötig ist, hat
Bölsing im rahmen seiner ausgäbe weder geben können noch wollen. Einen gewissen
ersatz, wenigstens soweit es sieh um persönlichkeiten der geschichte, sage und
mythologie handelt, kann das ausführliche register bieten, das er beigegeben hat.
Leider ist dieses aber recht lückenhaft: so fehlt, um nur einiges wenige als beispiel
herauszugreifen, hei Claude Lorraiu 1, 140, bei Cook 2, 57, bei Goldsmith 2, 201,
bei Goethe 2, 242, hei Herkules 2, 34. 37. 48. 63, bei Hölty 1, 229, bei Homer 2,
315, bei Horaz 2, 56. 152, bei Kant 2, 174, bei Knebel 2, 175, bei Lavater 1,262,
bei Linne 2, 52. 55. 169, bei Loreto 1, 242, hei Lucian 2, 62, bei Johannes Müller
1, 264, bei Ossian 1, 126, bei Petrarca 2, 20i, bei Pope 2, 64, bei Raffael 2, 48,
bei Richardson 2, 57, bei Sappho 1, 171, bei Schiller 1, 271, bei Shakespeare 1,
277. 2, 47. 284, bei Veronese 2, 61, bei Wieland 1, 91. 2, 57. Manche namen
fehlen überhaupt ganz: ich nenne hier nur Ariost (1, 91. 2, 93), Böttiger (2, 14),
Hoileau (2, 229), Colonna (2, 60), Gries (2, 175; die lösungen der charaden berück-
sichtigt das register prinzipiell nicht),* Griesbach (2, 175), Hauy (2, 272), Kämpfer
(2, 51), Klinger (2, 51), Laokoon (2, 34), Memnon (2, 44), Menander (2, 195),
Mendrisio (2, 7), Mozart (2, 64), Paracelsus (2, 62), Pontoppidan (2, 52), Pyrrhon
(2, 63), Schmolck (2, 64), Sisyphus (2, 51), Swift (2, 63), Weinbrenner (2, 174).
434r LEirZMANiV
Matthissons iioten zu seinem gedieht 'Alins abeateuer' (2, 47) enthalten eine
menge literarischer aaspielungen, über die wie über das ganze machwerk August
Wilhelm Schlegel nicht mit unrecht die schale seines Spottes ausgegossen hat
(Sämmtliche werke 12, 59). S. 57 werden zwei titel von romanen 'im gesegneten
zeichen des Wassermanns' genannt, 'Die zwölf schlafenden Jungfrauen' und 'Der
alte überall und nirgends', von denen der erstgenannte auch in einem distichon des
Karlsbader zyklus (2, 89) wieder erwähnt wird. Bölsing hat sie nicht nachgewiesen :
beide sind von dem berüchtigten Christian Heinrich Spiess (vgl. Goedekes grundriss -
ö, 507). Ähnlich wäre noch mancherlei zur erläuterung der gedichte beizutragen.
4.
Im Goethejahrbuch 28, 173 hat Daniel Jacoby eine abhandlung über 'Goethes
und Schillers Verhältnis zu Matthisson' veröffentlicht, die die persönlichen und
literarischen beziehungen unseres dichters zu den beiden Weimarer klassikern sowie
die urteile und Wirkungen herüber und hinüber so darstellt, dass man sie für ab-
schliessend halten könnte. Sie gilt daher auch sozusagen für kanonisch, obwohl
sich mancherlei begründete einwände dagegen vorbringen lassen, von denen ich heute
nur auf zweie eingehen will.
S. 178 spricht Jacoby von den zitaten aus Goethes werken bei Matthisson
und seinen urteilen über solche und führt dann, wie er ausdrücklich sagt, 'nur
einige, aber aus verschiedenen zelten' wörtlich an. Demgegenüber sagt Krebs
(Friedrich von Matthisson s. 180 anm. 1), Jacoby habe 'überpeinlich jedes zitat aus
Goethe in Matthissons werken' angeführt, was wie ein schwerer Vorwurf klingt.
Ich gebe zur berichtigung von Krebs im folgenden eine vollständige liste derartiger
anführungen, wobei ich diejenigen, die schon bei Jacoby sich finden, mit einem
Sternchen auszeichne. Matthisson zitiert von Goethe:
Dichtung und Wahrheit: Schriften* 7, 122. 8, 98;
Erwin und Elmire: Schriften* 5, 361;
Faust: Schriften 2, 119. 4, 71. 227. 5, 172. 6, S02. 7, 359. 8, 19. *113. 145;
gedichte 2, 58;
Gedichte: An den moud: Literarischer nachlass 1, 220;
An Lottchen: vgl. oben s. 432;
Der könig in Thule: Schriften 4, 119;
Der Wanderer: Schriften* 4, 263. 5, 31. 47. 7, 227. 358;
Harzreise im winter: Schriften* 6, 192;
Meine göttin: Schriften* 2, 9;
Mignon: Schriften 2, 6. 7, 321;
Philomcle: Schriften* 3, 294;
Prometheus: Schriften* 6, 178;
Venezianische epigramme: Schriften 5. 180. *195. *C, 31.". 7, .340;
Wonne der webmut: Gedichte 2, 212;
Iphigenie: Schriften 3, 340 (vgl. auch Jacoby s. 175);
Künstlers erdewallen: Schriften 5, 275;
St. Rochusfest zu Bingen: Schriften 8, 57;
Werthers leiden : Schriften 7, 169 ;
Wilhelm Meisters lehrjahre: Schriften 5, 40;
Xenien: Schriften 8, 122.
MATTHISSOXIANA 435
Eine stelle, die sowohl Jacoby wie überhaupt der literarischen forschung-
bisher entgangen ist, obwohl sie sehr grosse Wichtigkeit hat, verdient noch ganz
besondere hervorhebung ; in seiner excerptensammlung 'Polydora' hat Matthisson
ohne quellenangabe folgende sätze aufgezeichnet (Literarischer nachlass 1, 201):
'Shakespeare. Es sind keine gedichte. Man glaubt vor den aufgeschlagenen un-
geheuren büchern des Schicksals zu stehen, in denen der Sturmwind des bewegtesten
lebeiis saust und sie rasch hin und wieder blättert'. Wir stehen hier auf wohl-
bekanntem boden: es sind wörtlich Wilhelm Meisters worte zu Jarno in den lehr-
jahren 3, 11 (Werke 20, 309), die ohne änderung aus der Theatralischen Sendung
5, 10 (ebenda 52, 160) übernommen sind. Damit vergleiche man nun eine andere
stelle aus Matthissons zur ostermesse 1795, also vor Goethes roman erschienenen
briefen (1, 64): 'Shakespeare ist geschichte der menschheit in anschauen gebracht;
alle seine Szenen sind einzelne wehende blätter aus dem grossen buche der Vor-
sehung und in diesem betrachte ist alles an ihm merkwürdig.' Diese sätze (die
Matthisson übrigens wörtlich auch in den Schriften 3, 159 wie ein im eigenen
garten erzeugtes gewächs innerhalb eines rtiseberichts aufpflanzt) sind dem schluss-
absatz jenes merkwürdigen fragments 'eines aufsatzes über die beste leitung eines
jungen genies zu den schätzen der dichtkunst . . ., welches ich der gute eines
freundes verdanke und dessen Verfasser Sie selbst an seinem geiste und gepräge er-
kennen mögen' (s. 57), entnommen. Ist dieser aufsatz, wie ich iu Übereinstimmung mit
Fres-euius Suphan Steig nicht zweifle (vgl. Herders Sämuitliche werke 9, XVII. 544),
von Herder, so haben wir damit in diesem aus der zweiten hälfte der siebziger
jähre stammenden aufsatz die quelle, aus der Goethe das grandiose gleichnis von
den wehenden blättern des schicksalsbuches geschöpft hat. Das bild selbst hat
Herder übrigens schon in den verschiedenen fassungen seines grossen älteren auf-
satzes über Shakespeare, wo die entsprechenden stellen in chronologischer abfolge
so lauten: 'Ausgerissene, wehende blätter aus dem grossen buch der vorseliung!
Im Sturm d r zelten und begebenheiten dahingeworfen, wehen sie daher und
schweben vors äuge' (Sämmtliche werke 5, 239); 'Ausgerissene, zerrissene blätter
aus d' m grossen buch der Vorsehung! Im stürm der zeiten und begebenheiten
wehen sie daher, rücken vors äuge und verschwinden' (ebenda); 'Lauter einzelne,
im Sturm der zeiten w-ehende blätter aus dem buch der begebenheiten, der Vor-
sehung, der weit!' (ebenda s. 21-|). Auch eine dieser älteren fassungen könnte
Goethe gelesen haben und ihm daraus das gleichnis haften geblieben sein: mir
scheint jedoc'i die grössere Wahrscheinlichkeit für jene späteste form als anknüpfungs-
punkt zu sprechen. Matthisson muss di»^ Verwandtschaft der worte Herders und
Goethes selbst aufgefallen sein und daraus erklärt sich wohl am ehesten die auf-
nähme der Goetheschen sätze in seine 'Poiydora'.
5.
Der zweite punkt in Jacobys abhandlung, der einer berichtigenden besprechut'g
bedarf, betrifft die gestalt der Goe hesciien gedichte, die Matthisson seiner 'Lyrischen
anthologic' einverleibt hat. Er führt eine grosse zahl solcher Varianten der antho-
logie gegenüber dem vulgattext Goethes auf, die teilweise allerdings tief ein-
schn. idende Veränderungen darstellen, und geht mit dem anthologisten entsprechend
scharf ins gericht, dass er es 'sich einfallen liess', im 'geiste des besserungssüchtigen
Ramb r' auch vor eingriffen in Goethes Schöpfungen nicht zurückzuschrecken (s. 179).
Ich habe schon vor jähren gelegentlich (Euphonon 15, 778 aum.) darauf hingewiesen,
ZEITSCHKIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. L. 30
43G I.EITZMANN
das8 Jacoby hier Matthisson schweres unrecht getan hat und dass ihm 'leider das
missgeschick begegnet' ist, 'dass er die ältesten drucke jener gediohte, die dem
anthologisteu allein vorlagen, nicht nachgesehen und so die früheren, sich dort
lindenden Goetheschen lesarten, die in den späteren fassungen verbessert sind, für
Produkte Matthissons gehalten hat'. Diese notiz ist aber leider ganz unbeachtet
geblieben und Krebs hat Jacobys veimeintliches resultat neuerdings in seinem
buche über unsern dichter (s. 170) unbesehen übernommen und teilweise, worauf
ich nachher komme, mit ähnlichem misserfolge seine tendenz und methode auch
auf die Schillerschen gedichte der anthologie ausgedehnt. Die frage ist wichtig
genug, um sie einmal endgiltig zu erledigen und die Verfehlungen Matthissons in
bezug auf existenz oder nichtexistenz und im ersteren falle auf motive und ten-
denzen einwandfrei festzustellen. Sonderbarerweise hat sich Jacoby nicht an die
lesarten der Weimarischen ausgäbe, sondern an den sehr lückenhaften varianteu-
apparat in Loepers letzter ausgäbe der gedichte gehalten: da dieser^aber z. b. die
textgeschichte der venezianischen epigramme ganz unrichtig darstellt, indem er die
unterschiede zwischen den Neuen Schriften, dem musenalmauach und den späteren
Cottaschen ausgaben ignoriert (1, 438), so konnte hieraus die fraue der quellen
Matthissons nicht gelöst werden. Ich gebrauche der kürze wegen im folgenden die
siglen der Weimarischen ausgäbe : 5" ist der achte band der Schriften von 1789
(Göschen), N der siebente band der Neuen Schriften von 1800 (Unger), J der be-
treffende, den ersten druck enthaltende musenalmauach. Es versteht sich, dass auch
die auswahl, die Matthisson unter Goethes gedichteu getroffen hat, an sich beachtung
verdient: man bemerkt leicht, dass alle oben als quellen von zitaten bei Matthisson
nachgewiesenen gedichte (mit einziger ausnähme von 'An Lottchen') auch hier
wiederkehren. Im elften bände der anthologie (Zürich 1805) finden sich zunächst
20 gedichte Goethes, denen unter der Überschrift 'Hesperische blumen', die natürlich
Matthisson gehört (er liebt den namen Hesperien für Italien : vgl. Gedichte 2, 386),
14 von den venezianischen epigrammen und G gedichte aus 'Antiker form sich
nähernd' folgen. Dann enthält der zwanzigste band der Sammlung (Zürich 1807),
der allerhand nachtrage zu früheren bänden bringt, nochmals 10 gedichte Goethes
und das glaubensbekenntnis aus dem Faust.
Ich beginne mit den stücken des elften bandes (s. 145—244).
'Die braut von Korinth' : zugrunde liegt N. Abweichungen : 25 'dass er sich
aufs bett gekleidet legt'] 'dass er angekleidet sich aufs bette legt' K Die vier
ersten verse der Strophe dieser beilade haben durchgängig fünf hebungen mit ein-
ziger ausnähme unserer zeile, wo dem dichter, sicher ganz unabsichtlich, ein sechs-
füssler entschlüpft ist, der auch bei allen späteren redaktionen des textes unbemerkt
geblieben ist. Matthisson, der selber ein höchst korrekter metriker war, hat hier
einen kleinen makel, der ihm empfindlicher war als dem Verfasser, wegzuwischen
gewagt: die beurteilung dieses Wagnisses dürfte verschieden ausfallen. Goethe
wollte zwar die bekannte siebenfüssige bestie in 'Hermann und Dorothea' als Wahr-
zeichen stehen lassen (vgl. Riemer, Mitteilungen über Goethe 2, 586 anm.) und
hätte vielleicht auch, wenn Riemer oder Göttling ihn auf unsern lapsus aufmerksam
gemacht hätten, was nicht geschah, sich seiner neigung nach als latitudiuarier und
Verteidiger der 'grata neglegentki' bewährt: trotzdem hat er die massenhaften
falschen und holprigen pentameter seiner ältesten distichischen gedichte nicht
stehen lassen wollen. — 158 'nun] 'nur' N. Druckfehler.
'Meine göttin': zugrunde liegt & Abweichung: 7 'seltsamsten'] 'seltsamen' Ä
MATTHISSONIANA 437
Die gleiche lesart wie Matthisson zeigen seltsamerweise die handschrifüichen
fassungen und Jas Tiefurter Journal, die ihm nicht bekannt gewes-en sein können.
Das Tiefurter Journal lernte er erst 1827 durch den erbgrossh erzog Karl Friedrich
kennen, der für ihn eine abschrift anfertigen Hess, die in von der Hellens ausgäbe
nicht erwähnt wird (vgl. Schriften 8, 128).
'Harzreise im winter' : zugrunde liegt 5. Abweichungen : 22 'reiher'] 'reichen' S.
Der gleiche druckfehler kam dann auch in die Cottaschen ausgaben A und B hinein
und rief Goethes spottende abwehr (Werkeil, 1, 833) hervor. — -i 2 'ungenügender']
'ung'nügender' S. Pedantische normalisierung. — 49 'dürstenden'] 'durstenden' S.
— 81 'ahndende] 'ahnende' S. Matthisson war 'ahnden' geläufiger, wie sich aus
vielen stellen ergiebt.
'Prometheus': zugrunde liegt 5'. Abweichungen: 22 'noch aus noch ein'] 'wo
aus noch ein' 5". Druckfehler? — 43 'mächtige'] 'allmächtige' .S". Hier scheint
rhythmische glättung beabsichtigt zu sein, indem nun sechs daktylen sich unmittelbar
hintereinander ergeben.
'Amor ein landschaftsmaler' : zugrunde liegt S. Keine abweichungen.
'Der Wanderer': zugrunde liegt .s\ Abweichung: 122 'ackermann'] 'ackers-
mann' S. Individuelle änderung nach Matthissons Sprachgebrauch, kaum druck-
fehler. Auch bei Goethe konkurrieren sonst beide formen (vgl. Werke 2, 324).
'Alexis und Dora': zugrunde liegt X. Abweichung: 92 'umschwang'] 'um-
schlang' N. Druckfehler.
'Amjntas': zugrunde liegt N. Abvveichungeu : 32 'saugt sie die'] 'sauget die' ^V.
Matthisson führt strengen parallelismus des satzbaus ein. — 40 'sterbende'] 'stre-
bende' iV. Druckfehler.
'Der gott und die bajadere': zugrunde liegt N. Abweichung: 34 'fodert']
'fordert' K. Da sonst Matthisson die altertümliche form durch die modernere zu
ersetzen pflegt, dürfte hier ein druckfehler vorliegen.
'Der Zauberlehrling' : zugrunde liegt N. Keine abweichungen.
'Das blümlein wunderschön': zugrunde liegt JSf. abweichung: 82 'auch fast
das herz mir'] 'mir fast das herze' X. Jacoby nennt (s. 181)) die änderung 'gegen
sinn und Wohlklang frevelnd': das geht entschieden zu weit, denn der sinn bleibt
unberührt und der Wohlklang ist undiskutabel. Matthisson wollte die altertümliche
substantivform 'herze' beseitigen.
'An die erwählte': zugrunde liegt X. abweichung: 12 'den'] 'dem' X.
Druckfehler ?
'Jagers abendlied': zugrunde liegt 5. Keine abweichungen. Was Jacoby
(s. 180) als solche aus vers 6 anführt, steht wörtlich in S; der vulgattext trat erst
in A ein, das nach der anthologie erschien ; auch Loeper verzeichnet die betreffende
Variante,
'An den mond': zugrunde liegt S. Keine abweichungen.
'An Lyda' : zugrunde liegt .S^. Keine abweichungen ausser der namensform
des titeis (bei Goethe 'Lida').
'Gesang der geister über den wassern': zugrunde liegt S. Abweichnng: 35
'winde'] 'wind' S. Druckfehler?
'Grenzen der menschheit': zugrunde liegt S. Keine abweichungen.
'Das göttliche': zugrunde liegt S. Abweichungen: 9 'ahnden'] 'ahnen' S
60 'geahndeten'] 'geahneten' .S'. Vgl. oben zur 'Harzreise im winter'.
30*
438 LEITZMANN
'Seefahrt': zugrunde liegt S. Keine abweichungen.
'Die erste Walpurgisnacht': zugrunde liegt N. abweichung: 38 'schichtet']
'sclilichtet' N. Wie Matthisson liest auch der vulgattext seit B, während noch A
die lesart von N hat: Düntzer erklärt jene (Zeitschr. 23, 296) für einen druckfehler,
schwerlich mit recht. Es liegt hier eine Verschiedenheit des ober- und nieder-
deutschen Sprachgebrauchs vor (vgl. Deutsches Wörterbuch 8, 2640. 9 670). Goethe
hat auch sonst stets 'schichten' in diesem sinne und Matthisson hat eine richtige
konjektur angebracht.
'Hesperische blumen'. Unter diesem Sammeltitel vereinigt Matthisson folgende
gedichte, die er mit laufenden nummern versehen hat: 1 = Venzeianische epigramme
2, 2 - 5, 3 = 8, 4 = 11, 5-7 = 13-15, 8 = 2(>, 9 = 21, 10 = 56, 11 = 81, 12 = 82,
13 = 96, 14 = '.Anakreons grab', 15 = 'Zeitmass', 16 = 'Warnung', 17 = 'Einsamkeit',
18 = 'Philomele', 19 = 'Süsse sorgen', 20 = Venezianische epigramme 1. Zugrunde
liegt für die epigramme N, für die andern distichischen gedichte S.
Die venezianischen epigramme fasse ich zusammen. Matthisson folgt genau
wörtlich dem text von N mit folgenden ausnahmen: '20 6 'Überall schnurrt er']
'schnurrt übeiall' N und 56, 4 'Wer den probierstein nicht hat'] 'Wem der probier-
stein fehlt' N folgen ausnahmsweise dort lesarten von J, d. h. dem almanach von
1796. Sechs änderungen sind eigenmächtig: 8, 3 'Also schwanken und schweben
wir zwischen der wieg' und dem sarge'] 'Recht so! zwischen der wieg' und dem
sarg wir schwanken und schweben' N ('der schulmässigen korrektheit zu liebe' sagt
Jacoby s. 180 richtig); 1^^, 1 'duftenden'] 'sprossenden' N; 21, 2 'vollbracht'] 'getan' N;
96. 6 'mich heim'] 'zurück' N (Matthisson vermisste nicht ganz grundlos eine er-
wähnung des dichterischen Subjekts); 1, 1 'Grieche'] 'beide' N; 1, 3 'ziegenfüssige
satyr'] 'ziegengefüssete pausback' N (hier war der absonderliche ausdruck der stein
des anstosses). Ich bemerke ausdrücklich, dass sich alle andern lesungen Matthissons,
die Jacoby anführt (5, 1. 8, 4. 13, 4. 21, 5. 81, 1. 82, 1. 3), genau mit N decken.
Auch die verse 'Antiker form sich nähernd' will ich zusammenfassen. 'Ana-
kreons grab': 1 'rosen hier blühn'] 'rose hier blüht' S (Matthisson uniformiert den
numerus der sätze, was Jacoby nicht hervorhebt); 4 'schon' ist kein druckfehler
für 'schön' (vgl. die Varianten der Weimarischen ausgäbe). — 'Zeitmass': die beiden
erflten verse, die Jacoby s. 181 'verstümpert' nennt, sind wörtlich S entsprechend;
4 'grausam ^die zweite mit eil'] 'eilig die zweite herab' S (Jacoby ergänzt falsch
'stunde' statt 'sanduhr'). — 'Warnung': 1 'wecke den Amor nicht auf] 'wecke nicht
den Amor' S (dem mangelhaften rhythmus der ersten hexameterhälfte haben Mat-
thisson und später Goethe selbst auf die gleiche weise abgeholfen ; läge die besse-
rung nicht so nahe, könnte man denken, Goethe sei Matthissons anthologie dafür
verpflichtet); der dritte vers, den Jacoby beanstandet, stimmt genau zu S. ~ Die
gedichte 'Einsamkeit' und 'Philomele' geben wörtlich die texte von S und Jacobys
angriff auf Matthisson wegen des letzteren, das er sonst so rühme und hier ver-
schlimmbessere, ist unberechtigt. — 'Süsse sorgen': 2 'lässt ja'] 'lasset' 5 (Matthisson
beseitigt die altertümliche verbalform).
Ich gehe über zu den gedichten des zwanzigsten bandes (s. 177—202).
'Stanzen' (= 'Zueignung'): zugrunde liegt S. Abweichungen: 23 'ward']
'war' Ä — 31 'schönres'] 'schöner' S. — 75 'nicht'] 'mich' S. Druckfehler. —
87 'nun'] 'nur' S. Druckfehler. — 92 'längst'] 'lang" S. Matthisson nahm anstoss
an der einsilbigeu adverbialform, da ihm als Norddeutschen die zweisilbige geläufig
war. — 97 'wenn dich, wenn deine freunde dumpf die schwüle des mittags drückt']
MATTHISSONIANA 439
'und wenn es dir und deinen freunden schwüle am mittag wird' S. Auch hier liegt
das motiv der änderung im reinsprachlichen, in der zweisilbigen adjektivform, die
Matthisson zu vulgär klang.
'Wonne der webmut' : zugrunde liegt S. Keine abweichungen.
'Wanderers nachtlied': zugrunde liegt S. Abweichungen: 2 'kummer, leid']
'alles leid' 5". Matthisson nahm hier anstoss an dem zeugma, dem ja eine gewisse
härte innewohnt. — 5 'umtriebs'] 'treibens' S. — iy 'banger schmerzen, wilder lust']
'was soll all der schmerz und lust?' S. Hier gilt das gleiche wie beim zweiten
verse. An keinem beispiel kann man klarer den unterschied von genialer sprach-
gewalt und korrekter mittelmässigkeit sehen.
'Gott' (= Faust 3432—3458) : zugrunde liegt S. Abweichungen ; 3445 'hier
auf] 'herauf' S. — 3457 'nam'] 'name' 5. Der hiatus wird beseitigt.
'Mahomets gesang': zugrunde liegt S. Abweichungen: 8 'jiinglingsfrisch']
'jünglingfrisch' S. — 39 'unsrer'] 'unser' S. — 51 'geschlecht'] 'geschlechte' S. Be-
seitigung der altertümlichen substantivform.
'Erlkönig': zugrunde liegt S oder X. Abweichung: 2 'ein'] 'der' SN. Hier
muss man Jacobys zensur 'töricht' (s. 182) unterschreiben.
'Der fischer' : zugrunde liegt S oder N. Keine abweichungen.
'Das Veilchen': zugrunde liegt S oder ^". Abweichung: 18 'sinkt und stirbt']
'sank und starb' 5'X iMatthisson uniformiert wieder die tempora des satzes, da er
damit die synkope des präteritalen 'freut' zugleich beseitigt.
'Der Sänger': zugrunde liegt X. Abweichung: 9 'mir'] 'ihr' X. Auch hier
uniformiert Matthisson den tenor der beiden sätze. Den Wortlaut von vers 19, den
Jacoby Matthisson zuschiebt, hat dieser genau aus j\" entnommen.
'Der könig in Tule' : zugrunde liegt X. Abweichung: 15 'im hohen'] 'auf
hohem' X. Den besserer leitet die etwas pedantische erwägung, dass man nicht
auf, sondern im saale sitzt.
'Legende': zugrunde liegt J, d. h. der almanach von 1798. Keine abweichungen.
Zusammenfassend darf man von diesen eingriffen Matthissons in die originalen
Goetheschen texte, soweit solche überhaupt nach abzug der von Jacoby irrtümlicher-
weise beanstandeten stellen wirklich zu konstatieren sind, folgendes sagen. Sie
haben eine klar erkennbare und ziemlich konsequent durchgeführte tendenz: sie
bestreben sich, kleine metrische Inkorrektheiten und sprachliche absonderlichkeiten,
besonders ungebräuchlich gewordene altertümlichkeiteo und inkonzinnitäten des
satzbaus, der Wortfolge, der tempora uniformierend, glättend, modernisierend zu
beseitigen. Von seinem individuellen Standpunkt aus, von dem er sprachliche und
metrische korrektheit und gleichschwebende normalität der rede höher schätzte als
genialen, subjektiven, leidenschaftlichen Überschwang und idiotismus, glaubte Mat-
thisson sicherlich durch seine vorsichtigen änderungen ein verdienstliches Averk an
Goethes versen getan zu haben. Sein vorgehen war kein sakrileg, wie wir heute
wohl gern geneigt sind es aufzufassen: er ordnete vielmehr die individuelle Schöpfung
des einzelneu, auch bedeutendsten dichters, wie Ramler, Voss und andere literarische
führer des Jahrhunderts der aufklärung, einem allgemeinen, für alle als norm giltigen
dichtungsideal unter und glaubte, dass zur erreichung dieses für alle bindenden
Ideals bei momentanem subjektivem irren oder Unvermögen ein sänger dem andern
zur hilfe eilen dürfe und solle. Goethe selbst spricht (Werke 42, 2, 421) von der
'freilich mit beschränktem geiste und verengtem herzen redigierten lyrischen Samm-
lung' Matthissons.
440 I.EITZMANN
6.
Ich schliesse die gleiche Untersuchung für Schillers in die 'Lyrische antho-
logie' von Matthisson aufgenommene gedichte an. Wenn wir auch hier wieder
aus den zitaten und erwähnungen auf die lieblinge des anthologisten unter den
Schöpfungen Schillers schliessen wollen, so stellt sich uns das material bei weitem
geringer an umfang dar als bei Goethe. Es finden sich nur folgende zitate:
Braut von Messina: Schriften 2, 207. 8, 179;
Gedichte: An die freude; Schriften 7, 166. 8, 34, 105;
Das reich der formen: Schriften 5, 253. 8, 160;
Der taucher: Schriften 5, 116;
Die götter Griechenlands: Schriften 5. 268;
Die kraniche des Ibykus: Schriften 5, 327;
Kassandra: Schriften 8, 232;
Geisterseher: Schriften 5, 180;
Wilhelm Teil: Schriften 7, 174. 265.
Der unmittelbar nach Schillers tode (Zürich 18Ü5) erschienene 14. band der
Anthologie enthält (s. 3—156) 21 gedichte Schillers. Den texten liegt durchweg
die bei Crusius, Leipzig 1800—3 erschienene Originalausgabe zugrunde, die ich im
folgenden mit G bezeichne. Von abweichungen, unter denen die mit einem Sternchen
bezeichneten schon von Krebs (s. 170) zusammengestellt worden sind, finden sich
folgende :
'Klage der Ceres': 70 'färbe'] 'färben' G. Druckfehler?
'Die ideale': keine abweichungen.
'Der Spaziergang' : 15 'biene'] 'bien' G. Sprachliche und metrische glättung.
- 16 'rötlichen'] 'rötlichten' G. - *25 'laubiges'] 'laubigtes' G. - 32 'grünlichen']
'grünlichten' G. - 46 'flüsse'] 'flösse' G. Druckfehler. - *50 'jäh'] 'gäh' G. -
58 'tagwerk'J 'tagewerk' G. Druckfehler? - *68 'felsigen'] 'felsigten' (?. - *78 'ge-
heiligter staub'] 'verehrtes gebein' G. Hier wirkt wohl subjektives Sprachgefühl
Matthissons, das ihm das wort 'gebein' unedel und unpoetisch erscheinen Hess: das
kann zuweilen, wie bei Hebbels bekannter abneigung gegen das wort 'rippe', sich
bis zur Idiosynkrasie steigern. — *102 'bläuliche'] 'bläulichte' G. — *108 'nervigen']
'nervigten' G. — *175 'blieb'] 'bleibt' G. Pedantische änderung.
'Ritter Toggenburg': *3 'fordert niemals andre triebe'] 'fordert keine andre
liebe' G. Der rührende reim schien Matthisson ein bässlicher flecken. — * 54 'zum
abendschein'] 'zu abends schein' G. Hier störte ihn der ungewöhnliche, vom nor-
malen stark abweichende ausdruck.
'Das eleusische fest' : 108 'ernstem'] 'erstem' G. Druckfehler. — 109 'blutigen']
'blutige' G. Wohl gleichfalls Druckfehler. - 118 'grenzen'] 'grenze' G. - 124 'erz']
'erzt' G. Beseitigung eines archaismus (vgl. Deutsches Wörterbuch 3, 1100).
'Die kraniche des Ibykus' : * 16 'graulichem'] 'graulichtem' G. - * 87 'weiten
...geschweiften'] 'weiter ... geschweiftem' G. Druckfehler? - * 95 'horchten']
'horchen' G. Uniformierung der tempora. — *159 'schwärzlichem'] 'schwärzlichtem' G.
'Die.erwartung': 8 'macht'] 'nacht' G. Druckfehler.
'Das reich der formen' : keine abweichungen. Wenn Krebs (s. 173) in vers 112
Matthisson die änderung von 'Laokoon' in 'dort Priams söhn' zuschiebt, so konnte
ihm, der allerdings nur den Hesseschen text von Schillers gedichten zitiert und
sich wohl nicht weiter umgesehen hat, ein flüchtiger blick in Goedekes Varianten-
MATTHISSOXIANA 441
appärat (11, 59) zeigen, dass der dichter selbst die letztere lesart der horenfassung,
trotzdem er sie auf Humboldts mahnung (briefwechsel ^ s. 185) in einem späteren
hefte verbessert hatte, doch wieder in G aufgenommen hat, woher sie Matthisson
unbedenklich entnahm.
'Kassandra': * 38 'ahndiingsvollen'] 'ahnungsvollen' 6'.
'Die götter Griechenlands': *1 'regiertet'] 'regieret' G. Matthisson folgt hier
und in der reimenden zeile 'der Satzkorrektheit zuliebe' (Krebs s. 173), die tempora
uniformierend, der älteren, gleichfalls in G 'für die freunde der ersten ausgäbe'
wieder abgedruckten urfassung. — * 8 'sanft noch führtet'] 'noch geführet' G. —
28 'Philomelens'] 'Philomelas' G. Auch hier geht Matthissons mit der urfassung.
- 80 'Waffen'] 'pfeile' G. Der gleiche fall. - * 96 'bleibt'] 'blieb' G. Wieder uni-
iormierung der tempora.
'Der tanz': keine abweichungen. Wenn Krebs (s. 172) in vers 10 Matthisson
eine änderung von 'mutiges' in 'holdes' aufbürdet, so übersieht er auch hier wieder,
■gestützt auf den Hesseschen text, die textgeschichte nicht: Goedekes Varianten
(11, 41) lehren, dass G, Matthissons direkte vorläge, 'holdes' hat und dass der
•dichter erst in der zweiten aufläge der 'Gedichte' die besserung 'mutiges' ein-
geführt hat.
'Das lied von der glocke' : 45 'vom'] 'von' G. Druckfehler. — * 53. 34 fehlen
bei Matthisson, wofür ich kein motiv anzugeben wüsste ausser dem unreinen, für
den Norddeutschen Matthisson, der gewöhnt war, intervokalisches s mit stimmtou
zu sprechen, sehr empfindlichen und störenden reim 'zeitenschosse : lose' (vgl. über
ähnliche differenzen zwischen ober- und niederdeutschem reimgefühl Wieland, Aus-
gewählte briefe 2, 339. 3, 33; Böttiger, Literarische zustände und Zeitgenossen 1, 252;
Planer und Eeissmann, Johann Gottfried Seume s. 273. 391; Matthisson, Literarischer
nachlass 3, 63). Da sich eine oberflächliche und den sinn nicht berührende besserung
des reimes nicht ermöglichen Hess, wie sie Matthisson in zwei andern, nachher
aufzuführenden fällen gelang, wagte er es eher, zwei weltbekannte, sprichwörtlich
gewordene zeileu aus Schillers populärstem gedichte wegzustreichen als sie gegen
sein ideal metrischer korrektheit stehen zu lassen : so sehr gieng ihm sein ideal
über die ehrfurcht vor dem dichterwort. «Krebs (s. 173) hat die genesis dieser
Streichung ni(jht geahnt. — *78 'grünend'] 'grünen' G, Pedantische korrektur. —
*130 'schneeigen'] 'schneeigten' G. — 272 ist 'pursch' nicht änderung Matthissons,
wie Krebs (s. 171) meint, sondern 'bursch' modernisierung bei Hesse. — * 276 'heimats-
hütte'] 'heimathütte' G. — *374 'leun'] 'leu' G. Der akkusativ bekommt die ihm
zustehende kasusendung. — 385 'schlägt'] 'schält' G. Druckfehler.
'Pompeji und Herkulanura': *22 'schaudrige'] 'schaudrigte' G.
'Resignation': *75 'fordre'] 'fodre' G.
'Hero und Leander': *94 'schwärzlich'] 'schwärzlicht' G. - 96 'Thetis']
'Thetys' G. Hier glaubte der anthologist bessere kenntnis der griechischen mytho-
logie zu haben als Schiller: aber bekanntlich ist die sache sehr zweifelhaft. —
* 214 'grausen : bei sturmwindsbrausen'] 'öden : in sturmesnöten' G. Der unreine
reim von stimmhaftem verschlusslaut auf stimmlose aspirata war Matthisson un-
erträglich. — *225 'spiegelglätte'] 'spiegelsgiätte' G.
'Die vier weltalter': 17 'kein hüttchen'] 'keine hütte' G. Der daktylus wird
beseitigt. — 23 'vom'] 'des' G. So wird der endungslose genetiv 'des all' als in-
korrekt vermieden.
442 LEITZMANN, MATTHI8S0NIANA
•An die freunde' : * 1 'wohl, ihr freunde, gab es'] 'liehen freunde, es gab' G.
Der altertümliche und seltene gebrauch der schwachen vokativform des adjektivs
o'ab den anstoss. — "^32 'Tiber borden'] 'engelspforten' G. So verschwindet der
für Matthissoa unerträgliche reim 'norden: engelspforten'.
'Würde der frauen': keine Veränderungen.
'An die freiide' : *4:7 'lauft, o'] 'laufet' G. - ♦ 61-72 fehlen bei Matthisson.
Den gruud dürften auch hier Schillers unreine reime 'vergelten : melden' und 'sein :
erfreun' gebildet haben, die nicht leicht zu ersetzen waren : daher musste die ganze
zwölfzeilige atrophe unter den tisch fallen. Krebs (s. 173) hat wieder das motiv
der Streichung nicht geahnt.
'Der handschuh': in vers 43 soll nach Krebs (s. 172) Matthisson 'lagern' in
'lagern sich' geändert haben, aber alle texte haben 'lagern sich' und Hesses text^
auf den er sich beruft, steht ganz allein und ohne quellengewähr. - *65 'der ritter
sich tief verbeugend spricht'] *er wirft ihr den handschuh ins gesiebt' G. Matthisson
folgt hier der lesart des almanachs von 1798. Seiner quelle Saint-Foix folgend
(vgl. meine Quellen von Schillers und Goethes bailaden s. 6). hatte Schiller zuerst
die derbere lesart in seinem text, die er aber dann auf frau von Steins Vorhaltung
hin durch die höfischere ersetzte (vgl. Schillers briefe 5, 221. 275; briefwechsel
zwischen Schiller und Körner 4, 56). So erschien der vers im almanach; in G
kehrte er aber doch zu seiner ursprünglichen lesart zurück. Matthissons freund,
August von Rode, der den Sachverhalt nicht kannte, schrieb die Verbesserung diesem
zu und schrieb ihm am 31. dezember 1805 (Literarischer nachlass 2, 248): 'Eine
herrliche Veränderung haben Sie in Schillers 'Handschuh' angebracht ... die Ver-
änderung ist Ihres Zartgefühls würdig und Schiller muss Ihnen dafür selbst im
Elysium dankbar sein'.
'Die künstler': 119 'im harmon'schen'] 'in harmon'schem' G. — 204 'zu'] 'zur' G.
— *332 'uns lust und anmut strahlen'] 'mit anmut uns bedienen' G. Krebs (s. 173)
nennt diese änderung 'nicht ungeschickt': einen zwingenden grund dazu sehe ich
allerdings nicht. — 333 'entzückt : schmückt'] 'entzücket : schmücket' G. — 346 'schauer-
volles'] 'schauervollen' G. — 415 'weichern'] 'reichern' G. Druckfehler. — 425 'im
verborgnen'] 'in verborgnem' G.
Aus welchen tendenzen Matthissons änderungen sich ihm fast zwangsläufig
ergaben, ist bei den einzelnen stellen erörtert worden : im allgemeinen wäre zu
wiederholen, was ich oben bei gelegenheit Goethes ausgeführt habe. Wenn Krebs
(8. 170) meint, die änderungen seien bei Schiller 'nicht so tiefgreifend und be-
deutend' als bei Goethe, so ist das nicht richtig, weil Krebs sich kritiklos an Jacoby
angelehnt hat. Matthisson behandelt vielmehr Schiller noch strenger als Goethe :
das ergibt sich vor allem aus den mehreren eingriffen in den versbestand und in
die reime. Bei Schiller merzt Matthisson den für ihn unreinen reim von stimm-
haftem auf stimmloses s aus, in Goethes 'Zueignung' vers 9 lässt er die gleiche
bindung unangetastet; reime von inlautenden d auf ^, die auch Goethe sonst
massenhaft braucht, kommen zufällig in den in die Anthologie aufgenommenen
stücken nicht vor.
7.
Zum schluss gebe ich noch eine unerwartete gedaukenparallele zwischen
Matthisson und — Detlef von Liliencron, die ich als wirklichen historischen Zu-
sammenhang zu deuten doch nicht wage, wenn auch die möglichkeit dazu nicht
PAPPENHEIM, ÜBER AJllRA, DIE GERMANISCHEN TODESSTRAFEN 44S
ausgeschlossen ist. Eins von Liliencron vollendetsten gedichten, 'Auf dem kirchhof ^
dem Brahras (op. 105, 4) die erschütternde macht seiner töne geschenkt hat, schliesst
mit den worten : 'Auf allen gräbern taute still : genesen.' In seiner 'Polydora',
einer Sammlung von allerhand exzerpten und notizen, notiert Matthisson im an-
schluss an Pfeffels grahschrift für eines seiner kinder, die dann von dessen gattin
ihm selbst gewidmet wurde, den gedanken (Schriften 8, 222) : 'Eine allgemeine
grahschrift, passend für jedes totendeukmal, gleichviel ob von holz oder marmor,.
wäre das wort: genesen'. Hat Liliencron zufällig diese stelle gekannt? Spiero^
der in seiner biographie des dichters (Detlef von Liliencron s. 120) das gedieht
eingehend bespricht und ältere fassungen mitteilt, gibt keinen anhält; im Personen-
register kommt Matthissons name überhaupt nicht vor.
JENA. ALBERT LEITZMANN.
LITERATUR.
Karl vou Amira, Die germanischen todesstrafen. Untersuchungen zur
rechts- und religionsgeschichte. (Abhandlungen der Bayerischen akademie der
Wissenschaften, philosophisch-philologische und historische klasse, XXXL band,
3. abhandlung.) Gr. 4" VI und 415 s. München 1922. Verlag der Bayer^
akad. d. Wissenschaften.
In der dritten aufläge seines grundrisses des germanischen rechts (s. 240 f.
anm. 1) hatte K. von Amira das demnächstige erscheinen einer abhandlung in
aussieht gestellt, in der er s^ine ansichten über Charakter und alter der germanischen
todesstrafen gegenüber dem von einigen selten erhobenen Widerspruch ausführlich
zu begründen gedachte. Die erfüUung seines Versprechens ist durch hindernisse
verschiedener art verzögert worden, die nicht ihm selbst zur last fallen. Beim
erscheinen des nunmehr vorliegenden werkes über 'Die germanischen todesstrafen*^
waren fast 7 Jahre verstrichen, seit dessen letzter teil der Münchner akademie
vorgelegt worden war. Inzwischen hatten sich die äusseren Schwierigkeiten un-
ablässig gesteigert, die allmählich zu ihrem teile die wissenschaftlich-literarische
Produktion Deutschlands zu erdrosseln drohten. Die ganze grosse dieser gefahr ist
daran zu ermessen, dass auch ein werk vom ränge des uns beschäftigenden ihr nur
mit mühe hat entgehen können. Mit um so grösserer freude dürfen wir es be-
grüssen, dass die hemmungen schliesslich überwunden worden sind, und so der
Wissenschaft eine schwere Schädigung erspart geblieben ist.
Wir sind es gewöhnt, aus K. von Amiras band nur meisterwerke hervor-
gehen zu sehen. Aber auch unter ihnen nimmt seine neueste arbeit eine hervor-
ragende stelle ein. Die methode rechtsgeschichtlicher forschurg, für die der Ver-
fasser von jeher mit wort und tat eingetreten ist, hat er in dieser seiner jüngsten
Schrift in besonders eindrucksvoller und erfolgreicher art angewendet. Ein komplex
von fragen, die für die erkenntnis altgermanischer zustände von massgebender be-
deutung sind, ist hier auf grund eines für sich allein schon fast unübersehbaren
literarischen quellenmaterials aus dem gesamtbereiche der germanischen rechts-
geschichte zur erörterung gelangt. Dieses material ist aber bei einem gegenstände,
wie dem vorliegenden, aus naheliegenden gründen in besonders hohem gi'ade der
444 PAPPENHEIM
■ergänzung bedürftig und fähig, die für die erkenntnis zumal ursprünglicher rechts-
iinschauungen. aus der betrachtung der sonstigen mit ihnen auf das engste ver-
bundenen äusserungen des volksgeistes gewonnen werden können. 'Es handelt sich
darum, aus dem gesamten geschichtlich gegebenen stoff aller germanischeu rechte
und ihrer tochterrechte eine möglichst breite grundlage für rückschlüsse auf den
frühesten zustand zu gewinnen und diese durch ausblicke auf die übrigen rechte
•der europäischen Arier zu kontrollieren . . . Dabei darf die Stoffsammlung nicht etwa
bei den schriftlichen Überlieferungen stehenbleiben; sie wird zu deren ergänzung
auch die archäologie zu hilfe rufen müssen. Und sie darf nicht stehenbleiben
bei den Überlieferungen von spezifisch rechtlichem Inhalt; sie wird diese, je weniger
sie für sich allein schlüssig sind, um so mehr auch im lichte der Volkskunde
und der religionsge seh ichte zu betrachten haben' (s. 5). Die Wissenschaften,
deren Unterstützung die Jurisprudenz hier in anspruch nimmt, sind dabei natürlich
nicht allein die gebenden. Insbesondere mit der religionsgeschichte verbinden so
■enge beziehungen den gegenständ der arbeit, dass der vei fasser seine Untersuchungen
von vornherein als solche 'zur rechts- und religionsgeschichte' bezeichnen durfte.
Nur die öffentliche todesstrafe, d. h. die von der staatlich organisierten ge-
sellschaft selbst im dienste ihrer rechtsordnung gehandhabte todesstrafe bildet den
■eigentlichen gegenständ der Untersuchung von Amiras. 'Es gab todesstrafen nach
privatstrafrecht, d. h. strafen, die nur im Privatinteresse, sei es eines ein-
zelneu, sei es einer sondergruppe innerhalb der gesellschaft verhängt wurden' (s. 7).
Wie His (Strafrecht der Friesen s. 170) bemerkt, müssen die privatstrafen einmal
■einen sehr grossen räum eingenommen haben. Vielfach gelegentlich erwähnt, ist
das altgermanische privatstrafrecht zuerst von Amira in der 3. aufläge seines grund-
risses des germanischen rechts (§ 82 a) zusammenfassend charakterisiert worden.
Die todesstrafe nach privatstrafrecht konnte dabei nicht unerwähnt bleiben, aber
auch nicht des näheren behandelt werden. Jetzt dagegen bietet sie den beherr-
schenden gesichtspunkt, unter dem das privatstrafrecht eine eingehendere darstellung
erfährt (s. 7—22). Dies geschieht freilich nur, um dem Verfasser 'die bahn zur
analyse der staatlichen todesstrafen frei zu machen' (s. 7). Wir erhalten jedoch
hier zum ersten male einen überblick über das verstreute material betreffend strafen
nach sippenrecht, nach eherecht und nach racherecht und einen einblick in die
Schwierigkeiten, die sich von verschiedenen selten her der wissenschaftlichen aus-
beutung dieses materials in den weg stellen. Zu einem teile ergeben sie sich aus
xler beeinflussung, welche die todesstrafe des privatstrafrechts von der öffentlichen
todesstrafe erfahren und auf sie ausgeübt hat. Mit der sonderung der beiden Ver-
wendungen der todesstrafe geht demgemäss bei dem Verfasser die aufzeigung ihrer
heziehungen zu einander band in hand.
Eine Untersuchung der öffentlichen todesstrafe aber hat für das altgermanische
recht gegenwärtig ihren ausgangspunkt weiter zurückzustecken, als dies bis vor
kurzem nötig war. Sie muss sich zunächst der frage zuwenden, ob denn überhaupt
die öffentliche todesstrafe dem germanischen recht der geschichtlich erschliessbareu
frühzeit angehört hat. Bekanntlich hat Mogk (Abhl. d. philol.-hist. kl. d. kgl.
sädis. ges. d. w. XXVII 643) die ansieht vertreten, dass wenigstens ein grosser
teil germanischer stamme die todesstrafe von haus aus sicher nicht gekannt habe,
und dass es erneuter Untersuchung bedürfe, ob sie den Germanen überhaupt be-
kannt gewesen ist. Binding (Die entstehung der öffentlichen strafe im ger-
ÜBER AMIRA, DIE GERMANISCHEN TODESSTRAFEN 445
manisch-deutschen recht, Leipziger rektoratsrede 1908 s. 10 ff.) hat dann diese
Untersuchung kurzerhand angestellt und der germanischen zeit die existenz von
öffentlichen strafen an leib und leben allgemein abgesprochen. Demgegenüber stellt
von Amira an den eingang seiner sich der öffentlichen todesstrafe im allgemeinen
zuwendenden betrachtung (s, 23) den satz : 'Bei allen germanischen stammen, soweit
wir ihre geschichte zurück verfolgen können, finden wir rechtssätze, die wegen be-
stimmter luissetaten die tötung der missetäter verlangen.' Den beweis
hierfür erbringt der Verfasser, indem er die einschlägigen rechtssätze ostgermanischer
und deutscher quellen in bisher nicht erreichter, eindrucksvoller menge dem leser
vorführt. Dem von ihm beigebrachten material gegenüber bricht die auffassung
in sich zusammen, es handle sich hier überall um erzeugnisse einer jüngeren rechts-
entwicklung, und die prägnante Schilderung des Tacitus (Germania c. 12) erfahre
nicht aus den rechtsquellen bestätiguog, sondern beruhe ihrerseits lediglich auf
missverständnis. Die todesstrafe als bestandteil eines öffentlichen germanischen
Strafrechts ist für die älteste, der geschichtlichen forschung unmittelbar zugängliche
zeit ausser zweifei gerückt.
Von hier aus wendet sich der Verfasser zur näheren bestimraung des an-
wenduugsbereichs der germanischen todesstrafe. Zu den 'todeswürdigen missetaten
im öffentlichen strafrecht' (s. 44 ff.) gehörten zuvörderst der mord, der in ver-
schiedener art (s. 57 ff.) qualifizierte diebstahl und Avabrscheinlich (s. 61 ff.) auch
die notzucht, drei verbrechen, die bis an das ende des mittelalters in bayerisch-
österreichischen quellen als 'die drei saclien, die zu dem tod ziehen' usw. oder als
'die dreierlei sachen', wenn auch nicht ganz unverändert, wiederkehren (s. 441).
Die 'formelhafte dreizahl' selbst begegnet auch in anderen wichtigen rechtsquellen;
nur selten wird dabei eines der drei verbrechen durch ein anderes ersetzt (s. 46
anra. 6 und text dazu) K Anderwärts finden sich vier-, fünf- und sechsgliedrige
reihen von todeswürdigen friedensbrüchen, die aber meist ohne weiteres als nach-
trägliche erweiterungen der bezeichneten gruppe erkennbar sind (s. 46 ff.). Diese
selbst aber ist ungeachtet ihres frühzeitigen Vorkommens und der Zähigkeit, mit der
an ihr festgehalten wurde, nicht dahin zu verstehen, dass ursprünglich nur die ihr
angehörigen missetaten mit der todesstrafe bedroht gewesen wären. Sie stellen
sich vielmehr 'nur als typen oder paradigmen dar, nach deren muster andere tat-
bestände behandelt wurden' (s. 68). Nicht nur werden ihnen von jeher gewisse
mehr oder weniger verwandte taten gleichgestellt — dem morde andere tötungs-
verbrechen, die als ausfluss einer besonders niedrigen gesinnung erscheinen (s. 69 f.),
dem diebstahl namentlich die hehlerei und das verrücken von grenzsteinen (s. 70 f.) — ,
sondern es sind auch ausserdem gerade für die älteste zeit bereits landesverrat
(s. 73 f.), Päderastie (s. 74 f.), Schadenszufügung durch hexerei (s. 75 f.) und endlich
kultverbrechen (s. 77 f.) als todeswürdige missetaten nachweisbar.
Die mit todesstrafen bedrohten taten — die todessachen oder todeswerke
nordischer, todesschulden angelsächsischer quellen, mortalia oder capitalia crimina
1) Das 'incerraraentum domorum', das nach dem fuero von Daroca mit homi-
cidium und vis illata mulieribus der ausschliesslichen Zuständigkeit des königsgerichts
unterliegt (s. 46 anm. 5, 415) ist nicht gleich incendium (incendimentum) zu setzen.
Es gehört vielmehr zu inserare (sub sera claudere — du Gange ^ IV 378 — vgl.
serare ebd. VII 434 f., dazu Diez, Etym. wb. d rom. sprachen^ s. 293, neuspan.
encerrar) und mag etwa dem 'manu coUecta hostiliter domum alterius circuradare'
einiger volksrechte (Brunner, Rechtsgesch. II 652) entsprechen.
446 PAPPENHEIM
der leges barbarorum (s. 44) — stellen innerhalb der friedensbrüche zugleich die
engere gruppe der neidingswerke oder 'untaten' dar (s. 64 f.). Als solche galten
gewiss auch die kultverbrechen (s. 77; anders Grundriss des germ. rechts' s. 240).
Daes die todesstrafe in heidnischer zeit nur die 'regelmässige' strafe (Brunner I'^
246) oder die 'normale' strafe (Schröder — v. Künssberg, Rechtsgesch. ® s. 83) für
neidingswerke gewesen wäre, ist unwahrscheinlich. Andererseits zog nur eine von
schändlicher gesinnung zeugende tat die todesstrafe nach sich.
Nicht allein für die richtige Würdigung der todesstrafe selbst, sondern weit
darüber hinaus für die gesamte auffassung des altgermanischen strafrechts ist die
frage von grösster bedeutung, wie die todesstrafe vollzogen wurde. Dass auch den
Germanen mcnscbenopfer wohlbekannt waren, ist nicht mehr streitig und hätte
niemals in abrede gestellt werden sollen. Wenn nun andererseits kraft rechtens
Verbrecher zur strafe getötet werden, erhebt sich insbesondere die frage, ob diese
tötuDg als Opferung zu verstehen, ob also die strafe des todes strafe des opfertodes
gewesen ist. Die antwort kann nur aus genauester Untersuchung der vollzugsarten
der germanischen todesstrafe gewonnen werden (s. 86). Den grund für sie legt der
Verfasser durch eine eingehende 'beschreibung des öffentlichen Strafvollzugs' (abschn.
V und VI). Sie 'will weiter nichts als blosse beschreibung sein — erklärung oder
analyse darf sich hier noch nicht einmischen'. Unter 13 nummern werden die
einzelnen arten der todesstrafe behandelt, die nach dem zweck der Untersuchung
für diese in betracht kommen. Ausgeschlossen bleiben deshalb (s. 164) diejenigen,
die nicht alt genug sind, um rückschlüsse auf das wesen der altgermanischen
todesstrafe zu gestatten, und diejenigen, die 'rein sagenhaft' sind. Gleichwohl
übertrifft die so gesichtete beschreibung an umfang um ein vielfaches ihre bisher
einzige wirkliche Vorgängerin in Grimms Rechtsaltertümern (4. aufl. II 256—287,
342 f.), der übrigens Amira als einer für ihre zeit bewunderungswürdigen leistung
volle gerechtigkeit widerfahren lässt (s. 86). Innerhalb des von ihm neu bei-
gebrachten materials ist eben hier das archäologische von besonderer bedeutung
(s. 6; vgl. z. b. s. 126 über das abstossen des kopfes mit der diele). Die dem
Verfasser bekannt gewordenen bildlichen darstellungeu von Strafvollzugsakten hat er
in einem anhang (s. 236—415) unter mehr als 1450 nummern aufgezählt und be-
schrieben. Gemälde und miniaturen, holzschnitte und stiche, federzeich nungen und
radierungen, siege! und Spielkarten haben ihre beitrage geliefert. Die beigefügten
beschreibuugen sind durch genauigkeit, anschaulichkeit und knappheit gleicher-
massen ausgezeichnet. Das ganze ein meisterhaftes regestenwerk zur rechtsarchäo-
logie der germanischen todesstrafe !
Für den gang der 'beschreibung' im einzelnen muss der leser naturgemäss
auf die darstellung selbst verwiesen werden ; eine verlässliche wegweisung findet
er in der Inhaltsübersicht (s. III fp. Von dem reichtum des Stoffes und der art
seiner behandlung mag jedoch ein überblick über den Inhalt des die strafe des
hängens schildernden ersten teils des abschnitts V (s. 87-105) hier ein beispiel
geben. Den eingang bildet die feststellung der terminologie. Ihr folgt die erörte-
rung der frage, woran der Verbrecher gehängt wird. Ursprünglich geschieht dies
an einem baumast. 'Die art des baumes war nicht von jeher gleichgiltig; noch in
späten zelten bevorzugen gewisse rechte die eiche als hängebaum' (s. 89). Als
ersatz des baumes hat sich der galgen entwickelt, dessen älteste form daher wohl
der knie- oder schnabelgalgen darstellt (s. 90). Die erinnerung an seinen Ursprung
ÜBER AMIRA, DIE GERMANISCHEN TODESSTRAFEN 447
liat sich in der art und in der behandlung des verwendeten holzes noch lange er-
halten (s. 91 ff.)' Das hängen selbst war in ältester zeit stets und im mittelalter
sowie in der ueuzeit wenigstens noch regelmässig eine form des 'erdrosseln s'
(s. 94). Der sträng musste nach altem recht aus zweigen und zwar vorzugsweise
aus eichenzweigen zusammengedreht sein — das richten 'mit der wide' ist nicht
von vornherein vom weidenstrang zu verstehen (s. 95 anm. 11). Die erdrosselung
fand durch emporziehen oder herabstossen statt (s. 97 f.). Der delinquent war in
älterer zeit entkleidet, später meist unvollkommen bekleidet; die äugen wurden ihm
verhüllt, die bände — meist über dem rücken — zusammengebunden (s. 99). Der
gehängte musste 'am bäum oder galgen hängen bleiben, bis sein leichnam von wind
und Wetter zerstört oder von den raben weggefressen war' (s. 100). Er soll
dem winde preisgegeben bleiben, am galgen 'reiten', d. h. sich schwingend be-
wegen, woraus dann später missverständlich ein reiten des galgens geworden ist
(s. 100). Deshalb wird der galgen regelmässig an einer dem winde freien zugang
gewährenden stelle, namentlich auf einer anhöbe ('galgenberg') oder auch am offenen
strande, errichtet (s. 101 ff'.). Kommt der gehängte — z. b. infolge brechens des
astes oder reissens des Stranges — mit dem leben davon, so ist er gerettet (s. 1U3).
Erst eine jüngere anschauung legt entscheidendes gewicht darauf, dass der gehängte
sein leben verlieren muss, und führt nicht nur zu besonderen hierfür sorgenden
Vorschriften und Veranstaltungen, sondern trägt auch kein bedenken, gegebenenfalls
dem alten rechtssprichwort 'mau henkt keinen zweimal' zuwiderzuhandeln (s. 104).
Mit einer kurzen betrachtung des verbreiteten hängens von hunden neben dem
Verbrecher und der ablehnung einer besonderen germanischen todesstrafe des er-
würgens schliesst die der strafe des hängens gewidmete Schilderung. Diejenige
der anderen todesstrafen passt sich ihr in der anordnung nach möglichkeit an, wird
aber natürlich wesentlich durch das nach art und umfang sehr ungleiche material
bestimmt. Nehmen doch die drei im abschnitt V beschriebenen strafen des hängens,
räderns und enthauptens mehr räum für sich in anspruch, als im abschnitt VI auf
die übrigen zehn todesstrafen insgesamt verwendet werden musste!
Von der beschreibung der einzelnen todesstrafen wendet sich die darstellung
von Amiras den unter ihnen festzustellenden gruppen zu, die sich unter verschiedenen
gesichtspunkten ergeben (abschn. Vil und \'III, s. 164—198). Die 'anwendung der
öffentlichen todesstrafen' iässt solche gruppen nach räumlichen, zeitlichen und sach-
lichen unterschieden erkennen. Nur eine anzahl der verschiedenen arten der todes-
strafen Iässt sich b. i allen germanischen Völkern nachweisen. Dabei ist einerseits
zu berücksichtigen, dass sich aus der nichterwähnung die ungebräuchlichkeit nicht
ohne weiteres entnehmen Iässt, andererseits, dass zu todesstrafen, die nur für teile
der Germanen bezeugt sind, wie zu solchen, die bei allen Germanenvölkern be-
gegnen, zahlreiche, sehr beachtenswerte seitenstücke in anderen, zumal indoeuro-
päischen, rechten vorhanden sind (s. 165 ff ). Von hier aus ergeben sich wichtige
anhaltspunkte für das alter wenijjstens der in den hauptgruppen des germanischen
rechts vertretenen vollzugsarten der todesstrafe (s. 170). Für einige von ihnen
lassen sich aus der art ihrer Vollziehung weiterführende Schlüsse hinsichtlich der
entstehungszeit ziehen (s. 172 ff.). So kann die enthauptung mittels des heiles im
hinblick auf die beschaffenheit der auf uns gelangten Steinbeile nicht vor der älteren
brouzezeit (ersten hälfte des zweiten Jahrtausends vor Chr.) aufgekommen sein. Die
rolle, welche die eiche als hängebaum, dann für den galgenbau und für die her-
stellung des Stranges spielt, weist darauf hin, dass das ursprüngliche ritual des
448 PAPPENHEIM
häno-ens und damit das hängen selbst nicht nach der frühen bronzezeit gebräuchlich
geworden ist. Nicht minder ansprechend ist die geistvolle erwägung, durch die
der Verfasser dazu gelangt, als terminus ad quem für das aufkommen des verbrennens
die zeit des allgemeinen Übergangs von der bestattung unverbrannter leichen zum
leichenbrand, also die jüngere bronzezeit, zu bestimmen: das verbrennen des misse-
täters wolle mit seinem körper auch die seele durch Vernichtung unschädlich
machen; es müsse deshalb eingeführt und verbreitet worden sein, bevor der in dem
leichenbrand zutage tretende glaube zur herrschaft gelangte, dass die seele auch
nach völliger Vernichtung des leibes fortlebe.
Die rechtsgeschichtlich bedeutsamste Unterscheidung innerhalb der ger-
manischen todesstrafen ist aber die nach dem tatbestande des Verbrechens sich
ergebende. Der ihrer betrachtung gewidmete abschnitt (s. 174 ff.) trägt bei Amira
mit fug als Überschrift das taciteische 'distiuctio poenarum ex delicto'. Die Unter-
scheidung ist jedoch eine zwiefache, nämlich nach der art des täters (der Verfasser
spricht hier nicht glücklich von dem 'subjektiven tatbestande') und nach der art
der tat. In ersterer beziehung ist vor allem die ungleiche behandlung wichtig,
welche die beiden geschlechter in ansehung der todesstrafe vielfach erfahren, sei
es, dass dieser nur männer unterliegen, oder dass sie an männern und an weibern
auf verschiedene art vollzogen wird. Auf grund eines ungemein reichen quellen-
raaterials erachtet der Verfasser (s. 179) für wahrscheinlich, dass es im ältesten
Strafensystem der einzelnen rechte ordentlicherweise überhaupt nur eine einzige
todesstrafe für weiber gab, während die anderen den männern vorbehalten waren.
Eine derartige grundsätzliche Unterscheidung würde gerade auch zu dem sakralen
Charakter der ältesten todesstrafe aufs beste stimmen. Bis auf den heutigen tag
greift mit bezug auf religiöse oder von solchen beeinflusste akte bei naturvölkern
eine weitgehende sonderung der beiden geschlechter platz, die bekanntlich teilweise
sogar zur entstehung einer verschiedenen männer- und weibersprache geführt hat.
Dass weiterhin ursprünglich einmal weiber der todesstrafe grundsätzlich überhaupt
nicht unterlagen, wird sich für das germanische recht im hinblick auf das hohe
alter der von jeher todeswürdigen hexerei höchstens vermuten lassen.
Die schon von Tacitus mit beispielen belegte Unterscheidung der todesstrafen
nach der art der verbrechen hat von jeher die beachtung der Wissenschaft gefunden.
Wiederum aber hält von Amira hier keineswegs nur eine nachlese. Freilich, dass
der dieb an den galgen, der mörder auf das rad gehört, rauss nach wie vor den
festen ausgangspunkt bilden, der nur einem ungemein reicheren quellenmaterial
entnommen werden konnte (s. 182 ff.). Darüber hinaus Hess sich die entbauptung
als ursprüngliche strafe für notzucht einerseits und grenzfrevel andererseits nach-
weisen (s. 189), und dann auch für die übrigen Vollziehungsarten der todesstrafe die
ursprüngliche Zugehörigkeit je zu bestimmten neidingswerken oder eng begrenzten
gruppen von einander verwandten neidingswerken durch 'vergleichende sichtung
des überlieferten' dartun (s. 191 ff.). Das ergebnis, dass der grundsatz von der
'distinctio poenarum ex delicto' die vörteilung der todesstrafen vollständig beherrschte,
erfährt durch parallele erscheinungen im ältesten strafrecht anderer indoeuropäischer
Völker, insbesondere der Römer, weitere bestätigung (s. 198).
Durch die 'beschreibung des öffentlichen Strafvollzugs' und die Untersuchung
der 'anwendung der öffentlichen todesstrafen' hat der Verfasser den grund gelegt
für den in den beiden letzteo abschnitten (s. 198—232) angetretenen beweis des
ÜBER AMIRA, DIE GERMANISCHEN TODESSTRAFEN 449"
sakralen Charakters der öffentlichen todesstrafe. Für das ergebnis seiner beweis-
führung nimmt von Amira sicherlich nicht zu viel in anspruch, wenn er meint,.
(s. 232). dass durch sie .auch in den äugen skeptischer leser die gründe für den
ursprünglichen opfercharakter der öffentlichen todesstrafen um ein erhebliches zahl-
reicher und triftiger geworden sein dürften, als man noch vor kurzem annahm.
Eher könnte man glauben, dass dem gewicht der gegnerischen auffassung hiermit
etwas zuviel ehre zuteil geworden sei. Wie dem aber auch sein mag, so kann
jedesfalls daran kein zweifei bestehen, dass die betrachtung der altgermanischen
todesstrafe als einer Opferung des Verbrechers durch Amiras werk zumal vermöge
der fülle der nachgewiesenen, in betracht kommenden erscheinungen an Sicherheit
der grundlagen ausserordentlich gewonnen hat. Kein leser wird ohne lebhaftes
Interesse und ohne mannigfache belehrung und anregung den ausführungen folgen,
in denen der Verfasser die im eingang seines buches (s. 3 f.) aufgeworfene frage
mit hilfe des alsdann beschafften materials beantwortet. Seinen ausgang nimmt
er von der einzigen quellenstelle, die noch aus heidnischer zeit für ein bestimmtes-
stammesrecht und für ein bestimmtes verbrechen von der Opferung als einer todes-
strafe Zeugnis ablegt, dem tit. XI der 'additio sapientum' zur lex F'risionum. Dass
diesem zeugnis ähnlich wie dem des c. 12 der Germania für sich allein nur eine
engumgreuzte bedeutung zukäme, hatte der Verfasser im vorhinein festgestellt
(s. 5), zugleich aber betont, dass die beiden quellenstellen in Verbindung mit anderen,
sei es auch jüngeren, Zeugnissen den höchsten wert erlangen könnten. Die probe
hierauf wird auf grund der vorausgegangenen Untersuchungen eben in den beiden
letzten abschnitten des werkes gemacht. So reiht sich zuvörderst an die mitteilung
der friesischen rechtsaufzeichnung bestätigend und erläuternd an, was sonst hin-
sichtlich des ertränkens als eines den wasserdämonen dargebrachten menschenopfers
aus germanischen und sonstigen indoeuropäischen quellen bekannt ist. Die schon
hier zutage tretende Übereinstimmung des rituals der todesstrafe und der nicht zu
strafzwecken erfolgenden Opferung erweist sodann ihre durchschlagende beweiskraft
auch für die übrigen hinrichtungsarten, die nicht schon quellenmässig als Opferung
bezeichnet werden. Natürlich ist die ergiebigkeit des materials für die verschiedenen
arten von todesstrafen sehr ungleich. Nicht überall wird füglich ebensoviel und
ebenso sichere auskauft zu erwarten sein, wie aus den zahlreichen nachrichten, die
sich auf das hängen einerseits als Vollziehung der todesstrafe, andererseits als nicht
der Strafvollstreckung dienende opferhandlung beziehen. Es muss aber stets das
gesamte material im äuge behalten werden, weil eines das andere stützt, und zu-
weilen gerade auch von seltener angewendeten und erwähnten Vollziehungsarten
her auf allgemeine erscheinungen licht fällt. Die ' durchmusterung der einzelneu
todesstrafen lässt nur wenige übrig, deren sakraler Charakter nicht wahrscheinlich
gemacht wäre. Bei ihnen aber ist zweifelhaft, ob sie überhaupt wirkliche bestand-
teile des altgermanischen strafrechts gebildet haben (s. 221 f.). Das sonst aus der
betrachtuug der einzelnen Straftaten gewonnene ergebnis wird dann noch erhärtet
durch die feststellung von 'gewissen zügen . . ., die den alten öffentlichen todes-
strafen gemeinsam sind und sich am besten unter religiösen gesichtspunkten er-
klären' (s. 222). In diesem sinne behandelt der Verfasser die Verwendung der sog.
zufallstrafen, die in wahrlieit nur die befragung der gottheit über die annähme des
dargebotenen opfers in die form seiner darbringung selbst aufnehmen, ferner die
anknüpfung von zaubervorstellungen an die Vollziehung der todesstrafe, die sich
im aberglauben der gegenwart noch sehr lebendig erhalten hat und zu manchen
450 PAPPENHEIM
skandalösen Vorkommnissen führt, und schliesslich das erfordernis der anwesenheit,
teilweise auch der mitwirkung, der dingpflichtigen bei der hinrichtung. Auf das
tabu das auf dem die strafe vollziehenden Volksgenossen und dem dann an seine
stelle getretenen voUstreckungsheamten ruhte, führt der Verfasser (s. 229 f.) sehr
glücklich die spätere 'Unehrlichkeit' des nachrichters zurück.
In der Verschiedenheit der todesstrafe je nach der art des Verbrechens gelangt
mit dem Charakter der strafe als eines opfers zugleich die Verschiedenheit der
gottheit zum ausdruck, die durch das verbrechen zunächst gekränkt ist, und der
deshalb der täter als opfer dargebracht werden muss. Diese enge beziehung, in
der die einzelne gottheit zu der einzelnen missetat und damit auch zu der art
ihrer sühnuug steht, ist besonders deutlich erkennbar (s, '202 f.) und daher auch am
frühesten erkannt worden für den 'gehängtengott', den windgott und totenführer
Wodan (Ööin). Sie ist darüber hinaus auch für die übrigen todesstrafeu vom Ver-
fasser 80 wahrscheinlich gemacht worden, wie dies bei der ungleichen beschaffenheit
des materials nur möglieh war — daher naturgemäss für die einzelnen vollziehungs-
arten mit erheblichen unterschieden betreffs der zu erreichenden genauigkeit und
Wahrscheinlichkeit. Die weitere frage nach den gründen, auf die jene beziehung
der einzelnen gottheiten je zu den verschiedenen missetaten zurückzuführen ist,
wird vom Verfasser am Schlüsse seiner Untersuchung (s. 235) aufgeworfen. Ihre
beantwortung würde *in die letzte tiefe des doch unbestreitbaren Zusammenhanges
zwischen dem einzelnen neidingswerk und der zugehörigen strafart' hineinleuchten.
Sie kann aber vorerst nur für wenige fälle erfolgen, mit einiger Sicherheit nur
für den baumfrevel, bei dem die gedärme des täters dem baumgott für die ab-
geschälte rinde als ersatz dienen müssen, und für den markfrevel, bei dem der
leib des Verbrechers dem grenzgott für seinen zerstörten wohnsitz hingegeben
wird (8. 213).
Das Verständnis des allgemeinen Zweckes, den die öffentlichen todesstrafeu
der Germanen gehabt haben, eröffnet sich nach von Amira (s. 67) von der betrach-
tung der mit diesen strafen belegten missetaten her: nur neidingswerke waren
ursprünglich todeswerke. Das neidingswerk aber wurde als die tat eines entarteten,
als entartungszeichen betrachtet, und 'durch die öffentliche todesstrafe wollte die
gesell>chaft so energisch als möglich ausmerzen, was aus ihrer art ge-
schlagen war'. Mit Vergeltung, abschreckung oder sonst irgendeinem der zwecke,
die moderne philosopheme der öffentlichen strafe unterlegen, habe die öffentliche
todesstrafe der Germanen nichts zu schaffen. Sie sei vielmehr dem trieb zur
reinerhaltung der rasse entsprungen, 'einem trieb, der auch im privatstrafreclit der
sippe zur todesstrafe wegen geschlechtsschimpfes geführt hat und nicht nur in der
menschenweit, sondern bekanntlich auch in tieferen regiouen der tierweit verbreitet
ist'. Mit diesem triebe vereinige sich die forderung der gottheit, dass die von ihr
stammende rasse reingehalten werde. Der götter zorn 'würde über das volk
kommen, welches teil hat an der entartung, die man an der missetat erkennt.
Darum muss zur abwendung des götterzornes von sich die rechtsgenossenschaft
den entarteten an die gottheit ausliefern. Dadurch legt sie an den tag, dass sie
ihn ebenso verabscheut wie der gott' (s. 233).
Ich kann dem Verfasser zwar auch hier ein gutes stück' des von ihm einge-
schlagenen weges, aber nicht bis zu dessen ende folgen. Und zwar scheint mir,
dass dem gedanken der entartung des missetäters nicht die besondere und weitgehende
bedeutung zukommt, die ihm von Amira für daa Verständnis der altgermanischen
ÜBER AMIRA, DIE GERMANISCHEN TODESSTRAFEN 451
todesstrafen beirnisst. Gewiss wird den Germauen die neidingstat als werk eines
entarteten gegolten haben, und haben tüchtige söhne ein verhalten gescheut, das
sie als ihres vaters unwürdig hätte erscheinen lassen (s. 65 anm. 9). Gewiss fand
man ferner die kennzeichen verächtlicher gesinnung auch in der körperlichen er-
scheinung des mit ihr behafteten wieder, und glaubte man, dass seine seele sich
auch noch nach ihrer trennung vom leibe als entartet erweise (s. 66 f.). Aus alledem
ist aber noch nicht zu entnehmen, dass eben um seiner entartung willen der misse-
täter durch die hinrichtung ausgemerzt werden sollte. Ein greifbareres argument
gewinnt der Verfasser aus nordgermanischen rechtssätzen, nach denen weiber, aus-
länder und söhne von ausländem der todesstrafe nicht verfallen; dies habe seinen
grund darin, dass man in der vorzeit die entartung gewöhnlich nur an der norm
des selbständigen stammesgenossen habe abschätzen können (s. 67). Indessen be-
zieht sich der betreifs der ausländer allein in betracht kommende altnorwegische
rechtssatz nur auf den fall des diebstahls, und eben bei diesem bedurfte es nicht
der anlegung eines von den stammesgenossen entlehnten massstabes, um den misse-
täter als einen entarteten erscheinen zu lassen. Ferner haben zu den ältesten, mit
dem tode bestraften missetaten vermutlich die kultverbrechen gezählt, und bei ihnen
kamen naturgemäss stammesfremde häufig als täter in frage, vor denen begreiflicher-
weise nicht nur die volksjustiz (s. 77), sondern gewiss auch das au deren stelle
getretene, öffentliche strafrecht nicht halt gemacht hat. Und was die in den west-
götischen rechtsbüchern enthaltene ausschliessung der weiber von der todesstrafe
angeht, so stand freilich wohl 'am anfang der germanischen strafrechtsgeschichte
die regel, dass die todesstrafe nur für männer bestimmt sei' (s. 176). Aber die
ausnähme betreffs der hexerei gehört jedesfalls bereits dem ältesten rechte an
(s. 28, 180), und es ist zum mindesten von vornherein nicht wahrscheinlich, dass
gerade der grundgedanke der öffentlichen todesstrafe schon so früh eine solche
durchbrechung geduldet hätte.
Es fehlt indessen auch nicht an gründen, die positiv gegen Amiras entartungs-
theorie sprechen. Wenn die todesstrafe auf den trieb zur reinhaltung -der rasse
zurückzuführen wäre, hätte sich die ausmerzung füglich auch auf die abkömmlinge
des missetäters erstrecken müssen, in denen sich doch seine art fortsetzen Avürde.
Hiervon findet sich aber, soweit ersichtlich, in germanischen quellen (s. dagegen
s. 234 anm. 5 a. e.) keine spur. Wichtiger noch ist, dass sich von der betrachtung
des Verbrechers als eines entarteten her zwar die todesstrafe, aber nicht auch ihre
Vollziehung eben durch Opferung erklären lässt. Der trieb des Volkes zur rein-
haltung seiner rasse und die forderung der gottheit, dass die von ihr stammende
rasse reingehalten werde, fänden gleichermassen befriedigung, wenn der Verbrecher
überhaupt getötet würde. Die ausmerzung des entarteten gliedes der gesellschaft
wäre um nichts energischer erfolgt, wenn sie durch Opferung, als wenn sie durch
eine andere beliebige art der tötung stattgefunden hätte. Vielmehr Avurde mit der
rechtsnotwendigkeit der Opferung die tötung des missetäters von der geneigtheit
der gottheit zur annähme des opfers abhängig gemacht und dadurch unter um-
ständen vereitelt. Endlich spricht auch die Verwendung des opfers als form der
hinrichtung gegen die annähme, dass durch die tötung des Verbrechers dem gemein-
samen interesse von volk und gottheit an der reinhaltung der rasse genüge geschehen
solle. Mit dem opfer naht sich das volk bittend der gottheit (vgl. von Amira,
Nordgerm. oblr. II 631). Die missetat hat den zorn der gottheit erweckt, der sich
gegen das volk selbst wenden würde, wenn es sich von dem schuldigen nicht los-
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. L. 31
4ö2 PAPPENHEIM
sagte (e. 233). Es tut dies, indem es den Verbrecher der gottheit ausliefert, und
es erhofft als Vergeltung der gäbe, dass die versöhnte gottheit sich an dem opfer
genügen lassen werde. Die anschauung, es sei hierfür eben die auslieferung des
schuldigen das geeignete mittel, dürfte auf denselben gründen beruhen, die innerhalb
des privatstrafrechts zur auslieferung des Verbrechers an den verletzten geführt
haben (s. 20 f.).
Während durch von Amiras werk die in gestalt der Opferung vollzogene
todesstrafe für das altgermuniscbe recht sicherer denn je erwiesen worden ist, kann
damit der meinungsstreit über die Stellung, die der todesstrafe innerhalb des ger-
manischen Strafrechts zukam, noch nicht als erledigt gelten (vgl. Stutz, Savigny-
Zeitschr. germ. abt. 43, 342 f.). Bisher war man sich wenigstens insofern einig,
als man in dem verbrechen einen bruch des gemeinen friedens erblickte und erst
jenseits der dadurch gezogenen grenze den kämpf auch um die rechtliche bedeutung
der todesstrafe beginnen Hess. In jüngster zeit ist aber auch dieser grenze die
anerkennung versagt worden. Nach der ansieht von Febr (Deutsche rechts-
geschichte s. 21) kann die öö'entliche strafe nicht aus dem bruche eines gemeiu-
friedens abgeleitet werden, weil ein solcher geraeinfrieden der germanischen zeit
unbekannt gewesen und erst später von königtum und Christentum geschaffen
worden sei. Die römischen Schriftsteller wüssten nichts von einer allgemeinen fried-
losigkeit; Tacitus (Germ. c. 40) deute darauf hin, dass bei den Langobarden ein
allgemeiner friede nur am feste der göttin Nerthus bekannt war und geschätzt
wurde, und er berichte (c. 6), dass die grösste schände, die zurücklassung des
Schildes, nicht mit ausstossung aus der rechtsgemeinschaft, sondern nur mit dem
verböte bestraft wurde, dem götterdienste beizuwohnen und die Volksversammlung
zu besuchen.
Fehrs beweisgründe vermögen die auf sie gestützte behauptung nicht zu
tragen. Das schweigen der römischen schriftsteiler von einer allgemeinen fried-
losigkeit würde in einer frage von der vorliegenden art von vornherein wenig be-
deuten. Es wäre um unsere Wissenschaft sclilimm bestellt, wenn sie glauben
müsste, sich dabei beruhigen zu dürfen. In Wahrheit steht nicht einmal das ausser
zweifei, dass Tacitus unter der ausscliliessung von Opfergemeinschaft und Volks-
versammlung etwas anderes als die friedloslegung verstanden hätte (vgl. Waitz,
Deutsche Verfassungsgeschichte I" s. 428 anm. 1). Arg missverstanden aber ist
von Fehr, Avas Tacitus über den Nerthusfrieden der Langobarden berichtet; denn
eben hier handelt es sich nicht um den gemeinen, sondern um einen besonderen
und zwar einen festfrieden (s. Wilda, Strafrecht s. 23:^, Müllenhoff, Deutsche
altertumskunde IV 472). Nur als folge des bruches eines Sonderfriedens lässt Fehr
selbst die friedlosigkeit eingetreten sein ; solcher friedensbruch habe den zorn der
götter herausgefordert, der nur durch den opfertod des täters vom volke abgewendet
werden konnte. 'Der friedlose musste daher im Interesse der gemeinschaft ge-
tötet werden'. Es kann hier nicht unsere aufgäbe sein, der Schilderung, die Fehr
von dem altgermanischen strafrecht gibt, weiter nachzugeben und die ihr anhaftenden .
mängel darzulegen. Wir müssen uns mit dem hinweis darauf begnügen, dass Fehr
seiner behauptung, die germanische zeit habe einen dauernden gemeinfrieden und
somit auch den bruch eines solchen nicht gekannt, unwillkürlich selbst widerspricht.
Er nennt den, der einen Sonderfrieden gebrochen hat, wiederholt einen friedlosen,
geht also davon aus, dass der täter durch den bruch dos Sonderfriedens seinerseits
den frieden verwirkt habe. Dieser friede aber, den der Verbrecher bis zu seiner
ÜBER AMIRA, DIE GERMANISCHEN TODESSTRAFEN 453
tat genossen hat, und dessen er durch die Verletzung eines jeden der verschiedenen
Sonderfrieden gleichermassen verlustig geht, muss augenscheinlich als ein diesen
Sonderfrieden gegenüberstehender allgemeiner frieden gedacht werden, in dem der
Verbrecher bis dahin gestanden hat, und dessen verwirkpng eben ihn friedlos
werden lässt. Somit ist auch Fehr in Wahrheit den forschem beizuzählen, welche
die altgermanische todesstrafe auf die Vollstreckung der aus dem bruch des
gemeinfriedens erwachsenen friedlosigkeit des Verbrechers zurückführen. Die frage,
ob mit solcher zurückführung die bedeutung der todesstrafe richtig gekennzeichnet
ist, oder ob dieser eine selbständige Stellung neben der friedlosigkeit zuerkannt
werden muss, steht nach wie vor am ein gang der geschichte des altgermanischeu
Strafrechts.
Naturgemäss steht diese frage in engstem zusammenhange mit derjenigen
nach dem wesen der friedlosigkeit selbst. Zwar, wenn vermöge der letzteren die
Schädigung des missetäters an leib und leben seinen bisherigen rechtsgenossen zur
pflicht gemacht wäre, brauchte sich darum die bedeutung der todesstrafe noch
keineswegs in der 'Vollstreckung der friedlosigkeit' zu erschöpfen. Wohl aber
findet die 'unbedingt und vorbehaltlos angedrohte' todesstrafe (s. 12) keinen platz
innerhalb eines strafrechtssystems, in dem die friedlosigkeit nur negativ den wegfall
des friedens und des durch letzteren gewährleisteten rechtsschutzes bedeutet. Seit
jeher ist von Amira für die Zurechnung der germanischen friedlosigkeit zu einem
negativen straf rech tssystem (vgl. H. Matzen an der s. 35 anm. 7 angeführten
stelle) eingetreten. Er unterzieht die frage jetzt in der beschränkung auf das
'Verhältnis der Verbrechertötung zur friedlosigkeit' (s. 7) einer erneuten prüfuug
(s. 27 ff.) und setzt sich dabei (s. 43f.) insbesondere auch mit den gründen nochmals
auseinander, die Brunner (Deutsche rechtsgeschichte I* 248 ff.) für seine auf-
fassung der ältesten todesstrafe als einer blossen Vollstreckung der friedlosigkeit
beigebracht hat. Hier scheinen mir allerdings die schwierigki-iten, die das um-
strittene c. 48 der ewa Chamavorum der auslegung bereitet, auch durch des Ver-
fassers neueste bemerkungeu noch nicht gehoben zu sein. Die beweiskraft aber,
die Brunner auf grund seiner deutung der stelle zuschreibt, ist jedesfalls zu weit
bemessen, und keineswegs findet seine auffassung, wie Amira mit recht betont, in
den sogenannten zufallsstrafen eine stütze.
Der sakrale charakter der 'dem juristischen rahmen der friedlosigkeit ein-
gefügten todesstrafe' äusserte sich aber auch nach Brunners meinung darin, 'dass
nicht eine beliebige, sondern eine genau bestimmte art der todesstrafe stattfand,
die mit rücksicht auf die religiösen anschauungen des volkes bei den verschiedenen
todeswürdigen verbrechen eine verschiedene war' (Grundzüge der deutschen rechts-
geschichte' s. 19 f.). Die besonderheit des sakralen Strafrechts erschöpft sich somit
nicht darin, dass hier 'die Vollstreckung der friedlosigkeit aus religiösen gründen
den priestern vorbehalten war' (Eechtsgeschichte I^ s. 2-.8). Vielmehr hat nicht
nur die Vollstreckung einzig und allein durch tötung zu erfolgen, sondern diese
muss auch im wege der Opferung und ferner auf verschiedene weise je nach der
art der zu sühnenden tat vollzogen werden. Durch das verbrechen selbst, um dessent-
willen die friedloslegung erfolgte, war somit die art ihrer Vollstreckung mit einer
auch die vollziehenden priester verbindenden kraft bis in die einzelheiten hinein
genau bestimmt. Rechtssätze und urteile der frühzeit, die ein bestimmtes neidings-
werk zum gegenstände hahen, besagen daher der sache nach nicht weniger, als
31*
454 PAPPEXHEIM, ÜBER AJIIRA, DIE GERMANISCHEN TODESSTRAFEN
reclitsätze, die für ein bestimmtes verbrechen eine der art nach genau bezeichnete
todesstrafe androhen, oder urteile, die sie aussprechen.
Als nicht durchgreifend erweist sich schon hiernach der von Stutz (a. a. o.
s. 339) gegen von Amira erhobene einwand, es handle sich bei den die todes-
strafe ausdrücklich nach ihrer art bezeichnenden todesurteilen vor allem, ja eigent-
lich nur um nordische, d. h. im vergleich mit den volksrechteu erheblich jüngere
rechtsbücher und aus Deutschland lediglich um spätmittelalterüche Urteilsformeln.
i'ber die wertung der nordischen rechtsbücher braucht hier kein wort verloren zu
werden. Wenn aber nur ihnen ausdrückliche Zeugnisse für die in rede stehende
fassung der urteile zu entnehmen sind, darf daraus selbstverständlich nicht gefolgert
werden, dass die auf grund übereinstimmender westgermanischer Satzungen (von
Amira s. 37 {.) ergangenen urteile von der art der verhängten todesstrafe geschwiegen
hätten, oder auch nur, dass ihrem etwaigen schweigen gegenüber der materiell-
rechtlichen bestimmtheit der todesart irgendwelche bedeutung zukäme. Diese, wie
von Tacitus, so von den ältesten west- und ostgermanischen rechtsbüchern gleicher-
massen bezeugte 'distinctio poenarum ex delicto' aber lässt sich schlechterdings
nicht darauf zurückführen, dass das herkommen sich etwa 'auch des Vollzugs be-
mächtigt und bei der abspaltung, vielleicht zunächst bei den kultdelikten, dann bei
den drei haupttaten und ihren verwandten, schliesslich auch darüber hinaus, be-
stimmte arten des Vollzugs immer wieder bevorzugt und damit ausschliesslich
gemacht haben' könne (so Stutz a. a. o. s. 340). Die Unterstellung einer derartigen
entwicklung widerstreitet durchaus dem quellenmässigen befunde und ist zumal
mit der tatsache nicht verträglich, dass ein innerer Zusammenhang zwischen der
art der todesstrafe und der durch sie zu sühnenden tat hinsichtlich einiger ver-
brechen erwiesen, darüber hinaus zum mindesten wahrscheinlich gemacht ist.
Unter den argumenten, die nicht nur die gegnerische beweisführung zu ent-
kräften, sondern positiv dem nachweis eines selbständig dem system der friedlosig-
keit gegenüberstehenden sakralen strafrechts dienen sollen, wird nach wie vor das
gewicntigste dem wesen der friedlosigkeit als einer nur 'negativen' verbrechens-
folge entnommen werden. Dass die friedlosigkeit in diesem sinne zu verstehen ist,
halte ich mit Amira für gewiss. Mit rücksicht auf die Wichtigkeit der frage sei
aber hier noch auf ein für ihre beantwortung erhebliches moment hingewiesen, das
sich gerade auch aus dem sonst spröderen westgermanischen quellenraaterial ge-
winnen lässt.
Mit recht bemerkt von Amira (s. 36), dass das in ächtungsformeln wie in
rechtssätzen ausgesprochene verbot, dem friedlosen menschen unterstand oder nahrung
zu geben oder ihm fortzuhelfen, sich mit dem 'negativen' Charakter der friedlos-
legung sehr wohl verträgt, weil diese tatbestände unter den gesichtspunkt der
strafbaren begünstigung des friedensbrechers fielen. Man wird indessen hierüber
hinausgehen und jenen verboten ein argument gegen die annähme eines 'positiven'
Charakters der friedlosigkeit entnehmen können. Brunuer (Forschungen s. 445)
erachtet für wahrscheinlich, dass die mit dieser annähme unterstellte Verpflichtung
der rechtsgenossen, den friedlosen zu verfolgen und zu töten, vom ältesten rechte
nicht durch androhung von busse oder strafe gesichert war. Er meint, es habe
dessen im hinblick auf das starke gemeingefühl der Volksgenossen nicht bedurft.
Wenn dem so war, muss hierin schon eine änderung eingetreten gewesen sein, als
man die (zum teil bereits aus dem 5. Jahrhundert üborlieferten) Strafandrohungen
gegen das hausen und hofen friedloser für nötig hielt. Dann aber wäre zu er-
NAUMANN ÜBER HOFFMANN, DER MITTELALTERLICHE MENSCH 455
•warten, dass neben dem verböte, den friedlosen zu begünstigen, mindestens ebenso
sehr das gebot, ihn zu verfolgen und zu töten, der Sicherung durch Strafandrohung
bedurft hätte. Von hierauf abzielenden rechtssätzen ist aber nichts zu bemerken.
Denn was in dieser beziehung angeführt wird, hat, wie Amira (s. .86) zutreffend
ausführt, seineu grund in der allgemeinen genossenpflicht zur rechtshilfe und ist
unabhängig davon, ob der verfolgte wirklich friedlos ist, wie es andererseits in der
regel voraussetzt, dass diese rechtshilfe — insbesondere mittels des gerüftes — im
einzelfalle in anspruch genommen worden ist. Die etwaige abschwächung des
gemeingefühls hätte aber gewiss früher zur Unterlassung der Verfolgung und tötung
des friedlosen, als zu seiner positiven Unterstützung geführt. Es ist daher aus-
geschlossen, dass nur diese mit strafe bedroht worden wäre, wenn eine verfolgungs-
und tötungspflicht bestanden hätte. War letzteres dagegen nicht der fall, so
musste ein recht, das sich mit der negativen Wirkung der friedlosigkeit nicht mehr
begnügen wollte, naturgemäss zunächst der positiven Unterstützung des friedlosen
entgegentreten, bevor es daran denken konnte, die blosse Schonung seines lebens
unter strafe zu stellen.
Wir können jedoch von hier aus noch einen schritt weiter tun. Schon nach
den beiden stellen der lex Salica, die das verbot der speisung und beherbergung
des friedlosen enthalten, gilt dieses verbot'auch für die nächsten verwandten und
die ehefrau des missetäters. Die nachdrücklichkeit, mit der dies betont wird, scheint
auf einen älteren rechtszustand hinzuweisen, welcher nahen angehörigen des fried-
losen dessen Unterstützung wenigstens innerhalb gewisser grenzen freigab. Für
nordgermanische rechte ist ein solcher rechtszustaud und sein allmähliches ver-
schwinden quellenmässig nachweisbar (Wilda, Strafrecht der Germanen s. 287 ;
Pappenheim, Die altdänischen schutzgilden s. 397 f.). Wiederum hören Avir aber
nichts davon, dass die angehörigen des friedlosen zunächst einmal von der Ver-
pflichtung befreit gewesen wären, ihn zu verfolgen und zu töten — ein weiterer
grund gegen die annähme, dass eine solche Verpflichtung durch die friedloslegung
den Volksgenossen erwachsen wäre.
KIEL, Januar 1924. max pappenheim.
Dr. Paul TU. Uoifmanii, Der mittelalterliche mensch. Gesehen aus weit
und umweit Notkers des Deutschen. Verlag Friedr. Andr. Perthes a.-g. Gotha. 1922.
Der Verfasser sagt von sich ausdrücklich, er habe dieses werk als Germanist
geschrieben und wünsche von hier aus gewürdigt zu werden ; aber wenn er nun
zu Notkers 'Boethius' s. 196 bemerkt: 'Die erläuterungen entstammen einem kom-
mentar, den wir nicht kennen', so müssen wir hinter den 'Germanisten', der über
ein thema schreibt, ohne die einschlägige literatur und ihre ergebnisse zu kennen,
ein fragezeichen setzen. Denn seit 10 jähren wissen wir, dass dieser kommentar
im wesentlichen der des Remigius von Äuxerre war: Eemigius in der hauptsache
war das medium, durch welches Notker den BoSthius erhielt, so etwa wie Boethius
selbst das medium war, durch welches Notker den Aristoteles erhielt. Manches
also, 'was Notker sagt', erscheint in einem andern lichte, weil es bereits bei Remigius
steht, z. b. auch die stelle Piper I, 338, 2 über die Verzückung des Benedikt
(Hoffmann s. 332), und manches von dem, was H. sagt, hätte wohl ein anderes
aussehen bekommen, wenn er sich auch über Kögel und Kelle hinaus um die Notker-
4.5G PANZER
literatur bekümmert hätte. Auch angesichts der zahlreichen artikel, die allenthalben
zu Notkers lOOOjährigem todestag am 29. juni d. j, erschienen, habe ich mich ge-
fragt, wozu man eigentlich arbeitet, wenn die erzielten ergebnisse so wenig Wirkung
tun und unentwegt die alten Irrtümer breit getreten werden. Zu vorliegendem
buche mu.ss ich also leider bemerken, dass zu dem einen ziele, welches H. sich
ausdrücklich steckt, nämlich den engeren fachkreiseu eine umfassende monographie
über Notker zu schreiben, schon die notwendigsten unterlagen fehlen. H. weiss
nicht, dass zu einer 'grossen Zusammenfassung' die ersten linien bereits vor längerer
zeit gezogen waren. Aber H. will 'geistesgeschichte bringen' und sieht sein
grösseres ziel in einer Charakteristik des mittelalterlichen menschen überhaupt.
Nach der Diltheyschen methode verfasst, erhebt sein buch die ansprüche, für Notker
etwa das zu sein, was Gundolfs und Bertrams bücher für Goethe, George und
Nietzsche sind. Nun ist aber der 'mittelalterliche mensch' als solcher eine ab-
straktion, die sich verflüchtigt, wenn man schärfer zufasst, denn von Jahrhundert
zu Jahrhundert ist auch im mittelalter der mensch durchaus verschieden. Was H.
zeichnet, ist, genauer formuliert, der klösterliche mensch der humanistisch ange-
hauchten benediktinerkultur vom ausgang der ahd. zeit, der zeit vor den grossen
kirchenreformen, ist also nur ein bruchteil des mittelalterlichen menschen. H. ist
sich dieses übrigens naheliegenden einwands durchaus bewusst. Was fehlt, ist vor
allen dingen neben dem mönchisch-mittelalterlichen mensch der ritterlich-mittel-
alterliche mensch. Aber es ist eben unmöglich, den höfischen ritter des 13. Jahr-
hunderts mit dem humanistischen mönch vom jähre 1000 unter die eine formel
'mittelalterlicher mensch' zu bringen, und die unzulänglich kühne konstruktiou, die
H. zuletzt von Notker zum Parzival und zum Tristan ausführt und aufbaut, wird
uns nur noch mehr davon überzeugen. Im gründe ist dies buch aus dem roman-
tischen zuge unserer zeit geboren. Immerhin ist der versuch einer synthese wenig-
stens des römisch-mittelalterlichen menschen, gesehen aus Avelt und umweit Notkers,
ganz an sich natürlich zu begrüssen. Es werden in unsern tagen gewiss noch
mehr derartige bücher geschrieben werden, und sie werden uns erwünschte ergän-
zungen zu den analytischen werken der älteren forscher sein. Wie anders als es
Schönbach 1894 «chrieb, würde und müsste z. b. ein buch über Hartmann heute
ausfallen und wie willkommen wäre uns diese ergänzung! Der romantische gruudzug
kommt dem buche übrigens zustatten. Diese mit liebe, fleiss, Versenkung und
geschmack erfolgte darstellung der Sankt-Gallischen kultur spricht den leser an
wie ein tief vergeistigter Soheffelscher 'Ekkehard', und die Charakteristiken Salo-
mons in., des Balbulus, des Tuotilo, die kapitel 'Sauctus Benedictus', 'Die menschen
der Cella Sancti Galli', 'Die knaben im kloster' wird man nicht ohne wirkliche
freude lesen.
FRANKFURT A. M. 1922. H. NAUMANN.
Nibelungensage und Nibelungenlied. Die stoffgeschichte des deutschen
heldenepos, dargestellt von Andreas Heusler. Dortmund, Fr. Wilh. Ruhfus,
1921. 235 s.
Es mag für den Verfasser eine lust gewesen sein, dies buch zu schreiben.
Seit 20 Jahren hat er in einer langen reihe von abhandlungen sich um die auf-
ÜBER HEüSLER, NIBELUNGENSAGE UND NIBELUNGENLIED 457
liellung der Nibelungensage bemüht. Hier zieht er die summe, indem er von der
glänzendsten formung der sage, dem Nibelungenliede, aus das erreichte betrachtet.
Was er vorlegt, darf teilnähme über den kreis der fachwissenschaft hinaus fordern.
In synthetischem verfahren baut seine schrift die Vorgeschichte des liedes
vor dem leser auf. Zwei ursprünglich getrennte ströme, Brünhild- und Burgunden-
sage, sind in seiner erzählung zusammengeronnen.
In einem fränkischen liede des 5., 6. jahrunderts hat die Brünhildsage zuerst
gestalt gewonnen. Der Inhalt dieser verlorenen dichtung wird aus den Eddaliedern
deutlich, dem alten Sigurdliede vor allem, in dem ihr grundriss sich unverändert
behauptet. Sie erzählte, wie Sigfried, Sigmunds söhn, nach Worms zu den
Gibichungen kommt, mit Kriemhild sich vermählt und ihrem bruder Günther Brün-
hild erwerben hilft, die auf einer insel im fernen norden hinter einem flaramenwalle
sich geborgen, nur demjenigen sich hinzugeben bereit, der das feuer durchreitet.
Siegfried durchdringt die flammen in Günthers gestalt, ruht drei nachte keusch
neben Brünhild und behält ihren ring auch nachdem die getäuschte sich mit Günther
vermählt hat. Beim bade geraten die frauen in streit, mit dem ringe erhärtet
Kriemhild ihre schelte, dass Brünhild ihres mannes kebse sei. Brünhild fordert
Siegfrieds tod. Hagen, Günthers wallenmeister, mordet ihn auf der jagd, da er
seine verwundbare stelle kennt. Die leiche wird Kriemhild ins bett geworfen,
Brünhild tötet sich selbst.
Dies kurze stabreimende lied — es war in einer Viertelstunde anzuhören —
hat späterhin die form des endreimenden verses angenommen, ohne sich in seinem
Inhalt wesentlich zu ändern. Gegen ausgang des 12. Jahrhunderts aber verfiel es
der eingreifenden bearbeitung eines spielmanns. Er beseitigte flammenritt und
gestaltentausch und führte an ihrer stelle die kampfspiele mit der tarnkappe ein;
aus dem keuschen beilager machte er die bezwingung der Brünhild, aus dem zank
im bade einen auftritt in der halle. Brünhilds tod ward fallen gelassen, ihre ge-
stalt trat überhaupt hinter Kriemhild zurück. Schon werden romanische Vorbilder
deutlich: auf die erzählung von der jagd übte der provenzalische roman von Daurel
und Beton einfluss. Kriemhilds träum verrät einwirkung des Minnesangs. Das
lied hatte etwa 200 Strophen vou je 2 langzeilen. Der name Burgonden, der hier
die Gibichungen ersetzte, erweist entstehung in den Eheinlanden. Der Inhalt der
verlorenen dichtung wird aus der nacherzählung in der J*iörekssaga erschliessbar.
Von einem fränkischen heldenliede — es mag drei bis vier geschlechter älter
gewesen sein, als das Brünhildenlied — nahm auch die Burgundensage ihren aus-
gang. Wieder fangen wir diese älteste gestalt der sage im spiegel nordischer
dichtung auf; die Atlakviöa hat den grundriss im wesentlichen bewahrt. Auf dem
geschichtlichen gründe der ereignisse von 437 und 453 erwachsen, erscheint die
sage bereits in äusseren Zusammenhang mit dem Brünhildenstoffe gebracht. Etzel,
Kriemhilds zweiter gatte, wünscht den hört zu erwerben, den seine schwäger und
ihr halbbruder Hagen, der Eibensohn, nach Siegfrieds ermordung im Rheine ge-
borgen haben. Sie folgen seiner einladung ^trotz der warnung ihrer Schwester.
Etzel lässt seine gaste beim gelage überfallen. Günther und Hagen werden nach
tapferer gegenwehr gefesselt, Hagen wird das herz ausgeschnitten, Günther in den
schlangenhof geworfen. Kriemhild rächt die brüder, mordet ihre und Etzels söhne,
setzt sie dem gatten als ekle speise vor, tötet Etzel und verbrennt sich selbst mit
<ler halle.
458 PANZEU
Das fränkische lied wanderte im 8. jahrliundert nach Baiern. Hier aber lebte»
ostgotisches erbe, als beliebtester stoff von lange her die Dietrichsage. Sie zeigte
Etzel in ganz anderem lichte ; das gab den anlass zu einer wesentlichen Umgestaltung
der Burgundensage auf bairischem boden. Etzel wurde entlastet, Kriemhild der
verrat zugeschoben, den goldgier und gattenrache nun zwiefach begründen. Tötung
der knaben, saalbrand, tod der königin blieben mit Wandlungen, die wesentlich
durch das hereinziehen Dietrichs von Bern bedingt waren. Als herkömmlich ersten
beiden am hunnischen hofe Avar in Baiern seine mitwirkung am untergange der
Gibichungen unerlässlich, ja als bezwinger Hagens (der hier hauptheld geworden
ist an stelle Günthers) und sein rächer darf er die rolle des richters spielen.
Diese eingreifende Umgestaltung war die persönliche tat eines einzelneu
dichters. Sie hat die beiden sagen von Brünhild und deu Burgunden innerlich
verbunden. Äusserlich, in ihrer literarischen ausgestaltung, blieben sie trotzdem
getrennt und zwar auch dann noch, als bald nach 1160 ein spielmanu in Österreich
das Burgnndenlied, das inzwischen endreimende form angenommen hatte, ohne
seinen Inhalt zu ändern, zu einem epos vom sechs- bis achtfachen umfange aus-
weitete. Den anreiz zu solchem unternehmen boten die seit einem menschenalter
aufgekommenen epen nach romanischen Vorbildern, die vorher schon ein epos vom
könig Rother und ein verlorenes von Dietrichs flucht hervorgelockt hatten. Als
form wählte der spielmann für sein epos nicht die allzu kurzatmigen reimpaare
des könig Eother, sondern eine Strophe, die sein landsmann, der Kürenberger, so-
eben für den minnesang erfunden hatte; sah die doch aus wie eine stattlichere
Schwester jener langzeilenpaare, in denen das Burgundenlied abgefasst war. Seine
dichtung war freilich trotz dieser Strophe ein uusangbares buchwerk. Es wandte
sich schon an höfische kreise, redete aber noch eine einfachere spräche als das
spätere Nibelungenlied und trug im ganzen noch mehr das alte heldische als ein
höfisch ritterliches gepräge. Blieb die fabel in ihren grundzügen schier unver-
ändert bestehen, so änderte sich doch die erzählungsweise: den springenden sparsamen
liedstil ersetzte eine ausführlichere giiederreiche darstellung. Sie ward erreicht
nicht bloss durch sprachliches anschwellen und verweilendes schildern. Innerhalb
der gegebenen fabel setzt nun doch ein starkes neubildeu und erfinden ein: die
zahl der personen wird nahezu verdoppelt (10 zu 16 bis 20), die zahl der auftritte
etwa verachtfacht (7—8 zu mehr als 60) ; mehrfach erscheinen die neuen auftritte
eben auf die neugeschaffenen gestalten gestützt. Und nicht nur nebenpersonen wie
Uote, der Ferge, die Donauweiber, markgräfin Gotlind und ihre tochter sind neu-
geschaffen und in den gesinden massen in bewegung gesetzt, auch heldenrolleu
werden neu erfunden. Französische anregungen reizten zur einführung des heldischen
spielmanns Volker, Hildebrand und Iring wurden aus bereitliegenden sagen genommen,
vor allem aber Rüdeger aus dem österreichischen Dietrichsepos herbeigeholt, dessen
dichter diese gestalt kurz vorher als verklärtes gegenbild der Babenherger mark-
grafen geschaffen hatte, als huldigung vermutlich für Heinrich Jasomirgott f 1177,
in dem wir den auftraggeber dieser ältesten schreibenden heldendichter vermuten
dürfen.
Dies ältere Burgundenepos ist uns, trotzdem es aufgeschrieben wurde, nicht
erhalten, weil es alsbald durchs Nibelungenlied verdrängt ward. Seinen Inhalt aber
finden wir recht gut in der darstellung der fiörekssaga bewahrt, deren erzählung
vom Burgundenuntergange auf ihm beruht.
ÜBER HEUSLER, NIBELUNGENSAGE UND NIBELUNGENLIED 459"
So weit war die sage entwickelt, als dann ein raensclienalter nach diesem
österreichischen epiker der dichter des Nibelungenliedes auf den plan trat.
Landsmann und Standesgenosse seines Vorgängers, aber aufgewachsen in-
anschauung der ritterlichen epik, die in den seither verflossenen zwei Jahrzehnten;
erblüht war, wünschte er eine ritterliche Verklärung der alten heldenweit zu geben;
lag sie ihm, dem Österreicher, doch immer noch näher als jene welschen ritter-
mären, an die seine westlichen altersgenossen, ein Hartmaun, Wolfram, Gottfried
sich verloren. Er griff das Burgundenepos des älteren landsmannes auf und suchte
es auf die höhe der neuen kunst zu heben. Indem er die äussere form der Nibe-
lungenstrophe beibehielt, sicherte er sich eine bequeme möglichkeit, breite stücke
der vorläge zu übernehmen. Diese strophenform musste sich nun aber auch
das rheinische Brünhildenlied gefallen lassen, das er, wie es stofflich ja längst mit
der Burgundensage in beziehung getreten war, dieser nun auch äusserlich als Vor-
geschichte verband. Dies verfahren machte eine innere ausgleichung der beiden
Stoffe notwendig. Es galt, sachliche Widersprüche mannigfacher art nach möglich-
keit zu tilgen, bisher nur in einem der beiden teile auftretende personen in beiden
zu beschäftigen, endlich auch ein gewisses äusseres gleichgewicht herzustellen, was
ein starkes auffüllen der mageren ersten hälfte bewirkte. Die stärkste Verkettung
ergab der neue gedanke, Kriemhild zur beherrschenden gestalt der ganzen dichtung
zu erheben; es war natürlich, dass Brünhild dadurch noch stärker in den hinter-
grund gedrängt wurde.
Des weiteren galt es nun, den ganzen stoff zeitgerecht aufzuarbeiten. Das
altfränkische wurde abgestossen, die neue ritterliche umweit in breiten Schilderungen
hereingezogen, die den ersten teil bequem füllen halfen. Denken, reden und
handeln der gestalten formte sich aus feinerem, wählerischem geiste; freilich blieb
dazwischen manches überlebsei des alten. Nicht minder ward spräche und vers
der neuen kunst augenähert und die darstellung so breit und reich entwickelt, dass
die vorläge im zweiten teile auf das zweieinhalbfache, im ersten gar aufs zehnfache
angeschwellt wurde. Rein sprachliche ausweitung, beredtere Seelenschilderung und
einführung neuer gestalten führten zu diesem ergebnis. Dankwart, Sigmund,
Alberich, Pilgrim, Else und Gelpfrat wurden neu erfunden und ganze Zwischenspiele-
wie der Sachsenkrieg, Siegfrieds besuch bei Alberich, der verrat des geheimnisses
durch Kriemhild, Sigmunds heimkehr und die einbringung des hortes im ersten
teil, im zweiten die beiden grossen Dankwartszenen, der kämpf der Burgunden mit
den mannen Dietrichs, vorher das massenturnier und der wunderbare auftritt 'Wie
er niht gen ir ufstnont' sind neuschöpfungen dieses dichters. Sind diese Zwischen-
spiele nach ihrem grundriss freischweifender einbildungskraft entsprungene ausbauten
epischen stiles, so werden für manches einzelne nebenquellen deutlich: aus heldischer
und höfischer dichtung, chronik und Zeitgeschichte liess dies und jenes sich schöpfen.
In eingehenden erwägungen sucht der Verfasser darzutun, was von den älteren
stufen, die in den nordischen quellen fassbar werden, noch in der letzten dichtung
sich erhalten, was und wie ihr Schöpfer, der ein dichter war, kein blosser bearbeiter^
umgestaltet und zugefügt hat.
Seine Verdienste werden zusammenfassend gewürdigt, allgemeinere betracht-
ungen haben dazwischen erläutert, welche grundsätzlichen Vorgänge bei der epen-
entwicklung zu beobachten sind. An vier abschnitten des Nibelungenliedes wird
zum Schlüsse gezeigt, Avie das vorgetragene nun in umkehr zur analyse sich an-
460 PANZBE
wenden lässt, um im überlieferten texte die drei, vier schichten zu erkennen, die
allenthalben übereinander lagern.
1816 bis 36 erschienen Lachmanns forschungen über das Nibelungenlied und
seine Vorgeschichte, hundert jähre später dies buch: welch ein abstand! Und vor
;illem dies: von Lachraanus Untersuchungen fuhrt kein weg, keine organische ent-
wicklung zu den ergebnissen Heuslers. Es bedurfte eines vollständigen verlassens
der von Lachmann eingeschlagenen bahnen, um zu ihnen vorzudringen.
Es war das unbegreifliche an Lachmanns Nibelungenforschung, dass er, ge-
blendet vom homerischen licht, das Nibelungenlied aus seinen lebendigen beziehuugen
gerissen und in eine künstliche Vereinzelung gestellt hatte, wie sie bei den
Homerischen gedichten beklagenswerte tatsache ist. Heuslers Untersuchung aber
ist ganz und gar auf vergleichung gestellt; nur das dauernde herbeiziehen der
vielgestaltigen nordischen Überlieferung und alles sonstigen, was sich aus unserem
stoffkreise anbietet, hat ihn in den stand gesetzt, seine bedeutsamen ergebnisse zu
erringen.
Enge damit zusammen hängt ein zweites: das buch hat in strengstem sinne
ernst gemacht mit der einsieht, dass heldensagc dichtuug sei. Eine 'sage' ausser-
halb der dichtung gibt es nicht; heldensage und volkssage sind nach wesen und
lebensbedingungen gänzlich verschieden. Es werden die äussersten folgerungen aus
dieser einsiebt gezogen. Die verschiedenen stufen der sage bedeuten für unseren
Verfasser nichts anderes als eben so viele dichterische persönlichkeiten, die in
freier künstlerischer tätigkeit diese stufen geschaffen haben. Im gründe ist die
ganze geschichte des Nibelungenliedes dasein und ablösung von 6 dichtem, die
nacheinander den stoff formten. Das volk, die gemeinschaft hat daran keinerlei
anteil. Der Verfasser spricht, 'recht aufklärerisch eingestellt, vom Volke nicht eben
mit Verehrung: die heldensage vom Burgundenuntergang ist ihm nichts weniger
als 'vom volhsmund zerschwatzte geschichte'. Es entbehrt nicht des pikanten reizes,
dass ein so hocharistokratisches buch eben in unseren tagen und ausgerechnet von
einem Schweizer — einem Basler freilich — geschrieben werden konnte.
Der Verfasser hat seiner arbeit den Untertitel gegeben : 'Die Stoffgeschichte
^es deutschen heldenepos'. Die bezeichnung könnte irreführen. Wir wären geneigt.
das buch eher die geschichte der form unserer Überlieferung zu nennen, das wort
in jenem weiteren und tieferen sinne genommen, der die innere formung mit be-
greift. Sie ist in Wahrheit das eigentliche augenmerk des Verfassers, für die ge-
schichte des Stoffes ausserhalb seiner dichterischen formung zeigt er sogar auffallend
geringen anteil. Über manche stofflichen Voraussetzungen der von ihm aufgestellten
lieder wird mit bemerkungen hinweggegangen, deren flüchtigkeit in seltsamem
gegensatze steht zu der tiefbohrenden art, die sonst die darstellung kennzeichnet.
Wir hätten zu dem buche im ganzen und einzelnen mancherlei auf dem
herzen. Wir bemerken, dass wir, romantischer gestimmt als der Verfasser, nicht
imstande wären, die geschichte unserer heldensage derart in klar bestimmte künstler-
geschichte aufzulösen, einer eng und genau bestimmten zahl von dichtem zu über-
schreiben ; wir bekennen, dass manches, was Heusler von der freiheit und selbst-
herrlichkeit dieser dichter und ihrer erfindungeu sagt, uns der gesicherten erfahrung
zu widersprechen scheint, die man sonst an mittelalterlicher Überlieferung machen
kann. Wir gestehen, dass die hehauptete entwicklung der Brünhildsage mit ihren
zwei stufen uns unglaubhaft dünkt, wir empfinden die Schrift öfter als das buch
ÜBER HEU.SLER, NIBELUXGENSAÜE UND NIBELUNGENLIED 461
eines Skandinavisten, der seiue massstäbe sich ganz aus nordischer Überlieferung
gebildet und in der kühle da droben ein wenig vergessen hat, dass im süden
weichere winde wehen.
Aber alle einwendungeu, die wir machen könnten, verstummen vor der
freudigen anerkennung des geleisteten. Wir stehen nicht an, dies buch als das
beste und folgenreichste zu bezeichnen, das bisher über das Nibelungenlied ge-
schrieben wurde. Es bedeutet in Wahrheit einen markstein in der geschichte der
forschung, und es ist mit Zuversicht zu erwarten, dass vieles von dem, was der
Verfasser darlegt, sich als dauernder gewinn behaupten wird.
"Wir danken dem Verfasser auch für die form, in der er seine forschungen
dargeboten hat. Sein buch wendet sich an weite kreise und er hat in vorbildlicher
weise verstanden, wissenschaftliche gründlichkeit und gemeinverständlichkeit zu
verbinden. Feinfühlig geht er allen absichten der alten dichter nach, scharf und
klar gestaltet er mit immer bildhaft schmiegsamem ausdruck das geschaute. Zu-
gleich erweist sein buch, im reinsten deutsch geschrieben, dass es möglich ist, die
feinsten künstlerischen regungen zu schildern, ohne in jenes kauderwelsch zu
geraten, in dem unsere Ästheten von heute sich gefallen, mit dem sie oft sich und
andere darüber hinwegzutäuschen suchen, dass sie in Wahrheit nichts zu sagen
haben. Als Schweizer scheut der Verfasser sich auch nicht, gelegentlich ein
'urchiges' wort seiner heimat in seine rede zu mischen.
Heusler hat mit seinem buche wieder gut gemacht, was die germanistische
Wissenschaft am Nibelungenliede verbrochen hat. Am beginne des vergangenen
Jahrhunderts war altdeutscher dichtung und dem Nibelungenliede im besonderen
schon einmal die teilnähme der ganzen nation geschenkt. Die Wissenschaft hat
rasch verstanden sie zu ersticken, indem sie die Überlieferung mit einem stachel-
draht hochmütiger gelehrsamkeit umzäunte und hundert schilder in die runde stellte,
die unbefugten, d. h. allen, die kein reimwörterbuch und keine grammatik studiert
hatten, den zutritt wehrten. Und das arme Nibelungenlied sah sich in solcher
pflege bald derart vom geifer ineinander verbissener philologen überschäumt, dass
kein gebildeter es mehr anrühren mochte. Langsam sind die lüfte über der dichtung
reiner geworden. Zu Heuslers buch ist nun jeder geladen. Es bedarf keiner ge-
lehrsamkeit es zu lesen, und wer es aufgenommen hat, wird mit tieferem Verständnis
und reinerem genusse zur dichtung selbst sich zurückwenden. Das ist die schönste
frucht, die es tragen kann.
Für seine wissenschaftliche lebensbahu möchten mir dem buche schliesslich
noch eines wünschen. Der Verfasser tritt mit gewicht auf, abweichende meinungen
werden, wo sie hindernd auf seinen bahnen stehen, mit höflicher bestimmtheit aus
dem wege gewiesen. Möchte dem buche erspart bleiben, dass eine geschäftige
anhängerschaft seine ergebnisse alsbald kanonisiere, wie es einst mit Lachmanns
meinungen geschah. Dann wird ihm ein fruchtbares fortwirken und dauerndes leben
beschieden sein.
HEIDELBERG. FRIEDRICH PANZER.
462 STRAUCH
Bibliotheque de la faculte de philosophie et lettres de 1 'uni ver-
8it6 de Li6ge. Fase. XXXIII: Sermons de J. Tauler et autres ecrits
mystiques. 1. Le codex Vindobonensis 2744, edite pour la premiere fois, avec
les variantes des 6ditions de Vetter (1910), de Leipzig (1498), d'Augsbourg
(1508) et de Cologne (1543), precede d'une introduction et annote par A. L. Corin,
Charge de cours ä l'universite de Liege. Liege et Paris 1924. XXXI et
328 p. 8«.
Mit den beiden, von der forschung bisher wenig berücksichtigten Wiener
Taulerhandschriften 2739 und 2744 hat sich neuerdings L. Naumann in dieser Zeit-
schrift 46, 269 (vgl. dazu Beiträge 44, 16) näher befasst, indem er ihren Inhalt,
genauer als Hoffmann von Fallersleben es getan, verzeichnete, auch von beiden
Codices je eine predigt (Ausgew. pred. J. Taulers, 1914, s. 5 nr. 1 ; diese Zeitschrift
46, 280 ff.) abdruckte. Der hier zur besprechung stehende band bildet den ersten
eines auf drei teile berechneten Werkes und gibt einen vollständigen abdruck der
Wiener hs. 2744 mit gegenüberstellung der entsprechenden stücke des Augsburger
druckes von 1508 (A), an zwei stellen (nr. 13. 14) auch des Kölner druckes von
1543 (C). Der apparat verzeichnet die lesungen bei Vetter sowie die lesarten von
LAC. Im zweiten band soll dem umfangreicheren ', interessanteren cod. 2739 der
Leipziger druck von 1498 (L) an die seite gestellt, gleichzeitig auch hier C ergän-
zend herangezogen werden. Der dritte teil wird sich mit der spräche der manu-
skripte und der Taulerischen terminologie zu befassen haben. Der herausgeber hat
bereits in einigen kleineren beitragen sprachlicher und textkritischer art sein Interesse
für Tauler bekundet, s. Neophilologus 6, 161. 8, 30; Leuvensche bijdragen 15 (1923),
56 ; weiteres verheisst er für demnächst im Bulletin bibliogr. du Musee Beige und
in der Revue Beige de phil. et d'histoire. Bei aller anerkennung der bei der
materialsammlung aufgewandten umsieht kann nicht verschwiegen werden, dass der
erste band des breit angelegten Werkes der Taulerkritik nur bedingt zugute kommt,
insofern der Taulertext durch den vollständigen abdruck der ganzen Wiener hs.
nicht allzuviel gewinnt. Corin verfolgt noch einen weiteren, rein sprachlichen
zweck : es ist ihm um eine übersichtliche wiedergäbe dialektisch verschiedener text-
gestaltungen zu tun. Es besteht nicht etwa ein näheres Verhältnis zwischen Wien
2744 und A, oder Wien 2739 und L, sondern den ripuarischen Wiener texten
werden in A ein oberdeutscher, in L ein mitteldeutscher text gegenübergestellt, zu
denen vereinzelt sich der Kölner text C gesellt. Lohnt aber, um diese in allen
färben schillernden texte überschauen zu können, — sie sollen im dritten teile ge-
würdigt werden — die dafür aufgewandte mühe und Sorgfalt? ich glaube nicht,
denn wenn auch Wien 2744 vereinzelt — Corin spricht s. IX übertreibend von
'nombreuses variantes' — den Vetterschen text zu bessern vermag, wenn es auch
■willkommen ist, die lesarten der drucke LAC (Basel 1521 wird nur für nr. 14,
nicht 12, wie es s. XII heisst, herangezogen) bequem zur hand zu haben, so wird
letzten grades unsere erkenntnis doch nur darin gefördert, dass wir sehen, wie
auch die Überlieferung der Wiener hss. nach Köln führt, wo Tauler 1339 und 1346
verweilte, wohin der Kölner druck C und auch die textgestalt weist, aus der die
oberdeutschen EFS hervorgegangen sind, ein ergebnis, das wir gewiss nicht unter-
1) Bei Naumann sind Zeitschr. 46, 270 z. 20. 21 die Signaturen der beiden
Wiener hss. umzustellen: 2744 (nicht 2739) enthält 16 nummern, von denen die
beiden letzten für Tauler ausscheiden ; 2739 mit 66 stücken stellt wichtigere probleme.
ÜBER TAULER, BIBLIOTHEQUE DE LA FACULTE DE PHILOSOPHIE ET LETTRES 463
schätzen wollen, denn es bestätigt die tatsache, dass wir bisher wie der mittel-
niederdeutschen so auch der rheinisch-niederfränkischen Überlieferung mystischer
texte nicht genügend beachtung geschenkt haben. Wien 2744 gehört zu den ältesten
zeugen der Taulerüberlieferung, dass sie gerade die älteste hs. sein miisste, wäre
aber doch zu viel behauptet, s. s. IX. XXVII.
Die einleitung gibt eine sehr gründliche Charakteristik der Wiener hs. :
einband, Zusammensetzung, Ursprung (sie gehörte zeitweise zur büchersamralung
von Goethes grossoheim J. M. von Loen), datierung, schrift, predigtenfolge werden
besprochen ; für den abdruck hat sich Corin an die Vettersche Zählung angeschlossen,
es sind die nr. 36-38. 40. 45. 57. 60 a b e f g. 63. Auf nr. 13 und 14 wird noch
zurückzukommen sein; die kleinen stücke nr. 15 und 16 kommen für Tauler wohl
nicht in betracht, anderswo sind sie noch nicht nachgewiesen. S. XIII— XXIV geben
auskunft über die drei drucke L'AC ; A hätte Corin nicht schlechtweg als 'bavarois'
bezeichnen sollen, über Job. Rynmann von Öhringen (nicht Erringen, s. XVI anra. 2)
s. AUg. deutsche biographie 53, 657. — S. XXIV— XXVI äussert sich der heraus-
geber über das bei wiedergäbe der texte befolgte verfahren ; nicht einverstanden
bin ich mit der systematischen Verwendung von apostroph {sagen's hoirten's, weir't,
macliH, ts't) bei enklise einsilbiger schwacher wortformen an das vorangehende wort
und von verbindungsstrich bei uneigentlicher komposition {umbe-gangen, af-vallen)
und sonst {altzo-male, da-niit, hey-vürmails, hin-af), wo doch die handschriftliche
Überlieferung dafür keinen anhaltspunkt gibt. Bei den zahlreichen anmerkungen
zu einzelnen stellen wäre schärfere kritik am platze gewesen ; es fördert nicht,
sondern verwirrt nur, wenn man in zweifelhaften fällen zu vielen möglichkeiten der
auffassung oder besserung räum gibt, vollends wenn dabei noch sprachliche Irrtümer
unterlaufen ; weniger wäre hier mehr gewesen. Dankenswert und im ganzen ein-
leuchtend ist der s. XXVII— XXXI gemachte versuch, das abhängigkeitsverhältnis
der behandelten hss. und drucke durch einen Stammbaum zu veranschaulichen. Dass
es zu St. Gertrauden in Köln mehrere manuskripte Taulerscher predigten gab, ist
sicher; auch W gehört jedesfalls dieser Kölner gruppe an, F stimmt in manchen
lesarten mit VV überein, E setzt, soweit ein vergleich möglich ist, bei Vetter les-
arten aus F zur Verfügung stehen, einen F ähnlichen text voraus, hat dann aber
öfter nach S korrigiert. Schmidts abschriften der drei Strassburger hss. bieten
leider kein absolut zuverlässiges material. Zur beurteilung von L verlohnte es
vielleicht doch, einmal genauere einsieht in die hs. L 559 zu nehmen.
Mit nr. 13, die in W an erster, in E an letzter stelle steht, während sie FS
abgeht, hat es eine eigenartige bewandnis, insofern sich W nahe mit C berührt,
dessen text Corin deshalb vollständig zum abdruck bringt, um zugleich mit hilfe
lateinischer und griechischer buchstabenverweise und durch randstriche zu zeigen,
in welcher weise C zwei vom gleichen testwort ausgehende rezensionen: Wund V
(nr. 71) LA (vgl. auch B 161 ») zusammengearbeitet hat. Cofin hätte noch hinzu-
fügen können, dass nr. 13 der Hildsheimer hs. einen paralleltext zu W bietet, viel-
leicht auch Brüssel 1959. S. Beiträge 44, 9. 20; Zeitschr. 41, 20. - Nr. 14 (in
der Überlieferung in W an sechster stelle) begegnet nur im Basler und Kölner
druck. Auch hier ist C als paralleldruck neben W gestellt unter berücksichtigung
von B. Ich füge hinzu, dass ebenfalls zu nr. 14 aus der Hildesheimer hs. unter
1) Im titel von L (s. XIII, dazu a. XV anm. 2) ist doch wohl zu verbinden :
durch nberschtvebenden st/n unvoracht 'unverächtlich, tadellos'.
464 STRAUCH
nr. 38 ein paralleltext kommt, während Brüssel 14 688 da einsetzt, wo WC ab-
brechen. S. Beiträge 44, 10. 21; Zeitschr. 36, 71 nr. 9.
In der Zusammenstellung der in W überlieferten 14 predigten lässt sich, so
viel ich sehe, ein anordnendes prinzip nicht erkennen. — Die sich hier anschliessende
besprechung einzelner stellen — sie gibt nur eine auswahl dessen, was ich- mir bei
wiederholter lektüre angemerkt habe — verfolgt den nebenzweck, für den Vetter-
schen Taulertext aus W gewinn zu ziehen.
9, 15 lies mit VLAC gnaden. 10, 3 die anmerkung gibt kein anschauliches
bild der eigenartigen Überlieferung {ane ain aue) ; hier darauf einzugehen, würde
zu weit führen. 13 bilde 'gestalt', 'vorbild' in VW verdient doch Avohl den Vorzug,
s. die lesa. und das glossar bei Vetter. 15 gegen die anm. wird an spiin festzu-
halten sein: 'spielerisch', d. h. 'unnütz', 'zwecklos'. 19, 3U vgl. V 141, 7: hiess
es ursprünglich van diesme lambe? schaife war vielleicht randglosse. 22 anm, 8:
im Basler druck sontag. 29 anm.: der erste erklärungsversuch ist sicher abzulehnen,
lies [maich-]schaffen, vgl. V 144, 2"). 31 anm. 1 vgl. mnd. schorvetich, Schiller-
Lübben 4, 122»; Lübben-Walther, Mnd. handwb. s. 333 a. 31^ ig und anm. auf
s. 32: horecht = hovereht Lexer 1, 1366. 35, 6 vgl. V 146, 18 nach alleyne wird
mit den drucken gebildet einzufügen sein. 30, 16 und anm. tritt Corin für unlide-
licJi gegenüber V 146, 34 nnnützlich ein. 39, 4 f. hain ich gesprochen, dagegen
V 147, 26 sprach ich gester, LAB hab ich noch mit gespr., vgl. auch C. h. i. mehe
gespr.! S. unten bei nr. 4 s. 61 f. 42, 1 und anm.: aus zertcerfen in E (V 148, 30)
gegenüber zo werpen in W möchte Corin auf eine niederrheinische vorläge für E
schliessen. 8 (vgl. V 148, 33) ist mit Corin beiden in W der vorzug vor bieten E
zu geben, lies beiten. 44, 11 und anm. vgl. V 149, 21 lesa. Die ursprüngliche
Schreibung lieben in E findet durch letden W ihre erklärung: Hess letten, vgl. lieterde,
Lexer 1, 1890, 46, 24 f. mit W und Corin ist V 150, 12 zu bessern: Tring dich
in dich selber, mit inbegin denne usw. 47, 3—48, 13 geht AB ein grösserer passus
ab, L dagegen zeigt allein einen grösseren zusatz, s. s. 47 lesa. 54, 8 bessert V
152, 12: gelüsten statt gelüchten. 55, 14 keltere statt kelre ES wurde schon von
Vetter (152, 25) gebessert. 58 anm. 2, 71 anm. 2 werden in den nachtragen s. 326
modifiziert: gericht — gerichtet. 60, 5 vgl. V 154, 1: die lesa. von W in den norden
gegenüber hinder einen berg verdient angemerkt zu werden. S. 61 f. anm. Dem
versuch nr. 4 zeitlich zu bestimmen, kann ich, so vorsichtig sich der Verfasser auch
ausdrückt, nicht beipflichten. Auch hier mahnt die Überlieferung bei rückverweisen
zu grösster vorsieht. In der 3. und 4. predigt fehlt in W 39, 5 und 61, 13 der
rückverweis auf einen gedanken, den der prediger bereits gesterti berührt habe, wie
ihn V 147, 26. 162, 30 (dort zweimal) bietet. In ersterem falle besagen LAB das
gegenteil : von disen sinnen hab ich noch nit gesprochen, während C statt gestern :
mehe setzt. Auch an der zweiten stelle geht W die zweimalige rückbeziehung ab,
die EL (AB und wohl auch C, wenigstens einmal) aufweisen. Dass der ausdruck
gestern zudem nicht auf den vorhergehenden tag beschränkt sein muss, vielmehr
eine gewisse dehnbarkeit zulässt, hebt Corin selbst hervor. Sodann: des Verfassers
bemühen, eine gedankenverbindung herzustellen zwischen 37, 7—10. 61, 10—13 =
V 135, 11—20. 147, 26—28 sowie zwischen den zwei arten Igdungen (62, 1 ff. = V
163, 1 ff.) und ausführungen in der ersten predigt (V nr. 36, s. die anm. 3 auf
s. 61) ist doch nur ein notbehelf, der nicht befriedigen kann. Auch Naumann
hatte in seiner dissertation s. 2 bedauert, die rückverweise in nr. 70 des Leipziger
drucks (unsere nr. 4) nicht auffinden zu können. So heisst es also zunächst sich
ÜBER TAULER, BIBLIOTHEQUE DE LA FACULTE DE PHILOSOPHIE ET LETTRES 46^
bescheiden. Corin hat bei seiner Zeitbestimmung gleichfalls übersehen, dass der
text der dritten predigt (V nr. 38) für den vierten sonntag nach Trin., nicht für
den dritten in frage kommt. 65, 13. 16. 26 suchten 'seufzen' berichtigt das falsche
suchen V 161, 2. 4. 9. 68, 3 dat ivotrde{\) nut/n mainde, das nur W bietet, gab-
wohl anlass zu der wendung das wort Zacharias V 164, 33. 68, 4 : V 164, 33.
166, 19. 167, 2 weisen die rasuren bei hetiitet auf ein Int [lüyt W) einer nieder-
rheinischen vorläge von E? 71 anm. 3 sülchen kann nicht kontraktion von sumeliche
(ndl. sommige) sein. 72, 3, 7 f. ein vergleich der lesart W mit E (V 166, 10. 12)
führt auf eine gemeinsame vorläge. 75 anm. 2. 85, 16. 88, 22 die formen sie sint,
si/nt; tvir sin (von sehen) stehen gleichberechtigt neben ir seyt, sie seynt ; übrigens
liest Naumann 88, 11. 22 seynt, sein (diese Zeitschrift 46, 281 [letzte textzeile].
282 z. 2), nicht sint, sin wie bei Corin steht. 88, 12-17. 89, 12-17. 98, 1-5 fehlen W.
W kann also nicht vorläge für E gewesen sein, wie der Verfasser anzunehmen ge-
neigt ist. 89 die zeilenverweise 15 und 17 sind im apparat versehentlich aus-
gefallen. 90, 24 qäanzäs vgl. Lübben-Walther s. 288. 92, 12 unmoigelich 'unver-
mögend, wertlos'? vgl. V 198, 1. 93, 4 sich getraesten 'sich entschlagen', Lehmann
1, 208 'aufe spiel gesetzt'; die aninerkung ist unnötig. 98, 10 lesa. W geht hier
eigene Avege gegenüber der sonstigen Überlieferung, vgl. auch V 199, 31. 108 an-
merkung 1: der sinn verlangt aber doch affirmation, nicht negation. 110, 4 in dem
fehlenden stoinde berührt sich W mit EF (V 268, 11 lesa.). 111, 18 die lieäer
'desto lieber', vgl. F die lieben (V 268, 28 lesa.). 113, 4 ff. anm.: ich nehme an der
Überlieferung in V (269, 10 ff.) keinen anstoss, vgl. Naumanns Übertragung {Insel-
verlag 1923) s. 184, Lehmann 2, 73. 14 vgl. V 269, 14 lesa. W = F; genime geben
auch sonst bei Tauler. s. das Wortverzeichnis bei Vetter. 114, 12 und anmerkung:
vgl. 192, 15: dem dieger (mnd. deger) in W steht in der oberdeutschen Überlieferung
dicke (V 269, 22. 310, 1) gegenüber; da sonst dicke W nicht fremd ist, wird man
mit dem herausgeber an unsern stellen W die priorität zusprechen dürfen und
damit eine niederrheinische vorläge für V anerkennen. 117, 1 und anm. 1 (V Ü70, 19)
s. meine Vermutung Beitr. 44, 24. Das zitat in Corins anmerkung stimmt nicht.
7 und anm. bessert dankenswert den Schnitzer im glossar bei Vetter 493 c 'torment'
27(*, 22 : dormitorium (nicht tormentum !). 21 lies sij solde ire tzäch (= zuckt dat.)
harde sere by sin, vgl. 121, 2. 134, 6 (vgl. V 280, 16) lies reysen 'reitzen'. 136
anm. 2 lies 'Michael'. 138, 7 inaicht (vgl. V 281, 2ü) bestätigt meine Vermutung
Beitr. 44, 24. 139, 6 die wyse maede sprachen verdient den Vorzug vor V 281^
HO f. der ivise man sprach; SLÄB fehlen. 12: lies V '281, b2 f. steinest, und sin
och kl. kiselsteine. 140, 5 lies V 282, 7 enlossent. 140 anm. 1 ist zu streichen.
141, 1 und auch in E (V 282, 14). 13 lies hoirnt. 144, 14 ervairen: lies V 283,
7 f. vervceren, wie auch V 67, 6. 8 (Corin, Neophilologus 8, 34). 146, 8—14 und
anm. 4, vgl. V 283, 23—25: unter berücksichtigung des vorhergehenden scheinen
zwei gedankenreihen nicht einwandfrei zum ausdruck gebracht: 1. niemand von
denen, die zu des herren tische gehen, glaube, die das nicht tun, seien schlechter;
sie übersehen, dass letztere es aus demut nicht wagen. 2. das abendmahl nehmen
an sich tut es nicht: die, die es aus demut nicht nehmen, sind die besseren.
15 lesa. steine kann nur Substantiv sein, vgl. 147, 3 noch ander steyne; unde (15)
ist zu streichen, 16 urde(i)lungen zu lesen. 146, 16. 147, 1 lies mit scheltworden
und so auch wohl V 283, 27 statt mit siechten worten. 153, 2 f. lesa. teilt W eine
lesart allein mit C; ob ihre eigenart auf ursprünglichkeit schliessen lässt (153 anm.)?
154, 15 smechlich verdient den vorzug vor V 286, 13 sinneclich, vielleicht auch
466 STKAUCH ÜBER TAULER, BIBLIOTIIEQUE DE LA FACULTE DE PHILOSOPHIE
155, 3 iinsuieggier (durch konjektur = unsmeclich) vor V 286, 18 unsinneclich ; smeclich
MTxd unsmeclich begegnen auch Bonst bei Tauler, s. das Wortverzeichnis. 155, 10 ver-
unbildet stand ursprünglich auch in E (V 286, 22 lesa.), s. 105 anm. 2; Tauler
kennt auch rernnkiuschen, verunliutern. 1(57 anm. 1: der kommentar zu h&nsscJiett
wi/n bietet in seiner zweiten hälfte manches anfechtbare. 168, 18 f. 22 und anm.
einlitze: V 29Ü, 23 ff. lies einzige 'einzeln' statt emzige. S. 173 pred. nr. 9 auch bei
Naumann, Ausgewählte predigten 1914 s. 26 if. nr. 4 nach einer Berliner hs. 170, 13
schraf auch in S = scharf (V 3U5, 13 lesa.) 177, 14 ff. mit der anm., vgl. auch
die textgestalt bei Naumann a. a. o. 28, 20 ff. V 305, 27 ff. lies: sol win drin, so
inäs das wasser us, tvan zwei niaterieliche ding enuuigent nüt in einer stat gesin
[sol (dar) win in, so niüs das wasser von not us\ wan si sint widerivertig. sol
yot in, so müs von not die creature us; — das viir (V 305, 28) verlesen für rfrtr mn.
180, 22 mit der anm.: lies des verleidens? 182 anm. 1 ist zu streichen, es ist mit
VLAO (V 307, 8) zu lesen. 182, 22 und aum. bestoinde scheint den andern lesarten
gegenüber (V 307, 13) auch mir beachtenswert. 1S5 anm. 1 ist zu streichen. 185, 16
naiUve verdient den Vorzug vor der lesart V 308, 4 und das twhi, 17 und anm. 3,
dazu s. 327 : an-lagt sicher = an leit von legett. 188, 8 f. an tcirkene (V 308, 29) :
verderbte Überlieferung, der die anm. nicht abhilft. 194 anm. 2: wie gesucht!
195, 10 vgl. V 310, 21: vielleicht ist doch griint in FSW ursprünglich, wenn auch
zu smackent besser geist passte; LABC lesen g{eist), s. die lesa. 199, 23—200, 4
(vgl. V 311, 31 ff.): W zeigt verwirrte Überlieferung, die erwähnung Kölns 200, 2
hat auch der Kölner druck C. 201, 6 und anm. dan 'denn'. 202, 13: V 312, 21
lies mit FW und den drucken missetrost. 206, J4f. : V 313, 13 f. lies: die die
heilige kirche also sere verwazet. 216, 11: wie F (V s. 437 zu 315, 8) erwähnt auch
W Trier, das noch ein zweites mal (V 329, 9) zitiert ist. 219, 8 f. usloysiingen wird
durch F (Vetter s. 437 zu 315, 24) und einige drucke gestützt und verdient vor
iizldffimge den Vorzug; BC lesen uflosung. 225, 2of. : statt besitzet ist V 317, 12
mit WLA enbizet zu lesen. 226 anm. ist abzulehnen. 227, 20 mit der anm.: eyn
bedroifde snede kann nur heissen 'beträufelte schnitte', s. Zfda. 6, 269 und Lexer
1, 241 unter betroffen: 'ihm wird bis zu seinem ende niemals auch nur ein kleiner
bissen aus der Wirtschaft': ein trophe der Wirtschaft V 318, 2, vgl. 317, 23 ein
klein brosemlin. 229, 10 f. mit der anm. : vielmehr 'die Sünden von tausend weiten'
(gen. pl.). 24 teilt W einen dummen fehler mit E: tot {doyt) für got (V 318, 25).
257, 16 f. mit der anm.: EVV weisen die gleiche lücke auf (V 345, 10 lesa.).
265 anm. 2 ist zu streichen. 278, 7 f. 279, 5 gesättiget, gesettigt war nicht zu bean-
standen, streiche die anm, 2 auf s. 279. 278, 13 f. moigelich 'mühsam, beschwerlich',
die anm. 3 auf s. 279 ist zu streichen. 278, '^3 lies vürste. 280,5. 6 lesa. 281, 2:
mau vermisst in der tat ungern in E (V 386, 17) den plussatz der drucke: er sei/
dein (noch) vil begirlicher. 282, 9. 28B, 8 volfüren in den drucken ABC verdient
den Vorzug vor E (V 386, 31) L Mchten, vgl, Ps. 36, (>; gleich darauf freilich ist
lachten die allgemeine lesart 282, 19. 283, 20. V 386, 35; Corins anmerkungen
8, 283 helfen nicht weiter. 290, 26 lies seinem aigen nicht? 305, 7 lies gemeinit.
322, 15 geroicheit — geruo(we)cheit. 21 was heisst beäoliche?. 326 zu p. 43: der
Vorschlag V 262, 10 lat. mens für mensche zu lesen, verdient beachtung.
HALLE A. S. PHILIPP STRAUCH.
LEITZMAXN ÜBER SCHUEIKER, WOLFRAM VON E.SCHENIJACH 467
Albert Schreiber, Neue bausteine zu einerlebensgeschichte Wolframs
von Eschenbach. Frankfurt, Diesterweg 1922. IX und 233 selten. (Panzers
und Petersens Deutsche forschungeu 7.)
Der Verfasser des vorliegenden buches hat seinem kritiker seine aufgäbe
wesentlich erschwert, indem er ihm in der vorrede durch die liebenswürdige captatio
benevolentiae, die schwächen seiner arbeit kenne er selbst am besten, und durch
die Zitierung von Wolframs eigenen Worten im Willeh. 4, 20 sozusagen allen wind
aus den segeln nimmt. Trotzdem muss ich offen aussprechen, was ich bei der
lektüre des aus tiefer hegeisterung für seinen beiden und seinen stoff geborenen,
aber völlig unkritischen und beispiellos naiven buches empfunden habe; Man glaubt
sich in die gläubig harmlosen zelten der anfange unserer Wissenschaft zurückver-
setzt, wo männer wie von der Hagen, Zeune und San Marte die träume ihrer
Phantasie auf den markt der Wissenschaft brachten und sich von der strengen
polizei Lachmanns und Haupts ungefüge, wenn auch oft durchaus berechtigte
Zurechtweisungen gefallen lassen mussteu. Heute gibt sich der dilettantismus
allerdings etwas anders als vor hundert jähren, aber sein wesen hat er nicht ge-
ändert. Es ist geradezu unglaublich, was Schreiber alles von Wolframs leben und
schaffen weiss oder zu wissen glaubt, woran noch niemand gedacht hat: das aller-
wenigste davon dürfte, wenn mich nicht alles täuscht, die Wissenschaft ihrem festen
bestände einordnen. 'Auch Wolfram hatte der dichtung schleler aus der band der
Wahrheit empfangen' (s. 66) : von diesem boden aus glaubt er sich ermächtigt, zu
wiederholen, was in der Goethephilologie allmählich , als Irrweg erkannt worden ist,
auf die modelljagd auszugehen (vgl. s. 30. 54. 66. 68. 71. 212): da wir von den
personen der damaligen zeit nur sehr viel weniger als von denen aus Goethes Um-
gebung wissen, kann man sich vorstellen, mit welchem erfolge. Dabei gesteht er
in einer seiner auseinandersetzungen selber einmal (s. 108) : 'Genau genommen ent-
halten Wolframs werte davon nichts' und tadelt an andern forschem, dass sie
'Wolframs worte geradezu auf die goldwage gelegt' haben (s. 196). Sein gram-
matisches Verständnis des mhd. Ist durchaus nicht so einwandfrei, wie man erwarten
dürfte (vgl. s. 80. 100. 101. 138. 198. 200. 221). Seine subjektive raethode erlaubt
ihm alles : wenn der dichter nach seiner meinung sich wiederholt, so ist dadurch
ein einschub aus späterer zeit nachgewiesen (s. 125. 143; die an der ersteren stelle
geäusserte Vermutung von doppelfassungen verfänglicher stellen für einen derberen
oder zarteren geschmack verschiedener hörerkreise ist zwar sehr geistreich, aber
durchaus unwahrscheinlich und unbeweisbar, wenn die entstehung unserer textgestalt
erörtert werden soll); wenn man versreiheu überschlagen kann, ohne dass der Zu-
sammenhang gestört wird, so ist auch dann ein jüngeres stück als solches erkannt
(s. 186). Wehe dem dichter, der sich einen solchen massstab muss anlegen lassen !
Man lese auch, wie erzprosaisch der herrliche Titurel als 'blosse wiederkäuerei' der
Slgunenstellen im Parzlval beurteilt wird (s. 187). Da Schreiber an Wolframs
analphabetismus glaubt, spielen hörfehler natürlich eine grosse rolle (s. 86. 126j.
In vielen fällen hört er direkt das gras wachsen: Amor begegnet im Parzlval, um
mit dem namen Amorbach scherz zu treiben (s. 55), das Kitzinger furnier war eine
tauffeierllchkelt (s. 70), Wilhelm von Baux, fürst von Orange, bestellte nach des
landgrafen Hermanus tode bei Wolfram die Vollendung des Willehalm (s. 156), in
religiöser hinsieht wusste sich Wolfram 'mit zunehmendem alter mehr und mehr
von den fesseln einer engherzigen, einseitigen bekeuntnisstrengo zu lösen und zu
den freieren höhen einer fast neuzeitlichen duldsamkeit emporzuschwingen' (s. 221).
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. L. 32
468 LEITZMANN
AVolfram erscheint (s. 98) wieder fröhlich als gatte und vater, eine naive schluss-
folgerung, die icli Zeitschr. 86, 429 endgiltig begraben zu haben glaubte, hat
sogar seine liebe haustrau im Parz. 827, 29 ungenannt apostrophiert. Wenn
Wolfram Elisabet von Vohburg, die niarkgräfin vom Heitstein, im Parz. 403, 26
so schwer beleidigt hatte, dass sie samt ihren verwandten von bitterem hass gegen
ihn erfüllt wurde (man lese das genauere s. 209 nach), wie konnte dann Elisabets
Schwager, der landgraf Hermann, in so freundlichen beziehungen zu dem dichter
bleiben, wie der Willehalm und Titurel sie voraussetzen? W^olframs 'glücklicher
nebenbuhler' in Elisabets gunst war Walther von der Vogelweide (s. 213)! Positives
bleibt wenig von dem, was Schreiber bringt, der natürlich zu den Kyotlingen gehört:
dankenswert sind die Zusammenstellungen über die bairischen und fränkischen
adelsgeschlechter, richtig die Interpretation von Parz. 227, 13 (s. 84), brauchbar
die bemerkungen zu der an sich nicht neuen hypothese, dass die ersten zwei
bücher des Parzival in die zeit des Schlusses des Willehalra und in die des Titurel
gehören (s. 161 ff.). An dem textgeschichtlichen problem der in D fehlenden verse
des. Parzival streift die Untersuchung nur eben in einer anmerkung vorbei (s. 83
anm, 6). R. M. Meyer hat einmal scherzweise (Goethejalirbuch 28, 234) 'Goethes
leben aus seinen gedichten' zusammengestellt: nun haben wir ein ernstgemeintes
gegeustüok dazu.
JENA. ■ AI.BERT I.EITZMANN.
Karl Lachiuaun, Die gedieh te Walthers von der Vogelweide. Achte
ausgäbe, besorgt von Karl von Kraus. Berlin und Leipzig, Walther de
Gruytor u. co., 1923.
Seit der siebenten aufläge von 1907 besorgt Kraus Lachmanus Waltheraus-
gabe, die vor nahezu hundert Jahren zuerst die gestalt des sängers in reiner herr-
lichkeit geniesseuden und forschenden enthüllt hat und noch heute als eine seiner
glänzendsten kritischen leistungen dasteht. Was der neue herausgeber für die
siebente ausgäbe getan hat, hat Wilmauns (Afda. 33, 237) mit nüchterner ruhe
abgewogen. Auch in der vorliegenden achten ist Lachmanns text, wie sich das
von selbst verstehen sollte, bis auf ein paar geringfügige versehen unverändert
geblieben. In der vorrede hat Kraus neuere literatur zu den einzelnen handschriften
nachgetragen und (s. XXV) die neuen lieder und spräche, die inzwischen aus
Berliner, Jlünchener und Wolfenbütteler handschriften hervorgetreten und den fach-
genossen schon in zeitschriftenaufsätzen bekannt geworden waren, zum abdruck
gebracht. Leider lesen wir hier das sicher unechte, übrigens auch in der Wolfen-
bütteler handschrift namenlose und nicht etwa Walther beigelegte lied von dem
weih am Rheine und dem vöglein, das Kraus schon Zfda. 59, 315 unbegreiflicher-
weise ohne bedenken Walther zugeschrieben hat, wiederum mit der beraerkung
'ohne namen uuter liedern Walthers, wohl mit recht'. Wilhelm Grimm rühmte
Lachmann als herausgeber Walthers nach (Klein, sehr. 2, 387) : 'Der Verfasser liebt
es, von seinen entdeckuugen oft nur die segelspitze zu zeigen, und zumal, wer am
ufer steht, muss genau acht geben und scharf sehen': im vorliegenden falle sieht
schon ein unbewaffnetes äuge, dass Lachmanns nachfolger eine fata morgana für
Wirklichkeit gehalten hat. Ich benutze die gelegenheit, meine abweichende auf-
fassung des gedichts in steter rücksicht auf Kraus' zitierten aufsatz im folgenden
ÜBER LACHMANX, DIE GEDICHTE WALI'HERS VON DER VOGELWEIDE 469
ZU begründen. Manchem unter den fachgenossen dürften, hoffe ich, starke zweifei
an der richtigkeit seiner anscbauung erregt werden: dass es mir gelingt, ihn selbst
von ihrer irrigkeit zu überzeugen, darf ich mir wohl kaum schmeicheln ').
Ich beginne mit der textgestalt bei Kraus. Da das blatt, auf dem das ge-
dieht steht, traurigerweise stark verstümmelt nur vorliegt, so machen sich allerhand
ergänzungen notwendig, die natürlich von der gesamtauffassung abhängig sind,
die man sich vom sinn und Zusammenhang der geistreichen kleinen dichtung ge-
macht hat. Ich glaube, dass man sich da radikal von Kraus entfernen niuss und
bei der erwägung meiner neuen vorschlage vor allem darauf zu sehen hat, die sug-
gestive kraft der gedruckten ergänzungen seines textes einmal völlig auszuschalten,
am besten indem man sich die faktische Überlieferung mit allen lücken wiederholt
geschrieben vor äugen führt (leider hat auch sein rohdruck der handschrift s. 313
schon alle seine konjekturen). Strophe 1 dürfte im wesentlichen in Ordnung sein:
ob etwa 4 statt soll im sagen, wie Kraus will, solt in meinen oder etwas ähnliches
gestanden bat, macht keinen unterschied im gedanken und kann natürlich nicht
ausgemacht werden. — Mehr ist zu Strophe 2 zu sagen. 1. 2 ist nur überliefert
iinse")- . . . a suochent cremde geste. Mit dem a weiss Kraus 'nichts anzufangen,
denn weder da, sd noch ja noch nd(h) noch ein ausruf ä oder auf -d passen'
(s. 317): er ändert deshalb a in ie und liest unser alten veste die suochent vremde
geste. Da snochen keinen objektsakkusativ bei sich zu haben braucht, alten ausser-
dem die versmelodie stören würde, schlage ich vor : imser guotiu reste, da s. vr. g.,
•unsere gute bürg, da (= der) machen fremde gaste ihren besuch'. 4 und 5 vor-
bindet Kraus durch ein ergänztes %ind: ich lese statt dessen si, denn ich halte zwar
stigen für den konjunktiv, slichen dagegen für den Indikativ ; ferner ergänze ich
ziio mir, nicht wie Kraus zuo sir. Der sinn ist: 'wenn ich nicht so klug wäre, so
würden sie nachts zu mir einsteigen; sie sind schon zu einer Öffnung geschlichen'.
Wie der letztgenannte weitgehende Verstoss hat geschehen können, wird in der
Schlusszeile begründet, die leider nur in kümmerlichsten resten erhalten ist: die bei
(Kraus druckt bei, obwohl er selbst zugibt, dass der eine strich nicht notwendig
ein i ist, sondern auch ein anderer buchstabe, etwa m, n, u sein kann) . . . rucken.
Kraus erwägt (s. 317) alle möglichen ergänzungen für beide wortreste, erscheint
aber ganz hilflos, da er von dem sinn des fehlenden zu keiner klaren Vorstellung
gelangt ist. Da trucken am ende wohl ganz sicher ist, so lese ich die beche die
sint (oder sint vil oder sint gar) trucken, d. h. die burggräben (zu denen man, wenn
es möglich war, lebendige bachläufe benutzt haben wird, wie es nach Schultz, Das
höf. leben 1, 16 mit flussläufen geschab) sind ohne wasser, so dass man bequem zu
Öffnungen als ciubruchslückeu gelangen kann. — Strophe 3 ergänze ich ganz wesent-
lich abweichend von Kraus. Ich stelle beide fassungen zunächst nebeneiander :
K. : Ich hän gegen ir manigen] L. : Ich hän gegen ir man[gen]
[niht schermes] vor gehangen, [den schilt niht] vor gehangen,
wan einen [igel] rüit [ich hin vürje, wan einen rilit[en si hin vürje,
1) Seit der ablieferung dieser rezension an die redaktion ist Michels' neue
bearbeitung von "Wilmanns' Waltherausgabe erschienen, wo (s. 456) unser gedieht
auch abgedruckt und besprochen wird. Trotzdem ihm allerhand bedenken ge-
kommen sind, geht Michels mit ausnähme der schlusszeile doch im wesentlichen
mit Kraus. Was er seinerseits gegen diesen zur deutung des inhalts beibringt,
leuchtet mir nicht ein; die echtheit des gedichts ist auch ihm zweifelhaft. Sonst
hat sich, soweit ich sehe, inzwischen niemand zur sache geäussert. [Korrekturnote.]
32*
470 I.KirZMANN ÜHEH LACH.MANX, DIE GEDTCllTE WALTHICKS VON DKK VOCiELWEIUE
ilcr snellet raste ni)z an die t[iire]. {kr snellet vaste uns an die tfürej.
[waz] vrmnte ich alters eine':' [ivaz] vrumte ich alters eine?
rr irirfet [rint/e stc/inr. er irirfet [groze oder sircpre stejine.
Kraus nimmt als die dieser Strophe zugrunde liegende Situation folgendes an
(s. 317) : gegen die geschosse der feindlichen mangen hat die bedrängte burgherrin
nicht, wie mau zu tun pflegte, schützende gegenstände zur abwehr (für die der
o-ewählte ausdruck scherm sonst übrigens nicht belegt ist) an den mauern aufgehängt,
vielmehr nur ein gegengeschütz, einen igel aufgestellt, der, weil er von ihr allein
bedient werden rauss, nur leichte steine zu schleudern imstande sei. Ich kann mir
diese ganze deutung der Situation nicht zu eigen machen. Ich denke vielmehr an
eine andere sitte des mittelalterlichen rittertums: 'das heraushängen der schildc
vor die zinuen der bürg bedeutete, dass die besatzung zur äusscrsten gegenwehr
entschlossen sei' (Schultz '^ 2, 97). igel 3 hat Kraus nicht, wie eigens zu bemerken
ist, in eine lücke der handschrift eingesetzt, sondern es 'hat nie dagestanden'
(s. 313) : abgesehen davon, dass diese ergänzung wieder die versmelodie vernichtet,
ist sie unnötig; ich verstehe unter einen den bediener der feindlichen mange, der
die burgmauer mit dicken, schweren steinen bearbeitet, rihten mit akkusativ der
person ist nicht ungewöhnlich : einen von hinnen rihten belegt das Mhd. Wörterbuch
2, 1, 636 b; vgl. auch boten rihten Elis. 475. 550. Auch ringe übrigens steht mit
der versmelodie in Widerspruch. — Strophe 4 ist in Ordnung mit ausnähme der
Schlusszeile, avo ich wiederum Kraus' 'pointe' des ganzen gedichts mir in keiner
hinsieht zu eigen machen kann, wenn er das tadellos überlieferte grabest in ein
die versmelodie zerstörendes kragen ändert und einen durchaus matten sinn kon-
struiert, der nach meinem gefühle nichts weniger als eine pointe darstellt (s. 318.
319). Die überlieferte Wendung (vgl. auch, den buregraben vüllen, verwerfen
Kaiserchr. 14105. 15 285), bei der natürlich nicht mit Kraus an ein füllen mit
Wasser gedacht werden darf, gibt demgegenüber eine pointe der geistreichsten art :
das vöglein rät der dame, statt widerstand zu leisten, vielmehr den burgweg frei
zu machen, indem sie den graben zuschüttet und einebnet.
Den sinn des ganzen gedichts fasse ich folgendermassen auf: das bis in
höchst plastische einzelheiten hinein durchgeführte bild von der belagerten bürg
ist nur ein bild für eine erotisch-galante Situation. Die frau des burgherrn, der
mit dem kaiserlichen beere im südlichen Italien weilt, wird von einem galanten
anbeter bedrängt, der sich günstige gelegenheiten, die sich ihm zufällig bieten, zu
nutze zu machen weiss (das austrocknen der bäche im burggraben) und ordentlich
scharf ins zeug geht (die wurfra aschine, die von einem tüchtigen ingenieur bedient
wird), so dass der Widerstandswille der bedrängten danie, der von anfang an nicht
gross war (das nichtheraushängen der schilde), in die brüche zu gehen droht. Das
vöglein, das dem herrn und gebieter von der gefahr meidung erstatten soll, zögert
und gibt, als es zur abreise gemahnt wird, der dame den guten rat, sich die
galanten annäherungen lieber ruhig gefallen zu lassen, den fernen, ahnungslosen
galten nicht zu inkommodieren und vielmehr das ihr in den schoss fallende ver-
gnügen dankbar und verschwiegen zu geniessen. Der narae des gatten, Isengrin,
verführt Kraus dazu (s. 319), fast eine volle seite ohne jeden erfolg motive aus
dem tierepos zu besprechen, die ganz entfernte Verwandtschaft mit unserer be-
lagerungssituation zeigen sollen, obwohl er seine darlegungen mit der unbezweifclt
richtigen erkenntnis schon einleitet: 'Ich habe nichts gefunden, was an die im sprach
KLAPl'ER ÜBER NORUBOM, DAS GOTHAER MND. ARZXEIBCCH 471
geschilderte Situation erinuerte'. Am schluss zitiert er dann aus einem briefe
Jeliineks, was seine ganze erörterung überflüssig erscheinen liisst (s. 321): 'Der
Isengriu wird ein adliger sein. Entweder hiess er wirklich so oder er hatte einen
namen mit wolf als bestandteil oder er hatte eigenschaften, die ihm den Spitznamen
Isengrin eintragen konnten'. Ich stimme ihm bei; auch mit an die dritte dieser
müglichkeiten darf man denken, wenn man sich erinnert, wessen frau Hersant ge-
ziehen wird. 'Auch der historische gehalt des Spruches bleibt dunkel', sagt Kraus
(s. 320): wie er auf die annähme der uotwendigkeit oder auch nur Wahrscheinlich-
keit eines solchen kommt, begreife ich nicht. Das einzige, was historisch auszu-
deuten ist, hat er nicht gesehen: er verzeichnet zwar (s. 317), welche minnesänger
Fülle nennen, und bemerkt (s. 319) : 'bei Walther kehrt der name Pülle, der ander-
wärts nicht häufig begegnet, wieder', übersieht aber, dass der name nur in den
Jahren seine stelle in dem gedichte finden konnte, wo fast ständig kaiserliche beere
in Apulien lagen, d. h. während der regierungszeit Heinrichs VI. (1190—97).
Dass diese pikante frivolität mit Walther von der Vogelweide nichts zu
schaffen haben kann, dem sie übrigens, wie ich nochmals betone, auch die hand-
schriftliche Überlieferung nicht zuschreibt, dürfte ohne weiteres einleuchten. Gegen
Walther spricht auch die schallanalytische Untersuchung, die ein tieferes, moll-
gefärbtes organ ergibt, das von Walthers hellerer durstimme erheblich abweicht.
Kraus bekennt allerdings (s. 818): 'Ich finde nichts, was dagegen spräche'. Was
er dafür anführt (der 'sonst nicht häufige' gebrauch der flektierten formen von
rogelhi, das wort Fülle, die 'pointe' am schluss und zwar Kraus' unmögliche und
matte schlimmbesserung kragen für graben^ 'waltherisch ... im einfall nicht nur,
sondern selbst im ausdruck'), ist freilich hinfällig. Ich darf hoffen, dass es mir
gelungen ist, einen unvoreingenommenen betrachter der Sachlage von der richtig-
keit meiner auffassung zu überzeugen. Im übrigen : 'vaticinari neriue didici neque
cupio', wie Lachmann einmal im Lucrez sagt.
JEXA. ALBERT LEITZJJANN.
Sveu Xorrbom, Das Gothaer mnd. arzneibuch und seine sippe. [ilnd.
arzneibücher, herausgegeben von C. B o r c hl i n g I.] Hamburg 1921. VI, 210 s. 1 ".
Der plan Borchlings, die von ihm in den Mitt. z. gesch. d. med. und der
naturw. (1902 nr. 2 s. 66 ft'.) zusammengestellten hss. zur mnd. medizin durch den
druck der forschung zu erschliessen, wird mit der Veröffentlichung der Gothaer hs.
ausgeführt. Die hs. hat längst in Käsers Gesch. d. med. ihren platz gefunden und
ist auch inhaltlich durch mehrere aufsätze in umfangreichen auszügen von K. Regel
fprogr. d. gymn. Ernestinum in Gotha 1872 und 73, Niederd. Jahrh. 2 (1876) 122 ff.,
5 (1878) 5 ff., 6 (1879) 61 ff.] bekanntgemacht worden. Der text, dessen original
ins 14. Jahrhundert gehört, liegt noch in zwei Kopenhagener und einer Rostocker
lis. vor. Der herausgeber hat sich mit recht für den Gothaer text entschieden, der
zwar von einem wenig verständigen abschreiber stammt, aber die älteste -Überliefe-
rung (um 1400) bietet; die mundart ist nordniedersächsisch mit sichtlicher färbung
nach der mnd. Schriftsprache hin. Der inhalt des werkes ist nicht einheitlich; an
eine nach den körperteilen geordnete rezeptsammlung von ISl kapiteln schliesst
sich der pseudoaristotelische brief an Alexander, eine abhandlung über die be-
ziehungeu der Jahreszeiten, monate und tage zu der gesundheit und dem wesen
des menschen, ein aderlasstraktat, die zeichen des todes, ein kapitel über herzleiden
472 KLAPPER
und ein rezept für eine vvuudsalbe. Bis hierhin reicht der als Düdesche Arstethe
bezeichnete teil; daran schliesst sich eine nd. Übersetzung der Practica des Bartholo-
»laei'.s in 72 kapiteln, die schon 1894 von F. v. Oefele in einem privatdrucke ver-
öffentlicht worden ist; den schluss bilden rezepte, die ieilweiae dem Macer Florians
entnommen sind; von diesen rezepten enthält die ausgäbe nur eine vergleichende
tafel, die die engere Verwandtschaft mit dem mnd. Utrechter arzneibuche erweist,
das J. H. Gallee im Nd. jahrb. 15 (1889) 105 ff. abgedruckt hat. Im übrigen lässt
sich über quellen und Verwandtschaft des Gothaer arzneibuches nur allgemein sagen,
dass beziehungen zu hochdeutschen vorlagen sicher sind. Die Arsfedie war für
weite kreise, der Bartholomaeus nur für arzneikundige bestimmt.
Die textgestaltung ist sorgfältig mit reichem lesartenapparat durchgeführt;
die erklärung, der vornehmlich das glossar dient, geht aber nicht so in die tiefe,
wie es die vorhandene literatur ermöglicht und das werk verdient. Die folgenden
bemerkungen sollen einige ergänzungen in dieser hinsieht bieten. S. 37 : die ver-
gleichung des geburtssegens beweist für die entstehung der Arstedie nichts, da er
recht häufig ist; die hier und s. 122, 15 gegen die Überlieferung der Gothaer hs.
vorgenommene ändeiung des exinanite zu ex matrice ist falsch; vgl. die leiche
literatur bei Ad. Franz, Die kirchlichen benediktioncn im mittelalter, Freiburg i. Br.
1909, II 200 und 202 anm. 6. — S. 44: als hauptverdienst des Verfassers der Arstedie
wird die sj'stematische Ordnung des werkes hingestellt; mit unrecht; der heraus-
geber zieht leider nirgends das umfänglichste und reichste der deutschen arznei-
bücher zu rate, das von C. Külz und E. Külz-Trosse unter meiner mitarbeit 1908
(Dresden, druck von Fr. Marschner) als privatdruck herausgegebene Breslauer
arzneibuch E 291 der stadtbibliothek, das um 1300 entstanden ist. Dieses werk
zeigt nicht nur die entsprechende feste gliederung in der anorduuug der krank-
heiten; es hätte auch besonders in seinem wesentlich auf Macer fussenden teile über
die simplicia und electuaria für das glossar der Gothaer hs. bedeutende dienste
leisten können; die gliederung der rezepte nach den krankheiten der körperteile
kommt natürlich jedem guten arzneibuche des mittelalters zu. — S. 76: die schon
in Germania 32, 452 ff. abgedruckte wertvolle Sammlung von augensegen, die im
kapitel VII überliefert ist, bedarf genauester erklärung ; vor allem war hierzu Franz,
Benediktionen I 493 ff. zu vergleichen; zu 76, 31 Nicasius sind die parallelen
Zfda. 27, 308 (Wien 14. Jahrhundert) und Mitt. d. schles. ges. f. Volkskunde bd. 9
(1907) heft 2, 13 aus Breslau 15. Jahrhundert zu beachten; zu Thecla, Nasarenus,
Aqnilinns (11. 9 ff.) vgl. Franz II 497; zu 77, 27 a(ßa, das ein magisches acrostichon
darstellt, Franz II 65 und Mitt. d. sohl. g. f. Vk. 19 (1917) 263, wo es als aus
dem jüdischen morgengebete entnommen nachgewiesen wird. — S. 77, 37: Intum
fecit etc. ist in seiner geschichte behandelt Mitt. d. schl. g. f. Vk. 21 (1919) 97 ff'.,
vgl. Franz II 431 und 495. — S. 89, 6: das reimgebet zu ApoUonia mit der an-
schliessenden an tiphon ist in prosa deutsch aus der spätmittelalterlichen gebets-
literatur noch im 18. Jahrhundert nachzuweisen, z. b. im himmlischen Jerusalem
des Zisterziensers Friedrich Mibes, Prag 1717, s. 870 f. - S. 93, 1 : anrufuug des
hl. Blasius in halskrankheiten, vgl. Franz I 272. — S. 149, 5: 'Christ ist geboren',
vgl. den Segen bei Franz II 199 (12. Jahrhundert); dieser verstümmelte segen der
Arstedie findet sich mitteldeutsch vollständig mit grossenteils wörtlicher Überein-
stimmung in der Breslauer hs. III Q 7 (15. Jahrhundert), von mir abgedruckt
Mitt. d. schl. g. f. Vk. 9 (1907) 2, 23. - S. 165, 11 imd 169, 2 und glossar: mann-
slachtiff heisst nicht 'männliches geschlecht', sondern 'menschentötend' trotz 169, 11:
ÜBER NORRBOM, DAS GOTHAER MND. ARZNEIBUCH 473
rrouwelik. — S. 172, 24 if. : die sipia mortis et vite decken sich inhaltlicli mit denen
des Breslauer arzneibuclis s. 134 f. — S. 199, 10 Jobsegen; dazu die literatur bei
Franz II 415. — S. 199, 26: homines et jumenta vgl. Franz I 171.
Glossar: es ist wesentlicher für die geschichte der heilkunst in Deutsch-
land, wenn die älteren deutschen pflanzennamen mit den mittelalterlichen lateinischen
oder latinisierten griechischen identifiziert werden, etwa an der band der Macer-
übersetzungen, als wenn man sich mit den doch oft unsicheren Linneeschen be-
zeichnungen begnügt. Die folgenden hinweise sind dem Breslauer arzneibuch (Ba)
entnommen:
athanasia magna ist nicht die pflanze, sondern ein opiat; seine Verwendung
Ba 103; ebenfalls opiat ist anrea allexandrina Ba 102; affrodille affodillus golda
amarusca Ba 143; bete kresse Ba 176 und 180; bemvelle cousolida maior beinwelle
Ba 144; billensat jusquiamus cassilago caniculata Ba 146; blota bleta beizkol Ba 143;
di/acalatnentum ist ein lectuarium Ba 107; di/acnminum dyaciminum ist ein electuarie
Ba 106; di/apninus diaprunis Ba 94; ertbere fragula ertperkrut Ba 146; gerale-
godion geralogodion memphicum Ba 101, wo auch die Zusammensetzung steht;
godesrorgeten marrubiura album wiz au dorn Ba 147, gotesuergezze Ba 147, prassicum
gotesuergezze Ba 148; grensing portentilla Ba 148, aber 148 ist auch portentilla
baldrian und 147 ninfea grensinc: hasenJior hasenhor didinna, womit Ba 145 ein
kraut gemeint ist; hedderick rapistrum hederich Ba 148, was wohl dem aus dem
Boek d. Arst zitierten napi agrestis entspricht; heide mirica beide, genesta idem
Ba 147; hnslok barba iouis huslouch Ba 143; capühis veneris widertan Ba 144, also
mauerraute; karde herba fuUonum karte Ba 146; cassia fi'stnla hochhorn Ba 144;
keniele cerefolium kerbele Ba 162, serima wilde kerbele Ba 149; kol: Ba unter-
scheidet in dieser ungeklärten gruppe: kole 11, capuz (sommerkohl) 11, romisch
kol brassica 143, spinat 11, di2)tannus romisch kresse 145, cardamns wilder kresse
144, calasticnm wilde kresse 145, strntion burne kresse (brunnenkresse) 168, nastur-
cium gartkresse 168, caulis romana mangolt 145, beta kresse 180; — konel saturea
seterich Ba 149; kretelinore pastinake kritzelmorhen Ba 148; crucewort cardus bene-
dictus crucewurtz Ba 144; lacrisse liquiritia lakeritie Ba 180; lingwa passerina
lingua auis uogelzunge Ba 147; lusecrut stophisagria lusewurz Ba 149, herba pedi-
culorum luswurtz .146; malna malua agrestis ybesche Ba 147, malua pappel 174;
minte menta minze Ba 155, nepta wilde miuze 147; muschate macis muschaten-
blume Ba 147; nachtschade morella solatrum nachtschate Ba 147; poyvis vcssa
lupina boumvist Ba 174, altea ybische oder wilde päppele 165; redik raphanus
merretich Ba 180 ; ringele Calendula ringele Ba 145, solsequium sponsa solis ringel 149,
antusa ringele 143; schorftcortel scabinosa grintwurtz Ba 149; senncp sinape senf
Ba 161, eruca Avis senif 169; seuenhoem sauia samboum Ba 176; si/neckel sauicula
sauekel Ba 149, während ebenda senetion mit cardus benedictus gleichgesetzt ist;
steynbreke filipendula gros steinbreche Ba 146; stcgnpeper crassia vermicularis stein-
pfeffer Ba 145; srire acidula surampher Ba 147; swerdele accarus Ba 143, eration 145,
gladiola 146; tormentilla vicwurtz Ba 149; veltkomel serpillum quenleyn Ba 149,
veltkumel 162; vennecol maratrum venchel Ba 147; vifblade pentafilos funfbleter
Ba 177; wegebrede wird Ba 153 in maior groze und minor minner geschieden;
wypperiue basiliscus naterwurtz Ba 143; wyrok thus wirouch Ba 179, olibauum wiz
Avirouch 148; tcytwort elleborum wizwurz Ba 171, sigillmn sancte Marie 149 mit
gleicher Verwendung.
BRESLAU. J. KLAPPER.
474 \ KKZKICIINIS J)KK MriAUHEIl'EK IN HD. XU — 1. DI-:H ZEIT.SCIIH.
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Th. 8torms XLI, 531, — Otto Runge, Die metamorphosenverdeutschung-
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VEUZEICHXI.S DKR MITARBElTEIl IX IJD. XLI— L DER ZEITSCIIR. 475
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der sprachveränderuug XLVII, 421. — K. Burdach, Rienzo und die
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Spinoza-Jacobi-Lessing XLVIII, 475. — K. Burdach, Vom mittelalter zur
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und sprachkuüst Chr. Morgensterns L, 107.
Brecht, Walther (Wien): Bericht über die Verhandlungen der gcrm. Sektion der
51. Versammlung deutscher philologen und Schulmänner in Posen XLIII, 449.
Brieskorn, Roland (Gotenburg): Anzeige von: Axel Kock, Svensk Ijudhistoria
XLI, 3S9.
Brodführer, E. (Harzburg): Der Wernigeröder Lapidarius XLVI, 255.
Brückner, Wilh. (Basel): Anzeige von: Fr. v. d. Leyen, Einführung in das gotische
XLI, 228. — Selma Colliander, Der parallelismus im Heliand XLVI, 96.
Buergel-Goodwiu, H. (üpsala) : Anzeige von : AdolfNoreen, Vart sprak XLI, 118.
Bugge, Alexander (Christiaiiia-Oslo) : Anzeige von: Axel Olrik, Nordisk aandsliv
i vikingetid og tidlig middelalder XLI, 372.
Castle, Ediiaid (Wien): Anzeige von: Rud. Pajer v. Tliurn, Giillparzcrs
ahnen XLVIII, 152.
Colliander, Elof (L^psala): Anzeige von: Job. Flensburg, Die mnd. predigten
des Jordanes von Quedlinburg in auswahl XLIV, 377.
Conseutius, Ernst (Berlin) : Aus Heinr. Christ. Boies nachlass. Textgeschichtl.
mitteilungen zu Klopstock, Lessing, Herder, Gerstenberg, Voss u. a. XLVIII,
389. XLIX, 57. 195. Briefe von Klopstock XLIX, 232.
Corves, Carl (Kiel): Studien über die Nibelungenhandschrift A XLI, 271. 437.
XLII, 61.
Cruse, Paul (Kiel): Zum 'Henuo' des Hans Sachs XLII, 344.
Daherkow, .W. (Königsberg): Adhramire und die germanische framea XLIX, 229.
Datjen, Werner (Hannover) : Neue Heinefunde XLIV, 478.
Devrient, Haus (Weimar): Anzeige von: Hans Kundsen, Heinrich Beck ein
Schauspieler aus der blütezeit des Mannheimer theaters im 18. Jahrhundert
XLVI, 135. — Wilh. Hochgreve, Die technik der aktschlüsse im deutschen
drama XLVII, 285. — Fried r. Michael, Die anfange der theaterkritik in
Deutschland L, 97. — J. Günther, Der theaterkritiker H. Th. Rötscher L, 318.
Dietrich, G. (Kiel): Anzeige von: Albert Daur, Das alte deutche Volkslied nach
seinen festen ausdrucksformen betrachtet XLII, 467.
Edert E. (Kiel): Anzeige von: Helene Henze, Die allegorie bei Haus Sachs
XLV, 325,
Ehrismann, Gustav (Greifswald): Anzeige von: Job. Rothes passion, hrg. von
Alfr. Heinrich XLI, 75. — Friedr. Wilhelm, Deutsche legenden und
legendäre XLII, 257. — Rieh. Brill, Die schule Neidharts XLII, 357. —
Emil Dickhoff, Das zweigliedrige wort-asyndeton in der älteren deutschen
spräche XLII, 358. — Rud. Sokolowsky, Der altdeutsche minnesang im
Zeitalter der deutschen klassiker und romantiker XLII, 361. — G. M. Priest,
Ebernant von Erfurt XLII, 361. — 31 ax Leopold, Die vorsilbe ver- und
ihre geschieh te XLII, 362. — Frie dr. Wen z 1 au , Zwei- und dreigliedrig-
476 vKRZEiciixrs der Mitarbeiter in bd. xli— l dici! zeitschr.
keit in der deutschen prosa dos 14. und 15. jhs. XLII, 488. — Helwigs
inäre vom heil, kienz, hrg-i von Paul Heymann XLV, 305. — Emil
Pflug, Suchensinn und seine dichtungen XLV, 307. — Die grosse Heidel-
bergerliederhandschrift, hrg. von Fr. Pfaff XLV, 309. — Gertrud Stock-
mayer, Über naturgefühl in Deutschland im 10. und 11. Jahrhundert XLV,
311. — Friedr. Ranke, Sprache und stil im Wälschen gast des Thomasin
von Circlaria XLV, 312.
Eiorniann, Walter (Kiel): Caspar Stieler als dichter der geharnschten Venus
XLII, 447.
Anzeige von: Paul Weiglin, Gutzkows und Laubes literaturdramen, XLV.
355. — Fritz Mittelmann, Alb. Emil Brachvogel und seine dramen
XLV, 357.
Ellingor, (feor^ (Berlin): Anzeige von : Adrianus Roulerius, Stuarta tragoedia, hrg.
von E. Woerner; Petrus Mosellanus, Paedologia hrg. von Herrn. Michel
XLIII, 480. — Joh. Chrysostomus Schulte, P. Martin von Cochem.
Sein leben und seine Schriften XLVIII, 140. — Das Volksbuch vom doktor
Faust, hrg. von Jos. Fritz XLVIII, 315. — Nikod. Frischlinus, Julius redivivus
hrg. von Walther Janell XLVHI, 320. — H. Schauer, Chr. Weises
biblische dramen L, 296. — H. Müll er, Lebensansichten des katers Murr L, 299.
Elster, Ernst (Marburg): Anzeige von: Heinr. Heines briefwechsel, hrg. von Friedr.
Hirth XLVI, 319.
Enders, Karl (Bonn) : Neue arbeiten zu Gottfried Kinkels entvvicklung XLVH, 257.
Anzeige von: Friedr. Hölderlins sämtl. werke, hrg. von Franz Zinkerna gel
XLVI, 488. — Rud. Haym, Die romantische schule ^ bes. von 0. Walzel
XLVI, 489. — Max Fischer, Heinr. v. Kleist, der dichter des preussentums ;
Herm. Schneider, Studien zu Heinr. v. Kleist XLVIII, 330. — Th. Birt,
Schiller der politiker XLVIII, 312. — AI fr. Kuhn, Die Faustillustrationen
des Peter Cornelins XLIX, 279. — Joh. Peter Eckermann, Gespräche mit
Goethe. Komment.-ausgabe vou Ed. Castle XLIX, 280.
Englert, Anton (München): Übertragungen . . . P. Flemings L, 429.
Enss, Fritz (Hamburg): Anzeige von: Friedr. Hirth, Aus Friedr. Hebbels
korrespondenz XLVI, 159. — Clara Price Newport, Woman in thc thought
and work of Friedr. Hebbel XLVI, 161. — AI b. Gubelmann, Studies in the
lyric poems of Friedr. Hebbel XLVI, 163.
Ermann, Konrad Bessel (Bonn -[): Beziehungen zwischen Stellung und funktion
der nebensätze mehrfacher Unterordnung im ahd. XLV, 1. 153, 426.
Euling, Karl (Wiesbaden) : Zu band XI, 3 des Grimmschen Wörterbuchs XLVI, 450.
Anzeige von: Karl Reu sc hei. Die deutschen weltgerichtsspiele des mittel-
alters und der reformationszeit XLIII, 245. — Karl Schroeder, Der deutsche
Facetus XLVI, 459. - Wilhelm Uhl, Winiliod XLVI,- 459. — Heinrich
Lütcke, Studien zur philosophie der meistersänger XLVII, 403.
Felise, Wilh. (Burg bei Magdeburg): Das totentanzproblem XLII, 262.
Feist, Sigmund (Berlin): Thüringische runeufunde XLV, 117. Zur deutung der
deutschen runenspangen XLVII, 1. Die runeninschrift der grösseren Norden-
dorfer Spange XLIX, 1.
Fischer, Herm. v. (Tübingen f): Anzeige von: Aug. Kubier, Die deutschen
berg-, fluss- und Ortsnamen des alpinen Hier-, Lech- und Sannengebietes XLH, 503.
VERZEICHNIS DER MITARBEITEll. IN BD. XLI— L DER ZEITSCHK. 477
Frauck, Johannes (Bonn f): Wilhelm Wilmanns XLIII, 435.
Anzeige von: J. Verdam, Middelnederlandsch handwoordenboek XLV, 316.
Franke, Carl, Zu Luthers Schriftsprache XLVIII, 450.
Frederking, Arthur (Worms): Zu Goethes Faust XLII, 833.
Frings, Theodor (Bonn): Christ und Satan XLV, 216.
Fuchs, Eduard (Beuten): Die komposition der Geuchmat Th. Murners L, 419.
(Jaebeler, Kurt (Plön): Die griechischen bestandteile der gotischen bibel XLLII, 1.
Oebhardt, August (Erlangen l): Zu Ambrosius Österreichers Schwerttanz
XLH, 97.
Anzeige von: Frank Fischer, Die lehn Wörter des altwest nordischen XLII,
448. — Maäl og minne utg. ved Magnus Olsen XLIII, 479. — Hans
Tschinkel, Grammatik der Gottscheer mundart XLIV, 117. — Emil
Gerbet, Grammatik der mundart des Vogtlandes XLIV, 120. — Bengt
Hesselmann, De korta vokalerna / och y i svenskan XLIV, 124. — ßöm-
verjasaga, hrg. von Rud. Meissner XLIV, 859. — Konr. Hentrich,
Wörterbuch der nordwestthüringischen mundart des Eichsfeldes XLV, 1(J8. —
Heinr. Schäfer, Waifenstudien zur Thidrekssaga XLVI, 119. — Jakob
W. Hart mann, The Ggngu-Hrölfssaga XLVI, 121.
Gering, Hugo (Kiel f): Altnordisch v XLII, 233.
Neuere sehrifteu zur runenkunde (Ludv. F. A. Wimmer, De danske rune-
miudesmserker I, 1. IV, 2; Magnus Olsen og Haakon Schetelig, En
indskrift med teldre runer fra Floksand i Nordhoröland ; Magnus Olsen,
Tryllerunerne paa et vaevspjeld fra Lund i Skaane ; 0. v. Friesen och
Hans Hansson, Kylfverstenen) XLII, 236.
Zur Lieder-Edda III. XLHI, 132.
Die episode von Engnvaldr und Ermingerör in der Orkneyingasaga XLIH, 42S.
XLVI, 1.
Beiträge zur kritik und erklärung skaldischer dichtungen XLIV, 133.
Zu Zeitschr. XLIV, 489 ff XLV, 68.
Njarar XLVEI, 1.
Ludwig Wiramer XLVIII, 5U0.
Zur Eddametrik L, 127.
Anzeige von: Finnur Jönsson, Den uorsk-islandske skjaldedigtning XLI,
281. — Die geschichte vom skalden Egil, übertr. von F. Niedner XLIV,
489. — Edda, hrg. von G. Neckel XLVI, 466. — H. F. Feilberg, Bidrag
til en ordbog over jyske almuesmäl XLVIII, 291. — Die Eddalieder klang-
lich untersucht und hrg. von Ed. Sie v er s L, 93. — Abwehr (gegen
E. Sievers) L, 826.
(Kessler, Albert (Basel): Zu Schillers 'Kampf mit dem dracheu' XLIV, 220.
Ooltlier, Wolfgang (Rostock): Anzeige von: Wilh. Linde mann, Geschiclite der
deutscheu literatur XLVII, 296.
(liötze, Alfred (Freibnrg i. B.): Anzeige von: Adolf Hauffen, Xeue Fischart-
studien XLI, 536. — V. Moser, Histor.-gramat. einführung in die frühnhd.
.Schriftdialekte XLII, 251. — Fried r. Weidling, Schaidenreissers Odyssea
XLV, 508. — Ludw. Zopf, Zwei neue Schriften Murners XLV, 511. — Willo
Uhl, Der Franckforter XLV, 515. — Bruno Strauss, Der Übersetzer Nico-
laus von Wyle XLV, 516. — Julius Zupitza, Einführung in das Studium
des mhd." (bes. von Franz Nobiling) XLVIII, 131. — Martin Luthers
478 \t:u/EUii\i.s i>i.;i; .MirAKiuaiKU ix iii>. xi,i— l uek zeit.schr.
werke. Krit. gesaiiitausgabe. Tischreden 1. 2. XLIX, 114. — Fried r.
Kluge, Etyinol. Wörterbuch der deutschen spräche''* XLIX, 282.
G(>et/e, Edmund (Loschwitz bei Dresden) : Zu den schwanken des Haus Sachs
XL VI, 83.
(»raber, G. (Klagen fürt) : Heinricli von dem Turlin und die spracliform seiner
Krone XLII, 154. 287.
(irioiibersrer, Theodor t. (Wien) : Drei westgermanlsclie ruueninschiiften XLI, 419.
Zwei runeninschriften aus Norwegen und Friesland XLII, 38'i,
Erörterungen zu den deutschen runenspangcn XLIII, 289. XLV, 133.
Zwei altenglische runeninschriften XLIII, 377.
The Thames fittiug XLV, 47.
Runensachen L, 274.
Anzeige von: Friedr. Kluge, Deutsche uamenkunde L 118.
(»ra>newald, C. F. (Groningen): Der zweite Trierer Zauberspruch XLVII, 872.
Gülzow, K. (Greifswald): Der schreiberanhaug der Krone XLV, 62.
Ountcnnj^nu, K. (Kiel): Ahd. ärunti, mhd. ernde XLII, 397.
Anzeige von: G. Grau, Quellen und Verwandtschaften der älteren german.
darstellungen des jüngsten gerichts XLI, 401. — Heinr. Schröder, Ab-
lautstudien XLIV, 485. — 0. Gröger, Die ahd. und alts. kompositionsfugc
XLV, 83.
Gürtler, Hans (Düsseldorf): Zum gebrauch der konkurrierenden abstraktbildungen
im gotischen XLIX, 82.
(ilusinde, Konrad (Breslau f) : Bericht über die Verhandlungen der german. Sektion
der 52. Versammlung deutscher philologen und Schulmänner in Marburg XLV, 485.
Anzeige von: Wolf v. Unwerth, Die schlesische mundart XLII, 504. —
Emil Bohu, Die nationalhymnen der europäischen Völker XLIII, 278.
Hagen, Paul (Lübeck): Anzeige von: W. Golther, Die gralsage bei Wolfram
von Eschenbach XLII, 461. — Viktor Jung, Gralsage und graldichtiing des
mittelalters XLVI, 109.
Haishagen, J. (Bonn): Anzeige von: Hans Gille, Die historischen und politischen
gedichte Michel Becheims XLV, 327.
Hasse, H. (Bonn): Beiträge zur Stilanalyse der mhd. predigt XLIV, 1. 169.
Hauff eu, Adolf (Prag) : Sebastian Franck als Verfasser freichristlicher reimdichtungeu
XLV, 3^9.
Anzeige von: W. Hinze, Moscherosch und seine deutschen Vorbilder in der
Satire; Joh. Beinert, Deutsche quellen und Vorbilder zu Moscheroschs
Gesichte Philanders von Sittewald XLII, 345. — Maximilian Pfeifer,
Amadisstudien XLII, 470. — Alf r. Schauerhammer, Mundart undheimat
Kaspar Scheits XLIV, 94. — Paul Weidmann, Johann Faust XLV, 328.
— Alfr. Geyer, Die starke konjugatiou bei Joh. Fischart XLVIII, 454. —
Eugen Wolff, Faust und Luther XLVIII, 454.
Heinrich, Alfred (Berlin-Terapelhof): Aus Johannes Rothes ungedrucktem gedieht
von der keuschheit XLVIII, 269.
Helm, Karl (Marburg): Genealogisches zu Luder von Braunschweig XLVI, 445.
Anzeige von: W. Ziesemer, Nicolaus von Jeroschiu und seine quelle XLI
72. — J. Wright, Grammar of the gothic language XLIII, 381. — Paul
Hoffmann, Die mischprosa Notkers des deutschen XLIV, 3ü5. — L. Armi-
tage, An introduction to the study of old high german XLV, 73. — Paul
VERZEICHNIS DER JIITARBEITER IN BD. XLI— L DER ZEIT.SC'IIR. 479
Claus s, Ehytlimik und metrik in Seb. Brauts Narreuscliiff XLV, 324. —
Joh. Steyrer, Der Ursprung und das Wachstum der spräche indogermanischer
Europäer XLV, 384. — Karl Wesle, Die ahd. glossen des Schlettstadter
coilex XLVI, 455. — Die Warnung, hrg. von Leop. Weber XL VI, 472. —
Gerh. Reissmann, Tilos von Culm, gedieht von siben ingesigelen ; Arthur
Hüb n er, Daniel, eine deutschordensdichtung ; Die poetische bearbeitung des
buches Daniel aus der Stuttgarter hs., hrg. von A. Hübner XLVI, 476. —
Hans Naumann, Notkers Boethius XLVII, 391. — Jos. Welz, Die
eigennamen im cod. Laureshamensis XLVII, 394. — Das Marienburger Ämter-
buch, hrg. von W. Ziesemer XLIX, 95. — Georges Duriez, La theo-
logie dans le draiue religieux en Allemagne au moyen äge; ders., Les apo-
cryphes dans le drame religieux en Allemagne au moyen age XLIX, 260. —
W. Ziesemer, Das grosse ämterbuch des deutschen ordens L, 291.
Helteii, A, Vau (Groningen): Noch einmal zur etymologie von hrant XLII, 446.
Heyer, €urt (Kiel f): Stilgeschichtliche Studien über Heiur. Seuses büchlein der
ewigen Weisheit XLVI, 175. 393.
Anzeige von: Bruno Engelberg, Zur ^^tilistik der adjectiva in Otfrieds
evangelienbuch und im Heliand XLVI, 465.
Hirsch. Friedr. E. (Wien): Anzeige von: Curt HiUe, Die deutsche komödie
unter der einwirkung des Aristophanes XLH, 491.
Holthausen, Ferd. (Kiel): Zwei altenglischc ruueninschrifteu XLII, 331.
Erwiderung XLIII, 378.
Gotica (got. hags, hin', astaj), hairahagms) XLVIII, 26S.
Anzeige von: Beowulf, hrg. von M. Heyne'", bearb. von Levin L. Schücking
XLVIII, 127.
Jäger, Paul (Borsdorf bei Leipzig): Der artikelgebrauch im ahd. Isidor XLVII, 305.
Jahu, Kurt (Halle a. S. i): Anzeige von: Eugen Wolff, Mignon; Hans Beh-
rendt, Goethes Wilhelm Meister XLV, 338. — Gust. Kettner, Goethes
drania : Die natürliche tochter XLVI, 139.
Jautzeu, Herniauu, Konrad Gusinde XLVI, 443.
JeHiueli, Max Herrn. (Wien): Anzeige von: Paul Glaue und Karl Helm,
Das gotisch-lateinische bibelfragment der universitäts-bibliothek zn Giessen
XLIII, 379. — Karl Schulte, Das Verhältnis von Notkers Nuptiae philologiae
et Mercurii zum kommeutar des Eemigius Antissiodorensis XLVII, 101. —
Hans Körnchen, Zesens romane XLVII, 126.
Johanuson, Amid (Didsbury, Manchester): Zur abwehr XLI, 129.
Jöusson, Finuur (Kopenhagen): Anzeige von: G. Necke 1, Beiträge zur Edda-
forschung XLI, 381. — C. F. Hofker, De Föstbroeörasaga XLI, 388. —
Halfdanar saga Eysteinssonar, hrg. von F. R. Schröder XLIX, 262. — Vatns-
d(da saga, hrg. von W. H. Vogt XLIX, 264.
Jordan, Leo (München): Anzeige von: Max Deutschbeiu, Studien zur sagen-
geschichte Englands XLI, 81.
Jost, Karl (Basel): Anzeige von: A. B. Öberg, Über die hfTchdeutsche passiv-
umschreibung mit sein und werden XLI, 241.
Jürgensen, Wilhelm (Flensburg): Anzeige von: K. Wehrlian, Kinderlied und
kinderspiel XLII, 250.
Kahle, Beruhard (Heidelberg -1-): Anzeige von: Cläri saga, hrg. von G. Ceder-
schiöld XLI, 77. — Brennu-Njäls saga, hrg. von Finnur Jönsson XLII,
480 VEKZEICIINIS 1>KU MITABBEITER IN IJI). XLl— I. DER ZEITSCHU.
368. — F. F. K 0 h 1 , Die tiroler bauernhoclizeit XLIII, 279. — Friedr Panzer,
Beowulf XLIII, 383. — E. Wilken, Altnordische erzählungen XLIV, 358.
Kninniol, Wilibald (Wien): Über die Stellung des gattungsnamens beim eigennamen
in den werken Hartnianus von Aue XLI, 1.
Knppo, Rudolf (Kiel): Hiatus und synaloephe bei Otfrid XLI, 1S7. 320. 470.
XLII, 15. 189.
Deutsche synaloephen in den Otfridhandschriften XLII, 407.
Kauft'mniiii, Friedrich (Kiel); Braut und gemahl XLIJ, 129.
Zur textgeschichte der gotischen bibel XLIII, 118.
Beiträge zur Quellenkritik der gotischen bibelübersetzung XLIII, 401.
Eifel XLV, 292.
Das Problem der liochdeutschen lautverschiebuug XL VI, 833.
Vom dorn umzingelt XLVII, 10.
Aus dem Wortschatz der rechtssprache XIjVII, 153.
Der Stil der gotischen bibel XL VIII, 7. 165. 349. XLIX, 11.
Hugo Gering L, 339. Über den schicksalsglauben der Germanen L, 361.
Anzeige von: Herrn. Fischer, Grundzüge der deutschen altertumskunde XLI,
224. — Karl Wehrhan, Die sage XLI, 226. — Otto Böckel, Psycho-
logie der Volksdichtung XLI, 227. — Wörter und sachen, hrg. von R. Me-
ringer u. a ; A. Fick, Vergleichendes Wörterbuch der indogermanischen
sprachen* III (bearb. von Hj. Falk und A. Torp); S. Feist, Etymol.
Wörterbuch der gotischen spräche; Fr. L, K. Weigant, Deutsches Wörter-
buch^, hrg. von H. Hirt; Beiträge zum Wörterbuch der deutschen rechts-
sprache (Eich. Schröder gewidmet) XLI, 234, — Albr. Haupt, Die älteste
kunst, insbes. die baukunst der Germanen von der Völkerwanderung bis zu
Karl d. g. XLI, 359. — Wilh. Wundt, Völkerpsychologie II (Mythus und
religion) XLI, 361. — Alb. Waag, Bedeutungsentwicklung unseres Wort-
schatzes XLI, 544. — Aug. Gebhardt, Grammatik der Nürnberger mund-
art XLH, 126. — Paul Habermann, Die metrik der kleineren ahd. reim-
gedichte XLII, 36t. — E. Petzet und 0. Glauning, Deutsche schrift-
tafeln des 9.— 16. Jahrhunderts aus Müncheuer haudschriften XLIII, 239. —
,T. H. Gallee, Altsächs. grammatik- (bearb. von J. Lochner) XLIII, 239.
— Eberh. frhr. v. Künssberg, Acht XLIII, 241. — Rieh. Kühnau,
Schlesische sagen XLIII, 502. — L. Schmidt, Geschichte der deutschen
Stämme bis zum ausgange der Völkerwanderung XLIV, 223. — G. F.Mut h,
Stilprinzipien der primitiven tierornamentik bei Chinesen und Germanen
XLIV, 22G. — W. Jahr, Quellenlesebuch zur kulturgeschiclite des früheren
deutschen mittelalters XLIV, 226. — Friedr. Ranke, Der erlöser in der
wiege XLIV, 383. — Dahlmann-Waitz, Quellenkunde der deutschen
geschichte ", hrg. von Paul Herre XLV, 302. — S e b. Brant, Das narren-
schiff, faksimileausg. von Fr. Schultz XLV, 323. — Conr. Müller, Alt-
germanische meeresherrschaft XLVI, 95. — Sigm. Feist, Kultur, aus-
breitung und herkunft der Indogermanen ; ders., Indogermanen und Germanen
XLVI, 452. XLVin, 500.
Kaufluiaun, Hans (Berlin): Anzeige von: Flugblätter des Seb. Brant, hrg. von
Paul Heitz XLVII, 273
Kettner, (iustav (Weimar f) : Anzeige von: W. Kühlborn, J. A. Leisewitzens
Julius von Tarent XLV, 349, — Schillers Don Carlos ed. by Frederick
VERZEICHNIS DER MITARBEITER IN BD, XLI— L DER ZEITSCHR. 481
Lieder XLV, H50. — Alb. Leitzmann, Die quellen von Schillers Teil
XLV, 351. — Des kardinals von Retz Histoire de la conjuratiou du comte
Jean Louis de Fiesque, hrg. von Alb. Leitzmann XLVI, 138.
Klapper, Jos. (Breslau) : Mitteldeutsche texte aus Breslauer handschriften XLVII, 83.
Der Ursprung der lateinischen osterferien L, 46.
Anzeige von: K. Gusin de, Eine vergessene deutsche Sprachinsel (die mundart
von Schöuwald bei Gleiwitz) XLIV, 388. — K.Gusinde, Schönwald XLV,
530. — 8. Norrbom, Gothaer lund. arzneibuch L, 471.
Klin^hardt, Herin. (Kötzschenbroda bei Dresden): Antwort XLI, 131.
König', Hans (Lübeck f): Zu Geugenbach XLIII, 457.
Anzeige von: Franz Stütz, Die technik der kurzen reimpaare des Pamphilus
Gengenbach XLVI, 308.
Kopp, Arthnr (Marburg f): Die frühesten schwedischen liederhandschriften XLIV, 199.
Grünwald-lieder XLVH, 210. XLVm, 114.
Anzeige von: A. Kalla, Über die Haager liederhandschrift nr. 721 XLIT, 462.
— E. K. Blümini, Zwei Leipziger liederhandschriften des 17. jahrliuuderts
XLIV, 230. — H. F. Wirth, Der Untergang des niederländischen Volks-
liedes XLIV, 378. — G. Jungbaner, Bibliographie des deutschen Volksliedes
in Böhmen XLVII, 128. — Wolfram Suchier, Gottscheds korrespon-
denten XLVIII, 150.
Körner, Jos. (Wien): Anzeige von: Ludw. Achim v. Arnim, Ariels Offen-
barungen, hi'g. von Jakob Minor XLVI, 148. — AI fr. Kloss, Die Heidel-
bergischen Jahrbücher der literatur in den jähren 1808—1816 XLIX, 119.
Ki'auip, Leo (Elberfeld) : Die verfasserfrage im ahd. Tatian XLVII, 322.
Krauss, Rudolf (Stuttgart): Anzeige von: Herrn. Fischer, Die schwäbische
literatur im 18. und 19. jahrhuudert XLV, 91. — Adalb. Depiny. Ludwig
Bauer XLV, 94.
Krumin, Hermann (Kiel f): Anzeige von: R. M. Werner, Hebbel; Carl
Behrens, Fr. Hebbel, harw liv og digtuiug XLIII, 266.
Kutscher, Artur (München): Anzeige von: Eugen Wolff, Der junge Goethe
XLI, 87. — Otto Nieten, Chr. D. Grabbe XLIV, 363. — Paul Ulrich,
G. Freytags romantechnik; Otto Mayrhofer, G. Freytag und das Junge
Deutschland XLIV, 363. — Alb. Malte Wagner, Das drama Fr. Hebbels
XLV, 360.
Lehinanu, Karl (Göttiugen f) : Grabhügel und königshügel in nordischer heidenzeit
XLII, 1. XLIV, 78.
Ebbe Hertzberg XLV, 55.
Anzeige von: Andr. Hensler, Das strafrecht der Isländersagas; ders., Zum
isländischen fehdewesen in der Surlungenzeit XLV, 75.
Leitzniauu, Alb. (Jena): Zu Rudolf von Ems XLIII, cOl.
Zu Hebbels Judith XLIV, 80.
Zur entstehungsgeschichte des 'Julius von Tarent' XLV, 298.
Die Kitzinger bruchstücke der Schlacht von Alischanz XLVIII, 96.
Zu den briefen der frau Rat XLIX, 89.
Auszüge aus briefen der brüder Grimm an Sal. Hirzel L, 58. 241.
Liscows Zitate L, 79.
Magister Ardelio L, 92.
Matthissonia L, 431.
482 VKK/EIl'UNIS DER MITAKBEI l'ER IN 111). XM — L DER ZEriSCHl;.
Anzeig-e von: Ludwig Pohnert, Kritik und metrik von Wolframs Titurel
XLI, 535. — W. Schwartzkopff, Rede und redeszene in der deutschen
erzälilung bis Wolfram v. Escheubach XLIII, 474. — W. Michael, Über-
lieferung und reihenfolge der gedichte Höltys XLIV, 104. — W. Wacker-
nagel, Der arme Heinrich Hartmanns v. Aue, neu hrg. von E. Stadlei
XLIV, 309. —Susan A. Bacon, The source of Wolframs Willehalm XLV,
303. — Erich Mai, Das mbd. gedieht vom möuch Felix XLVII, 113. —
P. Riese nfeld, Heinr. v. Ofterdingen in der deutschen literatur XLVII,
114. — K. Ludwig. Untersuchungen zur Chronologie Albrechts v. Halber-
stadt XLVII, 897. — Briefwechsel J. K. Bluntschlis mit Savigny, Niebuhr,
L. Eanke, J. Grimm und Ferd. Meyer, hrg. von W. Öchsli XLVIII, 159. —
A. Schreiber, Bausteine zu einer lebensgeschichte W. v. Eschenbach L, 467.
— K. Lach mann, Gedichte Walters von der Vogelweide (8. ausg.) L, 468.
Leyen, Friedr. v. d. (München) : Anzeige von : W o I f v. IJ n w e r t h , Untersuchungen
über totenkult und Oöinnverehrung bei Nordgermanen und Lappen XLIV, 481.
Lidsbnrski, Mark (Göttingen): Anzeige von: Herm. Möller, Semitisch und
indogermanisch XLII, 120.
Lundius, Bernh. (Altona-Ottensen): Anzeige von: Hrotswithae opera ed.
Caro US Strecker XLI, 61. — J. W. Beck, Ekkehards Waltharius, ein
kommentar XLIII, 471. — Elisa b. Haakh, Die naturbetr.Tchtuug bei den
mild, lyrikern XLIV, 85. — Jos. Sturm, Der Ligurinus XLVI, 101.
Matthias, Theodor (Plauen i. V.): Anzeige von: Paul Cauer, Von deutscher
Spracherziehung L, 119.
Maus, Th. (Marburg): Anzeige von: Th. v. Li eben au, Der Franziskaner Thomas
Murner XLVI, 484.
Maync, Harry (Bern): Anzeige von: P. Wüst, Gottfr. Keller und C. F. Meyer
XLV, 107.
Meier, John (Freiburg i. B.): Anzeige von: Ferd. Rieser, 'Des knaben wunder-
horn' und seine quellen; K. Bode, Die bearbeitung der vorlagen in 'Des knaben
wunderhorn' XLIII, 482. — Ernst H.H.John, Volkslieder und volkstümliche
lieder aus dem sächsischen Erzgebirge XLIII, 501.
Meissner, Rudolf (Bonn): Zur lausavisa des Jjorvaldr veili XLVIII, 439.
Mensing, Otto (Kiel): Anzeige von: Herm. Wunderlich, Der deutsche satzbau
XLL 106.
Meyer, Carl (Danzig): Anzeige von: H. E. Fischer, Kants stil in der kritik der
reinen Vernunft XLI, 243. — Rud. Ideler, Zur spräche Wielands XLI, 247.
— J. H. Senger, Der bildliche ausdruck in den werken Heinr. v. Kleists
XLII, 498. — E. F. Kossmann, Der deutsche musenalmanach 1833—39 XLIII,
261. — Käte Friedmann, Die rolle des erzählers in der epik XLIV, 246. —
Hans Bracher, Rahmenerzählung und verwandtes bei G. Keller, C. F. Meyer
und Th. Storni XLIV, 255. — Walt her Herr mann, Th. Storms lyrik
XLV, 95. — Ferd. Vetter, J. Gotthelf und K. R. Hagenbach XLV, 358. —
Aug. Weidemann, Die religiöse lyrik des deutschen katholizismus in der
ersten hälfte des 19. Jahrhunderts XLVI, 151. — 0. Lu terb acher , Die
landschaft in G. Kellers prosawerken; W. Reitz, Die landschaft in Th. Storms
novellen XLVI, 491. — Franz Beyel, Zum stil des Grünen Heinrich; Frida
Jaiggi, G. Keller und Jean Paul XLVII, 289. — Th. Storms Sämtliche
werke IX (nachtragsband), hrg. von Fritz Böhme XLVII, 294. — Woifg.
VERZEICHNIS DER MITARBEITER IN r,D. XLI— L DER ZEITSCHR. 483
Seyffert, Schillers Musenalmanache XLVII, 412. — Hans Rhyn, Die
balladendichtung Th. Fontanes XLVII, 414. — Emil Ermatinger, Gottfr.
Kellers leben, briefe und tagebücher I. XLVIII, 482.
Meyer, Richard M. (Berlin f): Anzeige von: R. Brill, Die schule Neidharts XLI,
70. — E. Ermatinger, Die Weltanschauung des jungen Wieland XLI, 85.
— Immermanns werke, hrg. von H. Maync XLI, 91. — Isolde Kurz,
Herrn. Kurz XLI, 92. — Paul Merker, Studien zur nhd. legendendichtuug
XLI, 93. — Herrn. B. G. Speck, Catilina im drama der Weltliteratur XLI,
127. — H. Hamann, Die literarischen vorlagen der kinder- und hausmärchen
und ihre bearbeitung durch die briider Grimm XLI, 128. — W. Hofstaetter,
Das deutsche museum (1776 — 88) und das Xeue deutsche museum (1789 — 91)
XLI, 128. — J. Erdmann, Eichendorlis historische trauerspiele XLI, 250. —
Saladiu Schmitt, Hebbels dramatechuik XLI, 250. — Heinrich Laubes
ausgewählte werke, hrg. von H, H. Ho üben XLI, 251. — F. Marlow
(L. M. Wolfram), Faust, hrg. von 0. Neurath XLI, 252. — 0. Draeger,
Th. Mundt und seine beziehungen zum Jungen Deutschland XLII, 254. —
E. Zimmermann, Goethes Egmont XLII, 493. — W. Bode, Charlotte
v. Stein XLII, 494. — R. Kyrieleis, Thümmels roman 'Reise in die mit-
täglichen Provinzen von Frankreich' XLIII, 257. — H. Röhl, Die ältere
romantik und die kunst des jungen Goethe XLIH, 257. — Andr. Aubert,
Runge und die romantik XLIII, 258. — Erich Eckertz, Heine und sein
witz XLin, 259. — W. Siebert, Heines beziehungen zu E. T. A. Hoffmann
XLIH, 260. — Max Preitz, G. Kellers dramatische bestrebungen XLIII,
276. - 0. F. Volkmann, Wilh. Busch der poet XLIII, 277. — Rud.
Nicolai, Benjamin Schmolck XLIII, 482. — Walter C. Haupt, Die poe-
tische form von Goethes Faust XLIH, 503. — Otmar Schis sei v. Fleschen-
berg, Novellenkomposition in E. T. A. Hotfmanns Elixieren des teufeis XLIII,
505. — Fritz Winther, Wilh. Busch als dichter, künstler, psychologe und
Philosoph XLIII, 506. — Wilh. Busch, Ut 61er weit XLIV, 365.
Meyer, Theodor A. (Stuttgart): Anzeige von: Rud. Lehmann, Deutsche poetik
XLI, 105. — Manfred Schenker, Charles Eatteux und seine nachahmungs-
theorie in Deutschland XLII, 487.
Michael, Friedr. (Leipzig): Schulkomudie in Konstanz, Biel und Augsburg im
10. Jahrhundert XLVII, 98.
Zu Erich Schidts 'Charakteristik der Bremer beiträger im Jüngling' XLVIII, 115.
Michael, Wilh. (Torgau) : Zu den Hölty-handschriften XLI, 5. Zu Zeitschr. 44,
104 XLIV, 476.
Michels, Victor (Jena): 'Welche dies land gebar' XLIX, 94. Anzeige von: Georg
Rausch, Goethe und die deutsche spräche XLIII, 504. — Jos. Mansion,
Ahd. lesebuch für anfäuger XLVII, ICO. — Alb. Bach mann, Mhd. lesebuch
mit grammatik und Wörterbuch XLVII, 111.
Minor, Jakob (Wien j): Anzeige von: Briefe an Wolfg. Menzel, hrg. von
Hein r. Meissner und Erich Schmidt XLIV, 87. — W ilh. Müller,
Gedichte, hrg. von James Taft Hatfield XLIV, 92.
Modick, Otto (Jena): Zu den Frankfurter gelehrten-anzeigen von 1772 XLV, 330.
Moser Virgil (München) : Zu Zeitschr. 40, 356 ff. XLI, 267. Zur frühnhd. gram-
matik XLIV, 37.
Das ä bei Seb. Brant XLIV, 331.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. L. 33
484 VEU;5EICHNIS DKK MlTARüEITER IN P.D. XLI— L DEK ZEITSCHR.
Beitrüge zur lautlehre Spees XLVI, 17.
Bibliographisches zu Aegidius Albertinus XLVIII, 443.
Anzeige von: Aug. Well er, Die spräche in den ältesten deutschen Urkunden
des deutschen ordeus XLIV, 494. — E. Dornfeld, Untersuchungen zu
Gottfr. Hagens Reimchronik der Stadt Köln XLV, 317. — John Stare k,
Studien zur geschichte des rüfckumlauts XLV, 319. — Ad. Becker, Die
spräche Friedrichs von Spee XLYI, 129. — F. Bulthaupt, Milstäter Genesis
und Exodus XLVI, 294. — Alb. W. Aron, Die progressiven formen im luhd.
und frühnhd. XLVI, 481. — M. H. Jell inek, Geschichte der nhd, gram-
matik XLVII, 115. 265. - C. Franke, Grundzüge der Schriftsprache Luthers
XLVII, 121.266. — Th. Lindem an n , Versuch einer formlehre des Hürnen
Seyfrid XLVII, 268. — Dora Ulm, Joh. Hartliebs buch aller verbotenen
kunst XLVII, 270. — Hans Schulz, Abriss der deutschen grammatik
XLVII, 296. — Ad. Hausenblas, Grammatik der nordwestböhmischen
raundart XLVII, 418. — John Holmberg, Zur geschichte der periphrast.
Verbindung des verbum subst. mit dem part. praes. im kontinental germanischen
XLIX, 137. — G. Einar Töruvall, Die beiden ältesten drucke von
Grimmeishausens Simplizissimus XLIX, 267. — Wolf v. UnAverth, Proben
deutschrussischer mundarten aus den Wolgakolonien und dem gouvernement
Cherson L, 115. — H. Dell'mour, Altdeutsche Sprachlehre L, 286.
Müller, Auguste (Hannover): Anzeige von: Ourt Eotter, Der schnaderhüpfl-
rhythmus XLVI, 324.
Xnumaun, Hans (Frankfurt): Zu Hartmanns Erec XLVI, 360.
Zu 'Ludwigs kreuzfahrt' XLIX, 78.
Zu den 'Nachtwachen von Bonaventura' XLIX, 240.
Anzeige von P. Hoff mann. Der mittelalterliche mensch L, 455.
Nanmanu, Leop. (Berlin-Wilmersdorf): Die Wiener Tauler-handschriften 2739 und
2744 XLVI, 269.
Neumaun Carl (Heidelberg) : Anzeige von : Ernst Dessauer, Wackenroders
'Herzensergiessungen eines kunstliebenden klosterbruders' in ihrem Verhältnis
zu Vasari XLI, 90.
Neumanu, Friedr. (Leipzig), s. Bor eher dt.
Nordal, Siguröur (Reykjavik): Anzeige von: Die pros. Edda irn auszug nebst
VQlsungasaga und Nornagestsl)ättr, hrg. von E. Wilken XLVII, 105.
Xutzhorn, Cr. (Oldenburg) : Murbach als heimat der ahd. Isidorübersetzung und der
verwandten stücke XLIV, 265. 430.
Oessenicli, Maria (Brühl Köln) : Die Elisabethlegende im gereimten Passional
XLIX, 181.
Olbricl», K. (Breslau): Anzeige von Herm. Reichert, Die deutscheu familien-
namen nach Breslauer quellen des 13. und 14. Jahrhunderts XLH, 115. — Erich
Jäschke, Lateinisch-romanisches fremdwörterbuch der schlesischen mundart
XLH, 117.
Olsen, Björn Maguiisson (Reykjavik f ) : Zu den gedichten von Sighvatr J'öröarson
XLV, 56.
Zu Zeitschr. 44, 133 ff. XLV, 60.
Anzeige von: A. Bley, Eiglastudien XLII, 255.
Ortner, M. (Klagenfurt): Zu Heinrich von dem Türlin XLIV, 215.
Panzer, Friedr. (Heidelberg): Anzeige von: Rieh. v. Muth, Einleitung in das
VERZEICHNIS DER MITARBEITER IX BD. XLI— L DER ZKl TSi HR. 405
Nibelungenlied- (bes. von J. W. Nagl) XLII, 452. — Die gedichte Walthers
von der Vogel weide, hrg. von K. Lachmann' (bes. von C. v. Kraus)
XLII, 505. -^ Franz Lettegast, Quellenstudien zur galloromanischen epik
XLIII, 242. — Rudolfs von Ems Willehalm von Orlens, hrg. aus dem
Wasserburger (Donaueschinger) codex von Viktor Junk; Johannes von
Würzburg Wilhelm von Österreich aus der Gothaer hs., hrg. von E. Eegel;
Heinr. von Hesler, Apokalypse aus der Danziger hs.. hrg. von K. Helm;
Tilos von Kulm, gedieht von siben ingesigeln aus der Königsberger hs.,
hrg. von K. Kochendörfer; Der grosse Alexander aus der Wernige-
roder hs. hrg. von Gust. Guth; Kleinere mhd. erzählungen, fabeln und lehr-
gedichte II. Die Wolfeubütter hs. hrg. von K. Euling XLIII, 47G. — John
Meier, Kunstlied und Volkslied in Deutschland; ders., Kunstlieder im volks-
munde XLIV, 499. — A. Heusler, Nibelungensage und Nibelungenlied L, 456.
Pappenheim, Max (Kiel): Anzeige von: Karl von Amira, Die germanischen
todesstrafen L, 443.
Pauls, V. (Kiel): Anzeige von: C. Borchliug, Die niederdeutsclien rechtsquellen
Ostfrieslands XLII, 119.
Petsch, Kol). (Hamburg): Anzeige von: Eich. Wossidlo, Mecklenburgische
Volksüberlieferungen XLI, 259. — Marie Joachimi-Dege, Deutsche Shake-
speareprobleme im 18. Jahrhundert und zur zeit der romautik XLII, 501. —
.J. P rieb seh, Bruder Rausch L, 293.
Petzet, Erich (München): Zu Tandareis und Flordibel von dem Pleier XLHI, 455.
Pfeifl'or, Rud. (München): Ergänzungen zu Schaideureiscers leben und Schriften
XLVI, 285.
Pirkcr, 3Iax (München): Anzeige von: F. E. Merkel, Der naturpliilosoph Gotthilf
Heinr. v. Schubert und die deutsche romantik XLVI, 314.
Pniower, Otto (Berlin) : Anzeige von : K a z i m i r B e i k , Zur entstehungsgeschichte
von Goethes Torquato Tasso L, 108.
Polak, Leon (Haarlem): Anzeige von: R. C. Boer, Methodologische bemerkuugen
über die Untersuchung der heldensage XLV, 522.
Polheim Karl (Graz): Bericht über die verhandlungeu der germau. Sektion der
50. Versammlung deutscher philologen und Schulmänner in Graz XLI, 508.
Prahl, K. (Prenzlau) : Anzeige von: Georg Heeger und W i i h. Wüst, Volks-
lieder aus der Rheinpfalz XLIV, 361.
Rabeier, Th. H. F. (Kiel): Niederdeutscher lautstand im kreise Bleckede XLIII,
141. 320.
Ranke, Friedr. (Königsberg): Anzeige von: Rieh. M. Meyer, Altgermauische
religionsgeschichte XLIV, 114. — Rud. Wust mann, Walther von der Vogel-
weide XLVI, 114. — Franz Kondziella, Volkstümliche sitten und brauche
im mhd. volksepos XL VIII, 137.
Reis, Hans (Mainz): Neue beitrage zur ahd. wortfolge XLI, 208. Anzeige von:
Jak. Berger, Die laute der mundarten des St. Galler Rheintals und der
angrenzenden vorarlbergischen gebiete; K. B oh neuberger , Die mundart der
deutschen Walliser XLVIII, 494.
Reuschel, Karl (Dresden): Anzeige von : E Bethe, Mythus, sage, mUrchen;
Friedr. Panzer,- Märchen, sage und dichtung XLI, 539. — Wilh. Jür-
geusen , Martinslieder XLIV, 233. — Rud. Thietz, Die balladeu vom grafen
und der magd XLVH, 131. — Fritz Günther, Die schlesische volkslied-
88*
486 vERZRitirxis dku Mitarbeiter in bd. xli— l di:k zeitschk.
forschung: XLIX, 142. — Gertrud Schoepperle, Tristan and Isolt
XLLX, '258.
RofTgrc Christian (Neustettin): Zu Goethes 'Sprache' (1774) XLIX, 243.
Rosoiihagcii, (Just. (Hamburg-): Anzeige von: Ernst Schmidt, Zur entstehungs-
geschichte und verfasserfrage der Virginal XLI, 67. — Fried r. Pfaff, Der
minnesang im lande Baden XLIII, 395. — C. v. Kraus, Der heil. Georg
Reinbots von Durne XLV, 496.
Saraii, Franz (Erlangen) : Zu Paul Pleming XLIV, 79. '
Schatz, J. (Lemberg) : Anzeige von : L u d w. A u 1 a n Birö, Lautlehre der heanzischen
mundart von Neckenmarkt XLIV, 237,
Scheel, Otto (Kiel): Anzeige von: Luthers werke iu ausvvahl, hrg. von Otto
Giemen und All». Leitzmann XLVI, 122.
Scheidweiler, Felix (Neuwied): Zu den Eddaliedern der lücke XLIV, 320.
Schlösser, Rud. (Weimar f): Anzeige von: Friedr. Röbbeling, Kleists Kätchen
von Heilbronn XLVII, 142. — Moritz graf Strachwitz, Lieder und
balladen, hrg. von Hanns Martin Elster XLVIII, 339. — Heinr. Leut-
hold. Gesammelte dichtungen, hrg. von Gottfr. Bohnenblust XLVIII,
486. — Jeremias Gotthelf, Sämtliche werke, hrg. von Eud. Hunziker,
Hans Bloesch und Gottfr. Bohnenblust XLIX, 132.
Schmedes, J. (Frankfurt a. M.): Anzeige von: Deutsche dichter des 19. jabrhunderts,
hrg. von Otto Lyon u. a. XLI, 255.
Schoepperle, Gertrude (Paris): Isolde weisshand am Sterbebette Tristans XLIII, 453.
Schölte, J. H. (Amsterdam) : Grimmeishausen : Hybspinthal XLIII, 234.
Schnlhoff, Hilda(Prag): Die textgeschichte von Eichendorffs gedichten XLVII, 22.
Anzeige von: M. Krass, Bilder aus Annette von Drostes leben und dichtungen
XLVIII, 336. — Ernst Lemke, Die hauptrichtungen im deutschen geistes-
leben der letzten Jahrzehnte und ihr Spiegelbild in der dichtung XLVIII, 337.
Schnlz, Paul A. (Ulm): Anzeige von: Her m. Glockner, Fr. Th. Vischers ästhetik
in ihrem Verhältnis zu Hegels Phänomenologie des geistes L, 114.
Schumacher, Karl (Düsseldorf): Das sogenannte 'Liederbuch der herzogin Amalia
von Cleve-Jülich-Berg' XLV, 493.
Schivietering, Julius (Leipzig): Anzeige von: V. S. Mansikka, Über russische
Zauberformeln mit berücksichtigung der blut- und verrenkungssegen ; Reidar
Th. Christiansen, Die finnischen und nordischen Varianten des 2. Merse-
burger Spruches XLIX, 253.
Seiler, Friedr. (Wittstock): Deutsclie Sprichwörter in mittelalterlicher lateinischer
fassung XLV, 2:^6.
Die kleineren deutschen sprichwörtersammlungen der vorreformatorischen zeit
und ihre quellen XLVII, 241. 380. XLVIII, 81.
Anzeige von: Emil Henrici, Sprachmischung in älterer dichtung Deutsch-
lands XLVII, 106.
Siebs, Theodor (Breslau): Zur geschichte der germanistischen Studien in Breslau
XLIII, 202.
Sijmons, Barend (Groningen): Anzeige von: Deutsches Sagenbuch I (Friedrich
V. d. Leyen, Die gi)tter und göttersagen der Germanen) ; IV (Friedr. Ranke.
Die deutschen volkssagen) XLIII, 465. — Kudrun (textabdruck)^ hrg. von
Ernst Martin (bes. von E d w. S c h ö d e r) XLVI, 469.
VERZEICHNIS DER MITARBEITER IN BD. XI.I— L DER ZEITSCHR. 487
'»inion, Otto (Göttingen): Anzeige von: Der sogen. St. Georgener prediger, hrg.
von Karl Rieder XLII, 356.
Miits, Hans (Greifswald): Anzeige von: Rud. Buch mann, Helden und mächte
des romantischen kunstmärchens XLVI, 144.
>okoIowskj', Rnd. (Altona): Anzeige von: Hans Gerh. Graef, Goethe über
.seine dichtungen XLI, 85. XLH, 124. XLVI, 141. XLAIII, 480. — Georg
Grempler, Goethes Clavigo XLYI, 142. — Harry Maync, Geschichte der
deutschen Goethe-biographie XLVII, 140. — Oskar Kanehl, Der junge
Goethe im urteile des Jungen Deutschlands XLVII, 140. — Otto Mo dick,
Goethes beitrage zu den Frankfurter gelehrten anzeigen von 1772 XL VIII, 478.
>panril»erg', Paul (Eisleben) : Die mundartlichen szenen in den dramen des Johannes
Bertesius XLIV, 393
Zu Dähnhardts 'Natuesagen' XLV, 66.
Zu Steinhöwels 13. extravagante XLVI, 80.
<tähelin, Felix (Basel): Erdapfel XLVI, 292.
•»taiumler, Wolfg. (Greifswald): August graf von Platens vater XLIII, 237.
Zu Bürgers 'Xachtfeier der Venus' XLVI, 291.
Herders mitarbeit am 'Wandsbecker bothen' XLVIII, 286. 433.
Anzeige von: Guido Kisch, Leipziger schöffenspruchsammlung XLIX, 273.
■»teisr, Reinhold (Berlin-Friedenau f) : Anzeige von: Alb. Fries, Stilistische
und vergleichende forschungen zu Heinr. v. Xleist XLIV, 113. — Friedr.
Schinemann, L. Achim von Arnims geistige entwicklung an seinem drama
'Halle und Jerusalem'; Wilh. Fr eis, Bettina v. Arnims Königsbuch XLV, 352.
!>tiefel, Arthur Ludw. (München j) : Hans Sachsens drama 'Der marschalk mit
seinem söhn' und seine quellen XLII, 428.
Zu Hans Sachsens fastuachtsspiel 'Der krämerkorb' XLIV, 329.
Anzeige von: Die dramat. werke von Peter Probst (1553—56), hrg. von
Emil Kreisler XLII, 483. — Erich Ricklinger, Studien zur tierfabel
von H. Sachs XLIII, 253 — Konr. Vollert, Zur geschichte der lat.
fazetiensammlungen des 15. und 16. Jahrhunderts XLV, 5U4. — Jul. Hart-
mann, Das Verhältnis von Hans Sachs zur sogen. Steinhöwelschen Deca-
meron-übersetzung XLV, 517.
^tolzenburg, Hans (Hamburg): Anzeige von: Paul Di eis, Die Stellung des
verbums in der älteren ahd. prosa XLII, 109. — Die gotische bibel, hrg. von
Wilh. Streitberg XLII, 366.
storck, Willy F. (Heidelberg): Das 'Vado mori' XLII, 422. ,
<»traucli, Phil. (Halle a. S.): Zur Gottesfreundfrage. IL Zu Merswins Banner-
büchlein XLI, 18.
Kurt .lahn XLVH, 233.
Der Engelberger prediger L, 1. 210.
Anzeige von: Ad. Spam er, Texte aus der deutschen niystik des 14. und
15. Jahrhunderts XLIV, 492. — M. Pahneke, Eckehartstudien XLVI, 482. —
Fritz Brüggemann, Utopie und robinsonade XLVIII, 146. — Werner
31 ah r holz, Deutsche Selbstbekenntnisse L, 101. - A. Cor in, Tauler L, 462.
Strich, Fritz (München): Anzeige von: Jos. Körner, Nibelungenforschungen der
deutschen romantik XLIV, 384. — Georg Büttner, Rob. Prutz XLVI, 318.
— AI fr. Weise, Die entwicklung des fühlens und denkens der romantik auf
grund der romantischen Zeitschriften XLVI, 323.
488 VERZEICHNIS DER MITARBEITER IN BD. XLI— L DER ZEITSCHR.
Stricker, Eug-en (Stuttgart): Floovant und Nibelungeiisage XLI, 31.
Suchier, Waltlier, (Göttingen): Anzeige von: Jak. Kelemina, Untersuchungen
zur Tristansage XLIV, 228.
Sudhoif, Karl (Leipzig): Anzeige von: Agnes Bartscherer, Paracelsus, Para.
celsisten und Goethes Faust XL VI, 126. — Franz Willecke, Das arzneibuch
des Arnoldus Doneldey XL VI, 127.
Thode, 0. (Kiel): Anzeige von: Klaus Groths briefe an seine braut Doris Finke,
hrg. von Herrn. Krumm XLIV, 114.
Tiiumb, Alb. (Strassburg) : Anzeige von: R. Meringer, Aus dem leben der spräche
XLII, 499.
Unger, Rudolf (Göttiugen) : Anzeige von: A. Dreyer, Karl Stieler, der bay-
rische hochlandsdichter XLI, 255. — Robert F. Arnold, Allgemeine büclier-
kunde zur neueren deutscheu literaturgeschichte XLV. 88.
Unwerth, Wolf t. (Greifswald f): Zu Christ. Weises dramen 'Regnerus" und
'Ulvilda' XLVII, 376.
Anzeige von: Otto Kürsteu und Otto Bremer, Lautlehre der mundart
von Buttelstedt bei Weimar XLIV, 386. — Herrn. Schneider, Die ge-
dichte und die sage von Wolf Dietrich XL VI, 115. — Theodor Schön-
born, Das pronomen in der schlesischen mundart XAVI, 166. — Gustav
Necke 1, Walhall XLVII, 102. — Lothar Hanke, Die Wortstellung im
schlesischen XLVII, 137. — L. Simons, Waltharius en de Walthersage
XLVIII, 451.
Vietor, Karl (Giessen) Briefe von Klopstock und Gleim L, 408.
Vogt, Wallher H. (Kiel): Anzeige von: Adeline Ritters haus. Altnordische
frauen L 97.
Vossler, Karl (München) : Anzeige von E. Sulger-Gebing, Goethe und Dante XLI^
88. — Ja c. van Ginneken, Principes de linguistique psychologique XLII, 122.
Waag, Alb. (Heidelberg) : Anzeige von : Hans Tschinkel, Der bedeutungswandel
im deutschen XLVII, 418.
Walzel, Oskar (Bonn): Anzeige von: Paul Zincke, Georg Forster nach seinen
originalbriefeu ; Georg Forsters briefe an Chr. Friedr. Voss, hrg. von Paul
Zincke XLVIII, 324.
Weidemanu, Carla (Kiel): Stephan Roth als korrekter XLVIII, 235.
Weiss-Bass, F. (Basel): Anzeige von L. Brun, Hebbel L, 322.
Wels, K. H. (Berlin): Opitzens politische dichtungen in Heidelberg XLVI. 87.
Anzeige von: Geschichtliche lieder und Sprüche Württembergs, hrg. von Karl
Steiff und Gebh. Mehring XLVL 299.
Wesle, Karl (Jena): Über die Katharina von Siena von J. M. R. Lenz XLVI, 229.
Wilhelm, Friedr. (Freiburg): Anzeige von: Harry Maync, Die altdeutschen
fragmente von könig Tirol und Fridebrant XLIII, 472.
Witkowski, Georg (Leipzig): Anzeige von: Wiener haupt- und Staatsaktionen, hrg.
von Rud. Payer von Thurn XLII, 485.
Wülflng, E. (Bonn) : Anzeige von : Karl Jost, Beon und wesan XLIV, 870.
Wunderlich, Herrn. (Frohnau bei Berlin f ) : Anzeige von: Aug. Engelien,
Grammatik der nhd. spräche XLI, 210. — Ri eh. M. Meyer, Vierhundert
Schlagworte XLI, 250. — W. Wilmanus, Deutsche gramraatik XLII, 373. —
Herm. Paul, Deutsches Wörterbuch XLVI, 327. — Th. Matthias, Sprach-
leben und Sprachschäden XLVII, 134.
Nachrichten 489
Zinkoruagel, Franz (Basel): Auzeige von: Friedr. Ausfeld, Die deutsche aua-
kreontische dichtuug des 18. Jahrhunderts XLI, 245. — Karl Freye, Jean
Pauls Flegeljahre XLI, 248. — S. Nestriepke, «chubart als dichter XLIV, 109.
— Rieh. Meszleny, Friedr. Hebbels Genoveva XLIV, HO. — Alb. Malte
Wagner, Goethe, Kleist, Hebbel und das religiöse problem ihrer dramat.
dichtung XLIV, 237. — Otto Ludwig, Sämtliche werke, hrg. von. Paul
Merk er XLVII, 145. — Elise Dosen heimer, Hebbels auffassung vom
Staat und sein trauerspiel 'Agnes Bernauer' XLVII, 147. — Karl Vietor, Die
lyrik Hölderlins; ders., Die briefe der Diotima : ders., Hölderlin und Diotima L, 111 .
NACHRICHTEN.
Am 2. februar 1925 verstarb der mitherausgeber dieser Zeitschrift, der pro-
fessor der nordischen philologie an der Universität Kiel dr. Hugo Gering
(o. s. 339 ff.) ; mit abschluss des 50. bandes wird die herausgäbe der Zeitschrift
für deutsche philologie in die bände von prof. dr. P. Merker und W. Stammler
(Greifswald) übergehen.
Am 16. mai 1925 verstarb zu Münster der emeritierte professor der deutschen
philologie dr. Franz .Jostes, am 13. juni in Stockholm der emeritierte professor
der nordischen philologie dr. Adolf Xoreen, am 19. aiigust in Leipzig der pro-
fessor der vergleichenden Sprachwissenschaft dr. Wilhelm Streitberg, am
7. Oktober in Berlin der anglist professor dr. Felix L i e b e r m a u u , vor ablauf
des Jahres in Dresden prof. .dr. K. Reuschel.
Zum 1. Oktober 1925 ist prof. dr. Ferdinand Holthauseu in den rnhe-
stand getreten, sein nachfolger in der Vertretung der englischen philologie an der
Universität Kiel wurde der bisherige a. o. prof. dr. Karl Wildhagen (Leipzig).
Der professor für neuere deutsche literaturgeschichte dr. Kor ff ist als nach-
folger A. Kösters nach Leipzig übergesiedelt, in Giessen bat ihn der Frankfurter
Privatdozent Dr. Vietor ersetzt; prof. dr. Unger ist von Breslau nach Göttingen
berufen worden, iu Königsberg ist prof. dr. Nadler, in Breslau prof. dr. Brecht
(Wien) an seine stelle getreten, nach Freiburg i. Schw. der bisherige Göttinger
privatdozent dr. Müller als a. o. professor berufen worden. Prof. dr. Kluckhohn
bat einen ruf an die technische hochschule zu Danzig. prof. dr. Wörner an die
Universität Würzburg als Vertreter der neueren deutschen literaturgeschichte an-
genommen.
Als a. 0. professor der deutschen philologie ist dr. Seh wieteri ng (direkter
des museums in Bremen) nach Leipzig, als o. professor dr. Schrö de r (privatdozent
in Heidelberg) nach Würzburg, als nachfolger von 0. Behaghel prof. dr. Götze
nach Giessen berufen worden.
Die bisherigen privatdozenten dr. B e b e rm ey er in Tübingen und dr. W agn e r
in ^larburg sind zu a. o. professoren befördert worden.
Habilitiert haben sich dr. Bach (Wiesbaden) in Darmstadt, dr. II. Brink-
mann in Jena, dr. E. Beutler in Hamburg, dr. J. van Dam in Amsterdam.
\V. Kohlluuiimer, Yerlai^, Stuttgart
Die philosophische Bedeutung der
mediumistischen Phänomene
Von Traugott Konst. Oesterreich,
Professor an der Universität Tübingen
8». VII u. 54 S. Broschiert Rm. 2. -
Besprechung aus: Unsere Welt vom 2. IL 1925. . . . Das Schriftchen
stellt die erweiterte Fassung eines auf dem zweiten Internationalen Kon-
gress für parapsychologische Forschung in Warschau im Herbst 1923 ver-
lesenen Vortrages dar. Der bekannte Vorkämpfer des wissenschaftlichen
Okkultismus will hier, ausgehend von der als wahr und echt unterstellten
Realität der verschiedenen okkulten Phänomene wie Telepathie, Hellsehen,
Telekinesie, Materialisation usw., untersuchen, welche Folgerungen sich
daraus in Hinsicht auf Erkenntnistheorie, Metaphysik und Weltanschau-
ung ergeben. Es ist rückhaltlos anzuerkennen, dass die von Oe. hier auf-
gestellten Forderungen durchaus im Geiste echter Wissenschaft gehalten
sind. Diese kann nicht mit dem blossen Dass zufrieden sein, sondern
muss nun vor allem die Frage des Wie und wodurch in Angriff nehmen.
Wie viele neue Probleme da auftauchen, das möge man in dem lesens-
werten Schriftchen selber nachlesen, das ich gern empfehle, obwohl ich,
wie schon augedeutet, in Hinsicht auf die Tatsachenfrage anderer Mei-
nung bin als der Verfasser.
Besprechung aus: Magdeburger Amtsblatt vom 21. II. 25. . . . Uuer-
lässlich hierfür ist die von Oesterreich aufgestellte Forderung, dass man
sich nicht darauf beschränken dürfe, die Tatsächlichkeit dieser Erschei-
nungen festzustellen, sondern dass eine feinere Analyse der hellsehe-
rischen, prophetischen, telekinetischen usw. Akte einsetzen müsse. . . ,
Dr. ^^atieö %, ©ümoob
3ut ©cneuetung bec Dleligion
©efcttfc^aftöfunbtic^e Sletcac^tungcn
©ebun&en Dtm. .'i. —
^liiö bem '^n\)alt :
Sie religipfe llmroiil^ung :--: Die gcfeIJ)d)att[iif)c Bedeutung £>cr didi-
gion :--: Sic lojiale 25c£>cutung ^eö Gbriftcntumö :=: Unfcrc f>a[bhei£'=
ni)cf)c 3iPiIi(ation :=: ^Vfitipcö ßbriftcntum :=: Da£i li^cfcn einer fo^ia--
Jen Dtcligion :=: Dteligion un& ^omilie :=: D'leligipn imt» 2Birtfrf)aft :-:
Dteligion un^ ^olitif :=: LKeligion uni> gefeUft^nj^tlidje 25ergnLigiingen
(Sine ber größten 9Tptrt>en&igfeitcn unfcrer ^eh ift eine Den 25ei>ürfnif('en ö^s
ßebenö angepaßte unö mit ^er mo^ernen 2lMffcn|cf)att übcreinftiinmenbe 3icligipn.
Der 23erfa)jcr ^CE( ?3iiif)e£(, Prof. Dr. (S■IltfPP^, Präfibenf ^cr amerifanifd)eii
)P5ioIpgiftf)en öc)'ell)d)flft, gebt in bieleni 21>erf vmi ^em C^^eöanfen aud, .feaf?
eine fp[tf)e 3ie[igipn eine niiffcn|cf)i-iftlid) unanfeif)tbüre WrunMage über Die rpirt;
ft^aftlic^cn i.'ebcn£(be£)ingi'ngeti tln^ ;}lrbcit£tperbii[tniffe baben mu|^. C5ic mu^
fid) aller Unmoral un& llngererfitigfeitcn entgegenfteUen, bie unferen 2Birtftf)affö
fi^ftemen anhaften, roeil biefe überall bie fittlicf)e (fbtimftcrbilbung uni? eine t>e=
friebigeiibe Wefellfc^aftpprbnnng nnmpglirf) marfnni nnb auf bie L'ebcndtübrung
ungünftig gurücfmirfen
Durch alle Buchhaiidlniigen zu bezieheu
REGISTER ZU BAND 49 UXD 50
VON 0. SCHARBOU.
I. SACHREGISTER.
A b w ehr, Gerings ab wehr der Sieverschen
Kritik (iu den beitragen von Paul und
Braune 48, 329 ff.) 50, 326 ff.
Alliteration, Über die alliteration als
kiinstformim volks- und spielmannsepos
50, 117 f.
Ä ui t e r b u c h , Das grosse ämterbuch des
deutschen Ordens 50, 2M f.
Das Marienburger ämterbuch 49, 95 f.
A r d e 1 i 0 , Magister Ardelio 50, 92 f.
Arnold, Gottfried, siehe mystiker.
Arzneibuch, Das Gothaer mnd.arzuei-
biich und seine sippe öO, 471 ff.
A 1 1 a k V i J) a siehe Edda.
Atlam()l siehe Edda.
Balladen, Studien overfteroiskeballaden
4P, 104 ff.
Unterschied derfolkeviser von sonstigen
literarischen quellen 49, 105 ff.
1 Bewertung der formel und "ihres gel-
tungsbereichs in der viser-diehtung
49, 106 ff.
fieroische tanzballaden 49, 165 ff.
Berlinische geschichten. Zwölf Berli-
nische geschichten aus den jähren 1551
bis 1816: -50, SOI f.
Bibliographie, Die zukunft der biblio-
graphischen Unternehmungen auf dem
gebiete der germanischen philologie 49,
246 f.
Boio, Heinrich Cliristian. Aus
seinem nachlass, fortsetzung; erste
hälfte 49, 57 ff. ; zweite hälfte 49, 195 ff.
Boies drittes Sammelbuch 49, 57 ff.
Die Darmstädter Ausgabe von Klopstocks
öden und elegien 1771: 49, 63 ff.
Bemerkungen über die reste des dritten
sammelbuches 49; 195 f.
Zeitschrift f. Deutsche Philologie. B'l. L.
Klopstockische gedichte 49, 196 f.
Luise Mejers sannuelbuch 49, 214 ff.
Notizbuch des n. n. 49, 217.
Vossiana 49, 217 ff.
Aus Boies briefen an Nicolai 49, 219 ff.
Bonaventura, Zu den 'Nachtwachen
von Bonaventura' 49, 240 ff.
Briefe siehe Boie; Briefe von Klopstock
49, 232 ff.
Briefe von Klopstock und Gleim 50,
408 ff.
Zu den briefen der frau rat 49, 89 ff.
Auszüge aus briefen der brüder Grimm
an Salomon Hirzel 50, 58 ff., 241 ff.
Bu ebner, August Buchner und seine
bedeutung für die deutsche literatur
des 17. Jahrhunderts 50, 105 f.
Cid, Histoire du Cid (nr. 7 der quellen-
schriften zur neueren deutschen lite-
ratur) 50, 104.
Czepko, Der junge Czepko 50, 310 ff.
Diotima, Diebriefe der Diotima 50, 113.
Drama, La theologie daus le drame
religieux en Alltiuagne au moyen äge
49, 261. Les apocryphes dnns le drame
religieux en .AUemagne au moyen äge
49, 262.
Eck er mann, Johann Peter Ecker-
mann, gespräche mit Goethe in den
letzten jähren seines lebens 49, 280 ff.
Edda, Die Eddalieder, klanglich unter-
sucht .5(1, 93 ff.
Zur Eddametrik .50, 127 ff.
Härbarljsljöl) 50, 127 ff. Kritisch her-
gestellter text 50, 128 ff. Versbau
und Strophenbau 50, 185 ff. Allite-
ration und reim 50, 143 f.
Sigrdrifomi'jl 50, 144 ff.
84
492
KECJI.STEll ZU BAND 49 UND 50.
Atlakvilia 50, U6 ff. FornyrlHslag 50,
146 ff. Versbau 50, 146 ff. ; Allite-
ration und reim 50, 148 f. Mälahättr
und Schwellverse 50, 149 ff. Vers-
bau 50, 149 ff.; Alliteration und
reim 50, 154 f.
Atlamöl 50, 155 ff. Versbau 50, 156 ff.;
Alliteration und reim 50, 164 ff.
HamljesmOl 50, 166 ff. Fornyrljislag
und dreisilbler 50, 167 ff. ; Alliteration
und reim 50, 170; Mälahättr und
Schwellverse 50, 171 ff.; Versbau 50,
171 ff. ; Alliteration und reim 50,
173 ff.
Engelbergerp rediger 50, 1 ff. 210 ff.
Beschreibung der hs. 50, 1 ff. Auf-
zählung der predigten 50, 4 f. An-
fang und schluss der predigten 50, 5.
Ein Verfasser aller predigten 50, 5.
Schweizer Ursprung 50, 6. Inhaltsana-
lyse der predigten 50, 6 ff. Fehlerhafte
flexion in fremdworten und eigennamen
50, 210 f. Zeit der entstehung 50, 211.
Vorbildliche rolle der Maria Magdalena
in den predigten .50, 212 f. Bezug-
nahme auf den hl. Franziskus 50, 213.
Berufung auf die kirchenväter 50, 2141
Friiiiide gottes als bezeichnung für
die verschiedenen gewährsmänner -50,
215 f. Eingehen auf lehrmeinungen 50,
2 16 f. Erfüllung der seelsorgerischen
aufgäbe durch die predigten 50, 217 ff.
Epische d i c h t u n g , Zur entstehungs-
weise altgermanischer epischer dich-
tungen 49, 244 ff. "^
Etymologie, Bemerkungen zu Kluges
etymologischem Wörterbuch der deut-
schen spräche 49, 282 ff. Adhramire
und die germanische framea 49, 229 ff.
Faust, Die Faustillustrationen des Peter
Cornelius in ihrer beziehung zur deut-
schen uationalbewegung der romaotik
49, 279 f.
Fleming, Übertragungen bekannter
und unbekannter lateinischer gedichte
Paul Flemings 50, 429 ff.
Folkeviser siehe balladen.
Frau, Altnordische frauen 50, 97.
Gerhardt, Paul 50, 303 ff.
Gering, Hugo: Gedächtnisrede 5(»,
339 ff. Publikationen 50, 354 ff.
Gl eim s. briefe.
Goethe, Zu Goethes 'Sprache' 1774
49, 243. 'Welche dies land gebar'
49, 94 f.
Gotisch, Der stil der gotischen bibel.
(Fortsetzung) 49, 11 ff. Genus Wechsel
11 f. Berücksichtigung des gefiihls-
und stinimungswertes für den bedeu-
tuugswandel der Wörter 49, 12. Spiri-
tualisieruug 49, 12 ff, Sakramentali-
sierung 49, '20 ff. Nationalisierung der
kultsprache 49, 34 ff. Zum gebrauch
der konkurrierenden abstraktbildungen
im gotischen 49, 82 ff. - ei: - düps 49,
83 ff. - ei: - ißa 49, 84 ff.
Gotthelf, Jeremias. Käthi 49, 134.
Jakobs Wanderungen 49, 136 f.
Grimm siehe briefe.
Grimmeishausen siehe 'Simplicissi-
mus'.
Ham^esraOl siehe Edda.
Härbar}] slj ö t) siehe Edda.
Hebbel, sa personalite et son oeuvre
lyrique 50, 322 ff.
Hengist und Hors 50, 284 f.
Hildebrandsage, Die nordische und
die deutsche Hildebrandsage 49, 149 ff.
50, 175 ff. Die drei nordischen quellen
49, 149 f. Das Verhältnis von Saxo
und saga 49, 15U ff. Die fa^roische
tradition 49, 165 ff. Äsmundarsaga
und Hervararsaga 5ö, 175 ff. Die
gotischen wurzeln der sage 50, 186 ff'.
Die deutsche entwicklung der sage 50,
199 ff.
Hölderlin, lyrik 50, 111 ff. Diotima
50, 113 ff.
Jahrbücher, Heidelberger in den
Jahren 1808—1816 : 49, 119 ff. Gründung
der Jahrbücher 49, l'2t). Geschichte der
Jahrbücher 49, 120 ff.
K a t e r M u r r , Lebensansichten 50, 299 if.
Kl op stock siehe briefe. Die Darm-
stätter ausgäbe von Klopstocks öden
und elegien 1771: 49, 63 ff. Klop-
REGISTER ZU HAND 49 LXl) 50.
498
stockisclie ged^hte im deutschen saiu-
melbach Boies 49, 196 ff.
Lehnwort, Die entwicklung der deut-
schen kultur 50, 285 f.
L i s c 0 w 50, 79 if .
Literaturgeschichte, Bildnisse zur
deutschen literaturgeschichte aus La-
vaters physiognomischem kabinett 49,
252.
i.iidwigs kreuz fahrt 49, 78 ff.
Luther, Werke 49, 114 ff. Kritische
bemerkungen zum texte 49, 117 ff.
Lyrik, Über rhythmisch-melodische
grundgestalten des lyrischen Schaffens
49, 251 f. Die deutschen lyriker von
Luther bis Nietzsche 50, 316 ff.
Marien bürg siehe Ämterbuch.
Matthisson .50, 431 ff.
Mejer, Luise: sammelbuch 49, 214 ff.
Meistersinger bühne 50, 292 f.
Meyrink, Motiv und wort 50, 107 f.
M i 1 1 e 1 a 1 1 e r , Der mittelalterliche mensch
.50, -455 f. Vom mittelalter zur refor-
mation : Briefwechsel des Cola di Rienzo
49, 96 ff.
Morgenstern, gestaltungs- und sprach-
kuGst 50, 107 f.
Mundarten, Beiträge zur Wortbildung
und Wortbedeutung im Berndeutschen
4!», 289 ff. Nomina agentis des Schwei-
zerdeutschen in ihrer bedeutungsent-
faltung 49, 302 ff. Proben deutsch-
russischer mundarten aus den Wolga-
kolonieu und dem gouvernement Cherson
50, 115 ff.
Müuziu s chrif t eu , Zu den angel-
sächsischen münzinschriften 50, 279 f.
Murner, Thomas: Geuchmatt 50, 419 ff.
Mystiker 50, 462 ff. 101 ff: ; des 17. Jahr-
hunderts: Gottfried Arnold 50, 313 f.
Namenkunde 50, 118f.
Nibelungen 50, 456 ff.
Nietzsche, Friedrich : Nietzsche-preis
für 1923. 49, 305.
Novalis, Zur datierung und inneren
entstehungsgeschichte der hymnen an
die nacht 49, 250 f.
Oster feiern. Der Ursprung der latei-
nischen osterfeiern 50, 46 ff. Text der
frauenengelszene 50, 46. Ursprung des
grundtextes 50, 47 ff. original aus dem
12. Jahrhundert 50, 48. Wechselwirkung
der abendländischen und Jerusalemer
liturgie 50, 50 ff. auferstehungsliturgie
des Jerusalemer ordo 50, 52. consue-
tudo antiqua 50, 50 f. liturgie der
matutin .50, 53. prozessionsliturgie
50,54. Variante cod. biblior. Hubertianus
und cod. bibl. Theodulfianus iesum na-
zarenum 50, 55. römischer breviertext
50, 55. liturgie der grabeskirche 50,
56. peregrinatio 50, 57. einfübrung
der Prozession in Frankreich und
Deutschland 50, 58.
P a s s i 0 n a 1 , Die Elisabethlegende im
gereimten passional 49, 181 ff. Die
Elisabethlegende des Jacobus a Vora-
gine 49, ISl ff.
Passionsspiel, Bühnenplan des Frank-
furter passionsspiels 49, 247.
Periphrastische Verbindung des
verbum substantivum mit dem parti-
cipium praesentis im kontinentalger-
manischen 49, 1.37 ff.
Rausch, Bruder : ältester druck 5( ), 293 ff.
Reuter, Christian, werke 50, 297 f.
Rienzo, Cola d i 49, 96 ff'.
Rolands lied 49, 245.
Rot seh er, Theodor 50, 318 ff.
Runen: Nordendorfer spange 49, 1 ff.
Zu Arkiv 14, 101—136. 50, 274 f. Der
brakteat von Vadstena 50, 275 f. Die
abkunft der ing-rune 50, 277 ff. Zu den
angelsächsischen münzinschriften 50,
279 f. Ein runisches Monogramm 50,
280 f. Zu den runischen exsecrationen
50, 282 f.
Saga. Hälfdanarsaga Eysteinssonar 49,
262 ff. Vatnsdcelasaga 49, 264 ff. ; siehe
Hildebrandsage.
Schererstiftung 50, 122.
Schicksalsglaube 50, 361 ff; reli-
gionsgeschichtliches Problem 50, 361.
im mittelalterlichen Europa 50, 362 ff.
494
REGISTER ZU BAND 49 INI) 50
in der frühchristlicheu dichtimg der
Westgenuanen 50, 368 f. Scliicksals-
fügungen 50, 369 tf. Schicksalsmächte
50, 385 ff. Schicksalsgestalten 50, 397 ff.
Schöffenspruchs am mlung, Leip-
ziger 49, 273 ff.
SigrdrifomQ l siehe Edda.
Sprachlehre, Von deutscher sprach-
erziehung 50, 119 ff. Altdeutsche für
anfanget 50, 286 ff.
Steinmar, im Strassburger Münster
49, 284 f.
Syntax auf grund von sprachmelodik
49, 245 f.
T a u 1 e r , J. 50, 462 ff.
Teersteegen, Die dichterische per-
sönlichkeit 50, 314 ff.
Theaterkritik, Die anfängein Deutsch-
land 50, 97 ff.
Todesstrafen, Die germanischen 50,
443 ff'.
Torquato Tasso, Zur entstehungs-
• geschichte von Goethes Torquato Tasso
50, 108 ff.
Totentanz des mittelalters 49, 247 f.
Tristan und Isolt 49, 258 ff.
Tscherning, Andreas 50, 307 ff.
Vi sc her, Friedrich Theodor (ästlietik
in ihrem Verhältnis zu Hegels phäno-
minologie des geistes) 50, 114 f.
Volkslied, Die scblesische volkslied-
forschuDg 49, 142 f. Früheste mittei-
lungen 49, 142.
Voss, Joh. H. : Vossiana 49, 217 ff.
Walt her von der Vogelweide 50
468 ff.
Weise, Chr. biblische dramen 50, 296 f.
AV 0 1 f r a m v o n E s c h e n b a c h , lebens-
geschichte 50, 467 f,
Zaubersprüche, Über russische Zau-
berformeln 49, 253 f. Die finnischen
und nordischen Varianten des zweiten
merseburger Spruches 49, 254 ff.
IL WOETEEGISTER.
G 0 tis eh.
ahma 49, 42 f.
ansts 49, 83.
audags 49, 33.
awiliudon 49, 23.
bidjan 49, 31.
blot) 49, 24,
blotinassus 49, 56.
brusts 49, 12 f.
drigkan 49, 24.
fairhvus 49, 36 fg.
fastan 49, 32.
galaubjan 49, 15fg.-
galaufs 49, 14 fg.
gaskafts 49, 36.
gatimreins 49, 19 f.
gatimrjan 49, 19 f.
gut) 49, 11.
hairto 49, 12 f.
hairljra 49, 12 f.
himins 49, 45 f.
hlaifs 49, 24.
luuisl 49, 55 f.
idreiga 49, 53 f.
leik 49, 24 fg.
liufs 49, 15.
, manasel)s 49, 36 ff.
matjan 49, 24.
nasjan 49, 21 f.
nasjands 49, 21 f.
ragin 49, 48.
runa 49, 49 ff.
spill 49, 52 f.
stafs 49, 41.
stikls 49, 24.
timreins 49, 19 f.
timrjan 49, 19 f.
ufdaupjan 49, 30.
uuhullio 49, 42.
wairljs 49, 14.
weihs 49, 54 f.
wult)us 49, 46 f.
iHudangardi 49, 44 f.
t)iudinassus 49, 44 f.
Lateinisch,
adhramire 49, 229.
•^Q Lirr oFü 1 5 'im
^V .,|^H'^ ^^*
PF
3003
Z35
Bd./,9-50
Zeitschrift für deutsche
Philologie
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