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Full text of "Zeitschrift für deutsche Philologie"

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* 


w. 


ZEITSCHRIFT 


FÜR 


DEUTSCHE  PHILOLOGIE 


BEGRÜNDET  von  JULIUS  ZACHER 


HERAUSGEGEBEN 


VON 


Hugo  Gering  und  Friedrich  Kauffmann 


NEUNUNDVIERZIGSTER 

BAND 

^^so 

VERLAG 

VON  W.  KOHLHAMMER 

BERLIN  W  35 

Derfflingerstraese  10 

STUTTGART 

ürbangtrasse  14 

LEIPZIG 
Taubchenweg  21 

1923 


ö 


Druck   »on   W     Kohlhammer.  Stuttgart. 
Hrinted  in  Germany. 


Inhalt. 


Abij*iidi,au^-.em-  Seite 

Die  rxmiwmmAmM  der  ^öesereaa  ]^'  ardeodHrf'ear  egiaange.    Y&a  Si  e  gm  undF '•''-•'  1 

D«-  «töJ  4er  g'otiiscihcai  Mt>el  («cMiiffle).    Voai  FTÜ-eäri.cih  Katiffm*»!  :1 
Asva  Eimurifäi  Christiju)  Boies  naclilans.    Vom  Erai«t  €  oneemtiTi«    .     .     .  lü.  lyä 

ll>ie  aoräasiü«;  xmä  deateöhe  Hildeliraadsag-*,     Voti  H-eianiit  de  Boor  .     .     .  14® 

iJm  ElieabetM^^nde  im  ^ereämteii  Passional.    Tob  Maria  'Öeistiahch   .     .  l'Sl 
»■3-  V'easaaiäDajknQg    deutscb*''    j/bikil"i.''«^n    und    isclinlniSTirieT'-     Tom  P.  or  ffi  p  rdt 

moiä  JiTieiiiBiiaaii:                                                                                           .  243 

Misz.ellll'f  n. 
Zw  "'Lftdm^  icreiuEiajkrtf-    Vi««  Ham«  SJa^Hiaiiii 

(ßäTtler 82 

Ziia  dieaa  ibiüefiaD  d-er  feau  rat.     Tod  A]l)«Tt  LeiitziUiafliiaa  "^9 

•'Weilfii«  'die*  Lao-d  g^eäkaiir';  zur  Zeitedaiu 4*8,  IIS.    Vcm  Väcit^oi  juji,jj  -                 4 

A/dSosaBmire  umd  die  ^«rmäniedie  ifraiDea.     To-ja  M..  B:aib«ir!ki0w  ,    .                   JJR 

Kk'pStwkbrJefe.     Ton  Eroet  Coin?e3a!ti(H*i     ......  .    J.B2 

Tm  dim  !Ka.fi)twadbieji)  ^de«  Boma^ieauit.ura.     Tob  H  au  s  NauiD  ar  •  240 

Zu  <]nweJtaaie«  ^Sfjadb«''-    Taa  Cliirist.  E»0gg:*  ■    243 

Lit«r«timi'. 

Da«  Marifeaifonargira"  AaadbeAiacii;  aäigsez.  Tioaa  KarlH^laasi  ^"' 

7'    urad   Biuridaelb,    Toam   MOititielaiitier  zmtr   iref oimaitioii ;   ajigez.  tchj    iv  a  r  j 

BioriiDski  (j)     .    .    - ^6 

i>r-  Jan  d.e  Tri-es,  Studkm  ^ot«!- laToiselae  thaJiadi'n :  ajug-ez.  tob  H- (de  i)i4).or    IC»* 

P.  Tllartiß  JL'mtJii«!«  werke;  aaigez-  tob  Alfred  Götze 114 

r'red  Kl«6«,  Die  Heideibeigiseiiea  jalirteefeer  der  libra"aMr  in  dem  jaJireL 

ISäB  feie  ISltg;  amgiez,  ^-oa  Jos.  Kormer  , 

•esBias  Oottiielf  (Aibeit  Bitzira.«),  i?äHilicie  weite  im24  ileüiihdaQ:  ajig'ei 

V'  .-Uidolf  Stkl'ögser  (f) ^'^- 

':'-.--  -.  er  ff,   Im:  geeeänidaibe  4ier  feripitirasiti&fiiiiei!!  TerfcÖB-dimg-  de«  ver- 
.•jitäT-uia   mit   dem   partäzipiiim   frä«eiD!tis  im  koDtineiitalg-er- 

•rij .  afflg'ez- TOB  T.  Moser ^-°' 

ilaer.    Die    scMegieclie    vellfcsIliieidCorseiliiMüBg' :    ajagez.    tob    Kar] 

142 

.    Über  mssiselie  Zauberformeln  mit  berücksichtigTiBg:  der  bJat- 

-g'sseg«!!:  aiigez.  tob  J.  Scfawietering- 2a.-> 

rietJansen,  Die  fimüsciieB  und  BordiscbeB  Taiianlen  des 
rrjurgrer  sprucbcs;  angez.  vob  J.  Schwieterintr  '--^4 


1  1Ü 


S-;  i 


IV  Inhalt 

Tristan    and    Isolt,    A  study    of  the   sources  of  the  romance;  angez.  von 

Karl  Reuschel ,    ...    258 

Georges   Duriez,   La  theologie   dans  le  drame  religieux  en  AUemagne  au 

moyen  age;  angez.  von  Karl  Helm 260 

Georges   Duriez,   Les   apocryplies   dans   le  drame  religieux  en  AUemagne 

au  moyen  äge;  angez.  von  KarlHelm 2H1 

Franz    Rolf   Schröder,    Hälfdanarsaga    Bysteinssonar;    angez.    von 

FinnurJönsson 262 

Walther  Heinri  ch  Vo  gt,  Vatusdoela  saga;  angez.  von  Fin  nur  Jöusöon  264 
G.  Einar  Törnvall,  Die  beiden  ältesten  drucke  von  Grimmelshauseus  'Sim- 

plicissimus'  sprachlich  verglichen;  angez.  von  V.  Moser 267 

Guido  Kisch,   Leipziger  schöifenspruchsamraluug ;   angez.  von  Wolf  gang 

Stammler 273 

Alfred  Kuhn,  Die  Faustillustrationen  des  Peter  Cornelius ;  angez.  von  Ca  rl 

Enders 279 

Johann  Peter  Ecker  mann,  Gespräche  mit  Goethe  in  den  letzten  jähren 

seines  lebens;  angez.  von  CarlEnders 280 

Friedrich  Kluge,  Etymologisches  vrörterbuch  der  deutschen  spräche;  angez. 

von  Alfred  Götze .     282 

Werner  Kodier,  Beiträge  zur  Wortbildung  und  w^ortbedeutung  im  Bern- 
deutscheu; angez.  von  GustavBinz." 289 

Mau  fred   Sz  adr  o  vv'sky ,   Nomina   agentis   des   schweizerdeutschen  in  ihrer 

bedeutungsentfaltung;  angez.  von  GustavBinz 302 

Preisaufgabe  der  königl.  deutschen  gesellschaft  zu  Königsberg  i.  Pr.      .     .     .  144 

Berichtigungen  zu  Band  47 144 

Friedrich  Nietzsche-preis  für  192.S 305 

Nachrichten 143.  305 

Neue  erscheinungen 145.  307 


Die  Zeitschrift  für  deutsche  philologie  erscheint  in  bänden  von  je  4  heften  in  durchschnitt- 
lichem umfang  von  8  bogen  zum  preise  von  M  2000. —  pro  band.  Zu  beziehen  durch  alle  buch- 
handlungen  und  durch  die  post  (Postzeitungsliste  373  a).  Einzelne  hefte  werden  nur  im  buchhandel 
und  nur  zu  erhöhtem  preise  abgegeben 

Alle  maniiscripte  und  mitteiluugen,  sowie  recensionsexemplare  sind  an  den  herausgeber, 
Professor  dr.H.  Gering  in  Kiel,  zu  richten.  Die  manuskripte  müssen  in  druckf  er ti g em  zustand 
abgeliefert  werden.  Die  geehrten  herren  mitarbeiter  werden  höflichst  ersucht,  zu  ihren  manu- 
skripten  lose  quartblätter  zu  verwenden,  deutlich  und  nur  auf  einer  seite  des 
blattes  zu  schreiben  und  einen  breiten  rand  freizulassen. 

Die  mitarlieiter  erhalten  10  Separatabzüge  ohne  besondere  paginierung  kostenfrei  ge- 
liefert, jedoch  nicht  vor  ausgäbe  des  heftes,  in  welchem  der  betr.  beitrag  erscheint.  Eine 
grössere  anzahl  Separatabzüge  kann  nur  nach  rechtzeitig  erfolpfter  Verständigung  mit  der  ver- 
lagshandlung  angefertigt  werden.     Dieselben  werden  mit  .'>  Jl  für  jede  druckseite  berechnet. 

Die  erste  korrektur  der  beitrage  wird  in  der  druckerei,  die  zweite  vom  Verfasser,  die 
dritte  von   der  redaktion  gelesen. 


DIE  ]U\\E.\L\8CHK1FT  DER  GEÖSSEKEN  NOIIDEX- 
DOKFEE  SPA.^GE. 

Xaeh  den  ausführungen  Th.  von  Grienberg-ers  in  Zeitschr. 
45,  133  ff.,  F.  V.  d.  Leyens,  Zs.  d.  v.  f.  Volkskunde  25,  136  ff., 
W.  von  Unwerths.  ebenda  26,  8  ff.,  habe  ich  mich  Zeitschr.  47, 
5  ff.  ebenfalls  mit  der  genannten  rnneninschrift  befasst.  Im  folgenden 
hoffe  ich  einen  weiteren  beitrag  zu  ihrer  aufhellung  zu  bieten. 

Die  inschrift  zerfällt  der  äusseren  anordnung  und  den  schrift- 
zügen  nach  offenbar  in  zwei,  von  verschiedenen  bänden  angebrachte 
teile  S  die  zudem  umgekehrt  zueinander  stehen.  Zuerst  wurde  die 
längere,  seitlich  vom  nadelansatz  stehende  inschrift  angebracht,  später 
die  über  demselben  befindliche  kürzere  runenfolge  eingeritzt.  Diese 
reihenfolge  ergibt  sich,  abgesehen  von  der  abweichenden  grosse  der 
runenzeichen  in  beiden  teilen,  über  jeden  zweifei  erhaben  aus  dem 
umstand,  dass  die  letzten  drei  runen  der  kürzeren  inschrift  viel  enger 
zusammengedrängt  sind,  als  die  vorderen,  da  es  dem  zweiten  runen- 
ritzer  an  platz  zu  fehlen  begann,  wenn  er  nicht  in  die  schon  früher 
angebrachte  inschrift  seitlich  des  nadelansatzes  hineingelangen  wollte. 
Diese  lautet  nach  übereinstimmender  lesung  von  Henning,  Wimnicr 
und  Grieub erger: 

logajjore 

wodan 

nüyi  ponar'. 
Viel  umstritten  ist  die  deutung  des  komplexes  logaßorc.  Ich 
habe  ihn  am  oben  angeführten  orte  dadurch  zu  deuten  versucht,  dass 
ich  die  zeichen  von  rechts  nach  links  las:  ero  pa  gol  'Da  sprach 
erde  den  Zauberspruch'.  Aus  welchem  motiv  heraus  der  runcnritzer 
den  für  runeninschriften  typischen  weihespruch  -  vgl.  meine  aus- 
führungen an  der  genannten  stelle  -  in  dieser  geheimnisvollen   weise 

1)  Wimmers   Widerspruch   gegeu    diese   annalime   (üe    tyske    riiucmiudcs- 
mserker,  s.  79),  dem  sich  Gr ieuberger  a.  a.  o.  aiischlieset,  ist  nicht  berechtigt. 

2)  Ein   runenzeichen   /   oder   nach  Grienberger  p   ist  nachträglich    über  o  in 
ponar  eingeritzt  worden. 

ZEITSCHRIFT   F.  DEUTSCHE  PHILOLOGIE.     BD.  XLLX.  1 


a  FEIST 

anbrachte,  entzieht  sich  unserer  kenntnis.  Aber  derartige  künsteleien 
sind  bei  magischen  inschriften  nicht  selten  \  Auffällig  ist  der  vokal 
a  in  pa,  der  im  aisl.  und  ae.,  aber  sonst  nicht  im  as.  und  ahd.  vor- 
liegt, wo  das  adverb  Jxi,  tliö,  df>  lautet.  Aber  auch  in  iviyi  ist  die 
lautgebung  nicht  ahd.,  da  hier  das  verb  durchweg  ivihian  'weihen' 
lautet,  sondern  übereinstimmend  mit  aisl.  iviyja^  afries.  uiga  oder  ivta 
(mit  Synkope)  'weihen',  afries.  ivvjelm,  uieha,  anfr.  geiiuigit  'benedic- 
tus'  usw.  und  in  grammatischem  Wechsel  zur  ahd.  form.  Donar  wird 
also  aufgefordert,  die  spange  zum  amulett  zu  weihen,  wenn  wir  loigi 
(imperativ)  lesen,  oder  es  wird  festgestellt,  dass  Donar  die  weihung 
vollzieht,  wenn  das  übergeschriebene  zeichen  als^  nach  Grien  berger 
angesehen  und  eine  3.  sing,  praes.  angenommen  wird.  Eine  optativ- 
form fcigi  mit  Bugge,  Norges  iudskrifter  med  de  aildre  runer  I, 
s.  127  anzunehmen,  stösst  auf  sprachliche  Schwierigkeiten,  da  eine 
solche  form  wiyje  lauten  müsste.  Könnten  wir  aber  das  übergeschrie- 
bene zeichen,  bei  dem  deutlich  nur  ein  T  C/),  sonst  'nur  feinere  an- 
zeigen' '^  zu  sehen  sind,  als  4^  (r)  lesen,  so  wäre  diese  Schwierigkeit 
behoben.  Eine  nachprüfung  der  runenschrift  dürfte  sich  daher  empfehlen ; 
sie  ist  mir  in  der  gegenwärtigen  zeit  indes  nicht  möglich  gewesen. 

Nun  zum  zweiten  teil  der  inschrift.  Hennings  lesung  awa 
leubwiiii{'  dürfen  wir  als  besser  festhalten  und  Grien berg er s  deutung 
unka  leiibivlni«  mit  von  der  Leyen  als  abzulehnen  ansehend  Awa 
ist  als  weiblicher  nanie  gut  bezeugt^;  ebenso  der  männliche  kurzname 
Leub  auf  der  spange  von  Engers  im  Wormser  museum  •  auf  einem 
knöpf  einer  Weimarer  spange^  in  der  form  leob  (vielleicht  auch  riP)^ 
Hub;  erhalten  ist  MPlR  iiur)\  Leubius  in  einer  inschrift*^;  Liiif  in 
einer  Fuldaer  Urkunde  vom  jähre  837.  Auch  im  norden  ist  der  name 
Lcub  als  der  eines  runenmeisters  bekannt;  auf  dem  'stein  von  Skär- 
kind'  (Östergötland)  steht  ski(n)jxtleubal{  ,Pelz-(?)Leub'  (seil,  ritzte 
die  runen)'. 

1)  Siehe  meine  ausführungen  im  Arkiv  för  nordisk  filologi  36,  2G6  f.  An  ver- 
schiedenen stellen  dieser  studio  wird  auch  über  die  weiliung  von  sclimuck&tückeu  zu 
talismanen  mit  runenaufschriften  und  Zauberformeln  gehandelt. 

2)  Th.  von  Grieuberger,  Zeitschr.  45,  s.  Ib8. 

3)  a.  a.  0.  s.  189  f. 

4)  Henning,  Die  deutscheu  runendenkmäler,  s.  104  f. ;  För stemanu,  Alt- 
deutsches namenbuch,  I  '\  sp.  217  f. 

5)  Vf.  Zeitschr.  45,  122. 

6)  Schönfeld,  Wb.  der  altgerm.  personen-  und  völkernamen,    s.  153. 

7)  0.  von  Friesen,  Runorna  i  Sverige,  s.  8;  anders  Brate,  Sveriges 
runinskrifter  II,  160  ff. 


DIE    RUNENINSCHRIFT   DER    GRÖSSEREN   NORUENDORFER   .SPANGE  3 

Mau  könnte  übrigens  auch  an  einen  zusammengesetzten  mannes- 
nanien  mit  leub  als  zweitem  bestandteil  denken,  zumal  die  lesung  awa 
nicht  über  jeden  zweifei  erhaben  ist  ^  Von  hier  in  betraeht  kommen- 
den namen  sind  aus  ahd.  zeit  belegt:  Alaliub,  Ädaliuh,  Aza'iub, 
Mmiahuh  usw.-.  Dann  bliebe  noch  ivinie  zu  deuten  übrig.  Meist 
wird  es  nach  Hennings  Vorgang  mit  leuh  verbunden  und  als  ein 
zusammengesetzter  name  Leiibuini  aufgefasst,  entsprechend  ahd.  Leob- 
wini  in  einer  Fuldaer  Urkunde  aus  dem  jähre  822,  Lieficine  in  den 
Libri  confraternitatum  II,  100  usw.^  Aber  die  grammatische  erklärung 
der  form  leubivinie  macht  unlösbare  Schwierigkeiten,  was  übrigens 
schon  Henning  nicht  verkannt  hat.  Sein  versuch,  die  form  als  dat. 
sing,  zu  erklären,  muss  als  zu  gezwungen  angesehen  werden.  Welchen 
sinn  soll  übrigens  die  Übersetzung  'Awa  dem  Leubwini'  haben?  Eine 
Spange  wird  eine  frau  dem  manne  nicht  geschenkt  haben.  Spangen  finden 
sich  stets  nur  in  fraucngräbern ;  der  mann  hatte  offenbar  keine  Ver- 
wendung dafür.  Noch  weniger  befriedigt  Grien  bergers  auslegung 
als  acc.  fem.  sing,  eines  /ö-stammes  'Leubviniam' \  Auch  die  von 
mir^  vorgeschlagene  deutung  'Awa  dem  Freunde  Liub'  lasse  ich  jetzt 
fallen  und  will  eine  andere  an  ihre  stelle  setzen.  Wie  Henning*^ 
ausführt,  haben  die  älteren  entzifferer  und  verötfentlicher  der  Inschrift 
Lindenschmit,  Dietrich,  Hofmann  und  Stephens  zweimal 
71  +  für  richtiges  g  X  gelesen  (in  lognpore  und  ivigi  des  ersten  teiles 
der  Inschrift),  da  die  regelrechte  form  des  g  X  beide  male  nicht  inne- 
gehalten ist.  Wie  Grienb erger  aufgrund  einer  vergrösserten  Photo- 
graphie feststellen  konnte  ^  ist  bei  dem  X  (/  in  Uxjapore  der  nach 
rechts  absteigende  strich  kürzer  als  der  nach  links  absteigende,  und  in 
derselben  art  wird  das  X  (/  in  irvji  als  uuregelmässig  geschildert.  So 
kann  auch  die  als  +  n  gelesene  rune  in  ivinie  eigentlich  ein  X  y  vor- 
stellen, zumal  der  Schreiber  hier  aus  raummangel  das  zeichen  nicht 
so  weit  ausladend  anbringen  konnte.  Bei  dieser  lesung  erhalten  wir 
wiederum  das  wort  ivigie,  das  wir  vermutungsweise  schon  als  prädikat 
zu  ponar  ansetzten  *.    Man  könnte  dann  die  form  als  optativ  auffassen 

1)  'Die  beirien  ersten  runeii  sind  ausserordentlich  undeutlich',  H  e  n  n  in  g  a.  a.  o. 

2)  Forste  mann  a.a.O.,  I-  sp.  1019. 

3)  Ebenda  sp.  1029. 

4)  Zeitschr.  45,  140  f. 

5)  Zeitschr.  45,  s.  122,  anra.  1. 

6)  Die  deutschen  runendenkmäler  s.  90  if. 

7)  Zeitschr.  45,  s.  135. 

8)  Vielleicht  ist  der  zweite   runenritzer   beim  durchlesen  der  ersten  inschrift 
auf  das  am    ende    von  wlgi  fehlende  J"  e  dadurch   aufmerksam   geworden,   dass  er 

1* 


4  FEIST 

und  den  zweiten  teil  der  inschrift  aus  einem  namen  Aualeuh  (oder 
wie  sonst  das  erste  Ivompositiousglied  gelautet  hat)  und  icigie  als 
})rädikat  bestehen  lassen  und  übersetzen:  'Awaleub  möge,  weihen'. 

Es  ergibt  sieh  uns  aber  noch  eine  andere  möglichkeit,  wenn  die 
lesung  wlgie  das  richtige  trifft.  Ich  greife  zurück  auf  meine  Veröffent- 
lichung der  Weimarer  runenfuude^  und  ergänze  die  dort  gegebene 
lesung  der  teilweise  zerstörten  runeninschrift  auf  der  bernsteinperle 
nach  nochmaliger  prüfung  dahin,  dass  der  ganze  komplex  noch  fol- 
gende lesbare  runen  umfasst  (die  einfachen  punkte  geben  die  Stellung 
der  zerstörten  runen  an): 

^1         |5:MF:MPF:R:Pini>:IMfe:"r'^M 
,  d  (?)  a  :  h  a  li  w  a  r   !    \v  i  u  Jj  :  i  d  a  :  .  e  o  (?j. 
Da    die    Inschrift    fortlaufend    um    den    trommeiförmigen    mantel    der 
bernsteinperle  läuft,    so   ist   ihr   anfang  allerdings  nicht  mit  Sicherheit 
zu  bestimmen.    Meine  frühere  deutung  habe  ich  jetzt  aufgegeben  und 
erkläre  die  Inschrift  nunmehr  folgendermassen : 

'Ida  Hahwar  weihten,  Ida  .  .  .  .'  (vielleicht  ist  der  zum  teil  zer- 
störte komplex  *"V <^\  als  TM^^  Leob  zu  ergänzen,  da  dieser  name 
sich  auch  auf  dem  knöpf  einer  fibel  findet  und  die  namen  sich  wieder- 
holen). In  v^lup  erblicke  ich  nunmehr  eine  dritte  dualis  praes.  von 
ahd.  uihian  'weihen'  ^.  Durch  die  aufschrift  haben  die  beiden  runen- 
kundigen (oder  das  priesterpaar)  Ida  und  Hahwar  dokumentiert,  dass 
sie  die  perle  zum  amulett  geweiht  haben.  Dieselbe  absieht  setze  ich 
nun  für  den  zweiten  teil  der  Inschrift  der  grösseren  Nordendorfer  spange 
voraus.  Das  paar  Awa  und  Leub  bekundet  mit  der  runenaufschrift: 
Awa  Leub  wiyie,  dass  es  die  spange  zum  amulett  geweiht  hat.  In 
ivigie  möchte  ich  daher  eine  erste  dualis  praes.  von  dem  oben  ge- 
nannten ndd.  ivigjan  erblicken.  Bei  dieser  annähme  bleibt  freilich  die 
endung  r-  zu  erklären.  Gehen  wir  vom  gotischen  aus  und  versuchen 
die  dualische  verbalform  vom  Standpunkt  des  ahd.  zu  deuten,  so  müssten 
wir  der  endung  der  ersten  dualis  praes.  -ö^'  entsprechend  (z.  b.  in 
bidjös  'wir  beide  bitten')  etwa  -a  erwarten,  wie  got.  gen.  sing  gihös 
sich   in   ahd.   gebet    widerspiegelt.     (Vgl.  den  as.  dual.  conj.  aor.  ivita 

dieselbe  form  einritzte,  und  fügte  es  nun  über  der  zeile  noch  ein,  d.  li.  er  ver- 
besserte einen  imperativ  in  einen  optativ. 

1)  Zeitsclir.  45,  117  ff. 

2)  Nach  dem  letzten  worttreuner  ist  ein  grösserer  Zwischenraum,  wo  keine 
runen  gestanden  zu  haben  scheinen.  Der  zum  teil  unlesbare  komplex,  der  dann 
folgt,  ist  mit  weiter  ausladenden  runen  als  die  vorangehenden  gesclirieben. 

3)  Ausführlich  von  mir  begründet  Beiträge  43,  334  ff. 


IMK    UINKMNSCHRIFT   DER    GRÖSSEREX    XOKKENDORFRn    srAXOK  5 

'lasst  uns  beide  .  .  .') '.  Denkbar  wäre  auch  der  fall,  dass  im  ahd. 
die  erste  dualis  praes.  mit  der  sekundärenduug  u  (got.  mnyu  'wir 
beide  können')  gebildet  worden  ist,  gleichwie  in  wiup  die  sekundär- 
endiing  ins  praesens  übernommen  wurde  und  das  griechische  schon  in 
vorhistorischer  zeit  die  primären  dualendungen  aufgegeben  hat^  Aber 
auch  in  diesem  fall  wäre  ahd.  iciyiu  'wir  beide  weihen'  zu  erwarten, 
entsprechend  ahd.  dat.  (eigentlich  lokativ)  suniu  usw.^  Weshalb  an 
stelle  der  zu  erwartenden  endung  -a  bzw.  -u  der  mittellaut  zwischen 
«und  e^  getreten  ist,  vermag  ich  nicht  mit  Sicherheit  zu  sagen.  Doch 
ist  die  entwicklung  des  westgermanischen  auslautenden  u  im  ahd.  zur 
zeit  noch  so  wenig  geklärt  ^  dass  ich  meine  auffassuug  von  wiyic  als 
erste  pers.  dualis  praes.  an  diesem  bedenken  nicht  scheitern  lassen  will. 
Dafür  spricht  noch  ein  weiterer  grund.  Es  ist  mir  überhaupt  frag- 
lich, ob  die  sprachliche  erklärung  der  runeninschrift  vom  ahd.  laut- 
stand auszugehen  hat.  Ist  meine  deutung  von  logapore  als  ero  pn  gol 
richtig,  so  weist  der  vokal  a  in  pa  auf  anglo-friesische  (oder  nordische) 
herkunft  der  Inschrift  hin :  ae.  pa,  fries.  tliu,  aisl.  pya  gegenüber  as. 
tJiö,  ihuo,  ahd.  thö,  1/0.  In  dieselbe  richtung  führt  uns  der  gramma- 
tische Wechsel  in  icixjian  'weihen':  afries.  ivuja,  aisl.  vhjja  neben  as. 
ahd.  ivihian.  Mit  hilfe  dieses  verbs  können  w'ir  die  lokalisierung  der 
inschrift  noch  weiter  umgrenzen,  insofern  als  nunmehr  das  ae.  aus- 
scheidet, da  hier  wohl  ein  subst.  wig  =  iveoli  'idol',  aber  kein  verb 
belegt  ist.  Wir  hätten  also  nur  noch  die  wähl  zwischen  dem  aisl. 
und  afries.  Aber  im  urnordischen  ist  zufällig  ein  beleg  erhalten  für 
die  erste  dualis  praes.  -  allerdings  mit  kurzer  Stammsilbe  -  auf 
dem  stein  von .  Järsberg,  der  ins  6.  Jahrhundert  zu  setzen  ist'^: 
waritu  —  *  icritti  'wir  beide  schrieben'.  Die  inschrift  fällt  also  etwa 
in  dieselbe  zeit,    in  welcher  Brenner'  die  Xordendorfer   spange  aus 

1)  Aus  *«'/Yo«v  (:  ai.  -üra)  zu  intcoi  tendere  nach  van  Helten.  Beitr.  15,  4-72. 

2)  Brugmaini-Th  umb,  Griech.  gramra.*  §  4l9,  s.  401. 

3)  Braune,  Ahd.  granim.  3.-4.  aufl.  §  230  s.  200  f. ;  B  a  e  s  e  c  k  e ,  Ein- 
führung in  das  ahd.  §  S4,  s.  150  f. 

4)  So  ist  ^^  mit  Bugge,  Norges  iudskrifter  med  de  feldre  runer  I,  117  ff. 
aufzufassen. 

5)  van  Helteu,  Beitr.  36,  462  f. 

6)  Noreen,  Aisl.  und  anorw.  gr;imui.  ^  s.  338;  von  Friesen,  Reallexikon 
der  germ.  altertumskunde,  bd.  4,  s.  16. 

7)  Die  archäologische  Stellung  der  deutschen  runenfibeln.  Kbl.  des  gcsamt- 
vereins  1913,  s.  56  f. :  'Da=:  inventar  des  Xordendorfer  grabfelds  führt  etwa  von  der 
mitte  des  6.  bis  zu  der  des  7.  Jahrhunderts.  Die  beiden  Xordendorfer  spangen  werden 
um  600  anzusetzen  sein'. 


6  FEIST 

archäologischen  gründen  setzt.  Wäre  die  spange  nebst  inschrift  nor- 
discher herkunft  -wogegen  sich  übrigens  Brenner  aus  typologischen 
gründen  erklärt  -,  so  dürfte  das  auslautende  endungs-^«  des  duals  also 
noch  erhalten  sein. 

Mittels  vorstehender  ditterentialdiagnose  haben  wir  somit  die 
herkunft  der  inschrift  -  natürlich  nicht  der  spange  selbst  -  auf  das 
friesische  Sprachgebiet  eingeengt.  Nun  sind  uns  allerdings  so  frühe 
friesische  spracliquellen  nicht  erhalten  ',  und  in  der  späteren  entwick- 
lung  ist  in  der  Rüstringer  mundart  auslautendes  westgerm.  u  nach 
kurzer  Stammsilbe  mehrfach  als  ii,  o  erhalten,  während  die  übrigen 
mundarten  einheitlich  e  aufweisend  In  einer  ersten  dualis  ^uuiju 
steht  H  nun  freilich  nach  langer  Stammsilbe,  ist  aber  andererseits  be- 
deutungsträger und  konnte  daher  nicht  einfach  schwinden,  schon  in- 
folge des  analogiezwangs  der  verbalformeu  mit  kurzer  Stammsilbe. 
Über  ein  non  liquet  kommen  wir  hier  demnach  nicht  hinaus. 

Ist  aber  die  Voraussetzung  berechtigt,  eine  im  heutigen  bairischen 
Sprachgebiet  gefundene  runeninschrift  weise  friesische  lautformen  auf? 
Spangen  sind  bewegliche  gegenstände,  und  nichts  stünde  der  annähme 
im  wege,  die  grössere  Norden  dorfer  spange  sei  -  wie  so  viele  brak- 
teaten  mit  runeninschrift,  die  bis  nach  Ungarn  hin  zutage  gekommen 
sind  -  ein  wanderobjekt,  das  nur  zufällig  an  der  stelle,  wo  es  zum 
Vorschein  kam,  mit  der  zeitweiligen  besitzerin  in  die  erde  gelangte. 
Dieser  annähme  widerspricht  aber  die  feststellung  Brenners,  die 
form  der  grösseren  Nordendorfer  spange  entspreche  einem  süddeutschen, 
keinem  nordischen  t^^pus.  Das  Schmuckstück  ist  also  wohl  in  der 
gegend,  wo  es  aufgefunden  wurde,  auch  hergestellt  worden.  Dann 
kann  eben  nur  die  inschrift  selbst  von  einem  landfremden  runenritzer 
herrühren,  der  in  seiner  eigenen  mundart,  nicht  der  seines  zufälligen 
aufenthalts,  die  inschrift  verfasste.  Diese  hypothese  ist  von  Bugge 
für  urnordische  Inschriften  auf  beweglichen  gegenständen  eingehend 
begründet  worden '^  Während  er  für  teststehende  grabsteine  die  an- 
nähme als  berechtigt  anerkennt,  die  sprachform  der  inschrift  als  die 
bodenständige  gelten  zu  lassen,  weist  er  sie  für  iuschriften  auf  Schmuck- 
sachen, brakteaten  u,  dgl.  zurück.  'Die  kunst  des  runenritzens  war 
-  nach  Bugges  ansieht  -  noch  zur  wikingerzeit  nicht  allgemeingut 
im    norden.     Die    Inschriften  müssen    vielmehr    von    gewerbsmässigen 

1)  Siebs,  Geschichte  der  friesischen  spräche  in  Pauls  Grundriss  I^  s.  1153. 

2)  Siebs  a.  a.  o.  s.  12381 

3)  Norges  iudskrifter  med  de  seldre  runer.  Indledning:  Ruueskrifteus  oprindelse 
og  seldste  historie,  buch  7,  s.  186  ff.     Das  folgende  zitat  steht  s.  214  f. 


DIE    RUXEXIN SCHRIFT   DER    GRÖSSEREN   XORDEXDORFER   SPANGE  7 

künstleni  herrühren.  Diese  künstler  gehörten  bestimmten  schulen  oder 
familien  an,  innerhalb  deren  die  runenkimde  weiter  überliefert  ward. 
Sie  zog-en  in  den  nordischen  hindern  umher  und  übten  ihre  kunst 
aus.  So  können  uns  die  denkmäler  kein  zeugnis  über  die  sprachform 
geben,  die  an  dem  ort  galt,  wo  die  inschriften  gefunden  Avurden. 
Freilich  ist  anzunehmen,  dass  die  spräche  des  runenmeisters,  wenn  er 
in  den  nordischen  hindern  umherreiste,  nach  und  nach  von  den  sprach- 
formen der  Siedlungen,  in  denen  er  sich  aufhielt,  beeinflusst  wurde.' 
Von  der  weitergehenden  hypothese  Bugges,  nach  der  diese 
wandernden  runenmeister  Heruler  waren  und  die  sprachform  der  ur- 
nordischen runeninschriften  also  im  wesentlichen  herulisch  gewesen 
sei,  können  wir  hier  absehen ;  halten  wir  nur  den  einen  gesichtspunkt 
fest,  dass  die  inschriften  von  wandernden  künstlern  abgefasst  wurden. 
So  mag  es  auch  auf  dem  festland  gewesen  sein,  wohin  die  kenntnis 
der  runen  vermutlich  mit  einem  nordsüdlich  verlaufenden  kiilturstrom 
gelangte.  Eine  direkte  Übertragung  von  den  Goten  am  Schwarzen  meer 
über  die  Donaustrasse  zu  den  festländischen  Germauen  ist  weniger 
wahrscheinlich,  schon  aus  dem  gründe,  weil  wir  in  Deutschland  keine 
so  alten  runendenkmäler  haben,  wie  im  norden.  Damit  ist  aber  auch 
die  nordische  sitte,  die  runenkunst  im  umherziehen  auszuüben,  Avohl 
nach  dem  kontinent  hinübergenommen  worden.  Das  hindert  natürlich 
nicht,  dass  sich  der  runenmeister  der  sprachform  seiner  auftraggeber 
angepasst  hat,  soweit  es  ihm  möglich  war,  ganz  wie  die  späteren 
abschreiber  von  handschriften  oft  formen  ihrer  angeborenen  mundart 
unbewusst  in  die  sprachlich  verschiedene  gestalt  des  zu  kopierenden 
manuskripts  einmengten.  Wenn  z.  b.  das  praeteritum  wraet  'schrieb' 
der  Freilaubersheimer  spange  als  beweis  dafür  angesehen  wird,  dass 
die  hd.  Lautverschiebung  zur  zeit  der  abfassung  der  Inschrift  noch  nicht 
durchgedrungen  gewesen  sei,  so  stelle  ich  dieser  behauptung  die  ebenso 
glaubhafte  annähme  gegenüber,  die  inschrift  sei  von  einem  nieder- 
deutschen runenmeister  abgefasst  worden.  Dafür  spricht  z.  b.  die 
vokalisierung  von  wraet  sowie  das  erhaltene  anlautende  iv]  vgl.  ae. 
wrcit,  afries.  dial.  (Wangeroog)  wrait,  aofries.  ivret,  nordfries.  unit, 
tvrcet ',  während  im  ahd.  schon  in  der  ältesten  zeit  der  vokal  des 
sing,  praet.  ei  ist:  rnz  'ritzte'.  Der  früher  noch  verfügbare  weitere 
beweis  für  den  ndd.  lautstand  der  Freilaubersheimer  runeuinschrift: 
ßk  =  ß/k  zu  anfang  der  zweiten  zeile  fällt  nach  meiner  lesung-  des 
Wortes  als  ßo  nunmehr  weg. 

1)  Siebs,  Pauls  Grundriss  l-  s.  1306  ff. 

2)  Zeitschr.  47,  3. 


Ausser  dem  spraehgeschichtlichen  Gesichtspunkt  gilt  es  bei  der 
Nordendorfer  spauge  auch  den  religionsgescliichtlichen  ins  rechte  licht 
zu  setzen.  Ist"  meine  deutiing  von  Aica  Leub  wigie  '(wir  beide)  Awa 
Leub  weihten'  richtig,  so  ergibt  sich,  dass  die  inschrift  zwei  verschie- 
dene weihuugen  kennt,  eine  durch  Donar,  wie  auf  dänischen  runen- 
steinen  \  eine  andere  durch  ein  runenmeisterpaar.  Wie  verhalten  sich 
die  beiden  weihungen  zueinander? 

Magnus  Olsen  hat  darauf  hingewiesen -,  dass  die  weihung  der 
runensteine  bei  den  älteren  dänischen  wie  blekingischen  denkmälern 
durch  den  zauberkundigen  runenmeister,  der  vielleicht  priesterlichen 
Charakter  hat,  vollzogen  und  erst  bei  jüngeren  dänischen  denkmälern 
ein  gott  (Thor)  angerufen  Avird,  um  die  weihung  vorzunehmen.  Olsen 
will  diese  Wandlung  dem  christlichen  einfluss  zuschreiben:  wie  Christus 
und  sein  heiliges  kreuz  gegen  unheil  schützt,  so  weiht  Thor  das  denk- 
mal  mit  seinem  hammer,  der  oft  auch  eingeritzt  wird^.  Diese  sitte 
findet  sich  im  norden  erst  nach  der  tätigkeit  des  apostels  Ansgar  von 
Dänemark.  Noch  um  800  tragen  die  runensteine  also  einen  ausge- 
sprochen priesterlichen  charakter*,  selbst  der  name  des  gottes,  der  in 
dem  auf  dem  runenstein  von  Snoldelev  erwähnten  heiligtum  Salhauge 
verehrt  wird,  ist  nicht  einmal  erwähnt.  Wohl  aber  wird  das  uralte 
heidnische  hakenkreuz  angebracht,  das  nach  isländischer  und  lappischer 
Überlieferung  Thor  heilig  ist  (z.  b.  auf  dem  stein  von  Snoldelev  auf 
Seeland),  an  dessen  stelle  später  Thors  hammer  tritt. 

Ist  die  ansieht  Olsens  richtig,  die  anrufung  Donars  sei  auf 
christlichen  einfluss  zurückzuführen,  so  hätten  wir  auf  festländischem 
boden  einen  weit  älteren  beweis  für  den  einfluss  christlicher  denkweise 
auf  heidnischen  brauch,  da  die  Nordendorfer  spange  um  600  n.  Chr. 
angesetzt  wird  (s.  o.  s.  5).  Es  ist  ja  bekannt,  dass  schon  lange  vor 
der  von  England  ausgehenden   missionierung  Deutschlands  im  8.  und 

1)  pur  iviki  'Donar  weihe'  auf  dem  stein  von  Virriug  (Nordjütlaud);  Jmr  niki 
auf  dem  stein  von  Glavendrup  auf  Fünen ;  (p))ir  nih-i  auf  dem  stein  von  Sender- 
Kirkeby  auf  Falster.  Alle  diese  steine  fallen  nach  W  i  m  m  e  r  ins  10.  Jahrhundert 
n.  Chr. 

2)  Norges  indskrifter  med  de  seldre  runer  U,  6^0  ft'. 

3)  z.  b.  auf  dem  gleichfalls  aus  dem  10.  Jahrhundert  stammenden  stein  von 
Lfeborg-  in  Jütland. 

4)  Auf  dem  stein  von  Helna?s  auf  Fünen  wird  genannt:  lütnalfr  Nura  kupi 
'R.  priester  der  Norer'.  Der  '|iulr'  BnhaltE  vom  stein  von  Snoldelev  auf  Seeland 
ist  eine  art  priester  auf  Salhauge;  ek  gudja  nngancUR  auf  dem  stein  von  Hugl 
(Norwegen)  kann  vielleicht  heissen :  'Ich  der  priester  Ungand  (der  zauberfeste?).' 
Weitere  beispiele  bei  Olsen  a.  a.  o. 


DIK    RINEXINSCHIUFT    DER    OUÖSSERKN    NOKüENDOrUKl!    SPANGF.  9 

9.  Jahrhundert  christliche  eiiiflüsse  vom  Rhein  und  der  Donau  her,  so- 
w'ie  solche  arianischen  Ursprungs,  vermutlich  durch  Vermittlung  der 
Goten,  auf  die  deutsehen  stamme  eingewirkt  und  auch  nachweishareu 
sprachlichen  einfiuss  ausgeübt  haben  ^  Weshalb  an  stelle  von  Christus 
und  dem  kreuz  Donar  und  sein  hammer  traten,  können  wir  nicht  mehr 
ermitteln.  Die  Donarverehrung  reicht  in  die  urgermanische  zeit  zurück, 
möglicherweise  ist  sie  von  den  Kelten  entlehnt,  worauf  die  auffällige 
Übereinstimmung  des  germ.  gottesnamens  mit  dem  keltischen  gott 
Tanaros  (vorgerm.  gdf.  "^Uinaros)  hinzuweisen  scheint.  Sie  ist  also 
älter  als  die  Verehrung  Wodans,  für  dessen  benennung  keine  ausser- 
germanischeii  l)eziehungen  vorliegen,  wenn  auch  das  lat.  oates  'seher', 
air.  faitli  'dichter'  stammverwandt  ist.  Allerdings  ist  die  Verehrung 
Donars  gerade  im  fundgebiet  der  Nordendorfer  spange  zufällig  nicht 
belegt-,  wohl  aber  bei  den  Sachsen  l  Normannen,  Skandinaviern  und 
Isländern.  Auch  dieser  umstand  führt  also  neben  der  Übereinstimmung 
der  formel  wigi  ponar  mit  der  entsprechenden  dänischen  wendung  auf 
niederdeutschen  Ursprung  der  Nordendorfer  runeninschrift. 

Neben  der  anrufung  Donars  hndet  sich  in  der  Nordendorfer  in- 
schrift  auch  die  (nach  Olsen)  ältere  art  der  weihung  durch  den  runen- 
meister.  Er  nimmt  durch  uns  nicht  mehr  bekannte  Zeremonien  die 
weihung-  vor,  und  durch  einritzung  seines  namens  beurkundet  er  die 
vollzogene  weihung  z.  b.  auf  der  spange  von  Engers,  wo  der  name 
Leid)  steht,  oder  auf  den  runenspeeren  von  Kowel  und  Müncheberg, 
auf  denen  die  namen  Tilarlds  bzw.  Banja^  eingeritzt  sind.  Die  weihung 
kann  auch  durch  eine  frau  vorgenommen  werden,  wie  auf  der  Fried- 
berger  spange  puvuphild  oder  Godahid  und  Arsiboda  auf  den  spangen 
von  Bezenye.  Daneben  findet  sich  nun  die  weihung  durch  ein  runen- 
meister-  oder  priesterpaar  auf  mehreren  Schmuckstücken.  Auf  der 
grösseren  Nordendorfer  spange  findet  sich  das  namenpaar:  Awa  Lenh, 
auf  der  Freilaubersheimer  spange  Boso  Dalina,  auf  der  Weimarer 
bernsteinperle  Ida  Hahicar,  auf  einer  der  Weimarer  spangen  Harihri;/ 

1)  Kluge,  Gotische  lehuworte  im  ahd.,  Beitr.  35,  124  ff.,  spez.  s.  153: 
'Spuren  des  Christentums  findet  man  im  üouaugebiet  bei  den  Germanen  schon  hin- 
länglich im  5.  Jahrhundert.  Die  künde  von  dem  got.  Christentum  und  vielleicht 
auch  die  ersten  glauhensboten  desselben  werden  schon  in  der  mitte  des  5.  Jahr- 
hunderts nach  Norddeut-schland  vorgedrungen  sein.'  Ebenso  W.  Braune.  Boitr,  43. 
419  ff. 

2)  Mogk,  Germ,  niythologie ',  s.  355. 

3)  Sächsisches  taufgelöbnis :   Thnnaey  ende  Uuoden. 

4)  Vgl.  Mitt.  des  ver.  f.  heimatkunde  des  kreises  Lebus,  Müncheberg  1919  s.  1  ff. 


10  FEIST,   DIE   RUNENINSCHRIFT   DER    GRÖSSEREN   NORDEKDORFER    SPANGE 

Leob,  auf  der  andern  Hihn  Buho.  Auch  mehrere  personen  treten  auf,  z.  b. 
auf  dem  "Weimarer  schnalleorahmen:  /rfr/,  Biyinn^  Hahivar  (also  2  frauen 
und  1  mann).  Auf  den  ^Yeimarer  Schmuckstücken  stehen  überhaupt  viele 
namen,  teils  von  männern,  teils  von  frauen,  mehr  als  sich  sonst  bei 
runenritzungen  finden.  Da  sie  aus  gr'äbern  von  sehr  vornehmen  per- 
sonen, vielleicht  sogar  angehörigen  des  königshauses  stammen  \  so 
liegt  die  Vermutung  nahe,  bei  diesen  Schmucksachen  sei  die  v^eihung 
zum  amulett  nicht  wie  bei  gewöhnlichen  sterblichen  durch  einen  runen- 
kundigen (priester  oder  priesterin?)  oder  ein  runenmeisterpaar,  sondern 
durch  mehrere  runenkundige  erfolgt,  um  dem  gegenständ  ,eine  um  so 
grössere  Zauberkraft  zu  verleihen. 

In  weitaus  den  meisten  fällen  ist  aber  eine,  wie  anzunehmen  ist, 
wiederholte  weihung  des  gegenständes  durch  viele  personen  nicht 
üblich  gewesen,  sondern  es  genügte  eine  weihung  durch  eine  oder 
zwei  personen,  zumeist  einen  mann  und  eine  frau,  um  das  Schmuck- 
stück zauberkräftig  zu  machen.  Dass  auch  christliche  formein  zu 
diesem  zw^eck  verwendet  wurden,  zeigt  die  runeninschrift  der  zweiten 
Spange  von  Bezenye,  die  Ärsihoda  segiin  lautet.  Mit  .^egnn,  ahd. 
rheinfr.  seyon  (neben  seyon)  aus  lat.  Signum  ist  das  kreuzeszeichen 
gemeint,  mit  dem  man  zauberwirkung  hervorrufen  will,  vgl.  aisl.  s/gnan 
'weihung  mit  dem  kreuzeszeichen',  signa  'mit  dem  kreuzeszeichen  (aber 
auch  mit  dem  Thorshammer)  weihen'  (aus  lat.  signare  'das  kreuzeszeichen 
machen').  Bei  dieser  spange  wurde  die  weihe  demnach  mittels  eines 
Symbols  christlichen  Ursprungs  vorgenommen.  Das  parallele  einher- 
gehen heidnischer  und  christlicher  anschauungen  bei  diesen  primitiven 
religiösen  funktionen  zeigt  uns  den  naiven  Synkretismus,  der  in  der 
frühzeit  des  christlichen  einflusses  im  glauben  der  germanischen  stamme 
(wie  übrigens  auch  in  andern  gebieten  Europas  und  Vorderasiens)  ge- 
herrscht haben  muss  Bei  der  dürftigkeit  der  quellen  für  die  kenntnis 
des  religiösen  lebens  der  vorchristlichen  zeit  sind  die  winke,  die  wir 
aus  den  einzigen  Originalzeugnissen,  den  runeniuschrifteu,  entnehmen, 
immerhin  von  wert,  wenn  sich  die  darin  enthaltenen  andeutungen 
auch  -  bis  jetzt  wenigstens  -  nicht  zu  einem  abgerundeten  bild  ge- 
stalten lassen. 

1)  Götze,  Die  altthüringischen  funde  von  Weimar  s.  30. 

BERLIN.  SIGMUND   FEIST. 


KAUFFMAXX,   DER    STIL   DER    GOTISCHEN   BIBEL  11 

DER  STIL  DEK  GOTISCHEX  BIBEL 
VIII. 

Die  'hellenisierung'  des  gotischen  hat  bewirkt,  dass  dank  der 
stilgeschiehtlichen  leistungen,  die  auf  den  profanen  und  auf  den  gottes- 
dienstlichen Wortschatz  sich  verteilen,  gotische  wörter  mit  hellenisti- 
scher bedeutung  sich  festgesetzt  haben.  Darüber  hinaus  hat  die  kult- 
sprache  der  Goten  von  seilen  des  semitischen,  griechischen  oder 
lateinischen  rituellen  Sprachgebrauchs  eine  auffrischung  erfahrend 

Beim  genuswechsel  handelt  es  sich  nicht  um  jene  mehr 
äusserlichen  Vorgänge,  die  bei  der  einbürgerung  von  fremdwörtern 
beobachtet  worden  sind-,  sondern  um  viel  tiefer  schürfende  Wand- 
lungen. Wenn  neutrales//?/^  dem  einfluss  von  o  9öc;  erlegen  ist  und 
fortan  "der"  gott  bedeutet,  so  kündigt  sich  mit  dieser  sprachgeschicht- 
lichen tatsache  ein  Umschwung  des  religiösen  denkeus  an,  dessen  wir 
uns  um  so  mehr  bewusst  werden,  als  für  die  heidnische  Vielgötterei 
das  neutrum  fortdauerte  (yuda  J  10,  34-35;  ags.  joc/a.-)  und  auch  in 
den  christlichen  formein  {gtip  meins  M  27,  46,  ain!<  gup  Mc  2,  7  usw.) 
an  der  herkömmlichen  neutr.  wortform  trotz  der  masc.  pronoinina 
nichts  geändert  wurde.  Bei  dem  maskulinen  gebrauch  von  (/ujy  haben 
wohl  in  bestimmender  weise  atta  und  frauja  mitgewirkt  (J  S,  41.  54 
L  20,  37):  der  got.  Übersetzer  hat  aber  nicht  gewagt,  trotz  des  grie- 
chischen musters  und  der  maskulinen  attribute  dem  neutrum  gtip  den 
maskulinen  artikel  oder  die  flexiou  der  maskulina  zu  verleihen.  Ver- 
mutlich ist  der  heidnische  gott  i^up  pAs  aiuis  k  4,  4)  'das'  gott  ge- 
blieben -^  Darauf  weist  wenigstens  die  analogie  der  andern,  satanischen 
prädikate.    Usuell  war  das  neutrum  skoh-</  und  das  femiuinum  unlmlpo, 


1)  TtapäxXr.Tos  > parahletus  J  U,  16.  26  {aJnua):  rapiv.Xy.a'.;  >  bida  k  8,  17 
HsbloUbis  4  Icipous  L  2,  25  gaJJaihts  k  1,  3-7  T  4,  13  {ga)prajsteins  R  l.">,  4-5 
k  1,  5  u.  a.  Tiapay.aÄsiv  >  bidjan  R  12,  1  Th  4,  10  {anahaitan  biclai  1)  /jrafstjaii 
18  (:  5,  14)  k  1,  4.  0  gaßlaihan  k  2,  7  {bidjan  8).  5,  20.  7,  4  {gajAaihands  .  .  . 
gaprafstida  o  liapaxaXöv  .  .  .  TiapsxäAcaev  6 ;  in  gaplaihiai  Jjizaiei  gajjrafstips  was 
TiapaxXTjasi  -^  7iap£xyLTj9-7j  7 :  gaprafstidai  .  .  .  gapjrafsteinai  13)  u.  ö.  Ein  gutes 
semitisches   beispiel  liegt   Th  4,   4  vor   [kas  oxeüo;  = 'weib')  vgl  t  2,  20-21. 

2)  Gegen  seiue  griechische  voilage  hat  Wulfila  laigaion  Mc  5,  15  im  sinn 
von  lat.  legio  als  feminiuum  flektiert ;  ich  erinnere  des  weiteren  an  das  fem.  aiirag- 
geljo  c  neutr.  aiwaggeli),  masc.  aiidangja  und  neutr.  plur.  jiranfefja,  für  deren 
genusgebrauch  die  grammatische  wortform  ins  gewicht  fiel. 

3)  Vgl.  ahd.  das  mensch  und  der  mensch  (Burdach,  Ackermann  aus  Böhmen 
s.  239). 


12  KAIil'l'MANN 

bis  Wultila  dem  ^Tiech.  ^li^rAor  j^^d  ()y.'vjx<yj  zu  ehren  unter  niitwirkung 
von  got.  cfhma  das  niaskulinum  unhulpa  einführte  (Mc  5,  12:L8,  29; 
nnhulponi^  f^aw.övta  9,  49  :  sa  unhulpa  to  f^atu.oviov  42  :  akma  nnhrains  39; 
T  3,  7  E  4,  27)  >. 

Dieser  g-eschlechtswechsel  begünstigte  das  persönliche  vor  dem 
nnpersönlichen,  das  spiritualisierte  vor  dem  konkreten,  das  gefühls- 
mässig  empfundene  vor  dem  gattungsmässig  vorgestellten.  Für  den 
bedeutungs Wandel  war  die  berücksichtigung  des  gefühls-  und 
stimmungs wertes  der  Wörter  das  wichtigste.  Er  ist  von  dem 
Übersetzer  namentlich  zum  zweck-  der  spiritualisierung  seiner  kult- 
sprache  ausgenutzt  worden.  Wenn  wörter,  die  gegenstände  oder  Wahr- 
nehmungen betrafen,  aus  dem  gebiet  der  fünf  sinne  auf  gemütszu- 
stände  angewandt  wurden,  so  gab  der  affektgehalt  der  sprach- 
lichen bezeichnungen  den  fingerzeig.  Der  das  adj.  baitvfi  begleitende 
atfekt  -  nicht  der  bittere  geschmack  -  gestattete  die  überraschende 
Verbindung  r/'iigrot  hnitrahd  (M  26,  75);  die  bedeutung  des  wortes 
hieng  von  der  Intensität  der  einem  bittern  geschmack  anhaftenden 
empfindung  ab. 

Der  materialisierung  und  Individualisierung  (abstraktum  >  kon- 
kretum,  neutrum  >  niaskulinum)  tritt  damit  eine  spiritualisierung 
zur  Seite.  Dies  Stilgesetz  half  die  schranken  zu  überwinden,  die 
äusseres  und  inneres,  sinnliches  und  seelisches  leben  trennten.  Es 
wirkte  in  der  gotischen  bibel  sehr  stark.  Zahlreiche  Wörter  sinnlichen 
gehalts  wurden  für  unsinnliche,  religiöse  erlebnisse  gebraucht.  Der 
von  einem  objekt  erregte  aftekt  gehörte  wohl  von  anbeginn  jenen 
Wörtern  an,  er  war  aber  noch  nicht  ihr  dominierendes  merkmal;  er 
lag  wohl  innerhalb  des  A^on  der  bedeutung  jener  wörter  umschriebenen 
kreises,  aber  durchaus  noch  nicht  in  seinem  mittelpunkt.  Beherr- 
schendes Zentrum  ist  der  aft'ektwert  der  wörter  erst  in  der  kultsprache 
geworden. 

bvKsts,  hairpra  und  hoirto  bezeichnen  nicht  mehr  bloss  die  körper- 
teile  (sitze  geistiger  und  seelischer  kräfte),  sondern  werden  über  die 
vom  profanen  Sprachgebrauch  gezogenen  grenzen  hinaus  für  geistige 
und  seelische  regungen  beschlagnahmt  {preihanda  in  hairpram  izwa- 
i'ciim  k  6,  12;  ina  pat  ist  meinos  brusts  [nebst  randgl.  hairpra)  andnini 
Phm   12;    anajjvafstai   meinos   brusts  in  Xristaii  20^);  bntsts  blei/jeins 

1)  ahman  nnliiilpons  unhralnjwia  L  4,  33;  unhidpons  .  .  .  ((hnians  10,  17.  20 
(nveü|iaTa). 

2)  Vgl.  sloh  in  hnists  sehws  L  18,  13  mit  hritsfs  in  ufarassuH  cht  iziris  sind 
k  7,  15.      ^ 


DER    .STIL    DER    G0T18CHEN    Bll'.KL  13 

annahairtei  C  3,  12;  chizii  hauhhairts:,  hrainjahairts).  Wulfila  spiri- 
tualisierte  das  herz  nach  massgabe  des  hellenistischen  sprachgebrauchesi 
so  gründlieh,  dass  er  die  Verbindungen  augona  hairtins  E  1,  18 
(Zeitschr.  40,  480),  daubipa  haivtins  4,  18  Mc  8,  5  und  dmibata  hairto 
8,  17  nicht  gescheut  hat\ 

Höchst  charakteristisch  sind  die  analogen  Stilwandlungen,  die 
sich  bei  Altheimischen  Wörtern  mit  besonders  hohem  affektwert  in  dem 
bereich  sinnlicher  Wertgegenstände  und  ihres  kaufpreises  verfolgen 
lassen.  Dabei  konnte  der  Gote  an  hellenistische  formein  anknüpfen. 
In  der  lehre  von  der  erlösung  hiess  es  -^vj.r,;  -/lyopadlriTö  (K  7,  23); 
in  der  gotischen  bibel  las  man  tvairpa  yalaiibamma  ushauhfai  sijup 
(Zeitschr.  35,  458  t.j.  'Kaufpreis'  in  der  art  des  altgermanischen  wer- 
geldes  und  des  gerichtlichen  kompositionssystems  wurde  ein  ausdruck 
für  lösegeld  und  'erlösung'  (erlösen  ist  einlösen)-.  'Versöhnung'  war 
'herstellung  eines  gesetz-  und  rechtmässigen  friedenszustandes'  (^yafri- 
pons  k  5,  18-19;  gafnpon  :  gadhjon  M  5,  24).  Dafür  konnte  nach 
germanischer  anschauungsweise^  der  für  den  frieden  bezahlte  'preis' 
eintreten:  gawairpi  siprivr,  bedeutete  für  einen  Germanen  das  friedens- 
geld  {skattans  .  .  .  andaivairpi  blojns  .  .  .  andawaivpi  pis  ivairpodms 
M  27,  6.  9),  den  kaufpreis,  der  für  den  frieden  und  die  beendigung 
der  fehde  bezahlt  zu  werden  pflegte  (Idg.  forsch.  31,  321  f.)*.  Um 
des  in  diesem  altgermanischen  ausdruck  liegenden  hohen  gefühls- 
wertes  -  nicht  um  seiner  eigentlichen,  geschäftlichen  bedeutung  -  willen 
hat  dies  gotische  sonderwort  mit  griech.  zioirr,  sich  zusammengefunden, 
die  bedeutung  'friede'  (in  religiösem  sinne)  angenommen  ((/(fwairpeigs 
Mc  9,  50)  und  ist  vollständig  spiritualisiert  worden  (L  14,  32  M  10,  34 
J  16,  33  L  10,  5  k  13,   11  Th  5,  3.   13  u.  a.). 

1)  gablindida  ize  mujona  jah  (jadaubida  ize  hairtona  ei  ni  gamnidedeinu  auyam 
iah  fropeina  hairtin  J  12,  40  vgl.  (laUindida  frapja  k  4,  4 ;  afdaubnodedun 
frapja  3,  14. 

2)  ei  pjans  uf  witoda  ushanhtidedi  G  4,  5  (egayopäar]) ;  ik  leikeius  im  fraOanhtü 
i'f  frmvaurht  R  7,  14  [:  dnke  Jjata  balsan  ni  frabauht  was  in  .t.  skatte  J  12,  5); 
ivadi  (angeld)  E  1,  14:  wadjahokos  C  2,  14;  uslauseins  änoXüzpoioiz  E  4,  30:  G  1,  4; 
Kslxneins  Skeir.  (:  ags.  dlynnan  befreien  Gen.  1432). 

3)  'Verdinglichung'  (Theolog.  Studien  und  kritiken  1913,  259  f.). 

4)  (jawairpi  .  .  .  fijands  R  8,  6-7  vgl.  12,  18.  14,  17  ff.;  so  ank  ist  i/airairpi 
unsar  .  .  .  fijapjiva  gatairands  ei  .  .  .  waurkjands  gawairpi  .  .  .  gafripodedi  E  2.  14-20; 
fjafripon  .  .  .  gawairpi  taujands  .  .  .fijands  .  .  .  ip  nu  gafripodai  C  1,  20-22;  gaga- 
wairpnan  k  5,  20  (fatir  uns  gatatcida  frawanrht  ei  weis  waurpeima  garaihtei  gudis 
in  imma  21):  gagawairpjan  K  7,  11.  Man  könnte  etwa  lat.  merces  >  französ.  «if/r» 
vergleichen  ('dank'  geht  auf  das  gefühl  des  lolinempfängers  zurück)  Wundt,  Völker- 
psychologie II-',  2,  577.  619  f. 


14  KAUFFMANN 

Was  der  aifektgehalt  der  Wörter  für  ihren  bedeutungswandel 
austrägt,  kann  man  der  geschielite  von  'wert'  (got.  wairpx  wertvoll  > 
würdig)  und  'teuer'  entnehmen.  In  der  mit  got.  ciawairp/  gleichlaufenden 
richtung  haben  diese  adjektiva  ihre  bedeutung  verändert,  weil  die 
seelische  Stimmung,  die  ihre  ausspräche  begleitete,  die  Oberhand  be- 
kamt An  stelle  von  'teuer'  findet  sich  in  der  gotischen  bibel  sirer.-^ 
('preisen'  beisst  swerint,  'preis'  ^weripa) ;  dies  wort  scheint  mit  un- 
serem 'schwer'  identisch  zu  sein  und  'schwerwiegend'  (vollgewichtig) 
bedeutet  zu  haben  und  darum  'einen  hohen  preis  bedingend';  im 
gotischen  hat  jedoch  der  affekt  ganz  und  gar  gesiegt  und  von  'hoch- 
wertig' zu  'geehrt  und .  ehrenvoll'  oder  zu  'lieb  und  wert'  geführt 
(ßwers  £vTt[j-o;  L  7,  2  :  imswers  aTijj.o;  Mc  6,  4  K  4,  10)^. 

Hier  stellt  sich  nun  auch  das  epitheton  galcmfs  wieder  ein,  von 
dem  wir  ausgegangen  waren  [ivairpa  (jahiubamma  usbaulitai  ^ijup 
K  7,  23).  Von  ihm  ist  jetzt  der  weg  zu  got.  yalauhjan  und  gahubeins 
und  zu  unserem  religiösen  begriff  'der  glaube'  gebahnt.  Die  usuelle 
grundbedeutung  des  mit  swers  teilweise  sich  deckenden  adjektivs  liegt 
noch  ungetrübt  vor:  qinons  .  .  .  fefjandeins  sik  .  .  .  irastjoni  yafaubahn 
(Ip-aTtay.oj  T.ohjTzktX)  T  2,  9 ;  pund  balsduis  nurdaus  pistikeinis  filuga- 
laubis  (7ro'XuTi[j,ou)  J  12,  3;  du  yalaubamma  kasa  .  .  .  du  uiiyalauhamma 
(si;  Ti;/.r,v  ...  £1?  «Tiaiav)  R  9,  21  {:  Hufs  25)  vgl.  kasa  .  .  .  du  swera/in 
.  .  .  du  unsweraim  .  .  .  du  sweripai  t  2,  20-21  Th  4,  4.  Wurde  die 
geschäftliche  manipulation  ausgeschaltet  -  wozu  kulturgeschichtliche 
neuerungen  den  anstoss  gegeben  haben  mögen  -  und  die  seelische 
Spannung  festgehalten,  in  die  den  menschen  ein  für  ihn  und  sein  haus 
besonders  kostbarer  Wertgegenstand  versetzt,  so  musste  sich  von  einem 
konkreten  wert  ein  gefühlswert  ablösen  und  es  konnte  dieser  einen 
profanen  aber  gemütvollen  ausdruck  dem  Übersetzer  des  griechischen 
Neuen  testaments  für  seine  religiösen  bedürfnisse  empfehlen,  galaufs 
war  das  attribut  einer  kostbaren  und  hoch  eingeschätzten  wäre,  der 
ein  //eZ/haberwert  zukam ;  galaufs  kann  daher  unmöglich  von  got. 
Hufs  (:  -  iubo  liebe)  getrennt  werden  und  so  hat  man  denn  längst  in 
'lieb'  den   bedeutungskern   von   'glauben'   gesehen  ^     Neben  'glauben' 

1)  Anord.  dyrr,  ags.  dyre  pretiosus  >  dilectus  (engl,  dear,  darlinr/);  aud. 
diuri  kostbar,  lieb;  ahd.  'beteuern'  und  'bedauern'. 

2)  siverißa  'ehrerbietung'  R  12,  10  T  1,  17.  6,  l:swevan  J  8,  49  Mc  7,  6 
T  5,  3  usw.  >  'ehren  und  lieben'  J  12,  26  L  18,  20  vgl.  swercnp  ins  ufarassau  in 
friapwai  in  ivaurstivis  ize  jah  gawairjyi  hahaip  in  izwis  Th  5,  13. 

3)  ich  gelonbet  i»i  =  er  iiepte  mir  Iwein  4191;  lieb  hat  die  ablautsform  lauh 
neben  sich  (frauenname  Lenba  Giegor  von  Tours  8,  28:  Lauba  Corpus  inscript.  lat. 


DER   STII.    DER   GOTISCHEN   BIBEL  15 

darf  aber  'erlauben'  nicht  unberücksichtigt  bleiben  und  'erlauben'  ist  oder 
war  so  viel  als  'lieb  und  freundlich,  rücksichtsvoll  und  nachgiebio- 
sein  (nachgeben,  willfahren,  gestatten)' ^  Gehören  nun  also  got.  (ja- 
laii/'j'iii  und  uslanbjan  mit  got.  Huf.-^  und  ciahmfs  engstens  zusammen, 
dann  müssen  bei  'glauben'  zwei  verschiedene  gebilde  unterschieden 
werden.  Von  got.  iialmifs  ist  ein  verbum  denominativum  galinhjan 
abgeleitet,  andererseits  konnte  neben  einem  durativum  laubjun  (anord. 
lei/fn)  d^^  perfektivum  mit  den  praefixen //«- oder  /^<- gebildet  werden. 
Dies  perfektivum  ist  in  der  gotischen  bibel  nur  in  der  form  uslauhjan 
belegbar.  Bei  gahnibjan  haben  wir  es  mit  dem  denominativum  zu 
tun,  von  dem  sich  das  perfectivum  iislaitbjan  (gutheissen)  vollständig 
isoliert  hat-.  Für  galaufs  und  galaubjan  geht  man  folgerichtig  am 
zweckmässigsten  von  /iiif.i  und  lubo  (und  weiterhin  von  den  stamm- 
verwandten lat.  lubet,  lubens,  lubido)  aus  '^.  Hierbei  entdecken  wir 
den  etwa  unserem  'Wohlgefallen'  entsprechenden  bedeutungskern. 
Während  (ya)leikan  eiue  willensregung  und  Avillensneigung  zu  dem, 
was  gefällt,  ausdrückt,  bezieht  sich  unsere  sippe  auf  eine  gefühls- 
mässige  anteilnahme  an  dem,  was  gefällt  {leikains  'vorsatz'  K  1,  21 
t  1^  9  leikains  tv/ljins  sernis  E  1,  5.  9  [glosse]^:  lubains  'hoÖnung" 
R  15,  13)",  so  dass  (/nlaubjan  ungefähr  so  viel  besagte  als  'eine  hoch- 
stehende person  oder  eine  hoch  im  preis  stehende  sache  mit  Wohl- 
gefallen beurteilen'.  Ich  vermeide  absichtlich  unser  wort  'liebe',  weil 
für  liebe  und  für  lieben  in  der  got.  bibel  die  sippe  von  fr /Jon  ge- 
braucht worden  ist,  woraus  man  ersieht,  dass  got.  /iuß  und  was  dazu 
gehört,  seinen  eigenwert  beansprucht.  Der  kommt  nicht  zum  Vorschein, 
wenn  mau  Hufs  mit  'lieb'  und  wenn  man  auch  frijon  mit  'lieben' 
übersetzt  ^     /iuß  sollte    in  den  Wörterbüchern   mit  'geschätzt'  wieder- 

XIII  nr.  8565;  männeruame  Herliiib :  Herelotih,  Hadaloiq))  vgl.  alemann,  lauh  (lieb) 
Schweizer.  Idiotikon  3,  958  f. 

1)  Mnd.  yeUmben  =^  erloiiben  DWb.  4,  1,  2873;  PBBeitr.  1,  325 f.;  Zfda.  30, 
265.  83,  128.  34,  77;  Beitr.  12,  397  f. ;  diese  gleichung  erstreckt  ihre  giltigkeit  auch 
auf  sih  fjelouhm  =  sih  erlauben  (iirloubeti)  Graff,  Sprachschatz  2,  70  f. 

2)  uslaubjan  vertritt  griech.  sTiixpsueiv  und  xsXeustv  (fraletan  K  16,  7  :  us- 
laubjan  M  8,  21.  81  L  8,  32.  9,  59.  61  Mo  5,  13)  'gestatten'  im  sinn  von  'bevoll- 
mächtigen' T  2,  12  >  'befehlen'  31  27,  58  (haitan  61):  anabiudan  Mo  10,  3-5. 

3)  that  gibod  godes  thie  lubiyo  gilobo  Heliaud  2475  vgl.  1221  C  (nebst  Sievers 
anm.,  Germ.  27,  417).     Gen.  204.  219. 

4)  in  godis  wiljins  Si'  euSoxiav  Phl  1,  15:  galeikaida  (sSojev)  mis  .  .  .  meljan 
L  1,  3;  leika  'ich  suche  zu  gefallen'  K  10,  33. 

5)  Die  drei  christlichen  haupttugenden  (glaube,  liebe,  hoffnuug)  wuchsen  für 
die  Goten  auf  einem  und  demselben  wortstannu 

6)  Ausserdem  ist  das  verbum  'lieben'  ein  spätes  geschöpf  des  15.  Jahrhunderts ; 


16  KAIITMANN 

gegeben  werden:  aus  seinem  gcfüblswert  lieraiis  ist  -gescliiitzt"  in 
'geliebt'  umgeschlagen';  wir  wissen  ja  ans  unserem  eigenen  spraeh- 
gebraucb,  wie  gerne  'schätz'  und  'liebster"  ihre  rollen  tauschen,  (iuts 
muts  darf  man  dalier  für  (/a/aii/Jaii  die  grundl>edeutung:  dioeiischätzen" 
(aus  liebe,  d.  h.  aus  Wohlgefallen)  aufstellen;  fj<i(auf-<  beweist  und 
unser  'loben'  bestätig:t  -  dass  dabei  ein  hoher  preiswert  und  eine  auf 
Wohlgefallen  gegründete  'liebende"  beurteilung  vorausgesetzt  war.  ^^'ir 
müssen  also  mit  einer  dop])elseitig-en  relation  rechnen.  ;/afaii/Jini 
stellt  uns  vor  ein  auf  seinen  wert  geprüftes  und  in  seinem  wert 
preisend,    lobend    und    liebend    anerkanntes    oltjekt    und  ein  das  ge- 

ahd.  ÜHÖc/i  (i/ilit(/jeii :  t/iloitbcii),  iiihJ.  lieben  heisst  'gefallen,  t^icli  gefällig  erweisen' 
(doch  Süll  ahd.  liiiput :  minneot  Ahd.  gl.  1,  81.  78  nicht,  unerwähnt  bleiben).  Für 
seinen  religiösen  begriff'  der  'liebe'  hat  Wulfila  das  uns  von  'freund'  und  'freund- 
schaft'  geläufige  wortraaterial  benützt  (gegen  minnea,  »linneun  im  Heliand).  Er 
hatte  sich  mit  griech.  dyaTräv  und  cpiXElv  abzufinden;  'cpiXelv  kunzenlricit  in  .seine 
begriftssphäre  die  reguugen  der  verwandtschaftlichen  und  freundschaftlichen 
bezichungen,  dYanäv  die  freie  richtung  des  sittlichen  wollens'  (R.  Schütz,  Die 
Vorgeschichte  der  johanneischeu  forinel  6  S-eo;  äYinr,  soxiv.  Kieler  theol.  diss. 
(iött.  1917  s.  8).  Der  (lote  »-chrieb  sinngemäss  für  cpi>.slv  stets  /rijnu  und  für 
cfiXog  stets  frijomls  (dagegen  In-ofiraluho  cfiXadeXipta  .  .  .  friu])ira  .  .  .  sirrri/ia 
R  12,  9— 10  vgl.  Th  4,  9  [frijon  iYanäv] :  ."),  13;  ijastiyodci  cfiXoCsvia  K  12,  13); 
'der  geliebte'  war  den  Goten  ein  liebender  verwandter  oder  freund  (M  5,  4(J  h  6, 
32:27.  14.  10.  15,  29).  An  stelle  von  griech.  iYanäv  kommt ///Am  ebenfalls  vor 
(z.  b.  .1  11,  3.  5.  11.  3Ü.  14.  21.  1."),  12-10;  frijnmis  19.  12:  R  8,  37);  aber  lin/s 
begegnet  niemals  für  cpiXoj;,  sondern  ersetzt  aya-Tj-o;  und  7,Ya~r,|idvo;  "woran  man 
gefallen  gefunden  hat'  {bropur  liitbuua  I'hm  16;  leiheis  su  litiba  C  4,  14  vgl.  R  9,  25: 
frijoda  .  .  .  fijaidu  13).  Das  verbalabstraktum  frijons-t/n/rijous  'kuss  {•.Icnkjau)  be- 
rechtigt uns,  die  Vermutung  zu  Kussern,  dass  das  in  antithese  zu  Jißai  auftretende 
verl)um  /rijoii  und  seine  ableitnngen  anfangs  die  körperlichen  und  sinnlichen 
1  ieb  e  sgeb  ärde  n  mit  umfasste,  wovon  bei  litt/s  nicht  wohl  die  rede  sein  kiinnte, 
bis  die  spiri  tual  i  s  icr  un  g  das  verbum  von  seinem  verbalabstraktuin  sonderte. 
Das  war  jedoch  ein  jüngerer  wortgeschichtlichcr  Vorgang  (ich  stelle  beispiels- 
halber L  7,  44-48  und  10,  27  Mc  12,  30.  33  einander  gegenüber;  dazu  C  3,  19 
E  5,  25-29).  Es  ist  dffenbar  der  affektgehalt  von  fr/Jon,  der  dies  wort  nun 
für  die  unsinnlich  vergeistigte  gottes-  und  uächstenliebe  tauglich  erscheinen  Hess 
(.T  1.-1,  9.  13). 

1)  Es  ist  gewiss  nicht  zufällig,  dass  Uk/s  in  der  got.  bibel  nur  von  den 
partizii)ien  oLyani^-zö^  und  r)Ya7t7)|iEvos  angezogen  wurde  (E  1,  6  L  20,  13.  3,  '22. 
9,  35  Mo  1,  11.  9,  7.  12,  6  u.  a.) ;  —  lubo  begegnete  dem  religiös-spiritualistiscTien 
frijon  Th  4,  9  und  schliesslich  hat  sich  nicht  mu*  Hufs  zu  f/alatibjan  (f/alanb- 
jandaiis  jah  liubai  T  6,  2  vgl.  ilntz  scidun  uuir  ffilouben  joh  liarto  iz  uns  f/ilinbcu 
Otfrid  1,  26,  11),  sondern  auch  frijapira  hat  sich  zu  galaubeins  gesellt  (r/alanbeins 
jah  frijaptva  iswara  jah  .  .  ,  r/aminpi  Th  8,  6;  friapwa  niifi  (/alaubeinai  E  6,  23—24 
dazu  K  13,  2  G  5,  (5.  22  Th  5,  8.  T  1,  14  t  1,  13;  jus  mik  frijodedup  jah  <jalau- 
bidednp  J  16,  27  vgl.  14,  15.  21.  23  T  1,  5). 


l'KK    >«T1L    DER    GOTISCHEN    lUbKl.  17 

fallende  iiiul  gepriesene  liebend  beurteilendes  Subjekt.  Die  sub- 
jektiNe  wertung  ist  uun  die  dominierende  tendenz  der  bedeutungs- 
entwic'klung  geworden  und  yalaubjan  ist  über  'liebend  hochschätzen' 
oder  'verehren'  zu  der  aus  der  gefUhlslage  einer  einzelpersou  abge- 
leiteten sonderbedeutuug  'lauf  Wohlgefallen,  hochschätzuug  und  liebe 
beruhendes)  vertrauen  zu  jemand  haben'  olt'enbar  schon  im  vorlitera- 
riscben  Zeitalter  der  Goten  gediehen'.  Das  praefix  ya-  ist  also  nicht 
perfektiv,  sondern  sociativ  wie  bei  yatrouan  zu  verstehen;  es  betonte 
die  auf  Schätzung  oder  ehrung  gestützte  Verbindung  zwischen  zwei 
Personen,  von  denen  die  eine  nicht  bloss  Interesse  an  der  andern 
aufbringt,  sondern  ihr  zutrauen  entgegenbringt,  liebe  und  vertrauen 
schenkt  (vgl.  geloben,  gelübdei  und  sich  ihrer  hohcit  gehorsam  unter- 
ordnet, weil  sir  einen  hr.Iu  rcii  wert  repräsentiert  (J  5,  46-47  R  11, 
30  ff. )  -. 

Nun  ist  aber  der  umstand  zu  würdigen,  dass  das  verbum  ya- 
Utubjün  in  den  skandinavischen  sprachen  sich  zu  unserem  'loben'  und 
'erlauben'  gehalten,  die  bedeutung  von  'glauben'  überhaupt  nicht  auf- 
zuweisen hat;  ;\\\i)V(\.  (eyji  und  Uyfa  sind  Varianten  von  /o/ und  lofa. 
Auf  diesem  Sprachgebiet  w  urde  trüa  (got.  yatraiian)  mit  der  Vertretung 
von  'glauben'  betraut':  ya/nu/ydu  im  sinn  von  griech.  -taTstsiv  ist 
also  eine  gotische  beziehungsweise  westgermanische  sonderentwick- 
Inng.     Daraus    folgt    abermals    die  Zusammengehörigkeit  von  'glauben' 


1)  Murra\  o.  \.  fn,,>',j  gtlit  von  yalaufs  'vahiable'  aus  uud  gelaugt  für 
(jalaubjan  von  'to  hold  vnluable'  zu  'to  have  coufidence'.  Zum  unterschied  von 
G  2,  20  verweise  ich  auf  i/alauUiini  r.iaiiz  'treue'  im  profanen  sinn  T  5,  12;  dazu 
jabni  Hl  f/alaiibjani  (untreu  werden),  Jains  trir/gtcs  icisip  t  2,  13;  galaubeins  .  .  . 
triggws  .  .  .  gatraitan  th  3,  2—4;  galaubja  'ich  habe  vertrauen  gefasst'  J  9,  38. 

2)  Wer  jemand  liebend  verehrt  und  solcher  autorität  vertraut,  'glaubt'  an 
sie  (Mc  11,  22);  das  ist  das  'vertrauen',  das  die  bibel  'glauben'  nennt  (Schriften 
des  Neuen  testaments  1,  l>s7)  Vgl.  L  8,  25  {kar  ist  galaubeins  izivara?)  Mc  5,  28:34 
M  8,  10.  13;  ich  lege  auch  auf  den  gegensatz  von  galaubjan  und  galeivjan  gewicht 
{akei  sind  izicara  stanai  paiei  ni  galaubjand;  icissnh  pan  us  frumistja  lesns  karjai 
sind  J)ai  ni  galaubjandans  jah  kas  ist  saei  galeiweip  ina  J  6,  64). 

3)  So  steht  denn  auch  in  der  Gotenbibel  triggws  für  griech.  mazöc,  (L  19,  17 
K  4,  2.  7,  25  T  1,  15  Tit  1,  9;  C  4,  9  T  1,  12  t  2,  2;  vgl.  h-o  daile  galauhjandin 
mip  ungahiubjandin  k  6,  15).  Das  gesetz  des  alten  bundes  ist  durch  das  evange- 
lium  aufgehoben  (R  7,  4.  6);  das  gesetz  des  neuen  bundes  ist  das  evangelium  be- 
ziehungsweise der  glaube,  auf  dessen  gesetz  es  im  neuen  bund  ankommt;  er  heisst 
iriggwa,  ist  ein  auf  treue  beruhender  bund;  gott  ist  getreu  und  ebenso  seine  heils- 
botschaft.  So  sind  auch  die  Christen  zur  'treue'  verpflichtet,  das  ist  'glaube'  vgl. 
k  1,  18  Th  5,  14  th  3,  3  t  2,  13 ;  triggwai  in  Xristan  Ifsii  E  1,  1  =  galaubjandons 
T  4,  3.  10.  12;  triggics  .  .  .  galaubeins  T  1,  12-15. 

ZEITSCHEIFT  F.  DEUTSCHE  PHILOLOGIE.     BD.  XLIX.  2 


18  KAUFFMANN 

und  'vertrauen'  {galauhida  jah  yatraua  t  1,  12;  irauains  pairh  ga- 
hnibein  E  3,  12) '.  Aber  bei  Wulfila  hat  yalatibjan,  das  stimmungs- 
reichere  und  aftektstärkere  wort  ('liebe')  über  gatranan  den  sieg 
davon  getragen. 

Seiner  grundbedeutung  entsprach  es,  wenn  ga'Mubjan  auf  per- 
sonen  oder  auch  auf  Sachen  anwendung  fand^.  Vornehmlich  wird  in 
der  bibel  das  vertrauen  durch  worte  der  schrift  gewonnen  {Mose  .  .  . 
ivanrdam  galauhjaip  J  5,  46-47.  L  1,  20;  galaubjanchms  pairU  ivaurdu 
J  17,  20;  jabai  /?/as  meinaim  hausjai  tvaitrdain  ja  gahnibjai  12,  47) 
und  damit  eine  weitere  bedeutungsveränderung  von  galaubjan  ein- 
geleitet ('einer  aussage  vertrauen  schenken',  d.  h.  sie  für  wahr  halten 
J  10,  25)  ^  Jetzt  stiess  unser  verbum  auf  tuzwerjan  und  liugan, 
wurde   tiveißeins  entgegengesetzt   und   verband   sich   mit  sunjn'^.     Zu 

1)  triggwaba  galauhjand  L  20,  6;  (jatranan  .  .  .  Jjolrli  (jalaubein  .  .  .  gatrancui 
k  6,  6—8 ;  yatrauan  'eiuein  etwas  anvertrauen'  G  2,  7  u.  ö. :  Jmta  sunjeino  kas  izwis 
yalaubeip  L  16,  11  (:  triggws  10.  12) ;  gatrauan  näherte  sich  galaubjan  audi  mit 
der  bedeutung  'überzeugt  sein'  (R  8,  38  t  1,  5  vgl.  3,  14).  —  Got.  frauaida  du 
guda  M  27,  43  >  ahd.  gitriiioet  in  got  Tatian  205,  3  (confidet) ;  gilaubet  in  got  162,  1 
(creditis) ;  that  sie  gitruodin  thin  bet,  gilobdin  an  is  lera  Heliaud  2350  f. ;   mid  gilö- 

Jjon  endi  mid  treuun  290  f.  vgl.  897.  902.  2489-91.  1526  f. ;  ags.  geleafa,  .jelgfan  : 
getruivian.  Ich  erinnere  noch  an  ahd.  glonbtrinwa  (fides)  Notker  ed.  Piper  2,  392.  6 
{getriuHon  9:gloubige  400,  2). 

2)  waurstwam  galaubjaip  J  10,  .38;  galanbüp  du  linhada  .  .  .  galanbida  liau- 
seinai  12,  36—38;  galaubeip  du  garaihtipai  .  .  ,  sa  galaubjands  du  imma  .  .  .  galan- 
bida hauseinai  E  10,  10.  11,  16.  Seitdem  galaubjan  mit  gatrauan  sich  berührte, 
regierte  es  nicht  mehr  bloss  wie  loben  und  geloben  den  akkusativ  (galanbeis  ßata 
J  11,  26;  allata  galaubeip  K  13,  7),  sondern  auch  den  dativ  {galaubjam  imma 
M  27,  42  vgl.  J  6,  29—30  L  20,  5—6;  galaubida  guda  G  3,  6  u.  a.  'vertrauen 
schenken'),  es  zieht  sogar  die  praeposition  du  an  sich  {galaubeip  du  guda  jah  du 
tnts  galaubei/}  J  14,  1:  galaubeip  mis  12)  wie  {ga)trauan  [trauaida  du  guda  M  27,  48; 
silbans  trauaidedun  sis  L  18,  9;  gatraua  Jmmmei  mahteigs  ist  t  1,  12;  mit  R  10, 
14.  16  vgl.  Phm  21,  mit  Phl  1,  29  vgl.  k  1,  9,  mit  J  6,  29.  35.  40.  47  u.  a.  vgl. 
k  3,  4).  Die  richtung  nicht  das  ziel  drückt  in  c.  dat.  aus  (k  10,  1.  7,  16  R  14. 
14  Phl  3,  3-4:  G  2,  16  E  1,  15  u.  a.).  Im  Heliand  treffen  wir  liudiun  gilöbdi 
5034;  ni  gilöbiad  mi  these  liudi  5091;  gilöbid  te  mi  3915.  4056  vgl.  4035 f.;  an  thik 
gilobian  5570  f.  vgl.  3025  f. ;  gilobieii  after  ...  4140.  5755  f.  Wo  gilöbian  mit 
gihuggian  und  ähnlichen  verben  konkurriert,  setzt  es  eine  genetivkonstruktion  an 
(5833 :  4638). 

8)  audaga  so  gulaubjaudei  Jmtei  ivairpip  ustanhts  pise  rodidaiie  izai  fram 
fraujin  L  1,  45;  Zeugenaussage:  galaubida  ist  weittvodei  uusara  th  1,  10  vgl.  J  9, 
18.  10,  25-26. 

4)  ni  tuztverjai  .  .  .  ak  galaubjai  Mc  11,  23  :  galiuga-  13,  21—22  T  4,  1—3; 
galaubeins  . .  .  tweifleins  R  14,  1—2;  J>ande  sunja  qipa,  duhe  ni  galaubeip  misV  J  8, 
45—46;    sunja    qijja  .  .  .  ni   liuga,    laisareis  Jnndo    in  galaubeinai  jah  sunjai  T  2,  7. 


DER   STIL   DER   CtOTISCHEX    lÜBEl,  1<) 

'glauben  und  vertrauen'  ^  gesellte  sich  'glauben  und  erkennen'  (wissen 
überzeugen)  :  ufhunnaip  jah  galauhjaijj  J  10,  38  {snnja  ivas  .  .  .  galau- 
bidedun  41-42)  vgl.  6,  69.  14,  9-12;  'glaube'  ist  namentlich  im 
Johannesevangelium  ein  anderer  ausdruck  für  gotteserkenntnis.  Er- 
kannte und  verbürgte  Wahrheit  anerkennen,  hocheinschätzen  und  an- 
nehmen (Th  2,  13  T  3,  16  Tit  1,  1-4),  von  der  autorität  der  heils- 
botschaft  und  der  lehre  (wortverküudigung)  auch  ohne  augenschein 
sich  überzeugen  lassen  (k  5,  7  Th  4.  14)  -,  von  dieser  biblischen 
forderung  gieng  letztlich  der  bedeutungswandel  aus,  der  die  Verkündi- 
gung, die  lehre  und  ihr  bekenntnis  aus  eigener  Überzeugung  heraus 
mit  dem  wort  'glaube"  (glaubensformel,  glaubensbekenntnis)  belegte; 
der  'glaube'  ist  nicht  so  sehr  von  der  erkenntnis  als  von  dem  be- 
kenntnis abhängig  geworden ;  'gläubig'  (christlich  gesinnt  Tit  1,  6)  ist, 
wer  ein  auf  der  heils-  und  glaubensbotschaft  (dem  wort  der  Wahrheit ; 
E  1,  13)  fussendes  bekenntnis  ablegt^.  Der  glaube  ist  fortan  das 
Symbol  des  Christentums*.  Dieser  totalen  hellenisierung  eines  gotischen 
Wortes  folgte  die  hellenisierung  seiner  syntaktischen  konstruktionen  ■'^. 
Die  spiritualisierung  hat  auch  got.  timrjan-gatimrjan,  tim- 
reins-gatimreins  'erbauung'  erfasst  (o.  48,  379);  es  sollte  die  seele,  das 
Innenleben  des  einzelnen  Christen  und  der  ganzen  Christenheit  neu 
aufgebaut  werden  (K  8,  10.  10,  23  E  2,  20-22.  4,  12.  16)  im  Zu- 
sammenhang mit  dem  himmlischen  bauwerk  (bauains  k  5,  1-2),  mit 
dem    heilsplan    und    der    heilsbotschafc  gottes;    'erbauung'  war  heils- 

1)  'vertrauen  fassen'  und  'vertrauen  haben'  Afda.  3H,  10  f. 

2)  Die  heilsbotsehaft  {aiiraggeljo)  war  die  'Wahrheit',  sie  zu  liören,  an  ihr 
Wohlgefallen  zu  finden,  sie  in  das  eigene  herz  aufzunehmen,  sie  anzuerkennen  und 
ihr  zu  gehorchen,  darauf  kam  es  an  (E  1,  13  Phl  1,  27  R  10,  8.  10.  14-19.  21. 
11,  30-32),  so  nahm  man  den  'geist  gottes'  in  sich  auf  (G  3,  2.  5  R  8,  7-9).  Bei 
Pauhis  drückt  'glaube'  ein  machtvolles  religiöses  erlebnis  aus,  ist  ein  x^piap-a  und 
tritt  deswegen  in  Opposition  zu  jeglichem  menschenwerk;  'glaube'  ist  die  Stimmung 
und  gesinnung  des  neuerweckten  pneumatischen  lebens  {ahmet  galauheinais 
k  4,  13  nina  galauheinais  T  3,  9)  vgl.  t  1,  9  th  1,  11  R  12,  3  E  2,  8  G  2,  16. 
20.  5,  5.  6.  22  [akran  ahmins  .  .  .  galaubeins). 

3)  galaubei  in  fraujin  E  1,  Ih :  galanheip  in  aiwaggeljon  Mc  1,  \b:mereip 
galauhein  (=  evangelium)  G  1,  23;  mereins  =  galaubeins  K  15,  1-t.  17  vgl.  k  4,  13 
(gebet,  bekenntnis)  Schriften  d.  Neuen  testaments  2,  187  f. 

4)  Vgl.  G  2,  IH  K  1,  21.  14,  22  u.  ö.  swesans  galaubeinai  'glaubensgenossen' 
G  6,  10  (dazu  th  1,  3-4);  ains  fratija,  aina  galaubeins,  aina  daupeins  E  4,  5. 

5)  Akk.  c.  inf.  bei  gatrauan  und  galaubjan  k  10,  7.  L  20,  6  R  14,  2  ;  ga- 
traua  ßatei  .  .  .  [Jjammei)  R  8,  38  t  1,  12  Phl  2,  24;  galanbja  patei  .  .  .  R  10,  9 
Th  4,  14  M  9,  28  J  16,  30.  11,  27.  9,  18;  galaubjan  ohne  objekt:  .T  IG.  31  K  15, 
2.  11  k  4,  13  M  8,  13  Mc  5.  3(1  9,  23-24  usw. 


20  KAÜFFMAXX 

erziehiiüg  im  siune  des  'glaubeus"  [iimrenmi  gudis  ßizni  wisandein  in 
gnlau'ieinni  T  1,  4).  Dabei  wirkte  der  christücbe  dualismus  mit,  der 
das  sichtbare  und  äusserlicbe  durch  das  un^ichtbare  innerlich  zu 
überwinden  trachtete.  Denn  das  religiöse  denken  wurde  von  den 
grossen  autithesen  beherrscht,  die  die  spiritnalisierung  zahlreicher 
gotischer  wörter  getordert  haben  (diesseits-jenseits,  licht-finsternis, 
leben-tod.  leib-seele,  süude-gnade,  gut-böse,  vergänglicli-ewig,  alt- 
neu usw.\  Aus  anlass  von  airßeins  'irdisch'  waren  wir  auf  himmel 
und  erde  zu  sprechen  gekommen :  sogar  den  formwörtern  "oben*  und 
'unten'  (x^k-j,  x,7.t(j)"  wurde  statt  des  rauais  eine  wendung  auf  die  ent- 
gegengesetzten Standorte  der  religion  ihimmel  und  erde,  himmel  und 
hölle)  gegeben  ^  und  die  mimische  gebärde  des  pronomen  demonstra- 
tivum  zu  ausdrucksvoller  Symbolik  gesteigert-. 

Das  Stilgesetz  der  spiritnalisierung  fand  aber  das  hauptfeld  seiner 
wirksamkeil  bei  den  lianptnnruien  der  neuen  religion,  bei  den  Sakra- 
menten. 

Die  sakram  entalisierung  hat  einen  glorienschein,  eine 
heiligende  weihe  über  profane  wörter  ergossen  und  nun  konnten  die 
weihevollsten  begriffe  durch  die  schlichtesten  ausdrücke  der  Volks- 
sprache dargestellt  werden.  <:oj-rrc  und  coj-rr.z'.y.  wurden  mit  ihrem 
kultischen   nimbus     entlehnt,  und  dieser  nimbus  war  es,  der  dem  an 


1)  uzuhhof  aiiyona  iup  J  11.  41:  siffislattn  pizos  iupa  laponais  gudis  Phl 
3;  14;  poei  iupa  sind.sokeip  —  parei  Xristus  ist  in  taihsicai  gudis  sitands  —  fiaimei 
iupa  sind  frajfjaijj  ni  paim  Jjoei  aua  aiipai  sind  C  3,  1—2:  sa  iupaJ)ro  qimands 
J3,  31  {:  himinak'undana  jah  iupapro  qumanana  .  .  .  airpiakundana  jah  us  airpai 
rodjandan  Skeir.  4);  atgiban  iupapro  ('vom  himmel  her')  J  19,  11;  jus  ns  paim 
dalapro  sijup  ip  ik  us  paim  iupapro  im  8,  23  vgl.  18,  36 ;  i^as  ussteigip  in  himin  ? 
Pat  ist  Xristu  dala/j  attiuhan  .  .  .  hras  gasteigipj  in  afgrundijja?  pjat  ist  Xristu  us 
daupaim  iup  ustiuhan  R  lU,  6—7  vgl.  Tli  4,  16  M  11,  2.'3;  insaihands  iup  .  .  .  dalajt 
atsteig  L  19,  5:  iupapro  und  dalap  M  27,  51  Mc  15,  bS  vgl.  M  8.  1  J  9.  6  L  4,  9 
Mc  14,  66  u.  a. 

2)  sa  fairk^us  K  1,  20—21;  jus  us  pamma  fairkau  sijup  ip  ik  ni  im  us 
Pamma  fairkau  {dalapro:  iupapro)  J  8,  23;  bi  pizai  aldai  pis  aiwis  {fnirhaus) 
E  2,  2  C  2,  20  J  16,  :^8  (:  21).  33.  17,  11  ff.  12,  31.  46;  in  pamma  fairhau  in 
libainai  aiireinon  25  usw.  p>ai  sunjus  pis  aiwis  .  .  .jainis  aiicis  L  :^0,  34 — 35;  in 
jainamma  daga  t  4.  8  J  16,  23.  26  u.  ü.  =  in  spedistin  daga  12,  48:  fram  mannis- 
kamma  daga  K  4.  3:  in  daga  fraujins  5,  5;  dags  fraujins  swe  piubs  in  naht  stra 
qimip  Th  5,  2. 

3)  Wendland,  Zeitschr.  f.  neutestamentl.  Wissenschaft  5  (1904)  3a5  ff  (s.  348); 
Dibelius.  Handb.  z.  Neuen  testament  3,  2,  184.  212  ff.;  Reitzenstein,  Mysterien- 
religionen s.  25  f. ;  Bousset,  Kyrios  Christos  s.  293  ff. :  Weiss,  Archiv  f.  religions- 
wissenschaft  16,  492  ff.    rrchristentam  s.  166  u.  a.  v?!.  Zeitschr.  48.  386. 


DER    8TIL   DER   GOTIÖCHEX   BIBEL  21 

ihre  stelle  tretenden  gotischen  profanwort  {nm^jan)  seinen  totalen  be- 
deiitnngswandel  verschaffte  und  das  wohltuende  gefühl  von  'genesend 
und  heilend'  hei  'heilnnd'  zu  dem  religiösen  schauer  des  Sakraments 
erstarren  Hess.  Himmlische  und  irdische  erscheinung  stehen  sich  im 
Sakrament  nicht  mehr  dualistisch-antithetisch  gegenüber,  wirken  viel- 
mehr einheitlich  zusammen.  Irdisches  und  himmlisches  vereinigen  sich 
im  nr/.-jandf!;  er  sollte  die  sterblichen  aus  lebensgefahr  erretten,  den 
beruf  des  arztes  durch  heilung  der  kranken  erfüllen,  aber  zugleich 
durch  das  mysterium  der  erlösung  den  sünder  vom  tod  befreien  und 
durch  ewiges  leben  beseligen  (t  1,  9-10).  Unser  deutscher  Sprach- 
gebrauch gieng  mit  'heiland'  von  der  die  kranken  heilenden  tätigkeit 
des  arztes  aus,  der  Gote  hat  für  seine  bibel  nicht  hailjaii  sondern 
nnyjnn  gewählt  ^  und  damit  von  vornherein  den  Stimmungszauber,  den 
ein  zur  nahrungsaufnahme  wieder  genesender  erlebt,  seinem  vom 
himmel  auf  die  erde  gesandten  'retter,  erlöser  und  seligmacher'  ein- 
verleibt, dem  die  andacht  sich  zuneigte,  weil  es  sein  geheimnis  war, 
alle  zu  ernähren  und  am  leben  zu  erhalten,  deren  diesseitiges  und  jen- 
seitiges dasein  gefährdet  war.  Das  beseligende  gefühl  der  genesung 
lenkte  die  Wortwahl  für  griech.  crwTTipia  auf  got.  n«6ßmö-^  und  ist  auch 

1)  haüjun  und  {ga)nasjc(n  sind  zwei  verschiedene  ärztliche  leistungen  (9-spa- 
Tieüeiv  und  ocbCeiv);  ist  der  arzt  mit  erfolg  tätig  {galekinon  L  8,  2.  43:  lekinon 
'ärztlich  behandeln'  5,  15  vgl.  9,  11),  so  führt  er  einen  heilungsprozess  herbei  {ga- 
hailjan  M  8,  7.  16:  hailjan  L  5,  17)  und  besorgt  die  genesung  {ganasjan  \S.q%-%% 
L  6,  19:  hailjan  la9-7;vai  18;  gahailjan  läaO-ai  9,  11.  42);  Jesus,  der  arzt,  heisst 
darum  lekeis  (L  4,  23.  5,  31)  und  hailjands  (M  9,  3")  vgl.  .J  7,  23);  das  ist  aber 
nicht  der  'erlöser':  nasjands  bedeutet  also  etwas  ganz  anderes  als  hailjands 
und  'heiland'  (Mc  5,  26.  28.  29.  34);  nur  ein  einziges  mal  wird  hails  wairßiß 
für  acü^-Yjasxai  gebraucht  und  in  diesem  fall  (J  11,  12)  bedeutet  die  formet  'gesund 
werden'  im  ärztlichen  sinn.  Ich  erinnere  an  hails  in  der  Verbindung  'gesunde  lehre' 
T  1,  lU.  6,  3  t  1,  13.  4,  3  Tit  2.  1.  1,  13:  gahails  Th  5,  23  (gegen  L  15,  27).  Für 
(ga)nasja)i  hebe  ich  aus:  ganasjan  ßans  gamalividans  hairtin  L  4,  18.  9,  24.  56 
J  6,  9;  'retten'  K  7,  16  Mo  15,  30  f.  M  8,  25.  27,  49  J  12,  47.  27;  'selig  machen' 
K  1,  21  (hängt  vom  'glauben'  ab:  y,dpiona  E  2,  5.  8);  nasjandis  gudis  saei  allans 
Hill  ganisan  ('selig  werden')  jah  in  nfknnpja  sunjos  qiman  T  2,  3—4  vgl.  15  J  10,  9 
L  8,  12  R  10,  9  usw.:  'gesund  machen'  L  7,  3.  50.  8,  48.  50;  'gesund  werden' 
M  9,  21-22  L  8,  36.  18,  26  Mc  6,  56 ;  ganisai  jah  lihai  5,  28. 

2)  naseins  {rettung  aus  lebensgefahr)  wechselt  mit  ganists  (errettung  —  ge- 
nesung); beide,  dies  ältere  und  jenes  neuere  wort,  hielten  Verbindung  mit  dem 
heilsplan  gottes  (Th  5.  8—9;  aiwaggeli  ganistais  E  1,  13;  ganisis  ßairh  galanbein 
t  3,  15  vgl.  2,  10  R  10,  9-10.  11,  11.  k  7,  10.  1,  6  R  13,  11.  10,  1).  'Errettung' 
aus  der  gefangenschaft  Phl  1,  14.  19  steht  im  gegensatz  zu  fralusfs  28  ('unter- 
gang')  vgl.  L  19,  9—10;  dags  naseinais  k  6,  2;  naseins :  uslanseins  L  1,  68—69. 
71.  77;  ocüxyjpiov  2,  30.  3,  6. 


22  KAUFFMANN 

an  der  spiritualisierung-  der  verba  gcuman  (ahnia  ganisai  K  5,  5)  und 
{gfi)nasja/i  beteiligt.  Diese  ganze  Wortsippe  wurde  statt  auf  das  irdische 
auf  das  ewige  leben  bezogen  und  mit  dem  sakramentalen  gehalt  der 
crlösung  und  beseligung  gesättigt;  denn  nai<jancU  ist  nicht  der  heiland 
oder  heilbringer,  sondern  der  aus  lebensnot  erlösende  ^  und  die  leiden- 
den selig  machende,  der  die  menschen  in  den  himmel  kommen  und 
die  sterblichen  zu  ewigem  leben  auferstehen  lässt,  so  sicherlich  wie 
er  als  rettender  arzt  und  Wundertäter  verstorbene  wiederauferweckt 
hat  (L  8,  49-50  J  11,  25-26).  nasjands  ist  darum  in  der  gotischen 
bibel  nicht  bloss  ein  epitheton  des  'heilandes'  Jesu  (Phl  3,  20),  son- 
dern auch  gottes,  des  retters  Israels,  der  sonst  nicht  unter  'heiland' 
verstanden  zu  werden  pflegt  (Tit  1,  3-4  t  1,  9-10  T  4,  10.  2,  3.  1,  1 
L  1,  47:2,  11)2. 

Wörter  der  gemeinsprache  emptingen  mythisch-sakramentalen  ge- 
halt, wenn  sie  durch  die  erinnerung  au  die  erlebnisse  (wort  und 
werk)  des  kultgottes  geweiht  wurden.  Ein  lebenswerk  und  ein  heils- 
wort  des  /pKTxoc  musste,  von  seinen  anhängern  dauernd  wiederholt, 
für  die  gläubigen  ein  vorbildlicher   kultakt  werden ;   ihn  beim  gottes- 

1)  Ein  gegenstück  zu  nasjands  ist  sa  fraisands  'der  Versucher'  (d  :isipä^ü)v 
Tli  5,  3 ;  usfaifraisi  izwis  sa  fraisands  3,  5)  der  das  heil,  das  leben  und  die  seele 
'gefährdet'.  Aus  dem  profanwort  fraisan  'gefährden'  (Mc  12,  15  G  6,  1 :  4,  14 
vgl.  ahd.  freison,  and.  freson  [Hei.  772  f.  4476],  ags.  frdsian)  ist  der  religiöse  be- 
griff des  'sich  selbst  auf  sein  glaubensieben  prüfen'  (k  13,  5:  Mc  10,  2)  und  der 
'Versuchung'  herausgeholt  worden  [fraistubni  M  6,  13  L  4,  13.  8,  13  T  6,  9:  ei  ni 
fraisai  izwara  satana  K  7,  5 ;  ni  fraisais  fraujan  gup  peinana  L  4,  12  vgl.  2. 
Mc  1,  23).  Ähnlich  ist  es  dem  neben  nasjands  und  fraisands  zu  erwähnenden  sa 
{ga)lewjands  ergangen.  Galewjan  war  ungefähr  gleichwertig  mit  anafilhan  und 
atfjihan  (48,  3H5  f.)  vgl.  J  18,  30.  35-36  K  11,  23  M  27,  2-4.  18  Mc  14,  10-11. 
41— i 4.  9,  31  L  9,  44  und  hat  sich  darum  mit  griech.  uapexsiv  und  TiapaSiSövat, 
associert  ('ausliefern'  J  19,  11).  Das  got.  verbum  wurde  jedoch  vom  Übersetzer  mit 
der  gesamtvertretung  von  griech.  TtapaStSövai  also  nun  auch  mit  der  Vertretung 
von  'verraten'  betraut  und  durch  die  figur  des  'Verräters'  Judas  heilsgeschichtlich 
vertieft  (vgl.  L  6,  29:16  Mc  3,  19;  J  18,  2:5);  wahrscheinlich  ist  von  dem  kom- 
positum  die  neue  bedeutung  auf  das  simplex  übergesprungen  (Idg.  forsch.  21,  194  f.). 
Merkwürdig  ist  die  analogie  zu  ags.  heheiran  und  ^esyllan  (Drake,  West-saxon 
gospels.    Diss.  New  York  1894  s.  ^uff.). 

2)  L'em  got.  nasjands  entspricht  ahd.  haltari  beziehungsweise  haltento  {suluator; 
der  am  leben  erhält)  Notker  ed.  Piper  2,  64,  9  :  56  f.  180,  11  u.  ö.  =  Jesus  179,  11. 
332,  3 ;  Christus  Jesus  >  Christ  der  haltinto  359,  5 ;  dominus  Jesus  >  truhten  der 
haltendo  H43,  4.  Unter  den  Westgermanen  wurde  'heiland'  die  Verdeut- 
schung des  namens  Jesus  ('Jahwe  ist  rettung'  M  1,  21):  ags.  hcelend  L  18,  37 
Mc  10,  47.  49  usw.  the  scal  heliand  te  namon  egan  Hei.  266  dazu  Tatian  3,  4. 
7,  1.  90,  3  vgl.  4,  5.  6,  2.  87,  9:  88,  1.  195,  1.  4  usw.     Kahle  a.  a.  o.  s.  79. 


DER   STIL   DER   GOTISCHEN   BIBEL  23 

dienst  feierlich  zu  begehen,  galt  als  sakrales  gebot  und  kirchliches 
gesetz.  Das  hauptbeispiel  eines  sakramentalen  mythos  steht  KU,  23  ff. 
Es  feiert  den  neuen  blutbund  {cjamaindiips  blopis  fraujins  K  10,  16), 
der  zum  gedächtnis  des  gekreuzigten  und  zur  erlösung  der  gläubigen 
stetig  zu  erneuern  war  (Schriften  d.  Neuen  test.  1,  203)  \  Seine 
Stiftung,  das  einmalige  und  grundlegende  erlebnis  der  jünger,  wird 
erzählt;  aus  dieser  erzählung  (;j.ui%:)  strömt  seine  sakramentale  Wirkung: 
frauja  Jesus 

in  f)izaiei  naht  galewifis  was 
nam  lilaif  jah  a  w  i  1  i  u  d  o  n  d  s  gabrak 
jah  qa{) :  nimijj  matjij) 

|iata  ist  leik  mein  f)ata  in  izwara  gabrukano 
Jiata  ivmirkjaip  du  meinai  ganiundai 
swah  samaleiko  jah  stikl 
afar  nahtamat  qi{)ands : 

sa  stikls  so  niujo  triggwa  ist 
in  meinamma  blofia 

pata  ivaurhjaip  swa  ufta  swe  drigkalj)  du  meinai  ga- 

mundai 
swa  ufta  auk  swe  matjaif)  jjana  hlaif  jah  {)ana  stikl  drigkaij) 

daulmu  fraujins  gakannjaij)  nnte  qimai 
eif^an    /razuh   saei    matjij)   |)ana   hlaif  ail){)au  drigkai  {)ana  stikl 

fraujins  unwair|iaba 
•    fraujins  skula  wair|)if)  leikis  jah  blojjis  fraujins 
ajDpan  gakiusai  sik  silban  inanna 

jah  swa  J)is  hlaibis  matjai  jah  Jiis  stiklis  drigkai. 
awiliudon,  wahrscheinlich  ein  ausdruck  der  heidnischen  kultspraclie, 
ist   in    der  Gotenbibel   durchaus  der  liturgie  und  dem  Sakrament  vor- 
behalten^: die  kontinuität  des  Sprachgebrauchs  wird  erst  unterbrochen, 

1)  -Das  ist  das  einzigartig  anziehende  dieser  neuen  religion  gewesen,  dass 
ihr  mythos,  um  uns  religionswissenschaftlich  auszudrücken,  nicht  in  irgend  einer 
grauen  Vergangenheit  spielt,  von  der  man  nicht  mehr  viel  zu  sagen  weiss,  sondern 
von  den  ersten  verkündigern  zum  teil  mit  erlebt  worden  ist'  Weiss,  Urchristen- 
tum s.  167. 

2)  .J  6,  11.  23  Mc  8.  6  (vgl.  L  9,  16)  L  18,  43;  11.  J  11,  41  R  7,  25  t  1,  3 
Ti  17,  15-16  [siibnai  mikilai)  u.  a.  awilinp  euxaptotia  {:  aiicxarisiia  k  9,  11—12) 
'danksagung'  (zur  ehre  gottes)  T  4,  8—4  {gaweihada  tiul-  pairli  u-aurd  gudis)  Phl 
4,  6  k  4,  15  {du  wiilpan  guda);  x^P^S  (t;(p  S-ew)  K  15,  57  k  2,  14.  8,  16.  9,  15; 
auf  die  Unterscheidung  von  airiliuß  und  ansts  (T  1,  12 :  14  t  1,  2 :  3)  wird  später 
zurückzukommen  sein;  im  profanen  hezug  tritt  pauk  oder  Imoi  ein  (LI/, 
9.  6,  32  ff.). 


24  KAUFFMANN 

WO  lilaifs  und  stikls  die  Stellvertretung  von  leik  und  bhp  fraujins 
übernehmen.  Unter  hlaifs  ist  im  mytlios  hlcnfs  fraujins  und  unter 
stilds  ist  stikls  fraujins  verstanden,  denn  es  heisst  hier: 

saei  auk  raatji[3  jah  drigki|)  unwairf)aba 
staua  sis  silbin  matjij) 

ni  domjands  leik  fraujins  K  11,  29. 

hlaif  mr/tjan  bedeutet  in  diesem  kultischen  Zusammenhang  nicht 
mehr  'brot  essen' ;  über  den  bedeutungsgehalt  der  formel  entschied 
jetzt  ihre  sakramentalisierung  ('wer  bloss  isst  und  trinkt,  zieht  sich 
durch  solch  unwürdiges  gebahren  ein  Strafgericht  zu,  weil  er  den  leib 
des  herrn  nicht  berücksichtigt')  :jappe  nu  mafjalp  jappe  drigkaip  jappe 
ha  taujij),  allata  du  icidpqu  fiudis  taujaip  K  10,  31.  Weder  matjan 
noch  driykan  sind  auf  die  kultsprache  eingeengt  worden  (z.  b.  L  15,  16 
Th  5^  7),  obwohl  eine  distanzierung  der  verba  maijan  und  Han,  drig- 
kan  und  "^^  siipan  denkbar  gewesen  wäre  und  eine  spiritualisierung  der 
alltagswörter  tatsächlich  erfolgt  ist  (K  10,  3-4).  Der  meister  der 
Gotenbibel  gehorchte  seinem  stilgesetz,  wenn  er  mafjan  und  drigkan, 
hlaifs  und  stikls  mit  profaner  bedeutung  wiederkehren  und  auf  das 
kultisch-sakrale  gebiet  übergreifen  Hess,  um  so  trotz  aller  neuerungen 
dem  volkstümlichen  Sprachgebrauch  doch  noch  Spielraum  zu  gewähren^: 
hlaifs  wurde  durch  das  'wort  gottes'  spiritualisieit  (L  4,  4.  14,  15 
J  6,  26-27.  31-35  :  ik  im  sa  hlaifs  libainai^)  und  durch  den  'leib 
Christi'  sakramentalisiert  (J  6,  41.  48-51.  52-58  K  10,  17;  für  stikls 
verweise  ich  auf  Mc  10,  38-39  J  18,  11).  • 

Ein  vergleich  mit  dem  usus  ergibt  für  blop  (K  15,  20  E  6,  12) 
eine  entstofflichung  (Mc  5,  25.  29  M  27,  4;  blop  gaJgins  C  1,  20 
E  2,  13  J  6,  52  ff.),  aber  stilgerecht  ist  auch  die  dadurch  nicht  ge- 
fährdete fortdauer  der  herkömmlichen  bedeutung  dieses  Wortes.  Ver- 
wickelter ist  der  gebrauch  von  leik,  dessen  spiritualisierung  und  sakra- 
mentalisierung uns  bei  hlaifs  bereits  beschäftigt  hat  ('himmelsbrot' 
J  6,  51  ff.  im  gegensatz  zu  alnna  ist  saei  liban  taiijip,  pata  leik  ni 
hoteip  waiht  63).  Man  muss  auch  in  diesem  fall  das  wulfilanischc 
von  dem  vorwulfilanischen  Gotisch  zu  unterscheiden  versuchen,  um  in 
der  Verbindung  der  älteren  und  der  neueren,  der  volkstümlichen  und 
der  biblischen,  der  profanen  und  der  kultischen  Vorstellungen  den 
charakteristischen  Stilausdruck  des  Schriftwerkes  wiederzufinden,  leik 
bezeichnet  in   der   bibel   sowohl   'fleisch',   d.  h.  stoff  (^rapE)  als  auch 


1)  Mc  3,   20.   (),  8  L  7,   33-34  ii.  a.  gegen   Mc  7,  2  ff.  2,  26  L  6,  4 ;    th  3, 
8.  12  M  6,  11;  10,  42  Mc  9,  41  K  10,  16.  21. 


DER   STIL   DER   GOTISCHEN  BIBEL  25 

'leib',  (1.  h.  form  und  g- est  alt  (cö:;xa);  daneben  ist  eine  dritte  be- 
deutung  'körper',  d.  h.  g-eformter  und  gestalteter  stoflf  (mensch- 
liche gestalt)  nicht  zu  übersehen.  Für  'fleisch'  begegnet  uns  C  1,  22 
das  sonderwort  mammo  in  der  ausdrucksvollen  und  anschaulichen  Ver- 
bindung leik  manimoiis  [pC.u.y.  ttc  '^ap/.ö:)',  w'ährend  kurz  daraufge- 
schrieben steht:  usfullja  gaidwa  aglono  Xristaus  in  leika  meinamma 
faur  leik  is  J)atei  ist  aikklesjo  (die  in  einzelne  glieder,  körperhaft, 
gegliederte  kirche  ist  gemeint;  bi  tt,  nxoyJ.  fAou  l-rzk^  tou  gol'ijläto;  au-roO  24); 
av.0%  und  ctofj'.a  fielen  also  unter  umständen  für  den  Goten  zusammen 
{nna  leika  umaraninid  :  .  .  in  riurjamuia  leika  unsaranrma  sv  tw  aojy.y.Ti 
v.rxoJv  .  .  .  Iv  -.■},  [\vri~r  nxzyJ.  r.y.olv  k  4,  10-11).  Seinem  leik  entsprach 
zumeist,  dem  altgermanischen  herkommen  gemäss,  griech.  ccoaa.  Wenn 
aber  leik  'gestalt'  bedeutete  -,  so  war  doch  nicht  ihre  reine  (bildnerisch- 
künstlerische, ästhetische)  form  darunter  verstanden ;  sie  wurde  viel- 
mehr von  ihrem  stofflichen  dasein  nicht  abgelöst  {leik  körper,  leiche)  ^. 
Nur  war  bei  leik  nicht  der  stoff  das  dominierende  sinnesmerkmal, 
sondern  die  form.  Der  stoff  (das  fleisch)  wurde  als  'form' aufgefasst, 
wenn  man  lik  ('leibliche  gestalt')  dafür  gebrauchte.  Daher. konnte  es 
ein  altgermanisches  stof  fadjektiv  likin  nicht  wohl  geben ^;  got.  leikeins 
ist  durchaus  ein  wulfilanisches  gebilde  (kontrafaktur  von  griech.  azs- 
xivo;  0.  48,  190)^,  leikeins  im  R  7,  14  (ich  bin  ein  fleischeswesen)  verträgt 

1)  mammo  gehört  zu  mimz  '/.pia,  K  8,  10.  13. 

2)  manleika  slxwv  L  20,  24  Mc  12,  lü  K  15,  ^Q'.yaleiki  ojio'lwjxa  {idit  skcd- 
kis  nintands  .  .  .  in  galeikja  manne  .  .  .  manatilja  Phl  2,  6—8  'menschengestalt' ;  in 
yaleikja  leikis  'in  gestalt  eines  menscheuleibs'  R  8,  3  vgl.  k  3,  18.  11,  13—15  R  12,  2 
K  11,  1  Pbl  3,  17  th  3,  7.  9). 

3)  lik  (materialisierte  form)  hat  sich  allmählich  von  'leib'  (gestalt)  zurück- 
gezogen zugunsten  von  Hb  (beseelte  gestalt);  je  mehr  dies  wort  sicli  ausbreitete,  um 
so  mehr  verlor  lik  an  bodeu  und  behielt  nur  noch  stofflichen  wert  {leiche)  vgl. 
got.  leik  'leiche'  L  17,  37  Mc  6,  29  M  27,  58—60;  hlaiwasnos  uslnknodednn  jah 
managa  leika  pize  Uijandane  weihaize  urrisnn  52.  —  Im  ahd.  Tatian  heisst  caro- 
ßeisf/  und  corpiis-UJihamo;  liJi  kommt  nur  noch  ein  einziges  mal  und  zwar  mit  der 
bedeutung  leiche'  vor  [namun  sina  lih  inti  bigraobun  then  in  grabe  :  Hb  nita  79,  10) 
wie  bei  Otfrid  4,  35,  31.  34,  4:  dazu  stimmt  Uh  'körjjer,  fleiscliesleib'  4,  29,  40.  5, 
8,  20  (:  18).  4,  27,  13.  5,  1,  44.  Im  Heliand  dient  M  ebenfalls  als  'körper'  (fleisches- 
loib  153-54.  199  f  ;  fleischteile  4901.  3345)  und  'leiche'  (5739  =  Areo  4077  f.);  da- 
gegen hielt  das  ags.  auch  noch  an  l/c  'gestalt'  fest  und  diese  bedeutung  ist  im 
auord.  ganz  geläufig  geblieben  (ags.  eoforlic,  icyrmes  lic  Gen.  491 ;  anord.  onus  lik 
ßeginsm.  14  pr  2;  Loki  in  laxliki  Sn  E). 

4)  Auch  in  Deutschland  kommt  ein  lichin  nicht  vor  (wohl  aber  mhd.  vlei- 
schin  'fleischern'),  es  wäre  so  unmöglich  wie  libin  ('leibern'),  es  gibt  nur  'leiblich' 
(ags.  lichamlic  corporalis,  carnalis):  'geistlich'  (Braune,  Beitr.  43,  404  ff.). 

5)  -eitis  war   produktives   suffix   geworden   und   zwar  gieng  dies   auf  kosten 


26  KAUFFMANN 

sich  schwerlich  mit  dem  altgermanischen  Sprachgebrauch  ('ich  bestehe 
aus  einem  leibe'  wäre  widersinnig;  desgl.  sind  reine  hellenismen  in 
spildom  hairtane  lelkeinaim  k  3,  8  irepna  leiheina  10,  4  und  nun  gar 
in  handiiyein  leikcinai  1,  12).  Erst  nachdem  /e/keins  als  rsy.^/j-vö- 
gewertet  worden  war,  sind  derartige  Wortverbindungen  für  einen  Oer- 
mancn  miiglich  gewesen,  /eik  bot  allerdings  eine  stoft'liche  seile  dar; 
eine  teilbeziehung  dieses  wertes  (die  stoffliche)  Avurdc  verallgemeinert 
und  zur  herrschenden  erhoben,  wenn  das  wort  alimählich  sich 
materialisierte  ('leiche')  oder  theologisch  sich  spiritualierte.  So  konnte 
die  kultsprache  mit  leikeins  und  seinem  hellenistisclien  korrelat  o/inieins 
versehen  werden,  weil  die  dünne  stoffliche  qualität  von  ahma  (atem) 
und  die  dichtere  von  leik  derartige  ableitungen  duldete,  für  die  jedoch 
im  übrigen  die  griech.  adjektiva  T.vzu[j,y.ii'/.6c  und  crap/avöc  verantwort- 
lich sind.  Das  stoffliche  ist  in  beiden  fällen  verflüchtigt  und  be- 
ziehungslos, es  ist  nur  die  religiöse  oder  theologische  deutung  aner- 
kannt worden  ^  Aber  nicht  bloss  aus  dem  sog.  stoffadj.  leikeins  und 
aus  seiner  spiritualisierung,  sondern  auch  aus  der  Verbindung  von 
got.  leik  und  Iicnna,  die  auf  das  altgermanische  kompositum  l/khamo 
sich  stützen  konnte,  ergibt  sich  der  grundgehalt  unseres  Wortes.  Nach 
biblischer  lehre  ist  den  Christen  bestimmt,  den  fleischesleib  aus-  und 
einen  lichtleib  anzuziehen,  wenn  das  irdische  fleisch  zerfällt  und  in 
einen  himmlischen  lichtstoff  (f^o'Ea)  verwandelt  wird.  Ein  'lichtgewand' 
wird  von  der  nackt  und  bloss  gewordenen  seele  'angezogen'  werden 
(vgl.  fjnhamon  E  6,  11.  13  ff.  4,  24  Th  5,  8  V  3,  9^10.  12);  sie  setzt 
ihr  dasein  als  eine  lichtgestalt  fort  {GWJ.y.  t-z-c  ^öiric  Phl  3,  21 ;  sive 
aggiljus  pai  in  himinam  Mc  12,  25):  die  Vergöttlichung  des  menschen 
(Christus  'anziehen'  gahamon  franjin  tinsaramma  Xristau  lesua  R  13,  14; 
Xristau  galtamodai  sijnjj  G  3,  27)  vergegenständlicht  sich  in  der  Ver- 
wandlung des  menschenleibes  in  einen  gottesleib  (fraiija  .  .  .  in- 
maideip  leika  [Gojy.a]  hauneinais  du  ibnaskaunjamma  leika  ividpaus 
seinis  Phl  3,  21  vgl.  inmaidida  sik  Mc  9,  2-3).  Hierbei  fand  sich 
nun  leik  mit  huDioii  zusammen : 

gatimrjon  us  guda  habam  gard  unhanduwaurhtana 
aiweinana  in  himinam 

unte  jah  in  Jmmma  swogatjam  bauainai  unsarai 

vou  -leiks  {leikeins  lieisst  'leiblich'  und  ahmeiiis  lieisst  'geistlich'),  wofür  es  bekannt- 
lich in  der  got.  bibel  nur  ganz  vereinzelte  belege  gibt  (ausser  sildaleiJcs,  ibnaleikfi 
kommen  fast  nur  linhaleiks,  lapaleiks,  tvairaleiho  zum  Vorschein). 

1)  Für   ahmeins,    das  überhaupt  nicht  mehr  s tof f adjektiv  gewesen  ist,  ver- 
weise ich  auf  E  7,  14  E  1,  3.  6,  12.  5,  19  'C  3,  16  K  10,  3:  C  1,  9.  G  6,  1. 


DER    STIL   DER    GOTISCHEN    BIBEL  27 

{)izai  US  himiua  ufarhamon  gairnjaiidaiis 
jabai  s\ve|)auh  gawasidai  ni  iiaqajiai  bigitaindaii 
jah  auk  wisaudans  in  Jiizai  hleil)rai  swogatjani 
kauridai  ana  Jjammei  iii  wileima  afhamon  ak  anahaiiiou 
ei  fraslindaidau  J)ata  diwano  fram  libainai 
aj^lian  saei  jab  gamanwida  uns  du  Jiamma 

gi\\)  saei  jab  gat'  uns  wadi  abnian 
gatrauandans  nu  sinteino  jab  witandaus 
Jiatei  wisaudans  in  [)amnia  leika 
afhaimjai  sijum  fram  fraujin 
unte  |)airh  galaubein  gaggani.  ni  l)airli  siun 

aj)|3an  gatrauam  jab  waljam  niais  usleijian  us  f)amma  leika 
jab  anabaimjaim  Avisan  at  fraujin  .  .  .  k  5,  1-8. 
•  Unsere  Üeiscblicb-irdiscbe  körpermasse  igards)  wird  in  der  fremde 
zurückgelassen,  geht  im  gTabe  zu  grund ;  die  seele  wird  nackt  und 
leiblos,  gott  aber  bält  bei  der  auferstebung  einen  licbtleib,  statt  des 
fleisches  (als  des  kleides  des  todes)  einen  pneumatischen  leib  (ein 
kleid  des  lebens)  für__sie  im  himmel  bereit,  um  die  seele  damit  zu 
'verklären'  und  zu  vergöttlicben  (Schriften  d.  N.  testam.  2,  164.  189  ff". ; 
Handb.  z.  N.  testam.  3,   1,   187.  156): 

swaswe  herum  mannleikan  ]ns  airjieinins 
bairaima  jah  frisaht  {jis  himinakundins 
l^ata  auk  qi{)a  brojjrjus 

J)ei  leik  jah  bloj)  l^iudinassu  gudis  ganiman  ni  magun 
nib  riurei  unriureins  arbjo  wair|)if) 
sai  runa  izwis  qi|m 
allai  auk  ni  gaswiltam 
i|)  allai  inmaidjanda 
suns  in  braÄ^a  augins  in  spedistin  J^uthaurna  |)uthaurnei|3  auk 
jah  dauf^ans  usstandand  unriurjai 
jah  weis  inmaidjanda 
skuld  auk  ist  {)ata  riurjo  gahamon  unriurein 

jah  J:)ata  diwano  gahamon  undiwaneiu  K  15,  49-53. 
In    sehr   merkwürdiger   weise  scheint  hier  altchristliche  und  alt- 
germanische Überlieferung  zusammenzutreffen ;    altgerm.  Itkhamo  ^  -  in 

1)  'Leibliche  gestalt'  materialisierte  sich  zu  'leichnam' ;  es  scheint,  dass  wohl 
Uk:  (>  leiche)  aber  nicht  likhanw  mit  der  Vorstellung  'leblos'  einstmals  sich  vertrug; 
er  war  geistig  belebt  (Heliand  5657)  und  erforderte,  wenn  hreo  gemeint  war,  den 
Zusatz  liflos  (Hei.  2181:5671  f.  4098  f.  5901-2.  2776);  lib  und  sela  (Hei.  1861-68. 
1904-10.  4753.  4780-83.  ^110-12)   haben   aber   nicht   bloss   ///!•,   sondern  auch  H/,-- 


28  KAUFFMANN 

der  got.  bibel  zufällig  nicht  belegbar  -  kommt  uns  in  den  sinn  bei 
andhamonds  sik  leika  C  2,  15  (exuens  se  carne)^,  dem  anord.  hamask 
und  /iQinum  skiptn  begegnen.  Man  wird  den  unterschied  des  biblischen 
und  des  altgermanischen  ausdrucks  nicht  verwischen  ^  und  nun  erst 
recht  des  spezifischen  bedeutungsgehalts  von  got.  leih  sich  bewusst 
werden.  Denn  auch  auf  altgermanischer  seite  war  es  nicht  der  körper- 
haft massive  stoff,  das  fleisch,  sondern  seine  erscheinungsform,  die 
das  kompositum  likhamo  noch  stärker  als  das  simplex  betonte^,  hanw 
war  eine  decke  oder  hülle  und  Hess  die  konturen  des  leibes  deutlich 
hervortreten,  wie  ein  hemd,  das  dem  körper  sich  anschmiegte;  diese 
erscheinungsform'*  war  und  blieb  aber  stofflicher  natur.  In  dieser 
hinsieht  fällt  auf  Uk  und  Ukhamo  ein  klärendes  licht  von  dem  alt- 
german.  kompositum  /  f?a/*Aawo_,  das  eine  seelenhülle,  einen  'leib'  be- 
zeichnet, der  aus  federn  besteht  ^  'Körpergestalt'  nicht  als  stoff, 
sondern  als  bild,  dürfte  die  zutreffendste  Übersetzung  von  Itk  sein, 
weil  sie  dem  zugleich  materiellen  und  spirituellen  Charakter  des  wortes 
am  ehesten  gerecht  wird^. 

Von  dieser  grundbedeutung  entfernten  sich  Uk  und  likhamo,  wenn 
sie   in    der   richtung   auf  'leiche'   und   'leichnam'   sich  materialisierten 

hämo  mit  dem  köntrastwert  von  'leichnam'  begabt  (Tatian  38,  1  :  44,  19.  214,  1. 
209,  3.  147,  5  [vgl.  61',  4];  Otfrid  2,  11,  44.  8,  54.  3,  21,  17:24,  83:5,  12,  10-12. 
3,  20,  172:5,  11,  42;  Hei.  2796.  5793.  5875  u.  ö.). 

1)  Sehr.  d.  Neuen  testara.  2,  190  f.;  'vom  fleischlichen  leib  sich  entkleidend' 
(herausschlüpfen :  afslaupjan  C  3,  9  vgl.  10.  12  E  4,  22—24)  vgl.  auch  leika  iswa- 
ramma  ke  ivasjaip  M  6,  25. 

2)  Nach  altgermanisoher  Vorstellung  wandert  eine  nackte  seele.  in  fremde 
leibliche  gestalten  (z.  b.  tierische)  hinein,  sie  kann  verschiedene  leiber  'anziehen' 
(Heliand  4U98  f.  4622  f.) ;  nach  biblischer  Vorstellung  wandert  die  seele  nicht  aus 
ihrem  leib,  sondern  legt  ihn  ab  (zieht  ihn  aus)  und  zieht  nun  den  einen,  den  gött- 
lichen leib  (ags.  wnldorham)  an;  es  ist  damit  jedoch  auch  ein  Ortswechsel  verknüpft, 
weil  die  seele  mit  ihrem  'leib'  auch  ihre  heimat  wechselt,  wenn  sie  von  der  erde 
in  den  himmel  kommt  {wisandans  in  leika :  usleipan  tis  pamma  leika  k  5,  6.  8). 
Diese  art  von  'spiritualisierung'  geht  weit  über  die  in  altgerm.  Uk  und  likhama 
angelegte  hinaus. 

3)  flesk  endi  lichamo   Heliand  3639, 

4)  Mit  atiddja  ahma  sa  tveiha  leikis  siiinai  swe  akaks  ana  iiia  L  3,  22 
Cgestalt')  liesse  sich  vergleichen  i^rawmarr  y«r^  hafßi  hamaz  i  arnar  liki  Helgakv. 
HjOrv.  5  u.  a. 

5)  Vgl.  ags.  flceschama'. 

6)  gm  als  hamr  Ätla  Atlam.  18  ist  körperlose  traumerscheinung  (geister- 
hafte gestalt),  bezeugt  also  eine  spirituelle  bedeutung,  die  in  dem  kompositum 
hamingja  noch  klarer  sich  äussert,  aber  trotzdem  nicht  ins  unkörperliche  verflüchtigt 
werden  darf. 


DER   STIL   DER   GOTISCHEN   BIBEL  29 

und  dem  von  Üb  im  bund  mit  geist  und  seele  ausgeübten  druck  nicht 
stand  hielten.  In  der  gotischen  bibel  ist  diese  materialisierung  des 
altgerinauischen  Wortes  auch  zu  spüren,  aber  in  grösserem  umfang 
hat  Wulfila  die  in  got.  leih  angelegten  spirituellen  kräfte  genährt,  in- 
dem er  dies  wort  nicht  bloss  tiir  griech.  af/p;,  sondern  auch  für  griech. 
cti[j.y.  gewählt  und  seine  abstrakte  bedeutung  einer  starken  belastungs- 
probe  ausgesetzt  hat  (C  2,  16-23).  In  diesem  theologischen  sinn  ist 
nun  aber  auch  noch  leik  =  oy.oc,  umgewandelt  worden  (C  2,  11-15). 
In  der  kultsprache  bezeichnet  leik  nicht  mehr  bloss  den  irdischen 
fleischesleib  (K  9,  27  vgl.  R  9,  3),  sondern  alles  'fleisch',  d.  h.  alles 
irdisch-naturhafte  (J  17,  2  L  3,  6  vgl.  Mc  13,  20  G  2,  16)  i;  die 
irdischen  leiber,  ihrer  materie  nach  'fleisch',  wurden  zu  leibhafter 
'sünde';  die  profan-kreatürliche  und  hinfällige  materie  brachte  den 
äussern  menschen  in  gegensatz  zu  dem  Innern  menschen^,  den  ver- 
gänglichen und  sündhaften  erdenstoflf  in  Widerspruch  zu  dem  seligen 
und  ewigen  himmelsgeist;  leih  und  leikeius  sogen  neues  leben  aus  der 
antithese  (ilima-nhmeiiis'^.  Die  grenzen,  die  die  körper,  welcher  ge- 
stalt  sie  auch  sein  mochten,  trennten,  mussten  jetzt  fallen  (Mc.  10,  8) 
und  diese  bewegung  hat  sich  'bis  dahin  fortgesetzt,  wo  leik  stoff'lich 
gemeint  war  (k  4,  11).  Es  ist  abermals  eine  metamorphose  der  'körper- 
gestalt'  erfolgt  und  das  ausdrucksvolle  wort  leik,  auf  griech.  ay.aoTia 
eingestellt,  zu  einem  moralischen  und  religiösen  begriff  ('kreatur')  um- 
stilisiert worden.  Aus  dem  älteren,  volkssprachlichen  bedeutungskern 
des  Wortes  leik,  aus  seiner  doppelbedeutung  lassen  sich  die  wulfi- 
lanischen  neuerungen  verstehen-,  jene  gestattete,  bald  leik  als  Stoff, 
bald  le.k  als  form  zur  geltung  zu  bringen  und  wie  dem  universalen 
gehalt  von  griech.  crp;  so  auch  dem  weitgespannten  bereich  von 
griech.  ca{xa  gerecht  zu  werden  (Organisation  der  weit  und  der  kirche)'*. 
Das  sind  neuschöpfungen  des  Wulfila,  die  seine  sprachliche  leistung 
in  helles  licht  setzen. 

Das  liturgische  symbol  für  die  grossen  heilstatsachen  wurden 
derartige,    von    ihm   neu   geprägte   Wörter   der  gotischen  Volkssprache. 

1)  in  leika  'im  irdischen  sinn'  k  11,  18  J  8,  15;  'natürlich'  G  4,  23.  29  Phl 
1,  21-24;  'menschlich'  C  3,  22  Phm  16. 

2)  Phl  3,   3-4  E  2,  11:8,    IG  vgl.  R  7,  22-25   G   6,    12-13  k  4,   16.  7,  1. 

3)  R  7,  14.  8,  1  ff.  G  5,  13.  16  ff.  25.  6,  8.  3,  3;  leik  wurde  der  feind  des 
frommen  im  widerstreit  zu  der  naiven  Volksanschauung  (E  5,  2^— VJ9). 

4)  R  12,  4-5  K12,  12  ff.  10,  17;  ich  erwähne  nQch  die  entsprechung  otoiia- 
aä.p'z-kik  für  den  Organismus  eines  einzelkörpers,  d.  h.  für  'persönlichkeit'  oder 
'person'  {leik  unsar  'ich'  k  7,  5  vgl.  R  7,  18  Phl  1,  '20  ff.);  Vielheit  der  glieder  auf 
eine  einheit  bezogen  (organisiert),  ergab  gestaltete  foim. 


30  KAUFFMANN 

Er  hat  sie  hellenistiscli-kirchlicli  abgestempelt.  Dies  ist  nanicntlicli 
dann  geschehen,  wenn  ein  erlebnis  des  gottmeuschen  vorbild  und 
heilmittel  der  erdenkinder  geworden  und  das  irdische  feld  himmlisch 
geweiht  worden  war.  Nun  konnten  auch  die  alltagswörter  religiös 
geweiht  (sakramentalisieit)  werden. 

Seitdem  Jesus  ins  Jordanwasser  'getaucht',  ist  aus  dem  'tauchen' 
und  'abwaschen'  ein  sakramentales  'taufen'  geworden.  Man  hat  dem- 
gemäss  die  verba  ßa-Ti(^£tv  —  {uf)dau])jan  (eintauchen  \  waschen)  auf 
die  neue  kultische  bedeutung  festgelegt.  Stilgerecht  war  es,  dass  auch 
in  diesem  got.  fall  das  sakralwort  nicht  vollständig  von  dem  profanwort 
abgetrennt  wurde,  sondern  dass  es  restweise  seinen  gemeinen  wert 
behalten  und  die  Verbindung  mit  der  profansprache  aufrecht  erhalten 
hat  (sumans  J)ize  siponje  is  gamainjaim  handum  {jat  ist  unjjwaha- 
naim  matjandans  hlaibans  .  .  .  ludaieis  niba  ufta  J^wahaud  handuns 
ni  matjand  .  .  .  niba  daupj  and  ni  matjand  .  .  .  daupeinins  stikle  jah 
aurkje  .  .  .  Mc  7,  2-4);  daupjan  wechselt  noch  mit  pwahan'^^  und  be- 
deutet noch  'bände  waschen'  und  'geschirr  abwaschen';  im  allgemeinen 
werden  jedoch  für  'waschen'  und  'baden'  nicht  mehr  ßa-Ti^siv  - 
doupjan,  sondern  vi-tsiv  -  Jjwahan  gebraucht  und  diese  -auslese  wird 
auf  selten  des  gotischen  meisters  nicht  bloss  durch  die  griech.  vorläge 
und  durch  seine  Übersetzungstechnik  veranlasst  worden  sein;  daupjan 
war  zum  ritualwort  gediehen  und  erheischte  darum  ein  selbständiges 
profanwort  {pwahan).  Diese  Spaltung  des  volkstümlichen  Sprach- 
gebrauches ist  das  bemerkenswert  neue"',  pwahaii  und  dniipjan  eig- 
neten sieh  zunächst  für  abspülungen,  die  von  den  ritualvorschriften 
der  Juden  verlangt  wurden;  weit  hat  sich  davon  der  christliche  ritus 
mit  dem  untertauchen  und  abwaschen  des  menschenleibs  im  flussbad 
entfernt.  Der  körperreinigung  dienten  pivahan  (M  6,  17)  und  pwahl^, 
daiqjjdii  und  daiipehis  wurden  noch  nicht  ausschliesslich  für  das  sakra- 
mentale wasserbad  gewählt,  sie  sind  aber  auf  dem  besten  wege,  ihre 
bedeutung  auf  die  christentaufe  einzuschränken,  d.  li.  auf  das  wasser- 
bad, das  durch  die  Jordantaufe  (J  10,  40)  seine  sakramentale  weihe 
empfangen  hatte  {in  Xristaii  daupidai  G  3,  27 :   aina  daupeins  E  4,  5). 

1)  lifdaupjands  ßana  hlaif  ,]  18,  26  =  fhuncon  Tatiaa  159,  2—3;  die  be- 
deutung 'ein-  oder  untertauchen'  reclitfertigt  es,  wenn  der  Gote  daupjan  ancli  für 
ßa7mo9-^vai  einsetzte  (L  3,  12  vgl.  K  15,  29);  Braune,  Beitr.  43,  421  ff. 

2)  Vgl.  dagegen  Tatian  83,  1.  84,  1.  4  {nuasyan :  thuahan). 

3)  Vgl.  z.  b.  J  13,  26  und  Mc  10,  38—39;  ich  erinnere  an  ags.  fulwian, 
fnlnnht  und  anord.  sMra,  skirn. 

4)  J  9,  7-15.  13,  5-14  T  5,  10. 


DEK    STIL   DER   UOTI.SCHEX    iUÜEl.  31 

Unser  bibeltext  si)iegelt  den  herg-ang-  wider,  wo  er  /wischen  puahan 
und  daupjan  unterscheidet:  Christus,  so  heisst  es  E  5^  2(5,  weihte 
die  'kirche'  gahvainjands  pivalda  (Xou-rpw)  ivatins  in  waurcla  (das 
wasser  allein  tats  nicht,  erst  das  'wort"  wandelte  das  wasserbad  zum 
taufbad)^;  in  das  verfahren  des  Johannes  (icatin  daiipja  'tauche  ins 
wasser  ein'  L  3,  3  ft".  16)  musste  der  'heilig:e  geist'  eingreifen,  um 
das  jüdische  reinigung-sbad  zum  heiligenden  taufbad  zu  steigern  {daup- 
ian  in  ahmin   iveihamma  L  3,   16-22)-. 

Das  sind  klare  beispiele  dafür,  dass  nicht  sowohl  neue  Wörter 
zu  schaffen,  als  alte  stilgerecht  umzudeuten  waren.  Das  wichtige  stil-  * 
gesetz  der  religiösen  oder  theologischen  begriffsbildung,  das  uns  bei 
got.  galaubjan,  simja  u.  a..  aufgegangen  war,  enfaltet  voll  und  ganz 
seine  Wirksamkeit,  wo  der  Gote  'tauchen'  zu  'taufen',  'bitten'  zu  'beten', 
'geschenk'  zu  'gnade',  'beglückt'  zu  'selig'  umstilisierte.  Höchst  be- 
merkenswert ist  die  Schonung,  die  er  allen  seinen  neaerungen  zum 
trotz  den  älteren  Wörtern  oder  Wortbedeutungen  zugute  kommen  Hess. 

Taufen,  beten  und  fasten"  bilden  eine  kultisch-liturgische  gruppe. 
Auch  auf  beten  und  fasten  (K  7,  5  Mc  9,  29  L  2,  37.  5,  33)  triftt 
das  Stilmerkmal  zu,  dass  diese  verba  neben  dem  sakralen  ihren  bis- 
herigen profanen  sinn  in  der  Gotenbibel  behauptet  und  damit  die 
kontinuität  des  Sprachgebrauchs  mitten  in  der  schwersten  krisis 
gotischen  sprachlebens  sichergestellt  haben.  Ich  gehe,  um  diese  tat- 
sache  recht  deutlich  und  eindringlich  wirken  zu  lassen,  von  L  16,  3 
aus:  (jraban  ni  mag,  hidjan  (i-y.ixtXv)  shnna  mik,  reihe  dsiran  bidngica 
-soTaiTr,:  und  das  synonymon  aihironds  (bettler  J  9,  8)  ''\  Von  dem 
'bettel'  steht  die  'epiklese'  weit  ab  {hidjan  :  anahaitan  R  10,  12-14) ^ 
'bitten'  nimmt  zwischen  'betteln'  und  'beten'  die  mittelstufe  ein  (M  5, 
44  L  6,  28)  und  wir  glauben  noch  zu  erkennen,  wie  die  Verbindung 
mit  spezitisch  liturgischen  Wörtern  ein  hidjan  von  aihtron  getrennt  un^l 
auf  das  sakrale  niveau  gehoben  hat"^.  aiviliudon  'danken'  (E  5.  20) 
geriet   mit   'bitten'    in  gottesdienstliche  beziehung";   namentlich  dürfte 

1)  in  naniin  daupjan  K  1,   13  ff. 

2)  Ich  stelle  ausserdem  Mc  1,  4-8.  6,  16  L  7,  28-29.  20,  4.  3,  21  und  3Ic 
1,  8-11  K  12,  13  einander  gegenüber  (leider  fehlt  uns  K  6,  11);  lehrreich  ist  die 
unter  dem  gesichtspunkt  der  abendmahlfeier  vollzogene  sakramentale  deutuiig  der 
'Mosestaufe'  K  10,  1—4;  vgl.  dagegen  pwahl  —  daupeins  Skeir.  2—3. 

3)  aihtron  L  18,  35  Mc  10,  46 ;  vgl.  Groeper  a.  a.  o.  s.  59  ff. 

4)  kl,  23;  hldal  anahaitan  t  2,  22:  haifan  M  10,  25;  vgl.  o.  s.  11  und 
ags.  hdlsung  L  2,  37  (bida). 

5)  bidja  Tiapay.aXw  E  4,  1;  hidjan  TTpooeü/eaa-at  T  2,  8. 

6)  L  18.  10-11  E  1,  16.  6,  18  C  4,  2-3  Phl  4,  6  Th  ö,  17-18;  vgl.  ferner 


32  feAUFFMANN 

aber  die  formel  bida  gudis  (L  6,  12),  die  auweisung  und  das  vorbild 
des  betenden  heilandes  ^  den  Übergang  von  'gott  bitten'  zu  'beten' 
(M  6,  Stf.,  Me  11,  24-25)  erleichtert  und  beschleunigt  habend  Auf 
aihtron  hat  der  Übersetzer  verzichtet;  es  kommt  diese  sippe  mit  kul- 
tischer bedeutung  nur  in  der  zweigliedrigen  formel  bidjan  jah  (dlitron 
(C  1,  9)  oder  Inda  jnh  aihtrouH  (Phl  4,  6  T  2,  1)  vor^  So  hat  er 
auch  zwischen  fastan  und  (jatidyjan  (th  3,  3  'festmachen')  eine  rein- 
liche Scheidung  vollzogen  und  seinen  Sprachgebrauch  eindeutig  ver- 
einfacht, faüun  kam  für  'festmachen'  (L  8,  29)  und  'festhalten'  (J  17, 
*  11-12;  bairyan  15),  aber  auch  für  'behüten'  (Th  5,  23)  und  'be- 
wahren' (J  12,  7  E  4,  3  t  2,  12.  14.  4,  7)  in  betracht.  Der  kultische 
bedeutungswandel  gieng  von  dem  bewahren  des  'wortes'  (J  15,  20. 
17,  6.  8,  51-55.  14,  23-24)  oder  dem  innehalten  eines  gebotes  aus 
(J  14,  21.  15.  15,  JO  L  18,  20-21  T  6,  14)*.  Fortan  ist  der  ge- 
horsam gegen  eine  die  nahrungsentziehung  regelnde  ritual Vorschrift 
gemeint  (L  18,  12),  für  die  der  gebrauch  von  fastan  aber  nicht  obligat 
war  {uHsknivoi  .sija/m(f  Th  5,  8);  ausser  mit  haban  und  gahaban-  {^fest- 
halten'  J  14,  21  Th  5,  21)  traf  fastan  mit  afhaban  ('sich  enthalten' 
Th  5,  22)  zusammen  '\  als  es  das  ritual  der  reinigung  streifte ''.  Gerade 
so  wie  bei  taufen  und  beten  löste  sich  von  den  konkurrierenden  verben 
das  massgebende  kultwort  letztlich  dadurch  ab,  dass  unter  mitwirkung 
eines  mythischen  erlebnisses  (L  4,  2-4)  ein  gottesgebot,  die  anweisung 
des  religionsstifters  (M  ß,  .16-18.  9,  14-15)  und  das  vorbild  der 
griech.  kultsprache  (vyicTsoeiv)  das  eine  von  ihnen  {fastan)  gottesdienst- 
lich geweiht  hat.  >. 

bidjands   aijjpan,  praufetjands  .  .  .  bidjandei  aippmi  praufetjandei  K  11,  4—5;  dazu 
liteins  (<  XixYj?)  T  2,  1. 

1)  M  6,  8-9  Mc  1,  35  L  5,  16.  9,  28-29  J  14,  13.  16.  16,  23-26  (dpwxav) 
17,  9  u.  a.  vgl.  auch  L  19,  46  Mc  11,  17. 

2)  gabidjan  spielt  nicht  die  rolle,  die  man  ihm  etwa  vermutungsweise  zu- 
schreiben könnte ;  es  kommt  nur  einmal  vor  {gahidjaip  irpoaeüxso9-£  th  3,  1) ;  nsbida 
suxö(ivjv  R  9,  3  ('ich  wünschte'). 

3)  pairh  allos  aihtronins  jah  bidos  aihtrondans  in  ahtnin  .  .  .  irakandans  in 
allai  iisdaudein  jah  bidom  E  6,  18. 

4)  tvitan  {: fastan)  'beobachten'  J  9,  16:  fastubni  K  7,  19  {:  witubni)\  witop 
fastan  G  6,  13;  witodafasteis  L  7,  30  u.  ö.  tcaila  inividip  anabusn  gudis  ei  pata 
anafulhano  izwar  fastaip  Mc  7,  9  usw.  vgl.  Groeper  s.  58  f. 

5)  lausqiprs  Mc  8,  2—3 :  fastan  2,  18—20;  vgl.  auch  Groeper  s.  37  f. 

6)  ei  pata  fastais  inu  faurdomein  ('dass  du  solches  ohne  Vorurteil  beobachtest')  • 
.  .  .  Jmk   silban   swiknana  fastais  ('halte   dich  rein'),  pu  iii  drigkais  fjanamais  ivato 
ak  weinis  Jeitil  hnikjais  .  .  .  T  5,  21-23. 


DER   STIL    DER   GOTISCHEN   BIBEL  33 

In  demselben  stil  ist  got.  ansts  gehalten^).  Dass  dies  wort  ein 
altgerman.  ansdruek  tÜr  'geschenk'  war,  wird  auch  von  der  got.  bibel 
bestätigt  {hrlggan  anst  izivara  in  lairusalem  /apiv  K  16,  3)^.  Mit 
auszeichnuug  wird  aber  jetzt  in  den  kirchlichen  kreisen  ein  'geschenk 
gottes'  dadurch  bezeichnet  {ansts  =  gibn  gudis  vgl.  z.  b.  anstai  siup  gana- 
sidai  .  .  .  Jah  pata  nl  us  izwis,  ak  gudis  giha  ist  E  2,  8;  fauragaggi 
gudis  anstais  sei  gibana  ist  niis  3,  2)  ^  und  a7ists  in  den  religiösen 
hauptbegritf  der  'gnade'  und  ansteiys  in  'gnädig'  umgewandelt.  Es 
handelte  sich  um  eine  gäbe  gottes,  die  sakramentale  geisteswirkung 
(R  16,  24  t  1,  6-7)  zu  gunsten  der  pneumatiker  ^  die  von  gott  be- 
gabt und  beschenkt  vor  den  andern  menschen  begnadet  erscheinen 
ipata  harn  icohs  jah  sivi-npnoda  ahmins  fullnands  jah  handugeins  jah 
ansts  gudis  was  ana  inuna  L  2,  40;  paih  .  .  .  anstai  at  guda  jah  man- 
nam  52  K  15,   10  t  2,   1.   1,  9  E  4,  29  usw.). 

]Mit  solchem  gnadengeschenk  gottes  'beglückt'  (L  1,  28)  ist  der 
'selige'  (ay./.äp'.o:) ;  folglich  hat  audags  (erfolgreich,  glücklich  im  erwerbs- 
ieben) seine  bedeutuug  in  der  von  ansts  und  ansteigs  gewiesenen 
richtung  verändert  (audaga  augona  J)oei  saih/and  Jjoei  jus  saihrip  L  10, 
23;  6,  20-22.  14,  14-15  J  13,  17  M  11,  6).  Den  anstoss  gab  wiede- 
rum ein  prädikat  gottes.  Die  eOf^ataovty.  gottes  {u-idjjus  pis  audagins 
gudis  T  1,  11;  sa  audaga  jah  ains  mahteiga  6,  15)  sollte  auch  die 
von  ihm  begnadeten  menschen  beseligen  {audaga  so  galaubjandei  L  1, 
45);  diese  hellenisierung  erstreckt  sich  über  das  zugehörige  verbura 
{audagjand  mik  alla  kunja  L  1,  48)  und  substantivum  {h/ileik  was  im 
audagei  izivara?   G   4,    15)''   und   wird    durch    solch    charakteristische 

1)  Groeper  s.  63  ff. 

2)  Diese  'gäbe'  war  durch  einsammeln  aufgebraclit  worden  ('koUekte'  K  16, 
Iff.  k  8,  19);  vgl.  frcujihan  /api^so^ai  'schenken'  L  7,  21.  42-43  Phm  22  u.  ü. 
>  'gnade  verleihen'  Phl  1,  29. 

3)  gudis  giba  R  11,  29  (/apionaxa) ;  giba  frarn  guda  K  7,  7  vgl.  k  9,  15. 
1,  11  R  6,  23  T  4,  14  L  1,  30  {anst  fram  guda);  ferner  E  1,  6.  2,  5.  7.  3,  7-8 
{/ji  gibai  anstais  gudis  pizai  gibanon  nüs  bi  toja  mahtais  is  .  .  .  mis  atgibana  urcrd 
ftiists  so).  4,  7  {atgibana  ist  ansts  bi  mitap  gibos  Xristans) ;  ahd.  and.  anst  Otfrid 
1,  5,  18.     Heliand  261.  784;  ags.  est :  liss. 

4)  Jmi  ahmeinans  G  6,  1  vgl.  C  3,  16  K  10,  30  k  6,  1.  8,  1.  4.  6.  7.  9. 

5)  Got.  audags  (ags.  eadig,  e'adgian)  haben  die  Westgermanen  zum  teil  durch 
sdlig  ersetzt  (Heliand  1300  ff.) ;  hier  und  dort  wurde  ein  profanwort  'reich  begütert' 
gebrauchsfähig  für  den  sorgenfreien  reichtnm  des  christlichen  himmels  (Hei.  1022—24. 
1099.  2112:3142.  2798  f.  3327  ff.  3412  ff.).  Im  Heliand  sind  aber,  im  allgemeinen 
betrachtet,  odag  und  sdlig  gegensätze,  weil  nur  sdlig  für  beatus  gewählt  worden, 
(klag  auf  die  irdischen  glücksgüter  beschränkt  geblieben  ist;  es  kann  ja  nur  der 
arme   selig   werden  (3297  ff. ;    1B55  ff.).     Got.  sels  ist  hieran  nicht  beteiligt,  weil  es 

ZEITSCIIßJFT    F.  DEUTSCHE  PHILOLOGIE.     BD.  XLIX.  3 


34  KAUFFMANN 

umdeutimg  einer  altheiinisclien  sippe  in  ilirer  stilgesehiclitlichen  funk- 
tion  gesichert.  Sie  kam  bei  den  kategorien  der  spiritualisierung  und 
der  sakramentalisierung  des  gotischen  Wortschatzes  darin  zum  Vor- 
schein, dass  die  neuen  sinnbegrifte  christlicher  religion  (glauben, 
taufen  usw.)  zwar  noch  volkstümlich  geklungen  haben,  aber  ihrer 
volkstümlichen    bedeutung  verlustig  gegangen  sind. 

IX. 

Die  stilform  der  Gotenbibel  hat  nicht  von  der  hellenisieruug 
der  Volkssprache,  sondern  von  der  nationalisierung  der  kult- 
sp räche  ihr  endgültiges  gepräge  empfangen.  Die  volkstümliche 
haltung  und  tendenz  dieses  buches  wird  uns  gerade  in  dem  bereich 
der  hellenisierung  immer  wieder  aufs  neue  durch  die  stete  widerkehr 
volkstümlich  klingender  Wörter  mit  starken  eindrücken  zum  bewusst- 
sein  gebracht  {zlpwr,  ^  gaivoirpi,  al-ridziy.  >  siinja,  /,«p^  >  ansts),  wenn 
wir  statt  von  'zwölf  jähren'  von  'zwölf  wintern'  vernehmen  (L  2,  42) 
oder  wenn  mit  dem  epitheton  icaliso  (T  1,  2  Tit  1,  4)  heroische 
erinnerungen  in  uns  erweckt  werden  (ahd.  Welisiinc  usw.).  Eine  alt- 
germanische kultformel  {hiauts  imma  iirrami  zly.yzv  L  1,  9),  die  von 
hellenistischer  übermalung  ganz  verschont  blieb,  gemahnt  uns  der 
volkstümlichen  grundzüge,  mit  denen  die  Verfassung  des  aus  der  fremde 
seinen  einzug  haltenden  gottesreiches  ausgestattet  worden  ist. 

Volkläufige  anschauungen  verweigerten  den  orientalischen  die 
alleinherrschaft  (galga-hramjan  'hängen'  statt  'kreuzigen').  Es  wurde 
das  'kreuz'  nicht  von  den  Lateinern  oder  den  Griechen  entlehnt,  son- 
dern zu  einem  altgerman.  'galgen'  umstilisiert.  Das  zwiespältige 
panorama  der  Gotenbibel  will  also  vom  altgermanischen  Standort  aus 
betrachtet  sein,  wenn  es  darauf  ankommt,  dies  bedeutende  buch  zum 
schriftstellerischen  hauptwerk  des  völkerwanderungsstils  der  Germanen 
zu  erheben. 

Was  Wulfila  in  dieser  hinsieht  gewollt  und  geleistet  hat,  wird 
wohl  am  deutlichsten  beschrieben,  wenn  man  die  sprachlichen  mittel 
prüft,  die  er  für  die  biblisch e  k  o  s  m  o  1  o  g  i  e  und  a  n  t  h  r  o  p  o  1  o  g  i  e 
eingesetzt  hat. 

Einen  gesamtüberblick  über  das  den  Goten  einzuprägende  mensch- 
heits-  und  Weltbild  gibt  der  Kolosserbrief  (Norden,  Agnostos  Theos 
s.  240  flf.).      Die    bekenner    des    Christusglaubens   sahen   vor   sich   ein 

—  gerade  umgekehrt  —  im  gegensatz  zu  audaf/s  seinen  irdisch-profanen  sinn  be- 
halten hat  (L  8,  15  u.  a.  -/.pr^oxö?) ;  wohl  aber  ist  aucli  von  der  selei  rjmlis  die  rede 
(R  11,  22  vgl.  E  2,  7.  5,  9  C  3,  12).  , 


DER    STIL   DER   GOTISCHEN   BIBEL  35 

königrek'li   {Jnudangardi)   gottes    des  vaters  {atta  =  abba  G  4,  6),  der 

die  herrlich  strahlende  lichtweit  des  himmels  {widpus)  regiert  und  die 

mächte  der  finsternis  niedergerungen  hat.    Sein  söhn,  sein  erstgeborener 

ifrumabmir),    das    ebenbild    {frisahts)    des   vaters,   war   der   Schöpfer 

unseres  kosmos: 

in  inima  gaskapana  waurjmn  alla  in  himinam  jah  ana  oirpai 

J)o  gasai^anona  jah  Jio  ungasaiÄ'anona 

ja|)|3e  sitlos  jafjfjc  fraujinassjus 

jajijje  reikja  jal^lje  waldufnja 

alla  Jaairh  ina  jah  in  imma  gaskapana  sind 

jah  is  ist  faura  allaiui 

jah  alla  in  imma  ussatida  sind 

jah  is  ist  haubi[3  leikis  aikklesjons 

saei  ist  anastodeins,  frumabaur  us  daujiaim 

ei  sijai  in  allaini  is  frumadein  habands 

unte  in  imma  galeikaida  alla  fuUon  bauan 

jah  {)airh  ina  gafripon  alla  in  imma  ^ 

gawairjii  taujands  J^airh  bloj)  galgins  is  |jairh  ina 

jap^pe  po    ana    airpai  j(pP)e  po  ana  liiminam  C   1,   16-20. 

Nur  das  fremdwort  aikklesjo  stört  diesen  strophischen  Vortrag  über 

ein   thema,   das    den  Goten   in  seinen  einzeluheiten  völlig  fremd  war. 

Die  hellenistische  kirche  war  der  neue  machtfaktor,  der  den  kosmos, 

die  weit,,  in    der   sie  sich  einigermassen  orientiert  zu  haben  glaubten, 

vor   ihren   äugen   verwandelte.     Sie   verflüchtigte   die   Wirklichkeit   zu 

einem  Schattenbild   (skadus)   dessen,  was  da  leibhaftig  kommen  sollte, 

des    gottesstaats,    dessen    irdisches   überhaupt   Christus   die  gläubigen 

von    den    heimtückischen    elementargeistern    des    erdbodens    und    des 

luftraums    {stabeis  pris  fairkaiis)   befreit  und  zu  bürgern  des  himmel- 

reichs    ausersehen    hat    {pjatei    ist    skadus  pize    anaicairpane,    ip    leik 

Xristaiis  .  .  .  liaubip,   us  pammei   all  leik  pairli  gawisnns  jah  gabindos 

auknando  jah  peihando  wahseip  du  wahstau  gudis  .  .  .  paimei  iiipa  sind 

frap)jaip)    ni  paim  poei   ana    airpai  sind  C  2,  17-3,  2).     In  den  kult 

dieses  Schöpfers  ragte  hellenistische  mystik  herein  und  lehrte  den  sinn 

des  'lebens'  neu  zu  bestimmen  : 

libains  izwara  gafulgina  ist 

mi|)  Xristau  in  guda 

I^an  Xristus  swikunf^s  wairjji|)  libains  izwara 

f)anuh  jah  jus  bairhtai  wair|)if)  m\\)  imma  in  wuljiau 

daul^eil?  nu  li[3uns  izwarans 

l^ans  Jiaiei  sind  ana  air{)ai  .  .  . 

3* 


36  KAUFFBIANN 

afslaupjandans  izwis  J^ana  fairnjan  uianuan  mip  tojam  is 
jah  gahamoj)  uiujanmia 

|)amma  ananiwidin  du  ufkunjDJa 
bi  frisahtai  J)is  saei  gaskop  ina  .  .  . 

alla  jali  in  allaim  Xristus  .  .  . 

all  in  namin  fraujins  lesuis  ~ 

awiliudondans  gada  attin  |)airli  ina  ... 

aihuj)  .  .  .  fraiijan  in  himinam  ... 

gu{3  uslukai  iinsis  haurd  waurdis 

du  rodjan  runa  Xristaus  C  3,  3-4,  3. 

Ein  auf  nationale  ausdrucksform  konzentrierter  stilwille  stand 
dahinter,  wenn  Wulfila  die  jenseitige  weit  der  frommen  lebensgeheim- 
nisse,  die  der  liimmel  der  Christen  als  ihr  höchstes  kleinod  barg,  runa 
zu  nennen  wagte. 

Griech.  )c6c|xo:  (/-tig'.;  und  -/.riGiJ.y.)  wurde  den  Goten  durch  (ja- 
skafts  (Schöpfung  und  geschöpf)  vertraut  (R  8,  39  k  5,  17  G  6,  15): 
frain  onastodeinai  gaskuftais  poei  gaskop  gup  Mc  13,  19;  af  anasto- 
deinni  gaskaftais  gumein  joh  qinein  gatawida  gvp  10,  6 ;  all  gashiftais 
gudls  T  4,  4;  alln  gaskaft po  iif  h'imina  C  1,  23.  15,  Im  and.  Heiland 
steht  das  kompositum  (vdribigiscapu  1330  f.,  neben  metodogiscapu  er- 
scheint metodogiskefti  2190.  2210  und  belegt  mit  ahd.  ga^caft,  ags. 
gesceapn  oder  gesceaft  den  sinn  von  'Schöpfung',  d.  h.  totalität  der 
geschöpfe  samt  dem  ihrer  Schöpfung  eingeborenen,  ihre  entwicklung, 
ihr  leben  und  ihre  zukunft  vorherbestimmenden  Schicksal  (Hei.  2593  f. ; 
ags,  eorjj-,  lif^esceafi).  Statt  dieses  verbalabstraktums  bevorzugten 
die  Westgermanen  das  der  schicksalsidee  ermangelnde  kollektivum 
werod  oder  iverold  (Hei.  39  ff. ;  ags.  iveorold^esceaft  Gen.  lOl.  110. 
863).  Wenn  nun  der  Gote  faur  gaskaft  fairhaus  7ip6  x.axaßrA-^; 
xocru.o'j  J  17,  24  {=  faur  gasatein  fairkaus  E  1,  4)  schrieb,  so  lieferte 
auch  er  uns  einen  beleg  für  jenes,  die  Schöpfung  als  Schicksal  ein- 
führende wort,  das  wir  um  der  altgermanischen  schicksalsidee  willen 
von  griech.  /.twic  (gasateins)  unterscheiden  müssen.  Sinngemäss  hat 
der  Übersetzer  gaskafts  auf  fa'irhua  bezogen.  Sonst  pflegt  er  zwischen 
fairhus  und  manasep)s  zu  wechseln,  wenn  er  x.6(7[xoc  widergeben  soll ', 
zoGfv.o;  ('gesamtheit  aller  geschaffenen  dinge')  ^  ist  im  Johannesevange- 
lium häufig.  In  der  gotischen  bibel  erscheint  fairkus  (z.  b.  faiirpizei 
sa  fair hr US  wesi  17,  5)  oder  manaseps  (z.  b.  f^o  manas('p)s  mik  ni  pana- 
seips  saikip  14,  19).    Auch  wenn  xx'frp.oc  auf  das  missionsfeld  oder  auf 

1)  Groeper  s.  43  f. 

2)  Handbuch  zum  Neuen  testament  2,  13. 


DKR    STIL   DER   GOTISCHEN   BIBEL  37 

den  engeren  kreis  der  gläubig  gewordenen  menschheit  eingeschränkt 
worden  war  (z.  b.  ijof  lihaiii  pizai  manasedai  6,  33),  wurde  der  griech. 
iiusdruck  'weit'  nach  gotischer  weise  übersetzt,  und  nicht  der  räum, 
sondern  dessen  menschliche  bewohner  namhaft  gemacht.  Die  bibel 
stellte  den  xoGjy.o;,  bestehend  aus  erdreich  und  luftreich  (sog.  'finster- 
nis'),  in  kontrast  zu  dem  lichten  himmelreich.  Auch  in  diesem  fall 
gebrauchte  der  Übersetzer  bald  fairJvus  (16,  21,  28),  bald  manaseps 
(17,  9),  je  nachdem  er  das  betreffende  reich  oder  seine  Insassen  ver- 
gegenwärtigen wollte  {}iH  staiia  ist  pizai  monasedai,  iiu  sa  reiks  pis 
fairkaus  uswairpada  nt  12,  31  :  saei  pjizai  manasedai  reikinop  14,  30: 
sa  reiks  pis  fairkaus  16,  11)  \  <^'errt/rf  (mänuergeschlecht),  diese  'weit' 
der  germanischen  vorzeit,  mochte  Wulfila  nicht  aufrufen,  weil  sie  den 
blick  auf  die  männer  einengte  und  der  christ  auch  auf  die  frauenweit 
bedacht  nehmen  wollte  (die  Westgermanen  haben  sich  solche  Skrupeln 
nicht  gemacht).  Er  .  gab  deshalb  dem  gattungsbegriif  'menschheit' 
{manaseps)  den  Vorzug,  der,  damals  nicht  aus  einer  wissenschaftlichen 
definition  sondern  aus  der  erfahrung  gewonnen,  nicht  wesentlich  ver- 
schieden gewesen  sein  dürfte  von  dem,  was  wir  'volk'  nennen^.  Diesen 
älteren  Sprachgebrauch  hat  der  bibelübersetzer  ausgeweitet.  iy:/J^rrAy. 
war  eine  'Volksversammlung',  bis  dieser  ausdruck  im  dienst  der  hel- 
lenistischen kultsprache  mit  der  bedeutung  'kultversammlung  einer 
.Volksgemeinde'  belegt  wurde ;  im  Zeitalter  christlicher  mission  benannte 
man  ebenso  eine  gottesdienstliche  'hausversammlung',  namentlich  aber 
die  örtlich  organisierte  gesamtgemeinde  und  zuletzt  die  über  dem 
kosmos  verbreitete  gottesgemeinde  der  'kirche'  ^.  Auch  hierfür  trat 
.nranagei  oder  manaseps  ein  {allos  piudos  .  .  .  allos  manageins  R  15,  11; 
eis  ivairpand  mis  managei  k  6,  16;  managei  meina  R  9,  25;  merjada 
so  aiwaggeljo  and  alla  manasep  Mc  14,  9)  und  so  wurde  aus  manaseps 

1)  manaseps  faghwp  16,  20  vgl.  15,  18-19.  17,  U;  9,  5.  39.  11,  9.  12,  46. 
18,  37  k  1.  12  T  1,  15.  6,  7. 

2)  Got.  manaseps  findet  in  westgerrn.  mankuni  ('menschengeburt,  -generation') 
seine  entsprechung  (m  baurini  qinono :  mans  pis  kunjis  L  7,  28.  31;  and.  werold : 
«(««Hei  1950  f.;  mancunni  1132  t.;  harn  niancunnies  2581  f.;  manno  barn  23iQ—4:9  ; 
an  thesarn  middilgard  menniscono  bani  .  .  .  thius  werold  3606—9)  und  kann  durcli 
manafjei  ersetzt  werden.  Auf  die  kiinde,  dass  Jesus  nach  Jerusalem  komme,  zog 
ihm  die  Volksmenge  {manafjei,  manageins  ßln  Indaic  oyXo£)  entgegen  und  lief  ihm 
nach  :  sai  so  manaseps  (>ida[ios)  ccfar  imma  galaip  J  12,  9.  12.  17.  19  vgl.  batrhtei 
fmk  silban  pizai  manasedai  ('öffentlichkeit')  7,  4  (menigi :  ivet-old  Hei.  4725  f.). 

3)  so  ingardjo  aikklesjo  K  16,  19  C  4,  15  (hausgemeinde)  dazu  K  14,  23 
(gesamtgemeinde  der  gläubigen);  aikklesjo  gudis  K  10,  32.  11,  22.  15,  9;  es  ist  der 
gards  gudis  T  3,  15  oder  leik  Xristans  C  1,  24  (christlich  organisierter  xöGfios  2,  19  f.). 


38  KAUFPMAKN 

die  von  dem  heiland  liebend  umfasste  weit,  für  die  er  predigt  und 
betet,  damit  sie  sieh  bekehre  und  gläubig  werde.  Mit  harter  anti- 
these  schliesst  er  davon  die  im  g(»tzendienst  verharrende  'menschheit' 
aus,  weil  sie  den  'geist  der  Wahrheit'  ablehnt  ^  Es  bestehen  also 
zwei  feindliche  weiten  nebeneinander  und  widerstreiten  einander  in 
gegensätzlichen  aflfekten  (J  16,  20).  So  weit  nun  der  Gote  sie  durch 
manaseps  darstellte,  beliess  er  seinen  Volksgenossen  den  ihnen  ge- 
läufigen personalbegriff  ('volk')  für  die  weit  als  räum  (k  5,  19) ^ 
Seine  Sprachphantasie  beschäftigte  sich  aber  auch  mit  dem  raum- 
problem,  und  unser  Übersetzer  versuchte  es  durch  seine  awi  fairkus 
fallende  Wortwahl  zu  lösen.  Er  hat  dadurch  den  nationalen  gehalt 
seiner  bibel  abermals  verstärkt.  Dies  altertümliche  wort  deckt  bei 
ihm  besonders  gern  die  'weit'  des  götzendienstes  und  zwar  so,  dass 
nicht  eigentlich  der  räum  des  heidnischen  /.oGaoc,  sondern  sein  in  der 
zeitlichen  dauer  begrenztes  'leben',  das  hauptmerkmal,  ausdrucksvoll 
wiedergegeben  wurde.  fairJvus  war  ein  kollektivum  und  ein  zeit- 
begriff".  Es  fasste  die  vielen  einzelvertreter  des  ferh  (anord.  firar^ 
ags.  firas,  and.  firihos  [Hei.  1847],  ahd.  ßrahi) "'  zusammen  im  sinn 
eines  'lebensalters'  *. 

Die  westgermanische  dichtersprache  X-k^^tferh  mit  f//c?frr  variieren ''. 
'Lebensalter'  oder  'lebenszeit'  ist  aber  nicht  die  primäre  Vorstellung, 
die  an  das  uralte  wort  sich  heftete ;  'beseeltes  leben'  gab  jenem  zeit- 
mass  den  gegenständlich-anschaulichen  Inhalt^.    Und  wenn  aus  'lebens- 

1)  otoxrjp  xou  xöajjiou  J  4,  42  vgl.  T  4,  10;  jabai  has  meinaim  hausjai  loaur- 
dam  jah  galanbjal  ik  ni  stoja  ina,  nih  ßan  qam  ei  stojau  manased  ak  ei  ganasjau 
manased  J  12,  47;  ei  so  manaseps  galauhjai  17,  21  :  ni  bi  po  manasep  bidja  17,  9. 
13—14.  18,  20;  ahma  simjos  Jjanei  so  manaseip>s  ni  mag  n/man  14,  17. 

2)  Auch  and.  iverold  vertritt  den  räum  (Hei.  349.  1656  f.  1929  f.  3578) 
=  middilgard  3629  f.  5448  f.  u.  ö. 

3)  Got.  fairhus  ist  gleichwertig  mit  der  formel  ßriho  bar»  (Hei.  ICOO.  3065:. 
werold  3639  f.  5676  f.  =  mid  ßrihun  4564  ff.). 

4)  bi  pizai  aldai  pis  faivbaus  =  bi  Jjizai  aldai  pis  aiicis  E  2,  2  A  B  vgl.  1,  4 
(Zeitrechnung);  ^26-  aiwis.-pis  fair/i^aus  K  1,  20  (oben  s,  20). 

h)  ferh :  aldarlagu  Hei.  3881—82;  that  sie  ßriho  barn  ferahu  binaiiiin,  ehtiii' 
iro  aldres  3844—45;  mines  ferhes  skal,  aldres  ahtien  4612—13  dazu  5493—94;  that 
he  wiirdi  is  ferhes  los,  is  aldres  af  endie  2684—85.  Mit  ags.  feorhdagas  vgl.  Hei. 
4327—29;  Hildebrandslied  7—8.  Ags.  midfeorh  (das  'mittlere  lebensalter'  der  'Ju- 
gend') stimmt  zu  and.  mann  midßri  Hei.  3476  (mann  in  der  mitte  seines  lebens) 
und  ahd.  in  mittinerhi  Ahd.  gl.  1,  610,  4.  616,  10  {in  diniidio).  Übrigens  steckte 
auch  in  werold  das  'lebensalter  eines  mannes'  (Hei.  125  f.  145  >  lebensalter  einer 
frau  278);  lebenszeit  3473  f.  >  erdeuzeit  3448  ff. ;  vgl.  PBBeitr.  43,  314  ff. 

6)  And.  ferh  (belebte  und  beseelte  gestalt)  tauscht  —  in  weitestem  abstand 
von    'tod'    (Hei.    403.3-35.    5849-51.    2253-.56.    2217-18)   -   mit   'leben'    (310-11. 


DER   STIL   DER   GOTISCHEN   BIBEL  39 

zeit'  die  endliche  und  vergängliche  'weltzeit'  (äon)  der  Gotenbibel 
geworden  ist^  so  hat  ihr  meister  das  diesseitig  in  der  endlichkeit 
befangene  'weltleben'  seinen  Volksgenossen  als  ihr  'beseeltes  leben' 
dargestellt  '^  worunter  sie  nicht  nur  ein  göttliches  oder  menschliches, 
sondern  etwas  allgemeineres,  ein  'dämonisches  leben'  verstanden  haben 
mögend  Im  germanischen  altertum  (anord.  firnr)  und  ebenso  in  der 
gotischen  bibel  erstreckte  sich  der  bedeutungsbereich  unseres  Stamm- 
wortes über  den  kreis  von  mcmna  und  manaseps  hinaus  in  die  weit 
der  götter  und  der  dämonen  hinein  ^.  Die  wulfilanische  neuerung  be- 
steht nun  darin,  dass  er  bei  fairk-us  ('weltleben')  vornehmlich  die 
dem  Christen  feindlichen  lebensmächte  ins  äuge  gefasst  (J  16,  33),  die 
kosmologische  antithese  gott  und  weit  (J  10,  36)  in  das  altgermanische 
wort  verlegt  (and.  iveroldnki :  himilnki)  und  es  dadurch  in  einen  auf- 
fallenden Widerspruch  zu  der  unter  den  Germanen  herkömmlichen  be- 
deutung  versetzt  hat  {pis  fair  kraus  saurga  daupii  gasmipop  k  7,  10). 
'Beseeltes  leben'  w^ar  mit  ferh  gemeint  gewesen;  in  der  got.  bibel 
aber  können  die  pneumatiker  und  die  über  manaseps  und  fairk'us 
erhabenen,  das  'ewige  leben'  des  himmelreichs  geniessenden  seelen 
nicht  mehr  darunter  befasst  werden  (J  17,  14.  16.  15,  19.  14,  17). 
'Leben'  (oder  'seele')  und  fairkus  w^ollen  sich  nicht  mehr  miteinander 
vertragen.  daup)us  und  faivJvus  sind  korrespondierende  begrifte  ge- 
worden, weil  wir  uns  bei  fairJrus  im  heidnischen  reich  der  finsternis, 
nicht  in  der  christlichen  himmelswelt  des  lichts  und  des  lebens  be- 
finden. Dem  'leben'  der  beiden  hatte  das  'licht'  gefehlt  (J  8,  12.  23. 
9,  5.  12,  46),  das  über  die  belebt-beseelte,  aber  finstere  menschen- 
und  götterweit  den  sieg  davon  getragen  und  damit  auch  dem  alt- 
germanischen Seelenwesen  {fairkus)  ein  ende  bereitet  hat\  Bei  diesem 
merkwürdigen  Umschwung  interessiert  uns  die  Wortwahl  des  Über- 
setzers:  indem   er   einen  altgermanischen  sinnesbegriff  des  weltlebens 

2197.  3999.  4685;  3154  f.  4165  f.  5801  f.  ii.  ö.)  und  mit  'seele'  (4055  f.  4059  f. 
3350-54; /er/; f  'beseelt)  den  platz;  vgl.  Hei.  1904-7.  5701-3. 

1)  fairkns    weltperiode   J  15.    19.    16,    33.    17,    4if. ;    vgl.    and.    weroldaldar 
Hei.  45. 

2)  Auch  im  latein.  Sprachgebrauch  kann  miuuhis  durch  saeculmn  (von  Eaumer, 
Einwirkung  des  Christentums  s.  373  ff.)  und  beide  können  durch  uita  vertreten  werden. 

3)  'Gesamtheit   der   belebten  und  beseelten  wesen'  Weinhold  s.  14;  'Inbegriff 
aller  naturkräfte'  Groeper  s.  43. 

4)  manaseps  ist  nur  eine  teilgruppe  von  fairkns  J  17,  5  ff.;  vgl.  6,  14.  E  6,  12. 
G  4,  3  C  2,  20. 

ö)  J  12,  25.  6,  33.  51    (vgl.  Mc  8,    36   L  16,  8  Th  5,  4-5);   jahai   auk    us- 
ivaurpa  ize  r/abei  fair/i'ans,    ha  so  andanumts,    nibai  libains  us  danpaim:'  R  11,  15. 


40  kAuFP:\rAKi«J 

{fairkus)  für  das  biblische  weltleben  (x.oa;xo;)  nutzte,  hat  er  die 
hellenistische  Wortbedeutung  altgernianisch  stilisiert  und  damit  die 
stilstufe  der  germanischen  völkerwanderungszeit  erreicht. 

Von  dem  geschick,  das  ßiirknis  betroffen  hat,  ist  schliesslich 
sogar  manasejjs  ereilt  worden,  nachdem  auch  dieses  wort  mit  -/.ogi^oc 
sich  associert  hatte  und  mit  faii'/i/iis  gleichwertig  geworden  war'. 
Folglich  konnte  fairkus  bei  dem  üblichen  Wechsel  des  ausdrucks  das 
amt  von  matiasfps  versehen  -  auch  wo  man  eher  manaseps  glaubte 
erwarten  zu  dürfen  (K  5,  10  G  6,  14  R  11,  12-15)  -  weil  die  beiden 
an  sich  grundverschiedenen  Wörter  unter  dem  zwang  der  biblischen 
Weltanschauung  identische  .  funktionen  zu  erfüllen  hatten  (/ro  alles 
paurfte  gatanjiji  ds  manna  gageigands  po  manased  alla  L  9,  25  :  hra 
Ciuk  hoteip  mannan  jahai  gageigaip  pana  falrh/u  allana  Mc  8,  36;  P)atei 
haiisida  at  imma  pata  rodja  in  pamma  fairkau  J  8,  26  :  pmta  rodja 
in  manosedai  17,  13).  Dass  aber  fairhus  (nicht  manaseps)  immer 
noch  mit  dem  grossen  weltenschicksal  hauptsächlich  auf  grund  des 
in  leben,  seele  und  charakter  der  menschen  angelegten  menschen- 
schicksals  innerlichst  zusammenhing  (J  17,  24;  o.  s.  36),  dass  dies 
dämonische  Seelenleben  und  schicksalsweben  im  gegensatz  zu  mana- 
sejjs  übermenschlich  gedacht  war,  wird  durch  die  /iocrij-ox-paTope;  (pai 
fairhu  hahandans  E  6,  12)  ^  endgiltig  erwiesen.  Sie  führen  uns  tiefer 
in  die  kosmologie  des  Urchristentums  und  in  ihre  nationalisierung 
unter  dem  gotischen  horizont  hinein. 

Aus  dem  orakelwesen  der  Germanen  hat  Wulfiia  die  bezeichnuug 
der  den  willen  der  götter  kundgebenden  'demente'  des  kosmos  ent- 
nommen. Es  sind  die  gestirne  oder  Sternbilder.  Für  jeden  menschen 
stand  sein  Schicksal  in  den  sternen  geschrieben.  Das  Christentum  ist 
diesem  astrologischen  aberglauben  entgegengetreten,  der  mit  den 
planetengöttern  der  Wochentage  auch  unter  den  Germanen  sich  aus- 
breitete {ni  mannq  nu  izivis  hidomjai  .  .  .  in  dailai  dogis  dulpals  aipjpau 
fullipe  aippau  sab  bn  tum  'woche'  C  2,  16)''  und  die  Goten  nun 
auch  in  der  bibel  beschäftigte.  Der  Übersetzer  scheint  an  die  runen- 
stäbe    (nicht    an    die    'buchstaben' ;    got.    striks,    writs)^    anzuknüpfen, 

1)  Recht  bemerkenswert  ist  -  gegen  Groeper  s.  44  —  der  Wortlaut  von  K  4,  9 : 
fairweitl  waurjnmi  pizai  manasedai  jah  ayyilum  jah  mannatn. 
2)' gup  pis  aiwis  k  4,  4  vgl.  L  4,  6—7. 

3)  E.  Wessen,  Zur  geschichte  der  germanischen  ?(-dekliuation  (Uppsahi  l'J14) 
s.  171  ff. 

4)  Anord.  stajir  {hQhiaJir,  feil.-nataßr,  hdstafir  usw.) ;  ags.  sfafas  {fäcnsfafas, 
iri/rdstafas  u.  a.). 


DER   .STIL   DER   GOTLSCHEX   BIBEL  41 

wenn   er   für  jene   siderischen   'elemente'  im  Zusammenhang-  mit  dem 
dämonischen    Seelenleben  des  fairlrus  das  wort  stabeis  gebraucht  und 
sie  auf  diesem  wege  altgermanisch  beleuchtet: 
swa  jah  weis  |)an  wesum  barniskai 

uf  s  t  a  b  i  m  {i  i  s  f a  i  r  //•  a  u  s  ^  wesum  skalkinondans  .  .  . 
,  akei  l3an  swej^auh  ni  kunuandans  gu}) 

J)aim  ]joei  wistai  n  i  sind  g  u  d  a  skalkinodeduj) 
ij)  nu  sai  ufkunnandans  gu}) 

maizulDj3an  gakunnaidai  fram  guda 
A-aivva  gawandideduji  izwis  aftra  du  paini  unmahteigam  jaii  hai- 
kam Stab  im 
Jjaimei  aftra  iupana  skalkinon  wileij) 
dagam  witaijj  jah  menoJ)um  jah  melam  jah  aj)nam 

og  izwis  ibai  sware  arbaididedjau  in  izwis  G  4,  3.  8-11. 
Es  waren  die  im  aether  sichtbaren  himmelskörper,  am  himmels- 
gewölbe  kreisende  güttermächte '-,  unheimlich  finstere  gewalten  und 
herrschaften  der  dämoneu  des  luftreiehs  ',  deren  Oberhaupt  Satan  ihm 
vorsteht,  bis  gott,  der  es  geschaften,  es  zerstören  wird*.  Diese  am 
firmament  waltenden  'demente'  Hess  die  bibel  als  dämonen  ('enger) " 
aber  nicht  als  'gütter'  gelten  {(juda,  giiß  G  4,  8-10  k  4,  4  vgl.  J  10, 

1)  Selir  wichtig  ist  die  randglosse:  h/  tnyylam  cod.  A,  weil  durch  sie  eine 
unter  theologeu  viel  verhandelte  Streitfrage  aus  der  weit  geschafft  wird  (Handb. 
zum  Neuen  test.  3,  1,  246  f.  2,  77  ff.  85;  Schriften  d.  Neuen  test.  2,  61  f.  111  f.  u.  a); 
vgl.  jabai  (/asivultup  mi/i  Xristau  afstabimpisfairkans,  Ji/a  panaseips  sice 
fjiuai  in  painina  fairkau  iirredip)  C  2,  20  [pxov/ß.a.  elementa). 

2)  stairnous  himinis  irairpand  (Iriusantleiris  jah  inaJttpis  pos  in  hiininani 
f/airagjanda  Mc  13,  2.5. 

3)  awiliudondans  attin 

saei  laljoda  izwis  du  dailai  hlautis  weihaize  in  liuhada 
saei  galausida  izwis  us  waldufnja  riqizis  .  .  . 
jaljjje  sitlos  jajjlje  fraujinassjus 
jal:)l)e  reikja  ja|)l)e  waldufnja 

alla  l^airh  ina  jah  in  iinma  gaskapana  sind  C  1,  12—18.  16; 
zu  waldufni  ('befehlsgewalt')  —  reil-i  entbehrt  im  got.  durchaus  der  den  West- 
germanen geläufigen  raumanschauung  —  vgl.  L  20,  2.  8.  20  {reiki  jah  waldufni 
kindinis);  Mc  10,  42;  R  13,  1—4;  bi  reik  waldufnjis  luftatis  E  2,  2  {ahminft)  vgl. 
reikjam  jah  waldufnjum  in  pyaim  himinaJcundam  3,  10. 

4)  Vgl.  L  10,  18  {(jasah  Satanan  swe  lauhmnnja  driiisandan  us  hiniina)  J  12, 
31.  16,  11.  14,  30  Mc  3,  22  ff.;  nfaro  allaize  reikje  jah  u-aldnfnje  jah  mahtc  jah 
franjinassiwe  E  1,  21;  gatairip  all  reikjis  jah  u-aldufnjis  jah  niahtnis  K  15,  24; 
f/amotjan  fraujin  in  luftau  Th  4,  17. 

5)  M  25,  41:  nilt  aygdjns  ni  reikja  ni  muhteis  R  8,  38;  blotinassus  aiitjilp 
0  2,  18  vgl.  k  11,  14  {p.i^Ko\  8ai|iov£5  Handb.  zum  Neuen  test.  3,  2,  55.  102). 


42  tiAUFFMAN^ 

34-35).  Wulfila  setzte  aber  doch  die  nationalgötter  des  Goten- 
volkes  ein,  wenn  er  auch  ihren  gattungsnamen  in  der  niehrzahl 
der  fälle  hellenistisch  verfärbte  {galiugaguda,  gaUuya  sl'SoAa  K  10, 
19.  20.  28.  8,  10.  5,  10-11.  k  6,  16  vgl.  E  5,  5  u.  a.),  ob- 
schon  er  die  ableitung  gudja  für  die  jüdischen  priester  sichtlich  be- 
vorzugt hat. 

Dass  er  diese  diener  gottes,  die  alten  götter  und  den  neuen  gott 
mit  einem  und  demselben  durch  des  germ.  volkes  vorzeit  religiös  ge- 
weihten Stammwort  benannte,  das  ist  eine  Stilerscheinung  wulfilanischer 
spräche,  die  sich  in  der  geisterweit  widerholt.  Der  heilige  geist  und 
die  unreinen  geister  heissen  auf  hellenistische  art  ahma  und  ahinans; 
diese  fremdartige  ausdrucksweise  wird  aber  gotisch  getönt,  wenn 
der  Übersetzer  auch  got.  imhulpo  {>  so  iDihulpa  L  4,  35,  pai  unhul- 
pans  L  8,  33  o.  s.  11  f.)  zu  worte  kommen  lässt: 

af)l3an  ahma  swikunjjaba  qi{)i|) 

Jjatei  in  spedistaim  dagam  afstandand  sumai  galaubeinai 
atsai/z^andans  ahmane  airzijDos.  jah  laiseino  unhulpono 

T  4,  1/ 
oder  gar  volkstümliche  erinnerungen  init  hilfe  von  skoJisl  befestigt 
(K  10,  20-21).     Typisch  für  die  stilart  ist  der  M  8,  16.  28.  31.  33. 

9,  32-34  zwischen  daimonarjans  und  ahmans,  daimonarjos  und  skoksla 
sich  abrollende  Wortwechsel,  bei  dem  Mc  5,  2  if .  15  ff.  ausser  imhid- 
pons  auch  noch  ivods  auftaucht  {:  divalmon  J  10,  20-21). 

Zum  herrschaftsgebiet  der  dämonen  und  der  geister  des  luft- 
reichs  gehört  das  'reich  der  mitte',  die  erde  {airpa  .  .  .  midjuugards 
R  10,  18)2;  gg  ij^t  fruchtbarer  erdboden.(Y^  Mc  4,  26.  8,  6)^  wirt- 
schaftlicher und  politischer  räum  (ob.outyiv/i  L  2,  1.  4,  5),  in  dem  die 
menschen  (manaseps)  mitten  zwischen  'oben'  und  'unten'  (himmel  und 
höUe)  sich  bewegen  und  verbreiten  (C  3,  2  M  11,  23  R  10,  6-7  u.  a.). 
Die  naturmerkmale  dieser  menschheit  sind  Icik  und  satwala  (M  6,  25. 

10,  28),  von  denen  jedes  sein  eigenleben  flthrt  (k  12,  2-3).  Nicht 
völlig   neu    war  für  einen  Goten  die  dualistische  Spaltung  der  einzel- 


1)  ahmane  nhilaize  .  .  .  nnJmlpons  L  8,  2.  27  ff.;  ahnian  unhulfjons  lOiJirainJana 
4,  33  vgl.  10,  17.  20;  Groeper  a.  a.  o.  s.  39  S. 

2)  Vgl.  pindmigardi  einerseits  und  midjasiveijMins  (xaxaxXuop.ög)  andererseits. 

3)  Im  gegensatz  zu  'himmel'  (Mc  9,  3  J  12,  32  L  2,  14.  10,  21  usw.),  zu 
'wasser'  [staps  Mc  4,  1  L  5,  3:  airjm  11.  8,  27  vgl.  6,  49  J  6,  21)  und  zu  'gestein' 
( M  27,  51  Mc  4,  5.  8)  ist  unter  'erde'  der  feste  'lehmboden'  zu  verstehen  {airpeins: 
mnldeins  [staubförmig]  K  15,  -47—49);  der  griech.  vorläge  zuliebe  erscheint  airpa 
mit  ausgesprochen  politischem  sinn  nur  M  11,  24. 


DER   STIL   DER   GOTISCHEN   BIBEL  43 

person  {leik-gahugds  R  7,  25)  \  wohl  aber  die  Steigerung  dieses  doppel- 
wesens  zu  einer  dreieinigkeit  von  leik-saiivala  ((/ahii(jds)-ah7na  (Th  5, 
23  vgl  L  1,  46-47  Phl  1,  27).  Der  letztere  ist  nicht  menschliche 
vl/v/r,  sondern  göttliches  -veCy.a  ('geist')-,  d.  h.  dämonische,  auS'  dem 
himniel  stammende,  den  menschen  offenbarte  religiöse  potenz  und 
religiöses  organ  der  pneumatiker  ^.  Der  hellenistische  einschlag  ist  bei 
diesem  ahma  so  wenig  als  bei  den  zuvor  erwähnten  geistern  des 
Inftreichs  zu  verkennen  ^ ;  ah?na  ist  durchaus  verschieden  von  aha, 
hugs  und  frapi",  aber  es  ist  stilgerecht,  dass  auch  diese  altgermanischen 
sinnbegriffe  wiederkehren  (Phl  4,  7  \  frajji  fraußns  R  11,  34  [:  ahma 
voG:  7,  23]  :  ahma  frauj ins  k  3,   17—18). 

Die  Unterweltsvorstellungen  bereicherten  sich  an  der  biblischen 
feuerhölle  (M  25,  41.  46) '\  die  am  abgrund  der  erde  durch  eine 
kluftspalte  vom  himmel  getrennt  ist  (L  8,  31).  Der  Übersetzer  zögerte 
jedoch  nicht,  dem  himmlischen  paradies  durch  icaggs  (k  12,  4)  und 
jenem  unterirdischen  aufenthalt  ^  durch  halja  zu  volkstümlicher  an- 
schaulichkeit  zu  verhelfen  (L  16,  23.  10,  15  M  11,  23  K  15,  55); 
er  war  nicht  gesonnen,  dem  fremdwort  gaiainna  {fmvins  M  5,  22 
vgl,  Mc  9,  47  :  43.  45)  das  feld  zu  überlassen^,  weil  er  sich  bestrebte, 
die  hellenisierenden  und  die  gotisierenden  farbentöne  symmetrisch 
gegeneinander  auszugleichen. 

Dieselbe  stilistische  grundtendenz  seines  Werkes  beherrscht  das 
gemälde,   das   er  von   dem   überirdischen   lichtreich  des  himmels  ent- 

1)  gakmjds  ist  'Intellekt'  Siivoia  LI.  51  E  4,  17-18  C  1,  21  {=  aha  Phl 
2,  3:C  3,  12;  gamitoneis  E  2,  8) ;  neben  saiirala  begegnet  das  wort  L  10,  27  'Sic 
12,  80  (vgl.  anord.  hiu/r). 

2)  geist  fleisg  inti  gibeüii  )ii  habet  Tatian  230,  5. 

3)  M  27,  50;  x^pta^a  E  1,  17  (guß  ..  .  gihai  izicis  ahman)  Th  4,  8  G  4,  6; 
in  mahtai  ahmins  L  4,  14  :  2,  25-27  E  3,  16 ;  für  ahma  -  leik  vgl.  G  5,  16  ff. :  k  1,  12 
(atists  gudis). 

4)  An  der  auffälligen  Wortwahl  k  7,  1  ist  ganz  und  gar  die  griech.  vorläge 
schuld;  vgl.  aha  Tit  1,  15. 

5)  aha:  ahma  th  2,  2:i>iahei  t  1,  7;  hugs  E  4,  17;  frapi  leikis  C  2,  18 
(;  m  allai  handngein  jah  f rodein  ahmeinai  1,  9).  Es  muss  eine  'erneuerung'  des 
frapi  (voug)  stattfinden  {anuppanninjaip  ahmin  frapjis  izwaris  E  4.  23). 

G)  fon  pata  tinkapnando  Mc  9,  43;  riqis  pata  hindumisto  M  8,  12. 

7)  undaristo  airpos  E  4,  9  ('niederungen'). 

8)  Vgl.  ahd.  hella,  hellajiiir,  hellawizi  Tatian  141,  13.  28,  2.  3.  44,  19  (für 
geenna  nnü  itiferuus);  dagegen  im  Heliand  iiifern  :  hellignaid  l-i^O  f.;  i)iferii,  grnnd 
hellißures  2688-41  (vgl.  5428  f.) ;  fern. -hei  898.  3357  if.  {fiur,  fhiusfri,  dalu  thiustri 
2140  ff.  [suart  sinnahti];  dodes  dalu  5168-70;  .tiur  ewig  4420.  4430  f.  4441  ff.); 
lipl/iinfi  (:  halirUi),  hellagitlnting  1500  f.;  beachte  heHiportxn  8072. 


44  KAUFFMANN 

worfen  hat.  Es  steht  in  blendendem  kontrast  gegen  die  finsternis 
der  untern  feuerhölle  mit  ihren  ewigen  todesqualen  {balicei  aiweiuo 
M  25,  46  :  liboins  C  3,  3  if.)-  l'üi'  das  himmelreich  fand  Wulfila  seinen 
volkstümlichen  hauptausdruck  in  got.  Jnudangarc/i  'königshof  (C  1, 
12-13  vgl.  in  piudangardjom  L  7,  25;  in  gardim  piudane  M  11,  8^: 
piudangardi  kimine  L  6,  20  M  5,  19-20.  11,  11-12  =  Jnudangardi 
giidis  L  7,  28.  8,  1.  9,  2.  11.  Mc.  9,  47.  1,  15  usw.  [hauptsächlich 
bei  Lukas  und  Markus]),  der  im  engeren  anschluss  an  ßaoi"X£ia  Osou 
mit  piiidinassm  'königtum'  wechselt  {piiidinassaus  pis  midjungardis 
L  4,  5  :  p)iudiaassus  giidis  L  9,  27  Mc  9,  1  t  4,  1)  ^  Mit  dieser 
differenzierung  von  piudinassus  und  piudangardi  {izwis  atgiban  ist 
Icunnan  runos  p)iiidinassaiis  gudis  L  8,  10  :  izwis  atgiban  ist  kunnan 
runa  piudangardjos  gudis  Mc  4,  11)  und  mit  der  bevorzugung  des 
konkret-anschaulichen  pAudangardi  vor  dem  abstraktum  p)iudinassus 
hat  der  Übersetzer  abermals  die  nationalfarbe  seines  Werkes  verstärkt. 
Er  gieng  aus  von  der  alttestamentlichen  majestät  gottes  {piudans  niwe, 
piudans  piudaiiondane  jah  frauja  fraujinondane  T  1,  17.  6,  15); 
neben  ihr  trat  im  Neuen  testament  Christus  der  könig  hervor;  auch 
ihn  hat  der  Gote  nicht  als  einen  orientalischen  'herrscher'  ([iar)t>.£u?), 
sondern  als  ein  'volksoberhaupt'  {piudans  M  27,  11  Mc  15,  18)  ge- 
kennzeichnet ^.  Das  biblische  königtum  sollte  auch  nicht  eine  'gewalt- 
herrschaft'  sein  wie  die  des  Satan  (o.  s.  41 ;  reiks,  reikinon  E  2,  2 
vgl.  Mc  10,  42  :M  9,  18.  23  J  7,  26.  48:  pai  aide  reiks  ni  sind  agis 
godatnma  ivaurstwa  nk  ubilamma  R  13,  3),  sondern  ein  auf  huld 
(L  18,  13)  und  treue  (R  11,  27';  trausti  E  2,  12)  zwischen  pinda  und 
piudans  beruhendes  königtum  in  der  art  des  altgermanischen;  sorgsam 
und  bewusstermassen  hat  der  Übersetzer  für  das  himmelreich  sogar 
den  ausdruck  reiki  vermieden  und  an  seiner  statt  das  wortpaar  pjiu- 
dangardi-piudinassus  gewählt*:  piudanop  ufar  garda  lakobis  in  ajuk- 

1)  piudangardi  ...  gai'ds  Mc  3,  24:— 26 :  a ndags  saei  matjip  lila if  in  piHda)i- 
(jardjai  gudis  L  14,  15  (vgl.   R  14,  17). 

2)  Vgl.  qimai  pindinassns  peius  (ßaaiXe'.a)  .  .  .  peina  ist  piudangardi  (ßaaiXsia) 
M  6,  11.  13. 

8)  Dem  germanischen  königstyp  bleibt  er  auch  sonst  getreu  {frani  piudanam 
Jah  frani  allaini  ptaim  in  itfarassan  ivisandam  T  2,  2 ;  Herodes  .  .  .  P)iudans  .  .  .piu- 
dangardi Mc  6,  22—23);  p^indinassus  Teihairiaus  kaisaris  L  3,  1. 

4)  Alttestamentliches    reikinon    kommt   E   15,    12   vor;    dazu    gehört  frauja 
alhvaldands  k  6,  18;   sonst  wird   das  patriarchalische   Verhältnis   des  hausherrn  zu 
seinen  erben  und  hausgenossen  hervorgekehrt  (G  5,  21.  4,  1  ff.  Mc  10,  17  L  18,  18: 
ihai  afskauf  gnp>  arhja  seinannna  Xaöv  R  11,  1;  Jilants  C  1,  12  vgl.  E  1,  11.  14.  18 
ingardjans   gudis   2,    19  T  ii,  8)    Zeitschr.    f.  neutestamentl.    Wissenschaft  18,  84  ff. 


DEK    STIL   DFAi   GOTLSCHEN   BIBEL  45 

diiß  jah  piudinassaus  is  ni  ivairpip  andeis  L  1,  33  ^  Es  war  eine 
spiritualisierimg  der  ßaaiXeiy.  erfolgt  (nii^t  auk  piudangardi  giidm  mats 
jah  drayk  ah  garaihtei  jah  gawairpi  jah  faheps  in  ahmin  iveihamma 
R  14,  17;  ni  qimip  pindangardi  gudis  niip  atwitainai  .  .  .  priiidayigardi 
gudis  in  izivis  ist  L  17,  20-21).  Diesem  hellenistisch-biblischen  merkmal 
wurde  damit  rechnung  getragen,  dass  neben  piudangardi  für  'pxaiXziy. 
iinch  piudinassits  sich  ausbreitete;  dass  aber  der  Übersetzer  von ^/wt^/- 
nassus  immer  wieder  aufs  neue  zu  piudangardi  zurückkehrte,  ist  der 
nationalen  riehtung  seiner  kultsprache  zu  verdanken.  Hinzuzutügen 
Aväre,  dass  der  Gote  das  wichtigste  ausstattuugsstück  eines  altger- 
nianischen  königshofs  und  königshauses,  den  'hochsitz'  (ags.  peoden- 
stöiy  in  seinem  himmel  sehen  Hess,  indem  er  bei  der  Wortwahl  für 
griech.  Ooovo;  auf  got.  stols  verfiel  (Zeitschr.  47,  194  f.  197  ff.);  dies 
wort  war  auch  der  gerichtshoheit  des  himmelskönigs  angemessen  (staua- 
stols  R  14,  10  k  5,  10)  ^  und  hält  geziemenden  abstand  von  siUs 
(!>?ovo;)  \ 

Die  herkömmliche  bedeutung  von  himiiis  ('decke,  gewölbe'  [über 
der  erdej,  ßrmamentiim  J  17,  1  L  9,  16  Mc  14,  62  [:  K  10,  1].  4,  32; 
sfairnons  himinis  .  .  .  fram  andjain  ai)pJOs  und  andi  himinis  Mc  13, 
25.  27) '"  konnte  nicht  fortdauern,  weil  der  christenhimmel  ins  grenzen- 
lose jenseits  dieser  'decke'  sich  erstreckte  und  weil  man  darüber 
hinaus  mindestens  sieben  himmelsräume  zählte  [insaikrip  du  fuglam 
himinis  .  .  .  atia  izuar  sa  ufar  himinam  M  6,  26).  Auf  seiner  seelen- 
reise  war  Paulus  bis  in  den  dritten  himmel  gelangt  (k  12,  Iff.)*^. 
Seinen   singular   himins   (L  3,  21-22.  4,    25)   Hess    infolgedessen    der 


('testament'  als  erbschaftsvertrag).    An  das  königliche  hausgesinde  gemahnen  sLulks 
L  2,  29  und  Jnwnagus  1,  68-69. 

1)  piudinassns  (juclis  K  15,  bO  :/nudaiion  24-25;  /nudaiis  .  .  .  ßindauf/ardi 
J  18,  36—37 ;  arbi  in  piudangardjai  Xristaus  jah  gudis  E  5,  5. 

2)  And.  l-nnincfstol  Hei.  2786;  thes  niareon  sfol .  .  .  aäalcuninges  .  .  ,  hohgisitn 
361-65;  is  lielagwi  stol  5975;  zu  got.  himins  .  .  .  stols  ist  gudis  M  5,  34  vgl.  and. 
tJies  herron  stol  .  .  .  thes  alonaldon  fagar  fotscamel  1509—11. 

3)  stauastols  M  27.  19 :  ahd.  duomsedal  Tatian  198,  2.  199,  5. 

4)  sitlos  C  1,  16:  {fuglos  himinis)  sitlans  L  9,  58;  sitlans  pize  frabugjandane 
ahalcim  Mc  11,  15.  Im  ahd.  Tatian  verhält  es  sich  anders:  stuola  forconfentero 
thio  tubun  117,  2;  in  gotes  sedale  (thronus)  141,  16, 

5)  lauhmoiii  lauhatjandei  us  Jximma  nf  himina  in  Jutta  uf  himina  skeinip 
'von  einem  horizont  zum  andern'  L  17,  24;  fraiija  himinis  jah  airpos  L  10,  21 
vgl.  16,  17  M  5,  18. 

6)  tttstaig  in  undaristo  uirjjus  .  .  .  usstaig  ufar  alluns  himinans  E  4,  10;  ns 
himina  .  .  .  pai  ufarhiminaky,ndans  K  15,  47—49;  [jo  iupa  C  3,  1—3. 


46  KAUFFMANN 

Gote  mit  dem  hellenistischen  plural  ]iimiiioi<  (Mc  1,  lO-U)  wechselnd 
Er  hat  nicht  nur  himinos  neu  gebildet,  sondern  auch  himins  neu  ge- 
deutet^. Es  ist  aus  dem  himmelsgewölbe  ein  unsichtbares  und  un- 
ermessliches  lichtreich  der  Unsterblichkeit  geworden  (k  4,  17-18),  in 
dem  der  himmelskönig  seine  getreuen'^  als  'kinder  des  lichts'  um  sich 
versanimelt  (siütjus  liuhadis  L  16,  8  =  swijm  gudis  20,  36-,  vgl.  Th  5,  5 
E  5,  8;  lichtleib  0.  s.  26  f.).  Das  wichtigste  rangzeichen  dieses  herr- 
schers  war  nach  der  griech.  bibel  alten  und  neuen  testaments  sein 
'lichtglanz'(f^oca)*,  an  dessen  herrlichkeit  der  niensch  der  erhabenen 
'majestät'  gottes  inne  wird,  aus  dem  er  glanzvoll  und  wunderbar  seine 
macht  in  der  weltschöpfung  und  weltregierung  offenbart  {atta  ivulpaus 
0  TraxTip  T^?  ()6i-riq  E  1,  17—19 ;  siiniis  .  .  .  q'nnip  in  irulpu  seinamma 
jah  attins  jah  pize  weihane  aggele  L  9,  26  Mc  8,  38;  hauheins  :  wu/Jms 
gudis  J  11,  4.  40).  Der  Gote  hat  diese  orientalische  vision  volks- 
mässig  vergegenständlicht,  indem  er  für  griech.  SoEa  ein  altheimisches 
wort  wählte,  das  die  anschauung  der  gläubigen  auf  die  imponierende 
prachtentfaltung  eines  königshofes  (die  herrlichkeit  des  königtums) 
ablenkte  und  zugleich  aus  dem  gebiet  des  wunderbaren  ins  reich  des 
ehrfürchtig  angestaunten  überleitete  ^  Das  'strahlende'  scheint  aber 
neben  dem  'imponierenden'  ein  merkmal  der  betr.  altgermanischen  sippc 
gewesen  zu  sein  ^    Den  nationalen  gehalt  des  wertes  widpus  ('prunk') ' 

1)  M  6,  20:Mc  10,  21;  Th  4,  16 :  th  1,  7;  L  10,  20:21;  C  1,  23:16.  20; 
E  3,  1") :  1,  10 ;  atta  nnsar  ßn  in  hiniinam  .  .  .  tvairpai  trilja  peius  swe  in  himina 
jah  ana  airpai  M  6,  9—10;  in  himina  .  .  .  in  hauhistjam  L  19,  38;  in  hiniinam  6,  23. 

2)  Okkasionell  steht  himins  sogar  für  'gott'  (L  15,  18.  21.  20,  4  Mc  11,  80 
sg\,  piiidangardi  gudis  =  piudamjardi  himine  o.  s.  44). 

8)  Besser  als  »i  himina  L  15,  7  oder  in  himinam  (k  T),  1  usw.)  oder  ufar 
himinam  (M  6,  14.  26.  32)  passt  zu  gotischer  art  in  himinal-iuidaim  {'im  hirauiel') 
SV  xoTg  inoupavioig  E  1,  3.  2,  6.  8,  10.  6,  12  vgl.  manayei  harjis  himinakundis 
L  2,  13. 

4)  Handb.  zum  Neueu  test.  2,  2,  15  f.  3,  2,  85  u.  a. 

5)  tvulßrs  'auserlesen,  wertvoll'  Zeitschr.  32,  315;  mais  widprizans  M  6,  26 
(:  Saulaumön  in  aUamma  wulpmn  seinamma  29);  ni  waiht  mis  umljn-ais  ist  ('imponiert 
mir  nicht')  G  2,  6 ;  lapioda  izwis  du  seinai  pnudangardjai  jah  tvulpau  Th  2,  12 ; 
pii  in  wastjoni  imdpagaim  ('prunkgewänder')  .  .  .  in  Jnudangardjom  sind  L  7,  25 
vgl.  4,  5—6  T  1,  11  R  9,  23;  widpagai :  unswerai  K  4,  8—10  (tvtdpus  jah  unswerei 
k  6,  8) ;  mikilidedun  gup  jah  fullai  tvaurpun  agisis  qipandans  Jjatei  gasaibfam  wul- 
pugu.  hiinma  daga  L  5.   26. 

6)  ni  was  ivulpag  J)ata  umljjago  in.  pizai  halbai  in  ufarassans  tndpmus  .  .  . 
andhulidamma  andwairpja  wuljni  fraujins  pait-hsaihandans  J)0  samon  frisaht  in- 
galeikonda  af  widjxm  in  wulpn  k  3,  7.  10—11.  18;  ags.  wuldor  (glona.),  widdortoi-ht. 

7)  'Macht  und  pracht  einer  herrschaft'  schlägt  in  abstrakte  'herrlichkeit'  um 
(E  1,  6 :  12.  14  C  1,  27  T  3,  16).  ^ 


DER    STIJ.    DKK    (tOTlsCHEN    BIBEI,  47 

bekouiDien  wir  kräftig-  zu  spüren,  wo  sich  ghmz  mit  macht  gattet  {fram 
ividpau  mahtais  th  1,  9;  in  allai  mahtai  gaswinpidai  bi  mahtai  wid- 
paus  C  1,  11;  (jasaih'and  sunu  maus  qimandan  in  milhmam  mip  mahtai 
managai  jah  widpau  Mc  13,  26)^  während  dort,  wo  ividpus  schlecht- 
weg für  die  den  leib  verklärende  lichtsubstanz  der  himmelssöhne,  für 
den  glorien-  und  heiligenschein  der  pneumatiker  verwendet  worden 
ist,  eine  hellenisierung-  des  altgermanischen  ausdrueks  beabsichtigt  war^. 
Aus  diesem  lichtdurchfluteteu  königreich  des  himmels  stammt 
die  heilsordnung  und  der  heilsplan  g-ottes,  dessen  hellenistische  be- 
standteile  keiner  hervorhebung  bedürfen,  dessen  nationalisierung  durch 
die  berücksichtigung  der  terminologie  der  heimischen  landesverwaltung- 
bewirkt  worden  ist.  Wenn  eine  gotische  dinggemeinde  geordnet  zu- 
sammentrat, um  eine  wähl  zu  vollziehen  oder  eine  Satzung  zu  beraten 
oder  endgültige  verwaltungsmassnahmen  zu  beschliessen,  nahmen  ihre 
mitglieder  den  ihnen  im  beer  wie  im  {jing  gebührenden  Standort  ein, 
verhandelten  und  stimmten  durch  handaufheben  ab : 

jah  rag  in  in  I)amma  giba  unte  Jiata  izwis  batizo  ist 
juzei  ni  {)atainei  wiljan 

ak  jah  taujan  dugunnuj)  af  fEÜrnin  jera 
i|)  nu  sai  jah  taujan  ustiuhaif) 

ei  swaswe  fauraist  muus  du  wiljan  - 
swa  jah  du  ustiuhan  us  {jammei  habai}) 
jabai  auk  wilja  in  gagreftai  ist 
swaswe  habai  waila  andauern  ist 
ni  sw^aswe  ni  habai  .  .  . 


1)  Vgl.  ags.  iruldorbeah  (Corona),  irnldorci/ni)i:i  {tnildorsped,  louldor^esteald 
u.  a.J :  ci/ninga  ividdo)-,  beorna  iculdor;  gott  lieisst  wnldres  aldor,  widdres  weard, 
der  engel  ividpres  ßegn  (en^el  drihtnes  Gen.  2266  :  wuldor^dst  2912),  denn  wuldor 
ist  auch  das  lichtreich  des  himmels  {wip  drihtne  dwlan  meaJiton  wuldorfcestan  wie 
.  .  .  sipe^ltorhf  Gen.  26—28).  Auf  ags.  widdor,  widdrian  {and  herien  L  2,  20), 
iculdnm^  —  und  folglich  schon  auf  altgernian.  irnlpns  —  trifft  es  auch  zu,  dass 
'prachtentfaltung'  guten  ruf,  ehre  und  'rühm'  eingetragen  hat  (§öga  'guter  ruf, 
f/loria)  :  ffuda  du  tcnlpan  k  1,  20;  du  fraiijins  ivnlpau  8,  19;  icidßns  Xristaus  23 
vgl.  L  19,  38.  2,  11.  32.  17,  18  R  11,  36  T  1,  17  (swerißa  Jah  wulpus)  Pill  3,  19 
(wul/ms  in  skandat)^  es  reihen  sich  hauhjan,  hauhjeins  ('Verherrlichung'),  hauhipa 
(Söga)  an  (J  7,  39.  17,  1.  4-5.  12,  41.  43.  9,  24.  8,  49-50.  54  L  14,  10). 

2)  5dga  durchleuchtet  den  av9-pa)7io5  uvsoiiaiuös  und  treibt  aus  ihm  das 
strahlenhündel  des  nimbus  hervor  (Reitzenstein,  Historia  monachorum  [Gott.  19 16] 
s.  214):  wulpus  L  9,  29-32;  umllms  fraujins  biskain  ins  2,  9  vgl.  Mc  9,  2-3  Phl 
3,  21  (:C  1,  12);  liuMida  in  hairtam  nnsaraim  du  liuhadein  kunpjis  wul/jaus  gudis 
k  4,  6.     Auch  ags.  wuldorhama  (prunkgewand)  ist  zu  'lichtleib'  geworden. 


48  .  KAIJITMAKN 

gatewifjs  ^  fram  aikklesjoni  .  .  . 

g-aredandans  auk  goda  .  .  .  k  8,  10-12.  19.  21. 

Die  heilsordnung  gottes  war  eine  gesetzgebuiig  für  das  köiiig- 
reicli  gottes.  raijin  (nieinungsäusserung  -  vor  einer  beschlussfassung) 
wurde  das  liauptwort  für  die  der  timreinx  (ov/.o()oiJ.rt)  gewidmete  ol/.o- 
vo[xia  ^tov  (heilsplan)  und  für  f^öyy.a  (Satzung)'',  Der  altgernianische 
ausdruck  befasste  unter  sich  die  wohlabgewogenen  meinungsäusse- 
rungeu  einer  zur  Verwaltung  berufenen  behörde,  der  an  einer  beschluss- 
fassung beteiligten  personen  *,  die  ein  amt  bekleiden  und  eine  herr- 
schaft  ausüben  {fidurragini,  raginon  L  8,  1.  2,  2  J  18,  14;  )-(igineis 
G  4,  2  vgl.  fauragaggi  und  fanragaggja  L  8,  3.  16,  1  if).  Auf  ihre 
vorschlage  und  ratschlage  (ragin)  folgt  die  beschlussfassung  {giidh 
garaideins  fVaTayr,  'Satzung,  Verordnung'  R  13,  2  vgl.  k  10,  13-16)-^: 
eine  bis  zur  beschlussfassung  gediehene  nieinungsäusserung  gelangt 
zur  beschlussreife  [garaips  L  3,  13  'verordnet')  und  zur  ausführungs- 
bestimmung  {gngrefts  'befehl'  L -2,  1  k  8,  12),  die  den  vorschlagen 
gemäss  ausfällt  (^arec/s 'ordnungsmässig'  R  13,  13  :  goi'ed au  -povostcti ai 
'einen  Vorschlag  [für  eine  nachfolgende  beschlussfassung]  machen  k  8, 
21)".  An  fauragaredan  kommt  nun  aber  auch  fauragalcikan  nahe 
heran :  gup  .  .  .  fauvagarairoj)  uns  du  suniive  gudedai  pairh  lesn  Xr/sfu 
in    imina    hl  le ikainai  {zlhjyly?)    wiljins  seinifi  .  .  .  Irinnjan  uiisis  runa 

1)  yßipoxo^ri%-e'\.c,  'von  den  gemeinden  gewählt'  auf  grund  der  abstiramuug 
durcli  liandaufheben ;  der  got.  ausdnick  bezieht  sich  auf  die  staudesordnung  oder 
die  reihenfolge,  wie  die  männer  in  reih  und  glied  stehen  {iaihunteweis  zehnreihig 
K  15,  6;  barjiznli  in  seinai  tewai  23  [Täy{ia  reihe,  Ordnung];  uuijateirips  'ausser- 
halb der  reihe'  th  3,  7  [>  unordentlich  =  »«n^'rttoss  6.  11  Th  5,  14;  diaxTsiv  wurde 
vom  kriegsdienst  gebraucht  vgl.  Handb.  zum  Neuen  test.  3,  2,  36  f.]). 

2)  YVWIJ.V]  k  8,  10.  Phm  14;  anabnsn  nl  haha,  Ip  raf/m  (/iba  K  7,  25;  vgl. 
Juuru.  of  engl,  and  german.  philol.  16,  251  ff'. 

3)  bi  ragina  gndis  .  .  .  raginam  seinaim  C  1,  25.  2,  14. 

4)  Auch  anord.  regin  bedeutet  'beratender  Vorschlag'  und  'gesetzgebende 
Verwaltungsbehörde' ;  vgl.  die  salfränk.  raginhnrgi.  Got.  ragin  steht  übrigens  in 
grammatischem  Wechsel  zu  rahnjan  (vgl.  z.  h.  Phl  2,  6);  den  abschluss  der  be- 
ratung  drückt  got.  garehsns  aus,  womit  auch  der  Zeitpunkt  gemeint  sein  kann,  in 
dem  ein  beschluss  zustande  kommt  oder  ein  gesetz  erlassen  wird  {arbinumja  .  .  .  vf 
raginjam  ist  jali  fauragaggam  und  garehsn  aftins  upoO-eap.ia  'termiu,  frist'  G  4,  2); 
eine  dem  heilsplan  gottes  angehörende  'bestimmung'  hebt  garehsns  namentlich  in 
der  Skeireins  hervor  (z.  b.  1,  5.  13  f.  2,  15.  18;  3,  8;  gardisns  gndis  8,  14). 

5)  EntSchliessung  über  eine  gesetzesvorlage,  gesetzgebung  {wltodis  garaideins 
vop.o9-£aia  R  9,  4;  dazu  witop  anahusne  garaideinim  gafairaiids  E  2,  15)  wird  mass- 
gebend  für   die   glaubens-  und  lebensordnung  (xavwv  'masstab'  G  6,  16  Phl  3,  16). 

6)  urredan  (eine  Satzung  vorschlagen  und  annehmen)  ('  2,  20;  nndredan 
(eine  bestimmung  treffen)  Skcir.  G,  9. 


DEU    STIL   UEK   GOTISCHEN   BIBEL  49 

iciljins  seinis  bi  wiljin  {z'j^oyJ.y)  saei  fauragaleikaid a  imma  du  faura- 
gaggjn  E  1,  5.  9-10  (dazu  die  randglosse  ana  leikainai  poei  ga- 
rnidida  in  imma^).  Diese  gTuudverschiedenen  verba  mögen  wohl  erst 
durch  die  bibelspraehe  in  nahezu  identische  beziehungen  zur  Vorsehung 
gebracht  worden  sein:  bei  leikan  und  leihains  (gefallen  finden;  o.  s.  13) 
musste  jedesfalls  eine  hellenisierung  der  Wortsippe  (Verbindung  mit 
garedan  und  garnidjan)  ihrer  umdeutung  auf  den  heilsplan  gottes  vor- 
hergehen -. 

Gottes  heilsplan  war  das  werk  seiner  Toota  (handugei  gudis  RH, 
33  K  1,  21.  24  E  3,  10)  und  blieb  sein  'VJCTrr^uov  (sacramentum). 
Rücksichtslos  den  nationalen  Überlieferungen  gehorchend  hat  Wulfila 
dies  'geheimnis'  durch  runa  dargestellt '^  Aber  wenn  er  von  rioia 
phidaiigardjos  gudis  Mc  4,  11;  runos  piitdinassaus  gudis  L  8,  10; 
riinn  wiljins  seinis  E  1,  9  spricht,  drückt  er  sich  nicht  mehr  altger- 
manisch aus;. sogar  runa  Xrisfaus  E  3,  4  C  4,  3  hat  mit  der  deutung 
auf  runa  aiwaggeljons  E  6,  19  (gottes  wort)*  eine  biblisch-hellenistisciie 
färbung  bekommen.  Es  gibt  beispiele  dafür,  was  jene  ruuen  ent- 
hielten. Die  'auferstehungsrune'  ist  das  grosse  geheimnis  vom  welt- 
ende, das  den  laien  verschlossen  bleibt,  aber  unter  uns  die  erinnerung 
an  die  prophetie  der  Voluspä  erweckt: 

sai  runa  izwis  qi|)a 
allai  auk  ni  gaswiltam 
ijj  allai  inmaidjnndu 

suns  in  bra^-a  augins 

in  spedistin  Jjuthaurna  {juthaurnei[)  auk 

jah  daujjans  usstandand  unriurjai 

jah  weis  inmaidjunda  K   15,  51-52  vgl.  RH,  Sö-Sß''. 

vuno   heisst  im   got.    schon    'geheimnis'    und   hat   die  bedeutung 

1)  faurayaiedanai  bi  iciljin  tjudis  (xa-cä  7:pö9-eaiv)  pis  alkt  in  allalm  wanrk- 
jfuidins  hi  mnna  wiljins  seinis  (y.axä  tyjv  ßouXrjV  toö  8-eXTj[iaxo5  «'jxoü)  E  1,  11. 

2)  Vgl.  {ija)leikan  R  8,  8  Th  2,  15.  4,  1  Mc  1,  11:  J  ^,  29  Th  3,  1  {gaki- 
kaida  uns  'wir  beschlossen')  u.  a.  L  1,  3.  10,  21  (eySoxta  >  swa  warp  galeikaip  'so 
war  es  dein  wille')  K  1,  21  (:  k  12,  10  'habe  Wohlgefallen  gefunden' u.  a.).  Griech. 
suSoxia  ist  doppelsinnig  ('Wohlgefallen'  th  1,  11);  die  zweite  nächstliegende  got. 
eutsprechung  war  tvilja  R  10,  1  [rjods  wilja  Phl  1,  15  L  2,  14);  daher  denn  auch 
leikains  die  funktion  von  7tpö9-sat;  übernehmen  konnte  (t  1,  9)  >  mnns  ('plan'; 
gedanke  als  vorhaben  und  absieht)  <//tdis  R  9,  11:  trilju  19;  E  3,  11  (:  R  13,  1-1 
k  8,  11 ;  2,  11  voYjjiaxa  'anschlage'). 

3)  {i£|JiÜTfj[iat  (bin  eingeweiht)  >  nspropi/js  im  Phl  i,  12  (bin  geübt). 

4)  Vgl.  eis  ni  waihtai  pis  fropun  jah  was  pata  waurd  nafnlyin  af  im  jah 
ni  wissedun  po  (lipmnona  L  18,  31. 

5)  Dazu  die  'Weissagungen'  Th  4,  13-17  th  2,  1-4. 
ZEIT.SCimiFT   F.  DEUTSCHE  PHILOLOGIE.     BD.  XLIX.  4 


50  KAUFF-MANN 

vou  y.ur;Tr,piov  (sacramentiim)  übernommen.  Die  runen  gottes,  vor  den 
unmündigen  verborgen,  werden  nur  den  geistbegabten  ])neumatikern, 
Sehern  und  proplieten  otüenbar  {jah  jidxii  habau  praiift^ljans  jah  ivitjau 
allaize  runos  .  .  .  K  13,  2).  Paulus  mit  solchem  beruf  von  gott  be- 
gnadet, ist  geistbegabter  amtsverwalter  von  gottes  geheimnissen  und 
macht  die  verborgene  Weisheit  gottes,  die  runen  des  jenseits  in  der 
diesseitigen  weit  bekannt.  „Wir  verkünden  gottes  geheimnisvollen, 
verborgenen,  weisheitsplan,  den  gott  vor  allem  lauf  der  weiten  zu 
unserer  herrlichkeit  sich  vorgenommen  hat  .  .  ."  K  2,  7-15;  z.  b.: 
hausideduj)  fauragaggi  (ol/.ovoy.ty.)  (/udis  anxtais 

sei  gibnna  ist  mis  in  izwis 
unte  bi  andhuleinai  gakannida  was  mis  so  runa 

swe  fauragamelida  in  leitilamma 
du{)l3e  ei  siggwandans  mageij)  fraj^jan  frodein  meinai  in  ruuai 

Xristaus 
f»atei  anl3araim  aldim  ni  Ivunf)  was  sunum  manne 
swaswe  uu  a  n  d  h  u  1  i  J)  ist 

I^aim  wnham  is  apaustaulum.  jah  praufetum  in  ahmin 
wisan  piiidos  gaarbjans.  jah  galeikans 

jah  gadailans  gahaitis  is  in  Xristau  lesu.  |)airh  aiwageljon 
Jiizozei  warf)  andbahts  ik.  bi  gibai  anstais  gudia 
|)izai  gibanon  mis  bi  toja  mahtais  is 
mis  |)amma  undarleijin  allaize  |)ize  iceihane 
atgibana  warj)  ansU  so  in  pludoni 
wailamerjan  ])0  unfairlaistidon  gabein  Xristaus 
jah  inliuhtjan  allans 
Mleik  {Data  fauragaggi  runos 
Jjizos  gafulgiuons  fram  aiwam 
in  guda  |)amma  alla  gaskapjandin 
ei  kannij)  wesi  nu     reikjam  jah  waldufnjam 
in  I^aim  himinakundam.  f)airh  ail'klesjon 
so  filufaiho  (managfal|)o)  handugei  gudis  E  3,  2-10. 
{)izozei  war[)  ik  andbahts  :  bi  ragina  gudis 
|)atei  giban  ist  mis  in  izwis 
du  usfulljan  waurd  gudis 
runa  sei  gafulgina  was  fram  aiwam  jah  fram  aldim 
i{)  nu  gaswikun])ida  war])  fiaim  weiham  is 
I^aimei  wilda  gu|)  gakannjan 
gabein  wull3aus  [jizos  runos  in  I)iudom 

f)atei  ist  Xristus  in  izwis.  wens  wul{)aus  C  1,  25-27. 


DER    STIL   DER    GOTISCHEN    BlßEI,  51 

Ich  verweise  noch  auf  die  'g-laubensrune'  (nina  (jalnuheimis 
T  3,  9)  und  das  wundersame  'runenlied'  {ycigiiflnns  rmia  16;  Zeitschr. 
48,  72),  das  uns  der  tiefe  und  weite  des  abstaudes  inne  werden  lässt,  der 
biblische  und  altgermanisehe  liturgie  voneinander  trennt.  Auf  grund 
der  usuellen  bedeutung  hatte  ni)ia,  mit  <j:jn-'r,o\ov  (sacramentum)  asso- 
ciiert,  die  bedeutung  dieses  fremden  Wortes  angenommen  und  zu- 
gunsten des  hellenistischen  siunbegriffs  A-on  seiner  altgermanischen 
Sonderbedeutung  etwas  eingebüsst^  Aber  es  ist  doch  von  stilgeschicht- 
lichem und  religionsgeschichtlichem  Interesse,  dass  nina,  zaubermässigen, 
und  ;j,'jGTrcwv,  sakramentalen  gehalts,  ineinander  aufgegangen  sind  und 
unmittelbare  kraftwirkungen  heiliger  dinge  oder  heiliger  personen  be- 
zeichnen. Darum  konnte  runa  gndis  in  der  Gotenbibel  für  ßo-Ar,  ösou 
('was  gott  mit  den  menschen  vor  hat"  L  7,  30)  eintreten  (vgl.  muns 
iviljin>i  seiitis  Jio'j}//;  toü  OsAr'aaTo;  x^toG  E  1,  11)^  und  es  durften  der 
rwu(  giidis  sogar  die  runo:^  hairiane  (ßouAzl  tcov  -/.apSiav  'kraftwirkungen' 
K  4,  5)  folgen  •^  Weitab  von  diesem  mythischen  bezirk  führen  die- 
jenigen stellen,  wo  nnui  oder  das  kompositum  garnni  in  profanem 
sinn  für  griech.  G'jaßou^.iov  erscheint  (M  27,  1  Mc  3,  6.  15,  1).  runa 
niman  'eine  beratuug  abhalten'  (M  27,  1)  findet  an  dem  sonstigen 
Sprachgebrauch  der  Germanen  einen  rückhalt^,  während  die  Variante 
(jaruni  eine  gotische  besonderheit  darstellt.    Unter  Westgermanen  und 


1)  'Offeubarungen'  «ind  verlautbarungeu  gottes  (G  2,  2),  die  man  riechen, 
schmecken,  hören  oder  sehen  kann  (k  2,  14-16.  12,  4  J  12,  28  f.),  himmelserleb- 
nisse;  himmelsgüter  weiden  sterblichen  menschen  zu  teil,  den  frommen  wird  der 
himmel  aufgetan,  die  äugen  menschlicher  herzen  werden  für  die  gotteserkenntnis 
aufgeschlossen  (E  1.  17  if.);  dem  visionär  (pneumatiker)  enthüllt  sich  gott  (k  12, 
1.  7),  wenn  ein  |i'ja-r,p'.ov  menschlichen  sinnen  sichtbar  oder  erkennbar  wird  (E  3, 
3.  5;  yjip^a'^a.  K  14,  20).  Dies  beruht  auf  der  biblischen  'erleuchtung'  (E  1,  18. 
3,  9-lU  L  2,  82  th  1,  7-8).  Sie  verbindet  sich  mit  altgermauischem  ruuenwesen 
und  so  entsteht  die  formel  runa  f/abairhtjcm  C  4,  3—4  oder  runa  sicikunpjan  C  1 ,  26 
(vgl.  t  1,  10):  gafnlfjina  (vgl.  C  3,  3-4).  T  5,  24-25  klingt  mit  anord.  folgit  i 
rvnvm  (Suorra  Edda  1,  216)  zusammen  {filhan  :  andhuljan  L  K»,  21;  gabairhtjan 
Mc  4,  22  [M  6,  4.  6];  fratija  .  .  .  fjaliulifeip  aiutlauyn  riqizis  jah  gabairhteip 
runos  hairtane  K  4,  5  [:  14,  25]  vgl.  J  7,  4.  10  L  19,  42.  8,  17). 

2)  Got.  muns  ist  an  anord.  Muninn  (und  Hnyinn  Opins)  anzuknüpfen;  epi- 
phanien  gottes  sind  die  sog.  wunderzeichen  got.  taikneis  jah  fauratanja  ar^iieia 
xal  xspaxa),  seine  Offenbarungen ;  vgl.  Groeper  s    55  f. 

;fj  Vgl.  US  managaim  hairtam  mitoneis  L  2,  35;  po  analaugnona  hairtins 
K  14,  2'). 

4)  gengnn  im  an  huarf  samad  rinkos  an  runa  bigunnun  im  radan  tho  .  .  . 
Hei.  5Ü61ff.;    riedun    an    runu    4138  C;    nim    thu    ina  sundar  fe  thi,  f/ienc  rink  an 

rinia  3225  f. 

4* 


52  KAUI'F.MAiNX 

Nordgerm  an  en  ist  rann  'beratung-  eines  geheimnisses"  (-  Unterredung) 
ganz  geläufig,  auch  die  bedeutung  'mysteriuni,  sacramentuni'  ist  be- 
legbar (Ahd.  gl.  1,  210,  20;  huli^e  n'ine  Elene  1169  [:  dryhtnes  word]; 
JQtnn  ri'itiar  ok  allra  gopa  Vaf{)rüfjnesm.  43),  aber  das  kollektivuni 
garuni  durchaus  der  sakralen  funktion  vorbehalten  (Ahd.  gl.  1,  244,  10; 
gotes  giruni,  giruni  hhnilorihlies ;  and.  liiiiiilisc  giruni ;  ags.  heofonlic 
^eryne,  heaj-enn  rices  ■^enjnii).  Wenn  folglich  die  westgermanische 
bibelsprache  in  dieser  hinsieht  von  der  ostgermanischen  unabhängig, 
so  erhellen  sich  gegenseitig  die  gemeinsamen  nationalisierungsversuche, 
die  den  sinn  eines  von  geheimnisvollem  raten  und  raunen  umspon- 
nenen altheidnischen  wortes  christlich  verwerteten,  vom  geheimnis 
eines  einzelnen  dings  über  das  grosse  ganze  des  göttlichen  heilsplanes 
und  vom  massiven  vertrauen  auf  die  Zauberkraft  irdischer  objekte^ 
über  eine  unsinnliche  weit  der  himmelswunder,  theologischer  begrifte 
und  religiöser  werte  erweiterten. 

Das  gegenstück  zu  dieser  umstilisierung  eines  altgermanischen 
kultausdruckes  zu  einem  sinnbegrift"  des  Christenglaubens  haben  wir 
an  got.  ^<2)ill  (ausspräche  oder  Verkündigung  eines  geheimnisses;  in 
wort,  rede  und  lied  gebundenes  geheimnis  =  p-u&oc).  Schon  ihre  Vor- 
geschichte musste  runa  und  Hpeli  zusammenführen  (i  calrünom  vlgspJQll 
Helg.  Hundingsb.  II,  1 1)  ^  In  der  Gotenbibel  konnten  daher  spül  und 
spillon  neben  dem  uns  von  märe  und  märchen  her  dichterisch  an- 
mutenden merjnn  bei  der  Verkündigung  der  runen  gottes,  seines  ge- 
heimnisvollen heilsplans  (durch  die  heilsbotschaft  des  suaYysXiov)  vor- 
treffliche dienste  leisten,  die  Wulfila  gründlich  ausgenutzt  hat.  ^pill 
'zaubermärchen,  mythus'  (t  4,  4  T  1,  4.  4,  7  Tit  1,  14)  hatte  das 
auf  ein  glückverheissendes  omen  hindeutende  kompositum  '^ piiip^ipill 
neben  sich  und  dieses  vollwort  vermittelte  für  piipspilioit  die  Ver- 
tretung   von    vjy.yytkCCzr:d-xi'\      Auch    in    diesem    fall    sind   die  West- 

1)  Altijerman.  rthm  war  das  'geheimnis'  eines  konkreten,  individuellen  (dem 
niensclieu  nützlichen)  gegenständes,  dessen  machtwirkung  (wunder)  in  jener  geheimen 
eigenschaft  erfasst  Averden  konnte;  jedes  vom  menschen  erlebte  'ding'  hatte  seine 
'rune'  —  so  auch  die  spräche  und  späterhin  die  schrift  —  ein  geheimes  wesens- 
raerkmal,  mit  dem,  wenn  es  'erraten'  worden  war  dank  seiner  kraftvvirkung  ge- 
zaubert werden  konnte  (anord.  mef/ennUtar  usw.);  vgl.  Petsch,  Das  deutsche  volks- 
rätsel  (Strassb.  1917)  s.  1  ff. 

2)  E.  Schröder,  Zeitschr.  f.  d  alt.  37,  241  ff.;  i^pjalli  -  nhii  s.  254.  263  f.  '267; 
ristom  rihi  d  hörne,  i-jöpom  spjidl  i  dret/ra  Egilssaga  c.  44  ('runen'  zauberkräftige 
'ausdrücke',  die  das  geheimnis  des  objekts  in  Wirkung  setzen);  vgl.  die  got.  haljaninae. 

3)  Groeper  s.  31tf. ;  vgl.  ferner  den  gebrauch  des  simplex:  pize  spillondaitf 
gaicairj}!.,  pize   spülondane  pitij)  E   10,  15  :  spiUon   5tv)YY]oaad-ai   Mc  5,  16.  9,  9  Neh 


DER    STIL    DKl;    ( ;()  11S(  II KX    iilBMl,  53 

germanen,  von  dem  gleichen  Stilwillen  beherrscht,  dieselben  wege 
gewandelt  und  haben  sich  für  dieselbe  Wortwahl  entschieden  (ags. 
;^6dspM  [=  got.  *piup^pill]  >  ^odspell  euangelium,  .jod^pellian  euangeli- 
zare;  and.  rjoänpell;  ahd.  yotspel  und  goisi)ellon)\  Dabei  ist  zu  be- 
rücksichtigen, dass  schon  dem  altgermanischen  Stammwort  spell  auf 
grund  des  Zeugnisses  von  westgerman.  hUydl  nicht  bloss  etwas  my- 
thisches, sondern  zugleich  auch  etwas  lehrhaftes  innewohnte-,  das 
durch  die  Zusammensetzung  mit  got.  Inup,  ags.  ,jof/  verstärkt  wurde 
und  den  bibelübersetzern  zugute  kam.  Diese  feststellung,  dass  der 
Gote  bei  solch  archaischer  Wortwahl  mit  dem  Angelsachsen  überein- 
stimmt, setzt  seinen  auf  Volkstümlichkeit  abzielenden  Stilisierungstrieb 
ins  licht. 

Die  Verkündigung  der  in  der  heilsbotschaft  offenbarten  himmels- 
geheimnisse  w^andte  sich  an  die  zuhörer,  um  sie  in  das  königreich 
gottes  einzuladen  und  zu  berufen  {lapon  M  9,  13  E  9,  24;  haitan 
L  14,  10  ff.  16  ff.  u.  a.).  Nahmen  sie  die  Verkündigung  und  die  be- 
rufung  verständnisvoll  erleuchtet  an,  so  wurde  von  ihnen  'busse',  d.  h. 
eine  Sinnesänderung,  ein  Wechsel  ihrer  gesinnung  (^asrävota)  ■*  gefordert, 
den  Wulfila  durch  idreiga  ausdrückte:  ni  qam  lapon  garaihtaini  ak 
fraivaiirhtans  in  idreiga  L  5,  32  vgl.  Mc  6,  11-12  k  7,  8-10: 

unte  jabai  gaurida  izwis  in  {)aim  bokom  ni  idreigo  mik 
jah  jabai  idreigoda  ('tat  es  mir  einmal  leid') 

-  gasai/e^a    auk   J3atei    so  aipistule.  Jaina  jabai  du  leitilai  A-cilai 

gaurida  izwis  - 
nu  fagino 

ni  unte  gauridai  wesu{j 

ak  unte  gauridai  wesuji  du  idreiga  ('zur  reue') 

saurgaidedu|)  auk  bi  guf) 

6,  19  ^  Hsspillon  L  8,  39.  9,  10  {iinusspilloßs  dv£y.S'.-/iYrj-os  k  9,  15);  f/aspillon 
S'.ayYsXXetv  9,  60  {piuilaugardja  gudis)  :  spillon  suaYYsXtCsaS-ai  L  2.  10  =  uaila- 
spillon  8,  1 ;  piupspillon  3,  18. 

1)  Vgl.  godspell  that  guochi  Heliand  25;  spei  godes  572.  1876.  1381.  2650; 
söds2)eU  3838  (wilspel  519.  527  u.  ö. :  sorgsjyell  3174):  auch  anord.  gnpspjall  stammt 
von  ags.  ^odsjyell  ab  (Kahle  a.  a.  o.  s.  65  f.). 

2)  Ahd.  forctspel,  forasagono  spei  (prophetia) ;  s^jpI  parabola  (Ahd.  gl.  1,  224, 
27.  528,  20),  fabula  (2,  434,  14),  mythus :  uera  deraouent  omne  fictum  et  disciplinas 
annotabunt  sobrias  nee  uitabunt  fabulas  [speJ]  Xotker  cd.  Piper  1,846  f.;  vgl.  mid 
spelhim  listas  heran  Gen.  516  f.;  dazu  Heliand  1731  f.  19^2.  2416. 

3)  itimaidjaip  ancmhijipai  frapjis  iziraris  K  12,  2  :  idreigonds  [istajisXT^a-S'S 
M27,  3;  tun  idreiga  (dp.£Ta|i£Xvjxa  'unwiderruflich')  sind  auk  gibos  jah  lajwns  gudis 
R  11,  29;  zur  frage  nach  der  Wortbedeutung  von  iisxävoia  \\ni\  i^aenitentia  vgl. 
Norden,  Agnostos  Theos  s.  134  ff. 


54  KjVüffmann 

ei  in  waihtai  ni  g-aslei[)iain(iau  us  unsis 
unte  so  bi  gu|)  saurg-a 

idreiga  du  ganistai  gatulgida  ustiuhada 
i{3  J)is  fair/?/aus  saurga  daujiu  gasmipofj. 
Es  kam  darauf  an,  umzukehren  {id- :  ags.  nd.  ed  'zurück')  und 
wieder  von  vorn  anzufangen,  sünden  zu  bereuen  und  zum  glauben 
sieh  zu  bekehren  {idreigop  jnJt  ydlauht^ip  in  aiicaggeljon  Mc  1,  15  vgl. 
L  15,  7.  10),  sich  zu  bessern.  Die  Westgermanen  haben  botn  (besse- 
rung) '  oder  hriniva  (reue),  der  Gote  hat  anscheinend  einen  der  volks- 
tümlichen anthropolog-ie  entlehnten  ausdruck  (anord.  iprar,  ißrask; 
nicht  zu  verwechseln  mit  ipraj-  <  innrar)  damit  betraut,  diese  neuartige 
forderung  der  christlichen  religion  (busse  zu  tun)  den  Volksgenossen 
zu  verdeutlichen  oder  zu  versinnlichen".  Wo  eine  neue  gesinnung 
bewirkt  worden  ist,  sondern  sich  die  berufenen  und  bussfertigeu  von 
den  ungläubigen  ab  (K  7,  12  ff.):  der  gesinnungswechsel  trägt  den 
frommen,  die  zu  gott  sich  halten  {(jaijuds :  aßjuds)  eine  'weihung' 
(läuterung-  und  erlösung)  durch  sein  pneuma  oder  seinen  logos  ein. 
Dieses  höchste  erlebnis  des  religiösen  menschen  wurde  durch  griech.  ayioc, 
einen  ausdruck  kultischer  reinheit  dargestellt.  Ihm  liess  der  meister 
der  gotischen  bibel  sein  altgeheiligtes  adj.  iveihs  entsprechen  und  nach 
griech.  Vorbild  den  gegensatz  des  'reinen'  und  'unreinen'  hervortreten: 
J)ata  auk  ist  wilja  gudis 
weihi|)a  izwara 

ei  gahabaiji  izwis  af  kalkinassau 
ei  witi  ^arjizuh  izwara 

gastaldan  sein  kas  in  weihi{)ai  jah  sweri{)ai 
ni  in  gair  .  .  .  lustaus  .  .  . 
unte  ni  lajjoda  uns  guft  du  unhrainijjai 

ak  in  weihiija  Th  4,  3-5.  1 -^  vgl.  t  2,  21. 
Dass   sich    darüber   hinaus   got.  icelhs  hellenistisch  verfärbte,  ist 
nicht   zu  bezweifeln ;   ist  es  doch  prädikat  des  christlichen  gottes  und 
seiner  himmlischen   heerscharen  und  auf  abstrakte  begriffe  abgezogen 

1)  Got.  gabotjan  Mc  9,  12  bezieht  sich  auf  das  äussere  (in  Ordnung  bringen) 
wie  gahatnan  7,  11  (zu  gut  haben)  und  nicht  auf  das  innere. 

2)  qaino  managans  pize  faiira  fraivaurkjandane  jah  ni  idreigondane  ana 
nnhrainipai  poei  gatmvidedun  k  12,  21;  jahai  frawaurkjai  .  .  .  idreigo  mik  L  17, 
3-4;  vgl.  M  11,  20-21. 

3)  hrctinjam  unsis  af  allamnm  bisaiileino  leikis  jah  ahmins  iistmhaudans 
weihijja  in  agisa  gudis  k  7,  1  vgl.  E  5,  3  :  26—27  {gatveihaidedi  gahrainjands  .  .  . 
weiha  jah  unwamma).  ],  4. 


DER   STIL  DER   GOTISCHEX   BIBEL  55 

worden  ^  Dadurch  wird  aber  die  anuahme  nicht  widerlegt,  es  habe 
die  neue  religion  bei  der  älteren  gottesverehrung  anleihen  aufgenommen 
und  die  christliche  kultsprache  sei  gotisch  stilisiert  worden.  Wo  wir 
uns  im  kreise  der  ihrem  gott  verbündeten  und  geweihten  kultgenossen 
(anord.  vear)  und  an  den  heiligen  kultstätten  bewegen  und  den  kult- 
vorschriften  und  kultmassnahmen  begegnen,  findet  sich  altgermanischer 
Sprachgebrauch  ein:  du  alli  weihai  E  2,  21';  usgiöcm  saud  .  .  .  ueihcma 
R  12,  1  (opfertier)  dazu  11,  16^;  ivitoß  weihata  jah  anahusus  welha 
7,  12;  sa  loeiha  gndis  L  4,  34  Mc  1,  24.  6,  20'*;  gahauryjans  paim 
iveiham  jah  ingnrdjans  gud/'s  E  2,  19 ;  ganalidai  gud/'s^  weihnns  jah 
walisans  C  3,  12^.  iveihs  gehörte  offenbar  ursprünglich  zu  der  ter- 
minologie  des  opferwesens,  verhielt  sich  zu  vsweihs  (entweiht,  profan; 
T  4,  7  t  2,  16)  wie  gaguds  zu  aj'guds  oder  wie  airkns  zu  imairhis 
(was  der  weihe  und  des  opfers  würdig,  echt  oder  unecht  war ;  a/rknißa 
kiusands  k  8,  8  :  uttairhia/  [7-\ön'.oi]  jah  usiceiha/  T  1,  D)*"  und  kreuzte 
sich  mit  swikns,  das  den  altgermanischen  sinnbegriff  der  'Unschuld' 
(ags.  i<ivicit,  anord.  sykn)  oder  kultischen  reinheit  vertrat  {blop  sivikn 
y.iij.y.  a^oiov  M  27,  4;  maiija  sivikna  iisgiban  XrUtau  ayvd;  .  .  .  siviknel 
ayvoTTi;  k  11,  2-3  :  hlutrs  7,  11)'.  Wohl  hat  das  opferwesen  im 
Neuen  testament  eine  vergeistigung  erfahren,  die  der  germanischen 
Vorzeit  nicht  bewusst  war  (Phl  2,  17),  aber  trotzdem  ist  bei  den 
Angelsachsen  hüsl  für  die  eucharistie  **  nnd  bei  den  Goten  himsl  für 
den  opfertod  Christi  erhalten  geblieben  (Xrisfiis  .  .  .  atgnf  sik  silhan 
faur  uns  hunsl  jah  saup  gada  xpoGQopav  y.al  i^uGiav  E  5,  2).  Im  goti- 
schen steht  hunsl  sogar  noch  in  ausserchristlichen  beziehungen ;  es 
hat   der   Übersetzer   dies   heidnische   wort   der   alttestamentlichen  oder 


1)  ireih  ncnno  is  L  1,  49  ;  ahnia  iveihs  .  .  .  iveihs  haitada  siinits  giulis  35;  pise 
iveihane  aggele  9,  26  u.  ö.;  atta  weiha  J  17,  11:  tveihai  ins  in  siinjai .  .  .  17-19; 
weihipa  (doidxrjs)  snnjos  E  4,  24  in  {gri)frijonai  weihai  K  16,  20  Th  5,  26 :  27 
{paim  iveiham  bropnim). 

2)  ivili-alah  Heliand  103-4.  464-65  u.  a. ;  anord.  re,  ags.  w!h  {weobecl)  tcm- 
plum;  got.  runeniüschr.  gutanio  wi  hailag  (Braune,  Beitr.  43,  398  ff.). 

3)  kaznh  gumal-undaize  ushikands  qij/ii  iveihs  fraiijins  haitada  L  2.  23  vgl. 
and.  thene  meti  wthida  Hei.  2854. 

4)  VgJ.  L  1,  70  R  12,  13  T  5,  10  E  3,  5. 

5)  Ferner  etwa  M  27,  52-53  L  1,  72  K  16,  1.  15  k  1,  1.  9,  12  E  3.  is. 

6)  airkns  T  :<,  3  B :  iraliso  Phl  4,  3  T  1,  2  Tit  1,  4  (o.  s.  34). 

7)  Phl  1,  17:4,  8  (weih)  T  5,  22.  4,  12.  5,  2  G  5,  23  k  6,  6;  J  3,  25  xa^a- 
pioiiös  [ihraineins  L  2,  22;  gahraineins  5,  14  Mc  1,  44];  öaiog  T  2,  S:ivrihs  Tit 
1,  8  Th  2,  10  vgl.  L  1,  75  E  4,  24. 

8)  >  anord.  hi'isl,  hiisla  Kahle  s.  62  f. 


56  KAUFFMANX,    DER   STIL    DEU   (iOTISCllEN    DIBEI. 

heidnischen  opferpraktik  gewidmet '  und  auf  tieropfer  oder  die  an  das 
schlachten  der  tiere  sich  anschliessenden  opfermahle  und  opferfeste 
angewendet.  Berücksichtigt  man  nun  ags.  hüd  (abendraahl;  hiisl^en^a), 
so  drängt  sich  die  Schlussfolgerung  auf,  Ininsl  sei  einstens  das  heilige 
mahl,  die  für  die  opfermahlzeit  ausersehene  opferspende  gewesen'. 
Das  opfertier  heisst  UIj)-  (ags.  tihe]-)  und  saups,  die  opferzeremonie 
{aln)bnins(s  ^  und.  sa/jan.  Die  für  den  opfertod  Christi  gewählte  formel 
him>fl  (opfermahl)  jah  saups  (opfergabe)  E  5,  2  Skeir.  1,  5  wäre  da- 
nach so  zu  erklären,  dass  das  opfer  einerseits  die  kreuzigung  {saiips 
R  12,  1)  und  andererseits  deren  gedenkfeier  (mahlzeit,  nahtamats) 
einschloss.  Hat  sich  der  Gote  mit  solcher  wortwahl  an  den  heimischen 
gottesdienst  angeschlossen,  so  hat  er  sich  von  ihm  losgelöst,  wenn  er 
got.  hunsl  nicht  bloss  für  griech,  7:po(7©opy.,  sondern  auch  für  das  weit 
allgemeinere  t%c>ia  gebrauchte  (M  9,  13)  und  mit  ffciups  vertauschte 
(L  2,  22-24;  anord.  saupr  schaf).  Die  mit  der  spiritualisierung  des 
opferbegrifts  zusammenhängende  Verallgemeinerung  wird  mehrfach  be- 
kräftigt^ und  hat  dazu  geführt,  dass  hunsl  sogar  für  laTpsia  eintrat^, 
dem  doch  sonst  got.  bloUnassus  entsprach: 

bidja  nu  izwis  brojDrjus       Jjairh  bleif)ein  gudis 
usgiban  leika  izwara       saud  qiwana  weihana 
waila  galeikaida  guda     andafjahtana  blotinassu  izwarana  R  12, 1 . 

Es  ist  der  opfer  dien  st  damit  gemeint  (skalkinasms  R  9,  4; 
blotnn  fraiijan  Xarpsusiv  L  2,  37  :  skalkinon  1,  74  vgl.  K  5,  10-11 
E  5,  5  6  5,  20  C  3,  5);  blotan  und  blotinassns  sind  die  unserem 
'kultus'  adäquaten  ausdrücke  Mc  7,  7  vgl.  th  2,  4  C  2,  18  (dämonen- 
kult).    Auch  sie  wurden  ihrer  rituellen  funktionen  enthoben'',  nahmen 

1)  nnairknai  (dvöaioi)  Knlinnslayal  (aa7i:ov5oi)  t  3,  3 ;  barjatoh  kunsle  (9-uoia) 
salta  saltada  Mc  9,  49  vgl.  K  10,  18-25  {hiuds :  ags.  ireobed).  27-28  [saljan  :  iif- 
sneipan  5,  7  u.  a.) ;  dnljrjan  5,  8;  dulps  'opferfest'  .J  6,  4  L  2,  41—42  31  27,  15; 
festfeier  C  2,  16;  oxYjvoTcyjyta  J  7,  2;  vgl.  auch  Groeper  s.  28  ff . 

2)  hnnslastaps  ist  nicht  der  altar  (ags.  ireobed,  sledstyde  Geii.  1805—10), 
soudern  die  opferstätte  als  festplatz  (vgl.  fialiiificf^faps  K  8,  10;  GcniUjaupa  .ffrt/is 
TÖTzoz  Mc  15,  22  usw.). 

3)  allaiin  pxiim  alabrunsÜDi  jah  snudiin  Mc  12,  33  (6XoxaDxtü[iäxü)v  xal 
ö'uoiwv):  allen  bluostarun  inti  zebanin  Tatian  128,  4. 

4)  hnnsljada  OTzsvSojaai  t  4,  6;  unhiinslagai  aoirovSoi  3.  3  (unversöhnlich  und 
pietätlos  ermangeln  sie  der  scheu  vor  dem  heiligen,  bewahren  nicht  die  das  opfer 
heiligende  Stimmung  und  gesinnung,  sind  nicht  opferwillig). 

5)  sakazuh  izel  usqimipi  i.:>ris,  P)i((/(/keip  hnnsla  saljcui  (/nda  Xaxpsiav  npoa- 
ifipziy  J  16,  2;  vgl.  z.  b.  die  Schilderung  des  Isaak-  bozw.  widderopfers  (holocau- 
stum)  Gen.  2850  ff. 

6)  In    den    ahd.    denkmälern    ist    blnosfar    'opfer'    (sacrificium)  =  got.    Jnnisl 


CONSENTirs,    ALS   HEINRICH    rHRl.STlAN    V.OUZfi   XACHLASS  57 

an  der  vergeistig-ung-  des  kultwesens  teil,  wurden  auf  die  guten  werke 
und  auf  das  gebet  bezogen  (T  2,  8-10) ',  mit  andacht  verbunden 
(R  12,  1)  und  im  stil  des  christlichen  -gottesdienstes"  spiritualisiert. 
kraft  ihres  Stimmungsgehaltes  ganz  neu  gewertet.  Wenn  aber  gerade 
(jupblostrek  in  der  got.  bibel  zur  Übersetzung  von  {isoasßr,;  ausersehen 
wurde  ('gottes  willen  tun'  J  9,  31),  so  ist  damit  kurz  und  bündig  die 
nationalisierung  der  kultsprache  gelungen  {(joyitch  euccßr.c,  gugndei 
S'jTsßsty.  'erfüllung  der  kultischen  pflichten',  afyudei  äalßsty.). 

KIEL.  FKIEDRICH   KATFFMANX. 


AUS  HEINKICH  CHKISTIAX  B0IE8  NACHLASSE 

Textgeschichtliche  mitteilungen  zu 
Klo^j  stock,  Lessing,  Herder,  Gerstenberg,  Vnss  u  lul  anderen. 

(Fortsetzung.) 
B  0  i  e  s  drittes  s a  m  m  e  1  b  u  c  h. 
Erste  Hälfte. 
Um   feste   daten   für   das  dritte  samiuelbuch   zu  gewinnen,   betrachte  ich  zu- 
nächst die  fortlaufend   numerierten  eintragungen,   die  bis  nr.  150  gezählt  sind,   und 
liebe  von   den   gelegenheitsgedichten  —  die   wohl   alle   zuerst  in   einzeldrueken   er- 
schienen —  einige  heraus,  die  einen  terminus,  a  quo,  für  Boies  niederschrift  ergeben.  — 
Im  dritten  sammelbuche  ist  eingetragen  unter  nummer: 
7  Auf  die  Reise  Josephs  des  Zweyten.     Gesungen 

im  May  1769.  von  M.  Denis. 
Herauf,  o  Sonne !  lange  fchon  harret  dir  .  .  . 
V(ll.  M.  Denis,  Die  lieder  Sineds  des  barden,    Wien  1772,  s.  148. 

Boie  übernahm  das  stück  nicht  aus  der  Hamburgischen  neuen  zeitung  1769, 
99.  stück  vom  26.  juni. 

10  Das  Fest  des  Daphnis  un  d  der  Paphn  e, 

Ein  Wett-Gesang. 

Am  Tage  der  Vermaehluug  des  Prinzen  Friederich  Wilhelms  von  Preusfen 

und    der   Prinzesfin   Friederike    Louise    von   Hesfen-Darmftadt,    gesungen 

von  E.  D.  V.  X.  g.  V.  W. 

M  9,  13:  Tatian  56,  4;  Mc  9,  49:  Tatian  95,  5  (vgl.  102,  li;  128,  4  o.  s.  56  anm.  3. 
Die  altsächs.  bibeldichtung  hat  das  wort  gemieden ;  ags.  b/öt  stimmt  zu  anord.  blöK 
blöfa  und  diese  sippe  lässt  noch  deutlicher  als  ahd.  bl6z:an  oder  ags.  blötan  (Gen, 
2856)  den  Zusammenhang  mit  der  gottesverehrung  erkennen;  vgl.  Braune.  Beitr. 
43,  416  ff. 

1)  barusnjun    e-jasßsiv    T  5,   4  (Idg.  forsch.   20,    325);    »'nsibjis    äasßyjs  1,  9: 
M  7,  23  Mc  15,  28. 

2)  Vgl.  Zeitschr.  48,   389.     Lies   s.  396   zeilo    1 :  erliub   sich  s.  426  zeile  27 
V.  u. :  liefsen, 


58  CONSENTIUS 

Der  Schaefer. 
Ich  will  den  edlen  Daphnis  singen,  der  zur  Braut  .  .  . 
Vf/l.  K.  W.  Rainlers  Lt/risclie  gedickte,  Berlin  1772,  s.  271. 

Friederike,  zweite  tochter  des  landgrafen  Ludwig  IX.  von  Hessen-Darmstadt 
und  der  landgräfin  Karoline,  wurde  mit  dem  prinzen  Friedrich  Wilhelm  von  Preussen, 
dem  späteren  könig  Friedrich  Wilhelm  IL,  am  5.  juli  1769  in  Darmstadt  durch 
prokuration  vermählt;  vollzogen  wurde  die  ehe  in  Charlottenhurg  am  14.  juli  1769. 
32  Auf  Gell  er  ts  Tod.     Gesungen  im  Winter,  1769. 

von  Mich.  Denis  aus  der  G.  J. 
Gesang. 
Schauderndes  Lüftchen!  woher?  .  .  . 
Vgl.  M.  Denis.,  Die  lieder  Sineds  des  bürden,  Wien  1772,  's.  253, 

Geliert  starb  am  13.  dezember  1769;   also   kann    dieser   eintrag  und  die  fol- 
genden erst  nach  dem  todestage  Gellerts  angesetzt  werden. 
37  Minervabey  der  Wiege  des  neugebohrnen 

preufifchen  Prinzen  Friedrich,  Heinrich,  Aemilius,  Carls. 
21  Oct.  1769. 
0  Brennussohn !  Was  künftig  dein  Schicksahl  ist ;  .  .  . 
Nach  Bedlich,  Versuch  eines  chiffernlexikons  (programm),  Hamburg  1875,  s.  41,  von 
Ramler. 

40  An  Gleims  Geburtstage. 

2  Apr.  1770. 
Wenn  ein  Mädchen,  unter  seinen  Schweftern,  .  .  . 
Vgl.  Johann  Georg  Jacobis  Sämtliche  werke  II,  Halberstadt  1770,  s.  230. 

Dies  gedieht  besass  Boie  bereits  am  18.  april  1770  durch  Jacobi  selbst.  Boie 
lobte  es  Gleim  gegenüber  (Zeitschr.  27,  878,  ferner  s.  379). 

41  Kriegeslied  der  rusfifchen  Armee. 

bey  Eröfnung  des  Feldzuges.    1770. 
Frifch  auf,  ihr  Brüder,  frifch  auf  ins  Feld  .  .  . 
Vgl.  Johann  Gottlieb   Willamov,    Sämtliche  poetische  Schriften  II,    Wien  1794,   s.  65; 
Hamburgische  neue  zeitung  1770,  55.  stück  6.  april. 

42  ohne  Überschrift : 

Von  deinen  Siegen,  Caesar  Germaniens,  .  .  . 
Vgl.  K.  W.  Ramlers  Lyrische  gedichte,  Berlin  1772,  s,  156. ' 

1)  Am  28.  Januar  1770  meldete  Boie,  von  Berlin  aus,  seineu  angehörigen  in 
Flensburg  in  einem  tagebuchartigen  briefe,  dass  er  wieder  eine  neue,  ganz  voitreif- 
liche  Ode  von  Kamler  bekommen:  'An  den  Kayfer  Jofejjh  über  die  Zufammenkunft 
des  Kayfers  und  Königs',  und  Boie  teilte  seinen  angehörigen  dies  gedieht  mit,  das 
er  sofort  mit  Denis'  Ode.  die  aus  dem  gleichen  anlass  geschrieben  war  —  sie  steht 
unter  nr.  7  im  dritten  sammelbuche  —  verglich.  Fast  jeden  tag,  Avie  er  sagte,  lernte 
Boie  während  seines  Berliner  aufenthaltes  im  wiuter  1769/70  ein  neues  stück  von 
Kamler  kennen  (Euphorien  8.  s.  672).  So  findet  sich  eine  ganze  reihe,  auch  älterer, 
Ramlerscher  gedichte  im  dritten  sammelbuche  und  ebenfalls  eine  anzahl  von  ge- 
dichteu  der  Karschin.  Denn  auch  sie  besuchte  Boie  fast  täglich.  Von  Ramler  war 
Boie  entzückt,  und  die  Karschin  galt  ihm,  damals  Avenigstens,  als  eine  grosse 
dichterin. 

Das  dritte  sammelbuch  ist  in  seinem  anfange  eine  ergänzung  zu  Boies  Ber- 
liner reiseberichten.  Aber  in  dies  sammelbuch  ist  doch  nicht  alles,  wie  in  ein  tage- 
buch.  durchaus  in  chronologischer  folge,  d,  h.  so  wie  Boie  die  einzelnen  gedichte 
bekannt  wurden,   eingetragen.     Man   muss   vielmehr   daran   denken,   dass   Boie   die 


AUS   HEINRICH   CHRISTIAN   BOIES   NACHLASS  59 

43  G 1  e  i  m  a  n  W  i  e  1  a  n  d. 

Zum  Himmel,  Kronegk  nach,  hat  Geliert  fich  gefchwungeu,  .  .  , 
Fehlt  in  Gleims  Sämtlichen  werken,  hsg.  von    W.  Körte,  Hcdberstadt  1811  ff. 

Boies  Sammelbücher  bringen  eine  grössere  anzahl  von  gedichten,  bei  denen 
Gleim  als  Verfasser  genannt  ist,  die  nicht  in  der  Körtischen  ausgäbe  —  jedesfalls 
nicht  in  der  durch  Boie  überlieferten  form  —  stehen.  Hoies  nahe,  persönliche  be- 
ziehungeu  zu  Gleim  sind  bekannt,  so  dass  seine  Überlieferungen  immerhin  beachtnng 
verdienen.  In  Gleims  auftrage  bemühte  sich  Boie  auch  mit  der  Sammlung  um  gelder 
für  Gellerts  monument;  vgl.  z.  b.  Boies  brief  vom  11.  märz  1770  an  Nicolai,  ßamlers 
brief  vom  28.  märz  1770  au  einen  ungenannten  Leipziger  freund  (hs.  der  kgl.  biblio- 
thek  Berlin). 

44  AnKlopftock. 

Du  fchweigft,  und  alle  Stümper  singen  ?  .  .  . 
Vgl.  Almanach  der  deutschen  musen  (Leipzig)  1771  s.  59;   Verf.?  im  register:  'eines 
Gleims  würdig'. 

45  Auf  Gellerts  Tod  von  Mast  all  i  er. 

Die  Muse  und  der  Dichter. 
Der  Dichter. 
Was  soll  der  Trauerflor  an  deinem  Saytenspiel,  .  .  . 
Vgl.  Carl  Mastaliers  Gedichte  hiebst  öden  aus  dem  Uoraz,  Wien  1774,  s.  113. 

46  Ode  auf  den  Tod  der  einzigen  Prinzesfinn 

Tochter  des  Kaysers  von  Karl  Mastalier. 
Schwer,  wie  ein  kummervolles  Jahrhundert  auf  .  .  . 
Vgl.  Carl  Masta'iers  Gedichte  nebst  öden  aus  dem  Roras,  Wien  1774,  s.  102;  dort  mit 
der  datiemng :  Im  jähre  1770. 
59  Ode  an  Phil ib er t. 

Berlin,  am  24ten  Jenner  1771. 
von  Kamler. 
Des  Patrioten  Muse,  mein  Philibert,  .  .  . 
Vgl.  K.  W.  Ramlers  Lyrische  gedichte,   Berlin  1772,  s.  163;  Hamburgische  neue  Zei- 
tung 1771,  17.  stück  29,  Januar. 

Diese  gelegenheitsjjedichte  nennen  bestimmte  daten,  wann  frühestens  die  ein- 
iragung  in  das  sammelbuch  erfolgt  sein  kann. 

Bei  einer  weiteren  reihe  von  eintragungen  ist  als  quelle,  aus  der  Boie  schöpfte, 
ein  datierter  druck  angegeben.     Auch  diese  jaiireszahlen  bieten  einen   terminus,   a 

einzelnen,  gesammelten  gedichte  gelegentlich  —  und  dann  allerdings  mit  fortlaufen- 
der Zählung  — ,  aber  nicht  immer  in  der  reihenfolge,  wie  er  diese  stücke  erhalten,  in 
sein  buch  eintrug.  Denn  nr.  42  war  z.  H.  früher  als  das  unter  nr.  -10  eingetragene 
geburtstagsgedicht  in  Boies  band,  und  nr.  41  ist  vermutlich  überhaupt  erst  später, 
als  Boie  nr.  42  schon  bekannt  w.ir,  entstanden. 

Nr.  42  gab  Boie,  von  seiner  Berliner  reise  nach  Göttingen  zurückgekehrt,  am 
20.  april   177u  an  Raspe  weiter  (Weimarisches  Jahrbuch  III,   iS-ifi,  s.  "Jö). 

Als  Boie  während  seines  Berliner  aufenthaltes  verschiedene  gedichte  von  der 
Karschin  erhielt,  meldete  er  seinen  angehörigen,  dass  sie  'künftig  viel  von  ihr  in 
den  Uaterh[altungen]  lefen'  würden.  —  Von  den  'Unterhaltungen'  erschien  der  1.  bis 
lt>.  bd.  mit  den  jahresan.i;aben  ITi.H  bis  177u  in  Hamburg  bei  Michael  Christian  Bock. 
Bei  den  wechselnden  redaktionsverhältnissen  dieses  Journals  ist  es  eine  noch  unbeant- 
wortete frage,  in  welchem  masse  Boie  an  einzelnen  bänden  als  stiller  mitredakteur 
beteiligt  war. 


60  roxsKxii US 

quo,  für  Boies  niederschrift.  Z.  b.  ist  iir.  65  'Earl  Walther,  a  Ballad',  eine  ab- 
schwächende bearbeitung-  nach  Percys  Reliques  aus  den  'Poeras  by  a  Lady.  Lond.  1771' 
übernommen.'  Nr.  1U3  bis  lOö  sind  abschriften  ans  dem  'Alm.  des  Mufes.  1771',  Und 
nr.  112  'William  and  Margaret  an  ancient  Ballad'  stammt  in  dieser  fassung  aus  dem 
'Lond.  Magazine.  Jun.  1773  p.  276'.^ 

Bei  einzelnen  gedichten  des  dritten  sammelbuches  lässt  sich  ferner  nach- 
weisen, wann  Boie  sie  noch  nicht  besessen  oder  wann  er  sie  erhalten.  Z.  b.  nr.  47 
'Pergolefi's  Stabat  mater  von  Klopftock'  (Muncker  und  Pawel  I,  s.  212)  war  anfang 
oder  mitte  September  1770  noch  nicht  in  Boies  besitz.  Damals  bemühte  sich  Boie 
bei  Gottfried  Benedikt  Funk  vergebens  um  Klopstocks  text,  der  in  den  Göttinger 
musenalmanach  auf  1771  kommen  sollte;  aber  Funk  konnte  Bolen  den  text  jedes- 
falls  nicht  so  schnell,   als  es  für  den  abdruck  im  almanach  nötig  war,   beschaffen.^ 

Die  beiden  nr.  67  und  68,  nämlich  nr.  67  'An  Gallinette'  (vgl.  Ramlers  Lyrische 
gedichte  1772,  s.  108)  und  nr.  68  'An  den  Vulkan,  Bey  Erbauung  eines  Kamins  im 
Gartenhause'  (vgl.  Eamler,  a.  a.  0.  s.  21)  erhielt  Boie  nicht  vor  dem  15.  juni  1771 ; 
an  diesem  tage  sandte  K.  L.  v.  Knebel  aus  Potsdam  die  beiden  gedichte  oder  kündigte 
ihre  Sendung  an.     Er  schrieb : 

'.  .  .  wie  es  fcheint,  fo  kennen  Sie  die  beyden  Oden  an  Gallinette  und  an 
den  Vulckan  noch  nicht?  Sie  Tollen  fie  haben!  Aber,  Freund,  ich  verlafse  mich 
auf  Ihre  Treue!     Ich  seze  fie  immer  unter  die  heften,  die  er  gemacht  hat.  .  .  .' 

Diese  dateu  geben  für  die  herausgehobenen  nummern  des  dritten  sammelbuches 
den  Zeitpunkt  an,  wann  frühestens  die  eintragung  erfolgt  sein  kann. 

Zur  feststellung  eines  terminus,  ad  quem,  dient  mir  zunächst  der  eintrag  nr. 
36  Ode  an  den  Frieden.    1762. 

Wo  bist  du  liingeflohn,  geliebter  Friede?  .  .  . 
(K.  AV.  Ramlers  Lyrische  gedichte,  Berlin  1772,  s.  61.) 

Boie  tadelte  am  30.  dezember  1771  Gleim  gegenüber,  dass  das  konkurrenz- 
unternehmen  zum  Göttinger  musenalmanach,  Christian  Heinrich  Schmids  Almanach 
der  deutschen  musen  a.  d,  J.  1772  (Leipzig),  diese  ode  auf  s.  2-4  gebracht  hätte,  und 
Boie  schrieb :  auch  er  hätte  die  ode  drucken  lassen  können,  wenn  er  'fo  was  ohne 
Erlaubnifs  thäte'.*  Danach  war  diese  Ramlersche  ode  bereits  bei  druckleguug  des 
Göttinger  almanachs  in  Boies  besitz  und  wahrscheinlich  auch  in  sein  drittes  sammel- 
buch  eingetragen. 

Ein  noch  bestimmteres  datum  für  die  eintragungen  ergibt  der  vergleich  einiger 
nummern  mit  dem  druck  in  den  Göttiuger  musenalmanachen  auf  1770,  1771  und 
1772.  Man  vergleiche  z.  b.  aus  Boies  drittem  sammelbuche  nr.  7  (von  Denis)  mit 
dem  Göttinger  musenalmanach  auf  1770  s.  l,.nr.  10  (von  Ramler)  1771  s.  52,  nr.  12 
(von  der  Karschin)  1770  s.  77,  nr.  13  (von  der  Karschin)  1770  s.  45,  nr.  16  (von 
der  Karschin)  1770  s.  111,  nr.  83  (von  Raraler^)  1771  s.  136,  nr.  34  (von  Ramler) 
1772  s.  1,  nr.  37  (von  Ramler)  1771  a.  3^^,  nr.  38  (von  Eamler)  1771  s.  1,  nr.  39  (von 
Ramler «)  1771   s.  26,  nr.  59  (von  Ramler)  1772  s.  81. 

1)  Vgl.  Bürgers  gedichte,  bsg.  v.  Consentius,  2.  Aufl.  [1915],  II,  s.  324. 

2)  Vgl.  Bürgers  gedichte  a.  a.  o.  II,  s.  295. 

3)  Vgl.  G.  B.  Funks  brief  vom  29.  September  1770;  hdschr.  in  Boies  nachlass. 

4)  Zeitschr.  27,  s.  524. 

5)  Almanach  der  deutschen  musen  (Leipzig)  1771  s.  48. 

6)  Im  Göttinger  musenalmanach  unterzeichnet:  V,;  das  ist,  nach  Redlich, 
Versuch  eines  chiffernlexikons  (prograrara),  Hamburg  1875,  s.  18:  Ramler. 


•AUS   I1P:INRICH    CUUISTIAN    ßÜIES   NACULASS  61 

Was  über  einen  solchen  vergleich  beim  zweiten  sammelbuche  gesagt  wurde, 
ist  hier  durchaus  zu  wiederh'olen.  Das  heisst:  die  musenalmanache  waren  nicht 
Boies  quelle;  Boies  niederschrift  ist  vielmehr  älter  als  der  druck  in  den  Göttinger 
almanachen. 

Mit  dem  druck  des  alnianaches  auf  1771  wurde  im  september  1770  begonnen; 
in  der  ersten  hälfte  des  dezember  war  der  druck  des  textes  beendet;  es  fehlte  nur 
noch  die  einrückuug  der  kupferzierate.' 

Der  almanach  auf  1772  wurde  —  um  ein  zeitigeres  erscheinen  zu  sichern  — 
wohl  schon  im  jnli  1771  angefangen  zu  drucken.'-  Am  19.  dezember  1771  war  dieser 
almanach  gedruckt  und  versandfertig.^ 

Halte  ich  die  gewonnenen  daten,  wann  frühestens  und  wann  spätestens  die  ein- 
tragungen  erfolgt  sein  können,  gegeneinander,  so  ergibt  sich: 

Nr.  7  ist  zwischen  dem  mai  1769  und  dem  ende  dieses  Jahres  in  das  dritte 
sammelbuch  aufgenommen  worden.  Das  heisst : -Boies  drittes  sammelbuch  schliesst 
sich  zeitlich  eng  an  das  zweite  sammelbuch  an,  als  dessen  fortsetzung  es  anzusehen 
ist.  Wie  der  Inhalt  lehrt,  bringt  es  —  besonders  zum  schluss  hin  —  im  vergleich 
zu  Boies  früheren  Sammlungen  erheblich  mehr  ungedruckte  gedichte.  Boies  neigungen 
hatten  ihn  mit  den  jähren  in  persönliche  Verbindung  mit  einer  ganzen  reihe  von 
dichtem  gebracht;  sie  finden  besonders  im  dritten  sammelbuche  ihren  niederschlag. 

Nr  89  und  alle  vorausgehenden  stücke  waren  vor  ende  des  Jahres  1770  in 
das  dritte  sammelbuch  aufgenommen  und 

nr.  59  sowie  die  früheren  nummern  vor  ende  des  Jahres  1771. 

Die  stücke  von  ur.  Ii2  ab  können  jedoch  erst  nach  dem  juui  1773  in  das 
dritte  sammelbuch  eingegangen  sein.  Also  war  Boies  eifer,  dies  buch  zu  füllen,  erheblich 
geringer  als  bei  den  beiden  früheren  büchern;  denn  jetzt  fallen  sehr  viel  weniger 
eintraguugen  auf  eine  verhältnismässig  viel  weitere  spanne  zeit.  Wo  Boie  damals 
die  Güttinger  musenalmanache  zu  versorgen  hatte,  trat  das  zu  eigenem  gebrauche 
angelegte  sammelbuch  mehr  zurück. 

Die  gewonnenen  daten  lehren,  dass  Boies  niederschriften  bis  nr.  39  des  dritten 
Sammelbuches  —  und  es  soll  im  folgenden  abschnitt,  bei  den  notizen  zur  Darm- 
städter ausgäbe,  gezeigt  werden,  dass  es  erlaubt  ist,  über  diese  nummer  noch  hinaus- 
zugehen —  jedenfalls  vor  dem  erscheinen  der  drei  bekannten  Sammlungen  Klop- 
stockscher  gedichte  vom  jähre  1771  angesetzt  werden  müssen. 

Es  erschien  nämlich  Schubarts  ausgäbe  von  'Klopstocks  kleinen  poetischen 
nnd  prosaischen  werken'  (Frankfurt  und  Leipzig  1771*)  fast  gleichzeitig  mit  der  im 

1)  Vgl.  Boies  briefe  vom  3.  september  und  18.  dezember  1770  an  Friedrich 
Nicolai  in  Nicolais  briefsammlung  auf  der  kgl.  bibliothek  zu  Berlin. 

2)  Vgl.  Boies  brief  vom  2o.  juui  1771  an  Friedricli  Nicolai,  a.  a.  o.  Ferner: 
Boie,  18.  juni  1771,  an  Raspe;   \Veimari.-iches  Jahrbuch  III,  lö55,  s.  37. 

3)  Vgl.  Briefe  von  .Joh.  H.  Voss,  hsg.  von  Abrah.  Voss,  I,  1829,  s.  68.  Eine 
besprechung  des  almanachs  bereits  in  der  Hamburgischen  neuen  zeitung  1771, 
205.  stück  vom  21.  dezember. 

4)  ilit  der  angäbe:  Frankfurt  und  Leipzig  bedient  sich  der  Verleger  einer  fal- 
schen -  oft  missbrauchten  -  flagge;  vgl.  z.  b.  A.  G.  Kästner,  Briefe  aus  sechs  Jahr- 
zehnten, Berlin  191'^,  s.  57.  Der  Wandsbecker  bothe  1771,  nr.  59  vom  12.  aprii,  sagte 
bestimmter: 
musen  (Leij 

Boies  _,   .  __, .  ^        ^ 

sollen  erschienen  sein,  ist  nicht  —  wie  PaAvel.  Zeitschr.  27,  s.  517,  es  tut  —  auf  die 


62  CONSENTIUS 

auftrage  der  landgräfin  Karoliue  von  Hessen -Darmstadt  gedruckten  Sammlung: 
'Klopftocks  Oden  und  Elegien'  (Darmstadt  1771),  und  zwar  im  märz  1771.* 

Zu  seiner  eigenen  Sammlung,  die  unter  dem  titel  'Oden'  (Hamburg  1771) 
herauskam,  hatte  Klopstock  bereits  im  jähre  1767  austalten  gemacht.'*  Diese  aus- 
gäbe wurde  1770  und  in  der  ersten  hälfte  1771  mit  verlangen  erwartet.^  Aber  erst 
am  8.  november  1771  konnte  Boie  nach  Halber.stadt  melden,  dass  er  seit  wenigen 
tagen  die  Hamburger  ausgäbe  erhalten  hätte.' 

Schon  ehe  diese  drei  ausgaben  vom  jähre  1771  erschienen,  besass  Boie  in 
seinen  sammelbüchern,  wie  bei  der  datierung  der  eintragungen  gezeigt  ist,  einen 
reichen  und  —  wie  ich  hinzusetze  —  von  anderer  seite  beneideten  und  begehrten 
schätz  Klopstockscher  lyrik. 

Beneidet  und  begehrt!  So  wurde  Boies  schätz  für  die  Üarmstädter  Samm- 
lung gefordert. 

Darmstädter  ausgäbe,  sondern  auf  die  Schubartsche,  deren  titel  in  Boies  Worten 
wieder  zu  erkennen  ist,  zu  beziehen.  ' 

Gegen  .Schubarts  ausgäbe  richtet  sich  Klopstocks  erklärung  in  der  Ham- 
burgischen neuen  zeitung  in  nr.  57  vom  9.  april  1771.  Muncker,  Klopstock  1«S8, 
s.  i'-^b,  sagt:  auch  die  erklärung  des  Wandsbecker  bothen  in  nr.  59  vom  12.  april  1771 
stamme  von  Klopstock  oder  von  Klopstocks  Verleger.  —  Dazu  bleibt  zu  bemerken : 
Klopstocks  autorschaft  ist  nicht  bewiesen  und  bleibt  höchst  unwahrscheinlich.  Denn 
beide  anzeigen  sind  durchaus  nicht  identisch.  Hatte  Klopstock  aber  an  einer  stelle 
gesagt,  ■  was  er  zu  sagen  wünschte,  so  fehlt  ein  rechtei  grund  zu  der  annähme, 
dass  er  gleichzeitig  in  einem  zweiten  blatte  in  anderer  form  eine  anzeige  der 
Schubartschen  ausgäbe  selbst  verfasste.  Die  anzeige  im  Wandsbecker  bothen  ent- 
spricht schwerlich  der  Klopstockschen  art,  sich  zu  äussern. 

Am  25.  april  1771  hatte  Gleim  Schubarts  ausgäbe  in  der  band  (Mitteilungen 
a.  d.  literaturarchive  in  Berlin  HI,  19U1— 05,  s.  264).  und  am  10.  mai  1771  äusserte 
sich  Knebel  über  diese  Sammlung  (a.  a.  o.  s.  290). 

1)  Der  erscheinung-stermin  der  Darmstädter  ausgäbe  ist  ein  paar  posttage  vor 
dem  28.  märz  1771  anzusetzen.  Am  28.  märz  1771  hatte  Herder  bereits  an  den 
geheimrat  von  Hesse  in  Darmstadt  über  den  fehlerhaften  druck  dieser  ausgäbe  ge- 
schrieben. (Herder  und  Karoline  Flachsland  I,  Erlangen  1847,  s.  245,  auch  s  229, 
235,  239  f.)  In  Herders  brief  vom  28.  märz  1771  an  Karoline  heisst  es:  'Der  Autor- 
zank mit  Ihnen  in  H.  Geh.  Raths  Brief  war  eigentlich  Zank  mit  ihm,  dafs  er  nicht 
aus  befferm  Mfpt.  abdrucken  laffen,  und  das  Uebrige  mufste  Eiufaffung  feyn.  Ich 
hoffe,  dafs  Sie's  fo  werden  aufgenommen  haben'.  Damit  bezieht  sich  Herder  auf 
seinen  schon  geschriebenen  brief  an  den  geheimrat  von  Hesse,  den  Herder  auch  m 
dem  oft  zitierten  briefe  an  Merck  (Briefe  an  Joh.  Heinr.  Merck,  hsg.  von  Karl  Wagner, 
Darmstadt  1835,  s.  21)  erwähnt.  Herders  brief  an  Merck  ist  wohl  besser  in  den 
märz,  als  in  den  april  1771  zu  verlegen. 

2)  Lappenberg,  Briefe  von  und  an  Klopstock,  1867,  s.  162,  165,  ferner  s.  191 
und  s.  196,  220  f. 

3)  Euphorien  8,  s.  672;  Zeitschr.  27,  s.  383,  516,  519. 

4)  Zeitschr.  27,  s.  522.  —  Ende  Oktober  1771  hatte  auch  Herder  die  Ham- 
burger ausgäbe  in  der  band;  vgl  Herders  undatierten  brief  an  Boie,  den  dieser  am 
23.  november  1771  empfing.  Weinliold,  Boie  s.  1()9,  druckte  Herders  brief  teilweise 
ab,  bezog  ihn  fälschlich  auf  die  Darmstädter  ausii'abe  und  nahm  Boies  dazugeschrie- 
benes  empfangndatum  für  den  tag,  an  dem  Herder  den  brief  geschrieben  hätte!  — 
Am  22.  november  1771  berichtete  Knebel  ausführlich  über  seinen  eindruck  von  der 
Hamburger  ausgäbe;  Knebels  brief  liegt  in  Boies  nachlass.  —  Im  Wandsbecker  bothen, 
den  Bode,  der  Verleger  von  Klopstocks  öden,  drucken  Hess,  wurde  die  Hamburger 
ausgäbe  in  nr.  17.\  177  und  179,  d.  h  am  1.,  5.  und  8.  november  1771  (^also  un- 
mittelbar nach  dem  erscheinen)  von  Claudius  angezeigt. 

Dass  Herder  bereits  im  juli  1771  die  Hamburger  ausgäbe  gelesen  haben 
sollte  (vgl.  Briefe  an  Merck,  1«35,  s.  26),  ist  schlechterdings  mit  den  eben  gebrachten 
daten  nicht  zu  vereinigen.     Bei  Wagner  ist  mancher  brief  falsch  datiert. 


AUS    HEINRICH   CHRISTIAN    BOIES   NACHLASS  63 

Die  Darmstädter  ausgäbe  von  Klopstocks  odeu  und 
elegien.     1771. 

Von  der  Darmstädter  ausgäbe,  die  heute  eine  Seltenheit  ersten 
ranges  ist,  gab  Erich  Schn)idt,  Beiträge  (1880j  s.  82  ff.,  eine  beschrei- 
bung  des  exemplares,  das  für  die  laudgräfin  Karoline  (1721-74)  be- 
stimmt war.  Diesen  druck,  der  auch  bei  der  Klopstock-ausstellung 
in  Hamburg  1903  gezeigt  wurde ',  besitzt  die  grossherzogliche  hof- 
bibliothek  zu  Darmstadt.  Die  typographische  ausstattung  des  nur  in 
34  exemplaren  hergestellten  privatdruckes  ist  auffallend  schlecht.  Ein 
zweites  exemplar  der  Darmstädter  ausgäbe  befindet  sich  auf  der 
königlichen  bibliothek  zu  Berlin.  Es  ist  der  für  Karoline  Flachsland 
bestimmte  druck,  dem  auf  dem  titelblatte  in  deutschen  schreibschrift- 
typen ihr  name  eingedruckt  ist: 

Klopftocks 
Oden  und  Elegien. 

Vier  und  dreyffigmal  gedruckt. 

Carolina  Flachsland. 
[Druckverzierung:  vase  mit  blumen,] 

Darmftadt,  1771. 

Der  druck  besteht  aus  dem  titelblatt  und  160  bezifferten  selten 
in  frakturdruck;  oktavformat.  (Signatur  der  kgl.  bibliothek  Berlin: 
Yk  9584  R.).  In  dem  vorderen  einbanddeckel  dieses  exemplares  die 
handschriftliche  notiz :  'Dies  Buch  ift  aus  der  Bibliothek  meines  feeligen 
Vaters  Johann  Gottfried  von  Herder. 

Weimar  d.  11  April  1853  Luife  Stichling 

geb.  Herder.' 

Eine  handschriftlich  beigefügte  poetische  widmung,  die  das 
exemplar  der  landgräfin  auszeichnet,  fehlt  hier. 

Ein  flüchtiger  blick  in  das  exemplar  von  Karoline  Flachsland 
lehrt,  dass  Muncker  und  Pawel  die  Varianten  der  Darmstädter  ausgäbe 
durchaus  nicht  erschöpfend  mitgeteilt  haben  ^. 

1)  Katalog  der  Klopstock-ausstellung  der  Stadtbibliothek  zu  Hamburg  1903,  s.  7. 

2)  Pawel,  Klopstocks  öden  (Leipziger  periode),  Wien  188U,  s.  6,  hatte  ein 
exemplar  der  Darmstädter  ausgäbe  in  der  band,  bei  dem  auf  dem  titelblatte  an- 
geblich Klopstocks  name  nicht  genannt  sein  soll.  Wo  dieses  exemplar  zu  finden 
ist,  sagte  Pawel  nicht.  Pawel,  Klopstocks  Wiugolf,  Wien  1882,  s.  3,  bezog  sich 
wieder  auf  die  Dannstädter  ausgäbe  -  vielleicht  auf  dasselbe  von  ihm  früher  be- 
nützte exemplar  —  und  gab  an,  es  sei  für  den  erbpriuzen  von  Darmstadt  gedruckt 
worden.  Der  titel  dieses  exemplars  stimmt  nach  Pawels  beschreibung  mit  dem 
exemplar  für  die  landgräfin  und  dem  für  Karoline  Flachsland  überein  -  abgesehen 
von  dem  eingedruckten  namen  des  besitzers.  Pawels  weitere  mitteilung:  für  den 
erbprinzen  von  Darmstadt  sei  eine  besondere,  kleine  aufläge  gedruckt  worden, 
findet  an  der  bestimmten  angäbe,  die  in  den  verschiedensten  briefeu  des  Darmstädter 


64  CONSENTIUS 

An  dieser  Darmstädter  ausgäbe  ist  ]3oie  mit  den  schätzen  seiner 
Sammelbücher  in  erheblicher  weise  beteiligt. 

Erich  Schmidt  und  Franz  Muncker  sagen  nichts  davon,  und  auch 
Weinhold  hatte  von  den  drei  Boieschen  samnielbiichern,  über  deren 
Klopstockiaha  ich  im  vorstehenden  berichtet,  nur  das  erste  in  der 
band.  Weinhold  konnte  sich  jedoch  auf  briefe  von  Goethes  freund 
Ludwig  Julius  Friedrich  Hopfner  (1743-1797)  stützen,  aus  denen  er 
einige  bruchstücke  bekanntmachte.  Diese  briefe  zeigen,  dass  Boie, 
wenn  auch  nicht  gerade  freudig  und  einer  ersten  aufforderung  bereit- 
willig nachgebend,  für  die  Darmstädter  Verehrer  des  dichters  eine 
reihe  Klopstockscher  öden  sandte.  Neben  drängenden  und  fordernden 
briefen  Höpfners  giengen  briefe  des  geheimrats  Andreas  Peter  von  Hesse 
(1728-1803)  an  Boie  ab.  Letztere  liegen  heute  nicht  mehr  im  Boie- 
schen nachlass.  Die  briefe,  die  Höpfner  wegen  der  Darmstädter 
Sammlung  an  Boie  schrieb,  mögen  ganz  folgen,  denn  sie  verraten 
einen  teil  der  mühe,  die  sich  der  kreis  um  die  landgrälin  gegeben, 
die  ausgäbe  zustande  zu  bringen;  sie  zeigen,  wie  sich  die  Sammler 
nicht  immer  begnügten,  wenn  sie  Klopstocksche  öden  abschriftlich 
besassen,  sondern  dass  sie  eine  zweite  abschrift  der  nämlichen  ode 
zu  gewinnen  suchten;  und  Höpfners  briefe  lassen  auch  das  kritische 
l)estreben  der  Darmstädter  erkennen,  sich  über  die  echtheit  einzelner 
stücke  gewissheit  zu  verschaffen. 

Der  geheimrat  von  Hesse  war  der  beauftragte  leiter,  der  die 
Sammlung  der  öden  für  die  frau  landgräfin  übernommen  hatte.  Be- 
kanntlich besass  er  die  Bremer  beitrage  und  die  Sammlung  vermischter 
Schriften  der  Bremischen  beiträger  ^  Diese  drucke  konnten  immerhin 
der  ausgäbe  einen  festen  grundstock  geben ;  aber  sie  allein  genügten 
nicht.  Herder  und  Merck  steuerten  ihre  gaben  bei.  Auf  umwegen 
-  von  einer  band  in  die  andere  gelangten  weitere  abschriften  nach 
Darmstadt-.  Wer  eine  ode  des  dichters  besass  ~  auch  Goethe 
sammelte  sich  handschriftlich  Klopstocks  gedichte  -  oder  eine  abschrift 
erhielt,  gab  nur  die  abschrift  seiner  abschrift  fort;  ganz  mochte  sich 
niemand  von  den  schätzen,   die  er  für  sich  selbst  zusammengetragen, 

kreises  wiederkehrt,  dass  die  ganze  aufläge  nur  aus  vierunddreissig  exemplaren  be- 
standen, keine  stütze. 

Die  kurze  beschreibung-  eines  nachdrucks,  der  nur  auszüge  aus  der  Darmstädter 
ausgäbe  enthält,  die  Pawel.  Klopstocks  öden,  1880,  s.  8,  bringt,  ist,  wie  der  vergleich 
mit  dem  exemplar  der  kgl.  bibliothek  zu  Berlin:  Einige  Oden  von  Klopftock. 
Wetzlar,  bey  Philipp  Jacob  Winkler,  dem  Aelteren  [o.  J.],  Signatur:  Yk  9596, 
lehrt,  nicht  zuverlässig. 

1)  Herder  und  Karoline  Flaclisiand  I,  1847,  s.  37. 

2)  Vgl.  z.  b.  F^rich  Schmidt,  Im  neuen  reich  IX,  1,  1879,  s.  994  ff. 


AUS   HEINRICH    CHRISTIAN   BOIES;   XACHLASS  65 

trennen.  Hesses  schwäg-erin,  Karoliue  Flachslaud,  bemühte,  sich  um 
die  druckvorlage  als  abschreiberin  der  einlaufenden  abschriften  ^ 

Dass  bei  so  vielfältiger  bemühung  von  verschiedenen  selten  der 
text  der  Darmstädter  ausgäbe  manches  zu  wünschen  übrig  lässt,  ist 
erklärlich.  Und  als  die  Sammlung  der  landgräfin  trotz  aller  an- 
strengungen  doch  nicht  so  reich  wurde,  wie  man  es  wünschte,  da 
wandten  sich  der  geheimrat  von  Hesse  und  Höpfner  kurz  vor  dem 
erscheinen,  in  letzter  stunde  noch,  wiederum  an  Boie  und  verlangten 
von  neuem  mehr  Klopstocksche  stücke  von  ihm!  Ihr  werben  hatte 
erfolg. 

Höpfners  briefe  an  Boie  füge  ich  hier  ein. 

Liebfter  Freund, 

Ich  glaube  es,  dafs  Sie  der  Brief  des  Hn.  von  Heffe  iu  einige  Verlegenheit 
fetzt.  Aber  vielleicht  ift  es  Ihnen  in  der  Zukunft  noch  einmal  lieb,  in  diefer  Ver- 
legenheit gewefen  zu  fejn.  Sie  haben  Gelegenheit  l'ich  einen  Mann  zu  verbinden 
deffen  Wohlwollen  Ihnen  vielleicht  fehr  nützlich  werden  kann,  einen  Mann,  der 
Premier  Minifter,  Geheimerrath,  Curator  der  Univerfität  Giefen,  und  der  rechte  Arm 
des  Landgrafen  ift.  Dafs  K[lopftock]  keine  Spionen  in  D[armftadt]  habe  dafür  will 
ich  Ihnen  zwar  nicht  Bürge  feyu.  Dann  in  welchem  Winkel  hat  er  fie  nicht?  Aber 
ich  denke  nicht,  dafs  fie  von  den  Oden  aus  den  Händen  der  Fr[au]  Landgräfin 
etwas  bekommen  follen.  Buben  von  ihrer  Art  kommen  nicht  leicht  in  die  Fürften- 
fäle,  und  allenfalls  kann  man  Hn.  Merk  bitten  dagegen  die  nöthige  Anftalteu  vor- 
zukehren. Die  neulich  von  Ihnen  erhalteae  Stücke  will  ich  mit  Ihrer  Erlaubnifs 
auch  nach  D[armftadt]  fchicken.    Die  beyden  Mufen'^  hat  Hr.  von  H[effe]  fchon. 

Haben  Sie  doch  die  Gütigkeit  Dietrich^  über  diefe  zwey  Puncte  od  proto- 
colliini  zu  vernehmen 

(1)  ob  er  mir  nicht  die  Freundfchaft  erzeigen  will,  eine  Anzahl  Exemplarien 
unfrer  Oberappellationsgerichtsdecifionen*  mit  auf  die  Leipziger  Meffe  zu  nehmen 
und  dort  zu  debitiren  fuchen  will?  Das  Buch  wird  auswärts  hin  und  wieder  ver- 
langt, weil  es  aber  von  einem  bioffen  Buchdrucker  verlegt  ift:  fo  ift  es  iu  keinem 
auswärtigen  Buchladen  zu  haben.  Ich  will  nicht  nur  Hn.  Dietrich  für  feine  Mühe 
und  Koften  einen  billigen  Eabbat  geben,  fondern  auch  andere  Bücher  an  Zahlungs- 
ftatt  nehmen.  Ift  er  mit  meinem  Antrag  zufrieden :  fo  darf  er  nur  bef^immen,  wie- 
viel Exemplarien   auf  Schreib-  und  wieviel   auf  Druckpapier  ich  ihm  zufenden  Toll. 

(2)  ob  er  das  honorarium  für  meine  Ueberfetzung  von  dem  AddrefsContoir  er- 
halten? Wo  nicht  fo  feyn  Sie  doch  fo  gütig,  es  fich  auszahlen  zu  laffen,  und  ftellen 
Sie  es  ihm  zu. 

1)  Herder  und  Karoline  Flachsland  I,  1847,  s.  229,  245. 

2)  Vgl.  Boies  2.  sammelbuch  nr,  502;  Muucker  und  Pawel  I,  s.  108;  Darm- 
städter ausgäbe  s.  63.    Die  Darmstadter  ausgäbe  stimmt  mit  Boies  text  nicht  überein. 

3)  Johann  Christian  Dieterich  (f  1800),  Verleger  in  Göttingen;  bei  ihm  er- 
schien u.  a.  der  Göttinger  musenalmanach  und  der  Gothaer  hofkalender. 

4)  Der  vom  geheimen  rat  und  Präsidenten  des  oberappellatiousgerichtes  zu 
Cassel  von  Canngiesser  besorgte:  Collectionis  notabiliorum  decisionura  supremi  tri- 
bunalis  appellationum  Hasso  Cassellani  inde  ab  ejus  constitutione  emanatarum  T.  I. 
Cassel.    1768  fol.  (vgl.  Strieder,  Hessische  gelehrtengeschichte  IL  1782,  s.  12U). 

ZEITSCHRIFT  F.  DEUTSCHE  PHILOLOGIE.     I5D.  XLIX.  5 


66  CONSBNTIUS 

Sobald  ich  etwas  von  Herder  und  Merk  erhalte',  follen  Sie  es  haben.  Ihren 
Anftrag"  an  Hn.  Casparfon-  habe  ich  hel'orgt  und  bin  Ihr  verbundeufter 

C[arfel,]  den  18.  Febr.  1770  H[öpfner]. 

Boie  hatte  also  schon  früher  Klopstocksche  i^edichte  an  Höpfner 
gesandt.  Wo  Boie  nun  erfuhr,  dass  eine  Sammlung  für  den  kreis 
des  Darmsfädter  hofes  geplant  war,  oder  wo  seine  abschriften  aus- 
drücklieh für  diese  Sammlung  gefordert  wurden,  eine  Sammlung,  die 
doch  zum  mindesten  handschriftlich  verbreitet  werden  sollte  (dass 
Klopstock  durch  seine  'spione'  von  dem  unternehmen  kenntnis  er- 
halten würde,  war  sicher  !j,  war  er  mit  weiteren  mitteilungen  zunächst 
zurückhaltend.  Boie  gab  aber  selbst  den  Göttinger  musenalmanach 
heraus.  Die  beitrage,  die  ihm  die  Darmstädter  dazu  geben  konnten, 
und  die  er  seinerseits  nicht  gerne  missen  wollte,  dienten  mit  dazu. 
Boie  gegenüber  den  Wünschen  des  hofes  gefügig-  zu  machen. 

Höpfner,  der  es  mit  seinem  auftrage  eilig  hatte,  sehrieb  wieder: 

Theuerfter  Freund 
falt  fürchte  ich,  dals  der  Brief  au  Sie,  den  ich  an  die  beyden  Herrn  Engländer 
l'chickte,  welche  neulich  hier  waren,  nicht  richtig  beftellt  worden  ift.  Dann  fonft 
hätte  ich  veriuuthlich  fchon  Ihre  Antwort  erhalten.  Ich  will  Ihnen  alfo  kurz  wieder- 
holen was  ich  damals  fchrieb.  Herr  von  Hefs  ift  Premier-Minifter  in_  D[armftadt] 
und  Curator  der  Univerfität  Giefen.  Ob  K[lopftock]  feine  Spionen  in  D[armftadt] 
hat,  weifs  ich  nicht.  In  Giefen  wird  er  leider  künftig-  drey  haben.  Dann  Barth-'' 
und  der  Theorien  Schmidt*  find  wirklich  Profeffores  dort  geworden.  Ich  bat  Sie 
Hn.  Dietrich  über  diefe  2  Fragen  zu  vernehmen:  ob  er  fich  das  hon[or]ariitm  für 
meine  Ueberfetzung  in  den  Gött[inger]  Anzeigen  habe  bezahlen  laffeu,  und  ob  er 
mir  den  Gefallen  erzeigen  wolle,  eine  Anzahl  Exemplarien  der  hiefigen  Oberappel- 
l[ations]decifionen  in  Commiffion  mit  auf  die  Leipziger  Meffe  zu  nehmen  und  wieder- 
hole diefe  Bitte  del'to  angelegentlicher,  da  ich  den  22.  Merz  von  hier  abreil'e,  und 
gerne  mit  Dietrich  vorher  abrechnen  wollte. 

Noch  eine  Neuigkeit:  auch  Fromman  und  Schumacher  lind  nach  Giefen  vocirt. 
Ich  fehe  Ihrem  Briefe  mit  Sehnfucht  entgegen 

C[alfel,]  den  28.  Febr.  1770.  H[öpfner]. 


1)  Boie  hatte  schon  für  den  ersten  Göttinger  musenalmanach  durch  Höpfner 
fabeln  von  Merck  erhalten ;  vgl.  Weimarisches  Jahrbuch  III,  1855,  s.  20. 

2)  Casparson,  J.  W.  Chr.  G.,  professor  am  Carolinum  in  Cassel.  Auch  mit  ihm 
stand  Boie  in  brieflicher  Verbindung;  vgl.  Weimarisches  Jahrbuch  III,  1855,  s.  29. 
Casparson  verfasste  u.  a. :  Theutomal,  Herrmauns  und  Thusneldens  Sohn,  ein  Trauer- 
spiel in  3  Aufzügen,  Cassel  1771 ;  vgl.  Strieder,  Hessische  gelehrtengeschichte  II, 
s.  135.  Dies  stück  fehlt  in  der  Übersicht,  die  Muncker  in  seiner  Klopstock-biographie 
über  die  Hermann-dichtung  gibt. 

3)  Bahrdt,  Carl  Friedrich  (1741-1792). 

4)  Schmid,  Christian  Heinrich  (1746—1800) ;  seine  Theorie  der  poesie  erschien 
1767;  Schmid  war  am  Leipziger  (Dodsleyschen)  musenalmanach,  dem  konkurrenz- 
unternehmen  zum  Göttinger  almanacb,  beteiligt. 


AIS    HEl.NKK  II    cmUslIAN    HOIE.S    NACHLA.SS  67 

CalM  den  19.  Oct.  1770 

Hier  haben  Sie,  geliebter  Freund,  die  Mufik  zu  dem  folüario  bosco  *  pp.  Die 
Fabeln  des  Hn.  Merk  würde  ich  Ihnen  dabey  gefchiekt  haben,  wann  Sie  mir  in 
einem  Ihrer  vorigen  Briefe  etwas  davon  gefchrieben  hätten.  Dann  aus  Ihrem  Still- 
fchweigen  schlieffe  ich,  dafs  Sie,  diefes  Jahr  wenigftens,  keine  davon  zum  Aimanach 
brauchen.  Sinngedichte  habe  ich  noch  nicht  von  Darmftadt  erhalten.  Ich  dächte, 
wann  Sie  fich  felbft  die  Mühe  gäben,  ein  Briefchen  darum  zu  fchreiben  das  möchte 
wohl  noch  etwas  helfen.  Doch  will  ich  nicht  gut  dafür  feyn.  Dann  feit  dem  der 
Mann  KriegszablmeiCter  ilt,  ift  er  ich  weifs  nicht  fo  faul,  oder  gleichgültig  oder 
befcheideu,  dafs  ihn  der  Autorruhm  im  mindeften  nicht  mehr  rührt. 

Ihrem  Freund  S.-  ftehet  fein  Hang  zur  Debauche,  wovon  man  bey  weiter  ein- 
gezogener Kundfchaft,  erfahren  hat,  liauptfächlich  im  Wege.  Am  Ende  freylich, 
wann  man  keinen  Mann  der  l'chon  eine  etablirte  Reputation  hat,  (dann  diefs  wünfcht 
man  fehr)  bekommen  kann,  fo  möchte  wohl  Herr  S.  die  meifte  Hoffnung  haben,  und 
jener  Fehler  würde  in  der  Hoffnung  der  Correction,  überfehen  werden. 

Sie  wiffeu  doch,  dafs  Sie  mir  eine  Abfchrift  von  Klopftocks  Ode  an  feine 
Freunde  ^  verfprochen  haben  ?  Wann  Sie  Ihr  Wort  hübfch  halten,  und  auf  meine 
Rechnung  bey  Dieterich  noch  einen  blos  gehefteten  Almau;ich  fich  für  mich  wollen 
geben  laffen,  fo  kann  ich  Ihnen  vielleicht  einige  poetifche  Beyträge  von  meinem 
Freund  Zimmermann*  verfchaffen,  der  mir  dergleichen  verfprochen  hat,  wann  ich 
ihm  nur  einen  Begriff  von  der  eigentlichen  Einrichtung  Ihres  Calenders  geben  wollte, 
und  diefs  kann  icli  nicht  beffer  als  wann  ich  ihm  denfeJben  felbft  fchicke. 

Hn.  Rafpe^  erwarten  wir  alle  Tage.  Ich  bin  fehr  begierig,  nt  euin  ftv- 
diom  —  —  —  Xarratitem  loca,  facta,  nationis,  vt  »tos  eft  J'uns  — 

Schreiben  Sie  einem  doch  ein  bischen  von  Ihren  Umftänden,  ob  Sie  in  Göt- 
tingen bleiben,  oder  wohin  Sie  Ihren  Stab  fetzen  werden. 

Ich  bin  unverändert  ganz  der  Ihrige 

Höpfner. 

Ein  hlefiger  guter  Compouift  möchte  gerne  feinen  Nahmen  im  3Iufenalmanach 
lefen.     Haben  Sie  nicht  ein  Lied,  das  fie  durch  ihn  wollten  componiren  laffen? 
(Adresse:)     A  Monsier  Monsier  Bote  Candidat  en  droits  j)(ir  occafion. 

ff  Goettingen. 

1)  Die  Hamburgisclie  neue  zeitung  1769,  f)2.  stück  vom  8.  april,  hatte  P,  Rollis 
gedieht:  Solitario  bosco  ombroso  .  .  .  abgedruckt,  eine  prosaische  Übersetzung  dazu 
gegeben  und  darauf  hingewiesen,  dass  der  italienische  text  eine  komposition  verdiene. 
Eine  gebundene  Übersetzung  in  Luise  Mejers  sammelbuch  blatt  I9>i,  mit  Varianten 
im  Vossischen  musenalmanach  178i>,  s.  82;  vgl.  auch  Weinhold,  Boie,  1868,  s.  y29  f. 
und  Weimarisches  Jahrbuch  III,  iHö.ö,  s.  17,  19  f. 

2)  Ist  Boies  freund  Matthias  Christian  Sprengel  (1746-1803)  gemeint?  Sprengel 
war  ein  schüler  Schlözers,  wurde  professor  in  Göttingen  und  später  in  Halle.  Am 
1.  februar  1780  schrieb  Dohm  an  Boie:  Sprengel  sei  ganz  misanthropisch  und  habe 
den  wein  abgeschworen.  Dohm  fügte  dieser  meidung  bezeichnend  hinzu:  'credat 
Juda-us  Apella.' 

3)  Vgl.  Boies  2.  sammelbuch  nr.  .'05;  Muncker  und  Pawel  1,  s.  8;  Darmstädter 
ausgäbe  s.  114. 

4)  Zimmermann,  Christian  Heinrich  (1740-1806),  prediger  und  Superintendent; 
er  war  nach  Strieders  Hessischer  gelehrtcngeschichte,  Bd.  17,  1819,  s.  353,  besonders 
mit  Sinngedichten  sowohl  am  Göttinger  wie  am  Leipziger  musenalmanach  beteiligt ; 
auch  am  Neuen  Darmstädtischen  gesangbuch  für  die  hofgemeinde  (1772)  hatte  er  anteil. 

51  Rafpe,  Rudolf  Erich  (1737-l794j;  mit  ihm  stand  Boie  in  briefwechsel; 
vgl.  Woimaiisches  jahibiieh  III.  1855.  s.  13—41. 

5* 


68  (lONSBNTIUS 

C[affel,]  den  7.  Nov.  1770 
Liebfter  Freund 

Ich  fchickte  Ihnen  neulich  eine  Compofition  des  J'olitario  bosco  pp.  zu  Ihrem 
Mufenalmauach.  Geftern  aber  lagt  mir  der  Compositeur  dafs  diel'e  Mufik  eigentlich 
für  die  Harfe  gefetzt  fey  und  mit  accompagnement  gefpielt  werden  muffe.  Für  das 
Ciavier  und  die  Singftimme  gefetzt  wollte  er  mir  das  §tück  zum  Almauach  mit- 
theilen, wann  ich  ihm  verfpräche,  dafs  es  nicht  ohne  den  italiänifchen 
Text  gedruckt  würde.  Ohne  Ihnen  alle  die  Gründe  anzuführen  die  er  bey 
diefer  Bedingung  hatte,  fchicke  ich  Ihnen,  was  ich  bekommen  habe,  und  überlaffe 
Ihnen,  ob  Sie  es  für  fchicklich  halten  in  einen  teutfchen  Mufenahnanach  ein  italiäui- 
fches  Lied  zu  fetzen.  Ich  dächte  wann  Sie  eine  gute  Ueberfetzung  beyfügten,  und 
in  einer  Anmerkung  dem  Lefer  fagten  dafs  die  Mufik  eigentlich  auf  die  italiänifche 
Worte  gefetzt  sey  pp.  pp.  fo  würde  Niemand  was  zu  erinnern  haben. 

Die  Grazien  lafs  ich  eben  unferm  Effen  und  Webern  vor,  als  ich  Ihren 
lieben  Brief  erhielt.  Sie  verdienen  Ihre  Lobfprüche.  Aber  wie  mir  die  mariaye  des 
Schlafs  und  der  Pafithea  gefällt:'  Wie  fie  mir  im  Homer ^  gefallen  hat,  wie  fie 
einem  gewiffen  Mr.  Co/tar  gefallen  hat,  deffeu  fchalkhafte  Anmerkungen  Sie  bey  dem 
Bayle*,  articl.  Th  om  as  {yxünn  mich  mein  Gedächtnifs  nicht  betrügt)  lefen  können. 

An  Hn.  Merk  habe  ich  gefchrieben,  und  ihm  zugleich  Ihren  Brief  gefchickt. 
Er  [chickte  mir  neulich  beyliegendes  Stück,  das  ich  mir  zurück  erbitte,  und  ver- 
ficherte  mich  es  fey  von  Klopftock.  Der  Ton  darin  aber  fcheint  mir  fo  wenig 
Klopftocks  Ton,  dafs  ich  feiner  Verficherung  nicht  fehr  traue.  Was  halten  Sie  davon? 

Thun  Sie  mir  doch  die  Gefälligkeit  und  fragen  bey  Dietrich,  ob  er  nicht  neu- 
lich einen  Brief  von  mir  erhalten  habe,  worinn  Beyträge  zum  Gothaifchen  Caleuder 
gewefen?  Ich  weifs  nicht  warum  ich  auf  diefen  Brief  von  ihm  keine  Antwort 
bekomme.     Dann  einen  zweyten'  hat  er  mir  beantwortet. 

Haben  Sie  dann  wohl  die  Gütigkeit  gehabt  die  Harrifonifche  Gefchichte  in 
die  Göttingifche  Unterhaltungen  einrücken  zu  laffen,  oder  ift  ein  Anftand  bey  der 
Sache.  Ich  möcht  es  aus  dem  Grunde  wiffen  weil  ich  Dietrichen  mit  dem  Jionorrm'o 
eine  kleine  Bücherfchuld  abtragen  wollte. 

Ich  bin  ganz  d[er]  Ihrige 

Höpfner. 
Liebfter  Freund 
Hr.  Dieterich  hat  mir  die  Almanache  für  Hn.  Merk  und  Gasparfon  zugefchickt, 
Beyde  werde  ich  richtig  beftellen.  Hr.  D[ieterich]  aber  fchreibt  mir:  1.  Stück 
erfolget  für  Ihnen  von  wegen  Hn.  Bote.  Diefes  Stück  war  nicht  in  dem 
Paquet,  fonderu :  nur  die  12  mir  zu  verkaufen  gefchickte  Exemplarien.  Ich  werde 
alfo  nur  11.  zu  verrechnen  haben.     Seyn  Sie   doch    fo   gütig  diefes  Hn.  D[ieterich] 

zu  sagen. 

Nunc  aufculta  et  perpeiide 

Ich   habe  —  was    dächten   Sie   wohl?  —  eine  Ode  von  Klnpgtock?     Das   ift   etwas, 

aber  Sie  haben  doch  nicht  alles  errathen.    Seine  allerneuefte  Ode  befitze  ich,  die  er 

an  Herdern,  Herder  an  Merk,  und  dieser  an  mich  gefchickt  hat,  ein  Stück,  das  fich 

von  allen  bisherbekannten  Klupftockifcjien  Oden  auf  eine  aufferordentliche  Art  unter- 

fcheidet.     Den   Inhalt  wollen  Sie  wiffen?     Nicht  fo  mein  Freund.     Sie  haben  mich 

1)  Wieland,  Die  grazien,  Leipzig  1770,  s.  182  ff.  =  Werke,  bd.  X,  17t  5,  s.  11-1  ff. 

2)  Ilias  XIV,  264  ff 

3)  Bayle,  Historisches  und  kritisches  Wörterbuch,  hsg.  von  Gottsched  IV, 
Leipzig  1744,  s.  3(ii3. 


AUS   HEINRICH   CHRISTIAK    BOIES  NACHLASS  69  ^ 

lange  genug  zappeln  laffen.  Diefsmal  muffen  Sie  geftraft  werden.  Schicken  Sie 
mir  die  Ode  au  die  Freunde, '  fo  follen  Sie  mit  der  nächften  Poft  mein  Stück  be- 
kommen.    Ich  rufe  noch  einmal  ftärker  als  vorhin 

anfcidta  et  j^erpende 
Merk  hefitzt  eine  grofe  Menge  Balladen  Lappländifche  Lieder,  überfetzte  Lieder  aus 
Shakefpear  pp.  pp.  von  Herdern,  wovon  Sie  vieles  haben  follen  wann  Sie  aus  Ihren 
Archive  etwas  herüeben  wollen,  und  mir  zugleich  die  Romanze  Jupiter  und  Europa'^ 
baldmöglichft  fchicken.  Mag  Sie  meine  Nachricht  immer  ein  wenig  unruhig  gemacht 
haben.  Es  hängt  nur  von  Ihnen  ab,  diefe  Unruhe  zu  endigen.  Grüffen  Sie  mir 
Ihren  lieben  kleinen  Lycidas  quo  tepebant  virgines  omnes,  et  niox  mox  calebunt. 
Ich  umarme  Sie  und  bin  von  ganzem  Herzen  Ihr  Freund 

Gaffel  den  8L  Januar  1771.  H[öpfner]. 

Bitten  Sie  doch  Hn.  Dietrich   dafs   er   mir   endlich   einmal   auf  verfchiedene 
Fragen  meiner  vorigen  Briefe  antworten,  und  den  Catalogus  feiner  englifchen  Bücher 
fchicken  möge.     Der  Mann  ift  doch  warlich  unverantwortlich  nachläffig. 
(Aih-esse:J     A  Monsieur  Mon/ieiir  Bote  caadidat  en  droits 

franco  ä  Goettingen. 

Liebfter  Freund 

Heute  bekommen  Sie  einen  fehr  laconifchen  Brief  von  mir.  Hier  ift  die  Ode 
von  Kl[opftock].  Der  Anfang  ift  wahres  Mefopot;imifch  für  mich.  Es  foil  mir  lieb 
feyn  wann  Sie  ihn  verftehen.  Aus  Herders  und  Merks  Archiv  kann  ich  Ihnen  nicht 
ehe  etwas  fchicken,  bis  Sie  noch  Klopftockifche  Oden  herausgeben.  Befonders  wünfcht 
man  die:  am  Thor  des  Himmels  ftaud  ich,^  aus  den  Zürchifchen  freymüthi- 

1)  Vgl.  Boies  2  sammelbuch  nr.  505;  Darmstädter  ausgäbe  s.  114.  Herdern 
war  dic'^e  ode  bei  erscheinen  der  Darrastädter  ausgäbe  neu ;  vgl.  Herder  und  Karo- 
line Flachsland  I,  Erlangen  1817,  s.  21U. 

2)  Vgl.  Bürgers  gedichte,  hsg.  von  Consentius,  2.  aufl.,  1915, 1,  s.  129,  II,  8.285. 

3)  Vgl.  Darinstädter  ausgäbe  s.  1H4.  —  Die  ode  wurde  seinerzeit  fast  allge- 
mein für  Klopstockisch  gehalten.  Die  deutung  der  Überschrift:  'An  Meta'  auf  Meta 
Moller  (vgl.  Almanach  d.  deutschen  musen,  Leipzig,  a.  d.  J.  1772,  s.  1U9,  auch  Herder 
und  Karoline  Flachsland  I,  Erlangen  1847,  s.  46j  ist  falsch.  Das  gedieht  ist  auf 
Klopstocks  Fanny  zu  beziehen,  die  im  himmel  —  entspi'echend  Klopstockschen  Vor- 
stellungen —  einen  anderen  namen  trägt;  ihr  himmlischer  name  heisst  bezeichnend: 
Meta  =  das  ziel;  nämlich  das  ziel  aller  liebeswünsche  Klopstocks.  An  sich  würde 
die  himmlische  vision,  um  die  es  sich  in  der  ode  handelt,  in  den  gedankenkreis 
Klopstocks  passen:  vgl.  z.  B.  Lappenberg,  Briefe  von  und  an  Klopstock  18()7,  s.  99  f. 
Die  psychologischen  gründe,  die  Richard  Hamel  (Klopstocks  werke,  3.  bd.  =  Deutsche 
national-literatur,  47.  bd.,  s.  XXIlIf.)  gegen  Klopstocks  autorschaft  geltend  machte, 
besagen  gerade  bei  Klopstocks  Vorliebe  für  lyrische  konstruktionen  wenig  oder  — 
wo  die  ode  nicht  auf  Meta  Moller  zu  beziehen  ist  —  gar  nichts.  Erich  Schmidt, 
Beiträge  1H8(),  s.  9,  dem  Boies  bestimmtes  zeugnis,  das  auf  Heinrich  Fuessli  als  Ver- 
fasser hinweist,  nicht  entgangen  war,  schwankte  trotzdem  und  hielt  Klopstocks  Ver- 
fasserschaft für  möglich,  und  Herder  sah  in  Klopstock  den  dichter  der  ode  (Herder 
und  Karoline  Flachsland  I,  1847,  s.  169;  Briefe  an  Joh.  H.  Merck  von  Goethe,  hsg. 
von  Karl  Wagner  18.'<5,  s.  21). 

Im  sammelbuch  der  Luise  Mejer  blatt  53»  lautet  die  Überschrift:  'Ode  an 
Meta  von  Klopftock'.  Ihr  text  wiederholt  sämtliche  Varianten  der  Boieschen  nieder- 
schrift  aus  Boies  2.  sammelbuche,  wo  das  gedieht  unter  nr.  791  ohne  Klopstocks 
namen  gebucht  ist.    Luise  Mrjer  hat  ihrer  abschrift  Klopstocks  namen  hinzugefügt. 

Jedenfalls  ist  Boies  niederschrift  nicht  die  quelle  für  die  Darmstädter  aus- 
gäbe. Hole  hat  dies  stück  —  obwohl  er  es  damals  besass  —  nicht  zur  Sammlung 
der  landgräfin  beigesteuert;  oder  sandte  er  es  wirklich,  dann  folgten  die  Darmstädter 
einer  anderen,  aber  nicht  seiner  abschrift. 


70  CONSENTIUS 

gen  Nachrichten  von  1748  oder  1750,  luicl  du  frage ft  mich,  ob  ich  dich  wie 
Meta  liebe'  zuhaben.  'Lieder  aus  dem  Off  ian,  Shakefpear  Ballads,  Elegien,  Sere- 
'nadeu,  altdeutfche  Fabeln  und  [die]  andern  merkwürdigen  Stückchen  zwifchen  Her- 
'dern  und  mir,  foU  Hr.  Boie  haben,  fobald  man  fieht,  ob  er  auch  etwas  geben  will. 

Muncker,  Klopstock,  1888,  s  280,  berief  sich  auf  Boies  zeugnis  (vgl.  C.  F.  Gramer, 
Klopstock.  Er;  und  über  ihn,  bd.  III,  1782,  s.  479)  und  lehnte  JKlopstocks  autorschaft 
ab.  Demgeniäss  schlössen  3Iuncker  und  Pawel  das  gedieht  von  der  odensammlung 
aus.     Mit   recht!     (Vgl.  auch  Seufferts  Vierteljahrschrift  5,  1802,  s.  64  f.) 

Für  die  giltigkeit  des  Boieschen  Zeugnisses  C.  F.  Gramer  gegenüber  spricht 
auch  eine  notiz  in :  Heinrich  Fuesslis  Sämtlichen  werken  nebst  einem  versuche  seiner 
biographie  (Zürich,  1807.  In  der  kunsthandluug'von  Fuessli  u.  Gompagnie),  die  ich 
heranziehe.  Dort  heisst  es  über  Heinrich  Füssli  auf  s.  IV:  'Bodmer  hatte  ihn,  wie 
Andre,  für  die  Poefie,  die  patriarchalifohe,  geworben;  mit  Klopftocks  Gedichten  war 
er  I'chon  bekannt,  und  fo  in  diefelben  verliebt,  dafs  er  durch  öfteres  Lefen  ganze 
lange  Stellen  auswendig  wui'ste;  ja  er  hatte  fich  fo  fehr  in  Klopftocks  Ton  hinein 
ftudirt,  dafs  er  einige  Jahre  hernach  eine  Ode  an  Meta,  als  ob  fie  von  Klopl'tock 
wäre,  in  dem  kritifchen  Wochenblatt:  die  Freymüthigen  Nachrichten,  be- 
kannt machte,  wodurch  alle  Kenner  und  Liebhaber  der  Poefie,  vorzüglich  die  Be- 
_wunderer  Klopstocks  (nur  zwey  von  Fuefslis  Freunden  nicht,  die  um  das  G.eheimnifs 
Avufsteu),  getäufcht  wurden.' 

Also  wird  Klopstock  —  trotz  Herder  —  nicht  als  Verfasser  der  ode  Au  Meta 
zu  gelten  haben. 

Gegen  Klopstock   spricht  auch    die   Überlieferung   in   Boies   2.  sammelbuche. 
Dort  steht  die  ode  am  Schlüsse  einer  kleinen  gruppc,  die  Fuesslische  gedichte  bringt. 
Nämlich,  im  2.  sammelbuche  ist  von  Boie  eingetragen  unter  nummer: 
7»8     Germanicus  und  Thusnelda.     Germanicus.    Bist  Du,  wie  es  dein  Blick, 

dein  ftolzer  Anstand  .  .  . 

789  Thusnelda.     Hier,  bey  Wodans  Altar,  wo  zehen  Maedchen  .  .  . 

790  Thusnelda.     Wo  verziehet  der  Held  ?  sein  trunknes  Schwerdt  wo .''... 

791  Ode  au  Meta.     Am  Thor  des  Himmels  stand  ich,  und  wollte  schon  .  .  . 

Als  quelle,  aus  der  Boie  schöpfte,  führte  er  die  Zürcher  Freymüthigen  Nachrichten 
von  17(iO  an. 

Das  bei  Boie  unter  788  gebuchte  gedieht  sah  auch  Herder  nicht  für  Klop- 
stockisch  an.  Herder  schrieb  am  2ü.  September  177u  an  Karoline  Flachsland:  'Her- 
mann [sie!]  und  Thusnelda  hab'  ich:  fie  ift  aber  vom  alten,  garftigen  Bodmer  und 
Ihrer  Hand  nicht  Averth'.  (Vgl.  Herder  und  Karoline  Flachsland  I,  1847,  s.  65.)  Dem- 
entsprechend ist  in  dem  für  Karoline  bestimmten  exemplare  der  Darrastädter  aus- 
gäbe von  alter  band  neben  das  gedieht  s.  37  geschrieben:  'ift  von  Bodmer'.  —  Fuesslis 
autorschaft  wird  wieder  durch  das  zeugnis  Boies  C.  F.  Gramer  gegenüber  sichergestellt. 
Vgl.  auch  Seufferts  Vierteljahrschrift  5,  s.  59,  64. 

Für  Boies  nr.  790  nahm  Erich  Schmidt,  Beiträge  s.  77  ff.,  Klopstock  als  dichter 
in  anspruch  und  setzte  diefe  'melodramatische  szene'  ins  jähr  1767,  d.  h.  in  die  ent- 
stehungszeit  von  Klopstocks  Hermanusschlacht.  Muncker,  Klopstock,  1888,  s.  382,  schloss 
sich  Schmidt  an.  So  steht  das  gedieht  auch  bei  Muncker  und  Pawel,  Klopstocks 
öden,  1889,  I,  s.  206.  Dagegen  :  Seufferts  Vierteljahrschrift  5,  s.  64  f.  Bei  der  chrono- 
logischen anordnung  in  Muncker  und  Pawels  ausgäbe  ist  die  ode  jedenfalls  zu  spät 
angesetzt;  denn  bereits  1760  lag  sie  gedruckt  vor.  Die  an  die  falsche  datierung 
geknüpfte  folgerung:  es  handle  sich  um  eine  eigene  Variante  Klopstocks  zur  Her- 
mannsschlacht, ist  unhaltbar.  Bei  der  vorhandenen  Verwandtschaft  ergibt  sich  viel- 
mehr die  frage:  inwieweit  ist  Klopstock  durch  die  Zürcher  Freymüthigen  Nachrichten 
für  seinen  Bardiet  beeiuflusst?     • 

Boies  nr.  791,  die  ode:  An  Meta,  muss  —  wo  Fuessli  der  Verfasser  war  -  als 
eine  parodie  der  Klopstocksclien  Fanny-oden  gelten,  während  Fuesslis  gedichte,  die 
sich  mit  dem  Hermann-stoffe  beschäftigen,  als  ernst  gemeinte  leistungen  anzusehen 
sind.  Über  Fuesslis  Stellung  zu  Klopstocks  lyrik  vgl.  Briefe  an  Job.  H.  Merck  von 
Goethe  usw.,  1835,  s.  58  ff. 

1)  Vgl.  Boies  3.  saramelbuch  nr.  110;  Muncker  und  Pawel  I,  s.  151.   Fehlt  der 


AU.s    HEINRICH    CHRISTIAN   BOIES    NACHLA.SS  71 

So  rchreibt  M[ert;k].  Wonach  man  lieh  zu  achten.  Wir  bleiben  Euch  in  Gnaden 
gewogen 

C[affel,]  den  4.  Febr.  1771.  H[öpfner]. 

Von  der  überl'chickten  Ode  fehlen  mir  noch  die  Strophen  von:  Schon  ruft 
dich  —  bis:  Haffer  der  Thorheit.'     Ich  erbitte  mir  fie  alfo  nächftens. 

Vergleicht  man  das  datum  der  beiden  zuletzt  abgedruckten  und 
des  folgenden  briefes  mit  dem  erscheinungstermin  der  Darmstädter 
ausgäbe,  so  erkennt  man,  wie  der  geheimrat  von  Hesse  und  die  Darm- 
städter noch  zuguterletzt  anstrengungen  machten,  ihre  Sammlung  durch 
Boies  schätze  zu  bereichern. 

Der  folgende  brief  zeigt  wieder,  dass  Boie  bedenken  hatte, 
Klopstocks  öden  aus  der  band  zu  geben.  Diese  bedenken  wären  bei 
Boie  nicht  verständlich,  wenn  es  sich  nur  darum  handeln  sollte,  dass 
die  landgrätin  die  öden  des  dichters  allein  für  ihre  eigene  lektüre 
verlangt  hätte.  Hatte  doch  Boie,  wie  sich  aus  dem  ersten  der  mit- 
geteilten briefe  von  Höpfner  ergibt,  diesem  verschiedene  Klopstocksche 
gedichte  übersandt^.  Es  war  auch  allgemein  üblich,  fremde  und  un- 
gedruckte gedichte  abschriftlich  an  gute  freunde  weiterzugeben.  Man 
tat  es,  indem  man  die  bitte  daran  knüpfte,  die  gedichte  nicht  weiter 
aus  der  band  zu  geben :  durch  diese  bedingung,  die  man  stellte, 
glaubte  man  sich  genügend  zu  decken.  Boie  wusste  aber  aus  Höpfners 
und  von  Hesses  briefen,  dass  die  fortgesetzten  bemühungen  der  Darm- 
städter mehr  bezweckten,  als  nur  der  regierenden  Landgräfin  eine 
abschrift  der  öden,  um  sie  persönlich  zu  erfreuen,  zu  überreichen ! 
So  naiv,  um  das  zu  glauben,  war  Boie  gerade  nicht.  Boie  wusste: 
Klopstocks  öden  waren  schätze,  die  sorgsam  verwahrt  werden  mussten, 
'wo  Räuber  fremder  Güter  von  allen  Seiten  lauern  und  ein  Geheimer 
Rath  fich  an  die  Spitze  einer  Bande  ftellt,  die  alles  was  fie  weglagern 
kann,  für  gute  Prife  hält.  Und  fie  ift  nocli  lang-  und  vielarmigt, 
diefe  Bande' ^.  Das  schrieb  Boie  bereits  am  7.  Oktober  1769  an 
Raspe,  also  bevor  sich  Hesse  an  Boie  gewandt  hatte.  Boie  kannte 
aus   erfahrung    den  missbrauch,  der  beim  freundschaftlichen  austausch 

Darmstädter  ausgäbe,  weil  Boie  diese  ode  damals  noch  nicht  besass.  Vgl.  Mit- 
teilungen aus  dem  literaturarchive  iu  Berlin  III,  1901—05,  s.  32-1,  326. 

1)  Die  im  vorigen  briefe  genannte  ode:  Auf  meine  Freunde  (Muncker  und 
Pawel  I,  s.  8f.).  Höpfner  -  oder  der  Darmstädter  kreis  -  muss  von  dieser  ode, 
ausser  der  von  Boie  gesandten,  noch  eine  andere,  abweichende  abschrift  vor  sich 
gehabt  haben;  denn  Höpfner  zitiert  den  anfang  der  in  Boies  übersandter  abschrift 
fehlenden  partie. 

2)  Vielleicht  war  Boie  früher  bei  der  mitteilung  Klopstockscher  öden  zurück- 
haltender gewesen;  vgl.  Zeitschr.  d.  gesellsch.  f.  schleswig-holsteinische  gesch.,  28.  bd.. 
1898,  s.  .811. 

3)  Weimarisches  Jahrbuch  III,  1855,  s.  19. 


72  CONSENTIU.S 

fremder  gedichte  getrieben  werden  konnte.    Daher  seine  Zurückhaltung-, 
die    erst    durch    bitten    und    Versprechungen,    durch   gegengaben   und 
allerlei  aussichten  für  seine  zukunft  überwunden  werden  musste. 
Höpfner  schrieb: 

Liebfter  Freund, 
In  diefem  Augenblick  erhalte  ich  beyliegenden  Brief  des  Hn.  Geheimenraths 
Heffe  in  Darmftadt.  Laffen  Sie  diefen  braven  Mann,  der  Ihnen  in  andern  Gelegen- 
heiten Gegengefälligkeiten  erzeigen  kann,  keine  Fehlbitte  thun.  Dafs  Sie  nichts 
mehr  von  K[lopftock]  haben  dürfen  Sie  nicht  vorgeben.  Dann  Sie  find  fchon  durch 
mich  verrathen  worden.  Und  was  können  Sie  auch  für  Bedenklichkeiten  haben  die 
Oden  herzugeben.  Klopf tocks  Einwilligung,  wann  er  wüfste,  dafs  eine  Fürftin,  die 
felbft  den  Homer  in  der  Grundfprache  lieft,  feine  Oden  verlangt,  ift  höchft  wahr- 
fcheiulich.  Wiffen  Sie  dann  fchon  dafs  ich  Profeffor  in  Giefen  werden  foll.  Heute 
ift  mir  die  follenne  Vocation  zugefchickt  worden.  Gott  weifs  was  ich  für  einen 
Entfchlufs  faffen  foll.  Sie  find  doch  wieder  gefund?  Ich  denke  ja.  Viele  freund- 
fchaftliche  Grüfe  von  Eafpe  und  Effen.     Ich  bin  ganz  d[er]  Ihrige 

C[affel,]  den  11  Febr.  1771.  H[öpfner].. 

Boie  spendete  wieder  aus  seinen  sammelbüchern. 
Als  die  Darmstädter  ausgäbe  im  märz  1771  erschien,  sprach 
Herder  -  neben  berechtigter  kritik  -  seine  laute  freude  über  das  neue, 
das  die  Sammlung  ihm  brachte,  aus.  'Die  5  letzten  Oden  find  mir 
ganz  neu'  -  schrieb  er '.  Diese  öden,  für  die  Muncker  und  Pawel 
keinen  früheren  druck  nachweisen,  stammen  aus  Boies  zweitem  sammel- 
buche,  nämlich : 

Darmst.  ausgäbe  s.  149  An  Herrn  Gleim.   1752 ;  Boies  zweites  sammelbuch  nr.  503 ; 

Muncker  und  Pawel  I,  s.  102. 
„  „         s.  152  Die  Chöre.  Im  Jan.  1767;  Boies  zweites  sammelbuch  nr.  577; 

Muncker  und  Pawel  I,  s.  191. 
„  „         s.  155  Ode;  Boies  zweites  sammelbuch  nr.  579; 

Muncker  und  Pawel  I,  s.  164. 
„  .,         s.  157  Der  Tod.  Im  März  1764;  Boies  zweites  sammelbuch  nr.  576; 

Muncker  und  Pawel  I,  s.  157. 
„  „         s.  158  Siona ;  Boies  zweites  sammelbuch  nr.  578 ; 

Muncker  und  Pawel  I,  s  166. 
Die  Varianten  (abweichungen  in  der  Interpunktion,  flüchtigkeiteil, 
Umstellungen  einzelner  woHe,  lese-  und  Schreibfehler)  fallen  unter  die 
von    Herder   an    der   ausgäbe  gerügten  mängel ;  sie  werden  durch  die 
art,  wie  diese  Sammlung  entstand,  erklärt  oder  entschuldigt. 

Auch  die  in  der  Darmstädter  ausgäbe  auf  s.  144  diesen  fünf 
stücken  vorausgehende  'Eisode'  (Muncker  und  Pawel  I,  s.  215:  Die 
Kunst  Tialfs)  ist  auf  Boies  niederschrift  im  dritten  sammelbuche  unter 
nr.  60  zurückzuführen.      Neben    orthographischen    abweichungen   und 

1)  Briefe  an  Joh.  Heinr.  Merck  von  Goethe  usw.,  1835,  S.-22. 


AUS   HEINRICH    CHRISTIAN    BOIES   NACHLASS  73 

geänderter  interpimktion  zeigt  der  druck  gegenüber  der  Boieschen 
abschrift  nnr  geringfügige  textliche  Varianten  \  Die  Darmstädter  aus- 
gäbe beruht  nicht  etwa  auf  der  zweiten  aufläge  des  'Hypochondristen'. 
(Muncker  und  Pawel  I,  s.  215,  ^eben  die  reihenfolge  der  drucke  falsch 
an.)  Denn  diese  erschien  später  als  die  Darmstädter  Sammlung^ 
und  hat  erhebliche  abweichungen  gegenüber  der  Boieschen  niederschrift  ^ 
und  der  Darmstädter  ausgäbe. 

-  Also :  Da  Boies  nr.  60  in  seinem  dritten  sammelbuche  die  quelle 
war,  sind  sämtliche  eintragungen  bis  hin  zu  dieser  nummer  vor  das 
erscheinen  der  Darm«tädter  ausgäbe,  vor  den  niärz  1771,  anzusetzen. 
Aber  auch  nur  die  eintragungen  bis  hin  zu  dieser  nummer !  Denn 
nr.  62  im  dritten  sammelbuche:  Ode  an  Slella  (Die  Glücksgebohrnen 
alle  hab  ich  gesehn  .  .  .  *,  vgl.  auch  Louise  Mejers  sammelbuch  blatt  5  a) 
hat  Boie  aus  dem  Wandsbecker  bothen  1771  nr.  73  vom  7,  mai  über- 
nommen. 

Boie  gehörte  trotz  seines  erheblichen  anteils  an  dem  Darmstädter 
drucke  nicht  zu  den  'heiligen  Vierunddreissig',  für  die  die  Darmstädter 
ausgäbe  bestimmt  war.  Als  der  bevorzugte  kreis  die  öden  und  elegien 
bereits  ein  Vierteljahr  in  der  band  hatte,  schrieb  Höpfner  an  Boie: 

Giefeii  den  29  Juu.  1771. 
Liebrter  Freund 
Alfo  das  erftemal  von  Giefen  aus.  Leider  von  Giefen!  Nicht  als  ob  ich  nicht 
gefuud,  ruhig  und  verforgt  wäre.  Nein  das  bin  ich.  Brod  und  Zugemüffe,  auch 
Wein  quantum  fatis  ad  faporem  habe  ich.  Aber  alles  andere,  was  noch  aufferdem, 
—  und  das  ift  noch  ziemlich  viel  —  zu  einem  zufriednen  glücklichen  Leben  gehört, 
fehlt  mir  gänzlich.  Stellen  fie  fich  vor  dafs  ich  au  einem  Orte  lebe  wo  kaum  zwey 
Leute  von  Gefchraack  find,  und  kein  einziges  DicertiJ'fement  möglich  ift,  das  ich 
genieffen  möchte,  wo  ich  fern  von  meinen  Freunden,  und  ohne  Hoffnung  ei«en  neuen 
an  dem  Orte  zu  finden  lebe,  kurz  ein  Leben  ftellen  ^ie  fich  vor,  das  von  den  vorigen 
6  feeligen  Jahren,  die  ich  in  dem  theureu  unvergefslicheu  Caffel  lebte,  l'o  weit  unter- 

1)  Die  Darmstädter  besasseu  von  der  Eisode  bereits  eine  andere  abschrift  von 
Herder  (vgl.  Herder  und  Karoline  Flachsland  L  l-^-i?,  s.  204).  Der  druck  der  Darm- 
städter folgt  aber  nicht  der  Herderschen  abschrift;  denn  Herdern  wollte  angeblich 
erst  durch  den  späteren  druck  im  Hypochondristen  der  sinn  dieser  ode  verständlich 
Averden!     (Briefe  an  und  von  Joh  Heinr.  Merck.  18B8,  s.  35  f.) 

2)  Briefe  an  und  von  Joh.  Heinr.  Merck,  1838,  s.  35  f. ;  Briefe  aus  dem  freundes- 
kreise  von  Goethe,  Herder,  Höpfner  und  Merck,  1847,  s.  27;  ferner  Knebels  brief  vom 
15.  juni  1771  au  Boie  in  dessen  nachlass. 

3)  Boie  besass  die  'Eisode'  vor  dem  druck  im  Hypochrondisten ;  vgl.  Knebels 
literarischer  nachlass  II,  18:-i5,  s.  98. 

4)  Dies  gedieht  stammt  von  Friedrich  Schmit  :1744-1813);  vgl.  Kedlich.^Die 
poetischen  beitrage  zum  Wandsbecker  bothen  (programm),  Hamburg  1871,  s.  17. 

Der  eintrag  ur.  dl  im  3.  sammelbuche  kommt  hier  nicht  in  betracht;  der  gibt 
abschriftlich  ein  französisches  epigramm  mit  dem  verweise  auf:  'Panard.  Xouv.  Auth.  tr. 


74  CONSENTIUS 

fchiedeu  ift,  als  Homer  und  8chünaicli,  Leffing  luid  Klotz,  In  wilTen  Sie  meine  jetzige 
ganze  Situation.     Aber  nun  fey  genug  geklagt. 

Ich  mufs  Ilinen  etwas  erzählen.  Sie  willen  doch  dal's  man  in  Darmft[adt] 
Klopftocks  Oden  gedruckt  hat,  lUmal  zwar  nur,  aber  doch  ohne  Ihr  und  mein  Vor- 
wiffen,  und  ohne  Zweifel  auch  gegen  Ihren  Willen.  Indeffen  es  ift  gefcheheu  und 
ich  bitte  Sie  nur  mir  die  Gerechtigkeit  wiederfahren  zu  laffen  und  von  mir  zu 
glauben,  dafs  icii  weder  von  d[er]  Sache  etwas  gewufst  noch  den  raindeften  Theil 
daran  genommen  habe.  Sollten  Sie  kein  Exemplar  bekommen  liaben  fo  könnte  ich 
Ihnen  die  Stücke,  die  Sie  noch  nicht  befitzen  z.  E.  eine  berrliche  Ode  Petrarch 
und  Laura*  fchicken. 

Hr.  Schmidt-  ift  liier,  lebt  wie  eine  Eule  in  feinen  vier  Mauern,  giebt  und 
nimmt  keine  Vifiten  fchreibt  tapfer  teutfch  und  lateinifch,  und  fammelt  fleifig  zum 
Mufenalmanache.  Ift  Ihnen  etwas  daran  gelegen  fo  kann  ich  Ihnen  feine  lateinifche 
Programmen  fchicken.  Nur  will  ich  Sie  bitten  feine  Schreib-  und  Druckfehler,  oratio 
aditio)taUs,  haec  partes,  is  ojwrtet,  oiiiniiis  poej'eos  pp.  nicht  für  Unwiffenheitsfehler 
zu  halten,  und  auszutrageu. 

Hr.  Bahrt  hat  angefangen  über  Benners  ■'  Moral  zu  lefen.  Nachdem  er  aber 
ungefehr  8.  Stunden  gelefen  und  in  jeder  den  Herrn  Verfaffer  wacker  ausgefilzt 
hatte,  find  ihm  die  co)iimilitoiie.s  honoratiffimi  ■weggeblieben. 

Seyn  Sie  grofsmüthig  und  antworten  Sie  mir  eher  als  ich  verdient  habe. 
Ich  bin  ganz  der  Ihrige 

H[öpfner]. 

Ihre  Briefe  fchicken  Sie  nur  mit  einem  Umfchlage  Ä  Mr.  de  Camiffie/fer* 
Etndiant  eii  belles  lettres  a  Cafsel:  fo  kann  ich  fie  poftfrey  erhalten. 

Aus  den  Höpfnerschen  briefen  folgerte  Weinliold.  Boie  s.  173  f., 
dass  Boie  wider  wissen  und  willen  anteil  an  der  Darmstädter  ausgäbe 
gehabt;  Weinhold  sagt:  Höpfner  und  Boie  seien  darüber  im  dunkeln 
geblieben,  dass  die  öden  gedruckt  werden  sollten.  Wohl  g-erade 
der  zuletzt  mitgeteilte  brief  Höpfners  diente  Weinhold  als  stütze  für 
seine  ansieht.  Aber  Weinhold  zog  die  möglichkeit  nicht  in  erwägung', 
ob  etwa  dieser  brief  ein  Schriftstück  darstellt,  das  Boien  Klopstock 
gegenüber  gelegentlich  zur  rechtfertigung  dienen  sollte,  wenn  der 
dichter      wie  zu  erwarten  war  -  kenntnis  von  der  Darmstädter  samni- 

Ij  Vgl.  die  Darmstädter  ausgäbe  s.  102  (Muucker  und  Pawel  I,  s.  48).  Diese 
ude  sandte  Herder  am  30.  august  1770  au  Karoline  Flachsland;  ihr  war  sie  damals 
noch  gänzlich  unbekannt  (Herder  und  Karoline  Flachslaud  I,  1847,  s.  29,  50).  In 
Boies  3.  Sammelbuche  erst  unter  nr.  63  eingetragen.  Dass  Boies  niederschrift  in 
diesem  falle  auf  den  druck  der  Darmstädter  ausgäbe  zurückgeht,  ist  bei  wesent- 
lichen textvarianten  nicht  gut  anzuuehmen. 

2)  Schmid,  Christian  Heinrich  (174(i-1800). 

3)  Benner,  Johann  Hermann  (1699—1782),  professor  der  theol.  und  Superinten- 
dent in  Giessen.  Von  ihm:  Abhandlung  einer  theologischen  moral,  zum  behuf  aka- 
demischer Vorlesungen,  Giessen  1770. 

4)  Wohl  ein  söhn  des  geheimen  rats  und  Präsidenten  am  oberappellations- 
gerichte  zu  Cassel  von  Canngiesser,  in  dessen  hause  Höpfner,  vor  seiner  Giessener 
zeit  und  ehe  er  professor  der  rechte  am  Carolinum  in  Gassei  ward,  hofmeister 
gewesen. 


AUS    HEINRICH    CHRISTIAN    BolEs    NACIlLAss  75 

luug-  erhielte.  Weinhold  rechnete  nicht  mit  der  niög-lichkeit.  dass  dieser 
briet",  der  eine  gute  weile  nach  dem  erscheinen  der  ausgäbe  geschrieben 
wurde,  auf  bestellung  abgefasst  sein  könnte. 

Diese  möglichkeit  bleibt  allerdings  zu  erwägen.  Denn  die  von 
Höpfner  so  stark  betonte  angebliche  Unkenntnis  über  die  absiebten 
der  Darmstädter  ist  bei  Höpfners  Verbindung  mit  dem  geheimrat  von 
Hesse  und  mit  Merck  verdächtig.  Hätte  Höpfner  wirklich  die  absieht 
gehabt,  über  den  angeblichen  missbrauch,  d.  h.  über  den  druck,  der 
Boieschen  abschriften  sein  erstaunen  und  seine  missbilligung  zu  äussern 
-  er  hätte  damit  schwerlich  ein  Vierteljahr  gewartet! 

Später  liat  sich  Boie  durch  Herder  ein  exemplar  der  Darmstädter 
ausgäbe  selbst  verschafft,  das  Herder  nach  jähren,  nachdem  Carl 
Friedrich  Gramer  diesen  privatdruck  missbräuchlich  benutzt  hatte, 
wieder  zurückfordefl:e. 

Boies  beziehungen  zu  Klopstock  suchte  Herder  auch  nach  er- 
scheinen der  Darmstädter  ausgäbe  zu  nützen,  indem  er,  und  ebenso 
seine  frau,  von  Boie  wieder  neue  mitteilungen  über  Klopstock  be- 
gehrten, als  der  den  odengewaltigen  in  Hamburg  besuchte.  In  dem 
kreise,  der  sich  seinerzeit  um  die  landgräfin  in  Darmstadt  geschart 
hatte,  war  das  Interesse  an  Klopstock  und  seinen  dichtungen  längst 
nicht  erkaltet,  auch  als  diese  Verehrer  die  echte,  vom  dichter  selbst 
veranstaltete  ausgäbe  seiner  öden  in  der  band  hatten.  Boie  blieb 
auch  da  noch  für  sie  eine  der  reichsten  quellen,  aus  der  begeisterung 
und  neugier  zu  schöpfen  suchten.  Stammten  doch  nach  Boies  eigener 
angäbe  die  meisten  der  bis  dahin  ungedruckten  stücke  in  der  Darm- 
städter Sammlung  aus  seinem  portefeuille !  Die  textkritik  wird  des- 
halb an  Boies  sammelbüchern  nicht  vorübergehen  dürfen,  wo  Boie 
die  Darmstädter  ausgäbe  mit  ungedruckten  öden  so  bereichert  hat. 

Dem  eben  gesagten  dienen  einige  briefstellen  der  Boie-Herder- 
schen  korrespondenz  zur  stütze,  die  ich  hier  anschliesse. 

Boie,  Göttingen  den  19.  april  1772,  au  Herder:  '...Wie  man  die 
Leute  noch  imverfchämter  macht,  je  mehr  mau  Ihneu  einräumt,  lo  erinuere  ich  noch, 
dafs  Sie  mir  die  Darmftädtifche  Sammlung  von  K[lopftock]'s  Oden  zu  zeigen,  und, 
wo  möglich,  mir  felbft  ein  Exemplar  zu  fchaffen  verfprochen.  .  .  .' 

Herder  übersandte  Bolen  ein  exemplar  der  Darmstädter  ausgäbe. 

Herders  frau,  Bückeburg  den  19.  dezember  1773,  an  Boie; 
li.nludimy  zum  besuch  in  Bückebury  und  dank  für  den  übersandten  almanach: 
■.  .  .  faramlen  Sie  nur  Viel  deun  Sie  müfsen  uns  Von  Claudius  u.  Klopftock  Viel 
i.rzehlen  —  .  .  .' 


76  CONSENTIUS 

Herder,  ohne  ort  [Bückeburg],  ohne  datum,  an  Boie;  dessen 
empfangsnotiz:  den  5.  märz  1774:  'Alfo  wars  alfo,  dafs  Sie  vorbeireifen 
mnften.  Aber  auch  kein  näher  Wort  von  Kl[opftock]  zu  fchreiben,  nicht  zu 
fchicken  —  es  ist,  als  ob  man  Pyramiden  gefehen  u.  nichts  zu  fich  ftecken  oder 
mittheilen  konnte. 

A  proposvou  Klopft[ockJ.  —  Sie  haben  doch  vor  geraumer  Zeit  die  Samml[ung] 
Öden  von  Kl[opftock]  erhalten,  die  in  Darmftadt  nachgedruckt  worden.  Es  ift  nicht 
um  fie  zurückzuhaben,  zu  thun,  fondern  nur  zu  wifsen,  dafs  Sie  fie  haben.  .  .  . 
Meine  Fr[au]  können  Sie  fehr  mit  Etwas  von  Kl[opftock]  erfreuen:  Sachen  u.  Nach- 
richt!   Thun  Sies  doch  ja  in  einer  müfsigen  Stunde  .  .  .' 

Diese  beiden  briefstellen  beziehen  sich  auf  Boies  reise  im  de- 
zember  1773,  die  ihn  nach  Hamburg  und  Flensburg  und  von  Flens- 
burg wieder  zu  Klopstock  nach  Hamburg  führte.  Reich  beladen  mit 
Klopstockschen  gedichten  war  Boie  im  februar  1774  nach  Göttingen 
zurückgekehrt. 

Boie,  Hannover  den  27.  januarl781,  an  Herder:  '.  ..  Leider  ift 
Ihre  Ahndung  wegen  Cramers  eingetroifen.  Er  hatte  das  Buch  in  Göttingen  hei 
mir  gefehen,  u.  plagte  mich  fo  darum,  dafs  ich  fchwach  genug  war  feinen  Bitten 
nicht  zu  widerftehen,  da  ich  ohnehin  nichts  dabei  [zu]  verfehen  glaubte,  indem  von 
den  darin  enthaltenen  ungedrukten  Stükken  Abfchriften  fonft  exiftiren,  und  die 
meiften,  wie  Sie  wifsen,  aus  meihem  Portefeuille  kamen.  Verzeihen  Sie  mir,  liebfter, 
diefe  Indiskretion.  Ich  fchreibe  mit  nächfter  Poft  an  Gramem  und  begehre  das 
Buch  zurük.  .  .  .' 

C.  F.  Gramer,  Klopstock.  Er-  und  über  ihn  I,  Hamburg  1780, 
s.  222  f.,  hatte  auf  die  Darmstädter  ausgäbe,  die  er  durch  Boie  er- 
halten, hingewiesen  und  a.  a.  o.  II,  s.  280  auch  'Petrarka  und  Laura' 
(]\Iuncker  und  Pawel  I,  s.  48),  eine  ode,  die  bis  dahin  nur  in  der 
Darmstädter  ausgäbe  abgedruckt  war,  bekanntgemacht. 

Boie,  Hannover  den  28.  februar  1781,  an  Herder:  '.  ..  Ich  f ende 
Ihnen  hier  Ihr  Exemplar  von  Klopftoks  Oden  mit  meinem  heften  Dank  und  noch- 
maliger Bitte  um  Verzeihung  zurük  .  .  .' 

Ein  eigenes  exeraplar  des  Darmstädter  druckes  hat  Boie  also 
nicht  erhalten.  Was  Weiuhold  darüber  sagt,  ist  irrig  ^  Boie  erhielt 
nur  von  Darmstadt  her  einige  beitrage  für  den  musenalmanach''^,  und 
seine  bemülmngen  für  die  Darmstädter  -  Sammlung  gaben  ihm  das 
recht,  gelegentlich  dem  herrn  von  Hesse  seine  aufwartung  zu  machen  ^. 

1)  Weinhold,  Boie  1868,  s.  175. 

2)  A.  a.  0.  s.  250  f. 

3)  A.  a.  0.  8.  70. 


AUS    HEINRICH    CHRISTIAN    BOIES   NACHLASS  77 

Und  auf  einen  anderen  Darmstädter  druck  aus  eben  der  zeit  sei 
aufmerksam  gemacht,  den  Goedeke  und  Muncker  nicht  nennen. 

Als  'Neues  Darmftädtifches  Gefang-Buch  für  die  Hof-Gemeinde. 
Im  Verlage  des  Wayfenhaufes.  Darmftadt,  gedruckt  in  der  Fürftl. 
Hof-  und  Canzleybuchdruckerey,  durch  Joh.  Jac.  Will,  p,  t.  Factor  ]  772' 
erschien  in  oktavformat  ein  stattlicher  band,  der  vier  unbeziflferte  Seiten 
titel,  vorrede  und  Inhalt,  378  Seiten  liedertexte  und  zum  schluss  zwei 
register  und  verschiedene  gebete  enthält.  Dies  gesangbuch  bringt 
unter  anderem  über  sechs  dutzend  Klopstockscher  geistlicher  lieder, 
teils  eigene  gedichte  Klopstocks,  teils  von  ihm  umgearbeitete  ältere 
kirchengesänge. 

.  Als  Klopftock  seine  'Geiftlichen  Lieder'  (bd.  1  Kopenhagen  und 
Leipzig  1758,  bd.  2  ebenda  1769)  erscheinen  Hess,  sprach  er  in  der 
vorrede  zum  zweiten  bände  von  seiner  absieht,  bald  ein  neues  prote- 
stantisches gesangbuch  herauszugeben,  das  Cramers  lieder  und  psalmen, 
Funks  lieder  und  die  meisten  von  Gellerts  und  Schlegels  liedern  ent- 
halten sollte.  Nach  Klopstocks  plane  sollte  auch  Basedow  mit  einigen 
liedern  vertreten  sein,  daneben  etliche  gesänge  aus  den  neuen  gesang- 
büchorn  übernommen  werden,  und  natürlich  durften  Klopstocks  eigene 
geistliche  lieder  dieser  Sammlung  nicht  fehlen.  Dass  Giseke  zu  früh 
verstorben,  der  sonst  dies"  geplante  gesangbuch  bereichert  hätte,  be- 
dauerte Klopstock  ausdrücklich  und  forderte  in  der  vorrede  ötfentlich 
Uz  und  die  Karschin^  zu  beitragen  zu  seinem  gesangbuch  auf  - 
Kurze  zeit  nach  dieser  aufforderung,  bald  nach  der  ausgäbe  des 
zweiten  teiles  seiner  'Geiftlichen  Lieder',  trat  das  Neue  Darmstädtische 
gesangbuch  ans  licht.  Es  stellt  sich  mit  der  reichen  auslese  Klop- 
stockscher lieder,  mit  den  sehr  zahlreichen  versen  von  J.  A.  Gramer, 
Geliert  und  J.  A.  Schlegel,  mit  einigen  gedichten  von  Uz,  von  F.  W. 
Zachariae  und  von  N.  D.  Giseke  dar  als  ein  versuch,  den  von  Klop- 
stock ausgesprochenen  gedanken  zu  verwirklichen,  der  den  neueren 
dichtem  einen  platz  in  den  überkommenen,  alten  liedersammhingen 
geben  wollte,  die  dem  religiösen  gebrauche  der  protestantischen  ge- 
meinde dienen. 

Ich  begnüge  mich  mit  dem  hinweise  auf  diesen  Darmstädter 
druck,  ohne  den  Varianten  für  Klopstock  und  andere  dichter  im  ein- 
zelnen nachzugeben.  -  Dieser  druck  zeigt,  dass  Klopstocks  'Geiftliche 

1)  Am  fi.  Januar  1770  schrieb  Boie  von  Berlin  aus  seinen  eitern:  '.  .  .  Klop- 
ftock  hat  die  Karfchin  zu  geiftlichen  Gefangen  aufgefordert.  Sie  nimmt  die  Auf- 
forderung an,  und  ich  glaulie,  dafs  fie  ihr  gelingen  werden.  Die  erften  Verfuche, 
Kinderlieder,  die  fehr  meinen  Beyfall  haben,  ftehen  in  dem  Mufen  Almanach.  .  .  .' 
d.  h.  im  Göttiuger  musenalmanach  auf  1770,  s.  Ifilft'. 


78  NAUMANN 

Lieder'  in  dem  begeisterten  kreise  der  Darnistädter  jedesfalls  keine 
'gleichgiltige  aufnähme',  die  Muncker  im  allgemeinen  diesen  versuchen, 
nachsagt',  gefunden.  Die  hofgemeinde  Darmstadts  bot  für  alles, 
was  von  Klopstock  kam,  einen  überaus  empfänglichen  boden ;  sie 
wusste  in  ihrem  enthusiasmus  anregungen  des  verehrten  sängers  die 
praktische  Verwertung  zu  geben.  Dieser  grosse  enthusiasmus  erklärt 
-  und  rechtfertigt  auch  die  Darmstädter  ausgäbe  der  öden  und  elegien 
von  1771. 

r.ioiiMN.  i:uNsr  cgnsenth's. 


MISZELLEN. 

Zu  'Ludwigs  kreuzfahrt'. 


'Ludwigs  kreuzfahrt'  reiht  sich  literarhistorisch  in  einen  engereu  und  in  einen 
weiteren  Zusammenhang  ein.  Der  eine,  hauptsächlich  von  Baesecke  in  der  ein- 
leitung-  zu  seinem  'Wiener  Oswakl'  behandelte,  führt  das  gedieht  an  den  hof  der 
Schweidnitz-Jauerschen  piasten,  der  andere  an  dessen  grösseres  vorbild,  den  hof  der 
böhmischen  könige  zu  Prag.  Beider  beziehungen  geschieht  in  unserem  gedieht 
erwähnung,  der  einen  vers  1  ff.  und  vers  5570  ff.  -  mit  der  nennung  des  herzogs 
Polke,  der  andern  vers  5410  ff.  mit  dem  grossen  panegyricus  auf  die  Przemisliden 
von  Wenzel  I.  bis  Wenzel  II.  Von  Prag  her  und  den  dort  befolgten  stiltendenzen 
stammt  zweifellos  die  Wolframsche  mauier  in  unserem  gedieht.  Seit  Jantzens 
(Zeitschr.  3ö,  s.  40  ff.)  Zusammenstellungen  kennen  wir  die  starke  bedeutung,  die  in 
stilistischer    beziehung    Ulrich    von   Eschenbach,    der    böhmische    hofpoet   und 

1)  Muncker,  Klopstock  1888,  s.  307.  —  Erwähnt  sei,  dass  der  musikdirektor 
in  Magdeburg,  Johann  Heinrich  Rolle,  den  Klopstock  persönlich  kennen  gelernt,  zu 
einzelnen  liedern  kompositionen  schuf,  und  zwar  mit  des  dichters  einwilligung.  Denn 
als  Rolle  seine  subskriptionsaufforderung  vom  1.  Oktober  1774  erliess  (vgl.  z.  b.  Wands- 
becker bothe  1774  nr.  160,  7.  Oktober)  und  fünfzig  geistliche  lieder  mit  melodien,  näm- 
lich ausgewählte  lieder  von  Klopstock,  Geliert,  Funk  und  Sturm,  ankündigte,  warb 
unter  anderen  in  Hamburg  Johann  Martin  von  Winthem  in  der  Königsstrasse  für  diese 
Sammlung  um  Unterschriften  (Wandsbecker  bothe  1774  ur.  170,  1775  nr,  1). 

Der  pastor  Samuel  Christian  Lappenberg  gab  1769  fünfzig  alte  und  bekannte 
kirchenlieder  heraus,  legte  dabei  Klopstocks  arbeit  zugrunde  und  verbesserte  einzelne 
lieder,  denen  Klopstock  schon  seine  bemühung  zugewandt  (vgl.  Hamburgische  neue 
zeitung  176^»,  16B.  stück,  16.  oktuber). 

Diese  und  andere  drucke  erwartet  man  in  dem  katalog  von  Klopstocks  biblio- 
thek,  den  Muncker,  a.  a.  o.  s.  551,  erwähnt,  zu  finden.  Leider  sind  Munckers  angaben 
ungenau.  Am  19.  februar  1H05  wurde  nur  ein  teil  der  Klopstockscheu  bibliothek 
verkauft,  und  dieser  teil  der  bibliothek,  über  den  ein  wenig  sorgfältiges  'Verzeichnifs' 
gedruckt  wurde,  umfasste  nicht  771  nummern,  sondern  870.  Aus  dem  auktionskataloge 
lernt  man  Klopstocks  l)ibliothek,  die  doch  etwas  umfangreicher  gewesen  sein  muss, 
als  Muncker  angibt,  nicht  kennen.  Ein  exemplar  des  'Verzeichnifs'  befindet  sich  auf 
der  Hamburger  stadtbibliothek  (Katalog  der  Klopstock-ausstellung  der  Stadtbibliothek 
zu  Hamburg  19ü3  unter  nr.  143). 

2)  Von  vers  505  ab  weicht  meine  Zählung  (für  die  ueuausgabe  in  den  Mon. 
Germ,  bist.)  um  5  verse  ab'  von  der  von  der  Hagens,  der  sich  hier  verzählt  hat. 
Vers  5.570  bei  mir  ist  also  5575  Itei  von  der  Hagen  und  so  fort. 


zu  'LUDWIGS  kkeizkaiirt'  79 

grosse  epigone  Wolframscher  kuust,  für  den  dichter  von  'Lud\\igs  kreuzfulirt'  besitzt. 
Unser  dichter  selbst  stammte  offenbar  aus  dem  Troppauer  lande,  dessen  zumeist  aus 
Thüringen  eingewanderten  kolonisationsadel  er  genau  kennt,  darunter  besonders 
Ulrich  11.  von  Xeuliaus  (kreis  Olmütz).  Das  ungemein  warme  lob  auf  ihn 
und  sein  gastliches  haus  (vers  1060  ff.)  Uisst  besonders  enge  beziehuug  vermuten. 
Gerade  von  Neuhaus  aber  führen  die  wege  nach  Prag  an  den  hof  und  zur  böhmi- 
schen hofdichtung.  Die  hs.  C  des  Ulrichschen  'Alexander'  ist  für  Ulrich  von  Neu- 
haus verfertigt  (Alexander  ed.  Toischer  s.  IX).  Man  braucht  die  dinge  nur  in  das 
rechte  licht  zu  rückeu,  um  sie  ganz  klar  zu  machen.  Den  stoff'  zu  seinem  gedieht 
empfieng  unser  dichter  von  dem  thüringischen  kolonisationsadel,  dessen  ahnherren 
an  des  landgrafen  Ludwig  III.  kreuzfahrt  von  1189  und  an  der  des  laudgrafen  Lud- 
wig: J^V.  von  1228  beteiligt  waren ;  beide  fahrten  und  fürsten  vermischen  sich  dem 
dichter.  Dem  herzog  Polke  war  wegen  seiner  Verwandtschaft  mit  den  Ludolfingeru 
dieser  stoff  nicht  unangenehm.  Vorbilder,  höfischer  stil,  die  romantische  verliebe 
für  die  Sarrazenen  verraten  die  luft  des  böhmischen  königshofes ;  lässt  sich  doch 
Wenzel  IL  selbst  von  Ulrich  von  Escheubach  unter  dem  bilde  'Wilhelms  von  Wenden' 
in  heidnisch-sarazenischer  Verklärung  abkonterfeien !  Au  das  lob  der  Przemisliden 
knüpft  sich  erneutes  lob  des  Polke  an  :  auch  mit  diesen  war  der  herzog  verwandt 
(siehe  unten).  Indem  der  dichter  seine  sämtlichen  mäzeue  nennt  und  preist,  Ulrich 
von  Neuhaus,  könig  Wenzel  II.  und  herzog  Polke,  den  auftraggeber  des  gedichtes, 
hat  er  meines  erachtens  selbst  den  weg  seines  lebens  gezeichnet. 

Es  fragt  sich  nur,  welcher  von  den  vielen  schlesischen  Bolkos  unser  herzog 
Polke  ist.  Von  Wilken  und  von  der  Hagen  bis  Baesecke  identifizierte  man  ohne 
ziu-eichende  gründe  den  Polke  mit  herzog  Bolko  IL  aus  der  Schweidnitz-Jauer- 
Münsterbergischen  piastenliuie,  und  besonders  Baesecke  stellte  ihn  in  den  mittelpunkt 
eines  blühenden  schlesischen  musenhofes.  Aber  wir  werden  sehen,  dass  mindestens 
in  bezug  auf  die  'kreuzfahrt'  der  rühm  des  mäzenatentums  auf  dieses  Bolko  gleich- 
namigen vater  Bolko  I.  übergehen  muss. 

Bolko  IL  ist  nämlich  frühestens  1298  geboren,  vgl.  Konrad  Wutke,  Stamm- 
und  Übersichtstafeln  der  schlesischen  fürsten,  1911,  tafel  III;  Zeitschr.  d.  ver.  für 
gesch,  Schlesiens,  46.  163  ft'  ;  ja,  wenn  wir  bedenken,  dass  sein  ältester  bruder  auch 
Bolko  hiess,  als  knabe  am  30.  Januar  1300  starb  und  wahrscheinlich  nach  alter  sitte 
seinen  namen  erst  dem  neuen  brüderchen  vererbte,  so  kommen  wir  mit  der  geburt 
beziehungsweise  taufe  Bolkos  IL  frühestens  auf  den  februar  des  Jahres  1300.  Nun 
setzt  man  'Ludwigs  kreuzfahrt'  gewöhnlich  in  die  jähre  1301—1305.  Aber  ein 
1— 5jähriges  kiud  kann  nicht  der  anreger  eines  gedichtes  sein;  es  kann  nicht  von 
ihm  in  worten  die  rede  sein,  die  auf  eine  längere  und  tatkräftige  regierungszeit  not- 
wendig schliesseu  lassen,  und  es  kann  nicht  von  ihm  heissen:  der  gerehter  sinem 
rolke  ist  vor  als  ein  tverlich  man  (5573)  —  auch  bei  sehr  weitgehender  Schmeichelei 
nicht.  Wäre  man  auf  Bolko  IL  angewiesen,  so  müsste  man  sich  an  seinen  selb- 
ständigkeitstermin  halten  (22.  nov.  1322)  und  käme  auf  1325  vielleicht.  Da  nun 
aber  anderseits  auch  könig  Wenzel  IL,  der  am  2L  juni  1305  gestorben  ist,  vers  5470 
bis  5554  unzweifelhaft  als  lebender  behandelt  wird,  so  käme  man  von  ihm  aus  den- 
noch in  die  zeit  vor  1305  und  damit  zu  einem  unlöslichen  Widerspruch  —  wenn  es 
sich  nicht  vielmehr  um  Bolko  L,  den  vater,  handelte,  den  herzog  von  Jauer  und 
Schweidnitz  und  herrn  von  Fürstenberg.  Wer  sich  über  bedeutung  und  eigenscbaften 
dipses  fürsten  bei  St.enzcl,  Geschichte  Schlesiens  s.  112,  oder  Grünhagen,  Geschichte 
Schlesiens  I  s.  121  ff.,    126  ff.,  unterrichtet,    der  wird  finden,    dass  unser  dichter  mit 


80  NAUMANN 

seinem  lobe  kein  wort  zuviel  über  ihn  sagt.  Es  passt  zu  dem  charakterbilde  dieses 
energischen  mannes,  dass  er,  wie  er  als  erster  schlesisclier  fürst  die  ungeordneten 
ländereien,  einküufte  und  leistungen  in  genauer,  peinlicher  Ordnung  verzeichnen  liess, 
so  auch  die  berichte  über  'Ludwigs  kreuzfahrt'  mer  vernunftic  haben  wolde  und  be- 
fahl, sie  SU  rehte  zu  berihten,  in  wärem  r/ni  verslihten  und  ordenlich  zubringen  sie, 
als  der  edele  furste  die  niht  rehte  geordent  funden  hat.  Seine  urgrossmutter  Hedwig, 
gattin  Heinrichs  L,  war  eine  tante  der  landgräfin  Elisabeth,  daher  die  Verwandtschaft 
mit  den  Ludolfiugern.  Seine  grossmutter  Anna,  gattin  Heinrichs  II.,  war  eine 
tochter  könig  Ottokars  II.  von  Böhmen:  daher  die  Verwandtschaft  mit  den  Przemis- 
liden.  Unser  dichter  hat  demnach  ein  besonderes  recht,  nach  dem  grossen  Przemis- 
lidenlob  scheinbar  unvermittelt  auf  unsern  Bolko  zu  kommen  und  von  ihm  zu  sagen, 
er  sei  des  (hs.  dem)  kuniclichen  Stammes  ein  blünder  ast.  Es  erledigt  sich  damit 
von  der  Hagens  Streichung  des  dem  und  seine  annähme,  es  sei  damit  nichts  weiter 
gemeint,  als  dass  alle  fürsten  Schlesiens  von  den  grossfürsten  Polens  stammen,  das 
damals  schon  ein  königreich  war  (s.  XVI  seiner  Ausgabe).  Wenzel  II.  und  Bolko  I. 
waren  vettern  zweiten  grades.  Im  Januar  1289  war  Bolko  I.  selbst  in  Prag,  und 
der  könig  beschenkte  ihn  zum  zeichen  seiner  besonderen  huld  mit  der  Stadt  Schön- 
berg. Aber  hat  sich  der  herzog  vielleicht  eben  damals  aus  Prag,  dem  böhmischen 
rausenhofe  Ulrichs  von  dem  Türlin  und  Ulrichs  von  Eschenbach,  einen  hofkaplan  mit- 
gebracht, der  als  sein  hofdichter  der  Verfasser  von  'Ludwigs  kreuzfahrt'  wurde  und 
der  wie  jene  im  banne  Wolframscher  kunst  stand?  —  Es  werden  umstände  aus  dem 
leben  und  der  regierung  Wenzels  IL  erwähnt,  die  in  dessen  letzte  jalire  fallen,  wie 
seine  krönung  zum  polnischen  könig  in  Gnesen  im  juni  1300  und  die  anbietung  der 
ungarischen  kröne  im  jähre  1301  (vers  553»  ff.).  Aber  herzog  Bolko  1.  starb  am 
9.  november  eben  dieses  Jahres.  Dies  ereignis  ist  nicht  mehr  erwähnt.  Wenzel  liess 
seinen  söhn  am  .:6.  august  zum  ungarischen  könig  krönen.  Auch  diese  krönung 
erwähnt  der  dichter  nicht,  aber  man  braucht  sich  auf  dieses  datum  nicht  festzulegen. 
Hätte  der  dichter,  als  er  die  Przemislidenverse  o412-;-5569  schrieb,  diese  krönung 
schon  gekannt,  die  doch  nur  der  letzte  ausdruck  des  ein  paar  monate  früher  {er 
des  ein  jär  vol  umme  quam  5543)  eingefädelten  und  bekannt  gewordenen  politischen 
ereignisses  selber  war,  er  hätte  sie  gewiss,  wie  die  krönung  zu  Gnesen,  mit  ein  paar 
Versen  an  unserer  stelle  erwähnt.  Nachher  war  keine  gelegenheit  mehr  dazu; 
d.  h.  ende  august  IBOl  war  das  6.  tausend  der  über  8000  verse  schon  voll.  Und  als 
am  9.  november  der  'tod  des  herrn'  erfolgte,  war  die  arbeit  ganz  abgeschlossen;  es 
hätte  dies  ereignis  sonst,  mindestens  anlässlich  der  Schilderung  des  landgrafentodes, 
wie  etwa  bei  Hartmann  von  Aue,  werte  und  verse  ausgelöst.  Nicht  innerhalb  der 
jähre  13Ul— 1305,  sondern  im  jähre  iHUl  muss  also  unser  gedieht  ent- 
standen sein.  Es  wird  kaum  ein  zweites  rahd.  epos  so  auf  monate  genau  fest- 
gelegt werden  können  wie  'Ludwigs  kreuzfahrt'. 

Der  hier  schon  mehrfach  berührte  weitere  Zusammenhang  ist,  wie  gesagt, 
der  mit  der  böhmischen  hofdichtung  in  Wolframs  manier,  der  durch  Jantzens  kon- 
frontierung mit  Ulrich  von  Eschenbach  zuerst  bekannt  geworden  ist.  Aber 
Jantzen  hat  den  einfluss  Ulrichs  und  auch  des  stilverwandten  herzog  Ernst  D 
auf  unsern  dichter  durchaus  nicht  weit  genug  verfolgt.  Es  lassen  sich  noch  zahl- 
lose weitere  parallelen  mit  leichter  mühe  auffinden  von  ganz  alltäglichen,  wie  893 
von  liöher  geburt  die  clären  (wörtlich  so  Wilhelm  von  Wenden  4963),  bis  zu  kom- 
plizierteren, wie  vers  3371  das  ironische  ive(t  mit  der  fluht  daz  rechen  ir?  wie  snlen 
nch  des  loben  wir?  (vgl.  Alexander  13  721    ivolt   ir  den    mit  fliihte  rechen?   iro-  sol 


zu  'i.UDWlGS  kueuzfahüt'  31 

darambe  sprechen  in  wol  oder  bieten  ere'^)  oder  3212  wir  (die  Cristen)  sin  hie  in 
i/otes  f/ebof,  die  heiden  uf  zwimltigen  tot  (vgl.  herzog-  Ernst  D  4765  die  (Cristen) 
irärn  da  tiff  c/ots  gebot,  die  heiden  nff  tzweier  slahte  tot  und  sehr  viel  mehr.  Schlacht- 
schilderungeu,  belagerungen,  beschreibungen  ritterlich  -  höfischer  Zurichtung  sind 
nach  demselben  Schema  und  mit  denselben  werten  gearbeitet.  Die  tolerante  auf- 
fassung  der  heiden  ist  die  gleiche,  und  all  das  rührt  zuletzt  von  Wolfram  her.  Aber 
es  ist  mir  zweifelhaft,  ob  unser  dichter,  obwohl  er  ihn  zweimal  nennt,  Wolfram  noch 
selbst  überhaupt  gelesen  hat.  Er  kann  sämtliche  Wolframiana  von  seinen  literari- 
schen raittelgliedern  haben,  denen  er  so  unendlich  viel  verdankt.  Wenn  er  vers  950  ff. 
sagt,  dass  des  landgrafen  Hermann  hoch  prisende  tat  zu  si'izer  rede  brdht  hat  her 
Wolfram  von  Eschenbach,  so  denkt  er  damit  kaum  an  die  stellen,  die  in  den  echten 
werken  Wolframs  Hermann  rühmend,  aber  beiläufig  erwähnen,  sondern  die  nicht 
ganz  richtig  eingeschätzte  quelle  waren  ihm  Ulrichs  verse  4364  ff.  her  Wolfram  von 
Eschenlach  .  .  .  als  er  ze  hohem  finge  maz  den  lantgrai:  n  von  Diii-ngen  Hermann 
im  'Wilhelm  von  Wenden'.  Der  vergleich  Saladins  mit  Wolframs  Terramer  vers  1796  ff. 
stammt  wohl  aus  dem  Jüngern  Titurel  2836  ff.  Der  wendung  5511  dirre  selige 
Wenzezlabe  liegen  Ulrichs  verse  im  'Wilhelm  von  Wenden'  4860  f.  kiinec  Wenzelabe 
com  sceUgen  hns  oder  vom  sadegen  lande  mit  der  etymologie  von  Beheim  zu  beatus 
zugrunde.  Ich  zweifle  nicht,  dass  wie  jener  heidnische  burggraf  Dimitter  5359  aus 
dem  'Alexander'  stammt  und  es  überflüssig  ist,  nach  einer  historischen  Identifizierung 
zu  suchen,  dass  so  auch  der  14tägige  friede  4609,  7531  aus  dem  Herzog  Ernst  D  1422 
stammt  und  dass  mit  der  Adelet,  die  neben  Elisabeth  (und  ebenso  falsch  wie  diese) 
vers  633  einmal  als  n-irtin  Ludwigs  III.  auftritt,  nichts  als  eine  wohl  unbewusste 
reminiszenz  au  die  vromve  und  wirtin  Adelheit  aus  dem  'Herzog  Ernst'  vorliegt. 

Ja,  es  geht  die  abhängigkeit  von  den  Vorbildern  in  der  diktion  so  weit,  dass 
folgender  merkwürdige  fall  eintritt :  man  nui  s  s  bei  der  schlechten  Über- 
lieferung von  'Ludwigs  kreuzfahrt"  (nur  1  hs.)  mitunter  ihre  Vor- 
bilder zur  textkritik  heranziehen.  So  ist  vers  2449  hmide  menige  vellen 
tgr  nicht  etwa  zu  lesen  als  hunde  manige  vellen(t)  tier,  sondern  nach  Alex.  12430, 
wo  der  vers,  von  Jantzen  nicht  bemerkt,  wörtlicli  (nur  durch  creftic  erweitert)  steht, 
als:  hunde  metnge  cellet  tier  (die  menge  der  hunde).  Die  von  Lexer  als  a:ia5  ver- 
zeichnete Verbindung  in  nnergerter  not  (hs.  niie:  gertener)  3127  fällt  ganz  fort,  denn 
es  handelt  sich  um  die  unergezte  not,  die  im  Alex.  26926,  27523,  Wilhelm  von 
Wenden  1168,  Herzog  Ernst  D  4864  begegnet.  Die  quelle  für  alle  ist  Parz.  752,  1. 
In  den  eiugangsversen  11  ff.,  wo  von  der  mzen  rede  gesagt  wird:  und  die  fron 
Eren  holde  (das  ist  Bolko,  nach  Wilhelm. von  Wenden  1768)  mer  vernnnftic  haben 
ivolde  iif  frönden  äcentüre  in  s/nem  hftse  zu  starc  und  ivil  zu  Inst  geniezen  ir 
ändert  Singer  (Prager  deutsche  Studien  8,  312)  die  Avorte  haben  .  ..  zu  stilre  in 
laden  .  .  .  zu  füre.  Aber  der  reim  nventinre  :  stinre  stammt  gleichfalls  aus  Ulrichs 
diktion,  vgl.  Alexander  27  607  die  (süeze  rede)  dirre  dventinre  git  iverder  h  Ife  stinre; 
stinre  ist  ein  ungemein  beliebtes  reipwort  bei  Ulrich.  Die  Übersetzung  der  (unge- 
schickten) stelle  ist  nicht  schwierig:  Inst  ist  dnö  v.ovio~j  zu  sture  wie  zu  geniezen 
zuziehen.  Ähnliches  begegnet  bei  unserem  dichter  öfter;  etwa  umzustellen  zu  sture 
der  bist  und  wil  genv.zen  ir,  ist  nicht  notwendig. 

An  einer  anderen,  etwas  verzweifelteren  stelle,  innerhalb  einer  besonders  wieder 
von  Ulrich  so  sehr  geliebten  apostrophe  der  'Welt',  bessert  Singer  in  vers  7627 
diner  valschen  liebe  wene  angelt  fröude  nf  etvic  sene  die  werte  angelt  frönde  in  an 
fröude  gelt.  Aber  wenn  man,  wie  ich  das  für  die  hier  unbedingt  gegebene  nietbode 

ZEITÜCHKIFT    F.   PEUTSCHE   PHILOLOGIE.      BD.  XLIX.  Ö 


82  GÜRTLER 

halte,  unter  dem  eindruck  der  ungeheureu  stilistischen  abhängigkeit  des  dichters 
von  seinen  Vorbildern  zum  toxtverständiiis  eben  von  diesen  Vorbildern  ausgeht,  so 
darf  man  das  ungelt  nicht  ändern  angesichts  des  du  fröiden  schar/her  angel  in  ähn- 
licher Verwendung  Alex.  13  5i6;  vgl.  dhi  tot  in  mhi  freude  geworfen  hat  den  scharfen 
jdniers  angel  Jung.  Titurel  1025,  auch  4674;  Wolframs  Willehalm  174,  22.  'Gewohn- 
heit an  weltlust  schläfert  die  himmlische  Sehnsucht  ein'  ist  der  sinn  des  satzes,  der 
sofort  mit  andern  worten  noch  einmal  verdeutlicht  wird. 

Wer  uns  einmal  eine  systematische  Untersuchung  jenes  nachklaugs  höfischer 
kunst  gibt,  der  von  Böhmen  her  sogar  über  die  schlesischen  berge  flog,  der  möge 
auch  jener  6  Iweinfresken  im  alten  wohnturm  des  Schlosses  von  Boberröhrsdorf 
bei  Jauer  gedenken,  über  die  Knütel  in  den  'Mitteill.  d.  schl.  ges.  f.  Volkskunde'  20 
1918,  s.  72  ff.  gehandelt  hat.  Wenn  die  herren  von  Redern,  deren  einen,  namens  Peter, 
Knötel  für  den  auftraggeber  jeuer  Wandgemälde  mit  motiveu  aus  dem  'Iwein'  hält,  zu 
Bolko  II.  in  beziehung  standen,  so  taten  sie  das  natürlich  zu  Bolko  I.  auch  und  erst 
recht.  Denn  Bolko  II.  regierte  gar  nicht  mehr  selbst  in  Jauer,  wo  zu  dieser  zeit 
sein  bruder  Heinrich  I.  sass ;  wohl  aber  waren  unter  Bolko  I.  Schweidnitz  und  Jauer 
vereint  gewesen.  Auch  scbloss  Grafenstein  bei  Zittau  enthält  übrigens  alte  Iwein- 
fresken. ' 

JENA.  HANS   NAUMAxKN. 


Zum  gebrauch  der  konkurrierenden  abstraktbildungcn  im  gotischen. 

Das  scheinbar  wirre  nebeneinander  der  sich  inhaltlich  berührenden  und 
daher  untereinander  konkurrierenden  abstraktformen  im  got.  hat  ia  Kauffmauns 
weit  ausholender  stilgeschichtlicher  Untersuchung  der  got.  bibel  -  eine  wesentliche 
klärung  erfahren.  Mit  recht  wird  hier  (s.  2i.5)  unter  den  dem  Übersetzer  zu  geböte 
stehenden  ausdrucksmöglichkeiten  bei  der  wiedergäbe  von  abstraktbegriffen  die 
bewusste  bevorzugung  der  stark  erweiterten  gruppe^  auf  -ei  hervorgehoben.  Über- 
haupt hat  zu  ihren  gunsten  eine  'nicht  unerhebliche  Verschiebung'  stattgefunden. 
Die  alten  -Ja-stämme  wurden  zurückgedrängt,  die  konkurrierenden  auf  -ipa  in 
ihrem  Wachstum  gehemmt;  sie  trat  sogar  mit  den  verbalabstrakten  auf  -eins  erfolg- 
reich in  Wettbewerb.  iJnter  den  ab  weichungen  des  got.  textes  von  der  griechischen 
vorläge    nehmen    von    allen    abstraktbilduugen    die    auf   -ei   den    verhältnismässig 

1)  Es  mögen  sich  hier  in  aller  kürze  noch  einige  konjekturen  anschliessen, 
die  zumeist  für  sich  selber  sprechen:  Vers  1910  lies  ir  phile  (hs.  ciel  ril)  auch  da 
rerschuz^en  die  schützen;  ein  hörfehler :  irgendwann  war  also  das  gedieht  einmal 
nach  diktat  geschrieben  worden.  Vers  398H  lies  noch  ez  e)i  ist  in  wirde  (hs.  wurde) 
siten;  wurde  für  wirde  ist  dialekt,  i)t  wirde  siten  auch  vers  4546.  Vers  bOSß  nach 
Hiinne  geldes  (hs.  gerndes)  Urne  nach  vers  1315,  2075,  Wilh.  von  Wenden  3636, 
Alex.  13538,  23H69;  Parz.  23,  7  und  öfter.  Vers  H485  1.  in  »lenl/cheni  geturste 
wie  2802,  und  8048  1-  von  eigenen  getnrsten  nach  2485,  5157.  Vers  5065  1.  ich 
meine,  des  keisers  onch  und  (statt  hs.  7tot)  der  walhe  halp;  5074  sie  statt  sin,  6570 
drie  schar  statt  die  scJtar.  Vers  7082  ist  es  ganz  unnötig,  mit  Jantzen  s.  15  in 
wagen  etwas  anderes  als  den  Infinitiv  wägen  zu  sehen,  der  asyndetisch  mit  sin  ko- 
ordiniert ist.  Vers  3304  ergänze  Surs,  3259  einen  Frisen  (nicht  mit  von  der  Hagen 
sinen  bruder)^  7713  üch  jßegen  zu  genzUcke  aus  gründen  des  Zusammenhangs. 

2)  Zeitschr.  48,  1  ff.  165  ff. 

3)  Ich  habe  —  rechnet  man  aipei,  kilpei,  bairgahei  ab  —  im  ganzen  93  hier- 
hergehörige bildungen  gezählt. 


ZUM   GEBRAUCH   DER   KONKURRIERENDEN    ABSTRAKTBILDUNGEN    IM    GOTISCHEN      83 

grössten  räum  ein ' ;  nur  in  den  Corintherbriefeu,  wo  überhaupt  die  Übersetzungs- 
technik innerhalb  der  gezogenen  grenzen  am  freiesten  ist-,  wechseln  synonjma 
häufiger  ^. 

Ein  vergleich  der  belegten  doppelformen  zu  -ci-bilduugen  und  -ia-stämraen 
ergibt  fast  in  allen  fällen  ein  übergewicht  für  -ei,  gieichmässig  verteilt  auf  die 
einzelnen  teile  der  bibel.  Dabei  bleibt  auffällig  das  erhebliche  überwiegen  voji 
weitwodei  gegen  u-eittcodi;  dieser  umstand  allein  schon  —  er  wird  gestützt  durch 
andere  von  Kauffmann  vorgebrachte  erwägungen  —  scheint  mir  für  ein  verhältnis- 
mässig junges  alter  der  -<?«-bildung  zu  sprechen.  Diese  abstraktbildungen  gehören 
zu  denjenigen  formen,  die  dem  'neuen  stil  der  buchsprache' *  das  gepräge  geben  und 
die  spräche  des  Übersetzers  als  'eine  von  der  Volkssprache  verschiedene  literatur- 
sprache'®  erscheinen  lassen. 

Unter  den  mit  -ei-  konkurrierenden  verbalabstrakten,  soweit  sie  von  Kauffmann 
a.  a.  0.  nicht  berührt  worden  sind,  treten  namentlich  -düps  und  -ipu  hervor.  Für 
-dups  kommen  nur  4  Stichwörter  in   betracht,   die  Verhältnisse  liegen  also  einfach: 

gamain  ein  andbahtjis  xf/V  xoivcovtav  tris  Staxovtas  2  Cor  8,  4;  taihswons 
.  .  .  gamainein  Gal  2,  9.  Gegen:  hlaifs  panei  brikani,  niu  gamaindups  leikis  frau- 
HHS  ist?  (xoivcüvta)  1  Cor  10,  16;  gamaindup  pidaine  Phil  3,  10;  ko  gamaindupe 
ahmins  Phil  2,  1 ;  2  Cor  6,  14;  in  ainfalpein  gamaindupais  2  Cor  9,  13.  —  Klänge 
nicht,  namentlich  an  der  ersten  stelle,  die  form  mit  dem  altertümlicheren,  wuchtigereu 
Suffix  feierlicher? 

unte  gataivida  niis  niikilein,  sa  inahteiga  Ott  STioiirjosv  [lo:  [ityccXBioi.  6  iD^^a.- 
tds  L  1,  49;  usßlmans  pan  waurjxun  allai  ana  pizai  niikilein  gudis  im.  xvj  [isYa^etö- 
TYjXi  L  9,  43;  ufarasstis  mikileins  mahtuis  is  iJ.sysS'OS  Eph  1,  19;  ei  fraujins  niiki- 
lein gakannidedi  Skeir  IV  d.  Gegen:  niikildnps  fraujins  wulpans  kannida  Skeir  IV  b; 
swalauda  is  mikildupais  mäht  ebd.  ('majestät')- 

managdtips  fahedais  vj  Ttspioasta  "cfjg  xapäg  2  Cor  8,  2  ist  die  einzige  stelle, 
an  der  diese  bildung  belegt  ist,  während  man  für  managei  in  der  bibel  etwa  130  be- 
lege zählt,  in  der  Skeireins  2.  Im  sing,  steht  das  wort  für  7tX-?j9-o;,  Xadj,  oyXog, 
vereinzelt  für   5x>.ot;   im  plur.  bildet  es  die  Übersetzung  zu  Xao-l,  ol  'louoavoi  u.  a. 

ajukdnps  hat  keine  nebenform  auf  -ei.  Ich  glaube,  die  wähl  des  wertes, 
für  das  sonst  aius  steht,  ist  an  den  8  belegsteilen  aus  satzrhythmischen  gründen 
zu  erklären:  es  steht  Joh  6,  51.  58  am  satzende,  L  1,  33  im  satzeinschnitt. 

Ein  vergleich  hinsichtlich  des  Stärkeverhältnisses  zwischen  -ei  und  -düps  fällt 
also  entschieden  zugunsten  von  -ei  aus.  Die  scheinbare  ausnähme  für  ganiaindupjs 
erklärt  sich  daher,  dass  dieses  zweimal  im  Philipperbrief  steht,  der  an  -ej-formen 
wie  auch  für  -ipa  hinter  dem  durchschnitt  zurückbleibt. 

An   der  hand  der  erhaltenen  teile  der  got.  bibelübcvsetzung  lässt  sich  somit 

1)  An  stelle  eines griech.  adjektivs:  latei .  .  .  pwastipa  öv.'^ripov  .  .  .  äocpaXe; 
Phil  3,  1;  für  ein  adverb:  iinagein  .  .  .  dcydßcüs  L  1,  74;  statt  eines  verbs  steht 
ein  got.  verb  mit  zugehörigem  Substantiv :  ns  liidein  taiknjan  unoxpiveo^at  L  20,  20. 

2;  J.  M.  Kapteiju,  IF.  29,  344. 

3)  Vgl.  mijnvissei  .  .  .  gahiigds  auvsiav]Ois  1  Cor  8,  10.  12;  boka  .  .  .  gamehins 
Ypä|i[j,a,  Ypä|i[iaxa  2  Cor  3,(3.7;  in  unmalitini  meinaim  (sv  xats  da&evs-.at;  |aou)... 
in  siukeini  meinaim  2  Cor  12,  5.  9.  lO;  ...  tvas  niuklahs  .  .  .  barniskeins  aßagida 
^Ttmot;  .  .  .  xd  xoü  vvjuiou  1  Cor  13,  11  (nicht  so  ausdrucksvoll  ist  der  Übergang  von 
niuklahs  zu  barnisks  Gal  4,  1.  3). 

4)  Leuk,  Beitr.  36,  305. 

5)  Kauffmann,  Zeitschr.  48,  167. 

6* 


84  GÜRTJ.ER 

deutlich  erkeuueu,  class  -ei  das  s  ch  wer  fäll  ige  ro,  gleichbedeutende  -dAps 
verdräugt  hat. 

Nicht  so  einfach  ist  die  abgreuzuug  im  gehrauch  von  -ei  und  -ipo  '.     In  der 
bedeutung-  decken  sich  die  angehörigen  beider  gruppen  ziemlich: 
airzei  ■KXä.Mf]  Eph  4,  14;  Skeir.  V  a.  —  airzißu  nXävv]  Mt  27,  64;  plur.  1  Tim  4,  1. 
armahairtei  sXeog  L  1,  50.  54.  58;    Eph  2,  4  und  sonst.  —  aDnahalrtipa  IXeog 

Mt  9,  13;  L  1,  72;  sXsr)|Jioa6vyj  Mt  6,  4. 
dauhci  nwpcoaig  ß  11,  25.  —  daubipa  Tiwpojaig  Mc  3,  5;  Eph  4,  18. 
diupei  ßä9-os  Eph  3,  18.  -  diupijja  ßä9-os  L  5,  4;  E  8,  39.  11,  33;  ßu^-ög 

2  Cor  11,  25. 
{nn)garaihtel  Stxaiooüvr;  Mt  5,  20;  L  1,  75;  Phil  3,  6;  2  Cor  (5,  14  und  oft;  Stxaicoiia 

L  1,6;    K8,  4;   ävofiia  2  Cor  6,  14.    —    <iaraihüjm   oixatooüvyj    Joh  16,  8.  10; 

R  10,  10. 
gaurei  "kriizfi  Phil  2,  27.  —  (/aurij)a  Xünt]  .Joh  16,  6. 
hauJiei  ucJjos  Eph  3,  18.  —  liwüiipa   hi^oz  L  1,  78;  Eph  4,  8;  ütf^cüfia  li  8,  39;  8dga 

L  14,  10;  Joh  7,  18. 
hlntrei  eUixptvsia  2  Cor  1,  12.  —  lilntripa  sUixpiveia  2  Cor  2,  17. 
kaurei  ^a.poi;  2  Cor  4,  17.  —  kannpa  ßdpog  Gal  6,  2. 
waila-,    waju-merei   zh^fi^ia  2  Cor  6,  8;    §uaq;Yj|iia    ebd.  —  iveripa    cpY]|j.y;   Mt  9,  26; 

L  4,  14;  dxoyi  Mc  1,  28;  ^x^S  L  4,  37. 
siviknei   djrXöxvjs   2  Cor  11,  3;    Gal  5,  23;    äy^^^*  1  '^'ioi  5,  2.   -  siciknipa   äyvöxric, 

2  Cor  6,  6;  ayeta  1  Tim  4,  12. 
(tm)hrainei  Skeir  III b;    dxaS-apota  Col  3,  5.  —  luihrainipa  äxaO-apoia  2  Cor  12,  21; 

Gal  5,  19;  Eph  4,  19.  5,  3;  1  Thess  4,  7. 
unswerei  dtiiiia  2  Cor  6,  8.  —  tmsiverißa  dTt|iia  2  Cor  11,  21. 
weittvodel  Skeir  VIb;  |iapxüpiov  2  Cor  1,  12;  2  Thess  1,  10;  1  Tim  2,  6;    [Jiapxupia 

Tit  1,  13.  —  ireitirodipa    Skeir  IV  c;  [lapTÜptov  Mt  8,  4 ;    2  Tim  1,  18;    |iap- 

xupia  Mc  14,  55.  59  und  sonst;. verbal  Mc  14,  56. 

In  einigen  der  hier  verzeichneten  fälle  ist  der  durch  -ipa  ausgedrückte  be- 
griff weiter  als  der  Inhalt  der  parallelbildung  auf  -ei.  So  hat  annahairtipa  nicht 
nur  die  bedeutung  von  armahairtei  (eXsog),  sondern  dazu  auch  die  der  werktätigen 
barmherzigkeit  (dXsYjjJiooüvy],  'Unterstützung,  wohltat,  almosen').  Der  bedeutungs- 
inhalt  von  garaihtei  (5ixatco!J.a)  ist  enger  als  derjenige  von  (Sixaiooüvyj)  garaihtipa. 
Genau  so  verhält  es  sich  mit  -merci,  dessen  bedeutung  allerdings  festgelegt  ist 
durch  die  verdeutlichende  kompositionsform,  gegen  meripm  (cpYjp,vj,  6lv.ot\).  Über- 
tragene bedeutung  liegt  vor  in  hanhipia  (8öga). 

Der  plural  hat  prägnante  bedeutung  bei  kauripa  (xd  ßdpvj  Gal  6,  2;  vgl. 
mdpjaus  kaiirein  '^li.poc,  Sögyj;  2  Cor  4,  17),  Begriffserweiteruug  des  plur.  gegen- 
über dem  sing,  liegt  auch  vor  bei  nianrvipariii  mamvipmi  aiwaggeljoyin  {hi  kxox.^a'zw^., 

1)  Die  klasse  auf  -ipa  ist  bei  weitem  nicht  mehr  so  zahlreich,  ich  habe  nur 
35  bildungen  gezählt. 

2)  Als  solche  ergibt  sich  diejenige  des  zustands.  Die  eigenschaft  einer 
person,  eines  dinges  wird  potenziert  gedacht  als  zustandsforra  {armahairtei,  -ipa; 
dii(pei,-ip)a,  hauhei,  -ipa);  meist  wird  nur  der  zustand  als  solcher  ausgedrückt  {barniskei, 
usbeistei,  fullipxi).,  oder  das  verharren  in  dem  schon  eingetretenen  zustand  {bleipm, 
daubei,  -ipa,  ainfalpei^  yanripa,  sweripa).  Die  Weiterentwicklung  ist  angedeutet  in 
riurei.  Aus  ihr  ergibt  sich  diejenige  des  zustandes  der  Vollendung  {linpjei,  sleipei, 
■weitwodei,  pwastipa,  wairpnda,  icargipm).  Doch  muss  zugegeben  werden,  dass  die 
bedeutungsübergänge  oft  unvermittelt  ineinander  übergehen. 


ZUM    GEBRAUCH    DER   KONKURRIERENDEN    ABSTRAKTEILDUNGEX    fM    OOTISCIIEX      85 

bereitscliaft)    Eph  6,    15    geg-eu    L   14,  2S  jiia  f rumist  yasitands    rahneip    munn-ipo 
(oby\  npwTov  xa9-öoas  ^'Yj'^i^ei  xyjv  SaTiävrjV,  kosten). 

Überhaupt  ist  der  gebrauch  des  plur.  im  Verhältnis  zur  grosse  der 
gruppe  gegenüber  der  viel  stärkeren  auf  -e*  auffallend  häufig.  Einige  der 
belegten  -?/>a-bilduugen  kommen  nur  pluralisch  vor,  während  im  sing,  -f/- formen 
bevorzugt  werden.  Diese  Stileigentümlichkeit  kehrt  so  auffällig  oft  wieder,  dass 
man  geradezu  von  einer  ausgesprochenen  bevorzugung  des  Übersetzers  für  -ifja  zum 
ausdruck  des  pluralbegriffs  bei  abstrakten  reden  darf.  Vgl.  izwaros  misso  kauripos 
hairaip  (xä  ßäpYj)  Gal  6,  2 ;  aber  sing,  l-anrei  2  Cor  4,  17.  Ebenso  bei  aglipa, 
mildijm,  denen  allerdings  die  konkurrierenden  -e/-bildungen  abgehen :  winnan  aglipjos 
(O'Xißsoö-ai)  1  Thess  3,  4;  jahai  ho  mildipo  juh  gableipeino  {aKXä.yyya)  Phil  2.  1. 
Zu  ca'rztpa,  unhruinipa,  weitu-odijju  kommen  die  parallelformen  auf  -ei  nur  im  sing. 
vor:  atsaih^andans  ahmane  airzipos  jali  laiseino  unhulpono  (upoasxovxeg  7cvs6|xaaiv 
TiXävoig)  1  Tim  4,  1 ;  horinassus  jah-  allos  unhraimjjos  (uopvsia  §e  xal  tzoLocc  &xa- 
9-apota)  Eph  5,  3;  samaleikos  pos  weitivodipos  (|jiapxupiat)  Mc  14,  56.  Ebenso  agc/toipa 
"2  Cor  6,  4:  in  ar/lom,  in  nanpiw,  in  aggivipom  (Iv  axsvoxMp'laij). 

Die  plurale  Verwendung  verdankte  ihre  häufigkeit  zum  guten  teil  der  deut- 
licher erkennbaren  flexionsform  gegenüber  dem  einförmigeren  e/-schema,  Sie  wäre 
aber  sicherlich  nicht  so  ausgesprochen,  wenn  nicht  der  ableitung  -ipjci  in  der  lebenden 
spräche  im  gegensatz  zu  dem  mehr  schriftsprachlich  empfundenen  -ei  auch  ein 
zug  ins  konkrete  angehaftet  hätte '.. 

Die  lebendigkeit  des  produktiven  Suffixes  -ipa  ergibt  sich  auch  aus  dem 
umstand,  dass  beziehungen  der  träger  dieser  ableitungsweise  zu  anders  gebildeten 
abstraktgruppen  weniger  häufig  auftreten.  Für  -^a-stämme  ist  neben  -ijja  nur  ein 
beispiel  belegt :  tceitwodi  2  Tim  2,  2  gegenüber  dem  häufiger  vertretenen  iceitwodipa. 
Zu  fem.  -H-stämmeu:  neben  aglipa  1  Thess  3,  4  steht  uglo  (O-Xicpig)  Mc  4,  17;  Eph 
3,  13;  (öSüvyj)  R  9,  2;  (in)  agiow  juh  arhaidim  (sv  xdnw  xal  fiöx^-qj)  2  Cor  11,27. 
fidlipa  hat  neben  nfarfnllei  und  einem  nicht  ganz  sicher  anzusetzenden  fidleip- 
fulleips  (Mc  4,  28)  noch /«//o  zur  seite;  nnU  afnimip  fullon  af  pjamma  snagin  (aipsi 
Yäp  xö  TiX-^ptüiia)  Mt  9,  16;  R  11,  12.  25;  Eph  4,  13  und  öfter. 

Neben  armahairtei,  -ipja  begegnet  armaio  in  gleicher  bedeutung  (begriffs- 
erweiterung) :  armaio  (iXsos)  R  9,  23.  11,  31;  Gal  6,  16  und  öfter;  afsaikip  armaion 
{■Kpoaiyzxs  xvjv- SixaioaüvTjv)  Mt  6,  1.  2;  ip  puk  taujandan  armaion  (IXsvjiiooüvyiv) 
Mt  6,  3;  aber:  ei  sijai  so  armahairti/ja  peina  in  fulhsnja  Mt  6,  4". 

Durch  das  aus  der  Skeireias  belegte  weitwodeins  steht  -ipa  auch  zur  gruppe 
der  verbalabstrakte  in  beziehung. 

Verwickelter  scheint  die  abgrenzuug  zwischen  -ei  und  -ipa.  Unter  abzug 
derjenigen  fälle,  die  in  ausgesprochen  pluralischer  funktion  (teilweise  mit  besonderer 
bedeutung)  durch  die  vorläge  bedingt  sind,  bleibt  doch  noch  eine  ganze  reihe  auf- 
fallender parallelformen.  Auch  ihre  Verwendung  ist  bei  näherem  zu^^ehen  keine 
wahllose,  vielmehr  an  gewisse  Voraussetzungen  gebunden. 

1)  Damit  wird  auch  der  gebrauch  von  fid/ipa  (eig.  das  vollsein,  die  fülle, 
vgl.  nfarfnllei  :fnlls)  zusammenhängen.  Dann  ist  es  nicht  nötig  Col  2.  16  in  duilai 
dagis  dulpals  aippau  fnllipe  (ev  jispsi  sopxT,^  y,  vcu[iyia?:)  wegen  der  bedeutung 
'voUmond'  eine  ausnahmestellung  des  wertes  zu  konstruieren.  i    u  • 

2)  Für  diese  ausgeprägte  Stileigentümlichkeit,  wonach  -dem  dreimal  bei- 
behaltenen griech.  wort  im  got.  zwei  gleiche  (hier  sogar  drei)  und  ein  dav(in  ab- 
weichendes entsprechen',  hat  R.  Gröper,  Untersuchungen  über  got.  synonyma,  diss. 
Berlin  1915,  s.  87  f.  weitere  belege  gegeben. 


86 


GURTLEU 


Zunächst    die    häufigkeit    des    Vorkommens.     Für   die   oben  aufgeführten  13 
Wörter  mit  den  belegten  parallelformen  ergeben  sich  folgende  werte  * : 


LuCjMc  Job 

Mt 

2  Cor 

1  Cor  1  Rom 

Eph  Gal  ITim  Col 

2Tim 

WhilThess 

NehjTit 

|Skeir 

•ipa 
•ei 

4 
2 

2 
2 

4 

3 
1 

6 
6 

4 
-        3 

1 

3 
5 

1 

1  3 

2  3 

1 

1 

1 
3 

2 

1 

1 

-      1 

1 

4 

Für  sämtliche  hierhergehörenden  bildungen: 


Luc 

Mc 

Joh 

Mt 

2  Cor  ICor 

ßöm  Eph  Gal  1  Tim  Col  2Tim  Phil  Thess 

NehTit 

Skeir 

-ißa 

11 

4 

7 

5 

13        2 

10 

6       3 

7 

2 

2    '    2 

6 

1 

4 

-ei 

15 

12 

2 

6 

35       16 

19 

28    15 

19 

U 

9 

7 

3 

1      5 

16 

Der  gebrauch  beider  ableitungsweisen  ist  in  den  einzelnen  denkmälern  dem- 
nach verschieden.  Besonders  beachtenswert  sind  die  beiden  Corinther-  und  der 
Römerbrief  wegen  ihrer  abweichenden  behandlung,  teile  der  bibelübersetzung,  denen 
besondere  feinheiten  der  Übersetzungstechnik  nachgerühmt  werden. 

Im  wesentlichen  stimmen  beide  Übersichten  aber  überein '^  Bemerkenswert 
bleibt  beidemal  das  starke  überwiegen  von  -ei  in  der  jüngeren  Skeireins.  Die  zahlen 
würden  sich  noch  mehr  verschieben  zugunsten  von  -ei,  wollte  man  diejenigen  belege 
für  -ipa  abziehen,  die  dort  in  den  eingestreuten  bibelstellen  stehen.  Daraus  ergibt 
sich  doch  offenbar,  dass  -ei  in  immer  weiterem  umfange  das  schwerere 
-ipa  im  schriftsprachlichen  gebrauche  verdr  ängt  h  at.  Wie  für  das 
schwerfälligere,  archaische  -düßs  ist  für  -ipa  (berührungen  zwischen  -ipa  und  •dü]>s 
lassen  sich  überhaupt  nicht  mehr  nachweisen)  mit  der  zeit  -ei  im  schriftsprachlichen 
gebrauche  eingetreten ;  derselbe  entwicklungsgang  also,  den  auch  das  alid.  mit 
seiner  ursprünglichen  Vielheit  von  abstraktableitungen  bietet.  So  deutlich  wie  hier 
aber,  wo  das  einzige  erhaltene  werk  anhaltspunkte  bietet  für  die  Schichtung  der 
verschiedenen  typen  innerhalb  der  lebenden  spräche,  erscheint  eine  Scheidung  dort 
iü  keinem  falle  möglich. 

Ist  -ei  aber  die  ausgesprochen  schriftsprachliche  ableitungsform,  so  kommt 
-ipa  mehr  der  lebenden  spräche  zu  (vgl.  die  Übersetzung  inniitjipa  für  xä  s-^-/.a.\\\.a,^ 
fest  der  erneuerung  des  tempels,  Joh  10,  22).  Auch  dafür  ergeben  sich  anhalts- 
punkte. Als  beweismaterial  mögen  die  oben  aufgeführten  13  parallelformen  dienen, 
wobei  ich  jedoch  diesmal  sämtliche  belegsteilen  zähle.  Ein  vergleich  ergibt  nun 
für  diejenigen  abstrakta,  die  zu  adjektiven  gebildet  sind,  die  eine  geistige  eigeii- 
schaft  ausdrücken,  eine  viel  höhere  zahl  für  -ei  im  Verhältnis  zu  -ißct :  armahairtei: 
ißa  =  8:o;  {nn)garaihiei :  -«T*«  =  34  :  3 ;  für  swil-nei:  -ipa  ist  das  Verhältnis  =  3  :  2 ; 
bei   einigen   andern  zufällig  nur  schwach  belegten  gleich.     Demgegenüber  aber  be- 

1)  Ein  in  demselben  denkmal  öfter  wiederkehrendes  wort  ist  nur  einfach 
gezählt,  ebenso  komposita.  Für  die  reihenfolge  in  der  aufzählung  der  bibelteile 
war  die  grosse  des  erhaltenen  Stückes  massgebend,  um  das  verhalten  der  einzelnen 
teile  besser  zu  kennzeichnen;  nur  die  beiden  Thessalonicherbriefe  habe  ich  ihres 
geringen  umfangs  wegen  zusammengezogen.  Gezäblt  sind  in  beiden  tabellen  auch 
die  fälle,  in  denen  -ipa  durch  den  gebrauch  im  plur.  bedingt  ist,  wo  also  unter 
andern  umständen  im  sing,  -ei  einträte. 

2)  Namentlich  im  spärlichen  gebrauch  der  abstraktformen  in  den  evangelien- 
berichten  gegenüber  den  episteln. 


ZUM    GEBRAUCH   DER    KONKURRIERENDEN    ABSTKAK  rBILDUNGEN    TM    GOTISCHEN      87 


achte  man:  diupei:-ij>a  =  1:1;  hauhel : -ijm  =  1:7;  unhrainei: -ipa  =  1:5-  weit- 
wodci : -ipa  —  Q  :  Yl .  Der  unterschied  zwischen  schriftsprachlicher  und  gemein- 
sprachlicher  form  spiegelt  sich  darin  deutlich  ab. 

Er  ist  sogar  noch  viel  feiner  wiedergegeben.  Von  einer  reihe  von  fällen 
abgesehen,  deren  ausnahmestellung  sich  zumeist  aus  flexivischen  gründen  ergibt, 
steht  nämlich  im  gehobenen  stile  -ei,  in  einfacher  rede  dagegen  -ipa^: 


a  r  m  a  h airt ip a  iv/lja u  jah  ni  liunsl 
Mt  9,  13;  ei  sijai  so  annahairtipa  ßeina 
in  fidhsnja  Mt  6,  4;  taujan  ai-inahair- 
tipa  bi  attam  unsaraim  L  1,  72. 

brigg  ana  diupipa  .  .  .  po  natja  izwara 
L  5,  4. 

Jah  qimands  is  gasakip  po.manasep  bi 
fraivaurht  jah  bi  garaihtipa  jah  bi  stana 
.  .  .  ip  bi  garaihtipa,  patei  du  atti)i  mei- 
namma  gagga  Joh  16,  8.  10. 

Bi  unsweripaiqipa  2  Cor  11,  21. 


-ei:  L  1,  58;  Eph  2,  4. 


bi  garaihtein  pizai  sei    in    tvitoda    ist 
Phil  3,  6. 


pairh 


pairli     ivepnu     yaraihteins 
ivnlpH    jah    u n s w ere i n ,    pairh     waja- 
merein  jah  ivailamerein,  2  Cor  6,  7. 

so  gibands  sik  silban  andabauht  faur 

aHans     w eitivo  dein      melam     sivesaim 

1  Tim  2,    6 ;    so    ist    weitwodei   sunjeina 

Tit  1,  13. 

Ähnlich   im   einfachen   schlichten    erzählerton  -ipu,  in  gehobener  darstellung, 

daher  zumeist  in  den  episteln  -ei: 


Jah  qap  itnma  Jesus:  .  .  .  jah  atbair 
gibapoei  anabaup  Moses  du  weitivodipai 
im  Mt  8,  4 ;  wohl  auch  2  Tim  1,  8. 


mite  gatawida  mis  mikilein  .  .  .  jah 
a  rmaha  irtei  is  in  aldins  L  1,  50. 

ei  ganrein  ana  gaxirein  ni  hahan 
Phil  2,  27. 


vgl.  taujan  arm  ah  airt  ipu  L  1,  72. 

akei  unte  pata  rotida  izwis,  g  a  u  r  ip  a 
gadaubida  izxvar  hairto  Joh  16,  6. 

jah  usiddja  meripa  so  and  alla  jaina 
ahpa  Mt  9,  26;  Mc  1,  28;  L  4,  37 ;  jah 
meripa  urrann  L  4,  14.' 

unte  d anbei  bi  suniafa  Israela  varp 
R  11,  25. 

unte    galaubida    ist   toeittvodei    unsara 

da  izwis  2  Thess  1,  10;  Skeir  VIb;  unte 

koftuli    unsara    so    ist,    iveitwodei    mip- 

wisseins   unsaraizos,  patei  in    ainfalpein 

jah  hlutrein  gudis,    ni  in  handngein  lel- 

keinai  2  Cor.  1,  12. 

Wo   sich   der   unterschied   im   gebrauche   beider  formen  nicht  so  erklärt,  ist 

die  -ei-ioxm  eingesetzt  aus  gründen  der  satzmelodik,   oder  es  handelt  sich  um 

formen  der  obliquen  casus. 

1)  Ich  berücksichtige  hierbei  der  kürze  halber  nur  die  oben  aufgeführten 
13  Parallelbildungen.  -  Die  Scheidung  zwischen  eiufacher  beschreibung  und  pathe- 
tischer rede  ist  in  den  briefen  naturgemäss  schwieriger  als  in  den  eyung^elien- 
berichten.  -  Andere  beispiele  für  Wörter  auf  -ipa  ohne  doppelformen:  Joh  i,  Ib; 
L  1,  14;  1  Thess  5,  3. 


jah  ni sioa  samaleika  was  w eit  w o d ip  a 
■ize  Mo  14,  59 ;  sokidedun  ana  Jesu  weit- 
wodipa  du  afdaupjan  Ina  Mc  14,  55. 


CifRTLER,    ZUM    GEBRAUCH   DER    KONKURU.  A  ÜSTRAK'I'BILDUNGEN    IM  GOTISCHEX 


Im  fallenden  Sprechtakt,  namentlich  am  ende  des  satzes,  steht  statt  des 
-ipa  das  -ei,  vgl.  iraurstira  leikis,  patei  ist  :horinassns,  kalhinassns,  linhrainipa, 
aglaitei  Gal  5,  19'; 


in  ßludeisein  du  Usteic/nn  usirandjai 
airzeins  Eph  4,  14. 

hleihida  Israela  piumagu  seinamma 
(/fninuiands  a  r  m  a h  a  ir  tein s  L  1,  54.  50. 

//•«  sijai  braidei  jah.  laggei  jah  hauhei 
juh  diupei  Eph  3,  18. 


jah  ist  so  sjjeidizei  airzi^a  irairsizci 

J>izai  f rumein  Mt  27,  64. 

armahairtipa     vgl.    oben    Mt   9, 

13.  6,  4;  L  1,  72. 
0    diupipa    gaheins    liandtigeins   jah 

icitnhnjis  gtidis !  R  11,  33  (zwischen  einer 

menge    von    -^ i-formen !) ;    nih    hauhipa 

nih   diwpipa    nih  gaskafts    anpara   tnagi 

uns   afskaidan    af  friapwai  gudis  pizai 

R  8,  39 ;   naht  jah  dag  in  diupipai  irns 

mareins  -2  Cor  11,  25. 
g  ara  ihtipa  vgl.  oben  Job  16,  8.  10.  ei  garaihtel   witodis  usfuUjaidau  in 

uns  R  8,  4;  qipa  ank  izivis  patei  niba 
managipo  wairpip  izivaraizos  garaih- 
teins  pau  pize  bokarje  jah  l^^areisaie 
Mt  5,  20 ;  ^0  dailo  garaihtein  mip  nnga- 
raihtein?  2  Cor  6,  14. 
itssteigands  in  hanh  ip a  nshanp  hunp  ba    sijai   braidei  jah  laggei  jah  h  a  i<- 

Eph  4,  8;  panuh  ist  pus  hauhipa  faura       hei  jah  diripei  Eph  3,  18. 

iaim  mip  anakumbjandam  pus  Lc  14,  10; 

nih   hauhipa    nih    dinpipa   nih   gaskafts 

R  8,  39  (vgl.  oben) ;  saei  fram  sis  silbin 

rodeip,    hauhipa  seina  sokeip;   ip  saei  so- 

keip    hauhipa   pis    sandjandins    sik,    sah 

sunjeins   ist  jah  inwindipa  in  iDinia  nisf 

Job  7,  18. 

Nach    abzug    derjenigen    stellen,    die    sich    aus    dem    funktionsgebrauch    des 

Suffixes    -ipa    im    plural    erklären    (aii-zipa  1 -l'iui  4,  1;    garaihtei   L    1,  6;  kauripa 

Gal  6,  2;  nnhrainipa  Eph  5,  3),  bleiben  nur  noch  wenige  belege  übrig.     Die  wähl 

des  Suffixes   findet   teilweise  in  der  dadurch  auffallend  gekennzeichneten  casusform 

ihre   erklärung.     Hier  waren  also   flexivische   gründe   massgebend.     Für   den  gen. 

sing,  handelt  es  sich-  nur    um    wenige   beispiele:   ga)ir^    in    dauhipos    hairtins  ize 

Mc  3,  5;  Eph  4,  18;  in  iraiirsfirein  nnhrainipos  allaizos  Eph  4,  19.    Der  dat.  sing. 

auf  -ipai  empfahl   sich   schon    deshalb,    weil   das  wort   in  der  volleren  lautform  des 

Suffixes    einen    nebenton    erhält,    der    rhythmus    folglich    lebendiger   wird:    )iide  ni 

lapodu    uns    gup    du    unhrainipai,    ak   in  weihipa  1  Thess   4,  17;    2  Cor  12,   21;  in 

usmeta,  in  friapwai,  in  galaubeinai,  in  stviknipai  1  Tim  4,  12 ;   hairto  auk  galaubeip 

du  garaihtipai,  ip  munpa  andhaitada  du  ganistai  B.  10,  10;  pairh  infeinande in  gudis 

unsaris,    in   patnmei   gaweisop    unsara    urrnns    us    hauhipai    L  1,  78;    us   hlutripai 


1)  ip  akran  ahmins  ist  frijapwa,  faheps,  gauriiipi,  usbeisnei,  selei,  bleipei, 
galaubeins,  qairrei,  gahobains,  swiknei  Gal  5,  23;  andere  beispiele  in  menge  in  den 
von  Kauffmann  nach  der  kolometrie  ausgehobenen  belegstellen  vgl.  s.  15.  18.  19.  20. 

2)  Soweit  die  beispiele  dafür  und  für  die  andern  casus  nicht  schon  oben  in 
die  gegenüberstellung  eingereiht  worden  sind. 


i.i:rrz>rANX,  zu  dex  hiurfkx  uki;   ii;ai:  ua'I'  8!» 

2  Cor  2,  17.  Bemerkeuswert  ist  die  Übersetzungstechnik  2  Cor  6,  5  f . :  in  s/ahim 
.  .  .  in  wokainiin,  in  lausqißrein,  in  swiknipai,  in  knnpja,  tu  luf/gamodein,  in  seiein, 
in  a/nnin  ireihamma '.  Immerhin  begegnet  dat.  sing,  -ein  auch  sonst  nicht  ganz 
vereinzelt;  vgl.  af  ainf alpein  jah  swiknein  2  Cor  11,  3;  in  a inf alpein  jah  hlutrein 
(ludis  2  Cor  1,  12.  Aus  der  Stellung  am  ende  des  satzes  erklärt  es  sk-li  in:  juf/gos 
sive  swistruns  in  allai  siviknein  1  Tim  5,  2;  ähnlich  L  1,  75  in  snnjai  jah  garaih- 
tein;  ak  gnp  (jahigs  wisands  in  annahairtein  Eph  2,  4.  Acc.  sing. :  da^ipeip  nx 
lipuns  izicarans  .  .  .  horinassu,  nnhrainein,  ivinnon,  Insfn  nbilana  .  .  .  Col  3,  5;  durch 
den  Satzrhythmus  bedingt  2  Cor  6,  8 :  ßairh  wuljjn  Jah  nnsirerein,  fmirh  wcijamereln 
jah  mailamerein. 

Es  muss  zugegeben  werden,  dass  sich  nicht  alle  belege  restlos  in  die  auf- 
gestellten regeln  einzwängen  lassen  -.  Immerhin  aber  scheint  eine  gewisse  gesetz- 
mässigkeit  durchzuleuchten.  Sie  wirft  ein  günstiges  licht  auf  die  feinheit  der 
Ubersetzungstechnik  auch  im  kleinen. 

DÜSSELDORF.  HAXS    CtÜRTLER. 


Zu  den  briefen  der  frau  rat. 

Kösters  schöne  ausgäbe  der  briefe  von  Goethes  mutter  (zuerst  Leipzig  1904 ; 
ich  kenne  und  zitiere  nur  diese  erste  aufläge,  weiss  also  nicht,  was  etwa  in 
den  späteren  ergänzt  worden  ist)  bemüht  sich,  in  den  äusserst  knapp  und  doch 
lichtvoll  gehaltenen  aumerkungen  alles  das  zusammenzustellen,  was  zur  erklärung 
einzelner  stellen  zu  wissen  notwendig  ist,  die  arbeiten  der  Vorgänger  Burkhardt, 
Heinemann,  Suphan  usw.  dankbar  benutzend,  und  hat  das  verdienst,  unter  andern 
auch  die  grosse  mehrzahl  der  zitate  in  den  briefen  der  sehr  zitatlustigen  und  zitat- 
festen frau  nachgewiesen  zu  haben.  Einen  kleinen  nach  trag  zu  diesen  an  merkungen 
stelle  ich  im  folgenden  zusammen  und  füge  als  anhang  ein  echtheitsproblemclien 
der  Goetliephilologie  zur  weiteren  prüfung  für  die  fachgeuossen  bei. 

1, 17 :  'Lieber  Crespel,  bald  bald  hoffe  ich  euch  nun  wiederzusehen :  da  wollen 
wir  guter  dinge  sein,  alle  historien  auf  neue  art  erzählen,  in  unserm  zirkus  ver- 
gnügt leben  und  sonne  und  mond  samt  allen  planeten  ihre  Wirtschaft  ruhig  treiben 
lassen,'  Die  Schlussworte  sind  ein  zitat  aus  Werthers  leiden.  Vom  morgen  nach 
der  glückseligen  ballnacht,  in  der  Werther  seine  Lotte  kennen  lernte,  erzählt  er 
zwei  tage  später  (Werke  19,  37 ;  Der  junge  Goethe  4,240):  'Da  verliess  ich  sie  mit 
der  bitte,  sie  selbigen  tags  noch  sehen  zu  dürfen;  sie  gestand  mirs  zu  und  ich  bin 
gekommen  und  seit  der  zeit  können  sonne,  mond  und  sterne  geruhig  ihre  Wirtschaft 
treiben;  ich  weiss  weder  dass  tag  noch  dass  nacht  ist,  und  die  ganze  weit  verliert 
sich  um  mich  her'.  Auch  hier  also  redet  frau  rat,  wie  sie  es  an  andrer  stelle  (1,  ()2't 
ausdrückt,  'mit  dem  seligen  Werther'. 


2,  15  u.  s. 

'2)  Dass  dabei   selbst  homoioteleuton  und  reim  eine  rolle  spielen  können,  be- 
weisen die  von  Kauffmann  s.  26.  42  u.  a.  angeführten  beispiele. 


90  LEITZMANN 

1,  67.  Hans  Schickebrods  burleske  grabschrift,  die  auch  Wieland  mehrfach 
in  briefen  zitiert,  hatte  schou  18;-)9  8chüddeko2of  in  einem  privatdruck  (Ihren  lieben 
oberkranich  Karl  August  Hugo  Burkhardt  begrüssen  zur  feier  vierzigjährigen  archi- 
valischen  wirkens  am  10.  Januar  1899  die  Timotheusbrüder  s.  13)  im  Wortlaut 
nachgewiesen.     Kösters  anmerkung  (2,213)  konnte  also  präziser  gefasst  werden. 

1,  88:  'Die  Bethraännin  ist  so  krittlich  wie  ein  kind,  das  zahnt.'  Mit  der 
gleichen  bildlichen  Wendung  hebt  des  jugendlichen  Goethe  versbrief  an  Friederike 
Oeser  an  (Werke  5,1,  56;  Der  junge  Goethe  1,  303):  'So  launisch  wie  ein  kind,  das 
zahnt.'  Das  Deutsche  Wörterbuch  dürfte,  wenn  es  den  'zähnemangel'  überwunden 
hat,  demnächst  vielleicht  ausweisen,  ob  eine  familienwendung  des  Goethischen  hauses 
oder  eine  allgemeiner  verbreitete  sprichwörtliche  redensart  vorliegt. 

1, 129:  'Bei  gott,  das  ist  die  herzogin  Amalia,  wie  aus  dem  Spiegel  gestohlen!' 
Hier  redet  frau  rat  mit  Lessings  prinzen  in  der  Emilia  Galotti  (1,  4),  der,  nachdem 
ihm  der  maier  Conti  das  porträt  der  tochter  des  obersten  Galotti  vor  äugen  gestellt 
hat,  überrascht  ausruft  (Sämtliche  Schriften  2,  383) :  'Bei  gott,  wie  aus  dem  Spiegel 
gestohlen!'  Die  einführenden  beteurungsworte  in  beiden  stellen  beweisen  deutlich 
den  Ursprung  aus  einem  trauerspiel,  aus  dem  Goethes  mutter  auch  sonst  zitiert 
(1,172.  179). 

1,  137:  'Ich  .  .  .  verschlucke  den  teufel  nach  dem  weisen  rat  des  gevatters 
Wieland,  ohne  ihn  erst  lange  zu  bekucken';  2,  87:  'Doch  ich  halte  es  mit  Wielands 
schönem  Sprüchlein:  'Wenn  man  den  teufel  muss  verschlucken,  muss  man  ihn  nur 
nicht  lang  bekucken.'  Weder  Suphan  noch  Köster  haben  die  stelle  nachgewiesen. 
Sie  findet  sich  im  zweiten  teil  der  verserzählung  'Das  sommermärchen',  die  frau  rat 
aus  dem  ersten  druck  im  Merkur  von  1777  gekannt  haben  wird,  vers  24  und  lautet 
(Werke  4,  97  Hempel):  'Herr  Gawin  war  dem  zaudern  gram;  er  denkt:  wer  sich 
den  teufel  zu  verschlucken  entschlossen  hat,  muss  ihn  nicht  lang  begucken.'  Wie 
gern  frau  rat  aus  den  verserzählungen  des  gevatters  Wieland  zitate  ihren  briefen 
einflicht,  lehrt  ein  blick  in  Kösters  register  (2,  278',  dem  diese  stellen  einzuordnen  sind. 

1,  165:  'Vor  mich  soll  es  nicht  sowohl  hoffnung  .  .  ,  sondern  eine  art  von 
luscher  sein';  1,  185:  'Leben  Sie  wohl  .  .  .  und  schicken  bald  wieder  einen  luscher 
Ihrer  freundin  Elisabet.'  Was  bedeutet  'luscher',  wofür  Keil  (Frau  rat  s.  269.  286) 
«tuscher'  druckt,  während  der  erste  druck-  in  Dorows  Eeminiszenzen  (s.  136.  161)  an 
der  ersten  stelle  'luscher',  an  der  zweiten  'tuscher'  hat?  Keil  hat  nach  der  einen, 
Köster  nach  der  andern  seite  hin  uniformiert,  ohne  dass  einer  von  beiden  eine 
erklärung  versucht  hätte.  Max  Hecker  verdanke  ich  folgende  durchaus  plausible 
erklärung:  'luscher'  ist  nach  der  Orthographie  der  frau  rat  soviel  wie  'lutscher', 
d.  h.  saugbeutel  kleiner  kinder  (vgl.  Deutsches  Wörterbuch  6,  1354)  und  bedeutet 
dann  in  übertragenem  sinne  'ersatz,  trostraittel'. 

1,184:  'Mein  armes  Steckenpferd  .  .  .  wird  nun  aus  mangel  der  nahrung  so 
klapperdürr  wie  der  papst  im  Basler  totentanz';  1,  195:  'Sie  gleicht  dem  kranken 
löwen  in  der  fabel :  der  war  vom  köpf  bis  auf  den  schwänz  so  mager  wie  der  papst 
im  Basler  totentanz.'  Hier  zitiert  frau  rat  nicht  ganz  genau  den  eingang  der  1773 
gedichteten  (wo  zuerst  erschienenen?)  fabel  Pfeffels  'Der  kranke  löwe',  wo  es  heisst 
(Poetische  versuche  1,64):  'Der  tiere  grosssultan  lag  auf  dem  krankenbette :  er  war 
vom  köpf  bis  auf  deu  schwänz  so  dürr  als  bruder  Hein  im  Basler  totentanz.'  Das- 
selbe bild  braucht  noch  Hebel  in  seinem  alemannischen  gedieht  'Die  Vergänglichkeit', 
wo  der  junge  zu  seinem  vater  beim  anblick  der  ruinen  des  Eöttler  Schlosses  sagt 
(werke  1,  87  Behaghel):   'Stohts   denn   nit  dort,  so  schuderig  wie  der  tod  im  Basler 


zu  DEN  BRIEFEN  DER  FRAU  RAT  91 

totetanz?'  Über  die  ergreifenden,  hier  gemeinten  todesdarstellungen  am  prediger- 
kirchhof  von  Grossbasel  orientiert  eingehend  Wackernagel  in  seinem  lehrreichen 
aufsatz  über  den  totentanz  (Kleinere  Schriften  1,  349) 

1.  234.  256.  2, 188:  'Krieg  und  kriegsgeschrei'.  Dass  diese  aus  der  Lutherschen 
hibelsprache  (Markus  13,  7;  Matthäus  24,  7)  stammende,  auch  im  Faust  vers  861 
vorkommende  wendnng  nicht,  wie  Pniower  (Goethejahrbuch  16,  169)  wollte,  zur 
chronologischen  bestimmuug  der  betreffenden  Faustszene  'Vor  dem  tor'  verwendbar 
ist,  da  sie  eben  bei  mutter  wie  söhn  nur  ihre  auch  sonst  hinlänglich  bekannte 
bibelfestigkeit  bezeugt,  habe  ich  bereits  in  einer  rezension  im  Euphorien  5,  583 
gelegentlich  bemerkt.  Die  Wendung  ist  in  der  literatur  viel  häutiger,  als  man  glaubt: 
schon  das  Deutsche  Wörterbuch  .^.  2271  wies  sie  aus  den  briefen  der  Elisabet  Char- 
lotte Von  Orleans  nach;  Minor  brachte  (Göttingische  gelehrte  anzeigen  1900  1,237) 
weitere  belege  aus  Wieland,  Lichtenberg,  Arndt  bei.  Ich  habe  mir  im  lauf  der 
jähre  noch  folgende  notiert:  Brockes,  Irdisches  vergnügen  in  gott  5,509;  Liscow, 
Sammlung  satirischer  und  ernsthafter  Schriften  s.  66 ;  Kotzebue,  Theater  13, 9. 
14,  196;  Tieck,  Schriften  26,  332;  Duncker,  Iffland  in  seinen  Schriften  s.  184; 
Jean  Paul,  Werke  11,  12.  29,  306  Hempel;  Groth,  Gesammelte  werke  3,  321; 
Meyer,  Huttens  letzte  tage  s.  62.  Köster  hätte  nicht  (1,  XVI),  den  spuren  Pniowers 
folgend,  die  wendung  in  der  Fauststelle  als  eindringling  aus  der  dem  dichter  bei 
seinem  Frankfurter  aufenthalt  von  1797  wieder  lebendig  gewordenen  Sprechweise 
der  mutter  herleiten  sollen,  da  Goethes  bibelweudungen  wohl  dieser  auffrischung 
schwerlich  bedurften.  Das  hvpothesengewirr  über  die  in  rede  stehende  szene  mag 
sich  lösen,  wie  es  will,  jedesfalls  hat  diese  wendung  aus  der  reihe  der  ernstlich 
in  betracht  kommenden  momente  unbedingt  auszuscheiden. 

1,  240  berichtet  fi-au  rat  ihrem  söhn  am  9.  november  1793  von  den  18  über- 
füllten aufführungen  von  Mozarts  Zauberflöte  im  Frankfurter  theater  und  beleuchtet 
die  kassenkrUftigkeit  der  oper  noch  durch  eine  reihe  höchst  ergötzlicher  einzelheiten. 
Es  scheint  bisher  noch  nicht  bemerkt  worden  zu  sein,  dass  dieser  hinweis  der  frau 
rat  für  den  Weimarer  theaterintendanten  Goethe,  der  natürlich  im  Interesse  der 
kasseneinnahmen  stets  nach  zugkräftigen  stücken  ausschau  hielt,  der  unmittelbare 
anstoss  gewesen  ist,  Mozarts  letztes  mt'isterwerk  baldigst  seinem  repertoire  einzu- 
verleiben. Die  erste  Weimarer  aufführuug  war  am  16.  januar  1794,  und  die  vielen 
folgenden  Wiederholungen  gaben  Goethes  Überlegungen  recht  (vgl.  Burkhardt,  Das 
repertoire  des  Weimarischen  theaters  unter  Goethes  leitung  s.  132).  Umgekehrt 
Hess  sich  wohl  Goethe  durch  den  ablehnenden  bericht  seiner  mutter  vom  23.  de- 
zember  1797  über  die  Frankfurter  aufführung  von  Cherubinis  Lodoiska  (2,  38),  die 
in  Paris  bereits  1791  mit  lebhaftem  beifall  gegeben  worden  war  und  des  Verfassers 
neuen  opernstil  einleitete  (vgl.  Hohenemser,  Luigi  Cherubini  s.  138),  bestimmen,  diese 
oper  nicht  in  Weimar  zu  geben,  wo  sie  erst  am  26.  Oktober  1805  zum  erstenmal 
erschien  (vgl.  Burkhardt  s.  140  und  meine  darlegungen  über  den  namen  Lodoiska 
in  Schillers  Deraetrius  im  Euphorien  4,  537). 

1,251:  'Ohngeachtet  die  zeitläufte  so  beschaffen  sind,  dass  mir  des  Diogenes 
sein  fass  am  liebsten  Wcäre:  ich  wollte  es  schon  rollen'  Hier  zitiert  die  mutter  des 
Sohnes  doch  wohl  noch  aus  den  Frankfurter  Jugendjahren  stammendes  gedieht  'Ge- 
nialisch treiben',  dessen  anfangs-  und  schlussverse  übereinstimmend  lauten  i^Werkc  2, 
272;  Der  junge  (ioethe  6,  512):  'So  wälz'  ich  ohne  unterlass  wie  sankt  Diogenes 
mein  fass.'  Dass  die  quelle  des  bildes  in  Mendelssohns  vorrede  zu  seinen  Philoso- 
phischen   Schriften    fGesammelte    scliriftcn  1,  103:    vgl.    auch   Lessing.    Sämmtlicho 


92  LEnZMAX.V 

Schriften  15,  202)  zu  suchen  ist,  hat  Morris  an  der  genannten  stelle  wohl  richtig 
vermutet. 

1,  252:  'Wir  können  dem  rad  des  Schicksals  doch,  ohne  zerschmettert  zu 
werden,  nicht  in  die  Speichen  greifen' ;  1,  271:  'Da  ich  die  Speichen  des  grossen  rades 
nicht  aufhalten  kann  .  .  .' ;  2,  41  'Ich  .  .  .  kann  dem  rad  des  Schicksals  nicht  in  die 
Speichen  fallen  und  es  aufhalten.'  Welche  stelle  welches  dichters  wird  hier  dreimal 
ganz  ähnlich  zitiert?  Suphan  denkt  (Briefe  von  Goethes  mutter  an  ihren  söhn  s. 368) 
an  die  verse  Auf  Miedings  tod  53  (Werke  16, 185):  'Nenn'  ihn  der  weit,  die  kriegrisch 
oder  fein  dem  Schicksal  dient  und  glauht  ihr  herr  zu  sein,  dem  rad  der  zeit  ver- 
gebens widersteht,  verAvirrt,  beschäftigt  und  betäubt  sich  dreht.'  Ich  glaube  nicht, 
dass  diese  Vermutung  das  richtige  trifft,  schon  aus  dem  einen  gründe,  weil  ein 
Avichtiges  bildliches  moment,  das  dort  in  allen  drei  stellen  sich  wiederfindet,  die 
Speichen  des  schicksalsrades,  in  die  der  mensch  vergeblich  zu  greifen  versucht,  in 
diesen  versen  fehlt,  deren  bildlichkeit  und  damit  eindrucksfähigkeit  ins  gedächtnis 
wesentlich  geringer  ist.  Frau  rat  zitiert  nun  mit  Vorliebe  Schillers  Don  Carlos, 
den  sie  im  Frankfurter  theater  öfter  aufführen  sah  und  in  ihrem  lesekränzchen  mit 
verteilten  rollen  las:  so  1,  179  (vers  2493  der  Thaliafassung,  von  Köster  nicht  nach- 
gewiesen). 187  (vers  845).  2,  73  (vers  89  =  vers  1720  der  Thaliafassung,  gleichfalls 
von  Küster  nicht  nachgewiesen).  Auch  unsre  stelle  ist  ein  reflex  aus  Don  Carlos, 
und  zwar  aus  einer  rede  des.  Posa  in  der  grossen  auseinandersetzung  mit  könig 
Philipp  (3,  10),  wo  es  heisst  (vers  3166):  'Sie  wollen  allein  in  ganz  Europa  sich 
dem  rade  des  weltverhänguisses,  das  unaufhaltsam  in  vollem  laufe  rollt,  entgegen- 
werfen? mit  menschenarm  in  seine  Speichen  fallen?'  Hier  haben  wir  die  .volle 
l)ildlichkeit  der  Speichen  des  schicksalsrades,  die  in  der  von  Suphan  herangezogenen 
stelle  Goethes  vermisst  wurde. 

1,  252:  'Der  mein  wohnhaus  von  unten  an  bis  oben  aus  besichtigen  .  .  .  soll'; 
1,262:  'Zwar  haben  zwei  raäkler  das  haus  von  oben  an  bis  unten  aus  besehen'; 
2,  86 :  'Der  hat  ihr  einen  brief  geschrieben,  der  .  .  .  von  oben  [an]  bis  unten  aus  von 
deinem  lobe  voll  war' ;  2, 178 :  'In  pelz  gehüllt  von  oben  an  bis  unten  aus.'  Auch 
hier  haben  wir  wieder  im  stil  eine  biblische  reminiszenz,  von  der  ich  nicht  weiss, 
ob  sie  etwa  auch  bei  Goethe  selbst  in  werken  oder  briefen  vorkommt;  nach  dem 
tode  .Jesu  berichten  die  beiden  ersten  evaugelien  übereinstimmend  (Matthäus  27,  51 ; 
Markus  15,38):  'Der  Vorhang  im  tempel  zerriss  in  zwei  stücke  von  oben  an  bis 
unten  aus.' 

1,  290:  'Gott  segne  dich  im  neuen  jähr:  er  lasse, seine  lieb'  und  gut'  um,  bei 
und  mit  dir  gehen,  was  aber  ängstet  und  betrübt,  ganz  ferne  von  dir  stehen'  dürfte 
aus  einem  kirchenliede  zitiert  sein,  mit  dessen  aufsuchuug  ich  keine  zeit  habe  ver- 
lieren mögen.  Suphans  bemerkung  (s.  375):  'Wohl  aus  dem  Stegreif  gereimt  .  .  . 
lässliche  ausspräche  verratend'  erscheint  mir  demgegenüber  wenig  glaubhaft. 

2,  25:  'Sömmerring  .  .  .  wird  dir  ehestens  etwas  vortreffliches  das  äuge  be- 
treffend übersenden.'  Köster  macht  dazu  die  unbegreifliche  anmerkung  (2,230): 
'Sömmerring,  S.  Th.,  Über  das  organ  der  seele'.  Diese  Königsberg  1796  erschienene 
Schrift  hatte  Goethe  schon  im  frühsommer  dieses  Jahres  erhalten  und  sich  am  15.  juui 
brieflich  bei  dem  Verfasser  dafür  bedankt  (Briefe  11,  98),  während  der  brief  der  fr  au 
rat  vom  15.  mai  1797  datiert  ist:  und  was  hat  auch  das  organ  der  seele  mach 
Sömmerring  die  hirnflüssigkeit)  mit  dem  äuge  zu  tun?  Der  fehler  geht  letzten 
endes  auf  Suphan  zurück,  der  (s.  378)  den  brief  Goethes  vom  15.  juni  1796  zitiert, 
als   wenn    er  ins  jähr  1797  gehörte,   und  damit  die  falsche  beziehung  gewinnt,   die 


7X    UEK    15K1EFEN    DER    F15AL    KAT  93 

doch  leicht  richtigzustelleu  war.  Sömmerring  arbeitete  damals  am  ersteu  bände 
seines  werks  über  die  menschlichen  Sinnesorgane,  der  erst  Frankfurt  1801  unter 
dem  titel  'Abbildungen  des  menschlichen  auges'  erschien.  Als  ihn  Goethe  am  tage 
seiner  ankunft  in  seiner  Vaterstadt  am  3.  august  1797  besuchte,  sprach  er  mit  ihm 
'über  das  äuge,  dessen  schöne  arbeiten  über  dieses  organ"  (Tagebücher  2,  79). 

2,69:  'Der  marsch  aus  dem  Titus  hat  mir  wegen  der  vermaledeiten  sprünge 
viel  not  gemacht.'  Diese  notiz  über  den  verhältnismässig  recht  leicht  zu  spielenden 
marsch  aus  Mozarts  Titus  (partitur  nr.  4)  lässt  uns  deutlich  werden,  dass  es  frau 
rat  wegen  ihrer  vorgerückten  jähre  nicht  mehr  gelungen  ist,  ihr  klavierspielstecken- 
pferd  ordentlich  auf  die  beine  zu  bringen. 

2,76:  'Um  den  hanswurst,  der  keine  ader  von  einem  rechten  hanswurst  hatte: 
i  hab  sein  kragen,  sei  knöpf;  hätt'  i  a  sei  köpf!'  Die  worte  nach  dem  kolon  sind 
unvollständiges  zitat  aus  Goethes  Jahrmarktsfest  von  Plundersweilern  vers  209 
(AVerke  16, 19;  Der  junge  Goethe  3, 147):  'Hab'  sei  krage,  sei  hose,  sei  knöpf:  hätt' 
i  au  sei  köpf,  war'  i  hansMnirst  ganz  und  gar.' 

2, 137.  Des  hier  genannten  Schauspielers  Johann  Konrad  Friedrich  vermeint- 
lichen besuch  bei  Goethe,  der  wahrscheinlich  ganz  aus  der  luft  gegriffen  ist,  habe 
ich  im  feuilleton  des  Berliner  tageblatts  vom  31.  dezember  1915  kritisch  beleuchtet. 

2,  144:  "Vielleicht  geht  alles  besser,  als  man  denkt:  müssen  erst  den  neuen 
rock  anprobieren,  vielleicht  tut  er  uns  nur  Aveuig  genieren,  drum  lasst  hinweg  das 
lamentieren  usw."  Hier  scheint  ein  zitat  aus  einer  komischen  opernarie  vorzuliegen, 
die  nur  ein  intimer  kenner  der  damaligen  operettenüteratur  oder  ein  glücklicher 
Zufall  würde  eruieren  können.  Mit  noch  grösserer  Sicherheit  erkenne  ich  in  2,  146 
'Da  nur  ein  schritt,  ja  nur  ein  haar  dir  zwischen  tod  und  leben  war'  wieder  ein 
kirchenliedzitat  (vgl.  oben  zu  1,  290). 

2, 147.  Die  'hochbeinigen  zeiten'  sind  nicht,  wie  Suphau  (s.  362)  naiv  annahm, 
verschriebene  'hochpeinige  oder  hochpeinliche',  nicht  eine  Schöpfung  der  frau  rat, 
der  der  Schulmeister  keine  korrekte  rechtschreibung  beizubringen  imstande  war, 
sondern  wirklich  'hochbeinige',  jähre  der  teurung,  noch  Adelung  aus  dem  gemeinen 
leben  als  gebräuchlich  bekannt.  Im  Deutschen  Wörterbuch  4,  2,  1607,  wo  dieser 
zitiert  wii'd,  wird  zugleich  noch  eine  niederdeutsche  stelle  aus  dem  anhang  satiri- 
rischer und  hochzeitsgediclite  zu  Lappenbergs  Laurembergausgabe  7,  17  ei  si'hif 
hochbeende  Jaren  angeführt.  Ich  kenne  noch  zwei  Aveitere  stellen  für  das  merk- 
Avürdige  wort.  Im  gleichen  anhang  zu  Lauremberg  l!,46  steht  o  recht  hochbeente 
Jaren;  ferner  schreibt  Wilhelmine  Heeren  an  Marianne  Bürger  (Briefe  aus  alter  zeit 
s.  67):  'Da  ich  nun  bei  diesen  hochbeinigten  zeiten  sehr  sparsam  geworden  bin  .  .  .' 

2,  165  schliesst  frau  rat  die  Schilderung  einer  durch  übereilten  wegzug  der 
bewohner  unordentlich  gewordenen  wohnung  mit  dem  schhisstnimpf :  'Es  sähe  aus 
wie  in  der  zerstömng  Jerusalems.'  Damit  wird  nicht  auf  die  historische  Zerstörung 
der  jüdischen  hauptstadt  durch  Titus,  sondern  auf  eine  beliebte  ausstattungsoper 
angespielt,  die  diese  zum  gej^eustand  hatte  und  die  schon  Eeuter  in  seinem 
Schelmuffsky  (Werke  1,  293.  2,  174)  höchst  ergötzlich  als  glanzleistung  damaliger 
theaterillusion  beschreibt;  ihr  Verfasser  war  Postel. 

2,  179:  'Bei  so  einer  okkasion  oder  gelegenheit  fällt  mir  immer  das  herrliche 
epigramm  von  Kästner  ein:  Ihr  fürsten,  grafen  und  prälaten,  auch  herren  uud 
Städte  insgemein,  vor  20  speziesdukaten,  denk  doch,  soll  einer  Goethe  sein.'  Dies 
epigramm  findet  sich  weder  in  der  gesamtausgabo  von  Kästners  Schriften  noch  in 
irgendeiner  der  modernen  nachlesen  zu  seiner  epigrammdichtung,   und  mir  scheuit 


94  MICHELS,    WELCHE   DIES    LAND    GEBAR 

es  apokryph.  Nach  dem,  was  wir  von  Kästners  Stellung  zu  Goethe  wissen  (vgl. 
zuletzt  darüber  Becker,  Kästners  epigrammc  s.  196),  ist  es  unmöglich  von  ihm;  aber 
woher  stammt  es  sonst?  — 

Nun  zum  schluss  zu  dem  problemchen,  das  auch  direkt  mit  frau  rat  zu- 
sammenhängt. Aus  ihrem  Stammbuch  hat  seinerzeit  Euland  im  Goethejahrbuch 
12, 175  folgenden  eintrag  mitgeteilt,  der  dann  in  die  neueren  Goetheausgaben,  über- 
gieng  (^Werke  4,180;  Der  Junge  Goethe  1,91): 

'Das  ist  mein  leib,  nehmt  hin  und  esset, 

das -ist  mein  blut,  nehmt  hin  und  trinkt, 

auf  dass  ihr  meiner  nicht  vergesset, 

auf  dass  nicht  euer  glaube  sinkt. 

Bei  diesem  wein,  bei  diesem  brod 

erinnert  euch  an  meinen  tod. 

Zum  zeichen  der  hochachtung  und  ehrfurcht 
setzte  dieses  seiner  geliebtesten  mutter 
Frankfurt,  den  30.  sept.  1765.  J.  W.  Goethe.' 

Ich  habe  die  stärksten  zweifei,  ob  wir  es  hier  mit  originalversen  des  jugend- 
lichen Goethe  zu  tun  haben,  und  bin  sehr  geneigt,  die  zeilen  mindestens  zum  teil 
für  ein  zitat  aus  einer  damaligen  Oratoriendichtung,  die  die  passion  behandelte,  zu 
halten.  Meine  zweifei  entsprangen  bei  der  lektüre  von  Zaruckes  abhandluug  über 
Christian  Reuter  als  passionsdichter  (Berichte  der  sächsischen  gesellschaft  der  Wissen- 
schaften 1887  s.  306).  Zarncke  konfrontiert  dort  (s.  363)  die  verse  aus  Brockes' 
passion  bei  einsetzung  des  abendmahls:  'Das  ist  mein  leib,  kommt,  nehmet,  esset, 
damit  ihr  meiner  nicht  vergesset'  mit  den  deutlich  anklingenden  in  Reuters  passion: 
'Nehmt,  das  ist  mein  leib,  und  esset,  dass  ihr  meiner  nicht  vergesset'  und  bemerkt 
dann,  ob  dieser  anklang  entlehnung  begründe,  bleibe  dahingestellt,  da  es  ja  nicht 
unmöglich  sei,  dass  die  evangelienworte  'Solches  tut  zu  meinem  gedächtnis'  un- 
abhängig zu  dem  reim  'esset:  nicht  vergesset'  geführt  hätten.  Ist  die  letztere  an- 
nähme schon  an  sich  schwer  glaublich,  so  wird  sie  noch  unwahrscheinlicher,  wenn 
wir  im  hinblick  auf  obige  verse  glauben  müssten,  dass  beim  jungen  Goethe  der 
gleiche  reim  zum  dritten  male  unabhängig  sich  sollte  eingesteH,t  haben.  Ich  glaube 
im  hinblick  auf  Brockes'  und  Reuters  passionstexte  annehmen  zu  sollen,  dass  der 
söhn  hier  der  mutter  entweder  eine  arienstrophe,  aus  einem  bei  ihr  vielleicht  be- 
liebten oder  von  beiden  gemeinsam  gehörten  oratorientext  wörtlich  zitierend,  in  ihr 
'schatzkästlein'  geschrieben  oder  doch  eine  solche  nur  leise  paraphrasiert  hat  Das 
textbuch  genauer  nachzuweisen  ist  mir  leider  trotz  dankenswerter  Unterstützung 
Hugo  Riemanus  und  der  kennerin  der  Frankfurter  rausikgeschichte  frau  Karoliue 
Valentin  bisher  nicht  gelungen,  doch  mochte  ich  den  gedanken  selbst  der  kritischen 
Prüfung  der  fachgenossen,  von  denen  vielleicht  einer  mehr  finderglück  entwickeln 
mag,  nicht  länger  vorenthalten. 

.JENA.  ALBKUr    LKITZMANX. 


'Welche  dies  bind  gebar' ;  zu  Zeitschr.  48,  125. 

Da  die  verse  Faust  II,  9843  ff.  ihrer  kühnen  syntaktischen  konstruktion 
wegen  beständig  missverstanden  werden  und  ich  auch  die  neuesten  auslührungen 
von   Borinski   in    dieser  Zeitschr.  48,    125   für   verfehlt   halte,    so    erlaube    ich    mir 


HELM    ÜBER   ZIESEMER,   DAS   MARIENBURGER   ÄMTERBUCH  95 

auf  die  Umschreibung  hinzuweisen,  die  ich  schon  19i>6  im  Euphoriou  13,  292 
gegeben  habe.  Zur  ergänzung  möchte  ich  hier  nur  zweierlei  hinzufügen:  1.  Ich 
nehme  'es'  in  'bring'  es  gewinn'  als  unbestimmtes  snbjekt,  auf  das  unternehmen  be- 
züglich, von  dem  gerade  die  rede  ist,  den  griechischen  freiheitskampf ;  eine  solche 
leichte  Verschleierung  liegt  im  stil  derartiger  glück-  und  Segenswünsche.  Man  setzt 
'auf  gutes  gelingen'  an  oder  "auf  den  tag'  (Lissauers  'Hassgesang'),  ohne  näher  an- 
zudeuten, um  was  es  sich  handelt,  mit  einer  gewissen  verschwörerischen  heiuilich- 
tuerei.  2.  Goethe  stellt  'die  nicht  zu  dämpfenden'  (die  griechischen  revolutionäre) 
'allen'  kämpfenden,  also  auch  ihren  türkischen  Unterdrückern  gegenüber  und 
wünscht  ihnen  'heiligen  sinn' :  sanctitas,  temperantia.  Darin  liegt  der  ausdruck 
eines  leisen  Unbehagens,  den  er  solchen  revolutionären  ausbrüchen  gegenüber  denn 
doch  nicht  ganz  unterdrücken  kann ;  freilich  sind  die  worte  weniger  aus  der  seele 
Euphorions  als  aus  seiner  eigenen  gesprochen.  Er  kannte  die  bestie  im  menschen, 
die  sich  bei  revolutionskämpfen  stets  zeigt,  nur  zu  gut,  hatte  er  doch  selbst  der 
Volksbewegung  der  freiheitskriege  kühler  gegenübergestanden,  als  wir  für  billig 
halten  werden.  Die  kühnheit  der  form  dient  in  gewissem  sinn,  die  bedenklichkeit 
im  Inhalt  zu  verdecken,  die  den  segens^\Tinsch  einer  mahnung  annähert. 

.JENA.  VICTOR   MICHELS. 


LITERATUK. 


Das  Marienbnrger  Ämterbuch.  Mit  Unterstützung  des  Vereins  für  die  herstellung 
und  ausschmückung  der  Marienburg  herausgegeben  von  Walter  Ziesemer. 
Danzig,  druck  und  verlag  von  A.  W.  Kafemann,  1916.    IX,  222  s.  8  m. 

Seinen  ausgaben  des  Hauskomturbuches  imd  Konventsbuches  lässt  Z.  als  dritte 
Publikation  eine  ausgäbe  des  „Marienburger  Ämterbuchs"  folgen,  das  handschriftlich 
im  Ordensfolianten  nr.  12i'  im  Königsberger  Staatsarchiv  aufbewahrt  wird.  Es  handelt 
sich  bei  diesem  ..Ämterbuch"'  um  eine  Sammlung  von  Inventarverzeichnissen,  die  in 
den  zum  Marienburger  haupthaus  gehörenden  gebieten  bei  amtswechseln  in  den 
Jahren  137^—1142  aufgenommen  wurden,  nämlich  die  inventare  des  grosskomturs, 
tresslers  und  hauskomturs,  die  inventare  der  ordensvogteien  zu  Stuhm,  Grebin,  Leske, 
Scharpan,  Bönhof,  Mösland,  Montan,  Lesewitz,  Kalthof  sowie  der  verschiedenen 
Marienburger  ämter  (kelleramt,  marschall,  karwan,  viehamt,  steinamt,  kornamt, 
spittelamt  usw.).  Hinzu  treten  in  der  au.-'gabe  einige  ergänzungen  aus  einem  wenige 
jähre  später  angelegten  kleinen  ämterbuch,  welches  inventarisationen  aus  der  zeit 
von  1445-1449  enthält,  und  aus  dem  deutsch-ordens-briefarchiv.  Ein  register  der 
personen-  und  Ortsnamen  sowie  ein  ausführliches  wort-  und  Sachregister  bilden  den 
schluss.  In  diesen  Verzeichnissen  ist  eine  Inkonsequenz  bei  der  registrierung  der 
im  text  genannten  werke  der  ordensbibliotheken  festzustellen,  da  diese  werke  zum 
teil  im  register  der  namen  aufgezählt  sind  (Barlaam,  Job,  Judith,  Roland,  Stricker), 
zum  grösseren  teil  im  Sachregister  (Apokalypse,  Veterbuch,  Hester,  Passional  und  andere). 
Die  bedeutung  der  publikation  ist  eine  doppelte.  Für  die  Wirtschaftsgeschichte 
des  Ordens  um  die  wende  vom  14.  zum  15.  Jahrhundert,  also  in  der  zeit  seiner 
grössten  blute  und  des  beginnenden  niedergangs,  ergeben  sich  aus  den  inventareu 
sehr  wertvolle  anhaltspunkte,   besonders  für  die  gebiete  der  pferdezucht,  des  band- 


96  HourN'sKi 

werks,  des  wafteu-,  bekleidimgs-  und  verptiegungswesens.  Dem  germanisten  dagegen 
wird  ein  sehr  wertvolles  siirachliches  material  zur  Verfügung  gestellt.  Dabei  sind 
die  lautlichen  erscheinuugen  die  weniger  wichtigen,  da  quellen  für  die  im  ordensland 
sich  heranbildende  gemeinsprache  schon  ziemlich  reichlich  vorhanden  sind.  Immer- 
hin sind  gewisse  Schwankungen  in  der  lautlichen  wiedergäbe  aus  den  einzelnen  vog- 
teien  beachtenswert.  Weit  wichtiger  ist  die  lexikalische  ausbeute,  deren  ertrag  im 
zweiten  register  gesammelt  ist.  Ich  will  hier  nur  zu  wenigen  werten  einige  bemer- 
kungeu  beifügen.  Ist  ulantwi/n  (Z. :  auf  Aland  abgezogener  wein)  nicht  vielleicht 
eine  verschreibung  für  lantaujn  (siehe  s.  78,  4)':'  —  sifinieirelei/senveijle  feile  für  runde 
Gegenstcände  Z. ;  nicht  eher  runde  eisenfeile  ?  —  für  schilt  in  eberschüt,  berschilt  ver- 
mutet Z.  die  bedeutung:  keule.  Nach  dem  deutschen  Wörterbuch  IX,  123  bezeichnet 
man  beim  Schwarzwild  als  schild  panzerartig  verhärtete  stellen  über  den  blättern 
und  am  rücken,  die  besouders  im  winter  auftreten.  Auch  in  der  spräche  der  flei- 
scher  ist  die  bezeichuung  schild  für  den  hinter  dem  vorderblatt  liegenden  teil  des 
rindes  bekannt.  Deshalb  wird  eberschüt  wohl  besser  als  wildschweinrücken  zu  er- 
klären sein.  Eine  nachprüfung  verdienen  die  vielen  unter  ,aale'  verzeichneten  stellen. 
Handelt  es  sich  hier  wirklich  stets  um  aale  und  nicht  auch  gelegentlich  um  öl, 
z.  b.  s.  11,  32,  wo  unmittelbar  hintereinander  folgt:  2'-/2  tonne  ruhensomen,  item  1  tonne 
oles,  oder  11,  10,  wo  folgende  aufzählung  begegnet:  li  tonnen  herrynges,  item  i  tonne 
dorsche  und  8  honiges,  item  1  tonne  oles,  item  2  leste  und  1  tonne  gutes  birs  und 
8  tonne  metes.  .ledesfalls  muss  (las  eine  auffallen :  Wenn  man  alle  bei  Z.  verzeich- 
neten stellen  auf  aale  deutet,  hat  es  an  ölvorräten  im  orden  überhaupt  gefehlt.  — 
Auch  sonst  bleibt  noch  manche  frage  offen ;  für  ihre  spätere  lösung  ist  der  heraus- 
geber,  der  ja  auch  leiter  des  Preussischen  Wörterbuchs  ist,  gewiss  am  besten  gerüstet. 

FRANKFIKT   A.  M.  KAKL   HEI.M. 


Kourad  Burdacli,     Vom   mittelalt  er    zur    reforraation.     Forschungen    zur 

geschichte   der   deutschen    bildung. '  Im   auftrage   der  königl.  preuss.  akademie 

der  Wissenschaften  herausgegeben. 

II.  bd. :    Konrad  Burdach   und   Paul  Piur,   Briefwechsel    des  Cola   di  Rienzo. 

8.  teil:   Kritischer  text,  lesarten  und  anmerkungen.    XIX  und  471  s.,  gr.  8".   4.  teil: 

Anhang,   urkundliche   quellen   zur    geschichte  Rienzos.     Oraculum  angelicum  Cyrilli 

und  koramentar  des  PseudoJoachim,   Berlin,  Weidmannsche  buchhandlung  1912.  XVI 

und  254  s.,  gr.  8°.     1.  Teil:    Konrad  Burdach,    Rienzo   und   die   geistige  Wandlung 

seiner   zeit.     Erste   hälfte.     Berlin,   Weidmannsche    buchhandlung   1913.     VIII   und 

368  s.,  gr.  8"  nebst  beilage  (nachtrag  zu  teil  3  und  4),  (j  s.,  gr.  8". 

Folgendermassen  fasst  Ranke  (Weltgeschichte  1895,  IV,  399)  das  urteil  der  histo- 
riker  über  Cola  di  Rienzo,  früher  gewöhnlich  Rienzi,  Cola  [di]  Bienzi  aus  Nicolaus  Lan- 
re«f // [filius],  zusammen:  'Fern  lagen  Karl  IV.  ideen,  Avie  sie  Ludwig  der  Bayer  behauptet 
und  wie  sie  damals  in  wunderlicher  karrikatur  in  Cola  di  Rienzi  erschienen  .  .  .,  der,  die 
rechte  des  römischen  Volkes  erneuernd,  die  stirn  hatte,  den  papst  und  die  kardinale, 
aber  zugleich  auch  Ludwig  und  Karl  vor  das  tribunal  des  römischen  volkes  zu 
laden,  um  über  ihre  rechte  zu  entscheiden.'  (Der  satz  steht  sichtlich  unter  dem 
eindruck  der  ersten  Veröffentlichung  des  betreffenden  dokuments  in  Gayes  Car- 
teggio  inedito  d'artisti  dei  secoli  XIV,  XV,  XVI,  Tomo  I,  Firenze  1839,  App.  I.) 
Auch  die   spezialhistoriker  (Gregorovius,  Gesch.   d.  stadt  Rom,  IV  *.  273  f.,  Riezler' 


ÜBER   BURDACH,    VOM    MITTELALTER    ZUR   RErORMATIOX  97 

Lit.  Widersacher  der  päpste,  s.  50,  anm.  1)  halten  Eienzo  für  gruudbeeinflusst  von 
dem  demokratischen  auftreten  Ludwigs  des  Bayern  in  Rom  1328,  seiner  wähl  eines 
bettelmönchs  vom  kloster  Aracaeli  auf  dem  kapitol  zum  papst  (vgl.  hier  s.l33f.  und  anm,). 
Das  schroffe  urteil  grade  schon  F.  C.  Schlossers  (18-46)  und  nach  ihm  Gregorovius'  (1867) 
scheint  erster  quellcngemässer '  rückschlag  gegen  die  euglisch-liberalistische  verhiin- 
raelung  des  last  of  Romans  (Byron,  Childe  Harold  IV  St.  114),  last  of  trihtines  (Bulwers 
roman  Rienzi  1885)  durch  die  revolutionäre  dichtung  und  oper  der  ersten  hälfte  desl9.jahr- 
huuderts.  Im  banne  von  Bulwer:  Richard  Wagners  Feldgeschrei  'Spirito  santo  Ca- 
valiere'  (vgl.  hier  s.  152)  stehen  wohl  noch  (1850/51)  Gutzkows  'Missionäre  der  frei- 
heit  und  des  glaubens  an  die  zeit,  die  der  pfingstzeit  neues  windeswehen  bestreicht', 
die  'Ritter  vom  geist',  die  ja  schliesslich  (1858—61)  auch  den  'Zauberer  von  Rom, 
(d.  i.  den  papst)  vor  ihr  tribunat  laden.  Auch  ihr  held  ist  ein  füi'stlicher  bastard. 
Das  'dritte  Zeitalter',  das  'des  geistes',  wie  es  der  'heimliche  kaiserspross'  Cola  d. 
Rienzo  aus  dem  munde  seiner  spiritualen  verkündet,  'das  dritte  reich',  spukt  seit- 
dem in  vielen  köpfen  (so  gleichfalls  als  prophetie  am  schluss  von  Ibsens  'Kaiser 
und  Galiläer").  Man  übersah,  dass  es  im  sinne  jener  Verkündigung  (durch  den  abt 
.Joachim  von  Flore  in  Calabrien)  —  ein  mönchisches,  nach  dem  ..'fleischlichen 
und  priesterlichen'  vor  und  nach  Chr.,  sein  sollte.  Eienzo,  persönlich  der  über- 
spannt geistige  und  politische  revolutionär  des  'himmels  auf  erden',  erscheint  aller- 
dings in  seiner  studierten  eitelkeit,  halt-  und  skrupellosigkeit,  seiner  grausamen 
genusssucht,  als  echter  'moderner  mensch'.  Diese  geheime  Zauberkraft,  die  ihm  seine 
zeit  nachsagte,  wirkt  jedesfalls  offen  und  mit  voller  Sympathie  wohl  auf  die  unsere 
seit  der  grossen  revolution.  In  hochwissenschaftliche  form  bringt  die  auffassung  des 
modernen  revolutionszeitalters  von  seinem  ersten  ritter  vom  geist  die  weitschichtige 
Veröffentlichung,  deren  zweiter  band,  auch  dieser  noch  unvollständig,  hier  vorerst 
nur  vorliegt.  Eine  Sorgfalt,  wie  sie  nur  ersten  geistern  und  wichtigen  unaufge- 
hellten  daten  der  nationalgeschichte  zuteil  wird,  umgibt  das  andenken  des  'phan- 
tastischen' römischen  flüchtlings,  als  welcher  er  könig  Karl  IV.  erschien  (vgl.  hier 
II  3,  217,  7.  10).  Zwei  jähre  (soramer  1350  bis  sommer  1352,  vgl.  hier  II  3,  191 
bis  411)  hat  er  als  gut  gehaltener  gefangener  des  'nüchternsten'  (s.  1 ,  s.  7)  deutschen 
kaisers  in  Böhmen  zugebracht.  Dort  in  Karls  IV.  kanzlei  hat  er  die  aussaat  seines 
schwülstigen,  weit  weniger  aus  antiken  schriftstelleni,  als  aus  biblisclien  und  mittel- 
alterlichen orakeln  zusammengewobenen  Stiles  hinterlassen.  Die  neue  kuriale  mode 
der  'poetischen'  stilgebung  wuchert  hier,  von  der  uns  Petrarca,  das  vorbild  seiner 
,tribunicischen'  krönung  mit  dem  lorbeer  (vgl.  G.  Voigt,  Wiederbelbg.  des  kl.  alt.s 
I  51),  eine  so  ergötzliche  Schilderung  aus  Avignon  entworfen  hat  (Epist.  fani.  XIII  7). 
Ohne  Petrarca,  der  vielleicht  auch  hier  hinter  ihm  steht  (Voigt  II  268)  und 
jenes  urteil  ('non  ideo  magis  poeta,  quam  textor'  hier  II  4,  154  f.)  über  ihn  fällt, 
hätte  Eienzo  die  'erregenden'  wiikungen  auf  die  analoge  stilbildung  eines  Jobann 
von  Neumarkt  (vgl.  Voigt  II,  270  darüber)  kaum  geübt,  wie  sie  die  briefe  nr.  54-06, 
nr.  68  59,  nr.  75/76  ins  rechte  licht  setzen.  Deutsche  Unterwürfigkeit  gegen  sen- 
sationelle erscheinungen  des  ausländes  kann  (siehe  auch  hier  1,  s.  32)  nicht  rüh- 
render zum  ausdruck  kommen.  Die  letzteren  vier  nummern  fügt  diese  neue  ausgäbe 
des  briefwechsels  Cola  di  Rienzos  aus  Codices  15.  saec.  der  Breslauer  Universitäts- 
bibliothek den  drei  bisher  bekannten  briefen  zwischen  ihm  und  dem  humanistischen 
notar  (bald  kanzler)  Karls  IV.  hinzu. 

1)  Felix  Papencordt,   Cola  di  Rienzo   und   seine  zeit.     Besonders  nach  unge- 
druckten quellen  dargestellt.     Hamburg  und  Gotha  1841. 

ZEITSCHRIFT   F.  DKUTSCHE  PHILOLOGIE.      BD.   XLIX.  7 


98  uorin.sk  I 

Das  grosse  aufseheu,  das  Rieiizos  unterneluueu  in  seiner  zeit  machte,  bewirkte, 
dass  seine  briefe  alsbald  abgeschrieben  und  herumgetragen  wurden,  'als  ob  sie',  wie 
Petrarca  an  ihn  schreibt,  'nicht  von  einem  menschen  unseres  geschlechts,  sondern 
vom  himmel  oder  den  antipodeu  kämen'.  Eine  Sammlung  von  ihnen  ist  früh,  an 
einer  wunderlichen  stelle  gedruckt  worden:  nämlich  1613  in  des  Job.  Hocsemius 
Chronik  der  bischöfe  von  Lüttich  (titel  usw.  siehe  hier  3,  s.  IXJ.  Reinald  Orsini, 
der  heftigste  bekämpfer  Rienzos  in  Eom,  war  nämlich  erzdiakon  (Leodiensi  archi- 
diacono,  Überschrift  des  briefes  nr.  46  bei  Hocs,),  der  päpstliche  legat  (gegen  ihn), 
Bertrand  von  Deux,  propst  der  kirche  von  Lüttich  (Papencordt  a.  a  o.  s.  326). 
Weitere  Veröffentlichungen  bewirkte  im  18.  Jahrhundert  das  Interesse  für  Petrarca 
in  des  abbe  de  Sades  bekanntem  werke  Memoires  de  Petrarca  III  und  anfang  des 
19.  Jahrhunderts  die  Byronschwärmerei  in  des  John  Hobhouse  Historical  Illustration 
of  the  fourth  Canto  of  Childe  Harold  (2.  ed.  London  1818).  Den  Jesuiten  du  Cer- 
ceau,  dessen  oi<rraf/e  2>'>sf^'i'>'iß'  'Conjuration  des  Nicolas  Gabrini  dit  de  Eienzi, 
tyran  de  Rome  (Amsterdam  1734,  12",  nach  Papencordt  s.  308)  auch  'nachrichten 
und  Urkunden  in  den  annalisten  der  römischen  kirciie'  benutzte,  habe  ich  unter  den 
quellen  nicht  gefunden.  Den  namen  Gabrini,  den  ich  bei  Rienzo  nicht  zu  erklären 
weiss,  trägt  auch  ein  angeblicher  abkömmling  Rienzos,  Fra  Tomaso  Gabrini,  der 
um  1800  nach  de  Sades  muster  über  seinen  'anherrn'  schriftstellerte.  Gänzlich  auf 
de  Sade,  gleich  ihm,  fusst  nach  Papencordt,  s.  309,  die  wegen  ihres  herausgebers 
doch  wohl  erwähnungswerte  anonyme  eröffnungsschrift  des  I.  baudes  von  Seh  i Hers 
'Geschichte  der  merkwürdigsten  rebellionen  und  Verschwörungen',  1788,  s.  1-106: 
'Revolution  in  Rom  durch  Nikolaus  Rienzi  in  jähre  1347'.  Papencordt,  s.  309,  schreibt 
sie  noch  Schiller  selber  zu.  Sie  ist  aus  dem  französischen  übersetzt  von  Huber 
(vgl.  Goedeke  hist.-krit.  ausgäbe  IV,  s.  114,  aum.).  Die  ausgaben  bei  Papencordt, 
die  bereits  die  (mangelhaft  abgeschriebene)  Sammlung  Pelzels,  des  geschichtsschrei- 
bers  Karls  IV.  benutzen  konnte  (vgh  a.  a.  o.  s.  321  ft.  und  Urkunden  von  s.  VI— (') 
und  des  gesamten  Epistolario  di  Cola  di  Rienzo  a  cura  di  Annibale 
(iabrielli,  Roma  1890  (Fonti  per  la  Storia  d'Italia  pubblicate  dall'  Istituto  Sto- 
rico  Italiano.  Epistolari.  Secolo  XIV)  werden  ferner  im  wesentlichen  vermehrt: 
durch  nr.  72,  ein  nach  zeit,  anlass,  ort  und  adressaten  unsicheres,  sehr  unterwür- 
figes (bruch ?-)stück  aus  der  (böhmischen?)  gefaugenschaft,  das  die  bevorstehende 
befreiung  ersehnt;  aus  einem  codex  14.  saec.  der  stiftsbibliothek  von  Ossegg. 
nr.  75,  an  einen  dogen  von  Venedig,  in  dem  sich  der  von  Petrarca  als  poetischer 
rivale  in  Avignon  verspottete,  aber  dadurch  nach  Ciceros  rechtsgrund  für  den  dichter 
Archias  vom  tode  befreite  (siehe  anh.  nr.  60,  z.  129  ff.)  tribuu  als  gelegenheits- 
dichter empfiehlt:  rimator!  S.  422,  z.  19,  wie  nr.  74,  10  sono  rirae!  Also  wohl 
noch  in  mittelalterlichen  gereimten  hexametern  oder  im  volgare.  Vorliebe  für  den 
reim  verrät  auch  seine  prosa:  Nr.  70,  z.  172  ff".  14  Vordersätze  mit  endreim  auf  as. 
Den  sogenannten  'Leoninischen  cursus"  in  rhythmischer  anordnung  der  satzschlüsse, 
wie  ihn  die  historiker  sogar  zum  kriterium  von  papsturkunden  erhoben  haben,  setzt 
der  herausgeber  überall  voraus  und  merkt  an,  wo  er  mangelt.  Wie  man  weiss, 
sucht  er  ihn  auch  in  den  deutschen  denkmälern  dieses  kreises  nachzuweisen  (dem 
hier  mit  Dante  in  parallele  gestellten  'Ackermann  von  Böhmen').  Der  versuch,  ihn 
in  Petrarcas  brieten  aufzuspüren  (hier  1,  108 f.)  und  nicht  bloss  in  offiziellen  schreiben 
an  den  papst,  stösst  offenbar  schon  jetzt  auf  die  Verachtung  des  pater  poeseos  für 
die  mittelalterlichen  formen,  die  seiner  eigenen  rhythmischen  verse  nicht  schonte. 
Auf  das  'problem  des  cursus  der  liuinaniston'  will  aum  zu  1,  109  an  anderer  stelle 


ÜBEK    lil'RüArn,    VOM    MITTELALl'EK   ZI  K    UK1\>I{MATI0X  99 

zurückkomiueu.  Aus  cod.  14  s.  der  Leipziger  stadt-  und  Klageufurter  fiirstbischöf- 
lichen  bibliothek:  Nr.  80,  Begrüssuugssclireiben  des  durch  Innocenz  VI.  wieder- 
eingesetzten aus  Rom  au  Karl  IV.  zu  dessen  krönungsfahrt  nach  Italien  1854;  aus 
einem  cod.  15  s.  der  Breslauer  Universitätsbibliothek.  Nr.  1,  in  dem  sich  die  römi- 
schen gesandten  in  Avignon  1343  an  'senat  und  volk  Roms'  wenden,  ist  wegen 
seiner  inhaltsgleichheit  (ankündigung  des  fünfzigjährigen  Jubeljahres  durch  die 
päpstliche  bulle  vom  27.  jan.  1343)  mit  dem  von  Eieuzo  unterzeichneten  schreiben 
ur.  2  (bei  Gabrielli  nr.  1)  aus  einem  cod.  14—15  s.  der  Turiner  bibl.  nazionale  hier 
hinzugefügt  worden.  Die  drei  uummern  17,  31,  82,  von  papst  Clemens  VI.  aus 
Avignon,  1347,  die  erste  eine  absolutionsformel  'in  mortis  articulo',  die  beiden  andern 
ankündigungs-  und  beglaubigungsschreiben  für  den  päpstlichen  bevollmächtigten, 
bischof  Matthäus  von  Verona,  an  die  römischen  rektoren  Raimund  von  Orvieto  und 
Eienzo,  können  kaum  als  Vermehrungen  des  epistolars  Rienzos  aufgeführt  werden. 
Die  vier  unter  die  'zweifelhaften  und  unechten  briefe'  aufgenommeneu  ungedruckten 
schreiben  (II— V)  aus  der  kanzlei  Karls  IV.  von  und  an  den  'tribunus'  (aus  einer 
Breslauer,  II  zugleich  aus  einer  Münchener  handschrift,  dieses  eine  reine  stilübung 
mit  13  Zeilen  langem  eingang  aus  Cassiodor;  wagt  der  herausgeber  nicht,  ihm  zu- 
zuweisen. Ein  autograph  Rienzos,  als  notars  ('scriptum  per  me  Nicolaum  Lauren- 
tium,  notarium  camerae  urbis  .  .  .)  aus  dem  archivio  del  coUegio  dei  commercianti 
di  Roma,  das  Gatti  (Statuti  dei  mercanti  di  Roma  tavola  II)  1885  in  heliotypie  ver- 
öffentlicht hat,  ist  dem  briefljande  in  facsimile  beigegeben,  'Die  schrift  ist  sauber 
und  elegant'  (Gregorovius  VI  '233).  Der  notar  schrieb  (nach  der  Vita)  'aus  rücksicht 
für  sein  hohes  amt'  nur  mit  silberner  feder.  Der  Urkundenanhang  des  IV.  teiles 
bringt  als  neu  briefe  und  erlasse  der  päpste  Clemens'  VI.  und  Innocenz'  VI.  in 
Sachen  de^  Rienzo  nach  den  vatikanischen  beziehungsweise  avignonesischen  hand- 
schriften,  die  nur  zum  teil  bisher  in  Theiners  codex  diplomaticus  Dominii  tempo- 
ralis  S.  Sedis  Tom.  II  (Rom  1862)  und  Wernusky  Excerpta  (ex  registris  Clemens  VI. 
et  Innocenz  VI.,  Innsbruck  1885)  auszugsweise  veröffentlicht,  zum  teil  von  italieni- 
schen historikern  in  den  letzten  jahrz*inten  angezeigt  waren.  Der  nachtrag  zu 
teil  3  und  4  in  teil  1,  s.  3  beklagt  den  in  Padua  durch  dr.  Piur  festgestellten  Ver- 
lust des  briefes  des  Paduaner  bischofs  Hildebrand  (den  mitempfänger  der  unge- 
druckteu  Urkunde  Clemens  VI.  über  Rienzos  einführung  als  notar;  hier  teil  4,  nr.  2) 
an  seinen  vikar  vom  30.  juli  1347  als  wertvoll  für  Kienzos  revolution.  Das  doku- 
ment  (LXXXVII  bei  Dundi  Orologio,  Istoria  ecclesiastica  Padovana,  Padova  1815) 
soll  nach  Dondis  'unvollständigem  und  fehlerhaftem'  text  im  kora  mentarband, 
teil  5,  veröffentlicht  werden;  mit  einer  reihe  anderer  briefe  und  aufzeichnungen, 
die  den  herausgeben!  bisher  entgangen  Avaren  und  andern  aktenstücken,  den  von 
Cipolla  herausgegebenen  vatikanischen  Suppliken,  sowie  briefen  Petrarcas,  in  denen 
Rienzos  nur  im  vorbeigehen  erwähnung  getan  wird.  'Eine  planmässige  durch- 
forschung  der  italienischen  bibliotheken  und  archive  nach  neuem  material  über  I?. 
lag  grundsätzlich  ausserhalb  des  rabmens  dieses  werkes,  das  mit  den  mittein  der 
deutschen  kommission  der  Berliner  akademie  durchgeführt,  sich  hier  naturgemäss 
zu  bescheiden  hatte.'  Was  hiermit  geboten  wird,  die  diplomatische  Zusammen- 
stellung des  gesamten  vorhandenen  urkundenmaterials  über  Cola  di  Rienzo,  scheint 
reichlich  genug.  Wenn  man,  schon  wegen  der  fülle  des  sonst  geboteneu,  etwas 
vermisst,  so  wäre  es  der  bequemlichkeit  halber  die  aufnähme  der  ,descriptio  urbis 
Romae  ejusque  excellentiarum'  mit  der  römischen  epitaphiensammlung,  die  de 
Rossi  und  nach  ihm  H.-nzen  (im  Corpus  inscr.  Lat.  VI  P.  I.  pg.  XV)  Rienzo  zu- 


100  nORINSKI 

schrieben;  ferner  der  abdruck  der  viel  herangezogenen  'Vita  di  Cola  di  Rienzo', 
deren  alter  druck  von  1624  und  nach  dessen  text  gemachte  populäre  ausgäbe 
mit  historischep  anmerkungen,  zuletzt  von  Zefirino  Ret  1854  Florenz,  le  Monnier, 
nach  Papencordt  (s.  3U8ff.)  wenig  kritisch  sind.  Sollte  sie  deshalb  weggeblieben 
sein,  weil  der  biograph,  der  Eienzo  'persönlich  und  politisch  nahegestanden  haben 
muss,  .  .  .  seine  handlungen  und  seinen  Charakter  trotz  mannigfacher  anerkeunung 
mehrmals  streng,  ja  übelwollend  beurteilt'  (vgl.  hier  II  1,  87)?  Aus  ihrem  rahmen- 
werke, (gleichfalls  italienischen)  bruchstücken  einer  geschichte  Roms  in  Muratoris 
Antiquitates  Italicae  medii  aevi  III  (Mediol.  1740)  sind  einzelne  stellen,  mit  der  über 
sein  grässliches  ende,  in  den  anmerkungen  zu  II  4  nr.  74/75  mitgeteilt.  Ich  notiere 
hierzu,  dass  in  Papencordts,  von  Höfler  herausgegebener  •  Geschichte  der  Stadt  Rom 
im  mittelalter  (Paderborn,  1857)  s.  416-422  'aus  einer  hs.  der  Bibl.  Barberina  jene 
kapitel  in  anmerkungen  angeführt  sind,  die  sich  auf  Rom  beziehen  und  bei  Muratori 
antiqu.  III  fehlen'.  Dafür  bringt  unsere  ausgäbe  (am  schluss  von  teil  4,  s.  221-343) 
das  in  Rienzos  geschick,  als  persönliche  Prophezeiung,  verwobene  'Oraculum  angeli- 
cum  Cyrilli'  nebst  dem  bisher  ungedruckten  kommentar  des  PseudoJoachim,  besorgt 
und  mit  einem  spezialwortverzeichuis  ausgestattet  von  Paul  Piur  (bis  auf  die  von 
Burdach  herrührende  beschrcibung  des  alten  venezianischen  Theolosphorusdruckes 
von  1516,  s.  231-288).  Schon  äusserlich  verraten  die  vielen  griechischen  lehnworte 
des  Wortverzeichnisses  die  'mystification'^  (vgl.  nachtrag  zu  teil  3  und  4,  s.  5)  einer 
ursprünglich  griechischen  fassung  des  in  selbiger  jedesfalls  nicht  erhaltenen 
Orakels.  Unter  dem  namen  des  karmeliten  Cyrill  von  Constantinopel  (f  1224,  als 
dritter  general  seines  Ordens)  überliefert,  wird  diese  astrologisch-biblische  apoka- 
lypse,  deren  erstes  kapitel  zumal  Rienzo  (vgl.  hier  II,  3,  267  brief  an  den  erzbischof 
von  Prag  nr.  57,  948  ff.)  aiif  sich  bezog,  von  ihrem  ersten  herausgeber,  dem  unbe- 
schuhten karmeliten  Philippus  a  Sma  Trinitate  (Lugduni  16C.3,  exemplar  in  der 
Münchener  Universitätsbibliothek)  auf  die  gründungs-  und  entwicklungsgeschichie  des 
karmeliterordens  gedeutet.  Als  prophezeihung  auf  eine  strenge  reformation  des 
mönchslebens  gegenüber  'religiosis  pravis,  qui  portabuut  magna  capucia  post  ter- 
gum  iu  modum  cornu'  erscheint  sie  jedesfalls  in  ihrem  hier  mitgeteilten  kommen- 
tar. Von  der  legende  wird  dieser  dem  berühmten  spiritualistischen  abt  Joachim  von 
Fiore  in  Kalabrien  zugeschrieben;  wie  denn  die  allein  bekannte  lateinische 
fassung-  des  seit  dem  ende  des  13.  Jahrhunderts  im  Abendlande  viel  gefeierten 
und  heftig  befehdeten  Orakels  wohl  'sicher'  im  13  Jahrhundert  in  joachiraischen 
kreisen  entstanden  ist  und  'wahrscheinlich'  aus  Unteritalien  stammt.  Die  Unmög- 
lichkeit der  abfassung  des  kommen tars  durch  abt  Joachim  weist  Piur  schon  hier 
(teil  4,  s.  224f.)  aus  dem  kommentar  selbst  nach.  Die  leicht  zu  vermutende  be- 
ziehung  zu  'der  zelantenpaitei  des  minoritenordens'  (siehe  oben)  und  den  durch  Dante 
weltbekannten  politischen  und  religiösen  Verhältnissen  um  1300  bestätigt  schon, 
jetzt  ,dr.  Piurs  deutung'  in  Burdachs  nachtrag  zu  teil  3  und  4,  s.  5.  Denn  im 
übrigen  wird  man  auch  hierfür  —  'alle  weitergehenden  sachlichen  bemerkungen  über 
entstehung  und  bedeutung  des  Orakels  und  seines  kommeutars'  —  auf  den  noch 
nicht  vorliegenden  kommeutarband  (teil  5)  zu  den  briefen  Rienzos  verwiesen.  Von 
dem  text  des  kommentars  waren  bisher  im  wesentlichen  lediglich  die  wenigen  zu- 
sammenhanglosen auszüge  bekannt,  die  1386  der  eremit  frater  .Theolosphorus  (Teles- 
phorus)  de  Cusentia  (Uosenza)  in  seiner  —  oft  behandelten  —  weit  verbreiteten 
prophetischen  schrift  'De  cognitione  presentis  scismatis'  usw.  davon  gab  (über  ihren 
frühen    druck    vgl.    oben).     Dürftige    bi-uchstücke    des    Originals    aus    vatikanischen 


ÜBER   BURDACH,    VOM    MITTELALTER   ZUR   REFORMATION  101 

haudschriften  veröffentlichte  darauf  der  karmelit  Daniel  a  Virgine  Maria  ira  Specu- 
lum  carmelitanura,  Antwerpen  1680.  Endlich  teilte  P  Ehrle  etwas  aus  dem  kom- 
mentar  mit  nach  einer  vatikanischen  Hs.  in  seiner  philologischen  behandlung  des 
ersten  kapitels  des  orakeis  (Archiv  für  literatur  und  kirchengeschichte  II  330, 
anm.  2).  Trotzdem  galt  der  kommentar  selbst  bei  kennern  des  buches  des  Teles- 
phorus  als  verschollen,  obwohl  schon  1757  Villiers  in  der  Bibl  Carmelitana  I  359  f. 
elf  hss.  aufzählte.  Die  vorliegende  ausgäbe  berücksichtigt  nur  vier  hss.  der  Pariser 
nationalbibliothek  und  eine  der  Berliner  kgl.  bibl.,  zieht  aber  auch  die  auf  den 
vatikanischen  hss.  beruhenden  drucke  des  Orakeltextes  und  des  Theolosphorus  zum 
vergleich  heran. 

Der  zweite  teil  dieser  ausgäbe,  der  die  beschreibung  der  benutzten  hand- 
schriftlichen quellen  bringen  soll,  liegt  wie  der  fünfte  koramentarband  gleichfalls 
noch  nicht  vor.  Doch  nehmen  Variantenapparat  und  kommentar  schon  jetzt  ziem- 
lich die  hälfte  der  ausgäbe  in  anspruch.  Alle  Verweisungen,  sogar  auf  klassische 
und  biblische  stellen,  sind  in  extenso  gegeben.  Erste  kenner  der  in  frage  kom- 
menden literaturen  haben  mitgeholfen,  die  quellen  nachzuweisen.  Um  ein  scherflein 
dazu  beizutragen,  vermerke  ich  für  den  3.  s.  393  (zu  nr.  70,  z.  269  f.)  gesuchten 
ort,  an  dem  Augustinus  die  mahnung  Ciceros  de  officiis  3,  23,  90  wiederholt,  dass 
von  zwei  schiffbrüchigen  weisen  auf  einer  planke  der  dem  Staate  weniger  nützliche 
dem  nützlicheren  freiwillig  weichen  solle,  de  Civitate  Bei  IX  c.  4,  3,  cf.  XIV  c.  8  u.  9: 
Nam  profecto  si  nihili  penderet  eas  res  philosophus,  quas  amissurum  se  naufragio 
sentiebat,  sicuti  est  vita  ista  salusque  corporis,  non  ita  illud  periculum  perhorres- 
ceret,  ut  palloris  etiam  testimonio  proderetur  .  .  .  Ambo  sane  (seil,  non  minus  Stoi- 
cus  quam  Peripateticus)  si  bonorum  istorum  seu  commodoruin  periculis  ad  flagitium 
vel  facinus  urgeantur,  ut  aliter  ea  retinere  non  possint,  malle  se  dicunt  haec  amit- 
tere,  quibus  natura  corporis  salva  et  incolumis  haberetur,  quam  illa  committere  qui- 
bus  justitia  violatur  .  .  .  Dazu  ib.  c.  5:  sed  quanto  honestius  ille  Stoicus  miäeri- 
cordia  pferturbaretur  hominis  liberandi,  quam  timore  naufragii !  .  .  .  Servit  autem 
motus    iste  rationi,   quando   ita   praebetur   misericordia,   ut  justitia  conservetur  .  .  . 

Der  literarhistorische  einführungsbaud  der  ausgäbe  (II 1)  'Rienzo  und  die  geistige 
Wandlung  seiner  zeit'  ist  nicht  bloss  bestimmt,  ihre  summe  zu  ziehen,  sondern  sie 
gleichzeitig  zu  motivieren,  als  'eine  rettung  des  verkannten  durch  sich  selbst':  'Er 
allein,  den  viele  ernsthafte  forscher  für  einen  abenteurer  oder  narren,  manche  gar 
für  einen  geisteskranken  halten,  spricht  hier  das  entscheidende  wort.  Recht  ver- 
standen, meine  ich,  muss  es  ihn,  sein  wollen  und  sein  tun,  retten.  Indessen,  um 
seine  rede  zu  verstehen,  um  sie  so  zu  vernehmen,  wie  sie  in  und  nach  der  mitte 
des  14.  Jahrhunderts  Deutschland,  vor  allem  das  königreich  Böhmen,  also  das  öst- 
liche Mitteldeutschland,  vernahm,  müsste  man  sich  bemühen,  mit  der  seele  und  mit 
dem  ohr  jener  wunderbaren  zeit  der  w^lterneuung  zu  hören,  der  er  entspross  und 
die  er  bestimmt  hat'  (s.  3). 

Es  ist  nun  freilich  ein  vorteil  dieser  art  rettung,  dass  sie  den  Verfasser  der 
strengeren  pflichten  des  biographen  überhebt.  Der  unterschied  zwischen  dem,  was 
Cola  di  Rienzo  schreibt,  und  dem,  was  er  tat  und  wollte,  ist  zu  oft  zu  gross,  um 
ihm  in  meist  offiziellen  Urkunden,  die  durchwegs  den  Charakter  der  Selbstrechtfertigung 
tragen,  von  vornherein  ,das  entscheidende  wort'  zuzuerkennen  Hier  gibt  er  sich 
allerdings  so  aufgetragen  weissgeschminkt  als  'candidatus  spiritus  sancti',  dass 
man  sein  leben  nicht  erst  zu  kennen  braucht,  um  aus  seinem  blossen  auftreten  in 
der  geschichte  öfters  gelinde  zweifei  an  diesem  seinem  'wort'  zu  hegen.   Doch  bricht 


102  BORINSKI 

sein  temperament  oft  genug  so  weit  durcli,  dass  man  nicht  bloss  zwischen  den 
Zeilen  zu  lesen  braucht.  So  besonders  in  dem  briefe  an  den  erzbischof  von  Prag- 
(nr.  57),  in  dem  er  die  rollen,  die  er  zu  seinem  liebeszweck  spielt  (z.  343  ff.  nunc 
fataiim,  tinnc  ijstrionem  usw.)  offen  kennzeichnet  und  (z.  348  ff.)  das  liebenswürdige 
geständnis  macht,  er  habe  vorgehabt,  am  nächsten  püngstfest,  omnes  ti/rannos  Italic 
dolcissimis  littris  et  amhassiafis  sollempnibus  conuocorc,  ihnen  das  blaue  vom  liim- 
mei  zu  versprechen,  um  sie  alle  an  einem  tage  zugleich  'der  sonne  zugewendet'  auf- 
zuhängen. Cesare  Borgias  berüchtigtes  bankett  von  Sinigaglia  war  demnach  nur  ein 
schul  werk.  Auch  der  brief  an  den  propheten  seiner  mission  unter  den  spiritualen, 
den  frater  Michael  von  Monte  S.  Angelo  (nr.  64)  hebt  sich  hier  heraus,  in  dem  die 
enttäuschung  der  hoffnung,  in  Karl  IV.  einen  zweiten  Ludwig  den  Bayern  zu  finden, 
ziemlich  offen  durchbricht  und  (z.  60 ff.)  auf  den  nur  scheinbar  paradoxen  entschluss 
des  'von  niemandem  gejagten'  tribunen,  unter  die  eremiten  zu  flüchten,  vielleicht 
ungewollte  Streiflichter  fallen.  Doch  wozu  der  Versuchung  dieser  urkundenbände 
nachgeben,  die  intimitäten  von  Rienzos  leben  aufzuspüren,  da  das  hier  daraus  ge- 
zogene resultat  einem  ganz  anderen  zweck  dient?  Wir  könnten  die  kluft,  die 
zwischen  der  sonstigen  biographischen  auffassung  Colas  und  derjenigen,  die  hier  zu- 
grunde liegt,  doch  nicht  überbrücken. 

Es  schliesseu  sich  also  an  das  verhältnismässig  kurze  erste  kapitel  (S.  5 — 34 
gleichzeitige  briefliche  stimmen  über  Rieuzo),  in  dem  bedauert  wird,  dass  'unsere 
ausgäbe  leider  nur  fünf  briefe  von  Deutschen  mitteilen  kann'  (die  drei  stilübungen 
Johanns  von  Neumarkt,  briefwechsel,  nr.  .55,  69,  76  und  die  beiden  durch  deren 
komplimente  versüssten,  politisch  ablehnenden  antworten  Karls  IV.,  nr.  51,  und  des 
Prager  erzbischofs  Ernst  von  Pardubitz,  nr.  61),  zwei  sich  zu  besonderen  abhand- 
lungen  auswachsende  kapitel  über  die  spez.  politisch  leitenden  ideen  der  renais- 
sance.  Das  eine  (zweite)  kapitel  (s.  34—170)  'Roms  heilige  brautschaft  und  .die  Um- 
wandlung des  Imperiums'  war  man  bisher  gewohnt,  bei  Dantes  politischer  Stellung 
zu  kaiser  und  papst  und  den  Widersachern  des  papstes  vor  und  im  kirchenkampfe 
Ludwigs  des  Bayern  abgehandelt  zu  finden  Seine  eiustellung  auf  eine  ausschliesslich 
politische  persönlichkeit,  wie  die  Rienzos,  führt  notwendig  dazu,  die  ausgesprochen 
literarisch-künstlerische  bewegung,  die  dem  auftreten  Dantes  folgt,  die  sich  selbst 
die  Wiedergeburt  der  (antiken)  weltlichen  literatur  (,renatae  literae'  vgl.  Job. 
Corsii  Commentarius  De  Piaton.  Phil,  post  renatas  literas  apud  Italos  instauratione 
Pisis  1771)  als  kennzeichnendes  verdienst  anrechnete,  ganz  unter  dem  politischen 
gesichtswinkel  aufzufassen.  Das  dritte  kapitel  (s.  170  -368)  handelt  von  der  'Vor- 
bereitung des  apollinischen  Imperiums'.  Ganz  in  der  weise,  in  der  Achim  von  Ar- 
nim die  idee  seiner  'Kronenwächter'  formulierte:  'Die  auflösung  ist  endlich,  dass 
die  kröne  Deutschlands  nur  durch  geistige  bildung  erst  wieder  errungen  werde.' 
Dies  'neue  dritte  imperium,  das  die  Völker  Europas  beherrschen  sollte,  und  vor  dem 
die  beiden  älteren,  das  imperium  des  kaisers  und  die  christliche  Universalherrschaft 
des  papstes  verblassten,  ...  ist  der  universale  priuzipat  der  neuen  bildung,  die  eine 
Wiedergeburt  sein  will  aus  dem  primitiven  geist  der  frühchristlichen  antike' (s.  32  f.) 
Constantins.  Wir  möchten  gleich  hervorheben,  Avelche  besondere  note  diese  das 
'phantasiereich'  politisch  konstituierende,  von  Rienzo  als  seinem  politischen  Vor- 
läufer, Elias-praecursor  und  Johannes-verkünder  ausgehende  auffassung  anschlägt. 
Burckhardts  'Kultur  der  renaissance'  gründete  sich  auf  den  'neuen  begriff'  des  'Staates 
als  kunstwerk',  der  diese  kultur  bestimme.  Von  der  idee  der  verweltlichung  ge- 
leitet,  die   für   das    die   reformation    herausfordernde    Zeitalter   im    protestantischen 


ÜBEU    BURDACH.    VOM    >[1TTELALTK1;    ZUR    REUOR.MATrON  103 

nordeu  ausschliesslich  massgebend  geworden  war,  gefiel  sich  Burckhardt  erfolgreichst 
in  herausstreichung  der  immoral  und  religionslosigkeit,  die  es  begleitet.  Das  vor- 
liegende buch,  das  die  umkehrung  des  Burckhardtschen  begriffs  zum  ausgang 
nimmt  und  mit  seinem  'Apollinischen"  titel  so  deutlich  auf  Burckhardts  philosophi- 
schen jünger  Nietzsche  hinweist,  scheint  besonders  darauf  aus.  die  falsche  Vorstel- 
lung von  der  immoralischen,  religionslosen,  spez.  antichristlichen  grundrichtung  der 
renaissance  geradezu  auf  dem  politischen  gebiete  selbst  zu  berichtigen :  'Dass  die  neu 
aufsteigende  bildung  der  renaissance  keine  religiöse  sei',  hält  sein  Verfasser  (s.  97) 
'für  das  verhängnisvollste  Vorurteil,  und  man  muss  es  darum  mit  der  allergrössten 
entschiedenheit  und  gründlichkeit  zu  widerlegen  suchen,  weil  es  so  eingewurzelt  und 
von  so  ausgezeichneten  männern  —  gelehrten,  kunstlern,  dichtem  —  vertreten  wird. 
Der  lebeusgeist  der  italienischen  renaissance  quillt,  wie  gesagt,  aus  der  religiösen  tiefe.' 
Es  ist,  wie  er  dabei  gleich  erklärt,  die  .entkirchlichung.  vermenschlichung,  othisierung 
und  individualisierung  des  religiösen  bedürf  nisses",  sowie  die  anderen  leitworte  der 
modernen  natur-  und  kunstreligion  (erlebnis,  produktive  kraft  der  persönlichkeit  und 
gott-natur),  die  dem  verf.  hierbei  vorschwebten  und  die  er  in  jenes  wirkend  künst- 
lerische und  persönlichkeitsvolle  Zeitalter  hineinträgt.  Was  die  renaissance  aber 
schon  äusserlich  kennzeichnet,  ist  ihr  (bis  ins  innerste)  führendes  streben  nach 
form.  Ihm  dankt  es  auf  kirchlichem  gebiete  (in  der  konzilienaera)  und  auf  politi- 
schem (durch  den  kultus  der  formgebenden  Persönlichkeit)  seinen  Untergang  in  den 
neuen  kirchen  und  im  absolutismus  der  souveränen  persönlichkeit.  Wenn  der  Ver- 
fasser nun  gar  (s.  219  f.)  die  virins  morum  als  pietas  das  'sigual  des  langsam  auf- 
gehenden dritten  impeiiums'  zum  programm  der  renaissancekultur  erhebt,  so  wird 
das  wohl  allgemein,  gelinde  ausgedrückt,  als  übertrieben  empfunden  werden.  Von 
einem  vorwiegend  formal  gerichteten  Zeitalter,  zumal  nach  seiner  periode  der  poetae 
und  bildenden  künstler,  ist  die  ihm  so  oft  zum  Vorwurf  gemachte  virtuose  gleissnerei 
und  gut  bemäntelte  wortbrüchigkeit  ebensowenig  abzutrennen,  als  von  einem  vor- 
wiegend materiellen  die  selbsbewusste  roheit  und  offene  brutalität.  ;Die8es  dritte 
Imperium  (ja  'dritte  .  .  .  menschlich  freie  .  .  .  kirche'  s.  205),  das  der  epoche  den 
Stempel  aufdrückt,  das  im  17.  und  18.  Jahrhundert  als  klassizismus  den  höhepunkt 
seiner  macht  erreicht,  ist  ein  imperium  des  geistes,  sei  es  des  sittlich-religiösen, 
sei  es  des  sittlich-wissenschaftlichen,  sei  es  des  künstlerisch-literarischen  und  formal 
stilistischen  ...  das  imperium  der  neuen  menschlichkeit  (des  römischen  rechts !),  die  man 
aus  den  ursprünglichen  quellen  des  geschichtlichen  lebens  schöpfen  will'  (s.  33).  Indem 
der  Verfasser  es  nun  unternimmt,  jenen  'religiösen  lebensgeisf  ausschliesslich  an  seinen 
politischen  Symbolen  und  jenes  dritte  imperium,  in  erster  linie 'des  römischen  rechts", 
an  der  in  ihnen  wirklich  dunkel-  mittelalterlich  staatsrechtlich  befangenen  persönlich- 
keit eines  demagogischen  phantasten  wie  Cola  diHienzo  zu  entwickeln,  so  erhält  man 
aus  seinem  buche  den  eindruck  von  der  renaissance  als  einer  religiösen  rechtfer- 
tigungsaera  des  imperialismus  modern  demokratischer  'ritter  vom  geist'.  Das  stimmt 
nun  wieder  wenig  zu  dem  ausgesprochenen  antiken  aristokratismus  der  renais- 
sance, auch  gerade  in  ihrer  (römisch-)  re  publikan i sehen  (Brutus-Cato-lbegeiste- 
rung.  Über  die  einzelheiten  möchten  wir  uns  gesondert  aussprechen.  Sieht  sich 
doch  der  Verfasser  gezwungen,  an  ihrem  Schlüsse,  sobald  er  (von  Friedrich  II  i  aut 
Dante  kommt  (s.  336),  von  einer  entpolitisierung  seiner  imperialistischen  rcnais- 
sancevorstellung  zu  reden.  Nur  dass  Rienzo,  neben  den  dichtem  in  der  politik. 
Dante  und  Petrarca,  als  der  ausgesprochen  praktische  politiker  der  dichtuug,  der 
fixe  benützer  des  neuen  vatestumes  im  geiste  seiner  mittelalterlichen  römischen  vor- 


104:  11.    UE    BOOK 

gäng-er,  hierbei  eine  befremdliche  figur  macht,  so  dass  die  neue  literarhistorische 
forinel  dieses  buches  'Dante,  Petrarca  und  Rienzo'  (statt  Boccaccio)  manchen  fach- 
genossen zunächst  anmuten  mag-,  etwa  wie:  Klopstock,  Lessing  und  (in  ermanglung 
eines  analogen  geistes  im  damaligen  Deutschland)  —  Struensee;  oder  Goethe, 
Schiller  und  Förster  oder  Huber,  Eienzos  lebenewerk  hat  jedesfalls  die  folgen  nicht 
gehabt,  die  eine  solche  reihung  rechtfertigen  könnten.  Derjenige  geist,  der  die 
Politisierung  der  renaissancekultur  zwei  Jahrhunderte  nach  Rienzo  erst  eigentlich 
bestimmt,  ist  Machiavelli'.  Er  dürfte  wohl  recht  behalten,  wenn  er,  bei  der  wohl- 
wollenden erwähnung  der  cosa  memorahüe,  che  im  Nicola  di  Lorenso  caccid  i 
Setiatori  di  Roma  e  si  fece  sotto  titolo  di  Tribuno  Capo  della  Republica  Romana 
im  1.  buch  der  Istorie  Fiorentine  (pg.  51,  ed.  Mil.  1823)  über  ihn  urteilt,  dass  er 
seinem  unternehmen  —  invilito  sotto  tanto  peso  —  von  anbeginn  nicht  gewachsen 
war  {se  medeslmo  nei  suoi  principj  ahhandonb).  Aber  alle  diese  erwägungen  treten 
zurück  vor  dem  persönlichen  charakter  dieser  veröfientlichung.  Es  spricht  aus  ihr 
ein  dichterischer  und  objektiver  geist.  Kein  dramatiker  könnte  das  schwankende 
bild  seines  historischen  beiden  energischer  auf  einen  hohen  und  allgemein  interes- 
sierenden Zusammenhang  einstellen,  liebevoller  immer  wieder  die  wenigen  daten 
zugunsten  seiner  auffassung  in  einen  wirkungsvollen  Vordergrund  stellen,  als  hier 
ein  peinlicher  gelehrter  mitten  in  mittelalterlich  archivalischer  urkuudensph'äre.  Dass 
er  aber  in  unserer  zeit  der  unüberbrückbaren  nationalen  Zerklüftung  festhält  am 
Zeugnis  für  die  ausländische  herkunft  einer  der  internationalsten  mächte  der  geistes- 
geschichte,  die  entstehung  der  europäischen,  insbesondere  der  deutscheu  bildung 
(mindestens  der  bis  zur  mitte  des  19.  Jahrhunderts)  aus  dem  geiste  der  italienischen 
reuaissance,  bürgt  für  den  objektiven  wahrheitssinn,  den  sich  die  deutsche  philologie 
hoffentlich  durch  keine  angriffe  der  weit  rauben  lassen  wird. 

MÜNCHEN.  KAHL   BOKINSKI. 


Dr.  Jau  de  Vries:  Studien  over  faeroische  balladen.    Haarlem  191.Ö.    286  s. 

Die  arbeit  von  de  Vries,  eine  Amsterdamer  dissertation,  behandelt  in  5  kapiteln 
einige  der  in  Hammershaimbs  Sjürdar  kvadi  abgedruckten  faeroischen  balladen  sagen- 
haften inhalts.  Die  drei  ersten  kapitel  gelten  den  drei  tcettir:  Regln  smidiir  (Rs), 
Brinhild  (Br)  und  Hör/ni  (Hö),  die  zusammen  eine  zyklische  darstellung  der  gesamten 
Nibelungensage  von  Sigmund  bis  zum  tode  Attilas  bieten.  Das  4.  kapitel  untersucht 
den  Rac/nars-tdttnr  (Rg),  das  letzte  den  weiter  abliegenden  tdttur  Ismal  frwga 
kempa  (Is),  dessen  eine  hauptfigur  Svanbild  ist.  Sämtliche  kapitel  gehen  nach  einer 
kurzen  Übersicht  über  alle  für  die  Untersuchung  in  betracht  kommenden  nordischen 
quellen  zur  vergleichung  der  vise  mit  den  alten  parallelberichteu  über  und  ziehen 
dann  die  verwandten  dänisch-norwegischen  folkeviser  heran.  So  wird  versucht,  zu 
einer  erkenntnis  der  Verwandtschaftsverhältnisse  sämtlicher  quellen  zu  kommen. 

Vorarbeiten  standen  de  Vries  nur  wenige  zu  geböte :  für  die  Nibeluugenvisor 
existiert  eine  arbeit  von  Golther  (Z.  f.  vgl.  lit.  gesch.  n.  f.  II  269  ft".),  für  Hö  speziell 
eine  Untersuchung  von  Boer  (Arkiv  XX  142  ff.)  und  eine  leider  von  de  Vries  nicht 
genannte,  sehr  brauchbare  arbeit  von  Döring  (Z.  f.  d.  ph.  11  s.  269  ff.).     Auch  findet 

1)  Ref.  hat  ihren  aufang  und  ihr  ende  in  diesem  sinne  gefasst  in  seinen  beiden 
büchern  'Über  vision  und  imagination'  anlässlich  Dantes  (Halle  1897)  und  Über 
Gracian  und  die  Hofliteratur  in  Deutschland  (Halle  1894). 


ÜBER   I>E    VRtES,    STUDIEN   OVER   FAEROISCHE    BALLADEN  105 

sich  sonst  in  der  von  de  Viies  nicht  genügend  berücksichtisten  Nibelungenliteratur 
brauchbares  material  (Sijmons,  Germania  XXH  s.  410  if.,  Müllenhoff,  A.  f.  d.  A.  IV 
115  ff.,  Panzer,  Sigfrid  200  f.,  235  usw.).  Für  Is  besitzen  wir  eine  besondere  behand- 
lung  in  Bugge-Moe  'Torsviseu  i  sin  norske  form';  Eg  war  noch  nicht  behandelt. 
De  Vries  arbeitet  also  auf  ziemlich  unberührtem  bodeu,  zumal  die  Golthersche  Unter- 
suchung wenig  brauchbar  ist,  und  er  ist  vor  allem  auch  darauf  angewiesen,  sich 
seine  methode  erst  zu  erarbeiten  im  anschluss  an  die  durch  Grundtvig,  Bugge  und 
Olrik  in  dem  grossen  dänischen  Sammelwerk  'Danmarks  gamle  folkeviser'  (DgF. 
Kopenhagen  1853  ff.)  vorgezeichneto  methode.  Aber  de  Vries  kommt  aus  einer  ganz 
anderen  schule  und  ist  in  seiner  arbeit  ganz  abhängig  von  der  forschungsmethode 
seines  lehrers  Beer.  Wie  dieser  geht  er  von  dem  zweifellos  richtigen  und  förder- 
lichen grundsatz  aus,  jede  sagengeschichtliche  arbeit  als  eine  literarhistorische  Unter- 
suchung der  einzelnen  denkmäler  aufzufassen.  Dabei  richtet  er  sich  jedoch  wie  Boer 
allein  nach  dem  gesichtspunkt,  nur  das  logisch  einwandfrei  richtige  als  alt  gelten 
zu  lassen,  logische  Sprünge  und  fehler  aber  späteren  Überarbeitern  und  interpola- 
toren  zuzuweisen.  Daraus  ergibt  sich  die  arbeitsmethode,  in  den  quellen  Widersprüche 
aufzusuchen  und  auf  grund  logisch -rationalistischer  erwägungen  (innere  kriterien 
sagt  de  Vries)  so  lange  und  so  viel  interpolationen,  Überarbeitungen  und  literarische 
beeinflussungen  auszuscheiden,  bis  eine  'gereinigte',  widerspruchslose  grundform  er- 
reiciit  ist  Das  bedeutet  eine  Verallgemeinerung  einer  vielleicht  bei  werken  bewussten 
und  hoch  entwickelten  künstlerischen  Schaffens  mit  vorsieht  anwendbaren  methode 
und  .drängt  die  frage  nach  den  besonderen  bedingungen  jeder  quelle  ungebührlich 
in  den  hintergrund.  Und  das  ist  gerade  für  de  Vries  zum  Verhängnis  geworden, 
dessen  eigenartige  quellen  eine  textkritik  im  geläufigen  sinne  gar  nicht  zulassen. 
Gewiss  hat  de  Vries  mancherlei  aus  dem  Studium  von  DgF.  gelernt,  und  wo  er 
dem  dort  gegebenen  vorbild  folgt,  hat  er  gute  resultate  erzielt.  Aber  er  ist  sich 
über  die  Unvereinbarkeit  der  hier  angewendeten  methoden  mit  der  seines  lehrers 
Boer  nicht  klar  geworden  und  hat  die  Widersprüche  zwischen  beiden  in  seine  arbeit 
hineingetragen. 

In  zwei  punkten  unterscheiden  sich  die  folkeviser  besonders  wesentlich  von 
sonstigen  literarischen  quellen.  Einmal  durch  die  mannigfaltigkeit  der  texte  und 
die  art  ihrer  bewertung.  Bei  litererarischen  quellen  suchen  wir  sämtliche  vorhandenen 
niederschriften,  seien  es  noch  so  viele,  in  einem  Stammbaum  zusammenzufassen,  so 
den  Urtext  wirklich  oder  liypothetisch  zu  gewinnen  und  wertvolle  handschriften  von 
wertlosen  zu  scheiden.  Für  die  viser.  aber  —  und  mehr  noch  für  die  fter.  als  für 
die  dänischen,  die  doch  schon  wieder  seit  ihrer  nufzeichnung  eine  gewisse  text- 
geschiclite  haben  —  ist  gewissermassen  jede  niederschrift  ein  urtext,  geflossen  direkt 
aus  dem  quell  des  lebendigen  volksgesanges.  Mag  ein  text  noch  so  jung  und  ver- 
derbt erscheinen,  er  kann  doch  irgendwo  ältestes  gut  bergen.  Daher  ist  es  nicht 
möglich,  einen  urtext  anzunehmen  und  aus  ihm  die  andern  texte  stammbaummässig 
lierzuleiteu  oder  umgekehrt  aus  den  vorhandenen  texten  einen  urtext  zu  rekonstruieren. 
Dies  hat  de  Vries  für  die  norw.  bailade  Sigurö  svein  s.  50  ff.  versucht.  So  sehr  die 
stoffliche  kritik  des  liedes  ihm  geglückt  ist,  so  muss  es  prinzipiell  als  verfehlt  ab- 
gelehnt werden,  eine  solche  textliche  urform  unter  ausscheidung  jüngeren  gutes  und 
unter  Vermischung  mehrerer  texte  gewinnen  zu  wollen,  selbst  wenn  die  Überlieferung 
so  einfach  und  gering  ist  wie  bei  diesem  lied.  Die  einzig  mögliche  methode  ist 
vielmehr  die  in  DgF.  durchgängig  befolgte;  sämtliche  texte  gleichwertig  neben- 
einanderzustellen und  unter  gleichmässiger  berücksichtigung  aller,  aucli  der  jungen 


106  11.    IJK    BOOK 

und  verderbten,  eine  geschichte  des  Stoffes  der  ballade  zu  g'ewinnen.  Dass  dieser 
grundsatz  für  die  f*r.  dichtung  so  gut  gilt  wie  für  die  dänische,  beweist  der  reiche 
Variantenschatz,  den  das  leider  nur  handschriftliche  Corpus  carminum  faeroensiuni 
in  Kopenhagen  bewahrt.  De  Vries,  dem  das  Corpus  nicht  zugänglich  Avar,  konnte 
aus  der  Hammershaimbschen  ausgäbe  allerdings  leicht  zu  der  ansieht  verführt  werden, 
dass  es  von  den  liedern  nur  einen  gleichförmigen  text  gebe, 'nur  mit  geringfügigen 
Varianten,  Avie  sie  Hanimershaimb  ohne  jede  Vollständigkeit  und  ohne  Verständnis 
für  den  wert  der  reichen  Überlieferung  ganz  willkürlich  beifügt,  und  die  sich  von 
beliebigen  handschriftenvariauten  in  nichts  unterscheiden.  So  konnte  dem  Verfasser 
der  Hammershaimbsche  text  leicht  zum  kanonischen  g-rundtext  werden,  der  die  be- 
handlung  der  balladen  als  rein  literarischer  produkte  nahelegte. 

Wesentlicher  noch  ist  die  richtige  bewertung  der  formel  und  ihres  geltungs- 
bereiches  in  der  viserdicbtuiig.  Ihr  kommt  in  jeder  volkstümlichen  dichtung  eine 
gewisse  rolle  zu,  ihre  bedeutung  kann  aber  in  der  viserdichtung  kaum  überschätzt 
werden  und  ist  in  der  fser.  dichtung  geradezu  unglaublich  gross.  Sie  beschränkt 
sich  hier  auch  nicht  auf  einzelne  formelhafte  Wendungen  oder  zeilen,  sondern  darüber 
hinaus  schafft  sie  für  den  im  ganzen  f^uffallend  kleinen  motivkreis,  der  in  den  lie- 
dern immer  wiederkehrt,  bestimmte,  fest  geprägte  darstellungen  von  oft  sehr  kom- 
plizierter Zusammensetzung,  so  dass  man  sie  von  vornherein  durchaus  nicht  als 
forraeln  erkennt.  So  gibt  es  brautwerbungsformeln,  seefahrtsformeln,  begräbnisformeln, 
die  mehr  oder  minder  vollständig  an  jeder  stelle  auftreten,  wo  die  handlung  eine 
brautwerbung,  eine  seefahrt,  ein  begräbnis  zu  schildern  verlangt.  So  gibt  es  weiter 
formein,  die  das  aussehen  eines  trolles,  eines  schiftes,  eines  mädchens  beschreiben. 
Für  die  meisten  der  typischen  szeuen  bestehen  mehrere  formein  nebeneinander,  und 
dann  ist  es  ganz  gleichgültig,  welche  davon  in  der  einzelnen  niederschrift  einer  vise 
benutzt  ist.  Unwillkürlich  und  ohne  je  nach  logik  zu  fragen,  stellen  sich  formel- 
hafte Szenen  ein,  kristallisieren  sich  weitere  formein  an,  können  ganze  abschnitte 
eines  anderen  liedes  herbeigezogen  werden,  ohne  dass  von  entlehnung  im  üblichen 
sinne  gesprochen  werden  darf;  sie  erscheinen  in  einigen  niederschriften  und  fehlen 
in  anderen.  Nur  der  gang  der  handlung  ist  individuell,  die  ganze  ausführung  ist 
immer  typisch,  und  die  typische  formel  überspinut  und  verdeckt  oft  genug  wie  wildes 
gerank  den  alten  kern.  Das  gilt  mehr  noch  als  für  die  dänische  dichtung  für  die 
ffereische,  wo  ich  wohl  70  %  des  bestandes  für  formelhaft  halte.  Damit  ist  klar, 
dass  zur  beurteilung  und  bearbeituiig  solcher  lieder  die  richtige  kennt uis  und  er- 
kenntnis  der  formel  unerlässlich  ist. '  Auch  de  Vries  hat  natürlich  an  dieser  erschei- 
nung  nicht  vorbeigehen  können  und  hat  mit  ihr  in  seiner  arbeit  gerechnet  (vgl.  s.  43; 
260).  Und  in  vielen  einzelfällen  hat  er  die  poetische  formel  als  solche  richtig  er- 
kannt, so  die  begräbnisformel  Rs  str.  22  ff.,  Sigurös  träum  Br  str.  47  ff.,  sein  ritt 
Str.  55  ff.,  das  verstehen  der  vogelsprache  durch  die  Jungfrau  im  refrain  des  Eg  usw. 
Aber  die  prinzipielle  und  elementare  Wichtigkeit  der  formel  und  ihrer  kenntnis  ist 
ihm  nicht  klar  geworden ;  er  arbeitet  nur  tastend  von  fall  zu  fall.  Er  hat  sich  vom 
bilde  des  literarischen  textes  nicht  freigemacht  und  sucht  nach  logischer  richtigkeit, 
statt  zuerst  einmal  nach  der  formelhaftigkeit  jeder  einzelnen  von  ihm  behandelten 


1)  Wie  eine  genaue  bearbeituug  des  forraelschatzes  auch  positive  aufschlüsse 
geben  kann,  das  beweisen  die  von  de  Vries  nicht  zitierten  arbeiten  von  der  Reckes: 
Nogle  folkevise-redactioner,  Kph.  1906;  Folkevisestudier.  Yestnordisk  indflvdclse 
i.  dansk.  Danske  studier  1907,  79  ff. 


ÜBER   DE    VRIES,    STIDIEX    OVER   FAKIIOIM  HE    ÜALLAUEN  107 

Strophe  zu  fragen.  So  kommt  er  au  vielen  stellen  zu  Verstössen  und  verkehrten  aus- 
führungen,  die  sich  leicht  hätten  vermeiden  lassen.  S.  9  bespricht  er  die  szene 
zwischen  mutter  und  söhn,  in  der  Sigurö  das  zerbrochene  schwert  des  vaters  von 
der  mutter  erhält.  Obwohl  de  Yries  die  ganze  szene  als  formelhaft  erkennt,  knüpft 
er  doch  logische  efwägungen  daran  au.  Im  gegensatze  zur  Vojsungasaga  (Vq1s.-s.) 
stachelt  hier  nicht  Reginn,  sondern  die  mutter  den  jungen  Sigurö  zur  vaterrache 
auf,  indem  sie  ihm  die  blutige  rüstung  des  vaters  zeigt.  Statt  darin  einfach  den 
typischen  ausgang  der  leikvoU-episode  zu  sehen,  bemerkt  de  Vries,  die  abweichung 
von  der  saga  sei  aus  dieser  selbst  wohl  zu  verstehen,  da  in  ihr  an  irgendeiner  stelle 
Hjordis  den  wünsch  nach  räche  für  den  tod  ihres  vaters  äussert,  und  er  findet  es 
ferner  'merkwürdig',  dass  der  dichter  neben  dem  motiv  des  zerbrochenen  Schwertes 
noch  die  blutige  rüstung  des  vaters  einführt.  Das  ist  eine  verkenuung  des  balladen- 
stils,  der  nicht  nach  mot'vdoppelung  fragt  und  keiue  weithergeholte  erklärung  ver- 
trägt, sondern  der  einfach  für  Sigurös  aufreizung  zur  vaterrache  die  gebräuchliche 
leikvQll-schablone  benutzte,  aus  der  sich  dann  die  Stellung  der  mutter  und  die  blutige 
rüstung  von  selbst  ergaben.  Wenn  de  Vries  s.  61  für  den  anfaug  des  Br  von  'Weit- 
schweifigkeit' redet,  die  auf  jüngere  Verbreiterung  schliessen  lasse,  so  zeigt  auch 
dies  eine  ganz  verkehrte  auffassung  von  dem  entstehen  einer  solchen  balhide  und 
deutet  darauf,  dass  de  Vries  eine  'gereinigte"  und  wesentlich  formelfreie  grundform 
jeder  ballade  voraussetzt,  während  alles  darauf  schliessen  lässt,  dass  die  formel  von 
aufang  an  ein  konstituierendes  dement  dieser  dichtung  ist,  und  dass  sie  von  je 
eine  freiide  an  breiter  ausführung  und  spielender  Wiederholung  gehabt  habe.  S.  83  f. 
behandelt  de  Vries  den  Zusammenhang  zwischen  Br  und  der  dän.  vise  Uuyen  Stendal 
und,  nachdem  er  mit  recht  stoffliche  gleichheit  geleugnet  hat,  glaubt  er  an  einer 
stelle  entlehnung  des  Br  aus  der  dänischen  vise  feststellen  zu  können,  nämlich  in 
dem  zug,  dass  die  Jungfrau  den  beiden  schon  vor  der  ersten  begegnung  liebt 
iBr.  str.  18,  dän.  A.  str.  12).  Er  hat  nicht  erkannt,  dass  es  sich  bei  diesem  gewiss 
sehr  individuell  ausseheuden  zuge  um  eine  weit  verbreitete  f.Tr.  formel  handelt,  die  u.  a. 
im  Oh{fii  l-vmti  (Fa?rosk  Anthologi  1,  193)  str.  35  auftritt. 

hxg  hur  eg  af  Hiii/iii  koiuji 
i'ntiir  eiin  ey  hann  .sy/. 

Das  motiv  ist  auch  bereits  anord.  belegt,  nicht  nur  au  der  von  de  Vries  angeführten 
stelle  Fjolsvinnsmäl  str.  .50,  sondern  besser  noch  Helgakvirta  Hundiugsbana  II  str.  14 
und  auch  sonst.  Hätte  er  die  arbeiten  v.  d.  Reckes  gekannt,  so  hätte  er  nur 
schliessen  können,  dass  die  ganz  undänische  str.  22  des  dän.  liedes  einen  hinweis 
auf  westnord.  Ursprung  der  vise,  beziehungsweise  westnord.  einfluss  auf  sie  gibt,  dass 
aber  diese  reine  formelgleichung  für  einen  Zusammenhang  von  Br  und  'Uiiyeii  SveiulaV 
oder  gar  für  eine  entlehnung  der  faer.  aus  der  dän.  vise  gar  nichts  besagt.  - 
S.  104  M'ird  die  ansieht  aufgenommen,  die  sich  schon  in  den  zitierten  arbeiten  von 
Boer  und  Döring  findet,  dass  ausdrücke  wie  'sum  sögan  ngirfrd'  (Hö  str.  200)  oder 
'sigist  i  bragda  tdtti'  (Hö  str.  18)  tatsächliche  hinweise  auf  bestimmte  quellen,  und 
zwar  hier  auf  die  f'idrekssaga  (f-s.)  wären.  Auch  hier  handelt  es  sich  um  ungemein 
häufige  formein,  aus  deren  benutzung  sich  gar  nichts  sciiliessen  lässt,  als  dass  eine 
billige  zeilenfülluug  nötig  war.  S.  105  werden  die  hauptsächlichsten  stellen  be- 
sprochen, an  denen  Hö  und  die  dän.  vise  Grimhihls  Jucni  übereinstimmend  von  r-s 
abweichen.  Dabei  werden  das  zerbrechen  der  rüder  im  stürm  (Hö  str.  27)  und  das 
trinken   des   blutes   durch  Hagen  (Hö  str.  140)  gleichmässig  behandelt,   obwohl  das 


108  H.    '»J--    BOOH 

erste  eine  reine  fornK-lübercinstimiuuiit;,  das  zweite  aber  iu  der  tat  eine  sehr  wesent- 
liche inhaltliche  gleicliiing  ist. 

S.  HO  ist  Hö  f<tr.  3'M\.  das  gesclienk  des  nhiarkelvi  an  Hagen  als  bewusster 
charakterisieruugsversuch  (iriiuhilds  anfgefasst,  während  auch  hier  eine  häufige  formel 
vorliegt,  in  die  man  keine  absiclitlichkeit  hineindeuten  darf.  Erhält  doch,  aller  logik 
entgegen,  Hagen  in  einem  teil  der  Varianten  dies  geschenk  gar  durch  Sigurös  von 
(ini^run  erwecktes  gespenst.  Ebenso  ist  GuÖruns  sturmzauber  nichts  als  ein  häufiges 
reiinisit  der  seefahrtdarstelhing.  -  S.  167  ft.  wird  das  Verhältnis  des  Rg  zur  dän.  vise 
■Ji'er/ii/r  (i  o(f  Kni(/,li''  unierfinrht.  Da  heisst  es  s.  1(59  über  die  veränderte  einleitung 
der  dän.  vise:  'Wir  können  auch  dem  nachgehen,  wie  diese  Veränderung  zustande 
gekommen  ist.  Wenn  das  motiv  gegeben  war,  dass  eine  königstocbter  vieh  hüten 
mnsste,  so  kam  man  weiter  zu  der  frage,  wie  sie  zu  solch  erniedrigender  beschäfti- 
gung  gekommen  war.  Und  die  antwort  darauf  lautete:  sie  war  dazu  gezwungen, 
weil  sie  ihren  eitern  geraubt  war.'  So  rationalistisch  kann  wohl  ein  moderner  forscher 
erwägen,  aber  nicht  eine  alte  vise.  Für  sie  gab  es  einfach  eine  reihe  gegebener 
motive  zur  einleitung  solcher  erlosungserzUhlungen ;  welches  schliesslich  gewählt 
wurde  und  ob  dies  das  quellenmässig  alte  war  oder  nicht,  ist  im  gründe  von  sehr 
wenig  belang.  S.  177  wird  eine  wörtliche  Übereinstimmung  zwischen  Eg  str.  84 
und  der  genannten  dän.  vise  str.  All  B  16  besprochen  und  der  beiderseits  vorhan- 
dene zug  des  ziegenhütens  damit  als  unwesentlich  abgetan,  dass  de  Vries  wörtlich 
sagt:  'Was  ist  natürlicher,  als  dass  von  armen  leuten  auf  einer  heide  ziegen  gehütet 
werden.'  Hier  kommt  es  wieder  allein  darauf  an,  ob  wir  es  mit  einer  formel  zu 
tun  haben  oder  nicht.  Bei  formelu  ist  die  schlagendste  Übereinstimmung  wertlos, 
bei   einer  wirklich   inhaltlichen  gleichung  wird  auch  der  geringste  zug  bedeutsam. 

Mit  diesen  aus  allen  kapitcln  beliebig  herausgegriffenen  beispielen  versuchte 
ich  zu  zeigen,  wie  der  eingangs  charakterisierte  methodische  fehler  in  de  Yries'  arbeit 
sich  im  einzelneu  auswirkt.  Aber  auch  ganz  prinzipiell  niuss  er  zu  einer  falschen 
auffassung  der  entstehung  der  faer.  viser  führen,  de  Vries  arbeitet  dauernd  mit  den 
ausdrücken  dichter  und  interpolator.  scheidet  ältere  und  jüngere  schichten.  So  ist 
s.  10-1  besonders  krass  von  einem  'wohlerwogenen  plan  des  dichters'  die  rede,  s.  72 
werden  in  Br.  str.  111—124  gar  drei  schichten  von  interpolatiouen  auszuscheiden  ge- 
sucht. Das  bedeutet  ein  heranziehen  ganz  falscher  begriffe,  mit  denen  man  den 
visern  nicht  zu  leibe  gehen  kann.  Es  gibt  in  ihnen  keinen  'wohlerwogenen  plan', 
und  schon  wenn  sie  entstehen,  enthalten  sie  interpolationen,  d.  h  nicht  stoffzuge- 
hörige Partien,  von  denen  sich  manche  dem  stoff  fest  einfügen,  andere  nur  bei  der 
oder  jener  niederschrift  eingeflossen  sind.  Das  urteil  'älter'  oder  'jünger',  ,besser' 
oder  'schlechter'  ist  auf  gruud  dieses  formelhaften  Zuwachses  über  einen  text  nicht 
auszusprechen,  ebensowenig  kann  man  je  durch  abstreichen  alles  konventionellen  zu 
einem  gereinigten  und  alten  text  gelangen.  Der  dichter,  den  es  ja  sicher  gegeben 
hat,  ist  für  uns  herzlich  gleichgiltig,  und  zum  mindesten  lag  ihm  nichts  ferner  als 
ein  'wohlerwogener  plan';  interpolatoren  aber  hat  ein  solches  lied  so  viele,  als  es 
Vorsänger  beim  tanze  gesungen  haben.  Zuzugeben  bleibt,  dass  die  ausgäbe  Hanimers- 
haimbs  mit  ihren  erwähnten  mangeln  Unklarheit  hervorrufen  konnte.  Dazu  gibt  de  Vries 
s.  11.")  ff.  als  abschluss  seiner  Untersuchungen  über  die  drei  Nibelungen-/«/^»-  einige 
bemerkungen  allgemeiner  art  über  die  entstehung  dieser  ganzen  dichtungsgattung. 
Aus  ihnen  gebt  hervor,  dass  seiner  meinung  nach  die  faer.  viserdichtung  im  gegen- 
satz  zur  dänischen  eine  kunstdichtung  sei,  für  die  also  auch  die  masstäbe  solcher 
dichtuug  anwendbar  seien.     Gewiss  sind  manche  beachtenswerte  gesichtspunkte  an- 


ÜBER    DE    VIUES,    STI'DIEN    OVKK    FAEUOISCHE    BALLADEN  lOD 

gedeutet,  so  die  sclieidung  dän.  und  fdäv.  dichtuiig,  der  liinweis  auf  die  isl.  r/mur  usw. 
Aber  die  wiclitige  frage  nach  dem  Ursprung  dieser  ganzen  literatur  ist  so  im  vorbei- 
gehen nicht  zu  lösen,  sie  wird  noch  manche  Untersuchung  erfordern.  Zum  mindesten 
ist  der  ursprüngliche  Charakter  der  fser.  viser  als  kunstdichtungen  von  de  Vries  nicht 
bewiesen  und  durfte  in  der  Untersuchung  also  nicht  vorausgesetzt  werden. 

Es  sollen  noch  einige  beraerkungeii  über  die  einzelnen  kapitel  und  ihre  resul- 
tate  folgen.  Die  drei  ersten  kapitel  über  Rs,  Br  und  Hö  stellen,  kurz  gesagt,  den 
versuch  dar,  die  Untersuchung  im  Golther-Boer^chen  sinne  konsequent  durchzu- 
führen und  ihre  bekannten  resultate  —  Rs  und  Br  bis  einschliesslich  str.  189  oder 
190  sind  naehdichtungen  der  Vols.-s.,  der  rest  von  Br  und  Hö  sind  von  f>-8.  ab- 
hängig —  cndgiltig  festzulegen.  Dabei  kommt  de  Vries  in  der  tat  vor  allem 
über  Golther  weit  hinaus  und  fördert  mit  gutem  blick  für  einzelheiten  und  Über- 
einstimmungen eine  menge  brauchbares,  material  für  den  vergleich  der  lieder 
mit  Vq1s,-s.  und  l'-s.  zutage.  Die  gleiche  aufgäbe  habe  ich  in  meiner  arbeit 
'Die  ffcroischen  lieder  des  Nibelungenzyklus'  unter  Zuziehung  des  varianten- 
materials  des  C.  C.  F.  zu  lösen  gesucht.  Ich  bin  dort  zu  der  ganz  abweichen- 
den auffassung  gekommen,  dass  nur  Hö  aus  der  t-s.  abzuleiten  ist,  Br  dagegen 
auf  die  Siguröarkviäa  nieiri  nach  ihrer  von  Heusler  gegebeneu  Umgrenzung, 
Rs  auf  ein  eigenes  lied  von  Sigurös  Jugend  zurückgeht,  das  auch  eine  quelle 
der  V9IS.-S.  gewesen  ist.  Da  diese  schon  1914  fertige,  aber  durch  den  krieg 
liegen  gebliebene  arbeit  nunmehr  (Heidelberg  1919)  erschienen  ist,  genügt  es, 
auf  sie  zu  verweisen.  Doch  möchte  ich  darauf  hinweisen,  dass  de  Vries'  Zu- 
sammenstellungen maaches  enthalten,  was  ich  übersehen  habe;  so  ist  vor  allem 
die  deutung  der  schwierigen  str.  85  des  Rs  sehr  beachtenswert.  Am  wenigsten 
neues  kommt  für  Hö  heraus,  wo  unter  hinweis  auf  Boers  arbeit  (Arkiv  XX)  auf 
jede  einzelvergleichung  verzichtet  wird.  Ein  besonderer  abschnitt  begründet  die 
ansieht,  dass  alle  drei  Uettir  von  vornherein  und  nach  einheitlichem  plan  von 
einem  dichter  geschaffen  seien.  Meine  bei  meiner  quellenauffassung  selbstverständ- 
lich gegenteilige  auschauung  habe  ich  s.  205  ff.  meiner  arbeit  eingehend  begründet. 
Entscheidend  gegen  de  Vries'  ansieht  ist  meines  erachtens  schon  die  tatsaclie,  dass 
Rs  und  Br  nicht  nur  nicht  aneinander  anschliessen,  sondern  dass  der  schluss  von  Rs 
von  ganz  anderen  Vorstellungen  ausgeht  als  der  beginn  von  Br.  Rs  schliesst  mit 
der  horterwerbung,  beziehungsweise  mit  einigen  dunklen  Strophen,  die  aber  zweifel- 
los auf  Sigurös  ritt  zur  schlafenden  walküre  zu  deuten  sind.  Br  aber  beginnt  keines- 
wegs mit  der  erweckung,  sondern  mit  zum  teil  sagenechten,  zum  teil  formelhaften 
Szenen  bei  Brinhild  Buöladottir  und  führt  dann  viel  später  Sigurö  ganz  neu  ein, 
nicht  vom  drachenkampf  zur  erlösung  schreitend,  sondern,  zur  ritterschablone  ab- 
geblasst,  auf  Werbung  ausziehend.  Bosser  schliessen  Br  und  Hö  aneinander,  doch 
gerade  dann  am  wenigsten,  wenn  man  in  ihnen  das  wirken  eines  bewussten  dichters 
sieht.  Dann  ist  Br  zu  einem  deutlichen  abschluss  geführt  durch  str.  237  und  deren 
Vorstellung,  dass  Guörun  mit  Grani  am  zäume  ruhelos  die  weit  durchwandert;  Hö 
dagegen  beginnt  in  str.  2  'Guclnin  situr  i  Jüka  göräum',  einem  typischen  lieder- 
eingang.  Will  aber  de  Vries  die  lieder  als  literarische  produkte  behandeln,  dann 
darf  er  solche  Widersprüche  am  wenigsten  übersehen.  Aus  den  einzelnen  von  ihm 
angeführten  Zeugnissen  durchgehender  planmässigkeit  greife  ich  nur  den  Zusammen- 
hang heraus,  den  er  zwischen  der  gemeinsamen  beteiligung  Gunnars  und  Högnis 
am  morde  und  dem  gemeinsamen  tode  Attilas  und  Guöruns  findet,  und  verweise 
für  die  übrigen  auf  die  genannte  stelle  meiner  arbeit,    de  Vlies  schliesst  folgender- 


110  n.   DK   i!(H)i; 

massen:  Guimar  uud  Högni  werden  in  Br  gcuicinscLaltlicli  am  mortle  beteiligt,  weil 
sie  in  Hö  unterschiedslos  von  Guörun  umgebracht  werden.  Aus  der  gleichen  erwä- 
gung  heraus  werden  Guörun  und  Attila  vom  söhne  Högnis  im  schatzberg  einge- 
schlossen, weil  sie  beide  am  tode  Högnis  schuld  sind.  Auch  dies  schlägt  ganz  in 
die  charakteristische  arbeifcsmethode  von  de  Vries;  so  logisch  erwägt  einfach  keine 
vise;  überdies  wirft  er  zwei  ganz  verschieden  zu  beurteilende  erscheinungen  zu- 
sammen. Högni  und  Gunnar  als  gemeinsame  mörder  sind  bestes  altes,  nordisches 
sagengut,  Attila  und  Guörun  im  schatzberge  sind  aber,  wie  ich  1.  c.  nachgeAviesen 
habe,  jüngste  sagenmischung ;  zudem  bleibt  überall  in  den  texten  die  darstellung 
so  undeutlich  und  verschwommen,  dass  sich  Hammershaimb  veranlasst  sah,  diese  an- 
geblich im  wohlerwogenen  plan  des  dichters  liegende  erseheinung  in  einer  fussnote 
erst  zu  erklären. 

Was  die  dän.-norw.  parallelen  zu  den  drei  Uettir  betrifft,  so  ist  auch  hier 
das  kapitel  über  Hö  ganz  unergiebig;  auch  hier  wird  einfach  Boer  wiederholt.  So 
geht  de  Vries  auch  über  dieHvensche  chronik,  deren  schwierige  Vorgeschichte  noch  nicht 
geklärt  ist,  mit  ein  paar  worten  ganz  hinweg-.  Sehr  gut  erscheint  mir  dagegen  die 
behandluDg  der  norw.  bailade  Sigui  d  svein  und  des  dän.  Sivard  snarensvend,  die 
s.  IG  ff.  im  anschluss  an  Es  besprochen  werden.  Die  Scheidung:  stofflich  älteren  und 
jüngeren  gutes  ist  glücklich  durchgeführt,  die  lieder  meines  erachtens  als  reine  ab- 
kömnilinge  der  Grlpisspd  richtig  erkannt  und  der  Golthersche  versuch,  sie  mit  ßs 
zu  identifizieren,  mit  vollem  recht  abgelehnt.  Nicht  durchweg  kann  ich  mit  den 
ausführungen  des  Verfassers  über  die  dän.-norw.  parallellen  zu  Br  einverstanden  sein. 
Richtig  dürften  die  norw.  reste,  wenn  sie  überhaupt  von  einem  liede  stammen,  als 
trümmer  eines  gedichts  gedeutet  sein,  das  mit  dem  frauenzank  im  hause  und  mit 
Sigurös  tode  am  Rlnarfoss  draussen  im  walde  auf  eine  deutsche  quelle  zurückgeht, 
die  meines  erachtens  sehr  wohl  die  t-s.  gewesen  sein  kann.  Richtig  wird  auch  ein 
quellenmässiger  Zusammenhang-  sowohl  der  norw.  bruchstücke  mit  dem  dän.  lied 
'Sivard  oy  Brynild'  als  auch  dieser  beiden  gedichte  mit  Br  abgelehnt.  Sie  liaben 
sämtlich  nichts  miteinander  zu  tun.  Verfehlt  dagegen  scheint  mir  die  stoffliche 
analyse  des  dän.  liedes  'Sirard  oc/  Bri/nilcV.  Nach  de  Vries  handelt  es  sich  um  ein 
lied  mit  deutscher  quelle,  auf  das  sekundär  nordische  sage  eingewirkt  hat.  Dem- 
gegenüber halte  ich  an  der  auffassung  Grundtvigs  fest,  dass  das  lied  rein  norroeuen 
Ursprungs  ist.  Im  einzelnen  auch  an  de  Vries'  behandlung-  anschliessend,  führe  ich 
folgendes  an:  1.  Das  lied  beginnt  mit  der  nachricht,  dass  Syffuertt  ein  pferd  hatte, 
mit  dem  er  Brynild  '-ajf  glarbierieff-  erlöst  habe,  um  sie  als  pfand  der  ,stalbroderlay'' 
an  Hagen  zu  geben.  Das  kann  nur  der  nachklang  einer  Brynhildsage  sein,  in  der 
das  pferd  Sigfrids  eine  besondere  rolle  gespielt  liat,  also  einer  nordischen  flammenritt- 
werbungssage,  nicht  der  alten  reinen  Sigrdrifsage.  Mit  Isenstein  hat  'ylarbieriett' 
demnach  nichts  zu  tun,  vielmehr  halte  ich  es  für  eine  von  dem  bekannten  märchen- 
motiv  beeinflusste  missverständliche  Umformung  eines  ausdrucks  etwa  wie  'glastri- 
hor(j\  der  in  der  fier.  poesie  nicht  selten  ist,  und  der  hier  den  goldschimmernden, 
feuerumwallten  saal  der  jüngeren  nordisc-hen  dichtung-  bezeichnet  (vgl.  z.  b.  Fäfnis- 
mäl  str.  4-2  um  (jgn-an  <>r  vdokkom  ögnar  Ijöma).  Deutsch  ist  nur  die  bezeichnung 
Hellitt  oder  Helle  Hagenn,  die  sich  in  entsprechenden  formen  in  Grimhilds  hsevn 
Aviederflndet.  2.  Der  frauenzank  am  fluss  beim  waschen  von  seide  (die  Variante  E 
von  den  Fieroern  sagt  noch  richtig  'deres  gule  haar'),  Sienild  (=  Guörun)  trägt  Sig- 
frids ring.  Trotz  der  trümmerhaften  darstellung  kann  man  nur  reste  einer  nordi- 
schen szene  am  wasser  erkennen,   die  am  nächsten  an  die  Snorra  Edda  (Ed.  Arna- 


ÜBElt    r>E    VIUES,    STIDIKN    OVEK    FAKUOlSCHrj:    l!Ai. LADEN  111 

lUiigu.  I,  362)  anklingt,  aber  Aveder  aus  der  f'-s.  noch  dem  Niljeluugeulied  hergeleitet 
werden  kann.  3.  Nach  dem  streit  legt  sich  Bryuhild  zu  bett  und  erwartet  dort 
ihren  gemahl.  'Sie  lag  krank',  heisst  es  ausdrücklich.  Genau  der  gleiche  zug  be- 
gegnet Vols.-s.  kap.  31,  Br.  str.  172.  Demgegenüber  geht  Brynhild  P-s.  kap.  388 
Guunar  und  Hagen  in  den  wald  entgegen.  Im  Nibelungenlied  str.  851  lässt  sie 
Günther  gleich  vor  dem  münster  zu  sich  kommen.  4.  Die  Unterredung  Hagens  mit 
Brynhild,  in  der  diese  Sigfrids  tod  fordert.  Diese  Unterredung  hat  nichts  mit  dem 
Zwiegespräch  Hagen-Brynhild  des  Nibelungenliedes  zu  tun,  denn  es  ist  hier  Bryn- 
hilds  gemahl,  der  mit  ihr  am  ehebett  spricht.  Die  Verdrängung  Gunnars  durch 
Hagen  ist  in  diesem  liede  eine  vollständige,  wirksam  ist  sie  jedoch  in  allen  liederu, 
so  auch  im  Br,  wo  Gunnar  mehr  und  mehr  in  den  hintergrund  tritt  und  statist 
wird,  um  das  gegenspiel  Hagen-Guörun  um  so  mehr  hervortreten  zu  lassen.  Ebenso 
verschwindet  in  aller  folkeviserüberlieferung  Attila ;  auch  dadurch  wird  Hagens  und 
Gnöruns  gegnerschaft  um  so  schärfer  herausgehoben.  Es  handelt  sich  also  um  eine 
analoge  szene  wie  Vols.-s.  kap.  31  au  Brynhilds  bett.  5.  Die  enüordung.  de  Vries 
versucht  ohne  Überzeugungskraft  zu  erweisen,  dass  keine  bettmordtradition  die  quelle 
ist.  Dem  steht  der  klare  Wortlaut  entgegen,  nach  dem  Hagen  zu  Syffuertt  'i/  hi/ffuf- 
loff  gellt,  sein  schwert  leiht  und  ihn  dort  ermordet.  Auch  das  schwert  als  mordwaffe 
ist  rein  nordisch.  Hagen  als  mörder  beruht  wiederum  nicht  auf  deutschem  sagen- 
einfluss,  sondern  auf  der  erwähnten  entwickelung  innerhalb  der  viserliteratur :  wie 
er  gatte  Brynhilds  geworden  ist,  wurde  er  auch  Sigfrids  mörder.  In  Br  sind  alter 
sage  entspiechend  Gunnar  und  Högni  die  mörder,  doch  ist  in  einem  teil  der  fas- 
sungen  in  str.  218  Högni  als  besitzer  des  mordschwertes  genannt.  Dass  Sigurös  leiche 
zu  Brynhild  gebracht  wird,  steht  ebenfalls  in  keiner  deutschen  tradition  und  hängt 
hier  einfach  mit  der  formulierung  von  Brynhilds  forderung  zusammen,  dass  sie 
Sigurös  haupt  in  die  bände  bekommen  muss,  um  gesund  werden  zu  können.  6.  Der 
schluss  ist  nach  visermanier  willkürlich  ausgestaltet,  scheidet  für  uns  daher  aus. 
Somit  bleibt  von  dem  ganzen  lied  nur  ein  deutscher  zug,  Sigfrids  unverwundbar- 
keit. Dieser  zug,  der  in  der  sonst  rein  nordischen  ersten  szene  zwischen  Hagen 
und  Brynhild  steht,  hat  die  besondere  ausprägung  erhalten,  dass  Sigfrid  nur  mit 
einem  bestimmten  schwert  getötet  werden  kann.  Dadurch  rückt  das  dän.  lied 
in  unmittelbare  nähe  von  Br,  der  das  unverwundbarkeitsmotiv  in  der  gleichen 
charakteristischen  umprägung  enthält.  Dort  aber  gehört  die  niordszene  in  dieser 
ausgestaltung,  wie  ich  unter  heranziehung  der  fassungen  nachzuweisen  versucht  habe, 
schon  der  ciuelle  von  Br  an,  ist  dort  also  wurzelecht.  Daher  kann  man  das  auftreten 
des  gleichen  charakteristischen  zuges  in  der  bettmordtradition  des  dän.  liedes  nur 
als  entlehnung  aus  der  fper.  vise  auffassen,  nicht  aber  als  einfluss  einer  deutschen 
quelle.  Im  dän.  liede  ist  dann  das  uiotiv  des  einzig  verwundenden  Schwertes  sehr 
in  den  Vordergrund  des  Interesses  gerückt  und  dadurch  spezialisiert,  dass  dieses 
schwert  Sivards  eigenes  ist. 

Das  IV.  kapitel  behandelt  den  lUignurs-ta  tm;  seine  quellen  und  seine  parallel- 
überlieferungen.  Das  wichtigste  ergebnis  der  Untersuchung  ist,  dass  der  Rg  nicht 
aus  der  Ragnarssaga  (Rag-s.)  herzuleiten  ist,  sondern  in  beiden  teilen,  in  der  Tora- 
erzählung  wie  in  der  Äslaug-Kräka-geschichte,  eine  eigene  und  altertümlichere  dar- 
steilung  bietet.  Für  die  Tora-erzählung  lassen  sich  einige  zügc  beibringen,  die 
zweifellos  älter  sind  und  der  saga  fehlen ;  bei  der  Aslaug-geschichte  kann  de  Vries 
nur  eine  reihe  sekundärer  erweiterungeu  in  der  saga  nachAveisen,  die  dem  tdttto-  fehlen. 
Doch  halte  ich  hier  den  schluss  ex  silentio  nach  de  Vries"  darlegungen  für  bcrecli- 


112  H.   DE   BOOK 

tigt;  sicher  würde  auch  hier  die  heranziehuug  der  Varianten  des  Corp.  carm.  fser. 
neues  material  liefern.  In  beiden  abschnitten  stellt  sich  Rg'  enger  mit  dem  Ragnars- 
sonaljättr  der  Hauksbök  zusammen,  so  dass  diese  beiden  quellen  eine  eigene  und 
zum  teil  bessere  Überlieferung  bieten.  Damit  ist  der  wert  der  fter.  lieder  auch 
für  die  allgemeine  sagengeschichte  erneut  erwiesen;  denn  durch  dies  resultat  von 
de  Vries'  Untersuchungen,  das  positive  Schlüsse  auf  die  Vorstufe  der  saga  zulässt, 
erhalten  zwei  fragen  ein  neues  gesicht,  die  frage  nach  alter  und  herkunft  der  Aslaug- 
tigur  und  die  frage  nach  der  Verbindung  von  Rag-s.  und  Vois-s.  Beide  versucht 
de  Vries  neu  zu  behandeln  und  zu  lösen;  in  beiden  fällen  kann  ich  aber  seinen  resul- 
taten  nicht  zustimmen.  S.  188  ff.  bespricht  Verfasser  sehr  eingehend  das  Verhältnis 
von  Rag-s.  und  Vq1s-s.  mit  dem  ergebnis,  dass  die  Vols-s.  unabhängig  von  der  Rag-s. 
entstanden  und  erst  von  dem  Überarbeiter  dieser  saga,  der  auch  deren  kap.  I  an- 
fügte, mit  ihr  verbunden  sei.  Richtig  erscheint  mir  an  de  Vries'  ausführungen,  dass 
die  ältere  durch  Rg  und  Ragnarssona|)ättr  erforderte  Rag-s.  noch  ohne  die  Vijls-s. 
als  einleitung  bestanden  hat.  Darüber  hinaus  aber  auch  der  Vols-s.  eine  selbständige 
Vorgeschichte  zu  geben,  ist  noch  nicht  ohne  weiteres  möglich,  und  de  Vries  bleibt 
den  beweis  dafür  schuldig.  Die  allgemeinen  Überlegungen,  dass  die  Vols-s.  eine 
sehr  genaue  paraphrase  der  Eddalieder  gibt,  während  die  Rag-s.  'sehr  unursprüng- 
lich' erscheine,  und  dass  die  einbeziehung  der  Helgi-  und  der  Ermauarichgedichte 
in  die  paraphrase  der  Vols-s.  nicht  zu  der  Verbindung  mit  der  Rag-s.  passe,  führen 
nicht  weiter.  Mogks  von  de  Vries  abgelehnte  ansieht,  dass  die  V(?ls-8.  nur  als  Vor- 
geschichte der  Rag-s.  entstanden  sei,  kann  ruhig  bestehen  bleiben.  Aufgeben  müssen 
wir  nur  die  annähme  der  gleichzeitigen  entstehung  von  Rag-s.  und  Vgls-s.  und  müssen 
vielmehr  annehmen,  dass  der  redaktor  der  erweiterten  und  überarbeiteten  Rag-s.  ihr 
auch  die  Vgls-s.  als  glänzende  Vorgeschichte  der  gattin  Ragnars  vorausgeschickt  hat. 
Dass  in  diesem  wohl  geschickten,  aber  auch  stoffhungrigen  ilnd  geschwätzigen  werk 
in  majorem  gloriara  die  gesamte  erlauchte  familie  einschliesslich  der  fernerstehenden 
beiden,  wie  Helgis,  und  der  Jönakr-kinder  erscheinen  musste,  um  Aslaugs  Stamm- 
baum zu  zieren,  ist  kaum  verAvunderlich.  Auch  so  bleibt  aber  de  Vries'  ergebnis 
noch  wichtig  genug.  Gehört  die  Vq1s-s.  nur  zu  der  erhaltenen,  nicht  aber  zu  der 
ursprünglichen  Rag-s.,  dann  bildet  diese  letztere  nach  ausweis  des  Rg  eine  quelle, 
die  ohne  Zusammenhang  mit  der  VqIs-s.  von  Aslaug  als  tochter  Sigurös  und  Bryn- 
hilds  berichtet.  Und  das  führt  dazu,  alter  und  bedeutung  der  Aslaugfigur  erneut  zu 
untersuchen.  Auch  de  Vries  hat  dies  getan.  Er  geht  bei  seiner  Untersuchung  aus 
von  einer  norw.  volkssage,  die  bei  Torfaeus  berichtet  wird  und  von  der  einige  jähre 
später  Jonas  Ramus  erzählt,  dass  es  über  diese  sage  ein  lied  gebe,  das  an  gewisse 
Ortsnamen  anknüpfe.  Eine  königstocbter  namens  Aadlov  oder  Asleg  sei  dort  in  einer 
goldenen  harfe  vom  meere  angetrieben  und  von  armen  leuten  aufgenommen  worden, 
deren  ziegen  sie  hüten  musste,  An  diese  ereignisse  erinnern  noch  die  Ortsnamen 
Gnldviff  als  hinweis  auf  die  goldene  harfe,  Kraakebaek  und  Aatlogs-Hong  als  nach- 
klang des  namens  des  kindes.  Diese  norw.  volkssage,  im  17.  Jahrhundert  aufgezeichnet, 
hält  de  Vries  für  die  älteste  und  ursprünglichste  form  der  Aslaugsage,  die  also  rein 
märchenhaft,  doch  schon  mit  den  literarisch  gewordenen  namen  ohne  Verbindung  mit 
der  Ragnarssage  oder  der  Nibeluugensage  für  sich  existiert  hat.  Erst  sekundär  ist 
sie  mit  der  Ragnarssage  verbunden,  indem  Äslaug  in  eine  'nicht  sehr  stark  ent- 
wickelte' erzählung  von  Ragnar  und  einer  bauerntochter  eintrat.  Noch  später,  doch 
immer  noch  vor  der  ältesten  uns  erschliessbaren  quelle,  wurde  Aslaug  dann  in  die 
Sigurösage  aufgenommen,  als  man  darangieng,  die  grossen  heldengeschlechter  unter- 


ÜBEK   DE   VKIE.S,   STUDIE   OVEK    FAEKOISCHE    BALLADEN  113 

einander  zu  verbinden.  Die  ganze  konstruktion  von  de  Vries  steht  und  fällt  mit 
der  anerkennung-  der  norw.  lokaltradition  als  gruudform  der  ganzen  sage.  Auch 
de  Vries  sieht  das  bedenkliche  seiner  annähme  und  meint  s.  155,  derartige  mit- 
teilungen  seien  mit  vorsieht  aufzunehmen,  und  auch  hier  könne  der  enge  anschluss 
an  die  literarische  traditiou  bedenken  erregen.  Schliesslich  aber  genügen  ihm  die 
genannten  Ortsnamen  als  zeugen  für  alter  uud  echtheit  der  sage.  Ich  kann  das 
nicht  als  voUgiltig  anerkennen  uud  verweise  demgegenüber  auf  den  ganz  analogen 
fall  der  Hvenschen  chronik.  Ein  gelehrter  berichterstatter  des  17.  Jahrhunderts  teilt 
eine  tradition  mit,  die  die  ereignisse  der  Nibelungensage  mit  erheblichen  abweichungen 
auf  der  insel  Hven  lokalisiert  und  sich  dabei  auf  Ortsnamen  beruft,  die  an  personen 
der  sage  anknüpfen.  Auch  hier  ist  ein  altes  lied  die  grundlage  des  berichts.  Trotz- 
dem denkt  niemand  daran,  in  der  Hvenschen  chronik  eine  besonders  alte  fassung 
der  Nibelungensage  zu  sehen,  sondern  erkennt  mit  recht  in  ilir  eine  späte  lokali- 
sation,  aus  der  die  ortsnamengebung  erst  entsprungen  ist.  Solche  lokalisationen 
bekannter  sagen  sind  ja  nichts  neues  und  schon  ans  der  1^-s.  mit  ihrem  schlangen- 
turm  und  Nibelungengarten  in  Soest  bekannt,  vgl.  z.  b.  auch,  v^as  K.  Liestel  (Norske 
troUvisor  og  norrone  sogor  s.  38  ff.)  zur  lokalisierung  von  Olafssagen  beibringt.  Ich 
finde  also  keine  veranlassung,  dieser  späten  volkssage  gegenüber  dem  gleich- 
lautenden Zeugnis  sämtlicher  literarischen  quellen  einen  vorrang  einzuräumen,  und 
sehe  in  ihr  nichts  als  einen  norw.  zweig  der  ausgebreiteten  viserdichtung  über  den 
Äslaugstoff,  der  also  dementsprechend  zu  werten  ist.  Die  ältesten  und  gewichtigsten 
Zeugnisse  bleiben  vielmehr  die  Rag-s.  sowie  Eg  und  der  Bagna/ssonaßattr.  Beide 
kennen  Äslaug  nur  in  Verbindung  mit  Raguar  und  mit  der  Sigurösage,  und  diesen 
zug  hat  auch  das  von  saga  und  Rg  unabhängige  dän.  lied  'Karl  0(j  KragdiV 
bewahrt.  Wir  haben  also  keine  veranlassung,  Äslaug  von  dieser  sage  zu  trennen, 
müssen  gerade  im  gegenteil  Äslaug  als  Sigurös  tochter  auch  in  die  älteste  erschliess- 
bare  form  der  sage  aufnehmen.  Daraus  ergibt  sich  aber,  dass  sie  keine  erfindung 
des  Verfassers  der  Vols-s.  ist,  sondern  eine  ältere  und  selbständige  sagenfigur  mit 
einem  eigenen  erzählungskreis.  So  halte  ich  auch  beide  erzählungen  von  ihrem 
orsten  Schicksal  für  alt  und  gleichwertig.  Die  eine,  aus  der  Rag-s.  bekannt  und  in 
der  fser.  Gests-n'ma  bewahrt,  berichtet,  wie  Äslaug  von  ihrem  pflegevater  Heimir, 
der  als  harfner  durchs  land  zieht,  in  der  harfe  mitgenommen  und  wie  sie  nach  er- 
morduug  des  p Hegevaters  von  ihren  zieheitern  gefunden  und  auferzogen  wird.  Die 
andere  erzählung,  durch  ßr  str.  17G  ff.  und  durch  ein  verlorenes  fsr.  lied  repräsen- 
tiert, dessen  inhalt  zuletzt  DgF  I  329  mitgeteilt  wird,  besagt,  dass  Äslaug  nach 
ihrer  geburt  in  einer  kiste  ins  mßer  ausgesetzt  und  von  ihren  zieheitern  am  strande 
aufgefunden  sei.  Aus  diesen  beiden  einfachen  berichten  wird  die  phantastische  er- 
zählung der  norw.  traditiou  kombiniert,  deren  schwimmende  goldharfe  so  wenig 
ursprünglich  ist  wie  Sigfrid  in  der  glasflasche  (^-s.).  Andere,  ganz  unabhängige  Zeug- 
nisse für  die  Zugehörigkeit  der  Äslaugfigur  zur  Sigurösage  geben  die  bei  Hammers- 
haimbs.  80  ff.  abgedruckten  Dvörgamoy-lieder*.  Diese  lieder,  deren  verwickelte  Vor- 
geschichte ihre  beurteiluug  sehr  erschwert,  die  aber  als  kern  die  alte  Sigurö-Sigrdrif- 
sage  enthalten,  berichten  von  der  liebe  Sigurös  zu  einer  'Dvöi-gamoi/.  Dies  mädchen 
trägt  in  Dv  III  den  namen  Asa,  im  Dv  IV  den  namen  Äsla.  Ferner  bezeichnet  die 
fassung  B  von  Dv  III  dies  mädchen  als  'Aldinina\  sei  es  appellativ  oder  als  eigen- 
name,  und  ebenso    berichtet  der   schluss  von  Rs,    der  sich  nur  auf  Sigurös  ritt  zur 

1)  Vgl.  hierzu  jetzt  meine  abhandlung  Arkiv  f.  nord.  filol.  bd.  36,  207  ff. 

ZKITSCHKII-T   !■•.   DEUTSCHE  PHILOLOGIE.      BD.  XLIX.  8 


114  ■  GÖTZE 

Sigrdrif  beziehen  kanu,  dass  Sigurö  'Äldimnu'  besuchte  (kann  yisti  Äldirmiu),  sie 
aber  wieder  verliess,  worüber  sie  weinen  inuss.  Wir  haben  also  nebeneinander 
in  engster  beziehung  zur  Sigurösage  Äsla-Äldirnna.  Andererseits  berichtet  das  er- 
wähnte däu.  lied  Karl  o<j  Knujelil,  jene  Kragelil,  die  tochter  Bri/nells  habe  Ädelroon 
geheissen,  während  sie  in  dem  norw.  Torfteus-bericht  Äadlov  heisst.  Also  auch  hier 
das  nebeneinander  von  Aadlov-Ädelroon,  Diesen  verwickelten  zusammenhängen  nach- 
zugehen, ist  hier  niclit  möglich ;  es  kam  nur  darauf  an,  auf  die  dadurch  bezeugte 
weitere  und  selbständige  Verbreitung  der  Aslaugerzählungeu  hinzuweisen,  aus  der 
hervorgeht^  dass  es  sich  um  eine  tatsächliche,  wenn  auch  gewiss  nicht  sehr  alte 
sagenflgur,  nicht  um  das  kunstprodukt  eines  kompilators  handelt. 

Zur  beurteilung  des  kap.  V,  der  behandlung  des  Ismalliedes,  fehlt  mir  hier 
leider  das  material. 

Die  arbeit  von  de'  Vries  behält  ihren  grossen  wert  durch  die  Vollständigkeit 
und  genauigkeit  der  materialbenutzung,  die  über  alle  vorarbeiten  weit  hinausgeht, 
und  durch  die  anregnng,  die  von  ihr  ausgeht,  sich  ernstlicher  mit  diesen  bisher 
wenig  beachteten  quellen  zu  beschäftigen  und  sie  für  die  allgemeine  sagenforschung 
nutzbar  zu  machen.  Die  resultate  der  arbeit  sind  zum  teil  sehr  wichtig,  und  aucli 
da,  wo  sie  anfechtbar  sind,  fördern  sie  und  geben  anregung. 

(UiEIFSWALD.  H.  DE   BOOK. 


D.  Martin  Luthers  werke.  Kritische  gesamtausgabe.  Tischreden.  Band  1.  2. 
Weimar,  Hermann  Böblaus  nachfolgen  1912.  1913.  X LI  und  656,  XXXII  und 
700  s.  8 ".    21,-  und  22,-  m. 

Luther  hat  die  flinken  federn  der  mancherlei  tischgenossen,  die  seine  worte 
nachzuschreiben  beflissen  waren,  gewähren  lassen.  Selten  einmal  veranlasst  er  eine 
solche  nachschrift,  wie  Veit  Dietrich  gelegentlich  berichtet:  Hnnc  conceptuni  sequentem 
forte  in  mensa  me  hibebat  signare  (Tischr.  I  72  Weim.),  oder:  siynate  vohis  hoc 
(I  202).  Wenn  er  aber  im  schmerz  darüber,  dass  ihm  ein  guter  gedanke  ent- 
schwunden ist,  ausruft:  Ach,  man  sol  S2)irltitm  lecercnter  halten!  und  Veit  Dietrich 
das  ausdeutet:  Slgnificnns  fales  cogitationes  excipiendas  esse  calamo  (I  373),  so  ist 
schon  zweifelhaft,  ob  er  damit  nachschriften  in  form  der  Tischreden  hat  empfehlen 
wollen.  Denn  seine  wahre  Stimmung  gegen  die  nachschreibende  Vielgeschäftigkeit 
trifft  doch  vielmehr  jenes  geschichtchen  vom  mai  1532:  die  witwe  des  pfarrers  Zeiger 
von  Beigern  lässt  ihn  um  einen  neuen  manu  bitten;  er  speist  den  boten  ab:  Sie  ist 
vier  sieben  jar !  Sie  ihkss  sehen,  iren  sie  nehme;  ich  kan  ir  kein  gebe-n,  und  wendet 
sich  lachend  zu  Schlaginhaufen :  Ego  rogo  proptei-  Deiim,  Tnrbicida,  scribite  hoc! 
Ists  nicht  ein  plag?  .  .  .  Lieber,  schreibts  rnd  nierckhts  (II  123).  In  der  sache  war 
Melanchthon  mit  Luther  eins ;  sein  ton  ist  ernster  und  lehrhafter,  wenn  er  dem 
nachschreibenden  Cordatus  das  heft  aus  der  band  nimmt  und  das  distichon  hinein- 
schreibt: 

Omnia  non  prodest,  Cordate,  inscribere  charfis, 
Sed  quaedani  tacitnnt  dissimulare  decet  (II  310). 
Mit  Luthers  willen  wären"  die  nachschriften  gewiss   niemals  gedruckt  worden.     Für 
die  kenntnis  Luthers  würde  das  einen  ernsthaften  Verlust  bedeuten,    denn   in  jeder 
hinsieht  erhalten  wir  aus  den  Tischreden  die  wertvollsten  aufschlüsse.    Biographisch 
sind  iimen  allein  so  wichtige  Zeugnisse  zu  entnehmen,  wie  die  erinnerung  an  Luthers 


ÜBEK   D.  MARTIN    LLTHEK.S    NYEKKE  115 

erste  bekaniltschaft  mit  der  bibel:  Piier  aliquando  incidit  in  bihliam,  ibi  forie  historiain 
de  inatre  Samuelis  in  libris  Begtim  legtt;  mire  placuit  ei  Über  (I  44),  und  die  an- 
gaben über  sein  Verhältnis  zu  andern  bücH^ra  in  der  frühzeit  (das.);  das  bekennt- 
nis:  Sfaiipicins  hat  die  doctrinatii  anyefanyen,  und  dessen  wort:  Man  miis  den  man 
ansehen,  der  da  hci/st  Christus  (I  245).  In  den  Tischreden  ist  aufgezeichnet,  was 
Luther  über  sein  verhör  vor  Kajetan  in  Augsburg  und  seine  rückkehr  von  dort  er- 
zählt hat  (I  597  f.);  hier  steht  ein  tiefes  bekenntnis  zur  bibel:  Wenn  die  bibel  ein 
grosser  niechtiger  banni  uere  vnd  alle  wort  estlin,  so  hab  ich  an  alle  estlin  ange- 
Iclopfft  vnd  gern  wollen  wissen,  toas  es  were  vnd  vermocht  (II  244).  Über  sein  Ver- 
hältnis zur  deutschen  spräche  äussert  sich  Luther  bei  tisch  so  rückhaltlos  wie  kaum 
sonst:  Ich  habe  keine  gewisse,  sonderliche,  eigene  Sprache  im  Deutschen,  sondei-n 
brauche  der  gemeinen  deutschen  Sprache,  dass  mich  beide,  Obei--  und  Niederländer 
verstehen  mögen.  Ich  rede  nach  der  sächsischen  Canzeleg,  irelcher  nachfolgen  alle 
Fürsten  und  Könige  in  Deutschland  (I  524). 

Vor  allem  ist  es  aber  doch  der  religiöse  genius,  der  sich  auch  in  den  kleinen 
äusserungen  des  alltags  umfassend  offenbart.  Alles  wird  hier  zum  geistlichen  bilde : 
Fides  autem  est  siait  centrum  circnli:  qiiando  qitis  aberrat  a  centro^  so  ists  vnmug- 
Uch,  das  man  den  cirkcl  hab,  so  tnns  man  feglen  (I  l.'?5).  Ein  bild  wie  dieses  wäre 
in  einer  predigt  oder  einer  füi*  die  öffentlicbkeit  bestimmten  schrift  Luthers  ebenso- 
gut denkbar,  so  auch  der  vergleich  der  papisten  mit  dem  wütenden  meer:  Posuit 
Dominus  mari  terminnnt  snnni.  Er  lesset  sie  wol  wüten  vnd  ratschiahen,  sie  müssen 
aber  vber  das  litus  nicht  fahren.  Et  aqiias  non  ferreo,  sed  tantiim  arenoso  litore 
con<i«e<  (I  464),  oder  der  des  heiligen. geists  mit  dem  atem  des  flüsternden:  Quando 
(diqiiis  loquitur  in  aureni,  so  höret  man  für  dem  ödem  die  wort  nit  wol,  so  stark 
geht  der  wind;  sie  cum  docetur  verbum,  so  geht  Sp>iritus  Sanctus  mit  vnd  webet  in 
das  hertz  (I  174),  oder  der  der  Versuchung  mit  einer  schlänge:  In  omni  tentatione 
sol  man  sehen,  das  man  den  gedancken  nit  einreume  mit  dem  nachdencken :  quando 
hoc  fit,  certo  sequitur  casus  et  peccatiim,  qnia  wo  die  schlang  den  kopff  in  ein  loch 
bringt,  da  kreucht  sie  gewisslich  hinach  zum  corpore  (I  176).  Aber  meist  spürt  man 
doch  in  den  bildern  der  Tischreden  deutlich  die  häusliche  Umgebung,  aus  der  sie 
Stoff  und  bildkraft  nehmen.  Das  haus  selbst  kann  ein  bild  hergeben:  Es  gemahnet 
mich  der  weit  wie  eins  bau.f elligen  haus;  Dauid  vnd  prophetae  sind  die  Sparren, 
Christiis  ist  die  seid  mitteti  im  haus,  die  hellt  es  edles  (I  185),  oder  die  kinder,  die 
in  haus  und  hof  haschen  spielen:  Ideo  libenter  volo  esse  stultus,  vnd  wollen  vns  fangen 
lassen  vnd  gegreppen  geben,  quod  Christus  sit  Dens  et  homo  contra  omnem  rationem 
(II  16)..  Bei  trank  und  speise  legt  sich  ein  bild  wie  das  folgende  besonders  nahe: 
sicut  haustus  aquae  sitim  et  frustum  panis  esuriem  sedut,  ita  Christus  est  remedium 
mortis  (II  599),  Am  gedeckten  tisch,  auf  dem  der  bierkrug  steht,  kommt  Luther 
in  den  sinn,  wie  gerste  und  flachs  vom  menschen  das  ärgste  leiden  müssen,  um  ihm 
dafür  ihr  bestes  herzugeben:  Hae  et  simiks  multae  creaturae  etiam  optime  de  nobis 
meritae  sie  patiuntur.  Sic  et  omnes  pios  multa  mala  a  mulis  oportet  pati.  Sic 
Dauid  ist  ein  au.serirelter  man  gewest,  darnmb  ist  er  wüst  gerolt  worden  (I  416). 
Bestimmte  erlebnisse  müssen  sogleich  ihren  gehalt  an  bildkraft  abgeben:  ein  be- 
sücher  kommt  von  Leipzig  her  über  die  Dübische  beide  nach  Wittenberg  und  er- 
zählt, largiter  pluisse  in  der  Diebischen  heid  .  .  .  non  item  in  Vuittembergensi  agro, 
ubi  segetes  nimio  aestu  languerant.  Darauf  Luther:  Es  regenet,  gleich  wie  wir 
predigen,  in  die  Diebischen  heide  hinein,  da  es  kein  frucht  bringt  (I  409).  Darum 
ist  es  auch  nicht  gleichgiltig,  dass  die  Jahreszeiten  zu  den  bildern  stimmen,  die  die 

8* 


116  GÖTZE 

Tischreden  festhalten.  Im  august  1531  erzählt  Luther  vom  kuckuck  und  der  gras- 
mücke:  An  non  allqmd  magnum  in  hoc  nohis  significavit,  (juod  cuculus  parentem 
SHum  vorat,  die  c/rassinncken'r'  Qnod  semel  2^^)'  fenestram  meam  respiciens  vidi,  Signi- 
ficat  autem,  quod  falsi  doctores  veros  opprimunt  (II  299);  im  mai  1532  folgt  die 
beobachtung  der  neu  belebten  Insekten :  Christus  in  extrenio  die  ivirt  blasen,  tum 
omnes  i-esuscitabuntiii-.  Hie  etiam  fiebat  mentio  muscarum,  quae  per  hiemem  nwi-tuae 
sole  verno  veniente  i-ecii^erent  vitam  (II  122). 

Religion  und  moral  ist  nun  auch  die  Seite,  die  Luthers  nachschreibende  Zeit- 
genossen aufs  lebhafteste  beschäftigt  und  angezogen  hat:  in  den  unmittelbaren  nach- 
schriften  nehmen  äusserungen  dieser  art  den  breitesten  räum  ein,  und  in  der  grossen 
Zusammenfassung  der  'CoUoquia  oder  Tischreden',  die  zuerst  1566  Johann  Aurifaber 
hat  drucTien  lassen,  erhalten  sie  den  besten  platz.  Aurifabers  verdienst  um  die 
Sammlung  und  erhaltuug  der  Tischreden  ist  unbestritten :  er  hat  der  protestantischen 
leseweit  die  ganze  fülle  dieses  reichtums  erschlossen,  imd  zugleich  ist  er  es,  der 
das  Interesse  an  den  Tischreden  über  die  Jahrhunderte  gerettet  hat.  Dabei  kann  es 
kein  Vorwurf  sein,  dass  Aurifaber  die  grosse  aufgäbe  im  sinn  seiner  zeit  angegriffen 
hat:  chronologische  zusammenhänge  hat  er  zerrissen,  die  ursprünglichen  nachschriften 
aufgelöst  und  dafür  zusammenhänge  hergestellt,  die  ihm  sachlich  begründet  und  für 
seine  leser  wertvoll  erschienen.  Gesichtspunkte  der  praktischen  tlieologie  seiner  zeit 
waren  ihm  dabei  massgebend,  wie  sie  noch  weit  hinaus  gegolten  haben:  so  sind 
noch  die  register  von  Mignes  Patrologie,  über  die  der  nachschlagende  heute  seufzt, 
ganz  ähnlich  angelegt,  wie  Aurifabers  Tischredensammlung.  Die  wissenschaftliche 
auferstehung,  zu  der  K.  E.  Förstemann  und  H.  E.  Bindseil  in  den  jähren  1844—46 
dem  alten  Aurifaberschen  text  verholfen  haben,  hat  dieser  vollauf  verdient.  Seit- 
dem sind  in  der  zweiten  hälfte  des  19.  Jahrhunderts  die  ursprünglichen  nachschriften 
der  tischgenossen  nach  und  nach  au  den  tag  getreten,  einzelne  fanden  ihren  heraus- 
geber:  Lauterbach  in  Seidemanu  1872,  Oordatus  in  Wrampelmeyer  1885,  Schlagin- 
haufen  in  Preger  1888,  Mathesius  iu  Loesche  1892. 

Auch  hier  wurde  der  ausgang  von  theologischen  interessen  her  genommen, 
mit  erstarkender  methode  sind  die  herausgeber  zu  allseitiger  kritischer  erschliessung 
ihrer  texte  emporgestiegen,  dem  ideal  am  nächsten  kam  bisher  E.  Kroker  mit 
seiner  ausgäbe  der  von  ihm  entdeckten  Leipziger  handschrift  der  Mathesischen 
Sammlung.  Es  ist  mit  dankbarer  freude  zu  begrüssen,  dass  dieser  beste  kenner  der 
Tischreden  mut  und  müsse  gefunden  hat,  den  stoff  nun  auch  in  der  kritischen  ge- 
samtausgabe  von  Luthers  werken  zu  behandeln.  Wir  danken  es  seiner  hingäbe,  dass 
hier  sogleich  endgiltiges  geleistet  ist,  und  wer  ermessen  kann,  was  es  heisst,  neben 
der  verantwortlichen  leitung  einer  grossen  bibliothek  wissenschaftliche  arbeit  solchen 
umfangs  unter  dach  zu  bringen,  wird  sich  der  zähen  arbeitskraft  des  herausgebers 
doppelt  freuen. 

In  methodisch  unanfechtbarer  weise  Averden  die  einzelabschriften  der  tisch- 
genossen in  chronologischer  folge  wiedergegeben.  Den  ersten  band  eröffnen  Veit 
Dietrichs  nachschriften  von  sommer  1531  bis  herbst  1533.  Als  anhang  dazu  folgen 
Nik.  Mediers  nachschriften  aus  der  ersten  hälfte  der  dreissiger  jähre.  Aus  derselben 
zeit  stammt  sodann  die  umfangreiche  Sammlung  Veit  Dietrichs  und  Nik.  Mediers. 
Den  zweiten  band  eröffnen  Job.  Schlaginhaufens  nachschriften  von  dezember  1531 
bis  ende  1534.  Es  folgt  die  kurze  Sammlung  Ludw.  Rabes  aus  den  dreissiger  jähren. 
Den  hauptteil  des  bands  macht  die  Sammlung  von  Konrad  Cordatus  aus,  von  juni 
1531  bis  noveraber  1532  reichend.    Dergestalt  bieten  die  beiden  bände  2802  einzelne 


ÜBER   r>.  JrAIiTIX   LUTHERS   WERKE  ll7 

Tischreden  nach  den  Urschriften,  auf  die  sicli  der  erste  herausgelier  der  Tischreden 
mit  fug  beschränkt,  indem  er  die  aufarbeitung  der  späteren  bunt  geüiischten  Samm- 
lungen künftiger  einzelforschung  überlässt.  Denn  von  den  mehr  als  dreissig  hand- 
schriften,  die  tischreden  Luthers  überliefern,  die  zum  teil  in  den  entlegensten 
bibliotheken  des  in-  und  auslands  zum  Vorschein  gekommen  sind  und  sich  bis  in 
die  letzten  jähre  ständig  vermehrt  haben,  sind  die  meisten  späte  Sammlungen,  deren 
jede  aus  der  gewaltigen  summe  von  einzelstücken  eine  andere  auswahl  in  neuer 
reihenfolge  zusammenstellt.  Eine  kritische  ausgäbe  der  Tischreden,  die  alle  texte 
verwerten  wollte,  wäre  vom  gewicht  der  Überlieferung  erdrückt  worden,  die  gewählte 
beschränkung  auf  die  grundlegenden  handschriften  war  lebensfrage. 

Die  Urschriften  aber  —  nachschriften  also  einzelner  tischgenossen,  die  die  vom 
aufzeichner  gehörten  reden  ohne  beimischung  fremden  gutes,  ungekürzt  und  in  un- 
gestörter Zeitfolge  bieten  —  hat  Kroker  mit  recht  vollständig  aufgenommen,  auch 
wenn  damit  manches  stück  in  die  ausgäbe  geriet,  das  seinem  Ursprung  nach  keine 
tischrede  Luthers  ist.  Im  ersten  band  bietet  nr.  48  eine  mitteüung  Luthers  an  Veit 
Dietrich,  nr.  79  und  949  sind  trostreden  für  Arabr.  Berndt  und  Ben.  Pauli.  In  nr.  236 
gibt  Dietrich  die  unterschritt  eines  briefs  an  Käthe  wieder,  in  nr.  409  eine  autobio- 
graphische notiz,  in  nr.  566  f.,  678—680,  1058  und  1231  handschriftliche  aufzeich- 
nungen  Luthers.  Auf  der  jagd  hat  Luther  die  gedanken  von  nr.  569  f.  entwickelt, 
bei  betrachtung  der  wölken  am  himmel  die  von  nr.  703  f.  Im  zweiten  band  sind 
entsprechend  nr.  1265,  1634,  1748  und  2005  Lutherschen  Ursprungs,  aber  nicht  bei 
tisch  gesprochen.  Von  Melanchthon  stammen  nr.  287,  617,  783,  1226,  1264,  1789, 
1991,  2263,  2270-2272  und  2558,  von  Bugenhagen  nr.  318,  353  f.  und  2714,  von 
Agricola  2436,  von  einem  ungenannten  freund  Veit  Dietrichs  nr.  294. 

Die  texte  behandelt  Kroker  mit  möglichster  Schonung;  einige  Verderbnisse 
wünschte  man  gebessert  zu  sehen:  I  84,  21  lies  Xam  statt  Mann:  99,  32  Nacht  st. 
nicht;  109,  8  freie  Wille  st.  Freiwillige;  119,  3  beweyset  st.  beweysen;  5  her  st.  er; 
180,  15  executionem  st.  exemptiouem;  185,  21  henden  st.  seytten;  194,  15  solt  st. 
sol;  197,  15  waren  .s^  warden ;  210,  17  kopff  vud  strumpff  s^..  kopff  oder  strumpff; 
211,  14  gehafft  .s^.  geschafft;  225,  4  nit  an  st.  nit;  241,  17  bie  adversarii  st.  dies 
adversarii;  281,  26  feilts  st.  fellts ;  326,  23  quemque  st.  eumque;  352,  6  es  leyt  st. 
er  legt;  378,  7  Koch-  st.  Koch;  403,  7  -knüpfen  st.  knüpfen;  405,  12  eraus  st.  er 
aus;  411,  11  Georgius  st.  Gegorgius;  420,  29  Philosopho  st.  Pilosopho;  498,  12 
Diabolus  st.  Deus;  552,  20  haben  vns  an  st.  haben  an;  23  bette  st.  hatte;  555,  26 
Böslein  st.  Bislein ;  572,  15  zwo  st.  zuo ;  588,  22  -gewüthet  st.  gewüthet ;  593,  12 
Augen,  dafür  sie  blaue  Brillen  st.  Brillen,  dafür  sie  blaue  Augen;  116,  32  so  sagen 
jene:  So  st.  so  bist;  13,  13  vero  st.  non ;  31,  34  wird  st.  wir;  50,  30  tabulam  st. 
tubulam;  58,  5  nur  st.  mir;  103,  10  anruffer  st.  auruft'er;  104,  24  nucleum  s^.  nucu- 
leum;  114,  5  seyt  st.  syt;  116,  13  Sünder  st.  Sünde;  183,  19  -hält  st.  hält;  145,  8 
sunt  st.  sicut;  1-17,  17  nit  st.  nur;  187,  12  vns  s^.  vnser;  188,  7  heyst  st.  best; 
193,  4  mir  st.  nur;  199,  25  hont  st.  hört;  223,  5  zagete  st.  zage;  6  bidmen  st. 
bidenen;  226,  40  dem  hier  st.  der  hier;  253,  8  burger  st.  bürge;  259,  15  Denne- 
marck  st.  Durigen;  261^  32  beben  st.  leben;  269,  2  purger  .s^  purge;  271,  4  vO  st. 
vü;  293,  14  ich  mich  weiter  s^.  ich  weiter;  308,  27  sum  st.  non;  309,  6  geschwister- 
kinder  .^t.  geschwister  vnd  kinder;  310,  20  grata  st.  gratis;  367,  34  knoden  .s^ 
knochen;  373,  1  die  sie  sich  st.  die  sich  ;  426,  21  facicnt  st.  facerent;  45»,  8  herauf 
St.  heraus;  4/8,  22  wolt  st.  wol ;  23  possum.  Ich  kundt  vor  weilen  mer  von  einem 
plumblein  waschen  den  st.  possum  .  .  .  den ;  459,  4  f.  Sind  gemachte  vnd   nicht  ge- 


118  GÖTZE   ÜBER   J).  ^tAlJTIN    LUTHERS   WERKE 

wachsene  wortt  sf.  Sind  gewachsene  vud  nicht  gemachte  wortt ;  48G,  3  impudens 
.s^  imprudens ;  487,  21  grindt  s/.  grundt;  25  hiel  st.  bield ;  o04,  8  Kilkrop  sf.  Wil- 
krop;  18  Kilkropp  sf.  Wilkropp;  50fi,  12  feist  sf.  fest;  507,  12  es  sf.  ers;  521,  8 
nam  sf.  nam;  13  machst  st.  machts;  525,  2B  dernoch  st.  dennoch;  529,  22  mol 
sf.  wol ;  534-,  2  Seiwitzen  sf.  Helwitzen;  21  storl  s/.  stork;  in  sf.  im;  54:5,  14 
hielten  st.  hettcn ;  567,  9  Pasquillus  st.  pasquillus;  573,  9  Ketlin  .s^  kindlin; 
630,    1  aqua  st.  aliqua;    631,  18  Vugariam  st.  Vngarum. 

Manche  dieser  textbesserungen  werden  schon  in  Krokers  fussnoten  erwogen, 
die  neben  dem  umfangreichen  textkritischen  apparat  vor  allem  eine  fülle  wertvoller 
Sacherklärungen  bringen.  Weniges  wird  hier  vermisst,  z.  b.  ein  wort  über  Seamda 
secKiidae  rnd  j)ri}iia  j)i-i7nae  1118,  3;  Thomas  in  secunda  secwidae  Vdb,  12;  des  alten 
Oeconomi  Freiotdin  287,  28  f.;  Erasraus  390,  24;  Virfiitern  praesentein  odiniiis  SM,  9- 
Minkwitz  419,  31;  Etliche  vom  Adel  490,  9;  Claus  Narr  521,  21;  Schürf  526,  24; 
Galen  610,  9;  Vitaepatrum  II  86,  21;  Cicero  41,  9;  Gerson  64,  20;  motiv  der 
Faustsage  97,  27  ff'.;  motiv  vom  fechtmeister  99,  14  ff'.;  motiv  der  kreuzschau 
116,  29;  Exusian  154,  3;  D.  Severus  l85,  15;  anekdote  vom  ablass  199,  25  ff^. ; 
die  300  floren  426,  10;  König  Gtrsick  432,  15.  Mehrfach  fehlen  Verweisungen  auf 
parallelstellen,  so  bei  I  1  6,  30  auf  256,  23;  337,  11  auf  2«  8,  3;  II  175,  10  auf 
489,  4;  199,  22  auf  543,  5;  206,  5  auf  265,  9;  215,  18  auf  601,  26;  217,  21  auf 
604,  21 ;  592,  25  auf  624,  26. 

Vielfach  gehen  Krokers  fussnoten  auch  auf  die  mancherlei  sprachlichen 
Schwierigkeiten  des  textes  ein.  Hier  vermisst  man  (z.  b.  I  116,  21;  120,  26;  131,  19; 
145,  42;  162,  34;  163  anm.  6;  176,  5;  II  7,  10;  69,  15;  85,  18;  88,  12;  119,  7; 
413,  1  f. ;  459,  22 ;  522,  8)  eine  klare  abgrenzung  gegen  die  vortrefflichen  anmer- 
kungen,  die  am  ende  jedes  bandes  auf  insgesamt  70  druckseiten  0.  Brenner  der 
spräche  der  Tischreden  widmet.  Mit  Brenners  beitragen  zu  andern  bänden  der 
Weimarer  ausgäbe  gehören  diese  anmerkungen  zum  besten,  was  die  neuere  zeit  zu 
Luthers  spräche  geleistet  hat.  Wo  Brenner  auf  Schwierigkeiten  eingeht,  die  schon 
eine  fussnote  Krokers  berührt  hatte,  muss  man  meist  ihm  recht  geben,  so  1 103,  16; 
119,  33;  160,  13;  176,  33;  182,  27;  189  anm.  11;  236,2;  250,25;  364,  26;  481,2; 
.574  anm.  4;  II  3,  5;  22,  11;  29,  5;  56,  18;  74,  14;  78,  20;  79,  17;  100,  7;  26; 
121,  12;  1^3,  10;  127  anm.  4;  129,  3;  130,  18;  150,  17;  168,  k8;  249  anm.  2; 
257  anm.  3;  8  5,  9;  378,  19;  422,  3;  449,  4;  489,  23;  491,  32;  509,  13;  530,  21; 
533,  13  f.;  536,  34;  539,  18;.  555,  8;  600,  2;  607,  28;  656,  31.  Gelegentlich  be- 
hält aber  doch  auch  Kroker  recht;  so  deutet  diele  in  Luthers  satz  II  359,  12  f. 
Ehe  ich  mit  den  von  Zivichair  commimionem  fidei  wolt  haben,  wolt  ich  )nir  meinen 
hals  mit  einer  dilen  ahstossen  lassen  in  der  tat  auf  die  regelrechte  mittelalterliche 
hinrichtung,  nicht  auf  ein  marterndes  hinschlachten. 

Auch  sonst  muss  man  mehrmals  Brenners  deutungen  widersprechen :  das  köst- 
liche gleichnis  I  129,  1  man  falle  aus  dem  schiffe  rornen  oder  hinden,  so  ligt  man 
im  Wasser,  ist  gewiss  Luthersche  augenblicksbildung,  nicht  sprichwörtlich;  hei/mlich 
bedeutet  167,  11  wohl  'noch  im  mutterleib',  nicht  'aus  versehen' ;  ein  gleissender,  an- 
sehnlicher, heucMischer  Rafhgeher  159,  6  ist  einer,  der  'nur  von  ansehen  gut,  von 
aussen  gleissend  scheint',  nicht  einer,  der  'sich  ein  ansehen  gibt  und  schön  redet'; 
dass  mit  geschraubeten  Worten  ein  höfischer  ausdruck  sei,  darf  man  Aurifabers  reden- 
dem beleg  195,  .31  glauben;  197,  9  wider  den  ström  bedeutet  'gegen  die  eigne  natur, 
mit  künstlicher  reflexion',  nicht 'unnatürlicher  weise  und  ohne  erfolg' ;  reisig -1\1,  20 
ist  gewiss  nicht  'reissend',    sondern  'kampfbereit';    sonderlich    des  Orts  i.^4,  44   be- 


KÖRNER    f'BKR    KLOSS,    DIE    HEIDELBEROISCHEX   JAHRBÜCHER   DER   LITERATUR      119 

deutet  'zumal  hierzuland',  nicht  'besonders  durch  seine  geographische  läge';  455 
42  f.  Also  hatten  die  Bömer  stets  ein  Kriegsvolk  bey  einander,  mit  demselben  hielten 
sie  immer  an,  lässt  sich  wohl  umschreiben:  'sie  behandelten  es  als  stehendes  beer', 
nicht:  'sie  hielten  es  in  gleicher  stärke';  das  wort  über  die  fische  519,  20  Mortuis 
rinnm;  liventibus  aqua  ist  eher  ein  klosterwitz  als  ein  rätsei ;  mit  der  Wendung  »vr 
haben  alle  den  Leihkanf  zum  Tode  getrunken  ahmt  M.  Xeander  nicht  Tischr.  52 1.  21 
nach,  die  ihm  156o  gar  nicht  zugänglich  war,  sondern  er  folgt  wie  jene  Hesek.  18,  2; 
Brotkasten  bei  Aurifaber  571,  4  ist  nicht  'brotkammer',  sondern  'brotschrank' ;  und 
zwar  595,  29  übersetzt  et  quidem  595,  22,  die  stelle  ist  lückenhaft  und  so  zu  er- 
gänzen: Die  ganze  Welt  lästert  Gott,  die  We  nigste  n  und  zirar  nur  die  Elenden 
ehren  und  dienen  ihm;  au/f  die  Bann  601,  19  bedeutet  'auf  die  reit-  oder  wildbahn', 
nicht  'ins  freie';  II  193,  3  nicht  eine)-  Laus  irerdt  heisst  'nicht  einmal  so  viel  wert 
wie  eine  laus';  198,  23  vergossen  ist  'zugelötet',  nicht  'mit  kalk  oder  spezereien  über- 
gössen'; 451,  6  das  hensten  des  vtdgus  im  gottesdienst  soll  wohl  heisseu,  dass  sich 
die  gemeinde  nicht  zu  voller  aufmerksamkeit  und  unbedingter  stille  zusammenrafft, 
nicht,  dass  sie  das  predigtwort  unverständlich  machen  will;  Glim  glam  gloriam,  die 
San;  die  hat  ein  Pantzer  an  510,  11  ist  kein  lied,  sondern  ein  zweizeiliger  spott- 
vers;  er  kehrt  wieder  im  109.  schwank  von  Mich.  Lindeners  Katzipori  von  1558, 
Lichtensteins  ausgäbe  s.  162  f. 

Entbehrlich  scheinen  die  bemerkuugen  zu  I  223,  31;  320,  8;  335,  8;  403,  15; 
484,  5;  26;  II  45:-t  anm.  1;  521  anm.  5;  572  aum.  2.  Einige  Worterklärungen  fehlen: 
121,  i  Mittelding  'gleichgültige  dinge';  23,  \%  Schauspiel  'Sehenswürdigkeit';  87,  1 
wenn  dasselbige  thäte  'wenn  das  nicht  wäre';  288,  i9  bezeit  'bei  zeiten' ;  353,  19 
ekel  'heikel,  empfindlich';  487,  6  zufallen  'einfallen'  (von  gedanken);  490,  16  Can- 
torey  'sangesschule' ;  531,  1  übersetzen  'überfordern,  überteuern';  557,  22  nervi 
'muskeln';  576,  16  Durst  'wagemut' ;  606,  18  tokke  'puppe';  II  14,  35  lauschen 
'laueru' ;  36,  5  Nerven  'muskeln' ;  52,  7  Springivasser  'quellwasser' ;  33  schliesslich 
'schlüssig,  bündig' ;  59,  2  sch^-eit  'schreitet' ;  63,  36  Schonte  'Schemen' ;  73,  28  Keif 
'zank';  116,27  beulten 'tmschen' ]  206,13  vbe rmachen  ^nbertreihen';  807,17  Drechsel 
'drechsler';  427,  30  heufes  fages  'heutigestags' ;  460,  14  am  stillen  f reif ag  'am  kar- 
freitag'. 

FRETBURG  I.  B.  ALFRED  OÖTZE. 


Alfred  Kloss,  Die  Heidelbergischen  Jahrbücher  der  literatur  in  den 
Jahren  1808  bis  1816.  Probefahrten.  Erstliugsarbeiten  aus  dem  Deutschen 
seminar  in  Leipzig.  Herausgegeben  von  Albert  Kost  er.  Leipzig,  E.  Voigt- 
länder 1916.     XII,  198  s. 

Die  analyse  einzelner  persönlichkeiten  und  literaturwerke  birgt  immer  die 
gefahr  in  sich,  dass  über  dem  unterscheidenden  das  gemeinsame  gleichgerichteter 
geister  übersehen  oder  doch  unterschätzt  wird ;  aber  wo  eine  reihe  von  Schriftstellern 
in  gemeinschaft  auftritt,  werden  von  selber  die  übereinstimmenden  züge  schärfer 
sichtbar,  und  es  ist  ein  leichtes,  die  literarische  gruppe  zu  erkennen  und  zu  be- 
schreiben. Das  macht  die  geschichte  von  Zeitschriften,  wie  sie  nachgerade  zu  einer 
Spezialität  der  Leipziger  .schule  geworden  ist,  so  interessant  und  lehrreich. 

Wie  die  allgemeine  romantik,  die  deutsche  romautik,  die  frühromantik,  so 
deckt  erst  recht  der  name  'Heidelberger  romantik'  einen  ebenso  geläufigen  wie  un- 


120  KÖRNEK 

festen,  verschwimmenden  begriff.  Während  die  einen  ihn  auf  das  kostbare  kleeblatt 
Arnim,  Brentano,  Görres  beschränken,  dehnen  ihn  andere  über  alles  lebende  aus,  was 
je  in  Heidelberg  geweilt  hat  und  nicht  gerade  auf  den  namen  Voss  hörte.  Persön- 
liche und  geistige  beziehungen  laufen  hier  neben-  und  durcheinander  und  verwirren 
den  blick.  Die  vielen  fäden  aufzudröseln,  die  sich  da  verknäueln,  mag  ein  schwie- 
riges unternehmen  sein,  es  ist  jedesfalls  ein  dankbares  und  notwendiges;  jeder 
beitrag  zu  seiner  lösung  ist  willkommen. 

Die  geistige  atmosphäre  Heidelbergs  lässt  sich  nirgends  besser  verspüren  als 
in  den  blättern  der  nach  Inhalt,  umfang  und  lebensdauer  bedeutendsten  Zeitschrift, 
die  dort  geblüht  hat;  einem  organ  von  damals  unerhörter  modernität,  das  seine 
intellektuelle  freiheit  schon  äusserlich  darin  bekundete,  dass  es  die  dozenten  der 
Universität  und  die  -akademisch  ungraduierten  freien  literaten  der  stadt  und  des 
'ausländes'  zu  gemeinsamer  arbeit  vereinigte. 

Ausgegangen  ist  die  gründung  der  'Heidelbergischen  Jahrbücher',  wie  Kloss 
aktenmässig  und  unsere  kenntnis  vielfach  berichtigend  und  vermehrend  darlegt, 
von  der  Universität.  Mit  recht  setzt  das  buch  darum  mit  einer  kurzen  Übersicht  der 
allgemeinen  geistigen  zustände  Deutschlands  und  der  besonderen  an  der  badischen 
hochschule  ein;  da  wird  festgestellt,  'dass  die  juristische  und  kameralistische  Sektion 
von  den  neuen  ideen  der  zeit  wenig  berührt  war,  dass  dagegen  in  der  theologischen, 
philosophischen  und  medizinischen  die  meisten  und  bedeutendsten  der  dozenten 
ihnen  mehr  oder  weniger  zuneigten'  (s.  16).  Der  so  innerhalb  der  Universität 
latente  gegensatz  brach  durch  die  Umtriebe  von  aussenseitern  —  Brentano  und  Voss  — 
in  offenen  streit  aus,  in  dem  die  von  dem  philologen  Creuzer  geführte  partei  der 
romantiker  den  kürzeren  zog;  entscheidend  waren  äussere  momente,  die  Verände- 
rungen des  lehrkörpers,  indem  schon  1809  auf  kurze  zeit  Creuzer  selbst,  im  folgen- 
den jähre  seine  gesinnuugsgenosseu  De  Wette,  Marheineke  und  Boeckh  nach  anderen 
Universitäten  fortzogen.  Der  wechselvolle  kämpf  zwischen  dem  romantischen  und 
dem  antiromantischen  geiste  spiegelt  sich  in  den  „Heidelbergischen  Jahrbüchern" 
genau  wieder. 

In  zwei  kapiteln,  einem  kurzen  und  einem  ungleich  längeren,  das  hauptstück 
der  Untersuchung  bildenden,  wird  die  äussere,  sodann  die  innere  geschichte  der 
Zeitschrift  erzählt,  d.  h.  eigentlich  bloss  eines  ausschnittes  derselben,  nämlich  der 
vier  fächer:  philologie,  geschichte,  literatur  und  kunst  in  den  jähren  1808—1816. 

Die  begründer  des  neuen  Unternehmens  waren  bestrebt',  dasselbe  schon 
äusserlich  (und  nicht  allein  durch  den  titel)  von  allen  bestehenden  literaturzeitungen 
zu  unterscheiden;  zu  diesem  zweck  benahm  mau  ihm  vor  allem  den  charakter  des 
zeitungsmässigen:  es  sollte  weniger  ephemere  neuigkeiten  als  vielmehr  abschliessende 
Übersichten  über  die  wichtigsten  erscheinungen  des  Jahres  bringen;  und  während 
die  übrigen  kritischen  organe  alle  drei  tage  oder  noch  öfter  erschienen,  waren  hier 
zunächst  nur  15  hefte  im  jähr  geplant.  Eigenartig  aber  war  vor  alleffl  die  sachliche 
teilung  der  Zeitschrift  in  fünf  selbständig  erscheinende  abteilungen,  in  denen  ver- 
wandte Wissensgebiete  zusammengefasst  wurden,  gewissermassen  annalen  der  be- 
treffenden Wissenschaften  bildend:  I.  theologie,  philosophie  und  pädagogik;  II.  Juris- 
prudenz und  Staatswissenschaften;  III.  medizin  und  naturgeschichte;  IV.  mathematik, 

1)  Freilich  nicht  von  aufang  an:  die  vom  1.  Oktober  1S07  gezeichnete  gründungs- 
urkunde  (im  auhang  s.  186  f.  abgedruckt)  will  die  form  der  'Göttinger  gelehrten 
anzeigen'  beibehalten  und  bestimmt  dem  blatte  noch  den  anspruchlosen  titel: 
'Heidelberger  literaturzeituug'. 


rBEK    KLOS.<.    DIE    HEIDELBERfasCHEX    .TAHRllfClIEU    KEIl    LITEÜATII!  121 

physik,  kameralwisseuscliaften ;  Yr  philologie,  historie,  literatur  und  kunst.  Indes 
wechselte  die  äussere  einrichtung  wiederliolt.  Schon  1809  wurde  die  zahl  der  hefte 
yermehrt,  so  dass  bereits  allwöchentlich  eines  erschien,  jedes  3  bogen  stark;  aber 
die  andauernd  ungünstige  finanzielle  läge  des  Unternehmens  nötigte  bald  (ende  1810) 
zu  einer  bedeutenden  herabsetzung  der  allzu  hohen  bogenzahl,  und  damit  musste 
auch  die  facheinteilung  fallen:  die  Jahrbücher  erschienen  jetzt  dreimal  wöchentlich 
und  machten  im  jähre  nur  53  bogen  aus;  nach  dieser  änderung  unterschieden  sie 
sich  äusserlich  nicht  mehr  vom  durchschnitt  der  deutschen  literaturzeitungen. 

Diesen  glichen  sie  sich  allmählich  auch  im  abonnementspreise  an,  der  1808 
bis  1810  von  12  auf  15  fl.  rli.  stieg,  um  nach  der  Verminderung  des  umfanges  seit 
1811  wieder  auf  8  il.  zurückzugehen.  Die  mitarbeiter  erhielten  ein  sehr  anständiges 
honorar,  das  zwischen  16  und  20  fl.  rh.  schwankte.  Dies  im  verein  mit  den  hohen 
gestehungskosten  und  der  naturgemäss  geringen  abounentenzabl  erzeugte  schon  im 
ersten  jähre,  wie  nicht  anders  zu  erwarten  war,  ein  beträchtliches  defizit;  keiner 
der  vielen  an  deutschen  Universitäten  eingenisteten  literaturzeitungen  ist  es  besser 
ergangen,  überall  mussten  die  regierungen  mit  Subventionen  nachhelfen ;  die  kargen 
und  saumselig  gespendeten  Zuschüsse  der  badischen  regierung  genügten  freilich  bei 
weitem  nicht.  Der  Verleger  die  bekannte  Heidelberger  firma  Mohr  &  Zimmer 
(seit  1815  Mohr  &  Winter)  —  arbeitete  mit  ansehnlichen  Verlusten. 

Ungewöhnlicher  noch  als  das  äussere  gewaud  des  blattes  waren  die  bestim- 
mungen  über  seine  leitung,  die  nicht  einem  einzelnen  redakteur,  sondern  einer  ganzen 
gesellschaft  von  solchen  überantwortet  war.  An  der  spitze  jeder  abteilung  standen 
zwei  direkteren,  denen  freilich  unmittelljar  nach  der  gründung,  jedoch  nur  ganz 
vorübergehend,  ein  mit  geringer  macht  ausgestatteter  generalleiter  zur  seite  trat. 
Die  auf  der  haud  liegenden  nachteile  dieser  einrichtung  Hessen  sich  auf  die  dauer 
nicht  verkennen,  und  so  beschränkte  man  bereits  ende  1810  die  vielköpfige  schrift- 
leitung  auf  drei  niitglieder:  den  Juristen  Thibaut,  den  philosophen  Fries  und  den 
historiker  Wilken;  sie  standen  bis  ans  ende  des  Jahres  1816  an  der  spitze. 

Bei  der  ersten  Zusammensetzung  wie  bei  den  späteren  Veränderungen  der 
redaktion  spielte  die  frage  nach  der  Stellung  zu  den  anschauungen  der  'neuen  schule' 
eine  hauptroUe.  Zunächst  erhielt  die  romantische  partei,  die  ja  auch  auf  der  Universität 
nach  zahl  und  bedeutung  der  dozenteu  vorherrschte,  das  übergewicht.  Mit  dem 
abgaug  ihres  führers  Creuzer  (1.  april  1809  folgte  er  einem  ruf  nach  Leiden)  setzte 
erfolgreich  die  gegenoffensive  der  antiromantiker  ein,  und  das  alte  Verhältnis  wollte 
sich  auch  nach  Creuzers  baldiger  rückkehr  nicht  wieder  herstellen  lassen,  Xach  un- 
stetem schwanken  und  wiederholten  riickfällen  ins  romantische  wesen  gerieten  die 
Jahrbücher  1818  völlig  in  rationalistische  bände. 

Diese  inneren  kämpfe  bestimmen  durchaus  die  geschichte  der  V.,  der 
'literarischen'  abteilung,  der"Kloss  ausschliessej,id  seine  bemühungen  gewidmet 
hat.  Ihre  redakteure  sind  zunächst  Creuzer,  der  die  hauptarbeit  leistet,  und  Wilken, 
der  bloss  für  die  historischen  rezensionen  sorge  trug.  Creuzer  hielt  sich  die  un- 
romantischen koUegen,  so  besonders  Alois  Schreiber  und  den  jüngeren  Voss,  Avohl- 
weislich  vom  leibe  und  suchte  und  fand  ersatz  vor  allem  bei  Görres,  der,  ordnungs- 
gemässer habilitation  ermangelnd,  freilich  nicht  eigentlich  zum  lehrkörper  der  Uni- 
versität zählte,  und  bei  auswärtigen  namhaften  Schriftstellern.  Mühelos  gewann  er 
die  häupter  der  'neuen  schule',  die  damals  eines  eigenen  organs  entbehrten  und 
doch  gerade  jetzt  viel  zu  sagen  hatten,  allvoran  Friedrich  Schlegel.  Diesem 
wurden  nicht  nur  literarische,  sondern  auch  theologische  und  philosophische  schriftm 


122  i-:(')RNKit 

anvertraut,  und  mit  einer  bei  F.  Schlegel  unerhörten  Pünktlichkeit  wurden  die  auf- 
trage auch  ausgeführt.  Gleich  der  erste  Jahrgang  brachte  nicht  weniger  als  fünf 
beitrage  aus  seiner  feder:  rezensionen  über  die  ersten  4  bände  der  Goetheausgabe 
von  1806,  über  Büsching-von  der  Hagens  'Sammlung  deutscher  Volkslieder',  über 
ein  werk  Adam  Müllers,  über  drei  Schriften  Fichtes  und  über  die  ersten  zwei  teile 
von  des  grafen  F.  L.  Stolberg  'Geschichte  der  religion  Jesu  (Christi';  von  welchen 
beitragen  die  zwei  letzt  angeführten  in  der  L,  philosophisch-theologischen  abteilung 
erschienen  sind.  Aber  mit  seinem  Stolbergaufsatz  hatte  Schlegel  den  Jahrbüchern 
ein  kuckucksei  ins  uest  gelegt;  in  der  theologischen,  wie  in  der  gesamtredaktion 
brach  darüber  ein  heftiger  konflikt  aus,  und  schliesslich  erlaubten  sich  die  theologischen 
redakteure,  gegen  Schlegel  -in  ihren  spalten  eine  antikritik  loszulassen  und  die  fort- 
setzung  des  Stolbergschen  Werkes  einem  andern  rezensenten  zu  übergeben.  Das  war 
ein  starkes  stück.  Fr.  Schlegel  konnte  sich  ein  so  rücksichtsloses  vorgehen  nicht 
gut  gefallen  lassen  und  schied  für  immer  aus  der  reihe  der  mitarbeiter.  Briefe 
Creuzers,  noch  mehr  solche  des  Verlegers  Zimmer,  der  mit  erfolg  auch  die  Ver- 
mittlung A.  W.  Schlegels  anrief,  bemühten  sich  vergebens,  den  grollenden  zu  ver- 
söhnen. Auch  Wilken  erbat  zu  wiederholtenmalen  Fr.  Schlegels  erneute  mitarbeit, 
zuletzt,  wie  es  scheint,  in  einem  briefe  vom  6.  februar  1811,  von  mir  veröffentlicht 
in  der  'Deutschen  rundschau'  märz  1918,  s.  3841.,  in  dem  es  heisst:  'Meine  Bitte 
an  Sie  betrifft  wiederum  unsre  Jahrbücher.  Wollten  Sie  wohl  nicht  das  Straf- 
gericht über  des  Herrn  v.  Arnim  Halle  und  Jerusalem  übernehmen?  Ihr  Urtheil 
könnte  gewiss  am  besten  auch  unsern  guten  Zimmer  von  dem  Wahn  heilen,  dass 
solche  Producte  das  Höchste  der  Kunst  seyn,  und  dass  jenes  Halle  und  Jerusalem, 
was  Brentano  ihm  in  den  Kopf  gesetzt  hat.  nach  Göthe's  Faust  das  Gröste  sey, 
was  deutsche  Poesie  hervorgebracht  hat,' 

Fr.  Schlegel  erscheint  in  der  Heidelberger  rezensieranstalt  nicht  nur  als 
Subjekt,  sondern  auch  als  objekt.  Sein  'Poetisches  taschenbuch'  auf  1806  hat 
der  damals  in  Paris  lebende  hessen-homburgische  geheimrat  Isaak  von  Sinclair  * 
angezeigt,  seine  'Gedichte'  kein  geringerer  als  Achim  von  Arnim  besprochen. 
'Ihre  Schrift  über  Indien'  schreibt  Creuzer  in  dem  in  der  anmerkung  bezeichneten 
briefe  an  Fr.  Schlegel,  'wird  von  2  Recensenten,  einem  Orientalisten  und  einem 
Philosophen  für  unsere  Jahrbücher  beurtheilt  werden,  doch  so  dass  die  Recension  Ein 
Gauzes  bildet.  Auf  jeden  Fall  wird  sie  noch  im  Lauf  dieses  Jahres  erscheinen.'  Aber 
es  dauerte  nahezu  drei  jahrej  bis  dieses  versprechen  schlecht  und  recht  erfüllt  war. 
Erst  im  2.  heft  des  jg.  1811  hat  Wilken  selbst  endlich  Schlegels  wichtige  schrift 
besprochen,  sehr  anerkennend,  aber  auch  sehr  vorsichtig  über  die  gefährlichen 
stellen  hinwegvoltigierend  und  in  dem  zwischen  Schlegel  und  dem  Verfasser  der 
'Mythengeschichte'  ausgebrochenen  streite  beiden  parteien  so  recht  wie  unrecht 
gebend;  Görres  sah  sich  veranlasst,  darauf  mit  einer  erklärung  zu  antworten,  die 
im  intelligenzblatt  des  Jahrgangs  1811  abgedruckt  ist.  Um  aber  den  von  ihm  be- 
kämpften Schlegel  wieder  zu  versöhnen,   beabsichtigte  Görres,    dessen  'Vorlesungen 


1)  Nicht  Görres,  wie  man  bisher  fälschlich  meinte;  Kloss  berichtigt  dies  an 
band  der  redaktiousakten,  es  geht  auch  aus  einem  briefe  Creuzers  an  Schlegel 
vom  18.  Juli  18o8  ('Deutsche  rundschau'  märz  1918,  s.  382  f.)  hervor,  wo  zu  lesen 
ist:  'Diese  Anzeige  sandte  mir  HE  Sinclair  von  Paris.  Ich  wünschte,  er  hätte  mir 
seine  Addresse  gemeldet;  so  wäre  ich  im  Stand  ihm  Mehreres  zu  übertragen'; 
dieser  satz  erledigt  zugleich  die  Vermutungen  von  Kloss  s.  56  f. 


ÜBER   KL()SS,   DIE    HEIDELBERfUSCHEX   JAHRBÜCHER   DER    LITERATUR  123 

Über  die  neuere  geschichte"  zu  rezensieren,  ohne  freilich  diese  absieht  je  auszuführen. 
Schlegels  'Deutsches  museuni',  das  ursprünglich  Arnim  und  Wilhelm  Grimm  gemein- 
schaftlich zu  beurteilen  gedachten,  fand  im  jg.  1813  eine  Würdigung  durch  unbe- 
kannte feder;  aber  es  ist  dort  eigentlich  nur  ein  fragment  der  anzeige  zu  lesen, 
denn  der  verheissene  'abschluss  der  rezension'  ist  niemals  erschienen.  Schlegel  hat, 
nach  ausweis  seines  briefes  an  S.  Boisseree  \  diese  rezension  selbst  erbeten  und  zu 
ihrer  Verfertigung  Bertram  oder  Wilken  in  eigener  person  vorgeschlagen. 

Mit  A.  VV.  Schlegel  trat  Creuzer  bei  dessen  flüchtigem  Heidelberger  aufenthalt 
am  27./8.  juni  1808  in  Verbindung'.  Den  aber  nahm  jetzt  die  drucklegung  seiner 
Wiener  Vorlesungen  über  dramatische  "kuust  und  literatur  vollauf  in  anspruch,  so 
dass  er  seine  rezeosionen  (deren  er  übrigens  eine  ganze  menge  übernommen  hatte) 
während  Creuzers  kurzer  redaktionsära  nicht  mehr  vollendet  hat;  immerhin  war  den 
Jahrbüchern  mit  ihm  ein  fleissiger  und  wertvoller  mitarbeiter  gewonnen.  Er  lieferte 
im  laiif  der  jähre  besprechungen  von  Büsching-von  der  Hagens  'Buch  der  liebe', 
von  Gries'  Ariostübersetzung,  Docens  Titurel,  Winckelmanns  werken  und,  nach  einer 
längeren,  durch  die  politischen  und  kriegerischen  ereignisse  erzwungenen  pause, 
solche  über  die  'Altdeutschen  wälder'  der  brüder  Grimm,  das  von  Chezy  heraus- 
gegebene Yadjnadatta-Badha,  Mustoxidis  scbrift  'Sui  quattro  cavalli  di  S.  Marco 
in  Yenezia'  und  —  der  bedeutendste  beitrag  —  über  Niebuhrs  Römische  geschichte''. 
Von  A.  W.  Schlegels  eigenen  Schriften  wurden  die  'Poetischen  werke'  durch  Arnim, 
die  Vorlesungen  über  dramatische  kunst  und  literatur  durch  Adolf  Wagner  gewürdigt; 
(in  anonymus  besprach  im  jg.  1814  sein  'Spanisches  theater". 

Auch  Tieck  erklärte  sich  zu  vielem  bereit,  lieferte  jedoch  nie  etwas.  Um  so 
emsiger  erwiesen  sich  die  häupter  der  jüngeren  romantischen  schule.  Arnim  be- 
spricht F.  H.  Jacobis  rede  'Über  gelehrte  gesellschafteu'  nebst  den  gegenschriften 
von  Rottmanner  und  Aman,  Rostorfs  'Dichtergarten",  drei  roinaue  Ernst  Wagners, 
zwei  fremdländische  (eine  italienische,  eine  französische)  Schriften  zur  bildenden 
kuDSt  und  (in  der  theologischen  abteilung)  Ritters  'Fragmente  eines  jungen  physikers'. 
Aber  bald  melden  sich  gegen  diesen  beiträger  die  schwersten  bedenken  bei  Creuzers 
redaktiouskoUegen,  und  Thibaut  setzt  es  durch,  dass  keine  rezension  Arnims  künftig 
mit  dessen  namensunterschrift  erscheinen  darf.  Trotzdem  hält  l'reuzer  an  dem 
freunde  fest  und  überlässt  ihm  auch  weiterhin  wichtige  bücher,  so  Z.  Werners 
'Attila',  dessen  besprechung  durch  Arnim  auch  wirklich  erschien,  während  seine 
rezension  von  Brentanos  'Goldfaden',  die  bereits  abgeliefert  war,  von  Creuzers  nach- 
folger  Boeckh  weggelegt  und  dafür  eine  solche  von  W.  Grimm  in  druck  gegeben 
wurde.   Arnims  rezensionen  von  F.  Schlegels  Gedichten  und  dem  satirischen  kollektiv- 

1)  Bei  S.  Boisseree  (Stuttgart  1862)  I,  s.  171  ist  dieser  brief  unvollständig 
abgedruckt;  ich  habe  mir  den  fehlenden  schlussteil  nach  dem  im  Stadtarchiv  zu 
Köln  verwahrten  original  kopiert. 

2)  Was  gleichfalls  aus  Creuzers  brief  an  F.  Schlegel  hervorgeht,  so  dass  das 
fragezeichen  bei  Kloss  s.  51  wegfallen  darf. 

8)  A.  W.  Schlegels  brief  an  Wilken,  Lausanne,  6.  Juli  ISl."),  den  ich  Zs.  f.  d. 
üsterr.  gvmn.  19  U.  s.  68l)  f.  mitgeteilt  habe,  ist  Kloss  unbekannt  gebli.hen;  dort 
trägt  Schlegel  an,'  Grimr  Jonsson  Thorkelins'  1815  zu  Kopenhagen  erschienene 
erstausgabe  des  ags.  Beowulf  für  die  Jahrbücher  zu  rezensieren.  In  einem  an 
versteckter  stelle  abgedruckten  (und  darum  seiner  zeit  auch  von  mir  übersehenen) 
briefe  an  Zimmer  aus  Paris  vom  2i.  februar  1817  (Ungarische  rundschau  II,  1913, 
s.  854/5Ü)  endlich  spricht  Schlegel  den  Avunsch  aus,  'die  neue  ausgäbe  von  Hrn.  von 
Hnmboldt.s  Monumens  Americains  anzuzeigen". 


124  K('t]!NEK 

romaii  'Karls  versuclie  und  hindernisse'  liess  Boeckli  je  ein  jähr  lang  liegen  und 
entledigte  sieh  eines  dritten  beitrags  (der  schon  erwähnten  besprechung  von  Ritters 
'Fragmenten')  dadurch,  dass  er  sie  an  die  theologische  abteilung  weitergab.  Zwar 
trat  Boeckh  für  Arnim  ein,  als  die  seit  eh  und  je,  schon  zur  zeit  Oreuzers,  dem 
dichter  übelgesinnte  gesamtredaktion  nun  offen  gegen  ihn  auftrat  und  durch  Thibaut 
und  Wilken  seine  ausschliessung  aus  der  reihe  der  mitarbeiter  beantragte,  doch 
scheint  er  ihn  nicht  mehr  zum  rezensieren  aufgefordert  zu  haben.  Im  jähre  1811 
aber  gelang  es  Arnim,  der  sich  selbst  zu  erneuter  mitarbeit  antrug,  hauptsächlich 
durch  Vermittlung  des  ihm  sehr  gewogenen  Verlegers,  von  Wilken  wieder  beschäftigt 
zu  werden ;  er  schrieb  jetzt  noch  besprechuugen  der  'Poetischen  werke'  A.  W.  Schlegels, 
der  plattdeutschen  gedichte  Bornemanns  und  des  berüchtigten  pamphlets  'Bürgers 
ehestaudsgeschichte',  nebst  einer  antikritik  auf  Justis  rezension  von  Jördens  'Lexicon 
deutscher  dichter  und  prosaisten',  abgedruckt  im  Intelligenzblatt  1811.  Von  Arnims 
eigenen  werken  wurden  in  den  Jahrbüchern  der  'Wintergarten'  durch  Ernst  Wagner, 
'Gräfin  Dolores'  durch  W.  Grimm,  beide  sehr  anerkennend,  besprochen.  Eine  mit- 
Wirkung  Brentanos,  dieses  hechts  im  knrpfenteiche  der  Heidelberger  literaten,  machten 
dessen  äussere  lebensumstände  unmöglich:  es  war  vielleicht  ein  glück  für  den 
inneren  frieden  der  redaktion,  der  durch  Görres,  den  Creuzer  besonders  bevorzugte, 
schon  hinreichend  gefährdet  war.  Görres  besprach  Runges  'Jabreszeiten'  \  Villers 
Schrift  'Über  Universitäten',  den  von  Duperron  herausgegebenen  'Upnekhat',  Rixners 
'Versuch  einer  darstellung  der  indischen  alleinslehre',  0.  Franks  'Licht  vom  Orient' 
(diese  beitrage  sind  zum  teil  in  der  von  Daub  redigierten  theologisch-philosophischen 
abteilung  erschienen)  und  gab  eine  selbstanzeige  seiner  'Volksbücher' ".  Und  diesem, 
von  der  Voss-partei  viel  bekämpften  manne  übertrug  Creuzer  die  anzeige  des  heiss 
umstrittenen  'Wunderhorns'.  Sie  war  halb  gedruckt,  als  Creuzer  abgieng.  Und'  nun, 
da  seine  autorität  die  gegner  nicht  mehr  zurückhielt,  entbrannte  innerhalb  der  ge- 
samtredaktion ein  wütiger  kämpf  um  diese  rezension,  so  dass  der  literarische  streit 
mit  der  Voss-partei  und  dem  Morgenblatt,  dem  die  'Einsiedlerzeitung'  erlegen  war, 
auch  auf  die  Jahrbücher  überzugreifen  drohte.  Die  Opposition,  von  Thibaut  geführt, 
setzte  durch,  dass  der  rest  der  anzeige  zunächst  ungedruckt  blieb;  erst  l'/4  jähr 
nach  dem  ersten  erschien,  im  august  1810,  der  rezension  zweiter  teil.  Noch  einen 
andern  beitrag  von  Görres,  die  Itesprechung  von  Ahlwardts  Ossianübersetzung,  liess 
Boeckh  fast  ein  jähr  lang  liegen.  Görres  zog  aus  dieser  unfreundlichen  begegnung 
die  konsequenzen  und  stellte  bis  auf  weiteres  seine  mitarbeit  ein.  1811  aber  gelang 
es  den  gemeinsamen  bemühungen  des  redakteurs  Wilken  und  des  Verlegers  Zimmer, 
Görres  aufs  neue  an  das  Institut  zu  fesseln:  er  lieferte  jetzt  seine  berühmte,  nur 
allzu  lang  geratene  Jean  Paul-rezension,  die  besprechung  von  Dalbergs  'Meteorkult', 
eine  im  Intelligenzblatt  abgedruckte  anzeige  seiner  geplanten  'ßibliotheca  Vaticana' 
und  endlich  drei  grosse  beitrage,  die  seine  neueste  weudung  zu  den  germanistischen 
Studien  widerspiegeln:  die  besprechungeu  des  durch  die  brüder  Grimm  heraus- 
gegebenen Hildebrandsliedes,  der  Tieckschen  bearbeitung  von  Ulrich  von  Lichten- 
steins  Frauendienst,   der   schrift  J.  Grimms  'Über  den  altdeutschen   meistergesang'. 


1)  Zu  welcher  rezension  Arnim  einen  zusatz  machte :  vgl.  neue  Heidelberger 
Jahrbücher  1900,  s.  121,  1902,  s.  247  f. 

2)  Die  von  F.  Schultz  Görres  zugeschriebene  rezension  von  Okens  Schriften 
'Über  licht  und  wärme'  und  'Lehrbuch  der  naturphilosophie'  stammt  von  dem  natur- 
philosophen  Eschenmayer:  Kloss  s.  VIII. 


ÜBER   KLOSS,    DIE   HEIUELBEKGISCHEX   JAHKBLXIIER   DER   LITERATUR         125 

Damit  hatte  aber  auch  seine  tätigkeit  au  dem  blatte  ein  ende;  seit  1814  nahm  die 
herausgäbe  einer  eigenen  zeituug,  des  'Rheinischen  merkur',  alle  seine  kräfte  in 
anspruch ;  in  den  zwanziger  jähren  ist  er  dann  noch  mit  einer  einzigen  rezension 
zu  gaste  erschienen. 

Ein  wichtiger  mitarbeiter  war  ferner  Jean  Paul:  ihm  hatten  die  Jahrbücher 
zu  danken  die  rezensionen  der  'Corinna'  und  der  schrift  über  Deutschland  der  frau 
von  Stael,  von  Fichtes  'Eeden  an  die  deutsche  uation',  von  Uhlenschlägers  Aladdin, 
von  Delbrücks  'Über  die  dichtkunst',  sowie  mehrerer  dichtungen  Fouques:  des 
'Alwin',  der  Nibelungeutrilogie  (über  deren  ersten  teil  'Sigurd  der  schlangentöter' 
die  Jahrbücher  noch  eine  zweite,  Jean  Pauls  lobsprüche  wesentlich  einschränkende 
beurteilung  brachten,  Avelche  W.  Grimm  und  Arnim  gemeinschaftlich  verfasst  hatten) 
und  des  dramas  'Eginhard  und  Emma';  in  der  letztgenannten  rezension  wagte  es 
Jean  Paul,  der  neuen  schule  —  und  gerade  ihren  umstrittensten  werken  —  unein- 
geschränktes lob  zu  spenden,  was  das  noch  unentwegt  romantikfeindliche  'Morgen- 
blatt' zu  dem  schärfsten  angriff  aufreizte,  der  je  gegen  die  Universität  und  die  Jahr- 
bücher Heidelbergs  gerichtet  ward.  Aber  neben  diesem  Vorkämpfer  der  romantik 
stand  innerhalb  der  Jahrbücher  doch  auch  Vossens  gesinnungsgenosse  Paulus,  der 
seine  rezensionen  zu  ausfällen  auf  die  romantik  benützte.  Dass  auch  Schleierraacher, 
wie  aus  dessen  briefwechsel  mit  Boeckh  (Mitteilungen  aus  dem  literaturarchive  in 
Berlin,  u.  f.  XI,  Berlin  1916,  s.  33,  35  f.,  38)  hervorgeht,  angeworben  wurde,  wird 
von  Kloss  nicht  erwähnt:  Schleiermacher  erklärte  sich  bereit,  Ammons  'Religions- 
vorträge' *  und  eine  schrift  von  Paulus  (?)  zu  rezensieren,  konnte  aber  sein  ver- 
sprechen anscheinend  nicht  erfüllen,  so  wenig  wie  Boeckhs  wiederholte  bitte, 
Schellings  rede  über  die  bildenden  künste  in  den  Jahrbüchern  anzuzeigen.  Mit  einer 
anzeige  von  Schleiermachers  'Gelegentlichen  gedanken  über  Universitäten'  ist  Sa- 
vigny,  ein  hauptmitarbeiter  der  juristischen  abteilung.  auch  einmal  in  der  literarischen 
Sektion  aufgetreten. 

Creuzer  bemühte  sich,  was  Kloss  nicht  Avissen  konnte,  auch  österreichische 
literateu  für  seine  zeitung  zu  gewinnen.  Das  geht  aus  dem  folgenden  (un gedruckten), 
unstreitig  au  H.  v.  Collin  gerichteten'-  schreiben  zur  genüge  hervor. 

Heidelberg  den  15.  Aug.  1808. 
Hochzuverehreuder  Herr ! 

Es  ist  mir  sehr  erfreulich  Sie  mit  unsrem  Institut  verbunden  zu  wissen.  Ich 
beantwortete  daher  Ihren  schätzbaren  Brief  sogleich. 

Sonnenbergs' 3  Gedichte,  wie  auch  dessen  Donotoa  werden  Sie  durch  die 
Zimmersche  Buchhandlung   erhalten.     In   Zukunft  wünscht  indessen  der  Verleger, 

1)  Die  H.  j.  II  (1809)  1.  abt.  I.  bd.  s.  273  ff.  abgedruckte  rezension  ist  nicht 
von  Schleiermacher. 

2)  Man  könnte  auch  an  J.  L.  Stoll  denken,  der  mit  Leo  von  Seckendorf  die 
Zeitschrift  'Prometheus'  herausgab;  meine  bessere  Vermutung  stützt  sich  auf  eine 
stelle  iu  Creuzers  wiederholt  angeführtem  brief  an  Fr.  Schlegel  vom  18.  Juli  1808: 
'Auf  den  Rath  Ihres  Herrn  Bruders  schreibe  ich  heute  an  HE.  v.  Seckendorf 
(Herausgeber  des  Promotheus)  u.  HE.  Collin.  um  sie  zur  Mitwirkung  an  unsern 
Jahrbüchern  einzuladen';  dass  nicht  Seckendorf  der  Adressat  ist,  geht  ja  aus  dem 
briefe  selbst  hervor. 

3)  Der  Westfale  Franz  Freiherr  von  Sonnenberg  (1779-1805),  ein  spätlipg 
Klopstockscher  epik ;  von  ihm  haben  wir  u.  a. :  Donatoa  oder  das  weltende.  Epopöie. 
Halle  1806/07,  ein  epos  in  12  gesängen;  Gedichte  Sonnenbergs  nach  dessen  todc 
hg.  V.  J.  G.  Gruber,   Rudolstadt"  1808. 


126  KÖKNEK 

wegen   des   sehr  weiten   Transportes,   dass   Sie,   wo   es   möglich,  die  recensenda  in 
einiger  dortigen  Buchhandlung  sich  zur  Einsicht  geben  lassen. 

Ihre  übrigen  Anerbietungen  nehme  ich  sämtlich  mit  Vergnügen  an,  und  Sie 
haben  also,  die  Güte,  ausser  Altimor  und  Zomira,  noch  desselben  Verfassers 
Gedichte,  wie  auch  dessen  Trauerspiel :  Marie  von  Belmon  t  e  zu  beurtheilen'. 

Ausserdem  übernehmen  Sie  gefälligst 
Werners   Weihe   der  Kraft.     Vielleicht   auch   dessen  Wanda.     (Ich   setze  dies 
leztere  voraus,  und  übertrage  sie  daher  niemand  anders.) 
Steigenteschs-  und 


Hutts'  »    Lustspiele. 

Je  eher  Sie  mich  nun  mit  einer  dieser  Kritiken  beschenken  können,  desto 
lieber  wird  es  mir  seyu.  Wie  es  mich  überhaupt  freuen  wird  Sie  ja  recht  genau 
mit  unserm  Institute  verbunden  zu  sehen. 

Dem  Herrn  Friedrich  Schlegel  bitte  ich  mich  zu  empfehlen,  und  ihn  gefälligst 
an  seine  Versprechungen  für  unsere  Jahrbücher  zu  erinnern.  Auch  bei  Herrn  v.  Secken- 
dorf  bitte  ich  mich  ins  Andenken  zu  bringen.     Ich  bin  mit  aufrichtiger  Verehrung 

Eurer  Wohlgeboren 

ergebenster  Fr.  Creuzer 
Professor. 

Die  last  der  redaktiousgeschäfte  machte  es  Creuzer  unmöglich,  in  seinem  eige- 
nen fache,  der  klassischen  philologie,  mehr  als  kleine  beitrage  zu  geben ;  er  fand  an 
Boeckh,  der  damals  im  wesentlichen  noch  sein  wissenschaftlicher  bundesgenosse  war, 
einen  vortrefflichen  helfer,  dann  aber  auch  an  dem  jungen  Göttinger  privatdozenten 
F.  G.  Welckei',  der  alle  wichtigen  archäologischen  rezensiouen  lieferte.  Auf  histo- 
rischem gebiete  (ausdrücklich  sollte  die  deutsche  geschichte  bevorzugt  werden)  tat 
der  redakteur  Wiiken  selbst  das  meiste ;  neben  ihm  arbeitete  in  -seinem  Spezialfach 
der  Heidelberger  Kopp,  der  vater  der  paläographie.  Für  philosophie  wurde  der 
Jenaer  professor  W.  G.  Tennemanu,  für  italienisi-he  philologie  der  Leipziger  schrift- 
steiler Adolf  Wagner  (Richard  Wagners  oheim)  gewonnen;  orientalische  philologie 
bearbeitete  Wilkeu.  Eine  ganz  bedeutende  Stellung  räumte  Creuzer  der  neu  er- 
stehenden Wissenschaft  der  deutschen  philologie  ein ;  auf  diesem  gebiet  fand  er, 
nächst  A.  W.  Schlegel,  an  den  brüdern  Grimm  die  wertvollsten  mitarbeiter.  Für 
die  bildenden  künste,  wurde,  nach  Alois  Schreibers  frühzeitigem  rückzug,  Görres 
aufgeboten;  Glöckle  in  Rom  sandte  einen  bericht  über  das  römische  kunstlebeu,  der 
im  Jntelligeuzblatt  erschien;  auch  Arnim  bezeigte,  wie  bereits  erwähnt,  der  bildenden 
kunst  lebhafte  anteilnahme.     Über   musik   endlich  schrieb  der  privatdozent  Horstig. 

Creuzers  kurzfristige  redaktionstätigkeit  bedeutet  die  blütezeit  der  Jahrbücher: 
was  Von  bedeutenden  federn  an  der  zeitung  mittat,  hat  nahezu  ausnahmslos  er  an- 

1)  Gemeint  ist  Karl  Streckfuss  (1778-1844),  der  1803  als  hofraeister  in  Wien 
weilte  und  dort  mit  Caroline  Pichler  und  H.  v.  Colliu  freundschaftlich  verkehrte; 
seine  'Gedichte'  erschienen  Leipzig  1804,  'Altimor  und  Zomira.  Ein  mährchen' 
(4  gesänge  in  ottaverimen)  ebenda  18U8,  'Maria  Bellraonte',  ein  trauerspiel  in  5  akteu, 
Zeitz  1807;  in  einem  ungedruckten,  gleichfalls  im  besitz  der  Wiener  hofbibliothek 
befindlichen  briefe  aus  dem  jähre  1808  bittet  Streckfuss  Collin  um  öffentliche  beur- 
teiluug  seiner  Schriften. 

2)  Von  dem  österreichischen  offizier  und  diplomaten  August  Freiherrn  von 
Steigentesch  (1774-1H26)  erschienen  lustspiele:  Wien  und  Triest  1808. 

3)  Johann  Hutt  (1774-1809),  Wiener  polizoibeamter,  gab  2  bände  'Lustspiele' 
(Wien  1805-1812). 


ÜBER   KLOS.S,   DIE   HElüELBEKGISCHEN    JAHRBÜCHER   DER   LITERATLU  127 

geworbeu ;  viele  waren  darunter,  deren  von  ihm  bestellte  beitrage  erst  einliefen,  nach- 
dem er  die  leitung  bereits  aus  den  bänden  gegeben  hatte.  In  dieser  ihrer  blütezeit 
überragen  die  Jahrbücher  alle  anderen  deutschen  literaturzeitungen,  von  denen  sie 
sich  auch  —  insbesonders  die  literarische  abteilung  —  dadurch  wesentlich  unter- 
scheiden, dass  sie  offenkundig  der  romantik  zuneigten.  'Seit  dem  kurzen  versuch 
der  'Erlanger  literaturzeitung'  in  den  jähren  18U1  und  1802  war  keine  literatur- 
zeituug  so  energisch  für  die  romantik  eingetreten,  und  so  vollständig  hatte  die 
romantik  überhaupt  noch  in  keiner  herrschen  dürfen  .  .  .  neben  die  'Zeitung  für 
einsiedler'  und  den  -Dresdener  'Phöbus'  traten  die  Philologischen  Jahrbücher  als 
wichtige  ergänzung.'  (Kloss,  s.  87.)  Freilich  sagt  Kloss  zu  viel,  wenn  er  s.  86 
behauptet,  kein  anderes  kritisches  organ  sei  der  romantik  freundlich  gesinnt  ge- 
wesen: das  gilt  jedesfalls  von  der  'Wiener  allgemeinen  literaturzeitung'  (1813  bis 
1816)  nicht. 

Nach  Creuzers  abgang  übernahm  am  1.  april  18U9  Boeckh  die  hauptleitung 
der  V.  abteilung;  Wilken,  der  ihm  —  wie  vorher  Creuzern  —  zur  seite  stand,  tat 
nicht  viel.  Boeckh  steuerte  das  schiff  der  zeitung  sofort  aus  der  gefährlichen  roman- 
tischen Strömung  in  ein  ruhigeres  fabrwasser.  'Er  sah  bei  der  auswahl  der  mit- 
arbeiter  weniger  auf  ihre  anschauungen  als  darauf,  dass  heftige,  streitlustige 
Charaktere  möglichst  fernblieben,  strich  auch  bedeukliche  stellen  der  rezensionen. 
Die  richtung  zur  neutralität,  gegen  die  Creuzer  gerade  gekämpft  hatte,  gelangte 
mit  ihm  zur  herrschaft'.  (Kloss  s.  106  f.)  Er  dachte  keineswegs  an  eine  völlige 
ausschaltung  der  romantiker,  wie  diese  ja  auch  unter  seiner  leitung  noch  oft  genug 
zum  wort  kamen;  aber  ein  Parteiorgan  waren  die  Jahrbücher  nicht  mehr.  Freilich, 
die  besten  beitrage,  die  zu  seiner  zeit  abgedruckt  wurden,  hatte  ihm  Creuzer  über- 
liefert oder  doch  gesichert;  und  neben  diesen  wertvollen  stücken  drängte  sich  in 
der  Boeckhschen  ära  bereits  eine  grosse  zahl  unbedeutender  vor,  und  manches  be- 
deutende werk  findet  überhaupt  keine  erwähnung.  Aber  auch  Boeckh  hat  seiner 
zeitung  noch  manchen  bedeutenden  mitarbeiter  gewonnen:  so  den  romanschreiber 
Ernst  Wagner,  den  Schellingianischen  philosophen  J.  J.  Windischmann,  der  u.  a. 
Görres'  Mythengeschichte  würdigte,  vor  allem  Franz  Hoin,  die  in  jedem  sinne  frucht- 
barste anknüpfung,  die  Boeckh  geglückt  ist.  Hörn  hat  während  seiner  uiehrjährigen, 
aus  unbekannten  gründen  1814  endenden  mitwirkuug  u.  a.  Z.  Werners  'Wanda'  und 
den  'Guido'  sowie  die  gedichte  des  graf  Lochen  beurteilt.  Für  die  klassische  philo- 
logie  lieferte  Boeckh  selbst  die  besten  rezensionen,  während  Creuzer,  der  seit  dem 
herbst  18U9  wieder  in  Heidelberg  wirkte,  zur  mitarbeit  auffälligerweise  von  ihm 
nicht  aufgefordert  wurde  ' ;  unter  den  zahlreichen  belfern  auf  diesem  gebiete  erscheint 
jetzt,  freilich  nur  mit  einem  einzigen  beitiag,  sogar  der  jüngere  Voss.  Im  histo- 
rischen fach  trat  neben  Kopp  und  W'ilken  als  neue  Kraft  Friedrich  von  Räumer, 
dessen  gewinnung  Wilkens  grosses  verdienst  war;  von  ihm  bringen  die  Jahrbücher 
1812  noch  mehrere,  1815  nur  noch  einen  beitrag,  worauf  er  ganz  verschwindet;  ihn 

1)  Kloss'  meinuug.  dass  Creuzer  gegen  seinen  willen  ausgeschifft  wurde, 
widerstreitet  eine  stelle  seines  briefes  au  Schütz  vom  8.  dezcmbcr  1809  (C  G.  Schütz, 
Darstellung  seines  lebens  I,  s.  'v8j:  'Zu  der  redaktion  der  Jahrbücher  biu  ich  uicJit 
wieder  hinzugetreten,  da  die  damit  verbundene  korrespondenz  für  mich  zu  zer- 
streuend war.'  Jedesfalls  blieb  Creuzer  auch  unter  Boeckhs  nachtolger,  der  wenigstens 
die  einladung  nicht  versäumte,  grollend  den  Jahrbüchern  fein  und  hat  erst  nach 
der  völligen  Umgestaltung  des  redaktionskörpers  im  jähre  lbl7  wieder  daran  teil- 
genommen. 


128  KÜKNKR 

löste  der  damals  nucli  iu  Frankfurt  lebeude,  später  so  berühmt  gewordene  historiker 
Fr.  Ch.  Schlosser  ab,  eine  sehr  bedeutende  neuerwerbung,  die  gleichfalls  Wilken 
verschaffte '. 

Grössere  Stetigkeit  kommt  in  die  redaktion  erst  mit  dem  jähre  1811.  Von  da 
an  bis  ende  1816  hatte  das  triuravirat  Thibaut,  Fries  und  Wilken  die  leitung  der 
jetzt  nicht  mehr  iu  einzelne  abteilungen  zerfallenden  Jahrbücher  inne,  und  zwar  fiel 
die  sorge  für  die  literarische  gruppe  (philologie,  geschichte,  literatur,  kunst)  jetzt 
hauptsächlich  dem  letztgenannten  zu.  Unter  diesem  regime  wurde  die  romantische 
parte!  noch  mehr  zurückgedrängt,  dafür  deren  schärfste  gegner  zur  mitarbeit  heran- 
gezogen: so  der  jüngere  Voss,  den  nicht  bloss  Creuzer,  sondern  auch  noch  Boeckh 
von  den  Jahrbüchern  ferngehalten  hatte,  so  der  rationalistische  theologe  Paulus, 
der  jetzt  auch  literarische  werke,  wie  Z.  Werners  'Weihe  der  unkraft'  und  die 
patriotische  dichtung  der  befreiungskriege  besprach.  Aber  der  anschlag  von  Thibaut 
und  Fries,  sich  im  literarischen  fach  aller  romantisch  gerichteten  mitarbeiter  zu 
entledigen,  scheiterte  an  dem  widerstände  Wilkens,  der  sich  nicht  nur  um  die 
brüder  Schlegel  eifrig  bemühte,  sondern  auch  Görres  und  Arnim  neuerlich  an  die 
Zeitung  fesselte.  Wilken,  der  von  anbeginn  den  Standpunkt  Boeckhs  festhielt,  konnte 
seine  redaktionspolitik  um  so  entschiedener  durchführen,  als  auch  Thibaut  von  seiner 
romantikfeindschaft  allmählich  abkam  und  sich  mit  der  zeit  eher  in  einen  gegner 
der  rationalistischen  partei  umwandelte-.  Der  stab  der  mitarbeiter  erlitt  auch  unter 
dem  triumvirat  keine  wesentlichen  Veränderungen,  er  geht  im  grossen  ganzen  noch 
immer  auf  Creuzers  anknüpfungen  zurück.  Der  durchschnittliche  wert  der  rezen- 
sioneu  freilich  war  im  vergleich  mit  der  ära  Boeckh  oder  gar  der  ('reuzerschen 
redaktionszeit  in  den  jähren  des  triumvirats  entschieden  zurückgegangen.  Die  giiten 
beitrage  waren  gegenüber  der  menge  mittelmässigcr  und  minderwertiger  schon  stark 
in  der  minderheit,  ihre  absolute  zahl  aber  noch  stattlich  genug.  Da  wären  rühmlich 
zu  erwähnen:  die  besprechuug  von  Goethes  'Dichtung  und  Wahrheit'  durch  den 
hinter  der  chilfre  J.  M.  0.  sich  verbergenden  Frankfurter  stadtgerichtsrat  J.  F.  v.  Meyer, 
die  vortreffliche  rezension  der  Hoifmannschen  'Fantasiestücke',  deren  Verfasser  viel- 
leicht F.  G.  Wetzel  sein  mag,  K.  Abekens  anzeige  von  Gries'  Calderonübersetzung, 
Windischmanns  wertvolle  und  umfangreiche  Würdigung  von  Herders  'Sämtlichen 
werken',  maler  Müllers  rezension  von  Bossis  schritt  'Del  cenacolo  di  Lionardo  da 
Vinci'.  Als  neue  note  bringen  Paulus  u.  a.  den  politisch-liberalen  gedanken  in  die 
Zeitschrift,  der  eben  damals  um  sich  zu  greifen  begann.  Der  klassischen  philologie 
konnte  sich  der  jüngere  Voss  jetzt  vollständig  bemächtigen,  und  mit  einem  epilog 
zu  einer  rezension  des  sohnes  stellte  sich  im  jähre  1816  auch  der  alte  Voss  zum 
ersten  und  einzigen  mal  als  mitarbeiter  ein.  Übertreffen  die  Jahrbücher  die  andern 
literaturzeitungen  jetzt  nicht  mehr,  so  sind  sie  doch  auch  nicht  schlechter  als  jene. 
Die  zeitgenössische  dichtung,  der  Creuzer  einst  innerhalb  des  blattes  vielen  und 
bevorzugten  platz  eingeräumt  hatte,  wird  in  den  hintergrund  gedrängt,  die  wichtigsten 

1)  Aus  einem  ungedruckten  briefe  Raumers  an  professor  Wilken  in  Berlin, 
Breslau  1.  juli  1818  (original  iu  der  Wiener  hofbibliothek)  merke  ich  den  satz  an: 
tuach  Heidelberg  wage  ich  mich  nicht  [sc.  mit  einer  rezension  von  Wilkens  'Ge- 
schichte der  kreuzzüge']  aus  Besorgniss,  Schlosser  möge  meine  Ansichten  misbilligen'; 
vgl.  dazu  Kloss  s.  442. 

2)  Ich  hege  starke  zweifei,  ob  Thibauts  Stellung  zur  romantik  von  Kloss 
richtig  erfasst  ist.  Der  berühmte  Jurist  begegnete  sich  mit  der  'neuen  schule' 
doch  in  manchen  punkten,  besonders  in  seiner  bis  ins  späte  alter  bewährten  Vorliebe 
für  alte  kirchenmusik. 


ÜBER   KLOSS,   DrK    riEIDELBEUrUSCUEN    JAHUBl M'HER    DEK    T-lTRUATTÜt  129 

aeuheiten  bleiben  imbesprochen.  Um  so  bedeutender  wird  die  rolle,  die  dank  der 
eifrigen  beihilfe  der  brüder  Grimm  jetzt  der  deutschen  philologie  zufällt.  Im  all- 
gemeinen galt  das  Interesse  des  publikums,  das  die  Jahrbücher  noch  immer  fesselten, 
in  dieser  zeit  schon  weniger  den  literarischen,  als  vielmehr  den  juristischen  rezen- 
sionen,  in  denen  sich  ein  teil  des  berühmten  Streites  zwischen  Thibaut  und  Savigny 
abspielte,  sowie  den  politischen  und  theologischen. 

Hier  bricht  die  Untersuchung  ab;  der  Verfasser  lässt  den  leser  stehen,  ohne 
ihm  ein  wort  über  die  fernere  geschichte  der  Jahrbücher  zu  sagen.  Warum  er  seine 
erzählung  nur  bis  zum  jähre  1816  geführt  hat,  darüber  lässt  er  nirgends  etwas  ver- 
lauten. Verständiger  wäre  es  gewesen,  das  jähr  1818  zur  grenze  zu  nehmen,  weil 
damals  die  Jahrbücher  vollständig  in  die  gewalt  der  rationalistischen  partei  gerieten. 
Der  Jahrgang  1817  hätte  schon  um  seines  leiters  Hegel  willen  die  einbeziehung  so 
verdient  wie  gelohnt.  Und  noch  ein  anderer  umstand  spricht  für  die  spätere  grenz- 
setzung:  im  selben  jähr  1818,  in  dem  die  Heidelberger  Jahrbücher  für  die  romantik 
endgiltig  verloren  gehen,  beginnt  ein  neues,  gross  angelegtes  und  sehr  romantik- 
freundliches organ  zu  erscheinen:  die  von  M.  v.  Collin  geleiteten  Wiener  'Jahrbücher 
der  literatur',  die  rasch  das  hohe  ansehen  erwerben,  das  einst  die  Heidelberger  Zeit- 
schrift genossen  hatte  '.  Mehr  als  um  die  rechtfertigung  seines  willkürlichen  terminus 
ad  quem  ist  Kloss  bemüht,  die  beschränkung  der  studie  auf  die  literarische  abteilung 
der  Jahrbücher,  die  völlige  ausserachtlassung  der  übrigen  fachgruppen  zu  erklären. 
Die  mühe  ist  verloren,  denn  das  ist  abermals  nicht  zu  rechtfertigende  willkür.  Un- 
l)egreiflich,  dass  Kloss  nicht  wenigstens  die  theologisch-philosophische  abteilung, 
die  durch  real-  und  Personalunion  mannigfacher  art  mit  der  historisch-philologischen 
gruppe  im  innigsten  verbände  steht,  in  den  kreis  seiner  betrachtung  zu  ziehen  für 
nötig  fand.  Aber  nicht  minder  hätte,  angesichts  der  eminent  politischen  bedeutung 
der  romantik  und  auch  weil  sie  den  grössten  äusseren  erfolg  hatte  (ihr  erster  Jahr- 
gang musste  zweimal  aufgelegt  werden),  die  juristisch-staatswissenschaftliche  ab- 
teilung, nähere  Untersuchung  erfordert. 

Tiefere  probleme  als  die  so  ganz  äusserliche,  aktenmässig  lösbare  frage  nach 
den  mitarbeitern  und  der  autorschaft  der  einzelnen  beitrage  hat  der  Verfasser  leider 
nicht  erörtert.  Recht  flüchtig  streift  er  au  dem  wichtigen  und  interessanten  thema 
vorbei,  inwiefern  die  Heidelberger  Jahrbücher  das  programm  der  Einsiedlerzeitung 
fortgeführt  oder  gar  erfüllt  haben.  Und  noch  weniger  ist  es  ihm  beigefallen, 
diese  Jahrbücher  neben  den  grosszügigen  plan  der  Jenaer  romantiker,  A.  W.  Schlegels 
und  Fichtes  vor  allem,  zu  halten,  die  eine  noch  gründlichere  reform  der  literatur- 
zeitungen  bezweckten;  was  Jiloss  in  einer  anmerkuug  (s.  274)  darüber  notiert,  ist 
unzulänglich  und  lässt  die  kenntnis  wichtiger  literatur  vermissen.  Wohl  spricht 
der  Verfasser  im  Vorwort  von  der  notwendigen  aufgäbe,  'die  äusserungen  der  übrigen 
damaligen  Zeitschriften  ebenfalls  eingehend  zu  berücksichtigen,  um  aus  ihnen  fest- 
zustellen, worauf  die  eigentümliche  bedeutung  der  einzelnen  aufsätze  der  Jahrbücher 
und  damit  der  Zeitschrift  im  ganzen  beruhte' ;  aber  die  ausführung  dieses  Vorsatzes 

1)  Unschlüssig,  wohin  er  eine  fertiggestellte  rezension  zum  abdruck  geben 
soll,  schreibt  Görres  am  4.  Januar  1824  (Gesammelte  briefe  HI,  s.  128) :  'ich  denke 
die  anzeige  in  die  Wiener  Jahrbücher  zu  geben,  weil  die  Heidelberger  ein  winkel- 
journal  geworden'.  —  Möchte  doch  bald  jemand  mit  dem  gleichen  fleisse,  den  Kloss 
an  seine  aufgäbe  gewendet  hat,  aber  mit  mehr  geschick  und  methode  der  grossen 
Wiener  rezensieranstalt  sich  zuwenden,  um  ihre  bedeutsame  geschichte  zu  schreiben; 
meine  einschlägigen  notizen  und  hinweise  auf  mancherlei  ungedrucktes  material 
sollen  ihm  gern  zur  Verfügung  stehen. 

ZETTSCHTITFT   F.  BP.rTSCnE  PHILOLOGIE.      BD.  XLTX.  9 


130  KÖTiNKl! 

habe  ich  in  dem  buche  vergebens  gesucht.  Allerdings  hat  Kloss  auch  einige  andere 
Zeitungen  der  von  ihm  behandelten  epoche  durchgesehen  ',  aber  leider  nur  die  urteile 
verglichen,  nicht  die  art  der  Verhandlung  und  die  Urteilsbegründung.  So  musste  er 
das  beste  schuldig  bleiben ;  seine  Untersuchung-  erhebt  sich  nicht  über  die  wasser- 
gieiche  einer  sauberen  und  als  solcher  auch  dankenswerten  materialsammlung;  ein 
beitrag  zur  geschichte  des  romantischen  geistes  ist  das  buch  nicht  geworden.  Finger- 
zeige, welche  sich  für  die  forschuug  aus  den  von  Kloss  im  anhaug  bekanntge- 
machten neuen  dokumenten  erst  ergeben,  hat  er  selbst  gar  nicht  beachtet;  wenn  es 
z.  b.  in  der  gründuugsurkunde  vom  1.  Oktober  1807  heisst,  die  neue  zeitung  würde 
'besonders  auch  die  katholische  literatur  (von  Süddeutschland  namentlich)  und  fran- 
zösische werke'-  betreffen',  so  verpflichtet  das  den  bearbeiter,  nachzuprüfen,  ob  und 
in  welcher  weise  dieser  absieht  entsprochen  ward ;  Kloss  bleibt  kein  gedanke  ferner 
als  dieser. 

Ungern  setze  ich  meiner  anerkennung  des  von  Kloss  geleisteten  so  enge 
grenzen ;  denn  mit  seltenem,  wahre  hochachtung  forderndem  fleisse  ist  der  Verfasser 
ans  werk  gegangen,  dem  er  offensichtlich  mehrere  jähre  gewidmet  hat.  Das  buch 
trägt  die  Jahreszahl  1916,  wie  weit  jedoch  die  vorarbeiten  zurückgehen  mögen,  er- 
hellt aus  des  Verfassers  bemerkung,  dsss  das  in  den  einschlägigen,  1913  erschienenen 
Schriften  von  F.  Schneider  und  0.  Reichel  veröffentlichte  material  ihm  noch  hand- 
schriftlich vorgelegen^.  Archivalische  nachforschungen  hat  er  an  nicht  weniger  als 
acht  orten  gehalten  und  ein  paar  prachtstücke  von  den  funden,  die  ihm  glückten, 
dankenswerterweise  im  anhang  abgedruckte  Aber  ihm  mangelt  jegliches  talent, 
seine  schönen  funde  und  emsig  gesammelten  notizen  schriftstellerisch  zu  verarbeiten. 
Zunächst  hat  er  den  stoff  in  der  unglücklichsten  weise  disponiert.  Gegen  seine 
Zweiteilung   in   die   kapitel  'äussere'   und  'innere'  geschichte   der  Jahrbücher  liesse 

1)  Durchaus  nicht  alle:  die  'Oberdeutsche  literaturzeitung',  auf  die  R.  F.  Arnold 
in  seiner  'Allgemeinen  bücherkunde'  (Strassburg  1910)  hingewiesen  hat,  sollte  nicht 
mehr  übersehen  werden. 

2)  Baden  zählte  ja  zu  den  Napoleons  Protektorat  unterstellten  rheinbund- 
staaten. 

3)  Nach  1913  erschienene,  auf  seinen  gegenständ  bezügliche  literatur  kennt 
und  nennt  der  Verfasser  nicht;  es  fehlen:  J.  Körner,  A.  W.  Schlegel  und  sein 
Heidelberger  Verleger  (Zs.  f.  d.  österr.  gymn.  1914,  s.  673—694);  Briefwechsel  Schleier- 
machers  mit  Boeckh  und  Bekker  (Mitteilungen  aus  dem  literaturarchive  in  Berlin, 
n.  f.  XI;  1916);  HPB  1916,  11.  heft,  wo  sich  ein  verbesserter  abdruck  des  Görres- 
Zimmer-briefwechsels  findet;  vgl.  auch  noch  Creuzers  brief  an  .Jacobs  vom  19.  I.  1817 
im 'Zentralblatt  für  bibliothekweseu'  XXX  (1913),  s.  26  f.  So  ist  das  buch  in  den 
literaturangaben  schon  beim  erscheinen  zum  teil  veraltet;  doch  liegt  diese  schuld 
nicht  am  Verfasser,  sondern  an  den  widrigen  Zeitumständen,  die  eine  erhebliche 
Verzögerung  des  druckes  verursachten.  Seltsamerweise  ist  der  XVIII.,  1914  er- 
schienene band  der  'Neuen  Heidelberger  Jahrbücher'  im  literaturverzeichnis  und 
in  ungezählten  anmerkungen  als  Jahrgang  1913  zitiert. 

4)  Da  finden  sich,  auf  die  Jahrbücher  bezüglichen  akten  unerwähnt,  die  folgen- 
den briefe:  1.  J.H.Voss  an  Zimmer,  Heidelberg,  23.  Oktober  180H;  2.  Fr.  Schlegel 
an  Zimmer,  Wien,  28.  märz  1809;  3.  L.  Tieck  an  Zimmer,  Berlin,  8.  august  1814; 
4.  A.  W.  Schlegel  an  Zimmer,  Coppet,  7.  august  1809 ;  5.  und  6.  ergänzungen  zu 
'J.  G.  Zinmier  und  die  romantiker'  (Frankfurt  1888)  unvollständig  gedruckten  briefen 
Brentanos  und  Jean  Pauls  an  Zimmer;  7.  Creuzer  an  Boeckh,  Heidelberg,  1.  märz 
1807;  [8.  das  s.  180  abgedruckte,  ganz  bedeutungslose  brieflein  von  herr  und  frau 
Creuzer  an  Boeckh  wäre  besser  foitgeblieben ;]  9.  bruchstück  eines  briefes  von  Nauck 
an  Boeckh;  10.  bruchstücke  aus  briefen  Boeckhs  an  F.  A.  Wolf  1807—1810;  11.  und 
12.  zwei  briefe  Fouques  an  professor  Schwarz  in  Heidelberg,  Nennhausen,  19.  mai 
und  24.  november  1825. 


ÜBEi;    KI.OSS,    DIE    HKriiELl^EltCrsCIlEX    .TAnitr.l  ('HEU    DEl;    l.ri'EliATI  i;  131 

sich  ja  nichts  einwenden,  wenn  sie  nur  geschickter  und  mit  mehr  Überlegung  ge- 
troffen wäre ;  dann  hätte  sich  leicht  vermeiden  lassen,  was  jetzt  das  buch  ausser- 
ordentlich schädigt  und  seine  lektüre  wenig  vergnüglich  macht :  die  nahezu  methodisch 
durchgeführte  Wiederholung  des  nur  einmal  zu  sagenden  an  zwei  oder  gar  mehreren 
stellen.  Statt  in  dem  der  äusseren  geschichte  gewidmeten  ersten  kapitel  die  Zu- 
sammensetzung und  die  Veränderungen  der  redaktion  ein-  für  allemal  darzulegen, 
gibt  Kloss  darüber  an  diesem  orte  zunächst  eine  rasche  skizze,  um  in  dem  andern 
kapitel  entsprechend  dem  wandel  der  Schriftleiter  drei  Unterabteilungen  zu  treffen 
und  nun  sowohl  einmal  einleitend  vor  als  jeweils  in  denselben  über  die  redaktion 
zu  handeln:  so  steht  an  vier  stellen,  was  ohne  besondere  anstrengung  an  einer 
hätte  vereinigt  werden  können.  Aber  noch  ungeschickter  ist  es,  innerhalb  jener 
drei  Unterabteilungen  gar  eine  letzte  teilung  vorzunehmen  und  den  stoff  a)  nach 
den  mitarbeitern,  b)  nach  den  rezensionen  zu  ordnen.  Selbstredend  lässt  sich  von 
den  autoren  nichts  sagen,  ohne  ihrer  beitrage,  von  diesen  nichts,  ohne  ihrer  Verfasser 
zu  gedenken,  und  der  drohenden  gefahr,  zweimal  ein-  und  dasselbe  sagen  zu  müssen, 
entzieht  sich  der  Verfasser  zur  not  nur  dadurch,  dass  er  aufs  geratewohl  einen  teil 
seines  materials  unter  a),  den  andern  unter  b)  ablädt.  So  muss  sich  der  leser  müh- 
sam das  zusammengehörige  selber  erst  ausklauben.  .Ja,  die  unart  des  Verfassers 
geht  so  weit,  dass  er  oft  mitten  in  der  erzählung  eines  einheitlichen  Sachverhalts 
abbricht,  um  erst  viele  selten  später  damit  fortzufahren,  so  dass  der  leser  sich  ge- 
zwungen sieht,  immer  wieder  zurückzublättern,  ohne  dass  er  in  der  mühseligen 
arbeit  solchen  sucheus  durch  ein  brauchbar  eingerichtetes  register '  unterstützt  würde. 
Die  veränderte  anordnung,  in  der  diese  anzeige  den  Inhalt  des  buches  vorzuführen 
versucht  hat,  will  andeuten,  wie  es  besser  zu  machen"war.  Nun  bedient  sich  der 
Verfasser  bisweilen  zu  wenig  entschiedener  ausdrücke,  so  dass  man  nicht  selten  im 
zweifei  bleibt,  ob  dieser  oder  jener  beitrag  nur  beabsichtigt,  ob  er  auch  geschrieben 
und  gedruckt  worden  ist.  Und  da  die  fundsteilen  der  beitrage  unbegreiflicherweise 
in  der  grösseren  hälfte  des  buches  gar  nicht  augegeben  werden  (nur  der  letzte  teil 
des  buches  von  s.  108  ab  tut  dieser  selbstverständlichen  forderung  genüge),  ist  man 
genötigt,  die  betreffenden  Jahrgänge  der  Zeitschrift  selbst  zu  rate  zu  ziehen.  Eichtet 
nicht  das  allein  schon  eine  Untersuchung,  die  doch  in  erster  linie  ein  repertorium 
der  Zeitschrift  zu  geben  hatte?  Wohin  man  den  blick  richtet,  überall  vermisst  man 
etwas  abschliessendes,  endgiltiges,  fertiges,  jene  gewisse  abgerundetheit,  durch  die 
sich  eben  ein  buch  von  einer  kollektaneensammlung  unterscheiden  muss.  Was  Kloss 
bietet,  sind  nur  beitrage  —  mitunter  sehr  wertvolle  -  zu  seinem  thema,  aber  durch- 
aus keine  bewältigung  desselben.  In  einer  Zeitschrift  nimmt  man  dergleichen  mit 
dank  hin,  eine  selbständige  Veröffentlichung  verlangt  strengere  beurteilung;  denn 
die  Wissenschaft,  mag  sie  durch  solche  bücher  auch  zunächst  gefördert  erscheinen, 
hat  davon  auf  die  dauer  manchen  schweren  nachteil.  Nach  Kloss'  unzulänglichem 
versuch  wird  so  bald  nicht  wieder  ein  gelehrter  die  Heidelbergischen  Jahrbücher  zum 
gegenständ  seiner  Studien  erwählen  -  und  so  bleibt  ein  wichtiges  thema  auf  lange 
hin  unerledigt. 

Aber  noch  einer  anderen  und  vielleicht  gerade  jetzt  zeitgemässen  betrachtung 
sei  hier  platz  vergönnt.  Die  weit  widerhallt  heute  von  dem  bösen  und  uns  so 
unsinnig   dünkenden   feindesgeschrei,    dass   die   Deutschen   barbaren   seien,    plumpe 

1)  Unverständlicherweise  ist  der  wichtige  anliang  nicht  ins  register  ein- 
bezogen. 

9* 


132  ,s,  ||1.,.SSKK  (-1-) 

gesellen,  denen  jeglicher  sinn  für  verfeinerte  kultur  abgehe.  Bieten  wir  so  törichtem 
geschwUt/  nidit  die  erwünschte  nahrung,  wenn  unsere  gelehrten  fortfahren,  die 
resultate  ihrer  forschnng,  unbekünniicrt  um  jegliche  ausdrucksform,  vorziilegcn,  wie 
es  sich  eben  trifft?  Glaubt  einer,  dass  man  in  Frankreich  ein  buch  drucken  Hesse, 
ehe  es  geschrieben  war?  Denn  nicht  nur  die  plane  anordnung  seines  Stoffes  lässt 
Kloss  vermissen,  er  hat  sich  auch  um  die  glätte  des  ausdrucks  nicht  im  geringsten 
bemüht.  'Die  jähre,  in  denen  die  ersten  Jahrgänge  der  Heidelbergischcn  Jahr- 
bücher der  literatur  erschienen'  so  setzt  seine  schritt  ein;  hat  er  kein  ohr  zu 
hören,  wie  misstüuend  dies  dreifache  Jahr  in  einer  einzigen  zeile  klingt?  Und  wie 
leicht  wäre  das  mit  einem  federzug  zu  bessern  gewesen ! 

Leicht  mag  mau  die  strenge  meines  urteils  ungereciitigkeit  schelten,  weil 
doch  der  Verfasser  sich  redlich  bemüht  und  unser  wissen  zweifellos  bereichert  hat. 
Das  erkenne  auch  ich  bereitwillig  an.  Aber  das  eben  finde  ich  tadelnswert,  dass 
Kloss,  der  alle,  der  ungewidinliche  Voraussetzungen  besass,  ein  treffliches  buch  zu 
schreiben,  nur  die  analecta  zu  einem  solchen  gibt.  Dies  unumwunden  auszusprechen, 
fühle  ich  mich  um  so  mehr  verpflichtet,  als  zurzeit  ein  lächerlicher  respekt  vor  dem 
'ungedruckteu'  in  unserer  Wissenschaft  sich  breitmacht,  der  mit  erschreckender 
deutlichkeit  zeigt,  wie  wenig  gedanken  über  sinu  und  aufgaben  der  literatur- 
gH'Schichte  ihre  adepten  sich  machon.  Eine  stattliche  reibe  namhafter  fachgenossen 
könnte  ich  aufzählen,  die  durcii  keine  andere  bemühung  zu  hohem  ansehen  gelangt 
sind,  als  dadurch,  dass  sie  den  unschwereu  und  nur  infolge  einer  art  geistigen 
trägheitsgesetzes  meist  unterlassenen  schritt  aus  den  büchersälen  in  die  archive 
taten.  Denen  blühten  ebenso  reiche  wie  leichte  erfolge,  denn  häufig  genug  wühlten 
sie  doch  nur  in  Schatzkammern,  die  für  jedermann  offenstanden.  Aber  auch  per- 
sönliche findigkeit  und  zufälliges  tinderglück,  so  sehr  sie  der  forschung  nützen, 
schaffen  doch  nur  die  Voraussetzung  für  eine  wissenschaftliche  arbeit,  nicht  diese 
selbst ;  eine  billige  einsieht,  die  dennoch  heute  vielen  zu  entschwinden  droht.  Die 
letztverstorbene  generatiou  bedeutender  literaturforscher  hat  sie  noch  besessen. 
Minor  sagte  in  kolleg  und  seminar  darüber  unverblümt  seine  meinung,  und  Erich 
Schmidt  schrieb  in  den  anmerkungen  seines  'Lessing'  (was  ich  aber  keineswegs 
wörtlicli  auf  Kloss  anwenden  möchte),  'dass,  wer  als  haudschriften-  und  bücherjäger 
eine  feine  spürnase  besitzt,  deshalb  doch  der  philologischen  elementc  völlig  bar 
sein  kann'. 

WIE.V.  .TOS.    KUKXEH. 


Jereuüas  (jotthelf  (Albert  Bitzius),  .Sämtliche  werke  in  24  bänden.    In  Verbindung 
mit  der  familie  Bitzius  herausgegeben  von  Eudolf  Hunziker  und  Hans  Bloesch. 
Zehnter  band,  bearbeitet   von  Gottfried    Bohnenblust :    Käthi    die   grossmutter, 
191(j.     Neunter  band,  bearbeitet  von  Rudolf  Hunziker:    Jakobs  des  handwerks- 
gesellen    Wanderungen    durch    die    Schweiz,     1917.      München,    Delphinverlag 
(Eugen  Rentsch)  550  und  64ü  s.     Je  m.  4.50;  gebunden  m.  6, —  bzw.  7,50. 
Seit   der   grossen   24bändigen  Berliner   ausgäbe    von  Jeremias  Gotthelfs  Ge- 
sammelten Schriften  aus  den  jähren  1855 — 1858,  deren  Wiederholung  von  1861  zum 
teil  blosse   titelauflage   ist,    hat    es    an    einer  vollständigen   Sammlung  von  Bitzius' 
werken  empfindlich  gemangelt,  da  die  verdienstliche  Berner  Volksausgabe  im  urtext, 
die  Ferdinand  Vetter  1898  in  angriff  genommen  hat,  leider  über  den  zehnten  band 


CUEK    JEKKMIAS    GOTTUKLl'  133 

nicht  hinausgelangt  ist.  Es  ist  das  um  so  auffallender,  als  Bitzius'  stern  unverkenn- 
bar in  starkem  aufsteigen  begriffen  ist.  Der  auch  sonst  um  Gotthelfs  neubelebung 
entschieden  verdiente  Adolf  Bartels  hat  1907  in  der  Hessischen  klassikerbibliothek 
einer  auswahl  von  fiinf  recht  stattlichen  Gotthelf-bäuden  unterk\inft  verschafft,  denen 
sich  drei  jähre  später  noch  ein  sechster  hat  anschliessen  dürfen.  Ua  jedoch  auch 
dieser  ausgäbe  eben  die  Vollständigkeit  wieder  abgeht  und  der  herausgeber  zudem 
von  textkritischen  bedenken  nicht  angekränkelt  ist  (eine  kritik  der  leider  recht 
schwerfälligen  und  unbeholfenen  vorrede  gehört  nicht  hierher),  so  war  es  ein  höchst 
dankenswertes  unternehmen  des  Delphiuverlags,  mit  seiner  grossen,  auf  24  bände 
berechneten  kritischen  ausgäbe  hervorzutreten,  die  höchst  erfreulicherweise  im  gegen- 
satz  zu  ähnlichen  Unternehmungen  auch  durch  den  weitkrieg  nur  auf  kurze  zeit 
unterbrochen  worden  ist,  wobei  ihr  der  umstand,  dass  der  mitarbeiterstab  sich  aus- 
schliesslich aus  schweizerischen  landsleuten  Gotthelfs  zusammensetzt  und  die  Schweiz 
vermutlich  auch  einen  grossen  teil  des  abnehmerkreises  stellt,  zugute  gekommen 
sein  dürfte.  Den  beiden  von  Hans  Bloesch  besorgten  bänden  7  ('Geld  und  geist') 
und  17  (Kleinere  erzählungen,  zweiter  teil)  von  1911  und  1912  sind  1916  und  1917 
die  beiden  oben  genannten  gefolgt.  Die  schöne  ausstattung  verdient  alles  lob,  aber 
auch  das  gereicht  dem  verlag  zur  ehre,  dass  er,  unbekümmert  um  devisenkurse, 
auch  in  seinen  neuesten  Prospekten,  die  —  ursprünglich  zugunsten  schweizerischer 
käufer  angesetzte  —  berechnung  von  4^/  m.  gleich  5  fr.  beibehält.  Verdienstlich 
und  einsichtig  ist  es,  dass  die  bände  auch  einzeln  abgegeben  werden. 

Auf  den  ersten  blick  könnte  es  aussehen,  als  sei  die  aufgäbe  Huuzikers  und 
Bohnenblusts  nicht  allzu  schwierig  gewesen.  Beide  herausgeber  sind  zu  dem  er- 
gebnis  gelangt,  dass  sowohl  die  Verbesserungen  von  druckfehlern  und  stilistischen 
Unklarheiten,  wie  auch  die  gelegentlichen  striche  in  der  Berliner  gesamtausgabe  der 
werke  nicht  mehr  auf  Bitzius  selbst  zurückgehen,  sondern  von  seinen  angehörigen, 
namentlich  seinem  Schwiegersohn,  dem  pfarrer  von  Rütte,  herrühren,  worüber  nach 
den  gründlichen  ausführungen  Hunzikers  in  seinem  apparat  auch  kein  zweifei  sein 
kann.  Für  die  'Käthi'  lag  ausserdem  noch  ein  ausgedehnter  handschriftlicher  ent- 
wurf  vor,  der  aber  textlich  mit  dem  druck  durchaus  nicht  immer  hand  in  band  geht, 
und  ausserdem  die  schätzbare  Vorarbeit  von  Vetters  ausgäbe,  während  derartiges 
für  den  'Jakob'  ganz  und  gar  mangelte.  Darüber,  dass  beiden  werken  die  erstdrucke 
zugrunde  zu  legen  seien,  konnte  also  gar  keine  frage  aufkommen,  und  bei  einer 
halbwegs  normalen  beschaffenheit  dieser  drucke  hätten  die  herausgeber  in  der  tat 
ihre  aufgäbe  spielend  lösen  können. 

Gerade  an  solcher  norpialität  mangelt  es  aber  den  gegebenen  texten  in  der 
allerempfindlichsten  weise.  Mit  gutem  recht  zwar  nennt  Hunziker  Gotthelf  einen 
meister  der  spräche,  und  treffend  hebt  er  hervor,  dass  das  künstlerische  wunder  der 
aprioristischen  Vermählung  von  Inhalt  und  form  sich  bei  ihm  mit  erstaunlicher 
leichtigkeit  vollziehe ;  ebensowenig  kann  und  will  er  aber  verschweigen,  dass  dem 
dichter  infolge  seiner  durchaus  ethischen,  nur  nebenher  ästhetischen  Weisung  der 
sinn  für  sprachliche  detailkultur  in  empfindlicher  weise  mangelt.  So  wenig  bei  ihm, 
trotz  der  erstaunlichen  Schnelligkeit  seines  Schattens,  meines  erachtens  von  einem 
eigentlichen  drauflosschreiben  die  rede  sein  kann:  gegenüber  demjenigen,  was  sich 
ihm  einmal  gestaltet  hat,  steht  er  unbekümmert  auf  dem  Pilatusstandpunkt:  was 
ich  geschrieben  habe,  das  habe  ich  geschrieben.  Wessen  er  sich  entledigt  hatte, 
das  galt  ihm  auch  als  erledigt;  sorgsame  durchsieht  lag  ihm  ganz  fern,  korrekturen- 
Icsen  war    ihm    ein    greuel,    und   rechnet  man  hinzu,    dass   seine  nicht  ganz  leicht 


134  S(  HLÖSSKK  (f) 

leserlichen  hamlschriften  zuui  übertluss  nocli  an  tleiitsclie  sctzer  gerieten  (der  'Jakob' 
ist  1846  47  in  Zwickau,  die  'Käthi'  ISi?  in  Berlin  gedruckt),  die  begreiflicherweis^e 
den  stark  eingesprengten  dialektischen  bestaudteilen  nicht  gewachsen  waren,  so  lässt 
sich  ungefähr  denken,  was  dabei  herauskommen  musste. 

Grundsätzlich  waren  daher  die  herausgeber  der  Berliner  'Schriften'  mit  ihren 
besserungsversuchen  ganz  auf  dem  rechten  wegc,  nur  dass  es  ihrer  arbeit  begreif- 
licherweise am  System  fehlte  und  sie  auch  bei  der  beurteiluug  der  verseilen  niclit 
selten  geirrt  haben.  Um  in  dieser  hinsieht  über  ihre  Vorgänger  hinauszukommen, 
haben  die  neuen  herausgeber  keinerlei  mühe  gescheut  und  eifrig  die  von  Gotthelf 
selbst  gern  gerühmte  treue  im  kleinen  bekundet.  Hunziker  hat  es  sich  sogar  nicht 
A'erdriessen  lassen,  die  bei  seiner  arbeit  gewonnenen  grundsätze  des  breiteren  dar- 
zulegen, und  wer  seine  einschlägigen  ausführungen  über  Wortwahl  und  Wortbildung, 
Üexiou  und  syntaktisch-stilistische  eigeuheiten  Gotthelfs  durchmustert,  wird  ihm 
willig  zuerkennen,  dass  er  damit  nicht  nur  seinen"  mitredaktoreu  taugliche  und 
kräftige  richtlinien  gegeben  hat,  sondern  auch,  trotz  seiner  Verwahrung  gegen  al!e 
weitergehenden  ansprüche,  wertvolle  beitrage  und  ansätze  zu  einer  Gotthelf-grammatik 
bietet.  Es  versteht  sich,  dass  die  striche  der  Berliner  ausgäbe  samt  und  sonders  wieder 
aufgemacht  worden  sind  ;  fortgefallen  ist  dagegen  im  'Jakob',  wie  mir  scheint,  mit  recht 
die  Verdeutschung  jedes  einzelnen  französischen  worts  und  selbst  der  kleinsten  fran- 
zösischen phrase,  und  auch  die  beschränkung  der  erklärung  von  dialektausdrücken 
im  text  habe  ich  nirgends  als  störend  empfunden.  Demjenigen,  der  etwa  bezweifeln 
sollte,  ob  die  herausgeber  auch  mit  der  regelung  vou  alinea  und  Interpunktion  das 
richtige  getroffen  haben,  empfehle  ich  einen  einblick  in  die  von  Bohuenblnst  ab- 
gedruckte urfassuug  der  'Käthi'.  Eher  Hesse  sich  fragen,  ob  die  eiuführung  der, 
jetzt  allerdings  fast  allgemein  bevorzugten  heutigen  rechtschreibung  ganz  einwand- 
frei sei,  da  schliesslich  Duden  so  wenig  anspruch  auf  ewigkeitswert  hat,  wie  der 
gebrauch  der  40er  jähre.  Da  indessen  auch  die  geuiessende  leserschaft  ihre  unbe- 
streitbaren rechte  hat,  so  bin  ich  geneigt,  mich  auch  hier  auf  die  seite  der  heraus- 
geber und  besonders  des  verlags  zu  stellen. 

Bei  dem,  was  des  weitereu  noch  zu  sagen  wäre,  mag  der  'Käthi',  als  dem 
bekannteren  werk,  vor  dem  eine  kleinigkeit  älteren  'Jakob'  der  vortritt  gelassen 
werden.  Einen  ganz  besonderen  wert  gewinnt  Bohnenblusts  ausgäbe  durch  den 
bereits  erwähnten,  zum  erstenmal  vollständig  und  mit  peinlichster  genauigkeit  ab- 
gedruckten älteren  text  des  romans  aus  dem  Gotthelf-archiv  der  Berner  Stadtbibliothek. 
Es  handelt  sich  dabei  weniger  um  einen  'entwurf,  als  um  einen  verhauenen  block: 
unzufrieden  mit  dem  erfolg  seiner  arbeit,  hat  der  dichter  sein  werk  auf  halbem 
wege  liegen  lassen  und  völlig  vou  neuem  zu  schreiben  begonnen.  Rein  gegenständ- 
lich ist  dabei  nicht  viel  anderes  herausgekommen,  nichtsdestoAveniger  ist  aber  ein 
vergleich  der  alten  mit  der  endgiltigen  fassung  für  das  Verständnis  Gotthelfs  und 
seines  Schaffens  ausserordentlich  lehrreich.  Vor  allem  ergibt  sich  dabei,  dass  dem 
dichter  trotz  aller  federfertigkeit  ungleich  mehr  besonnenheit  und  künstlerische 
Überlegung  zuzutrauen  ist,  als  man  gemeinhin  gelten  lassen  will.  Ein  paar  kräftige 
Umstellungen  grösserer  partien  verraten  unverkennbar  ein  klares  und  sicheres  ge- 
fühl  für  die  gesetze  künstlerischer  komposition ;  das  üppig  wuchernde  rankenwerk 
der  ersten  fassung  hat  Gotthelf  kräftig  beschnitten,  und  wo  umgekehrt  der  neue 
text  sich  als  erweiteruDg  des  alten  darstellt,  ist  auch  das  der  erzählung  beinahe 
durchgängig  zum  heil  ausgeschlagen.  Nur  einzelnes  mundartliche  und  derbere  ver- 
misst  man  in  der  neuen  gestalt  ungern.    Zu  rühmen  sind  auch  Bohnenblusts  sachliche 


ÜBER   JEREMIAS    GOTTHEI.F  135 

auiuerkuuyen,  die  keinerlei  auskuuft,  insbesondere  über  aiisfiilirungen  und  anspie- 
lungen  politischer  art,  schuldig  bleiben.  Als  sehr  angebracht  empfinde  ich  auch, 
hier  wie  bei  Hunziker,  den  sorgsamen  nachweis  sämtlicher,  bald  aus  Luther,  bald 
aus  Piscator  entnommener,  bald  ganz  frei  verwendeter  biblischer  zitate  und  anspie- 
lungen.  Demjenigen,  der  etwas  in  die  jähre  gekommen  ist,  mag  manches  davon 
überflüssig  erscheinen;  wer  aber  viel  mit  Studenten  zu  tun  hat,  weiss,  dass  das 
jüngere  geschlecht  der  belehrung  über  solche  dinge  dringend  bedarf,  da  bei  ihm 
eine  Unwissenheit  in  dieser  hinsieht  eingerissen  ist,  die  einen  ganz  schweren  bildungs- 
mangel  bedeutet.  Da  wir  damit  einmal  auf  dem  gebiet  der  theologie  angelaugt 
sind,  möchte  ich  mit  einigen  bemerkungen  nicbt  zurückhalten,  die  sich  mir  bei  der 
beschäftigung  mit  den  beiden  romanen  selbst  aufgedrängt  haben.  Bohnenblust  hat 
vor  kurzem  in  den  'Neuen  Jahrbüchern  für  das  klassische  altertum'  (band  XXXVII, 
s.  34S  ff.)  einen  gehaltvollen  aufsatz  über  den  wandel  der  Weltanschauung  in  der 
deutsch-schweizerischen  dichtung  veröffentlicht,  in  welchem  er,  nicht  als  erster,  für 
mich  aber  besonders  eindringlich,  auf  Gotthelfs  herkunft  vom  rationalisraus  hin- 
gewiesen hat.  Ich  linde  diese  auffassuug  ganz  besonders  bestätigt  durch  die  un- 
geheure rolle,  die  in  Gotthelfs  theologie  Gott  der  allmächtige  vater  und  weltenlenker 
spielt,  während  dem  söhn  ein  verhältnismässig  recht  bescheidener  räum  angewiesen 
bleibt.  Wo  aber  die  gestalt  des  sohnes  etwas  stärker  hervortritt,  wie  etwa  im 
'Jakob'  s.  217,  250,  410  f.,  458,  ist  er  genau  so  wenig  der  weise  lehrer  und  menschen- 
freund  des  rationalismus,  wie  andererseits  ein  inniges  persönliches  Verhältnis  zu 
ihm  aufkommt,  sondern  er  erscheint  durchaus  als  der  hohe  Vollstrecker  des  gött- 
lichen erlösungswerks.  Möglich,  dass  hinter  der  auffassung  beider  göttlicher  per- 
soneu  reformierte  denkweise  steht,  wenigstens  erinnere  ich  mich,  dass  sich  in  meiner 
reformierten  kindheitsunterweisung  das  bild  ziemlich  genau  so  ausnahm.  Noch 
stärker  nachgegangen  ist  mir  aus  Bohnenblusts  aufsatz  die  bemerkung:  'von  dem 
wert  der  belehrung  hat  Bitzius  einen  oft  kaum  fassbaren  begriff'.  Das  zeugt  erst 
recht  von  rationalistischem  einschlag  und  ist  zudem  buchstäblich  wahr.  Wie  steht 
es  aber  alsdann  mit  dem  Weltbild,  das  uns  der  dichter  gibt,  und  wie  um  seine  seit 
alters  hochgerühmte  Psychologie?  Der  volksschriftsteller  kommt  doch  gar  nicht 
daran  vorbei,  seine  lehren  in  lebendigen  beispieleu  zu  verkörpern,  und  unter  solchen 
Voraussetzungen  müssen  diesen  die  schwersten  gefahren  drohen.  Nun,  Gotthelf  ist 
diesen  gefahren  jedesfalls  nicht  erlegen,  und  den  grund  dafür  glaube  ich  darin  zu 
finden,  dass  seine  erstaunliche  lehrgläubigkeit  ein  kräftiges  gegengewicht  findet  in 
seinem  nicht  minder  bestimmten  glauben  an  die  beständigkeit  des  Charakters,  die 
bei  ihm  in  der  reformierten  prädestinationslehre  eine  starke  stütze  gefunden  haben 
mag.  Im  'Jakob'  (s.  12)  spricht  er  es  rund  aus,  dass  'sich  die  eigentliche  natur  des 
menschen  noch  viel  weniger  ändert,  als  die  sogenannte  weit'.  Infolgedessen  sind 
seine  Charaktere,  vermutlich  unbewusst,  von  vornherein  auf  die  Wirkung  der  lehre 
richtig  eingestellt:  der  Umbruch  des  Johannes  in  der  'Käthi'  ist  durchaus,  der  des 
titelhelden  im  'Jakob'  zum  wenigsten  in  allem  wesentlichen  überzeugend,  wie  ähn- 
liches übrigens  auch  von  den  verschiedenen  Wandlungen  des  pächters  Uli  und 
anderer  Gotthelfscher  gestalten  gilt.  Schliesslich  noch  eins:  die  reichlich  einge- 
streuten lehrhaft-satirischen  betrachtungen,  die  Gotthelf  auch  sonst  liebt,  haben  mich 
diesmal  ganz  besonders  lebhaft  an  den  pater  Abraham  a  Sancta  Clara  erinnert,  was 
übrigens  keinem  von  beiden  zur  uuehre  gereicht.  Die  erklärung  für  diese  Ver- 
wandtschaft liegt  ohne  zweifei  darin,  dass  der  wackere  kapuziuer  und  der  pfarrer 
von  Lützelflüh  kinder  eines  und  desselben  Stammes  waren. 


136  Sl'HLÖSSER  (f)    ÜBKK    JEKE>IIA.S   GOTrHELK 

Mit  dem  neudrnck  von  'Jakobs  Wanderungen'  maclit  Hunziker  ein  werk  be- 
tiuem  zugänglich,  das  ebenso,  wie  mir  selbst,  gewiss  auch  manchem  andern  bisher 
nur  vom  hörensagen  bekannt  gewesen  ist.  Und  zwar  sehr  unberechtigterweise, 
denn  auch  hier,  wo  Gotthelf  seine  gewohnte  bäuerliche  Sphäre  verlässt  und  sich  auf 
anderem  felde  versucht^  stellt  er  vollauf  seinen  mann.  Es  handelt  sich  um  die 
Schicksale  eines  deutschen  Wanderburschen  in  der  Schweiz  zur  zeit,  als  die  politischen 
und  religiösen  emanzipationsbestrebungen  des  jungen  Europa  im  schwang  standen 
und  sich  in  den  viel  berufenen  deutschen  handwerksvereinen  des  auslands  der 
kommunismus  zu  regen  begann.  Der  brave,  aber  noch  recht  unreife  titelheld  ver- 
fällt der  macht  dieser  verwirrenden  ideen  und  hat  schwere  mühe,  ihrer  herr  zu 
werden;  schliesslich  aber  kehrt  er,  der  nach  dem  zeugnis  seiner  trefflichen  gross- 
mutter  als  ein  esel  ausgezogen  ist,  als  gereifter  mann  wieder  heim.  Schon  der  zeit- 
und  kulturgeschichtliche  reiz  des  romans  ist  ganz  ausserordentlich,  das  leben  des 
handwerksgeselleu  innerhalb  und  ausserhalb  ihrer  Werkstätten  in  Stadt  und  laud 
wird  mit  erstaunlicher  Sicherheit  geschildert,  insonderheit  stellt  die  darstellung  des 
treibens  der  jungen  burschen  und  ihrer  mädchen  in  und  um  Bern  eine  runde 
meisterleistung  dar.  Gotthelfs  grosse  Charakterisierungskunst  feiert  einen  wahren 
triumph  in  der  Schilderung  der  verschiedenen  meister,  bei  denen  Jakob  arbeitet: 
jeder  ist  von  dem  anderen  völlig  verschieden  und  trägt  seine  fest  ausgeprägte 
Physiognomie.  Vor  allem  verdient  aber  die  intensität  bewunderung,  mit  der  sich 
Gotthelf  in  die  seele  seines  beiden  und  dessen  jeweilige  Stimmungen  versetzt,  die 
liebevolle  aufmerksamkeit,  mit  der  er  seine  ganz  allmähliche  Wandlung  begleitet. 
Nur  zweimal  hält  es  schwer,  ihm  zu  folgen.  Dagegen  zwar,  dass  eine  herzens- 
neigung  der  rückkehr  Jakobs  zum  glauben  das  Siegel  aufdrückt,  ist  um  so  weniger 
etwas  einzuwenden,  als  der  dichter  geschmack  genug  besitzt,  der  Werbung  seines 
beiden  den  erfolg  zu  versagen ;  recht  peinlich  wirkt  es  aber,  wenn  im  entscheiden- 
den augenhlick  das  wackere  landmädchen  zum  blossen  mundstück  des  theologischen 
Verfassers  wird,  uud  noch  fataler  ist  der  eindruck,  wenn  Gotthelf  der  nach  seiner 
auffassung  bestehenden  Verpflichtung  Jakobs,  nunmehr  die  von  ihm  verführte,  gut- 
artige, aber  schlunzige  und  untergeordnete  Käthi  zu  heiraten,  wohlweislich  dadurch 
ausweicht,  dass  er  das  mädchen  vorzeitig  unter  die  erde  bringt.  Wie  sicher  aber 
Gotthelf  in  allem  übrigen  seiner  sache  ist,  geht  schon  allein  daraus  hervor,  dass  er 
sich,  um  beziehungen  seiner  Schilderungen  auf  bestimmte  handwerksmeister  in  kleineren 
orten  vorzubeugen,  gestatten  kann,  das  bandwerk,  welches  Jakob  betreibt,  von  vorn 
bis  hinten  ungenannt  zu  lassen,  ohne  dass  man  das  geringste  vermisst.  Es  begreift 
sich,  dass  Gotthelf  bei  alledem  mit  bekannter  leidenschaftlichkeit  seine  politischen 
ideale  verficht,  aber  dieses  'polternde  geschiebe',  wie  Hunziker  sich  einmal  hübsch 
ausdrückt,  gehört  mit  zum  bergstrom,  und  man  möchte  es  auch  gar  nicht  vermissen. 

Die  vielseitigen  zeit-  und  ortsgeschichtlichen  beziehungen  des  'Jakob'  legen 
dem  erklärer  dieses  werkes  besonders  starke  pflichten  auf.  Ob  Hunziker  es  damit 
ernst  genug  genommen  hat,  mag  man  sich  selbst  sagen,  wenn  man  erfährt,  dass  er 
den  dank  für  geleistete  beihilfe  bei  seinen  anmerkungen  an  nicht  weniger  als 
37  stellen  richtet  und  zudem  noch  17  einschlägige  werke  als  benützt  verzeichnet. 
Der  erfolg  entspricht  aber  auch  den  bemühungen:  keine  politische  anspielung  bleibt 
unerklärt,  keine  örtlichkeit  wird  genannt,  von  der  wir  nicht  einen  begriff  gewinnen, 
und  selbst  über  das  verwickelte  raünzwesen  der  damaligen  Schweiz  erhalten  wir 
ebenso  gründliche  wie  dankenswerte  belebrung.  Überflüssig  habe  ich  trotz  dieser 
gewissenhaftigkeit  kein  wort  gefunden. 


MOSER  ÜBER  HOLMBERG,  ZUR  GESCHICHTE  DER  PKRIPHRASTISCHEN  VERBINDUNG      137 

Der  verstorbene  Eichard  M.  Meyer  ist  iu  seinem  buch  über  die  deutsche 
literatur  des  19.  Jahrhunderts  mit  Gotthelf  trotz  aller  hochachtung  vor  seinem 
können  ziemlich  scharf  ins  gericht  gegangen,  da  die  tendenz  sein  künstlertum  all- 
zusehr beeinträchtige.  Abgesehen  davon,  dass  Verständnis  des  volkstümlichen  über- 
haupt nicht  Meyers  stärke  gewesen  ist,  möchte  ich  für  mein  teil  meinen,  wenn 
jemand  sein  leben  an  lehrschriftstellerei  setzt  und  dabei  ohne  jeden  künstlerischen 
anspruch  die  weit  mit  dichterischen  leistungen  von  hervorragender  kraft  beschenkt, 
so  sollte  mau  ihm  nicht  seine  hauptabsicht  zum  Vorwurf  machen,  sondern  ihm  für 
das  darüber  hinaus  gebotene  warmen  dank  wissen.  -Meyers  gegen  Gotthelf  erhobene 
anschuldigung,  er  sei  orthodox  gewesen,  kann  ich  mir  kaum  anders  als  daraus  er- 
klären, dass  die  viel  gerühmte  belesenheit  des  betriebsamen  literarhistorikers  diesmal 
gründlich  versagt  hat,  und  was  Gotthelfs  'radikal  reaktionäre'  gesinnung  angeht,  so 
ist  mir  kein  fall  bekannt,  wo  er  sich  um  Wiederbelebung  überlebter  einrichtungen 
bemüht  hätte.  Ich  halte  es  demgegenüber  mit  Bohnenblust,  in  dessen  bereits  an- 
gezogenem aufsatz  sich  über  Gotthelfs  bestrebungeu  die  treffenden  worte  finden: 
'Dass  es  hier  (auf  politischem  und  religiösem  gebiet)  grosse  werte  zu  erhalten 
gab,  die  eine  tüchtige  vorweit  erobert  hatte,  und  die  kein  besinnungsloser  stürm 
vom  erdboden  wegfegen  durfte,  darin  hat  die  zukunft  dem  dichter  recht  gegeben', 
und  man  darf  noch  darüber  hinaus  getrost  behaupten,  dass  die  frage,  ob  die  grössere 
politische  einsieht  bei  Gotthelf  oder  bei  seinen  gegnern  zu  suchen  sei,  heute  noch 
viel  weniger  für  einseitig  entschieden  gelten  kann,  als  etwa  vor  20  jähren.  Gerade 
auch  Gotthelfs  kräftig  konservative  weltansicht  hat  an  seiner  beginnenden  neu- 
belebung  beträchtlichen  anteil. 

Dafür,  dass  sich  die  frisch  erwachte  freude  an  dem  tapferen  manne  und  ge- 
staltungskräftigen küustler  auch  unter  den  schaffenden  regt,  darf  ich  wohl,  ohne 
eine  untreue  zu  begehen,  das  briefliche  zeugnis  des  hervorragendsten  lebenden 
dichters  aus  alemannischem  blute,  Hermann  Burtes,  anrufen,  der  über  Gotthelf  urteilt: 
'Seine  'Schwarze  spinne'  ist  stärker  als  Kleistens  'Kohlhaas'.  So  wie  Eembrandt  in 
seinem  Amsterdam  die  ganze  weft,  sieht  Gotthelf  in  seinem  Berner  tal  alle,  aber 
auch  tatsächlich  alle  Verhältnisse  des  menschen  und  der  weit  und  stellt  sie  in 
seinem  mittel  dar.     Seine  bauern  sind  Shakespeares  könige  wert.' 

Der  so  verheissungsvoll  begonnenen  ausgäbe  ist  herzlich  alles  gute  zu  wün- 
schen. Sie  wird  uns  noch  vieles  neue  und  wertvolle  zu  bieten  haben;  namentlich 
dem  noch  für  1917  versprochenen,  bisher  unbekannten  zweibändigen  roman  'Herr 
Esau'  darf  man  mit  Spannung  entgegeusehen. 

JENA.  RUDOLF   .SCHLÖSSER   (f). 


Jolm  Holmberg,  Zur  g  e  s  c  h  i  c  h  t  e  der  p  e  r  i  p  h  r  a  s  t  i  s  c  h  e  n  Verbindung 
des  V e r b u m  s u b s t a n t i  v u m  mit  dem  p  a r  t i z i p i u m  p  r ä s e n  t i s  im 
kontinentalgermanischen.  Inauguraldissertation,  üppsala,  Almqvist&Wick- 
sells  buchdruckerei-a.-g.,  1916.    IX,  241  ss. 

Eine  dissertation?  fragt  mau  sich  gleich  beim  ersten  durchblättern  des  buches 
erstaunt  und  überzeugt  sich  nochmals  auf  dem  titelblatt.  Kaum  glaublich,  wenn 
man  sie  am  massstab  der  deutschen  promotionsschriften,  die  auf  dem  gebiet  der 
mhd.  und  vor  allem  frühnhd.  grammatik  seit  dem  letzten  vierteljahrhuudert  quanti- 
tativ zwar  erheblich,  ijualitativ  aber  —  vereinzelte  ausnahmen  abgerechnet  —  kaum 


188  MOSKl! 

ein  wacbstuiii  uufwciseu.  Das  vorliegende  werk  ist  eben  wieder  eine  von  jenen  aus- 
ländermonograpliien,  die  durch  die  namen  der  Schweden  Strömberg,  Nordström, 
Starck  und  des  Amerikaners  Luebke  im  letzten  dezeniiium  rühmlichst  bekannt  geworden 
sind  und  bei  denen  sich  offenbar  auch  weiterbin  die  schwediscben  universisäten  —  zu 
Upsala  und  (Jöteborg  wird  auch  lAind  in  hoffentlich  nicht  zu  ferner  zeit  mit  einer 
sehr  wünschenswerten  (und  nach  dem  mir  bekannt  gewordenen  kaum  minder  tüch- 
tigen) ergänzungsarbeit  zu  Strömberg  treten,  —  den  ersten  rang  zu  sichern  wünschen. 
So  erfreulich  das  objektiv  genommen  ist,  so  hat  es  aber  doch  auch  seine  in  der 
gegenwärtigen  trüben  zeit  doppelt  ernste  seitc,  die  als  symptomatisch  manchen  ge- 
danken  räum  gibt.  Die  äussern  Ursachen  für  die  beschämende  tatsache,  dass  die 
vorarbeiten  zu  einer  historischen  grammatik  des  nhd.  in  erster  linie  von  ausländem 
bestritten  M'erden,  ergeben  sich  schon  aus  Schneegans'  ebenso  freimütigen  wie  tref- 
fenden darlegungeifauf  dem  Frankfurter  neuphilologentag  von  1912  (siehe  Germ.- 
rom.  monatsschr.  4,  416).  Die  teilweise  davon  herrührenden  Innern  gründe  sind  in 
der  ungewöhnlichen  ausgereiftheit  dieser  fremden  darstellungen  gegenüber  den  ein- 
heimischen zu  suchen.  Das  sind  keine  kurz  nach  beginn  des  Universitätsbesuchs 
begonnenen  sechssemesterarbeiten :  im  vorliegenden  fall  hat  der  Verfasser  nach  seinen 
andeutungen  volle  vier  jähre  an  die  ausführung  des  themas  allein  gewendet.  (Die 
tiefern  gründe,  die  diese  im  unseligen  februar  1917  niedergeschriebenen  bemer- 
kungeu  —  über  ganz  ähnliche  beobachtungen  auf  literarhistorischem  gebiet  hat  sich 
inzwischen  A.  M.  Wagner  im  Literaturbl.  f.  germ.  und  roni.  phil.,  jahrg.  39  (1918), 
s.  169  f  sehr  offen  geäussert,  —  veranlassten,  haben  sich  unterdessen  in  der  grossen 
katastrophe  ausgewirkt;  heute  liegt  eine  besserung  auf  unabsehbare  zeit  zum 
grössten  teil  ausserhalb  des  bereichs  der  Wissenschaft.     Korr.-note.) 

Zum  Verständnis  des  in  dieser  arbeit  behandelten  Stoffes  ist  zunächst  über 
den  etwas  auffälligen  ausdruck  'kontinentalgermanisch'  im  titel,'  der,  als  erheblich 
zu  weit  gegriffen,  eine  falsche  Vorstellung  erweckt,  ein  wort  zu  sagen:  Zur  selb- 
ständigen darstellung  gelangt  nämlich  nur  das  kontinentaldeutsche,  d.  h.  das 
deutsche  im  weitern,  sprachwissenschaftlichen  sinn,  also  das  hd.,  ndd.  und  ndl.  (nicht 
etwa  auch  das  got.  und  fries.).  Aber  auch  zeitlich  ist  diese  auf  die  mhd.  und  frühnhd. 
zeit,  und  zwar  auch  auf  sie  bloss  in  gewissen  grenzen,  beschränkt,  denn  infolge  der 
ausschliesslichen  benützung  der  prosa  fällt  der  aufangstermin  in  der  hauptsache  erst 
an  die  wende  des  13./14.  Jahrhunderts,  während  der  endtermin  beim  hd.  schon  ins 
1.  viertel  des  16.  Jahrhunderts  (die  beginnende  zeit  Luthers,  ausser  bei  der  'weltlichen 
prosa':  Zimmerische  chron.)  und  nur  beim  ndl.  bis  gegen  die  mitte  des  17.  Jahr- 
hunderts gesetzt  ist  (die  angäbe  s.  IX  ist  also  etwas  ungenau). 

Über  das  —  wie  man  meinen  sollte,  nicht  gerade  hervorragend  wichtige  — 
thema  beziehungsweise  teile  desselben  sind  infolge  merkwürdiger  zufalle  speziell 
für  das  deutsche  im  letzten  Jahrzehnt  eine  ganze  auzahl  von  arbeiten  erschienen: 
fast  gleichzeitig  haben  die  ahd.  zeit  K.  Rick  (Bonner  diss.  1905)  und  K.  Meyer 
(Marb.  diss.  19U6)  behandelt,  dann  folgten  fürs  mhd.  (1'2./13.  jahrh.)  J.  Winkler 
(Hcidelb.  diss.  191'^),  für  dieses  und  das  frühnhd.  (bis  über  die  mitte  des  16.  jahrh.) 
A.W.  Aron  (Frankfurt  a.  M.  1914)  (vgl.  Zeitschr.  46,  481  f.),  und  den  wiederum  fast 
gleichzeitigen  beschluss  machte  J.  M.  Clark  (Heidelb.  diss.  1914),  der  den  ganzen  Zeit- 
raum darstellte,  dessen  ergebnisse  aber  von  den  vorigen  einzeluutersuchungen  schon 
so  ziemlich  überholt  waren.  Von  diesen  kannte  H.  bei  beginn  seiner  arbeit  nur  die 
beiden  übers  ahd.,  die  übrigen  erschienen  erst  während  derselben.  Gemeinsam  ist 
all  den  genannten  Untersuchungen,   dass  sie  einerseits  gleichzeitig  sein  und  irerdeu 


ÜüElt    110J.Ml!EK(;,    ZUR    UE«C11KHTE    DEK   I'EKII'HKASTISLIIEN    VEKUlNDUXc;       13U 

behandeln,  anderseits  —  mit  ;iusnahine  der  dürftigen  bemerkungen  der  letzten  über 
das  ands.-anfr.  und  mndd.  —  sich  aufs  hd,  beschränken.  H.s  buch  bedeutet  hierin 
also  nach  der  einen  richtuug  eine  einscbräukung,  nach  der  andern  dagegen  eine 
erhebliche  erweiterung,  so  dass,  rein  äusserlich  betrachtet,  vor  allem  die  ndl.  eyntax, 
wo  vorarbeiten  kaum  vorhanden,  einen  erheblichen  gewinn  zieht,  der  beim  ndd.  in- 
folge Stoffmangels  (wegen  der  festlegung  auf  die  prosa)  viel  geringer,  ja  überhaupt 
am  geringsten  ist. 

Was  diese  auslandsarbeiten  anfangs  angezogener  art  vor  allem  auszeichnet, 
ist  die  eben  aus  der  reifheit  hervorgehende  Stellungnahme  der  Verfasser  zum  problem. 
Das  zeigt  sich  wie  sonst  auch  hier  schon  betreffs  der  einschlägigen  facbliteratur 
nicht  allein  in  einer  gründlichen  Vertrautheit  mit  dem  ganzen  germanistischen  — 
im  vorliegenden  fall  zum  teil  sogar  auf  den  altsprachlichen  sich  erstreckenden  ~ 
apparat,  sondern  auch  der  oft  staunenswerten  bekauntschaft  mit  jedweder,  auch  der 
entlegensten,  auf  das  thema  bezüglichen  einzeluschrift  (manches,  wie  Crenshaws  diss. 
von  Baltimore,  war  mir  selbst  leider  nicht  zugänglich),  wo  die  Verfasser  entsprechen- 
der deutscher  arbeiten  diese  liäutig  neben  völliger  ignorierung  aller  eventuell  vor- 
handenen speziellen  vorarbeiten  auch  in  naivster  Unkenntnis  der  einfachsten  hilfs- 
bücher  in  angriff  nehmen.  Das  gleiche  gilt  auch  von  den  quellen,  die  mit  bewunderns- 
würdigem fleiss  und  Spürsinn  zusammengetragen  werden;  hiebei  ergibt  sich  aller- 
dings für  den  ausländer,  wie  schon  Strömberg  richtig  erkannte,  wenigstens  für  die 
spätere  zeit  (IG.  jahrli.  u.  ff.),  der  nachteil,  dass  ihm  meist  nur  ausgaben  von  hss. 
(Chroniken  usw.)  und  keine  originaldrucke  zugänglich  sind,  was  auch  für  diese  syn- 
taktische frage,  obschon  in  anderer  weise,  nicht  ganz  ohne  schaden  geblieben  ist. 
Aus  der  vorausgehenden  gründlichen  philologischen  durchbildung  geht  aber  nun  ganz 
besonders  das  innere  erfassen  der  gestellten  aufgäbe  hervor,  das  dann  vor  der  meist 
zu  spät  kommenden  erkenntnis,  diese  ganz  verkehrt  und  mit  ungenügenden  mittein 
unternommen  zu  haben,  bewahrt.  Dieses  tiefe  eindringen  in  das  problem  ist  aber 
der  grund,  warum  das  werk  H.s  trotz  der  Avährend  der  ausarbeitung  erschienenen 
Untersuchungen  nichts,  aber  auch  gar  nichts  von  seinem  eigenwert  einbüssen  konnte. 

Die  durchdachte  methode  geht  davon  aus,  dass  —  entgegen  Winkler  und 
Aron  —  eine  strenge  Scheidung  zwischen  prosa  und  poesie  auch  für  dieses  syntak- 
tische kapitel  vorzunehmen  und  die  erstere  in  den  mittelpunkt  zu  rücken  ist  —  eine 
forderung,  auf  deren  Wichtigkeit  ich  bei  den  beiden  andern  grammatischen  haupt- 
teileu  wiederholt  hingewiesen  habe  und  die  zweifelsohne  auch  für  die  syntax  volle 
bercchtigung  hat.  Wenn  indes  daraus  der  Verfasser  die  berechtigung  ableitet,  die 
lOsung  des  problems  ausschliesslich  auf  der  prosa  aufzubauen,  so  werden  sich 
dagegen,  wie  wir  unten  noch  sehen  werden,  allerdings  bedenken  erheben.  In  zweiter 
linie  wird  die  enge  beziehung  zum  lateinischen,  aus  der  sich  die  notwendige  trennung 
von  übersetzungs-  und  Originalliteratur  ergibt,  ins  gehörige  licht  gestellt.  Zur  er- 
reichung  dieses  Zweckes  scheut  der  Verfasser  nicht  vor  der  mühe  zurück,  eine 
grossenteils  auf  eigener  Sammlung  fussende  Untersuchung  sowohl  des  bibellateinischen 
und  -griechischen  (s.  69 — 74)  wie  des  Urkundenlateins  (passim  s.  149—72)  vorzu- 
nehmen, deren  ergebnisse  auch  für  die  mlat.  und  mgr.  grammatik  nicht  ohne  selb- 
ständigen wert  sein  dürften.  Auch  die  beschränkung  auf  das  verbum  sein,  deren 
begründung  (s.  IV  fussn.)  sich  noch  schärfer  herausarbeiten  Hesse,  verdient  volle  an- 
erkennuug.  Die  ungewöhnliche  subtilität  der  methode  zeigt  sich  dann  neben  diesen 
allgemeinen  gesichtspunkten  vor  allem  in  der  den  einleitenden  abschnitt  (s.  1  — 8) 
nm fassenden  speziellen  abgrcnzung  des  begriffs  'periphrastisch'. 


HO  .MOSER 

Der  erste  hauptteil  uiiu  bietet  in  drei  kapitelii  eine  kurze,  sich  in  der  haupt- 
Hache  auf  die  vorarbeiten  stützende  skizze  des  gebrauchs  der  Verbindung  in  den 
altgerm.  dialekten  (got.,  ahd.,  ae.  und  an.)  (s.  9—15)  nebst  dem  sich  daraus  ergeben- 
den resultat  über  deren  eutstehung  und  bedeutuug  in  diesen  (s.  16—26),  nochmals 
gesichtspunkte  methodischer  art  für  die  Untersuchung  des  engem  themas  (s.  28—30) 
und  eine  erörterung  über  das  innere  Verhältnis  der  partizipial-  und  infinitivform  zu- 
einander (s.  31—39)  (dass  dieses  in  erster  linie  ein  syntaktisches  und  erst  sekundär 
ein  formales  ist,  daran  halte  ich  auch  weiter  fest,  vgl.  Zeitschr.  46,  481  f.). 

Die  eigentliche  darstellung  aber  zerfällt  in  vier  weitere  hauptabschnitte,  die 
sich  nach  den  obigen  methodischen  richtlinien  als  'Bibelsprache',  'Sonstige  geistliche 
prosa',  'Urkundensprache'  und  'Sonstige  weltliche  prosa'  scheiden  und  also  alternierend 
die  unmittelbar  vom  lat.  abhängige  und  die  nicht  (beziehungsweise  nur  mittelbar) 
abhängige  prosa  behandeln.  Die  gruppierung  und  behandlung  des  quellenmaterials 
im  einzelnen  (so  die  Scheidung  nach  den  syntaktisch  differenzierten  Untergruppen, 
die  Sonderbehandlung  der  mystiker)  ist  durchaus  sachgemäss  und  verrät  ein  ungemein 
feines  syntaktisches  und  stilistisches  gefühl,  das  bei  einer  fremdsprache  doppelt  be- 
wundernswert ist.  Einen  gewissen  mangel  sehe  ich  in  dem  zu  frühen  zeitlichen 
abbruch  der  Untersuchung  bezüglich  des  hd. ;  besonders  vermisse  ich  hier  (abgesehen 
von  dem  ganz  allgemeinen  hinweis  s.  64)  ein  eingehen  auf  die  katholischen  (ausser 
dem  flüchtig  erwähnten  Emser  auch  Dietenberger  und  Eck)  und  die  reformierte 
(Zwingli)  bibelübersetzung  des  16.  Jahrhunderts.  Doch  findet  das  neben  dem  wohl 
äussern  umstand  des  quellenmangels  darin  eine  teilweise  rechtfertigung,  dass  H.  in 
er.ster  linie  die  entstehungs-  und  entwicklungsgeschichte  der  konstruktion,  nicht  deren 
Untergang  darzustellen  beabsichtigte  (vgl.  s.  IX).  Aufgefallen  ist  mir  von  nebensachen 
der  eigentümliche  gebrauch  des  ausdrucks  frühnhd.  (auch  frühnnl.)  (s.  53,  64,  117), 
worunter  H.  offenbar  (Geiler  wird  s.  116  zum  spätmhd.  gerechnet,  auch  sonst  ist  eine 
treunung  von  mhd.  und  uhd.  beziehungsweise  mnl.  und  nnl.  mit  der  grenze  1500 
durchgeführt,)  die  zeit  seit  dem  beginn  der  reformation  (auch  noch  das  17.  Jahr- 
hundert?) versteht;  diese  Verwendung  deckt  sich  also  weder  mit  der  Scherers  noch 
mit  der  in  letzter  zeit  mehrfach  von  Kluge-schülern  angewandten  (=  1450—1550), 
sie  ist  vielmehr  identisch  mit  dem,  was  ich  als  frühnhd.  im  engern  sinn  (15'20— 1620) 
bezeichnen  möchte  oder  was  Paul  im  absichtlichen  gegensatz  zu  Scherer  als  altnhd. 
(=  16.  und  17.  Jahrhundert)  auszuscheiden  pflegte  (jetzt  auch  in  seine  Deutsche 
gramm.  eingeführt).  Gegenüber  all  diesen  Sonderterminologien  ist  immer  wieder  her- 
vorzuheben, dass  sie,  besonders  wenn  man  sich  dabei  die  Scherersche  namengebung 
aneignet,  nur  unnötige  Verwirrung  stiften  und  dass  sie  zwar  alle  gegen  Scherers 
festlegung  vorgebrachten  einwände  mit  dieser  gemein  haben,  dagegen  gewisse  äussere 
und  innere  Vorzüge  jener  (worunter  natürlich  nicht  der  regelmässige  Wechsel  von 
männlichen  und  weiblichen  perioden  gehört,)  nicht  aufzuweisen  vermögen;  nachdem 
aber  erfreulicherweise  jetzt  wenigstens  allgemein  das  bedürfnis  einer  zwischenperiode 
anerkannt  wird,  wäre  eine  einigung  über  diesen  punkt  höchst  wünschenswert. 

Auf  eine  eigentliche  Zusammenfassung  des  aus  seiner  Untersuchung  gewonnenen 
gesamtresultats  hat  H.  verzichtet  und  dafür  nur  einige  'Schlussbemerkungen'  ange- 
fügt ;  das  ist  immerhin  zu  bedauern,  da  dem  jahrelang  mit  seiner  materie  beschäftigten 
Verfasser  gern  seine  gesamtauffassung  als  ganz  unzweideutig  erscheint,  wo  für  den 
leser  kleine  zweifei  über  diese  bestehen  bleiben  können.  Der  gedankeugang  des 
Verfassers  über  die  geschichte  der  periphrase  ist  meines  erachtens  in  den  allergröbsten 
Zügen    etwa   folgender:   Ihre   cntstehung  verdankt  die   konstruktion  lediglich  der 


i'l'.EK    irilI,MHER(:,   ZI'K    aESCIimilE    DKI;    I-KKII'HKASTISCIIKX    VKRIUNDUNf;       141 

mechanischen  Übersetzungstechnik  und  danach  vereinzelter  freier  nachbildung  der 
entsprechenden  lat.  (bezw.  griech.)  periphrase  im  ahd.  wie  parallel  damit  (aber  je- 
weils unabhängig)  in  den  übrigen  germ.  dialekten,  so  dass  sie  keineswegs  als  germ. 
sprachgut  zu  betrachten  ist,  und  zeigt  demgemäss  einen  syntaktisch  durchaus  in- 
differenten Charakter  (s.  16 — 26);  seit  frühmhd.  zeit  bilden  sich  im  anschluss  hieran 
ausätze  zu  einer  selbständigen  syntaktischen  Verwendung  (zur  kenn  Zeichnung  einer 
dauernden  —  besonders  nicht  determinierten  —  handlung)  heraus  (s.  96  f.)  und  diese 
nimmt  dann  im  klass.  und  spätem  mhd.  deutlichere  formen  an  (diese  entwicklungs- 
linie  wird  allerdings  in  der  fussn,  s.  V  und  in  den  sclilussbemerkungen  wieder  fast 
auf  ein  nichts  zurückgeschraubt) ;  im  verlauf  des  altern  frühnhd.  (besonders  im 
spätem  15.  Jahrhundert)  sinkt  sie  immer  mehr  zur  bedeutungslosen  Variation  der 
einfachen  verbalform  herab  (s.  221  f.)  und  verschwindet  seit  dem  beginn  des  16.  Jahr- 
hunderts bis  auf  letzte  reste  ganz  aus  dem  gebrauch  (s.  52  f.,  116  f.,  192);  das  ndd. 
und  ndl  machen  im  ganzen  dieselbe  entwicklung  durch,  nur  dass  sich  der  formelhafte 
gebrauch,  besonders  bei  letzterm,  bis  gegen  die  mitte  des  17.  Jahrhunderts  hält 
(s.  64:  ff.,  143,  192  f.).  Dazu  wäre  zu  sagen:  Die  entstehungsgeschichte  der  periphrase 
hat  viel  ansprechendes ;  da  freilich,  wie  der  Verfasser  selbst  betont  (s.  22),  die  ahd. 
und  überhaupt  die  altgerm.  literatur  fast  nur  Übersetzungsliteratur  ist,  so  ist  der 
beweis  ex  silentio  gegen  die  einheimische  existenz  dieser  oder  einer  zur  anknüpfung 
geeigneten  ähnlichen  konstruktion  zum  mindesten  nicht  zwingend,  was  jedoch  nicht 
schuld  des  Verfassers  ist.  Mehr  bedenken  habe  ich  gegen  die  (besonders  an  den 
beiden  erwähnten  stellen)  allzu  einschränkende  bewertung  für  die  folgezeit,  die  sich 
doch  offenbar  aus  der  alleinigen  zugruudlegung  der  prosa  ergab.  Das  poetische 
material  bei  Winkler  lässt  sich  aber  wohl  nicht  so  ohne  weiteres  mit  der  an  sich 
ja  zweifellos  richtigen  bemerkung  über  den  einfluss  von  metrum  und  reim  (s.  V,  fussn.) 
beiseite  schieben  und  wäre  wenigstens  eine  genauere  auseinandersetzung  mit  diesem 
nötig  gewesen ;  demgemäss  erscheint  mir  der  bedeutungscharakter  der  konstruktion 
doch  stärker  entwickelt,  als  H.  in  den  zusammenfassenden  abschnitten  —  mich  dünkt 
zum  teil  im  gegensatz  zu  seinem  eigenen  material,  das  zweifellos  den  ausschlag  dabei 
gibt  —  zugestehen  will.  Nicht  ganz  einwandfrei  dürfte  auch  die  darstellung  des 
spätem  Verlaufs,  bei  der  naturgemäss  das  Schwergewicht  auf  der  weltlichen  prosa 
ruht,  sein ;  denn  da  hierbei  dem  Verfasser  nur  'frühhumanistische  Übersetzungsprosa' 
aus  dem  ausgehenden  15.  Jahrhundert  und  Chroniken  des  15.  und  der  ersten  hälfte 
des  16.  Jahrhunderts  (etwas  besser  steht  es  bloss  mit  den  ndl.  texten)  zur  grundlage 
dienten  beziehungsweise  zugänglich  waren,  so  musste  die  abhängigkeit  vom  lat. 
(bezw,  der  Urkundensprache)  viel  stärker  hervortreten,  als  vermutlich  gerechtfertigt 
ist.  Auch  die  Schlussphase  der  konstruktion  im  16.  Jahrhundert  verschwimmt  da- 
durch sichtlich,  wie  sich  aus  den  angaben  bei  Aron  (allerdings  infolge  ähnlicher 
Ursachen  auch  nicht  mit  voller  deutlichkeit)  erkennen  lässt. 

Alles  in  allem:  die  arbeit  ist  besonders  nach  der  problematischen  seite  selten 
anregend  und  rauss  —  und  zwar  nicht  allein  für  den  anfänger  —  als  vorbildlich  be- 
zeichnet werden,  so  dass  kein  bearbeiter  ähnlich  gelagerter  syntaktischer  themen 
sie  ohne  vorheriges  Studium  vorliegenden  buches  in  angriff  nehmen  sollte. 

MÜNCHEN.  V.  MOSER. 


142        uF.rsciiKL  i"i!i:i;  (ii  ntiiki:,   ihk  sciii.ksisciik  voi-Ksi.iKDi'oRsciuNd 

Fritz  Günther,   Die  s  cli  les  i  scli  c  v  o  Ik.sl  ie  elf  orscli  ung.     (Wort  und  braucli. 

Volkskundliche   arbeiten,    lierausgegeben   von   l'heodor   Siebs   und   Max   Hipiie. 

13.  heft.  Breslau,  M.  &  H.  Marcus,  191G.)  (S),  292  s.  8  m. 
Der  Verfasser  hat  seine  arbeit  im  jähre  1912  für  die  Neig-ebaur-(Neugebauer-) 
Stiftung  eingereicht,  und  sie  ist  schon  damals  von  der  philosophischen  fakultät  der 
Breslauer  Universität  preisgekrönt  worden,  doch  hat  sich  der  druck  wesentlich  ver- 
zögert. Nachträge  bis  zum  erscheinen  sind  der  darstellung-  nocli  zugute  gekommen. 
Es  wird  zunächst  in  einer  einleituug  ein  kurzer  überblick  über  die  volksliedforsehuug 
bis  zu  Hoffmann-Richters  Schlesischen  Volksliedern  gegeben,  weiter  besprochen,  was 
in  der  provinz  vor  diesem  werke  für  das  Volkslied  geleistet  worden  ist.  Ausführ- 
lich schildert  Günther  sodann  das  fruchtbare  Jahrzehnt  von  1840  an,  in  dessen  mittel- 
punkt  die  leistungen  Hoffmanu-Kichters  imd  F.  A.  L.  Jacobs  stehen.  Angeschlossen 
wird  eine  Übersicht  der  beitrage  über  das  Volkslied  in  Zeitungen,  Zeitschriften  und 
büchern  bis  zum  jähre  1913.  Näher  berichtet  Günther  von  den  mitteiluugen  und 
Sammlungen  der  Schlesischen  gesellschaft  für  Volkskunde.  Bisher  ungedruckte  lieder 
und  unbekannte  fassuugen  bekannter  lieder  bieten  die  s.  114—179,  und  abgeschlossen 
wird  das  buch  durch  ein  alphabetisches  Verzeichnis  aller  schon  gedruckten  Volks- 
lieder aus  Schlesien.  Das  werk  soll  eine  einleitung  zu  einer  von  der  Schlesischen 
gesellschaft  für  Volkskunde  vorbereiteten  ausgäbe  der  schlesischen  Volkslieder  sein 
und  erfüllt  diesen  zweck.  Es  zeugt  von  ausgebreiteter  kenutnis  und  grosser  liebe 
zur  Sache;  die  form  ist  ansprechend.  Vernünftigerweise  legt  der  Verfasser  den  weiten 
begriff  des  Volksliedes  als  eines  allgemein  im  volke  gesungenen  liedes  zugrunde  (s.  1). 
Freilich  scheidet  er  später  (s.  79)  einmal  eclite  Volksdichtung  von  dem,  was  das  volk 
singt.  Wenn  s.  4  bemerkt  wird,  die  frühesten  mitteilungeu  über  Volkslieder  in  Schle- 
sien seien  lediglich  verböte,  so  hat  Günther  übersehen,  dass  wir  bereits  seit  dem 
jähre  1874  die  erwähnung  eines  schon  im  14.  Jahrhundert  aufgezeichneten  Volks- 
liedes kennen.  Palm  hebt  aus  einem  formelbuch  des  chorherrenstifts  zu  Sagan  (jezt 
in  der  kgi.  und  Universitätsbibliothek  zu  Breslau)  die  stelle  heraus:  Quid  est,  pater 
(lilecte,  qiiod  CHDi  tanto  gandio  phiries  cecinisti:  Dij  hw  hat  ei/nen  langen  zagel '  czwor 
her  ist  ir  lang?  .  .  .  Quid  est  hoc:  ze  hot  czwe  crome  hornir  vnd  eynen  wegten  gang? 
(J.  M.  W^agners  Archiv  für  die  geschichte  deutscher  spräche  I,  354.)  Gelegentlich 
hat  Günther. wie  auch  der  sagensammler  Kühuau  die  neigung,  über  die  grenzen 
seiirer  heimatprovinz  hinauszuscliweifen  und  sächsisch-oberlausitzisches  zu  bringen. 
Sehr  dankenswert  ist,  was  er  von  der  entstehungsgeschichte  der  Hoffraannschen 
Volkslieder  und  von  den  beziehungen  zu  Erk  sagt,  namentlich  auch,  was  er  von  dem 
katalogisierungsverfahren  der  Schlesischen  gesellschaft  berichtet.  Das  Verzeichnis  der 
in  Schlesien  am  häufigsten  gesungenen  lieder  s.  107  f.  kann  für  eine  dringend  nötige 
volksliedgeographie  von  grossem  nutzen  sein,  wenn  es  auch  nur  bedingte  giltig- 
keit  besitzt.  Günther  dürfte  bei  weiteren  nachforschungen  erkennen,  dass  nicht  alle 
die  als  ungedruckt  angegebenen  lieder,  deren  Wortlaut  er  bietet,  diese  ehre  ver- 
dienen. So  ist  zu  nr.  6  s.  121  Eg  hauet-  laß  mir  die  rößlein  stahn  Max  Meier,  Das 
liederbuch  Ludwig  Iselins.  Baseler  dissertation  1913,  s.  111  zu  vergleichen.  Die 
weidsprüche  nr.  11  auf  s.  125  finden  sich  in  den  Altdeutschen  wäldern  der  brüder 
(Iriram,  und  zwar  str.  1  im  3.  bd.  s.  139,  f.  170,  s.  144,  s.  194,  f.  191,  s.  144  und  s.  121  f.  47 
ganz  ähnlich,  ebenso  str.  2  im  gleichen  bände  s.  125,  f.  65  (vgl.  s.  137,  f.  162),  str.  3 
ebendaselbst  s.  138,  f.  169.  Zu  nr.  18  s.  135  ist  Dunger-Eeuschel,  Grössere  Volks- 
lieder aus  dem  Vogtlande  s.  234  und  anmerkung  zu  stelleu.  Nr.  19  s.  136  darf  als 
nachbildung  des  geistlichen  gesanges  Der  grimmig  tod  mit  sei>ieni  pfrif  fBnhrae,  Alt- 


XAriir.iciiTEx  143 

deutsches  liederbuch  m\  6i9)  gelten ;  nr.  34  entspricht  ungefähr  Dunger-Reuschel 
8.  234  und  anmerkung.  Über  das  Hed  s.  164  nr.  42  handelt  jetzt  mit  gewohnter 
gründlichkeit  Bolte,  Zeitschr.  des  Vereins  f.  Volkskunde  26  (1916),  178  ff.  Lehrreiche 
beitrage  zu  der  frage  nach  dem  zersingen  von  kunstliedern  (In  einem  kühlen  gründe, 
Es  zogen  drei  burschen  wohl  über  den  Rhein,  Am  brunuen  vor  dem  tore.  Ich  weiss 
nicht,  was  soll  es  bedeuten)  bieten  die  nr.  51—54  s.  177 — 179.  Endlich  wäre  die 
liste  der  gedruckten  schlesischen  Volkslieder  noch  zu  vervollständigen.  Den  meister 
/rollen  wir  ehren  steht  auch  bei  Drechsler,  Sitte,  brauch  usav.  I,  s.  60.  Ferner  ge- 
hörte in  dieses  Verzeichnis  das  lied:  Ich  irar  nachta  Bey  da  knachta  in  der  lieder- 
handschrift  dreier  unbekannter  Leipziger  Studenten  (1683—95)  bei  Blümml,  Zwei 
Leipziger  liederhandschrifteu  des  17.  Jahrhunderts  (Leipzig  1910  =  Teutonia  10.  heftj 
s.  83  f.  Es  fehlt  auch  Mei  siJinhf,  doas  verbrühte  l-ind  in  der  handschriftlichen  lieder- 
sammlung  eines  ungenannten  Schlesiers  ans  der  mitte. des  18.  Jahrhunderts  (Kopp, 
Deutsches  volks-  und  studentenlied  s.  285).  Wilibald  Walters  Sammlung  deutscher 
Volkslieder  bringt  die  bei  Günther  nicht  erwähnten  Nun  ivill  ich  euch  efiras  neues 
erz-y]ile>i  (unter  nr.  139)  und  So  ein  l-reuzfideler  brnder  (nr.  145).  Das  weihnachts- 
lied  0  f redet  über  freda  findet  sich  auch  schon  in  der  von  Kopp  besprochenen  haud- 
schrift  eines  unbekannten  Schlesiers  Deutsches  volks-  und  studentenlied  s.  285 ;  dort 
auf  s.  283  ist  eine  offenbar  schlesische  liedfassung:  Wenn  der  seif  ntenn  broitgma 
sah  angegeben.  Zu  Rauchfiess  sieh  Drechsler,  Sitte,  brauch  usw.  I,  s.  119.  Ver- 
gessen hat  Günther  noch  Spinnt,  kinder,  sjnnnt  (Kühnau,  Schlesische  sagen  II,  s.  57). 
Kann  das  bei  P^ntane  angeführte  lied  (Quitt  s.  87  f.): 

Schlesierland  !  Schlesierland  ! 

Du  bist  es,  iro  meine  wiege  stand 
als  Volkslied  in  anspruch  genommen  werden? 

DRESDEX.  •     KARL  REÜSCHEL. 


NACHRICHTEN. 


Die  Zeitschrift  betrauert  wiederum  den  tod  dreier  hochgeschätzter  mitarbeiter: 
am  31.  august  1919  verschied  zu  Mühlhausen  in  Thüringen  der  professor  am  dortigen 
gymnasium  dr.  Emil  Kettner  (geb.  zu  Magdeburg  am  16.  april  1855);  am  29.  Sep- 
tember 1920  der  ordentliclie  professor  an  der  Universität  Innsbruck,  hofrat  dr.  Josef 
Eduard  Wackerneil  (geb.  zu  Göflan  in  Tirol  am  22.  november  1850);  am 
30.  Oktober  1920  der  ordentliche  profi-ssor  an  der  Universität  Tübingen,  dr.  Hermann 
V.  Fischer  (geb.  zu  Stuttgart  am  12.  Oktober  1851),  dem  es  leider  nicht  vergönnt 
wurde,  sein  grosses  lebenswerk,  das  Schwäbische  Wörterbuch,  zu  vollenden.  Am 
2.  juni  1921  starb  zu  Leipzig  der  ausserordentliche  professor  dr.  Georg  Holz 
(geb.  24.  dezember  1763  zu  Chemnitz). 

Als  Ordinarien  wurden  berufen :  nach  Tübingen  (an  Fischers  stelle)  der 
ausserordentliche  professor  an  der  Universität  Berlin,  dr.  Hermann  Schneider; 
nach  Halle  (an  stelle  des  in  den  ruhestand  tretenden  geh.  reg.-rats  dr.  phil.  Strauch) 
der  ordentliche  professor  dr.  Georg  Baesecke  in  Königsberg,  und  (für  neuere 
deutsche  literatur)  der  ausserordentliche  professor  an  der  deutschen  Universität  Prag, 
dr.  F  e  r  d  i  n  a  u  d  Josef  Schneider;  nach  GreifsAvald  (für  neuere  deutsche  literatur 
und    für    nordisch)   der  ausserordentliche   professor  dr.  Paul  Merk  er  in  Leipzig; 


144  rKMiSAUFUABb:,    —    KICRrOHTHiUNOKN   zu    HAND   47 

nach  Marburg  (an  stelle  des  in  den  ruhestand  tretenden  geli.  i'eg.-rats  dr.  Fr.  Vogt) 
der  ordentliche  professor  dr.  Karl  Helm  in  Frankfurt;  nach  Königsberg  der  ordent- 
liche Professor  dr.  Rudolf  Unger  in  Zürich  (zuvor  in  Halle).  Das  in  Rostock 
neu  begründete  Ordinariat  für  niederdeutsche  spräche  und  literatur  wurde  dem 
Oberlehrer  dr.  Hermann  Teuchert  in  Berlin-Steglitz  übertragen.  Der  direktor 
der  Universitätsbibliothek  in  Tübingen,  dr,  Karl  Bohnenberger  wurde  zum 
ordentlichen  professor  der  deutschen  spräche  und  literatur  ernannt. 

Der  ordentliche  professor  dr.  Werner  Richter  (Greifswald)  wurde  zum 
ministerialrat  im  Berliner  ministerium  für  Wissenschaft,  kunst  und  Volksbildung 
ernannt. 

Der  geh.  hofrat  professor  dr.  Eduard  Sievers  in  Leipzig  wurde  zum 
auswärtigen  mitgliede  der  Göttinger  gesellschaft  der  Avissenschaften  ernannt. 

Es  habilitierten  sich  für  germanische  philologie:  in  Leipzig  der  ehemalige 
ordentliche  professor  in  Petersburg  dr.  Fedor  Braun,  in  Frankfurt  dr.  Karl 
Wesle,  in  Münster  dr.  Theodor  Baader,  in  Marburg  dr.  Kurt  Wagner,  in 
Hamburg  dr.  Julius  Schwietering,  in  Göttingen  dr.  Friedrich  Neu  mann; 
für  nordische  philologie  in  Marburg  dr.  Walt  her  Heinrich  Vogt. 

Die  53.  Versammlung  deutscher  p  h  i  1  o  I  o  g  e  n  und  Schulmänner 
wird  von  dienstag  den  27.  bis  freitag  den  30.  September  1921  in  Jena  stattfinden. 
Anmeldungen  von  vortragen  für  die  germanistische  Sektion  sind  an  den  obmann, 
geh.  hofrat  professor  dr.  V.  Michels  in  Jena  zu  richten. 


PREISAUFGABE  DER  KÖNIGLICHEN  DEUTSCHEN  GESELL- 
SCHAFT ZU  KÖNIGSBERG  L  PR. 

Die  Königliche  deutsche  gesellschaft  zu  Königsberg  i.  Pr.  schreibt  einen 
preis  von  500  mark  aus  für  die  beste  arbeit  über  das  thema  'Ostpreussische  eigen- 
tümlichkeiten  in  der  spräche  Zacharias  Werners'.  Die  arbeit  ist  unter  den  üblichen 
förmlichkeiten  bis  zum  18.  dezember  1921  au  den  Vorsitzenden  der  gesellschaft, 
herrn  professor  Baesecke,  Königsberg  i.  Pr.,  Hardenbergstrasse  11,  einzureichen. 
Die  Verkündigung  des  preisurteils  findet  am  13.  Januar  1922  statt.  Fall^  keine  der 
einlaufenden  arbeiten  den  an  sie  zu  stellenden  ansprüchen  genügt,  behält  sich  die 
gesellschaft  vor,  über  die  Verwendung  des  preises  zu  entscheiden. 


BERICHTIGUNGEN  ZU  BAND  47. 

Lies  s.  121  z.  15  worum  st.  warum ;  s.  125  z.  43  lediglich  st.  nicht  ledig- 
lich; 8.  373  z.  12  und  16  uuarth  st.  unarth;  ebda.  z.  21  entvengen  st.  entreugen; 
ebda.  z.  22  ontvengen  st.  ontrengen;  s.  374  z.  1  siekten  st.  ziehten;  ebda.  z.  11 
Volksaberglaube  st.  Volksglaube;  ebda.  z.  16  Höfler  489  st.  Höfler  409;  ebda.  z.  45 
antphangan  st.  antfangan;  s.  375  z.  9  uuarth  st.  unarth;  sancte  st.  sancta;  ebda. 
z.  26  und  29  rehe  st.  rähe ;  ebda.  z.  44  Groningen  st.  Göttingen. 


NEUE   ERSCHEINUNGEN     .  145 


NEUE  ERSCHEINUNGEN. 

Die  redaktion  ist  bemüht,   für  alle  zur  besprechung  geeigneten  werke  aus  dem  gebiete  der  german. 

Philologie  sachkundige  referenten  zu  gewinnen,  übernimmt  jedoch   keine  Verpflichtung,   xmverlangt 

eingesendete    bücher    zu    rezensieren.     Eine   znrücklieferung    der    r  e  z  en  s  i  o  n  s  -  e  x  e  m- 

plare   an    die   herren   Verleger    findet   unter   keinen  umständen  statt. 

Ämterbuch.  —  Das  Grosse  ämterbuch  des  Deutschen  ordens.  Mit  Unterstützung- 
des  Vereins  für  die  herstellung-  und  ausschmückung-  der  Marieuburg  hrg.  von 
Walther  Ziesemer.     Danzig,  A.  W.  Kafemann  1921.    XXIV,  992  s.  165  m. 

Arndt,  Ernst  Moritz.  —  Gülzow,  Erich,  Ernst  Moritz  Arndt  in  Schweden. 
Neue  beitrage  zum  Verständnis  seines  lebens  und  dichtens.  Greifswald,  L.  Bam- 
berg 1920.     28  s.  3,60  ra. 

—  Roethe,    Gust.,    Bismarck,     Arndt    und    die    deutsche    zukunft.      Greifswald, 

L.  Bamberg  1920.     24  s.  Sm. 

Catalogns  codicum  manu  scriptorura  bibliothecae  Monaceusis.  Tomi  V  pars  I  Codices 
germanicos  complectens.  Editio  altei'a.  [Auch  mit  dem  sondertitel :  Die  deut- 
schen pergamenthandschriften  nr.  1—200  der  Staatsbibliothek  in  München,  be- 
schrieben von  Erich  Petzet.]  München,  in  kommission  der  Palmschen  buch- 
handlung  1920.     XXI,  381  s. 

Claudias,  3Iattli.,  Ausgewählte  schritten,  hrg.  von  Gust.  Graeber.  [Deutsche 
lit.  werke  des  18.  und  19.  jahrh.,  hrg.  von  A.  Leitzmann  und  W.  0  ehlke.  2.] 
Halle,  Xiemeyer  1920.     XXXII,  156  s.  4,50  m. 

Dell'mour,  Hnmbert,  Altdeutsche  Sprachlehre  für  anfänger.  1.  teil:  Wortlehre. 
Leipzig  und  Wien,  Franz  Deuticke  1920.     43  s.  u.  7  taff.  7,50  m. 

Edda  Steuiunrtar.  —  Die  Edda.  Heldenlieder,  übertragen  von  Rud.  John  Gors- 
leben.     München-Pasing,  Verlag  Heimkehr  1920.     129  s.  10  m. 

—  Philip  Otts,  Bertha  S.,    The  eider    Edda    and    ancient    scaudinavian    drama. 

Cambridge  university  press  1920.     XI,  216  s. 
Fischart.  —  Mo« er,  Virgil,  Die  Strassburger  druckersprache  zur  zeit   Fischarts 

(1570—1590).      Grundlegung   zu    einer    Fischart-grammatik.      München,    Selbst- 
verlag 1920.     VIII,  176  s. 
Folkeviser.  —  Steenstrup,   .Jhs.,  L'origine  des  chansons  populaires  danoises  et 

leur  plus  ancienne  epoque.    [Det  kgl.  danske  vidensk.  selsk.  skrifter  1921.]  17  s. 
(nfeihels   werke,   hrg.  von  Wolfgang   Stammler.     Kritisch  durchgesehene   und 

erläuterte    ausgäbe.     Leipzig  und  Wien,  Bibliogr.  Institut  o.  j.  (1920).     3  bde. 

74  und  471,  444,  485  s.  mit  portr.  und  facs.  geb.  63  m. 
Gerstenbertf.   -   Wagner,   Alb.   Malte,   Heinr.  Wilh.   v.  Gerstenberg   und   der 

Sturm  und  drang,     1.  band.     Gerstenbergs  leben,  Schriften  und  persönlichkeit. 

Heidelberg,  Winter  1920.     VIII,  208  s.  10,50  m.  und  20  »/o  sort.-zuschl. 
Goethe.  —  Die  novellen  von  Goethe,  hrg.  von  Heinz  Amelung.   Essen,  W.  Girar- 

det  1920.    470  s.  geb.  24  m. 
-Berendsohn,    Walter    A.,    Der    neuentdeckte    'Joseph'    als    knabeudichtung 

Goethes.     Stilkritische  Untersuchungen.     Hamburg,  W.  Gente  1921.     32  s. 

—  Gose,  Hans,  Goethes   Werther.     [Bausteine  zur  gesch.  der  deutscheu  lit.,  hrg. 

von  Franz  Saran.     XVIIL]     Halle,  Xiemeyer  1921.    (VIII),  105  s.  12  m. 

—  Pinger,  W.  R.  R.  (f).  Laureuce    Sterne  and  Goethe.     [University  of  California 

publications  in  modern  philology,  vol.  X,  1.]  (IV),  65  s.     Berkeley  1920. 

—  Joseph.  Goethes  erste  grosse  Jugenddichtung  wieder  aufgefunden  und  zum  ersten 

ZEITSCHRIFT   F.  DEUTSCHE  PHILOLOGIÄ.      BD.   XLIX. 


146  NEUE    ERfSCHEINUNGEN 

male   hrg.  von   Paul   Piper.      HMiiibnrg.    W.  Geiite  1920.     XXX,  222  s.  uud 

6  facsim.  taft'.  geb. 
(Toette,   Rudolf,    Kulturgeschichte   der  urzeit  Geriuaniens,  des  Fraukenreiches  und 

Deutschlands  im  frühen  mittelalter  (bis  919  n.  Chr.).     Bonn  und  Leipzig,  Kurt 

Schroeder  1920.     374  s.  33  m. 
Grjpliius.  Audr.  —  Flemming,  Willi,  Andr.  Gr^'ßhius  und  die  bühne.     Halle, 

Niemeyer  1921.     XII,  450  s.  und  4  taff.  80  m. 
Hebbel.  —  Hallraann,   Georg,   Das    problem  der  individualität  bei  Fr.  Hebbel. 

[Beitr.  zur  ästhetik,  begr.  von  Th.  Lipps  und  E.  M.  Werner.    XVI.]  Leipzig, 

Leop.  Voss  1921.     (VIII),  74  s.  9  m. 
Heusler,  Andr.,  Altisländisches  elementarbuch.    [German.  bibliothek  I,  1,  3.]  2.  aufl., 

Heidelberg,  Winter  1921.     XII,  247  s.  21  m  (uud  10  «/n  sort.-zuschlag). 
Hofifmaiiu-Kra.ver,   E.,  Volkskundliche   bibliographie   für   das  jähr  1918.     Im  auf- 
trage  des   Verbandes   deutscher   vereine  für  Volkskunde  herausgegeben.     Berlin 

und  Leipzig,  W.  de  Gruyter  &  co.     XVII,  126  s.  20  m. 
Uofiuaunstbal.  —  ßerendsohn,   Walter,   A.,   Der  Impressionismus  Hofmanns- 
thals als  Zeiterscheinung.     Eine  stilkritische  Studie.    Hamburg,  W.  Gente  1920. 

(IV),  52  s.  3,60  m. 
Horu,    Willielm,    Sprachkörper    und     Sprachfunktion.       [Palaestra    135.]      Berlin, 

Mayer  &  Müller  1921.     VIII,  144  s.  18  m. 
Iimuei'iiiauu.  —  Maync,    Harry,    Immermaun.      Der   mann    und    sein    werk    im 

rahmen  der  zeit-  und  lit.-gesch.  München,  C.  H.  Beck  1921.  VII,  627  s.  geb.  60  m. 
Käiupf,    Robert,    Lautlehre    der    Reichenberger    mundart.     Reichenberg  (Böhmen). 

Verlag  des  Vereins  für  heimatkunde  des  Jeschkea-Isergaues.  1920.  (II),  37  s,  5  kr. 
KleLst,    Heinr.   v.  —  Corssen,    Meta,    Kleists    und    Shakespeares    dramatische 

spräche.     [Berl.  dissert.  1919.]  (VII),  75  s. 
Köster,    Albert,    Die    meistersingerbühne    des   16.  Jahrhunderts.     Ein  versuch  des 

Wiederaufbaus.     Halle,  Niemeyer  1921.     (VI),  111  s.  20  m. 
Leyen,  v.  d.,  Friedr.,   Deutsches   Sagenbuch.     I.  teil :  Die  götter  und  göttersagen 

der    Germanen.      Neue    bearbeitung.      München,    C.    H.  Becksche   Verlagsbuch- 
handlung 1920.     VIII,  273  s.  17  m. 
—  III.  teil:  Die  deutschen  sagen  des  mittelalters  von  Karl  Wehrhan.    2.  hälfte. 

IX,  253  s.  11  m. 
Liepe,    Wolfgang,   Elisabeth   von   Nassau— Saarbrücken.     Entstehung   und  anfange 

des   prosaromans   in   Deutschland.     Halle,  Niemeyer  1920.     XVI,  277  s.  24  m. 
Liliencron,    Detlev    v.  —  Maync,    Harry,    D.    v.    L.,    eine    Charakteristik   des 

dichters  und  seiner  dichtungen.    Berlin,  Schuster  &  Löffler  1920.    164  s.  8,75  m. 
Meutz,  Ferd.,  Deutsche  Ortsnamenkunde.   Leipzig,  Quelle  &  Meyer  1921.   115  s.  4  m. 
Meyer-Benfey,    Heinr.,    Mittelhochdeutsche   Übungsstücke.     2.  aufl.      Halle,    Nie- 
meyer 1921.     Vni,  183  s.  12  m. 
Mach,   Rudolf,    Deutsche   Stammeskunde.     3.  aufl.     [Sammlung   Göschen.]     Berlin 

und  Leipzig,  W.  de  Gruyter  &  co.     189  s.,  2  karten  und  2  tafeln. 
Neckel,  Gustav,  Die  Überlieferungen  vom  gotte  Balder  dargestellt  und  vergleichend 

untersucht.     Dortmund,  Ruhfus  1920.     VII,  265  s.  24  m. 
Neidhart.  -  Singer.   S.,   Neidhart-studien.     Tübingen,   J.  C.  B.  Mohr  1920.  (11), 

74  s.  10  m. 
Nibelungenlied.    -   Heusler,  Andr.,   Nibelungensage   und  Nibeluugenlied.     Die 

Stoffgeschichte  des  deutschen  heldenepos.     Dortmund,  Ruhfus  1921.     236  s. 


NEUE   ER.SCHEINUSGEN  147 

Paal,    Hermann,    Deutsche    graminatik.     V.  Woitbildungslehre.     Halle,    Niemeyer 

1920.     VI.  142  s.  9  m. 
Price,  Lawrence   Marsdeu,    Engiish-German  literary  influences.    Bibliography  and 

survey.     [University   of  California   publications    in  modern  philology,  vol.  IX.] 

(II),  616  s.     Berkeley  1919-20. 

Reis.  Hans,  Die  deutschen  muudarteu.  2.  aufl.  [Sammlung  Göscheu.]  Berlin  und 
Leipzig,  W.  de  Gruyter  &  co.  1920.     142  s.  4,20  m. 

Beutercrona,  Hans,  Svarabhakti  und  erleichteruugsvocal  im  altdeutschen  bis  ca. 
1250.     Heidelberg,  Winter  1920.     XXXIII.  199  s. 

Runen.  —  Rökstenen  last  och  tydd  af  Otto  von  Friesen.  Stockholm,  Jacob 
Bagges  söner  1920.     XII,  147  s.  und  4  tafeln.     4  °. 

—  Pipping,  Hugo,  Röksteusinskriften  ännu  en  gäug.    [Acta  societatis  scientiarum 

fennicae  XLIX,  3.]  Helsingfors  1921.     19  s.  4". 
Seidel  A.,  Sprachlaut  und  schrift.     Eine  allgemeine  einführuug  in  die  physiologie, 

biologie   und   geschichte    der  sprachlaute  und  der  schrift  nebst  vorschlagen  für 

eine    reform   der    rechtschreibuug   und   ein   allgemeines  linguistisches  aiphabet. 

[Bibl.   der   Sprachenkunde.     130.]     Wien   und   Leipzig,  A.  Hartleben  o.  j.  XII, 

178  s.  10  m.  und  20  "/o  teuerungszuschlag. 
Seiler.  Friedr.,  Das   deutsche   Sprichwort.     [Grundriss  der  deutschen  volksk.,  hrg. 

von  .lohn  Meier.     IL]     Strassburg.  Trübner  1918.     VIII,  77  s.  5  m. 

—  Die   entwicklung    der   deutschen   kultur   im   spiegel  des  deutschen  lehnworts.  IL 

Von  der  einführung  des  Christentums  bis  zum  beginn  der  neueren  zeit.  3.  ver- 
mehrte  und  verbesserte   aufläge.     Halle,  Waisenhaus  1921.     XII,  314  s.  36  m. 

Selmer,  Ernst  W.,  Sylterfriesische  Studien.  [Kristiania  Vidensk.  selsk.  skrifter 
IL  Hist.-til.  kl.  1921  nr.  1.]     Kristiania,  .J.  Dybwad  in  comm.  1921.  XII.  158  s. 

Seuse,  Heinrich.  —  Gebhard,  A..  Die  briefe  und  predigten  des  mystikers  H.  S. 
gen.  Suso  nach  ihren  weltlithen  motiven  und  dichterischen  formein  betrachtet. 
Ein  beitrag  zur  deutschen  literatur-  und  kulturgeschichte  des  14.  Jahrhunderts. 
Berlin  und  Leipzig,  W.  de  Gruyter  &  co.  1920.     XII.  272  s.  20  m. 

Starck,  Adolf  Taylor,  Der  Alraun.  Ein  beitrag  zur  pllanzensagenkunde.  [New 
York  university,  Oltendorfer  memorial  series  of  Germanic  monograplis.]  Bal- 
timore 1917.     VIII,  85  s. 

Syerris  sagra,  etter  cod.  A.  M.  327.  4"  utgjevi  av  den  Norske  bist,  kildeskrift- 
kommissiun  ved  Gustav  Indrebo.  Kristiania,  J.  Dybwad  in  comm.  1920. 
LXXIX,  214  s.  8  kr. 

Tacitus.  —  Norden,  Eduard.  Die  germanische  Urgeschichte  in  Tacitus  Germania. 
Leipzig,  Teubner  1920.     X,  505  s.  und  1  karte.    60  m. 

Tauler.  —  Vogt-Terhorst,  Antoinette,  Der  bildliche  ausdruck  in  den  predigten 
•Tob.  Taulers.  [Germanist,  abhandlungen.  hrg.  von  Fr.  Vogt.  51.]  Breslau, 
Marcus  1920.  (VI),  171  s.  16  m. 

Vischer,  Fr.  Th.  —  Glockner,  Herm.,  Fr.  Th.  Vischers  ästhetik  in  ihrem  Ver- 
hältnis zu  Hegels  Phänomenologie  des  geistes.  Ein  beitrag  zur  geschichte 
der  Hegeischen  gedankenweit.     Leipzig,  Leop.  Voss  1920.     VI,  74  s.  11,50  m. 

Weise.  Christian.  —  Schauer,  Hans,  Chr.  Weises  biblische  dramen.  Görlitz, 
Verlagsanstalt  Görl.  nachrichteu  1921.     X.  126  s.  und  1  portr.  24  m. 

Wernher  der  gartena»re.  —  Meier  Helmbrecht  aus  dem  mhd.  übertragen  von 
Fritz  Bergemaun.     Leipzig,  Inselverlag  o.  j.  80  s. 


148  NEUE   ERSCHEINUNGEN 

Wix,  Haus,  Surdieu  zur  westfälischen  dialektgeographie  im  südeu  des  Teutoburger 
waldes.  [Deutsche  dialektgeographie.  Berichte  und  Studien  über  G.  Wenkers 
Sprachatlas.  .  .  hrg.  von  Ferd.  Wrede.  IX.]  Marburg,  N.  G.  El  wert  1921. 
VIII,  182  s.  und  1  karte  25  m. 

Wulflla.  —  Jantzen,  Herrn.,  Gotische  Sprachdenkmäler  mit  grammatik,  Übersetzung 
und  erläuterungen.  5.  aufl.  [Sammlung  Göschen.]  Berlin  und  Leipzig,  W.  de 
Gruyter  &  co.  1920.     126  s.  4,20  m. 

—  Stamm -Heynes  Ulfilas  oder  die  uns  erhalteneu  denkmäler  der  gotischen 
spräche.  Text,  grammatik,  Wörterbuch.  Neu  herausgegeben  von  Ferdinand 
Wrede.  13.  und  14.  aufläge.  [Bibl.  der  ältesten  deutschen  lit.-denkmäler  I.] 
Paderborn,  Schöningh  1921.     XXIV,  495  s.  27  m. 


DIE  NOEDISCHE  UND  DEUTSCHE  HILDEBRANDSAGE. 

I. 

Zur  nutzbarmachung  der  nordischen  quellen  der  Hildebrandsage 
ist  noch  nicht  alles  getan,  was  sich  tun  lägst,  zumal  eine  der  drei 
quellen,  das  fseröische  Asmundlied  wegen  seiner  schweren  zugänglich- 
keit noch  kaum  benutzt  ist.  Es  findet  sich  unter  dem  titel  Snjölvs- 
kvaedi  in  der  ungedruckten  Sammlung fferöischer  tanzballaden  der  Dansk 
folkemindesamling  auf  der  kgl.  bibliothek  in  Kopenhagen  (Corpus  car- 
minum  fseroensium)  im  VIII.  und  IX.  band.  Eine  kurze  Inhaltsangabe 
der  hier  in  betracht  kommenden  teile  des  Snj-kv.  ist  jetzt  bei  Grüner- 
Nielsen,  Danske  Viser  fra  Adelsvisebeger  og  Flyveblade  1530-1630, 
bd.  IV,  183  f.  zu  finden.  Eine  flüchtige  und  das  wesentliche  über- 
sehende vergleichung  des  liedes  mit  der  saga  hat  Kölbing,  Germania 
XX  gegeben.  Olrik  in  seinen  Saxostudien  (Kilderne  til  Sakses  Old- 
historie  II  246)  und  Jantzen  in  seiner  Saxoübersetzung  (S.  379  a.  1) 
beschränken  sich  auf  eine  erwähnende  notiz.  Da  das  lied^  aber  von 
wesentlicher  bedeutung  ist,  wird  eine  neue  Untersuchung  des  gegen- 
seitigen Verhältnisses  der  drei  nordischen  quellen  nötig.  Diese  sind 
die  Äsmundar  saga  kappabana  (herausg.  von  Detter,  Zwei  Fornaldar- 
sögur,  Halle  1891),  Saxos  bericht  im  VII.  buch  und  das  Snjölvskvsedi 
(Corpus  carm.  fssr.  bd.  VIII-IX).  Die  herrschende  auffassung  über 
die  nord.  sagenquellen  (Vigfusson  Corp.  p.  b.  I,  130;  Detter,  Einl. 
XLIIIff.;  Finnur  Jonsson,  Lit.  bist.  II,  841;  Mogk,  Grundriss^  11,  839; 
Jirizcek,  Heldensage  286)  ist  die,  dass  die  erzählung  der  Asmundar- 
saga  ein  verderbter  abklatsch  der  deutschen  Hildebrandsage  sei.  Von 
forschem,  die  anderer  ansieht  sind,  hat  Kauffmann  (Das  Hildebrands- 
lied, Philologische  Studien,  Festschr.  für  Sievers  s.  124  flF.)  die  be- 
ziehungen  zwischen  nord.  sage  und  deutscher  sage  rundweg  geleugnet 
(s.  163  ff.)  und  die  gleichsetzung  Äsmund-Hadubrant  für  verfehlt  erklärt. 
Nicht  der  nord.  brudermord  steht  dem  deutschen  sohnesmord  parallel, 
sondern  im  nord.  text  stehen  brudermord  und  sohnesmord,  dieser 
allerdings  in  sehr  verkümmerter  gestalt,  unmittelbar  nebeneinander, 
und   nur   die   reste   der  letzteren  erzählung  kommen  zum  vergleich  in 

1)  Das  lied  ist  ein  Stoffkonglomerat,  dessen  entwirrung  zum  teil  in  meinem 
aufsatz  über  die  fseröischen  Dvörgamoylieder  (Arkiv  36,  207  ff.)  versucht  ist.  Ich 
behandle  hier  nur  die  einschlägigen  teile  des  liedes. 

ZEITSCHRIFT  F.  DEUTSCHE  PHILOLOGIE.     BD.  XLLX.  H 


150  H.   DK    BOOK 

betracht.  Zu  ihr  ist  auch  das  bedeutungsvolle  schwert  resp.  die 
Schwerter  zu  ziehen,  da  sie  in  dem  poetischen  schlusstück  der  saga 
eine  rolle  spielen.  Nach  dieser  seite  hin  baut  R.  C.  Boer  (Zur  dänischen 
heldensage  PBB.  22,  342  ff.)  weiter  aus;  seine  resultate  übernimmt 
Busse,  'Sagengeschichtliches  zum  Hildebrandsliede'  (PBB.  26,  1  flf.) 
s.  38  ff.  Auch  Boer  trennt  die  deutsche  und  die  nordische  Hildebrandsage 
völlig  voneinander  und  verneint  jeden  quellenmässigen  Zusammenhang. 
Bruderkampf  und  vater-sohnkampf  haben  nichts  miteinander  zu  tun. 
Er  geht  noch  über  Kauffmann  hinaus,  indem  er  die  Vermischung  beider 
Stoffe  rein  mechanisch  auffassen  will.  Durch  ein  reines,  auf  text- 
ähnlichkeit  beruhendes  versehen  eines  sagaschrei bers  sind  die  drei 
verszeilen  hineingekommen,  die  von  dem  tode  des  sohnes  handeln 
und  auf  einer  gänzlich  unabhängigen  dichtung  von  Hildebrand  beruhen, 
die  der  deutschen  sage  treu  entnommen  ist.  Von  dieser  textverderbnis 
aus  sind  alle  übrigen  hindeutungen  auf  die  Hildebrandsage  nachträg- 
lich ausgegangen.  Die  von  diesen  Zusätzen  gereinigte  nord.  erzählung 
hat  mit  der  deutschen  Hildebrandsage  nichts  mehr  zu  tun.  Von  den 
nord.  texten  ist  also  derjenige  der  relativ  bessere,  der  die  wenigsten 
einstreuungen  deutscher  züge  enthält,  und  das  ist  Saxo.  Insbesondere 
sind  auch  die  namen  bei  Saxo  in  der  besseren  form  bewahrt,  so  dass 
also  auch  Hildibrands  name  aus  der  nord.  erzählung  verschwindet  und 
durch  Hildigerus  ersetzt  werden  muss. 

Kauffmann  und  Boer  haben  zweifellos  richtig  gesehen,  dass  der 
tod  des  sohnes  durch  den  vater  ein  unorganischer  einschub  in  die 
nord.  erzählung  ist,  abrupt  und  ohne  sinn  eingefügt.  Es  bleibt  aber 
fraglich,  ob  man  mit  Boer  den  namen  Hildibraudr  aus  der  saga  hinaus- 
interpretieren darf,  ob  nicht  vielmehr  gerade  dieser  name  daran  schuld 
ist,  dass  die  deutsche  sohnesgeschichte  in  die  nord.  Hildebranderzählung 
eindringen  konnte.  Und  ferner  fragt  es  sich,  ob  nach  ausscheiden 
der  zweifellos  deutschen  bestandteile  nicht  doch  eine  erzählung  übrig- 
bleibt, die  zwar  nicht  quellenmässig  als  fortsetzung  der  deutschen 
sage  aufzufassen,  doch  mit  ihr  nicht  ausser  Zusammenhang  gesetzt 
werden  darf.  Dafür  ist  die  gewinnung  einer  möglichst  klaren  form 
der  nord.  erzählung  nötig,  zuförderst  eine  erneute  prüfung  der  von 
Boer  beantworteten  frage:  Saxo  oder  saga. 

I.  Das  Yerhältnis  Ton  Saxo  und  saga. 

Boers  bewertung  von  Saxos  bericht  als  dem  zuverlässigeren  be- 
ruht auf  dem  grundsatz:  Je  weniger  deutsch,  desto  ursprünglicher. 
Dieser   grundsatz  wäre   unanfechtbar,  wenn    Saxo  von  deutschem  ein- 


DIE    XORDI8CHE   UND    DKUTSCHB   HILDEBRANDSAGE  151 

fluss   Überhaupt    frei   wäre.      Aber    Saxo    hat    auch    gerade    die    ver- 
hängnisvollen verszeilen,  die  von  Hildebrands   söhn  handeln ;   deutsche 
Hildebrandsage  ist  also  auch  hier  schon  eingedrungen.     Ich  setze  die 
oft  verglichenen  Zeilen  nochmals  nebeneinander: 
Saga:  Liggr  par  einn  svdsi       sonr  at  hg/di 
eptirerfingi,       er  ek  eign  gat, 
öviljandi       aldrs  synjadali. 
Säxo:  medioxima  nati 

Illita  conspicuo  species  ccelamine  constat, 
cui  manus  h(ec  cursum  meice  vitalis  ademit. 
Dnicus  hie  nobis  hceres  erat,  una  paterni 
Cura  (niimi,  superoqve  datus  f^olnmine  matri. 
Boer  muss  also  seinen  satz  anders  fassen  und  zugeben,  dass 
zwar  die  mechanische  einschiebung  der  'Hildebrandstrophe'  schon  in 
der  gemeinsamen  quelle  von  Saxo  und  saga  stattgefunden  hat,  die 
also  bereits  schriftlich-gelehrt  gewesen  sein  muss,  dass  aber  die 
weitere  infizierung  mit  deutscher  sage  in  der  saga  stärker  ist,  als  bei 
Saxo,  dass  daher  also  Saxo  den  vorrang  verdiene.  Diese  argumen- 
tation  hat  etwas  für  sich,  wenn  Boers  fernere  behauptung  richtig  ist, 
dass  alle  weitere  einmischung  deutscher  sage  von  den  eben  zitierten 
verszeilen  ausgegangen  ist.  Und  bei  Boers  annähme  eines  rein 
mechanischen  eindringens  dieser  verszeilen,  das  nur  um  ihrer  zufälligen 
form',  nicht  um  ihres  Inhalts  willen  geschah,  kann  ihr  weiterwirken 
nur  dann  anerkannt  werden,  wenn  die  weiteren  deutschen  sagenzüge 
sich  inhaltlich  ohne  weiteres  mit  diesen  drei  Zeilen  decken  oder  sich 
aus  ihnen  ableiten  lassen  und  nicht  weitere  kenntnis  der  deutschen 
Hildebrandsage  voraussetzen.  Ein  solcher  zug  wäre  die  mitteilung 
der  saga,  dass  Hildebrand  kurz  vor  seinem  kämpf  mit  Asmund  seinen 
söhn  in  einem  anfall  von  berserkerwut  erschlagen  habe.  Das  kann 
erfindung  des  sagaschreibers  sein,  um  die  zitierte  Strophe  zu  erklären. 
Aber  die  saga  hat  doch  eine  ganze  reihe  von  zügen,  die  zur  deutschen 
sage  stimmen  und  sich  nicht  aus  jenen  verszeilen  herleiten  lassen. 
An  erster  stelle  nenne  ich  den  mit  recht  von  Boer  als  'deutsch'  be- 
zeichneten beinamen  Hildibrands :  'H/uiakappi'  in  der  etwas  voreilig 
von  Boer  gestrichenen  str.  IX  der  saga.  Diese  bezeichnung  lässt  sich 
keinesfalls  aus  den  Zeilen  vom  tode  des  sohnes  erschliessen.  Ebenso- 
wenig ist  Hildebrands  verhalten  vor  dem  kämpf  zu  erklären,  der  dem 
zusaramentretFen    mit  Asmund  möglichst  auszuweichen  sucht,  da  er  in 

1)  Nach  Boer  hat  der  Strophenanfang  '■Stendr  mir  at  hQfdi  hlif  en  brotna'  den 
strophenanfang :  Liggr  par  enn  svdsi  sonr  at  JiQfdi'  mechanisch  attrahiert. 

11* 


lif)2'  H.   DK   BOOK 

dem  g€gner  den  bruder  erkennt.  Am  wenigstens  aber  erklärt  Boer» 
annähme  das  auftreten  des  namens  Hildibrandr  statt  Hildigerus.  Nach- 
dem er  mit  str.  IX  den  namen  Hildibrandr  aus  den  verspartien  ge- 
strichen hat,  ist  es  schwer  vorstellbar,  wie  der  name  in  eine  erzählung 
hineinkommen  soll,  die  durchgängig  als  haupthelden  'Hildiytiir'  nennt 
und  die  zufällig  um  die  drei  zeilen  vom  tode  des  sohnes  durch  den 
vater  vermehrt  ist.  Viel  wahrscheinlicher  bleibt  die  umgekehrte  lösung, 
dass  in  die  geschichte  vom  nordischen  Hildebrand  einige  zeilen  eines 
liedes  übergegangen  sind,  das  vom  kämpf  eines  Hildebrand  mit  seinem 
söhne  handelt.  Es  bleibt  auch  methodisch  von  vornherein  wahr- 
scheinlicher, dass  die  einflüsse  der  deutschen  Hildebrandsage  sämtlich 
auf  eine  einmalige  einwirkung  zurückzuführen  sind,  und  dass  also 
nicht  die  quelle  mit  dem  geringsten,  sondern  die  mit  dem  stiirksten 
deutschen  einfluss  die  ursprünglichste  ist.  Denn  ein  verlust  ist  leichter 
erklärt  als  ein  nochmaliger  Zuwachs. 

Wir  haben  also  keinen  grund,  Saxo  für  ursprünglicher  zu  halten 
als  die  saga,  weder  in  seinen  namensformen  noch  im  inhalt,  eher 
lässt  sich  das  gegenteil  erweisen. 

Was  zunächst  die  namen  betrifft,  so  ist  auffällig,  dass  sie  fast 
durchgängig  in  beiden  erzählungen  voneinander  abweichen.  Der  einzige 
name,  der  übereinstimmt,  ist  der  der  mutter  beider  halbbrüder,  Drött  (Saxo 
Drota),  der  aber  in  der  saga  bekanntlich  nur  in  den  verspartien  auftritt, 
in  der  prosa  aber  durch  Hiidr  ersetzt  ist.  In  diesem  punkt  ist  Saxo 
also  ursprünglicher  als  die  saga;  für  den  namen  Hildr  der  saga  lässt  sich 
aber  eine  vernünftigere  erklärung  geben  als  reine  willkür  des  saga- 
schreibers.  In  beiden  quellen  kommt  ferner  der  name  Alf  vor,  doch 
nur  sehr  zum  teil  in  der  gleichen  rolle.  In  beiden  quellen  ist  er  könig 
von  Dänemark  und  seine  tochter  ist  die  von  Asmund-Haldanus  um- 
worbene frau.  Bei  Saxo  ist  er  aber  schon  vor  beginn  der  ereignisse 
tot,  durch  Hagbarths  band  gefallen  als  der  letzte  männliche  Siklingen- 
spross.  In  der  saga  tritt  er  lebendig  auf  und  ist  dort  der  gewaltsame 
räuber  der  schon  vermählten  Drött,  der  mutter  Hildebrands,  die  er 
dann  aber  seinem  getreuen  Aki  überlässt,  der  sie  zur  mutter  Äsvnunds 
macht.  Bei  Saxo  werden  beide  eben  räuberisch  erzwungen  und  so  ist 
Alfs  rolle  bei  Saxo  aufgeteilt  zwischen  Gunnarus,  der  wie  Alf  in  das 
reich  von  Drotts  vater  einbricht  und  ihn  tötet  und  Borcarus,  der  die 
verheiratete  Drött,  Hildebrands  mutter,  raubt,  sie  aber  selber  heiratet, 
also  zugleich   die  rolle  des  Äki  der  saga  spielt. 

Im  übrigen  sind  sämtliche  namen  in  saga  und  Saxo  verschieden. 
Bei   Saxo   begegnen   wir   nun  einem  wohlbekannten  kreis  von  namen 


DIE   NORDISCHE   UNI»   DEUTSCHE   HILDEBRANDSAGE  153 

in  der  dänischen  partei:  Alf,  Guritha,  Borcarus  und  Häldanus.  Es 
sind  namen  aus  der  Übergangszeit  zwischen  den  Siklingen  und  den 
einigungskämpfen  des  Harald  Hildetand,  die  auch  in  anderen  dänischen 
geschichtsquellen  eine  rolle  spielen.  Eine  Übersicht  über  diese  quellen 
gibt  Olrik  (Kilderne  til  Sakses  Oldhistorie  I,  101  ff.  und  II,  249  ff.), 
nachdem  er  zuvor  schon  in  seiner  doktorabhandlung  (Forsog  paa  en 
tvedeling  af  kilderne  til  Sakses  Oldhistorie  Kbh.  1892  s.  94  ff.)  auf 
die  Verhältnisse  zu  sprechen  kam.  Gegen  diese  doktorabhandlung 
hat  Steenstrup  (Arkiv  XIII,  140  ff.)  gewichtige  bedenken  erhoben,  die 
auch  durch  Olriks  späteres,  grösseres  werk  nicht  entkräftet  sind.  Saxo 
spannt  die  erzählung  von  Haldanus  und  Hildigerus  ein  in  den  rahmen 
der  geschichte  vom  zerfall  Dänemarks  in  fünf  kleine  sonderstaaten 
(fünfkönigszeit)  und  seine  darstellung  lässt  hier  besonders  klar  er- 
kennen, dass  er  aus  lokalen  Überlieferungen  und  aus  notizen  schöpft, 
die  ihm  am  dänischen  hofe  oder  durch  seinen  gönner,  bischof  Absalon, 
zugeflossen  sind.  In  der  tat  sind  von  den  dänischen  zuständen  vor 
Harald  Hildetands  Wirksamkeit  keine  oder  nur  ganz  verwischte  nach- 
richten  nach  den  westnordischen  gebieten  gelangt.  Dagegen  bewahren 
die  dänischen  Chroniken  die  erinnerung  und  die  namen  dieser  klein- 
herrscher  mit  ziemlicher  Zähigkeit.  Finden  wir  ihre  namen  also  in 
der  hier  behandelten  erzählung  bei  Saxo  verwendet,  so  ist  Boers  an- 
nähme von  der  priorität  der  namen  bei  Saxo  nur  haltbar,  wenn  man 
annimmt,  dass  die  geschichte  von  Haldanus  und  Hildigerus  von  vorn- 
herein eine  dänische,  an  die  fünfkönigszeit  gebundene  sage  ist,  die 
aus  diesem  Zusammenhang  gelöst  und  mit  veränderten  namen  in  die 
nord.  fornaldarsagaliteratur  übernommen  worden  ist.  Das  ist  aber 
schwer  möglich,  solange  alles  dafür  spricht,  dass  die  Verbindung  mit 
der  deutschen  Hildebrandsage,  die  auch  Saxo  voraussetzt,  auf  west- 
nordischem boden  sich  vollzogen  hat.  Viel  wahrscheinlicher  ist  es 
von  vornherein,  dass  umgekehrt  Saxo  die  fornaldarsaga,  wie  so  häufig, 
auch  hier  dazu  benutzt  hat,  um  die  handlungsarme  Volksüberlieferung 
von  den  fünf  königen,  'die  in  keiner  poetisch  durchgebildeten  form 
vorlag  und  in  der  fornaldarsaga  eine  reine  Unmöglichkeit  war'  (Olrik 
Kilderne  251),  damit  auszustaffieren.  Vollends  zur  Sicherheit  wird  diese 
Wahrscheinlichkeit,  wenn  Boers  weitere  annähme  richtig  ist,  dass  dieser 
Haldanus,  der  vater  des  Harald  Hildetand,  eine  erfindung  erst  des 
Saxo  grammaticus  ist.  Für  diese  annähme  lassen  sich  beweise  er- 
bringen. Die  lange  Skjoldungenreihe  bricht  bei  Saxo  bekanntlich  mit 
Haldanus  biargrammi  ab,  um  nach  einschub  der  Siklinge  und  der 
fünfkönige    erst    in    Harald    Hildetand    sich    fortzusetzen.       Die    ver- 


154  H.   DE   BOOK 

knüpfung  Harald  Hildetands  bei  Saxo  mit  den  Skjoldungen  ist  tatsäch- 
lich höchst  zweifelhaft.  Die  genealogie  seines  vaterstammes  geht  nicht 
über  den  erwähnten  Borcarus  hinaus,  die  der  mutter  führt,  im  strikten 
gegensatz  zu  allen  nord.  Überlieferungen,  in  die  Siklingenreihe  hinein. 
Um  so  mehr  hatte  Saxo  grund,  die  Skjoldungenherkunft  Haralds  durch 
den  alten  Skjoldungennamen  des  vaters,  Halvdan,  zu  betonen. 

Die  gleiche  reihenfolge  wie  Saxo:  Halvdan  biargrammi  -  Sik- 
linge  -  fünfkönige  haben  nun  einige  dänische  königsreihen,  die  Olrik 
als  längere  reihe  den  kürzeren  gegenüberstellt,  die  weder  die  Siklinge 
noch  die  fünfkönige  kennen  und  auch  sonst  mehr  als  lückenhaft 
sind.  Diese  längeren  königsreihen  sind  mit  Saxo  gleichzeitig  oder 
wenig  später.  Olrik  erklärt  die  ganze  reihenbildung  für  Saxos  werk 
und  alle  übrigen  längeren  reihen  daher  für  unselbständige  nach- 
bildungen  Saxos,  die  höchstens  für  einzelheiten  daneben  aus  anderer 
mündlicher  tradition  schöpfen.  Dagegen  fasst  Steenstrup  a.  a.  o.  mit 
recht  Saxo  nur  als  einen  wichtigen  faktor  in  der  entwicklung  langer 
königsreihen,  belässt  den  übrigen  daneben  aber  selbständigen  wert. 
Gerade  an  dieser  stelle  der  dänischen  königsgenealogie  spricht  vieles 
für  Steenstrups  auffassung.  Die  meisten  der  längeren  königsreihen 
kennen  nämlich  Saxos  Haldanus,  den  vater  Harald  Hildetands  nicht. 
Von  denjenigen  königsreihen,  die,  obwohl  von  Saxo  nicht  unbeeinflusst, 
auf  eine  gewisse  Selbständigkeit  anspruch  machen  können,  haben  nur 
die  längere  reihe  der  runenhandschrift  (Scr.  rer.  dan.  I,  32;  von  Olrik  mit 
e  bezeichnet)  und  die  annalen  des  klosters  Ry  (Scr.  rer.  dan.  I,  148  ff,, 
besser  die  deutsche  absehrift  Mon.  Germ.  bist.  Script.  XVI,  492,  bei  Olrik  f) 
den  Haldanus  Saxos  zwischen  den  fünfkönigen  und  Harald  Hildetand. 
Alle  andern  kennen  ihn  nicht,  was  bei  dem  vater  des  berühmtesten 
aller  Dänenkönige  sehr  verwunderlich  ist.  Aber  selbst  in  e  und  f  ist 
Haldanus  nicht  als  Haralds  vater  bezeichnet,  e  teilt  über  Haralds  her- 
kunft  gar  nichts  mit,  obwohl  im  übrigen  in  der  ganzen  Skjoldungenreihe 
die  Verwandtschaftsverhältnisse  der  aufeinanderfolgenden  könige  genau 
angegeben  sind.  Die  verwandtschaftsangabe  fehlt  sonst  ganz  mit  recht 
nur  'bei  Siuald,  der  als  erster  der  Siklingenreihe  die  Skjoldungen 
unterbricht,  e  hat  also  offenbar  von  Haralds  vorfahren  nichts  gewusst. 
Nach  den  Ry-annalen  ist  Harald  nicht  der  söhn  des  Haldanus,  son- 
dern des  Borgardus,  des  skänischen  unter  den  fünfkönigen.  Haldanus 
schiebt  sich  als  ein  Usurpator,  nicht  als  stammbaumglied  zwischen 
Borgardus  und  Harald.  In  beiden  fällen  ist  also  Haldanus  als  eine 
anleihe  bei  der  autorität  Saxos  in  eine  andere  Überlieferung  hinein- 
geschoben, die  mit  ihm  nichts  anzufangen  wusste. 


DIE   NORDISCHE    UND    DEUTSCHE   HILDEBRANDSAGE  155 

Mit  der  angäbe,  dass  Harald  der  söhn  des  Borgardus  gewesen  sei, 
steht  f  nicht  allein.  Auch  hier  weicht  Saxo  von  den  längeren  reihen  kon- 
sequent darin  ab,  dass  Borcarus  in  seiner  königsreihe  nicht  erscheint,  wäh- 
rend er  überall  sonst,  wo  überhaupt  namen  genannt  werden,  unter  den  fünf- 
königen  als  herrscher  von  Skäne  auftritt  (Burgar  in  Olriks  n,  b,  Buthar 
in  Olriks  d) '.  Saxo  nennt  statt  dessen  einen  0stmarus,  der  wieder  den 
königsreihen  fremd  ist  ausser  a,  wo  er  aber  neben  Bui^ar  von  Skäne 
ebenso  in  der  luft  schwebt  wie  Haldanus  in  e  und  f.  Burgar  erscheint 
nun  bekanntlich  als  Borcarus  auch  bei  Saxo;  er  ist  dort  der  räuber  der 
Drota  und  vater  des  Haldanus.  Wichtiger  ist,  dass  er  in  den  letzten 
kämpfen  der  Siklinge  als  skänischer  reiterführer  fungiert.  Seine 
skänische  herkunft  ist  also  auch  bei  Saxo  noch  klar,  wenn  auch 
Saxo  die  übereinstimmende  Überlieferung  der  Chroniken  sichtlich  ver- 
fälscht. Weiter  stimmt  zu  der  Überlieferung  der  Ry-annalen,  nach 
denen  Harald  ein  söhn  des  Borgardus  gewesen  sei,  eine  bekannte 
stelle  des  Saxo,  die  volle  beachtung  verdient  (VII,  337).  In  der  er- 
zählung  von  Alf  und  Alvilda  wird  Borcarus  als  begleiter  des  Alf  der 
gatte  der  Gro  und  zeugt  mit  ihr  einen  söhn  Harald,  'dem  die  folge- 
zeit  den  namen  'Hildetand'  gab'.  Erst  in  der  folgenden  geschichte 
von  Haldanus  und  Hildigerus  wird  plötzlich  Haldanus  zum  söhne, 
Harald  zum  enkel  des  Borcarus.  Dass  die  Ry-annalen  hier  von  Saxo 
abhängig  seien,  ist  wenig  wahrscheinlich.  Sie  kennen  ja  beide  per- 
sönlichkeiten, die  Saxo  zum  vater  des  Harald  macht,  Borgardus  und 
Haldanus;  und  sie  hätten  gewiss  Saxos  Intention  entsprechend  sich 
an  Saxos  ausführlichen  bericht,  nicht  an  diese  versteckte  notiz  gehalten, 
wenn  sie  nur  Saxos  königsreihe  abschreiben  wollten.  Umgekehrt  ist 
es  viel  wahrscheinlicher,  dass  Saxo  neben  seiner  eigenen  erfindung, 
der  Haldanusgeschichte,  unversehens  die  auf  anderer,  guter  Überliefe- 
rung beruhende  notiz  über  Borcarus  als  Haralds  vater  aus  der  feder 
geflossen    ist. 

Die  Verknüpfung  Haralds  mit  Schonen,  die  bei  Saxo  auch 
darin  zum  ausdruck  kommt,  dass  Haralds  einigungskämpfe  von 
Schonen  ausgehen  (VII,  362),  wird  nun  durch  isländische  quellen  be- 
stätigt. Dem  Langfeögatal  nach  ist  Harald  Skjoldung  von  vater-  und 
mutterstamm,  indem  beide  Stammbäume  bei  Frode  frcekne  zusammen- 
laufen. In  vielem  abweichend  berichtet  die  Ynglingasaga,  stimmt  aber  mit 
dem  Langfeögatal  darin  überein,  dass  auch  in  ihr  verwandtschaftliche 

1)  b  =  Brevior  historia,  Scr.  rer.  dan.  I,  15-18 ;  a  =  Nomina  regum  Danorum 
Scr.  rer.  dan.  I,  19.  d  =  Kununktallit  der  kürzeren  runenhandschrift  Scr.  rer.  dan. 
I,  26-30. 


156  H.   DE   BOOK 

beziehungen  zwischen  Ingjald  und  Ivarr  vidfadmi,  dem  grossvater 
Harald  Hildetands  bestehen.  Die  Verknüpfung  geschieht  durch  Ingjalds 
tochter  Asa,  die  neben  ihrem,  allen  dän.  quellen  bekannten  bruder  Ölat 
dänischerseits  von  den  Lunder  annalen  erwähnt  wird ;  Äsa  ist  vermählt 
mit  Gudr0dr  von  Schonen,  dem  bruder  Halfdans,  des  vaters  von  Ivarr 
vidfadmi,  der  später  ebenfalls  herr  über  -Schonen  wird.  Der  Zusammen- 
hang Haralds  mit  Schonen  ist  also  auch  von  dieser  seite  aus  klar.  Von 
Ivars  vorfahren  nennen  Langfeögatal  und  Ynglingasaga  Hälfdan  snjalli 
als  seinen  vater,  das  L.  allein  '  Valldar  mildi  als  seinen  grossvater '. 
Diesen  hat  auch  die  verlorene  Skjoldungasaga  gekannt.  Olrik  hat 
(Aarboger  1894  s.  83  ff.)  die  historischen  werke  des  um  die  wende  des 
XVI.  Jahrhunderts  lebenden  gelehrten  Arngrim  Jonsson  als  wichtige 
quelle  zur  kenntnis  der  alten,  isländischen  literatur  ans  licht  gezogen 
und  zum  teil  abgedruckt.  Es  handelt  sich  um  kurze  kompendien  der 
geschichte  der  nordischen  reiche  auf  grund  alter,  isländischer  quellen. 
Unter  diesen  befand  sich  eine  Skjoldungasaga  (Olrik  a.  a.  o.  138  ff., 
bes.  153),  worauf  schon  Heinzel  (Wiener  Sitzgsber.  phil.  bist.  kl.  114, 
463)  aufmerksam  machte.  Arngrim  kennt  nun  einen  Waldar,  söhn  des 
Hroar  und  grossneffen  des  Ingjald,  und  erzählt  von  ihm,  dass  er  sich 
mit  seinem  oheim  Rörik,  dem  söhn  des  Ingjald,  über  die  herrschaft  in 
Dänemark  vertrug,  und  zwar  in  der  weise,  dass  Rörik  Seeland,  Wal- 
dar Schonen  bekam,  auf  das  er  von  seinem  grossvater  Halvdan, 
Ingialds  bruder  her,  anspruch  hatte.  Die  teilung  des  Skjoldungen- 
geschlechts  mit  den  söhnen  des  Frode  froekne,  Ingjald  und  Halvdan 
kennen  wir  aus  dem  Langfeögatal;  neu  erfahren  wir  das  hohe  alter 
der  beziehungen  des  einen  astes  zu  Schonen,  resp.  den  zusammenfall 
der  bekannten  familienzwistigkeiten  zu  Ingjalds  zeit  mit  einem  scho- 
nisch-seeländischen  gegensatz,  der  bekanntlich  später  unter  Ivarr  vid- 
fadmis  grossen  eroberungskämpfen  erneute  bedeutung  gewinnt.  Hie- 
rüber schweigt  Arngrim  indessen,  wie  er  überhaupt  über  die  nachkommen 
Ingjalds  bis  zu  Sigurd  Ring  nur  äusserst  dürftig  unterrichtet  ist.  Nur 
die  Zersplitterung  des  dänischen  reiches  in  kleinkönigtümer  schimmert 
durch,  wenn  auch  ohne  direkten  Zusammenhang  mit  der  fünfkönigs- 
tradition  des  Saxo  und  der  dänischen  Chroniken  (Arngr.  cap.  XVI, 
XVII  a.  a.  0.  s.  121  ff.). 

Diese  Unsicherheit  bei  Arngrim  ist  nicht  zufällig,  sondern  typisch. 
Ein  vergleich  der  isländischen  und  dänischen  Überlieferung  zeigt  grosse 

1)  Der   verworrene    bericht    am    schluss    der   Hervararsaga   macht  Valdar  zu 
Ivars  Unterkönig  und  Schwiegersohn,  zu  Harald  Hildetands  vater.  i 


DIE   NORDISCHE    UND   DEUTSCHE   HILDKBIIANDSAUE  157 

festigkeit  der  tradition  der  Skjoldungenreihe  bis  hinunter  zu  Halodan 
biargrammi.  Die  reihe:  Frotho  froekne  -  Ingjald  -  Olaf  -  Frotho - 
Halvdan  tritt  überall  wieder  deutlich  heraus^).  Dann  bricht  die  tra- 
dition plötzlich  ab.  Von  den  Island,  quellen  scheidet  die  Yngl.-saga 
aus,  Arngrim  weiss  nur  die  namen  einiger  kleinkönige  zu  nennen, 
das  Langfeögatal  geht  direkt  zu  Haralds  vater  Hrcerekr  Slaiaujüanhani 
über,  der  auch  Hyndloljöd  str.  28  genannt  wird,  den  dän.  quellen  aber 
fremd  ist.  Die  Heryararsaga  nennt  Haralds  vater  Valdar;  von  den 
dän.  Chroniken  schweigen  sich  die  kürzeren  reihen  meist  gänzlich  aus. 
Die  Lunder  annalen  knüpfen  Harald  direkt  an  Olaf  Ingjaldsson. 
Die  längeren  reihen  und  Saxo  lassen  auf  Halvdan  bekanntlich  die  Sik- 
linge  und  die  fünfkönige  folgen  und  haben  für  Haralds  weitere  herkunft 
keine  nachrichten.  Charakteristisch  ist  hierfür  die  ältere  runenreihe. 
Es  heisst  dort:  'tha  var  Haralth  kunung  Hylthetan,  sun  .  .  .  .'  Für 
den  vaternamen  bleibt  eine  lücke,  d.  h.  er  ist  absolut  unbekannt.  Die 
anknüpfung  an  die  Siklinge  durch  Gyuritha  ist  natürlich  Saxos  werk. 
Von  allem,  was  über  die  herkunft  Haralds  berichtet  wird,  geht  also 
einzig  seine  schonische  herkunft  durch  alle  traditionen  durch.  Über 
die  art  der  herkunft  gehen  die  quellen  auseinander.  Nach  den  islän- 
dischen quellen  ist  Harald  durch  seine  mutter  mit  dem  schonischen 
Skjoldungenast  verbunden.  Sie  ist  Auär  hin  dji'ipaudga,  die  tochter 
ivarr  viöfaömis.  In  der  Hervararsaga  wird  sie  Alfhild  genannt.  Diese 
mütterliche,  schonische  genealogie  allein  ist  Arngrim  bekannt,  auch 
die  Ynglingasaga  deutet  sie  cap.  41  an  ^.  In  der  dänischen  Überliefe- 
rung, die  auch  durch  Saxos  seeländische  eifersucht  nur  verblasst,  nicht 
zerstört  ist,  wird  der  vater  zum  schonischen  lokalherrsch ier  und  -beiden. 
Alles  in  allem  scheint  mir  klar  hervorzugehen,  dass  die  familienzwiste 
und  -Spaltungen  der  Skjoldungen  seit  Ingjald   zu  einer  erschütterung 

1)  Olaf,  der  in  den  längeren  dän.  reihen  überall,  sonst  in  den  Lunder  annalen 
und  bei  Sven  Ageson  erscheint,  tritt  in  der  isl.  reihe  zurück,  doch  hat  ihn  die 
Yngl.-saga  {Oldfr  tretelgja  cap.  42).  Die  übrigen  isl.  reihen  gehen  direkt  zu  Hrserek 
über,  der  im  Langf.  vater,  bei  Arngrim  bruder  des  jüngeren  Frotho  ist.  Yngl.-saga 
übergeht  Hraerek  wie  Frotho  und  geht  direkt  zu  Halvdan  über.  In  den  dänischen 
quellen  fehlt  Hrserek,  dafür  erscheint  neben  Frotho  sein  bruder  Haraldus  und  an 
diese  bruder  und  Haralds  söhne  knüpft  Saxo  die  familienkämpfe  der  Skjoldungen 
an,  die  nach  nord.  berichten  der  Ingjaldsage  zugehören.  Haldanus  ist  nach  Saxo 
und  einem  teil  der  Chronisten  Haralds  söhn,  nach  anderen  der  söhn  Frothos  wie  in. 
den  isländischen  quellen. 

2)  Von  Ivarr  viöfaömi  stammen  die  Dänenkönige  'peir  er  par  hafa  einvald 
haff.  Das  dürfte  eine  anspielung  auf  die  einigungskämpfo  von  Ivars  enkel 
Harald  sein. 


158  H.    DE   BOOK 

der  alten  machtstellung  der  Skjoldungen  führen,  und  dass  diese  sieh 
insbesondere  in  einen  seeländischen  und  einen  schonischen  zweig 
spalten,  von  denen  der  letztere  der  kräftigere  gewesen  ist,  so  dass 
das  Schwergewicht  eine  Zeitlang  nach  Schonen  hinüberfiel  und  von 
dort  der  Wiederaufstieg  der  familie  und  die  einigung  des  reiches  aus- 
gieng.  Die  Zwischenzeit  ist  mit  der  bildung  von  kleinreichen  aus- 
gefüllt, die  in  Arngrims  Jütlandkönigen  und  den  fünfkönigen  der 
dänischen  chroniken  sich  widerspiegelt.  (Vgl.  auch  Saxo,  Not.  üb.  211  f.) 
Zweck  dieser  langen,  genealogischen  erörterungen  war  es,  klar- 
heit  zu  schaffen  über  die  Voraussetzungen  für  Saxos  geschichten  von 
Harald  und  seinem  vater  Haldanus.  Dieser  Haldanus  ist,  wie  gezeigt, 
eine  erfindung  Saxos,  die  den  übrigen  dänischen  quellen  fremd  ist. 
Den  grund  hat  Boer  zum  teil  richtig  erkannt.  Der  Seeländer  Saxo 
fand  eine  breite  tradition  von  Haralds  schonischer  herkunft  und  seinem 
vater  Borcarus.  Diese  schonische  herkunft  wird  möglichst  unterdrückt. 
Borcarus  wird  in  der  Siklingengeschichte  zu  einem  harmlosen  führer 
der  schonischen  reiterei,  in  der  Haldanusgeschichte  wird  über  seine 
herkunft  ganz  geschwiegen.  Und  nur  ganz  unversehens  verrät  Saxo 
etwas  von  seiner  kenntnis  des  wahren  Sachverhalts  in  der  notiz  über 
Borcarus  und  Gro  als  Haralds  eitern.  Mit  dem  namen  Haldanus  aber 
knüpft  Saxo  an  die  seeländische  Skjoldungenreihe  an,  deren  letzter 
bekannter  spross  Halvdan  bjargrammi  eben  jenen  häufigen  Skjol- 
duugennamen  getragen  hatte.  Boer  macht  hier  auch  bereits  auf  die 
auffällige  anleihe  aufmerksam,  die  Saxo  zur  ausfüllung  seiner  Haldanus- 
geschichte bei  der  sage  des  älteren  Haldanus  macht.  Haldanus  biarg- 
rammi  reisst  bei  einem  kämpf  mit  berserkern  eine  eiche  aus  dem 
boden,  macht  daraus  eine  keule  und  erschlägt  die  berserker  damit. 
Genau  dasselbe  berichtet  Saxo  von  Haldanus,  dem  vater  Haralds,  als 
er  mit  den  ^'piiyiles'  kämpft,  die  Gyuritha  bewachen.  Boer  sieht  mit 
recht  darin  einen  hinweis,  dass  Saxo  die  beiden  Haldani  eng  ver- 
knüpfen wollte  ^  Auch  für  Haralds  mütterliche  genealogie  ändert 
Saxo  willkürlich.  Er  verbindet  seinen  Haldanus  mit  Gyuritha,  der 
letzten  sprossin  des  Siklingengeschlechts.  Auch  hier  weicht  Saxo  von 
der  übrigen  isländischen  und  dänischen  Überlieferung  ab.  Während 
dort  Haralds  mutter  Äüdr  hin  djupaiidga  (resp.  Alfhild)  ist*,  die  tochter 

1)  Boers  Vermutung,  dass  dieser  Haldanus  Borcari  filius  derselbe  sei  wie 
Hälfdan  snjalli,  der  vater  des  Ivarr  viöfaömi  und  urgrossvater  Harald  Hildetands 
in  den  isl.  quellen,  und  dass  Saxo  ihn  nur  falsch  eingeschoben  habe,  scheint  mir  nach 
den  Torangehenden  erörterungen  verfehlt.  Ich  halte  ihn  für  eine  reine  und  will- 
kürliche erfindung  Saxos. 


DIE   NORDISCHE   UND   DEUTSCHE   HILDEBRANDSAGE  159 

ivarr  vidfadmis,  wird  in  einigen  dänischen  königsreihen  die  frau  des 
Borearus  mit  namen  genannt.  Sie  heisst  in  f  Role,  in  d  Radse,  in  der 
Chronik  des  Petrus  Olaus  Tholse.  Bei  Saxo  heisst  die  frau  des  Borearus, 
die  dort  als  Haralds  mutier  bezeichnet  wird,  Gro,  und  es  ist  nicht  un- 
möglich, diese  namen  zusammenzubringen '.  Der  name  der  Gyuritha 
dagegen,  die  Saxo  ans  einer  Siklingasaga  übernommen  haben  mag, 
ist  den  übrigen  dänischen  Chronisten  unbekannt,  der  dritte  fall  in 
diesem  abschnitt,  wo  die  längeren  königsreihen  von  Saxo  unabhängig 
sind.  Wo  der  name  aus  Saxo  oder  vielleicht  eher  noch  unabhängig 
von  Saxo  übernommen  wird,  ist  ei'  gründlich  missverstanden.  In  e 
ist  ein  Guthrith  ein  enkel  des  Sihtar  (=  Sigarus)  daraus  gemacht  "^ 
Und  so  kommt  es  denn,  dass  die  chronik  des  Petrus  Olaus,  die  Saxo 
mit  anderen  Chronisten  zusammenarbeitet,  vor  den  fünfkönigen  einen 
Hiotric  )iepos  Sigari'  einschiebt,  daneben  aber  Saxos  Guritha  als 
Haralds  mutter  erwähnt.  Saxos  Verwendung  der  letzten  Sikliugen- 
tochter  ist  ohne  weiteres  verständlich.  Sie  bezweckt  die  anknüpfung 
Haralds  an  das  geschlecht  der  Siklinge,  das  letzte  nach  Saxo  zuvor 
in  Seeland,  d.  h.  also  rechtmässig  regierende  fürstengeschlecht. 

Aus  diesen  darlegungen  wird  klar  hervorgehen,  dass  wir  bei 
Saxo  an  einer  stelle  sind,  wo  seine  ordnende  und  eventuell  recht  derb 
zurechtschneidende  band  besonders  spürbar  wird.  Unsicherheit  der 
Überlieferung  und  patriotische  rücksichten  haben  ihn  dazu  bestimmt. 
Für  einige  namen,  die  in  der  Haldanusgeschichte  von  der  isl.  saga 
abweichen,  erweist  sich  dabei  willkürliche  einsetzung  auf  Seiten  Saxos. 
Mit  dem  namen  des  haupthelden  selbst,  'Haldanus'  erstrebt  er  an- 
knüpfung an  die  Skjoldungen.  Name  und  figur  ist  seine  erfindung. 
Borearus,  seinen  vater,  entnimmt  er  der  dänischen  lokaltradition.  Gyu- 
ritha, die  letzte  Siklingin,  entstammt  wohl  einer  Siklingentradition  ; 
mindestens  die  durch  sie  erfolgende  Verknüpfung  Haralds  mit  den 
Siklingen  ist  Saxos  freie  konstruktion.  Der  name  Hildigerus  endlich 
konnte  gegenüber  dem  Hildibrandr  der  saga  nicht  als  ursprünglich  er- 
wiesen werden,  das  umgekehrte  hat  weit  grössere  Wahrscheinlichkeit 
für  sich.  Die  priorität  Saxos  vor  der  saga  lässt  sich  also  schon  aus 
den  namen  bestreiten. 

Auch  inhaltlich  ist  die  priorität  Saxos  gegenüber  der  saga  nicht 

1)  Vgl.  in  der  I^idrekssaga  Gregensborg,  Gronsport  neben  Eegensburg  unä 
portus  Ravennae  der  vorlagen. 

2)  Bei  einer  anleihe  aus  Saxo  wäre  es  reichlich  ,\inver8täDdlich,  wie  au» 
Gyuritha,  dem  mittelpunkt  einer  werbungsgeschichte,  ein  mann  namens  Guthrith 
werden  konnte.  Mindestens  müssen  zwischen  Saxo  und  e  Zwischenglieder  an- 
genommen werden. 


160  H.    DE    BOOK 

aufrechtzuerhalten.     Die   beiden   berichte   setze  ich   hier  kurz  neben- 
einander. 

Asmundar  saga  kappabana.  Zu  könig  Budli  von  Schweden 
kommen  zwei  zwerge,  Alius  und  Olius.  Sie  bleiben  im  winter  bei  ihm, 
und  in  einem  wettkampf  mit  den  schmieden  des  königs  verfertigen 
sie  zwei  Schwerter,  deren  eines  sie  auf  grund  der  unmässigen  an- 
forderungen  des  königs  mit  einem  fluch  belegen,  dass  zwei  tochter- 
söhne des  königs  dadurch  zugrunde  gehen  sollen.  Der  könig  lässt  das 
Schwert  ve^i^nken  '/  i^yinn  hjä  Agnafit  {Agdafit)\ 

Helgi  Hildebrandsson  von  Hünaland  wirbt  um  Buölis  tochter 
Hildr,  erhält  sie  und  zeugt  mit  ihr  in  erster  ehe  einen  söhn,  Hilde- 
braud,  der  bei  seinem  grossvater  in  Hünaland  aufgezogen  wird. 

Als  Buöli  alt  ist,  fällt  könig  Alf  von  Dänemark  unter  be- 
gleitung  seines  getreuesten  mannes  Aki  in  das  schwedische  reich  ein, 
Buöli  wird  besiegt  und  fällt,  Hildr  wird  beutelohn  für  Aki.  Ihr  söhn 
ist  Asmund,  der  bald  ein  grosser  und  tüchtiger  wiking  wird. 

Hildebrand   wächst   nach   seines   vaters   tode  ebenfalls  zu  einem  * 
grossen    kämpfer    heran.      Er    war  verschwägert   mit   könig  Laszinus 
(Atli).     Zwei  herzöge  in  Saxland  macht  er  zinspflichtig,  dann  besiegt 
und  tötet  er  als  räche  für  seinen  grossvater  könig  Alf  von  Dänemark. 

Inzwischen  ist  Äsmund  Akason  auf  heerfahrt.  Er  kehrt  heim 
lind  wirbt  um  J^sa  hin  fraget,  die  tochter  Alfs,  hat  aber  einen  rivalen 
in  Eyvlndr  skinuhgll.  ^sa  will  den  wählen,  der  im  herbst  von  der 
heerfahrt  die  schöneren  arme  mitbringt.  Eyvind  pflegt  und  schont 
seine  arme,  Asmund  bringt  die  kampfgehärteten  arme  hoch  voll  er- 
beuteter goldringe  mit.  Ihm  fällt  der  preis  zu,  zuvor  aber  fordert 
M9,di  noch  vaterrache  an  Hildebrand  von  ihm.  Sie  verweist  ihn  an 
einen  alten  bauern,  der  die  stelle  des  versenkten  Schwertes  kennt  und 
der  ihm  helfen  soll,  es  wieder  aufzufinden.  Dem  alten  fällt  die  grosse 
ähnlichkeit  Asmunds  mit  Hildebrand  auf.  Er  zeigt  ihm  die  stelle, 
wo  das  Schwert  liegt,  und  beim  dritten  versuch  hebt  Asmund  das 
gesuchte.  Er  kommt  dann  zu  den  herzögen  von  Saxland,  deren 
Schwester  sein  kommen  im  träume  geahnt  hat,  wird  wohl  aufgenommen 
und  verspricht  hilfe  gegen  Hildebrand.  Hildebrands  böte  Vgggr  er- 
scheint mit  neuen  tributforderungen,  er  staunt  über  die  ähnlichkeit  As- 
munds mit  Hildebrand  und  betrachtet  verwundert  Asmunds  schwert, 
das  dem  seines  herrn  gleicht.  Asmund  nimmt  die  ausforderung  namens 
der  Sachsenkönige  an ;  Vgggr  reitet  heim  und  berichtet  von  der  grossen 
ähnlichkeit  von  mann  und  schwert.  Äsmund  reitet  zum  holmgang, 
besiegt   erst   einen,    dann    zwei,    dann    drei   krieger  Hildebrands  usw.. 


DIE   NORDISCHE    UND   DEUTSCHE   HILDEBRANDSAGE  161 

bis  er  die  letzten  elf  kämpen  auf  einmal  besiegt.  Ihre  leichen  wirft 
er  in  den  ström,  der  sie  an  Laszinus  bürg  vorbeitreibt.  So  muss 
sich  Hildebrand  selbst  zum  kämpf  entschliessen,  obgleich  er  sein  Ver- 
hältnis zu  Asmund  kennt.  In  einem  anfall  von  berserkerwut  erschlfigt 
er  den  eigenen  söhn.  Im  kämpf  mit  Asmund  zerbricht  sein  schwert; 
er  wird  tödlich  verwundet.  Sterbend  offenbart  er  sein  Verhältnis 
zu  Asmund  und  klagt  um  den  tod  des  sohnes.  Äsmunds  rühm  dringt 
nach  Dänemark  und  er  heiratet  JEsa,  nachdem  er  einen  ungenannten 
nebenbuhler  getötet  hat. 

Saxo.  Regnaldus,  könig  von  Norwegen,  hat  in  hohem  alter 
seine  tochter  Dröta  und  zwei  Schwerter  ^exquisita  fahrorum  ojiera'  in 
einer  höhle  versteckt,  damit  sie  niemand  findet.  Darauf  zieht  er  in 
den  kämpf  gegen  den  eindringenden  Schwedenwiking  Gunnarus  und 
fällt.  Gunnarus  macht,  um  die  ungewöhnliche  feigheit  seiner  gegner 
zu  bestrafen,  einen  bund  zu  ihrem  könig.  Er  sucht  nach  Dröta  und 
findet  sie  endlich  nebst  den  in  einer  besonderen  grotte  verborgenen 
Schwertern.  Er  zwingt  Dröta  zur  Ehe;  ihr  söhn  ist  Hildigerus,  der 
des  vaters  wilde  gemütsart  erbt,  verbannt  wird  und  von  Alverus  in 
Schweden  eine  herrschaft  bekommt. 

Inzwischen  hat  Borcarus  Drötas  Schicksal  erfahren,  überwindet 
und  tötet  Gunnarus  und  heiratet  Dröta.  Ihr  söhn  ist  Haldanus,  der, 
anfangs  untüchtig,  später  die  grössten  heldentaten  verrichtet.  Der 
räuber  Rötho  fällt  ins  land  ein,  bei  seiner  besiegung  erhält  Haldanus 
eine  entstellende  wunde,  die  ihm  die  lippe  spaltet  und  nicht  wieder  heilt. 

Inzwischen  hat  Gyuritha  (oder  Guritha),  tochter  könig  Alfs  von 
Dänemark,  als  dessen  einziges  kind,  beschlossen,  Jungfrau  zu  blei- 
ben, da  sie  keinen  ebenbürtigen  mann  weiss,  und  umgibt  sich  mit 
einer  schar  auserlesener  ^pugiles\  Es  gelingt  Haldanus  trotzdem,  zu 
ihr  zu  dringen,  als  die  pugiles  zufällig  fern  sind,  und  um  sie  zu 
werben.  Sie  weist  ihn  ab  und  spottet  über  seine  niedrige  herkunft 
und  seine  entstellende  wunde.  Doppelt  beleidigt  schwört  er,  nicht 
eher  wiederzukommen,  als  bis  beide  mängel  durch  taten  ausgeglichen 
seien  und  verlangt,  sie  solle  auf  ihn  warten.  Die  pugiles  verfolgen 
ihn  als  werber  (und  als  mörder  ihres  bruders),  er  sieht  sie,  tritt  ihnen 
mit  einer  rasch  ausgerissenen  eichenkeule  entgegen  und  erschlägt  alle. 
Nun  empfängt  er  (zu  weiteren  taten)  von  seiner  mutter  die  beiden 
Schwerter  Lyusingus  und  Wittingus,  deren  namen  ihren  ausser- 
ordentlichen glänz  andeuten. 

Als  er  von  einem  kämpf  zwischen  Alverus  von  Schweden  und 
den  Ruthenen  hört,  bietet  er  den  Ruthenen  seine  hilfe  an.    Hildigerus 


163  H.   DE   BOOK 

als  manne  des  Alverus  fordert  einen  Ruthenen  zum  kämpfe.  Als  Hal- 
danus sieh  stellt,  erkennt  er  ihn  als  bruder  und  weigert  den  kämpf  unter 
der  vorgäbe,  dass  er,  der  berühmte  held,  mit  einem  unbekannten  nicht 
kämpfen  könne.  Haldanus  fordert  darauf  erst  einen,  dann  zwei,  dann 
drei  kämpfer  heraus  und  so  fort,  bis  zu  elf  kämpfern  und  besiegt  sie 
alle.  Da  muss  Hildigerus  sich  zum  kämpf  entschliessen.  Da  er  durch 
seine  kunst  Schwerter  stumpf  machen  kann,  tritt  Haldanus  ihm  mit 
lappenumwickeltem  schwert  entgegen  und  trifft  ihn  zu  tode.  Der 
sterbende  Hildigerus  entdeckt  sein  bruderverhältnis  zu  Haldanus,  be- 
klagt den  wechselseitigen  fall  der  brüder  und  den  tod  seines  sohnes 
durch  seine,  des  vaters  band.  Er  habe  vor  dem  kämpf  aus  ehrgefühl 
geschwiegen,  um  weder  feige  noch  verbrecherisch  zu  scheinen.  Er 
stirbt;  Haldanus'  rühm  dringt  bis  Dänemark. 

Dort  war  inzwischen  Guritha  von  Sivardus,  einem  edlen  Sachsen, 
umworben  worden,  dem  sie  sich  nicht  abgeneigt  zeigt,  aber  verlangt, 
er  solle  zuvor  das  zerrissene  Dänemark  einigen.  Sivardus  gelingt 
dies  nicht,  dennoch  setzt  er  die  hochzeit  durch.  Haldanus  erfährt 
davon,  kommt  eilends  und  gerade  zum  hochzeitstage  zurecht.  Un- 
erkannt preist  er  im  Hede  seine  taten.  Guritha  erkennt  ihn  und  ant- 
wortet, dass  man  sie  zur  ehe  gezwungen  habe.  Er  erschlägt  Sivardus 
und  die  Sachsen  und  heiratet  Guritha. 

Der  vergleich  beider  quellen  zeigt  alsbald,  dass  beide  auf  eine 
grunderzählung  zurückgehen,  die  -namentlich  im  anfang  und  schluss 
hervortritt,  dass  dagegen  die  einzelnen  episoden  unabhängig  von- 
einander in  jeder  der  quellen  eingefügt  sind. 

Die  einleitung  über  die  herkunft  der  Schwerter  wird  uns  später 
XU  beschäftigen  haben,  wo  das  faer.  lied  zeigt,  dass  Saxo  hier  etwas 
unterdrückt.  Die  herkunft  beider  halbbrüder  wird  wesentlich  gleich- 
artig berichtet,  auch  der  darin  ausgeprägte  dänisch-schwedische  gegen- 
satz  ist  beiden  quellen  eigen.  Saxos  eigentum  ist  hier  vor  allem  die 
geschieh te  vom  hundekönig,  die  der  saga  fehlt  und  nicht  hergehört. 
Die  übrigen  ab  weichungen  kommen  später  zur  spräche.  Ebenso  ist 
der  schluss  in  beiden  quellen  sehr  nahe  zusammengehörig,  auch  die 
Verteilung  von  vers  und  prosa  stimmt  überein.  Stärker  abweichend 
sind  dagegen  die  mittelpartien.  Von  Haldanus  berichtet  Saxo  zunächst 
die  übliche  einleitung  des  heldenromanes.  Der  held  zeigt  zunächst 
keine  heldenhaften  anlagen,  bis  der  funke  plötzlich  aus  ihm  hervor- 
springt. Das  geschieht  nach  dem  weitverbreiteten  Schema  der  'Dren- 
gene  paa  legevolden',  über  das  Olrik  (Danske  studier  1906,  91  ff.)  ge- 
handelt  hat.      Für   eine   Originalität  Saxos  spricht  das  motiv,  das  der 


DIE   NORDISCHE   UND   DEUTSCHE   HILDEBRANDSJLGE  163 

saga  fehlt,  nicht.  Auf  die  erweckung  folgen  farblos  angedeutete 
kriegstaten  und  brautwerbung.  Das  übliche  sagascheraa  ist  beiden 
quellen  gemeinsam.  Ausgeführt  ist  davon  bei  Saxo  nur  die  episode 
mit  dem  räuber  Rötho.  Diese  geschichte,  die  erfunden  ist,  um  den 
für  Saxo  unverständlichen  ausdruck  Rötho-ran  für  einen  besonders 
grausamen  raubzug  zu  erklären,  und  die  aufgeputzt  ist  mit  einer  ge- 
lehrten anleihe  bei  der  griechischen  Theseussage,  wird  niemand  für 
ein  altes  glied  der  Asmunderzählung  halten.  Mit  der  brautwerbung 
verknüpft  jede  quelle  ihre  besondere  erzählung.  Die  saga  verwendet 
hier  ein  seinem  habitus  nach  junges  novellen-  oder  märchenmotiv  in 
dem  Wettbewerb  mit  dem  wiking  Eyvindr  skimih^U.  Saxo  bringt  die 
geschichte  von  dem  kämpf  mit  den  berserkern  mit  der  ausgerissenen 
eichenkeule.  Dass  hier  Saxo  eine  anleihe  bei  der  vorher  erzählten  ge- 
schichte von  Hälvdan  bjargrammi  macht,  ist  bereits  gesagt.  Beide 
erzählungen  sind  deutlich  spätere  zutat,  denn  beide  haben  nur  sinn,  wenn 
sie  die  Werbung  Asfeiunds  zum  ziele  brächten,  was  sie  aber  keineswegs 
tun.     Sie    können   aus    dem  Zusammenhang   ohne  Störung  fortbleiben. 

Haldanus-Äsmund  begibt  sich  dann  in  fremden  dienst  (saga: 
Sachsenherzöge;  Saxo:  Ruthenen)  und  kämpft  in  ihrem  dienst  gegen 
Hildebrands  berserker,  dann  gegen  ihn  selbst.  Hier  ist  die  saga  sehr 
viel  ausführlicher.  Nicht  nur  die  erwerbung  des  Schwertes  (resp.  der 
Schwerter)  durch  Asmund  wird  ganz  anders  berichtet,  worüber  wieder 
das  fser.  lied  auskunft  zu  geben  hat.  Auch  Asmunds  aufenthalt  bei 
den  Sachsenherzögeu  ist  durch  die  figur  von  deren  kluger  Schwester 
und  ihrem  träum,  ferner  durch  die  szene  zwischen  Hildebrands  boten 
Y9ggr  und  Asmund  weit  lebendiger  ausgemalt.  Da  hier  das  fser.  lied 
versagt,  bleibt  es  zweifelhaft,  was  auf  konto  der  saga  kommt  und 
was  ältere  Überlieferung  ist.  Über  die  angäbe  der  saga  von  Hilde- 
brand und  seinem  söhn  ist  später  zu  sprechen. 

Im  schluss  ist  dann  Saxo  wieder  sehr  viel  ausführlicher  als  die 
saga.  Guritha  hatte  als  preis  für  ihre  band  die  einigung  Dänemarks 
ausgesetzt.  Auch  dies  motiv  ist  stumpf,  denn  weder  leistet  Haldanus' 
nebenbuhler  Sivardus  die  aufgäbe,  und  trotzdem  wird  die]  hochzeit 
gerüstet,  noch  Haldanus  selbst,  und  doch  führt  er  Guritha  heim.  Die 
absieht  Saxos  ist  klar.  Denn  unmittelbar  anschliessend  beginnt  er  die 
geschichte  Haralds  zu  erzählen,  der  als  erstes  diese  aufgäbe  in  angriff 
nimmt  und  durchführt.  Statt  des  sagamotivs  dervaterrache  stellt  Guritha, 
die  tochter  des  letzten  einheitlichen  Dänenkönigs,  die  bedingung  der 
vriedervereinigung  des  reiches,  die  sich  hernach  in  ihrem  söhne  erfüllt. 
Saxos    ordnende    arbeit    ist    nicht    zu    verkennen   und    wir    haben    in 


164  H.   DE   BOOK 

Gurithas  bedingung  wieder  eine  stelle,  wo  er  zur  Verknüpfung  seiner 
geschichte  züge  aus  fremden  stoflFen  in  die  Haldanusgeschichte  einmischt  ^ 
Als  Haldanus  zu  Guritha  zurückkehrt,  findet  er  sie  im  begriff, 
einen  andern  zu  heiraten.  Die  saga  macht  über  diese  geschichte  nur 
kurze  andeutungen,  aus  denen  deutlich  nur  das  eine  hervorgeht,  dass 
der  sagamann  einzelheiten  nicht  gewusst  hat.  Boer  nimmt  nun  an, 
dass  hier  Saxos  erzählung  das  von  der  saga  vergessene  bewahrt  hat. 
Dagegen  lassen  sich  bedenken  erheben.  Die  Nota3  uberiores  209  zu 
Müller- Velschows  ausgäbe  machen  auf  die  gleichheit  dieser  erzählung 
mit  der  von  Gram  und  Signe  bei  Saxo  I,  26  ff.  aufmerksam.  Wie 
Haldanus  weilt  Gram  fern  von  seiner  braut  auf  kriegsfahrt.  Wie  hier 
Guritha  wird  inzwischen  Signe  von  einem  fremden  werber  umworben, 
der  hier  wie  dort  Sachse  ist.  Wie  Haldanus  erfährt  Gram  von  der 
bevorstehenden  hochzeit  und  fährt  in  höchster  eile  heim.  Wie  Hal- 
danus tritt  er  unbekannt  unter  die  hochzeitsgäste^gibt  sich  im  liede 
zu  erkennen,  in  dem  er  auf  seine  heldentaten  anspielt  und  den  wankel- 
mut  der  frauen  schilt,  wie  Haldanus  vergewissert  er  sich  der  fort- 
dauernden liebe  der  braut  und  tötet  den  nebenbuhler  und  seine  krieger. 
Die  beziehung  ist  klar,  namentlich  die  sächsische  herkunft  des  neben- 
buhlers  in  beiden  geschichten  und  der  ganze  Wortlaut  verbieten,  an 
Verwendung  des  gleichen  motives  in  zwei  verschiedenen  erzählungen 
zu  denken  und  setzen  eine  direkte  angleichung  durch  Saxo  vm-aus. 
Und  da  ist  es  gewiss  kein  zufall,  dass  wir  hier  eine  dritte  stelle 
haben,  wo  Saxo  von  der  saga  abweicht  und  in  dieser  abweichung 
beziehungen  zu  anderen  teilen  seines  werkes  zeigt.  Diese  drei  stellen, 
sowie  die  offensichtliche  einflechtung  der  erzählungen  vom  hundekönig 
und  vom  Rötho-ran  lassen  Saxos  recht  willkürliche  behandlung  des 
Stoffes  erkennen  und  machen  es  nicht  gerade  wahrscheinlich,  dass  wir 
bei  Saxo  die  besser  bewahrte  quelle  zu  vermuten  haben,  ein  resultat, 
das  bereits  die  Untersuchung  der  namen  ergab.  Auch  die  saga  ist  bei 
weitem  nicht  überall  ursprünglich,  Saxo  und  saga  sind  zwei  gleichwertige 
quellen,  bei  denen  in  jeder  einzelheit  geprüft  werden  muss,  welche  das 
bessere  bewahrt  hat.  Beide  sind  mit  episoden  eigener  erfindung  durch- 
flochten, die  bei  Saxo  einen  grösseren  räum  einnehmen  als  in  der  saga. 

1)  Boer  betrachtet  auch  den  zug  der  anfänglichen  kinderlosigkeit  des  Haldanus 
als  anleihe  bei  der  geschichte  des  Haldanus  bjargrammi  (a.  a.  o.  363).  Mir  scheint 
das  verfehlt.  Bei  dem  älteren  Haldanus  handelt  es  sich  vielmehr  um  lange  e  h  e- 
losigkeit,  die  in  ganz  anderer  weise  in  der  erzählung  Verwendung  findet,  als  die 
kinderlosigkeit  des  jüngeren  Haldanus.  Zudem  bleibt  bei  Saxo  selbst  zweifelhaft, 
ob  aus  der  späten  ehe  des  H.  bjargrammi  ein  söhn  entspringt. 


DIE   NORDISCHE   UND   DEUTSCHE   HILDEBKAND8AGE  165 

Als  gemeinsamer  erzählungskern  bleibt  folgendes:  Drött  (HiFdr) 
wird  mindestens  zum  teil  durch  gewalt  nacheinander  die  frau  zweier 
männer  und  mutter  zweier  söhne,  die  sich  unbekannt  bleiben.  Zwei 
wunderbare  Schwerter  werden  verborgen,  kommen  wieder  ans  licht 
und  werden  den  brüdern  verderblich.  Der  jüngere  wirbt  um  die 
dänische  königstochter,  zieht  um  ihretwillen  auf  taten  aus  und  trifft 
mit  seinem  älteren  bruder  (Hildibrandr,  Hildigerus)  zusammen.  Dieser 
[weiss,  dass  der  gegner  sein  bruder  ist]  sucht  dem  kämpf  auszu- 
weichen und  schickt  andere  kämpfer  entgegen.  Als  Asmund  (Haldanus) 
alle  besiegt  hat,  muss  er  selbst  sich  zum  kämpf  entschliessen,  fällt 
und  offenbart  sterbend  sein  Verhältnis  zu  dem  bruder.  Vorher  hat  er 
irgendwie  den  eigenen  söhn  getötet.  Asmund  hat  rühm  gewonnen, 
zieht  heim,  verscheucht  einen  nebenbuhler  und  heiratet  die  königs- 
tochter. 

Diese  erzählung  ist  zweifellos  weit  geschlossener  als  jede  der 
einzelnen  quellen,  doch  kaum  in  poetischer  form  denkbar.  Wir  haben 
als  Vorstufe  eine  prosaerzählung  anzusetzen.  Auch  innerhalb  dessen, 
was  die  beiden  quellen  von  diesem  kern  berichten,  finden  sich  starke 
differenzen;  hier  hilft  die  fseröische  tradition  weiter  ^ 

II.  Die  fEBröische  tradition. 

Wie  erwähnt,  enthält  das  fser.  Snjölvskvsedi  (C.  C.  F.  bd.  VIII 
und  IX)  eine  ausführliche  darstellung  der  geschichte  von  Asmund  und 
Hildebrand.  In  sehr  wesentlichen  dingen  weicht  es  von  den  beiden 
bisher  besprochenen  traditionen  ab,  was  nur  zum  teil  auf  der  Ver- 
mischung mit  andersartigen  Stoffen  beruht.  Die  analyse  dieser  Stoffe 
kann  ich  hier  nicht  vornehmen.  Soweit  gestalten  des  Sigurd-  und 
Dietrichkreises  hineinverflochten  sind,  habe  ich  das  lied  in  meinem 
genannten  aufsatz  Arkiv  36,  207  ff.  mitbehandelt.  In  gleicher  weise 
berücksichtige  ich  hier  nur  den  Äsmundstoff,  der  allerdings  wohl  den 
grundkem  des  ganzen  liedes  bildet,  das  eines  der  umfangreichsten 
der  ganzen  Viserliteratur  ist.  Der  name  Snjölvtikvcedi  ist  in  dieser 
beziehung  irreführend,  es  sollte  Asmundarkvccdi  heissen.  Snjölvur  ist 
der  hauptheld  nur  im  zweiten  tättur  und  spielt  nur  noch  im  ersten  und 
sechsten  eine  bedeutendere  rolle.  Im  ganzen  sind  9  einzelne  dazu- 
gehörige taettir  bekannt,  doch  enthält  ausser  der  version  C  keine  der  sehr 

1)  Über    die    verwertbar keit    der    erst   im    19.   Jahrhundert    aufgezeichneten 
faeröischen  tanzballaden   zur  kritik  alter  Überlieferungen  entscheidet  die  bewertung 
ihres   alters  und   ihres   konservatismus   gegenüber  der  Überlieferung.    Ihr  alter  ist 
ZEITSOHKIFT  F.  DEUTSCHE  PHILOLOGIK.     BD.  XLIX.  12 


IGG  H.   DE   BOOK 

zahlreichen  aufzeichnungen  des  liedes  sämtliche  tsettir.  Die  Varianten 
des  liedes  sind  für  die  gesamtauffassung  von  keiner  grossen  bedeutung. 
Darin  verhält  das  Snjkv.  sich  anders  als  die  Nibelungenballaden.  Ich 
benutzte  die  umfänglichste,  im  C.  C.  F.  als  B  bezeichnete  version 
(C.  C.  F.  VIII,  395-972)  nach  der  niederschrift  von  Joh.  Klemmentssen 
1819.  Diese  steht  C  (Sandobog  von  1821)  so  nahe,  dass  C  im  C.  C.  F. 
nur  als  textvariante  am  rande  neben  B  registriert  ist.  Von  den  beiden 
in  B  fehlenden  tsettir  spielt  der  achte,  Risin  ä  Blalondum  oder  Risans 
tattur  für  die  vorliegende  Untersuchung  kaum  eine  rolle,  da  er  eine 
den  alten  quellen  unbekannte,  für  den  Zusammenhang  des  ganzen 
unwesentliche  episode  enthält,  die  zudem  nur  in  den  fassungen  C  und  K 
vorhanden  ist.  Ich  habe  C  (C.  C.  F.  IX,  23-29)  benutzt.  Für  den 
7.  tattur  Stridid  i  Hildardali,  der  durch  einige  namensformen,  nicht 
aber  durch  seinen  Inhalt  bedeutung  hat,  ist  die  niederschrift  von 
A.  Weyhe  (fassung  H)  benutzt,  da  sie  um  etwa  80  str.  mehr  enthält 
als  alle  übrigen  fassungen.  Eine  inhaltsangabe  der  in  betracht  kom- 
menden teile  ist  bei  der  sprunghaften  und  formelhaften  darstellung 
des  fser.  balladenstils  nicht  leicht. 

Hildebrand  zieht  auf  brautwerbung  und  gewinnt  nach  kämpfen 
Silkieik,  die  Schwester  des  Snjölvur.  Sie  haben  einen  söhn  Grimur. 
An  seiner  wiege  prophezeien  die  nornen  diesem  heldenruhm  und  frühen 
tod  durch  das  schwert  des  vaters.  Hildebrand  versenkt  das  schwert 
'hja  Heljaroyggjum.     Asmundur  keUingnrson  erfährt  von  frau  Adalus, 

meines  erachtens  durch  ihr  hauptsto  ff  gebiet,  die  jüngere  und  jüngste  fornaldar- 
saga  mit  frühestens  dem  XIII.  Jahrhundert  bestimmt.  Neuesten»  hat  Neckel  wenigstens 
für  die  Nibelungenballaden  resp.  deren  urform  ein  höheres  alter  vorausgesetzt,  so 
dass  sie  für  die  jüngeren  Eddalieder  und  die  Volsungasaga  als  quelle  in  betracht 
kommt  (Aufs.  z.  deutschen  spräche  und  literatur,  festschr.  f.  Braune  s.  106  f.),  eine 
annähme,  gegen  die  kurz  vorlier  sich  Heusler  noch  gesträubt  hatte,  obwohl  auch 
er  mit  der  möglichkeit  rechnet.  (Altnord,  dichtung  und  prosa  von  Jung-Sigurd, 
Sitzgsber.  der  Berliner  akad.  1919,  XV  s.  172.)  Für  den  koiiservatismus  der 
fser.  balladendichtung  muss  ich  gegenüber  Neckel  und  Heusler  bei  meiner  ansieht 
bleiben,  die  ich  in  meinen  bisherigen  arbeiten  über  diese  lieder  vertreten  habe, 
dass  in  den  bailaden  von  einer  schöpferischen  neugestaltung  und  Weiterentwicklung 
des  Stoffes  keine  rede  sein  kann.  Die  leistung  des  balladendichters  besteht  wesent- 
lich in  der  Zertrümmerung  und  Vermischung  der  überlieferten  Stoffe  und  der  aus- 
piägung  einer  grossen  reihe  formelhafter  szenen,  die  mit  geringen  textlichen 
Varianten  immer  wieder  auftauchen.  Die  forschung  an  den  bailaden  hat  diese  for- 
mein aufzusuchen  und  auszuscheiden  und  hat  zu  versuchen,  aus  den  trümmern  ein 
ganzes  möglichst  zu  kombinieren.  Gelingt  dies,  dann  darf  man  cum  grano  salis 
mit  diesem  ganzen  wie  mit  einer  alten  quelle  rechnen,  an  der  die  Übertragung  in 
balladenverse  inhaltlich  nichts  geändert  hat.  Diese  quelle  kann  poetisch  gewesen 
sein,  ist^aber  meist  eine  saga  gewesen. 


DIE   NORDISCHE   UND    DEUTSCHE   HlLDEBRANDSAaE  167 

WO  das  Schwert  versenkt  ist.  Er  zieht  dorthin,  zwingt  den  dort 
wohnenden  'hertiigi  Golmar,  ihm  die  stelle  zu  zeigen  und  findet 
das  Schwert.  Er  tötet  Golmar  und  vergewaltigt  seine  frau.  Äs- 
mund  beginnt  dann  kämpfend  die  weit  zu  durchziehen,  ziel  der 
kämpfe  ist  frauenraub.  Asmunds  hauptstärke  ist  heimtückische  Zau- 
berei. Bei  diesen  kämpfen  tötet  er  Hildebrands  Schwager  Snjölv. 
Er  fordert  auch  Hildebrand  selbst  heraus,  der  ihn  erst  abweist, 
schliesslich  aber  den  kämpf  auf  sich  nimmt  und  Asmund  über- 
windet, aber  am  leben  lässt.  Asmund  zieht  rachesinnend  ab.  Er 
fordert  Grimur,  den  söhn  Hildebrands,  heraus,  der  sich  aber  hart- 
näckig weigert,  mit  Asmund  zu  kämpfen.  Asmund  führt  immer  neue 
kämpfer  gegen  ihn  heran,  die  Grimur  alle  erschlägt.  Schliesslich 
ruft  Asmund  Hildebrand  herbei,  gibt  ihm  das  verhängnisvolle  schwert 
in  die  band  und  stellt  ihn  Grimur  unerkannt  gegenüber.  Grimur  fällt; 
als  Hildebrand  nach  dem  namen  fragt  und  erfährt,  dass  er  den  söhn 
erschlagen  hat,  stirbt  er  vor  schmerz. 

Hier  ist  sehr  viel  abweichung  von  dem  inhalt  der  saga  und 
Saxos,  so  dass  Kölbings  behauptung  der  durchgängigen  abhängigkeit 
des  liedes  von  der  saga  unverständlich  scheint.  Drei  punkte  -  ausser  den 
namen  Asmund  und  Hildebrand  selbst  —  machen  Zusammenhang 
zweifellos:  die  geschichte  des  Schwertes,  die  gegnerschaft  Asmunds 
und  Hildebrands  und  der  tod  des  sohnes  durch  den  vater.  Die  ge- 
schichte des  Schwertes  weist  gegenüber  Saxos  darstellung  auf  die 
saga,  aber  genaueres  zusehen  zeigt  auch  zusammenhänge  des  liedes 
mit  Saxo,  zu  denen  die  saga  kein  gegenstück  hat. 

Über  die  herkunft  der  Schwerter  und  über  ihre  bedeutung  im 
verlauf  der  erzähhmg  der  saga  hat  Boer  (a.  a.  o.  s.  355  ff.)  glücklich  ge- 
handelt. Dass  das  fluchbeladene  schwert  ein  konstitutives  dement  der  sage 
ist,  wird  anerkannt,  so  auch  von  Kauffmann  (a.  a.  o.  166),  der  das  von 
Hildebrand  -  nicht  das  von  Asmund  -  geführte  zauberschwert  als 
glied  der  urform  der  sage  betrachtet  und  'das  märchen  von  Hildebrand 
und  Hadubrand'  als  ursprüngliches  schwertmärchen  auffasst.  Wie  weit 
man  Kauffmann  hier  beistimmen  kann,  hängt  ab  von  der  Stellung,  die 
man  überhaupt  zur  frage  des  Verhältnisses  der  nord.  und  deutschen 
Hildebrandtradition  einnimmt.  Über  den  prosaischen  bericht  der  saga 
von  der  herkunft  der  Schwerter  spricht  er  sich  nicht  näher  aus,  da  er 
die  verse  allein  für  kompetent  erklärt.  Auf  den  nahen  Zusammenhang 
dieses  sagaberichtes  mit  der  einleituog  der  Hervararsaga  und  ihrer 
erzählung  von  der  herkunft  des  Schwertes  Tyrfing  ist  wiederholt  hin- 
gewiesen, zuletzt  und  ausführlich  von  Schuck  (Studier  i  Hervararsagan, 

12* 


168  H.  DE   BOOK 

rektorprogramm,  Uppsala  1918,  32  ff.).  Er  akzeptiert  Boers  aus- 
führungen  (a.  a.  o.  s.  355  ff.).  Boer  verweist  auf  die  widerspräche  in 
der  eingangserzählung  der  saga.  Die  beiden  zwergbrüder,  Olius  und 
Älius,  tadeln  die  schmiedekünste  der  schmiede  des  königs  Buöli.  Sie 
schmieden  im  Wettbewerb  mit  ihnen  beide  gemeinsam.  Plötzlich,  bei  der 
herstellung  der  beiden  Schwerter  schmieden  sie  jedoch  im  Wettbewerb 
untereinander.  Die  beiden  zwerge  schaffen  unter  zwang,  dennoch  wird 
nur  ein  schwert  mit  einem  fluch  belegt,  für  diesen  fluch  will  dennoch 
könig  Bndli  beide  zwerge  bestrafen.  Wie  und  warum  das  eine  schwert 
untüchtiger  ist  als  das  andere,  bleibt  unklar.  Dennoch  lobt  Buöli 
beide  Schwerter.  Alle  diese  Widersprüche  löst  Boer,  indem  er  auch  das 
wettschmieden  der  beiden  Schwerter  ursprünglich  als  wettkarapf  zwischen 
den  Zwergen  und  den  menschlichen  schmieden  des  königs  auffasst.  Die 
beiden  zwerge  schmieden  gemeinsam  das  gute  schwert,  belegen  es 
dann  gemeinsam  mit  einem  fluch,  für  den  sie  daher  gemeinsam  vom 
könig  bestraft  werden  sollen.  Das  weniger  gute  schwert  ist  arbeit 
der  menschlichen  schmiede;  es  ist  nach  bestem  können  gefertigt,  wenn 
es  auch  die  geforderten  übermenschlichen  proben  nicht  bestehen  kann 
und  verdient  daher  das  lob  des  königs :  'Auch  dies  ist  nicht  schlecht.^ 
Boers  annähme  gewinnt  viel  dadurch,  dass  sie  sich  als  rein  textliche 
entstellung  im  lauf  der  schriftlichen  Überlieferung  erklären  lässt.  Es 
heisst  an  einer  stelle,  als  der  könig  das  untüchtige  schwert  erprobt: 
'■Smidrhm  kvad  pat  ofraun  sveräinu'  (Detter  s.  82).  Da  Alius  und 
Ölius  sonst  nicht  als  '■ämiäir^  bezeichnet  werden,  zuvor  aber  von  den 
^smidir'  des  königs  eben  die  rede  gewesen  ist,  so  hat  es  wirklich 
viel  für  sich,  anzunehmen,  dass  auch  diese  worte,  die  im  jetzigen 
Zusammenhang  nur  auf  Ölius  bezogen  werden  können,  dem  königlichen 
schmiede  zuzuweisen  seien.  Damit  erhält  Boers  hypothese  eine  sehr 
beachtenswerte  reale  stütze.  In  der  tat  wird  ja  auch  nur  das  eine 
schwert  hernach  in  den  see  versenkt  und  spielt  eine  verhängnisvolle 
rolle.  Die  erwähnung  des  anderen  Schwertes  in  der  Vgggr-episode 
ist  durchaus  episodenhaft  und  in  keiner  der  beiden  anderen  fassungen 
gestützt. 

Saxo  behandelt  die  Schwerter  bekanntlich  sehr  kurz.  Er  kennt 
keinen  unterschied  der  beiden  Schwerter,  lässt  sie  beide  gleichmässig 
verborgen  sein,  beide  zusammen  gefunden  und  von  der  mutter  an  As- 
mund  ausgehändigt  werden.  Auch  gibt  er  für  beide  Schwerter  nameu 
an,  Lyusingus  und  Hwittingus,  die  nichts  von  einem  bedeutsamen 
unterschied  verraten,  sondern  sie  zu  einem  gleichmässigen  paar  neutral 
zusammenschliessen.      In    dem    Schlusskampf   aber   spielt   keines    der 


DIE    NORDISCHE   UND   DEUTSCHE   HILDEBRANDSAGE  169 

beiden  Schwerter  eine  rolle  durch  seine  zauberischen  eigenschaften. 
Vielmehr  tritt  hier  das  von  Saxo  auch  sonst  verwendete  motiv  von 
dem  lappenumwickelten  schwert  ein,  das  der  abstumpfenden  kraft  des 
blickes  widersteht.  Dennoch  wird  man  an  der  allgemeinen  ansieht 
festhalten  müssen,  dass  Saxö  die  Vorgeschichte  der  Schwerter  gekannt 
habe  und  in  seiner  angäbe  ^exquidfa  fabrorum  ojJera^  eine  andeutung 
darauf  zu  sehen  sei.  Dann  muss  Saxo  aber  die  Vorgeschichte  schon 
in  der  entstellung  gekannt  haben,  die  in  der  saga  vorliegt,  ja  die 
art  der  benennung  beider  Schwerter  setzt  ein  weiteres  abstumpfen 
<les  Schwertmotivs,  also  eine  jüngere  quelle  als  die  der  saga, 
voraus.  Die  entstellung  ist  aber  rein  mechanisch  mnd  fällt  erst  in 
die  periode  schriftlicher  bearbeitung,  ist  also  relativ  jung.  Somit 
spricht  auch  die  form  des  schwertmotivs  bei  Saxo  nicht  für  grosse 
ursprünglichkeit,  sondern  für  ableitung  und  willkür\  Die  fser.  Ver- 
sion spricht  klipp  und  klar  nur  von  einem  schwert.  Ich  sehe  von 
der  sonst  ganz  andersartigen  Verwendung  des  Schwertes  ab,  das  mit 
seinem  fluch  in  den  dienst  der  tragischen  vater-sohn-geschichte 
gestellt  wird.  Wichtig  bleibt,  dass  dies  schwert,  das  mit  einem 
fluch  behaftet,  versenkt  und  wieder  emporgeholt  wird,  keinen  harm- 
loseren doppelgänger  hat.  Nur  das  eine  schwert  ist  vorhanden.  Die 
einleitung,  die  von  der  entstehung  des  Schwertes  durch  zwergenarbeit 
berichtet  und  die  sich  in  der  saga  ausführlich,  bei  Saxo  angedeutet 
findet,  fehlt  dem  lied  und  ist  durch  eine  andere  ersetzt.  Bei  der 
geburt  des  sohnes  erscheinen  in  Hildebrands  haus  die  drei  nornen  K 
Zwei  von  ihnen  verkünden  ihm  heldentum  und  rühm,  die  dritte  aber 
den  tod  durch  das  väterliche  schwert.  Dieselbe  szene  kennt  die  fasr. 
poesie  an  mehreren  stellen,  sie  ist  also  formelhaft.  Wir  erkennen  darin 
die  alte  märchenformel  von  den  wunschfeen  an  der  wiege  in  ihrer 
speziellen  nordisch-mythologischen  ausprägung  der  drei  nornen,  wie 
im  ersten  Helgiliede,  der  Nornagestssaga,  der  Fridlefsage  bei  Saxo 
VI,  272.  Über  die  Verbreitung  des  motives  vgl.  Bolte-Polivka,  An- 
merkungen zu  den  kinder-  und  hausmärchen  I,  439  f.  Dem  zeugnis  von 
saga  und  Saxo  gegenüber  und  der  formelhaftigkeit  des  nornenmotivs 
in  der  far.  balladendichtung  entsprechend  wird  man  hierin  das  lied 
den  prosaberichten  gegenüber  für  sekundär  halten  müssen.  Wie  so 
häufig  ist   die   individuelle   durch    die   formelhafte   prägung  verdrängt 

1)  Boer  schliesst  von  seinem  axiom  der  Originalität  Saxos  aus  umgekehrt. 
Da  Saxo  die  entstellung  schon  kennt,  muss  sie  *zu  dem  älteren  bestand  der  sage 
gehören'.     Dieser  schluas  erledigt  sich,  sobald  man  Boers  praemisse  aufgibt. 

2)  Der  faer.  text  hat  aus  ihnen  drei  nonnen  *^nunnur*  gemacht. 


170  H.  DK   BOOK 

worden.  Der  wesentliche  beitrag  des  liedes  zu  dieser  stelle  ist  da» 
eine  schwert;  nehmen  wir  dies  in  den  sagabericht  hinüber,  so  erhalten 
wir  eine  erzählung,  die  der  einleitung  der  Hervararsaga  ausserordent- 
lich ähnlich  sieht,  worauf  Boer  (a.  a.  o.  s.  358)  und  Schuck  aufmerksam 
machen. 

Das  schwert  wird  sorgfältig  verborgen,  um  seinen  gebrauch  zu 
verhindern.  So  berichten  übereinstimmend  alle  drei  quellen.  Es  ge- 
schah wegen  des  darauf  ruhenden  fluches,  wie  saga  und  lied  angeben. 
Die  erzählung  des  Saxo,  dass  die  beiden  Schwerter  zusammen  mit 
der  königstochter  in  der  erdhöhle  verborgen  werden,  ist  allgemein  als 
sekundär  anerkannt.  Das  motiv  von  der  königstochter  im  hügel  (vgl. 
Bolte-Polivka,  anm.  HI,  443)  ist  nur  Saxos  eigentum.  In  saga  und 
lied  wird  das  schwert  im  see  versenkt.  Die  lokalität  ist  verschieden, 
in  der  saga,  der  schwedischen  heimat  des  königs  BuÖli  entsprechend 
im  Mälarsee,  im  lied  ^hja  Heljoroyggjum'.  Die  darstellung  stimmt  in 
beiden  quellen  im  detail.  Das  schwert  wird  nicht  einfach  in  den  see 
geworfen,  was  ja  zu  seiner  Versenkung  genügen  würde,  sondern  in 
einen  ^stokkr^  eingeschlossen,  der  nach  der  saga  aus  blei  war.  In 
diesen  sfokh-  ist  das  schwert  noch  eingeschlossen,  als  Asmund  es 
später  wieder  vom  gründe  heraufholt.  Das  lied  erwähnt  ihn  nur  ganz 
nebenbei.  In  einem  hier  nicht  wichtigen  gespräch  Asmunds  mit  einer 
meerfrau  rühmt  sich  diese,  str.  234: 

fd  sefti  eg  feg  d  bunJcan  upp 
vid  stol-Jc  od  sv'örd  i  jangi. 

Da  dieser  stohkr  zur  Versenkung  des  Schwertes  nicht  nötig  ist, 
und  das  schwert  von  ihm  so  umhüllt  ist,  dass  es  daraus  erst  mit  der 
axt  herausgehauen  werden  muss,  so  kann  sein  zweck  nur  sein,  das 
schwert  vor  dem  verrosten  zu  bewahren,  ein  zweck,  der  wiederum 
mit  der  absieht  der  Zerstörung  des  unheilsschwertes  nicht  überein- 
stimmt. Der  zug  ist  nur  als  zusatz  eines  rationalistisch  denkenden 
Sagaschreibers  zu  verstehen,  der  begreiflich  machen  wollte,  wie  das 
schwert  im  see  unversehrt  bleiben  konnte.  Wir  gewinnen  daraus  einen 
anhaltspunkt  für  die  quelle  des  liedes,  es  kann  nur  eine  saga  aus 
der  späteren  periode  gewesen  sein. 

Als  Asmund  herangewachsen  ist  und  zum  kämpf  mit  Hildebrand 
auszieht,  gewinnt  er  nach  allen  drei  quellen  das  verhängnisvolle 
schwert.  Bei  Saxo,  wo  der  fluch  vergessen  und  das  schwert  (resp. 
hier  die  beiden  Schwerter)  zusammen  mit  Dröta  aufgefunden  wird, 
erhält  er  beide  Schwerter  einfach  von  seiner  mutter.  Auch  hier 
ist    Saxos    unursprünglichkeit   klar.     Das  lied  stellt    sich    zur    saga. 


UIE   NORDISCHE   UND   DEUTSCHE   HILDEBRANDSAdE  171 

Dort  wird  Äsmund  das  schwert  von  ALsa  hin  fagra  gewiesen,  der 
königstochter,  um  die  er  wirbt.  Das  lied  beginnt  den  tättur  von  der 
Sehwerterwerbung  mit  der  str.  176. 

Stolz  Ädalüs  yvir  bordi  stendur 

Asniundi  hon  sigur: 

'Hildibrand  sigldi  for  Heljar  nordur 

har  sökti  hnnn  svördid  nidur' . 
Alles  übrige  hat  das  lied  vergessen,  Äsmunds  Werbung  um  die 
königstochter,  überhaupt  jeden  Zusammenhang  dieser  Adalüs  mit  Äs- 
mund; diese  eine  Strophe  zeigt,  dass  das  lied  auch  hierin  der  saga 
geglichen  haben  muss\  Asmund  folgt  ihrem  rate  und  begibt  sich  zu 
der  bezeichneten  stelle.  Er  trifft  dort  einen  mann,  der  die  stelle 
kennt,  wo  da  schwert  liegt,  und  der  mit  ihm  hinausfährt  auf  den  see, 
um  ihm  behilflich  zu  sein.  Auch  hier  weichen  saga  und  lied  in 
vielem  voneinander  ab.  In  der  saga  ist  jener  helfer  ein  ^bondP,  der 
Prinzessin  irgendwie  verpflichtet  und  daher  sofort  bereit,  Asmund  zu 
helfen.  Im  lied  ist  es  ein  etwas  geheimnisvoller  '■hertuyi  Golmar^  und 
verknüpft  mit  dem  emporholen  des  Schwertes  ist  ein  motiv,  das  in  der 
fser.  Asmunddichtung  sehr  breit  gewuchert  hat,  der  frauenraub.  Auch 
dieser  herzog  Golmar  hat  eine  frau,  die  von  Asmund  vergewaltigt  wird. 
Golmar  leistet  Asmund  daher  nur  widerwillig  und  gezwungen  helfer- 
dienste  und  wird  nachher  von  Äsmund  erschlagen.  Aber  wie  in  der 
saga  taucht  Äsmund  erst  vergeblich  und  der  Wortlaut  steht  derselben 
sehr  nahe: 

199  Asmundur  leyp  i  havid  üt 
lehigi  knvor  hann: 
so  kam  hann  frä  griinni  ujpp, 
og  einki  svörd  hann  fann. 

Saga  8.  88:  B'idan  hljop  Asmnndr  fyrir  hord  ok  kafadi,  ok  er  hann 
kom  upp,  pü  vildi  //nun  nidr  ^dru  f'inni. 

Welche  darstellung  hier  das  richtige  bewahrt  hat,  ob  die  wilde 
des  liedes  oder  die  milde  der  saga,  kann  hier  noch  nicht  entschieden 
werden. 

Über  Hildebrands  und  Äsmunds  herkunft  berichtet  die  saj;:!, 
dass  Hildr-Drött  in  rechtmässiger  ehe  mit  Helgi  einen  söhn  Hildebrand 

1)  Adalus  ist  im  gleichen  liede  der  name  von  Snjölvs  frau.  Snjölv  wird 
später  Ton  Äsmund  getötet  und  dieser  will  eich  ihrer  bemächtigen.  Sie  weist  ihn 
entrüstet  zurück  und  zerspringt  aus  härm  um  Snjölv.  Die  beiden  frauen  können 
nichts  miteinander  zu  tun  haben. 


172  H.  DK   BOOK 

hat,  und  dass  sie  dann  bei  lebzeiten  des  mannes  von  Alf  von  Däne- 
mark geraubt  und  an  Aki  verschenkt  wird.  Aus  dieser  zweifellos 
unehelichen  und  unebenbürtigen  Verbindung,  für  die  die  saga  zum 
grösseren  rühme  Asmunds  freilich  die  bezeichnung  ^yipia  wählt,  ent- 
springt Asmund.  Von  Äsmunds  unebenbürtiger  Stellung  macht  die 
saga,  deren  Sympathie  sichtlich  auf  seiner  seite  steht,  keinen  weiteren 
gebrauch.  Aber  bei  Saxo  wird  Haldanus  gegenüber  Hildigerus  mehr- 
fach mit  deutlicher  geringschätzung  behandelt,  obgleich  hier  die  Vor- 
geschichte weniger  anlass  dazu  gibt.  Denn  Drötas  beide  Verbindungen 
sind  erzwungen,  beide  gatten  sind  nicht  königlichen  blutes  und  der 
erste  ist  erschlagen,  als  der  zweite  sie  nimmt.  Saxo  berichtet,  dass 
Asmund  ein  '■plenum  contumeline  cogiionien^  getragen  habe.  Er  führt 
diesen  beinamen  auf  eine  entstellende  Verwundung  der  lippen  zurück, 
die  er  im  kämpf  mit  dem  räuber  Rötho  empfangen  habe.  Die  ge- 
sehichte  vom  räuber  Rötho  ist  aber  sicher  erst  von  Saxo  mit  der 
Haldanusgeschichte  verknüpft,  vielleicht  überhaupt  Saxos  erfindung, 
von  Saxo  kann  also  auch  erst  diese  erklärung  von  Haldanus'  Spott- 
namen herrühren.  Als  Haldanus  um  Guritha  wirbt,  weist  sie  ihn  ab 
und  begründet  dies  folgendermassen :  'ad  hcec  adduci  se  non  'pos.-<e,  ut 
reyice  nobilitatis  rel/quias  injeriur/'s  ordinis  ciro  copulnrl  sustineaf.^ 
Als  Hildigerus  dem  l£ampf  mit  Haldanus  ausweichen  will,  weigert  er 
sich,  'cum  homine  ■paruin  specfato^  zu  kämpfen.  Als  Haldanus  end- 
lich ruhmbedeckt  zu  Guritha  zurückkehrt,  wirft  er  ihr  in  versen  ihren 
Wankelmut  vor  und  spielt  auf  die  schmähliche  abweisung  an.  Saxo 
ist  hier  der  saga  gegenüber  recht  frei.  Detters  konjektur  in  seiner 
ausgäbe  (anm.  zu  str.  VI  s.  103)  ist  unnötig  und  unhaltbar.  Boer  hat 
sich  a.  a.  o.  343  ff.  mit  recht  dagegen  gewendet  und  dargelegt,  dass 
die  verse  ohne  Detters  konjektur  einen  besseren  sinn  ergeben.  Sie 
enthalten  eine  anspielung  auf  die  frühere  verächtliche  abweisung  As- 
munds durch  ^sa,  die  zwar  von  der  saga  unterdrückt  ist,  doch  aus 
Saxo  hervorgeht.  Boers  auffassung  schliessen  sich  Heusler-Ranisch  in 
den  Eddica  minora  (s.  87  anm.)  und  Finnur  Jönsson  (Skjaldedigtning 
B  n,  341)  inhaltlich  an.  Ihre  abänderungen  sind  rein  grammatisch- 
metrischer natur  und  meines  erachtens  nur  zum  teil  notwendig.  Er- 
wägenswert ist  Boers  Vorschlag,  kvtMir  statt  kvaeäi  zu  lesen  und  damit 
die  Strophe  als  anrede  an  Mssi  zu  fassen.  Die  Strophe  besagt  also: 
'Ich  erwartete  nicht  das  urteil,  dass  man  (resp.  du)  mich  niemandem 
für  überlegen  halten  könnte  (könntest),  jetzt  wo  die  Hünmegir  mich 
zum  Verteidiger  ihres  reiches  wählten.'  Das  ist  in  der  saga  eine 
deutliche,  in  der  poetischen  fassung  festgehaltene  hindeutung  auf  eine 


DIE   NORDISCHE   UND    DEUTSCHE   HILDEBRAXDSAGE  173 

frühere  unehrenvolle  Zurückweisung,  die  in  der  prosa  gemäss  ihrer 
heroisierenden  tendenz  für  Äsmund  fehlt,  aber  bei  Saxo  vorhanden  ist. 
In  Saxos  ersten  versen,  die  dieser  sagastrophe  entsprechen  müssten, 
kann  ich  freilich  eine  Übersetzung  dieser  strophe  nicht  sehen,  wenn  er 
sagt :  'Ich  erwartete,  als  ich  ausser  landes  ging,  keine  solche  weibliche 
lügenhaftigkeit  und  hinterlist'  (nämlich  in  seiner  abwesenheit  mit  einem 
andern  sich  einzulassen).  Saxos  abweichung  ist  verständlich ;  er  bildete 
den  schluss  der  Haldanuserzählung  nach  dem  vorbild  der  geschichte 
von  Gram  und  Signe  aus,  wo  die  vorwürfe  des  weiblichen  wankelmutes 
wiederkehren.  Dagegen  enthält  Saxo  v.  11-14  eine  recht  genaue  Über- 
setzung der  erwähnten  sagastrophe.  Es  geht  daraus  hervor,  was  ich 
zuvor  schon  behauptet  habe,  dass  nicht  Saxos  schluss  den  verlorenen 
schluss  der  saga  enthält,  sondern  dass  Saxo  hier  bewusst  ändert. 

Alle  diese  hinweise  auf  die  Verachtung,  der  Asmund  begegnet 
ist,  sind  in  der  kurzen  erzählung  zu  häufig,  um  nicht  anzudeuten, 
dass  Asmunds  verachteter  Stellung  und  der  daraus  entspringenden 
tatensucht  eine  bedeutende  rolle  zukomme,  dass  also  Saxo  hier  zu- 
verlässiger sei  als  die  saga.  Und  nun  sehen  wir  im  faeröischen  liede 
seine  ganze  rolle  auf  diesem  Verhältnis  aufgebaut.  Wir  sehen  ihn 
ruhelos  durch  die  lande  ziehen,  immer  auf  kämpf  und  rühm  bedacht 
und  doch  immer  den  andern  heldea  gegenübergestellt  als  ein  anders- 
artiger, nicht  vollwertiger.  Saxo  berichtet  von  einem  Spottnamen, 
den  Asmund  getragen  habe,  dass  er  deswegen  von  Guritha  abge- 
wiesen wird,  und  dass  er  gelobt,  diese  Verachtung  durch  doppelte 
heldentaten  auszulöschen.  Entsprechend  heisst  es  im  fjßr.  lied  von  As- 
mund : 

Str.  344:  td  var  navnid  snt'tgvi-vent, 
teir  kalla  han  kappabana. 

Ähnlich  sagt  das  an  dieser  stelle  vom  Snj.  kv.  abhängige  zweite 
Dvörgamoylied  (Hammershaimb,  Sjürdar  kvsedi  s.  90): 

(str.  53)  Asmundiir  her  eitt  heidursnavn, 
teir  kalla  kann  kappabana. 

Asmunds  name  ^kappabani''  wird  also  als  ein  erkämpfter  ehren- 
name  bezeichnet,  der  an  stelle  eines  anderen,  herabsetzenden  namens 
gesetzt  worden  ist.  Damit  haben  wir  Saxos  angäbe  bestätigt. 
Einen  solchen  herabsetzenden  namen  kennt  das  fser.  lied.  Der  ge- 
wöhnliche name  Asmunds  ist  dort  Asmundiir  keUingarson.  Diese  ganz 
ungewöhnliche    benennung    nach    der   mutter   deutet   entschieden    auf 


174  II.  DE   BOOK 

seine  unechte  geburt '.  Ebenso  findet  sich  das  motiv  wieder,  dass  As- 
mund  der  kämpf  beleidigend  verweigert  wird,  sow^ohl  in  seinem  mehr 
in  den  hintergrund  tretenden  kämpf  mit  Hildebrand  als  auch  in  dem 
weit  wesentlicheren  kämpf  mit  Hildebrands  söhn.  Äsmunds  beiname 
spielt  dabei  eine  bedeutende  rolle.  Grimur  antwortet  dort  Asmunds 
boten : 

Str.  355.  Hann  hevur  dtt  scer  mödur  U'i, 

ein  er  vesf  i  Innd: 

hon  hevur  manga  raska  kempur 

lagt  for  eitur-grand. 

Str.  356.   Tu  bid  hann  brynja  üt  fimti  kempur, 
bestu  i  ü'itt  land: 
eg  vil  ikki  möt  honum  stridast, 
ti  hann  iUgerning  kann. 

Was  wir  hier  über  Asmund  erfahren,  und  was  auch  seinem 
tatsächlichen  verhalten  im  kämpf  entspricht,  ist  dies,  dass  er  in  eine 
zauberhaft  unholde  atmosphäre  gerückt  wird.  Er  sucht  zu  siegen 
und  siegt  niemals  im  ehrlichen  kämpf,  sondern  unter  Verwendung 
eines  dämonischen  mittels :  er  stürzt  besiegt  vom  pferde,  verschwindet 
in  der  erde,  kommt  im  rücken  des  gegners  wieder  zum  Vorschein 
und  fällt  den  verblüfften  beiden  von  hinten  an.  Seine  mutter,  die 
von  Grimur  so  geschmähte,  hilft  ihm  dabei.  (Näheres  darüber  in 
meiner  arbeit  Arkiv  36,  218  f.)  Aus  der  gegebenen  Charakterisierung 
der  mutter  geht  hervor,  dass  in  Asmunds  beinamen  ^kellingarson^  ^kelling^ 
nicht  nur  'altes  weih'  bedeutet,  sondern  geradezu  'zauberweib,  hexe', 
dass  also  Asmunds  beiname  'hexenkind'  bedeutet.  Dieser  beiname 
lässt  sich  nicht  unmittelbar  mit  dem  bei  Saxo  angedeuteten  gleich- 
setzen. Er  ist  so  erst  möglich,  nachdem  ein  so  wesentlicher  bestand- 
teil  der  erzählung  wie  die  gemeinsame  mutter  Asmunds  und  Hilde- 
brands vergessen  ist,  und  nachdem  die  ausgestaltung  der  dämonischen 
Züge  in  Asmunds  bild  sich  vollzogen  hatte.  Auf  der  andern  seite  ist 
bei  Saxo  die  herkunft  von  Äsmunds  beinamen  aus  seinem  kämpf  mit 
Rötho  zwar  erst  Saxos  kombination,  aber  dass  er  sich  auf  Asmunds 
aussehen,  speziell  auf  eine  entstellung  im  gesicht  bezogen  hat,  ist 
wohl  kaum  zu  leugnen.  Zieht  man  aus  diesen  beiden  angaben  die 
mittellinie,  so  könnte  dieser  beiname  wohl  'wechselbalg'  oder  so  ähn- 

1)  Die  gelegentlich  auftretende  bezeichnung  '■kallsson''  ist  selten  und  aus 
'kelUngarson'  abstrahiert. 


DIE   NORDISCHE  UND    DEL'TSCHE    HiLDEBRANDSAGE  175 

lieh  gelautet  haben,  ein  name,  der  unechte  herkunft  und  entstelltes 
gesicht  in  sich  vereinigen  würde  \ 

Bislang  sind  über  der  betonung  der  zusammenhänge  zwischen 
dem  fter.  lied  und  den  alten  quellen  die  tiefgreifenden  unterschiede 
zurückgetreten.  In  den  nun  folgenden  abschnitten  überwiegen  sie  die 
zusammenhänge  beträchtlich.  Schon  in  der  Vorgeschichte  hat  das  fser. 
lied  ganz  andere  Voraussetzungen.  Die  herkunft  Äsmunds  und  Hilde- 
brands ist  vergessen.  Damit  fehlt  die  gemeinsame  mutter,  ein  zen- 
traler punkt  in  saga  und  Saxo.  Das  verhängnisvolle  schwert  ist  hier 
Hildebrands  eigentum  und  wird  von  ihm  versenkt.  Entsprechend  ist 
der  fluch  auf  dem  schwert  abgeändert.  Er  betrifft  den  tod  des  sohnes 
durch  den  vater.  Dass  er  aber  ursprünglich  in  dem  dienst  des  kampfes 
der  brüder  gestanden  hat,  geht  daraus  hervor,  dass  auch  hier  Äs- 
mund  das  schwert  aus  dem  see  holt.  Im  weiteren  verlaufe  tritt  die 
gegnerschaft  zwischen  Asmund  und  Hildebrand  zurück,  wenn  sie  auch 
keineswegs  vergessen  ist.  Doch  wird  Hildebrands  söhn  zum  haupt- 
gegner  und  das  ganze  gedieht  zu  einer  fehde  Asmunds  gegen  Hilde- 
brands geschlecht.  Allein  kann  Asmund  weder  Hildebrand  noch  Gri- 
mur  besiegen  und  bringt  es  darum  dazu,  dass  vater  und  söhn  sich 
unerkannt  gegenübertreten,  und  dass  der  vater  den  söhn  mit  dem 
fluchschwerte  tötet.  Das  heisst  also,  das  fser.  lied  unternimmt  eine 
wirkliche  und  organische  Verarbeitung  der  beiden  stoöe,  des  nordischen 
bruderkampfes  und  des  deutschen  sohneskampfes.  Es  fragt  sich,  wie 
sich  die  fser.  Version  darin  zu  den  alten  nord.  quellen  verhält. 

Die  einmischung  des  deutschen  Hildebrandstoffes  in  die  nord. 
erzählung  ist  ja  bekanntlich  in  den  nord.  quellen  bereits  vollzogen. 
Boers  versuch,  sie  aus  Saxo  hinauszuinterpretieren  und  alles,  was  auf 
deutsche  sage  deutet,  als  zutat  des  sagamannes  zu  fassen,  ist  verfehlt. 
Niemand  kann  die  entscheidenden  verse  in  Hildelfrands  sterbelied  bei 
Saxo  hinwegleugnen ;  die  deutsche  sage  ist  auch  bei  Saxo  da.  Und 
es  kann  kein  zufall  sein,  dass  diese  andeutungen  in  den  alten  quellen 
dieselbe  szene  betreffen,  die  ausführlich  im  Hede  dargestellt  wird. 
Diese  szene  muss  in  der  nord.  Asmunderzählung  also  schon  relativ 
alt  und  fest  sein.  Das  lied  verbindet  die  erzählung  von  Asmunds 
gegnerschaft   gegen  Hildebrand   mit  dem  motiv  vom  tode    des  sohnes 

1)  Vgl.  Grimm,  Mythologie»  437;  Finlands  svenska  folkdigtning  bd.  VII, 
464  ff. ;  Bolte  und  Polivka,  anmerkungen  I,  368  ff.  Vor  allem  in  der  grossen  fin- 
landschwedischen  materialsammlung  beachtenswerte  angaben  über  die  Verwendung 
des  namens  'wechselbalg'  für  kinder  mit  körperlicher,  namentlich  gesichtsent- 
Btellung. 


176  H.    DE    BOOK 

durch  den  vater  in  sehr  geschickter  weise,  indem  es  zugleich  das 
motiv  von  Äsmunds  inferioritUt  festhält  und  ausbaut.  Nach  allen 
Erfahrungen  über  die  entstehungs weise  der  fser.  tanzballaden  kann 
nicht  angenommen  werden,  dass  diese  kombination  eigentum  des 
balladenverfassers  sei.  Nicht  organische  Weiterentwicklung  und  Ver- 
bindung, sondern  mangel  an  gestaltungskraft,  gebundenheit  an  die 
quelle,  formelfreudigkeit  und  unbekümmertes  stehenlassen  von  Wider- 
sprüchen sind  für  diese  gattung  charakteristisch,  und  Snj.  kv.  fällt 
aus  ihrem  rahmen  in  nichts  heraus.  Wo  wir  bewusste  stofformung 
sehen,  wie  hier,  müssen  wir  sie  der  quelle  des  liedes  zurechnen.  Und 
diese  quelle,  die  in  ihrem  vorderen  teil  in  so  vielem  genau  mit  der 
nord.  Asmundsage  übereinstimmt,  dürfte  eine  andere  und  erweiterte 
fassung  der  Asmundarsaga  gewesen  sein.  Dass  dieser  schluss  des  fser. 
liedes  tatsächlich  mit  dem  alten  schluss  der  saga  zusammenhängt, 
dafür  erhalten  wir  ein  erwünschtes  zeugnis  in  Saxos  versen  des 
sterbenden  Hildigerus,  die  der  saga  fehlen: 

Sed  qucecunque  ligat  Parcarum  praescius  ordo, 
Qucecunque  arcanum  s^wperce  rationis  adumbrat, 
Seil  qiice  fatorum  serie  prcevlsa  tenentur, 
Nulla  caducarum  verum  conversio  tollet. 

Hierzu  vergleicht  sich  die  klage  des  sterbenden  Hildebrand  im 
fsBr.  lied: 

Str.  447.  Satt  er  tad  tä  talad  er, 
so  er  greint  ifrä: 
eingin  ger  ad  forvitnast, 
hvnt  nornur  leggja  d. 

In  beiden  quellen  ist  es  der  unselige  tod  des  eigenen  sohnes ', 
nicht  der  eigene  tod  durch  bruderhand,  der  beklagt  wird. 

Wir  erhalten  somit  eine  form  der  erzählung,  die  beträchtlich  von 
der  bekannten  nordischen  form  abweicht,  indem  sie  die  anleihe  bei  der 
deutschen  sage  bewusst  verwertet  und  ausgestaltet^.  Viel  mehr  als  das, 
was  aus  der  Version  der  saga  noch  hervorgeht,  braucht  diese  fassung  von 
der  deutschen  dichtung  nicht  gekannt  zu  haben.  Der  name  des  Hilde- 
brandsohnes Grimur  entspricht  nicht  der  deutschen  sage  und  ist,  wie 
stets  die  fser.  namensüberlieferung,  wertlos.     Dass  in  der  saga  Hilde- 

1)  Dieser  schluss  macht  es  gleichzeitig  verständlich,  warum  die  nornenformel 
im  eingang  des  liedes  statt  der  zwerge  eingetreten  ist. 

2)  Die  möglichkeit  einer  solchen  fassung  erwägen  ohne  kenntnis  des  faer. 
liedes  flüchtig  die  Eddica  rainora  s.  XLIV, 


DIE   NORDISCHE   UND   DEUTSCHK   HILDEBRANDSAGE  177 

brand  und  sein  söhn  unerkannt  zusammentreffen,  wie  in  dem  liede, 
geht  doch  wohl  aus  dem  öviljnndi  der  str.  III,  6  hervor  und  entspricht 
übrigens  ja  nur  sehr  zum  teil  der  deutschen  sage.  Vielleicht  setzt 
die  formel,  mit  der  die  kämpfer  von  Asmund  zum  kämpf  gegen 
Grimur  aufgefordert  werden,  deutsche  Vorstellungen  voraus: 

str.  370  u.  ö. :  'Tad  hyr  ein  kempa  i  skögnmn  biirt! 
Dazu  vergleiche  man  den  jeweiligen  beginn  des  kampfes: 

Str.  361:  'Grimur  kom  ür  skögnum  ut' ; 
ferner  str.  375  u.  ö. :  'ridu  so  i  skögvin  burt, 
sum  Grimur  fyri  sc/t. 

Str.  405  u.  ö. :  eg  skal  eftir  i  skögnum  sita, 
mcer  leingist  ikki  at  bida. 

Str.  425:  Grimur  droymdi  droymin  tann 
i  skögnum  sum  kann  lä. 
Man  sieht  hier  eine  durchgängige  Vorstellung,  dass  Grimur  im 
walde  haust  und  dass  er,  wie  der  ausdruck :  'sum  Grimur  fyri  sat' 
schliessen  lässt,  hier  eine  art  wächteramt  ausübt.  Da  nichts  im  Zu- 
sammenhang einen  aufenthalt  Grimurs  im  walde  ohne  wissen  des 
vaters  voraussetzt,  so  liegt  es  nahe,  an  die  deutsche  szene  des  Zu- 
sammentreffens von  vater  und  söhn  zu  denken,  wie  es  die  sagenform  der 
J)iörekssaga  und  des  jüngeren  Hildebrandsliedes  ausmalt.  Vor  Bern  ein 
grosser  wald,  an  dessen  rande  —  als  Hildebrand  Bern  von  ferne  sieht  — 
Hildebrand  mit  seinem  söhne  zusammentrifft,  der  als  herr  über  Bern 
wacht.  Diese  Situation  ist  unabhängig  von  dem  sonstigen  Zusammen- 
hang als  geschlossenes  bild  erhalten  geblieben. 

Zweifelhaft  kann  man  über  einen  weiteren  punkt  sein.  In  dem 
tättur  ^stridid  i  Hildardali'  erscheint  str.  11  und  öfter  die  bezeichnung 
'meistarin  Hildibrandur .  Diese  bezeichnung  beschränkt  sich  indessen 
auf  diesen  einen  tattur,  der  überdies  inhaltlich  von  den  übrigen  ab- 
weicht. Asmund  kommt  darin  überhaupt  nicht  vor.  Der  inhalt  ist 
vielmehr  ausser  Grimurs  brautwerbung  vor  allem  ein  kämpf  von 
Hildebrand  und  Grimur  gegen  die  vier  beiden  Geyti,  Virgar,  Norna- 
gest  und  Sigurd,  also  eine  art  Rosengartenmotiv.  Es  ist  daher  nicht 
unwahrscheinlich,  dass  dieser  tattur  als  ein  fremder  bestandteil  in  das 
lied  gekommen  ist,  und  den  namen  'meistarin  Hildibrandur'  mit  sich 
geführt  hat. 

Sonst  fehlt  jede  weitere  kenntnis  deutscher  Hildebrandsage. 
Weder  Hildebrands  langes  exil  und  seine  heimkehr,  noch  der  seelische 
konflikt,  dass  der  vater  den  söhn  erkennt  und  doch  kämpfen  muss, 
noch   vor   allem   Hildebrands   einordnung  in   die   Dietrichsage  spielen 


178  H.   DE   BOOK 

eine  rolle.  Der  kämpf  selbst  ist  im  liede  in  üblichen  formein  dar- 
gestellt, wir  können  über  ihn  nichts  mehr  erfahren.  Der  söhn  bleibt 
dem  vater  unbekannt,  erst  an  der  leiche  erfährt  Hildebrand,  wen  er 
erschlagen  hat.  Wir  haben  also  keine  veranlassung,  selbst  wenn  man 
den  ^mei>iPn-i  Hildihrandur  nicht  ausschaltet,  eine  besondere  deutsche 
quelle  vorauszusetzen,  aus  der  das  faeröische  lied  geschöpft  hätte. 
Eine  solche  wäre  auch  schwer  zu  finden.  Die  p>idreks8aga  hat  be- 
kanntlich die  versöhnende  darstellung  des  jüngeren  Hildebrandliedes. 
In  der  dänischen  dichtung  existiert  nur  eine  Übersetzung  des  jüngeren 
Hildebrandsliedes.  Direkter  einfluss  deutscher  quellen  ist  vor  dem 
XV.  Jahrhundert  nicht  anzunehmen  (vgl.  Arkiv  36,  249  und  297  ff.) 
und  ein  so  langes  nachleben  der  tragischen  form  in  Deutschland  ist 
wenig  wahrscheinlich.  Wir  werden  auf  eine  ausführlichere  Äsraundar- 
saga  zurückverwiesen.  Ihr  Inhalt  ist  im  fser.  lied  nicht  unentstellt 
geblieben.  Über  dem  Interesse  für  Hildebrand  und  seinen  söhn  ist 
das  Verhältnis  Hildebrands  und  Asmunds  ungebührlich  zurückgedrängt. 
Ihr  bvuderverhältnis  ist  vergessen,  für  Asmunds  gegnerschaft  gegen 
Hildebrand  besteht  kein  grund  als  Asmunds  allgemeine  rauflust.  Erst 
als  Asmund  von  Hildebrand  überwunden,  aber  am  leben  gelassen 
worden  ist,  kann  man  Asmunds  eifer,  vater  und  söhn  gegenseitig  zu 
verderben,  durch  seine  verletzte  parvenu-eitelkeit  erklären.  Der 
kämpf  Hildebrands  mit  Äsmund  endet  nicht  mit  Hildebrands  tod, 
dieser  wird  vielmehr  nach  dem  tode  des  sohnes  mit  der  häufigen  formel 
abgetan  :  'hau  qjrakk  af  hanni'.  Daher  ist  das  motiv  der  Weigerung, 
mit  Asmund  zu  kämpfen,  auf  Hildebrands  söhn  übergegangen.  Die 
entwicklung  in  dieser  richtuug,  die  lediglich  einen  verlust  von  erzählungs- 
teilen bedeutet^  kann  der  sagaquelle  noch  nicht  zugerechnet  werden. 
8ie  ist  erst  im  fser.  liede  geschehen  und  kann  gut  dort  geschehen  sein. 
Der  schluss  der  saga  hat  also  etwa  folgende  gestalt  gehabt:  Hilde- 
brand erkennt  in  Äsmund  seinen  bruder  und  versucht  dem  kämpf  mit 
ihm  auszuweichen.  Nachdem  Asmund  Hildebrand  nicht  zum  kämpf  be- 
wegen kann,  bewirkt  er,  dass  Hildebrands  söhn  ihm  gegenübertritt, 
der  aus  irgendeinem  gründe  dem  vater  unbekannt  ist.  Die  nennung 
des  namens  wird  verweigert  (wie  in  der  deutschen  Hildebrandtradition, 
l^iörekssaga,  jg.  Hildebrandlied).  Hildebrands  söhn  fällt;  als  Hilde- 
brand erfährt,  was  geschehen  ist,  stürzt  er  in  den  kämpf  gegen  As- 
mund und  fällt  neben  dem  toten  söhne  durch  den  streich  des  fluch- 
schwertes.  Sterbend  offenbart  er  sich  seinem  bruder.  Das  ist  dann 
die  Situation,  die  Hildebrands  sterbelied  voraussetzt,  so  wie  es  in  der 
saga    steht,    der    sterbende    vater    neben   dem   toten    söhn.    Saxo  hat 


DIE   NORDISCHE   UND   DEUTSCHE   HILDEBRANDSAGE  179 

die  verse  missverstanden  und  sie  so  übersetzt,  dass  das  bild  des  toten 
Sohnes  auf  dem  schilde  Hildebrands  abgebildet  ist^  Er  ist  auch  hier 
unzuverlässig.  Schliesslich  fällt  auch  auf  die  scheinbar  so  ungereimte 
notiz  der  saga  licht,  dass  Hildebrand  vor  seinem  kämpf  mit  Äsmund 
seinen  söhn  in  einem  anfall  von  berserkerwut  getötet  habe.  Sie  ist 
nicht  eine  törichte  abstraktion  aus  den  verszeilen  über  den  tod  des 
sohnes,  sondern  eine  ungeschickte  notiz,  die  den  Inhalt  einer  längeren, 
fortgelassenen  erzählung  ganz  kurz  zusammenfassen  soll. 

Die  abgrenzung  des  deutschen  einflusses  in  der  erzählung  von 
Asmund  und  Hildebrand  ist  durch  Boer  ziemlich  genau  geschehen. 
Es  ist  zunächst  der  tod  des  sohnes  durch  den  vater  und  alles,  was 
damit  zusammenhängt.  Insbesondere  ist  auf  die  sprachliche  parallele 
'suasdt  chind  -  sonr  enn  svdsi'  schon  früh  aufmerksam  gemacht  worden. 
Hierher  gehört  auch  die  im  fser.  lied  häufiger  erwähnte  gattin  Hilde- 
brands. Die  saga  erwähnt  nur,  dass'  Hildebrand  mit  einem  könig 
verschwägert  war,  der  in  den  beiden  fassungen  der  saga  Laszinus 
oder  Atli  genannt  wird.  Für  ihn  kämpft  Hildebrand  mit  den  Sachsen- 
herzögen. Die  erwähnung  dieser  schwagerschaft  -  der  im  fser.  lied 
die  schwagerschaft  mit  Snjölv  entspricht  -  ist  eine  andeutung  der 
sonst  vergessenen  ehe  Hildebrands,  der  jener  söhn  entsprungen  ist. 
Im  faer.  lied  heisst  diese  frau  Silkieik.  Das  ist  einer  der  vielen 
phantastischen  frauennamen  der  fser.  balladendichtung.  Aber  in  dem 
tattur:  'Stfktict  t  HildardaW  wird  Grimur  mehrfach  als  'HUdarsonur' 
bezeichnet.  Diese  bezeichnung  ist  um  so  auffallender,  als  der  name 
Silkieik  für  die  mutter  daneben  durchgeführt  ist.  In  solchen  patro- 
nymischen  formein  pflegen  alte  namen  besonders  festzusitzen.  Bekanntlich 
verwendet  nun  die  saga  in  ihrer  prosa  anstatt  des  durch  Saxo  und 
die  verse  in  der  saga  selbst  bezeugten  namens  für  die  mutter  Hilde- 
brands und  Äsmunds  den  Namen  Hildr.  Denselben  namen  finden 
wir  in  der  genannten  patronymischen  formel  im  fser.  lied  für  Hilde- 
brands frau.  Da  seine  Verwendung  in  der  saga  falsch  ist,  werden 
wir  berechtigt  sein,  ihn  auch  dort  für  die  frau  Hildebrands  in  anspruch 
zu  nehmen,  die  der  sagaschreiber  unberücksichtigt  Hess,  und  deren 
namen  er  fälschlich  auf  Hildebrands  mutter  übertrug.  Deutliche  spuren 
also  finden  sich,  dass  die  geschichte  von  Hildebrand  und  seinem  söhn 
in  Vorstufen  der  saga  eine  grössere  rolle  gespielt  hat. 

Zur   deutschen   Hildebrandsage  gehört  ferner   alles,   was  Hilde- 

1)  Heusler-Ranisch,  Eddica  minora  s.  54  wollen  mit  Corp.  pogt.  bor.  die  Tor- 
stellung  Saxos  in  die  saga  übernehmen.  Dazu  liegt  so  wenig  anlass  vor,  wie  zu 
den  ad  hoc  gemachten  konjekturen  des  Corp.  poet.  bor. 


180  H.    DK   BOOR,   DIE   NORDISCHE   UND    DEUTSCHE   HILDEBRANDSAGE 

brand  mit  den  Hunnen  zusammenbringt.  Boer,  dem  Finnur  Jönsson 
a.  a.  0.  auch  hierin  folgt,  interpretiert  mit  recht  die  schon  besprochene 
Str.  VI  der  saga  so,  dass  Asmund  darin  als  der  Vorkämpfer  der  dort 
erwähnten  Hunme<jir,  der  Hunnen  erscheint.  Dem  entspricht  es, 
wenn  bei  Saxo  Haldanus  für  die  'Rutheni'  kämpft.  Asmund  als 
Hunnenkämpfer  gehört  zu  dem  nordischen  bestand  der  sage.  Hilde- 
brand der  Hunnenkämpe  ist  deutscher  import.  Er  erscheint  in  den 
versen  in  str.  IX,  die  Boer  deswegen  mit  unrecht  aus  der  saga 
streichen  wollte.  Dort  wird  Hildebrand  auch  als:  ^enn  häri  Hüdihrandr' 
bezeichnet.  Auch  das  ist  deutsche  auffassung  und  passt  nicht  zu  der 
Vorstellung  von  zwei  brüdern,  deren  einer  eben  auf  freiersfahrt  ist. 
Deutscher  Vorstellung  entspricht  es  schliesslich,  wenn  Hildebrand  als 
landloser  flüchtling  gedacht  wird.  Saga  und  Saxo  stimmen  darin 
überein ;  am  klarsten  erzählt  es  Saxo.  Hildigerus  wird  verbannt, 
flüchtet  und  kommt  zu  Alverus  von  Schweden,  der  ihm  eine  tyrannis 
gibt  und  als  dessen  mann  er  gegen  die  Ruthenen  ficht.  Setzen  wir 
an  stelle  des  Alverus  von  Schweden  den  Atli  der  saga,  Hildebrands 
Schwager,  in  dessen  diensten  der  selbst  landlose  Hildebrand  kämpft, 
so  haben  wir  deutsche  sage.  Hildebrand,  der  grauhaarige  kämpfer 
der  Hunnen,  als  landesflüchtig  an  Attilas  hofe,  kämpft  unerkannt  mit 
seinem  söhne  und  tötet  ihn.  Das  ist  der  bedeutende  deutsche  anteil 
an  der  ältesten  erreichbaren  nordischen  erzählung  ]. 

Zieht  man  ihn  ab,  so  bleibt  aus  den  drei  quellen  zusammen  etwa 
folgende  nordische  geschichte  übrig.  Ein  könig  hat  ein  seh  wert,  an  dem 
Unheil  haftet,  und  das  er  deswegen  im  see  versenkt.  Seine  tochter 
Drött  hat  in  echter  ehe  einen  söhn  Hildebrandr,  wird  dann  geraubt 
und  gebiert  in  gezwungener,  unechter  ehe  einen  söhn  Asmundr,  der 
wegen  seiner  herkunft  und  seines  aussehens  einen  schmählichen  bei- 
namen  trägt.  Bei  seiner  Werbung  um  eine  königstochter  deswegen 
abgewiesen,  schwört  er,  diesen  namen  durch  taten  auszulöschen.  Er 
ertaucht  das   versenkte   schwert    und   zieht   auf  kriegstaten   aus.     Im 

1)  Zu  den  zeugniBsen  der  deutschen  herkunft  der  nordischen  Hildebrandsage 
rechnet  Detter  in  seiner  ausgäbe  (s.  XLIV)  die  lokalisierung  von  Hildebrand  (resp. 
Beines  'ßchwagers  Laszinus-Atli)  an  Rhein  und  Mosel  {Masshella  =■  latein.  Mosella), 
die  bei  Saxo  fehlt.  Kauifmann  a.  a.  o.  165  f.  tut  diesen  unterschied  als  inhaltlich  belang- 
los bei  Seite,  es  ist  ein  unterschied  des  romantischen  (saga)  gegenüber  dem  wikingi- 
schen (Saxo)  Stil.  Darin  liegt  etwas  richtiges  und  schiefes  zugleich;  auch  die  saga 
hat  die  'wikingische'  lokalisierung  Dänemark,  Schweden,  Saxland ;  die  aus  dem 
rahmen  fallenden  beiden  romantischen  lokalitäten  Ehein  und  Mosel  sind  äusserlichster 
anflug.  Ihr  Zusammenhang  mit  der  deutschen,  eingedrungenen  Hildebrandsage  ist  mir 
sehr  zweifelhaft.    Sie   dürften  angeflogene  gelehrsamkeit  des  sagaschreibers  sein. 


OKSSENICH,   DIE   ELISABETHLEGENDE   IM    GEREIMTEN   PASSION AL  181 

dienste  der  Hunnen  nimmt  er  die  herausforderung  Hildebrands  zum 
Zweikampf  an.  Da  Hildebrand  sein  Verhältnis  zu  Äsmund  kennt, 
weicht  er  dem  kämpf  aus  unter  dem  vorwande,  mit  dem  unberühmten 
nicht  kämpfen  zu  können.  Asmund  überwindet  in  steigernden  helden- 
taten  Hildebrands  kämpen,  so  dass  Hildebrand  schliesslich  dem  kämpf 
sich  nicht  entziehen  kann.  Mit  dem  unheilsschwert  erschlägt  Asmund 
den  bruder,  der  sterbend  ihr  Verhältnis  offenbart.  Asmund  zieht  heim 
und  heiratet  die  umworbene  königstochter. 

GREIFSWALD.  H.    DE   BOOR. 

(Fortsetzting  folgt.) 


DIE  ELISABETHLEGENDE  IM  GEREIMTEN  PASSIONAL. 

Für  die  heiligenlegenden  des  Passionais  ist  die  Legenda  aurea 
des  Jakobus  a  Voragine  verschiedentlich  als  quelle  nachgewiesen  worden. 
J.  Haupt  hat  in  seinen  abhandlungen  über  das  Väterbuch  und  das 
Märtyrerbuch  (W.Sb.  phil.  bist.  cl.  69,  71-146;  70,  101-188)  den  be- 
weis erbracht,  dass  der  Verfasser  des  Passionais  in  ausgiebigster 
weise  die  Legenda  aurea  benutzte.  Wichner  untersuchte  (Zeitschr. 
10,  255  f.)  genauer  die  beiden  legenden  von  St.  Jakobus  und  St.  Thomas 
in  bezug  auf  ihre  abhängigkeit  von  der  Legenda  aurea.  Fr.  Wilhelm 
unterzog  die  Thomaslegende  einer  nochmaligen  Untersuchung  und  be- 
richtigte die  resultate  Wichners,  indem  er  neben  der  Leg.  aur.  auch 
die  Passio  Thomae  als  mögliche  quelle  hinstellte  (Deutsche  legenden 
und  legendäre,  Leipzig  1907,  s.  59  ff.).  Zuletzt  gab  E.  Tiedemann, 
Passional  und  Legenda  aurea  (Palaestra  87,  Berlin  1909)  eine  stilistische 
Untersuchung  des  Passionais,  nachdem  er  in  der  einleitung  kurz  auf 
die  quellenfrage  eingegangen  war.  Er  schaltete  die  Elisabethlegende 
aus  seiner  stilistischen  Untersuchung  aus,  weil  hier  der  dichter  des 
Passionais  frei  mit  dem  texte  des  Jakobus  verfahren  sei,  im  gegen- 
satz  zu  den  übrigen  legenden,  die  einen  ziemlich  genauen,  stellenweise 
fast  wörtlichen  anschluss  an  die  quelle  aufweisen  (s.  15).  Diese  be- 
merkung  Tiedemanns  führte  mich  zu  einer  quellenuntersuchung 
für  die  Elisabethlegende  des  Passionais. 

Jakobus  a  Voragine  schrieb  die  Elisabethlegende,  mit  der  er 
Wundererzählungen  hauptsächlich  nach  dem  bericht  von  1235  verband, 
vollständig  nach  dem  kürzeren  text  der  Dicta  quatuor  ancillarum  im 
jähre  1290  nieder  (A.  Huyskens,  Der  sogenannte  Libellus  de  dictis 
quatuor  ancillarum  s.  Elisabeth  confectus  [1911]  s.  XXXI).    Fr.  Wilhelm 

ZEITSCHRIFT  F.  DEUTSCHE  PHILOLOGIE.     BD.  XLIX.  13 


182  OE^tSENICH 

stellte  zwar  die  abfassuugszeit  der  Legenda  aur.  als  noch  nicht  feststehend 
hin,  auf  jeden  fall  aber  vor  1298,  dem  todesjahre  des  Jakobus;  wahr- 
scheinlich ein  Jahrzehnt  früher,  da  das  Passional  vor  1300  geschrieben 
sein  rauss,  weil  handschriften  aus  dem  13.  Jahrhundert  erhalten  sind  '). 
Ein  flüchtiger  vergleich  der  Elisabethlegende  des  Passionais  mit 
dem  entsprechenden  abschnitt  der  Leg.  aur.  liess  erkennen,  dass  die 
Legende  des  Jakobus  dem  Verfasser  des  Passionais  wohl  kaum  als 
quelle  vorgelegen  hat.  Sie  schien  auf  jeden  fall  stark  gekürzt  und 
verändert  zu  sein.  Das  Studium  der  lateinischen  quellen  liess  mich 
in  einer  kürzeren  und  präziseren  Vita  als  die  des  Jakobus  eine  mög- 
liche vorläge  für  den  dichter  des  Passionais  vermuten.  Diese  Ver- 
mutung bestätigte  sich  bei  einem  genauen  vergleich :  für  den  grösseren 
teil  der  Passionallegende  ist  nicht  die  Leg.  aur.  die  quelle,  sondern 
der  kurze  lebensabriss  der  hl.  Elisabeth  von  Konrad  von  Marburg, 
den  A.  Huyskens  in  den  Quellenstudien  zur  geschichte  der  hl.  Elisa- 
beth (Marburg  1908)  veröffentlicht  hat.  Dieser  lebensabriss  des 
K  0  n  r  a  d ,  der  älteste  bericht  über  das  leben  der  hl.  Elisabeth,  wurde 
ein  jähr  nach  ihrem  tode  (f  1231)  niedergeschrieben  und  zwar  findet 
er  sich  beigefügt  einem  briefe  Konrads  an  den  papst  Gregor  IX. 
zwecks  heiligsprechung  der  Elisabeth  mit  einem  bericht  über  die 
wunder  an  Elisabeths  grab.  Diese  'Summa  vite'  (Huysk.  s.  156) 
wanderte  ein  zweites  mal  nach  Rom  als  amtlicher  bericht  einer  päpst- 
lichen kommission  (s.  82/83),  zusammen  mit  einem  neuen  wunder- 
bericht  der  kommission.  So  sind  zwei  typen  der  lebensbeschreibung 
entstanden,  der  urtypus  und  die  inserierte  form  der  kommission. 
Huyskens  behauptete  a.  a.  o.  s.  83:  Soweit  mir  das  material  be- 
kannt ist,  steht  der  urtypus,  wie  ihn  die  Rommersdorfer  abschrift 
wiedergibt,  gänzlich  vereinzelt  da  und  ist  nie  wieder  literarisch 
verwertet  worden.  Dagegen  hat  die  andere,  inserierte  form  als- 
bald eingang  in  die  Elisabethliteratur  gefunden,  natürlich  aber  nur 
zusammen  mit  dem  wunderbericht  der  kommission  (z.  b.  in  der  nur 
aus  Bayern  bekannten  lebensbeschreibung).  Von  den  vielen  Um- 
formungen des  berichts  von  1235,  die  bald  nach  der  heiligsprechung 
entstanden,  hat  sonst  keine  das  werk  Konrads  benutzt,  da  sie  eben  ihrer 
arbeit  alle  lediglich  die  prozessakten  von  1235  zugrunde  legten.    Erst 

1)  Dietrich  von  Apolda  vollendete  seine  Vita  1297,  also  höchst  wahrscheinlich 
nach  abfassung  der  Legende  des  Jakobus  (f  1298)  und  damit  der  Legende  des 
Passionaldichters,  so  dass  also  eine  abhängigkeit  der  Passionallegende  von  Dietrich 
und  dessen  Übertragung  vom  sogenannten  Verfasser  der  Erlösung  nicht  in  betracht 
kommen  kann. 


DIE   ELISABETHLEGENDE   IM   GEREIMTEN   PASSIONAL  183 

Dietrich  von  Apolda  griff  wieder  auf  unsere  biographie  zurück,  und 
zwar  zusammen  mit  dem  umgebenden  berichte  der  kommissare.  In 
der  Elisabethlegende  des  Passionais  haben  wir  aber  eine  Übertragung 
der  'Summa  vite'  vor  uns,  losgelöst  von  dem  wunderbericht.  Damit 
lässt  sich  also  die  behauptung  von  Huyskens  nicht  mehr  aufrecht 
erhalten.  Eine  andere  frage  ist  die,  in  welcher  form  wohl  dem 
Passionaldichter  die  'Summa  vite'  vorgelegen  hat,  ob  im  urtypus  oder 
in  der  inserierten  form.  Die  folgende  Untersuchung  erweist  die  zweite 
möglichkeit  als  wahrscheinlich.  Wenn  der  wunderbericht  in  der  Über- 
tragung fehlt  oder  nicht  berücksichtigt  ist,  so  ist  damit  noch  nicht 
bewiesen,  dass  er  auch  in  der  quelle  nicht  vorhanden  war. 

Wie  bereits  erwähnt,  lässt  sich  für  einen  grossen  abschnitt  der 
Passionallegen  de  die  benutzung  der  'Summa  vite'  Konrads  nachweisen, 
und  zwar  ist  dieser  teil  der  Passionallegende  die  genaue  wiedergäbe 
des  lebensabrisses  seinem  ganzen  umfang  nach,  von  anfang  bis  zu 
ende,  in  bezug  auf  reihenfolge  des  erzählten,  inhalt  und  Wortlaut. 
Es  ergibt  sich  demnach  die  abhängigkeit  der  Passionallegende 
von  Konrads  lebensabriss  für  folgende  abschnitte: 

Pass.  K.  621,  29-Pass.  K.  625,  30  =  Konrad  Huysk.  s.  156 
Duobus  annis  antequani  mihi  commendaretur  .  .  .  confessor  eins  extiti 
.  .  .  bis  s.  159  tandem,  cum  tempiis  mortis  immmeret  .  .  .,  bis  zu  dem 
bericht  von  Elisabeths  krankheit  und  tod.  Es  folgt  ein  ein  seh  üb: 
Pass.  K.  625,  31-Pass.  K.  627,  36.  Von  hier  an  richtet  sich  die 
Passionallegende  wieder  nach  dem  bericht  Konrads  bis  zum  schluss: 
Pass.  K.  627,  36-628,  81  =  Konrad,  Huysk.  s.  159  Tandem  cum  tem- 
pus  mortis  immineret  .  .  .  bis  s.  160  ende. 

Für  den  anfang  der  Passionallegende,  den  bericht  über  Elisabeths 
Jugend  und  ihre  Verheiratung  und  ehe  mit  Ludwig  =  Pass.  K.  618,  1 
bis  621,  28  kann  natürlich  Konrads  lebensabriss  nicht  in  betracht 
kommen,  da  dieser  nichts  entsprechendes  bietet  und  erst  mitten  im 
leben  der  Elisabeth  mit  der  Schilderung  der  hungersnot  beginnt.  Es 
bleibt  demnach  die  aufgäbe  für  den  anfang  und  für  das  oben  er- 
wähnte Zwischenstück  Pass.  K.  625,  31-627,  36  die  quelle  nach- 
zuweisen. Es  liegt  nahe,  an  die  möglichkeit  zu  denken,  dass  für 
diese  abschnitte  die  Leg.  aur.  in  betracht  komme.  Aber  diese  Ver- 
mutung bestätigt  sich  nicht  in  dem  sinne,  wie  z.  b.  die  Vita  Konrads 
als  vorläge  anzusehen  ist.  Dass  der  Verfasser  auch  die  Elisabeth- 
legende der  Leg.  aur.  gekannt  hat,  ist  wohl  selbstverständlich,  dass 
sie   ihm   aber   bei   der  niederschrift   der  Legende   vorgelegen  hat  und 

18* 


184  OES.SENICH 

dass   er   sie   wörtlich   benutzt   hat,  l'ässt  sich  durch  einige  beispiele 
wahrscheinlich  machen,  nicht  direkt  beweisen. 

Die   trage,   welche  quellen  und  welche  einflüsse  für  den  anfang 
und   für   den    einschub   in   betracht    kommen,    wird    eine    eingehende 
analyse    beantworten    und    dabei   gleichzeitig   die   arbeitsweise    des 
dichters  beleuchten. 
618,  1-619,  2. 

Dieser  abschnitt  erzählt  von  Elisabeths  Jugend,  von  ihrer  kind- 
lichen frömmigkeit  und  der  erwählung  des  apostels  Johannes  zum 
besonderen  Schutzpatron.  Davon  berichtet  auch  Jakobus  (Graesse 
s.  753).  Es  handelt  sich  wohl  hier  um  eine  freie  wiedergäbe  dem 
sinne  nach,  um  eine  kurze  Inhaltsangabe.  Die  wiedergäbe  der  Über- 
leitung zu  der  erzählung  von  der  wähl  des  apostels  Johannes,  die 
reihenfolge  und  der  Wortlaut  machen  es  sehr  wahrscheinlich,  dass  dem 
Verfasser  die  Leg.  aur.  vorgelegen  hat.  Man  vergleiche  Pass.  K.  618, 
56  f.  sus  wuchs  si  uf  an  schönem  vride  —  an  zucht,  an  lobelicher 
gir  —  und  gotes  gen  ade  was  an  ir  —  mit  der  ir  leben  ie  zunam 
mit  Leg.  aur.  s.  753 :  Crescens  vero  per  aetntem  femporis  et  crescebnt 
amplhis  per  affectum  derotionis.  Der  erste  satz  der  Pass.  Leg.  könnte 
freie  Übertragung  des  ersten  satzes  der  Leg.  aur.  s.  753,  die  reihen- 
folge 618,  37  'kirche'  und  618,  44  'cwpclW  einfluss  der  Leg.  aur.  sein, 
wo  auch  im  ersten  satz  von  einer  eccle^ia  und  im  folgenden  von 
einer  cappella  die  rede  ist.  Im  übrigen  ist  die  erzählung  summarischer 
behandelt.  Während  in  der  Leg.  aur.  unbestimmt  bleibt,  wo  Elisabeth 
ihre  Jugend  verbringt,  hat  der  Pass. dichter  offenbar  das  bestreben, 
uns  darüber  nicht  im  unklaren  zu  lassen,  indem  er  erzählt,  dass 
Elisabeth  zusammen  mit  dem  landgrafen  Ludwig  aufgewachsen  ist, 
dem  sie  schon  in  ihrer  kindheit  zur  gattin  bestimmt  wurde  (618,  12-21). 
Die  verse  618,  26-29 

die  edele,  die  geneme 
das  reine  leint,  das  gute  kint 
tet  rehte  als  si  were  Idint 
an  dirre  iverlde  wunne 
erinnern    an   Leg.  aur.  s.    753  .  .  .  coepit  .  .  .  ludos  spernere   vanitatis, 
successus  prosperos  fugere  mimdi.    In  dem  bericht  über  die  erwählung 
des  apostels  Johannes  618,  60-619,  2  finden  sich  abweichungen.    Es 
ist  in    der  Leg.  auf.  s.  753  die  rede   von    'singulae  schedulae    singu- 
lorum    apostolorum    7iomi)ribus    inscr/piäe',    die    auf   den    altar    gelegt 
wurden.     Das   Pass.  erzählt   aber  von   einem   andern   brauch  bei  der 
wähl,   von    12   lichtem,    aus    denen   Elisabeth   dreimal    das   licht,    das 


DIE   ELISABETHLEGENDB   IM    GEREIMTEK   PASSIONAL  185 

Johannes  bedeutet,  herausgreift  (618,  71  flf.).  Woher  stammt  dies? 
In  dem  Libellus  de  dictis  (Huysk.  s.  13  z.  308  fif.)  heisst  es:  Unde 
cum  secundum  consuetudinem  do7ninarum  omnium  ayostolornm  nomini- 
bi(s  vel  in  candelis  vel  in  carta  Script is  singulariter  simidque 
super  altare  mixtim  compositis,  singulos  sihi  apostolos  sorte  eligentihus 
ipsa  beata  Elis,  oratione  fusa  secundum  suum  votum  tribus  vicibus 
Sorte  beatum  Johannem  recepit  apostolum  .  .  .  Jakobus  gibt  demnach 
nur  den  einen  brauch  mit  den  karten  wieder.  Vielleicht  liegt  bei 
dem  Pass. dichter  eine  reminiszenz  an  die  betreffende  stelle  des  Libellus 
vor,  wo  auch  von  kerzen  die  rede  ist.  Dass  der  Pass.dichter  den 
Libellus  benutzt  hat,  wird  die  weitere  Untersuchung  zeigen.  Auffällig 
bleibt  immerhin,  dass  er  gerade  den  brauch  mit  den  kerzen  auswählte, 
man  könnte  daran  denken,  dass  er  ihn  aus  eigener  anschauung  kannte. 
Wenn  man  nämlich  vers  618,  69  der  Pass.leg.  als  man  hüte  pflit 
nicht  als  flickvers  ansehen  will,  so  wäre  damit  der  brauch  in  dieser 
bestimmten  form  für  die  zeit  des  Verfassers  erwiesen. 

619,  3-60. 

In  diesem  abschnitt  wird  erzählt  von  der  heirat  Elisabeths  mit 
Ludwig,  von  ihrer  bussfertigen  ehe,  von  ihrem  gebet  und  ihren 
geisselungen.  Davon  berichtet  Leg.  aur.'s.  754:  Consensit  igitur  licet 
invita  in  copulam  conjugalem,  non  ut  libidini  consentiret.  Vgl.  Pass. 
K.  619,  16-23;  Leg.  aur.  s.  755:  In  nocte  ad  orationem  saepe  sur- 
gebat  .  .  .,  s.  756:  saepe  etiam  per  manus  ancillarum  faciebat  se  in 
cubiculo  fortiter  verberari.  Unmittelbar  beisammen  finden  sich  gebet 
und  geisselung  im  Libellus  (Huyskens  s.  21  z.  565  ff.):  Item  beata 
Eliz.  noctibus  frequenter  ad  orationem  surgebat  .  .  .  und  s.  22  z.  600  ff.: 
Item  surgens  a  viro  in  secreta  camera  fecit  se  fortiter  verberari  .  .  . 
Es  werden  sogar  die  tage  angegeben,  an  denen  sie  sich  besonders 
gern  geissein  liess  (z.  607  f.):  Prius  tamen  in  quadragesima  et  feriis 
sextis  quandoque  idem  fecit  occulte;  ebenso  wie  Pass.  K.  619,  40  ff. : 
des  vritages  allermeist  —  liez  si  wol  durchvilloi  sich  —  und  darüber 
sunderlich  —  vo-r  ostern  in  der  vaste.  Dieser  hinweis  fehlt  Leg.  aur., 
die  unmittelbare  aufeinanderfolge  lässt  darauf  schliessen,  dass  der 
Pass.dichter  sich  hier  nach  dem  Libellus  gerichtet  hat;  vgl.  ferner  in 
secreta  camera  Lib.  z.  601  mit  Pass.  K.  619,  32  si  gienc  an  heim- 
liche stat. 

619,  61-620,  34. 

Die  verse  stellt  der  dichter  unter  den  gesichtspunkt  der  demut 
uad   barmherzigkeit,   die  Elis.   in   ihrer   ehe   übte.     Elis.  geht  in  ein- 


186  OESSENICH 

facher  kleidung  zur  kirche  619,  70  ff.,  (dasselbe  wird  in  der  Leg, 
aur.  8.  754  von  Elisabeth  als  Jungfrau  berichtet);  sie  geht  nicht  an 
einen  besonderen,  vornehmen  platz,  sondern  sie  bleibt  mitten  im  volke 
619,  80  f.  (nicht  in  Leg.  aur.).  Elis.  übt  die  7  leiblichen  vs^erke  der 
barmherzigkeit  (619,  93  ff.),  sie  lässt  die  armen  zu  sich  auf  die  bürg 
kommen,  kleidet  und  speist  sie  (620,  23  ff.).  Man  vergleiche  dazu 
Leg.  aur.  s.  756:  Septem  etihn  miser/cord/ae  operibus  tota  viyilaiitia  in- 
sudabat  .  .  .  Ipsa  namque  nudos  vestiehat,  siquidem  vestimenta  impen- 
debnt  nudis  peregrinorum  et  panpcriim  corporibus  sep)eliey}dos  et  pneris 
baptizandis.  An  diesen  satz  hielt  sich  auch  der  Pass.dichter;  er  be- 
richtet allgemein,  ohne  auf  beispiele  einzugehen,  dass  Elis.  sich  der 
waisen  und  armen  annahm  (620,  3),  kranke  pflegte  (620,  5  f.),  ge- 
fangene erlöste  (620,  10  f.),  hat  aber  diesen  abschnitt  freigestaltet 
unter  dem  gesichtspunkt  der  beiden  tugenden,  mit  reminiszenzen  an 
die  in  betracht  kommenden  stellen  der  Leg.  aur.  und  mit  selbständiger 
ausschmückung   (z.  b.  619,  80  ff.),    wofür  er    keine    vorläge  brauchte. 

620,  35-621,  28. 

Diesen   abschnitt   könnte   man   in   drei  Unterabschnitte  einteilen. 

620,  35-75 :  Elis.  schmückt  sich  in  anwesenheit  ihres  gatten, 
aber  unter  ihren  kostbaren  gewändern  trägt  sie  ein  härenes  hemd. 
Die  Leg.  aur.  bietet  nichts  entsprechendes;  wohl  aber  der  Libellus 
(s.  23  z.  619).  Cum  vero  mariti  prescivit  adoentum,  soUempnkis  ae 
oniabat  —  und  (z.  617):  laneis  vel  cilicio  (c/Z^c/imz  =  härenes  hemd) 
frequenter  ad  carnem  indiäa,  tiinc  etiam  cum  desuper  auratis  vestibus 
aut  Purpura  tegebatw.  Dass  Elis.  ein  busshemd  getragen,  ist  franzis- 
kanische tradition  (Huyskens,  Libellus  s.  XLII).  Aber  gerade  diese 
Verbindung  von  den  beiden  angeführten  sätzen  des  Libellus  in  der 
Pass.legende  und  die  fast  wörtliche  Übertragung  620,  56  ff. :  si  truc 
Christum  enbinnen  —  under  eime  kleide  herin  -  daz  ir  phlac  zu 
nehest  sin  —  und  ir  den  üb  zu  tugende  baut.  —  Schar  lachen 
und  sidengewant  —  hete  sie  yenuc  dar  obe  .  .  .  zeigen,  dass  der  Libellus 
dem  Pass.dichter  bei  seiner  arbeit  vorgelegen  hat,  und  zwar  die 
längere  fassung  des  Libellus;  denn  diese  stelle  über  den 
kleiderputz  und  das  busshemd  der  Elis.  gehört  zu  den  plusstellen  der 
längeren  fassung. 

620,  75-91 :  Elis.  fastet  gerne  bei  wasser  und  brot.  Die  episode, 
wie  landgraf  Ludwig  seine  gemahlin  fastend  antrifft,  wie  er  auch, 
ohne  Elis.  zu  tadeln,  von  dem  wasser  nimmt  und  es  ihm  herrlicher 
wein  zu  sein  scheint,  steht  weder  in  der  Leg.  aur.  noch  im  Libellus. 
Wohl   wird   in    beiden  quellen    des  langem  berichtet,  dass  Elis.  nicht 


DIE   ELISABETHLEGENDE   IM    GEREIMTEN   PASSIONAL  187 

alle  speisen  zu  sich  nahm,  besonders  solche  nicht,  die  ihr  unrecht- 
mässig erworben  schienen  (vgl.  Libellus  s.  18.  19.  20).  Lib.  s.  20. 
z.  540  ff.  wird  von  einer  reise  der  Elisabeth  mit  dem  landgrafen  er- 
zählt, auf  der  sie  sich  nur  von  wasser  und  brot  ernährt  habe.  Mög- 
licherweise schöpfte  der  Pass. dichter  bei  seinem  bericht  aus  der  dunklen 
erinnerung  an  das  im  Libellus  gelesene  -  oder  es  ist  eine  andere 
tradition  im  spiele.  Die  version,  wie  sie  das  Pass.  bietet,  ist  mir 
nirgendwo  sonst  begegnet.  Die  Leg.  aur.  weiss  von  dem  reisebericht 
des  Libellus  nichts,  dort  heisst  es  s.  756:  .  .  .  nigrum  imnem  et  durum 
in  aqua  calida  madefactum  cum  suis  ancillis  patienter  comedit.  Haec 
autem  vir  suus  oninia  cum  ■patientia  supporfabat.  Vielleicht  liegt  eigen- 
willige Umgestaltung  oder  ausschmückung  des  Pass.dichters  vor. 

620,  91-621,  28:  Wie  Ludwig  seine  geniahlin  ruhig  fasten 
lässt,  so  legt  er  ihr  auch  nichts  in  den  weg,  kranke,  selbst  an- 
steckende, zu  pflegen.  Er  wird  darin  bestärkt  durch  das  wunder  mit 
dem  aussätzigen,  den  Elis.  gepflegt  und  in  ihr  gemeinsames  ehebett 
gelegt  hatte,  der  aber  beim  hinzutreten  Ludwigs  verschwindet.  Dies 
findet  sich  weder  in  der  Leg.  aur.  noch  im  Libellus,  die  histo- 
rische berichte  sein  wollen.  In  der  Pass.leg.  ist  wahrscheinlich, 
ebenso  wie  in  dem  legendenhaften  bericht  von  dem  wasser,  das 
wie  wein  schmeckte,  mündliche  tradition  massgebend.  In  den 
späteren  lebensbeschreibungen  der  hl.  Elisabeth,  die  die  münd- 
liche tradition  und  sagenhaftes  fixieren,  taucht  auch  dieses  wunder 
von  dem  aussätzigen  auf;  z.  b.  in  den  Supplementen  ad  vitam  s.  E. 
des  Dietrich  von  Apolda,  bei  Mencken  s.  1990  findet  sich  dieser 
bericht,  nur  mit  einem  anderen  Schlüsse;  vgl.  Hermann  von  Fritz- 
lar, Deutsche  mystiker  I,  243;  ferner  Rothe  bei  Mencken  c.  20. 
8.  2060. 

Von  Pass.  621,  29  ab  bildet  der  lebensabriss  Konrads  die 
vorläge. 

621,  29-622,  12  =  Konr.  Huysk.  156  bis  s.  157:  Duohus  annis 
.  .  .  fuit  inventa.  Es  wird  von  der  werktätigen  hilfe  Elisabeths  wäh- 
rend der  teuerung  und  hungersnot  erzählt.  In  dieser  zeit  folgte  der 
landgraf  Ludwig  dem  kaiser  in  'ivelsche  lant'  621,  35,  in  der  Vita 
genauer  (s.  156):  eodem  tempore  marito  suo  in  Apuleam  ad  impera- 
torem  proficiscente ;  in  der  Leg.  aur.  genauer  s.  757 :  ad  curiam 
Friderici  imperatoris  quae  tunc  erat  Cremonae  (nach  Libellus,  Huysk. 
z.  761,  s.  27).  Zu  diesem  abschnitt  ist  nicht  viel  zu  bemerken,  da 
der  dichter  sich  bemüht,  die  Vita  Konrads  gewissenhaft  zu  übertragen. 
Die   Wirkung   der   hungersnot   wird   zuerst   in   einem  allgemeinen  satz 


188  0E8SENICH 

ausgesprochen  Konr.  Huysk.  s.  157:'  Jamjam  soror  E.  yolleri  cepit 
virtutibus  =  621,  45  f.  seht,  do  liez  sich  schowen  —  an  Elizahet  der 
viowen  —  ir  tugentUche  heiUkeit.  In  vergleichen  und  bildern  ist  der 
dichter  selbständig  (621,  62  ff.  68  f.  80  f.  89  f.).  Das  wirken  der 
barmherzigkeit  wird  durch  folgenden  vergleich  erklärt,  Pass.  K.  621, 
62ff. :  si  leite  einen  vullemunt  (fundament)  -  nach  erbermede  lere  -, 
der  sunder  aller  kere  —  nnwicklich  heldet  s/neu  grat  —  und  eine  vcste 
huwen  lat  —  uj  im,  die  ewiclichen  stat.  -  Selbständige  Personifikationen : 
Pass.  621,  68  f.  seht,  diz  worhte  irre  fügende  rat  — mit  helfe  unseres 
herren;  oder  621,  80  f.  der  erbermede  hitze,  als  ir  goi  erloubete, 
Elizabeten  beroubete  .  .  .  oder  621,  89  f.  swaz  si  des  indert  bi  ir  vant  — 
daz  roubete  ir  tizer  hant  —  die  starke  barmeherzigkeit.  Besonders  an- 
schaulich ist  wiedergegeben  Konr.  Huysk.  s.  157 :  ut  tandem  omnem 
cidtiim  et  omnes  vestes  preciosas  in  usus  pauperum  facerei  venundari 
=  621,  84ff. :  daz  si  zu  jungest  muste  geben  —  krönen,  kleidere,  vinger- 
lin,  —  vurspan  und  tessielekin  (knöpfe)  —  si  suchte  in  ir  heimote  —  der 
gezierde  kleinote. 

622,  13-622,  73. 

Zunächst  wird  berichtet,  dass  Elis.  Konrad  als  ihrem  beichtvater 
gehorsam  war.  Davon  steht  natürlich  an  der  stelle  in  Konrads  Vita 
nichts,  weil  wir  es  mit  einem  von  Konrad  selbst  verfassten  bericht 
zu  tun  haben.  Wohl  beginnt  Konrad  seine  Summa  vite  mit  dem 
hin  weis,  dass  er  zu  lebzeiten  Ludwigs  bereits  2  jähre  Elis.s  beicht- 
vater gewesen  ist  (Huysk.  s.  156) :  duobus  annis  antequam  mihi  com- 
niendaretur,  adhuc  vivente  marito  suo,  co7ifessor  eins  exstiti.  Der 
Pass.dichter  musste  an  dieser  stelle  auf  E.s  Verhältnis  zu  Konrad 
hinweisen,  weil  im  folgenden  in  der  vita  Konrads  von  diesen  be- 
ziehungen  weiter  die  rede  ist.  Der  neue  abschnitt  in  der  Vita  beginnt 
nämlich  mit  dem  hinweis  darauf,  dass  papst  Gregor  IX.  Elisabeth 
ihrem  beichtvater  Konrad  anempfohlen  hat:  Tandem  ipsa  marito  suo 
defuncto,  dum  vestra  paiernitas  eam  miehi  dignum  duxisset  commen- 
dandam  .  .  .  Diese  tatsache  wird  nun  vom  Pass.dichter  näher  erläutert 
und  ausgeführt  (was  ja  für  Konrad  überflüssig  war). 

622,  34-55.  Der  Inhalt  dieser  zeilen  braucht  nicht  auf  einer 
besonderen  quelle  zu  beruhen ;  denn  die  tatsacheu,  die  darin  mitgeteilt 
werden  (der  papst  nimmt  Elis.  in  seinen  besonderen  schütz  und  gibt 
in  einem  briefe  ihrem  beichtvater  Konrad  noch  besonderen  auftrag), 
waren  allgemein  bekannt.  In  der  Leg.  aur.  steht  davon  nichts.  An 
den  Wortlaut  und  die  darstellung  im  Pass.  622,  46  f.  der  pabest  sie 
do  an  sich  zoch  -  als  ein  vater  tut  sin  kint  -  er  hete  ir  guten  schirm 


DIE   ELISABETHLEGENDE    IM   GEREIMTEN   PASSIONAL  189 

sint  —  und  lerte  $/  zu  tilgenden  phaden  erinnert  die  betreffende  stelle 
in  der  um  die  mitte  des  13.  Jahrhunderts  geschriebenen  Vita  Gregors  IX. 
(Muratori,  Scriptores  rer.  Ital.  III,  1  s.  580):  Sanciissimus  papa  Gre- 
gorius  adhuc  teneram  et  divini  lactis  inexpertnm  suscepit  in  fiUam, 
insfnixif  devotam  et  coaluit  verhi  coelesfis  irriguo  iam  provectam^. 
Oder  man  vergleiche  die  entsprechende  stelle  im  Franziskanerbrevier 
bei  Lemmens  s.  9^:  'Hanc  siquidem  felix  papa  Gregorius  nonus  sus- 
cepit  in  filiom,  protexit  devotam,  eins  sanctae  inchoatio)üs  propositiim 
usqiie  in  felicem  exitum  tnulfa  soUicitudine  prosecufiis  .  .  .  Weniger 
anklänge  finden  sich  im  Libellus  der  längeren  fassting  (s.  45  z.  1233  ff.). 
Es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  der  Verfasser  die  Vita  Gregors 
kannte.  Der  schluss  622,  55-72  ist  eine  ausführung  von  Vita  Konr. 
(Huysk.  s.  157) :  ipsa  ad  sumtnam  tendens  perfectionem  utrum  in  reclu- 
sorio  vel  in  claustro  vel  in  aliquo  alio  statu  magis  posset  mereri  me 
consultans. 

.     622,   78-623,  36. 

Das  thema  des  letzten  satzes  des  vorhergehenden  abschnittes 
wird  fortgesetzt  und  der  Umschwung  im  religiösen  leben  Elis.  aus- 
geführt: Elis.  will  arm  sein  und  verzichtet  feierlich  auf  häb  und  gut. 
Die  kurze  angäbe  des  lebensabrisses  (Huysk.  s.  157):  me  consultans, 
hoc  tandem  in  animo  suo  resedit,  quod  cum  multis  lacrimis  a  me  po- 
poscit,  ut  eam  permittereyn  hostiatim  mendicat'e  —  ist  erweitert  durch  die 
begründung  dieses  entschlusses  622,  78  ff. :  si  schowete  an  daz  bilde, 
daz  unser  lieber  herre  truc,  da  er  uf  erden  von  im  sluc  —  vreude  unde 
richeit  —  und  die  rechten  armeheit  —  hielt  an  sime  lebene  do.  —  Eli- 
zabet  wolde  ouch  also  —  arm  alhie  durch  got  wesen.  Die  indirekte 
rede  der  quelle  ist  direkt  geworden  (622,  90  f.).  Die  zweite  antwort 
Elisabeths  ist  schon  in  der  quelle  direkt  (623,  3  f.)  -  Huysk.  s.  157: 
Hoc  faciam,  quod  me  non  potestis  prohibere.  Die  feierliche  absage 
am  karfreitag  in  der  kirche  (623,  6-36)  ist  fast  in  allen  einzelheiten 
eine  genaue  wiedergäbe  von(H.  s.  157):  Et  in  ipso  Parasceve,  cum  nudata 
essent  altnria  {die  altere  stunden  alle  hloz  Pass.  623,  10)  .  .  .  subveniri. 
Die  begründung,  weshalb  Konrad  Elis.  hindert,  ihrer  morgengabe  zu 
entsagen,  ist  wieder  in  direkter  rede  angeführt  (623,  27  ff.). 

623,  37-624,  28. 

Dieser  abschnitt  behandelt  die  Übersiedelung  E.s  nach  Marburg, 
den  bau  des  spitals,  E.s  krankenpflege,  ihre  dienstboten,  in  wörtlicher 
anlehnung   an    die    Vita   Konr.s  (H.  s.   157):    Quo  facto  ipsa  videns  se 

1)  Huyskens,  Libellus  s.  45  anm. 


190  OKSSENICH 

a  tumultn  seculi  et  gloria  mundana  illius  tivre,  in  qua  vivenlc  tiiarifo 
suo  gloriose  vixeraf,  posse  absorheri  .  .  .  bis  (s.  158)  dvtn  enim  oncilla 
olus  poraüit,  domina  scutellas  lavii  et  e  converso.  Die  antwort  E.s 
auf  den  verweis  K.s  {sibi  necesse  esse  taliter  contraria  contrariis  curare) 
ist  wieder  in  direkte  rede  umgesetzt:  623,  73  ff.  Die  arbeitsfreudig- 
keit  E.s  steigerte  der  Pass. dichter  noch  (624,  24  ff.) :  ob  ez  der  niayet 
was  gewant  —  daz  si  karte  daz  vletze,  —  so  warf  uz  bis  zur  letze  — 
den  mist  die  vrowe  und  den  staub. 

624,  29-82. 

1.  Die  pflege  eines  gichtigen  und  blutsüchtigen  kindes  624, 
29-47  ^  Vita  K.s  s.  158:  Liter  cetera  collegit  sibi  ijuerum  j^ralit/cum 
...  bis  propriis  manibus  abluebat;  2.  die  pflege  einer  aussätzigen 
frau  624,  48-67  =  Vita  s.  158:  Quo  mortuo  inrginem  sibi  leprosam 
me  nesciente  assumpsit  .  .  . ;  3.  die  pflege  eines  am  köpf  aussätzigen 
kindes  624,  68-82  =  Vita  K.s  s.  159:  Tandem  leprosa  per  me  rejecta  .  .  . 
bis  stratui  suo  assedit.  Die  Übertragung  erfolgt  also  genau  in  der- 
selben reihenfolge  und  in  fast  wörtlicher  anlehnung.  Die  anordnung 
dieser  drei  werke  der  barmherzigkeit  Hess  mich  zuerst  in  der  Vita 
K.s  die  quelle  vermuten,  weil  die  Leg.  aur.  (s.  763)  nur  einen  bericht 
von  der  pflege  eines  kranken  knaben  kennt  und  weil  der  Libellus 
auch  nicht  massgebend  sein  konnte.  Begründung  wird  hinzugefügt 
(Vita  8.  159:  Tandem  leprosa  per  me  reiecta  =  624,  61  ff.).  Die  paren- 
these  Konrads  (s.  159)  in  lavando  quam  in  medicando  —  a  quo  didi- 
cerit  nescio  —  eins  curam  gessit  ist  nicht  berücksichtigt  worden.  Im 
übrigen  ist  auch  dieser  abschnitt  eine  wörtliche  wiedergäbe  der 
quelle. 

624,  83-625,  30. 

Der  dichter  will  das  kontemplative  leben  der  Elis.  betonen, 
gegenüber  dem  aktiven  der  vorhergehenden  abschnitte.  Dabei  hält 
er  sich  wieder  an  die  Vita  Konr.s  (s.  159):  Preter  hec  opera  active 
vite  coram  deo  dico,  quod  raro  vidi  mulierem  mag is  contemplativam 
quia  quedam  et  quidam  religiosi  ipsa  a  secreto  orationis  veniente  fre- 
quentius  viderunt  faciem  eius  mirabiliter  fidgentem  et  quasi  solis  radios 
ex  ocidis  eius  procedenies  .  .  .  reficiehattir.  Der  vergleich  mit  Maria 
und  Martha  im  Pass.  zu  anfang  und  zu  ende  des  abschnittes  (624, 
87-95  und  625,  22-30)  lag  wohl  nahe,  besonders  einem  geistlich  ge- 
bildeten Verfasser.  Er  kann  aber  auch  aus  der  Leg.  aur.  entnommen 
sein,  wo  von  Maria  und  Martha  an  zwei  stellen  die  rede  ist  (s,  761 : 
Caeierum,  ut  cum  Maria  opjtimam  partem  possideret,  sedulae  contem- 
plationi  vacabat  und  s.  762/63 :  Ad  summum  vero  ciimulum  per/ectionis 


DIE   ELISABETHLKGENDE    IM   GEREIMTEN    PA8SIONAL  191 

propter  Mariae  contemplatlonis  otium  ?iO)t  dexeruit  Marthne  officium 
laborivsum). 

625,  30-626,  36-627,  36. 

In  diesen  zwei  abschnitten  handelt  es  sich  um  den  einschub 
in  die  Vita,  die  jetzt  zum  bericht  über  krankheit  und  tod  der  Elis. 
übergeht.  Der  Pass. dichter  will  aber  noch  ein  paar  ergänzungen 
machen,  damit  seine  darstellung  etwas  vollständiger  und  abgerundeter 
erscheine.  In  dem  ersten  abschnitt  des  ein  Schubes  (625, 
30-626,  36)  handelt  es  sich  um  die  Schilderung  der  anfeindungen, 
die  Elis.  von  ihren  einstigen  anhängern  erleidet  (625,  31-75);  der 
demütigungen,  die  sie  von  denen  erfährt,  denen  sie  wohltaten  erwiesen 
(625,  75-626,  11);  der  Verleumdungen  der  weiblichen  ehre  der  Elis. 
(626,  12-626,  36).  Der  dichter  scheint  diese  Schilderungen  unter  dem 
einheitlichen  gesichtspunkt  zusammengefasst  zu  haben,  der  625,  35  f. 
angegeben  wird:  nii  hiib  sich  an  diz  ivibesnam  —  der  vient  mit  ubeler 
tucke  -  tr  schuf  ir  ungeluche,  —  daz  zu  gelucke  ir  doch  geriet.  Welcher 
quelle  folgt  diese  darstellung?  Der  erste  bericht  (625,  31-75)  von 
dem  abfall  der  freunde  und  dienstmannen  der  Elis.,  von  dem  Verlust 
ihrer  äusseren  guter  gehört  zeitlich  nicht  in  die  Marburger  jähre,  und 
letzteres  steht  auch  im  Widerspruch  mit  der  feierlichen  freiwilligen 
absage  in  der  kirche,  von  der  bereits  die  rede  war.  Die  Leg.  aur. 
berichtet  davon  zeitlich  an  richtiger  stelle,  nämlich  unmittelbar  nach 
dem  tode  Ludwigs  (s.  758) :  Verum  cum  mors  viri  sui  per  totam  fuisset 
Thuringiam  divulgaia,  de  patria  ipsa  tamquam  dissipatrix  et  prodiga 
o  quibusdnm  vasalUs  viri  sui  turpiter  et  totaliter  est  ejecta, 
ut  ex  hoc  ejus  patientia  claresceret  et  paiqoertatis  diu  conceptum  desi- 
derium  obtineret.  Dass  sich  der  dichter  hierin  nach  der  Leg.  aur. 
gerichtet  hat,  könnte  die  reihenfolge  beweisen.  In  der  Pass.legende 
wird  weiter  erzählt,  dass  Elis.  ihre  kinder  von  sich  gab  zu  verwandten 
(625,  56  f.),  dass  sie  gezwungen  war,  um  Unterkunft  zu  betteln  (625, 
60  f.),  dass  sie  flachs  und  wolle  spann  für  die  armen  (625,  63  f.). 
Dann  folgt  625,  76  ff.  die  episode  mit  der  bettlerin  in  der  gasse. 
Zeitlich  gehört  dies  alles  nach  Eisenach,  unmittelbar  nach  Ludwigs 
tod.  Die  Leg.  aur.  (s.  759)  erzählt  auch  nach  diesem  ereignis  von 
der  schlechten  herberge  der  Elis.:  Sequente  die  dumum  cujusdam  sui 
aemuli  cum  suis  parvulis  jussa  est  ingredi,  arto  sibi  loco  ibidem  ad- 
modum  assignato,  dann  einige  Zeilen  weiter:  parvulos  suos  ad  loca 
diversa  alendos  transmisit;  darauf  folgt  die  episode  in  der  gasse  (Dum 
vero  per  quandam  vinm  striciam  luto  profundo  pleuam  .  .  .).  Eine 
andere    möglichkeit    für    die    lösung    der    quellenfrage   dieser  stelle 


192  OESSKNICH 

bietet  sich,  wenn  man  noch  den  zweiten  abschnitt  des  einschubes, 
(626,  36-627,  36)  in  betracht  zieht,  der  über  eine  vision  der  hl.  Elis. 
berichtet.  Im  Pass.  steht  dieser  bericht  an  merkwürdiger  stelle,  er 
hätte  logischerweise  schon  vorher  gebracht  werden  können,  als  von 
dem  kontemplativen  leben  E.s  die  rede  war.  Meiner  meinung  nach 
ist  hier  die  reihenfolge  des  Libellus  massgebend  gewesen.  Dort 
wird  erzählt  (s.  33  z.  940-1015)  von  der  schlechten  behandlung,  die 
Elis.  von  ihren  verwandten  und  dienstleuten  erfuhr,  [ferner  von  der 
undankbaren  frau  in  der  gasse.  Im  anschluss  daran  steht  im  Libellus 
der  bericht  von  der  vision  (s.  35  z.  1016-1078).  Dieser  bericht  steht 
in  Leg.  aur.  nicht  in  diesem  Zusammenhang,  sondern  an  anderer  stelle 
s.  761).  Dass  für  die  vision  der  Wortlaut  des  Libellus  massgebend 
war,  wird  die  weitere  Untersuchung  beweisen.  Aus  diesem  umstände 
kann  man  weiter  schliessen,  dass  auch  in  bezug  auf  die  reihen- 
folge des  erzählten  in  diesem  abschnitt  der  Libellus  als  quelle  zu 
betrachten  ist.  Dass  der  Pass. dichter  durch  Leg.  aur.  in  der  reihen- 
folge der  ersten  berichte  bestimmt  wurde,    ist  immerhin  möglich. 

Es  bleibt  noch  übrig,  für  den  dritten  bericht  der  ersten  hälfte 
des  einschubs,  die  Verdächtigungen  der  weiblichen  ehre  der  Elisabeth 
(626,  12-36),  die  quelle  aufzuweisen.  Im  Libellus  steht  davon  nichts 
an  dieser  stelle;  an  einer  späteren  stelle  (s.  45,  z.  1216-1231)  ist 
nur  von  Verleumdungen  usw.  die  rede:  a  magnatibus  autem  hominibus 
terre  contumelias,  hlasphemia  et  magnum  contemptum  sustinebat  .  .  . 
insultantes  et  infamnntes  eam  multipUciter.  In  der  Vita  wird  natürlich 
nichts  von  diesen  Verdächtigungen  erwähnt;  ebenfalls  nicht  in  der 
Leg.  aur.  Dass  aber  solche  Verdächtigungen  in  die  tradition  über- 
giengen,  wird  bewiesen  durch  ihre  aufzeichnung  in  den  Supplem.  ad 
vitam  S.  E.  des  Dietrich  von  Apolda  (Mencken  II,  2000):  'Videntes 
autem  qiiidam  perversi  spirifus  carnaliter  sentientes,  quod  sancta  feminn 
Magistro  Conrado  in  omnibus  obediret,  coeperunt  sanctos  homines  falsa 
suspicione  appetere  et  verbis  itnpiis  injamare  .  .  .'  Noch  deutlicher  bei 
Herrn,  von  Fritzlar  (Deutsche  myst.  I,  244  z.  24-30)  und  bei  J.  Rothe 
(kap.  32;  Mencken  s.  2084).  Der  Verfasser  des  Pass.s  mag  durch 
irgendeine  tradition  davon  gewusst  haben.  Die  version  bei  Herm. 
von  Fritzlar  erinnert  an  die  fassung  der  Pass.legende.  Möglicherweise 
schöpfte  Hermann  hier  aus  der  Legende  des  Pass. 

Der  zweite  teil  des  ein  schubs  handelt,  wie  bereits  gesagt, 
von  der  grossen  vision  der  Elisabeth,  (626,  37-627,  36).  Im  Libellus 
steht  diese  vision  (s.  35  z.  1016  if.),  in  der  Leg.  aur.  s.  761:  Quadam 
vero  die  sacro  quadrageMvHi^i  iemporc  .  .  . 


DIE   ELISABETHLEGENDE   IM   GEREIMTEN   PASSIONAL  19«? 

Ein  vergleich  ergibt,  dass  der  Wortlaut  des  Libellus  für  den 
Pass. dichter  massgebend  war.  Eine  gegenüberstellung  der  drei  fassungen 
für  einige   zeilen   des   Pass.s   lässt   die   abhängigkeit  sofort  erkennen. 

Pass.  K.  626,  81  ff.  Libellus  z.  1016  ff. 

do  gierte  si  heim  und  was  kranc  Tandem  cum  reddisset  ad  humile 

die  selbe  not  si  betivanc,  hospitium   suum  et  minimum  ci- 

daz  si  zu  tische  gesaz.  bum  sumpsisset  quia  valde  de- 

do  si  ein  wenic  alda  gaz  biliserat,   cepit   siidare   et  appo- 

seht,  do  began  si  sivitzen  dians  se  parieti  recepta  est  in 

und  also  nidersitzen  sinn    dicte    Isentrudis   .  .  .   oculos 

daz  sie  sich  leinte  an  diewant.  defixos    habebat    versus   fenestras 

ein  vrowe  entphienc  si  mit  der  hant.  apertos. 


ein  venster  gegen  ir  do  stuni 
dar  uz  sach  si  und  sach. 


Leg.  aur.  s.  761. 

Deinde  dimrnum  reversa  dum  se  prae  debilitate  in  ancillae  gremium 
appodiasset  et  illa  per  jenestram  oculos  ad  coelum  deßxos  attolleret  .  .  . 

Eine  solch  genaue  Übertragung  des  Libellus,  ist  nur  möglich,  wenn 
der  Libellus  dem  Pass. dichter  vorgelegen  hat.  Der  dichter  hat  aber 
den  Inhalt  der  vision  etwas  umgestaltet.  Während  in  dem  Libellus 
(wie  auch  in  der  Leg.  aur.  und  den  späteren  Viten,  z.  b.  bei  Dietrich 
von  Apolda)  nur  von  einer  vision  die  rede  ist,  die  in  der  kirche 
beginnt  und  dann  zu  hause  wieder  einsetzt,  berichtet  der  Pass.dichter 
von  zwei  Visionen  an  zwei  verschiedenen  tagen.  Die  erste  vision 
umfasst  die  verse  626,  37-67.  Der  ort,  wo  die  vision  stattfindet, 
ist  unbestimmt  gelassen.  Christus  erscheint  der  Elis.,  der  himmel 
öffnet  sich,  Jesus  neigt  sich  zu  ihr  und  grüsst  sie,  indem  er  die  worte 
spricht:  'Wenn  du  mein  sein  willst,  so  will  ich  bei  dir  sein.'  -  Die 
zweite  vision  (626,  68-627,  36)  findet  in  der  fastenzeit  statt,  zunächst 
in  der  kirche,  dann  zu  hause,  wie  es  der  Libellus  s.  35  f.  erzählt. 
Die  Pass.steile  ist  eine  wörtliche  wiedergäbe  der  zeilen  1016-1047 
des  Libellus.  Die  Vision  endigt  mit  dem  versprechen  der  E.,  Christus 
angehören  zu  wollen,  wie  er  ihr.  Im  Libellus  folgt  dann  (z.  1047  ff.) 
die  frage  der  Isentrud,  was  El.  gesehen  habe.  Sie  antwortet  (z.  1055  ff.): 
Vidi  celnm  apertum  ei  illum  dulcem  Jesum  dominum  meum  incli- 
nantem  se  ad  me  et  consolantem  me  de  variis  angustiis  et  tribu- 
lationibus  que  circumdederunt  me,  et  cum  vidi  eum,  iocunda  jui  et  risi, 


194  OES.SENICH,    DIE    ELISA HETHLEGENDE   IM    GEKEIMTEN    PASSION AL 

cmn  vero  vultum  avertit,  famquam  recessurus,  flevi.  Qni  misertus  mei 
iterum  vultum  suum  serenissimum  ad  me  convertit  t/icens:  Si  tu  vis 
esse  mecum,  ego  volo  esse  tecum.  Ciii  eyo  respoudi,  sicnt  snpradictum 
e /".  Aus  dieser  antvvort  der  El.  hat  nach  meiner  nieinung  der  Ver- 
fasser die  erste  vision  gestaltet,  wie  die  Übereinstimmungen  zeigen. 
Er  hat  auf  diese  weise  die  frage  des  herrn  und  die  bejahende  antwort 
der  Elis.  auf  zwei  zeitlich  auseinanderliegende  Visionen  verteilt. 

Mit  vers  627,  37  dess  Pass.s  kehrt  der  dichter  zu  seiner  haupt- 
quelle, der  Vita  Konrads  zurück,  um  ihr  bis  zum  schluss  in  fast  allen 
einzelheiten  zu  folgen.  Es  handelt  sich  jetzt  noch  um  die  darstellung 
von  E.s  krankheit  und  tod  (Huysk.  s.  159:  Tandem  cum  tempus  mortis 
immineret  bis  s.  160  ende  .  .  .  plehano  de  Marpnrg). 

627,  36-43. gibt  der  dichter  die  Verknüpfung  mit  dem  vor- 
hergehenden, indem  er  noch  einmal  den  Inhalt  der  letzten  ab- 
schnitte kurz  zusammenfasst :  daz  sie  phlac  vü  tiigetiden  al  uz  und 
innen.  627,  44  beginnt  er  dann  wie  Konrad:  nu  quam  ouch  nahen 
ir  die  zit,  daz  sie  sterben  solde.  Es  folgt  die  wörtliche  Übertragung 
des  berichts  von  K.s  krankheit,  nur  fügt  der  dichter  noch  hinzu,  dass 
ihr  der  herr  geoffenbart  habe,  dass  sie  vor  Konrad  sterben  werde 
(627,  54  f.).  Ihre  antwort  auf  die  frage  der  umstehenden,  weshalb 
sie  den  besuch  der  edlen  nicht  zulasse,  ist,  wie  meistens,  aus  der 
indirekten  in  die  direkte  rede  übertragen  (627,  82  ff.)  und  ebenfalls  die 
antwort  E.s  auf  die  frage  K.s,  wie  er  mit  ihrem  hab  und  gut  nach 
ihrem  tode  schalten  solle  (628,  10-16).  Es  wird  nicht  gesagt,  wo- 
rüber Elis.  nach  empfang  der  wegzehrung  redete  628,  23  f. :  und  rette 
von  den  dingen  —  als  sie  vor  mähte  bringen  —  die  uns  uf  gut  leben 
zien.  Man  vergleiche  dazu  Konr.  s.  160:  loquebatur  de  optimisj  que 
audierat  in  p)redicatione,  et  maxime  de  suscitatione  Lazari  et  quomodo 
Dominus  flevit  super  eins  suscitatione.  Im  folgenden  wieder  wörtlicher 
anschluss  an  die  quelle.  Der  vergleich  628,  41  f.  als  ob  da  vögele 
sungen  —  und  uf  gedone  erklungen  ist  zugefügt.  Das  erste  wunder 
am  tage  nach  E.s  begräbnis  ist  wörtlich  wiedererzählt;  nur  weiss  der 
Pass.dichter  von  der  'kelsuchV  (628,  73)  zu  berichten,  während  die 
quelle  nur  sagt:  quodam  morbo  mentali. 

Die  verse  628,  82  bis  zum  ende  fügte  der  dichter  hinzu, 
indem  er  auf  die  andern  wunder  an  E.s  grabe  noch  kurz  hinweist, 
die  oft  genug  beschrieben  worden  seien  (628,  94). 

Aus  dieser  letzten  bemerkung  könnte  man  vielleicht  schliessen, 
dass  dem  Verfasser  die  inserierte  form  des  lebensabrisses  von  Konr. 
vorgelegen  habe,  in  der  die  aufzählung  der  wunder  am  grabe  auf  die 


CONSENTIUS,   AUS   HEINRICH    CHRISTIAN   BOIES   NACHLASS  195 

Vita  folgte,  dass  er  dadurch  zu  der  bemerkung  veranlasst  worden  sei. 
Beweisen  lässt  sich  diese  annähme  natürlich  nicht. 

Ziehen  wir  die  summe  aus  der  vorgenommenen  quellenanalyse, 
so  kommen  wir  zu  folgendem  ergebnis.  Es  lässt  sich  nachweisen, 
dass  dem  dichter  für  den  grösseren  teil  der  Pass. legende  die  'Summa 
vite'  Konrads  von  Marburg  als  quelle  vorgelegen  hat.  Für  den 
teil  der  legende,  wo  der  text  des  Konrad  nicht  massgebend  sein 
konnte,  weil  er  nicht  das  ganze  leben  der  Elis.  umfasst,  oder  wo  er 
nichts  entsprechendes  bietet,  wurde  der  Libellus  de  dictis  qua- 
tuor  ancillarum  und  zwar  in  der  längeren  fassung  als  quelle 
nachgewiesen,  und  wie  sich  aus  bindenden  Übereinstimmungen  ergibt, 
haben  dem  dichter  die  dicta  ebenfalls  bei  seiner  Übertragung  vor- 
gelegen. Nicht  ebenso  bindend  Hess  sich  nachweisen,  dass  der  dichter 
die  Legenda  aurea  während  seiner  arbeit  unmittelbar  vor  sich 
gehabt  habe. 

Daneben  kommt  die  mündliche  tradition  in  betracht  für 
diejenigen  teile  der  legende,  wo  die  drei  angegebenen  quellen  nichts 
entsprechendes  bieten.  Wenn  der  Verfasser  des  Pass.s  nach  Hessen 
gehört,  vielleicht  in  die  nähe  von  Marburg  oder  nach  Marburg  selbst, 
so  hätte  man  eine  leichte  erklärung  dafür,  dass  er  manches  aus 
mündlicher  tradition  erfuhr  K 

BRÜHL-CÖLN.  MARIA   OES8KNIOH. 


AUS  HEINRICH  CHRISTIAN  BOIES  NACHLASS*. 

Textgeschichtliche  mitteilungen  zu 
Klopstock,  Lessing,  Herder,  Gerstenberg,  Voss  und  anderen. 

(Fortsetzung.) 

Boies  drittes  sammelbuch. 

Zweite  hälfte. 

Von  dem  dritten  sammelbuche  ist  -  abgesehen  von  den  hundert- 
nndfünfzig  fortlaufend  gezählten  eintragen  -  nur  noch  der  schluss, 
d.  h.  fünfunddreissig  unbezifferte  blätter,  erhalten.  Diese  blätter  sind 
nicht  alle,  der  reihe  nach,  mit  gedichten  gefüllt,  sondern  nur  zum 
teil  beschrieben ;  einzelne  selten  sind  ganz  freigelassen.  Daher  stellen 
diese  eintragungen  keine  unbedingte  chronologische  folge  dar,  sie  sind 

1)  Dass  das  Passional  in  den  kreis  der  deutschordensliteratur  gehört,  kon- 
statiert Fr.  Wilhelm  a.  a,  o.  s.  60. 

2)  Vgl.  oben  b.  57  ff. 


196  CONSENTIUS 

auch  nicht  deshalb,  weil  ihnen  die  hundertundfünfzij^  durchgezählten 
gedichte  zu  anfang  des  handes  voranstehen,  zeitlich  hinter  die  nr.  150 
anzusetzen.  Wie  das  buch  vorliegt,  kann  Boie  es  sehr  wohl  von 
zwei  oder  mehr  verschiedenen  blättern  aus,  vom  anfang  und  von  der 
mitte  aus,  gleichzeitig  benutzt  haben.  Er  konnte  bei  den  nicht  ge- 
zählten gedichten  bald  hier  ein  blatt,  bald  dort  ein  blatt  besehreiben 
und  einzelne  Seiten  überspringen.  Jedesfalls  liess  er  lücken.  Einige 
eintragungen  stehen  dabei  als  besondere  gruppen  -  räumlich  getrennt 
von  anderen  gedichten  -  für  sich  da. 

Die  gedichte,  die  sich  auf  den  ersten  vierzehn  der  noch  erhaltenen 
blätter  befinden  (blatt  la  bis  14  a),  sind  eine  derartige  gruppe  für  sich 
und  von  den  folgenden  eintragungen  durch  einen  starken  trennungsstrich 
und  ein  doppeltes  kreuz  abgesondert.  Diese  gedichte  sind  oben  bd.  48 
s.  401  S.  bei  der  Übersicht  der  Klopstockiana  der  sammelbücher  einzeln 
aufgeführt.  Ich  halte  die  stücke  dieser  geschlossenen  gruppe  sämtlich 
für  Klopstockisch,  obwohl  es  mir  für  einzelne  -  bisher  unbekannte  — 
nicht  möglich  war,  einen  druck  und  eine  Unterzeichnung,  die  aus- 
drücklich auf  Klopstock  hindeutet,  nachzuweisen.  Die  weitaus  über- 
wiegende mehrzahl  dieser  gedichte  ist  als  Klopstockisch  -  nicht  immer 
in  dieser  form,  doch  mit  Varianten  -  bekannt.  Ob  die  unmittelbar 
vorausgehenden  blätter,  die  jetzt  mit  fortgeschnitten  sind,  auch  zu 
dieser  gruppe  gehörten,  d.  h.:  ob  auch  sie  Klopstockische  gedichte 
brachten,  wird  sich  bei  den  spärlichen  schriftresten,  die  auf  den 
entfernten  blättern  stehen  blieben,  schwer  bestimmen  lassen;  falls 
diese  bestimmung  glückte  -  so  wäre  damit  wenig  gewonnen;  denn 
die  gedichte  selbst  bleiben  fortgeschnitten. 

Die  epigramme,  die  sogenannten  'Verfe'  (blatt  4 äff.),  die  als 
einlagen  in  die  Gelehrtenrepublik  gedacht  waren,  wurden  ohne  Klop- 
stocks  namen  zuerst  in  der  Hamburgischen  neuen  zeitung  1771  vom 
176.  stück,  dem  2.  november,  ab,  mit  Unterbrechungen  bis  zum  26.  stück 
des  nächsten  Jahres,  bis  zum  14.  februar  1772  veröffentlicht;  einige 
von  ihnen  auch  mit  der  Unterzeichnung:  K.  oder  ohne  Unterschrift  im 
Göttinger  musenalmanach  auf  1773;  und  zwar  mit  Klopstocks  ge- 
nehmigung.  Denn  als  dieser  almanach  erschienen  war,  meldete  Boie 
aus  Göttingen  am  14.  november  1772  Herdern:  'Klopftock  hat  mir 
mehr  Verfe  für  den  künftigen  Alm[anach]  verfprochen.'  -  Weitere 
beitrage  von  Klopstock  waren  Bolen  selbstverständlich  höchst  will- 
kommen. Am  26.  Januar  1773  schrieb  Boie  erfreut  an  Merck:  'Klop- 
ftock läfst  itzt  die  Nachricht  von  der  gelehrten  Republik  aus  dem 
Hypochondriften   vermehrt   und   mit  Anmerkungen   wieder  einzeln  ab- 


AUS   HEINRICH    CHRISTIAN   rOIES   NACHLA8S  jl)7 

drucken  ....     Er   hat   mir   die    übrigen   Yeri'e   für    meine    künftige 
Sammlung  versprochen  \' 

Natürlich  wünschte  Boie  die  in  aussieht  gestellte  gäbe  für  seinen 
almanach  zu  nutz;en.  Aber  die  sendung  weiterer  verse  unterblieb. 
Zwar  mochten  die  verse  -  wie  Klopstock  selbst  meinte  -  sehr  wohl 
in  den  almanach  passen;  dennoch  hatte  der  dichter  bedenken,  sie 
Bolen  zu  überlassen.  Gerade  die  im  almanach  schon  abgedruckten 
epigramme  waren  in  Schirachs  Magazin  der  deutschen  critik  (bd.  II. 
thl.  1.  Halle  1773  s.  144  ff.)  damals  böse  beurteilt  worden.  Gegen 
diese  kritik  nahm  der  Wandsbecker  bothe  1773  no.  83  und  84  vom 
25.  und  2G.  mai  Klopstock  energisch  in  schütz  -.  Vielleicht  hielt 
Klopstock  wegen  des  unfreundlichen  Urteils  in  Schirachs  Magazin 
weitere  verse  zurück;  vielleicht  ist  diese  kritik  der  grund,  dass  sehr 
viel  weniger  verse,  als  ursprünglich  in  der  Haraburgischen  neuen 
Zeitung  gestanden,  in  Klopstocks  Deutsche  gelehrteurepublik  eingiengen. 
Jedesfalls  sandte  Klopstock  die  Bolen  in  aussieht  gestellten  weiteren 
verse  nicht.  Klopstock  schrieb  vielmehr  am  21.  mai  1773  Bolen: 
'.  .  .  Hier  ift  der  Titel  des  Buchs,  auf  das  ich  fublcrib.  laffe:  'Die 
Deutfche  Gelehrtenrepublik  .  .  .  .'  In  diefs  kleine  Bucli  kommen  auch, 
in  ihrer  Ordnung,  die  von  meinen  Verfen,  welche  ich  nicht  aus- 
ftreiche,  oder  verloren  habe;  es  kommen  aber  auch  einige  von  den 
Denkmalen    der    Deutfchen    (die    ich    in    meinem   tiefften  Pulte 

1)  Briefe  an  Job.  Heinr.  Merck  von  Goethe  usw.  herausgegebeu  t(jii  Karl 
Wagner  1835  s.  46.  Wagner  verlegt  den  brief  fälschlich  in  jähr  1775.  Die  Ge- 
lehrtenrepublik war  in  buchform  bereits  im  mal  1771  erschienen,  und  zwar  gegen- 
über dem  abdruck  in  der  2,  aufläge  des  Hypochondristen  (Bremen  und  Schleswig 
1771  teil  II,  stück  26)  in  sehr  erweiterter  fassuug.  Der  Hypochoudrist,  dessen 
2.  aufläge  vor  dem  15.  juni  1771  erschienen  war  (vgl.  oben  bd.  49  s.  77  anm.),  brachte 
ebensowenig,  wie  der  Wandsbecker  bothe  1771  nr.  104  bis  108  (29.  juni  bis  6.  juli), 
beim  abdruck  der  "Gefetze  der  Gelehrten  Eepublik  in  Deutfchlaud'  irgendwelche 
'Verfe'.  —  Unter  seiner  'Sammlung'  versteht  Boie  den  Göttinger  musenalmanach ; 
vgl.  z.  b.  Strodtmann,  Briefe  von  und  an  G.  A.  Bürger  I.  1874  s.  128;  ferner 
Zeitschr.  27  s.  381,  .508. 

Weinhold,  Boie  1868,  s.  248  sagt:  Boie  habe  die  Klopstockschen  epigramme 
im  Göttinger  musenalmanach  1773  aus  der  Hamburgischen  neuen  zeitung  über- 
nommen. Das  sagt  auch  die  Hamburgische  neue  zeitung  1772,  206.  stück  vom 
25.  dezember  bei  anzeige  des  almanachs.  Aber  es  stimmt  schwerlich  zu  den  beiden 
oben  angeführten  briefstellen ;  und  aus  Boies  drittem  sammelbuche  muss  man 
schliessen,  dass  Boie  damals  Klopstocks  Werfe'  in  der  Hamburger  zeituug  noch 
nicht  beachtet  hatte. 

2)  Der  Wandsbecker  bothe  hatte  für  Klopstocks  'Verfe'  eine  Vorliebe  und 
druckte  1774  in  nr.  74  und  75  vom  10.  und  11.  mai  uoch  eine  reibe  von  verseu 
beim  erscheinen  der  Gelehrtenrepublik  ab. 

ZEITSCHRIFT  F.  DEUTSCHE  PHILOLOGIE.     BD.  XLIX.  H 


198  COXSENTIUS 

verwahrt  liabe^  hinein.  -  Aus  Furclit  vor  den  hmg-armigen  Tyrannen 
(das  lind  Sie,  mein  1.  Hr.  li[oie])  lehicke  ieh  Ihnen  hiebe\'  für  den 
Mulenalm..  nicht  von  den  Kleinigkeiten,  Yerle  genannt,  ob  fie  gleich 
))isvveilen  für  die,  welche  wiffen,  wie  es  um  uns  her  mit  den  litera- 
rifchen  Sachen  fteht,  einen  nicht  ganz  unbedeutenden  Inhalt  haben; 
fondern  ich  lehicke  Ihnen  drey  Bardengel ange  aus:  Hermann  und 
die  Fürsten  .  .  .'  \ 

Also  erst  nach  dem  21.  mai  1773,  nachdem  Klopstock  die  zurück- 
lialtung,  die  er  damals  übte,  aufgegeben  -  an  bitten  und  schönen 
Worten  wird  es  dabei  von  Boies  seite  nicht  gefehlt  haben  -  kann  die 
eintragung  der  'Verfe'  in  Boies  drittes  sammelbuch  erfolgt  sein.  Denn 
Boies  niederschrift  stammt  nicht  etwa  aus  der  Hamburgischen  neuen 
Zeitung.  Das  lehrt  der  vergleich.  Dort  sind  die  epigramme  in  anderer 
reihenfolge  gedruckt,  zum  teil  sind  die  Überschriften  abweichend, 
Boies  text  bietet  Varianten,  und  vor  allem:  in  der  zeitung  sind  .mehr 
epigramme,  als  Boies  sammelbuch  bietet,  gebracht:  die  zeitung  brachte 
neunundsechzig  epigramme,  Boie  gibt  nur  sechzig. 

Boie  muss  also  den  Verfasser  nicht  vermutet  haben,  als  die  epi- 
gramme zuerst  in  der  Hamburgischen  neuen  zeitung  erschienen,  sonst 
hätte  der  eifrige  Sammler  sich  gewiss  damals  schon  eine  abschrift  für 
sein  buch  genommen.  Diese  Unkenntnis  Boies  ist  auffallend.  In  dem 
engeren  Hamburger  kreise  Klopstocks  kannte  man  den  ungenannten 
Verfasser  der  verse  natürlich.  So  antwortete  Claudius  auf  einzelne 
epigramme  im  Wandsbecker  bothen^.  Boies  Unkenntnis  ist  aber  er- 
klärlich ;  denn  jedesfalls  unterscheiden  sich  die  'Verfe'  sehr  wesentlich 
von  Klopstocks  anderen  dichtungen,  mit  denen  er  bis  dahin  vor  die 
öffentlichkeit  getreten  war.  Sie  gehören  in  die  Gelehrtenrepublik. 
Über  den  zweck  und  die  form  seiner  epigrammatischen  'Verfe'  hat 
sich  Klopstock  dort  selbst  ausgesprochen^. 

Wie  bekannt,  war  Boie  der  eifrigste  und  erfolgreichste  Sammler 
von  Subskribenten,  als  Klopstock  sein  buch  angekündigt  hatte.  Zwischen 
Hamburg  und  Göttingen,  zwischen  Klopstock  und  Boie,  bestand  da- 
mals  eine   sehr  rege   Verbindung.     Dem  jüngeren  helfer  und  freund. 


1)  Mitteiluugen  aus  dem  literaturarchive  in  Berlin  III.  1901—05  s.  278.  — 
Die  Bardengesänge  wurden  im  Göttinger  musenalmanach  1774  s.  1  ff.  gedruckt. 

2)  Vgl.  Wandsbecker  bothe  1771  nr.  187  vom  22.  november,  nr.  190  vom 
27.  november,  nr.  200  vom  14.  dezember,  nr.  204  vom  21.  dezember;  dazu  Redlicb, 
Die  poetiscben  beitrage  zum  AVandsbecker  bothen  (progranim).  Hamburg  1871  r.  20  f. 

3)  Vgl.  Die  deutsche  gelelirtenrepublik  I.     1774  s.  200.  205-7  anui. 


AIS    HEINRICH    CHltlSTIAX   BOIES    XA(  HLASS  199 

seinem  •rreniierminirter  wie  ihn  Klopstock  nannte  ^  war  der  dichter 
für  die  bewährte  Werbetätigkeit  zu  anfrichtigstem  dank  verpflichtet; 
denn  Boie  brachte  414  Subskribenten  auf  die  Gelehrtenrepublik  zu- 
sammen, sehr  viel  mehr,  als  irgendein  anderer  'Beförderer',  oder  gar 
ein  •Collecteur".  der  einen  klingenden  vorteil  von  seiner  bemUhung 
hatte.  Klopstock  lud  seinen  jungen  freund  auch  zu  sich  ein.  Und 
Boie  reiste  im  dezember  177.S,  noch  vor  erscheinen  der  Gelehrten- 
republik, nach  Hamburg  und  zu  seinen  eitern  nach  Flensburg  und 
von  Flensburg  im  februar  1774  wieder  nach  Hamburg.  Boie  war  in 
Hamburg  'lechs  Wochen  lang  alle  Tage  und  oft  zu  ganzen  Tagen'  ^ 
mit  Klopstock  zusammen.  'Diele  Tage  in  Hamburg  waren  mit  die 
leligi'ten  meines  Lebens'  -  sagte  Boie  ■'.  Damals  entschied  sich  Klop- 
stock, dem  Göttinger  bunde  selbst  beizutreten  *,  dem  er  eine  bedeutungs- 
volle Stellung  in  der  Gelehrtenrepublik  anwies.  Würdigen  las  der 
(lichter  auch  aus  dem  zweiten,  niemals  erschienenen  teile  der  Gelehrten- 
republik stücke  vor.  Die  arbeit  an  diesem  werke  war  zugleich  die 
zeit,  in  der  sieh  Klopstock  am  fruchtbarsten  als  epigrammatiker  betätigte. 

In  diesen  Hamburger  tagen  wird  Boie  die  ihm  lange  schon  in 
aussieht  gestellten  'Verle*  und  die  anderen  gedichte  Klopstocks,  die 
mit  den  epigrammen  zusammenstehen,  vom  dichter  selbst  für  sein 
<ammelbuch  erhalten  haben. 

Dass  Boie  von  seiner  reise  nicht  ohne  einen  ziemlichen  gewinn 
i\n  Klopstockschen  gedichten  zurückkehren  würde,  hielten  Herder  und 
dessen  frau  nur  für  selbstverständlich.  Und  Boie  hatte  den  Göttingern 
bei  seiner  rückkunft  auch  viel  zu  erzählen  und  zu  zeigen^!  Sobald 
Boie  zurück  war,  fanden  sich  die  bundesmitglieder,  soWel  ihrer  in 
Göttingen  waren:  Voss,  Hölty,  Hahn  und  Miller,  zusammen:  'nun 
ward  erzählt  und  Brief  und  Buch  hervorgezogen.  Die  Freude  hätten 
Sie    l'elbft   leben    müllen"  -  so    berichtete   Boie    sofort  an  Klopstock''. 

Das  buch,  das  Boie  hervorzog  und  das  so  viel  freude  machte, 
dürfte  eben  Boies  drittes  sammelbuch  mit  den  zahlreichen  neuen  ein- 
tragungen  Klopstockscher  gedichte  gewesen  sein! 

Boies  niederschrift  gibt  wie  gesagt  -^  weniger  'Verfe',  als  die 
Hamburgische   neue    zeitung,    und   Boies   niederschrift    gibt    erheblich 

1)  Lappenberg,  Briefe  von  und  an  Klopstock  1867  s.  251. 

2)  Strodtmann,  Briefe  von  und  an  G.  A.  Bürger  I.     1874  s.  202. 

3)  Lappenberg',  a.  a.  o.  s.  254. 

4)  Briefe  von  .J.  H.  Voss,  herausgegeben  von  Abraham  Voss  I.     1829  s.  l.')6. 

5)  Strodtmann,  a.  a.  o.  I.  s.  202. 

6)  Lappenberg  a.  a.  o.  s.  255. 

14* 


200  CONSBNTIUS 

mehr  epigramme,  als  im  ersten  teile  der  Gelehrtenrepublik  gedruckt 
sind.  Dieses  mehr  oder  weniger,  das  sich  hier  oder  dort  findet,  ist 
aber  kaum  -  jedesialls  nicht  überall  -  eine  folge  kritischer  sichtung. 
Wohl  zeigt  der  vergleich  der  Gelehrtenrepublik  von  1774  mit  dem 
späten  abdrucke  in  des  dichters  gesammelten  werken  bei  diesen  epi- 
grammen  eine  revision,  die  sich  teils  in  Streichungen,  teils  in  Zusätzen 
und  Veränderungen  bemerkbar  macht;  und  Klopstock  sprach  selbst  in 
seinem  briefe  vom  21.  mai  1773  von  den  versen,  die  er  'nicht  aus- 
l'treiche,  oder  verloren'  hätte,  und  die  er  allenfalls  Boien  geben 
könnte.  Auch  sind  in  dem  mir  vorliegenden  exemplare  der  Gelehrten- 
republik von  1774  die  selten  208/4  durch  einen  karton  ersetzt;  also 
dürften  während  der  drucklegung  die  auf  diesem  blatte  mitgeteilten 
verse  noch  verändert  oder  andere  an  ihre  stelle  gekommen  sein.  Aber 
der  Boieschen  niederschrift,  die  zeitlich  zwischen  dem  druck  in  der 
Hamburger  zeitung  und  der  ausgäbe  der  Gelehrtenrepublik  anzusetzen 
ist,  fehlen  doch  auch  einige  epigramme,  die  sowohl  in  der  zeitung, 
wie  in  der  Gelehrtenrepublik  stehen,  die  also  Klopstock'  sicher  nicht 
ausstreichen  wollte. 

Muncker,  Klopstock  s.  447,  äusserte  die  vorsichtige  Vermutung, 
die  epigramme  der  Gelehrtenrepublik:  'Ganz  gute  Bemerkung",  'Veit' 
und  auch  'Die  Chronologen'  könnk'n  von  niitgliedern  des  Göttinger 
buudes,  die  Klopstock  um  beitrage  gebeten,  stammen.  Diese  drei 
epigramme  fehlen  bei  Boie.  Aber  zwei  von  ihnen  stehen  bereits  in 
der  Hamburgischen  neuen  zeitung  und  im  jähre  1771  gab  es  noch 
keinen  Göttinger  bund.  Also  stammen  diese  e])igramme  gewiss  nicht 
von  den  Göttingern,  die  ihren  beitrag  erst  am  27.  dezember  177.3 
sandten  ^ !        . 

Nach  dem  erscheinen  der  Gelehrterirepu})lik  wurde  eine  reihe 
von  Klopstockschen  epigrammen  in  den  Vossischen  musenalmanachen 
veröffentlicht. 

Muncker,  Klopstock  s.  462  sagt:  'Inhaltlich  wiederholten  diefe 
fpäteren  Sinngedichte  bisweilen  dasfelbe,  was  fchon  die  Verfe  in  der 
'Gelehrtenrepublik'  angedeutet  hatten:  öfter  fprachen  fie  Gedanken 
aus,  welche  in  den  profaifchen  Abfchnitten  dieles  Buches  auf  gleiche 
Weife  erörtert  worden  waren.  Freier  fchloffeif  lieh  wieder  andre 
fpätere  Epigramme  an  das  in  der  'Gelehrtenrepublik'  Gefagte  an, 
indem  fie  diefes  .  .  .  fortletzten  oder  weiter  ausführten'. 

Das  ist  richtig  und  zugleich  auch  falsch. 

1)  Lappenberg,  a.  a.  o.  s.  254;  ferner  Herbst,  J.  H.  Voss  I.  1872  s.  295  f_ 
IL  1.  1874  s.  258. 


AUS   HEINRICH    CHRISTIAN   BOIES    XACHLASS  201 

Richtig-  ist  die  von  Muncker  betoute,  enge  inhaltliehe  Verwandt- 
schaft dieser  epigramme  mit  der  Gelehrtenrepublik.  Falsch  aber 
bleibt  die  angäbe,  dass  es  sich  um  'l'pätere'  epigramme  handeln  soll, 
dass  Klopstock  noch  später,  d.  h.  nach  jähren,  gedanken  der  Gelehrten- 
republik in  neuen  epigrammen  formuliert  hätte.  Diese  epigramme, 
die  der  Vossische  almanach  brachte,  sind  vielmehr  mit  den  in  der 
Gelehrtenrepublik  gedruckten  versen  zugleich  entstanden.  Das  lehrt 
der  druck  in  der  Hamburgischen  neuen  zeitung  und  die  niederschrift 
in  Boies  drittem  sammelbuche.  So  kann  denn  die  zusammenstimmung 
•dieser  sogenannten  'fpäteren'  epigramme  mit  der  Gelehrtenrepublik 
nicht  sonderlich  überraschen.  -  Ob  Voss  diese  epigramme  von  Boie, 
•der  die  Yossischen  almanache  mich  kräften  unterstützte,  erhielt  (auch 
«andere  gedichte  der  Klopstockischeu  gruppe  des  dritten  sammelbuches 
.standen  später  im  Yossischen  almanach),  ob  er  sie  aus  der  Ham- 
burgischen neufen  zeitung  nahm  oder  einer  anderen  quelle  verdankte, 
lasse  ich  dahingestellt  sein. 

Als  Boie  die  ihm  versprochenen  'Verle'  von  Klopstock  bekam 
und  in  sein  sammelbuch  einschrieb,  waren  einzelne  von  ihnen  bereits 
im  Göttinger  musenalmanach  auf  1773  gedruckt.  Diese  von  ihm 
selbst  veröffentlichten  epigramme  kannte  Boie  natürlich:  vielleicht 
hatte  er  deshalb  anfangs  die  absieht,  sie  nicht  noch  einmal  in  sein 
buch  einzutrag-en.  Aber  Boie  muss  seine  absieht  geändert  haben;  er 
schrieb  sich  auch  diese  epigramme  ab.  So  dürfte  es  sich  vielleicht 
erklären,  dass  die  im  Göttinger  almanach  auf  1773  schon  gebrachten 
'Verfe'  hauptsächlich  am  schluss  der  Klopstockschen  gruppe  stehen^. 
Das  gelegenheitsgedicht:  'Pindar  an  Graf  F.  L.  Stolberg'  trennt  in 
Boies  niederschrift  die  im  almanach  gebrachten  epigramme  von  den 
Boie  bisher  unbekannt  gebliebenen  'Yerfen',  die  in  der  Hamburger 
Leitung  standen  -. 

1)  Der  Göttinger  uiuseualmanacb  1773  brachte  auch  vier  mit:  K.  unter- 
zeichnete epigramme,  die  in  Boies  sammelbuche  fehlen.  Also  hat  Boie  aus  dem 
■almanach  schwerlich  sein  sammelbuch  ergänzt;  denn  dann  hätte  er  diese  vier  epi- 
gramme nicht  übersehen  und  die  anderen  epigramme  des  almanachs  von  1773 
würden  nicht  Varianten  gegenüber  der  Boieschen  niederschrift  aufweisen.  Weder 
der  almanach  noch  der  druck  in  der  Hamburgischen  neuen  zeitung  kann  für  Boies 
vorläge  gelten! 

2)  Diese  trennung  leidet  zwei  ausnahmen :  ein  epigramm,  das  im  almanach 
stand,  ist  von  Boie  schon  an  früherer  stelle  verzeichnet,  und  ein  zweites  epigramm 
des  almanachs  steht  unmittelbar  vor  dem  unbekannten  gelegeuheitsgedichte.  Letzteres 
vermutlich  deshalb,  weil  Boie  mit  dem  ungedruckten  gedieht  auf  Stolberg  eine  neue 
Seite  seines  buches  anzufangen  wünschte,  und  die  vorausgehende  seile  gerade  noch 
iür  ein  epigramm  räum  bot. 


202  coxsEN'i'irs 

Ist  diese  -  wenn  auch  nicht  ganz  streng  durchgeführte  trennuii:i- 
der  'Verfe'  bei  Boie  so  zu  erklären,  dass  er  das  ihm  bekannte  von 
dem  ihm  unbekannten  sonderte  -  es  würde  zu  der  datierung,  die  ich 
diesem  teile  des  sammelbuches  gegeben,  stimmen.  Er  steht,  wie  ge- 
sagt, in  enger  beziehung  zur  Gelehrtenrepublik,  für  deren  absatz  B(»ie" 
in  tätigster  weise  gesorgt  hatte.  -  War  die  niitteilung  der  in  der 
Hamburger  neuen  zeitung  bereits  gedruckten  'Verie'  auch  gerade  keine 
gäbe  von  ganz  besonderem  werte,  so  erhielt  Boie  doch  andere  un- 
gedruckte gedichte  als  geschenk  Klopstocks. 

Den  versen  unmittelbar  voran  stehen  vier  kleine  historische 
gedichte  iblatt  3  b  f.).  Von  diesen  wird  man  die  beiden  letzten 
-  bisher  ungedruckten  -  'Collin!  Collinl  .  .  .'  und  'Heinrich  ging  zu 
Katharinen  .  .  .'  ^  zu  Klopstoclvs  'Denkmalen  der  Deutichen"  zu  zählen 
haben,  von  denen  einige  auch  in  der  Gelehrtenrepublik  platz  fanden. 
Rücksicht  auf  die  zensur  verbot  wohl  die  Veröffentlichung  der  beidea 
ungedruckten  epigramme  zur  jüngsten,  politischen  geschichte'-. 

Die  ode:  'Da  Iteht  der  übrige  Stamm  des  alten  Haines  undier, 
.  .  .'  (blatt  2 äff.),  ist  der  dichterische  niederschlag  der  ergebnislosen, 
zum  schluss  der  Gelehrtenrepublik  (1774  s.  419  ff'.)  bekanntgegebenen 
korrespondenz  Klopstocks  mit  dem  kaiser  Joseph  II.  und  den  Wiener 
amtlichen  stellen,  als  Klopstocks  enthusiastische  hoffiuing :  die  deutsche 
literatur  werde  in  Wien  reichste  förderung  finden,  fehlschlug.  Diese 
ode  des  unmuts  wurde  erst  spät  und  in  sehr  abweichender  form  ver- 
öffentlicht; eine  handschrift  war  l)isher  unbekannt;  hier  liegt  Klo[>- 
stocks  früheste  fassung  vor.    Diese  ode  war  ein  kostbarer  besitz  Boies. 

Auch  die  beiden  vorangehenden  öden,  die  jetzt  am  anfang  dieser 
gruppe  stehen :    'Klaget   alle  mit  mir,  Vertraute  .  .  .'  und :  'Ihr  rechtet 

1)  Dies  epigramm  bezieht  sich  auf  die  erste  teilung  Polens  (15.  aiigiist  1772). 
Über  das  aufsehen,  das  dies  ereignis  machte,  vgl.  z.  h.  Briefwechsel  zwischen  Hallir 
und  Gemmingen  (Bibliothek  des  literarischen  Vereins  in  Stuttgart  219)  Tübingen 
1899  s.  44,  49,  51,  74,  77. 

2)  Aus  der  Meusebachschen  autographensammlung  im  besitz  der  Kgl.  biblio- 
thek   zu  Berlin  von   Klopstocks  band  ein  oktavblättchen,  einseitig  beschrieben,  das 

ein  ungedrucktes  fragment     zur  (ielehrtenre])ublik  bringt: 

* 

Gefez  der  Frielen,  von  der  Entweihung  der  Tempel. 
Durch  Wie  mar,  den  Weifen  [diese  vier  iiorte  gestrichen.] 
Wir  lind  Chritten ;  aber  wer  einen  Tempel  der  Heiden  [zuerst  kuitete  der 
anfang:  Wer  einen  Tempel  diese  drei  ivorte  gestrichen]  erbricht,  u[nd]  Heiligthümer 
daraus  nimmt,  [über  gestrichene})! :  entwendet,]  den  führe  man  auf  den  Meerfand^ 
worüber  die  Flut  zu  gehen  pflegt,  fchlize  ihm  die  Ohren,  verfcbneide  ihn,  u[nd], 
opfere  ihn  den  Göttern,  deren  Tempel  er  beraubt  hat. 


AUS    HEINKICU    CHKI.STIAX    BOIES   XACIILA.SS  203 

mit  dem  .  .  .'  (blatt  1  a  f.),  die  bisher  in  keiner  handscbriftlicbeii  Über- 
lieferung bekannt  waren,  gehörten  damals  zu  den  neuesten,  noch  un- 
gedruckten Schöpfungen  Klopstocks.  -  Was  Boie  zugleich  mit  den 
'Verfen'  tür  sein  sammelbuch  gewann,  waren  also  keine  wertlosen 
gaben.  Klopstock,  sonst  bei  der  mitteilung  seiner  gedichte  vielfach 
zurückhaltend,  war  ihm  gegenüber  überaus  mitteilsam. 

In  dieser  gruppe  Klopstockscher  gedichte,  eingefügt  in  die  'Verfe', 
steht    endlich    noch    das    unbekannte   gelegenheitsgedicht :    'Pindar  an 
Graf  F.  L.  Stolberg'  (blatt  12  b  f.).     Klopstocks  Verfasserschaft  scheint 
mir   nach   dem    platze,   den   das  Gelegenheitsgedicht  inmitten  anderer 
poetischer   gaben    des  dichters  gefunden  hat,  wahrscheinlich :  sie  wird 
bezeugt  durch  Fr.  L.  Stolbergs  antwortgedicht :    'Mein  Vaterland.     An 
Klopstock".     Der  beginn  des  Stolbergschen  gedichtes: 
Das  Herz  gebeut  mir!  Siehe,  fchoa  fcliwebt, 
\o\\  Vaterlandes,  ftolz  meiu  Gelang! 
Stürmender  fchwingen  ficli  Adler 
Nicht,  und  Schwäne  nicht  tönender! 
knüpft   an   die   Schlusszeilen    des   Klopstockschen   gedichtes    an:    aber 
Stolberg  gibt    dem  Klopstockschen  wünsche,    dass  Pindar  der  schutz- 
geist  seiner  lyrischen  dichtung  sein  solle: 

Pindar  schwebt  um  dein  Lied  I 
die    bewusste    wendung    ins    vaterländische.      Stolberg   war   kein   un- 
bedingter Verehrer  Pindars  ^.    So  sind  die  Stolbergschen  antangsworte : 

Das  Herz  gebeut  mir! 
als  eine  entschuldigung  für  seinen  Widerspruch  aufzufassen. 

Stolbergs  antwort  an  Klopstock  ist  eine  ablehnung.  Sie  dürfte 
es  erklären,  dass  Klopstock  sein  gelegenheitsgedicht  von  der  Sammlung 
seiner  Oden  ausschloss  und  dafür  den  brüdern  Stolberg  die  'Weif- 
fagung'"  widmete,  in  der  von  griechischem  oder  Pindarisclicm  gesange 
kein  wort  mehr  steht.  • 

1)  Göttinger  musenalmauach  177.5  s.  100;  Gedichte  der  briider  Christian  und 
Friedrich  Leoi)old  grafen  zu  Stolberg.  Herausgegeben  von  H.  C.  Boie.  Leipzig 
1779  s.  60. 

2)  Herbst,  J.  H.  Voss  IL  1.     1874  s.  26L 

3)  Göttinger  musenalmauach  1774  s.  231 ;  Muucker  und  Pawel  II  >.  3.  Klop- 
stocks erlaubnis  zum  druck  war  für  die  Göttinger  eine  grosse  freude;  vgl.  Strodt- 
mann  a.  a.  o.  I.  s.  142  f.,  149.  —  Natürlich  musste  des  meisters  gedieht  zuerst 
gedruckt  werden:  Stolbergs  gedieht  an  Klopstock  folgte  im  nächsten  jähre  des 
almanachs.  Dass  Stolbergs  gedieht  nicht  eigentlich  die  antwort  auf  dies  Klop- 
stocksche  gedieht  ist,  sondern  sich  auf  das  ältere,  Piudarische  bezieht,  machte  der 
genial-unbekümmerten  art  des  jüngeren  grafen  nichts  aus.  Wie  die  beiden  gedichte 
jetzt   in   den   almanacheii  stehen,  ist  Stolbergs  gedieht  nicht  mehr  eine  ablehnung, 


204  CONSENTIUS 

Auch  das  Piiularische  gelegenheitsgediclit,  das  Boie  aus  Hamburg; 
iiiitbraehte,  gcliörtc  damals  zu  den  neuesten  Schöpfungen  Klopstocks, 
Erst  zu  anfang-  des  Jahres  1778  hatte  der  jüngere  graf  angefangen, 
griechisch  zu  lernen  ^ ;  also  kann  das  gedieht  schwerlich  in  eine  frühere 
zeit  verlegt  Averden.  l^)ekanntlich  verliessen  die  brüder  Stolberg  mitte 
septenil)er  1773  (iöttingen.  Wahrscheinlich  hat  Klopstock  den  jüngeren 
grafen.  der  ihm  nahestand,  mit  diesem  gesange  bei  der  rückkehr 
von  der  Universität  begrüsst  -. 


Ich   gclie   die    weiteren    eiutragungeu,   wie   sie  sich  auf  eleu  noch  erhaltenen 
blättern  linden,  der   reihe   nach   durch  und  suche  die  gedichte  ihren  Verfassern  zu- 


sondern beide   gedichte,   Klopstocks   und   Stolbergs,   bewegen   sich   in  der  gleichen 
richtung,  dem  vaterländischen  ziele  zu. 

1)  Strodtmann  a.  a.  o.  I.  s.  83. 

2)  Im  'Morgeüblatt  für  gebildete  Stände'  nr.  95  vom  21.  april  18ü9  (vgl. 
Goedeke,  Grundriss  3.  aufläge.  IV.  s.  190,  16)  wurde  das  gedieht:  'Pindar  an 
F.  L.  Stolberg'  von  einem  ungenannten  einsender,  der  sich  nur  mit  dem  buchstaben : 
F.  unterzeichnete,  als  ein  bisher  noch  nie  gedrucktes  stück  von  Gerstenberg 
bt'kanntgcmaclit.  Das  gedieht  ist  im  Morgenblatt  in  anderer  versabteilung  —  sonst, 
gegenüber  der  Boieschen  niederschrift,  mit  geringen  Varianten  gedruckt.  Gleich- 
zeitig teilte  der  einsender  im  Morgenblatt  ein  zweites  gedieht  mit:  'An  Mathilden'. 
(0  Schönfte!  fchöner  als  Cythere!  .  .  .),  das  bereits  Der  hypochondrist,  2.  aufl., 
Bremen  und  Schleswig,  1771,  I.  5.  stück  s.  105  mit  Varianten  gebracht  liatte. 

Jedesfalls  hatte  der  einsender  dieser  beiden  gedichte,  der  über  alle  massen 
die  vom  Wiener  nachdrucker  Schrämbl  1791  veranstaltete,  unrechtmässige  ausgäbe 
der  poetischen  Schriften  Gerstenbergs  lobte,  zum  dichter  keine  persönlichen  be- 
ziehungen.  Er  wollte  andere  freunde  der  Gerstenbergschen  muse  veranlassen,  un- 
gedruckte stücke  mitzuteilen,  dass  der  dichter  auf  diese  weise  erinnert  würde,  seine 
sämtlichen  werke  selbst  dem  publikum  zu  schenken.  Über  die  quelle,  aus  der  die 
beiden  gedichte  geschöpft  sind,  über  die  art  ilirer  Überlieferung  uird  ihre  datierung- 
sagte der  einsender  im  Morgenblatt  kein  wort;  er  stellte  lediglich  die  behauptung 
iuif:  'Zwey  Gedichte  von  Gerftenberg.' 

Trotz  der  öffentlichen  aufforderung  im  Morgenblatte  nahm  Gerstenberg  diese 
beiden  gedichte  in  die  eigene  ausgäbe  seiner  'Vermifchten  Schriften'  TAltona  1815  f.) 
nicht  auf,  wohl  aber  erklärte  er  in  der  vorrede:  manches  sei  im  umlauf  und  würde 
ihm  zugeschrieben,  das  nicht  von  ihm  stamme.  Diese  erklärung  beziehe  ich  mit 
auf  das  Gerstenberg  zugeschriebene  gedieht:  'Pindar  an  Fr.  L.  Stolberg.' 

Erwähnt  sei,  dass  Voss  am  16.  februar  1775,  also  ein  jähr  nach  Boies  reise 
zu  Klopstock,  an  Sprickmann  als  eine  neuigkeit  über  Gerstenberg  sehrieb:  'Er 
[Gorstenberg]  hat  eine  pindarifche  Ode  an  den  Grafen  Fr.  L.  Stolberg  gemacht,  die 
ganz  ungemeinen  Schwung  hat.'  (W.  Herbst,  .T.  H.  Voss  II.  2  1876  s.  230).  Ol) 
Voss'  nennung  des  Verfassers  richtig,  oder  ob  die  von  ihm  erwähnte  Ode  mit  unserem 
gclegenheitsgedichte  identisch  ist,  erscheint  mir  sehr  fraglich.  Eine  Antwort  Stol- 
bergs an  Gersteuberg  fehlt  der  Sammlung  der  Stolbergschen  gedichte. 


AUS   HKINKICH    CHUISTIAX    ÜOIES    XA(  HLASS  205 

zuweisen.     Xth*  höchst   selten   nennt   Boie   dif   uamen   der  dichter,  die  ich  bis  auf 
■den  Verfasser  eines  kurz|Wi  epigramuis  ermitteln  konnte. 

Hinter  der  gruppe   Klopstockscher   gedichte,   von    den   letzten   -Verfen'   ab- 
gesondert durch  starke  trennungszeichen,  folgt,  mit  angäbe  des  Verfassers,  auf  dem 
nämlichen 
blatte  14  a: 

An  die  Holz-Emma.  Gleim. 

Was  eilft  du,  kleiner  Schmerlenhach.  .  .  . 

T///.  Luise   Mejers  sammelhHch    hlatt    9h.  —  In    der  Iris  bd.  11  3.  stiicl-  iin'/i'^  177 ö 

s.  239;  dort  die  Überschrift   abtveichend  und  eine  amnerkung,  die  Boies  niederschrift 

fehlt;    sonst    ni(r    umvesentliche    abu-eichujigeii    der    interpnnliion.      Fehlt    in    Gleinis 

f<r/mtliche)i  icerl-en,  hs;/.  von    W.  Körte  Halberstadt  1811  ff. 

Dies  kleine  gedichtchen  von  acht  versen  füllt  den  freigebliebenen  rest  der 
Seite.  Am  4.  September  1775  schrieb  Boie  an  Gleim,  dass  er  die  versa  gleich 
auswendig  gewusst  hätte*.  Das  heisst:  Bolen  war  das  gedieht  damals  noch  neu. 
lind  es  hatte  seinen  ausserordentlichen  beifall.  Das  auswendigwissen  bei  der  ersten 
lesung  war  bei  Bolen  ein  zeichen  seines  uneingeschränkten  lobes '-'. 

Mit   diesem   eintrage  dürfte  Boie  nachträglich  —  und  ausserhalb  der  chrono- 
logischen folge  —  den  rest  der  seite  gefüllt  haben;  denn  es  folgt  auf 
blatt  14  b  bis  16  a  Herders  gedieht : 

An  feinen  Landsmann  .Johann  "W i ii  k e  1  m a n n. 
Wohin?  wohin,  .  .  . 
Boies  niederseil rift  ist  verwandt  —  doch  nicht  übereinstimmend  —  ntit  dem   sogenannten 
texte    der    Vulgatausgabe.    vgl.  Snj^han,    Herders   sämtliche    irerhe  bd.  29  1H89  s.  296 
und  732. 

Und  anschliessend  folgen  auf  blatt  16  a  bis  17  a  Herders  verse : 

Zu  einer  Sammlung  Klopftockifch  er  Oden  undElegieen.  Dar  mftadt.  1771, 

Ja !  fammlet  fie,  die  Blätter !  die  zerrifsnen  .  .  . 
Veruandt  —    doch    nicht    übereinstimmend   —    mit   dem  sogenannten    Silbernen  buche, 
vgl.  Supiian,  Herders  sämtliche  u-erl-e  bd.  29  1889  s.  347  und  735.     Das  motto  und 
die  19.  Strophe  fehlen  Bolen. 

Das  gedieht  auf  Winkelmann,  das  nicht  in  den  musenalmanach  eingerückt 
werden  sollte,  erhielt  Boie  von  Herder  am  6.  Oktober  1772,  und  am  4,  november  1772 
noch  ein  paar  erläuternde  bemerkungen  dazu.  Also  gewinnt  durch  Boies  nieder- 
schrift auch  der  text  der  Vulgatausgabe  eine  gewisse  bestätigung  eben  durch  Herder 
gelbst,  dem  Boie  das  gedieht  verdankte.  —  Hier  die  bezüglichen  stellen  aus  den 
angezogenen  briefen : 

Herder,  ohne  ort  [Bücke  bürg],  ohne  da  tum,  an  Boie;  delTeu 
empfangsnotiz:  Empf.  den  6.  Okt.  1772:  '...  Hier  ift  das  Poem  auf  Winkel- 
mann. Sie  müfsen  ihn  aber  neuerl.  felbft  gelel'en  haben,  u.  von  dem  Plan  mehr 
wiffen,  mit  dem  ich  damals  umging,  wenn  es  Ihnen  etwa  auffallen  sollte.  Zeigen 
Sies  H.  H[ofrat]  Heine,  aber  ja  nicht  in  den  Kalender!  .  .  .' 


1 1  Zeitschr.  27  (1895)  s.  526. 

2)  Vgl.  z.  b.  Bürgers   gedichte,  hsg.  von  Consentius  2.  aufl.  IL  s.  229,  2(8; 
K.  L.  V.  Knebels  literarischer  nachlass  11.  1835  s.  117. 


2U6  coNSKXTii;« 

Herder,  ohue  ort  [Bückeburg],  ohne  da  tum,  an  Boic;  deffeii 
empfang'snotiz:  Empfangen,  den  4.  Nov.  1772:4^  ..  Der  dunkle,  dürftige 
Marmor  m  Wink.  Ged.,  bezieht  fich  auf  feine  Befchreibung  des  Apoll  im  Belvt^- 
dere,  die  ja  fofehr  Hymnus  geworden,  als  Homer  u.  Callimaclius  kaum  angertimmet; 
der  letzte  Theil  des  Stücks  bezieht  fich  auf  ein  Buch  was  in  den  erlten  Zeiten 
gearbeitet  werden  foll,  wenn  meine  Platouifche  Lauin'  zurückkehret  .  .  .' 

Blatt  171)  beginnt: 

T)  i  e  B  e g  e  i f  t  r  u  u  g. 
Sie  ift  da,  die  Begeiftrung,  da! 
Heil  mir!  und  reden  kann  die  trunkue  Lippe 

Mit  diesem  worte  bricht  der  eiutiag  ab;  der  rest  von  blatt  17b  und  ISa 
sind  unbeschrieben.  Boie  wollte  das  gedieht  jedesfalls  ganz  in  sein  buch  eintragen 
und  Hess  deshalb  räum  frei.  —  Es  handelt  sich  um  den  anfang  des  im  Vossischen 
musenalmanach  auf  1777  s.  71  abgedruckten  gedichtes :  Die  Begeifterung  von 
Friedrich  Leopold  Stolberg.  Dies  gedieht  entstand  nach  der  registerangabe  der 
gedichtausgabe  der  brüder  Stolberg  (Leipzig  1779i  im  jähre  1775.  Stolberg  sandte 
es  am  7.  Oktober  1775  seiner  schwester  Katharina  (Hennes,  Aus  F.  L.  Stolbergs 
Jugendjahren  1876  s.  59). 

Blatt  18  b  bringt  —  ohne  die  seite  zu  füllen  —  zwei  eintragungen : 
L'Abbe  de  l'Attaignant  ä  Md.  Eofsignol. 
Le  nom  de  Rofsignol  vous  convient  ä  merveille,  .  .  . 
(ihi   i/aiizrii   (S  rerse)  und: 

A  1  a  m  e  m  e. 
Je  Vous  coraparois  autrefois  .  .  . 
(itH  (junzen  ricr  ccrse).  —  Die  Poesies  diverses  et  pieces  inedites  de  Lattaignant  par 
Ernest  JuUien  (Paris,  1881)    enthalten    diese   beiden    Stückchen   nicht;    freilich    ist 
Julliens   ausgäbe   nur   eine   auswahl.     Gabriel- Charles    de  Lattaignant  (1(597—1779) 
liat  während  seines  langen  lebens  erheblich  mehr  geschrieben. 

Blatt  19a  und  19b  lasse  ich  ganz  folgen;  es  handelt  sich  um  epigramme 
und  kleinigkeiten  Lessiugs,  von  denen  die  ersten  vjer  auf  blatt  19  a  —  ohne  die 
seite  zu  füllen  — ,  das  fünfte  gedichtchen,  für  sieh,  an  der  spitze  von  blatt  19  b 
steht.  Der  rest  dieser  seite  ist  imbeschrieben.  Das  erste  epigramm  (Kunft  und 
Natur  .  .  .)  schrieb  —  mit  kleiner  Variante  —  Boie  unter  ausdrücklichem  hinweise 
auf  Lessing,  als  den  Verfasser,  dem  Schauspieler  F.  L.  Schröder  in  Hamburg  am 
7.  September  1780  in  dessen  Stammbuch  (0.  Lebrüu,  Jahrbuch  für  theater  und 
theaterfreunde  L  1841  s.  15).  Der  gedanke,  dass  sich  kunst  und  natur  bei  einem 
Schauspieler  verbinden  müssen,  kehrt  in  Schröders  Stammbuch  öfter  wieder  (vgl. 
a.  a.  0.  s.  8  Sonnenfels'  eintrag  vom  1.  mai  1780,  s.  14.  Auguste  von  Dalbergs  ein- 
trag  vom  7.  august  1780). 

Verwandt  mit  den  folgenden  Lessingischeii  epigrammen  ist  auch  eine  pro?a- 
fassung,  die  Klopstock,  Hamburg  den  14.  märz  1781.  in  seiner  eigeurichtigeu 
Orthographie  Schrödern  (a.  a.  o.)  ins  Stammbuch  schrieb : 

Schröder 
fpilte  keine  Rolle  gut; 
denn  är  war  immer 
der  Mann  felbft. 

Klopf  tock. 


AUS   HKtNlUCII    CllKlsriAX    ÜOIES   XAClILAsS  207 

Also  auf  blatt  19  a: 

Kunl't  und  Natur 
Sind  auf  der  Bühne  Eines  nur. 
Dann  hat  Natur  und  Kunft  gehandelt, 
Wenn  Kunft  fich  in  Natur  verwandelt. 
Vhei-  die  hciden   letzten   rerse  als  rarictnte  übe rgescli rieben: 

Wenn  Kunft  fich  in  Natur  verwandelt 
Dann  hat  Natur  mit  Kunft  gehandelt. 
Vgl.  Lessiiiffs   sämtliche    Schriften,    lisy.  r.  Lnchincoui    S.  ai<fl.  durch   Muncher  bd.  I. 
1886  s.  46;  Bd.  XXII  1.  19ir>  s.   7. 

Scheinen  und  auch  sein, 
Kan  er  aliein. 
Vyl.  Lessiiigs   sämtliche   Schriften,    hsf/.   r.  LacJnnaiui    o.  uiifl.  durch  Mancker  Id.  I. 
1886  s.  4.5.  —  Boies  niederschrift  bietet  carianten. 

Stax  fagt,  er  spiel'  ihn  schlecht, 
Und  er  hat  Eecht; 
Denn  feine  eignen  Rollen 
Mufs  man  nicht  spielen  wollen. 
Fffl.   Lessings   sämtliche    Schriften    hsg.  v.  Lachmann   3.  Aufl.  durcli   Mimcker  bd.   1. 
1886  s.  46.  —  Boies  niederschrift  bietet  Varianten. 

Damit  er  Mut  zu  spielen  schöpfe, 
Verfamlet  Er 
Rund  um  fich  her 
Der  Kammerdiener  leere  Köpfe ;  » 
Da  stehen  fie,  die  armen  Tröpfe, 
So  wie  3Ie]anchtous  Töpfe. 
Fehlt    Lessings    sämtlichen    Schriften    hsg.    r.   Lachmann     und   Munde)-.    —    Bezieht 
sich  offenbar  auf  das  gleiche  bühnenereignis,  trie  die  rorangehenden  epigra)nme.     Bei 
der  gemeinsamen  überliefe  rang  erscheint  mir  Lessings  antorschaft  arihrscheinlich. 
Auf  blatt  19  b: 

Auf,  Brüder,  jauchzt  und  triukt,  bis  wir  zu  Boden  finken. 
Doch  bittet  Gott  mit  mir,  dafs  Könige  nicht  trinken. 
Denn,  wenn  fie  unberaufcht  die  halbe  Welt  verheeren, 
Was  würden  fie  wol  thun,  wenn  fie  betrunken  wären. 
}'gl.  Lessings   sämtliche    Schriften    hsg.  v.  Lachmann    S.  anfl.  darch    Mancker  bd.  I. 
1886  s.  1H2,  bd.  XXII  1.  191n  s.  20.  —  Boies  niederschrift  bietet  tresentliche  Varianten^ 
Blatt  20a  bringt  ohne  Überschrift  Herders: 

Es  leuchten  drey  Sterne  am  Himmel, 
Die  geben  der  Liebe  einen  Schein. 
•Gott  grüfs  dich,  fdiönes  Jungfräuleiu ! 
Wo  bind'  ich  mein  Röfslein  hin?'  — 

"Nimm  du  es,  dein  Röfslein,  am  Zügel,  am  Zaum, 
Bind  es  an  einen  Feigenbaum, 
Und  fetz  dich  ein'  kleine  Weile  nieder, 
Und  mach  mir  ein'  kleine  Kurzweil".  — 

'Ich  kann  os,  und  mag  es  nicht  fitzen, 
Mag  auch  nicht  luftig  fern; 


208  CONSENTIU8 

Mein  Herzcl  ift  mir  os  betrübet. 
Ach  Schäzel,  vou  \vef;eii  dein'.  — 

Was  zog  er  aus  der  Tafcheii  V 
Ein  Mefser,  war  fcharf  und  fpitz. 
Er  ftiefs  es  feiner  Liebe  ins  Herze; 
Das  rothe  Blut  gegen  ihn  fprüzt. 

Was  zog  or  ihr  abe  vom  Finger? 
Ein  Ichüues  Goldringelein; 
Er  warf  es  ins  flüfsig  Walser; 
Es  gabs  einen  hellen  Schein. 

'Schwimm  hin,  fchwimm  lier,  (ioldringelein ! 
Bis  in  die  tiefe  See. 
Mein  feines  Lieb  ift  mir  iiel'torben: 
Nun  hab  ich  kein  feins  Lieb  mehr'.  — 

So  geht's,  wenn  ein  Mädel  zwey  Knaben  lieli  hat! 
Thnt  wunder  feiten  gut. 
Das  haben  diefe  beyde  erfahren, 
•Was  falfche  Liebe  thut. 
1///.  Herders   rolkslieder   I.  177S   s.  HS;     WerLe    lisy.  ton    Sujihan    hd.  2i>    s.  146.  — 
Jioies  Niederschrift  liiefet  rnriantrn. 

Blatt  20  b  ist  unbeschrieben. 
Blatt  21a  beginnt  mit  Bürgers: 

Seufzer  eines  Ungeliebten. 
Haft  du  nicht  Liebe  zugemeffen  .  .  . 
\'t)l.  liih-f/ers  i/ed/cJite  hsf/.  roii   Consentius  2.  aufl.  [1915]  JJ.  s.  237.  —  Boies  nieder- 
-"ichrift  ist  älter  als  der  ahdrxcl-  im   Göttinf/er  nntseiutlniaiiach  1770  s.  14i>  und  bietet' 
Meine  Varianten. 

Auf  blatt  21a  weiterhin,  und  fortgefahren  auf  blatt  21b  Bürgers: 
A  u  f  d  i  e  N  y  m  f  e  des  N  e  g  e  n  b  o  r  n  s. 
Fragment. 
Neig,  ans  deines  Vaters  Halle,  ... 
Vgl.    Luise    Mejers    sammelbuch    blatt  9a.  —  Boies    nieder.sdirift    ist    abi/edmckt    in 
J3ürf/ers  t/edichfen  hsg.  voti  Consentius  2.  aufl.  11.  s.  238 f. 

Auf  blatt  22a  und  blatt  22b  Herders.- 

Verfuch  über  den  Menfchen. 

Ja,  füfse  Laute!  i'o  immer  er  lebt, 
Und  ftets  fich  tiefer  in  Sorge  webt, 
Er  kann  ja,  leider!  in  wahrer  Pein 
Sich  Wahn  doch  dichten,  und  fröhlich  feyn. 

Ja,  füfse  Laute!  Denn  Bild  und  Wahn 
Ift  all's  doch!  nlles!  Das  ftaunet  er  au. 
Umarmt's,  wie  dort,  wahnfinnig  ja  fchon, 
Sein  Bildnifsmädchen  Pygmalion. 

Kann  glauben  —  o  fonder  Art  und  Sinn  ! 
Schifft  gegen  Wind  und  Wellen  dahin! 
Täufcht  fich  fo  willig,  und  lacht  der  That, 
Wen  er  fo  willie-  betroffen  bat. 


AU.S   HEINRICH   CH1U8TIAN    UOIE8   XACHLASS  201» 

Grauhaariger  Thor!  Wohl  manche  Zeit 
Hat  er  gerungen  mit  Müh  und  Leid, 
Hat  ftets  gehoffet  fleh  Ende  der  Peiu, 
Und  war's  nicht  heute,  wird's  morgen  leyn. 

Der  Morgen  kommt!  Es  kommt  Mittag  und  Xaclit 
Und  ftets,  noch  immer  in  Sorge  verbracht! 
Noch  hofft  er  wieder  auf  Morgenfrift, 
Bis  er  die  Nacht  —  geftorhen  fchon  ift! 

Siug's,  liebe  Laute!  von  Falkenhöh 
Blickt  unfer  Hoffen  nur!  Je  und  je 
War's  doch,  ftatt  haben  und  Luftgewinn, 
Nur  Wollen !  Blicken  im  Fluge  dahin ! 

War  täglich  Streben !  in  Müh  und  Müh ! 
Und  dann  nun  fauer  errungen,  lieh, 
Was  war  nun  aller  deiu  Arbeitlohn? 
Arbeiten !  Schäften !  Pygmalion ! 

Ach  Leben  I  —  Ferne  durch  Glafes  Trug, 
Wie  fcheint's  in  Zauber!  und  lockend  gnug! 
[Blatt  22  b]  Zu  nah,  da  fchwindet  Geftalt  und  Schein, 

Wird  grofs,  verworren  und  dunkel  dir  feyn. 

Und  doch  noch  fpäh'  ich?  Spähe  denn  recht 
Mir  Trauer  —  wahrlich,  fpäheft  dir-  fchlecht! 
Aus  IiTen  allein  kommt  Troft  uns  vor, 
Nur  Thor  ift  feiig  —  fo  bin  ich  Thor ! 

0  lange,  lange  lag'  ich  in  Grab, 
Hätt'  Lebensbürde  geworfen  ab, 
Hättft  du  nicht,  Ehre  —  und  füfser  Walin 
Du,  Liebe,  gelockt  mein  Leben  hinan ! 
Vgl.  Lnise  Mejers  scniiiiielbucJi  Blatt  Sa.     Herders  rollslieder  II.  177[)  .s\  Ki ;    M^erkc 
hsg.  eoH  Suphaii  hd.  25  s.  362.  —  Boies  niederschrift  stellt  mit  beträclitlicheii  curiaiiten 
ein   mittelf/lied  .::icischeii    dem  Buch    der  gräfin    ron    Bückebury    und   dem  druck-  ron 
1779  dar.      . 

Als  der  druck  der  Volkslieder  vorlag,  fchrieb  Boie  über  dies  gedieht  am 
20.  juni  1779  Herdern :  '.  .  .  ein  Stück,  das  ich  fchon  von  Ihnen  hatte,  und  hier 
[d.  h.  in  den  Volksliedern]  lehr  verbefsert  ift  .  .  .' 

Weiterliin  auf  blatt  22  b  in  Herdersclier  Übersetzung : 
S  h  a  k  e  f  p  e  a  r '  s  t  w  e  1  f  t  h  night:  c  o  m  e  a  w  a  y ,  c  o  m  e  a  w  a  y ,  d  e  a  t  h  ! 
Süfser  Tod,  füfser  Tod !  komm ! 
Komm  du,  und  leg  mich  ins  kühle  Grab ! 

Herz,  0  brich!  Herz,  o  brich  fromm! 
Stirb  treu  der  holden  Graufamen  ab ! 
Mein  Gruftgewand,  und  Leichenl'tein 

Ach !  find  fertig ! 
0  Tod,  wie  froh  hüll'  ich  mich  drein, 

Und  lieb  dich ! 
Keine  Blum,  keine  Blum  füfs, 
SoU  man  auf  Leichnahm  und  Gruft  mir  l'treun ! 
Keine  Thräu,  keine  Thräu  fliefs 


210  (ONsENiirs 

l'in  lueiu  ranftruliond  Todteiigebein ! 

Sonft  würden  taulend  Seufzer  fehwer  — 

Ach,  ihr  Meinen! 
Begrabt  mich,  wo  kein  Liebender 
Kann  weinen! 
Y;ll.   Lidse  ^Icjers  soDuiielbxch  blati  2b.     Herders  volksiieder  1.  1778  s.  299;   Werke 
]iH(j.  ron  Snphau  bei.  25  s.  289.  —  Boies   niederschrift  bietet   beträchtliche    Varianten 
i'iii/  ist  älter  als  der  druck  in  den  volIcsUedern. 

Am  10.  dezember  1777  bestätigte  Boie  Herdern  den  empfang  des  druck- 
manufkriptes  vom  1.  teile  der  Volkslieder;  er  hatte  ja  die  drucklegung  des  ersten 
bandes  übernommen;  Boie  schrieb:  '.  .  .  57  Lieder  hab  ich  all'o.  Aber  find  das 
alle?  Ich  denke  nicht;  denn  ich  habe  verfchiedene  bey  Ihnen  gel'ehen,  von  denen 
es  mir  leyd  thun  lolte,  wenn  fie  nicht  in  die  Samlung  kämen.  Wie:  füfser  Tod. 
kora !  .  .  .' 

Blatt  23a   und   blatt  23b  bringen    von    Friedrich  Müller,  dem  Maler  Müller: 
Der  ral'ende  Geldoi-. 
Wer  ift's,  der  wild  ... 
Gegenüber  dem  ahdri(cl-  im   J^issisrhen   inKsenalmnnach  17  76  s.  löfi  bietet  lioies  n ieder- 
.schrift  Varianten , 

Weiterhin  auf  blatt  23b  bis  blatt  24b  Herders: 

Als  mein  Freund  Sympathie  und  Tugend  fang. 
Sympathie,  und  Freundfchaftswonne  fingen  .  .  . 
ly/L  Luise   JSJejers    sammelbuch    blatt  la.      Suphan,   Herders  sämtliche  irer/.r  bd.  29 
18S9  s.  94;  Boies  niederschrift  bietet  Varianten. 

Am  2C.  Januar  1773  dankte  Boie  Merck  für  eine  noch  unveröffentlichte 
Sammlung  von  gedichten.  die  u.  a.  drei  vortreffliche  gedichte  über  'Sympathie  und 
Froundfchaff  enthielt  ^ 

Zwischen  blatt  23  und  24  ist  —  olme  textverlust  —  ein  blatt  ausgeschnitten, 
das  ich  nicht  mitzähle. 

Auf  blatt  25  a  Gottlieb  Conrad  Pfeffel's 

Galathee. 
AVas  Ohloe  doch  wohl  brauchen  mag,  .  .  . 
Geyenilber    dem    druck    im    Vossischen    musenalmanach   1776  s.  100  hat  Boies  nieder- 
schrift leichte  Varianten;  anch   ist  bei  Boie  das  gedieht  in  stroj)hen   abgeteilt. 
Auf  blatt  25  b  von  Gleim : 

An  Sali y. 
Ich  hab  ein  kleines  Hüttchen  nur,  .  .  . 
SecJis  stroj)hen.  —  Gleichfalls  sechs  Strophen  in  der  L-is  bd.  III  2.  stück  >nai  177 ij. 
s.  151;  do7't  die  Überschrift  abireichend;  sonst  nur  ganz  geringfügige  Varianten.  — 
Gleim,  Das  hüttchen,  Halberstadt  1794  s.  6,  auch  Gleims  sämtliche  tverke  hsg.  von 
Körte  bd.  VII  Halberstadt  1818  s.  5  gebebt  nur  fünf  Strophen.  Das  hüttchen, 
llalberstadt  1794  s.  52  bringt  das  (gedieht  norhnials  mit  Varianten  auf  vier  Strophen 
(/ekürzt. 


1)  Briefe   an  ,T.  H.  Merck   von   Goethe   usw.  hsg.  von   Kail   Wagner,  Darm- 
stadt 1835  s.  47.  —  Wegen   der   datierung   dieses  briefes   vgl.  oben  s.  197  anm.  1. 


Al'S    HEINRICH    CHKISTIAX    liOIES   XACHLAS8  211 

Weiterhill  auf  blatt  25  li: 

31  a  r  i  a  g  e  p  a  r  p  r  o  c  u  i'  a  t  i  o  n . 
Wie  ward  der  Bräutigam,  und  wie  die  Braut  betrogen ! 
Der  Buckel  ward  ihm  ab,  der  Reiz  ihr  angelogen  I 
Verf.r' 

Es  folgen  von  Johann  Andreas  Cramer  (1723—1788),  als  der  torso  eines 
denkmals  für  den  grafen  Johann  Hartwig  Ernst  Bernstorff  (1712—1772).  drei  öden, 
die  Cramer  bald  nach  Bernstorffs  tode  begonnen  hatte.    Nämlich  auf  blatt  26  a  bis  27  a: 

I. 
Kannft  du  ein  Mann  feyn,  dich  vergelTen,  .  .  . 
achtzehn  strophen,  jede  zu  sechs  versen.  —  V(jl.  Luise  Mejers  saninielbiich  blatt  29a. 
Oefienvher  dem  späten  ahdnick:  J.  A.  Cirnner,  Seine  htuterlasseneii  yedichte  hsf/. 
von  C.  F.  Cramer,  Altana  und  Leip~i[/  1791  —  C.  F.  Cramers  Menschliches  leben 
4.  Stack  f.  17.  der  nenncehn  stroplien  hat,  bietet  die  handschrift  zahlreiche  Varianten. 
Auf  blatt  27  b  bis  28  b : 

II. 
Wer  entfchattet  mir  der  edlen  .Jugend  .  .  . 
siebzehn  Strophen,  jede   zu    acht  versen.  —    Vgl.  Luise  Mejers  sammelbucli  blatt  ola. 
Im    Vossischen    musenalmanach    1791  s.  o,    mit  zahlreichen    Varianten,    nur  sechzehn 
■Strophen.     Dann    siebzehn  Strophen,  mit  Varianten,  in:  J.  A  Cramer.     Seine  hinter- 
Jassenen   (jedichte  hsg.  von   C.  F.   Cramer  1791  s.  23. 
Auf  blatt  29  a  bis  30  a : 

in. 

'^Vo  eilt  dein  edler  Jüngling  hin".  ... 
vierzehn   strfypJien,  jede   zu   zehn  versen.  —    Vgl.  Luise  Mejers  sammelbuch  blatt  34a. 
Die  handschrift  bietet  zahlreiche  Varianten  gegenüber:  J.  Ä.  Cramer.     Seine  hinter- 
lassenen  gediehte  hsg.  von  C.  F.  Cramer  1791  s.  30. 

ßoie,  Göttingen  den  9.  februar  1773,  an  Herder:  '.  ..  Er  [Klop- 
ftock]  fchreibt  itzt  Bernftorfs  Leben  ^.  Der  Alte  Kramer  macht  Oden  auf  ihn. 
Zwey  davon  hab  ich  durch  den  jungen,  der  hier  ftudiert,  gelefen ;  fie  find  lang 
wie  Predigten,  aber  voll  fchöner  Stellen  .  .  .' 

Also  kann  der  eintrag  der  vorstehenden  drei  Cramerschen  öden  erst  nacli 
<lem  9.  februar  1773  angesetzt  werden  -. 

Auf  blatt  30b  Bürgers:  ^ 

Ständchen. 
Trallyrum,  larum,  höre  mich !  .  .  . 

TV//,  Bürgers  gediehte  hsg.  von  Consentius  2.  anfl.  11.  s.  244 f.  Boies  nieder- 
^•■lirijt    ist    verwandt  mit  dem  druck  im  Göttinger  mnsenalmanach  1776  s.  155,  aber 


1)  Muncker.  Klopstock  1888  s.  134,  zitiert  einen  brief  Boies  an  Merck  vom 
2tx  Januar  1775,  in  dem  gleichfalls  gesagt  wird,  dass  Klopstock  Bernstorffs  leben 
schreibe:  vgl.  Briefe  an  .J.  H.  Merck  von  Goethe  usw.  hsg.  von  Karl  Wagner  1835 
s.  -16.  Das  falsche  datum  bei  Wagner  —  es  muss  richtig  heissen:  26.  januar  1773 
—  hat  Muncker  kritiklos  übernommen;  vgl,  auch  oben  s.  197  anm.  1. 

2)  Voss  berichtet  am  24.  februar  1773,  dass  er  den  anfang  von  Cramers 
langem  gedieht  auf  Bernstorff  kenneu  gelernt;  vgl.  Briefe  von  J.  H.  Voss  I.  1829 
:5.  127.  —  Der  Wandsbecker  bothe  1772  nr.  40  und  41  vom  10.  und  11.  märz  hatte 
von  C.  F.  Cramer,  dem  söhne,  eine  aufforderung  an  den  vater  Cramer  gebracht, 
Bernstorffs  leben  im  gesange  zu  feiern. 


212  Cu.NXENTlUS 

Ute  einige  rarianten  —  die  schon  apütefe  te.rfrerbcssefinir/en  hrinyen  —  :eii/en,  zf-Hlich 
hinter  dem  druck  des  almunachs  anzusetzen. 

Auf  blatt  31a  von  Friedrich  Leopold  Stolberg: 
Die  Stimme  der  Liebe. 

3Ieiue  Sophia!  denn  mit  Engelftimmen  .  .  . 
Vgl.  Luise   Mejers  sainiiiefbuch    blatt   28b.    —    Gegenüber    dem    druck    im    Vossisrhett 
musenahnanach  17  77  s.  1,30.  bietet  Boies  niederschrift  Varianten. 

Blatt   31a    bis  81  b    bringt    weiterhin    Goethes    'Chriftel'.     Ich    lasse    Boies- 
niedersclirift  ganz  folgen: 

An  C.  1\. 
Hab  oft  einen  dummen  düftern  Sinn, 

Ein  gar  l'o  fchweres  Blut; 

W.enn  ich  bey  meiner  Chriftel  bin. 

Ist  alles  wieder  gut. 

Ich  feh  fie  dort,  ich  feh  fie  hier, 

Und  weifs  nicht  auf  der  Welt, 

Und  wie  und  wo,  und  wann  fie  mir, 

Warum  fie  mir  gefällt. 

Da[s]  fchwarze  Schelmenaug  dadrein. 

Die  fchwarzen  Braunen  drauf, 

Seh  ich  ein  einzigmal  hinein, 

Die  Seele  geht  mir  auf. 

Was  fie  fogar  einen  süfsen  ]\Iund, 

Liebrunde  Wänglein  hat! 

Ach!  und  es  ift  noch  etwas  rund, 

Da  ficht  kein  Aug  ficli  fatt. 

Und,  wenn  ich  fie  denn  fafseu  darf 

Im  luftgen  deutfchen  Tanz, 

Da  geht's  herum,  da  gehts  fo  fcharf, 

Da  fühl  ich  mich  fo  ganz! 

Und  wenn  ihrs  tummlich  wird  und  warm. 

Da  wieg'  ich  fie  fogleich 

An  meiner  Bruft,  in  meinem  Arm ; 

Ift  mir  ein  Königreich! 

Und,  wenn  Sie  liebend  nach  mir  blickt, 

Und  alles  rings  vergifst, 

Und  dann  an  meine  Bruft  gedrückt, 

Und  weidlich  eins  geküfst. 

Das  läuft  mir  durch  das  Rückenmark 

Bis  an  die  grofse  Zeh; 

Ich  bin  fo  fchwach,  ich  bin  fo  ftark. 

Mir  ift  fo  wohl,  fo  weh! 

Da  möcht'  ich  mehr,  und  immer  mehr; 

Der  Tag  wird  mir.  nicht  laug; 

Wenn  ich  die  Nacht  auch  bey  ihr  war, 

Davor  war  mir  nicht  bang. 

Ich  denk,  ich  faf.se  fie  einmal 


AUS   IIEIXKICH    CHKISTrAX    BOIES   XACHLASS  213 

Und  büfse  meine  Luft, 
Und,  endig-t  fie  nicht  meine  Qual, 
Sterb'  ich  an  ihrer  Bruft. 
Vgl.  Goethes   tcerJce   Jisg.  im    auftrage    der  grossherzogin  Sophie   von  Sachsen    1.  olA. 
hd.  I  (1887)  s.  IS  und  s,  372.      Unsere   haiidschrift   bietet  zu   den  dort  gemusierien 
texten    carianten;    interpiinl-tion    ahiceichend.      Boies   nieder  sehr  ift   ist   auf  eine  uiit- 
tcilimg    von    Goethe    selbst   zurückzuführen.      Boie    hesass   dies  gedieht',    von  Goethes 
hand   geschrieben,    schon    vor    dem  15.  Januar    1775:    vgl.  Literarische  mitteihtnqen. 
Festschrift    zum    zehnjährigen    bestehen    der    liteirttiirarchiv-gesellschaft    in    Berlin. 
Berlin  1901  s.  14  und   das    dort  gebrachte  facsimile.     Boies  text  des  gedichtes  bietet 
zur    Goethischen    handschrift    nur    sehr    geringfügige    Varianten;    irohl    aber    ortho- 
graphische   abu-eicliu.ngen    und   eine    sorgfältigere    interp^mlticrung .      Überschrift  ah- 
ne ichend. 

Auf  blatt  32a  und  32b  Bürgers: 

Robert. 
Ich  war  ein  rechter  Springinsfeld  .  .  . 
Vgl.  Bürgers  gedichte  hsg.  von   Consentius  2,  aufl.  II.  s.  302. 
Auf  blatt  88a  Bürgers: 

Spinnelied. 
Hurre !  hurre  !  hurre ! 
Vgl.  Bürgers  gedichte  hsg.  von  Consentius  2.  aufläge  II.  s.  212^. 

Weiterhin  auf  blatt  33a  ein  unbekauntes  Herdersches  gedichtchen: 
Ehre  und  Liebe. 
Xicht,  holdes  Mädchen,  l'prich  e;?  nicht, 

Dafs  treulos  ich  dich  fliehe, 
Dafs,  dich  nur  mehr  zu  lieben  nicht, 

Ich  hin  nach  Ehre  ziehe! 
Ift  Ehre  nicht  der  Liebe  Pflicht? 
Und  flöh'  ich,  flöheft  du  mich  nicht, 
Wenn  ich  die  Ehre  fliehe? 
Fehlt   Herders  poetischen    werken    1.—5.  hd.  hsg.   von    Karl  liedlich  =  Herders  sämt- 
liche werke  hsg.  von  Suphan  25.-29.  bd. 

Herders  autorschaft  ist  brieflich  bezeugt;  nämlich: 

Boie,  Hannover  den  8.  april  17  77,  an  Voss,  in  der  nachschrift  d<< 
briefes:  '.  .  .  Hier  noch  ein  Gedicht  zum  Einnicken,  wenn  Sie  wollen  .  .  .'  Fs  folgt: 
'Ehre  und  Liebe.'     Xur  der  erste  und  vorletzte  vers  abweichend: 

Sprich,  beftes  Mädchen,  fprich  es  nicht, 
11  nd: 

Und  flieh'  ich,  flieheft  du  mich  nicht, 
Als  itnt(/-sc/irift,  oder  cliifer,  ist  unter  das  gedieht,  das  für  den  Vossischen  almanach 
bestimmt    aar,    von    Boie    bei   der    brieflichen    Sendung  ein :    0.  gesetzt.  —  Hinter  d<r 

1)  Eine  berichtiguug  finde  hier  platz.  —  Bürgers  gedichte  hsg.  von  Consentius 
2.  aufl.  n.  s.  22  bringen  ein  gedichtchen  von  acht  versen:  'Ilir  Weifen  mit  der 
AVirrenfchaft  .  .  .'  als  Bürgers  eigentum.  Bürger  fügte  die  verse  seinem  briefe  au 
Goeckingk  vom  2.  august  1788  ein  (Euphoriou,  3.  ergheft.  1897  s.  128).  Es  han- 
delt sich  Jedoch  um  ein  älteres  gedieht  Herders;  vgl.  Herders  sämtliche  werke 
hsg.  von  Suphan  bd.  29,  1889,  s.  1U3:  'Die  Mechanik  des  Herzens'.  Bürger* 
hriefliches  zitat  bietet  Varianten. 

ZEITSCHRIFT   F.  DEUTSCHE  PHILOLOGIE.      BD.  XLIX.  15 


214:  coxsKNTirs 

chiff'er:  O.  des  Vassiscfien  DinseiKilitiancicIis  auf  1776  loid  177s  ist  Ili-nler  verstecJd ; 
njl.  Bedlich,  ^'ersuch  eines  cliiffentle.ril-oxs,  Hamlno-fi  1S75,  s.  2).  Das  cfedicht 
inirdc  im    ^^ossis(■hcll  almaiiarh  auf  l/7ti  nicht  ;ipd)-iich-t. 

Auf  blatt  33  li  bis  35  b  G erste nberiis 

K  ;i  n  t  a  t  o. 
A  r  i  u  d  11  e  auf  X  a  x  o  s  (e  r  w  a  c  li  e  ii  tl.) 

S  ey  mir  gegrüi'st  auf  Nax  o  s  fl  ö  hn  ,  .  .  . 

hl  iipspntlicli  ahireichotder  fassimc/  herrits  in  Boics  1.  samntelbnche  ifiiicr 
»r.  IhSii  inid  in  Boics  2.  sanundhuclie  nnter  )ir.  (J64.  Diese  beiden  älteren  niedor- 
schriften  stimmen  —  abgesehen  van  <j('rin;ffüyifjen  Varianten  und  rerscJiiedenheiten 
der  interpunktio)i  und  ortliofp-apliiv  —  Uberein.  Sie  sind  renvandt  mit  dem  ahdrnck 
in  den  Unterhaltnmjen  l'IJJ.  '>.  stiir/,-  norember  1769,  Hamburg  s.  384.  Doch  gehen 
Boies  niedfrschriften  schwerlich  ai(f  diesen  drnck  ~n)-iicl-.  {Die  verschiedenen  eimel- 
ansgaben  habe  ich   nicht  zur  hand.) 

Boies  niedersclirift  liier  im  :>'.  summelbnche  bringt  eine  spätere,  vesentlich  ge- 
änd'ite  fassnng,  die  aber  noch  nicht  die  endgiltige  te.rtgestalt  darstellt.  —  Zur 
tiiederschrift  im  3.  samnielbnchc  fügte  Boie  später  erhebliche  rarianten  hinzii,  die 
dem  drucli  der  Wiener  ansgahe  (Sämtliche  poetische  Schriften  ron  Joh.  Wilhelm 
von  Gerstenberg  II.  Wien  1794  s.  1)  entsprechen.  Der  text  der  Wiener  ausgäbe  ist 
reru-andt  mit  Gerstenbergs  Vermischten  Schriften  ron  ihm  selbst  gesammelt.  Jl. 
Altona  1815  s.  73.     Die  Altonaer  ausgäbe  erschien  erst  nach  Boies  tode. 

Mit  diesem  eintrage  schliesst  Boies  3.  sainmelbuch. 

Überblickt  mau  Boies  sammelbücher,  so  müsste  man  aus  ihnen 
allein  schon,  ohne  Boies  leben  und  seine  korrespondenz  zu  kennen, 
den  schluss  ziehen,  dass  dieser  fleissigc  antzeichner  mit  einer  grossen 
reihe  dichtender  Zeitgenossen  in  beziehung  stand.  Wir  wissen,  dass 
er  enge,  persönliche  Verbindungen  zu  so  manchem  dichter  hatte.  So 
hat  Boie  als  ein  interessierter  Jiebhaber  und  als  bewährter  heraus- 
geber  von  der  damals  erblühenden  dichtung  zahlreiche  poetische 
gaben  grosses  und  bedeutendes,  kleines  und  vergängliches  -  zu- 
sammengetragen. Meine  textkritischen  andeutungen,  die  auf  Boies 
vergessene  sammelbücher  hiuAveisen,  zeigen,  dass  hier  ein  reicher  schätz 
zu  heben  ist.  Denn  Boies  handschriftliche  Überlieferung,  die  bei  der 
Sorgfalt  des  Sammlers  ihren  wert  hat,  weiss  unsere  kenntnis  von 
manchem  dichterwort  jener  zeit  und  von  der  form,  die  es  gefunden, 
nicht  unbeträchtlich  zu  mehren. 

Laise  Mejers  sammelbuch. 

Bezüglich  der  Klopstockschen  und  Herderschen  gedichte  hat  diese 
handschrift  nur  einen  geringen  wert;  Luise  Mejers  niederschrift  ist 
abhängig  von  den  Boieschen  sammelbüchern.  Das  schliesst  natürlich 
nicht  aus,  dass  ihre  Sammlung  auch  eine  ganze  reihe  von  stücken 
l)ringt,    die    l)ei    Boie    fehlen.       (ber   die   Bürgerschen   gedichte  ihrer 


AUS    HEIXUICH    CHUI8TIAN   BOIES    XACHl.Ass  215 

niederschrift  vgl.  Bürgeis  gediclite  hsg.  von  Coiiseutins  2.  aufl.  II. 
in  den  anmerkungen,  -  Neben  deutschen  gedicliten  trug  sich  Luise 
Mejer  mit  Vorliebe, englische  dichtungen  in  ihr  buch  ein  und  begegnete 
-ich  bei  dieser  neigung  für  englisches  wieder  mit  Boie. 

In  ihrem  samnielbuch  auf  blatt  1  a  bis  2  b  Herders : 

Als  mein  Freund  Sympathie  und  Tugend  fang. 
Sympathie,  und  Freundfchaftswonne  fingen  .  .  . 
I///.  Boies  3.  samtneibiicli    ~u»i  scJibiss  blatt  28  b. 

Anschliessend  auf  blatt  2b  bis  3a  in  Herderscher  Übersetzung: 
Shaccespear's  twelfth  night;  come  away,  come  away,  deatlil 
Süfser  Tod,  süfser  Tod !  Komm !  .  .  . 
l'f/I.  hoies  3.  sammelbnch  zum  schluss  blatt  22b. 

Diese  eintragungen  gehen  durcliaus  auf  das  Boiesche  3.  sammelbuch  zurück. 
Damit  ist  der  Zeitpunkt,  wann  frühestens  die  Sammlung  der  Luise  Mejer  begonnen 
*ein  kann,  gegeben. 

Ich  verzeichne  noch,  zur  weiteren  datieruug,  die  letzten  eintragungen  ihrer 
handschrift. 

Auf  blatt  102  a: 

Gedichte  nach  Walter  von  der  Vogelweide 

von  Gleim. 

Ueber  fein  langes  Leben. 

Erfter  Th:  S.  141. 

Ich  feh,  in  Gottes  Welt,  mich  um,  .  .  . 

y'jl.  [GlelmJ    Gedichte   nach    Walter    ron    der   vogehcpide.      (>.  O.  1779  s.  25.  —  £"•■* 

iiefit  lediglich  die  abschritt  cor. 

Auf  blatt  102  b  bis  103  b: 

Halladat,  oder  das  rothe  Buch.     Dritter  Theil.     Gleim. 

Der  gute  Töpfer. 

Im  Schatten  des  berühmten  Ahornbaums,  .  . . 

)'<//.  Gleims  sc'iinth'che  irerke  hsff.  von    W.  Körte  VI.  1812  s.  148.     Der  Halberstädter 

j.l  itrJc  von   1781  vom   Halladat  3.  teil  blieb   mir  unziirfönr/l/rh. 

Auf  blatt  104  a  bis  105  a: 

Halladat.  Gleim 
V. 
D  er  Jäger. 
Abazadall,  ein  grofser  Jäger,  ging  .  .  . 
Fl//.  Gleims  sä  in  fliehe  tverke  hsy.   von    W.  Körte    VI.  1812  s.  144. 

Weiterhin  auf  blatt  105a  und  105 h.  einem  losen,  unbezitferten  blatte  iiud 
auf  blatt  106  a: 

Das  G raschen.     Rofalieus  Briefe  3ter  Theil. 

Gräschen,  beperlt  vom  Thau,  .  .  . 

Vyl.  Bosaliens   briefe    an    iltre   freandin    Mariane    von    St**.       Von    der    Verfasserin 

des    Fräuleins    von    Sternheim    [=  Sophie    von    la    Roche].      3.   Thl.  Altenburg  1781 

s.  89.  —  Es  liegt  lediglich  die  abschrift  vor. 

Als  letzter  eintrag  auf  blatt  106  a  und  107  b,  wobei  die  blätter  106b  und 
1'  »7  a  versehentlich  übersprungen  und  leer  geblieben  sind : 

15* 


216  ('(»NSKNTIUS 

Tlie  Inconftant. 
Fair  and  foft  and  gay  and  Toung,  ... 
//;/   (janzen  drei  sfropliPU,  jode  ix  ftrhf  rersmi. 
Verf.  > 

Bei  dem  plaue  meiner  laitteilungen  begnüge  ich  micli  mit  dem  hinweise  auf 
zwei  Vossische  gediente: 

Auf  blatt  37  a  und  37  b: 

An  Selma.     Den  29ten  Oct.  1773.     Vofs. 
Bey  dem  freundlichen  Stern,  der  dich  mit  Ahndungen 
Sanft  befchimmert,  wenn  mitfühlend  der  dumjife  Quell 
Und  des  bunten  Gebüfclies 
Abeudlispel  mir  Selma  tönt! 
Bey  den  Träumen  voll  Glanz,  welche  du  Staunende 
Nicht  zu  deuten  vermagft !     Selma,  verfchleufs  den  Wunfch 
Der  im  Schauer  des  Tieffinns 
Dir  den  bebenden  Bufen  hob! 
Ach !  zu  feiiges  Leos,  dafs  der  verjüngte  Lenz, 
Seines  Barden  Gefang*  dort  in  der  Blüthen  Xacht 
Aus  fo  heiligen  Lippen 

Einzuathmen,  mich  würdige ! 
Wie  der  Harfe  Getön  unter  befeeltern 
Harmonieen  der  Braut,  fchwebte  des  Liedes  May 
Schüchtern  unter  der  Stimme 
Seiner  blühenden  Leförin. 
Doch  im  feftlichen  Schmuck,  den  dir  die  Herrlichkeit 
Deines  Geiftes  umftralt,  tritt  vor  Jehovens  Thron: 
Bald  find  Wahrheit  die  Träume, 

Die  dir  nächtlich  mein  Engel  Ichuf. 
Au  dem  funckelnden  Beet,  wo  der  umwölckte  Mond 
Und  die  Nachtigall  dich  tief  in  Gedanken  fenckt, 
Stehet  plözlich  dein  Bruder, 

Und  ein  Fremdling  an  feiner  Hand. 
Selma,  wenn  dir  alsdann  ffchnelle  Vergefseuheit 
Deiner  leichteren  Tracht,  wenn  dir  dein  lautes  Herz, 
Deines  Grufses  Verftummen 

Dir  Weifsagte,  dafs  ich  es  fey! 
Zu  Voss'  Sämtlichen   werken,    Leipzicf  1835,  s.  120  bietet   die    iriedei'schrift  erhehlicln^ 
Varianten.  —   Zur    letzten    strophe   vgl.  auch   Voss'  Gedichte  I.  Hamhurfi  17N5  s.  ^'i-'y 
'An  Selma'  die  Schlussstrophe  (Sämtliche  werke  18S5  s.  121). 
Auf  blatt  52  b  und  blatt  53  a: 

Die  Laube.  Vofs. 

Mit  des  Jubels  Donnerfchlägeu,  .  . .. 
Zum    Vossischen    musenalmanacli    1778  s.  134    bietet    die    linndschrift    n(riii)itcii ;  irf, 
führe  die  fünfte  strophe  an : 

1)  Kleiftens  Frühling.     [Anm.  der  Htlschr.] 


AUS   HKIXRKH    CHRISTIAX    liOIES    NACHLASs  217 

Alle  Kreatureu  loben, 
Wachteln  unten,  Lerchen  oben ; 

Schafe  blocken  durchs  Gefild 

Und  der  Stier  im  Sumpfe  brüllt! 
—    Voss'  SöDilliche  irerke;  Leipziff  183'j,  s.  160. 

Notizbuch  des  N.  N. 

Diese  handschrift  bringt  bei  ihren  sebr  verschiedenartigen  ein- 
tragungen  unter  anderem  zahlreiche  zitate  aus  klassischen  autoreu, 
präparationen,  wie  sie  sich  ein  schulmann  machen  konnte,  notizen 
iius  älteren  druckschriften  und  auszüge  aus  Journalen,  daneben  viel- 
fache eintragungen,  die  sich  auf  den  gang  der  französischen  revolution 
beziehen. 

Damit   sind    für   die    entstehungszeit   schon  bestimmte  jähre  an- 
gedeutet.    Denn  es  handelt  sich  nicht  um  die  nachträgliche  Sammlung 
solcher   notizen   zur   Zeitgeschichte;    vielmehr   muss    der    besitzer    des 
T3uches   seine    eintragungen   während    der   ersten    revolutionsjahre    ge- 
macht   haben.      Sein    notizbuch    bringt    nämlich    auf  s.  336,   in  einer 
besonderen,    dazu    vorgesehenen    rubrik  -  auf    die   auch    die  inhalts- 
«))ersicht    am    Schlüsse    verweist  —  eine    sorgsam    geführte   totenliste, 
■i\\Q    mit   dem  jähre  1794  anfängt   und   mit   dem  märz  1795  abbricht. 
Die  letzten  eintragungen  in  dieser  liste  lauten : 
'd.  10  märz  f  A.  G.  Carftens  82  J. 
.,    19      „      ..  J.  A.  Ebert  geb.  1723. 
..    21      „      „  D.  Christoph  Kaufmann  zu  Herrenhuth  42  J.  alt.' 

Mit  diesen  eintragungen  ist  das  blatt  nicht  gefüllt;  das  ganze 
notizbuch  ist  auch  längst  nicht  vollgeschrieben ;  aber  mit  diesem  datum 
€ndet  die  chronologische  liste  der  verstorbenen. 

Durch  diese  totenliste  ist  ein  fester  termin  auch  für  die  übrigen 
notizen  und  gedichteintragungen  der  handschrift  gegeben. 

Yossiana. 

Was  das  notizbuch  an  Klopstockschen  gedichten  enthält,  habe 
Icli  oben  bd.  48  s.  418  aufgeführt.  Es  sind  vier  gedichte,  die  in  den 
Jahren  1792  bis  94  entstanden  oder  gedruckt  wurden,  von  denen  sich 
drei  auf  die  franzr»sische  revolution  beziehen.  Einen  besonderen, 
kritischen  wert  für  Klopstocks  text  haben  diese  abschrifteu  nicht. 

Beachtenswerter  scheinen  mir  die  zahlreichen  gedichte  von  Joh. 
Heinr.  Voss  zu  sein,  die  in  unserer  handschrift  zusammengetragen 
sind.  Es  handelt  sich  -  altgesehen  von  einem  sehr  viel  älteren  ge- 
ieaenheitsEredichte   \on    1773,    das    der   familie   Boie   gewidmet   ist    - 


218  (  ONSKNIII  s 

um  gediclite,  die  sänitlicli  1792  bis  1795,  und  zwar  zuuioist  in  den 
beiden  für  Voss  selir  cri;iel)igen  Jahren  1794  und  1795  entstanden 
sind.  Darunter  eines,  das  im  notizbueli  auf  s.  154  oline  Überschrift 
mitgeteilt  ist  (Mit  uns  il't  Gott!  Mit  uns  ift  (lott!  .  ,  .)  und  in  Voss' 
werke  nicht  aufgenommen  wui'de.  Es  ist  ein  älteres  freiheitslied,  das 
noch  aus  Voss'  Göttiuger  zeit  stammt,  aber  während  der  französischen 
revolution  umgeformt  und  an  eine  neue  adresse  gerichtet  wurde; 
nicht  melir  an  die  Deutschen,  sondern  an  die  Franzosen !  Trotzdem 
war  die  politische  ansieht  des  dichters  die  gleiche  geblieben.  Das 
ziel  des  kampfes,  die  sache  <ler  freiheit  selbst,  hatte  sich  für  Voss  so 
wenig  verändert,  dass  ihm  die  älteren  verse  noch  nach  zwei  Jahr- 
zehnten als  der  ausdruck  seiner  unveränderten  gesinnung  galten.  Diese 
spätere  Umformung  dürfte  ungedruckt  geblieben  sein. 

Eine  stattliche  zahl  der  vielen  gedichte  aus  Voss'  späten,  lyrischeu 
erntejahren,  die  unsere  handschrift  gesammelt  hat,  wurde  im  zweiten 
bände  von  Voss'  gedichtsammlung,  der  in  Königsberg  1795  erschien, 
gedruckt.  Dieser  zweite  band  w'ar  dem  ersten  nach  zehn  jähren  ge- 
folgt! Zur  füllung  des  bandes  hatte  es  einer  neuen  Schaffensperiode 
bedurft.  -  Sehr  viel  mehr  der  handschriftlich  gesammelten  gedichte 
dienten  Voss  zur  aussteuer  der  jährlichen  bändchen  seines  almanachs, 
bis  zum  ende  ihrer  langen  reihe,  bis  zum  jähre  1800.  Die  fülle  der 
verse  von  1794  und  1795  verteilte  Voss,  dessen  produktive  kraft  noch 
keineswegs  erschöpft  war.  auf  die  einzelnen  Jahrgänge  dos  musen- 
kalenders.  -  Als  dieser  almanach  aufhörte,  als  Voss  darauf,  er  zog 
aus  Eutin  fort,  dem  publikum  seine  sämtlichen  gedichte  in  einer  neuen 
ausgäbe  gesammelt  vorlegte  (Königsberg  1802)  griff  der  dichter  wieder 
auf  den  Vorrat  der  jähre  1794  und  1795  zurück.  Einige  gedichte 
wurden  wohl  erst  in  der  auswahl  der  letzten  band,  in  der  Königs- 
berger ausgäbe  von  1825,  veröffentlicht,  andere  erhielten  natli 
Voss'  tode  —  in  den  zu  Leipzig  1835  erschienenen  sämtlichen  werken 
ihren  platz. 

Unsere  handschriftliche  Überlieferung  bleibt  den  späten  drucken, 
gegenüber  wichtig.  Zwar  bietet  das  notizl)uch  des  N.  X.  nicht  die 
Vossische  handschrift  selbst;  aber  doch  eine  niederschrift,  die  fa*>t 
unmittelbar  nach  dem  entstehen  der  gedichte  gemacht  wurde.  Und 
war  es  im  grossen  und  ganzen  auch  nicht  die  art  des  älteren  Voss, 
seine  gedichte,  denen  er  einmal  eine  feste  form  gegeben,  beim  späteren 
druck  durchgreifend  zu  ändern,  ihnen  umgestaltend  eine  wesentlich 
andere  fassung  zu  geben  dennoch  zeigt  die  ältere  niederschrift  zu 
den  späteren  drucken  Varianten,  die  bemerkenswert  l)leiljen. 


AIS    HEINKUH   (HRISTIAX    l'.OIES   NAt  lil.AsS  219 

Leider  fehlen  dem  Boiesclieu  nachlass  die  briefe  von  Voss  und  von  Eniestinen. 
Dafüi-  sind  Boies  eigene  briefe  an  seinen  schwager  und  die  Schwester  in  die 
Boieschen  iiapiere  zurückgeflossen.  Diese  korrespondenz.  die  sich  über  mehr  als 
drei  Jahrzehnte  erstreckt,  weist  für  die  jähre  1792  bis  1795.  d.  h.  für  die  jähre,  die 
gerade  für  unsere  handschrift  in  betracht  kommen,  eine  Kicke  auf.  die  nicht  ganz 
zufällig  zu  sein  scheint.  Denn  auch  in  Boies  briefen  an  frau  von  Pestel  (7  1S05), 
die  gleichfalls  ira  Boieschen  nachlass  ruhen,  fehlen  z.  b.  alle  briefe  aus  dem  jähre 
1794.  In  brieflicher  Verbindung  hat  Boie  während  dieser  jähre  ganz  bestimmt  mit 
seinen  vertrauten  korrespondenten,  mit  dem  schwager  und  mit  frau  von  Pestel. 
gestanden ;  aber  seine  briefe  aus  den  politisch  erregten  zeiten,  die  auch  ruhige 
uaturen  mit  sich  fortrissen,  bis  im  weiteren  verlauf  der  revolution  die  eruücliteruui:- 
eintreten  musste,  dürften  später  absichtlich  vernichtet  sein.  —  Was  der  Voseische 
nachlass,  der  in  München  ruht,  etwa  an  ergänzungen  bietet,  habe  ich  zum  zwecke 
dieser  kurzen  mitteilungen  nicht  eingesehen. 

Einen  ersatz  für  die  lücken  in  der  korrespondenz  mit  Voss  und  frau  von 
Pestel  können  Boies  briefe  an  Friedrich  Nicolai  zwar  nicht  geben,  denn  dieser 
briefwechsel  ist  auf  einen  ganz  anderen  ton  gestimmt.  Ein  paar  stellen  aus  Bolcs 
briefen  an  Nicolai  führe  ich  doch  an: 

Boie,  M  e  1  d  0 r  f  den  28.  n  0  v  e m b  e  r  1794,  an  Nicolai:  '.  .  .  Vufs  hat 
mir  6  neue  Lieder,  eins  naiver,  lieblicher,  ftärker,  ich  mögte  fagen  erhabener  als 
das  andre,  alle  Kinder  des  Novembers,  gefohickt.  die  ich,  wie  gern,  mit  Ihnen  lefcn 
mögte ;  aber  aus  der  Hand  geben  darf  ich  fie  nicht,  da  lie  dem  nächften  Almanach 
beftimmt  find,  und  vorher  nicht  bekant  werden  dürfen.  Indefs,  wenn  Sie  mir 
verfprechen  es  nicht  aus  Ihrer  Hand  zu  geben,  fchreibe  ich  Ihnen  den  QueUgefang 
ab,  der  Sie  vorzüglich  freuen  wird.  Heute,  obgleich  ich  Ihr  vorher  gegebenes  Wort 
nicht  brauchte,  l'chicke  ich  es  nicht;  Yofsens  Yerfe  und  meine  Keime  muffen  nicht 
zufammen  gelefen  werden  .  .  .' 

Boie,  Meldorf  den  22.  januar  1795,  an  Nicolai:  'Mein  Verfprechen 
Ihnen,  mein  werthefter  Herr  und  Freund,  einige  Vofsifche  Lieder  gelegentlicii  ab- 
zufchreiben  und  mitzutheilen,  war  kein  Verfprechen  des  Eigennutzes,  oder  ein 
Verfuch,  auf  diefe  Weife  das  von  Ihnen  zu  erhalten,  was  Sie  nicht  aus  der  Hand 
zu  geben  durch  Ihr  Wort  gebunden  find.  Ich  glaubte  Ihnen  ein  Vergnügen  zu 
machen,  und  hatte  damals,  als  ich  der  Lieder  erwähnte,  nur  nicht  Zeit  zum  Ab- 
fchreiben.  Hier  find  einige,  von  denen  ich  nur  keine  andre  Abfchrift  zu  erlauben 
bitte,  weil  ich  noch  nicht  weis,  welchen  Gebrauch  der  Dichter  davon  zu  machen 
denkt.  Er  fährt  noch  immer  fort  zu  fingen,  und  hatte  vor  drei  AVochen,  als  ich 
•lie  letzte  Nachricht  von  ihm  hatte  und  der  junge  Niebuhr  mit  Henslern  in  Eutin 
war,  über  60  Lieder  gedichtet.  Man  mufs  ihn  notwendig  lieb  haben,  wenn  man 
weis,  dafs  allein  die  ihm  auch  geglückte  Abficht,  feine  durch  das  Leiden  unfers 
Bruders  bekümmerte  Frau  und  diefen  felbft  zu  erheitern,  ihm  die  Leier  wieder  in 
die  Hand  gegeben  hat  .  .  .' 

Vossens  -yuellgerang"  (Als  Hirten  ftehen  wir  und  laulciien  .  .  .)  und  viele 
andere  lieder  gerade  aus  dieser  zeit  sind  in  unserer  handschrift  zu  finden.  Und 
was  Boie  über  Voss'  bemühung  gesagt,  über  sein  bestreben,  durcli  gesang  die  letzte 
lebenszeit   des   kranken  brnders  und  schwauers  Rudolf  Boie  zu  erheitern,  hat  Voss 


220  ^        coNsEr^-iirs 

iu  schlichter  weise  selbst  bestätigt'.  —  Christiau  Eudolf  Boie,  der  als  konrektor 
aucli  in  amtlicher  Verbindung  mit  Voss  stand  und  den  rest  seines  kurzen  lebens 
in  dem  traulichen,  schönen  Eutiner  familienkreise  verbrachte,  starb  am  16.  april  1795. 
Es  handelt  sich  bei  den  gedichten,  über  die  Heinrich  Christian  Boie  ent- 
zückt war  —  freilich  hat  er  mehr  und  mehr  in  späteren  jähren,  als  er  in  dem  ab- 
gelegenen Meldorf  von  literarischen  Verbindungen  fast  abgeschnitten  war,  den 
dichter  und  schwager  stark  überschätzt  —  meist  um  gelegenheitsgedichte  Vossischer 
hauspoesie.  Vossens  muse,  etwas  pedantisch  und  steif,  ganz  wie  es  Vossens  phan- 
tasiearmer art  entsprach,  sass  gern,  des  schmauses  froh,  bei  tisch  und  feierte 
ländliche  feste  oder  brachte  polternd  die  starre,  unduldsame  politische  gesinnung 
des  dichters,  dem  wahre  toleranz  auch  auf  kirchlichem  gebiete  versagt  war,  zum 
ausdruck.  Diese  gedicbte  sind  grossenteils  kommandierte  poesie.  Hier  erfüllten 
sie  den  guten  zweck,  den  lebensabend  des  kranken,  jüngeren  Schwagers  zu  ver- 
schönen. 


Im  notizbuch  des  X.  N.  sind  folgende  gedichte,  bei  denen  Voss  als  Verfasser 
genannt  ist,  eingetragen;  nach  der  alten  Seitenzählung  auf 
Seite  B9:  Agathonan  den  König  Archelaus. 

Drey  Lehren  fafs'  ein  Herrfcher  wohl  ins  Herz:  .  .  . 
(,)iidlein()igahe:  Barnef.  in  vita  Eurip.     Unterzelclinet:  Vfs.     Zhiii    VossiscJieii  ini(sen- 
aliHcniarh    1794   s.  72  nnd   dem    ahdruch    in    Vofis'  Säniflidien  wevhen,  Leipzig  18S5^ 
•s.    '^90  bietet  die  liandschrift  rarianfe)t. 

Weiterhin  in  fortlaufender  folge  von 
Seite  72  ab:  Der  Geif  t  Gottc  s. 

Was  laufcheft  du,  o  Volk  der  AUemaunen,  .  .  . 
unterseifhnet :   Vofs.      Vgl.    VossiscJier    mnsencdmanach  1796  s.  3.  —    Voss'   Sämtliclie 
irerhe,  Leipzig  1835,  s.  204. 
Seite  72  D  er  Agnes  w  er  der. 

Das  Weiblein  thut  fo  heftig,  .  .  . 
unterzeichnet:  Vofs.      Zion    Vossischen    musenalmanach    1796    s.  24    bietet   die  hand- 
schrift   nur   geringe    carianien.      Voss'    Sfhntliche    werke,  I^eipzig  1835,  s.  215  gelen, 
ausser  Varianten,  zn-ei  Strophen  mehr. 
Seite  74  Der  Frauentanz. 

Die  Mädchen. 
Mit  heran  in  den  Tanz,  .  .  . 
unterzeicJinet:    Vol's.      Znm     Vossischen    inusenahnanacJi    1797    s.  22    bietet  die  hand- 
schrift  7iiir  geringe   Varianten.      In    Voss'    Sämtlichen    loerli-pn,    Leipzig   1835,  s.  205 
i/ekürzt  und  geändert. 
Seite  7ii  Frühlingsreigen. 

.Jünglinge  u.  Mädchen. 
0  wie  dem  Mai  die  Natur  fich  verjüngt!  .  .  . 
n)itcr  der  Überschrift  das  rersschema.     Unterzeichnet:  Vofs.     Znm   Vossischen  mnsen- 
almanuch    1797  s.  138   bietet   die  handschrift  nur  geringe  Varianten.  —    Voss'  Sämt- 
liche irer/.-e,  Leipzig  1835,  s.  205. 

1)  Voss'  Sämtliche  gedichte,  Königsberg  1802,  V.  s.  297  f. 


AUS    IIEIXRRH    CHRISTrAX   BOIKS    XACIILASS  221 

5eiT  76  Braut  tanz. 

Jünglinge  u.  Mädcheu. 
Nim  dich  in  Aclit,  du  Bräutclien,  in  Acht.  .  .  . 
iinterzeiclmet:  Vofs.     Fehlt  eleu    Vossischeti    inn.^enalnianachen.      Zu    J'oss'  SVinitlichen 
t/edtcJifeii,    Köniffftbery    1802,     1\  s.  173    hietef    die    JunidscJiriff    cariauten.    —     T'o.ss' 
SiimtUclie  irerl-e,  heipzUj  lH3ö,  s.  210. 
Seite  78  Wint  erreige  u. 

Tänzer. 
Sei,  Winter,  gegrüfst,  du  freundliclier  Greis !  .  .  . 
)interzeichuet:  Vofs.      Zum    Yossischen    musenahnanach   1798  s.  110   hietef  die  hatid- 
schriff  nur  gerimje  Varianten.  —    Voss'   Sämtliche  icerJ.-e,  Leipziff  1835,  s.  213. 
Seite  79  Braut  tanz. 

Tanzt,  ihr  Jünglinge,  tanzt,  ihr  Schweftern !  .  .  . 
unferceichiiet:  Vofs.     Zum  Yossischen   mnsenalmanach  1800  s.  7  bietet  die  handschrift 
nur  gerinye  Varianten.  —  In    Voss'  .Sämtlichen   n-erl/en,  Leip:iff  1835,  s.  2V^  um   eine 
•strfyphe  erireitert. 
Seite  80  Die  Abendf tille. 

Schön  vom  Abend,  fchön  .  .  . 
unterzeichnet:    Vül's.      Zum     Vossischen    musenalmanach    1797  s.  57    bietet    die  hand- 
schrift  nur   gerinyfäyige    rarianten.    —    In     ]'oss'    Sämtlichen    icerl.'en.  Leijizig  1835, 
s.  223  um  eine  Strophe  erireitert. 
Seite  81  Die  erneute  Men  fchli  ei t. 

Stille  herfch',  Andacht,  und  der  Seel'  Erhebung,  .  .  . 
unterzeichnet :'  Vofs.      Der    handschrift,    die    zu/n     Vossisclien    musenahnanacli    179(1 
■s.  12  rarianten  bietet,    fehlt    das  rorgedrwlte    rersschema.  —    Voss'    Sämtliche  u-erli-e, 
Leipzig  1835,  s.  134. 
Seite  82  Vaterlandsliebe. 

Ein  edler  Geift  klebt  nicht  am  Staube;  .  .  . 
unterzeichnet:    Vofs.      Zu    Voss'    Gedichten    II.      Königsberg    1795    s.  244  bietet    die 
handschrift    nur    geringfügige    rarianten.    —     T'o.s.s'    Sämtliche    werl-e,    Leipzig   11^35, 
-s.  202  \ 
Seite  82  An  Schulz. 

Eile  nicbt  zum  Sternenchor,  o  Sänger;  .  .  . 
unterzeichnet:  Vofs.    Zu    Voss'  Gedichten  IL  Königsberg  1795  s.  247  bietet  die  hand- 
schrift nur  t/anz  geringfügige  rarianten.  —  Voss'  Sämtliche  u-erke,  Leipzig  1835,  s.  220. 
Seite  88  Erneftinens  Geburtstag.  1795 

Jeder  heut  will  Erneftinen,  .  .  . 
unterzeichnet :  Vofs.     Zum   Vossischen  musenahnanach  1796  s.  59  bietet  die  handschrift 
rarianten.  —    Voss'  Sämtliche  u-erke.  Leipzig  1835,  s.  224. 
Seite  83  Freude  vor  Gott. 

Uns  freuen  wollen  wir  vor  Gott:  .  .  . 
unterzeichnet:  Vofs.    Der  Vossische  musenahnanach  1800  s.  217  bringt,  mit  geringeren 
rari  litten,    nur   sechs   .Strophen,    die  handschrift  bietet  sieben.     Hinter  der  gedruckten 
4.  Strophe  in   der  handschrift: 

Geniefst,  ihr  Staubesfühn",  erfreut 
Der  Dämmrung  jener  Herlichkeit ! 

1)  Den  abdruck  im   Genius   der  zeit   april  1795  s.  393,  auf  den  W.  Herbst, 
J.  H.  Voss  IT.  1.  1874  s.  362  verweist,  hatte  ich  nicht  in  der  band. 


222  CONSENTIUS 

Dem  mattem  Sinn  in  dieier  Trübe 
Wie  rtralt  I'ie  doch,  die  Wnnderliebe ! 
Wie  wärmt,  wie  läutert  I'ie  das  Herz, 
Und  fchwiugt  vom  Staub  es  himmelwärts! 

—  Voss'  Säint/icJir   irerhe,  Leipzig  1835,  s.  218. 

Seite  81  Die  Dichtkuuf t. 

Nicht  fchämet  euch  zu  fingen,  ... 
unterzeichnet:   Vofs.    Vgl.  Die  hören  IJOß,  7.  stiick  s.  77;    die   handscJirift  bietet  (j-- 
rinye  Varianten.  —    Voss'  Sf'imtlirhe  iverJre,  Leipzig  1835,  s.  224. 
Seite  8.4  Weihe  der  S  c  h  ö  n  h  e  i  t. 

Die  Schönheit  ift  des  Guten  Hülle;  .  .  . 
ohne   Unterzeichnung.       T^/l.  Die   hören  1795,  5.  stfic/,-    s.   135;  die    innidsrhriff  hietet 
nur  geringe  rarianten.  —    Voss'  Sämtliche  u-erhe, ^Leipzig  1835,  s.  190. 

Seite  85  D  e  r  g  u  t  e  W  i  r  t. 

Schenkt,  ihr  Lieben,  Ichenkt  doch  ein!  .  .  . 
unterzeichnet:  Vofs.      Ziim    Vossischen    nmsenahnunach   1796  s.  193  bietet  die  hand- 
schrift   nur   geringe   Varianten;    aber  bei  jeder  strophe  die  Vorschrift,  dass  der  chor 
die  letzte.})  zirei  ver.se  der  strophe  n-iederholt.  —  Voss'  Rämtliclie  irerlie,  Leipzig  1835, 
s.  196. 
Seite  86  Die  Kirche. 

Du,  Vater,  fandteft  deinen  Sohn,  .  .  . 
HHterzeichnet :   Vofs.     Zum    Vossischen    mnsenahna)iach    1797  s.  203    bietet  die  hund- 
schrift   Varianten.      Die    beiden    letzten    verse    der  (i.  stroj^he   in   der  handschriftlichen 
und  jedesfalls  älteren  Überlieferung: 

Denn  lange  dunftet',  öd'  und  dumpf, 

In  kalter  Nacht  ein  öder  Sumpf. 

—  Voss'  Sämtliche  n-er7,-e,  Leijjzig  1835,  s.  199. 
Seite  87  -DasNac  hieben. 

Jung  ift  alles  heut  und  fröhlich;  .  .  . 
unterzeichnet:  Vofs.      Zum    Vossischen   musenalmanach    1797    s.  34    bietet  die  hand- 
schrift  nur  geringe  Varianten.  -     ]^oss'  Sämtliche    Ml'rl.-e,  Leipzig  1835,  s.  221. 
Seite  88  Sängerlohn. 

Einer. 
Ein  neues  Lied,  ihr  wackern  Brüder,  .  .  . 
unterzeichnet:   Vofs.       Vgl.  Die    hören  1795,    5.  stüclt'    s.  138;    dazu    das    Verzeichnis^ 
der  druckfehle r.     Die  liandsrlirift  bietet  Variante)!,  —  Voss'  Sämfliclie  werl-e,  Leiiizig, 
1835,  s.  222. 
Seite  89  Die  Ruhe. 

Wir  mögen  uns  der  Sorg'  entfchütteln,  .  .  . 
nnterzeiclinef :    Vofs,      Zum    Vossischen    musenalmanach    1797  s.  42   bietet    die  haid- 
schrift  nur  geringe  Varianten,  —  V'oss'  Sä)ntliche  n-erke,  Leipzig  1SH5,  s.  222  und  s.  354.. 
Seite  90  Die  Merz fe  i  er. 

Fel'tlich  prangt  mit  grünem  Eppich  .  .  . 
unterzeichnet:   Vofs.      Zum     Vossischen    musenalmanach   1800   s.  03    bietet  die  liand- 
schrift  nur  geringe  Varianten.  —    Voss'  Sämtliche  werke,  Leipzig  1835,  s.  225. 
Seite  9i  Das  Oberamt. 

Vernehmt,  ihr  Volksgebieter,  .  .  . 


AUS    HKCXHICH    t  HKlSTfAX    BOrES    NACHI.ASS  223 

Kuterzeiclnirt:  A'ofs.  Die  handsdirift  briiKjt  neun  strophen,  ihr  Vossinche  iiixseu- 
(tl)nanach  ISOO  s.  102,  neben  geringeren  caz-ittntcii,  mir  adit.  Hinter  der  (jedmcldcn 
■j.  sfrophe  bietet  die  handschrift  -folgende  6.: 

Geordneter  Berather 

Erwägung  leuchtet  dir: 

Nicht  Landesherr  noch  Vater, 

Entfcheideft  du  nach  Kiihr: 

Was  kluger  Aeltften  Mehrheit  will, 

Sei  dir  des  Volks  Gefez  und  Bill. 
—    l'oss'  S('i))itliche  irerke,  Leipzig  1S3'j.  s.  228  inid  s.  Söö. 

Seite  91  Die  Morgenheitre. 

Du  kühle  Morgenftunde,  .  .  . 
unter:eiduiet :    Vofs.      Zutn     Vossischen    musenalmanach   1800    s.  1  bietet    die    luiud- 
schrift  geringe  Varianten.  —    Voss'  Sämtliche  werke,  Leipzig  1835,  s.  224, 
Seite  92  Abgefchied  enh  ei  t. 

Endlich  heimgekehrt,  .  . . 
unterzeicJtnet :   Vofs.      Zum    Vossischen    mnsenalmanach    1796   s.  81    bietet  die  hand- 
schrift Varianten.  —    Voss'  Sändliche  uerke,  Leijizig  1885,  s.  230. 
S.  93  Sehnlucht. 

Freundlich  ift  das  Wetter  .  .  . 
nnterzeicJmet:  Vofs.      Zum    Vossischen    mnsenalmanach   1/97    s.  6-3    bietet    die   h<tnd~ 
Schrift  geringe  Varianten.  ■ —   Voss'  Sämtliche  werke,  Leipzig  1835,  s.  227. 

Weiterhin  in  fortlaufender  folge  von 
Seite  149  ab:  Di  e  Veredelung.     Im  Jul.  1793. 

Der  Geifteswildheit  Nacht  voll  Grauen  .  .  . 
nnterzeichnet:  Vofs.      Zum    Vossischen    mnsenalmanach   1794  s.  164   bietet  die  hanl- 
schrift  nnr  geringe  Varianten.  —    ]"oss'  Sämtliche  n:erhe,  l^eipzig  1835,  s.  184. 
Seite  1,50  Edel  und  Adel  ich. 

Edlere  nennft  du  die  Sijhne  Gewapneter,  die  in  der  Vorzeit  .  .  . 
nnterzeichnet:   Vofs.      Zum    Vossischoi    musenalmanach   1794   s.  15    bietet    die  liand- 
schrift  geringe  Varianten.  —    J'oss'  Sämtliche  uerl.-e,  Leipzig  1835,  s.  281. 
Seite  l.öl  Burkens  Denkmal. 

Nach  Goldfmith.     lietaliation,  a  j^oem.  8  edit.  I^ond.  1776. 
Hier,  Wanderer,  nach  Hader,  Zank  und  Straufs,  .  .  . 
unterzeichnet:  Vofs.    Mit  geringfügigen  Varianten  im  Vossischen  mns'nalmanach  1794 
s.  172;  dort  nnterzeichnet:  B.  —  Fehlt    Voss^  Sämtlichen  gedicliten,   Königsberg  1825 
und   Voss"  Sämtlichen   werken,  Leipzig  1835. 

Unsere  handschrift  nennt  Voss  fälschlich  als  Verfasser  dieses  epigrammes  auf 
Edmund  Burke  (1780—1797).  Die  Unterzeichnung  im  musenahnanach  Aveist  viel- 
mehr auf  Boie  hin;  vgl.  Redlicli,  Versuch  eines  chiffernlexikons,  Hamburg  1875, 
s.  23.  Weinhold,  Boie  1868,  s.  343.  Diese  deutung  der  chiifer  wurde  von  Boie 
selbst,  bei  erscheinen  des  almanachs,  bestätigt.  Boie  schreibt  am  22.  dezember  1793 
an  frau  von  Pestel:  '.  .  .  Micb  freut,  flafs  meine  kleinen  poetifchen  Spielwerke  Iliren 
Beifall  haben.  Ich  denke  fie  mit  mehreren  zum  Thcil  noch  nicht  vollendeten  ein- 
mal für  meine  Freunde  zu  fammeln,  und  dann  felbft  die  Grabfchrift  auf  Burke  nicht 
auszulafsen,  die,  wenn  einmal  das  politifche  Für  und  Gegen  aufhört,  vielleiclit  allen 
•Stimme  der  Walirheit  fcheiuen  wird.  .  .  .' 


22i  CONSEN'IH  S 

Weiterliiii  in  fortlaufender  folge  von 
Seite  152  ab:  Elegie.     1773. 

Liebe  Mädchen,  was  quält  ihr  mit  troltverlangender  Klage  .  .  . 
loiter zeichnet:   V.  Zum  Göttitu/er   mnsoiahnantich   1774  s.  197  bietet  die  handschrift 
-ahlreiche  Varianten.  —  Jn    ]\)ss'  Sämtlichen   irerlen,  Leipziij  IHHf),  s.  118  in  iresent- 
lirii  ahireichender  fassunf/. 

(Tber  den  almauachsdruck  dieses  gedichtes  auf  den  tod  seiner  Schwester 
Meta  ("l"  2.  Juli  1773)  Boie  am  11).  September  177.3  (in  der  fortsetzung  seines  briefes 
vom  21.  august  1778)  an  seine  Schwester  Ernestine:  '...Die  letzten  Bogen  des 
Almanachs  fchliefs  ich  dir  bey,  da  die  andern  Briefe  fchon  zugemacht  find.  Vofsens 
Denkmal  uufrer  verewigten  Mcta  wird  euch  allen  gewifs  Thränen  koften,  wie  mir. 
Die  Namen  find  nur  in  wenigen  Exemplaren  ausgedrückt  .  .  .'  Ferner:  Briefe  von 
Joh.  Heinr.  Voss  hsg.  von  Abraham  Voss  I.  1829  s.  220  f. 
.Seite  154  olnie  fiherschrift  : 

Mit  uns  ift  Gott!  Mit  uns  ift  Gott! 
Und  ftärkt  uns  Herz  und  Hand ! 
Für  Erbrecht  herrfcbt  und  Maclitgebot 
Gefetz  und  Vaterland! 

Ift  einem  noch  die  KnechtJ'chaft  werth, 
Und  zittert  ihm  die  Hand, 
Zu  heben  Kolbe,  Lanz'  und  Schwert, 
Wenn's  gilt  für's  Vaterland! 

Weg  mit  dem  Feigen!  Weg  von  hier! 
Er  bettr  um  Schranzenbrot ! 
Und  fauf  um  Fürften  fich  zum  Thier! 
Und  bub'  und  läftre  Gott! 

Und  putze  feinem  Herrn  die  Schuh' 
Und  führe  feinem  Herrn 
Sein  Weib  und  feine  Tochter  zu, 
Und  trage  Band  und  Stern ! 

Mit  uns  ift  Gott!  Mit  uns  ift  Gott! 
Wir  Francken  harren  fein! 
Und  rufen:  Freiheit  oder  Tod! 
Und  fchaueu  über'n  Rhein ! 

Uns,  uns  gehöret  Hermann  an, 
Und  Teil,  und  Naffaus  Held, 
Und  jeder  freie  deutfche  Mann: 
Wer  hat  den  Sand  gezählt! 

Ob  uns  ein  Meer  entgegen  wallt: 
Hinein !  Sie  find  entmannt ! 
Die  Knecht",  und  ftreiten  nur  im  Sold, 
Und  nicht  für's  Vaterland ! 

Hinein!  Das  Meer  ift  uns  ein  Spott! 
Und  fingt  mit  lautem  Klang: 
Ein  fefte  Burg  ift  unfer  Gott! 
Der  Freien  Schlachtgefang! 


AUS    IIEINKRH   CHRISTIAN    BOIES   XA(  HLASS  22r> 

Der  Freiheit  Engel  Tchwebt  daher 
Auf  Wolken  Pulverdampf; 
Schaut  zornig  auf  der  Feinde  Heer, 
Und  l'chreckt  l'ie  aus  dem  Kampf. 

Sie  fliehn;  der  Fluch  der  Länder  fährt, 
Gleich  Blitzen,  ihnen  nach, 
Und  ihre  Rückeu  kerbt  das  Schwert 
Mit  feiger  Wunden  Schmach. 

Auf  rothen  Wogen  Avälzt  der  Kheiu 
Die  Sklavenäfer  fort; 
Und  fpeit  fie  aus,  und  fchluckt  fie  ein. 
Und  jauchzt  am  Ufer  fort; 

Und  lieht  an  beiden  Ufern  hin 
Vom  Quelle  bis  zum  Meer, 
•  Vereinte  Hrudervölker  blüliu. 
Und  Freiheit  rings  umher!  Y. 

FeJilt  in  (lieser  forw  den  J^ossisclieit  hiKseiiahiiaiiacJten  uml  den  <iiis(jahe)i  der  (jediclde. 
—  Ans  einer  Eutiner  handsclirift  teilte  11'.  Herbst,  J.  H.  Voss  II.  1.  1871  s.  29Sf. 
COH  diesem  yedichte  'Für  die  Franken  am  Rhein'  drei  Strophen  mit,  die  leichte 
rarianten  bringen.  Die  Eutiner  handsclirift  gibt  die  Strophen  anscheinend  in  an- 
derer folge. 

Es  handelt  sich  um  die  verkürzeiide  umbieguug  des  'Trinklieds  für  Freye" 
(Vossischer  musenalmauach  1776  s.  107 ;  Voss'  Sä,mtliche  werke,  Leipzig  1835,  s.  155). 
Dieses  triuklied  forderte  die  Deutschen  zum  kämpf  gegen  ihre  despotischen  fürsten 
auf.  Die  umbieguug  ist  ein  den  Franzosen  der  revolutionszeit  in  den  mund  ge- 
legter Schlachtgesang  gegen  Deutsehland,  soweit  es  sich  der  revolutionären  bewegiing 
nicht  anschliessen  wollte. 

Seite  155  Hymnus  der  Freiheit.- 

Mel.  Marfch  der  Marleiller. 
Sei  uns  gegrüfst,  du  holde  Freiheit!  ... 
\intr zeichnet:  V.^  Fehlt  den  Yossischen  musenulmanachen.  Zum  Schlesicigschen 
Journal,  2.  stücl-  febrnar  179S  s.  2.52  bietet  die  handschriff  nur  geringe  mrianten. 
Zu  Voss'  Sämtlichen  gedieht  n,  Königsberg  1802,  IV.  S.  212,  die  das  gedieht  in  um- 
gearbeiteter fassung  bringen,  zahlreirlte  und  erhehlirhe  rarianten.  —  Foss'  Sämt- 
liche icerhe,  Leipzig  1835,  s.  183. 

Den  stark  durchkorrigierten  entwurf,  von  Voss  eigener  band  geschrieben, 
besitzt  die  Künigl.  bibliothek  zu  Berlin  aus  der  Partheyschen  autographensammhiug. 

"\^'eiterhin  in  fortlaufender  folge  von 
Seite  184  ab:  Morgenlied. 

Erwacht  in  neuer  Stärke,  .  .  . 
■unterzeichnet :    Vofs.      Zum    Vossischen    musenalmanach   1800  s.  195  bietet  die  hand- 
schrift  geringe  variantet^  —   T'os.s'  Sämtliche  werke,  Leipzig  1835,  s.  191. 

1)  Es  folgt  im  notizbuch  des  N.  N.  auf  seite  158: 

Hymne  des  Marfeillois, 

par    Mr.    Dreux.      [Dies     wort   gestrichen;     daruntergeschrieben :    Delisle.      Späterer 

znsatz:  Rougez  ift  VerfalTer.] 

Allons,  enfans  de  la  patrie,  ... 


■226  ■         cnNSENTirs 

Seite  184  Der  Kälberrath. 

Hört,  Freunde,  hört  den  klngen  Kath !  .  .  . 
unterzeichnet :  Vofs.     FeJilt    iJen    Vossischen  nixsenahnanachen.     Zu    Voss'  Sämtlichen 
(^/cdichten,    Königsheiy    1802,    VI.    s.    lHf>    hietet   die   henidsrhrift    raricmten.    —    Voss' 
Sämtliche  werke,  Leip:if/  18o.j,  s.  267. 
Seite  185  Abendlied. 

Das  Tagewerk  ift  abgethan.  .  ,  . 
Huterzcichnet:  Vofs.      Zum    Vossische)i    muscnalnuDUirh    1800    s.  122  bietet  die  hand- 
srlirift  nur  (ferinfifüe/if/e  ra rimite)! .  —    Voss'  Sämmfliche  werke,  Leip^ie/  18S5,  s,  191. 
Seite  185  Der  zufriedene  Cxreis. 

Ein  Nachbar  vor  G 1  e  i  ni  s  H  ü  1 1  c  li  e  n. 
Ich  fize  gern  im  Kiililen  .  .  . 
unterzeichnet  Vofs.    Zu  Voss'  Gedichten  II.  Könie/sberc/  1790,  s.  258  bietet  die  hand- 
.srhrift    >ii(r   ganz    (jeringfiujvje   Varianten.  —    Voss'    Sämtliche   werke,    Leipzig    18'-irj, 
s.  189  '. 
Seite  186  Mein  So r g e n f r e i. 

Wenn  ich  nur  bei  Laune  bin ;  ... 
unterzeichnet:    Vofs?.      Zn    Voss'    Gedichten    II.    Königsberg    1795,  s.    249    bietet    die 
handschrift  nur  geringfügige  Varianten.  —  Voss'  Sämtliche  werke,  Leipzig  1835,  s.  209. 
Seite  187  Die  Kartoffelernte. 

Kindlein,  fammelt  mit  Gefang  .  .  . 
unterzeichnet :    Vofs.      Zum    Vossischen    musenalmanach    1800    s.  51   bietet    die    hand- 
.schrift    nur   geringfügige    Varianten.  —    Voss'  Sämtliche    werke,  Leipzig  1835,  s.  197. 
Seite  188  Vor  dem  Braten. 

Sehr  wilikoramen,  lieber  Hafe,  .  .  . 
imterzeichnet:  Vofs.  —  Zum    Vossischen    musenalmanach   1790  s.  75  bietet   die   hand- 
schrift   Varianten.       J'o.s's'  Sämtliche    a-erke,    Leipzig  1835,  s,  198  in  gekürzter  form. 
Seite  188  Die  Nähftnbe. 

Fleifsig  immer  feyn,  .  .  . 
unterzeichnet   Vofs.      Zum     Vossischen    musenalmanach    1798   s.  141    bietet  die  hand- 
.'ichrift   nur  geringfügige    Varianten.  —    Voss'    Sämtliche    werke,  Leipzig  1835,  s.  195. 
Seite  189  Die  B  raut  am  Geftade. 

Schwarz,  wie  Nacht,  braufeft  du  auf,  Meer!  .  .  . 
unterzeichnet:  Vofs.      Zum    Vossischen    musenalmanach    1796  s.  156   bietet  die  hand- 
schrift   Varianten.    —    Voss'    Sämtliche     u-erke,     Leipzig    1835,    s.  212    in    erweiterter 
fassung. 
Seite  189  Die  A  n  dersdenkenden. 

Wohlan !    wir   bleiben   einig,  .  .  . 
unterzeichnet :    Vofs.      Zu    Voss'    Gedichten    IL    Königsberg    1795,  s.   239    bietet    die 
handschrift  geringe  Varianten.  —    Voss'  Sämtliche  werke,  Leipzig  1835,  s.  202^. 
Seite  189  Ent  f  chlo  f  f  enheit. 

Vorwärts,  mein  Geilt,  den  fchroffen  Pfad!  .  .  . 
unterzeichnet :  Vofs.      Zum    Vossischoi    musenalmanach    1796    s.  106  bietet  die  hand- 
schrift  nur  geringfügige    Varianten.  —    Voss'    Sämtliche  werke,  Leipzig  1835,  s.  193. 

1)  Den    abdruck   im   Genius   der   zeit  märz  1795  s.  341,  auf  den  W.  Herbst, 
J.  H.  Voss  II.  1.  1874  s.  361  verweist,  hatte  ich  nicht  in  der  band. 

2)  Den  Genius  der  zeit  märz  1795  s.  839,  auf  den  W.  Herbst  a.  a.  o.  verweist, 
hatte  ich  nicht  in  der  band. 


AUS    IIEIXÜICH    CIiniSIIAN    BOIES    XACHLASS  227 

.Seite  19U  Die  Wehklage. 

AVelie  mir!  ich  armer  Säuger  kann  .  .  . 
iiiitczekhttet:  Vofs.    Voss'  Gedichte  II.  Königsberg  1795,  s.25(J  bringen  sieben  Strophen, 
10)1   (Jenen   die  gedruckte  i.  der  handsdirift,  die  Varianten  bietet,  fehlt.  —  Voss'  Sämt- 
liche werke,  Leipzig  1835,  s.  193. 

Seite  190  Die  Duldfamkeit. 

Wir  leben  nicht;  uns  träumet  .  .  . 
unterzeichnet:  Vofs.      Der    Vossische    muse}ici.lnianach    1797    s.  93    bringt  nnr    fünf 
Strophen;  die  handschrift  sechs.     Als  vorletzte  Strophe  der  handschrift: 

Ihr  feht  der  Höh  Erfcheinung, 
Und  nennt  fie  gläubig-  Gott, 
Gebietet  eure  Meinung, 
Und  dräuet  Straf  und  Tod. 
Gott  glauben  auch  die  Andern; 
Nur  auders  flehu  fie  an. 
Lafst  friedfam  jeden  wandern, 
Und  glauben,  was  er  kann ! 
Auch    Voss'  Sämtliche  we'rl-e,  Leipzig  1835,  s.  199  bringen   nur  fünf  strojilien. 
Seite  191  Die  Arbeiter. 

Frifchen  Mut,  ihr  wackren  Leute!  .  .  , 

unterzeichnet:  Vofs.      Der    Vossische    musenahnanach    1800    s.  23    bringt    nnr  fünf 

.Strophen ;  die  handschrift,  die  geringe  Varianten  bietet,  noch  eine  sechste  schlnssstrophe : 

Dann  ans  Werk,  ward  ausgeplaudert! 

Chor,     Fleifs  auch  fchraeckt! 
Wer  uns  läffig  fäumt  und  zaudert, 

Chor.     Wird  geneckt! 
Luftig,  Kinder !  fchaft  zur  Wette ! 
Müd'  am  Abend  euch  im  Bette 
Ausgef  treckt! 
Chor.     Luftig  etc.  etc. 
Auch    Voss'  Sämtliche  werke,  Leipzig  1835,  s.  201  bringen   nur  fünf  atrophen. 
Seite  192  Dithyrambe, 

Wenn  des  Kapweins  Glut  im  Kryftall  mir  tiaramt;  .  .  . 
unterzeichnet:    Vofs.      Zum     Vossischen    nnisencdmanach    1796  s.  94    bietet  die  hand- 
schrift  nur   geringfügige    Varianten.  —    Voss'    Sämtliche  iverke,  Leipzig  1835,  s.  206. 
Seite  192  Die  Rofenfeier. 

Traulich  kamt  zu  dem  Freund'  ihr  Freunde,  .  .  . 
unterzeichnet :    Vofs,      Zum    Vossischen    musenalmanach    1796   s.  67  bietet   die  hand- 
schrift  nur   geringfügige    Varianten.  —    Voss''  Sämtliche    icerhe,  Leipzig  1835,  s.  208. 
Seite  193  Der  Rofen kränz. 

An  des  Beetes  Umbüfchuug  .  .  . 
unterzeichnet:    Vofs.      Zum     Vossischrn    musenalmannch    1800    s.  33   bietet  die  Hand- 
schrift Varianten.  —    Voss'  Sämtliche  n-erke,  Leipzig  1835,  s.  210. 
Seite  193  Der  Frühlingsaben  d. 

Nicht  dein  fchmelzender  Zauberhall  .  .  . 
unterzeichnet:  Vofs.      Zum    Vossischen    musenalmanach    1800    s.  88   bietet    die    hand- 
schrift  nur   geringfügige    Varianten.  —    ^'oss'  Sämtliche    werke,  Leipzig  1835,  s.  211. 


228  CnNSENTUIS,    Al'S    HKINUK  II    CIIKI.sTIAN    I!OIK8   NACIILASS 

Seite  194  Ne  uj  ah  rsli  ed. 

(1.  31  Dez.  1794 

Mit  Andacht  grüfst  das  neue  Jahr!  .  .  . 
>inier:eichiiet :  Vol's.     Fehlt   den    Vossischen  mnse)ialma)iachen.      \'(jl.    \'oss'  SiiiiiHitlit 
f/eiUchte,  Köniijsbery  1H02,    \'.  s.  154.  —    Voss'  SämfficJiP  irerhe,  Leipziij  1SH5,  s.  ::il>i^ 
Seite  19-1:  N  euj  alirslied. 

d.  1  Jan.  1795 

Hebt  euer  Haupt  zum  Himmel  auf!  .  .  . 
toiferzeic/niet:  \ok.      Zum    Vossischcii    Dinsenalmanach    1800    s.  28    bietet   die   iivud- 
sclinft  nur  j/erinije  raritoitcn.  —    Voss'  Sömtlirlie  irrrke,  LeijKi;/  1835,  s.  216. 

Seite  195  Gebet. 

Vor  dir,  o  Gott,  zu  beten ^  .  .  . 
initerzeichnet:   Vofs.      Zum    Vossischen    ninsenabnmucclt.    1790   s.  l/^ö  bietet  die  lunnl- 
schrift   nitf    (jeriiH/fUf/ige    cariante)!.  —    Voss'  Sämtliche    irerl,-e,  Leipzig  1835,  s,  21/. 
Seite  196  Friedensr eigen  für  Amerika. 

]\nt  Gefaug  und  Tanz  lei  gefeiert,  .  .  . 
unterzeichnet:  Vofs.      Z)iin    Vossischoi    luusencdmanach    1796   s.  140  bietet  die  haml- 
schrift   mir   [/eriiKjfiiyiije    rai-iunten.  —    Voss'    Sämtliche   tre)'],-e,  Leipzig  1835,  s.  22o. 

Seite  197  Am    Geburtstage. 

Schmückt  Tafel  und  Gemach,  .  .  . 
unterzeichnet:  Vofs.     Zum     Vossischen    niusenalmanach    1798   s.  98    bietet   die   haml- 
schrift  Varianten.  —    Voss'  Sämtliche  -werke,  Leipzig  1835,  s.  203. 

Weiterhin  in  fortlaufender  folge  von 
Seite  203  ab:         Chorgefiing  an  der  (Quelle,     d.  11.  Xov.  1794. 

Als  Hirten  Iteheu  ^ir  und  laufchen,  .  .  . 
unterzeichnet:  Vofs.      Zum   Vossischen    musenabnanach    1796  s.  37   bietet  die  hand- 
schrift  nur  geringe  Varianten.  —   Voss'  Sämtliche  werhe,  Leipzig  1835,  s.  185. 

Seite  205  Beim  Erntekranz,     d.  13  Nov.  1794. 

Die  Scheun'  ift  vollgedrängt  von  Garben,  .  .  . 
unterzeicJinef:   Vofs.      Die   erweiterte    Überschrift,    die   Widmung    und   aumei-kung    im 
Vossischen  nucseiialmanach  1796  s.  126  sind   s]Kiterer  zuscdz,  .de)-  in  do-  handschrift 
fehlt.      Zum    te.rt  bietet   die  handschrift  geringe  Varianten.  —    Voss'  Sämtlielie  werke. 
Leipzig  1835,  s.  62  als  einlage  in  die  idylle  'Die  Erleichterteil' . 
Seite  208  Chorgefang  beim  Eheinwein. 

Ihr  habt  doch  Wein  genug  im  Hause?  .  .  » 
nnterzpichnet:  Vofs.     Fehlt   den    Vossischen    musenahnanachen.     Zu,   Voss'  Säm1liche)i 
gedichten,    Königsberg    1802,    IV.  s.  246    bietet    die   handschrift   Varianten.   —    Voss'' 
Sämtliche  werke,  Leipzig  1835,  s.  187. 
Seite  209  Der  Herbftgang. 

Die  Bäume  fteha  der  Frucht  entladen,  .  .  . 
■unterzeichnet:   Vofs.     Zum  Taschenbuch    von   J,  G.  Jacobi  und  seinen  freunden  für 
1796  {Königsberg  und  Leipzig)  s.  179  bietet  die  handschrift  nur  geringfügige  Variante)). 
—    Voss'  Sämtliche  werke,  Leipzig  1835,  s.  194. 
Seite  211  Pfingftlied. 

Schmückt  das  Feft  mit  grünen  Maien ;  .  .  . 
unterzeichnet:  Vofs.    Zu  Voss'  Gedichten  2L  Königsberg  1795,  s.  264  bietet  die  Itami- 
schrift  erheblichere  Varianten.  —    Voss'  Sämtliche  u-erke,  Leipzig  1835,  s.  194, 


DAKKüKOW,    ADHRA5UKE    UXD    DIE    GERMAXISCHE    FKAJIEA  229 

Seite  213  Tifchlied. 

Der  Länder  Frucht,  liier  aufgetifcht,  .  .  . 
tiuter-ekhiiet :  Vofs.      Zum    Vossischen    innsenalmanach   1800   s.  il    bietet   die    hand- 
schrift   nur   f/eritujfUgige    Varianten.    —   In    Voss'  Sämtlichen    werken,   Leiiyzig  183ö, 
s.  196  um  eine  strojylie  gekürzt. 
Seite  214  A  u  m  e  i  n  e  n  S  t  ü  1  b  e  r  g. 

Hier  unterm  Baume  wehts  fo  kühl,  .  .  . 
unterzeichnet:  Vofs.    Zu  Voss'  Gedichten  II.  Königsberg  1795,  s.  262  birtet  illi- IkuhI- 
schrift  Varianten.  —   Voss'  Sämtliche  werke,  Leipzig  183.5,  s.  193'-. 

BEKLIX.  ERX.Sl'    COXSEXTUS. 


MISZELLEX. 

Adhramire  und  die  germauische  framea. 

Schon  Wackernagel  hatte  Zfda.  2,  558  darauf  hingewiesen,  dass  iu  einigen 
handschrifteu  der  Lex  Salica  der  rechtsausdruck  adhramire  durch  adframire  wieder- 
gegeben ist,  und  dabei  die  möglichkeit  erwogen,  hier  einen  etymologischen  Zu- 
sammenhang mit  der  germanischen  framea  anzunehmen. 

adhramire  oder  ßdframire  entspricht  einem  germauisclien  hrumjan,  bei 
Wulfila  überliefert  für  griech.  ataupoüv  =  kreuzigen,  anheften.  Wir  urakjan  zu 
urakja  (f,  jo)  würde  sich  dann  hramjau  zu  *hramja  =  framea  verhalten,  und  diese 
bezeichnuug  würde  nach  Wackernagel  als  waffe  bedeuten  :  'die  haftende  und  heftende'. 

Grimm  billigte  diese  Vermutung  Wackernagels  -,  aber  Müllenhoff  lehnte  eine 
solche    deutung    ab    als    'sprachlich    und    methodisch    gleich    unzulässig,   weil  auch 

1)  Es  sei  noch  auf  H.  C.  Boies  abschrift  der  Vossischen  -'(Trabfchrift  unferes 
Haushahns'  (Vossischer  musenalmanach  1795  s.  113;  Voss'  Sämtliche  werke,  Leipzig 
1835,  s.  266)  hingewiesen.  Boie  teilte  dies  gedieht  mit  geringen  Varianten  brieflich 
am  8.  dezember  1793  frau  von  Pestel  mit  und  kam  in  einem  weiteren  briefe  vom 
22.  dezember  1793  an  frau  von  Pestel  wieder  auf  diese  grabschi'ift  zu  sprechen. 
Durch  Boies  briefe  wii-d  die  datierung  in  Voss'  Sämtlichen  werken,  die  auch  Sauer, 
Der  GiJttinger  dichterbund  I  =  Deutsche  nationalliteratur  bd.  49  s.  342  übernahm, 
berichtigt. 

Im  Boiesehen  nachlass  befindet  sich  ferner  ein  loses  blättchen  —  nicht  von 
Boies,  auch  nicht  von  Vossens  band  —  das  mit  Varianten  die  allerdings  hier  und 
da  fehlerhafte  abschrift  vom  'Hochzeitslied  für  Friz  und  Heinrich  Vofs.  1781' 
(Vossischer  musenalmanach  1783  s.  38;  Voss'  Sämtliche  werke,  Leipzig  1835,  s.  258) 
bringt.  Dies  blättchen  nennt  in  der  Überschrift  die  sonst  fehlenden  nameu  des 
hochzeitspaares,  denen  das  gedieht  gewidmet  ist,  und  das  genaue  datum: 

Glück  wunfch 

an 

Herrn  Eadieck, 

und 

Mamfell  Henriette  Sturm, 

von 
Friederich  Leopold  Vofs, 

und 
Johann  Heinrich  Vofs, 
Otterndorf  den  llteu  Aug:  1781. 
Vgl.  auch  W.  Herbst,  J.  H.  Voss  I.  1872  s.  313. 

2)  Zfda.  7,  470  f.  und  Gesch.  d.  dtsch.  spr.  513f. 

ZEITSCIIEIFT   F.  PF.UTSCHE  PHILOLOGIE.      BD.   XLIX.  16 


2'S')  DAIIKKROW 

nicht  i'in  einziges  lieispiel  des  gleichen  huitühorgang-es  iiineiinvlh  des  (h'utsclien 
.sellist  beizubringen  ist" '. 

Müllenlioffs  bedenken  erselieint  jeddcii  sofort  iünfällig,  wenn  man  annimmt, 
dass  die  germanische  *lin(iiij<(  erst  im  lonianisciien  munde  'iWY  framea  geworden 
lind  lins  daher  bei  den  hxteiniscdicn  Schriftstellern  mit  diesem  anlaut  überliefert  ist. 

])ass  /■/■  in  romanischen,  aus  dem  deutschen  entlehnten  Wörtern  für  ger- 
manisches hl-  geschiieben  wurde,  beweisen  beispieh'  ans  dem  altfrauzösisclien.  wie: 
anfrk.  hrini  ^  reif  -  frz.  fi-imas  (pic.  'friiiici-'  —  reifen,  dazu  \frlmairp'  =  der  reif- 
monat);  afrlv.  •hriinrlr  ---  saatkriihe  —  afrz.  \l'nirr']  afrk.  '///7>/7,- =  rock  —  'J'foc;  afrk. 
•Iirintl.jd  =  runzel.  dazu  '■/ronri/-''  =  runzeln  zieiien. 

Dass  diese  lautsubstituierung  aber  auch  schon  im  Vnlgäilateinischen  statt- 
gefunden hat.  ci-gibt  sich  aus  gallolateiiiischen'inschriften -.  Befördert  wurde  sie 
zweifellos  durcli  den  umstand,  dass  das  anlautende  //  im  lateinischen  schon  am 
ende  <ler  repnblik  im  volksniuiide  gcscliwnnden  war,  während  es  sich  im  munde 
der  gebildeten  noch  etwas  länger  hielt*. 

Die  Vertretung  des  somit  ungebi'äucblicli  oder  unbequem  aiimiitendeu  reibe- 
lautes  Ji  durch  ./'  erklärt  sich  wolil  daraus,  dass  dies  eben  der  nächstverwandte 
homogene  laut  war:  stiitt  der  tonlosen  spirans  //  wurde  die  tonlose  spirans  ./' ge- 
sprochen'. 

Dass  tatsiichlicii  ./'  als  ein  dem  Ji  naheverwandtcr  laut  von  dem  lateiner 
empfunden  wurde,  beweist  der  häufige  Wechsel  dieser  Spiranten  im  anlaut''  und 
die  entsprechende  laiitsiil)stituierung  im  sabinischen  latein,  z.  b.  hiiriis  •  jircits 
hardiis  >•  fr/edits'''. 

Wenn  also  vulgärlateiner,  etwa  römische  Soldaten,  die  germanische  waffen- 
bezeichnung  *hr(tiiij(f  hörten,  so  war  es  für  sie  geradezu  das  nächstliegende,  das 
Mort  als  *franija  =  framea  weiterzugeben. 

Mithin  erscheint  Wackernagels  ansetzung  framea  -;  ''Jn-anija  sowohl  sprach- 
lich wie  methodisch  als  durchaus  zulässig. 

Es  soll  nun  im  folgenden  versucht  werden,  diese  etymologie  auch  noch  durch 
sprachverglcichende  und  rechtsgeschichtliche  Untersuchungen  weiter  zu  sichern. 

Das  gotische  verb  liramjan  hat  seine  entsprechungen  in  griech.  "/.p£p.ävv'j[it.  ■  = 
hänge,  lit.  /wr<Vc  =  hänge**,  ags.  /(rc>»;»f/>;  =  festmachen,  hindern,  an.  j-ejtuua  =  be- 
festigen, mhd.  rrt»(pH  =  suspendere ".  Auf  welche  weise  dies /^r«»yV/>/ =  festmachen, 
anlieften  liewirkt  wurde,  könnte  aus  den  der  *hra))ija  entsprechenden  nomiuibus 
hergeleitet  werden :  griech.  -/.psjjiäc;,  ä§o;  f.  lit.  pakorc  =  galgen,  lett.  pal-ars  =  liaken, 
nagel.  an  dem  man  etwas  aufhängt;  ags.  heorr,  norr.  /^üo/vp  =  türangel,  altnd. 
///•r/»/«  =  g.e.stell,    stifte,   genus   pt^ne    aculeo    simile '" ;   ags.  In-amniK  =  \ÜM\e.  tatze. 

1)  Dtsch.  altcrtumsk.  (12S. 

'1}  Pirson,  La  langue  des  inscriptions  latines  de  la  Gaule  s.  83. 

H)  Gröber,  Comnieatationes  Woelflinianae 'verstummung  des  A,  m  und  positions- 
lange silbe  im  lateinischen'  s.  172;  Mever-Lübke,  Roman,  lautlehre  s.  316;  Romania 
XI,  31)9. 

4)  Mackel,  Die  germanischen  demente  im  altfranzösischen  und  pnivei:- 
zalisehen  s.  135. 

.5)  8itti.   Die  lokalen  Verschiedenheiten  der  lateinischen  spiache  s.  (j. 

(i)  Schuchardt,  Der  vokalismus  des  Vulgärlateins  I,  89. 

7)  Boisacq,  Dict.  etymol.  de  la  langue  grccfjue  s.  51lj. 

8)  Zupitza.  Die  german.  üutturale  s.  113. 

9)  Scherz,  Gloss.  9. 

10)  Passio  S.  Dionis.  bei  (Tallee,  Vorstudien  zu  einem  and.  wörterlnieh. 


A1>HRA.M(RE    l'XD    DIE    GK1!:\[AXIS(  UE    lUAMKA  231 

kralle.  Derselbe  stamm  steckt  \valirscheiDlich  auch  in  an.  Itrummr  (adj.)  beissend, 
scharf  und  in  hreuniid  =  da.s  scbarfe,  beizende,  (z.  b.  des  rauches),  so  dass  die  Ver- 
mutung naheliegt,  -sich  unter  dem  urbild  der  *lu-amjc(  als  waffe  einen  schai-feu, 
dolchähnlichen  stift  oder  einen  eisenstachel  vorzustellen ',  befestigt  auf  einem 
h'Jlzernen  schaft,  wozu  auch  das  zeugnis  des  Tacitus  c.  VI  stimmen  würde:  'Hastas 
Tel  ipsorum  vocaliulo  frameas  geruut  angusto  et  brevi  ferro,  sed  ita  acri  et  ad 
usum  habili,  ut  eodem  telo,  prout  ratio  poscit,  vel  comminus  vel  emiuus  pugnent', 
zumal  hier  die  franiea  im  Zusammenhang  mit  dem  mangel  an  eisen  und  im  gegen- 
satz  zu  den  maioribus  lanceis  genannt  ist.  Auch  die  arcliiiologischen  waffenfunde 
und  die  daran  geknüpften  Untersuchungen  würden  mit  dem  geschilderten  aussehen 
der  fraraea  übereinstimmen  -. 

Bemerkenswert  in  diesem  zusammenhange  ist  auch  die  von  Grimm  ^  angeführte 
stelle  aus  den  Melrichstadter  Weistümern:  'item,  wenn  ein  zehntpflichtiger  mann 
einen  söhn,  zwölf  Jahre  alt,  hat,  und  derselbig  liat  einen  stab,  der  unten  und 
■oben  ein  rinl^en  und  Stachel  hat,  der  vertritt  seinen  vater  zum  satze.'  Grimm 
fügt  hier  hinzu:  'der  unmündige  wml  gleichsam  hierdurch  waffenfähig  und  selb- 
ständig.' Dieser  stock  mit  dem  eisenstachel  als  zeichen  der  waffenfähigkeit  des 
Sohnes  und  seines  eintritts  in  das  öffentliche  rechtsleben  erinnert  auffallend  an  den 
bericht  des  Tacitus  c.  XIII:  'tura  in  ipso  coucilin  vel  principum  aliciuis  vel  pater 
vel  prupinqui  scuto  frameaque  iuveuem  ornant:  haec  apud  illos  toga  hie  primus 
iuventae  bonos;  ante  hoc  domus  pars  videntur,  mox  rei  publicae." 

Scliliesslich  gestattet  der  sach-  und  wortzusammenhaug  des  aus  dem  ger- 
manischen ins  lateinische  als  leliuwort  übernommenen  rechtsausdrucks  adhi-amire 
noch  eine  Schlussfolgerung  auf  die  ^hrainja  als  rechtssymbol.  ciähramire  erscheint 
zumeist  in  der  festen  Verbindung  'sacramentum  adhramire',  z.  b, :  M.  G.  cap.  I.  p.  284; 
440  sacrantenta  acUiraiiiire  vel  jiirarn  -tbl  :  sacraiiienta  aclh rainitu  (weitere  beleihe 
bei  Du  Gange),  ebenso  im  afrz.  Roman  du  Eenart  (arnmir  nn  sairement). 

Es  ist  anzunehmen,  dass  das  vorbild  dieser  lateinischen  formel  eine  ger- 
manische rechtsformel  war,  und  zwar  wahrscheinlich:  pkt  Itranijan.  Hierfür  spricht 
•auch  der  umstand,  dass  sich  als  glossiei'ung *  findet:  sacfa/nciifaiu  adliramirp:  mit 
•eid  Stäben. 

Der  symbolische  rechtsvorgang  der  eidstabung  spielte  sich  wahrscheinlich  in 
■der  weise  ab,  dass;  'der  eidempfänger  dem  schwörenden  einen  stab  hinhielt,  der 
Tun  diesem  mit  der  band  berührt  wurde"  °. 

Auch  dem  ausdruck  sacramenfum  adliramire  =  cid  Jiranijfni  wird  wohl  ein 
Solcher  symbolischer  Vorgang  zugrundeliegen.  nur  wurde  wahrscheinlich  anstelle 
<les  Stabes  die  *lirainju  (der  speer)  verwandt. 

Das  Zeugnis  des  Tacitus,  dass  die  Germanen  stets  bewaffnet  einhergiengen ", 
ferner  der  umstand,  dass  die  framea  die  gebräuchlichste  und  jedem  erwachsenen 
<"rmaiieu    eigene    waffe    war.    auch    die    besondere    rolle,   die   der   speer  beim  Lier- 

1)  '■'In-diiija  =  eisenstachel  würde  somit  eine  sachliche  parallele  zu  got.  (/(cds  = 
Stachel  =  lat.  ItaHta  ergeben ;  vgl.  Hirt,  Die  Indogermanen  J,  330. 

2)  Richard  Wegner,  Angriffswatt'en  der  Angelsachsen  s.  6;  Petersdorff,  Griechen 
.'lud  Germanen.     Progr.  Strehlen;  Schweizer-i^idler,  Tacitus'  Gernuuiia  s.  15. 

H)  Dtsch.  rechtsaltertümer  137,  8. 
41  Graff.  Diut.  I.  342  b. 
."i)  Hübner  in  Ho(i])s'  Reall.  I.  523. 
Ci  Tac.  XIII. 

lö* 


232  *  tONSENTIl'S 

manischen  ding  spielte',  legt  die  vennutuiig  nahe,  dass  nicht  der  stah,  sondiTii  de: 
speor  das  heim  schwören  ursprünglich«'  reohtssymbol  war'". 

Als  ausdruck  für  das  schwören  eines  besonders  starken  eides  zitiert  Grimm  ' 
norii  eine  stelle  aus  dem  Simplicius  simplicissimus  2,  428:  'dass  du  selbst,  wann 
du  mich  reden  hören,  einem  lauferboten  seinen  spiess  entzwei  geschMoren  hättest . .  .' 

Der  waifeneid  im  allgemeinen  ist  auch  sonst  bezeugt  bei  (^uaden,  Franken. 
Sachsen  und  Angelsachsen '. 

('irimm  allerdings  ist  der  meiuung,  dass  der  ausdruck  'adliramirr'  kein  be- 
sonderes Symbol  voraussetze*,  sondern  einfach  'geloben'  oder  'bestätigen',  bezw.. 
'))efestigen',  'bestimmen'  bedeute®. 

Diese  ansieht  trägt  jedocli  nicht  der  eigenart  des  altgermauischen  rechts- 
lebens  genügend  recbnuug,  für  das  die  veranschaulichung  des  rechts  Vorganges  durcli 
eine  mimisch-dramatisch  bewegte  symbolische  handlung  geradezu  charakteristisch  ist. 

Grimm  beruft  sich  nun  darauf,  dass  der  ausdruck  odhrautire  in  enger  Ver- 
bindung mit  anderen  rechtsymbolen  vorkomme,  also  unmöglich  selbst  ein  solches 
Symbol  in  sich  schliessen  könne,  z,  b.  in  einer  Urkunde  Chlodowechs  von  691  oder 
092  ^quod  et  ita  per  ßsttica  risvs  est  tir/u-znuiiissf'  oder  cap.  3,  818  §  15.  46  iradiioh 
itdhramire  und   iradio  adhraitiirr. 

Hier  braucht  man  jedoch  nur  eine  erstarrung  der  alten  rechtsfonuel  an- 
zunehmen, wie  sie  sich  ebenfalls  vielfach  in  späterer  zeit  bei  dem  ausdruck  "mir 
eid  Stäben'  findet,  der  auch  in  solchen  fällen  gebraucht  wird,  in  denen  gar  niclit 
mehr  der  stab  als  rechtssymbol  benutzt  Avurde,  sondern  avo  der  schwörende  anden: 
gegenstände,  z.  b.  ein  reliquiar  berührte  ■. 

So  wäre  also  der  ausdruck  adhratHu-v  noch  zu  einer  zeit  beibehalten  worden, 
wo  die  *hramja  bereits  durch  ein  jüngeres  rechtssymbol  ersetzt  worden  Avar. 

Weitere  belege  dafür,  dass  die  alte  sinnliche  bedeutung  der  forme!  in  Ver- 
gessenheit geriet,  liefern  Wendungen  Avic  '.se  adhraiuire'  oder  ^aliijueDi  (tdhrauiitxDi 
habere'^, 

KÖNKiSBEKG.  M.    DABEUKO\V. 


Briefe  von  Klopstock. 

Que[d]linburg,  den  16ten  März  1751 ''. 
Liebe  Schwefter, 

Ich    Aväre    mit    der    gröfsten    Freiide    auf    Eisleben    gekommen,    Avenu    ich 

nicht,    fürs    erfte    notwendige    Gefchäfte,    wegen    des    neuen    Drucks    meines    Ge- 

1)  Tac.  XI  und  Schröder  Z.  R.  G.  2U,  53  ff. 

2)  Vgl.  Schröder,  Dtsch.  rechtsgesch,  s.  61  f.  (Thevenin,  Coutributions  ä 
l'histoire  du  droit  germanique',  der  in  jedem  bei  einer  rechtshandlung  vorkommenden 
Stabe  die  abwandlung  einer  waffe  sieht);  ferner  Ehrenberg,  Z.  R.  G.  16,  231;  Kohler. 
Z.  f.  vergl.  R.  W.  5,  429  ff.^  Lippert,  Christentum,  Volksglaube  und  volksbrauch  s.  52(>. 
der  den  schwurstab  als  'rudiment  der  urwaffe'  bezeichnet;  im  gegensatz  hierzu l 
von  Amira,  Der  stab  in  der  germ.  Rechtssvmbolik. 

3)  Dtsch.  Rechtsalt.  899. 

4)  Ib.  896,  Hoops  I,  523. 

5)  Dtsch.  rechtsalt.  123. 

6)  Dtsch.  rechtsalt.  s.  814. 

7)  Hoops  reall.  I.  523. 

8)  Schröder,  Dtsch.  rechtsgesch.  305,  114. 

9)  Kurz  vor  Klopstocks  reise  nach  Dänemark. 


BEIEl'E    VdX    KL0r.S10(  K  233 

tichts'  in  Halle  gehabt  hätte:  fürs  zweite,  ich  Euch  doch  nur  auf  einige  Stunden, 
xeijen  meiner  Reil'egetellfchaft.  hätte  fehen  können,  u[ud]  mir  diefs  vielmehr,  wie  ein 
Abl'chied.  als  ein  ^\irklicher  Befuch,  vorkam .  So  bald  ich  wieder  in  Deutfchland 
komme,  werde  ich  Euch  gewifs  fehen.  Ihr  könnt  überzeugt  fern,  dafs  ich  zärtlich 
^iehe,  u[nd],  l'o  bald  ich  im  Staude  feyn  werde.  Euch  meine  Liebe  durch  Proben 
xeigen  werde.  Hannchen  hat  Euch  die  Briefe  der  Eowe  gefchickt.  Diefs  Buch 
:nüffet  Ihr,  nach  der  BiheU  am  meiften  lefen,  u[nd]  ausüben. 

Empfehlet  mich  der  Fr[au]  Hofräthinn.  u[nd]  dem  Herr  Hofrath,  wenn  Er 
zurück  kömmt.     Ich  liin  Euer  treuer  Bruder 

F.  G.  Klopftock. 

Ew.  Hochwürden  -  Bi'ief.  ufnd]  bel'onders  auch  feine  ümftändlichkeit  ift  mir 
io  angenehm  gewefen,  dafs  mir  es  empfindlich  ift,  dafs  ich  ihn  nicht  Punkt  für 
Punkt  beantworten  kann.  Aber  ich  habe  heute  einen  fo  ftarkeu  Pofttag,  dafs  mir 
tiue  folche  Beantwortung  unmögl[ich]  wird. 

Mein  Buch  u[nd]  der  Subfcriptionsplan  haben  gar  keine  andre  Verbindung 
mit  einander,  als  dafs  ich  es  nach  diefem  Plane  herausgebe.  Ich  hätte  jedes  andre 
Bucli,  das  ich  etwa  hätte  liegen  gehabt,  auch  dazu  wählen  können.  Es  körnt  kein 
-inziges  Wort  von  der  Subfcript[ion]  in  dem  Falle  [?]  vor.  —  Ich  habe  freylich  bey 
liefer  Subfcript[ion]  viel  zu  thuu,  aber  wenn  fie  erft  wird  eingerichtet  feyn,  dafs 
heifst,  wenn  erft  durch  ganz  Deutfchland  genugfame  u[nd]  in  den  Zeitungen  an- 
gezeigte Collect[eure]  vorhanden  leyn  werden,  dann  werden  die,  welche  nach  mir, 
u[nd]  auf  meine  Art  {die  letzten  drr-l  irorte  aher  f/estrichenem:  nach  meinem  Plane] 
woUen  fubfcribieren  lafsen,  viel  weniger  zu  thun  haben.  Denn  fie  linden  dann 
;chon  i'oUect[eurs]  vor  lieh.  —  Nach  dem.  was  Sie  mir  von  Berlin  lagen,  l'o  brauche 
ich  allerdings  auffer  Ihnen  dort  keinen  Collect[eur]  mehr.  Von  Wien  hab  ich,  jetzt 
■-venigftens  noch,  [das  Ittzte  wort  und  homnia  nucliträ(jUch  (''mgefihjt\  viel  beffere 
Aufrichten,  als  von  Berlin,  t'berhaupt  wird  die  Lifte  der  Subfcribenten,  dadurch 
dafs  bey  jeder  Stadt  die  Zahl  ihrer  Subfcribenten  zuftehen  kommt,  ziemlich  curieux 
werden.  Man  Avird  Zahl  der  Subfcribenten  \die  beiden  letzten  n-orte  nachträglich 
iiigpfügt].  und  Gröffe  der  Städte  mit  einander  vergleichen.  Nach  dem  Plane 
r-rhalte  ich  zwar  die  Bezahlung  bey  der  Empfangnehmung  der  Exempl[are]  in  Altena ; 
aber  in  Abficht  auf  Ew.  Hochwürden  will  ich  gern  eine  Ausname  macheu.  Nur 
litte  ich  Sie,  Niemandem  davon  zu  lagen,  dafs  ich  es  thue.  Sie  brauchen  mich 
alto  erft  zu  bezahlen,  wenn  Sie  das  Geld  von  den  Subfcrib[cnten]  bekommen  haben. 
Sie  fehen  leiclit.  dafs  ich  eben  keine  Subfcrib[enten]  zu  haben  wünfche,  die  bey 
Ablieferung  der  £xempl[are]  nicht  bezahlen.  —  Ich  mufs  es  darauf  ankommen  lafsen, 
•vas  man  von  dem  Inhalte  meines  Buches  glaube.  .  Denn  ich  habe  mir  einmal  feft 
vorgenommen,  kein  Wort,  das  auch  nur  von  fern  einer  Empfehlung  ähnlich  feyn 
könnte,  davon  [dies  irort  später  eingefügt^  zu  fagen. 

Es  ift  mir  ein  wirkliches  Vergnügen,  Sie  zu  bitten,  ein  Exempl[ar]  der  -4"  Aiis- 
-;abe  des  Meffias  von   mir    zum  Andenken  anzunehmen,  das  heifst:  3  Theile.     Den 

1)  Ostern  1751  erschien  der  1.  bd.  des  -Messias"  in  Halle  bei  Carl  Hermann 
Hemmerde. 

2)  Das  subfcribentenverzeichuis  zur  'Gelehrtenrepublik'  nennt  für  Berlin  den 
:.astor  Lüdke  als  'Beförderer',  der  14  Subskribenten  zusammenbrachte.  Als  'CoUec- 
"«•ur'  war  in  Berlin  noch  der  cantor  J^  S.  Pochhammer  tätig. 


284  ('(ixsKNTir.s 

4ten  Itekoinmen  Sie  To  bald  er  gedruckt  ift  [die  beiden  letzten  irorte  .statt  i/entricJ/e/iein  r 
vollendet  ist].     Sagen  Sic  mir  nur  die  Gelegenlieit,  durch  welche  ich  die  3.  Theile 
überfchicken  foll.     Ich  verharre  mit  wahrer  Hochachtung' 
Ew.  Hochwürden  geliorfaml'ter  I)[iener| 

Kbipftock 
Hanil)urg-  den  28  Jan.  13. 


Hanib[urg]  d[eu]  23  May  98. 

Mein  alter  Freund  Hensler  '  ift  zu  mir  gekommen,  u[nd]  ich  habe  daher  nur 
eben  Zeit  Hinen  Folgendes  zu  ichreiben.  (Ich  beziehe  mich  übrigens  ant. meine- 
beyden  lezten  Briefe  mich  Leipz|ig]  u[nd]  nach  Weym|ar].) 

Sie  können  mir  vielleicht  ein  Wort  darüber  lagen  Lfiebl'ter]  B[öttigcr]  -  wie 
viel  ■  p]xemplare  der  Oden  mir  unl'er  (lölchen^  zu  geben  gedenkt.  Er  hatte  mich 
dahin  gebracht,  (ich  bin  nun  einmal  fo  nachgiöbig)  dafs  ich  die  Summa  de.s  fo- 
genanten  Honorars  vorfchlug.  Aber  jezt  iCt  die  Reihe  an  ihm.  Er  mufs  die  Zahl 
der  Exempl[are]  neuneu,  die  er  mir  geben  will,  Sie  urteilen,  liebCter  Böttiger,  ohue 
dal's  ich  es  Ihnen  läge,  dal's  ich  gegen  die  von  ihm  genante  Zahl  nichts  zu  erinnern 
haben  werde.  Solche  Sachen  gehören  zu  denen,  bey  welchen  ich  mich  gern  lo 
kurz  wie  mögl[ich]  aufhalte.  Ich  bin  überzeugt,  dafs  es  Ilinen  nicht  Ichwer  werden 
wird  mit  diefer  fertig  zu  werden. 

Der  Ihrige 
Kh>]i]'tock. 


Johanna  Elisabeth  von  Winthem,  Hamburg  den  2.  September  1783,- 
an  Herder*:  'Oft,  lehr  oft  habe  ichs  vorgehabt  Ihnen  in  meinen,  u[nd]Klopftocks 
Nahmen  für  Ihren  freundfchaftlichen  Brief  zu  danken,  n[ud]  Ihnen  zu  lagen,  wie 
froh  ich  über  Ihre  Bekantfchaft  bin,  u[ud]  wie  lehr  es  mich  freut,  ilafs  ich  mich 
fch[m]eicheln  darf,  Sie  unter  die  Zahl  meiner  Freunde  reclinen  zu  kiuinen.  Aber 
ich  wils  Ihnen  fagen  lieber  Herr  Herder  was  mich  abgehalten  liat.  Ihnen  dieles 
erft  heute  zu  fagen. 

Es  ift  mir  unmöglich  etwas  gegen  einen  Manu  auf  dem  Herzen  zu  haben, 
den  ich  fo  fehr  fchäze  [und]  liebe  \vie  Sie,  ohne  mein  Herz  gegen  ihn  au[szu]'' 
fchütten.  Ich  habe  gezweifelt,  ob  Sie  es  recht  ne[hmeu]  würden,  wen  ich  es  mir 
heraus  nehme,  Ihnen  über  etwas  Vorwürffe  zu  machen,  worin  ich  micli  eigentlich 
nicht  milchen  folte.  üntordcfsen  ift  mir  die  Sache  zu  wichtig,  als  dal's  ich  ichweigen 
könte.  Ich  will  es  Ihnen  fagen,  u[nd]  ruhig  erwarten  ob  Sie  meine  Abficht 
verkennen. 

Klopftock  ei'hielt  Ihren  Biief  in  Gegenwart  eines  Fremden.  Bey  diefer  Ver- 
anlai'fung  fagte  er  viel  Freund  Ich  aftlich  es  von  Ihnen,  den  Ihr  Brief  war  ihm  lehr 
lieb.  Der  Fremde  ward  verwundert,  K[lopftockJ  von  einem  Manne  fo  freundfchaftlich 
reden   zu    hören,    der   wie    er    fagte   ihm    angegriffen    hätte,  wie  er  sonft  nicht  an- 

1)  P.  G.  Hensler,  physikus  in  Altona. 

2)  C.  A.  Böttiger,  direktor  des  gymnasiums  in   Weimar. 

3)  Bei  Georg  .Joachim  Göschen  in  Leipzig  erschienen  1798  ff.  Klopftocks  werke. 

4)  Antwort  auf  Herders  brief  vom  3.  Juli  1783  an  Klopftock;  vgl.  Lappen- 
berg, Briefe  von  und  au  Klopftock  18G7  s.  31(t. 


r.HIEFK    VON   KLOPSTOCK  235 

gegnifen  wäre.  K[loprtock]  ward  hierüber  fehr  verwundert.  u[nd]  icli  wolte  es 
uicht  glauben,  daher  Jiefs  ich  mir  Ihre  Briefe  das  Studium  der  Theologie 
betreffend  kommen.  Ich  kann  Ihnen  nicht  lagen  wie  frappirt  ich  ward,  als  ich 
fand  dafs  der  Fremde  fo  fehr  recht  hatte.  Es  ift  mir  ein  Probh^m,  wie  ein  Mann, 
den  ich  von  einer  fo  fchazbaren  Seite  habe  kennen  gelernt,  u[nd]  den  K[lopftockJ 
fchon  lange  f[ch]ä.zt,  fo  beleidigent  von  einem  Wercke  urtheileu  konte,  dcfsen  Wehrt 
durch  den  tieffen  Eindruck,  welchen  es  nun  fchon  feit  30  Jahren,  bey  fo  vielen 
hundert  Menfchen  gemacht  hat,  beftimmt  ift.  Ich  de[nlcke  man  kann  gar  nicht 
zweiffein,  dafs  Sie  nicht  im  19te  Briefe,  [d]en  Melsias,  u[nd]  den  allein  gemeint  haben. 

Icii  möchte  gerne  einige  trai[t]s  daraus  anführen,  aber  ich  kann  uicht  wählen, 
ich   mül'te   den   ganzen   Brief  abl'clireiben,    denn  alles  ift  treffend.     Folgende  Stelle 

ift    mir    mit    ammeiften    aufgefallen,     j)  325 lafseu    Sie    den    Dichter 

Myriaden    der  Engel    u  [  n  d]    a  b  g  e  f  c  h  i  e  d  e  n  e  n  G  e  i  f  t  e  r  n  '  u.  f .  w. Da 

ich  nun  uicht  zweifeln  kann,  dafs  nicht  mit  allen  dielen  der  Mefsias  gemeint  ift, 
fo  ift  mir  der  2üt  Brief,  u[nd]  befondcrs  der  Schlus,  wo  Sie  lagen:  dafs  Sie  den 
Mefsias  nicht  meinen,  ganz  unbegreiflich.  —  Und  !>>  uubedeuten[d]  war  er  Ihnen, 
dafs  Sie  ihm  Sich  nicht  erinnerten?  es  war  fchon  Jahre  her  dafs  Sie  ihm 
gelefen  hatten'-'.  Ich  kann  ja  nichts  da  wieder  haben,  wenn  Ihnen  der  Mefsias 
unbedeutend  ift,  aber  wie  konte  es  Ihnen  den  interefsiren  Klopftock  kennen  zu 
lernen?  u[ndj  fo  freundfchaftlich  gegen  ihm  zu  feinV 

Es  wäre  lächerlich  wen  ich  mich  über  die  Schönheit  des  Mefsias  mit  Ihnen 
eiulaffen  wolte,  oder,  ob  die  Materie  fähig  wäre  fo  behandelt  zu  weiden,  wie  K[lop- 
ftock]  fie  behandelt  hat.  Eins  mufs  ich  doch  lagen :  Es  lel)t  vieleicht  kein  üichtir 
aufer  ihm,  der  es  wagen  durfte  ein  folches  Gedicht  zu  fchreiben.  Denn  fn-ylich 
mufte  diele  Materie,  mit  dem  Gefühl,  mit  der  Ehrfurcht  gegen  Gott,  fo  wie  es 
die  Evangeliften  lehren,  behandelt  -Ä^erden.  Die  Erdichtungen  (wefnn]  ich  mich  fo 
ausdrücken  kann)  muften  fo  im  wahr[eu]  Sinne  der  Religion  erdichtet  fein. 

A'on  den  Würckungen  des  Mefsias  mufs  ich  Ihnen  doch  noch  ein  Wort 
lagen.  Ich  wolte  Sie  hätten  einige  Scenen  mit  angefeheu,  von  welchen  ich  Zeugin 
gewefeu  bin;  dafs  Junge,  u[nd]  ältere  Leute,  Gelehrte,  u[ndj  Ungelehrte,  von  ver- 
fchiedener  Denckuiigsart,  zu  K[lopftockJ  gekomnien  find,  u[ndj  ihm  mit  vieler  Rüh- 
rung für  den  Mefsias  gedanckt  haben,  der  fie  von  den  Wege  des  Lafters  zur  Tugend 
geführt,  u[nd]  fie  würdig  von  Gott  u[nd]  der  Eeligion  hätte  denken  gelehrt.  Solche 
Scenen  find  K[lopftock]  Belohnung. 

Übrigens  hat  auch  er  nichts  da  wieder,  wenn  nuin  über  feine  Schriften  urtheilt, 
u[nd]  anders  urtheilt  wie  er,  aber  beleidigent  mufs  mau  ihm  nicht  angreiften.  — 
Sehen  Sie  lieber  Herr  Herder  nun  habe  ich  Ihnen  mein  Herz  aufgefchüttet.  hätte 
ich  Sie  weniger  gelieb[t],  u[nd]  gefchäzt.  fo  würde  mir  diefes  nicht  fchwiT  auf 
den  Herzen  gelegen  haben,  u[nd]  ich  hätte  fchweigen  können. 

Ich  habe  K[Iopftock]  Ihre  Theologifchen  Briefe  nicht  lefen  laffen,  er  ift  oft 
nicht  wohl  gewefen,  daher  wolte  ich  ihm  diefes  erfparen.  Diefen  Brief  foU  er 
aber  fehen,  ehe  ich  ihm  wegfchicke,  den  ich  bin  gewöhnt  ihm  alle  meine  Briefe 
zu  zeigen,  wie  unbedeutend  fie  auch  fein  mögen. 

Könte  ich  Ihnen  nun  aber  auch  noch  fagen  [w]ie  gerülirt  n[ud]  danckbar 
ich  für  alles  Freundfchaftliche  bin,  was  Sie  mir  in  dem  Brii'fe  an  Kflopftock]  fagen. 

1)  Herders  werke  hsg.  von  Suphan  bd.  10  1879  s.  221. 

2)  A.  a.  0.  s    228. 


23G  (DNSKNTIIS 

Ich  liabe  mich  hemüht  deucn  Regeln  l'o  viel  wie  möglicli  zu  füllen  [//'es:  folgen], 
welche  Sie  mir  l'o  fVenndrchaftlich  gegeben  haben,  auch  il't  meine  Gefundheit  viel 
befser.  Ich  hoffe  u[nd]  wiinCche  dafs  Sie  mir  eben  fo  viel  rrutes  von  dem  Befinden 
Ihrer  lieben  fchUzbaren  Frau  lagen  mögen.  Mein  Herz  fühlt,  obwohl  ich  Sie  nicht 
rerföhnlich  kenne,  viel  Freund fchaftliches  für  Sie.  Empfelen  Sie  mich  Ihr,  u[nd| 
den  kleinen  Gottfried  ;uif.s  l)erte. 

J.  E.  von  Winthem. 
N.  S.    Meta  u[n(l]  das  loie  Hauchen  grüfsen  unzähliche  mahl. 

A  n  t  r  a  g  K 1  0  p  s  1 0  c  k  s  auf  ein  p  r  e  u  s  s  i  s  c  h  e  s  P  r  i  v  i  1  e  g  für  d  e  n  '31  e  s  s  i  a  s". 
Ein   bogen   preussisches   Stempelpapier   zu   einem   guten  grolchen.     Auf  der 
rückseite  die  adresse: 

Ai(  P,oi. 
zu  Händen  des  wirklichen  Geheimdeu  Etats  und  Justizminirters 
Herrn  von  Münchhaufen  Excellenz. 
Auf  der  Vorderseite: 

AUerdurchlauchtigfter 

Grofsmächtigfter  König 

AUergnädigfter  König  und  Herr! 

Ich   bin   gefonnen,   das   von  mir   verfertigte    Gedicht:    der   Meffias,  ganz 

wieder   umzuarbeiten,   und   diefe  neue  Auflage  auf  meine  eigne  Koften  drucken  zu 

laffen.     Die   erfte   Ausgabe   hatte   ich   dem  Buchhändler  Hemmerde  in  Halle  über- 

lal'fen,  welcher  l'ie  auch  bisher  allein  verkauft  hat.     Allein,  da  diefe  nach  fo  vielen 

Jahren   vorgenommene  L^marbeitung   gewiffermaffen  ein  ganz  anderes  Werk  ift,  l'o 

will  ich  auch  damit  eine  ganz  andere  Einrichtung  treffen. 

Um  aber  allem  Nachdrucke  vorzubauen,  l'o  geht  meine  allerunterthänigfte 
Bitte  i\\\  Ewer  Königl.  Majestät  dahin: 

mir   in   Höchftdero  Landen   ein   ausfchlieil'eudes    Privilegium  auf  den 
D)'uck   und  Verlag   des  erwähnten  Werkes :   der  Meffias,  allergnädigft 
zu  bewilligen. 
Der  ich  in  tiefl'ter  Verehrung  errterl)e 

Ewr  Königl.  Majeftät 
Hamburg,  den  1  Mav.  allerunterthänigfter 

1778.  der  d'änische  Legationsrath  Klopftock. 

Verlagsprivilegien  gehörten  zur  kompetenz  des  lehnsdepartements.  Dem  chef 
des  lehnsdepartements,  dem  freiherrn  von  Münchhausen,  gieng  Klopftocks  antrag 
am  S.  mai  1778  zu.  Münchhaufen  verfügte,  dass  der  magistrat  in  Halle  den  buch- 
h'ändler  Hemmerde  über  Klopstocks  gesuch  vernehmen  und  dessen  erkläruug  ein- 
schicken solle.  Demgemäss  setzte  der  geheime  tribunalsrat  und  lehnsarchivarius 
Sebastian  Anton  Scherer  noch  am  gleichen  tage  eine  Verfügung  an  den  magistr^t 
zu  Halle  auf,  die  Münchhausen  am  12.  mai  unterzeichnete  und  die  am  14.  in  die 
expedition  gieng,  um  nach  Halle  befördert  zu  werden. 

Der  befehl  an  den  magistrat  zu  Halle  lautet  im  konzept: 

Friderich  König  etc. 
Unsern  etc.  Was    der  Dänifche   Leyations  Rath  KlopstocI.-  wegen  einer  neuen 
Auflage   des   von   ihm   verfertigten   Gedichts,   Der  Mefsias,   unterm   Iten  diefes 

1)  Kgl.  geh.  Staatsarchiv  zu  Berlin:  (;eneraldirektoriuni  Kurmark  Tit.  CCXXVI. 
sekt.  d.  lit.  B.'  nr.  45. 


IIKIEFE    VON    KLOr.STOCK  237 

■ey  T'iis  nachgefutliet  hat,  folclies  coiiDinduciren  Wir  Euch  hieuehcii  in  Abfclirift, 
iiit  dem  allergdfteu  Befehl  hierüber  den  dortigen  Buchhändler  HemmeriU  zu  ver- 
nehmen und  defsen  Erklärung  an  Unler  Lehns  I)rprirfe»}Piif  einzuhericbteu.  Sind 
■:-tc.  Gegeben  Berlin  d  St  J/i-///  1778 

(((J  ^hdtildtinii   etc. 
All  den  Magistrat  zu  Halle. 

Dies  reskript  vom  8.  mai  1778  gieng  am  18.  mai  iu  Halle  ein.  Präsident,  rats- 
laeister  und  ratmannen  der  Stadt  Halle  gaben  das  königliche  reskript  und  Klopstocks 
;intrag  abschriftlich  an  den  buclihändler  Carl  Hermann  Hemmerde  (1708—1782) 
veiter,  der  mit  einiger  Verspätung,  denn  Hemmerde  war  auf  der  Leipziger  oster- 
:aesse  gewesen,  eine  von  seinem  Sachwalter  C.  W.  Pohlmann  aufgesetzte  schriftliche 
tTklärung  vom  15.  juni  1778,  die  tags  darauf  dem  rate  in  Halle  vorgelegt  wurde, 
einreichte.     Heminerdes  erklärung  besagt: 

F.  F. 
Dafs  Ew.  etc.  etc.  mir  das  an  Hnien  wegen  des  Dänischen  Herrn  Legations-'Rsii\\9. 
hl&j)s:foc/,-s  ergangene  allergnadigl'te  Königl.  RnJ'cript  d.  rl.  Berlin  den  8ten  Maj.  a.  c. 
j.\\  meiner  Erklärung  abfchrifftlich  communicij-en  zu  lafsen,  haben  geruhen  wollen, 
rrkenne  mit  dem  verbundenften  Danke.  Da  mir  aber  nurerwehnter  Herr  Legafions 
Rath  den  MeJ'j'ias  in  Druck  und  Verlag  übergeben,  ihni'auch  für  jeden  Bogen  zvvöltf 
Tbaler  bezahlet  und  diclerhalb  einen  Contract  mit  ihm  errichtet,  nach  welchen  er 
mir  gedachtes  Werck  als  mein  Eigenthum  übergeben,  deshalb  um  ein  befonder 
uriciletjiHm  angel'uchet  und  erhalten,  dafs  keiner  gedachten  Mesfias  nachzudrucken 
iiefugt  fej'n  folle,  folglich  dadurch  ein  Eecht  erhalten,  dafs  keiner  dasfelbe  ver- 
befsert  und  vermehrt  mir  zum  Nachtheil  und  Schaden  nachdrucken  und  dehitireix 
lürhe,  fo  kau  aus  angeführten  Urfachen  auf  keine  Weile  mehrgemeldeten  Herrn 
Leijutions  P,ath  geftatten,  dafs  er  die  neue  Auflage  des  ^lesfias  auf  feine  eigene 
f\often  drucken  lafsen  und  debiUr&ü.  könne.  Es  gelauget  zu  iolchem  Ende  an 
PZw.  etc.  etc.  hierdurch  mein  gehorfamftes  Bitten: 

Diefe    meine    Erklärung    hochgeneigt    ad   acta    zu  legrn    und    felbige 
abfchrifttlich  nebl't  Dero  Bericht  an  das  Königl.  Preul's.  Hochiribl.  Lehns 
J>pp(frfenie>if  in  Berlin  einzufchicken. 
Ich  zweifle  daher  nicht,  dafs  dafselbe  mich  bey  meiner  Gerechtfaine  und  erhaltenen 
Frivilegio  auf  alle  Weife  fcbützen  werde. 
Verharre  übrigens  etc.  etc. 
Ewr.  etc.  etc. 

etc.  etc. 
Halle  Carl  Herrmann  Hemmerde, 

^ien  15t  Jtin.  1778. 
*".   W.  Fohlinann. 

Den  Verlagsvertrag,  auf  den  sich  Hemmerde  berief,  legte  er  nicht  vor.  Auf 
liefen  vertrag  kam  es  aber  an.  Deshalb  gab  der  magistrat  zu  Halle  dem  l)uch- 
händlcr  Hemmerde  auf:  'den  angezogenen  über  den  Druck  und  Verlag  des  Mesfias 
mit  dem  Legations  Rath  Klopstock  errichteten  Contract  fowohl,  als  auch  das  an- 
gezogene befondere  darüber  erhaltene  Privilegium  originaliter  vorzuzeigen,  um 
laraus  von  dem  Grunde  feines  Anführens  urtheilen  zu  können".  Auch  da  legte 
Hemmerde  den  vertrag  nicht  vor.  Vielmehr  gab  sein  söhn  gleichen  namens,  der 
zugleich  sein  'Handlungsdiener'  war,  für  seinen  'Prinzipal'  am  19.  .Tuni  eine  münd- 
iiehe  erklärung  ab,  die  zu  protokoll  genommen  wurde: 


238  CONSKNTIIS 

Arfin/i   Halle  den   19t  Jan.   1778. 

EiiVlieiin't  der  Haiidluugs  Diem-r  Carl  Iliiriiuutn  Hemmende  Nabmens  IVines- 
Priiicipals  des  liierigen  Buchfülirer  gleiches  Nabmens  Carl  Hermiann  HcmmfnJe 
lind  erklähret  lieh  nach  Inhalt  der  vorgehenden  reinem  principal  a<l  ftatam  h<ien<H 
vorgeleg-ten  rej'olntion,  wie  derfelbe  zwar  mit  dem  Herrn  Le<iati(>nü-\i2i\\i  KlopatocL- 
über  den  Verlag  des  Mesfiäs  einen  Contracf  geichlorsen,  l'olchen  aijei'  anjetzt  nicht 
auffinden  können,  weilen  fein  Principal  Alters  und  Gemiiths  Schwachheit  halber 
feine  J)ociinie)ita  und  Schrifftcn  nachzuleben  nicht  im  Stande  wäre,  fremden  Leuten 
aber  lolches  rchlechterdings  nicht  erlauben  wolle;  indel'sen  habe  er,  (l'o»iijr;«/T»^  doch 
l'o  viel  von  leinem  in-incipal  vernommen,  dafs  nach  Inhalt  diefes  Contracts  der 
Heir  Leijatioiis-R9X'h  Klopstock  pro  Bogen  12  Rthl.  von  dem  A'erleger  H.  Hemmerde 
erhalten  und  von  jeder  neuen  Auflage  des  Werckes  wiederum  einen  halben  Loiris 
d'or  pro  Bogen  bekommen  folle. 

Wegen  des  in  der  übergebeuen  A'orftellung  erwehnten  Fririh<iii  übei-  den 
Mesfias  aber  müfste  er  Comparent  gedencken,  dafs  fein  I'rincipal  ein  dergleichen 
befonderes  Frivilerjium  über  das  Werck  nicht  erhalten,  fondern  Herr  Hemmerde 
hierunter  nur  blos  fein  Pririlegiioit  als  Buchführer  in  Königl.  Preuls.  Landen  ver- 
rtanden  halte. 

Facta  praelectione  dimitij'io^.   ii.  s, 

L.  Dreyfig'. 
Stadt  Sccrctai-ias. 

liemraerdes  erklärungen,  die  schriftliche  des  vaters  und  die  zu  protokoll  ge- 
gebene mündliche  des  sohnes,  Avurden  beide  vom  rate  zu  Halle  alisclirittlich  unterm 
21.  juui  1778  nach  Berlin  an  den  künig  'zur  Erbiechuug  des  daligen  HochprcifsL 
Lehns  Departements"  weitergegeben  und  dabei  von  selten  des  magistrats  gutachtliclv 
berichtet,  dafs  es  darauf  ankommen  würde:  'ob  der  Legations  Eath  Klopstock  l)ey 
der  erften  Ausgabe  feines  Gedichts  der  Mesfias  in  dem  über  defscu  Verlag  mit 
dem  Hemmerde  gefchlofsenen  Coutract  diefem  bereits  damahlen  ein  Verlags  Becht 
auch  auf  die  anderweiten  Ausgaben  diefes  Wercks  felbft  in  dem  Fall,  einer  gänz- 
lichen T^marbeitung  defselben  zugeftanden  und  eingcriiumet  habe?'  Diese  frage 
konnte  eben  nur  durch  Vorlegung  des  kontraktcs  beantwortet  werden.  Aber  von 
dem  buchhän(>ler  Hemmerde  würde,  wie  der  präsident,  die  ratsmeister  und  rar- 
mannen der  Stadt  Halle  Ichrieben,  'bey  defsen  angezeigten,  auch  hiefigen  t)rts  fünft 
fchon  bekannten  Gemüths  Zuftande  die  Vorlegung  diefes  Contracts  fchwerlich  zu 
erhalten  feyn'.  Deshalb  stellte  der  magistrat  anheim:  'die  Edition  und  Vorlegung 
diefes  Contracts  dem  Legations-Eath  Klopstock  aufzugeben'. 

Klopstocks  wiederholte,  eigenen,  aber  vergeblichen  bemühungen,  eine  nota- 
riell beglaubigte  abschrift  des  verlagsvertragcs  von  Hemmerde  zu  erhalten,  sind 
bekannt. 

Beiläufig;  die  rathäusliche  expedition  liquidierte  an  kosten,  die  das  postamt 
in  Halle  vorschoss,  1  rthlr.  und  21  gute  groscheu ;  den  taler  zu  24  groschen  ge- 
rechnet. Nämlich:  5  groschen  für  initteiluug  des  Berliner  reskriptes  an  Hemmerde, 
Aveitere  .5  groschen  für  Vernehmung  des  Hemmerdeseben  handlungsdieners,  dann 
1  rthlr.  für  den  eigenen  bericht  ans  lehnsdepartement,  dazu  noch  i  groschen  für  den 
erforderlichen  Stempel  und  ö  groscheu  für  die  reinschrift  sowie  die  abscbriften  des 
Protokolls  und  der  Hemmerdescheu  Vorstellung  und  endlich  2  groschen  'Ausreuter- 
Gebühren'! 

Dieser   bericht    aus  Halle    gieiig  am  1.  juli  177S  beim  lehnsdepartement  ein- 


r.KIEFE    VON    KLol'.-rtiCK  239 

^rüiichhausen  setzte  am  3.  juli  brevi  iiiatiu  die  eiitsiheiduug  auf  das  akteustück, 
die  dem  geheimen  tribunalsrat  .Scherer  die  grundlag-e  zu  folgender  resolution  für 
Klopstock  bot:  , 

Seine  Königl.  Mayt.  vuu  Treufsen  etc.  U.  A.  G.  H.  lafseu  dem  Legafii»)^  Rath 
Klirpstork,  auf  feine  Vorfteliung  vom  Iten  May  c,  worin  derfelbe  um  ein  Frlvi- 
Iri/iuDi  über  eine  Neue  Auflage  des  von  ihm  verfertigten  Gedichts  Der  Mefsias 
Anfuchung  gethan,  nebft  Zufertigung  einer  Abschrift  des  hierüber  von  dem  Magistrat 
zu  Halle  erftatteten  Berichts  vom  2lt  m.  pc.  und  defsen  Beylagen,  hiermit  in 
(ünaden  zur  Besolntioii  ertheilen,  dafs  ehe  lein  Gefuch  ftatt  linden  kau,  er  lieh 
mit  feinem  erften  Verleger,  dem  Buchiiändler  Henunerde  zu  Halle  fetzen  mufs. 
Dann  aufser  dem,  dafs  es  ein  in  der  Billigkeit  gegründeter  Gebrauch  ift,  dafs  ein 
.Schriftfteller  die  zweyte  Auflage  feines  Wereks  feinem  erften  Verleger  nicht  ent- 
ziehen kan,  er  habe  fich  dann  vorhero  wegen,  der  noch  unvergriffenen  E.remplarien 
der  Erften  mit  ihm  gefetzet,  oder  ihm  fclbige  abgenommen:  fo  behauptet  auch 
der  Henunerde  aus  feinem  mit  ihm  gefchlofsenen  Confracf,  ein  Eecht  zur  zweyteu 
Auflage  zu  haben.     Signatuni  Berlin  d.  3t  Jnl.  177S. 

ad  Mand((tinn   etc. 
Resolution 
für  den  Leyations  Rath  Klopstoch. 

Das  konzept  dieses  bescheides  Murde  dem  geheimen  rat  von  Münclihausen 
am  (i.  Juli  zur  Unterschrift  vorgelegt;  am  9.  juli  kam  es  in  die  expedition.  Scherer 
vermerkte  noch  auf  dem  konzepte:  'Die  Cantzeley  hat  die  von  Sr  Escell.  für  den 
Bericht  ausgelegte  60  gr.  wieder  einzuziehen'.  Das  ist  geschehen.  Denn  der 
kriegsrat  und  geheime  sekretarius  Sam.  Bened.  Spicker  setzte  unter  die  notiz  sein: 
■factunr.  Mit  60  groschen  waren  (^ie  von  dem  postamte  in  Halle  vorgeschossenen 
auslagen  und  die  gebühren  für  die  bestellung  nach  Berlin  beglichen.  "Welche 
kosten  und  schreibgebühren  durch  Müncbhausens  entscheidung  noch  weiter  ent- 
standen, sagen  die  akten  nicht. 

Ein  preussisches  privileg  wurde  Klopstock  für  seiuen  "Messias'  nicht  ge- 
geben. Im  jähre  1780  erschien  der  "Messias'  in  Altona  bei  Johann  David  Adam 
Eckhardt  'mit  Allerguädigfter  Kaiferlicher  Freyheif.  In  Altona,  auf  dänischem 
linden,  oder  in  den  freien  reichsstädten  war  ein  preussisches  privileg  sehr  tyit- 
behrlich.  Und  selbst  in  Preussen  ist  die  durch  kaiserliches  privileg  geschützte 
ausgäbe  nicht  verboten  worden.  Hemmerde  wird  zu  solchem  zwecke  auch  schwer- 
lich schritte  unternommen  haben.  Denn  noch  vor  dem  neuen  drucke  hatte  Klop- 
stock ihn  wissen  lassen,  dass  er  den  vertrag  als  erloschen  betrachte,  denn  Hemmerde 
habe  ihm  bei  seinen  eigenen  nachdrucken  in  Halle  das  ausbedungene  honorar  nicht 
gezahlt  I  Klopstock '  hat  mit  seinem  ersten  Verleger  in  sehr  scharfem  und  hohem 
tone  einen  unerfreulichen  briefwechsel  geführt,  den  Muncker  bekanntmachte*.  Des 
dichters  antrag  auf  ein  preussisches  privileg  und  Hemnieides  gegencrkltirungen  sind 
eine  fortsetzung  dieses  Schriftwechsels. 

l'.KIMJX.  KUNST    CONSKN  ins. 

1)  Archiv  f.  literaturgeschichte  XII.   ISS-i  s.  22Ö-28-":. 


240  NAIMA.NX 

Zu  den  'Naclitwachcii  von  IJonaventui'a". 

Bei  seinen  unzulänglichen'  versuclicn,  die  von  Franz  Schultz  -  tief  aus  der 
geistigen  durchdringung-  der  persönlichkeit  seines  autors  geschöpften  argumente 
für  die  identität  des  'Nachtwachen-Bonaventura'  mit  Fr.  G.  Wetzel,  aus  dem  fehle 
zu  schlagen,  hat  sich  Erich  Frank*  sonderharerweise  eine  der  auffälligsten  parallelen, 
-die  für  den  von  ihm  behaupteten  Brentano^  spräche,  entgehen  lassen;  übrigens 
hat  sie  auch  Berend''  nicht  bemerkt.  Lediglich  um  das  zur  behandlung  stehende 
material  zu  vermehren,  möchte  ich  die  bislang  übersehene  parallele  —  kein  litera- 
risch überkommenes,  sondern  zweifellos  ein  ganz  neu  aufgegriffenes,  daher  besonders 
-charakteristisches  motiv  —  hier  unterbreiten.  Nicht  die  Bonaventuraforschung, 
sondern  eine  folkloristische  studie "  führten  niici)  darauf.  Der  bänkelsänger, 
genauer  der  politische  bänkelsänger  ist  das  seltsame  motiv,  das  bei  Bonaventura 
wie  bei  Arnim  und  Brentano  gleicherweise  eine  rolle  spielt  —  seltsam  deshalb,  weil 
politik  und  bänkclgesang  von  haus  aus  nichts  raiteiiuinder  zu  tun  haben. 

Fortfahrend  in  der  'rekapitulation  seiner  toUheiten'  erzählt  Bonaventura 
in    ler  'Siebeuten  Nachtwache'  [od.  Michel  s.  61  z.  31  bis  s.  62  z.  21]  folgendes: 

'Ich  wählte  das  erste  beste  fach,  worin  ich  sie  [grammatisch  seil,  die  fürsten 
X.  18,  dem  sinne  uach  wohl  die  menschen  insgemein]  und  ihr  treiben  besingen 
konnte,  und  wurde  rhapsode  wie  der  blinde  Homer,  der  auch  als  bänkelsänger 
umherziehen  niusste. 

Blut  lieben  sie  über  die  maassen,  und  wenn  sie  es  auch  nicht  sellist 
vergiessen,  so  mögen  sie  es  doch  für  ihr  leben  überall  in  bildern,  ge dichten 
und  im  leben  selbst  gern  fliessen  sehen;  in  grossen  schlachtstücken  am  liebsten. 
Ich  sang  ihnen  daher  mordgeschichte  u  und  hatte  mein  auskommen 
-dabei,  ja  icli  fleug  an,  micli  zu  den  nützlichen  mitgliedern  im  Staate,  als  zu  den 
fechtmeistern,  gewehrfabrikauten,  pulvermüllern,  kriegsministern,  ärzten  usav.,  die 
alle  offenbar  dem  tode  in  die  band  arbeiten,  zu  zählen,  und  bekam  eine  gute 
uieinung  von  mir,  indem  ich  meine  zuhörer  und  schülcr  abzuhärten  und  sie  an 
blutige  auf  trifte  zu  gewöhnen  mich  bemühte. 

Endlich  aber  wurden  mir  doch  die  kleineren  mordstücke  zuwider  und 
ich  wagte  mich  an  grössere  —  an  seelenmorde  durch  kirche  und  staat,  wofür  ic!i 
gute  Stoffe  aus  der  geschichte  wählte;  liess  auch  hin  und  wieder  kleine  epi- 
sodische ergötzlichkeiten  von  leichteren  morden,  als  z.  b.  der  ehre,  durch  den 
tückischen  guten  ruf,  der  liebe,  durch  kalte,  herzlose  hüben,  der  treue,  durch 
falsche  freunde,  der  gerechtigkeit,  durch  gerichtshiife,  der  gesunden  Vernunft, 
durch  Zensuredikte  usav.  mit  einfliessen.' 

Die  von  mir  gesperrten  worte  geben  eine  durchaus  richtige  auffassung  vom 
wesen  des  wirklichen  bänkelgesangs  wieder.  Eng  aber  damit  verquickt  flnden  sich 
jene  worte,  die  auf  eine  politische  und  anscheinend  auch  schulmässige  ('zuhörer 
und  Schüler')  ausgestaltung  des  bänkelgesangs  zielen. 

Wenn  sich  bei  Wetzel  sonst  ähnliches  fände,  so  hätte  das  Franz  Schultzens 
Wachsamkeit  gewiss  herbeigebracht.  Die  mir  hier  zu  geböte  stehenden  Wetzeliana 
[Strophen  1802;  Sieben  briefe  des  mannes  im  monde  an  mich,  1808;  Schriftproben 
1814  (s.u.);   Aus    dem  kriegs-   und   siegesjahre   1813  (1815);   Prolog   zum   grossen 

1)  Vgl.  M.  Morris,  Deutsclio  ruudschau  154,  747;  Fr.  Schulze,  Lit.  zentral- 
3>latt  65,  554  und  anm.  5. 

2)  Der  Verfasser  der  Nachtwachen  von  Bonaventura  1009  und  Herrigs  arcliiv 
129,  12. 

3)  (rß3I.  4.  1912  s.  417  und  die  gleichzeitige  ausgäbe  der  'Nachtwachen". 

4)  Allerdings  an  sich  auch  für  Arnim. 

5)  Euphorien  19.  796. 

6)  Zs.  d.  Vereins  für  Volkskunde  30.  31  s.  13. 


Zr    DEN    XA(  IlTWAtHEX    VON    IH  )XAVENTLI{A  241 

mageu  1815;  Jeanne  d'Arc  1817;  Rhinozeros  1818]  habe  ich  uoch  einmal  durch- 
sucht. Liest  man  bei  Schultz  s.  202  ff.  Wetzeis  vaganteuleben  von  1799—1806  nach 
und  sieht  man,  wie  der  unstete  und  mittellose  student,  um  sicli  durchzuschlagen, 
zu  allerliand  niedriger  federarbeit  gezwungen  war,  so  könnte  mau  fast  vermeinen, 
es  läge  in  jener  Bonaventura-bänkelsängerbeichte  so  etwas  wie  ein  stücklein  auto- 
biogTaphie  vor.  Gerade  aus  literarischen  kreisen,  die  daranf  angewiesen  waren, 
sehr  oft  auch  von  Studenten,  haben  sich  die  bänkelsänger  in  der  tat  ihre  texte 
verschafft.  Vom  wesen  des  bänkelgesangs  her  ist  es  durchaus  möglich,  dass  auch 
der  junge  student  und  skribent  Wetzel  tatsächlich  bänkelsängerlieder  gedichtet  hat. 
Nur  mit  dem  satirisch-politischen  einschlag  würde  er  dabei  kein  glück  uehabt  un'l 
kein  Verständnis  gefunden  haben. 

Übrigens  findet  sich  in  Wetzeis  'Schriftproben'  (•niythen,  romanzen,  lyrische 
gedichte')  s.  81  die  ballade  'Der  spielmann',  die  ein  immerhiu  verwandtes  motiv 
aufweist.  In  dem  bunten  gewebe  seiner  Individualität  hat  er  sie,  wie  er  s.  2."^ 
'Baldurs  tod'  in  strophe  und  stil  der  'Braut  von  Corinth"  goss,  unter  dem  eiuflus- 
von  Goethes  'Sänger"  gedichtet : 

•'Es  steht  ein  spielmayn  vor  der  thür: 
Ruft  ihn  herein  zum  feste  I"  usw. 

Barbarossa  zieht  nach  7U0  jähren  als  spielmann  im  lande  umher  und  weckt 
mit  vaterländisch-politischen  liedern  den  alten  geist.  Das  ist  aber  die  rolle,  die 
Wetzel  in  den  jähren  der  freiheitskriege  mit  seinen  zahlreichen  patriotischen  liedern 
selber  spielte,  und  einen  besonderen  schluss  von  hier  auf  das  politische  bänkel- 
sängermotiv  wird  man  nicht  ziehen  dürfen. 

Aber  nun  vergleiche  man  statt  dessen  in  auffälliger  parallele  das  Interesse, 
das  Arnim  und  Brentano  am  bänkelgesang,  an  seinem  schulmässigen  ausban 
und  seiner  politischen  Verwendung  nahmen.  Eine  ernsthafte  ästhetische  erziehung 
des  bäukelsängers  hatte  zwar  schon  Gleim  im  äuge  gehabt,  wie  das  aus  seinen, 
ausdrücklichen  Worten  im  nachwort  zu  den  3  romanzen  ('Marianne"  usav.)  hervor- 
geht. Aber  die  beiden  romantiker  denken  neben  der  künstlerischen  an  die  politisch- 
patriotische erziehung.  In  tkm  laugen  briefe  über  die  mit  Brentano  im  juni  unter- 
nommene Rheinfahrt  schreibt  Arnim  vor  dem  28.  juli  1802  an  die  grätin  Schlitz 
nach  Regensburg: 

'Ich  möchte  wohl  gut  dicliten  und  gut  singen  können,  um  mein  Lebeu  auf 
dem  Marktschiff  zwischen  Frankfurt  und  Mainz  zu  versingen.  Hier  in  dem  bunten 
Gemische  alles  Volks  standen  antheillos  drei  Bänkelsänger:  der  eine  mit  der 
grossen  Gesichtsbihlung  des  Dante,  aber  dui-ch  den  Koth  der  Welt  gezogen.  Ein 
junger  trunkener  Schifter  sprach  in  göttlichem  Enthusiasmus  von  Freiheit  und 
Vaterland;  jeuer  lachte  verstohlen  erst  ihn  an  und  sprach:  'Unser  Herrgott 
duldet  doch  allerlei  Leute  auf  dieser  Weif.  [Steig.  Achim  von  Arnim  und  Clemens 
Brentano,  1894  S.  35.] 

Hier  zeigt  sich  eine  ähnliche  romantische  Verklärung  und  Überschätzung  des 
an  sich  ganz  armseligen  und  wirklich  Aveit  von  dieser  auffassung  entfernten  bäukel- 
sängers, wie  sie  die  rund  2  jähre  später  erschienenen  'Xachtwacheu"  zeigen,  und 
zugleich  schon  eine  deutliche  wendung  zu  politischer  auffassung.  .Tedesfalls  ent- 
springt dieser  persönlichen  berühruug  mit  dem  bänkelgesang  in  Mainz,  nicht  etwa 
irgend  einem  literarisch  überkommenen  motiv,  die  idee  zu  folgendem  plan,  den 
Arnim  wenige  wochen  später,  am  9.  juli  1802,  von  Zürich  aus  dem  freunde  ent- 
wickelt : 

'Die   Einsamkeit   hat   mir  einen  grossen  Lebensplan  angewiesen,  den  ich  auf 


242  NAi  MAW,  zi;  iii:\  nachtw  aciikn  von  iu»xa\kni  ritA 

dem  Fiankfurter  Marktschirtc  schon  aliinl(;te.  mir  aljcr  jetzt  erst  recht  dcutlicli 
g-eworden,    ich    theile    ihn    Dir   unter   dem    dreifachen  Siciiel    der  Verschwiegenheit 

mit,   weil    ich    vor  der  Zeit    nicht  lächerlich  werden  will aher  sie  sei  unser. 

diese  That,  ich  fühle  den  3Inth  und  Du  wirst  ihn  auch  haben!  Dichtkunst  nnd 
Musik  sind  die  l)eiden  allgemeinsten,  genau  aufeinander  gepfropften  lieiser  des 
poetischen  Baumes;  er  trägt  liier  in  der  Dichtkunst  rothe  Rosen...  .  Unsre  Arbeit 
sei,  diese  Rosen  zu  erziehen  ....  Die  Sprache  der  Worte,  die  Sprache  der  Noten 
stärker  und  wolügefälliger  zu  nuichen,  dies  ist  klar  als  erster  Standpunkt  unserer 
Bemühung  anzusehen.  Also  eine  Sprach-  und  Singschule!'  [So  wie  Tieck  die  g'e- 
bildeteu  die  volkspoesie,  volksl)ücher  lehrte,  so,  nur  umgekehrt,  niüssten  sie  die 
höhere  poesie  dem  volke  zufüliren|  'Götlie  soll  ihnen  so  liel»  wie  der  Kaiser  Octa- 
vianus  werden,  mit  einem  Worte:  der  erste  Punkt  unserer  Wirksamkeit  ist  die 
Anlag-e  einer  Druckerei  für  das  Volk  in  einem  Lande,  wo  der  Nachdruck  erlaubt 
und  das  l'apier  wohlfeil  ist,  Kaiser  und  Könige  müssen  uns  Privilegia  geben.  Die 
einfachsten  Melodien  von  Schulz,  Keiciiardt,  Mozart  u.  a.  werden  '  durch  eine  neu- 
erfundene Notenbezeiciinung-  mit  den  Liedein  unter  das  Volk  gebracht,  allmälig 
bekömmt  es  Sinn  und  Stimme  für  höliere,  wunderbare  Melodien.  I'ies  zu  erreichen, 
Avird  von  dem  (iewinnst  der  Druckerei  eine  Schule  für  Bänkelsänger  an- 
gelegt; man  errichtet  Sängerherbergon  in  den  Städten  und  verbindet  und  lehrt 
ihnen  die  Schauspielkunst  .  .  .  Wichtiger  ist  die  Bearbeitung  der  deutschen  Sprache 
für  den  Gesang  in  einer  damit  eng  verbundenen  Schule  der  Dichtkunst,  die,  wenn 
es  möglich,  in  dem  Schlosse  Laufen  beim  Rheinfall  eingerichtet  wird.  Hier  wird 
die  allgemeine  deutsche  Sprache  erfunden,  die  jeder  Deutsche  versteht  und  bald 
von  allen  Völkern  der  Erde  angenommen  wird.  Ich  sehe  schon  manche  fünf  schöne 
neue  Lieder,  gedruckt  in  diesem  Jahre,  aus  unserer  Druckerei  kommen!  Dies  giebt 
dem  Deutschen  einen  Ton  und  eine  enge  Verbindung,  jeder  Streit 
zwischen  ihren  Fürsten  muss  sich  selbst  verzehren,  weil  der  Deutsche 
gegen  seine  Brüder  nicht  zu  Felde  zieht,  die  Ausländer,  ihrer  Unterstützung 
gegen  sie  beraubt,  müssen  ihnen  verbündet,  Deutschlnnd  der  Blitzaldeiter 
der  "Welt  werden.'     [Steig  a.  a.  o.  s.  37--::59.] 

LTnd  Brentano  antwortet,  'Marburg,  August  1S02': 

'.  .  .  fjei  Deinem  grossen  Plan  ist  die  Handzeichnunir  des  Terrains,  der  Hhcin- 
fair  [die  Arnim  beigefügt  hatte]  'recht  nöthig.  .  .  .  Erfreulich  ist  es  mir,  dass  ich 
Savignj  einen  ganz  ähnlichen  Plan  schon  entworfen,  tiberhaupt  stellt 
ein  gütiger  G'enius  oft  vci traute  Sternbilder  über  uns  beide.'  [Steig  s.  40.]  Und 
vom  6.  September:  'Wenn  ich  Deinen  letzten  lieben,  grossen,  herzlichen  Brief  (aus 
Zürich)  lese,  so  rührt  mich  Dein  Plan  für  eine  grosse  poetische  Tätigkeit  immer 
besonders,  aber  die  Ironie  darin  schmerzt  mich;  und  wenn  ich  denke,  dass  Du 
wieder  den  ganzen  Plan  vergessen  haben  kannst,  so  werde  ich  gar  traurig,  denn 
dann  kannst  Du  mich  einstens  auch  vergessen.'     [Steig  s.  42.]^ 

Am  4.  april  1803  kommt  dann  Arnim  in  einem  Pariser  briefe  an  Clemens 
noch  einmal  auf  seinen  'grossen  Plan',  seine  'Lebenshoffuung  und  Luftbild'  und 
auf  die  grosse  förderung,  die  er  sich  durch  den  grafen  Schlabrendorf  erwartet, 
zurück:  "Endlich  fasste  ich  Zutrauen,  ihm  von  der  allgemeinen  Volksbücherdruckerei 
für  ganz  Deutechland,  von  den  ziehenden  Säugern  und  Schauspielern  zu  sprechen.  Er 
ergriff  alles  mit  Freude  .  .  .'  Und  er  endet,  schwelgend  in  allegorisch  verwendeten 
Widern  aus  der  eddisclien  mythologie,  mit  dem  begeisterten  ausdruck  der  hoffnung 
auf  den  hohen  vaterländischen  geAvinn  aus  seinem  plan.     [Steig  s.  68f.] 

Jedoch  den  beiden  romanlikern  selbst  verlor  sich  offenbar  der  von  ihnen  mehr 
ins  patriotische  gewandte  abenteuerliche  plan  unter  den  bunten  Schicksalen  iler 
nächsten  jähre  —  aber  jener  Bonaventura  hat.   freilieh  mehr  im  sarkastisch-satirischen 

1)  Vgl.  nocli  Qlemens  an  Arnim,  S.  sept.  1802:  Tch  habe  Dich  lieben  lernen, 
da  ich  Dir  wie  ein  Bänkelsänger  meine  eignen  Geschichten  absang;  da  hast 
Du  wohl  gemerkt,  dass  es  meine  Gescdiichte  war,  und  mich  lieb  gewonnen.'  [Steig  s.  44. J 


IK  )(;(;>:,    zu    (.OKTHE.S    SrüAClIE.    —    .TEXF.XsEU    l-lItEOLOGEX-VElISAMME.  1921      24:3 

ton,  wie  ilas  der  Stil  der  'Xachtwaclieu'  mit  sich  bringt,  und  mit  offenbar  noch 
•direkterer  wendung  zur  politik  das  ausgeführt,  was'  Arnim  und  Brentano  planten. 
Tauchte  das  seltsame  motiv  bei  Jean  Paul  auf,  so  wäre  das  den  Bonaventura- 
forschem,  namentlich  Michel,  sicherlich  nicht  entgangen.  Aber  es  handelt  sich, 
wie  gesagt,  überhaupt  nicht  um  ein  literarisch-überkommenes  motiv ;  zum  mindesten 
mit  der  salonmässigen  und  der  rokokohaften  auffassunir  des  bänkelgesangs  bei 
<Tleim,  Löwen.  Schiebeier  und  den  andern  roraanzendichtern  des  18.  Jahrhunderts 
besteht  kein  zusammen baui:'.  Es  liegt  in  beiden  fällen  eine  romantiselie  neiient- 
deckung  vor. 

JENA.  HANS    XAr.MAXN. 


Zu  (loethos  'Sprache'  (1774). 

Was  reich  und  arm !  Was  stark  und  schwach  I 

Ist  reich  vergrabner  Tme  Bauch? 

Ist  starjf  das  Schwert  im  Arsenal  V 
.     Greif  milde  drein,  und  freundlich  Glück 

Fliesst,  Gottheit,  von  dir  aus! 

Fass  an  zum  Siege,  Macht,  das  Schwert, 

l'nd  über  Nachbari:  Ruhm !  Weim.  ausg.  2,  256. 
Wie  in  einem  arsenal  hält  die  spräche  starke  waffen  bereit,  mit  welchen 
sieg  und  rühm  kann  aewonnen  werden,  sie  birgt  andererseits  wie  in  einer  ver- 
grabenen urue  reiche  schätze,  welche  nur  gehoben  zu  werden  brauchen.  Vor  der 
lebhaften  phantasie  des  Stürmers  und  drängers  stehen  die  starken  Streiter,  die  auf 
-ieg  und  rühm  aus  sind,  personifiziert  in  der  macht,  die  er  geradezu  anredet. 
Wir  erwarten,  dass  er  auch  die  Vertreter  des  zarten  und  sinnigen  (freundlichen) 
in  der  spräche  als  gottheit  in  mythisch-allegorischer  gestalt  erschaut  habe.  Es 
wird  daher  kaum  zu  bezweifeln  sein,  dass  es  die  milde  ist,  die  in  der  4.  zeile 
gemiMut  war,  dass  also:  (^reif,  Milde,  drein  zu  lesen  ist.  Die  gegeuüberstellung 
rficJi  und  arm  —  star/,-  und  schwach  zieht  sicli  durch  das  gedieht  hindurch  und 
ist  substantivisch  durch  Macht  und  ^fdde  ausgedrückt. 

XELSTE'j  rix.  ciniisriAX  uixifuc. 


53.  Aersamniluiig  »IouIscImt  ]>liil<>lügj*n  und  schuluiiinner. 

.Jena,  27.-80.  September  1921. 
Sitzungen  der  germanistischen  Sektion. 

Am  nachmittag  des  27.  September  nahm  die  germanistische  ahteilung  ihre 
-Itznngen  auf.  Eine  starke  gemeinde.  Mehr  denn  l'M)  teilnehmer  zeicimeten  sich 
während  der  tagung  in  die  mitgliederlistc  ein. 

Her  voibereiteude  ausschuss.  gestellt  durch  "\'.  ^liehels.  Leitzmaun 
und  Unrein,  wird  zum  vorstand  erwählt;  Bore  li  er  d  t- München  und  Fr.  X  e  u- 
mann -Leipzig  werden  zu  Schriftführern  bestimmt. 

Michels  tTinnert  an  die  Marburger  tage  des  Jahres  1913.  Er  zeigt  auf  die 
starken  heuunnisse  zuUünftigen  wirkens.  Er  gedenkt  mit  wärme  der  vielen,  die 
-eit    der   letzten    Zusammenkunft  der  tod  in  feld  und  heimat  aus  wissenschaftlicher 


244  .lENKXSKK    l'lllI.ÖI.OCI'.WKKSAM.MI.rNd    1021 

arbeit  riss.     Mehr  denn  liiinJert  wclie  erinuening  ■weckende  namen  dringen  auf  di' 
hörer  ein. 

Dann    spricht    E.  S  i  e  vers- l-eipzig-:    Zur    ciifslc/iini!/si/-f>is<'    ((Iti/rriiKatinchci 
episcfirr  rj/c/itnuf/eii. 

(legen  die  bisherigen  mittel,  das  werden  der  epen  verständlich  zu  machen, 
stellt  er  ein  neues,  durch  das  experiment  gestütztes  verfaiiren:  die  rein  klang- 
liche analyse  der  texte  (nach  rhythmus,  melodie,  Stimmart  und  verwandtem 
hat  zeitlich  vor  sach-  und  stilkritik  zu  treten.  —  Als  allgemeines  ergebnis  der 
bisherigen  Untersuchungen  ergibt  sich  der  satz:  alle  menschliche  rede  wird  von 
klanglichen  konstanten  beherrscht;  sie  zeigt  entweder  einen  einzigen  klangtypu- 
oder  wandelt  sicli  in  verschiedene  klangtypen  nach  einem  bestimmten  schema  ab : 
regellose  willkür  gibt  es  nicht.  —  Nur  wer  ein  gewisses  quantum  motorischer  anlagir 
besitzt,  kann  die  klangeigentümlichkeiten  eines  textes  hinlänglich  wahrnehmen.  - 
Auf  folgende  klangeigenschaften  hat  die  Untersuchung  zu  achten:  1.  die 
tonführung  ist  grad  (die  töne  ihrem  klangwert  nach  gleich,  verändern  sich  nur  iii 
einer  richtungj  oder  krumm  (anschwellen  und  absinken  der  Intensität,  verbundei. 
mit  entsprechender  Veränderung  der  tonhohe);  2. .sie  ist  steigend  oder  'fallend: 
ii.  sie  zeigt  normal-  oder  umlegestimnie.  (Der  unterschied  dieser  beiden  stimm- 
arteu  bedingt  durch  Stellung  und  spaunungsart  des  kehlkopfes.  Jeder  mensch  ver- 
mag sie  nebeneinander  zu  brauchen;  Wechsel  jedoch  systematisch  geregelt.)  Dazu 
4.  die  Verschiedenheiten  der  persönlichen  stinimarten,  deren  Zusammenhang  mit 
der  körpereinstellung  J.  Rutz  entdeckte.  Endlich  5.  drei  von  Be  cking-Leipzig 
gefundene  spannungskurven,  die  niemals  im  einzelnen  iudividuum  wechseln.  Poesie 
und  musik  werden  darüber  hinaus  durch  6.  die  gegensätze  der  taktarteu  bestimmte 
—  Wichtiger  hilf s satz:  mau  kann  mit  freier  und  gehemmter  stimme  sprechen: 
die  erfahruug  zeigt,  dass  die  stimme  frei  ist,  wenn  man  auf  die  klanggebuug  des 
autors  sich  eingestellt  hat.  —  Die  mittelalterlichen  dichtungen  zerfallen  in  zwei 
gruppen.  Die  einen  zeigen  einheitlichkeit  in  den  klaugverhältnissen  (wie  Otfrid. 
Heliand,  höfisches  epos);  die  anderen  geben  gemischten  klangcharakter  von  einer 
zum  teil  sprunghaften  Unregelmässigkeit.  So  zwingt  die  Überprüfung  des  W  i  d  s  i  t  L 
zu  der  annähme,  dass  hier  ein  mosaikganzes  durch  ineinander-  und  zusammen- 
schieben entstand  (vgl.  festschrift  für  F.  Liebermann).  —  Die  ae.  Genesis  zerfällt 
in  drei  für  sich  stehende  teile;  v.  1—234  und  v.  852  ff.  haben  nichts  miteinander 
zu  tun.  Der  Schlussteil  (v.  852  ff.)  bildet  ein  buchepos,  das  als  erzeugnis  gemein- 
schaftlicher Jdosterarbeit  anzusprechen  ist.  Eine  anzahl  von  Verfassern  und  ein 
nachprüfender  korrekter  lassen  sich  herausheben.  Zu  Cädmon  führt  keine  brücke. 
Das  anfangsstüek  (v.  1—234)  zeigt  ein  klangmosaik.  Ins  Westsächsische  sind  fetzen 
eingesprengt,  die  in  ältestes  Nordhumbrisch  zurückgeschrieben  werden  müssen. 
um  klangfrei  zu  werden.  Diese  fetzen,  stücke  mehr  lyrisch  getragenen  Charakters, 
stimmen  zu  Cädmon  (Beckiugkurve  3).  —  Auch  der  Beowulftext  zeigt  klang- 
liches geniisch.  Den  grundstock  bildet  ein  nordhumbrisches,  in  die  zeit  um  750 
gehöriges  fragment  (i  und  e  noch  geschieden,  nordhumb.  rundung  und  dergleichen*. 
Man  begegnet  dem  'grundtext  in  Sprüngen  zwischen  v,  4  und  1122;  stücke  ähn- 
lichen alters,  wenn  auch  von  anderer  hand,  am  schluss  des  gedichtes.  Der  Ur- 
Beowulf  im  wesentlichen  der  Grendelkampf  (vgl.  Müllenhoff).  Er  war  bereits 
eingestellt  auf  ein  grösseres  gedieht,  da  zu  ihm  die  einleitung  mit  geschlechter- 
angabe  gehört.  Zudem  schliesst  epische  breite  die  art  des  Hildebrandliedes  aus. 
Für   den   typus  entscheidend,  dass  alle  rückgreifenden  und  retardierenden  episodeii 


JENENSER   PHILOLOGENVERSAMMLUNG    1921  245 

(Sigmund,  der  drachenkäinpfer;  Finnsburgepisode)  auch  im  Urbeowulf  standen, 
ürbeowulf  mitteltypus  zwischen,  kleinem  gedieht  und  grossem  epos ;  er  ist  nicht  nur 
verbreitert,  sondern  auch  der  ältere  Wortlaut  ist  umgestaltet.  Die  anschwellungs- 
hypothese  erhält  dadurch  eine  neue  starke  stütze.  —  Aus  dem  Nibelungenliede 
lässt  sich  gleichfalls  ein  ältester  teil  herausschälen.  Diese  erste  band  setzt  in  str.  2 
(mit  den  Worten  Kriemhilt  geheisen)  ein  und  begegnet  bis  in  str.  2379  (weinen  man 
da  sack).  Auch  dieser  dichter  wollte  den  gesamtstoff  darstellen.  Da  wo  Lachmann 
sein  viertes  lied  begann,  zeigt  sich  neueinsatz.  Ohne  zweifei  drangen  einzellieder 
und  teilgedichte  in  das  Nibelungenlied;  vgl.  die  worte  des  Mamer  und  die  Thidrek- 
saga,  die  niederdeutsche  lieder  voraussetzt.  —  Der  Kudruntext  zeigt  freie  an- 
schwellung.  —  Mit  der  Vorstellung  des  geschlossenen  buchepos  wird  man  den  tat- 
sachen  nicht  gerecht. 

Am  vormittag  des  28.  September  nimmt  zunächst  S  a  r  a  n  -  Erlangen  das  wort 
.über  das  Rolandslied;  die  knappe  redezeit  veranlasst  ihn,  sich  auf  Überprüfung 
der  französischen  dichtung  zu  beschränken. 

Das  französische  Rolandslied  wird  seinem  gedankengehalt  nach  nur  ver- 
ständlich vor  dem  an  Spannungen  reichen  hintergrund  der  zeit.  —  Das  helden- 
ideal des  dichters  wird  deutlich  an  dem  verständigen  Olivier.  Rittertum  ist  kein 
Übermut;  der  held  kämpft  nur,  wenn  es  sinn  hat.  Der  dichter  steht  gegen  über- 
dehnung  des  ehrbegriffs,  indem  er  den  Zeitgenossen,  den  alten,  wesentlich  ger- 
manischen heldentjpus  vorhält.  —  Er  schildert  einen  straffen  lehnsstaat.  Dies  bild 
entspricht  nicht  den  Verhältnissen  seiner  tage.  Seit  987  galt  der  könig  nur  als 
bäron  unter  baronen.  Um  1100  freilich  kommt  der  Umschwung;  das  ideal  Karls 
des  grossen  wird  lebendig.  Der  dichter  bekennt  sich  mit  dem  staatsideal,  das  er 
in  die  Vergangenheit  setzt,  zu  dem  innerpolitischen  programm,  das  mit 
dem  anfang  des  12.  Jahrhunderts  vom  königtum  vertreten  wird.  —  Karl  gewinnt 
das  ganze  Abendland;  auch  der  zug  nach  Spanien  setzt  nur  diese  eroberungspolitik 
fort.  Roland  ist  die  stütze  dieser  auf  Weltherrschaft  gerichteten  politik.  Der 
dichter  entwirft  das  aussenpolitische  programm  der  französischen  könige. 
"Wie  begründet  er  diese  politik?  Ganelon  ist  gegner  der  eroberungspolitik,  die 
ihn  von  frau  und  sippe  fernhält.  Drum  sagt  er  Roland  die  fehde-  an,  der  ihm  als 
der  träger  dieser  eroberungsgedanken  gilt.  Er  nimmt  daher  diesen  seinen  streit 
mit  Roland  als  streit  zwischen  Vasallen.  Karl  fasst  jedoch  das  verhalten  Ganelons 
nicht  privatrechtlich,  sondern  staatsrechtlich  an.  Zwei  verschiedene  staatsanschau- 
ungen  treten  sich  gegenüber.  Dass  Karls  eroberungspolitik  nicht  privatwillkür, 
das  entscheidet  für  den  dichter  nur  gott.  Karls  imperialismus  ist  gottgewollt.  — 
Eine  handfeste,  nicht  sehr  tiefe  kirchlichkeit,  der  christsein  Standessache  ist,  erfüllt 
die  dichtung.  Wir  fassen  das  Frankreich  alten  stiis,  das  der  reformbewegung, 
dem  Gregorianismus  fernsteht.  Deutlich  wird  dies  an  zwei  polemisch  gehaltenen 
gestalten,  dem  im  feudaiismus  stehenden  erzbischof  Tnrpin  und  an  Karl  selbst, 
dem  priesterlichen  könig,  der  dauernd  mit  gott  in  unmittelbarer  Verbindung  steht. 
Siebs-  Breslau  sagt  sodann  an,  dass  sein  buch  über  die  bühnenaussprache 
demnächst  neu  aufgelegt  wird.  Er  bittet  um  rechtzeitige  mitteilung  von  wünschen. 
Den  folgenden  Vortrag  hat  Grimme- Münster :  Syntax  auf  grund  von  sprach- 
melodik. 

Die  Sprachmelodik  erforscht  die  tonstufen.  Alles  was  an  grammatische 
kategorien  gebunden,  tritt  auch  spr  achmelod  i seh  zutage.  Der  redner  hat 
zunächst  die   grundprinzipien    an  seiner  provinziellen   ausspräche  (.nordwestdeutsch) 

ZEITSCHRIFT   F.  DEUTSCHE  PHILOLOGIE.      BD.  XLIX.  17 


246  jenenser  philolo(ienversammlung  1921 

festgelegt.  Zur  graphischen  darstellung  benutzt  er  die  zahlen  0—8  (modifikationen 
dieser  stufen  durch  +  und  — ,  gleittöne  sowie  kombinierte  töne  durch  exponenten). 
Individuelle  unterschiede  betreffen  nicht  tonstufen,  sondern  tonlagen  (intervalle).  — 
Drei  kategorienarten  sind  zu  scheiden :  1.  die  logischen  kategorien;  die  tonstufen 
drücken  das  gegenseitige  Verhältnis  der  Satzglieder  aus;  2.  die  modalen  kategorien; 
die  anteilnahme,  die  der  Sprecher  am  gesagten  nimmt,  wird  in  den  tonstufen  bezeichnet; 
3.  gefühlskate gorie.  Tonlagen  und  tonintervalle  geben  die  gefühlssphäre  des 
Sprechers  w^ieder.  Diese  drei  kategorien  durchkreuzen  sich  öfters,  dabei  schlagen 
sie  sich  in  gesetzmässiger  vt^eise  nieder.  —  1.  logische  kategorien.  Innerhalb 
jedes  Satzes  hat  jedes  glied  eine  tonstufe.  Im  nichtinvertierten  satze  hält  das 
prädikat  die  niedrigste  stufe  (1).  Es  folgen  Subjekt  (2),  acc.-objekt  (3),  dativ- 
objekt  (4),  adverb  des  masses  (5),  des  orts  und  der  zeit  (6),  des  Instruments  (7), 
die  satzspitze  des  invertierten  Satzes  (8).  Für  den  satzschluss  gelten  besondere 
regeln.  Eine  anzahl  von  wortkategorieu  empfindet  die  spräche  als  überstuft:  so 
stehen  komparativ  (+)  und  Superlativ  (++)  höher  als  der  positiv,  die  Ordinalzahl  (als 
elativ  gefühlt)  höher  als  die  kardinalzahl,  das  personalpron.  der  1.  (++)  und  2.  per- 
son  (+)  höher  als  das  der  3.,  dieser  höher  als  jener,  der  plur.  höher  als  der  sing. 
Für  alle  erweiterungen  nominaler  Satzglieder  (attribute,  apposition)  ergeben  sich 
eigene  regeln.  —  Nur  kurz  konnten  2.  die  modalen  kategorien  berührt  werden. 
Sprachmelodisch  treten  7  modi  (einschliesslich  des  imperativs)  auf,  die  sich  mit  jedem 
Satzteil  kombinieren  können.  Der  indikativ  ist  kein  eigentlicher  modus;  in  ihm 
drückt  sich  keine  persönliche  anteilnahme  aus,  er  steht  auf  stufe  1  (prädikat). 
Hilfszeitwort  und  Infinitiv  stehen  gleich  hoch  und  erweisen  sich  so  als  etwas  un- 
trennbares. 

Minde-Pouet- Leipzig  spricht  über  Die  zukunft  der  bibliographischen 
unter }i eh mungen  auf  dein  gebiete  der  germanischen  philologie. 

Vor  dem  kriege  besassen  wir  zahlreiche  bibliographien,  die  aber  mehr  zufällig 
entstanden  waren.  Es  fehlte  system  und  Vollständigkeit.  Als  unentbehrlich  er- 
wiesen sich  die  bibliographien  des  Euphorion,  von  Behaghels  literaturblatt,  der 
Jahresbericht  für  neuere  deutsche  literaturgeschichte  und  der  für  germanische 
philologie.  Der  krieg  führte  eine  völlige  änderung  herbei.  Die  bibliographie  des 
Euphorion  ist  gefährdet.  Die  Jahresberichte  für  neuere  literaturgeschichte  sind 
seit  1915  nicht  mehr  erschienen,  ihre  fortführung  würde  */«  niillion  jährlich  er- 
fordern. Die  Jahresberichte  für  germanische  philologie  halten  sich  noch,  die  Ge- 
sellschaft für  deutsche  philologie  glaubt  weiter  auskommen  zu  können  und  will 
ihre  berichte  bis  zu  Goethes  tode  oder  bis  1850  erweitern,  wobei  sie  ihr  auswahl- 
prinzip  zugrundelegen  würde.  —  Was  soll  nun  geschehen?  Eine  vollständige 
bibliographie  ist  nicht  mehr  möglich,  aber  auch  nicht  nötig.  Nur  muss  man  sich 
auf  das  richteramt  des  bibliographen  verlassen  können.  Jedesfalls  müssen  die 
Jahresberichte  für  neuere  literaturgeschichte  in  anderer  form  fortgeführt  werden. 
Doppelarbeit  ist  unbedingt  zu  vermeiden,  so  dass  diese  Jahresberichte  nur  als  er- 
gänzung  zu  denen  der  Gesellschaft  für  germanische  philologie  (d.  h.  also  etwa  von 
Goethes  tode  ab)  erscheinen  dürften.  Der  kommentierende  teil  muss  wegfallen,  dafür 
können  die  titel  eine  stichwortartige  ergänzung  erhalten.  Kommt  dies  unternehmen 
zustande,  so  stellt  Sauer  die  bibliographie  des  Euphorion  ein.  Zur  Vorbereitung 
der  Organisation  schlägt  der  vortragende  einen  ausschuss  vor.  —  Das  wöchentliche 
Verzeichnis  der  buchhändler,  das  jetzt  von  der  deutschen  bücherei  bearbeitet  in 
einer  einseitig  bedruckten   ausgäbe  erscheint,  ist  für  die  Wissenschaft  nutzbringend 


JENENSER   PHILOLOGENVERSAMMLUNG    1921  247 

^u  machen.  Geplant  ist  ferner  eine  bibliographie  aller  privatdrucke  und  amtlichen 
drucksachen.  Die  sehr  kostspielige  zeitschriftenbibliograpbie  ist  eine  arbeit  für  die 
akademien  bei  finanzieller  staatlicher  Unterstützung.  —  Die  anschliessende  erörterung 
wird  abgebrochen  und  auf  den  nachmittag  vertagt,  da  volle  klarheit  erzielt 
werden  muss. 

Da  die  redezeit  beendet,  zieht  Fe  ist- Berlin  seinen  Vortrag  über  'Die 
religionsgeschichtliche  bedeutung  der  runendenkmäler^  zurück.  Leider  konnte  er  auch 
an  späterer  stelle  nicht  mehr  einrücken. 

Am  nachmittag  desselben  tages  spricht  zunächst  Petersen- Berlin  über 
den  bühnenplan  des  Frankfurter  passionsspieles. 

Das  der  dirigierrolle  des  Bartholomäusstiftes  zugrunde  liegende  alte 
Frankfurter  passionsspiel  ist  keine  eigene  Schöpfung  des  kanonikus  Baldemar  von 
Peterweil.  Es  wurde  wohl  zuerst  ostern  1350  zur  neueinweihung  des  durch  brand 
geschädigten  domes  aufgeführt.  —  Es  erhebt  sich  die  frage :  wie  weit  ist  es  möglich, 
aus  der  dirigierrolle,  diesem  regiebuch  des  mittelalterlichen  dramas,  den 
tatsächlichen  gang  der  aufführung  anschaulich  zu  machen.  Der  11.  teil  des  Stückes 
ist  durchaus  in  der  kirche  spielbar,  aber  der  erste  teil  erfordert  häuser,  setzt  also 
einen  platz  voraus.  Mit  umsieht  und  vorsieht  sucht  sodann  der  vortragende  aus 
den  regieangaben  des  I.  teiles  und  der  in  ihnen  erfassbaren  bewegung  der  Spieler 
den  platz  mit  seiner  Umgebung  und  den  für  das  spiel  notwendigen  einbauten  sinn- 
lich greifbar  zu  machen.  Nur  an  einer  Zeichnung  lässt  sich  der  verlauf  der  Unter- 
suchung befriedigend  wiederholen.  Hier  muss  es  genügen,  das  ergebnis  der 
Interpretation  mit  wenigen,  ja  dürftigen  strichen  anzudeuten.  —  Auf  der  einen 
längsseite  des  platzes  erhebt  sich  das  haus  der  Martha.  Dann  das  haus,  das  den 
pharisäer  Simon  und  den  pater  familias  zu  bergen  hat.  Vor  ihm  der  tist;h,  an 
dem  Jesus  mit  Simon  speist  und  später  das  abendmahl  austeilt.  Die  wohnung  des 
Herodes  schliesst  sich  an.  Bei  ihr  hat  Johannes  der  täufer  seinen  platz.  In  seiner 
nähe  der  einzige  brunnen,  den  das  spiel  erfordert,  in  dem  Jesus  und  am  schluss 
des  Stückes  die  Juden  getauft  werden,  der  gleichzeitig  als  grabkammer  genutzt 
wird.  Auf  der  anderen  seite  des  brunnens  finden  wir  Augustin  und  die  propheten, 
bei  denen  das  spiel  anhebt.  Die  ansetzende  querseite  gehört  Satan.  Dort  der 
galgen,  der  die  höllenpforte  darstellt,  an  dem  Judas  den  tod  sucht.  Dort  auch, 
ungefähr  Augustin  gegenüber,  die  an  dieser  stelle  notwendigen  Juden.  Die  zweite 
längsseite  füllen  die  häuser  des  Annas,  Kaiphas  und  Pilatus.  Vor  ihnen  stehen 
die  krüppel,  die  Jesus  heilt.  Die  dem  Satan  gegenüberliegende  querseite  gibt  räum 
für  den  thronus,  den  chor,  das  irdische  paradies,  die  engel.  Vor  den  stufen,  die 
zum  thronus  führen,  erwählt  Jesus  die  apostel.  Etwas  weiter  in  den  platz  hinein 
sind  die  kreuze  gerückt.  In  der  diagonale  des  platzes  nahe  bei  den  Juden  das 
desertum,  nahe  bei  den  aposteln  ein  fass,  das  den  berg  der  Versuchung  abgibt ; 
mitten  zwischen  diesen  beiden  stellen  ein  weiteres  fass,  das  die  zinnen  des  tempels 
bezeichnet.  Bei  dieser  anordnung  spielt  sich  das  stück  reibungslos  ab.  —  Aus  alten 
Frankfurter  planen  lässt  sich  der  aufführungsort  festlegen.  Auf  dem  Nikolausplatz 
muss  das  stück  gespielt  sein ;  die  Nikolauskirche,  eine  filialkirche  des  Bartholomäus- 
stiftes, diente  offenbar  als  garderoberaum.  Die  aufführung  des  Jahres  1492  erfordert 
eine  andere  anordnung. 

Es  folgte  Wolf  gang  S  t  am  ml  er- Hannover  ;  Die  totentanze  des  mittelalters. 
Als  ergebnis  des  durch  lichtbilder  unterstützten  Vortrages  Hess  sich  feststellen : 
Der  Volksglauben  vom  reigen  der  toten,  welche  den  lebenden  in  ihren  kreis  zwingen 

17* 


248  JENENSER   PHILOLOGENVERSAMMLUNG    1921 

und  dadurch  zu  tode  bringen,  wird  von  der  franzöBischen  geistlichkeit  seit  dem 
XIV.  Jahrhundert  im  bilde  festgehalten  und  als  wirksam  waroende  bildliche  predigt 
verwandt.  Aus  der  asketischen  Stimmung  des  französischen  geisteslebens  im 
XIII.  Jahrhundert  ist  dieser  gedanke  zu  erklären.  Verse,  welche  die  hinfälligkcit 
des  einzelnen  menschen  beklagen  und  seinen  gang  zum  tod  schildern,  gaben  ver- 
anlassung, den  bildern  nach  art  der  tituli  lateinische  verse  beizufügen.  Ursprüng- 
lich beklagten  nur  die  lebenden  ihr  Schicksal  in  solchen  distichen;  die  wanderlegende 
von  den  drei  lebenden  und  drei  toten  gab  die  veranlassung,  nun  auch  den  toten 
auffordernde  oder  warnende  Sprüche  in  den  mund  zu  legen.  So  entstand,  wohl 
auch  in  Frankreich,  zuerst  lateinisch,  später  auch  in  das  deutsche  übersetzt,  ein 
totentanzgedicht,  in  welchem  abwechselnd  tote  und  lebende  miteinander  reden, 
welches  indes  den  ursprünglich  monologischen  Charakter  der  menschenverse  nicht 
völlig  abgestreift  hat.  —  Daneben  erwächst  ein  zweites  gedieht,  unabhängig  von 
diesen  versen,  in  welchem  an  der  stelle  der  toten  der  tod  die  menschen  zum  eintritt 
in  seinen  reigfen  auffordert.  Dieser  dialog  hat  seine  würze!  in  der  form  der  mittel- 
alterlichen Streitgedichte,  unter  denen  seit  der  antike  auch  ein  streit  zwischen  dem 
tod  und  dem  leben  vorkommt.  Zugrunde  liegt  ein  lateinisches  gedieht,  das  in  die 
westeuropäischen  Volkssprachen  übersetzt  wurde  und  in  diesen  fassungen  mitunter 
auch  ideen  oder  formen  des  älteren  totentanzgedichtes  aufgenommen  und  in  sich 
verarbeitet  hat.  Das  motiv  vom  tanz  des  todes  war  genährt  worden  durch  ver- 
wandte motive  aus  der  mystik,  sodass  vielleicht  dieser  zweite  text  aus  Deutschland 
stammt.  Auch  der  neue  dialog  vom  tanz  des  todes  erschien  bald  unter  manchen 
bildern;  aber  man  empfand  nicht  den  Widerspruch  zwischen  darstellung  und  wort. 
Diese  neue  anschauung  ist  massgebend  geblieben  bis  zur  gegenwart. 

Dann  Schultz-  Köln :  Steinmar  im  Strassburger  münster,  ein  fund  zur 
geschickte  des  naturalismus  im  13.  Jahrhundert. 

Das  Strassburger  münster  zeigt  an  der  westwand  des  nördlichen  Seitenschiffes 
unterhalb  des  gesimses  des  4.  Spitzbogen fensters  die  kleine  tigur  eines  zechers.  Die 
zum  schütze  des  münsters  in  den  letzten  jähren  vorgenommenen  baulichen  arbeiten 
ermöglichen,  die  beigegebene  Inschrift  restlos  zu  lesen;  sie  gibt  den  namen:  Stein- 
mar. Die  geschichte  des  münsters  lehrt,  dass  diese  skulptur  vor  1275,  wahrschein- 
lich sogar  vor  127Ü  gearbeitet  wurde.  Bisher  war  nicht  erkennbar,  dass  St.  be- 
ziehungen  zu  Strassburg  hatte.  Zu  diesem  aufhellenden  fund  treten  weitere  gründe, 
so  die  tatsache,  dass  Walther  von  Klingen  ein  haus  in  Strassburg  besass,  dass  nach 
den  Strassburger  Urkunden  im  14.  Jahrhundert  dort  mehrere  Steinmars  lebten. 
A.  Schultes  annähme,  dass  St.  zur  gruppe  der  bürgerlichen  dichter  gehöre,  tritt 
wieder  in  den  Vordergrund.  —  Die  figur  entsprang  realistischer  auffassung,  wie  sie 
sich  damals  in  gotischer  kleinskulptur  zeigt.  Die  Inschrift  erweist,  dass  St.  für  den 
Steinmetzen  ein  bekannter  zechkiimpan  war.  Der  dichter  ist  in  der  pose  gegeben, 
die  ihn  auszeichnet.  So  gewinnen  wir  das  erste  porträt  eines  poeten.  —  St.  war 
mithin  schon  vor  1275  eine  volkstümliche,  ins  typische  erhobene  erscheinung.  Die 
Skulptur  gibt  nicht  nur  die  von  schweizerischer  lebensfreude  erfüllte  persönlichkeit, 
sie  setzt  auch  das  herbstlied  voraus.  Daraus  folgt  aber,  dass  St.  nicht  erst  nach 
Überwindung  der  konventionellen  gesellschaftslyrik  die  von  ihm  erlebten,  natur- 
wüchsigen dichtungen  schuf.  Beide  rieht ungen  hat  er  nebeneinander  gepflegt. 
Der  reale  fund  erweist  die  bisherige,  nur  auf  innere  gründe  gestützte  darstellung 
seiner  entwicklung  als  konstruktion.  Seine  eigene  kunst  entspricht  der  geistigen 
haltang  der  zeit.     Seit  der  mitte  des  12.  Jahrhunderts  kehrt  man  vom  spirituellen 


JENEXSER  PHILOLOGENVERSAMMLUNG    1921  249 

!zur  natur  zurück.  Dem  schwelger  am  Strassburger  raünster  entspricht  der  einsame 
zecher  des  'weinschtvelges'.  Er  setzt  St.  voraus.  Darum  ratsam,  den  weinschwelg 
von  Tirol  weg  mehr  nach  dem  norden,  in  die  nähe  Rudolfs  von  Habsburg  zu 
schieben. 

Am  vormittag  des  29.  September  tritt  man  in  die  letzte  sitzung.  Folgende 
entSchliessung,  die  sich  mit  dem  fortbestand  des  Deutschen  Wörterbuches  beschäftigt, 
wird  einstimmig  angenommen : 

'Das  von  Jakob  und  Wilhelm  Grimm  ins  leben  gerufene  Wörterbuch  befindet 
sich  in  schwerer  not.  Um  die  bisherigen  mitarbeiter  festzuhalten  und  neue  zu 
gewinnen,  reichen  die  vom  Verleger  zurzeit  gezahlten  honorare  nicht  aus;  eine 
-erhöhung  wird  nötig  sein.  Aber  die  herstellungskosten  sind  ohnedies  bei  den 
steigenden  löhnen  in  beständigem  wachsen.  Schon  ist  die  erhöhung  des  ladenpreises 
aufs  fünffache  für  die  neuen  lieferungen  gestiegen.  Eine  weitere  Verteuerung  würde 
<iem  grössten  teil  der  bisherigen  abnehmer  den  fortbezug  unmöglich  machen  und 
damit  verhindern,  dass  das  werk  in  der  deutschen  gelehrtenwelt  seine  aufgäbe 
erfüllt.  Die  Unterstützung  des  Wörterbuches  ist  reichssache.  —  Die  germanistische 
Sektion  der  53.  in  Jena  tagenden  Versammlung  deutscher  philoIogen  und  Schul- 
männer richtet  daher  einstimmig  an  das  reichsministerium  des  Innern  die  dringende 
bitte,  das  nationale  werk  nicht  im  stich  zu  lassen  und  den  zurzeit  vom  reich  ge- 
zahlten zuschuss  sehr  erheblich  zu  erhöhen.' 

Die  gleiche  allseitige  Zustimmung  findet  eine  von  Minde-Pouet  verlesene 
entSchliessung,  die  die  erörterung  über  die  bibliographischen  Publikationen  abschliesst: 

'Die  germanistische  abteilung  der  53.  Versammlung  deutscher  philoIogen  und 
Schulmänner  hält  die  fortsetzung  der  Jahresberichte  für  neuere  deutsche  literatur, 
die  mit  dem  jähre  1915  ihr  erscheinen  eingestellt  haben,  für  unbedingt  erforderlich. 
Die  not  der  Wissenschaft  verbietet  doppelarbeit  und  fordert  beschränkung  auf  das 
notwendigste.  Es  ist  daher  eine  arbeitsgemeiaschaft  mit  der  Gesellschaft  für 
•deutsche  philologie  anzustreben.  Hierbei  wird  ausdrücklich  die  erwartung  aus- 
gesprochen, dass  die  bibliographie  der  neueren  deutschen  literatur  die  ihr  gebührende 
gleichberechtigung  neben  der  älteren  findet  und  bis  zur  gegenwart  geführt  wird. 
Mit  der  förderung  des  Unternehmens  und  der  ausarbeitung  eines  arbeitsplanes  wird 
ein  ausschuss  beauftragt,  der  aus  folgenden  herren  besteht:  1 .  den  bisherigen  leitern 
der  bisherigen  Unternehmungen:  Behaghel,  Feist,  Roethe,  Sauer.  2.  Den  fach- 
kollegen:  Böhm,  Elster,  Leitzmann,  Michels,  Minde-Pouet,  Petersen,  Richter,  Saran, 
Schultz,  Sievers  (Deutschland);  Arnold,  Brecht,  Castle  (Österreich);  Ermatinger, 
Maync  (Schweizj ;  Hajek  (Siebenbürgen) ;  Schölte  (Holland) ;  Faust,  NoUen  (Amerika). 
5.  Den  bibliotheksdirektoreu  Collijn,  Escher,  Milkau,  Schnorr  von  Carolsfeld.' 

Endlich  bekennt  man  sich  zu  den  von  Jantzen- Breslau  eingebrachten 
Sätzen : 

'Die  germanistische  abteilung  der  58.  Versammlung  deutscher  philoIogen  und 
Schulmänner  zu  Jena  fordert,  dass  dem  deuts  chkund  liehen  Unterricht  bei 
der  kommenden  neuordnung  des  Schulwesens  die  ihm  gebührende  führende  Stellung 
eingeräumt  werde.  Die  deutschkundliche  fächergruppe  soll  kern  und  grundiage 
des  gesamten  Unterrichts  werden,  um  in  dem  heranwachsenden  geschlecht  eine 
mögKchst  gründliche  kenntnis  und  ein  liebevolles  Verständnis  deutschen  wesens  und 
geistes  zu  erwecken.  Voraussetzung  dafür  ist,  dass  der  deutschkundlichen  fächer- 
gruppe die  unbedingt  erforderliche  zahl  von  stunden  zugewiesen  wird.' 


250  JENENSER  PHILOLOGENVERSAMMLUNG    1921 

Dann  spricht  R.  Un  ger- Königsberg:  Zru-  datiernng  und  inneren  entstehungs- 
geschichte  von  Novalis  hynmen  an  die  nacht. 

Nach  erörterungen  über  die  methodische  bedeutung  Ton  datierungsfragen 
gieng  der  vortr.  auf  die  Vorgeschichte  des  problems  ein.  Schon  frühzeitig  wurden 
die  hymnen  dem  jähre  1798  zugewiesen,  während  Tieck  sie  dem  jähre  1797  zu- 
schrieb. Da  die  angaben  sehr  unbestimmt  waren  und  sich  nur  auf  Vermutungen 
aufbauten,  konnten  sich  drei  verschiedene  ansichten  entwickeln.  Die  allgemeine 
ansieht  geht  dahin,  dass  sie  1797  nach  dem  tode  Sophiens  und  vor  Hardenbergs 
abreise  entstanden  seien.  Daneben  ist  die  these  einer  schichtenweise  erfolgten  ent- 
stehung  verfochten  worden,  während  eine  dritte  erst  1893  aufgestellte  ansieht  die 
hymnen  in  das  jähr  1799  verweist.  Alle  drei  meinungen  bauen  sich  auf  subjektivem 
empfinden  auf,  da  objektive  kriterien  fehlen.  In  ein  neues  Stadium  kam  die  frage 
durch  die  auffindung  der  handschrift,  die  Minor  unter  heranziehung  der  Varianten 
als  urhandschrift  erkannte.  Der  Athenäumdruck  zeigt  ihr  gegenüber  nur  fort- 
geschrittenere künstlerische  formung.  Durch  diesen  fund  war  die  zweite,  eben 
erwähnte  these  widerlegt.  Desto  schroffer  stehen  sich  aber  nun  die  erste  und  dritte 
these  gegenüber.  Wer  der  meinung  ist,  dass  die  hymnen  wegen  Sophiens  tode  dem 
jähre  1797  angehören  müssen,  der  unterschätzt  die  inkubationszeit  des  erlebnisses 
und  übersieht,  dass  auch  die  dritte  hymne  stark  stilisiert  ist.  —  Auf  dem  wege  der 
inneren  entstehungsgeschichte  suchte  nun  der  vortragende  seine  ansieht  an  der 
hand  folgender  thesen  zu  begründen:  1.  die  hymnen  sind  die  erfüUung  der  forderung 
nach  biblisch-christlichen  paramythien,  die  Novalis,  im  Hinblick  auf  Herders  antiki- 
sierende paramythien,  in  einem  aphorismus  der  handschrift  E  (nach  Heilborns  be- 
zeichnung)  seiner  fragmenthefte  ausgesprochen  hat.  Insbesondere  sind  die  erste  und 
zweite  hymne  umdichtungen  Herderscher  paramythien.  Das  gestaltungsprinzip  ist 
bei  beiden  dichtem  das  gleiche.  Allerdings  zeigen  sich  bei  Herder  noch  nachklänge 
der  rationalistischen  auffassung,  während  bei  Novalis  romantische  Christianisierung 
platz  greift.  Ebenso  stehen  Herders  'Tod'  und  die  fünfte  hymne  in  parallele.  Hier 
erst  findet  sich  die  symbolisierung  des  todes  durch  Amor,  den  Eros  psychopompos. 
Diese  wendung  ins  erotische  und  die  gegenüberstellung  von  antike  und  Christentum 
im  Lessingschen  sinne  findet  sich  schon  bei  Herder.  Nur  ist  sie  bei  Novalis  ins 
romantische  weitergebildet.  Aus  diesen  zusammenhängen  ergibt  sich,  dass  die 
hymnen  erst  nach  dem  fragment  entstanden  sein  können.  2.  Dieses  fragment  steht 
nun  unter  dem  unmittelbaren  eindruck  der  lektüre  von  Schleiermachers  'Reden 
über  die  religion',  ist  also  im 'herbst  1799  verfasst.  Folglich  kann  auch  die  kon- 
zeption  und  erste  (handschriftliche)  fassung  der  hymnen  nicht  vor  die  zweite  hälfte 
des  September  1799  fallen,  wahrscheinlich  aber  auch  nicht  viel  später.  3.  Welche 
bedeutung  hat  nun  die  datierungsfrage  ?  Das  fragment  bezeugt,  in  Verbindung  mit 
anderen  Indizien,  welch  wichtiges  ferment  in  der  durch  Schleiermachers  literarische 
(und  Tiecks  persönliche)  anregung  im  geiste  Hardenbergs  hervorgerufenen  frucht- 
baren gärung  die  Wirkung  Herderscher  Schriften  gespielt  hat.  4.  Insbesondere 
haben  Herders  Paramythien,  vor  allen  bisher  ermittelten  oder  vermuteten  litera- 
rischen einflüssen,  das  gestaltungsprinzip  wie  den  ideen-  und  symbolgehalt  der 
hymnen  entscheidend  bestimmt,  während  Schleiermachers  reden  ihnen  grundstimmung 
und  ursprünglichstes  inhaltliches  konzeptionsmotiv  liehen.  5.  Neben  den  paramythien 
haben  noch  mehrere  andere  arbeiten  Herders,  besonders  aufsätze  der  ersten  beiden 
Sammlungen  der  Zerstreuten  blätter  und  die  Bückeburger  geschichtsphilosophie  auf 
die  ausgestaltung  der  drei  hauptsächlichsten  gedankenthemen  der  hymnen  gewirkt: 


JENENSER   PHrLOLOGENVERSAMMLUNG   1921  251 

des  todesmotivs,  versinnbildlicht  im  symbol  der  nacht,  des  damit  eng  verbundenen 
Erosmotivs,  gesteigert  zum  bilde  von  seelenbrautschaft  und  liebesvereinigung  im 
grabe,  und  der  geschichtsphilosophischen  antithese:  antike  tages-  und  lichtweit, 
überwunden  durch  das  kreuz  des  todbesiegers  Christus,  des  Urbildes  der  grossen 
weltpalingenese.  6.  Die  hymnen  an  die  nacht  stellen,  von  dieser  ihrer  inneren  ent- 
stehungsgeschichte  aus  betrachtet,  ein  geistesgeschichtlich  höchst  bemerkenswertes 
denkmal  der  dichterisch  fruchtbaren  Verschmelzung  des  frühidealistisch-geniezeit- 
lichen und  des  hochidealistisch-romantischen  geistes  und  lebensgefühls  dar. 

Keu  seh  el -Dresden  stellte  sich  das  thema:  übe7-  rhythmisch -melodische  grund- 
gestalten des  lyrischen  Schaffens: 

Der  vortragende  wies  auf  die  bedeutung  der  festen  form  für  die  lyrik 
hin.  Der  von  Vertretern  neuester  dichtung  geforderte  verzieht  auf  feste  vers- 
und  Strophengebilde  würde  ästhetische  Verarmung  zur  folge  haben,  um  so  mehr, 
als  dadurch  erst  die  Verbindung  mit  dem  musikalischen  rhythmus  möglich  ist. 
Ist  dieser  doch  häufig  schon  bei  der  konzeption  mit  dem  dichtenden  wort  ver- 
bunden. Viele  dichter  haben  nicht  bloss  verschwommene  musikalische  Stimmungen 
bei  ihrem  schaffen,  oft  stehen  ganz  bestimmte  rhythmische  gebilde  vor  ihrer 
seele.  Alte,  vertraute  melodien,  die  seit  kindertagen  im  obre  klingen,  wirken 
mehr  oder  weniger  anbewusst  nach.  Das  gilt  besonders  von  einwirkungen  der 
Volks-  und  kirchenlieder.  —  Der  vortragende  suchte  dies  an  einer  reihe  von  bei- 
spielen  zu  erweisen.  Hebbels  'Proteus'  stimmt  im  rhythmus  vollkommen  mit 
Justinus  Kerners  'Wohlauf  noch  getrunken,  den  funkelnden  wein'  überein.  Diese 
einwirkung  geht  unbewusst  so  weit,  dass  sich  auch  sprachliche  anklänge  wieder- 
finden. Ähnlich  ist  der  anklang  von  Nietzsches  'Ecce  homo'  an  die  prinz-Eugen- 
strophe,  die  auch  bei  Freiligrath,  Fontane,  Mackay  nachhallt.  Storms  'Schliesse  mir 
die  äugen  beide'  klingt  an  Wolff- Webers  'Einsam  bin  ich  nicht  alleine'  an.  —  Be- 
deutsamer noch  sind  die  rhythmisch-melodischen  anregungen  des  protestantischen 
kirchenliedes,  die  sich  bis  in  die  neueste  zeit,  bis  etwa  zu  den  Schöpfungen  des 
arbeiterdichters  Karl  Bröger  verfolgen  lassen.  Sein  lied  'Die  sonne  geht  zur  ruhe' 
klingt  an  Claudius  'Der  mond  ist  aufgegangen'  an,  das  wieder  eine  nachbildung 
von  Gerhards  'Nun  ruhen  alle  wälder'  ist  und  auch  bei  Adolf  v.  Harless,  Otto  Julius 
Bierbaum,  Heinrich  Hart,  vielleicht  auch  bei  Christian  Morgenstern  nachschwingt. 
Oft  ist  die  grenze  zwischen  kontrafakt  und  unbewusster  nachgestaltung  schwer  zu 
ziehen.  —  Die  ausführungen  mündeten  dann  in  hinweise  auf  die  rhythmische  grund- 
gestalt  der  Goethischen  balladen  'Die  braut  von  Korinth'  und  'Der  gott  und  die 
baj ädere'  aus.  Für  die  letztere  hatte  schon  Reuschels  Vortrag  auf  der  Marburger 
Philologenversammlung  den  starken  Zusammenhang  mit  dem  Hede  'Eins  ist  not,  ach 
herr,  dies  eine'  zu  erweisen  gesucht.  Wenn  seitdem  von  Münchhausen  (Lit.  echo 
*22,  129  ff.)  und  Ermatinger  (Deutsche  lyrik  1,  210)  bedenken  gegen  die  äussere 
form  dieses  gedichtes  geäussert  wurden,  so  glaubt  der  vortr.  darin  nur  eine  be- 
stätigung  seiner  ansieht  über  die  einwirkung  eines  melodisch-rhythmischen  Vorbildes 
im  kirchengesang  sehen  zu  können.  In  der  'Braut  von  Korinth'  wirkt  Zinzendorfs 
lied  vom  'Seelenbräutigam'  nach,  nachdem  wieder  als  kontrafakt  ein  lied  von  Adam 
Drese  geschaffen  wurde  mit  dem  anfang:  'Seelenbräutigam,  Jesu  gotteslamm !',  mit 
dem  sich  die  Goethische  dichtung  an  einer  stelle  auch  wörtlich  berührt.  Anderer- 
seits gemahnen  die  fünffüssigen  trochäen  des  gedichtes  stellenweise  an  Schillers 
'Götter  Griechenlands',  das  auf  Goethe  bei  seiner  ersten  begegnung  mit  dem  jüngeren 
dichter  starken  eindruck   gemacht  hat.     So  kommt  der  vortragende  zu  der  schluss- 


252  JENENSER  PHILOLOGENVERSAMMLUNG    1921 

folgerung  über  die  entstehung  der  form  der  'Braut  von  Korinth' :  form  und  Inhalt 
werden  in  kaum  bewusstem  anklang  an  die  Götter  Griechenlands  gefunden,  vertraute 
töne  des  kirchenliedes  steigen  auf  und  damit  der  triumph  des  heidnischen  über  die 
neue  Christenlehre  auch  äusserlich  erkennbar  wird,  schliesst  jede  strophe  mit  dem 
'heidnischen  versmass',  dem  fünffüssigen  Jambus.  Herrnhutische  erinnerungen  lassen 
sich  auch  an  anderen  stellen  der  Goethischen  lyrik  nachweisen.  So  klingt  die 
moUmelodie  von  Georg  Neumarks  stellen  in  dem  liede  'Wer  nur  den  lieben  Gott 
lässt  walten'  in  Mignons  abschiedslied:  'So  lasst  mich  scheinen,  bis  ich  werde'  nach. 

Zum  schluss  nimmt  Castle- Wien  zu  einem  lichtbildervortrag  das  wort: 
Bildnisse  zur  deutschen  literaturgeschichte  aus  Lavaters  physiognomischem  kabinett 
in  der  k.  k.  familienßdeikonwiisbibliothek  in    Wien: 

Einleitend  führt  er  aus,  wie  die  physiognomik  Lavaters  mit  dem  suchen  nach 
bildlicher  wiedergäbe  der  heilandgestalt  zusammenhängt.  So  begann  er  in  den 
70er  Jahren  seine  Sammlung  von  bildern  anzulegen,  die  das  material  für  seine 
Publikation  abgaben.  Interessant  ist  auch,  wie  sein  augenmerk  auf  die  physiognomik 
gelenkt  wurde.  Den  ausgangspunkt  bilden  porträts,  die  er  selbst  zeichnete.  Dabei 
beobachtete  er  das  auftreten  verwandter  züge.  Darauf  begann  er  systematische 
Studien.  Zahlreiche  tafeln  mit  bänden,  iiasen,  obren  zeigen,  wie  er  der  besonderen 
eigenart  jeder  Individualität  auf  die  spur  zu  kommen  suchte.  Die  Voraussetzung 
zu  einer  systematischen  physiognomik  war  ja  ein  ungeheures  empirisches  material. 
Dazu  war  es  notwendig,  auch  bildnisse  zu  sammeln,  wobei  ihn  der  maier  Schmoll 
mit  Zeichnungen  unterstützte.  Aber  Lavater  war  nie  mit  den  malern,  noch  weniger 
mit  den  Individuen  zufrieden.  Sie  blieben  hinter  seiner  idee  der  menschheit  zurück. 
Allmählich  häuften  sich  die  bildermassen,  die  Lavater  mit  grossen  kosten  be- 
schaffte. Als  er  starb,  hinterliess  er  30000  gülden  schulden,  denen  als  aktiva  nur 
sein  physiognomisches  kabinett  gegenüberstand.  Dieses  wurde  für  25000  gülden 
von  dem  reichsgrafen  Moritz  von  Fries  erworben.  Dessen  söhn  erlebte  den  fall  des 
hauses.  Er  musste  konkurs  anmelden.  So  kam  Lavaters  Sammlung  in  die  konkurs- 
masse  und  wurde  in  26  stücke  zerlegt.  Als  käufer  fand  sich  dann  kaiser  Franz, 
der  sie  der  fideikommisbibliotkek  zuwies,  wo  sie  seit  1828  wieder  vereinigt  ist.  Ihr 
umfang  beträgt  20000  blätter.  —  Der  vortr.  zeigt  sodann  eine  grosse  reihe,  mit 
liebe  ausgewählter,  dem  philologen  und  literaturfreund  gleich  wertvoller  bilder, 
deren  eindruck  durch  Lavaters  erläuternden  text  wesentlich  verstärkt  wird. 

Die  angesetzte  zeit  war  bereits  überschritten,  als  V.  Michels-Jena  die  so 
anregende,  arbeitsreiche  und  ungewöhnlich  stark  besuchte  tagung  schliessen  konnte. 
Siebs-Breslau  fand  ungeteilten  beifall,  als  er  im  namen  der  teilnehmer  dem  rüh- 
rigen vorstand  dankte. 

Es  ist  im  rahmen  dieses  berichtes  nicht  möglich,  aus  der  arbeit  der  anderen 
Sektionen  das  herauszuziehen,  was  für  den  germanisten  besondere  bedeutung  hatte. 
Nur   eines   Vortrages   sei  gedacht,   der   ganz   der   germanischen   philologie  gehörte. 

Am  vormittag  des  28.  sept.  sprach  in  einer  allgemeinen  sitzung  A.  Heusl er- 
Basel über  die  balladendichtung  des  Spätmittelalters,  namentlich  im  skandinavischen 
Norden.     Er  kam  zu  folgendem  ergebnis : 

Die  kunstform  der  ballade,  des  epischen  reigenliedes,  liegt  im  Norden  alter- 
tümlicher vor  als  in  England.  Eine  neuschöpfung  des  Spätmittelalters,  hebt  sie 
sich  von  den  früheren  gattungen,  auch  dem  spielmännischen  heldengedicht,  scharf 
ab,  und  man  täte  gut,  den  namen  ballade  nicht  für  beliebige  ältere  lieder  zu  ver- 
schwenden.    Sie   stellt  sich   zu   den   eigentlich   mittelalterlichen  dichtarten  als  die 


SCHWIETERING   ÜBER  MANSIKKA,   RUSSISCHE   ZAUBERFORMELN  253 

grosse  erbin;  das  von  jenen  erarbeitete  münzt  sie  aus  zu  reigentexten,  libretti. 
Daher  wirkt  ihre  Zeichnung  vielfach  wie  eine  travestie,  ähnlich  dem  märchen.  Das 
unbestimmte  kostiim,  der  lockere  aufbau,  die  formein  und  das  zersingen  kenn- 
zeichnen diese  unzünftige  dich tung.  —  Die  entstehungs frage  spitzt  sich  darauf 
zu:  Bezog  die  nordische  bailade  aus  P^ankreich  das  fertige  modeil  oder  nur 
die  einzelnen  bausteine?  Der  vortragende  tritt  für  das  zweite  ein.  Schon  vor  der 
epischen  ballade  herrscht  weithin  die  kunstlosere  kleinlyrik  zum  reigen  {carole); 
sie  hat  jene  bausteine,  u.  a.  die  kehrreime,  in  den  Norden  gebracht.  Die  metrische 
ähnlichkeit  der  folkevise  mit  der  deutschen  frühlyrik  wird  darauf  beruhen,  dass 
eine  der  dänischen  Vorstufen  der  ballade,  entweder  das  erzählende  gedieht  oder 
•die   lyrischen   tanzvierzeikr,   von    dem   versbau   der   deutschen   spielleute    abhieng. 

BORCHERDT.    NEUMANN. 


LITEKATUß. 


y.  S.  Mansikka,  Über  russische  Zauberformeln  mit  b  erücksichtigung 
der  blut-  und  verrenkungssegen.  Akademische  abhandlung.  Helsing- 
fors  1909.  XVni,  311  s.  u.  rg. 
Keidar  Th.  Christiansen,  Die  finnischen  und  nordischen  Varianten 
des  zweiten  Merseburger  Spruches.  Eine  vergleichende  Studie.  F(olk- 
lore)  F(ellows)  Communications  nr.  18.  Hamina  1914  (auf  dem  Umschlag  1915). 
VI,  218  s. 

Mansikka  gibt  uns  keine  formelsammlung  oder  -Zusammenstellung  mit 
mehr  oder  minder  kommentierendem  text,  sondern  eine  geschichtlich  tief  schürfende 
Untersuchung  russischer  Zauberformeln  mit  besonderer  berücksichtigung  einzelner 
geschlossener  gruppen  und  wichtiger  einzelmotive.  Zunächst  behandelt  er  die  ge- 
meinslavischen,  vom  Süden  ausgehenden  formein  und  dann  das  vielfach  unter 
westlich-germanischem  einfluss  stehende  russische  Sondereigentum.  Die  epischen 
motive  gemeinslavischer  formein  führen  nirgends  auf  heidnisch-mythologische  Vor- 
stellungen, sondern  ausnahmslos  auf  christliche  anschauungen,  die  den  zur  byzan- 
tinischen kirche  gehörenden  slavischen  Völkern  gemeinsam  und  oft  über  ganz  Europa 
verbreitet  sind.  Nur  die  sogenannte  parallelismusformel  spiegelt  in  einigen  fällen 
den  ursprünglich  sie  begleitenden  zauberakt  wider,  oft  jedoch  vermengt  mit  christ- 
lichen elementen.  Damit  im  einklang  steht  die  äussere  geschichte  der  formel,  die 
uns,  wie  wir  es  für  das  deutsche  mittelalter,  vor  allem  seit  Schönbach  wissen, 
immer  wieder  die  niedere  geistlichkeit  als  Verfasser  und  Verbreiter  der  Zauberformel 
zeigt,  wofür  im  nördlichen  Russland  vor  allem  die  konservative  sekte  der  alt- 
gläubigen zahlreiche  beispiele  bietet. 

In  der  geistlichen  literatur  kanonischer  oder  apokrypher  art  liegen  also  die 
quellen,  von  denen  eine  geschichte  der  russischen  Zauberformel  ihren  ausgang 
nehmen  muss.  Dass  es  überhaupt  eine  geschichte  der  Zauberformel  gibt,  scheint 
selbst  denjenigen,  die  volkskundlicher  forschung  nicht  fern  zu  stehen  behaupten, 
immer  noch  hervorgehoben  werden  zu  müssen.  M.  tut  daher  recht  daran,  dass  er 
mit   wiederholtem   nachdruck   darauf  hinweist.     Gestützt   auf  ein  reiches  material, 


254  SCHWIETERINO 

das  dem  der  slavischen  sprachen  unkundigen  unerreichbar  war,  zeigt  er  auf  grund 
der  geographischen  Verbreitung  einer  formel  ihre  allmähliche  Wandlung  nicht  des^ 
epischen  Spruches  allein,  sondern  auch  der  parallelismusformeln  und  eigentlichen 
beschwörungen.  Der  üblichen  anschauung  vom  stereotypen  und  starr  unbeweglichen 
werden  geschichtlich  bezeugte  entwicklungsreihen  mit  möglichkeiten  zu  immer 
neuen  Variationen  entgegengehalten.  Besonders  wandlungsfähig  erweisen  sich  die 
gegen  verschiedene  und  unbestimmte  krankheiten  gerichteten  formein,  die  bei  räum- 
licher Verbreitung  und  zeitlicher  Überlieferung  ihr  anwendungsgebiet  bald  verengen^ 
bald  erweitern.  Ändert  sich  aber  der  heilzweck  einer  formel,  so  wird  ihr  Wortlaut 
eben  diesem  neuen  zweck  unter  Verschiebung  der  akzente  mehr  und  mehr  auge- 
passt.  Unverstandene  christliche  Symbole,  die  von  vornherein  mit  geschichtlich 
erzählenden  dementen  gemengt  sein  können,  verblassen  oder  werden  buchstäblich 
aufgefasst  bis  zu  sinnloser  entstellung,  so  dass  sich  frühere  forscher  versuchen 
Hessen,  in  diesen  zerrütteten  konglomeraten  ursprungliche  mythologische  anschau- 
ungen  zu  wittern.  Wurde  dann  die  formel  auch  mündlich  überliefert,  so  war  den 
kühnsten  kombinationen  blühendster  phantasie  tür  und  tor  geöffnet;  von  offenbaren 
Irrtümern  und  Unsicherheiten  des  gedächtnisses  abgesehen  spielen  dabei  volks- 
etymologische Umbildungen  und  Verwechslungen  infolge  lautlicher  Verwandtschaft 
eine  bedeutende  rolle.  Die  wichtigste  Ursache  für  die  Wandlung  einer  Zauberformel 
besteht  aber  in  der  anpassung  an  den  veränderten  heilzweck  oder  wie 
es  von  Eoethe,  Sitzungsber.  d.  Berl.  akad.  1915  s.  279  formuliert  wurde:  'Der 
epische  Vorgang  ist  im  gründe  nichts  als  eine  erhöhte  nachbildung  des  Vorgangs, 
der  die  anwendung  des  zaubers  veranlasst  hat  oder  den  Zauberspruch  erzeugen  soll.' 
Und  wenn  Mansikka  die  sich  selbst  gestellte  aufgäbe  'die  literarischen  quellen  eines 
gegebenen  spruchmotivs  oder  -typus  ausfindig  zu  machen  und  andererseits  den 
zerfallsprozess  zu  zeigen'  im  grossen  und  ganzen  vorbildlich  löste,  so  hat  er  doch 
der  unter  dem  prinzip  ,der  angleichuug  von  formel  und  heilzweck  schaffenden 
phantasie  zu  wenig  räum  gegeben  in  dem  verständlichen  Übereifer,  alle  einzelheiten 
unmittelbar  auf  christliche  ideenkreise  zurückzuleiten. 

Die  sorgfältige  analyse  einer  einzigen  formel  bietet  die  arbeit  Christiansens, 
die  dem  .weitverzweigten  mit  dem  Merseburger  sprach  verwandten  verrenkungs- 
segen  in  all  seinen  Verästelungen  nachgeht.  Der  spruch  hat  sich  von  Deutschland 
über  die  nordischen  länder  und  Finnland  bis  nach  Estland  verbreitet,  woselbst  er 
mit  den  ostwärts  gedrungenen  formen  desselben  deutschen  segens  zusammentraf. 
Je  nachdem  es  eines  menschen  oder  eines  pferdes  Verletzung  zu  heilen  gilt,  wechselt 
die  vorbildlich  gewählte  epische  einleitung.  Beide  fassungen  wurden  dem  Norden 
überliefert  und  verbreiten  sich  dann  über  Schweden  nach  Finnland.  Im  Verhältnis 
zur  ostfinnischen  formel,  die  durch  freie  zusätze  oder  entlehnungen  aus  andern 
liedem  reich   variiert,  bewahrt  die  westflnnische  form  ein  ursprünglicheres  gepräge. 

Diejenige  formel,  die  der  Norden  im  späten  mittelalter  von  Deutschland 
empfing,  wurzelt  durchaus  in  christlichen  anschauungen,  die  auch  für  deutsche 
Varianten  des  Spruches  bezeugt  sind:  anknüpfend  au  den  einzug  in  Jerusalem  ist 
ein  dem  zu  besprechenden  leiden  paralleler  Unfall  Christi  oder  seiner  begleiter  er- 
sonnen. Trotz  dieser  für  die  nordeuropäische  formel  zweifellos  christlichen  grund- 
lage  finden  wir  in  drei  schwedischen  Varianten  des  Spruches  Odin  oder  Freya  (s.  53) ; 
der  finnische  Ukko  in  je  einer  Variante  aus  Südkarelien  und  Mittelingermanland 
(s.  121  und  151)  ist  appellativisch  als  greis  zu  fassen  und  bei  dem  estnischen  un- 
volkstümlichen   Taara  (s.  176)  —  <  Tar  <  Tor  =  Thor  —  handelt  es    sich  lediglich 


ÜBER   CHRISTIANSEN,   ZWEITER   MERSEBURGER   SPRUCH  255 

um  eine  literarische  reminiszenz '.  Um  das  eindringen  der  nordischen  götter  zu 
erklären,  werden  die  sonstigen  schwedischen  formein  mit  heidnischen  götternamen 
herangezogen  (s.  54  ff.),  unter  denen  Tor  allem  eine  formel  wider  geschwüre  au& 
der  handschriftlichen  Sammlung  Eääf:  All  tin  sveda  och  värk  döfrar  tu  i  tre  namnr 
Oden,  Thore,  Fregge"^  keinen  zweifei  lässt,  dass  es  sich  um  heidnische  Substitution 
und  zwar  hier  der  christlichen  dreieinigkeit  handelt.  Lässt  sich  aber  die  ver- 
tauschung heidnischer  mit  ursprünglich  christlichen  namen  in 
Zauberformeln  wirklich  erweisen,  so  haben  wir  uns  mit  dieser  tatsache  abzufinden, 
auch  dann,  wenn  wir  vorerst  noch  nicht  in  der  läge  sein  sollten,  diesen  Vorgang 
allseitig  psychologisch  zu  ergründen,  und  dürfen  daher  auch  bei  dem  zweiten 
Merseburger  spruch  die  möglichkeit  einer  solchen  vertauschung  nicht  von  der  band 
weisen.  Auch  hier  sind  die  namen  das  einzig  heidnische:  'losgerissene  namen,  von 
deren  eigentlichen  trägem  der  spruch  nichts  zu  erzählen  hat'.  Mit  S.  Bugge  wird 
Phol  und  Balder  als  Paulus  und  herr  interpretiert,  Wodan  und  Frija  mit  K.  Krohn 
als  Substitute  für  Christus  und  Maria;  die  personifizierten  himmelslichter  im  geleit 
der  Jungfrau  finden  ihre  ungezwungenste  erklärung  in  der  christlichen  Symbolik, 
deren  bedeutung  für  die  Zauberformel  von  Mansikka  eingehend  erörtert  wurde. 

Die  frage,  ob  sich  der  zweite  Merseburger  spruch  auf  heidnische  oder  christ- 
liche Vorstellungen  gründet,  gipfelt  in  dem  rein  literarhistorischen  problem,  ob 
Zauberformeln  mit  epischer  einleitung  ohne  christlich-orientalischen  einfluss,  vor 
allem  ohne  das  vorbild  christlicher  gebetsliteratur,  möglich  sind.  Muss  aber  diese 
frage  auch  auf  grund  allgemeiner  erwägungen  (Hälsig,  Der  Zauberspruch  bei  deu 
Germanen  s.  14  ff.)  verneint  werden,  so  wird  der  Vorwurf  Steinmeyers  (Kl.  ahd. 
sprachdenkm.  s.  368),  dass  hier  säfhtliche  Schwierigkeiten  durch  ein  einziges 
allheilmittel  beseitigt  werden  sollen,  völlig  unverständlich.  Vielmehr  hatte  ich 
guten  grund  (Zfda.  55,  148  ff.)  auch  den  ersten  Merseburger  spruch  auf  seine  christ- 
lichen bestandteile  zu  untersuchen.  Allerdings  erweckt  v.  d.  Leyens  eutgegnung 
in  den  Bayerischen  heften  für  Volkskunde  I  270  ff.  von  meiner  beweisführung  und 
ihrem  resultat  eine  völlig  falsche  Vorstellung.  So  wird  mir  die  behauptung  unter- 
legt, 'dass  schon  die  gotischen  Christen  im  6.  Jahrhundert  den  gelehrten  und  kirch- 
lichen spruch  ihren  laienhaften  Vorstellungen  anpassten,  und  dass  er  sich  im  laufe 
der  zeit  immer  stärker  verändert  habe:  er  sei  ein  sehr  interessantes  dokument  von 
der  volkstümlichen  Umbildung  der  arianisch-christlichen  bildung  bei  unsern  vor- 
fahren'. Dabei  habe  ich  am  schluss  meines  aufsatzes  lediglich  im  hinblick  auf 
Mansikkas  buch,-  das  es  in  gewisser  richtung  zu  modifizieren  galt,  gesagt,  dass 
Zaubersprüche  mit  epischer  einleitung  legendenmotive  enthalten  könnten,  die  in 
die  zeit  des  arianischen  Christentums  hineinreichen,  ohne  den  Merseburger  spruch 
irgendwie  als  beispiel  heranzuziehen.  Wenn  ich  auch  der  möglichkeit  einer  Vor- 
geschichte unseres  Spruches  dauernd  rechnung  tragen  musste,  so  liegt  es  mir  doch 
fem  zu  behaupten,  dass  die  formel  als  ganzes,  wie  sie  uns  vorliegt,  tatsächlich  auf 
eine  längere  entwicklung  zurücksieht;  wiederholt  habe  ich  betont,  dass  wir  'nicht 
wissen,  wie  nahe  unsere   fassung  der  ursprünglichen  form  des  Spruches  steht'.     Da 

1)  Nach  briefl.  mitt.  von  K.  Krohn,  dem  ich  auch  den  Wortlaut  der  folgenden 
schwedischen  formel  verdanke. 

2)  Vgl.  Bang  nr.  40 :  Tag  det  sorte  paa  det  blaa, 

tag  det  blaa  paa  hvide, 

tag  det  hvide  paa  en  jordfast  Sten. 

I  Navnet  Thor,  Odin  og  Frigga. 


256  SCHWIETERING 

nun,  soweit  ich  mich  nachträglich  überzeugen  konnte,  kein  anderer  leser  meinen 
Zeilen  etwas  ähnliches  entnommen  hat,  rauss  ich  die  Verantwortung  für  dies  gröb- 
liche missverständnis  mit  entschiedenheit  zurückweisen. 

Mir  war  daran  gelegen,  diejenigen  anschauungen  klarzulegen,  aus  denea  ein 
geistlicher  vielleicht  der  Karolinger-  oder  gar  erst  der  Ottonenzeit  —  der  Stabreim 
«iner  volkstümlichen  dichtung  spricht  nicht  gegen  das  10.  Jahrhundert  —  einen 
Marcellusspruch  zur  löseformel  eines  gefangenen  umschuf.  Warum  der  geistliche 
verfasset  den  Marcellusspruch  zum  ausgangspunkt  nahm,  um  dann  die  tres  virgines 
mit  biblisch-legendärem  leben  zu  erfüllen,  immer  im  hinblick  auf  den  zweck  der 
formel,  dem  auch  die  zeile  suma  heri  lezidun  ihre  entstehung  zu  danken  hat,  habe 
jich  mich  im  einzelnen  zu  zeigen  bemüht.  Der  uns  immer  wieder  entgegentretenden 
angleichung  mehr  oder  minder  fertig  übernommener  legenden  an  den  gewünschten 
heilvorgang  will  ich  nicht  nochmals  das  wort  reden.  Und  wenn  v.  d.  L.  auch  nichts 
von  der  grossen,  psychologisch  leicht  verständlichen  mannigfaltigkeit  im  gebrauch 
einer  formel  und  der  dadurch  bedingten  anziehungskraft  für  andere  formelkreise 
weiss,  so  ist  diese  Unkenntnis  ganz  besonders  bedauerlich,  wenn  man  sich  das  recht 
anmasst,  über  diese  dinge  mitzuurteilen.  Ich  will  nur  an  den  Jordansegen  erinnern, 
der  nicht  nur  blut,  sondern  auch  feuer  und  feinde  zum  stehen  bringen  soll  *  und 
verweise  hier  vor  allem  auf  Mansikka,  der  dieselbe  formel  gegen  krampf  und 
harnzwang  (s.  71),  gegen  Zahnschmerz,  beschreien,  gebärniutterleiden,  vieh-  und 
pferdekrankheiteu  (s.  87)  oder  gegen  blutung,  zahnweh.  gliederreissen  und  all- 
gemeines Unwohlsein  (s.  260)  angewandt  und  dementsprechend  variiert  findet-,  aber 
auch  auf  Ebermann  a.  a.  o.  s.  31,  391,  80,  108;  Hälsig  a.  a.  o.  s.  77,  84  und  andere 
mehr.  Die  ansieht,  dass  eine  formel  als  ganzes  kaum  einer  Wandlung  unterliege, 
d.  h.  auch  nicht  die  epische  einleitung,  auf  die  es  ja  hier  in  erster  linie  ankommt, 
und  dass  man  von  der  unveränderlichkeit  einer  formel  geradezu  ihre  heilkraft  ab- 
hängig glaubte,  hat  sich  eben  durch  neuere  forschungen  als  durchaus  img  erwiesen  *. 
Und  ich  betrachte  es  als  wesentliche  eigenschaft  meines  aufsatzes,  dass  er  auf  der 
unbedingten  Voraussetzung  der  ständigen  Wandlungsfähigkeit  eines  Spruches  auf- 
gebaut ist.  Auf  die  behauptung  v.  d.  L.s,  in  der  zeit  mündlicher  Überlieferung  sei 
«ine  formel  geringeren  entstellungen  und  missverständnissen  ausgesetzt  als  nach 
ihrer  schriftlichen  aufzeichnung  brauche  ich  wohl  nicht  ernsthaft  einzugehen. 
Mansikka  (s.  123  f.)  urteilt  auch  hier  nicht  aus  theoretischen  erwägungen,  sondern 
aus  lebendiger  erfahrung:  'Wenn  der  zauberer  des  lesens  kundig  ist,  bleibt  noch 
die  hoffnung,  dass  die  Vorstellungen  ihren  ursprünglichen  rahmen  nicht  verlassen, 
denn  er  hat  immer  gelegenheit  zur  auffrischung  seiner  erinnerung  einen  blick  ins 
zauberbuch  zu  tun.  Anders  verhält  es  sich,  wenn  der  anwender  der  formein  un- 
gebildet ist  .  .  .  Ein  einmal  gehörter,  im  unsicheren  gedächtnis  bewahrter  spruch 
läuft  immer  gefahr,  von  dem  ursprünglichen  Zusammenhang  abzuweichen  und  sich 
in  puren  unsinn  zu  verwandein.' 

Der  Ursprung  und  die  entwicklung  unseres  Spruches  zeigt  nun  grosse  ähnlich- 
keit  mit  der  geschichte  anderer  formein  des  mittelalters,  obwohl  v.  d.  L.  auch  hier 
das  gegenteil  behauptet.  Ganz  allgemein  sagt  Ad.  Franz  in  seinem  klassischen  werk: 
Die  kirchlichen   benediktionen   im   mittelalter  (II  s.  430):   'Die  antike  literatur  hat 

1)  Ebennann,  Blut-  und  wundsegen  s.  34. 

2)  Vgl.  auch  s.  53,  93,  267  u.  s.  w. 

3)  8.  z.  b.  Mansikka  a.  a.  o.  s.  101,  124  usw. 


ÜBER   CHRISTIANSEN,   ZWEITER   MERSEBURGER   SPRUCH  257 

für  diese  besprechimgcn  in  vielen  fällen  die  grundform  geboten,  -welche  später  unter 
Verwendung  christlicher  gedanken  und  worte  eine  weitere  entfaltung  erfuhr.'  Kurz 
vorher  (s.  -127)  ist  unter  berufung  auf  Jak.  Grimm  von  der  bedeutung  des  Marcellus 
für  das  christliche  abeudland  die  rede  gewesen.  Und  Hälsig  sagt  am  schluss  seiner 
dui'chmusterung  verschiedener  formelgruppen  (a.  a.  o.  s.  106):  'Der  schon  oft  — 
d.  h,  in  den  vorausgehenden  abschnitten  seines  buches  —  erwähnte  Marcellus  liefert 
auch  hier  einige  beispiele,  die  womöglich  der  ausgangspunkt  für  spätere  fassungen 
geworden  sind.'  Aber  das  alles  habe  ich  in  meiner  arbeit  ausführlich  auseinander- 
gesetzt, so  dass  mir  v.  d.  L.s  behauptung,  eine  derartige  entwicklungsgeschichte, 
wie  ich  sie  zeichne,  stände  ohne  parallele,  mehr  als  seltsam  erscheinen  muss.  Auf 
dieser  grundlage  und  in  dem  bewusstsein  der  überragenden  rolle  von  Christi  leiden 
und  opfertod  und  den  drei  Marien  in  der  gesamten  christlichen  zauberliteratur  habe 
ich  dann  die  unserm  spruch  zugrunde  liegenden  anschauungen  aus  den  dem  mittel- 
alter  bekanntesten  patristischen  Schriften  nachgewiesen.  Die  belege  Hessen  sich  ins 
unermessliche  häufen,  ich  wollte  nur  beispiele  geben.  Dieselbe  phantasierichtung 
und  dieselbe  symbolische  gedankenweit,  die  den  schon  früh  bezeugten  karfreitags- 
ritus  der  adoratio  crucis  und  die  aus  altchristlicher  zeit  überlieferte  —  v.  d.  L. 
ebenfalls  unbekannte  —  bildliche  darstellung  der  drei  Marien  am  ostergrabe  um- 
schwebt, offenbart  sich  auch  in  der  ersten  dramatischen  handlung  der  liturgischen 
osterfeier.  Da  die  anfange  des  osterspiels  einer  wenig  späteren  zeit  als  unser 
Spruch  angehören,  wie  ich  keineswegs  verschwieg*,  so  habe  ich  die  symbolische 
handlung  der  Marienpriester  nur  zur  erhellung  und  deutung  älterer  brauche  und 
bilder  herangezogen,  nicht  aber  als  unmittelbares  glied  meiner  beweiskette,  die  ich. 
auch  ohne  diese  zutat  für  geschlossen  erachte,  eingereiht. 

Wenn  es  nun  im  wesen  einer  wissenschaftlichen  analyse  begründet  liegt, 
organisch  verbundene  elemente  zu  scheiden  und  gesondert  auszubreiten,  so  hätte 
ich  trotzdem  für  v.  d.  L.  noch  besonders  hinzufügen  sollen,  dass  diese  zur  bildung- 
eines  geistlichen  gehörenden  einzelbestandteile  im  hirn  dieses  manues  friedlich 
beisammen  wohnen,  dass  ich  also  keineswegs  eine  fülle  von  geistlichen  und  un- 
geistlichen Verfassern  aneinander  zu  reihen  brauche,  bis  ein  Sprüchlein  von  vier 
langzeilen  zusammengeschmiedet  ist.  Und  weil  ich  alle  diese  einzelnen  zur  erklärung 
angeführten  anschauungen  in  der  heimischen  geistlichen  bildungssphäre  jener  zeit 
vereint  finde,  darum  halte  ich  meine  arbeitsweise  für  nicht  unmethodischer  als  wenn 
ich  meine  Zuflucht  nähme  zu  sogenannten^  nordischen  parallelen,  denen  der  durch 
endlose  Wanderungen  zerstampfte  heimatboden  entwurzelter  deutscher  stamme  schon 
seit  Jahrhunderten  keine  nährkraft  mehr  bot.  Auf  den  positiven  teil  der  abhand- 
lung  V.  d.  L.s,  der  die  bisherigen,  sattsam  bekannten  erklärungsversuche  in  allzu 
weitschweifiger  und  darum  im  einzelnen  anfechtbarerer  form  wiedergibt,  näher  ein- 
zugehen erübrigt  sich,  wenn  auch  die  das  summen  und  sitzen  der  idisi  klangmalenden 
s-laute  (s.  276)  eigentlich  dazu  herausfordern. 

V.  d.  L.  gab  mir  keinen  anlass,  die  Verschiedenheit  unserer  ansichten  auf 
den  weiteren  kampfplatz  der  meinungen  über  Ursprung  und  werden  volkstümlicher 
dichtung  hinauszutragen,   und  ich  selbst  bin  dankbar  der  gefahr  ausgewichen,  über 

1)  Vorsichtig  genug  spreche  ich  s.  153  von  'symbolischen  kuithandlungen, 
wie  wir  sie  zur  zeit  der  aufzeichnung  unseres  Spruches  zum  erstenmal  mit  dem 
dialogisierten  teil  der  osterliturgie  verbunden  sehen'. 

2:  Eine  Verwandtschaft  von  aisl.  dls  und  wgerm.  idis  bestreitet  jetzt  auch. 
H.  Güntert,  Kalypso  S.  245. 


*258  REUSCHEL 

allgemeineren  fragestellungen  unsere  besondere  aufgäbe  aus  den  äugen  zu  verlieren. 
Im  streit  um  das  wesen  der  volkspoesie,  der  letzten  endes  im  gegensatz  zweier 
Weltanschauungen  begründet  liegt,  wird  die  romantische  richtung  immer  weiter 
unterliegen,  je  ausschliesslicher  sie  von  altüberlieferten  verurteilen  befangen  den 
blick  selbstschöpferisch  auf  ein  vorgefasstes  ganzes  richtet,  unbekümmert  um  die 
tatsächlichen  resultate  einer  vom  einzelfall  ausgehenden  kleinarbeit  und  wenig  be- 
helligt durch  diejenige  philologische  Wissenschaft,  die  wie  keine  andere  berufen  ist, 
die  fädeu,  die  unsere  kultur  mit  der  christlichen  antike  unauflöslich  verbunden 
halten,  unserm  äuge  immer  sichtbarer  zu  entwirren. 

HAMBURG.  J.    SCHWIETKRING. 


Tristan  and  Isolt,  Astudy  ofthe  sources  ofthe  romance.  ByGertrude 
Schoepperle.  Frankfurt  a.  Main.  Joseph  Baer  &  co.  London.  David  Nutt. 
1913.  2  bde.  XV,  266  ss.  und  s.  267-590  (NewYork  University.  Ottendorfer 
memorial  serviea  of  Germanic  monographs  No  3.  4). 
Die  Verfasserin  dieses  mit  grossem  fleisse,  zuweilen  anerkennenswertem 
Scharfsinn,  leider  aber  nicht  immer  genügender  ausnutzung  der  neueren  deutschen 
literatur  über  den  gegenständ  mit  alexandrinischer  gelehrsamkeit  ausgearbeiteten 
Werkes  will  den  nachweis  erbringen,  dass  Bedier  im  rechte  ist,  wenn  er  als  quelle 
der  mittelalterlichen  Tristanerzählungen  ein  biographisch  gehaltenes  epos  annimmt. 
Sie  weicht  von  Bedier  ab,  indem  sie  den  Urtristan  als  ein  keineswegs,  wie  der 
französische  forscher  und  nach  ihm  Golther  vermuten,  besonders  glanzvolles  stück 
epischer  kunst  betrachtet  und  einen  kräftigen  einsehlag  volkstümlicher  Überlieferung 
<iarin  zu  finden  glaubt.  Beroul-Eilhart,  Thomas  und  auch  die  Folie  Tristan  der 
Berner  hs.  gehen  zurück  auf  eine  gemeinsame  quelle,  die  estoire,  auf  die  Beroul 
anspielt.  Den  besten  begriff  von  der  beschaffenheit  dieser  'estoire'  gibt  Eilhart. 
Dass  sie  den  ausgangspunkt  für  sämtliche  Tristanbehandlungen  des  mittelalters 
gebildet  habe  (dies  ist  Bediers  ansieht),  ist  zu  bestreiten,  denn  weder  die  fortsetzung 
Berouls  noch  der  prosaroman  führen  notwendig  auf  sie  zurück.  Nun  hat  Bedier  be- 
hauptet, Eilhart  wie  Beroul  stützten  sich  auf  eine  von  der  erschliessbaren  abweichende 
fassung  y.  Bedeutsam  war  für  ihn,  dass  Thomas  anders  als  Eilhart-Beroul  kein 
abschwächen  der  Wirkung  des  liebestrankes  kennt  und  die  folge  der  waldszene, 
die  rückkehr  zu  Marke  verschieden  von  ihnen  begründet.  Thomas  muss,  seinen 
anschauungen  über  höfische  minne  gemäss,  das  ihm  vorliegende  umgestaltet  haben. 
Bediers  y  ist  demnach  überflüssig.  Auch  im  verzieht  auf  die  geschichte  mit  dem 
frauenhaar,  eine  alte  volkserzählung,  offenbart  sich  Thomas  als  neuerer.  Tristan 
und  Isolde  begegnen  sich  zum  ersten  male,  als  der  held  für  seinen  oheim  wirbt. 
Eilhart,  der  Tristans  heilung  ohne  Isoltes  persönliche  gegenwart  berichtet,  benutzt 
die  Überlieferung  zweckmässig,  Thomas,  der  Isolde  bei  der  Werbung  wiedererkennen 
lässt,  konnte  sie  nicht  brauchen.  Auch  die  doppelte  namengebung  (Pro  und  Tantris) 
erscheint  gegenüber  Thomas  als  das  ursprüngliche.  Mit  Keleminas  Untersuchungen 
zur  Tristansage  (Teutonia  16)  hat  sich  Gertrude  Schoepperle  in  diesen  wichtigen 
fällen  nicht  auseinandergesetzt.  Immer  wieder  betont  sie,  Eilharrs  fassung  vertrete 
für  uns  die  'estoire'.  So  umschreibt  sie  auf  nicht  weniger  als  55  selten  den  Inhalt 
von  Eilharts  Tristrant  und  Isalde,  wobei  es  nicht  an  ungenauigkeiten  fehlt,  z.  b. 
8.  15 :  Mortally  tvounded,  the  Irish  champion  fled  to  his  boat,  pursued  by  the  taunts 
of  Tristan  (vgl.  908  ff.),  s.  15:    The  Irish  king  commanded  that  all  persons  landing 


ÜBER   SCHOEPPERLE,   TRISTAN   AND    ISOLT  259 

in  Ireland  front  Cornish  ships  should  he  hanged  without  mercy  (vgl.  991  f.,  1006  ff.)? 
«.  16:  He  (Pro)  tcas  put  in  charge  of  a  ship  (dagegen  1264  f.  dö  Mz  he  bereitin 
Mle,  so  tele  als  he  ir  tvol  hedorfie)^  ebenfalls  s.  16:  If  he  did  not  return,  Gorvenal 
ivas  to  he  the  heir  of  his  realm,  wo  die  wichtige  Zeitbestimmung  'within  a  year' 
vermisst  wird,  s.  19 :  The  seneschal  concluded  that  the  knight  he  had  met  had 
been  ^walloived  hy  the  dragon,  was  sich  nicht  mit  Sicherheit  aus  v.  1694  ff.  er- 
schliessen  lässt ;  s.  26  steht  zu  lesen :  They  made  slanderous  verses  and  recited  them 
to  the  king  für  das  mhd.  (v.  3226  f.) :  sie  erhühin  ein  gedichte  und  sagetin  ez  dem 
koninge.  Irrig  werden  die  verse  5695  f.  he  imtste  schöner  wtp  wen  sie.  vor  war  mag 
ich  daz  sagin  hie  wiedergegeben  (s.  40)  mit :  He  did  not  say  that  he  knew  a  fairer 
woman.  So  much  maij  I  teil  here.  Reinstes  phantasiegebilde  ist  noch  der  satz 
s.  40  f. :  The  rehel  vassal  was  forced  to  siibmit,  and  to  agree  to  restore  to  Howel  all 
his  land  and  to  mähe  good  all  his  losses.  Überflüssigerweise  bedient  sich  Schöpperle 
in  ihrer  nacherzählung  nicht  der  Eilhartschen  namensformen.  Zu  den  datierungen 
Bediers  stellt  sie  sich  ablehnend.  Geistvoll  benutzt  sie,  um  das  alter  der  estoire 
zu  ermitteln,  die  am  wenigsten  einfachen,  d.  h.  die  auf  höfischen  kulturanschau- 
ungen  beruhenden  bestandteile  der  geschichte.  Die  ereignisse  des  zweiten  teiles, 
von  der  rückkehr  der  liebenden  aus  dem  walde  ab,  müssen,  wie  sie  s.  121  ff.  ein- 
leuchtend ausführt,  unter  dem  einflusse  der  höfischen  literatur,  die  zur  zeit  Eleonores 
von  Poitou  aufkam,  dichterisch  gestaltet  worden  sein.  So  zeigt  sie  die  einwirkung 
der  pastourelle  auf  die  szene  zwischen  Kehenis  und  Gymele  6672  ff.,  der  Chanson 
de  mal  mariee  auf  Kehenis  und  sein  Verhältnis  zu  Gariöle,  der  Chanson  ä  person- 
nages  auf  die  reue  Isaldes  über  ihre  grausamkeit  gegen  Tristrant,  die  bedeutsame 
rolle,  die  dem  'dorch  Isalden  willen'  zukommt,  die  sichere  bekanntschaft  der  Zu- 
hörer mit  der  hofgesellschaft  des  königs  Artus  und  behandelt  verständig  die  um- 
biegung  älterer  erzählungszüge  durch  den  dichter,  nur  dass  manches  nicht  unmittelbar 
zur  Sache  gehörige  dabei  herangezogen  wird.  Grossen  wert  misst  die  Verfasserin 
dem  zunächst  unterbleibenden  eheverkehr  Tristrants  mit  der  zweiten  Isalde  bei. 
Dass  Tristrant  aus  liebe  zu  der  frau  eines  andern  mit  der  gemahlin  keusch  lebt, 
ist  ein  romantischer  Idealismus,  der  erst  in  einer  geseUschaft,  für  die  Cliges  und 
La  Charrette  geschrieben  waren,  für  uns  denkbar  erscheint  (s.  177),  Gleich  Gierach 
nimmt  Gertrude  Schoepperle  die  jähre  etwa  von  1185—1189  als  entstehungszeit  der 
dichtung  Eilharts  an.  Nicht  viel  früher  dürfte  auch  die  'estoire'  anzusetzen  sein. 
Mit  hingebendem  eifer  werden  in  den  umfangreichen  abschnitten  V  und  VI, 
die  weitaus  den  hauptteil  des  werkes  ausmachen  (V  beginnt  auf  s.  184  und  endet 
mit  dem  ersten  bände,  VI  reicht  im  zweiten  von  s.  267—470)  die  volkstümlichen 
Überlieferungen  auf  französischem  und  keltischem  boden,  sofern  sie  irgend  mit 
motiven  der  estoire  zusammenhängen,  erörtert.  In  diesen  beinahe  300  selten  steckt, 
obwohl  die  schon  früher  bedauerte  neigung,  eine  fülle  von  kenntnissen,  auch  von 
belanglosen,  auszupacken,  das  lesen  nicht  eben  erleichtert,  der  eigentliche  kern  des 
buches,  ein  kern,  der  es  für  die  vergleichende  literatur-  und  Volkskunde  als  hoch- 
beachtliche leistung  erscheinen  lässt  und  dessentwegen  man  das  breittreten  von 
belanglosem  ohne  murren  ertragen  sollte.  Alles  im  strengeren  sinne  kritische  hat 
Kelemina  viel  schärfer  herausgehoben  und  oft  auf  einer  einzigen  seite  mehr  gesagt 
als  die  dame  auf  20.  Es  dürfte  sich  mit  Kelemina  erweisen,  dass  die  änderungen 
am  überlieferten,  wie  sie  die  'estoire'  vornimmt,  nicht  so  geringfügig  sind,  wie 
Schoepperle  meint;  sie  vermutet  nämlich  (s.  186  und  besonders  s.  265),  sie  giengen 
nicht    über    das    allemotwendigste    mass    hinaus,    um    einheitlichkeit    herzustellen. 


260  HKLM 

Manche  der  im  überfluss  beigebrachten  parallelen  scheinen  mir  nichts  zu  besa^en. 
Xoch  weniger  überzeugend  ist  rieles.  was  als  keltische^s  kultnrg-ut  angesprochen 
"srird.  auch  renneidet  die  Yerfasserin  Wiederholungen  nicht  lOnd  führt  einmal  Veldekes 
Eneit  nach  Ettmüller  an).  Wichtig  ist  die  darlegung,  dass  dem  berichi  über  Tristrant* 
Zweikampf  mit  Morholt  alle  hauptmerkmale  des  nordischen  holmganges  fehlen. 
Unklar  bleibt,  weshalb  die  Untersuchung  über  die  hütte,  die  den  verwundeten  beiden 
Ton  der  umweit  absondert,  im  zusammenhange  mit  keltischen  Zeugnissen  erscheint, 
zumal  Schoepperle  selbst  an  eine  nachwirkung  des  aus  der  PhUoktetgeschichte  be- 
kannten brauche?  denkt.  Die  Zeremonie  des  zubettbrLngens  der  neuvermählten  durch 
die  hochzeitsgesellschaft  gehört  bekanntlich  auch  noch  der  neuesten  zeit  an,  so  dass 
Verhältnisse  des  12.  Jahrhunderts  nicht  als  irgendwie  bedeutungsvoll  zu  gelten  haben. 
Vorstufen  der  'estoire'  werden  s.  445  f.  zu  ermitteln  gesucht  Wir  hätten  eine 
entiahrungssage  J.  ungefähr  gleich  der  keltischen  von  Diarmaid  und  Grainne,  als 
quelle  zu  vermuten :  •  mit  der  rückkehr  der  liebenden  aus  dem  walde  wäre  sie  zu 
ende  gewesen.  Darauf  folgte  eine  erste  französische  gestaltung,  in  der  A  für  eine 
französische  Zuhörerschaft,  vielleicht  unter  benutzung  neuen,  auch  keltischen  Stoffes 
zurechtgestutzt  wurde,  und  aus  dieser  B-ionn  sei  C,  die  'estorre'  hervorgegangen, 
nochmals  mit  zügen  bereichert.  Übrigens  gesteht  Schoepperle  selbst  ein  is.  472». 
dass  sieh  die  arbeit  des  dichter«  der  "estoire'  nicht  bis  ins  einzelne  erkennen  lasse. 
Sie  ist  geneigt,  dem  Chrestien  von  Troyes  einen  anteü  an  der  zweiten  hälfte  des 
Werkes  zuzuschreiben,  die  mit  ihrem  höfischen  gepräge,  mit  ihrer  leichtherzieen 
auffassung  von  Hebe  und  ehe  so  wesentlich  von  der  ersten  absticht.  Ursprünglich 
keltische  heimat  des  Stoffes  wird  wahrscheinlich  durch  den  tragischen  Charakter  der 
liebesleidenschait  und  der  Stellung  Markes  zwischen  dem  neffen  und  der  gemahlin. 
Beigefügt  sind  fünf  anhänge.  Zunächst  stellt  Schoepperle  den  text  der 
Eilhartbruchstücke  mit  der  Umarbeitung  X  und  mit  Kniescheks  Übertragung  zu- 
sammen, ohne  genauer  auf  Gierachs  Stammbaum  rücksicht  zu  nehmen.  In  einer 
weiteren  beigäbe  befasst  sie  sich  mit  den  fällen,  wo  Bediers  versuch,  den  Inhalt 
des  Urtristan  zu  ergründen,  von  Eilhart  abweicht,  die  dritte  beigäbe  ist  der  rolle 
der  zweiten  Isalde  und  ähnlicher  franen  gewidmet  die  vierte  der  für  Elilhart  nicht 
in  betrachi  kommenden  geschieht«  von  der  harfe  und  der  rotte,  endlich  behandelt 
die  letzte  tragische  liebeserzählungen  im  altirischen.  Ein  namen-  und  eia  Sach- 
verzeichnis beschliessen  den  zweiten  band. 

DEESDEX.  KAEL   RETJSCHKT.. 


Georges  Darier,  La  theologie  dans  le  drame  religieux  en  Allemagne 
au  moyen  äge.     Lille.  Rene  Giard;  Paris,  J.  TaJländier,  1914.    645  8.  15  frcs. 
Georges    Dariez,    Les    apocryphes    dans   le    drame   religieux   en  Alle- 
magne   au   moyen    äge.      Lille,    Eene    &iard;    Paris,   J.  Tallandier,    19l4. 
112  s.  3  frcs. 

Plan  und  inhalt  dieser  beiden  werke,  die  eng  zusammengehören,  lässt  sich 
mit  wenigen  worten  wiedergeben.  Die  einleitung  des  hauptwerkes  gibt  einen 
kurzen  überbMck  über  die  bekannte  entstehung  des  geistlichen  dramaa  und  stellt 
fest,  dass  es  dem  nämlichen  zweck  dient  wie  kultus  und  bildende  kunst:  der  er- 
bauung,  selbst  noch  im  Stadium  der  loslösung  von  der  kirche.  Nachdem  dann  als 
hauptquellen  für  den  Inhalt  der  dramen  die  bibel  und  die  theologische  literatur  der 


•rirciaienTät^,  idjeee  doirdb  nsi^r?  3DO!B|HiatioreiB  Teiimi<t!tieiLt,  naiHÜitaft  s'eniadhit  smd. 
-rird   in   zvaBz%  fereit  i   kapiteSn   Aar  ira2i£e   sitit^Skrei»:   des  ^edstilic^«!! 

Jianas  gioaasteit  iiiiiid  ;.^.:_^:„.^  iniiitieT  rädiMidaar  ziitäenmg:  dfr  Btielleji  äws  .den 
riazebaeB  .«tödEea  vior  was  äntage^rditel.  Eis  iiaii'd'eM  sich  'om  di«  tbejua-ta:  dreö- 
rinigkieit,  sefc^fiiBg,  a^>fi,  teaufdl  iiEid  imöEe,  iB&ßBda.  psa-tiiajciieD,  propLeten.  sibTlrL. 
.üe  jdttiestUDe&tlielicm  praeigmrMitaikeiB  OaiÖBtä  usd  der  beilsg'es.chicliTfc.  die  jueiir-iL- 
w*H4iBg',  da.«  v&Smr^emi^^  mnaii  das  ^fiesBitüäclae  l«i>em  Ciimti,  die  erläsimg.  Jtsx.i  in 
GfiätbiSBmMB.e.  vm  ämm^  raeud  Kal|)8n&  Filainae  idM  fierc^de».  die  kFeuzigung-,  irraMegiui^:. 
i-afyx^hxm^g,  Mmamähbit,  ttias^essmiLg  des  la^ili^n  ^«ä^ies.  lüiamvdfahrt  Msxi&e. 
anfichiisl  oad  letetes  gez&c-ht. 

In  da  ld£n£x>ea  ecfluift,  öner  ait  siqijpleiBeDit  zm  <i>er  eistgsaasiiltiBiL  besgeicht 
DiiiJ£z  Tier  apDfcrwpAüsdie  sitioife  luf^iuuadteiBdie  sBen^ai  d«  (diämfai :  -da«  dut  im  üjnats- 
hiatket  sfAä.  vta^etHetie  MiB]Be3&iait  lEanae,  die  xm  Mieädteü^i^gt^  imd  St^andufer 
pgii^0BSS|Hid  ^enlkallteate  cäBkciJbsrafiug  mid  Iteireianiiits;'  Jose^B  T'Q(d  AiiiBraitMa.  dae 
reiher  Chnsti  fior  Fülaäsis  aüss  dtem  f^anklninter  gmtd  Alä^dldar  fos^^ams^gA  maA  die 
tDÜt  Terweilidte  bMlemätlirt  OasistL 

Was  uns  lii*er  .gezögt  wiid,  isit  im  dsr  hampleaelie  nicÜB  ukeses;  ■mw  «ntssteiD 
s«it  bagiem,  dass  fdSic  ganze  geisdäthe  lüatansdite  pradnMörai  «des  niääidkittieirs  ge- 
tng€B  «iid  von  eiiK».  breätea  strean  tiKeK^iog^di»-  gieile^isamk'd.t  und  ^dnitg',  die  ^a 
auA  in  der  urdltlidaen  dädilbiing  an  zaMkseen  stidleai  zstage  tziitt.  Im  der  minnitiöaen 
tteBdneilNDBg  btä  Dmi^z  fcräSwiiiKBM  wir  nan  ab^  fir  dns  besfciiiäjDMte  g^änstt  des  g^t- 
Udi^  druBss  die  t^mmpim^m  zigte  d«s  giftRaaBtäMMk«  difitäidfa  «estemtaL  Inai^ni 
der  Terfii^sa'  ädi  di^e  b^daneSsimg  zsob  zieä  «löner  axiteü  g'^etilt  ^ait,  luKl  «r  ssäate 
a.3i%a)»e  iren  nnd  flei^ts;  esMSH.  nnd  iieidsient  mnseraB  igiB^t<eä]t<eQ  djmk.  W^tere 
ai1»ät  vird  ja  nüBcii  nanflie  exBacdOi^  ergänzen  nmd  Di^m'cäilÄg^aQ  köauoiäiL  eänige 
Kirfrg«^  ainck  in  den  benntelten  maibaüiL  sdafiess^L,  das  ^nesajoiitMId  tdrd  dadiorcih 
nitebJt  «esenliida  .gdndialt  wctden. 

Xodt  alk^  äcä  al»»'  die  weiteste  aiia%a98e,  dse  w-eg%  j^dznstdOfio.  hM  meikiten 
den  änzdnen  sttncfcen  diese  y^eg^iBt^^  KogidiiiBfifien  istt^  iiD  fasitieir  Mxii^  die  &&g%,  trie 
wtüt  die  geisltüdiiai  «aäginale  sdÜBSä  idöe  fi'aellien  Ifnr  die  diaoiiäutiker  Mldset^em.  Hire 
d^nitire  beanturüatKng  steM  ntneli  aais;  Disiäez  sSieüt  ^  na:tliili<äi  ss  Tielen  st«eUeaQ 
und  hat  äch  mmf  gmnd  setmor  kennlnis  d^  maibaüis  >mstt  <ögiBDe  m-exBimg  g^bildeiL, 
die  aber  buim  aUgeneiiaten  feä&U  Sndi&B  wiid.  ^^tzaaätäminteaii  ist  itit»  Bairääic^ 
wenn  €r  fi^i^steljht,  dass  die  Mr^iSBTät>Br  ns^t  <diidks,  soisdeni  le'dig'licit  dundi  t^- 
raittliing  läniger  mtiit^hOimi^iiFkipr  konipMaäimeiB  benutzt  wt^eai  äi>d  (die  micä- 
tj^sten  derselben  wordem  im  <diar  eänlfättsrng  s.  22  mifg^ei^iilt  i :  djtss  aioA.  noch  aitder e 
kohmentare  benutzt  änd,  wird  g^e;g)amffieii  arwiämt  (xg-L  m.  ti.  s.  617).  Wesnii 
Doriez  dagegen  gienasaeäte  kenntnK  nnd  ««tgehesk^tte  direktie  l^exurtsnimg  des  ib£beil- 
liextes  anninmt,  s©  wird  sicfc  dag«g^ffl.  wie  liäsäaer,  so  aueli  tnnfüg,  ädber  Wider- 
spruch eAdben.  Gewiss  feit  im  eini-dLMi  die  rädati^keäi  seiiier  aamatme  mög- 
lich;  aber  das  natszial  Üsst  iii<c3iit  eättenaneQ.  dass  die  idireiktie  benntEiimg  der 
Mhtl  die  legid  bilddt.  Keamitais  der  MMiseiiieii  gesfchicliteE  setrt  in  daanaüffer 
zeit  ebensowraiig  wie  henle  dii^ktie  bäbdlceniittnis  VQTasa&.  Die  fcege  der  TexxQXtchcBg' 
warai  ■anni£:&ltjig'  genng,  v®r  aMem  bBuiBiBt  der  gT0itiriK«dien?t.  predigt  und  litm^Te 
in  Wtiaeht..  Für  eine  gaaaze  rähe  v&a.  steUea  ergäM  sieh  sciioii  ans  IHiriez''  eig-eiteja 
aatstShinngen  di^e  TenBittSmiEig^  eahlr^i^e  andea^  wterdeai  MszixkoiiiiBesii ;  fax  f?m%e 
bat  inzwisdien  findwin  in  den  lt'(!)i&nB  ILajmgmage  ^<ot>ee  1M4  HBd  l'dl5  den  ent- 
sprechenden  nachwdis  gebradüt. 

ZEITSCHKIFT  F-  DEUTSCHE  JPMIlJÖiL>0«GI]E.      BB.  XTffX  IS 


262  FINNUR    .T<')NSSON 

Betrejfs  der  Apokryiihen  ist  Duriez'  haltung  merkwürdig  widerspruchsvoll. 
In  der  einleituug  des  hanptwerkes  (s.  25)  nimmt  er  an,  die  dramatiker  hätten  die 
Apokryphen  nicht  direkt  benutzt,  sondern  sich  mit  jüngeren  kompilationen  begnügt. 
In  scharfem  gegensatz  dazu  steht  seine  äusserung  in  der  einleitung  des  zweiten 
Werkes  (s."  9).  Für  die  szenen  von  der  einkerkerung  Josefs  von  Arimathia,  dem 
verhör  vor  Pilatus  und  der  hiiumelfahrt  Mariae  wird  dort  behauptet:  'ce  n'est  ni 
au  Vieux  Passioual,  ui  ä  TErlösung  ce  n'est  meme  pas  k  la  Legende  Doree,  ni  au 
Speculum  Historiale  que  se  sont  adresses  les  dramaturges :  ils  ont  puise  directe- 
uient  ä  la  source'.  In  grellstem  Widerspruch  dazu  stehen  wiederum,  soweit  die 
himmelfahrt  Mariae  in  betracht  kommt,  die  ausführungen  auf  s.  72  f.,  wo  durchaus 
die  Legenda  aurea  als  grundlage  des  spieles  behandelt  wird. 

Für  die  szenen  der  höllenfahrt  Christi  will  Diiriez  selbst  dort,  wo  die  ein- 
zelnen deutschen  stücke  grosse  ähnlichkeit  untereinander  zeigen,  direkte  abhängig- 
keit  von  der  apokryphen  quelle  annehmen.  Dies  führt  zu  der  frage,  ob  die  gegen- 
seitige beeinflussung  der  dramen  bei  D.  überhaupt  genügend  zum  ausdruck  kommt. 
Duriez  kennt  natürlich  die  zahlreichen  berührungen  der  einzelnen  stücke  unter- 
einander, er  hatte  sie  in  seiner  beschreibung  ja  in  menge  zu  registrieren  und  er 
macht  nicht  selten  ausdrücklich  auf  zusammenhänge  aufmerksam.  Überall  die 
literaturgeschichtlichen  folgerungen  daraus  zu  ziehen,  gieng  über  den  rahmen 
seiner  darstellung  hinaus;  ieh  zweifle  aber  nicht,  dass  aus  dem  bei  ihm  gesammelten 
material  sich  noch  manche  wichtige  aufschlüsse  über  das  gegenseitige  Verhältnis 
einzelner  spiele  untereinander  ergeben  werden. 

GIE.SSEN.   [MARBURG.]  KARL    HELM. 


Franz  Rolf  Schröder,  Hälfdanarsaga  Eysteinssonar.  [Altnord,  saga- 
bibliothek  15.]     Halle,  Max  Niemeyer  1917.     VIH,  146  s.  10  m. 

Die  hier  von  neuem  herausgegebene  saga  gehört  zu  den  sogenannten  is- 
ländischen 'Fornaldarsggur'.  Eine  Sammlung  dieser  erzählungen  (darunter  auch  die 
vorliegende)  wurde  seinerzeit  von  Rafn,  jedoch  in  ziemlich  unkritischer  weise  heraus- 
gegeben; die  meisten  davon  erschienen  dann  später  auch  in  einzelausgaben  (drei 
auch  in  der  Sagabibliothek:  Orvar-Odds  saga,  FriöJ)j6fs  saga  und  Hälfssaga),  denen 
sich  nun  die  Hälfdanarsaga  als  vierte  anschliesst.  Sie  ist  stofflich  nicht  un- 
interessant und  geschickt  und  fliessend  erzählt,  gehört  aber  nicht  zu  den  ältesten. 
Ihr  Schauplatz  sind,  wie  in  manchen  andern  von  diesen  geschichten,  die  die  Ostsee 
umgrenzenden  länder. 

Der  herausgeber  hat  sehr  gründlich  und  gewissenhaft  die  vorhandenen  hand- 
schriften  benutzt  und  auch  über  diejenigen,  die  ihm  nicht  zugänglich  waren  (die 
iu  Reykjavik  befindlichen)  zuverlässige  auskunft  sich  verschafft;  ebenso  hat  er 
selbstverständlich  auch  die  denselben  stoff  behandelnden  rimur  verglichen.  Das 
Verhältnis  der  hss.  ist  nicht  besonders  verwickelt,  und  der  text  ist,  wie  mir  scheint, 
im  wesentlichen  richtig  konstituiert.  Ein  paar  fehlerhafte  lesungen  seien  berichtigt: 
veröuliya  s.  100 "  und  101  '■"'  st.  rirduliya  (an  beiden  stellen  steht  unzweifelhaft 
ein  i  über  dem  r) ;  n(,>kkiir  s.  lOl  *  st.  n^kkut;  sinn  s.  104  '"  st.  ser  (so  sicher  die 
hs.,  sinn  ist  sprachlich  unmöglich);  kona  s.  106 -*  st.  hans  kona;  hratt  hann  s.  123" 
st.  hratt  honutn  (so  deutlich  die  hs. ;  hrinda  regiert  immer  den  dativ).  Abgesehen 
von  diesen  kleinigkeiten  ist,  wie  gesagt,  nichts  besonderes  einzuwenden. 


ÜBER    S(  HRÖDEK,    HÄLFDAXAR    SACIA    EYSTEINSSONAU  268 

In  der  gründlichen  und  ausführlichen  einleitung  handelt  der  herausgeber 
zunächst  (cap.  1)  über  Inhalt,  komposition  und  stil  der  saga.  Der  stil  wird  etwas 
kurz  abgetan  (s.  8  anm.  werden  die  worte:  til  hrers  sem  hann  gehl-  als  beispiel 
einer  jüngeren  ausdrucksweise  angeführt;  dies  muss  auf  einem  missverständnis 
beruhen,  da  der  satz  auch  in  älterer  zeit  nicht  anders  lauten  konnte ;  die  Verweisung 
auf  Nygaard  passt  nicht  für  unsere  stelle).  Cap.  2  bespricht  eingehend  die  'quellen', 
wobei  besonders  das  Verhältnis  zu  anderen  fornaldarsagas  untersucht  wird,  z.  b.  das 
zur  Ragnarssaga,  wobei  sich  herausstellt,  dass  der  Verfasser  diese  und  die  Volsunga- 
saga  mit  recht  als  ein  zusammenhängendes  ganze  betrachtete.  Der  herausgeber 
versucht  zu  beweisen,  dass  die  Hälfdanarsaga  in  ihrer  gegenwärtigen  gestalt  keines- 
wegs ursprünglich  sein  kann,  und  er  bemüht  'sich,  den  ursprünglichen  kern  und 
Zusammenhang  festzustellen.  Er  hat  jedoch  wohl,  was  ich  hervorheben  möchte, 
mehr  den  Zusammenhang  des  zugrunde  liegenden  märchens  im  äuge  und  sucht 
diesen  wieder  zu  gewinnen,  und  hiergegen  hätte  ich  kaum  etwas  einzuwenden. 
Eine  andere  frage  ist  es,  ob  man  auf  grund  dessen  berechtigt  ist,  eine  ältere  Hälf- 
danarsaga in  einer  dem  entsprechenden  form  und  eutwicklung  anzunehmen.  Dies 
ist,  wie  mir  scheint,  nicht  bewiesen,  und  ich  glaube  auch  nicht,  dass  eine  solche 
ältere  fassung  existiert  hat.  Die  Ingredienzien  und  zusammengelesenen  motive,  aus 
denen  die  saga  bestellt,  sind  von  dem  ersten  autor  in  allem  wesentlichen  so  mit- 
einander vereinigt,  wie  wir  sie  jetzt  vor  uns  haben.  Ich  bin  auch  nicht  ganz 
sicher,  ob  es  wirklich  die  meinung  des  herausgebers  ist,  dass  eine  solche  ältere 
saga  vorhanden  gewesen  sei  (vgl.  §  17).  Verschiedene  von  seinen  kombinationen 
und  Zusammenstellungen  kommen  mir  zweifelhaft  vor,  ich  kann  jedoch  hier  darauf 
nicht  eingehen.  Nur  kann  ich  die  bemerkung  nicht  zurückhalten,  dass  der  heraus- 
geber ganz   überraschend   und   wenig   motiviert   einen  irischen   einfluss  annimmt 

—  Überführung  von  sagenstoff  nach  Island  im  11.  Jahrhundert  (s.  16);  dies  hätte 
doch  eingehender  nachgewiesen  werden  müssen.  Ebenso  überraschend  und  un- 
erwartet findet  sich  an  anderer  stelle  (s.  34)  die  erklärung  der  'brautfahrt'  als  einer 
Hadesreise,  um  eine  Jungfrau  'von  den  fesseln  chthonischer  mächte  zu  befreien'. 
Diese  erklärung  scheint  mir  gesucht  und  wenig  begründet.  Was  dagegen  der 
herausgeber  über  den  Valsl)ättr  sagt,  scheint  mir  im  ganzen  richtig,  und  in  der 
kritik,  die  er  gegen  Jon  Jönsson,  übt,  bin  ich  vollständig  mit  ihm  einig. 

Kap.  8  handelt  über  die  rimur  und  die  jüngeren  rezensionen  der  saga.  Hierzu 
habe  ich  so  gut  wie  nichts  zu  bemerken.  Namentlich  kann  ich  in  seiner  auffassung 
des  Verhältnisses  zwischen  A  und  B  (oder  A  *  und  B  *)  dem  herausgeber  zustimmen  *. 

Was  die  äusserung  über  C*  (s.  63)  betriift,  so  muss  ich  zur  Selbstverteidigung 
bemerken,  dass  ich  an  der  dort  (anm.  3)  zitierten  stelle  nicht,  wie  mir  vorgeworfen 
wird,  B*  und  C*  kontaminiert  habe:  ich  habe  nur  gesagt,  dass  die  ursprüngliche 
saga  schloss,  wo  die  hs.  171b  (und  die  rimur)  enden;  über  das  gegenseitige  Ver- 
hältnis habe  ich  damit  nichts  aussprechen  wollen. 

Cap.  4  und  5  besprechen  die  hss.  und  ihr  Verhältnis  zu  einander,  und  das 
6.  und  letzte  die  beziehungen  einiger  anderer  sagas  zur  Hälfdanarsaga.  Auch 
auf  diese   kapitel    und    besonders    auf,  das  letzte,  in  dem  ein  paarmal  gegen  meine 

1)  In  der  s.  62"^  mitgeteilten  strophe  ist  statt  panan  zu  lesen  pan in  (d.i. 
panninn) ;  rerndar  ist  nur   unrichtige    Schreibweise    statt   rendar  (=  rcndir  'dreht'). 

—  S.  66  anm.  4  ist  bari  (so  die  hs.)  die  richtige  neuisländ.  form,  die  nicht  in  barri 
geändert  werden  darf  und  das  ausrufungszeichen  hinter  h/lditainiar  (gen.  sg.  des 
fem.  hüdi-tf»in)  unberechtigt. 

18* 


264  riNNUK    .Tt'tNSSON 

auffassuiigcn  polemisiert  wird,  will  ich  iiiclit  nälier  eingehen;  die  dini;e,  um  die 
es  sicli  handelt,  sind  zu  unwesentlich. 

Schliesslich  noch  ein  paar  worte  über  die  erklärungen  des  kouiraentars.  Sie 
sind  im  grossen  und  ganzen  richtig;  einzelnes  erscheint  übertiüssig  (z.  b.  die  uote 
s.  llö  zu  z.  20.  21,  wo  die  angezogene  parallele  nicht  recht  stimmt l.  S.  90  ver- 
weist Schröder  zu  Ochiinsa/.r  auf  A.' Olrik  (Kilderne  til  Sakses  oldhist.  II,  158  fg.) 
und  Saxos  Uiulensaki-p;  er  akzeptiert  Olriks  erklärung  als  undornn-ah-)-  'de  sydostlige 
vange'  —  aber  wie  undorn  'südost'  bedeuten  könnte,  ist  nicht  nachgewiesen,  und 
tatsächlich  ist  diese  bedeutung  gänzlich  unannehmbar,  wie  auch  eine  derartige 
Zusammensetzung  höchst  unwahrscheinlich  ist.  Saxo  gibt  für  den  ort  keine  himmels- 
richtung  an,  —  92 "  sinna  vegna  bedeutet  nur  'seinerseits'.  —  94 ''  fäla  bedeutet 
hier  nicht  'hexe',   sondern  'ungebildete  person'  ('femiua  procax'  Björn  Halldörsson). 

—  95"  vanfenc/inn  bedeutet  'schwer  zu  erlangen'  {er  eigi  vanfenginn  madr  d  möt 
honum  'ein  gleichwertiger  mann  ist  leicht  zu  finden').  —  96 '  er  allt  seinna  en  segir 
will  sagen :  'es  nimmt  mehr  zeit  in  ansprach  etwas  zu  tun  als  davon  zu  erzählen', 
die  redensart  entspricht  also  nicht  dem  deutschen  Sprichwort:  'leichter  gesagt  als 
getan'.  —  101 "  H6n  Ut  ser  usw.  bezieht  sich  auf  die  erfüllung  der  ehelichen 
pflichten.  —  103''  gniflar  eptir  knettinuni:  grufla  bezeichnet  nicht  bloss  das  'vorn 
überbeugeu',  sondern  auch  das  'suchen  mit  tastenden  bänden',  —  118  "  ef  hon  tekz 
vel;  übersetze:  'wenn  er  (der  \\e,g)  glückt,  sich  als  gut  erweist'.  —  119'  mer  hwfi 
bedeutet  nur  'ungefähr  zu  der  zeit'  (deine  ankunft  und  der  bevorstehende  kämpf 
würden  ungefähr  gleichzeitig  sein),  =  125  "•  *'-'  sneri  npj)  d  ser  inaganum  ist  zu 
übersetzen:  'er  wendete  den  bauch  nach  oben'  (der  hund  lag  also  auf  dem  rücken). 

—  Zum  schluss  noch  ein  paar  kleinigkeiten :  das  norwegische  gebirge  heisst  Dof- 
rafjall  (nicht  -fj(>llp  s.  52);  s.  124  (note  zu  z.  9.  10)  lies  mülastykki  st.  stykk; 
He'mingr  mit  e  (s.  89  b)  ist  wohl  nur  druckfehler. 

Dieses  erstlingswerk  des  herausgebers  darf  im  ganzen  als  eine  fleissige  und 
tüchtige  arbeit,  die  mit  grosser  gewissenhaftigkeit  ausgeführt  ist,  bezeichnet  werden. 

KOPENHAGEN.  KINNUR   JÖNSSON. 


Waltlier  Heinrich  Vogt,  Vatnsdcela  saga.    [Altnord,  sagabibliothek  16.]    Halle, 
3Iax  Xiemeyer  1921.     LXXVIII,  144  s.  40  m. 

Zu  den  IslendingasQgur,  die  einer  neuen  kritischen  ausgäbe  dringend  bedürftig 
waren,  gehört  die  Vatnsdsela.  Guöbr.  Vigfussons  text  in  den  Fornsögur  (Leipzig  1860) 
war  in  mancher  beziehung  etwas  mangelhaft,  besonders  was  den  kritischen  apparat 
betrifft.  Freilich  ist  leider  das  handschriftliche  material  recht  schlecht  und  nicht 
viel  damit  anzufangen ;  es  besteht  nämlich  nur  aus  ein  paar  nahe  verwandten  papier- 
abschriften  und  einem  kleinen  pergamentbruchstück.  Eine  kritische  ausgäbe  hat 
nun  zwar  das  neue  heft  der  Sagabibliothek  nicht  geliefert,  aber  der  text  gründet 
sich  auf  eine  neue  kollation  der  handschriften  und  ist  infolgedessen  recht  zuver- 
lässig; verschiedene  fehler  der  alten  ausgäbe  sind  dadurch  entfernt.  Man  darf 
daher  die  neue  ausgäbe  mit  freude  begrüssen. 

Soweit  man  sehen  kann,  ist  der  text  im  ganzen  verständig  behandelt;  viel- 
leicht hätten  die  lesarten  des  membranfragments  an  einzelnen  stellen  den  Vorzug 
verdient.  Der  kommentar  ist  im  ganzen  ein  realkonimentar,  in  weit  geringerem 
grade  sprachlich;  diese  seite  hätte  wohl  etwas  mehr  berücksichtigung  verdient.    Ich 


ÜBER  VOGT,  VATNSDOELA  SAGA  265 

habe  die  anmerkungen  recht  genau  studiert  und  es  wird  zweckdienlich  seiu,  das, 
was  ich  zu  erinnern  fand,  im  folgenden  mitzuteilen. 

S.  13  note  zu  z.  8  würde  ich  geschrieben  haben :  'erg.  at  Uta  (nicht  ai  rirfla). 

—  8.  16  note  zu  z.  20  hätte  die  hypothese  AI.  Bugges  nicht  angeführt  werden 
sollen,  da  es  höchst  unwahrscheinlich  ist,  dass  die  sitte  der  'pflegekindschaft' 
keltischen  Ursprunges  ist,  da  sie  durch  eine  fülle  von  Zeugnissen  als  echt  nordisch 
beglaubigt  wird.  —  S.  23  note  zu  z.  21 :  haklangr  zu  norw.  hak  'scharte'  in  be- 
ziehung  zu  setzen,  ist  gewiss  nicht  richtig;  die  Zusammensetzung  selbst  spricht 
nicht  dafür;  dagegen  ist  die  auffassung  des  altertums  klar  und  es  liegt  kaum  ein 
grund  vor,  sie  zu  verlassen  (Aarb.  1907  s.  206).  —  S.  25  note  zu  z.  1.  ?  finden  wir 
wieder  einmal  die  unselige  Vermischung  der  'berserker'  mit  den  'werwölfen',  die 
nichts  miteinander  zu  schaffen  haben.  —  Ebda  note  zu  z.  16  fasse  ich  den  gedanken 
anders  auf;  des  königs  meiuung  ist  offenbar:  'ich  kann  dir  nicht  einen  andern 
söhn  an  stelle  des  gefallenen  geben".  —  S.  28  note  zu  z.  11:  in  dem  worte  gofugr 
ist  eine  nebenbedeutung  wie  'glücklich'  nicht  enthalten.  —  S.  50  note  zu  z.  5  {sjd 
sfad  forgiptar) :  es  ist  nicht  richtig,  staö  hier  mit  dem  ausdruck  /  staö{imi)  in  Ver- 
bindung zu  setzen;  stadr  bedeutet  hier  'grundlage'  und  ilas  ganze  ist  nur  eine 
Umschreibung  für  forgipt  selbst:  'er  sollte  selber  bestimmen,  was  gegeben  werden 
sollte'.  —  S.  58  note  zu  z.  15:  segja  afhendun  ist  kein  rechtsausdruck.  —  s.  60  note 
zu  z.  28  hätte  bemerkt  werden  sollen,  dass  das  at  vor  vera  nicht  das  infinitiv- 
zeichen ist,  sondern  betontes  adverb  ('dabei').  —Ebda  note  zu  z.  32:  die  erklärung 
gibt  kaum  die  richtige  Vorstellung.  Per  eigid  6j<jfnum  til  at  rerja  bedeutet:  'ihr 
habt  ihm  ungleiche  männer  (d.  h.  euch  selbst)  zu  verwenden  (gegen  ihn)',  oder  mit 
anderen  worten:  'ihr  könnt  euch  nicht  mit  ihm  messen  (denn  er  ist  ein  heljnrmadr 
usw.).  —  S.  67  note  zu  z.  2 :  grafhür  kann  kaum  'einen  schuppen  für  graftöV  be- 
deuten; wenn  das  wort-  richtig  ist  (vermutlich  liegt  ein  Schreibfehler  st.  gervi-biir 
vor),  rauss  es  ein  biir  bedeuten,  in  dem  eine  grübe  (eine  art  keller)  sich  befindet, 
wovon  man  ja  anderwärts  hört.  —  S.  71  note  zu  z.  2:  mer  er  minna  um  pat  be- 
deutet nicht:  'das  hat  keine  bedeutung  für  mich',  sondern:  'das  wünsche  ich  weniger 
(d.  h.  durchaus  nicht)',  'das  gefällt  mir  gar  nicht',  nämlich,  dass  Ljöt  zeit  dazu 
bekommen  soll,  ihren  zauber  auszuführen.  —  S.  77  note  zu  z.  21 :  hera  {sinn)  sann  d 
bedeutet  nicht  'anspruch  erheben",  sondern  'die  sache  von  seinem  Standpunkt  aus 
als  abgemacht  und  als  allein  richtig  betrachten  (also  die  ansieht  des  gegners  als 
bedeutungslos  ansehen)'.  —  S.  78  note  zu  z.  3:  hlanp  ist  hier  mch.i  =  frumlilaup 
(dies  bedeutet  ja  'angriff'),  sondern  'flucht'  (vor  einem  angreifer).  —  S.  85  note  zu 
z.  20:  die  worte  'oder  rakki  hund'  sind  zu  streichen,  da  von  diesem  subst.  hier 
nicht  die  rede  sein  kann,  der  artikel  (enn)  vielmehr  beweist,  dass  nur  das  adj.  in 
frage  kommt.  —  S.  94  note  zu  z.  3:  binda  hesta  bedeutet  nicht  'die  vorderfüsse 
lose  fesseln',  sondern  'die  pferde  aneinander  binden' ;  die  vorderfüsse  zusammen 
zu   binden,   wäre   in   der  gegebenen  Situation  gewiss  sehr  unzweckmässig  gewesen. 

—  S.  121  note  zu  z.  11:  Hggnuör  hat  mit  hagna  'dienlich  sein'  kaum  etwas  zu 
tun ;  der  gebrauch,  der  von  dem  stabe  dieses  namens  gemacht  wird,  lässt  eher 
vermuten,  dass  Hegnuör  (zu  hegna  'begrenzen,  hindern')  die  richtige  form  ist,  die 
zu  der  Wirkung  des  Stockes  stimmen  würde;  der  schwertname,  HQgndr,  dessen  be- 
deutung ungewiss  ist,  ist  wohl  fernzuhalten.  Eine  einzelheit  sei  schliesslich  noch 
in  diesem  zusammenhange  erwähnt.  Es  macht  auf  mich  immer  einen  eigentümlichen 
eindruck,  wenn  moderne  gelehrte  ohne  weiteres  ein  aus  dem  altertum  selbst  über- 
liefertes  Zeugnis   verwerfen,  als  wenn  sie  besser  mit  dingen  bescheid  wüssten,  von 


266  FINNI'U    .l()NSSON    ÜF.EK    VdCT,    VATNSl  lOKLA    SAfiA 

denen  sie  in  Wahrheit  nichts  wissen  und  nichts  wissen  können,  wie,  um  nur  ein 
beispiel  zu  nennen,  den  bericht,  dass  Olvir  barnakarl  diesen  beinamen  erhielt,  weil 
er  als  wiking,  im  gegensatz  zu  andern,  kleine  kinder  vor  einem  brutalen  tode 
schützte.  Man  behauptet  statt  dessen,  der  name  bezeichne  'einen  mit  kindern  reich 
gesegneten  manu',  was  natürlich  vollständig  aus  der  luft  gegriii'en  und  nur  eine 
moderne  willkürlichkeit  ist.  In  gleicher  weise  verwirft  der  herausgeber  die  mit- 
teilung  der  saga  über  die  eutstehung  des  Ortsnamens  Boröeyrr  (s.  IL):  'Boröeyrr 
hat  seinen  luuiien  natürlich  (sie!)  von  den  vielen  schüfen,  die  dort  später  anlegten', 
nicht  aber,  weil  man  dort  ans  land  getriebene  planken  fand.  Hierzu  muss  ich 
sagen,  dass  des  herausgebers  'natürliche'  erklärung  für  mich  so  unnatürlich  wie 
möglich  ist.  Icli  wage  zu  behaupren,  dass  ein  ort,  an  dem  viele  schiffe  anlegten, 
niemals  einen  solchen  nanien  erhalten  haben  würde  und  dass  der  bericht  der  saga 
weit  natürlicher  ist.  Man  würde  in  jenem  falle  einen  namen  mit  skij)-  gebildet 
haben  (s.  z.  b.  die  namen  im  register  zu  Kalunds  Hist.-topogr.  beskivelse  af  Island, 
wo  nicht  ein  einziger  name  sich  findet,  der  des  herausgebers  annähme  stützen 
könnte).  —  Zur  rech  tschr  ei  b  ung  ist  wenig  zu  bemerken.  Statt  S^rkrir  hätte 
Sorkrir  geschrieben  werden  sollen ;  Föstölfr  ist  unrichtig  st.  Fgstölfr  (zu  fastr)  und 
endlich  ist  Kdrnsd,  nicht  Kurnsd  (s.  die  note  s.  59),  die  offenbar  richtige  Schreibung; 
die  abschriften  der  Landnäma  beweisen  klar,  dass  die  ausspräche  (noch  um  1400) 
Korns-  war,  und  diese  ist  es,  die  der  heutigen  ausspräche  und  schreibM'eise  {Kornsü, 
Kotsä)  zugrunde  liegt. 

Von  grosser  bedeutung  ist  die  ausführliche  einleitung  des  herausgebers,  die 
aus  6  kapiteln  besteht.  Das  1.  kapitel  behandelt  die  handschriften  und  ausgaben 
der  saga,  wozu  ich  nicht  viel  zu  bemerken  habe.  Das  handschriftenverhältnis  ist 
ja  recht  einfach.  Von  besonderem  Interesse  ist  hier  das  Verhältnis  zu  der  Land- 
näma und  der  sogenannten  'jüngeren  Melabök',  die  (nicht  immer  wohlgelungene) 
auszüge  aus  der  saga  gemacht  hat.  Der  herausgeber  schliesst  sich,  was  diese 
Melabök  betrifft,  grösstenteils  an  schon  früher  ausgesprochene  ansichten.  Zu  kap.  '2 
(Sprache  und  darstellungsmittel)  ist  auch  nicht  viel  zu  sagen,  abgesehen  von  einigen 
kritischen  bemerkungen,  besonders  über  des  herausgebers  'statistisches'  raaterial 
(§  12).  Man  muss  mit  solchem  material  und  mit  Statistik  sehr  vorsichtig  sein.  Ich 
habe  hier  einwendungen  gegen  den  von  Vogt  gemachten  versuch,  beabsichtigte 
alliteration  nachzuweisen,  zu  erheben.  Hierfür  hat  er  offenbar  kein  gutes  ohr,  iind 
wenn  man  dies  nicht  besitzt,  können  die  resultate  notwendigerweise  nicht  ganz 
korrekt  sein.  Wenn  Vogt  so  in  einem  satze  wie :  sä  er  Haraldr  Iconimgr  gaf  per 
I  Hafrsfirdi  eine  stabreimende  Verbindung  ansetzen  will,  so  ist  das  unrichtig:  da 
der  Zwischenraum  zwischen  den  beiden  h  viel  zu  lang  ist.  Es  sind  auch  nicht 
3  Stäbe  in  einem  satze  wie  er  vid  alla  vill  illt  eiga  (hier  ist  eiga  so  schwach  betont, 
dass  es  nicht  mitgerechnet  werden  kann);  ebensowenig  in  dem  satze  hafa  hendr 
{  honum,  wo  überhaupt .  von  alliteration  nicht  die  rede  sein  kann,  da  hafa  nahezu 
unbetont  und  honum  gänzlich  unbetont  ist ;  in  dem  letzten  worte  ist  das  h  sogar 
kaum  hörbar  gewesen,  da  es  auf  die  stark  betonte  präpos.  d  folgt  {d  honum  ist 
-Lwv^  und  nicht  ^^^)  usw.  Eine  auf  solchen  anschauungen  aufgebaute  Statistik  ist 
wertlos.  —  Kap.  3  handelt  von  der  'Stellung  der  saga  in  der  Überlieferung',  und 
hier  können  wir  dem  herausgeber  auf  einem  weit  sichereren  boden  folgen.  Es 
wird  das  Verhältnis  der  Vatnsdoela  zu  vielen  verschiedenen  sagas  untersucht,  und 
das  resultat  ist,  dass  nur  die  Orkneyinga  saga,  das  Upphaf,  die  Fagrskinna  und 
'wohl   auch'  die    Laxdoela   die    quellen    des  Verfassers    waren.     Ich  bezweifle  jedoch 


MOSER,    ÜBER    TÖRNVALL,    DIE    ÄLTESTEN    DRIM  KE    DES    SIMrLICISSlMTS       267 

sehr,  dass  die  letztgenannte  saga  zu  den  quellen  der  Vd.  gerechnet  werden  kann, 
und  die  Fagrskinna  muss  wohl  sicher  ausscheiden,  da  es  ganz  ungewiss  ist,  dass 
sie  überhaupt  in  Island  bekannt  war.  Ein  zwingender  beweis  dafür  ist  nicht  bei- 
gebracht und  wird  sich  schwerlich  führen  lassen.  Das  4.  kapitel  handelt  von  der 
'kunst  des  Verfassers'  und  daran  schliesst  sich  kap.  5 :  'Geschichte  und  dichtung'. 
Der  Stoff  ist  zu  umfänglich,  um  hier  in  einer  kurzen  anzeige  erörtert  zu  werden ; 
meine  auffassung,  die  in  einzelnen  punkten  abweicht,  ergibt  sich  aus  meiner  be- 
sprechung  der  saga  in  der  neuen  ausgäbe  meiner  literaturgeschichte,  worauf  ich 
hiermit  verweise.  Aber  ich  muss  hier  meiner  freude  über  die  gründliche  und  vor- 
urteilslose behandlung  der  hier  untersuchten  probleme  ausdruck  geben  und  vermag 
im  grossen  und  ganzen  das  'gesamtbild'  des  lierausgebers  (§  32)  zu  unterschreiben. 
Was  Vogts  auffassung  des  ha»tin(/jamoti\s  anbetrifft,  das  nach  seiner  meinung  der 
ursprünglichen  saga  noch  nicht  angehörte,  so  muss  ich  davon  abstand  nehmen. 
Aber  ich  bin  einig  mit  ihm  in  der  ablehnung  von  Bäaths  annähme  eines  Streites 
zwischen  'hamingja'  und  'Schicksal'.  Dagegen  kann  ich  in  der  f'orsteinn-J9kull- 
geschichte  (s.  XLIII)  ein  /,-olbitr-m,ot\Y  nicht  linden. 

Trotz  der  einzelnen  ausstellungen  und  bedenken,  die  ich  glaubte  erheben  zu 
müssen,  muss  die  arbeit,  die  der  herausgeber  geleistet  hat,  als  eine  überaus 
tüchtige  und  solide  bezeichnet  werden ;  die  ausgäbe  zeugt  von  ausgebreiteter  be- 
lesenheit und  umfassenden  kenntnissen,  sowie  von  einer  im  grossen  und  ganzen 
besonnenen  und  gesunden  Urteilskraft  —  eigenschaften,  die  auch  schou  in  seinen 
früheren  abhandlungen  sich  bemerkbar  machten.  Ich  möchte  ihn  jedoch  davor 
warneu,  moderne  ästhetische  theorien  auf  die  alten  sagas  anzuwenden.  Es  ist 
etwas  beunruhigend,  dass  er  (s.  LXYI  anm.),  wenn  auch  mit  einiger  reserve,  der 
ästhetisch-kritischen  behandlung  der  Egilssaga  durch  A.  Bley  seine  auerkennung 
ausspricht,  einer  behandlung,  die  ich  als  durchweg  verfehlt  und  verkehrt  betrachte. 

KOPENHA(lEX.  FINNUR   .J()XSSÖX. 


0.  Einar  Töruvall,  Die  beiden  ältesten  drucke  von  Grimm  elshauseus 
'Simplicissimus'  sprachlich  verglichen,  üppsala  (Appelbergs  Bock- 
tryckeri  A.-B.)  1917.     VIII  u.  2-18  s.  und  i  bl.  faksimilia. 

Der  zweck  des  buches  ist,  obwohl  es  mit  ausnähme  der  knappen  —  allzu 
knappen  —  'Einleitenden  übersieht'  (s.  1—22)  aus  einer  rein  sprachlichen  darstellung 
besteht,  eigentlich  kein  sprach-  sondern  ein  Uteraturgeschichtlicher,  indem  die 
sprachliche  vergleichung  der  beiden  ersten  Simplicissimus-ausgaben  wesentlich  nur 
der  feststelhmg  des  Verhältnisses  beider  zu  einander  dienen  soll.  Dabei  kommt  T. 
zu  folgendem,  bereits  in  der  hauptsache  von  Schölte  (Probleme  d.  Grimmeishausen- 
forschung I  [1912J,  s.  192  fussn. '  und  Beitr.  bd.  40,  s.   269  ff.  -)  angedeuteten  -  von 

1)  Hier  muss  nebenbei  wieder  gegen  die  verbreitete  anfängerunsitte  der 
Unterlassung  von  stellenzitateu  einspruch  erhoben  werden ;  die  feststelhmg  der  ge- 
meinten, in  ganz  anderm  Zusammenhang  in  einer  fussnote(!)  gemachten  notiz  in 
jenem  vielgestaltigen  und  die  einzelnen  punkte  in  ganz  lockerer  form  aneinander- 
reihenden werke  gelang  mir  erst  auf  dem  umweg  über  des  Verfassers  eigenes  ge- 
legentliches zitat  wieder  in  einer  fussnote  seines  aufsatzes  Beitr.  bd.  40. 

2)  Die  abhandluug  wird  übrigens  überwiegend  -  fatalerweise  schou  im 
quellenverz.  s.  IV  und  dann  weiterhiu's.  2,  s.  17  fussn.,  s.  194  fussn.  —  mit  Beitr.  XI 


268  MOSEi? 

diesem  aber  nach  des  Verfassers  anc:abe  unabhän<jigen  resultat  (s.  16  ff.):  B  nebst 
E  [=  6.  buch]  (1669)  ist  die  —  vielleicht  zum  grössten  teil  schon  1668  g-edruckte 
und  anfang  1669  fertiggestellte  —  'erste  rechtmässige  aufläge',  die  sprachlich  über- 
arbeitete ausgäbe  A  (gleichfalls  1669)  dagegen  die  zweite,  aber  ebenfalls  recht- 
mässige, C  (1670)  nebst  F  [=  6.  buch]  (1669)  wäre  in  unmittelbarem  zeitlichen 
und  textlichen  anschluss  an  BE  ende  1669  und  in  der  1.  hälfte  1670  hergestellt 
worden  ',  ihr  folgt  dann  noch  die  vierte  aufläge  als  'authentische  ausgäbe  letzter 
band',  die  'stark  erweiterte  und  mit  kupferstichen  versehene  ausgäbe  D'  (1671),  die 
sich  bezüglich  des  titelbildes  und  der  Illustrationen  zwar  an  B— C  anschliesst,  'in 
spraclilicher  und  textlicher  hinsiebt  aber  durchweg  auf  A  beruht'.  Wie  man  sieht, 
kommt  somit  betreffs  der  editio  princeps  Kellers  ansieht  wieder  zu  ihrem  recht, 
dagegen  weicht  T.  darin  von  diesem  ab,  dass  er  in  A  ebenfalls  eine  Originalausgabe 

—  keinen  nachdruck  —  erkennt ;  die  demgegenüber  von  Kurz  und  Kögel  aufgestellte, 
in  der  tat  'abenteuerliche  hypothese'  eines  verlorenen  Ursimplicissimus  und  der 
Priorität  von  A,  die  bis  in  die  letzten  jähre  ziemlieh  allgemein  geltung  hatte,  darf 
heute  jedesfalls  als  endgiltig  erledigt  angesehen  werden.  Im  ganzen  treffen  T.s 
ausführungen  über  diesen  punkt  zweifellos  das  richtige,  im  einzelnen  bleiben  aber 
gewisse  Unebenheiten.  Das  über  die  datieruug  des  beschlusses  der  Continuatio  E 
s.  18 f.  gesagte  stimmt  offenbar  nicht:  T.  hat  bei  seiner  rechtfertigung  des  Jahres 
1668  die  monatsangabe  derselben  —  ende  april  (nicht  etwa  november  oder  dezember) ! 

—  ausser  acht  gelassen,  denn  wenn  'die  ausgäbe  B',  als  'G.  seine  Continuatio  fertig 
hatte',  'wenigstens  noch  nicht  ausgegangen  wai''  und  man  während  des  druckes  des 
6.  huches  'indessen  im  jähr  1669  gekommen  war',  so  hätte  der  letztere  ca. '/«  jähre 
in  anspruch  genommen,  man  hätte  somit  zur  drucklegung  der  ersten  5  bücher  in 
der  betreffenden  offizin  3—4  jähre  gebraucht;  da  würde  denn  doch  der  Verfasser 
nicht  nur  die  leistungsfähigkeit  einer  druckerei  in  der  2.  hälfte  des  17.  Jahrhunderts 
ganz  erheblich  unterschätzen,  sondern  er  macht  auch  sein  argument  von  der  flüchtig- 
keit  der  konzeption  des  6.  buches  völlig  illusorisch.  Dann  wäre  aber  auch  in  keiner 
weise  einzusehen,  weshalb  man  die  doch  nun  einmal  separat  gedruckten  ersten 
5  bücher  so  lange  unveröffentlicht  hätte  liegen  lassen  sollen.  Zudem  würde  damit 
die  ganze  aufstellung  über  A  und  C  hinfällig.  An  eine  an  dieser  stelle  auf  jeden 
fall  ganz  sinnlose  fälschung  der  datierung  ist  natürlich  nicht  zu  denken,  am  wahr- 
scheinlichsten ist  mir  ein  druckfehler  für  1669.  Über  die  gesamte  erste  ausgäbe 
findet  sich  ausserdem  s.  82,  fussnote  eine  im  direkten  widersprach  zum  obigen 
stehende  —  übrigens    auch    in    ihrer   begründung   ungerechtfertigte   —   bemerkung, 

zitiert.  Überhaupt  vermisse  ich  in  dem  langen,  die  unbedeutendsten  kleinigkeiten 
geradezu  pedantisch  bessernden  druckfehlerverzeichnis  (s.  VII f.)  eben  die  richtig- 
stellung  der  irreführenden  und  manchmal  direkt  den  sinn  verdunkelnden  fehler: 
s.  4,  z.  3  V.  u.  muss  es  offenbar  J  statt  T  heissen;  s.  9,  z.  13  f.  kann  ich  nur  ver- 
stehen, wenn  ich  durchaus  oder  völlig  für  allerdings  einsetze,  entsprechend  aber 
auch  s.  51,  z.  14  und  s.  153,  z.  11  (liegt  hier  also  vielleicht  ein  falscher  Sprach- 
gebrauch in  der  frnhd.  bedeutung  des  wortes  vor?),  s.  181,  z.  7  und  s,  209,  z.  4  ist 
das  mehr  zu  tilgen,  eventuell  in  ziemlich  oder  recht  zu  bessern. 

1)  D.  h.  wenn  ich  die  unklaren  ausführungen  T.s  über  diese  ausgäbe  richtig 
verstanden  habe:  ich  nehme  nämlich  an,  dass  s.  19,  z.  19  statt  der  ersten  edition 
vielmehr  dieser  edition  (d.  h.  C)  zu  lesen  ist,  da  ich  sonst  keinen  sinn  in  den 
Zusammenhang  bringen  kann  (vgl.  dazu  den  zusatz  beim  Stammbaum  s.  21),  denn 
die  annähme,  in  C  liege  eine  blosse  titelausgabe  von  B  durch  vorkleben  eines  neuen 
titelblattes  bei  den  restexemplaren  von  B  oder  auch  neuabzügen  des  alten  satzes 
vor,  ist  nach  den  angaben  bei  Keller,  Kurz  und  Kögel  wohl  ausgeschlossen. 


ÜBER   TÖRXVALL,    DIE  ÄLTESTEN  DRUCKE  DES  SIMPLiriSSIMUS  269 

falls  es  nicht  wenigstens  cnisti/obe  statt  anflaf/e  heissen  soll.  Gänzlich  unhaltbar  ist 
auch  die  behauptung  (s.  17),  dass  A  'beinahe  gleichzeitig'  mit  der  1.  aufläge  ge- 
druckt sei,  da  man  ein  werk,  über  dessen  erfolg  man  noch  gar  nichts  wusste,  doch 
sicher  nicht  gleich  in  zwei  auflagen  —  und  das  blos  aus  sprachlichen  gründen  — 
druckte.  Bis  zu  einem  gewissen  grad  gilt  überhaupt  auch  von  T.s  ausführungen 
sein  treffendes  wort  (s.  .8),  dass  durch  das  hypothetische  noch  immer  'die  Situation 
mehr  als  nötig  verwirrt'  ist.  Die  natürliche  zeitliche  folge  ist:  BE:  1668  bis  gegen 
mitte  1669,  A:  im  weitern  verlauf  1669,  CF:  1670  (Jahreszahl  auf  F  wohl  nur 
mechanischer  nachdruck  der  vorläge),  D:  1671;  dass  die  2.  aufläge  der  1.  etwas 
rascher  folgt  als  die  beiden  übrigen,  ist  eine  noch  heute  geltende  erscheinung  und 
ich  verstehe  den  hieran  genommenen  anstoss  nicht. 

Eine  grundfrage,  die  nach  dem  druckort  beziehungsweise  dem  drucker  der 
verschiedenen  ausgaben,  schiebt  der  Verfasser  vollständig  beiseite,  ja  die  sache 
scheint  ihm  so  selbstverständlich  oder  nebensächlich,  dass  er  nicht  einmal  das 
hypothetische  andeutet  oder  auch  nur  seine  gewährsmänner  zitiert.  Auf  veranlassung 
.J.  Grimms  hin  (Serapeum,  bd,  17  [1856],  s.  175)  hat  Keller  (a.  a.  o.  und  Simpl.- 
ausg.  bd.  4  [1862],  s.  910  f.)  das  impressura  Monpelgart  IGedruclt  hei/  Johann  FiUion/ 
.  .  .  mit  dem  hinzufügen,  'als  druckort  und  Verleger  .  .  .  werde  Nürnberg  und  Fels- 
ecker anzusehen  sein',  für  lingiert  erklärt.  Darauf  und  auf  Kurz's  ergänzung 
(Simpl.-ausg.  bd.  1  [1863],  s.  LH,  fussnote)  weiterbauend,  hat  dann  meines  wissens 
erst  Schölte  (Grimmelsh. -forsch,  s.  64  ff.  beziehungsweise  s.  58  ff.)  die  ganze  hypo- 
these  völlig  unzweideutig  ausgesprochen  und  etwas  ausführlicher  erörtert ;  einen 
strikten  beweis  konnte  auch  er  für  keinen  teil  derselben  erbringen,  manches 
fordert  direkt  zum  wiederspruch  heraus,  einiges  steht  auch  mit  seinen  eigenen 
angaben  nicht  im  einklaug'.  T.s  Stellungnahme  ist  ganz  unklar:  zuerst  nimmt  er 
für  B  und  A  scheinbar  zwei  verschiedene  drucker  (die  andeutung  s.  17,  abe^^  deutlich 
erst  bei  der  zurücknähme  s.  247)  —  wobei  er  bezeichnenderweise  das  'Verlagsrecht' 
(s.  17)  mit  der  drucklegung  verwechselt,  beide  aber  offenbar  in  Nürnberg  befindlich 
(s.  22  ist  von  dem  'von  nürnbergisch-obd.  formen  durchsetzten  original'  d.  h.  B 
und  anderseits  von  gewissen  'Übereinstimmungen  mit  den  regeln  .  .  .  des  Nürn- 
bergers P.  Harsdörff'er'  in  A  die  rede)  —  an  '^ ;  diese  kuriose  annähme  von  zwei  druckern 
und  Verlegern  der  gleichen  Stadt  und  zu  gleicher  zeit  bei  ein  und  demselben  werk 
wird  dann  in  den  'Nachträgen'  (s.  247)'  ausdrücklich  zurückgenommen  und  sowohl 
B  als  A  der  nämlichen  druckerei  (und  doch  wohl  auch  verlag)  zugesprochen,  in 
der  man  nach  einer  schon  vorher  (s.  246)  gemachten  bemerkung  jedesfalls  'Felß- 
eckers  offizin'  erkennen  soll.  So  kommt  schliesslich  Scholtes  anschauung,  W.  E. 
Felßecker  sei  drucker  und  Verleger  aller  Simplicissimus-ausgaben  gewesen,  zum 
klaren  durchbruch.  Über  die  bedeutung  und  den  Zusammenhang  dieser  frage  mit 
seiner  Untersuchung  hat  sich  der  Verfasser  sichtlich  keine  deutliche  meinung  ge- 
bildet. Im  übrigen  schliesst  er  sich  auch  der  durch  Kögel  (Simpl.-ausg.  s.  XXVII) 
angeregten  korrektor-hypothese  Scholtes  (Beitr.  bd.  40,  s.  303)  ohne  weiteres  au  (s.  17, 

1)  So  die  (an  sich  recht  unwahrscheinliche)  deutung  des  namens  FiUion 
(s.  70  fussn.)  mit  dem  eintrittsjahr  des  Jüngern  Felßeckers  ins  geschäft  (s.  64). 

2)  Im  hauptteil  wird  dann  dauernd  einfach  von  der  Nürnberger  drucker- 
sprache  als  selbstverständlicher  Voraussetzung  gesprochen. 

3)  Diese  ganze  berichtigung  ist  überhaupt,  wie  immer  in  solchen  fällen,  eine 
criix,  weil  sie  in  ihren  konsequenzen  verfolgt  einen  teil  der  in  der  einleitung  ge- 
machten aufstellungen  wiederum  aufhebt. 


270  MOSEU 

s.  22,  s.  245f.  und  durcligelieiul  in  der  sprachlichen  uiitersucliunü:).  Ich  hatte,  durch 
die  vorlleg-ende  arbeit  angeregt,  zuerst  den  versuch  unternommen,  dieser  drucker- 
frage auf  sprachlichem  weg  einigermassen  beizukommen;  um  es  aber  gleich  zu 
sagen :  ich  sah  mich  immer  mehr  im  kreis  herumgeführt  und  kam  zuletzt  zu  einem 
glatten  'Non  liquet'.  Immerhin  halte  ich  den  schon  von  Kurz  (a.  a.  o.)  gewiesenen 
Aveg  für  den  richtigen :  eine  scharfe  trennung  von  verlagsort  und  druckort  beziehungs- 
weise von  Verleger  und  drucker.  Mag  man  das  impressum  für  fiktiv,  Felßeckcr 
für  den  schon  anfängliclien  Verleger  halten  —  mir  scheinen  auch  diese  beiden 
punkte  noch  nicht  erwiesen  — ,  der  drucker  beider  ausgaben  kann  er  meiner  ansieht 
nach  mindestens  nicht  gewesen  sein;  das  ergibt  sich  für  mich  gerade  aus  der 
vorliegenden  darstellung.  Was  diese  Untersuchung  mit  völliger  klarheit  erweist, 
ist:  die  1.  ausgäbe  (B)  zeigt  einen  ausgesprochen  oberd.,  die  2.  (A)  ihr  gegen- 
über einen  ebenso  ausgesprochen  md.  sprachcharakter.  Schölte  (Beitr.  bd.  40,  s.  268  ff.) 
ist  mit  feinem  gefühl  von  den  syntaktischen  Veränderungen  in  A  ausgegangen,  die 
natürlich  —  wie  auch- die  fremdwortverdeutschungen  —  nicht  auf  den  drucker 
zurückgehen  können ;  besonders  ins  gcAvicht  fällt  bei  seiner  Untersuchung  der 
parallelismus  mit  den  Courage-ausgaben,  doch  bliebe  erst  noch  festzustellen,  wie- 
weit sich  dieser  auch  bei  den  lauten  und  formen  erstreckt.  Trotz  allem  kann  ich 
nicht  glauben,  dass  zwei  sprachlich  so  verschiedene  drucke  vom  gleichen  druckort 
stammen  und  aus  der  gleichen  presse  hervorgegangen  sind.  Mit  dem  'archaistischen 
Charakter'  der  änderungen  und  dem  bewussten  anschluss  an  die  Luther-sprache  durch 
einen  korrektor  in  A,  womit  T.  sich  wiederholt  zu  helfen  sucht,  kommt  man  nicht 
durch.  Formen  wie  das  ausgesprochen  dialektische  geflegt  (s.  121),  zeuch  (<  zeug  B) 
(s.  140  unten),  das  nd.  ßciggc  (s.  145)  und  besonders  das  isolierte  praet.  verbleib 
(s.  195)  können  nicht  als  'zielbewusste  änderungen'  (s.  22)  —  wohl  gemerkt:  än- 
derungen gegen  B!  —  und  als  solche  auch  nicht  als  auf  den  md.  heimatdialekt 
Grimmeishausens  zurückgehend,  sondern  nur  als  eutgleisungen  eines  md.  setzers 
erklärt  werden.  Überhaupt  erscheint  das  verfahren  des  'korrektors'  von  A  durchaus 
nicht  immer,  wie  T.  gelegentlich  selbst  zugesteht  (wie  s.  25,  s.  78),  so  'zielbewusst' 
(vergl.  z.  b.  s.  33  über  trucken :  trocken).  Umgekehrt  scheinen  in  B  spuren  des  alem. 
druckorts  —  die  Mömpelgarter  druckersprache  Jac.  Foillets  stimmt-  nach  meinen 
Untersuchungen  zur  gleichzeitigen  elsäss.,  —  nachweislich  zu  sein :  ausser  dem 
häutigen  icii-  <  vi-  (s.  37)  uüd  entrundeten  i  (s.  88  f.)  der  isolierte  monophthong 
in  rerylich  (subst.)  (s.  40  unten),  wo  von  einer  'ablautsform',  da  ja  kein  altes  ei 
zugrund  liegt,  keine  rede  sein  kann,  das  ebenso  isolierte  stahn  {e.  207),  das  regel- 
mässig zweisilbige  ohne  (s.  98)  (vgl.  Behaghel*  §  201),  die  echt  elsäss.  Lütfig 
(s.  138)  und  frähligem  (s.  140)  (vgl.  Beitr.  bd.  13,  s.  236  f.,  §  71).  Die  spräche  von 
B  fortwährend  in  beziehuug  zur  hess.  ma.  des  autors  zu  bringen,  gellt  überhaupt 
bei  deren  ausgeprägt  oberd.  Charakter  nicht  an,  um  so  weniger  als  dieses  hess. 
öfter  sogar  gegen  B  zu  A  stimmt  (wie  z.  b.  bei  dem  öftern  «  für  mhd.  e  in  A 
gegen  e  in  B  [s.  25  f.]).  Schwierigkeiten  macht  das  häutige  ni,  äi  (s.  40,  bes.  fussn.) 
in  beiden  druclien:  aus  Felßeckers  offizin  kann  es  nicht  stammen,  da  dieser  ja 
aus  Bamberg  (nicht  aus  Bayern  oder  Schwaben)  nach  Nürnberg  kam  (Schölte, 
Grimmelsh. -forsch,  s.  61  f.);  denkbar  wäre,  dass  ein  Mömpelgarter  drucker,  der  so 
gut  wie  Foillet  württemb.  hofbuchdrucker  sein  konnte,  es  aus  dem  schwäb.  stamm- 
land  dort  eingeführt  habe,  wahrscheinlicher  ist  es  aus  dem  manuskript  des  Verfassers 
in  den  druck  gekommen  (vgl.  Zeitschr.  bd.  46,  s.  35  ff.).  AVarum  hat  aber  der 
korrektor   gerade    dieses  deiiQ  Harsdörffer-kreis  und  überhaupt  der  damaligen  Nürn- 


ÜBER   T()RNVALL,   DIE   ÄLTESTEN   DRÜCKE   DES    SIMPLICISSI.MÜ.S  271 

berger  druckersprache  ganz  oder  zum  mindesten  in  diesem  umfang,  noch  mehr 
aber  der  Luther-sprache  fremde  ai  völlig  unbeanstandet  gelassen?  Beachtenswert 
und  zugleich  bezeichnend  sind  die  mehrmals  von  T.  angezogenen  parallelen  mit 
Baeseckes  Untersuchung  über  die  s])rache  Opitz's  (so  s.  34,  s.  121):  hier  handelt  es 
sich  ja  tatsächlich  um  unterschiede  zwischen  alem.  (Strassburger)  und  ostmd. 
(Breslauer)  druckersprache.  Die  weite  entfernung  der  beiden  druckoite  von  B  und  A, 
die  eine  Versendung  des  Originalstockes  wegen  der  kürze  der  zeit  unmöglich  und 
auch  unrentabel  machte,  ist  für  mich  auch  —  nachdem  infolge  der  von  Schölte 
und  Törnvall  beigebrachten  gründe  die  annähme  eines  unberechtigten  nachdrucks 
ein  für  allemal  erledigt  ist,  —  die  einzig  ungezwungene  erklärung,  warum  A  und 
nur  A  einen  nachschnitt  für  das  titelbild  benutzte;  denn  dass  sich  im  17.  Jahr- 
hundert ein  drucker  beziehungsweise  Verleger  bloss  wegen  der  orthographischen 
marotte  eines  korrektors,  wie  T.  will  (s.  247),  die  kosten  eines  neuen  Schnittes 
auferlegt  hätte,  ist  nicht  denkbar,  da  hierbei  durch  Übertragung  moderner  Ver- 
hältnisse einer  orthographischen  einzelerscheinung  eine  bedeutung  beigemessen 
wird,  die  jener  zeit  vollständig  fremd  war.  Im  übrigen  ist  im  äuge  zu  behalten, 
dass  Grimmeishausen  seine  früheren  werke  durchweg  anderswo  verlegte  und 
drucken  lies  (s.  Schölte  a.  a.  o.  s.  71  f.  und  s.  155,  wo  dies  aber  verschleiert 
wird)  und  vor  1670  beziehungen  desselben  zu  Felßecker  überhaupt  nicht  nach- 
gewiesen sind  (s.  Schölte  s.  59  f.),  dass  der  ältere  Felßecker  als  drucker  nur  bei 
einem  einzigen  Grimmelshausen-werk  einwandfrei  feststeht  (Schölte  s.  59  f.,  un- 
richtig dagegen  s.  71  oben  [vgl.  s.  60  unten])  und  dass  dieser  selbst  als  Verleger 
anderwärts  (Fulda,  Altenburg)  drucken  liess  (Schölte  s.  60,  dessen  begründung 
selbstverständlich  in  keiner  weise  stichhaltig  ist).  In  betracht  zu  ziehen  wären 
ausserdem  noch  die  papierfrage  (vgl.  Kögel  s.  XXIII),  viel  weniger  in  so  später 
zeit  die  typenfrage  (ebenf.  Kögel  a.  a.  o.),  eher  vielleicht  die  schriftspiegel- 
verhältnisse ;  doch  wäre  dazu  fachschulung  in  diesen  dingen  unbedingt  nötig. 
Wie  gesagt:  ich  wollte  anfänglich  die  ganze  frage  ausführlich  und  systematisch 
erörtern;  da  mich  dies  jedoch  immer  weiter  über  den  rahmen  einer  besprechung 
führte  und  ich  trotzdem  zu  keinem  festen  ziel  gelangen  konnte,  so  mögen  diese 
paar  andeutungen  genügen.  Ausserdem  fehlt  noch  der  grösste  teil  der  notwendigen 
vorarbeiten  und  wird  noch  in  absehbarer  zeit  fehlen  (eigene  darstellung  der  spräche 
von  B,  Grimmeishausens  handschriftliche  spräche,  überhaupt  alle  Untersuchungen 
über  die  druckersprachen  in  der  2.  liälfte  des  17.  Jahrhunderts)  und  ist  selbst  dann 
wegen  des  starken  Verfalls  und  der  nur  mehr  ziemlich  geringen  unterschiede  der 
druckersprachen  jener  epoche  das  resultat  recht  zweifelhaft.  Man  darf  höchst 
gespannt  sein,  was  Schölte  in  seinen  angekündigten  arbeiten  über  diesen  punkt 
bringen  wird*.  Einstweilen  halte  ich  das  problem  für  ungelöst  und  —  unlösbar. 
Die  sprachliche  Untersuchung  selbst  einschliesslich  der  beherrschung  der 
einschlägigen  grammatischen  probleme  und  literatur-  ist  vorzüglich.    Xicht  sonder- 

1)  Korr.-note:  Auch  in  seiner  letzten  abhandlung  in  der  Zeitschr.  f.  bücher- 
freunde.  Neue  folge  12.  jhg.  (1920/21),  hauptbl.  s.  9—21,  die  nur  eine  mehr  popu- 
läre Zusammenfassung  seiner  früheren  arbeiten  unter  geringer  bezugnahme  auf  die 
vorliegende  Untersuchung  ist,  hat  er  indess  keine  neuen  gesichtspunkte  zu  dieser 
grundlegenden  frage  beigebracht. 

2)  Vermisst  habe  ich  im  Verzeichnis  nur  Rieh.  Müllers  schulprogramm^'Die 
spräche  in  Grimmeishausens  roman  'Der  abenteuerliche  Simplicissimus',  I.  teil", 
Eisenberg  1897,  worin  ich  diese  jedoch  entgegen  Schölte  (a.  a.  o.  s.  115)  nicht  eben 
'mit  anerkennenswerter   genauigkeit   beschrieben'    finden    kann,  da  die  arbeit  durch 


272        MOSER,    ÜBKR    TÖRNVALL,    DIE    ALTESTEN    DRUCKE   DES    SIMPLICISSBIUS 

lieh  praktisch  und  übersichtlicli  finde  ich  die  anordniing  des  Stoffes.  Vielleicht 
wird  im  hinblick  auf  den  buchunifaiii;'  bei  oberflächlicher  betrachtung  die  nieinunrr 
laut  werden,  der  Verfasser  hätte  statt  der  bis  in  jede  einzelnheit  vollständigen 
vergleichung  sich  durch  auswahl  der  wichtigsten  unterschiede  beschränkung  auf- 
erlegen sollen;  durch  die  Vollständigkeit  wird  aber  die  bei  einer  —  auch  der  besten  — 
erstarbeit  besonders  gefährliche  Subjektivität  ausgeschaltet  und  eine  völlige  Sicher- 
heit bietende  benutzung  des  materials  gewährleistet.  Wie  wichtig  bei  den  ver- 
wickelten Griramelshausen-problemen  gerade  einzelnheiten  werden  können,  dürfte 
aus  dem  vorher  gesagten  hervorgehen.  Das  buch  hat  vielmehr  eben  darum^  dass 
es  ganze  arbeit  gemacht  hat,  bleibenden  wert  für  die  forschung  und  steht  über- 
haupt in  jeder  beziehung  weit  über  den  wenigen  bisherigen,  (ausser  der  unten 
erwähnten)  durchweg  auch  nur  einzelne  kapitel  behandelnden  Untersuchungen  zu 
Grimmeishausens  spräche. 

Von  einzelnheiten  greife  ich  zum  schluss  noch  folgendes  heraus:  Wendungen 
wie  'A  führt  die  schriftspr.  form  wieder  ein'  (s.  32),  zeigt  'unverkennbare  annäherung 
an  die  nhd.  gemeinsprache'  (s.  118)  usw.  sind  unklar  und  irreführend,  weil  sie  einen 
damals  noch  nicht  existierenden  faktor  einführen ;  es  sollte  dafür  nur  von  den  je- 
weiligen Schriftdialekten  —  meist  also  den  md.  —  die  rede  sein.  Über  i  und  e 
(s.  30  f.)  vgl.  Beitr.  bd.  41,  s.  437  ff',  vermüyen,  müglich  in  A  (s.  83)  sind  keine 
'altertümmelnde  tendenz'  des  korrektors,  sondern  im  md.  (bes.  westmd.)  und  bayr. 
(auch  nürnb.?)  noch  oft  vorkommende  formen  (vgl.  Bahder  s.  197),  während  speziell 
das  alem.  (und  schwäb.  V)  früh  die  o-form  von  B  bevorzugt.  Die  Synkope  in 
(jmtg  (s.  52  f.)  beruht  auf  dem  mhd.  synkopierungsgesetz  (Paul '  §  61,  Weinh.  §§  79—80) 
und  ist  auch  bei  den  md.  prosaisten  des  17.  Jahrhunderts  durchaus  gebräuchlich 
(z.  b.  auch  Spee  [vgl.  Zeitschr.  bd.  4H,  s.  44]  und  Schottel).  Ebenfalls  auf  das  mhd. 
synkopierungsgesetz  gehen  die  änderungen  von  nachtonigem  -ren,  -len  >  -rn,  In 
(s.  56)  und  auch  in  dritter  silbe  stehendem  -erem,  -eren  >  -erni,  -ern  (s.  62)  zurück 
(Paul  §  60,  Weinh.  §§  18,-  78  und  80),  dessen  nachleben  in  den  erstem  fällen  ich 
noch  öfter  in  drucken  des  17.  Jahrhunderts  beobachtet  habe,  während  es  in  den 
letztern  -  wohl  mehr  unter  einfluss  des  Behagjielschen  gesetzes  (§  191)  —  eine 
gewöhnliche  erscheinuug  ist.  An  ein  numeraldifferenzierungsgesetz  kann  ich  schon 
hier  nicht  recht  glauben,  noch  viel  weniger  aber  betreffs  der  ausstossung  des 
m  ittelsilbigen  vokals  bei  -eii-,  -er-  (s.  58ff.);  denn  zur  kennzeichnung  des 
numerusunterschieds  kann  doch  immer  nur  die  letzte  silbe  d.  h.  die  endung,  nicht 
die  mittel-  d.  h.  die  wortbildungssilbe  dienen,  die  'zahlreichen  ausnahmen'  gibt  ja 
auch  der  Verfasser  (s.  64)  zu.  Das  häufige  erscheinen  des  thematischen  -e-  beim 
praet.  der  schw.  verba  mit  liquidem  stammausgang  (s.  71  f.)  darf  nicht  mit  dem 
sprossvokalischen  e  zwischen  r  (nie  /!)  und  nasal  einsilbiger  Wörter  (vgl.  üher  dessen 
mundartliche  Verbreitung  auch  H.  Reis,  Deutsche  maa.,  1912,  s.  61  f.)  in  Zusammen- 
hang gebracht  werden,  da  sich  dieses  nur  am  wortende  und  aus  einem  sonanten 
entwickelt;  das  mhd.  gesetz  hat  im  frnhd.  längst  nicht  mehr,  beziehungsweise 
hatte   im  md.  überhaupt  nie   als  solches  geltung,  sondern  infolge  der  Vermischung 

ihren  ganz  verfehlten  Standpunkt  (lediglich  Verzeichnung  von  abweichungen  gegen- 
über der  heutigen  Schriftsprache),  ihre  Oberflächlichkeit  (vgl.  dazu  gleich  den  Wider- 
spruch: B  ein  'sehr  verunstalteter  nachdruck'  [s.  6]  und  'B  und  A'  'in  Nürnberg 
bei  Felßecker  .  .  .  erschienen'  [s.  7])  und  Unübersichtlichkeit  ein  völlig  verschobenes 
bild  der  spräche  der  zugrund  gelegten  ausgäbe  A(!)  gibt,  wie  jetzt  vor  allem  der 
vergleich  mit  T.  leicht  erkennen  lässt. 


STAMMLER   CBER  KISCH,  I-EIPZIGEK  schöffenspruchsammlung  273 

der  verschiedenen  klassen  kann  überall  der  themavokal  stehen  oder  fehlen  (vgl. 
Behaghel  §  200,  1  und  §  330,  2-4,  auch  Paul  §  102).  Die  annähme,  dass  im 
hess.  zur  zeit  Grimmelsh.s  das  einfache  (nur  schwache?)  praet.  'noch  lebendig 
gewesen'  sei  (s.  96,  fpssn.),  ist  ganz  unzulässig  und  die  begründung  nicht  stich- 
haltig; die  Umschreibung  ist  in  der  schriftliclien  niedersetzung  nie  und  nirgends 
durchgedrungen  und  als  'formen  der  Schriftsprache'  gelten  eben  im  oberd.  und 
weatmd.  noch  übers  17.  Jahrhundert  hinaus  (im  16.  Jahrhundert  auch  im  ostmd.) 
-et  und  -{e)te  unterschiedslos  nebeneinander.  In  fällen  wie  ein  stumm  (s.  181)  liegt 
nicht  unflektierte,  sondern  schwache  form  vor  (s.  Paul  §  210).  Das  zitat  über 
-linde  (s.  209,  fussn.  2)  ist  missverstanden,  da  a.  a.  o.  nur  von  der  bewahrung  des 
vollvokals,  nicht  des  auslauts-e  die  rede  ist;  vgl.  statt  dessen  Kehrein  bd.  3,  §§  7, 
39  und  besonders  147,5;  Behaghel  §  191,5.  Auffällig  ist  die  regelmässige  Schreibung 
Ack.  (auch  ausgeschrieben  Ackusativ  s.  188).  Zu  erwähnen  wäre  noch  die  aus- 
dehnung  des  ausdrucks  frnhd.  auf  die  2.  hälfte  des  17.  Jahrhunderts  —  also  wieder 
eine  etwas  andere  Verwendung  des  begriffs  (vgl.  Zeitschr.  bd.  49,  s.  140). 

Nicht  verstehen  kann  ich,  was  mit  den  'beziehungen,  die  zwischen  dem 
Simplicissimus  und  den  schritten  des  Aegidius  Albertinus  bestehen'  sollen  (s.  246), 
gemeint  ist.  Der  Zusammenstellung  nach  hat  der  Verfasser  hier  doch  offenbar 
nicht  literarische,  sondern  sprachliche  zusammenhänge  im  äuge  —  letzteres  ist  aber 
(ich  habe  mich  eben  länger  mit  der  Münchner  druckersprache  des  17.  Jahrhunderts 
beschäftigt,)  ganz  ausgeschlossen. 

Nachtrag:  Die  verwickelte  frage  nach  den  druckern  der  ersten  Simpli- 
cissimus-ausgaben  ist  nun  seit  der  niederschrift  obiger  gedanken  im  sommer  1918 
durch  H.  Borcherdts  geistreiche  abhandlung  über  'Die  ersten  ausgaben  v.  Grimmeis- 
hausens Simplicissimus",  München  1921,  in  ein  neues  Stadium  getreten,  wobei  der 
Verfasser  zu  meiner  freude  z.  t.  zu  ähnlichen  anschauungen  kommt;  ein  näheres 
eingehen  auf  diese  ist  hier  leider  nicht  mehr  möglich.  Durch  A.  Bechtolds  mit- 
teüungen  über  die  anzeigen  von  'Grimmeishausens  Schriften  in  den  messkatalogen 
von  1660-1675'  im  Euphor.  bd.  23  (1921),  s.  496^99  ist  indess  gleich  darauf  die 
Sache  noch  weiter  kompliziert  worden.  Auf  jeden  fall  rauss  aber  nochmals  betont 
werden,  dass  eine  scharfe  Unterscheidung  zwischen  drucker  und  Verleger,  deren 
Wohnorte  schon  im  16.  und  17.  Jahrhundert  oft  sehr  weit  auseinander  lagen  (Basel- 
Wien,  München— Köln  seien  nur  als  extrembeispiele  angeführt,)  —  selbst  wenn 
letztere  eigene  sehr  bedeutende  offizinen  besassen,  — ,  zu  machen  ist. 

MÜNCHEN.  V.  MOSER. 


Leipziger  s  ch  offen  spruchsam  mlung.  Herausgegeben,  eingeleitet  und  be- 
arbeitet von  Gnido  Kisch.  (Quellen  zur  geschichte  der  rezeption.  I.  bd ) 
Leipzig  1919,  S.  Hirzel.     XVI,  126*,  655  s.  45  m. 

Dieser  monumentale  band  eröffnet  ein  unternehmen,  welches  das  im  rahmen 
der  'Sächsischen  forschungsinstitute  in  Leipzig'  bestehende  'Forschungsinstitut  für 
rechtsgeschichte'  unter  der  leitung  von  Adolf  Wach  ins  leben  gerufen  hat.  Die  für 
das  gesamte  geistige  leben  des  deutschen  volkes  so  bedeutungsvolle,  so  tief  dahiu- 
einschneidende  rezeption  des  römischen  rechtes  soll  neues  licht  erhalten,  ihre  Ursachen 
und  ziele,  in  betreff  deren  wir  bisher,  trotz  allen  scharfsinnigen  Vermutungen  und 
forschuugen,  über  Stölzel  kaum  hinausgekommen  sind,  sollen  an  der  band  un- 
erschlossenen   materials   blossgelegt    werden.      Damit  wird,  parallel  zu  Konrad  Bur- 


•J74  STAMMI.KK 

daohs  weitausgreifenden  forschungcn,  die  ringende  und  gärende  Übergangszeit  vom 
mittelaltor  zur  reformation  uns,  den  nachfahren,  im  ganzen  und  im  einzelnen  klarer 
werden  und  tieferes  Verständnis  finden.  Deshalb  muss  auch  der  gerraanist  mit  dem 
rechtsgeschichtlichen  unternehmen  von  seinen  gesichtspuukten  aus  sich  befassen 
und  wird  nicht  ohne  nutzen  für  eigene  erkenntnis  Bolche  arbeit  leisten. 

Die  geschichte  der  rezeption  des  römischen  rechtes  in  ganz  Deutschland  kann 
nur  dann  verstanden  werden,  wenn  die  landschaftlichen  anfeile  blossgelegt  und  ge- 
deutet sind.  Dies  haben  auch  die  leiter  des  neuen  Unternehmens  erkannt  —  Guido 
Kisch,  der  sich  bescheiden  als  solcher  nicht  nennt,  dürfte  wohl  bei  der  aufstellung 
des  planes  ein  grosses  verdienst  zuzuschreiben  sein  —  und  demgemäss  ihre  Unter- 
suchungen mit  dem  obersächsischen  recht  begonnen. 

1523—1524  stellte  ein  mitglied  des  Leipziger  Schöffenstuhles  für 
eigenen  gebrauch  aus  handschriftlichen  und  gedruckten  Sammlungen  und  rechts- 
büchern  eine  kompilation  von  schöfifengerichtlichen  entscheidungen  zusammen,  die 
in  der  hs.  M  20  der  sächsischen  landesbibliothek  zu  Dresden  erhalten  ist.  Der 
Sammler  bezeichnet  sich  einmal  nur  mit  den  initialen  A.  B.  Vielleicht  Hesse  sich 
bei  einer  durchsieht  der  Leipziger  schöffenlisteu  jener  zeit  daraus  sein  name  er- 
schliessen;  es  ist  nicht  ersichtlich,  ob  Kisch  den  ver.such  gemacht  hat. 

Diese  Sammlung  von  schöffensprüchen,  deren  ältester  von  1350  herstammt, 
die  letzten  aus  der  zeit  des  Sammlers  datieren,  legt  Kisch  in  einem  sorgfältigen 
kritischen  abdruck,  mit  ausgezeichneter  einleitung '  und  trefflichen  registern  vor. 
Es  ist  nur  zu  bedauern,  dass  nicht  eine  photographische  nachbildung  einer  hs.-seite 
geboten  ist;  man  ist  doch  recht  begierig,  die  von  Kisch  charakterisierte  ungelenke 
schreiberhand  selbst  sehen  zu  können.  Auch  halte  ich  es  für  durchaus  erforderlich, 
dass  in  jedem  hss. -Verzeichnis,  auch  dem  bloss  registrierenden,  stets  zeit  und  (wenn 
möglich)  herkunft  der  einzelnen  hs.  angegeben,  anstatt  dass  der  leser  auf  mitunter 
weit  entfernte  literatur  verwiegen  oder  gar  auf  eine  zukünftige  publikation  ver- 
tröstet wird. 

Mit  den  editionsgrundsätzen  (s.  112*  ff.)  kann  man  sich  nur  einver- 
standen erklären.  Bedauerlich  erscheint  indes,  dass  die  sprachlichen  abweichungen 
anderer  hss.  nicht  in  den  apparat  aufgenommen  wurden ;  für  die  erforschung  der  deut- 
schen rechtsprache  hätte  es  doch  recht  ergiebig  sein  können,  wenn  parallele  formein 
und  Wörter  zu  verzeichnen  gewesen  wären.  Mit  freuden  habe  ich  von  Kischs  ab- 
sieht kenntnis  genommen,  dass  er  einer  späteren  Veröffentlichung  über  den  oberhof 
Magdeburg  kartenskizzen  mit  Verzeichnis  sämtlicher  orte  beigeben  will,  deren 
rechtsverkehr  mit  Magdeburg  und  Leipzig  urkundlich  bezeugt  ist.  Vor  mehreren 
Jahren   habe   ich   schon   dieselbe   forderung   erhoben',   und  sie   ist  auch  in  der  mir 

1)  Einen  heutzutage  häufig  geübten  editorischen  misstand  rügt  Kisch  meines 
erachtens  mit  vollem  recht:  'In  älteren  und  neuereu  quellenpublikationen  verbreiten 
sich  die  herausgeber  in  den  einleitungen  bald  mit  grösserer,  bald  mit  geringerer  aus- 
führlichkeit  über  den  Inhalt  der  von  ihnen  bearbeiteten  quellen.  Soweit  er  nicht 
notwendig  für  die  quellengeschichte  herangezogen  werden  muss,  möchte  ich  einem 
solchen  verfahren  allgemein  jede  wissenschaftliche  berechtigung  absprechen.  Denn 
die  für  jede  wissenschaftliche  forschung  zu  fordernde  gründlichkeit  kann  nur  durch 
Spezialuntersuchung  und  in  monographischer  darstelluug  erreicht  werden.  Es  mag 
entsagungsvoll  erscheinen,  diese  oder  jene  bemerkenswerte  beobachtung  oder  schluss- 
folgerung  in  einer  bescheidenen  anmerkung  niederzulegen.  Entschliesst  man  sich 
jedoch  nicht  zu  eingehender  kommentierung,  dann  wird  dies  der  einzige  weg  sein, 
drr  die  wisseuschaftlichkeit  nicht  gefährdet.'  (s.  110*  f.,  anm.  1). 

2)  Deutsche  geschichtsblätter  IS  (1917),  s.  98:  [es  wäre  von  Interesse  zu  er- 


l  BER    KISCH,    LEIPZKiER    SCHÖFFENSPRUCHSAMMIANG  275 

damals   unbekaunten  Greifswalder   dissertation  von  Werner  Bötticher  über  die  'Ge- 
schichte der  Verbreitung  des  Lübischen  rechts'  (1913)  angewandt  vrordeu. 

Ich  habe  noch  selten  eine  im  druck  so  fehlerlose  edition  in  der  band  gehabt,  wie 
diesen-  dicken  band.-  Nur  s.  78  z.  14  ist  umjeiiriffen  zu  lesen.  Auch  die  anraerkungen 
stehen  an  richtiger  stelle.  Ich  hätte  auf  s.  378  zu  nr.  523  bei  dem  manjracen 
Friderlch  auf  Friedrich  den  streitbaren  von  Thüringen  (1381—1428)  hingewiesen  (vgl. 
die  anmerkung  2  auf  s.  434),    zumal  da   hierdurch    der  spruch  zeitlich  fixiert  wird. 

Dagegen  möchte  ich  auf  einen  übelstand  aufmerksam  machen,  der  besonders 
für  die  register  und  für  jede  art  von  Zitierung  lästig  fällt:  das  fehlen  der  zeilen- 
zählung  auf  den  textseiten.  Im  register  sind  daher  die  einzelnen  worte  nach  den 
nummern  der  Sprüche  zitiert;  manche  Sprüche  erstrecken  sich  aber  über  mehrere 
seifen,  so  dass  in  ihnen  ein  wort  zu  finden  grosse  zeitverschwendung  erfordert. 
In  den  folgenden  bänden  wird  dieser  fehler  hoifentlich  beseitigt  sein. 

Die  register  sind  sorgfältig  gearbeitet.  Aber  (und  auch  dies  gilt  für  die 
Zukunft)/  und  v  sind  unter  einem  buchstaben  zu  vereinigen,  nicht  gesondert 
nach  modernem  gebrauch  zu  behandeln.  Die  trenuuug  führt  zu  unzuträglichkeiten, 
die  lediglich  aus  der  Orthographie  des  Schreibers  herrühren.  .  Hier  muss  man  z.  b. 
volgen  und  seine  sippe  unter  v  suchen,  nur  weil  der  Schreiber  der  hs.  M  20  diese 
Wörter  mit  anlautendem  r  schreibt;  in  merkwürdiger  Inkonsequenz  dazu  %te\\t  fronen 
unter  /,  trotzdem  es  in  der  hs.  fast  stets  mit  /■  geschrieben  ist.  Ich  möchte  auch 
zu  bedenken  geben,  ob  nicht  eine  trennung-*  von  wort-  und  Sachregister  vorzuziehen 
ist.  Diese  ausstellungen  sollen  aber  den  wert  der  register  nicht  im  mindesten 
herabwürdigen ;  ich  weiss  die  in  ihnen  steckende  riesenarbeit  wohl  zu  schätzen  und 
möchte  nur,  dass  sie  ein  nächstes  mal  noch  vollendeter  zustande  käme. 

Die  spräche  der  hs.  ist  'mitteldeutsch',  wie  Kisch  richtig  sagt.  Sie  lässt  sich 
aber  noch  enger  als  'ober  sächsis  ch'  lokalisieren.  Wir  finden  einerseits:  jiUlich, 
gepundefi,  pier,  hegen,  gefenknus,  troen,  tar;  anderseits:  Dhomas,  eidern,  merglich. 
Lautlich  steht  häufig  entrundung  des  ö,  ü  und  o:  schweten,  Pessneck,  wirdig,  Lobe- 
schit:;  ap  (statt  ob),  ader  statt  oder,  oder  verdumpf ung  des  a:  daheim,  doselbst, 
noch  (statt  nach).  Allerdings  ist  der  Schreiber  nicht  konsequent,  sondern  es  stehen 
formen  wie  weib  und  weip,  torst  und  dorst  (=  frevel),  kegen  und  gegen  nebeneinander. 
Wechsel  von  b  zu  w:  Eschewoch  (st-dtt  Eschenbach),  schöpfenwar  {statt  schöpfenbar), 
IVorlin   (statt  Borlin). 

Leider  hat  Kisch,  zu  getreu  der  hs.  folgend,  den  umlaut  nur  gesetzt,  wo 
ihn  auch  der  Schreiber  setzte,  und  nicht  in  rechnung  gezogen,  dass  die  konsequente 
Umlautsschreibung  recht  neuen  datums  ist,  so  neuen,  dass  man  eine  zeitlang  sogar 
dem  mittelniederdeutschen  den  umlaut  absprechen  wollte,  weil  er  grösstenteils  nicht 
geschrieben  zu  sein  schien.  Die  ausgäbe  eines  textes  des  XW.  Jahrhunderts  muss 
da  aber  bessernd  eingreifen;  formen  wie  schuler,  sunen,  konig  (man  vgl.  auch  im 
register  s.  61.ö  die  Zusammensetzungen  mit  über-!)  durften  nicht  stehen  bleiben.  Das 
scheint  mir  auch  für  die  eigennameu  von  bedeutung.  Denn  namen  wie  Döring, 
Götze,  Kokeritz,  Mockeritz,  Mulendorjf,  Mnlner,  Munfz,  Schonau,  Schroter,  Sorgel, 
Topfer,  Tümpel  haben  doch  wohl  nur  mit  den  umgelauteten  fcrraen  geltung. 


fahren,]  'wo  die  einzelnen  stadtrechte  in  geltung  standen,  wieweit  sie  sich  er- 
streckten, bei  wem  die  kleineren  städte  zu  haupte  giengen,  kurz  eine  (meinetwegen 
rein  schematische,  vielleicht  kartographische)  Übersicht  der  Verteilung  der  geltenden 
rechte  im  mittelalterlichen  Xiedersachsen.' 


276  srA.\iMM:ii 

Ich  möflitc  irleicli  lu-i  den  c.  i  yc  n  naiu  eii '  lilcibcn,  um  die  bedeuUm^' dieser 
rechtsquelle  für  die  deutsche  philolog-ie  zu  erweisen.  An  vornanien  ist  mir  neben 
dem  bei  einem  bauern  seltenen  J)onat,  der  wohl  auch  nur  dem  gelehrten  Juristen 
seinen  Ursprung  verdankt  (s.  212,  z.  11,  nr.  264^),  und  dem  typisch  obersächsischen 
Apit:,  der  seltene  Arnag  (ron  Waidenburg,  1451—1470;  vgl.  auch  Cod.  dipl.  Sax.  reg. 
II,  14.  3,  s.  585)  aufgefallen.  Dass  wir  uns  im  kolonialland  befinden,  bezeugen  die 
nicht  seltenen  slavischen  namen-  wie  BeUla,  Latiiat-.s  {Lom(i)itzs)^  Supan.  Berufs- 
bezeichnungen sind  ursprünglich  Art.:t,  Brotesser  {=  knecht  s.  u.),  lAtndtknecJit,  liani- 
pfiifer,  Reisiger,  Sdiiifciiieisfer,  Silhersclmielzer,  Sporner,  Spreier,  W'agenknecht,  Wiesen- 
roigt.  Cireistlichen  vorstellungskreisen  entstammen  Apt.  Buhest,  Broptzsch  (-=;  Propst), 
FUgeram,  Satan  (volksetymologisiert  --  Skeitan).  Übernamen  bilden  ebenso  ursprünglich 
Frau  Ältszch,  Golden  {Gulden),  dazu  Heller  und  Zehrpfennig,  Haselwach  ('?),  Inbecher, 
Kermess,  Lobetantz,  Misthacken,  Möllnickel,  Pauersang  (ortsnarae  V),  Schultermöller. 
SeJikolb  (=  Seekalb  ?),  Setisse,  Silbersack,  Wildfeuer.  Zu  den  Übernamen  gehören 
auch  die  imperativbildungen  Deckenkue,  Findenheller,  Mercknane  (oder  Ortsname'?), 
Schirmstern  (?),  Schüttenwütfel,  Sehkorn  (=  säe  körn),  Suchhaupt.  Latinisiert  finden 
sieb,  wohl  erst  durch  die  gelehrten  Juristen,  Crosius  (<  Gross),  Blasius  (der  gleich- 
bedeutend mit  Blasing  und  Blesing  gebraucht  wird),  Glorius.  Neben  Nickel  steht 
gleichberechtigt  Nitzsch;  überhaupt  kommen,  dem  obersächsischen  dialekt  ent- 
sprechend, die  koseformen  auf  -tsch  häufiger  vor,  z.  b.  Rentsch,  lüiltsch,  Stautsch 
(wohl,  wie  Statze,  <  Statins),  Zetsche  (<  Zachariasi').  Auch  der  name  Heiman  {Hay- 
man).,  der  heutzutage  vielfach  für  jüdische  familien  gebräuchlich  ist,  wird  zweimal 
angewandt  (<  Heineniunn).    Die  Juden  heissen  Abraham,  Isaak,  Jordan,  Josse,  Lasar, 

Neben  den  eigennamen  gewähren  die  münznamen  driling,  groschen,  heller, 
mark,  pfennig,  pfund,  Schilling,  schock,  schwertgroschen,  wissepfennig  dem  nurais- 
raatiker  manche  ausbeute,  zumal  die  sächsische  münzreformation  in  einigen  rechts- 
fällen (nr.  259—261)  eine  wichtige  rolle  spielt.  Und  der  metrologe  kommt  bei  acker, 
eile-,  gpwende,  meile,  rute,  scheffel  und  den  fortwährenden  massfestsetzungen  nach 
Magdeburger  und  Leipziger  recht  auf  seine  rechnung.  Beispiele  für  pferde- 
bezeichnungeu  bieten  graupferd  und  rotpferd  (8.86,  nr.  18). 

Den  Philologen  zieht  daneben  vor  allem  das  wortmaterial  an,  das  in  den 
Sprüchen  niedergelegt  ist.  Germanisten  der  juristischen  wie  der  philologischen 
Observanz  haben  sich  ja  endlich  zur  ausarbeitung  eines  'Wörterbuches  der  deutschen 
rechtsprache'  zusammengeschlossen ;  aber  nach  erfreulichem  beginn  droht  es  infolge 
der  Ungunst  der  äusseren  Verhältnisse  wieder  auf  jähre  hinaus  stecken  zu  bleiben. 
Als  mitarbeiter  des  'ßwb.'  interessierte  mich  daher  der  rechtssprachliche  stoff,  und 
ich  möchte  einige  beobachtungen  darüber  hier  vorlegen,  wobei  ich  von  den  streng 
juristischen  termini  T,absehe. 

Zunächst  fehlen  in  der  1.  (bisher  einzigen !)  lieferung  des  'Ewb.'  zwei  worte : 
ubgesprechen  =  absprechen  (s.  444,  z.  10—11,  nr.  630:  ap  ich  icht  nieins  guts  neher  sei 
zu  behalten,  dan  inirs  kein  man  abgesprechen  möge)  und  abgeziringen  (s.  467,  z.  5—4 
V.  u.,  nr.  663:  wan  ir  das  jemand  mit  rechten  abgezwingen  ntuge).  Überhaupt  ist 
die  bildung  mit  den  Vorsilben  ge-  und  ver-  eigentümlich  und  sehr  häufig  (z.  1). 
geändern,  gedingen,   gedringen.,    geeiden,  geneinen,  gerechten  [=  vor  gericht  beweisen], 

1)  Ich  erwähne  hier  nur  diejenigen,  die  sonst  überhaupt  nicht  oder  nur  selten 
vorkommen. 

2)  Einmal  kommt  auch  koUtsch  'kuchen'  (slaviech)  vor. 


ÜBER   KI.SCH,    LEIPZIGER   SCHÜFFEXSl'RUCHSAMMLUNrr  277 

ffeweldigen,  gewissen  [=  beweisen],  gezicht  [=  beschuldigung]  —  verdempfen  [=  er- 
sticken], verfachen  [=  ablegen],  verfreimarkten,  vergenügen,  verjaivorten,  verkümmern, 
verleinkaiifen,  verloben  [=  geloben],  vermahnen,  verrechten,  verschlagen  [=  vernichten], 
verteilen  [=  durch  urteil  absprechen],  verteuern  [=  schätzen],  vertragen  [=  befreien], 
verwillekoren,  verwissen  usw.).  Das  'Rwb.'  wird  lehren,  inwiefern  diese  Wortbildungen 
der  rechtssprache  speziell  oder  der  frühneuhochdeutschen  spräche  überhaupt 
eigen  sind. 

Indes  abgesehen  von  ausdrücken,  welche  der  rechtsprache  im  besonderen  an- 
gehören, finden  sich  auch  solche,  welche  unseren  lexikalischen  Wortschatz  zu  be- 
reichern imstande  sind.  Auch  hier  wieder  will  ich  der  Zweckmässigkeit  halber 
alphabetisch  vorgehen:  armer  mann,  unfreier,  eigener  mann.  —  ausländisch,  in  der 
fremde  lebend.  Gegensatz  dazu  anheimisch  oder  einländisch.  —  bidermann,  unbeschol- 
tener mann  (mitunter  dem  begriff  des  gentlemen,  des  kavaliers  entsprechend).  —  brot, 
haushält.  Davon  brotesser,  dienstbote ;  vgl.  D.  wb.  II,  sp.  403  (die  sein  gebrotessen  nicht 
sein:  s.  575,  z.  13,  nr.  819,  mitte  des  XV.  Jahrhunderts;  seinen  gebrötten  knecht:  s.  356, 
z.  17,  nr.  498).  —  entenen,  berauben;  vgl.  D.  wb.  III,  s,  510:  enteinen  {berauben  und 
entenen  formelhaft;  s.  u.).  —  entzweitragen  (was  vermag  sulche  verpindung  mit  ver- 
kaufen entzweitragen :  s.  174,  z.  15  f.,  nr.  195.)  —  erbkretzschmar,  bezeichnend  für 
Sachsen.  —  erbmöller.  —  gemante  tochter,  mannbare  tochter.  —  gemeine  setzt  Kisch 
in  Spruch  nr.  503  =  almende.  Mir  scheint  dies  wort  indes  immer  die  dorfgemeinde 
zu  bedeuten.  —  geschäft,  euphemistisch  für  ehelichen  beischlaf  (nicht  für  männliche 
geschlechtsteile)  in  spruch  nr.  725,  s.  516,  z.  3.  —  hoffnung,  anwartschaft.  —  huren- 
sohn,  katzensohn,  kebskind  als  schimpfworte.  —  ingetume,  1.  hausrat,  2.  eingeweide. 

—  kaut,  tausch.  Davon  verkauten,  Verkantung.  —  kirchenwart,  kirchenvorsteher.  — 
kröne,  tonsur.  —  örtern,  teilen.  —  peinschrotige  ivunden.  —  pfänter,  pfandherr.  — 
schlafhaftig  gemach,  schlafgemach.  —  schuchprecht  heisst  die  schuhmacher-innung 
im  Spruch  der  Magdeburger  schöffen  (nr.  563,  XV.  Jahrhundert) ;  in  den  Zwickauer 
und  Görlitzer  hss.  steht    dagegen  schuster.  —  selbsturbig  vieh,  von  selbst  gestorben. 

—  stritzen,  junge  pferde,  s.  unbesilt.  —  überjerig,  verjährt;  sowohl  von  dem  ver- 
brechen wie  von  dem  täter  gesagt.  —  überlei,  überschuss.  —  unbesilte  pferde  sind 
pferde,  die  noch  nicht  in  den  sielen  gehen,  stritzen,  die  teglich  zu  felde  laufen  und 
man  noch  nicht  eingespatmet :  s.  144,  z.  16  f.,  nr.  134.  Gegensatz  gesilte  pferde:  ebda, 
z.  25.  —  unee,  konbubinat.  —  ungericht,  ungerechtes,  unzuständiges  gericht.  —  un- 
geschichte,  unglücklicher  zufall.  —  xmrat,  unheil,  nachteil.  —  unwilligen,  feindselig- 
keiten  verüben.  —  verfetiglich,  frevelhaft.  —  vertraut,  verlobt.  —  volmtmt,  fundament. 
Darnach  pauenten  wir  und  legenten  ein  volmunt  auf  dieselbe  hofstatt  und  maurten 
den  mit  steinen:  s.  356,  z.  13  f.,  nr.  498.  —  waldenbergen  erklärt  Kisch  als:  gewalt- 
taten  begehen;  dazu  das  ?>u\)%i.  waldenberger.  !?ollte  nicht  aber  ein  ortsname  darin- 
stecken  und  dann  eine  ursprüngliche  lokalverspottung,  infolge  des  anklanges  an 
gewalt,  sich  zum  allgemein  gebrauchten  wort  in  bestimmter  bedeutung  ausgewachsen 
haben?  —  Zu  wissebier  vgl.  Otto  Stobbe  in  der  Zeitschr.  f.  rechtsgesch.  13  (1878),  s.  236. 

Nächst  solchen  einzelnen  ausdrücken  sind  für  die  deutsche  rechtssprache  und 
weiterhin  für  die  gemeinsprache  von  belang  die  formelhaften  ausdrücke,  die 
sich  mit  Zähigkeit  zum  teil  aus  den  altgermanischen  rechten  fortgeerbt  haben; 
formal  ist  für  sie  charakteristisch,  dass  sie  denselben  begriff  durch  zwei  synonyme 
Wörter  wiedergeben,  um  durch  die  Wiederholung  besonders  eindrucksvoll  auf  den 
hörer  zu  wirken.  Da  finden  sich  einmal  alliterierende  formein:  gericht  über 
hals  und  hand  —  einen  Übeltäter  hausen  und  hofen  (ein  andermal  hausen  und 
ZEITSCHRIFT   F.  DEUTSCHE  PHILOLOCilp:.      V.T>.   XLIX.  19 


278  STAMMLER   ÜBER   KISCH,    I.EIl'ZKiEll    SCHÖFKENSl>UUC'HSAMMI.r.\(; 

zeren)  —  zti  hause  und  zu  hofe  heimsuchen  —  haut  und  haar  —  mit  schild  und 
achwert  —  gang  und  gebe  —  volger  und  geferte  (daneben  volger  und  anheber,  volger 
und  helfer)  —.Unterkonten  und  unterstehen  —  an  verändertest  steten  und  stellen  — 
ein  geistlich  und  gegeben  man  —  abtun  und  endern.  Ich  übergehe  dabei  die  überaus 
zahlreichen  Zusammenstellungen  von  Wörtern,  die  mit  un-,  be-,  aus-  oder  ver-  an- 
lauten, um  noch  zwei  beispiele  für  gereimte  formein  zu  geben:  rat  utid  tat  — 
bezichtung  und  berichtung.  Schliesslich  prosaische  formeJn:  bei  gerochenem 
/euer  und  geschlossener  tür  (vgl.  Homeyer,  Der  richtsteig  landrechts,  s.  535  'bei 
zugedecktem  feuer,  zur  nachtzeit')  —  brief  und  Siegel  —  bei  treuen  und  eren  —  mit 
finger  und  zunge  —  fug  und  wandet  oder  ivandel  und  abtrag  (=  geldbusse)  —  stock 
und  galgen  oder  stock  und  banden  —  mit  hand  und  mund  —  jähr  und  tag  (sehr 
reiche  belege ;  s.  reg.)  —  vor  richter  und  schaffen  und  gehegter  bank  oder  auch  nur 
vor  gericht  und  gehegter  bank  —  recht  und  gesetz  —  zug  und  frist  oder  lag  und  frist 

—  mit  gezeuge  und  kundschaft  —  der  antwort  los  imd  vertragen  sein  —  buss  und 
leiden  —  sünlich  und  friedlich  —  mit  gerüft  und  geschrei  oder  mit  gerüft  und  mit 
Zetergeschrei  —  bei  tag  und  Sonnenschein  —  berauben  und  entenen  —  verzeichnen  und 
schreiben. 

Schon  in  einer  reihe  dieser  formein  tritt  die  reiche  bildersprache  des 
altdeutschen  rechtes  schön  zutage.  Noch  schärfer  prägt  sie  sich  aus  in  Wendungen 
wie :  den  wittibstuhl  verrücken  —  die  vier  wände  beschreien  (vom  neugeborenen  kind) 

—  das  recht  über  feld  holen  —  das  recht  schieben  —  im.  landrecht  sitzen  oder  sterben 

—  in  seiner  mutter  schoss  erben  —  überzeugen  noch  in  der  alten  sinnlichen  be- 
deutung  (s,  79  z.  16  fehlt  ini  reg.  s.  615a,  wo  weitere  stellen  stehen);  ebenso  ent- 
schuldigen (nr.  111)  und  heimsuchen  (vgl.  die  rechtsfälle  nr.  777  und  786,  welche 
die  ursprüngliche  wörtliche  juristische  bedeutung  klar  erkennen  lassen).  Auf  die 
ursprüngliche  art  des  hausbaues  wirft  die  phrase  in  seinen  vier  pfählest  licht. 

Von  den  formein  zu  den  Symbolen.  Anch  für  die  Versinnbildlichung  des 
rechtlichen  gedankens  durch  äussere  zeichen  und  gebärden  erscheinen  lehrreiche 
beispiele :  die  beweisstücke  werden  dem  täter  angebunden  (nr.  443,  688) ;  aufgebet 
auf  dem  kirchhof  uud  markt  vor  allen  leuten  (nr.  452);  das  gelöbnis  oder  den  eid 
Stäben  (nr.  232,  292,  450);  auflassung  mit  einem  reis  (nr.  657);  kerbhölzer  als  be- 
weis für  geschuldetes  geld  (nr..  259);  trunk  beim  kauf,  ^em-  oder  leitkauf  {nr.  \Sy 
452);  über  das  bettbrett  geben  (nr.  68);  auslieferung  der  gerade  beim  tode  der  fr  au 
(nr.  136:  Und  wu  dem  man  sein  loeib  sturb,  das  er  iren  spilmogen  die  gerade  sol 
geben,  so  müssen  sie  dem  manne  sein  bett  bestellen,  als  es  stund  bei  seines  tveibs 
leben,  den  tisch  mit  einem  tischttich  und  hundquel,  die  bank  mit  einem  pfui  und  den 
stuel  mit  einem  küssen) ;  Unfähigkeit  den  eid  zu  sprechen  (nr.  373 :  Euer  stammeln 
sol  euch  an  dem  eide  oder  in  gewinnung  euers  vorsprechen  nicht  verhindern;  und 
mögt  ir  auch  euer  hand  oder  finger  so  lang  nicht  aufgehalden  oder  erheben,  so  sol 
man  euch  die  heiligen  und  euer  finger  und  hand  als  lang  halden,  als  lang  das  ir 
euer  recht  verziehet) ;  Sinnbild  der  Schuldigerklärung  (nr.  335) ;  verfahren  bei  Selbst- 
mördern (nr.  203);  brauch  des  besthaupts  (nr.  96);  verbot  des  gottesurteils  (nr.  111: 
sich  zu  entschuldigen,  damit  man  ein  gluend  eisen  trage  oder  in  einen  wallenden 
Wasser  greife^  ist  von  der  heiligen  kirchen  verpoten). 

Hingewiesen  sei  auf  die  wergeldbestimmungen  in  dem  weistum  der 
Leipziger  schöffen  für  Plauen  aus  dem  XIV.  Jahrhundert  (s.  68  ff.)  und  auf  die  be- 
sondere erwähnung  von  schriftlichen  urteilen  (nr.  16,  322).  Die  leineweber 
werden  ausdrücklich   für  ehrlich  erklärt  (nr,  16),  und  die  widerspenstigen  Schneider 


ENDEES   ÜBER   KUHN,    CORNELIUS'    FAUSTILLUSTRATIONEN  279 

genötigt,  den  Bohn  eines  müUers  in  ihre  zunft  aufzunehmen  (nr  100).  Neben  solchen 
kleinen  soziologischen  stellen  fehlen  auch  nicht  sittengeschichtliche  bilder,  die  an 
Boccaccios  oder  Bebeis  schwanke  erinnern;  so  nr.  27,  deren  Überschrift  lautet:  Zwen 
nachtpauern  seint  mit  einander  zum  hier  gewest  und  bede  trunken.  So  ist  der  eine 
dem  andern  in  desselbigen  haus  nach  mitternacht  in  der  trunkenheit  zu  des  andern 
weib  gegangen  und  sich  zu  ir  gelegt.  Also  hat  dieselbe  geclagt,  wie  sie  ir  nacht- 
pauern fleischlich  angefuchten.  Was  sein  buss  und  leiden  hierumb  ist  von  recht. 
Oder  nr.  737:  Wie  einer  einen  in  seinem  haus  erschhig,  der  bei  nacht  ime  sein  weib 
notzogen  wolt  und  ime  sein  gemach  aufbrach  bei  gerochem  feur;  was  recht  ist. 

HANNOVER.  WOLFGANG  STAMMLER. 


Alfred  Kahn,  Die  Faustillustrationen  des  Peter  Cornelius  in  ihrer 
beziehung  zur  deutschen  nationalbewegung  der  romantik.  Als  einleitung  zu 
dem  durch  den  verlag  Dietrich  Reimer  veranstalteten  neudruck  der  original- 
stiche  aus  dem  jähre  1816,  Berlin  (Reimer)  1916,  68  s. 
Die  suche  nach  metall  hat  bekanntlich  die  platten  der  originalstiche  von  1816 
wieder  hervorgezogen  und  so  veranlassung  gegeben  zu  der  neuausgabe  von  1916. 
Es  ist  sehr  zu  begrüssen,  dass  das  büchlein  Kuhns  für  sich  erscheint,  denn  es  ist 
nicht  in  erster  linie  eine  kunstgeschichtliche  Untersuchung,  welche  der  Verfasser  in 
grösserem  rahmen  baldigst  vorzulegen  verspricht,  sondern  eine  ideengeschichtliche 
Studie  zur  deutschen  romantik  von  mustergiltiger  Sorgfalt  und  Weitsicht.  Gerade 
bei  diesem  seiner  zeit  verblüffenden  und  epochalen  werk  war  es  notwendig,  die 
ideellen  gruudlagen  aufzuzeigen.  Alles  scheint  zu  fehlen,  woraus  die  kunstgeschicht- 
liche betrachtung  neue  werke  zu  erklären  gewohnt  ist:  'Das  vorbild  des  lehrers, 
die  künstlerische  tradition,  die  einflüsse  durch  den  oder  jenen  zeitgenössischen 
meister,  eine  langsam  von  werk  zu  werk  zu  verfolgende  fortschreitung  des  Stils.' 
Was  heute  für  neueste  bewegungen  wieder  gilt,  das  galt  damals  in  noch 
höherem  grad:  die  kunst  lebte  nicht  im  sonderdasein  neben  den  strömen  der  grossen 
geistesbewegungen.  Die  erklärung  dieser  eben  ganz  aus  der  idee  geborenen  kunst 
gibt  die  ideengeschichte.  Und  zwar  sind  die  eigentlichen  quellen  literarische  an- 
regungen,  bezeichnet  durch  die  namen  Wackenroder,  Goethe,  Herder,  Hamann, 
Matth.  Claudius  (s.  7).  Natürlich  gieng  die  beziehung  zu  Goethe  zu  dem  jugend- 
lichen Verfasser  des  Götz  und  des  aufsatzes  von  deutscher  baukunst.  Alle  natio- 
nalistischen romantiker  vor  jetzt  100  jähren  fanden  sich  zusammen  in  dem  gegensatz 
gegen  alles  französisch-klassizistische.  Ebenso  knapp  wie  sicher  das  wesentliche 
vom  zufälligen  scheidend  zeichnet  Kuhn  die  entwicklung  des  nationalen  gehalts 
von  Wieland  über  Mathias  Claudius,  Herder,  den  jungen  Goethe,  Wackenroder, 
Tieck.  Es  wird  gezeigt,  wie  überall  das  künstlerische  ideal  erst  das  nationale 
erweckt  (Wackenroder,  Tieck,  die  Schlegel,  s.  bes.  s.  25).  Die  religion  und  nicht 
das  patriotische  moment  wollte  Wilhelm  Schlegel  der  kunst  verbunden  sehen  und 
zunächst  trat  die  deutsche  kunst  hinter  der  katholischen  italienischen  zurück.  Wie 
in  Friedrich  Schlegel  das  nationale  element  sich  verbreitet  und  durchsetzt,  wird 
klar  gemacht.  Schon  1802,  als  er  nach  Frankreich  zog,  war  er  der  deutschheit 
voll  (s.  31).  Diese  beherrscht  dann  bald  seine  kunstbetrachtung.  'Nachdem  er 
folgegerecht  durchgeführt,  was  er  zuerst  in  der  geschichte,  dann  in  der  literatur 
und  zu  allerletzt  in  der   bildenden  kunst  erkennt,  nämlich  den  alleinigen  wert  des 

19* 


280  KNDKKS 

organisch  gewachsenen  und  somit  des  lokalen,  nationalen,  war  seine  Weltanschauung 
geschlossen'  (s.  41).  Die  zeit  war  reif  geworden  für  einen  grossen  künstler,  der  die 
neue  anschauungsweise  zur  gestaltung  brachte,  wie  er  erahnt  war  von  Schelling  in 
der  akademierede  von  1807.  Auch  dieser  künstler,  Cornelius,  rang  sich  vom 
klassischen  Standpunkt  der  'Weimarer  kunstfreunde'  erst  zu  der  neuen  weit  hin- 
durch; das  zeigt  die  beteiligung  am  Goethischen  Preisausschreiben  von  1799  und 
die  einsendung  des  Odysseebildes  von  1803.  Die  brotarbeiten  huldigen  im  ersten 
Jahrzehnt  des  Jahrhunderts  dem  tagesgeschmack.  Im  stillen  aber  bereitet  sich  der 
Umschwung  vor  unter  dem  einfluss  der  ßoisseree  und  Schlegel  (s.  51  ff.),  und 
offenbart  sich  in  einer  heiligen  familie  für  Dalberg  von  1810,  der  sie,  anderes  von 
ihm  erwartend,  als  'zu  heilig  und  zu  streng',  d.  h.  also  als  zu  charakteristisch,  zu 
wenig  schön  ablehnt.  Nach  diesem  übergangsbild  offenbart  sich  eine  'glühende 
deutschheit'  dann  ganz  unvermittelt  in  den  Faustzeichnungen  (die  ersten  sechs  1811 
in  Frankfurt  entstanden,  die  übrigen  in  Rom  1815).  Der  Faust  von  1808,  über 
dessen  stil  und  Charakter  Goethe  doch  damals  schon  ganz  hinausgewachsen  war, 
wirkte  so  deutsch  zündend  auf  ihn,  wie  auf  die  Zeitgenossen.  Vergessen  war  alles, 
was  Goethe  vorher  in  klassischer  weise  gedichtet  hatte,  man  glaubte  in  leiden- 
schaftlich nationalen  kreisen,  dass  das  grösste  deutsche  genie  den  weg  zu  seinem 
Volke  wiedergefunden  habe.  'Wenn  solche  zeichen  kommen,  dann  ist  die 
Zukunft  nicht  mehr  fern'  (Arndt).  Dass  dem  in  Wirklichkeit  gar  nicht  so  war,  dass 
Goethe  nur  halb  widerwillig,  gewissermassen  sich  historisch  betrachtend  bei  gelegen- 
heit  der  ausgäbe  seiner  Schriften  als  der  dokumente  seines  Werdens,  den  Faust  ab- 
geschlossen hatte  unter  starker  einwirkung  Schillers,  das  ist  eine  wurzel  der  tragik 
für  das  Verhältnis  nicht  nur  der  Boisseree  zu  Goethe,  sondern  auch  ihres  Schütz- 
lings Cornelius.  Gut,  dass  er,  der  die  quellen  seiner  kraft  jetzt  in  sich  fühlte, 
der  förderung  Goethes  nicht  bedurfte  und  mit  dem  gewundenen  lob,  das  den 
wesentlichen  gegensatz  verschwieg,  zufrieden  und  glücklich  war. 

Es  wäre  zu  begrüssen,  wenn  wir  noch  mehr  solche  brückenschlagende  Studien 
erhielten. 

DORPAT   (okt.  18)-B0NN.  CARL    ENDERS. 


Johann  Peter  Eckermann,  Gespräche  mit  Goethe  in  den  letzten  jähren 
seines  lebens  (1823 — 1832).  Kommentierte  ausgäbe,  herausgegeben,  mit 
einleitung,  erläuternden  und  ergänzenden  anmerkungen  sowie  mit  einem  register 
versehen  von  Eduard  Castle;  mit  88  abbildungen  und  2  handschriftenproben, 
3  bände,  Berlin,  Bong  u.  co.  (1918). 

Wir  besitzen  zahlreiche  ausgaben  dieses  unentbehrlichen  hilfsmittels  der 
Goetheforschung  und  lesebuches  jedes  Goethefreundes.  In  betracht  kommen  ernst- 
lich die  erneuerung  der  Geigerschen  ausgäbe  von  1902,  welche  zuerst  die  im  Goethe- 
jahrbuch veröffentlichten  forschungen  neben  den  Düntzerscben  anmerkungen  (1885) 
nutzbar  machten.  In  dieser  erneuerung  Conrad  Höfers  (verlag  von  Hesse  und 
Becker  in  Leipzig)  von  1913  wurde  der  text  neu  geprüft  und  zum  erstenmal  ein 
reicher  erläuternder  bildschmuck  beigegeben.  Um  die  weitere  reinigung  des  textes 
hat  sich  H.  H.  Houben  bei  herausgäbe  der  8.  Originalausgabe  von  1909  verdient 
gemacht  (verlag  von  Brockhaus).  Auch  für  eine  sachdienliche  illustrierung  hat  er 
das  erste  getan.  Dagegen  hat  er  für  den  ausbau  des  kommentars  wenig  beigebracht. 
Da   setzt  nun    die    fortführende   arbeit   Castles   ein    und   zwar  in  so  mustergiltiger 


ÜBER  ECKERMANN,  GESPRÄCHE  MIT  GOETHE  281 

weise,  dass  er  diese  ausgäbe  der  goldenen  klassikerbibliothek  zur  jetzt  brauch- 
barsten und  damit  unentbehrlich  gemacht  hat.  Selbstverständlich  hat  er  Houbens 
neue  mitteilungen  auch  für  den  text  benutzt. 

Die  Weimarer  ausgäbe,  Biedermanns  Sammlung  der  gespräche,  Kipkas  Goethe- 
bibliographie im  grundriss  und  H.  G.  Graefs  8  bände  'Goethe  über  seine  dichtungen' 
sind  die  materialien,  die  heute  einen  so  glänzenden  ausbau  des  kommentars  er- 
möglichen. Bekanntlich  ist  die  objektive  und  subjektive  Zuverlässigkeit  Ecker- 
manns mehrfach  angefochten  worden  (Düutzer,  C.  A.  H.  Burkhardt,  Biedermann). 
Es  ergab  sich  Castle  daher  die  aufgäbe,  'bei  jedem  gespräch  zu  untersuchen,  ob 
Goethe  das,  was  Eckermann  berichtet,  überhaupt,  und  ob  er  es  an  dem  betreffenden 
tage  gesagt  haben  kann,  dem  es  bei  E.  zugewiesen  erscheint.  Auf  diese  weise 
werden  komposition  und  kombination  in  E.s  gesprächen  festgestellt'.  Diese  aufgäbe 
ist  mit  grosser  Sorgfalt  durchgeführt,  besonders  auf  grund  von  Goethes  tagebüchern 
und  gleichzeitigen  schriftlichen  und  mündlichen  äusserungen  Goethes  und  Ecker- 
manns. Weshalb  wird  zur  weiteren  Information  nur  auf  das  gesamtregister  zur 
Goetheausgabe  der  goldenen  klassikerbibliothek  und  nicht  auch  auf  das  doch  grund- 
legende V.  d.  Hellens  zur  Jubiläumsausgabe  verwiesen? 

Neben  dieser  kritik  der  Überlieferung  bietet  Castle  aber  auch  wertvolle  er- 
gänzungen  auf  grund  der  tagebücher  und  der  briefe  und  nachlasspapiere  Ecker- 
manns.    Das  material  gewinnt  dadurch  eine  ungeahnte  fülle. 

In  der  illustrierung  ist  Castle  selbständig  fortgeschritten.  Nach  Chr.  Schuchardts 
katalog  von  Goethes  kunstsammlungen  Avurden  die  kunstblätter,  von  denen  die  rede 
ist,  ermittelt  und  in  kunstdruck  reproduziert.  Zahlreiche  originalbl^tter  machte  das 
Goethe-nationalmuseum  zugänglich,  wie  auch  das  Goethe-  und  Sohillerarchiv  un- 
gedruckte briefe  Eckermanns  zur  benützung  zur  Verfügung  stellte. 

In  der  einleitung  des  ersten  bandes  wird  eine  geschichte  des  Verhältnisses 
zwischen  Goethe  und  Eckermann  entworfen.  Es  wird  gezeigt,  wie  sich  die  Ver- 
trauensstellung aus  einer  anfänglichen  probezeit  (nach  dem  misserfolg  mit  Schubarth) 
entwickelt,  wie  E.  zu  dem  seltenen  leser  von  Goethes  Schriften  wurde,  der,  wie 
Schiller,  'verstand,  literarische  Produktionen  ihm  zu  extorquieren',  gewissermassen 
als  Vertreter  des  verständnisvollen  publikums;  wie  E.  auch  als  eifriger  adept  den 
naturwissenschaftlichen  Studien  vollstes  Interesse  und  Verständnis  entgegenbringt 
und  sich  zum  einzig  möglichen  nachlassverwalter  auswächst.  Die  persönlichen 
Schwierigkeiten  im  wirtschaftlichen  leben  des  treuen  gehilfen,  die  inneren  hem- 
mungen,  die  von  der  braut  ausgehen,  welche  mehr  gesunden  egoismus  verlangt» 
die  endliche  dürftige  Versorgung  werden  dargetan. 

In  einem  weiteren  abschnitt  erhalten  wir  eine  gründliche  entstehungsgeschichte 
der  beiden  ersten  teile  und  der  beziehungen,  welche  sie  zu  andern  publikationen, 
wie  dem  briefwechsel  zwischen  Goethe  und  Schiller,  gewannen,  der  Verzögerungen 
und  förderungen,  welche  von  Goethe  ausgehen,  der  Verlegenheiten  im  geschäfts- 
verkehr  mit  Brockhaus  und  anderes. 

Es  folgt  eine  eingehende  Charakteristik  von  Eckermanns  arbeitsweise  und 
ihrer  folgen  für  das  werk,  dann  der  Veränderungen  bei  der  herausgäbe  des  3.  teils 
der  ja  aus  einem  viel  unzulänglicheren  material  erwachsen  ist  und  eine  sorgfältigere 
kritik  verlangt.  Aus  diesem  gründe  empfiehlt  es  sich  auch  nicht  (wie  es  ja  Deibel 
in  seiner  ausgäbe  im  Insel-verlag  getan  hat),  den  -S.  teil  in  die  beiden  ersten  hinein- 
zuarbeiten, besonders  schon  deshalb  nicht,  weil  das  eigentum  E.s  und  Sorets  nicht 
sicher  zu  scheiden  ist. 


282  GÖTZE 

Der  vergleich  mit  Bettinas  im  jähr  vorher  (1835)  erschienenen  briefwechsel 
Goethes  mit  einem  kinde  lag  nahe.  'Bettinas  denkmalsgabe  bot  mehr  eine  dar- 
stellung  der  anbetung,  als  des  angebeteten,  nur  E.  zeigt  den  vollkommenen  menschen 
in  seiner  ganzen  grosse.  Darum  fiel  ihr  der  erfolg  des  tages,  ihm  der  gewinn  der 
Zeiten  zu'. 

Nicht  geringes  lob  gebührt  schliesslich  den  ausgezeichneten  rcgistern,  die 
die  mühsame  und  dankenswerte  arbeit  erst  voll  nutzbar  machen,  zunächst  ein 
systematisches  Verzeichnis  der  abbildungen  und  dann  register  nach  namen,  Sachen, 
Schriften  und  kunstwerken,  wobei  alles,  was  zusammengehört,  in  übersichtlicher 
gliederung  unter  einem  Stichwort  vereinigt  ist.  Diese  register  füllen  nicht  weniger 
als  170  engbedruckte  selten.  Auch  darin  zeigt  sich  die  Überlegung  des  heraus- 
gebers,  dass  anmerkungen  und  register  in  einem  besonderen  band  zusammengefasst 
sind,  der  neben  dem  text  liegend  benutzt  werden  kann.  Diese  ausgäbe  reiht  sich 
nach  alledem  würdig  an  die  obengenannten  grossen  hilfsmittel,  vor  allem  Grafs 
werk  an.  Sorgfalt,  fleiss  und  ruhige  sachliche  kritik  haben  auf  das  erfreulichste 
zusammengewirkt. 

DORPAT   (okt.    1918)   —   BONN.  CARL   ENDERS. 


Friedrich  Kluge,  Etymologisches  Wörterbuch  der  deutschen  spräche. 
Neunte  durchgesehene  aufläge.  Berlin  und  Leipzig.  Vereinigung  wiss.  ver- 
legen    1921.     XVI,  519  s. 

Seit  dem  bestehen  dieser  Zeitschrift  ist  in  ihr  das  Etymologische  Wörterbuch 
noch  nicht  besptochen  worden,  trotzdem  es  in  nunmehr  neun  auflagen  und  zehn- 
tausenden  von  abzügen  auf  ganze  geschlechter  deutscher  philologen  eingewirkt  und 
im  verlauf  dieser  einwirkung  selbst  sein  gesiebt  stetig  gewandelt  hat.  Wenn  darum 
eine  Würdigung  des  verdienten  werks  in  seinem  heutigen  stand  auf  diesen  blättern 
doppelt  angezeigt  erscheint,  so  ist  dabei  nicht  auf  den  schmalen  band  wesentlich 
sprachvergleichenden  inhalts  von  1883  zurückzugreifen,  sondern  es  ist  der  abstand 
der  neuen  aufläge  von  ihrer  Vorgängerin  im  Jahr  1915  abzumessen,  die  gleichfalls 
schon  vor  allem  Sprachgeschichte  bieten  wollte.  Bei  wesentlich  gleich  gebliebenem 
umfang  wird  abstand  und  fortschritt  leicht  unterschätzt  und  die  summe  hingebender 
arbeit  verkannt,  die  in  dem  klug  benutzten  glück  einer  stetig  wachsenden  nach- 
frage dem  buch  doch  auch  sein  inneres  Schicksal  wesentlich  erst  bereitet  hat. 

Die  neunte  aufläge  weist  90  neue  artikel  auf:  abhang,  allerhand,  allitteration, 
aufheben,  bahnsteig,  bann  wäre,  barfuss,  bauernfänger,  besen-,  beting,  bittschrift, 
bude-,  butzenscheibe,  dämmer,  doppelpunkt,  dorndreher,  einfriedigen,  eisvogel, 
ergebnis,  exempel,  fechten^,  fehler,  flegel-,  flirren,  freislich,  fremdwort,  gaufe,  gaupe, 
gefeit,  gegenüber,  genossame,  glorie,  gründonnerstag,  gruppe,  halbbruder,  hephep, 
itzt,  Junggeselle,  kälbern,  kapieren,  klapphut,  klöppeln,  knappschaft,  kohP,  köper, 
ladenschwengel,  lebewohl,  lehnwort,  liebe,  löhnung,  man",  mondkalb,  mussieren, 
muten,  mutmassen,  norde,  nordlicht,  oberst,  pimpeln,  pinkeln,  plantschen,  plattdeutsch, 
Pluderhose,  polterabend,  port,  potz,  prall,  protze,  psalm,  putzig,  rahne,  runs,  -sal, 
Schlamassel,  schlingern,  schwalken,  schwegel,  selbander,  Seltenheit,  siel,  stockt 
storger,  tank,  trübsaJ,  verschleiss,  wahrspruch,  weben-,  wohlgemut,  Zukunftsmusik, 
zwiebelfisch.     Diese   neuen   artikel   zeigen   die  unablässige  mühe  des  Verfassers  um 


ÜBER    KLUGE,   ETYMOLOGISCHES    WJKTEUBUCU   ÜER   DEUTSCHEN    SPRACHE      283 

die  Wortprobleme,  sie  berühren  sich  mit  seinen  übrigen  arbeiten  und  mit  vielen  der 
von  ihm  angeregten  forschungen  anderer.  Fast  noch  mehr  ist  das  der  fall  bei  den 
56  artikeln,  in  denen  die  sprachgeschichtliche  auffassung  oder  doch  ihre  darstellung 
neue  und  bessere  wege  zu  gehen  gelernt  hat.  Es  sind:  baude,  beere,  brett,  bude', 
bürste,  degen''^,  eilen,  ekel,  erbe,  freitag,  galosche,  gaumen,  gehurt,  gemein,  heilig, 
hellebarde,  humpen,  hundert,  kartaune,  kessel,  kitsch,  knorpel,  kuss,  lugen,  lump(en), 
mahlen,  mauer,  maut,  mob,  morgen  ',  muff ',  oheim,  pfarre,  pferch,  pflüg,  schach, schäkern, 
Schlittschuh,  schurke,  sechs,  sprechen,  strafe,  straff,  sünde,  täppisch,  taufe,  tonne, 
vielliebchen,  von,  Waldmeister,  wimpel,  woche,  zahm,  zart,  ziemen.  Erweitert  sind 
■die  artikel  gülle,  hurra,  meute,  mumpitz,  mundart,  orkan,  prise,  rädelsführer,  recke, 
rotwelsch,  schmuggeln,  tusch,  Vatermörder,  verrückt;  gestrichen:  ablang;  gekürzt: 
abenteuer,  allod,  äuge,  bahre,  dach,  dämmern,  decken,  lieb.  In  diesen  kürzungen 
bewährt  sich  der  vielerfahrene  lehrer,  der  gern  auf  nebenwerk  verzichtet,  wenn 
dadurch  die  wichtigen  hauptzüge  besser  ins  licht  treten. 

Mit  all  diesem  leisen  inneren  wandel  ist  nun  auch  schon  der  weg  vorgezeiclinet, 
der  der  entwicklung  des  buches  in  zukunft  zu  wünschen  ist.  Denn  es  wird  ja 
schwerlich  bei  neun  auflagen  bleiben,  und  das  schonungsbedürftige  papier,  auf  das 
1921  gedruckt  werden  musste,  macht  es  doppelt  wünschenswert,  dass  die  zehnte 
aufläge  bald  folgen  möge.  Für  sie  einige  vorschlage.  Neu  verdienten  aufgenommen 
zu  werden :  abhilfe,  absage,  all,  angebinde,  annektieren,  attacke,  ausstand,  azur, 
babusche,  bannkreis,  bastei,  bastion,  beanspruchen,  beeinträchtigen,  begine,  beseligen, 
beteiligen,  binsenwahrheit,  brigant,  brimborium,  diphtheritis,  ehrentrunk,  falkaune, 
faulpelz,  feldzug,  fibel  'nadel',  gazelle,  gefallsucht,  gelassenheit,  geuickstarre,  glüh- 
wein,  gosche,  gose,  grenadier,  grundsatz,  hauptmann,  holk,  intakt,  jura,  jurassisch, 
kadett,  kai,  karabiner,  keuper,  kodak,  kokarde,  kolonne,  komet,  kröne  (als  münz- 
nameX  kunstwort,  lafette,  landsturm,  langeweile,  lasur,  liebreiz,  lila,  lombard,  luss, 
luftmeer,  lützel,  majestät,  malschloss,  marienglas,  matrikel,  medizin,  meisterschaft, 
militär,  miliz,  mitglied,  mitwirkung,  morgenstern,  motette,  munition,  muskete, 
musketier,  nachreiten,  nonsens,  patrone,  patrouille,  pergament,  pionier,  pomade,, 
primel,  pulsader,  punkt,  pupille,  qualle,  regiment,  rekrut,  reptil,  rosa,  Sammler,  sich 
scheren,  Schlüsselblume,  Sekunde,  sergeant,  Sinngedicht,  spat,  'geschwulst',  Stickstoff, 
Syphilis,  träumerisch,  tübel,  ulan,  ungeld,  ürte,  vermöbeln,  violett,  Völkerwanderung, 
vorstellen,  Vorstellung,  vorwort,  Waldeinsamkeit,  wegwarte,  wehtag,  Wissenschaft, 
wörtlich.  Verweisungen  wären  angebracht  von  ackermännchen  auf  Odermennig,  von 
ätzen  auf  flözen,  von  barbier  auf  halbier,  von  baxen  auf  boxen,  von  beherzigen  auf 
erspriesslich,  gelassenheit  und  langeweile,  von  echt  auf  gerücht,  von  eintracht  auf 
Zwietracht  und  beeinträchtigen,  von  erdapfel  auf  kartoffel,  von  flaum  auf  pfauchen 
(wegen  des  anlauts),  von  gebären  auf  käfer  und  rächen  (wegen  der  Schreibung  mit  ä), 
vom  himmelschlüssel  auf  Schlüsselblume,  von  jul  auf  Weihnachten,  von  kaditte  auf 
Schmetterling,  von  kapeile  auf  forelle,  gazelle,  libelle  (wegen  der  betonung),  von 
krass  auf  grässlich,  von  laken  auf  Scharlach,  von  linnen  auf  inlett,  von  marmel 
auf  marmor,  von  messingisch  auf  missingsch,  von  pilger  auf  halbier  und  marmel 
(wegen  der  dissimilation  des  r),  von  rasen  auf  wasen,  von  schleife  auf  kiäusel 
(wegen  der  behandlung  von  altem  öu),  von'  seidel  auf  kreide,  von  unhold  auf  hold, 
von  weitall  auf  all.  Enttäuschend  ist  die  gegenwärtige  Verweisung  von  bauernwetzel 
auf  mumps,  sie  findet  ihr  ziel  erst  bei  ziegenpeter. 

Zahlreiche  wertvolle  vorschlage  und  nachweise  bieten  G.  Schoppes  Wort- 
geschichtl.  Studien  1—3  in   den  Mitteilungen  der  schles.  gesellschaft  für  volksk.  18 


2S4  GÖTZE 

(1916)  71-104.  19  (1917)  215-247.  20  (1918)  121-171.    Von  da  wären  zu  bereichera 
oder  neu   zu  gestalten   die  artikel  ablaut,  abmarachen,  abtritt,  affenschande,  ampel, 
anbiedern,    anheimeln,    animos,    bildsam,    blasiert,   böckeln,   dunstkreis,    einheimsen, 
energie,  engelmacherin,  erbaulich,  erbfeind,  erpicht,  fee,  hausmusik,  juchten,  kneipe,, 
krach,  lebenskünstler,  moschus,  mucker,  musterstaat,  naiv,  paschen,  putsch,  salbader, 
schneiden  -,  Schwibbogen,  senkel,  skala,  spitz ',  Steckbrief,  Stimmvieh,  streben,  treib- 
eis,    Überproduktion,    umsatteln,    Unternehmer,    wagehals,    wrinschen.      H.  Pauls 
Deutsche  grammatik  gibt  mit  bemerkungen  ihres  ersten  bandes  anlass,  einige  Wörter 
anders  zu  beurteilen :   allmählich  312,   backen  33,   biese  198,  blach  275,  boxen  173, 
brezel   169,   dolch  333,   drechseln   183,   drell   182,   dreschen   58,  drüben  206,  dunst 
und  dust  334,    eppich  311,  fächeln  173,  farre  179,  ferkel  261,  fieber  196,  flegel  284, 
fracht   173,   fünf  203,   futter  200,   hauderer  338,   hechse  173,  175,  hippe  196,  269, 
höcker  295,  jener  190,   käfig  187,   kiebitz  198,   kunkel  200,  lager  174,  lehnen  190, 
locker  295,  lolch  311,  morchel  261,  morgen  337,  neffe  279,  papagei  224,  pfarre  285, 
pfirsich  196,  plänkeln  179,  predigen  189,  predigt  331,  preiselbeere  224,  propst  170, 
rahm  174,   raps  271,   rettich  171,   rüffel  204,   rutschen  351,  sahne  174,  schach  352, 
Schacht  312,  schäm  189,  schemel  186,  schlafittich  304,  Schleuder  338,  schnauben  277, 
Schoppen   269,   schroff  279,   seuse   183,    stahl  33,  stint   326,  forte  173,  traben  275, 
trän  174,   trichter   196,   Ungeziefer  283,   verdriesslich  206,  wittib  274,  zwiebel  198. 
Stoff  zur  Umgestaltung  mancher  artikel  und  zur  aufnähme  neuer  Wörter  bietet  viel- 
fach P.  Kretschmers  Wortgeographie  der  hochdeutschen  Umgangssprache  (1918), 
namentlich  bei  amarelle,  apfelsine,  aprikose,  besing,  bohne,  Champagner,  gänseklein, 
inlett,  kartoffel,  mirabelle,  orange,  pomeranze,  sellerie,  doch  auch  bei  vielen  anderen 
Sachworten.     S.  Singers   Neidhartstudieu  (1920)  ermöglichen   schärfere   erfassung 
der  Wortprobleme  von  flau  37,   geliebter  68,   Schabernack   18   und   wach  46.     Eine 
reihe   wichtiger  nachweise   liefert  A.  Wrede,  Köln   und   Flandern-Brabant  (1920) 
111  ff.,  z.  b.  für   admiral  127,    bankerott  125,    bilanz  125,    börse  124,    galeere  126, 
garnison  128,  kabel  126,  krakeel(en)  111,  lotterie  116,   makler  111,  netto  125,  preis 
123  f.,  proviant  129,  stoff  130,  taft  131.    Namentlich  altersbestimmuugen  und  Sicher- 
heit über  den  weg,  den   romanisch-neuniederländische  lehnwörter  nach  Deutschland 
genommen   haben,   sind   aus   den    Kölner  archivalien,  die  A.  Wrede  durchgearbeitet 
hat,  zu  gewinnen,  so  auch  für  Wörter,  die  künftig  aufnähme  verdienten  wie  kanevas 
131,   kapitän  127,   profit  123.     Aus   lebender  mundart  liefert  bereicherung  und  be- 
stätigungen   z,  b.  E.  Seelmanns   aufsatz   über   die   mundart   von   Prenden   (krei& 
Niederbarnim)    nördlich   von    Berlin   im   Nd,   Jb.  34  (1908)  1—39   für    ammern  10, 
barch  23,   biest   13,   egge   20,   eichhom  12,   hirse  16,  litis  7,   kieme  13,  kürbis  16, 
lauch  20,  liesch  14,  löffel  9,   mauhvurf  7,  miete  ^  13,  quasseln   23,  töle  14,   zäh  11, 
zecke  9,   zeisig  und   zieche  13.     Wertvolle  belege  sind  aus  Treitschkes  briefen 
herausgegeben   von   Cornicelius   band  1—3  (Leipzig  1914—20)   zu  gewinnen  für  ab- 
stecher  1,  330;   keilen  453;   krawall  159;  ochsen  133.  139.  141;  pepo  154;  prügel- 
knabe  2,  442.  3,  99.  146  (dazu  auch  E.  v.  Künsberg,  Rechtsbrauch  und  kinderspiel, 
1920  §  14);   spritze  'ausflug'  1,  120.  131.  133.     Zu  Janhagel    ders.  Hist.  und  polit. 
aufs.*  2,  445.     Ein  versuch,  die   fastnachtspiele   von  H.Sachs  für  die  zwecke  des 
Wörterbuchs   auszuschöpfen,   hat   noclj  zu  belegen  geführt  für  ähnlich  76,40;   drude 
76,  110;   helligen  13,  329;   muff  75,  118;    schranz  75,63;   schwefel  57,  143.     Dazu 
treten  aus  den  fabeln  und  schwanken  bilch  876,  17;   pinscher  876,  4;  schampf  (im 
ablaut  mit  schimpf;  777,  11.  15.  ans  den  werken  herausgegeben  von  Keller  3,  471,  23^ 
das  adverb:  loh. 


ÜBER   KLUGE,   ETYMOLOGISCHES   WÖRTERBUCH   DER   DEUTSCHEN    SPRACHE      28& 

Dörffef  und  kleyne  weyler 

die  brunnen  hoch  und  lo. 

Nachweise  zu  einzelnen  Wörtern  mögen  sich  in  alphabetischer  folge  anreihen: 

ähnlich  'similis'  hat  von  gleich  ^aequalis'  nicht  erst  J.  Kepler  1616  unterschieden, 

sondern   die   Scheidung   ist   schon   1533   bei   Schmid,   Geometria  28   und  durch  das 

ganze  16.  Jahrhundert  vorhanden:  A.  Schirmer,  Wortschatz  der  mathematik  (1912)3. 

-  Bei  alchimie  ist  mit  H.  Diels,  Antike  technik  (1914)  110  von  gr.  xü(ia 'metall- 
guss'  auszugehen.  —  Armee  hat  das  ältere  armada  schon  vor  beginn  des  30jährigen 
krieges  zurückgedrängt:  aus  belegen  von  1617  macht  das  einleuchtend  Helbling, 
Zfdw.  14  (1912)  36.  —  Aufnahme  verdiente  babusche,  das  aus  türk.  pabudsch 
über  it.  pappuccia  und  frz.  babouche  entlehnt  ist.  Das  ausstrahlen  vom  türkischen 
beleuchten  pers.  päpüs,  serb.  papudzi,  rum.  papuci,  ung.  papucz :  Meyer-Lübke  6216 
und  Arch.  f.  slav.  phil.  32,  386  f.  Im  deutschen  verfolgt  H.  Schulz  das  fremdwort 
zurück  bis  1829.  —  Dass  der  idg.  name  des  baren  den  Germanen  und  Slaven  fehlt, 
weist  auf  alte  tabusitte:  man  scheute  sich,  den  echten  namen  zu  nennen,  der  das 
gefährliche  tier  herbeirufen  konnte.  —  Barrikade  ist  älter  als  1695,  denn  Zesen 
verdeutscht  es  1667  mit  'stachelwehren  oder  spanische  reiter' :  Zfdw.  14  (1912)72. 
Den  Ursprung  hat  E.  Ljunggren,  Studier  tillegnade  E,  Tegner  (Lund  1918)  398  ff. 
aufgeklärt:  frz.  barricade  gehört  zu  barrique  'fass',  ist  berühmt  geworden  durch 
den  barrikadensonntag  in  Paris  1588  und  damals  ins  span.  (barricada)  und  it.  (barri- 
cata)  gedrungen.  In  Deutschland  ist  barrikade  bekannter  erst  seit  1832,  volkswort 
seit  1848:  Zfdw.  3  (1902)  165.  -^  Bei  beginnen  besteht  die  merkwürdigkeit,  dass 
Adelung  noch  1793  das  wort  als  'im  hochdeutschen  grössten  theils  veraltet'  abtut. 
Gleich  ablehnend  verhalten  sich  Adelung,  Campe,  Dornblüth,  Gottsched,  Schönaich 
gegen  abenteuer,  altvordern,  behagen,  fibel,  flink,  geschmack,  heimat,  mitglied, 
sacht,  schlicht,  wonne,  zerstreut.  —  Bettel  ist  offenbar  rückgebildet  aus  älterem 
betteln,   fehlt   aber   bei   D.  Nichtenhauser,  Rückbildungen  im  nhd.  (Freiburg  1920). 

—  Zu  bildungsphilister  s.  Ilbergs  Neue  Jahrbücher  1921  I  453.  -  Ungedeutet 
bleibt  bluse,  das  H.  Schulz  im  Fremdwörterbuch  seit  1827  belegt.  Murray,  der 
blouse  im  engl,  seit  1834  nachweisen  kann,  nennt  es  of  obscure  etymology.  Brugsch, 
sonntagsbeil.  zur  Voss.  ztg.  vom  25.  Jan.  1891,  sieht  in  bluse  den  kittel  aus  blauem 
tuch  von  Pelusium  an  der  Nilmündung.  Die  Vermutung  —  mehr  ist  es  nicht  —  hat 
für  sich,  dass  der  unterägyptische  hafen  ein  hauptort  des  indigohandels  war.  p  wäre 
schon  innerhalb  des  romanischen  zu  b  geworden,  wie  bei  babusche.  —  Bö  'wind- 
stoss'  beginnt  durch  die  zeitungsmeldungen  über  luftfahrt  seit  etwa  1910  gemein- 
deutsch zu  werden,  —  Zu  bohnenlied  gibt  die  entscheidenden  nachweise  A.  Kopp, 
Zdvfv.  27  (1917)  35-49.  —  Brache  gehört  zu  brechen,  aber  nicht  als  'umbrechung 
des  bodens  nach  der  ernte':  der  juni  liegt  vor  der  ernte  und  ist  die  zeit,  in  der 
bei  dreifelderwirtschaft  das  brachfeld  bearbeitet  wird.  —  Wie  braten  sind  auch 
zahlreiche  andere  namen  für  körperteile  von  mensch  und  tier  früh  ins  rom.  entlehnt: 
kröpf,  magen,  milz,  Schienbein,  schiuken,  wamme,  wange.  —  Für  braun  habe  ich 
Wege  des  geistes  (1918)  20  f.  gezeigt,  wie  die  bedeutung 'violett' von  der  gangbaren 
auch  etymologisch  zu  trennen  und  an  lat.  prünum,  den  namen  der  zwischen  rot 
und  blau  schillernden  pflaume,  anzuknüpfen  ist.  Dazu  Zfdw.  12  (1910)  200  ff.  und 
K.  Borinski,  Sitz.ber.  der  bair.  akad.,  phil.-hist.  kl.  1918,  abh.  10  und  1920,  abh.  1. 
Brausche  ist  mhd.  nur  aus  der  Livl.  reimchronik  belegt,  die  vier  stellen  zu  brüsche 
gen  dort  bedeuten  aber  'auf  streifwache  ziehen',  s.  L.  Meyer,  Zeitschr.  4,  429  ff_ 
Unser  brausche  ist  demnach  erst  nhd.,  es  stellt  sich  zu  nd.  brüs,  mnl.  broosch,  nnl. 


286  GÖTZE 

broos,  Schwab,  brausch,  Schweiz,  brüsch  'brüchig'.  —  Brigade  ist  als  lehnwort 
etwa  gleich  alt  mit  fourage  und  kampieren,  während  bataillou  und  batterie  älter 
sind.  —  Buchstabe  nicht  'buchenstab,  der  zum  einritzen  von  runen  bestimmt 
war',   sondern   'bücherslab'  im  gegensatz  zur  rune,  die  man  nicht  ins  buch  schrieb. 

—  Diele  in  der  nd.  bedeutung  'hausflur'  dringt  mit  einer  neuen  bauweise  seit 
beginn  des  19.  Jahrhunderts  auch  nach  Mittel-  und  Oberdeutschland.  —  doppelt 
ist  offenbar  mischform  aus  doppel  und  gedoppelt.  Die  belege  sind  der  annähme  nd. 
einflusses  nicht  günstig.  —  Einbaum  jetzt  Schweiz,  id.  4,  1234.  —  Eingeweide 
wird  (nach  J.  Grimm)  gedeutet  als  'gesamter  Inhalt  von  magen  und  darm,  bauch- 
inhalt'.  Inzwischen  hat  H.  Wunderlich,  DWb.  4  I  5430  glaubhaft  gemacht,  dass 
■es  vielmehr  den  teil  des  wilds  bedeutet,  der  den  Jagdhunden  als  'weide'  vorgeworfen 
wird,  und  ich  habe  das.  14  I  575  gefunden,  dass  diese  auffassung  allein  auch  dem 
alten  verb  weiden  'exenterare'  gerecht  zu  werden  vermag,  das  privativen  sinnes  ist 
wie  köpfen.  —  Unter  ekel  und  heikel  wird  der  Zusammenhang  der  beiden  Wörter 
erwogen.  Sie  sind  auch  bedeutungsmässig  zu  vermitteln.  Aurifaber  lässt  Luther 
sagen:  Ich  halts  gewiss  bei  mir  dafür  und  glaube,  dass  Schwaden  Himmelbrot  sei; 
so  ekel  ists,  wenn  man  mit  einem  Finger  davon  nascht,  so  ists  verdorben  Tischr.  I 
353,  19  Weim.,  und  nach  Veit  Dietrichs  nachschrift  sagt  er :  Ego  persuasus  firmis- 
sitne  credo,  quod  Schwaden  sit  manna.  So  eckel  ists,  ivenn  man  mit  den  fingern 
drein  naschet,  so  verdirbts  das.  471,  7,  im  lat.  text:  estqiie  impatiens  tactus.  —  Bei 
elentier  ergibt  sich  aus  der  gleichung  vorgerm.  *alkis,  urslav.  olsi,  dass  in  sehr 
alter  zeit  Germanen  und  Slaven  gemeinsam  im  gebiet  dieses  dem  süden  fremden 
tiers  gelebt  haben.  Vgl.  lachs.  —  elf:  die  form  ölf  beruht  offenbar  auf  voraus- 
nähme des  Vokals  von  zwölf  beim  hersagen  der  Zahlenreihe.  —  eng:  die  beziehung 
zu  angst  und  zu  bang  haben  die  theoretiker  des  17.  Jahrhunderts,  als  sie  die  heutige 
Schreibung  mit  e  feststellten,  offenbar  nicht  erkannt,  ebensowenig  übrigens  die  von 
Stengel  zu  stange,  von  anstrengen  zu  sträng,  von  edel  zu  adel.  —  exerzieren 
ist  im  16.  Jahrhundert  aufgekommen:  Roth  1571  bucht,  Fischart  Garg.  288  ver- 
wendet es.  Im  militärischen  sinn  zuerst  1601:  Zfdw.  14,  68.  —  Zu  f  alt  er  bringt 
H.  Krause,  Geschichte  der  neueren  zool.  nomenklatur  (1918)  48  wertvolle  nachweise 
seit  1798.  —  Fett  weist  merklich  früh  auf  hd.  boden  nach  K.  Bücher,  Bevölkerung 
von  Frankfurt  a.  M.  1  (1886)  545 :  Mosche  von  Eppenstein,  des  vetten  Jacobs  sone, 
Frankfurt  1472.  —  Götze  in  heutiger  bedeutung  bahnt  sich  in  Frankfurt  a.  M. 
schon  1376  an:  Heincz  Franke,  gotzendreger  'der  heiligenbilder  zum  verkauf  herum- 
trägt' K.  Bücher,  Berufe  der  stadt  Frankfurt  (1914)  53.  —  Grinsen  in  der  Schrei- 
bung grinzen  noch  Wagnervolksbuch  (W^ien  1799)  kap.  29:  D.  lit.-denkm.  3,  30,  54. 

—  Zu  grog  Sandfeld-Jensen,  Sprach wiss.  (1915)  46.  —  Hornung  als  einziger 
monatsname  aus  kaiser  Karls  liste,  der  sich  erhalten  hat,  war  schon  zu  dessen  zeit 
alt.  Doch  spiegelt  auch  er  schon  die  Verkürzung  des  raonats  um  2  bis  3  tage,  also 
römischen  einfluss.  —  Aufnahme  verdiente  hupe  aus  oberhess.  huppe  'kleine  schlechte 
pfeife  aus  weidenrinde'  und  ähnlichem,  durch  das  kraftfahrwesen  gemeindeutsch 
geworden.  —  Jelängerjelieber:  der  name  ist  wohl  aus  der  langen  blütezeit 
der  pflanze  zu  erklären.  In  Eupen  heisst  das  Stiefmütterchen  We  langer  we  levver: 
Tonnar  und  Evers  (1899)' 226.  —  Aus  den  nachweisen  für  jul  unter  Weihnachten 
wäre  ein  eigener  artikel  zu  gestalten.  Grundform  ist  *jehwla  'zeit  der  sclinee- 
stürme'  zu  anord.  el  n.  'Schneegestöber':  Kluge,  Engl.  stud.  9,  312.  Ahd.  ist  *gehal^ 
got.  'jaX^l  vorauszusetzen,  mnd.  jul,  anord.  j6l,  schwed.  dän.  jul,  ags.  jeol,  jeohhol, 
<jngL   yule   sind   bezeugt,    dazu   als   monats-    oder  Jahreszeitname   got.  jiuleis,  ags. 


ÜBER   KLLGE,    ETYMOLOGISCHES   WÖRTERBUCH   DER   DEUTSCHEN   SPRACHE      287 

^iuli,  jeola,  anord.  ylir.  Aus  dem  uraord.  sind  entlehnt  finn.  juhla  'feier,  fest', 
finn.  joulu  'Weihnachten',  daraus  wieder  läpp,  juovla  'Weihnachten':  Nilsson,  Arch.  f. 
rel.-wiss  19  1919)  1H8.  Die  entlehnungen  beweisen,  dass  die  Germanen  ein  vor- 
christliches, mehrtägiges  mittwinterfest  gefeiert  haben.  —  Zu  kalfatern  Meyer- 
Lübke  8  (i.  —  Kaliber  hat  nach  A.  Kluyver,  Zfdw.  11,  219  ff.  eine  anziehende 
und  lehrreiche  wortgeschichte.  Mlat.  *calibrum  'halseisen  des  gefangenen,  kummet 
des  Zugtiers'  wird  in  der  älteren  ballistik  zur  bezeichnung  der  lehre,  durch  die 
der  durchmesser  und  damit  zugleich  das  gewicht  von  kanonenkugeln  bestimmt 
wird.  So  ist  im  15.  Jahrhundert  it.  calibro  für  das  messinstrument  vorhanden,  es 
wird  etwa  1478  ins  französische,  nachmals  ins  spanische  als  calibre  entlehnt,  dabei 
die  bedeutung  vergröbert  zu  'durchmesser  der  geschützmündung,  gewicht  der  kugel'. 
Aus  dem  franz.  ins  nhd.  entlehnt  erscheint  caliber  zunächst  als  mask.  bei  Wall- 
hausen, Kriegsmanual  (1616)  108.  —  Kamille:  die  Verkürzung  aus  mlat.  camomilla 
hat  sich  wohl  unter  einfluss  des  römischen  namens  Camilla  vollzogen.  —  Bei  kegel 
'uneheliches  kind'  darf  man  an  mhd.  kegel  'eiszapfen'  denken  und  mit  F.  Pfaif, 
Schneeburgen  im  Breisgau  20  an  das  unerwünschte  Wachstum  des  schneekinds  im 
Modus  Liebinc  erinnern.  Die  form  kekel  stimmt  gut:  Dwb.  5,  287.  389.  —  Keib 
%as'  belegen  H.  Fischer,  Schwab,  wb.  4,  147  und  Schweiz,  id.  3,  100  seit  dem 
13.  Jahrhundert.  —  Für  kerl  wird  urnord.  karlaz  erwiesen  durch  läpp,  källes: 
W.  V.  Unwerth,  Lit.-blatt  39  (1918)  93.  -  Klinge  'talschlucht'  ist  beute  auf  obd. 
mundart  beschränkt,  war  einst  aber  weiter  verbreitet.  Den  ersten  beleg  bietet 
um  820  die  Hammelburger  markbeschreibung:  in  thie  teofun  clingun  Kl.  ahd. 
sprachdenkm.  62,  18  Steinmeyer.  —  Kofel  'bergspitze'  heisst  in  Luzern  khövl,  hat 
also  altes  o,  denn  Vertretung  der  alten  länge  ist  oa:  groas,  proat.  —  Bei  kreide 
ist  von  vulgärlat.  creda  auszugehen,  wie  bei  seide  von  seda.  —  Bei  Kreti  und 
Pleti  ist  die  beziehung  zu  der  philistäischen  leibwache  des  königs  David  herzu- 
stellen: Pleti  ist  nebenform  zu  Pelischtim,  Kreti  bezeichnet  den  teil  dieses  volks, 
der  auf  Kreta  blieb  und  der  insel  den  bis  heute  geltenden  namen  gab,  wie  die 
Syrioi  Palaistinoi  seit  Hadrian  dem  alten  Judäa  seinen  noch  heute  giltigen  namen 
liehen.  Aus  dem  Philisterland  der  deutschen  Studenten  stammt  der  verächtliche 
klang  der  formel,  der  im  alten  testament  durchaus  fehlt:  F.  Stähelin,  Die  philister 
(Basel  1918).  —  Der  lachs  fehlt  im  gebiet  des  mittelländischen,  schwarzen  und 
kaspischen  raeeres.  Die  Germanen,  Slaven  und  Litauer,  denen  der  name  gemeinsam 
ist,  haben  in  sehr  früher  zeit  gemeinsam  das  Ost-Nordseegebiet  bewohnt.  Vgl. 
elentier.  —  Der  letztere  steht  zuerst  wohl  in  J.  Keplers  Weinvisierbüchleiu  1616, 
Op.  omn.  5,  6:H  Frisch.  —  Löschen  'ein  schiff  entladen'  hat  das  ihm  zukommende 
8S  mit  seh  vertauscht  unter  einfluss  von  löschen,  ahd.  leskan.  —  Mahl-\  erster 
wortteil  in  mahlschatz  und  mahlstatt,  ist  zweiter  bestandteil  im  namen  der  Stadt 
Detmold,  alt  Dietmella  'versammlungsstätte  des  volks'.  —  Bei  masse  ist  mit  H. 
Diels,  Antike  technik  (1911)  121  f.  an  griechisch  fiä^a  anzuknüpfen:  das  wort  be- 
zeichnet zunächst  den  brotteig,  der  durch  hefe  aufgeht,  dann  aber  das  metall,  das 
durch  Zusatz  echten  materials  sein  volumen  vergrössert.  —  Messe  'Jahrmarkt'  ist 
zuerst  in  Frankfurt  a.  M.  1329  nachzuweisen,  messe-  geht  aus  von  lat.  missuui  'das 
aus  der  küche  geschickte'.  —  Messer,  mhd.  mezzer,  ist  aus  älterem  mezzeres  her- 
gestellt, indem  ein  scheinbarer  gen.  in  seinen  nom.  umgewandelt  wurde.  —  Nudel 
wird  früh  bildlich  gebraucht  im  namen  des  nudelturms,  eines  1529  angelegten,  ehe- 
mals runden  Vorwerks  der  reichsstadt  Memmingen:  J.  Miedel,  Oberschwäbische 
orts-  und  flurnamen  (1906)  23,  —  Die   wortgeschichte   von  Odermennig   entwirrt 


•288         (iCnZK   ÜBER   KLUGE,   ETYM.    WÖRTERBUCH    DER   DEUTSCHEN   SPRACHE 

Sandfeld-Jensen,  Sprachwissenschaft  (1915)  17.  —  Zu  p  a  p  a  verspricht  ausbeute 
S.  R.  Gerstäcker,  Dissertatio  philologica  de  blanda  Gallorum  conipellatione  Papa  usu 
hodie  inter  nos  accepta,  Leipzig  1708.  —  Pfalz  in  den  verschiedeneu  stufen  seiner 
entlehnung  untersucht  H.  Schreibmüller,  Pfälzische  heiraatkunde  12  (1916)  51  ff. 
und  13  (1917)  97 ff.  —  Pfeil  war  von  seinem  älteren  einheimischen  synonym  strahl 
wohl  sachlich  unterschieden,  etwa  durch  eine  eiserne  spitze.  —  Das  m  von  pflaume 
erklärt  A.  Walde,  Lat.  etym.  wb.-  620  aus  gr.  7tpoO|j.vov:  dann  entfällt  die  mög- 
lichkeit,  den  Wechsel  von  n  und  m  in  pfriem  (ags.  preon,  anord.  prjönn)  mit  dem 
Vorbild  von  pflaume  zu  stützen.  —  Pfund  zeigt  wandel  von  lat.  o  zu  u  vor  nasal 
und  konsonant  wie  kunkel.  —  Pritsche  in  pritzenschlaher  'narr'  1532  Luthers 
Tischreden  2,  439  Weim.  -  Proviant  1556  bei  Frisius,  seit  1525  Zfdw.  14,  52^ 
seit  1486  das.  15,  204.  —  Zu  ross  'honigwabe'  vgl.  H.  Schuchardt,  Sitz.ber.  der 
Berliner  akad.  1917,  156  ff.  und  L.  Spitzer,  Lit.-blatt  38  (1917)  328.  -  Salweide: 
ahd.  salaha  ist  auch  im  namen  Seligenstadt  zu  finden.  —  Bei  same  ist  auffällig 
das  fehlen  im  gesamten  englischen.  —  Zu  schachten  stellt  sich  in  Frankfurt  a.  M. 
zu  ende  des  15.  Jahrhunderts  secher:  K.Bücher,  bevölkerung  von  Frankfurt  1  (1886) 
543.  —  Schimmer,  rückgebildet  aus  dem  älteren  schimmern,  wird  seit  1734  nach- 
gewiesen von  D.  Nichtenhauser  a.  a.  o.  19.  —  Neben  Schornstein  steht  westfäL 
schotstein  urspr.  'hervorschiessender  stein'  Holthausen,  Soester  mundart  105.  — 
Schwadron  hat  zwischen  1578  und  1616  älteres  geschwader  ersetzt:  Weigand^ 
2,  809;  Zfdw.  14,  45.  —  schwanen  darf  doch  wohl  mit  Lindquist,  Beitr.  38,329. 
39,  389  von  es  wänet  mir  aus  gedeutet  werden.  —  Zu  sklave  Wellhausen  D.  lit.- 
ztg.  1892  nr.  18.  —  Sorte  ist  mnd.  seit  1381  nachgewiesen:  Schiller-Lübben  4, 
296a,  hd.  seit  1534:  Weigand*  2,  894,  sortieren  das.  seit  1678.  —  spinnen  ist 
in  südwestdeutscher  mundart  verbreitet  für  'verrückt  sein',  doch  wohl,  weil  in  Irren- 
häusern alter  zeit  spinnen  als  Zwangsarbeit  eingeführt  war.  —  stauen  fehlt  in 
obd.  und  md.  mundart,  dafür  stemmen,  gestemmen,  stemmung  in  Nürnberg  1339: 
Anz.  f.  künde  d.  d.  vorzeit  n.  f.  12  (1865)  63.  -  Zu  steif  weist  Dwb.  10  II  1778 
weitere  Verwandtschaft  nach.  —  Teich  ist  von  weiher  landschaftlich  abzugrenzen: 
als  romanisches  lehnwort  hat  weiher  den  süden  und  westen  erobert,  ist  obd.  und 
fränkiSch,  dagegen  herrscht  ostmd.  und  nd.  von  altersher  teich,  wird  von  da  aus 
schriftwort  und  dringt  seit  ausgang  des  mittelalters  nach  Bayern  und  Österreich, 
Thüringen  und  Hessen  vor.  —  Tintenfass  kommt  mit  dem  15.  Jahrhundert  auf: 
Lexer  2,  1441;  Dwb.  2,  1181.  11,  503.  Mittelalterlich  ist  das  tintenhorn,  das  der 
Schreiber  am  pult  hängen  hatte:  W.  L.  Schreiber  und  P.  Ileitz,  Die  deutschen 
accipiesholzschnitte  (1908)  tafel  45  (aus  Strassburg  1500)  oder  in  der  linken  hielt: 
S.  Brant,  Narrenschiff,  holzschnitt  zu  kap.  79  (aus  Basel  1494).  —  Trikot  wird 
vonWeigand*  als  dunkler  herkunft  bezeichnet  und  ist  in  deutschen  Wörterbüchern 
nicht  vor  1801  gebucht.  Der  verdacht  liegt  nahe,  dasn  der  name  des  gewebes  den 
ort  wiederspiegle,  in  dem  es  zuerst  hergestellt  wurde  wie  rasch  und  kammertuch. 
Tricot  ist  tatsächlich  ein  ort  im  nordfranzösischen  textilgebiet  mit  alter  sarsche- 
fabrikation  (dep.  Oise,  arr.  Clermont):  Zedier  45  (1745)  647;  Ritter,  Geogr.-stat. 
lex.  2  (1910)  1074a.  Bereits  Littre  2  (1869)  2344a  erwägt  die  möglichkeit,  vom 
Ortsnamen  auszugehen.  —  Turner  hat  Jahn  nach  turner  'junger  soldat,  tummel- 
haffter  wacker  kerly'  bei  Moscherosch,  Ges.  2  (1650)  416  gebildet.  Über  dessen 
beziehung  zu  furnier  s.  Jahrbuch  d.  d.  turnkunst  1893,  heft  7,  8.  —  Urne  steht 
1616  in  J.  Keplers  Weinvisierbüchlein:  Vier  Congij  haben  gemacht  eine  vrnam, 
hat  den  Nameu  vom  Tauchen,  vnd  so  haissen  wir  heutzutag  den  Aimer  am  Schöpff- 


BLNZ  ÜBER  HODLER,  WORTBILDUNG  UND  ■WORTBEDEUTUNG  IM  BERXDEUTSCHEN      289 

brunnen  Op.  omn.  5,  592  Frisch.  —  Verdutzen  'betäuben'  gehört  zu  mhd.  duz,  tuz 
*8tos8'  Dwb.  2,  1773.  In  Brants  Narrenschilf  92,  42  spiegelt  und  putzt  sich  eine 
närrin  der  weit  zu  tutz  'womit  sie  alle  weit  vor  den  köpf  stösst'.  Dazu  Leitzmann, 
Beitr.  41  (1916)  382.  —  Viertel  in  Stadtviertel  'quartier'  zunächst  bei  Städten  wie 
Mainz,  die  aus  römischen  standlagern  hervorgegangen  die  vierteilung  im  grundriss 
aufwiessen,  wie  Zara  und  Spoleto  noch  heute.  —  Bei  wald  verdienen  die  plural- 
formen erwähnung:  ahd.  walda,  mhd.  wälde,  nhd.  Wälder.  —  Die  angäbe,  dass 
weigand  im  18.  Jahrhundert  aus  der  wieder  bekannt  werdenden  mhd.  literatur 
entlehnt  sei,  lässt  sich  bestimmter  fassen.  Hamann,  Moser,  Bürger,  Arndt  haben 
das  seit  dem  16.  Jahrhundert  versinkende  wort  neu  belebt,  die  theoretiker  Gottsched 
Adelung  und  Campe  leisten  keine  Unterstützung,  so  dass  das  wort  über  den  ge- 
lehrten kreis  (Uhland,  Gervinus)  kaum  hinausdringt.  —  Unter  Weihrauch,  das  seit 
mitte  des  8.  Jahrhunderts  in  Oberdeutschland  auftritt,  und  von  da  nach  Mittel- 
deutschland drang,  bevor  die  ags.  mission  ihre  Wörter  dort  einbürgern  konnte 
(Braune,  Beitr.  43,  404),  wären  zu  ahd.  wihrouch  und  mhd.  vvi(h)rouch  auch  die 
formen  der  übrigen  germ.  dialekte  zu  fügen :  asächs.  wihrok,  mnd.  wirök,  mnl. 
wierooc,  nnl.  wierook  und  dän.  virak.  —  Wiemen:  auf  eine  lautliche  Schwierigkeit 
im  Stammvokal  weisen  mnl.  wime  Verdam,  Mnl.  handwb.  694  und  westfäl.  wuime 
(mit  ui  aus  i)  Holthausen,  Soester  mundart  106  gegen  nnl.  wieme  Kramer  (1759) 
2045.  -  Zu  zahl  vgl.  ßosenhagen,  Zfda.  57  (1920)  189  f.  -  zer-  ist  obd.  mundart 
heute  und  seit  langem  fremd. 

Aus  vielen  einzelerkenntnissen  baut  sich  die  geschichtliche  deutsche  wort- 
kunde  auf,  zu  deren  gebäude  unter  den  lebenden  keiner  so  viel  bausteine  geliefert 
hat,  wie  Friedrich  Kluge.  An  sich  kann  man  fragen,  ob  dem  gegenständ  die  form 
fortlaufender  darstellung  nicht  ebenso  angemessen  wäre,  und  ganz  ist  deren  ton 
den  artikeln  des  wb.  nicht  immer  ferngehalten.  Der  erfolg  hat  durch  nun  fast 
40  jähre  dem  entschluss  recht  gegeben,  den  der  Verfasser  als  junger  anfänger  ge- 
fasst  hat,  der  uns  als  reifer  meister  in  seiner  deutschen  Sprachgeschichte  nun  auch 
die  fortlaufende  darstellung  beschert  hat. 

FREIBURG  I.  B.  ALFRED  GÖTZE. 


Werner  Kodier,  Beiträge  zur  Wortbildung  und  Wortbedeutung  im 
Berndeutschen.  (Sprache  und  dichtung.  Forschungen  zur  linguistik  und 
literaturwissenschaft,  herausgegeben  von  Harry  Maync  und  S.  Singer.  Heft  16). 
Bern,  A.  Francke  1915.  166  s.  4,40  m. 
Manfred  Szadrowsky,  Nomina  agentis  des  schweizerdeutschen  in 
ihrer  bedeutungsentfaltung.  1.  teil.  Zürcher  dissert.  Frauenfeld, 
Huber  u.  Co.  1917.  86  s.  (Erscheint  vollständig  als  band  12  der  von  A,  Bach- 
mann  herausgegebenen   'Beiträge   zur  schweizerdeutschen  grammatik'.) 

Die  mundartforschung  hat  bisher  viel  zu  ausschliesslich  sich  der  laut-  und 
formenlehre  zugewandt  und  ist  an  der  fülle  von  problemen,  welche  die  Wortbildung 
der  mundarten  bietet,  mehr  oder  weniger  achtlos  vorbeigegangen.  Nach  dem  er- 
scheinen einer  so  ausgezeichneten  grundlage  für  weiterdringende  einzeluntersuchungen, 
wie  wir  sie  in  der  zweiten  abteilung  von  Wilmanns'  deutscher  grammatik  besitzen, 
war  das  eine  unbegreifliche  Unterlassung.  Es  ist  darum  mit  freuden  zu  begrüssen, 
dass  darin  ein  wandel  sich  anbahnt,  und  zu  wünschen,  dass  die  beiden  vorliegenden. 


290  BINZ 

das  hochalemannische  gebiet  betreffenden  Untersuchungen  bald  zahlreiche  nachfolget 
in  anderen  teilen  des  deutschen  Sprachgebietes  finden  werden.  Denn  beide  sind 
tüchtige  und  wertvolle  leistungen  und  können,  wenn  auch  nicht  vielleicht  in  allen 
einzelheiten,  als  vorbildlich  bezeichnet  werden. 

Ho  dl  er  macht  es  freilich  dem  leser  nicht  ganz  leicht.  Ohne  irgendwelche 
Vorbereitung  über  ziel,  methode  und  umfang  seiner  Untersuchungen,  über  das  Ver- 
hältnis der  gesprochenen  lelTendigen  mundart  zur  literarischen  Überlieferung,  über 
die  in  der  gesprochenen  spräche  sich  bemerklich  machende  Schichtung  nach  ständen, 
berufen  usw.,  ohne  erklärung  der  von  ihm  angewandten  abkürzungen  für  die  von 
ihm  benützten  textausgaben  und  grammatischen  monographien  beginnt  er  seine 
darstellung.  Auch  sein  kurzes  Inhaltsverzeichnis  gibt  kaum  einen  riclitigen  begriff 
von  der  mannigfaltigkeit  der  gegenstände  und  der  art  der  beobachtungen,  die  er 
uns  bietet. 

Wir  heben  hier  einige  der  wichtigeren  feststellungen  hervor  und  knüpfen  je 
nach  umständen  sich  aufdrängende  bemerkungen  daran.  Zunächst  behandelt  H. 
die  ableitung  von  verben  aus  Substantiven.  Eine  solche  ist  bei  den  meisten  kon- 
kreten Substantiven  möglich  durch  die  beifügung  der  infinitivendung -a  (^zscÄ.-fjsc/ta),. 
wobei  sich  gewisse  lautliche  besonderheiten  ergeben  bei  den  vokalisch  endenden 
Substantiven,  namentlich  denen  auf  -i  (beri :  bera),  oder  bei  solchen,  in  denen  n  im 
auslaut  verstummt  ist  (stet :  steina,  räga  :  rägna).  Hiatustilgend  ist  n  in  schuana  : 
schua,  flöna  :flö,  auch  tv  und  j  z.  b.  in  souiva :  sou,  farbreija :  brei.  Diese  art  der 
bildung  ist  im  Bemdeutschen  durchaus  lebendig  und  zwar  in  einem  viel  weiteren 
umfang  als  dies  z.  b.  im  Baseldeutschen  möglich  wäre.  Dass  der  Wortschatz  beider 
mundarten  ganz  erheblich  von  einander  abweicht,  ist  allgemein  bekannt;  über- 
raschender ist  die  weitgehende  Verschiedenheit  nicht  nur  in  den  mittein  der  Wort- 
bildung, sondern  auch  in  dem  grad  der  lebendigkeit  der  gleichen  mittel.  Fürs 
Bernd,  ist  es  bezeichnend,  dass  nur  ein  geringer  teil  solcher  ableitungen  von  verben 
aus  Substantiven  zum  festen  bestand  des  mundartlichen  Wortschatzes  gehört,  dass 
vielmehr  die  meisten  hervorgebracht  werden  können,  um  einem  augenblicklichen 
bedürfnis  zu  genügen  und  dann  wieder  fallen  gelassen  zu  werden.  Doch  bedarf 
diese  aufstellung  wieder  einer  einschränkung:  tatsächlich  wird  doch  nur  ein  kleiner 
teil  aller  möglichen  ableitungen  gebildet,  da  diese  bildung  eben  sich  nach  dem 
bedürfnis  richtet.  Wo  ein  solches  sich  einsteilt,  und  wo  nicht,  lehrt  eine  Übersicht 
der  bedeutungen.  Von  allen  an  sich  möglichen  bedeutungen  wird  naturgemäss 
diejenige  am  ehesten  verwirklicht,  welche  die  im  vorstellungskreis  des  sprechenden 
am  wesentlichsten  und  engsten  mit  dem  substantivbegriff  verbundene  tätigkeit  be- 
zeichnet. Die  ableitung  erscheine  nicht  in  bedeutungen,  sagt  H.,  für  welche  die 
spräche  bereits  über  einen  verbalen  ausdruck  verfügt.  Beispiel:  holza  nicht  =  holz 
kunstvoll  verarbeiten,  da  dafür  verben  wie  schnitza,  schrinara,  zimmara  usw.  vor- 
handen sind. 

Beispiele :  schrinara^  schlossara,  spünglara,  aber  nicht  wäbara,  seilara,  chorbara, 
hekcha,  weil  dafür  wäba,  seih,  cJiorba,  bacha  vorhanden  sind;  wohl  chirsa,  nussa, 
öpfala,  bera,  höuja,  grasa  —  kirschen  usw.  ernten,  nicht  aber  chorna  oder  milcha,  weil 
dafür  ärna,  mälcha  existieren.  In  solcher  allgemeinheit  ist  freilich,  wie  Behaghel 
im  Litbl.  f.  germ.  und  rom.  phil.  1917,  sp.  306  mit  recht  hervorhebt,  H.s  behauptung 
kaum  richtig.  Tatsache  ist,  dass  die  meisten  der  üblich  gewordenen  verbal- 
ableituugen  eindeutig  sind  und  sich  in  bedeutungsgruppen  zusammenfassen  lassen. 
Auf  eine  durchbrechung  seines  grundsatzes  macht  H.  selbst  aufmerksam,  die  herbei- 


ÜBEK   HODLEK,    WORTBILDUNG   UND   WORTBEDEUTUNG   IM   BERNDEUTSCHEN      291 

g-eführt  wird  durch  das  nebeneinander  von  synonymen,  die  entweder  verschiedenen 
landesgegenden  oder  verschiedenen  Standessprachen  angehören;  auch  unterschiede 
der  Vulgärsprache  von  der  spräche  der  gebildeten  spielen  dabei  gelegentlich  mit. 
Natürlich  ist  verf.  auch  sonst  noch  häufig  im  verlauf  der  arbeit  genötigt,  auf  die 
Verschiedenheit  des  Sprachgebrauchs  in  stadt  und  land  hinzuweisen,  auf  eigenheiten 
der  Schüler-  und  Studentensprache  und  anderer  berufs-  und  Standessprachen  zu 
achten  und  auch  dem  nicht  nur  in  der  stadt,  sondern  auch  auf  dem  sonst  doch  im 
allgemeinen  zäher  am  alten  hängenden  land  sehr  tief  gehenden  einfluss  der  Schrift- 
sprache aufmerksamkeit  zu  schenken.  Das  ist  vielleicht  nicht  immer  in  genügendem 
masse  geschehen  und  mag  zum  teil  in  einer  schwäche  des  Verfassers,  dem  in  der 
jungen  generation  erstaunlich  verbreiteten  mangel  an  Sprachgefühl  für  das,  was 
echt  mundartlich  ist  und  was  nicht,  begründet  sein. 

Im  einzelnen  weist  das  Bernd,  hinsichtlich  der  ableitung  von  verben  aus 
Substantiven  deutliche  unterschiede  gegen  das  Baslerische  auf.  Vielfach  kennt 
Basel  solche  ableitungen  gar  nicht  oder  nur  in  geringerem  umfang;  z.  b.  bei  den 
berufsbezeichnungen  fehlen  von  H.s  beispielen  im  Basl.  sciuiestar»,  schuemachara,. 
steihoutvdrd,  taglöndra,  üremachara ;  von  verben,  die  eine  Zubereitung,  herstellung- 
oder  ähnliches  bezeichnen,  kennt  das  Basl.  nur  wenige  der  angeführten  z.  b.  mosta, 
chüachh.  Unter  den  das  versehensein  mit  etwas  bezeichnenden  verben  sind  dem 
Basler  unbekannt  tappeta,  asfaltd  statt  tapeziara,  asfaltiara.  Meist  ganz  unmöglich 
sind  dem  Basler  bildungen,  die  ein  herbeischaffen,  sammeln,  suchen,  gewinnen  be- 
zeichnen :  chirsa,  nussa,  bera,  chöla,  feijala,  blüamala,  ebenso  solche,  die  ein  fortschaffen, 
befreien  von  etwas  ausdrücken:  asta  (bäume  beschneiden),  barta  (rasieren).  Aus 
H.s  5.,  andersartige  Verhältnisse  des  verbums  zum  substantivischen  grundwort 
zeigenden  gruppe  finden  sich  im  Basl.  nur  betta,  sunna,  lufta,  brosma,  löffla,  buach^ 
(Lehnwort  aus  der  schriftspr. !),  zäna  wieder. 

Bei  den  aus  adjektiven  abgeleiteten  verben  ohne  umlaut,  ausläufern  der  ahd. 
e?i-verben,  erscheint  die  umlautslosigkeit  als  das  die  gruppe  zusammenhaltende 
Clement;  auch  die  bedeutung  ist  einheitlich  eine  inchoativ-intransitive,  während 
der  etwa  daneben  vorhandenen  umgelauteten  form  faktitive  bedeutung  zukommt. 
Auch  hier  wieder  ist  diese  ableitungsweise  im  Bernd,  viel  lebendiger  und  ver- 
breiteter als  im  Basl.,  wo  sie  fast  gar  nicht  mehr  anzutreffen  ist.  Im  Bernd,  selbst 
aber  ist  ihr  gebiet  weniger  gross  als  das  der  ableitung  von  verben  aus  Substantiven. 
Auszuschliessen  sind  alle  adjektive,  die  mit  einem  als  solchen  noch  gefühlten 
Suffix  verseilen  sind,  alle  partizipien  und  alle  zusammengesetzten  adjektive.  Der 
bedeutung  nach  zerfallen  diese  verba  inchoativa  in  zwei  ungleich  grosse  gruppen, 
die  einen  sind  perfektiv  oder  resultativ:  frda,  swra  =  faul,  sauer  werden;  die  an- 
deren, viel  zahlreicheren  sind  imperfektiv:  magara  =  magerer  werden,  junga  =  jünger 
werden.  Ausschlaggebend  für  die  bedeutung  ist  der  begriffswert  der  zugrunde 
liegenden  adjektive;  bei  absolutem  begriffswert  hat  die  ableitung  perfektiven,  bei 
relativem  komparativische  bedeutung,  wobei  relativ  nicht  in  syntaktischem,  sondern 
in  lexikalischem  sinne  zu  nehmen  ist,  d.  h.  relative  adjektiva  solche  sind,  deren 
begriffswert  neben  verschiedenen  beziehungswörtern  sich  verändert  wde  z.  b.  gross 
in  9  grossi  flö,  a  grossa  boum.  Am  veränderlichsten  sind  die  mass-  und  grössen- 
bezeichnungen  wie  gross,  läng,  breiig  dikch,  hoch,  alt,  schivär ;  schon  bestimmter 
sind  die  negativen  chll,  chnrts,  schmal,  dünn,  jung,  da  man  wohl  sagt  numa  tswe 
mi'tar  gross,  läng,  hoch,  aber  nicht  tsice  nietar  chiirts.  Absoluter  bedeutung  nähern 
sich   färben-  und   geschraacksbezeichnungen,   unbedingt   absolut  ist  etwa  töd.     Aber 


292  BIN/. 

die  Veränderlichkeit  des  begriffswerts  wird  durch  das  beziehungswort  eingeschränkt : 
siir  mag  noch  verschiedene  grade  zulassen  in  siira  öpfal,  sür3  wi,  aber  in  sih-i  milch 
iat  es  absolut.  Entsprechend  tritt  auch  beim  verb  bei  verschiedenem  Subjekte  das 
komparativische  momeut  mehr  oder  weniger  hervor;  es  wird  z.  b.  stärker  empfunden 
in  as  rhaltät,  wenn  vom  wetter  die  rede  ist,  als  in  tsuppd  chaltat,  wo  ehalt  die  be- 
stimmte temperatur  ungewärrater  speisen  bezeichnet. 

Die  ableitung  wöU  (as  woht  mar)  beziehe  ich  lieber  auf  einen  satz  wie  »s 
isch  mar  wöl  als  mit  H.  auf  ein  »  bi  wöl,  das  doch  einen  andern  sinn  (=  ich  bin 
gesund)  hat. 

Die  ^an-ableitung  ist  nicht  mehr  produktiv.  Bildungen  dieser  art  weichen 
immer  mehr  der  direkten  verbalisierung,  also  nagb  gegen  mhd.  negeln,  antworta 
gegen  mhd.  antivürten,  chalcha  gegen  mhd.  kelken  usw.,  im  wesentlichen  mit  der 
Schriftsprache  übereinstimmend ;  doch  wird  dieser  gegenüber  die  umlautslose  ab- 
leitung in  der  mundart  durch  den  umstand  unterstützt,  dass  hier  die  vokale  dem 
Umlaut  mehr  widerstanden  als  im  mitteldeutschen.  Welche  lautgeschichtliche  regeln 
iJafür  gelten,  gibt  H.  leider  nicht  an.  Es  sind  im  Bernd,  wohl  schon  in  früher 
zeit  nebenformen  analogischer  art  im  engsten  anschluss  an  die  nicht  umgelauteten 
nomina  anzusetzen.  In  vielen  fällen  war  durch  die  verschiedene  entwicklung  der 
laute  oder  der  bedeutung  die  beziehung  zwischen  ableitung  und  grundwort  ver- 
dunkelt ;  solche  fälle  fielen  natürlich  als  muster  weiterer  ahleitungen  ausser  betracht. 
Die  beispiele  H.s  scheinen  mir  dabei  nicht  durchweg  treffend:  litscha  'knüpfen' 
gehört  eher  zu  litsch  als  zu  latsch,  strala  zu  stral  'kämm',  nicht  zu  strdl,  schweitse 
'rösten'  zu  schweitsi  'bratenbrühe'  eher  als  zu  schweis. 

Die  mundart  lässt  ein  bestreben  erkennen,  die  faktitiven  (jati-)  ableitungen 
von  den  inchoativen  (in-)  ableitungen  auch  formal  zu  scheiden;  da  aber  die  gruppe 
der  inchoative  viel  geschlossener  dasteht,  muss  das  faktitive  verb  nach  einer  neuen 
"form  suchen.  Diese  findet  es  echt  mundartlich  fast  ausschliesslich  in  der  Um- 
schreibung mit  3LAjekü\  +  macha :  grad  macha,  länger  macha  usw.  Was  H.  an  an- 
deren bildungeu  auf  s.  18  unter  a,  ß,  y  aufführt,  ist  fast  ausnahmslos  nicht  echt 
mundartlich,  sondern  aus  der  Schriftsprache  übernommen. 

Eine  sehr  ergiebige  quelle  der  verbalen  neuschöpfung  bildet  dagegen  wieder 
die  ableitung  mit  den  suffixen  -la,  -ala,  -arla,  mit  der  meist,  aber  nicht  ausnahmslos 
eine  deminutive,  häufig  eine  iterative,  frequentative  und  intensive  bedeutung  ver- 
bunden ist.  Die  entscheidung  der  frage,  ob  die  deminuierung  dem  verbum  oder 
schon  dem  zugrunde  liegenden  Substantiv  zukommt,  ist  nicht  immer  leicht,  Sie 
wird  dem  verbum  zukommen,  wo  ein  zugrunde  liegendes  deminutives  verb  oder 
Substantiv  nicht  zu  belegen  ist  wie  in  hratla  'leicht  braten',  und  umgekehrt  dem 
Substantiv  in  fällen  wie  chüachla  'kleines  buttergebäck  backen',  schibla  'in  kleine 
scheibchen  schneiden'  zu  chüachli,  srhibli.  Weniger  zuverlässig  ist  der  umlaut  als 
kriterium.  H.  stellt  die  allgemeine  regel  auf,  dass  die  deverbativa  auf  -ala  um- 
gelautet, die  auf  -la  umlautslos  sind.  Verba  auf  -ab  ohne  umlaut  oder  solche  auf 
la  mit  umlaut  sind  in  der  regel  denominativ,  nicht  deverbativ.  H.  stellt  so  (mit 
recht)  sandaU  'mit  sand  figuren  modeln'  zu  sand,  nicht  zu  sanda  'sandstreuen',  die 
umgelauteten  hakla,  rhüachla,  rössla  zu  hdka,  chuacha,  ross  (richtiger  vielleicht  zu 
den  entsprechenden  deminut.subst.  h'nkli,  chüachli,  rössli). 

Hodler  in  seinen  sehr  eingehenden  ausführungen  über  die  Verwendung  und 
bedeutung    der    drei   suffixe   zu  folgen,  würde   zu  weit  führen.     Er  gibt  viele  rech 


LJ5KU    110]>LEK,    WORTBILDUXU    UND    WOBTBEDEUTUXG    IM   BERNDEUTSCHEN'      298 

feine  beobachtungen.  AViederum  fällt  der  unterschied  zwischen  Bernd,  und  Baseid. 
in  vielen  punkten  auf. 

Das  Suffix  -U  ist  zwar  sehr  häufig,  aber  weniger  produktiv  als  die  beiden 
andern;  oft  haftet  den  damit  abgeleiteten  verben  ein  tadelnder,  spöttischer,  gering- 
schätziger ton  an,  der  auf  andere  verben  dieser  gruppe,  auch  isolierte,  übergehen 
kann:  häriwrU,  tsürchdrla  'wie  ein  Berner,  Zürcher  sprechen',  ässle,  ärU,  stakkh 
alle  drei  sprachliche  Unarten,  beinh,  scheichU,  füdh  Unarten  des  ganges  bezeichnend. 
Besonders  die  bubensprache  liebt  diese  bildungen:  töüchh  'beim  baden  untertauchen', 
tsügb  'schwimmen',  iürntschU  'turnen'.  In  dem  masse  wie  das  suffix  sich  von  rein 
deminutiver  bedeutuug  entfernt,  wird  es  dem  burschikosen  gefühlston  zugänglich, 
für  die  eigentliche  kindersprache  aber,  die  einen  zärtlichen  gefühlston  verlangt, 
unverwendbar.  Auf  verschiedenen  wegen  führt  dann  die  deminuierende  bedeutung 
zur  iterativen  und  frequentativen:  fragh,  pröble,  schnäpsh,  schlükchh. 

Viel  produktiver  ist  -da,  das  meist  mit  umlaut  des  stammsilbenvokals  ver- 
bunden ist.  Es  hat  sich  ergehen  aus  verbalisierung  von  Substantiven  auf  -all :  blüa- 
ntdla,  schätsaU;  durch  ableitung  aus  Substantiven  auf  a,  (  mvitois -U :  rägaU,  tropf  ah, 
chirsaU,  herala ;  aus  verbalisierung  von  Substantiven  auf  -3l:öpfala,  die  sonst  freilich 
in  der  regel  zur  form  -la  führt:  meissla,  löffla,  gahla.  Die  formen  löffala,  gäbah 
bezieht  mein  Sprachgefühl  lieber  auf  die  deminutiven  substantiva  löjfali,  gäbeli,  als 
dass  ich   sie   mit  H.  für  weiterdeminuierung  der  verba  löffla,  gabla  halten  möchte. 

Dieses  suffix  ist  häufig  in  bezeichnungen  von  spielen  oder  spielerischen  be- 
schäftigungen,  meist  denominativ:  wägala  'zum  vergnügen  mit  einem  kleinen  wagen 
fahren',  sandala,  härdela  (aber  basl.  sandla,  dräkla)  'mit  sand,  erde  spielen',  scMtsala 
^liebeln';  am  häufigsten  aber  vermittelt  es  —  seiner  beliebtheit  in  der  ammen-  und 
kindersprache  entsprechend  —  eine  zärtliche,  kosende  bedeutung:  chumala  [basl. 
kiimali!]  tsu  mir,  gangala  nid  tsum  pappali!  heschala  dürstali?  Diese  letzteren  bei- 
spiele  sind  allerdings  insofern  nicht  ganz  zutreffend,  als  nicht  etwa  alle  formen  der 
verben  chumala,  gangala  usw.  gebildet  werden,  sondern  nur  der  2.  person  sing.  ind. 
präs.  od.  dem  imperativ  die  Verkleinerungssilbe  angehängt  wird. 

Leicht  entwickelt  sich  daraus  eine  bemitleidende,  dann  eine  ironische,  endlich 
eine  verächtliche  bedeutung;  doch  schwächt  die  deminution  eine  schon  vorhandene 
tadelnde  bedeutung  ab  z.  b.  in  waschala,  chosala,  pfösala  vom  unbehilflichen  gang 
kleiner  kinder  gegenüber  dem  gröberen  waschla,  chosla,  pfosla. 

Eine  hauptfunktion  ist  aber  die  bezeichnung  der  ähnlichkeit :  sürala  'säuerlich 
riechen  oder  schmecken',  gröüjala  nach  Schimmel,  röükala  nach  rauch,  nüachtala 
modrig  riechen,  möntschala,  bökchala,  tsäpfala  nach  menschen,  nach  dem  bock,  nach 
dem  pfropfen  riechen  oder  schmecken ;  häufiger  wohl  denominativ  als  deverbativ, 
da  die  meisten  von  H.s  bcispielen  deverbativer  entstehung  ebensowohl  auf  deno- 
minativen  Ursprung  zurückgeführt  werden  können. 

Den  ableitungen  dieser  art  mit  frequentativer  oder  iterativer  bedeutung  stehen 
im  Baseid.  nicht  selten  bildungen  ohne  mittelvokal  gegenüber:  lotla  'wackeln', 
kitsla,  wakla,  kessla  'lärmen',  niggla  'tadeln'  gegen  bernd.  lodala,  chutsala,  waggala, 
nikkala. 

Das  jüngste  der  drei  suffixe  ist  -arla,  das  die  höchste  Steigerung  jedes  demi- 
nutiven gefühlstons  ausdrückt.  Es  ist  im  Bernd,  viel  produktiver  als  im  Baseld., 
während  es  im  schriftdeutschen  fast  kaum  nachweisbar  sein  dürfte,  jedenfalls  bei 
Wilmanns  nicht  belegt  ist.  Es  dient  zur  deminuierung  von  verben :  chocha :  chöcharla, 
tsabla :  isäbarla,  tritt  aber  niemals  selbständig  an  nominale  stamme.  H.  rechnet 
ZEITSCHKIFT   F.  DF.UTSCHE  PHILOLOGIE.     IJD.  XLLX.  20 


294  BiNZ 

höppdrU  neben  boppla  'klopfen'  (mit  unrecht)  zu  den  isolierten,  da  ein  boppar»  da- 
neben fehle.  Ein  solches  hat  gewiss  im  Bernd,  so  gut  daneben  bestanden  wie 
heute  noch  im  Baseid. 

Ein  letzter  abschnitt  gilt  den  übrigen  verbalsuffixen,  die  meist  nicht  mehr 
produktiv  sind:  -Jra,  -tsa  (-ksa,  -sa,  -tsch»),  -na,  -iara,  -Igd.  Da  bleibt  auch  nach 
Rödlers  ausführungen  noch  manches  aufzuklären,  sowohl  hinsichtlich  der  geschicht- 
lichen entwicklung  wie  des  heutigen  zustands,  namentlich  des  nebeneinanderbestehens 
verschiedener  solcher  ableitungen  vom  selben  stamm.  Bei  den  unpersönlich  ge- 
brauchten verben  auf  -ara,  die  einen  unwiderstehlichen,  sich  immer  wieder  meldenden 
drang  ausdrücken,  wie  es  schläffarat  mi,  es  lächarat  mi^  es  chötsarat  mi  (mir  ist 
kotzerig),  es  leyarat  mi  (es  bringt  mich  zu  fall)  weist  H.  die  Vermutung,  sie  seien 
nach  dem  Vorbild  von  es  hungert  mich  entstanden,  mit  dem  hinweis  darauf  ab,  dass 
dieses  Vorbild  in  der  mundart  gar  nicht  vorkomme;  ich  muss  gestehen,  dass  mir 
auch  die  beiden  zuerst  genannten  beispiele  den  eindruck  machen,  dass  sie  nicht 
echt  mundartlich  seien.  Aus  dem  Baseid.  Hesse  sich  es  tschüderet  mi  (mich  schaudert, 
aber  nicht  in  moralischem,  sondern  in  rein  körperlichem  sinne  =  ich  schaudre  zu- 
sammen), hinzufügen.  Dass  futtara  'schimpfen'  aus  franz.  foutre  abzuleiten  sei,  ist 
mir  lautlich  und  der  bedeutung  wegen  wenig  wahrscheinlich.  Spudara  'mit  starker 
Speichelentwicklung  sprechen'  wird  mit  spöütsa  verwandt  sein.  Dieses  Verhältnis 
der  verschiedenen  ableitungen  vom  gleichen  stamm-,  das  wir  noch  oft  beobachten 
(vgl.  z.  b.  lottla  neben  lodara,  gagla  neben  gagara  'sich  unruhig  hin-  und  herbewegen', 
zettla  neben  zattara)  verdiente  eine  eingehende  Untersuchung,  die  auch  auf  das  Ver- 
hältnis der  Stammvokale  und  der  stammauslautenden  konsonanten  (z.  b.  basl.  tschät- 
tara  gegen  bernd.  tschädara)  auszudehnen  wäre.  Lohnend  wäre  auch  eine  gonder- 
darstellung  der  verben  &\\i-tsa,  -ksa,  -sa,  -tscha  (die  auf  ältere  -aszen  und  -/sön-bildungen 
zurückweisen)  und  ihrer  bedeutungsentsprechungen  in  anderen  ableitungsarten. 
Hodlers  etymologieu  dieser  verben  scheinen  mir  da  grossenteils  sehr  anfechtbar,, 
lautlich  wie  inhaltlich. 

Von  den  zahlreichen  präfixen  des  mhd.  sind  im  Bernd,  nur  noch  fer-  und  er- 
wirklich produktiv  (im  Baseid.  nur  noch  fer-).  Auch  dieses  kapitel  würde  zu  er- 
schöpfender behandlung,  wie  H.  selbst  sagt,  einer  speziellen  und  reichen  material- 
sammlung  bedürfen;  was  er  gibt,  ist  mehr  zufälliger  art. 

Das  prätix  g  {k)-  <:  ge-  wird  an  folgendes  b,  d,  g,  p,  t,  ts  echt  mundartlich 
assimiliert  und  zwar  reichen  die  anfange  dieser  assimilation  in  mhd.  zeit  zurück. 
Ich  glaube  nicht,  dass  H.s  annähme,  dass  daneben  von  jeher  nicht  synkopierte  und 
nicht  assimilierte  formen  als  die  korrekteren  fortbestanden,  richtig  ist.  Ich  meine 
in  der  tat,  dass  Wörter  wie  gehät,  gehurt,  gedankche,  gedult,  gebore  aus  schriftsprach- 
lichem einfluss  (dazu  gehört  auch  der  einfluss  der  Bernischen  kanzleisprache)  zu 
erklären«  seien ;  denn  alle  diese  Wörter  erkennt  das  unverdorbene  Sprachgefühl  mit 
Sicherheit  als  fremdlinge.  Entsprechendes  gilt  für  die  vorsilbe  be-.  Das  im  ein- 
zelnen zu  belegen,  würde  überflüssig  viel  räum  kosten.  Überraschend  ist  H.s  fest- 
stellung,  dass  auch  im  Bernd,  (wie  im  Basl.)  die  perfektivierende  kraft  der  vorsilbe 
ge-  nicht  mehr  produktiv  sei.  Das  stellt  das  Bernd,  mit  dem  Baseid.  in  gegensatz 
zur  mehrzahl  der  schweizerischen  raundarten,  namentlich  der  ostschweizerischen, 
in  denen  diese  funktion  noch  lebendig  ist.  So  ganz  abgestorben  ist  ge-  in  dieser 
bedeutung  übrigens  auch  im  Bernd.  —  wenigstens  auf  dem  lande  —  noch  nicht. 
Das  unfeste  k-  nach  dem  hilfsverb  möga  =  'imstande  sein',  'vermögen',  das  nach 
möga  —  'geneigt    sein',    'lust    haben'    niemals    erscheint,    kann    doch    nur   so  erklärt 


ÜBER    HOLDER,    WORTBILDUNG    UND   WORTBEDEUTUNG   IM    BERNDEUTSCHEN     295 

werden :  i  ma  klouffd  =  'ich  kann  [die  strecke]  gehen'  in  resultativem  sinne,  aber 
i  ma  loxiffd  =  'ich  habe  lust,  [zu  fuss]  zu  gehen',  weil  da  die  durative  bedeutung 
des  infinitivs  der  Zusammensetzung  mit  g-  im  wege  steht.  In  der  Stadt  Bern  frei- 
lich fängt  der  unterschied  an,  zu  schwinden,  zweifellos  unter  dem  einfluss  der 
Schriftsprache.  Wo  die  zusammengesetzte  form  sich  von  der  nicht  zusammen- 
gesetzten in  ihrer  bedeutung  schon  weiter  entfernt  hat,  ist  auch  in  der  stadt  das 
präfix  regel:  i  ma  kchö  =  ich  kann  auskommen,  ich  habe  genug;  es  ma  klänga  'es 
kann  langen,  ausreichen'. 

Die  partizipia  präteriti  sind  noch  nicht  durchweg  mit  dem  präfix  versehen. 
Einzelne  an  sich  effektive  verben  entbehren  wie  in  alter  zeit  des  präfixes:  chö, 
tcordd,  fundd  (wenigstens  auf  dem  lande).  Dagegen  geht  die  mundart  in  der  hinzu- 
fügung von  g  zum  partizip  vielfach  weiter  als  die  Schriftsprache  bei  den  verben 
auf  -iard,  bei  denen  es  nicht  —  wie  Hodler  meint  —  darauf  ankommt,  ob  das  fremd- 
wert  schon  in  sich  ein  präfix  enthält,  sondern  einfach  auf  den  grad  der  Volks- 
tümlichkeit des  lehnworts:  echt  mundartlich  gewordene  nehmen  das  g-  an,  nicht 
echt  mundartliche  nicht.  Dass  in  formen  wie  fidrkekkat  'viereckig',  sdillfkschudnat 
'Schlittschuh  gelaufen'  das  präfix  nach  dem  muster  des  partiz.  trennbarer  komposita 
ins  innere  des  wortes  gedrungen  sei,  bedarf  wohl  des  Zusatzes,  dass  dies  bewusst 
humoristische  neubildungen  etwa  wie  schriftspr.  fnVigestückt  sind,  die  dann  all- 
mählich allgemein  üblich  wurden. 

Aus  dem  umfänglichen  kapitel  über  die  häufigste  und  produktivste  aller 
Partikeln  fer-,  die  im  alemannischen  auch  das  alte  zer-  fast  ganz  verdrängt  hat, 
mag  einiges  hervorgehoben  weiden,  zer-  ist  in  der  stadt  Bern  völlig  verschwunden, 
auf  dem  lande  im  allgemeinen  nur  in  spärlichen  resten,  im  Berner  Oberland  aber 
verhältnismässig  wohl  erhalten,  fer-  erscheint  auch  an  stelle  von  he-  z.  b.  far- 
schmird,  farchräntsa,  von  er-  z.  b.  fdrtsella  'erzählen',  farsuffd,  fartragd,  farUda, 
farbarmd,  si  farchelta.  In  gruppe  7  sind  wieder  allerhand  beispiele  aufgenommen, 
die  sicher  nicht  echt  mundartlich  sind:  fararbeita,  fam-ässara,  farsilbara,  fargöttara, 
farbinda,  si  farloba,  si  farhürdta,  ebenso  in  gruppe  9  farbliba  'sitzen  bleiben  in  einer 
klasse',  in  gruppe  11  fardikcha,  farwij,astd,  faruntröüja,  farwarlosa,  farliadarlecha , 
farschönara,  farbessara,  ferbösara,  farmera,  fargrösara,  fardiUnard  (echt  mundartlich 
dicker  machen  usw.). 

Im  gegensatz  zum  Baseid.,  wo  es  nur  noch  isoliert  und  erstarrt  sich  findet, 
ist  im  Bernd,  auch  er-  noch  produktiv.  Es  ist  öfters  an  stelle  von  en-  oder  ein- 
getreten, bald  vermöge  einer  bedeutungsberührung,  bald  infolge  einer  mehr  äusser- 
lichen,  lautlichen  ähnlichkeit,  wird  aber  seinerseits  häufig  durch  fer-  verdrängt. 
Ertrünna  scheint  eher  zur  gruppe  der  Zusammensetzungen  mit  er  +  ent  zu  gehören, 
in  der  wir  etwa  noch  artle'na,  artschUpfa  finden.  Diesen  stehen  nicht  nur  in  ost- 
schweiz.  mundarten,  wie  H.  meint,  sondern  auch  im  Baseid.  Zusammensetzungen 
mit  fert-  aus  ver -\- ejit  gegenüber:  fartwütscha,  fartschldffa,  fartUna,  fartlaufa,  die 
der  Bernd,  mundart  ganz  unbekannt  sein  sollen.  Produktiv  ist  das  präfi«  er-  nach 
H.  nur  in  unsinnlicher  bedeutung,  indem  es  entweder  zur  bildung  von  verben  dient, 
welche  eine  eintretende  handlung  bezeichnen,  oder  von  solchen,  bei  welchem  der 
abschluss  der  tätigkeit  ins  äuge  gefasst  wird;  namentlich  von  der  gruppe  der 
verben  aus,  die  als  objekt  das  ziel  der  tätigkeit  haben  wie  arbätüa,  arrdta,  arläba, 
artrouma,  arioütscha,  arlüga,  gelangt  das  präfix  im  Bernd.,  abweichend  vom  Baseid., 
zu  fast  unbeschränkter  Produktivität.  'Das  kompositum  besagt,  dass  das  affizierte 
objekt   durch   die   im    verbum    simplex    ausgedrückte   tätigkeit   erreicht,    gewonnen 

20* 


296  BiNZ 

wird,    oder    dass    die    auf    das    affizierte    objekt   gewendete    tätigkeit    den    zweck 
erfüllt.' 

Die  aus  Zusammensetzungen  mit  betonten  Partikeln  bestehenden  perfektiven 
Verben  verspricht  H.  an  anderer  stelle  zu  behandeln. 

Der  zweite  teil  des  buches  (s.  65  bis  schluss)  ist  dem  Substantiv  gewidmet. 
Zunächst  handelt  H.  über  das  geschlecht,  über  fälle  von  unentschiedenem  geschlecht, 
über  anhaltspunkte  zur  bestiramung  des  geschlechts,  über  geschlechtswandel  infolge 
lautlicher  Veränderungen.  Dann  führt  er  im  einzelnen  die  abweichungen  vom  ge- 
schlecht der  Schriftsprache  auf,  die  häufig  auf  unterschiede  zwischen  ober-  und 
mitteldeutsch  seit  mhd.  zeit  zurückgehen.  Sonderbar,  aber  durch  ähnliche  beobach- 
tungen  z.  b.  in  Württemberg  und  in  Rheinhessen  bestätigt,  ist  dabei  der  unterschied 
im  geschlecht  der  buchstabennamen,  die  in  protestantischen  gegenden  neutra,  in 
katholischen  maskulina  sind.  Dass  balU  fem.  'der  ball'  sein  geschlecht  einer  an- 
lehnung  an  chmgU  'kugel'  verdanke,  ist  zweifelhaft,  man  kann  auch  an  einfluss 
des  französ.  la  balle  denken.  Auch  im  geschlecht  weicht  das  Bernd,  vielfach  vom 
Baseid.  ab.  Weiter  behandelt  H.  die  doppelgeschlechtigen  substantiva,  d.  h.  solche, 
bei  denen  das  geschlecht  aus  verschiedenen  gründen  schwanken  kann  oder  die 
in  verschiedenen  bedeutungen  mit  verschiedenem  geschlecht  auftreten.  (Sollte  das 
weibl.  geschlecht  für  back  bei  Albr.  v.  Haller  nicht  auf  mittel-  oder  niederdeutschen 
einfluss  aus  seiner  Göttinger  zeit  zurückzuführen  sein?) 

Es  folgen  einige  selten  über  die  einteilung  der  substantiva  in  absolute  und 
relative,  abstrakte  und  konkrete,  dann  der  wichtige  dritte  abschnitt  über  die  bildung 
der  substantiva,  in  welchem  H.  sich  aber  auf  diejenigen  ableitungen  beschränkt, 
die  noch  produktiv  oder  doch  durch  eine  genügende  anzahl  von  beispielen  vertreten 
sind,  um  als  gruppe  gelten  zu  können,  und  wo  zugleich  die  ableituug  als  solche 
durchsichtig  ist.  S.  90—112  nehmen  die  nomina  agentis  ein.  Ich  erwähne  aus 
der  übrigens  —  wie  auch  ein  vergleich  mit  Szadrowsky  lehrt  —  keineswegs  er- 
schöpfenden und  auch  nicht  ganz  klar  angeordneten  darstellung  einige  besonder- 
heiten.  Reste  des  noch  im  mhd.  substantivisch  auftretenden  schwachen  adjektivs 
hat  die  mundart  des  landes  noch  erhalten  in  a  stumm,  a  bling  'ein  blinder'  {mancher 
halbbling  bei  Gotthelf),  a  tvältsch  'ein  Welscher',  a  meisterlos  'ein  unbezähmbarer 
mensch').  Die  von  H.  aus  der  Stadtmundart  angeführten  beispiele  chund,  her,  müntsch, 
nütnuts,  stach  sind  ältere,  heute  isolierte  bildungen.  Warum  H.  bildungen  wie  » 
schlamp,  schlarp,  tschalp,  hötsch  'nachlässiger  mensch,  trottel',  schuaputs,  schuatvüsch 
für  jung  ansieht,  ist  nicht  klar.  Reicher  als  das  Baseid.  ist  Bernd,  an  bildungen 
von  nomina  agentis  auf  -/,  namentlich  an  solchen  mit  tadelndem  und  schmähendem 
sinn.  Von  jedem  verb  solchen  Inhalts  kann  im  Bernd,  ein  männliches  Substantiv 
auf  -|  abgeleitet  werden:  dampi  'schwätzer',  tschalpl  'trottel',  trappt  'einer,  der 
schwerfällig  auftritt',  stürmt,  stnidli  usw.  Von  verben,  denen  an  sich  dieser  tadelnde 
nebensinn  nicht  zukommt,  werden  solche  ableitungen  nur  dann  gebildet,  wenn  sie 
einen  tadelnden  sinn  annehmen  können:  a  redt  'ein  vielredner',  a  re^fan 'wer  überall 
und  bloss  zum  kujonnieren  befehlen  will.'  Den  maskulinen  auf  -/  stellt  sich  eine 
weibliche  ableitung  mit  dem  schwachen  suffix  a  (<  germ.  o?;)  an  die  seite:  dampa, 
tschalpa,  trappa,  stürma.  Im  allgemeinen  gehören  freilich  diese  ableitungen  mehr 
der  mundart  des  landes  an;  in  der  stadt  sind  sie  seltener  (wie  auch  das  ßaseld. 
sie  gar  nicht  kennt),  und  werden  durch  Zusammensetzungen  wie  bri'iali-,  tsanki-  wfb 
{•  frou,  -meitlj)  vertreten.  Die  Verwendung  dieses  suffixes  zur  derainuierung  kommt 
später  zur  spräche. 


ÜBER   HODLEK,    WORTBILDUNG   UNI)   WORTBEDEUTUNG   IM   BERNDEUTSCHEN     297 

Das  in  der  mundart  wie  in  der  Schriftsprache  noch  produktive  suffix  -ar 
(-Ur,  -nar)  ist  ursprünglich  bei  ableitungen  aus  Substantiven  zu  finden.  Das  Sprach- 
gefühl der  mundart  bezieht  aber  heute  alle  ableitungen,  die  dies  irgendwie  erlauben, 
lieber  auf  verben.  Die  unterschiede  der  bedeutungsgruppen  spürt  Szadrowsky  mit 
schärferem  sinne  auf  als  H.,  dessen  Stoffsammlung  übrigens  auch  nicht  erschöpfend 
ist.  Einige  besonderheiten  seien  angemerkt.  Die  schülersprache  liebt  die  langen 
Wörter,  namentlich  die  langen  Zusammensetzungen,  durchaus  nicht  und  greift  darum 
auch  bei  den  ableitungen  auf  -ar  zu  gewaltsamen  Verkürzungen :  gimabr,  prögabr, 
sekchabr  sind  die  schüler  des  gymnasiunis,  des  progymnasiums,  der  Sekundärschule; 
kchlassalar  die  klassenchefs.  Gimalar  ist  übrigens  meines  wissens  auch  die  bezeich- 
nung  für  die  gymnasiallehrerprüfung,  die  ich  bei  H.  nicht  erwähnt  finde.  Die 
deverbativa  auf  -ar,  die  einen  menschen  nach  seinen  moralischen  eigenschaften, 
meist  unvorteilhaften,  charakterisieren,  werden  stark  beeinträchtigt  durch  die  ab- 
leitungen auf  -/,  im  gegensatz  zum  Baseid.,  das  die  -er-ableitungen  auch  in  diesen 
fällen  Torzieht.  Bei  den  herkunfts-  und  Zugehörigkeitsbezeichnungen  auf  -ar  kennt 
das  Bernd.,  wie  die  oberdeutschen  mundarten  überhaupt,  in  der  regel  keinen  umlaut : 
fribnrgar,  ürnar,  äntlibuachar,  icorhar,  burgdörfar,  chirchdorfar,  neftebachar,  fürtahr, 
Schaffhusar ;  warum  in  einzelnen  fällen  doch  umlaut  eintritt  wie  in  utzastörfar,  ist 
nicht  klar.  Die  die  Zugehörigkeit  zu  einer  Strasse  oder  einem  Stadtviertel  bezeich- 
nenden ableitungen  auf  -lar  dagegen,  wie  mättalar,  chrdtngässUr,  scJioshäldalar, 
muesmättbr  'bewohner  der  Matte,  Kramgasse  usw.'  weisen  durchweg  umlaut  auf. 
In  der  bubensprache  sind  solche  bildungen  auf  -ar,  -br  nicht  nur  für  die  bewohner, 
sondern  auch  für  die  örtlichkeiten  selbst,  besonders  als  abkürzungen,  beliebt:  chilchar 
für  ts  chilchafäld,  schivebr  'schwellemätteli',  brämer  'bremgartenwald',  daligar  'dähl- 
hölzliwald',  buabar  'bubenseeli'  usw. ;  im  Baseid.  sind  dafür  kürzende  ableitungen 
auf  /  üblich:  minsti  'münsterplatz',  seibi  'säuplatz'  (für  barfüsserplatz).  Die  dever- 
bativeu  ableitungen  für  sachen,  die  als  handelnde  kräfte  vorgestellt  werden  oder 
wurden,  wie  chlopfar,  löüffer,  schiaber,  ivekchar,  brönnar,  ufhäyxkchar,  drükchar  sollen 
nach  H.  noch  eine  produktive  gruppe  bilden.  Das  ist  mir  deswegen  zweifelhaft, 
weil  die  meisten  seiner  beispiele  der  entlehnung  aus  der  Schriftsprache  dringend 
verdächtig  sind. 

Die  feminina  zu  den  maskulinen  auf  -ar  erscheinen  im  Bernd,  in  den  drei 
formen  -aH,  -ari  und  ariti.  Es  ist  kaum  zweifelhaft,  dass  die  erste  form  (wie  auch 
im  Baseid.)  die  echt  mundartliche  ist.  Die  zweite  form  erscheint  auf  dem  lande 
(im  Zusammenhang-  mit  mittel-  und  ostschweiz.  mundarten  ?).  Die  dritte  ist  aus 
der  Schriftsprache  eingedrungen.  Im  Baseid.  finden  wir  an  ihrer  stelle  -ai-ln,  das 
kaum  unmittelbar  auf  das  mhd.  dafür  vorkommende  -erhi  zurückgeht,  sondern  das 
schriftsprachliche  -erin  wiedergibt  unter  Verlängerung  des  in  der  mundart  in  un- 
betonter Stellung  vor  auslaut.  n  nicht  vorkommenden  kurzen  vokals  und  unter  ein- 
führung  eines  nebenakzents.  Man  hätte  gerne  erfahren,  wie  die  mehrzahl  zu  einer 
solchen  einzahl  im  Bernd,  gebildet  wird,  ob  auch  dort  wie  im  Baseid.  oft  Zusammen- 
setzungen mit  -teibar,  -froua  dafür  eintreten.  Während  in  der  Schriftsprache  die 
femininen  formen  von  familiennamen  t  mülbra,  t  meijara,  t  sigitabra  usw.  nicht 
mehr  üblich  sind,  leben  sie  im  Bernd.  —  wie  in  anderen  deutschen  mundarten  — 
freilich  meist  in  etwas  herabwürdigendem  sinne  fort. 

Auch  bei  den  femininen  auf  -ara  treten  ableitungen  mit  sächlicher  bedeutung, 
vorzugsweise  auf  dem  lande,  für  örtlichkeiten  auf,  an  die  sich  die  Vorstellung 
eines   kollektivbegriffs    knüpft:  dörnara  'dorngebüsch',  wäspbra  'wespennest',  ameis- 


298  BiNz 

bra  'ameisenhaufen'  ärpssra,  bonara  'ort,  wo  erbsen,  bohnen  gepflanzt  werden',  be- 
sonders häufig  in  flurnamen  wie  hasUr»,  rosara,  südara,  goldara  mit  nicht  immer 
durchsichtiger  bedeutung,  in  einer  fülle,  wie  sie  das  Baseldeutsche  nicht  kennt. 
Ihnen  schliessen  sich  die  kürzungen  von  strassennamen  in  der  Stadt  an  wie  chürnar» 
'kornhausbriicke',  schönara  'schönau',  spittlara,  arbärgara,  spichara  für  spital-,  aar- 
berger-,  speichergasse.  Sie  scheinen  auch  —  doch  ist  der  psychologische  Zusammen- 
hang nicht  klar  —  das  Vorbild  abgegeben  zu  haben  für  die  Verstümmelungen  der 
Schülersprache,  die  ein  chenm-a,  gogera,  fisara,  nattara,  biblara  usw.  für  chemle, 
geographie,  physik,  naturgeschichte,  bibliothek  liebt. 

Bei  den  femininen  auf  -in  scheint  die  Berner  mundart  nur  die  entsprechung 
-|  als  echt  mundartlich  zu  kennen,  das  in  der  Stadt  herrschende  -in  entstammt  nicht 
wie  H.  meint,  den  obliquen  kasus,  sondern  der  Schriftsprache.  Auffällig  ist  das 
fehlen  des  dem  ahd.  -inna  entsprechenden  -ana,  das  im  Baseid.  gilt,  auch  für 
Völker-  und  familiennamen  z.  b.  d'Schwöbana,  Franzesana,  Schmidana,  Freiana,  d'Im- 
hofana  vgl.  oben  das  zu  -ara  gesagte. 

Das  suffix  -al  zur  ableitung  persönlicher  maskulina  erklärt  H.  für  nicht  mehr 
so  produktiv  wie  in  mhd.  zeit;  ich  glaube,  man  kann  richtiger  seine  produktive 
kraft  für  erloschen  erklären,  muss  doch  H.  selbst  fast  alle  seine  beispiele  zu  den 
isolierten  bildungen  zählen.  Surnibal  'griesgram'  bringt  H.  mit  nebel  zusammen, 
wie  denn  ?  Im  Baseid.  lautet  das  wort  süribal  =  saures  übel.  Bängal  soll  im 
Bernd,  auf  persönliche  bedeutung  beschränkt  sein,  während  ihm  in  anderen  Schweiz, 
mundarten  eine  sächliche  zukommt.  Trossal  'brautausstattung'  sei  eine  -aZ-ableitung 
zu  mhd.  trosse  <  franz.  trousse;  eher  unmittelbare  entlehnung  aus  afranz.  trossel  = 
neufr.  troussiau. 

Die  ableitungen  auf  -ling  mit  erhaltenem  nasal  haben  nicht  nur  unter  dem 
einfluss  der  Schriftsprache  die  ältere  form  -ling  zuweilen  wiederhergestellt,  sondern 
sind  trotz  Hs  zweifeln  sicher  alle  junge  entlehnungeu  aus  der  Schriftsprache. 
Produktiv  ist  das  suffix  in  der  mundart  nicht  mehr. 

-ach,  -lach  verwendet  das  Bernd.  —  noch  ganz  produktiv  —  zur  benennung 
der  verschiedensten  apfelsorten:  büppach,  maltsach,  spitsorach,  sürgräuivach,  tüttlach, 
transparentach,  frenach,  renettach,  golparmänach  usw.,  die  nach  dem  Idiot.  I,  367  ff. 
in  der  übrigen  Schweiz  fast  ausschliesslich  auf  -achar  (echar,  -ichar,  -ochar)  enden. 
Ob  man  mit  H.  die  Bernd,  bildung  für  ursprünglicher,  die  andere  als  Weiterbildung 
von  -ach  mit  dem  die  herkunft  bezeichnenden  suffix-  -ar  ansehen  darf,  ist  fraglich. 
Wie  steht  es  denn  mit  der  mundartlichen  echtheit  des  auslautenden  konsonanten? 
Er  kommt  im  Bernd,  allerdings  in  gleicher  weise  in  Wörtern  vor,  wo  das  suffix 
anderen  Ursprungs  ist:  eblch  'efeu',  tvägarach,  latlach,  ratach,  pfirsach,  chnoblach, 
schnittlach,  chressach,  die  im  Baseid.,  soweit  sie  überhaupt  vorkommen,  auf  -ig, 
(-{)  enden. 

Auf  die  im  Bernd,  so  reich  entwickelten  arten  der  deminution  kann  mit 
rücksicht  auf  den  räum  nicht  mit  der  ausführlichkeit  eingetreten  werden,  die  sie 
verdienen  würden.  Trotzdem  gerade  dieses  gebiet  in  früheren  grammatischen  ar- 
beiten, auf  die  H.  allerdings  kaum  oder  gar  nicht  bezug  nimmt,  behandelt  worden 
ist,  erfahren  wir  doch  noch  manches  neue  und  beachtenswerte. 

Die  produktivsten  suffixe  sind  -Ij  und  -ali,  häufig,  aber  doch  weniger  pro- 
duktiv ist  -/,  noch  seltener  sind  -tscht,  -al  und  -kl,  -kal,  vereinzelt  -tscha'i,  wobei 
noch  eine  weitere  differenzierung  durch  eintreten  oder  fehlen  des  umlauts  des 
Stammvokals  eintritt.     Oft  kann   dasselbe  Substantiv  alle  diese  verschiedenen  derai- 


ÜBER   HODLER,   WORTBILDUNG    UND    WORTBEDEUTUNG   IM   BERNDEUTSCHEN     299 

nutivformen  entwickeln.   Diese  unterscheiden  sich  dann  zum  mindesten  im  gefühlston, 
wenn  nicht  in  auseinandergehender  Spezialisierung  der  bedeutung. 

Die  auf  s.  114,  mitte,  unter  den  deminutiven  erwähnten,  von  verben  ab- 
geleiteten feminina  auf  -i  sind  zu  unrecht  dorthin  gestellt.  Sie  gehören  in  den 
abschnitt  über  konkreta  und  abstrakta  s.  88,  unter  a)  oder  c);  von  irgend  einer 
Verkleinerung  ist  bei  ihnen  gar  nicht  die  rede.  Eine  solche  ist  heute  vielfach  nicht 
mehr  fühlbar  bei  den  ungemein  verbreiteten  kurzforraen  der  Vornamen  und  Ver- 
wandtschaftsbezeichnungen auf  -/.  H.  zitiert  zum  beweis  dafür  zwei  dies  gut  ver- 
deutlichende stellen  aus  Gotthelf :  'Sie  rief  Stüdeli,  Lisebethli,  Bäbeli,  dann  [als  sie 
ungeduldig  geworden  war  und  darum  auf  den  zärtlichen  ton  verzichtete]  Stüdi, 
Lysi,  Bäbi,  aber  niemand  kam',  und  'Jedem  Babi  sagte  sie  Bäbeli  und  jedem  Trini 
Trineli  und  wusste  gar  schön  und  süss  zu  klütterlen.'  Noch  weniger  ist  etwas 
von  Verkleinerung  oder  Zärtlichkeit  zu  spüren  bei  den  in  der  bubensprache  beliebten 
Verkürzungen  zweisilbiger  geschlechtsnamen  auf  -ar,  -al-.darmeiji,  viülli,  musti, 
iväbi  für  Meier,  Müller,  Muster,  Weber,  dar  tveibali,  tsüttali  Weibel,  Züttel. 

Die  sonderbaren  Verschiebungen  des  geschlechts,  neutrum  und  femininum  für 
männliche  wesen,  wie  sie  den  Walliser  mundarten  (s  kuani,  s  blaschi  für  der  k.,  der 
bl.)  und  dem  Baseid.  *  {d  schmudb,  d  mtilU,  d  fonsh  =  der  Schmid(l/),  der  Müller,  der 
Alfons)  in  solchen  fällen  eigen  sind,  scheinen  im  Bernd,  nicht  vorzukommen.  Bernd, 
ist  nur,  wie  allgemein  schweizerd.,  das  neutrum  des  deminutivs  für  weibliche  per- 
sonen:  ts  näbdrli,  ts  ntejarli,  ts  le'mali,  bei  männlichen  wesen  beschränkt  sich  nach 
H.  die  deminution  mit  -li  auf  zwei-  und  mehrsilbige  langvokalisch  ausgehende 
namen:  dar  dübudli  (Dubois),  millie'li  (Milliet»,  schirardel/  (Girardet). 

In  gewissen  gegenden  des  Emmentals  und  des  Berner  Oberlandes  sind  fast 
alle  konkreten  begriffe  nur  noch  in  der  verkleinerten  form  gebräuchlich;  nicht  nur 
bei  kindern,  sondern  auch  in  der  spräche  der  erwachsenen,  die  dann  von  ihren 
•ärmli  und  beindli  reden,  ähnlich  ts  chäsli,  breili,  chuali,  rössli,  hüsi,  chnächtli]  von 
einem  fränkli  statt  einem  franken  zu  sprechen,  ist  eine  auch  in  der  übrigen  Schweiz 
weit  verbreitete  sitte.  Solcher  usueller,  spezialisierter  oder  isolierter  deminutiva 
gibt  es  im  Bernd,  noch  eine  ansehnliche  menge,  vielfach  in  Übereinstimmung  mit 
4em  Baseid.,  aber  doch  oft  über  dieses  hinausgehend. 

Noch  produktiv  (im  gegensatz  zum  Baseid.,  das  nur  noch  wenige  erstarrte 
bildungen  dieser  art  besitzt)  ist  im  Bernd,  -al  oder  sein  lautgesetzlicher  Stellver- 
treter -u  als  Verstümmelungssuffix  in  der  bubensprache  a)  bei  konkreten  Substantiven  : 
chäppu,  hüatu,  büchu  (bauch),  schökku  (Schokolade) ;  b)  bei  einsilbigen  geschlcchts- 
und  Vornamen  und  mehrsilbigen  geschlechtsnamen,  deren  letzte  silbe  einen  stärkeren 
nebenton  trägt:  näfu  Näf,  rotu  Rot,  labhärdu  Labhart,  äbersöldu  Abersold,  näpprc 
Napoleon,  kchöbu  Jakob,  fridu  Friedrich. 

Dem  in  der  landmundart,  besonders  im  Oberland,  noch  produktiven  suffix 
tschi  in  meitschi,  müntsch!  kuss,  tänntschi,  bäümtschi,  chalbtschi,  hüentschi  usw. 
(dass  auch  der  name  des  dorfes  Ablentschen  abländschi  hieher  zu  ziehen  sei,  ist 
Iraglich;  man  denkt  an  romanischen  Ursprung  <  avnlanche)  wendet  H.  seine  be- 
sondere aufmerksamkeit  zu.  Es  erscheint  ausser  in  appellativen  auch  in  zahlreichen,  weit 
über  den  kanton  Bern  hinaus  verbreiteten,  aus  Vornamen  entstandenen  farailiennamen: 
Bertschi,  Fritschi,  Dietschi,  Rüetschi,  Santschi,  Üeltschi,  Witschi  usw.  als  kurzformen 
zu   Albert,    Friedrich,    Dietrich,    Rudolf,  Samuel,   Ulrich,    Wilhelm.     (Man  vergleiche 

1)  Vgl.  Wilh.  Brückner  im  Schweiz.  Archiv  f.  Volkskunde  21,  1917. 


300  BFNZ 

die  bis  nach  Norddeutschland  hin  sich  findenden  Bartsch,  Peitsch,  Förtsch,  Fritsch,. 
Fritzsche  usw.)  Die  herkunft  dieses  suffixes  ist  unaufgeklärt.  Dass  es  sich  aus 
ahd.  -zo  entwickelt  haben  könnte,  ist  nicht  wahrscheinlich,  weil  diesem  in  der 
regel  -z  entpricht :  Benz,  Fritz,  Kii^nz,  Küanzi,  Sanzi.  H.  meint,  man  müsse  auf 
-seh  zurückgehen,  das  sich  nach  l  und  n  leicht  zu  tsch  fortbildete,  und  werde  damit 
auf  ahd.  -sk  geführt,  das  z.  b.  in  frösch,  tvintsch,  hübsch,  wältscii,  dütsch,  niöntsch 
erscheint.  Nach  dem  muster  mennisc :  man  sei  ein  bruodisc  {>  brüatsch) :  bruoder 
anzunehmen.  Für  diese  auffassung  spreche  auch  der  umstand,  dass  die  ableitung 
mit  tscJi  sich  vornehmlich  bei  pert^önlichen  Substantiven  und  bei-namen  von  haus- 
tieren  finde.  Die  weitere  ableitung  mit  -tn  sei  verhältnismässig  jung.  Darnach 
müsste  die  ausbreitung  des  suffixes  tschi  statt  schi  .von  den  auf  d,  t,  l,  n  endigenden 
Stämmen  aus  erfolgt  sein. 

Auf  niederdtsch.  -hin  und  den  einfluss  der  mit  mittelniederfränkischen  be- 
staudteilen  durchsetzten  höfischen  literatursprach e  will  H.  das  bei  männlichen  und 
weiblichen  vornamen  begegnende  und  von  dort  auf  tiere  und  sachen  übertragene 
suffix  -ki  zurückführen.  Das  ist  zweifelhaft,  weil  dem  k  die  bei  solcher  herkunft 
zu  erwartende  aspiration  fehlt,  weswegen  im  Baseid.  und  in  anderen  Schweiz, 
mundarten  dafür  häufig  gg  geschrieben  wird.  Den  beispielen  von  H.  Hessen  sich 
noch  hinzufügen:  6'mä"Av' =  August,  Silckj  =  Cecile,  Makki  —  Marguerite,  Nokki  = 
Nora,  Fikki  =  Sophie,  das  appellativ  sukki  =  schwein.  Jokki,  Nikki,  Sckükki  <  Jakob, 
Nikolaus,  Jacques  brauchen  nicht  unbedingt  hierher  gerechnet  zu  werden ;  sie 
könnten  auch  zur  Masse  der  -/-ableitungen  gehören  und  vielleicht  die  Vorbilder  für 
einige  von  den  anderen  mit  -ki  gebildeten  kurzformen  abgegeben  haben. 

Wir  haben  oben  die  tatsache  erwähnt,  dass  bei  den  deminutiven  nomina 
umgelautete  und  unumgelautete  formen  nebeneinander  auftreten.  Eine  regel  ver- 
mag H.  dafür  nicht  zu  erkennen;  vielleicht  handelt  es  sich  um  unterschiede  von 
allgemein  üblicher  oder  nur  gelegentlicher,  von  älterer  und  jüngerer  bildung.  Im 
Baseid.  sind  in  abweichung  vom  Bernd,  die  unumgelauteten  formen  ganz  selten; 
im  Bernd,  dienen  sie,  namentlich  in  der  kindersprache,  zur  Verstärkung  des  zärt- 
lichen gefühlstons. 

Zur  bezeichnung  weiblicher  abstrakter  substantiva  dient  allgemein  alemanisch 
im  weitesten  umfang  das  suffix  -i,  mit  dem  fast  von  jedem  einsilbigen  adjektiv  ein 
noraen  qualitatis  abgeleitet  werden  kann.  Wenn  die  Berner  stadtmundart  davon 
einen  beschränkteren  gebrauch  macht  als  die  landmundarten  und  dafür  die  ablei- 
tungen auf  -heit  vorzieht,  so  macht  sich  darin  zweifellos  einfluss  der  Schriftsprache 
geltend.  Fulkeit  bei  Gotthelf,  Glättiknt  bei  Haller  haben  nichts  auffallendes,  ihr  k 
rührt  von  -igheit  her;  doch  ist  echt  mundartlich  im  ersten  wort  die  aspiration  ver- 
mutlich auch  Bernd,  früh  verloren  gegangen  wie  im  Baseid.  ft'dgat,  krangget.  Ausser- 
dem ist  -i  noch  ganz  produktiv  für  die  bildung  konkreter  substantiva,  die  den  ort 
bezeichnen,  wo  eine  tätigkeit  vor  sich  geht:  brauwf,  hänkchi,  länti,  sdgi,  stampf i, 
schivemmi,  chorbi  korbmacherei.  Zum  teil  freilich  mögen  unter  den  abstrakten  wie 
unter  den  konkreten  dieser,  bildungsart  eindringlinge  aus  der  Schriftsprache  stecken, 
bei  denen  dem  schriftsprachlichen  endungs-e  ein  mundartlich  allein  mögliches  -i 
substituiert  wurde. 

Bei  den  koUektivbildungen  ,  mit  ge-  scheinen  mir  die  in  der  mundart  seit 
alter  zeit  bodenständigen  Wörter  durchweg  reduktion  des  ge-  zu  g-  beziehungsweise 
assimilation  an  den  anfangskonsonanten  des  grundworts  zu  verlangen.  Daneben 
kommen  —  im   Bernd,  vermutlich   so  gut  wie   im  Haseid.  —  bildungen  mit  ///-  vor» 


ÜBER    HODLER,    -WORTHILDUNG    UND    WORTBEDEUTUNG    IM    BERXDEUTSCHEN      801 

besonders  wo  die  lautgesetzliche  assimilation  des  g-  an  h,  p,  d,  t,  g,  k  des  grund- 
wort  die  Zusammensetzung  nicht  mehr  erkennen  lässt,  und  auch  dann  grösstenteils 
als  jüngere  entlehnungen  aus  der  Schriftsprache:  gidna,  gikar,  gibabbdl.  Diese 
jüngeren  Wörter  haben  fast  ausnahmslos  einen  tadelnden  sinn. 

Reich  vertreten  sind  im  Bernd,  wie  im  schweizerd.  überhaupt  die  femininen 
substantiva  auf  -dta  <  ahd.  ata,  das  Wilmanns  als  aus  dem  romanischen  entlehnt 
ansehen  will.  In  diese  gruppe  scheinen  mir  aber  houptata  (chopfata)  fuassata  nicht 
zu  passen ;  sie  dürften  eher  auf  die  Zusammensetzungen  houpt-,  köpf-,  fuss-ende 
(des  bettes)  zurückgehen  mit  Schwund  des  n  nach  Verlust  des  nebenakzents.  Im 
Bernd.,  namentlich  auf  dem  lande,  steht  daneben  das  suffix  -at  <  ahd.  öt  in  männ- 
lichen noraina  actionis :  uryiat,  höüjat,  s'uijdt  usw.,  von  da  übertragen  auf  die  mit 
diesen  arbeiten  verbundenen  feste  und  dann  produktiv  für  feste  und  spiele  aller 
art  wie  tantsat,  schiringat,  üsschiassat,  grännat  (gesichterschneiden). 

In  der  stadtmundart  findet  man  für  abstrakta  viel  häufiger  die  ableitung  auf 
-ig  (<  -ing  <  ung)^  daneben  neuerdings  immer  öfter  -iirig.  H.  hält  die  annähme, 
dass  diese  biidungen  unter  dem  einfluss  der  Schriftsprache  sich  ausgebreitet  haben 
und  ausbreiten,  nicht  für  richtig,  sondern  meint,  dass  das  suffix  -ig  beziehungsweise 
-ung  von  jeher  in  der  Stadt  eine  kräftige  gruppe  unterhalten  habe  und  dass  auch, 
der  grossteil  der  ableitungen,  die  sowohl  mit  -ig  als  -ung  gebraucht  werden,  echtes 
und  altes  gut  der  mundart  seien.  Dem  kann  nicht  beigestimmt  werden.  Die  form 
-ung  ist  unter  allen  umständen  der  mundart  fremd;  natürlich  sind  auch  viele  von 
den  wortern  auf  -ig  trotz  ihres  scheinbar  echt  mundartlichen  äussern  entlehnungen 
aus  der  Schriftsprache,  freilich  so  eingebürgerte,  dass  die  jüngere  generation  mit 
ihrem  allgemein  schwächer  gewordenen  Sprachgefühl  sie  nicht  mehr  als  fremdkörper 
empfindet.     Ähnliches  wäre  über  das  Verhältnis  von  -«ms  ;  nis  zu  sagen. 

Aus  dem  den  schluss  (s.  152—166)  bildenden  kapitel  über  die  komposition 
mag  erwähnung  finden,  dass  in  der  Stadt  Bern  an  stelle  der  nur  mangelhaft  ent- 
wickelten weiblichen  nomina  agentis  auf  -i,  -a  Zusammensetzungen  treten:  chärifrou, 
tsankiuib,  brüeliiclb  gegenüber  ländlichen  chära,  tsmika  usw.  oder  witfrou,  biirafrou, 
meistarfrou,  bärnarmeitschi.  Da  die  männlichen  nomina  agentis  mit  tadelnder  be- 
deutung  in  der  regel  nur  auf  erwachsene  personen  bezogen  werden,  tritt  bei  beziehung 
auf  jüngere  leute  kompositum  als  ersatz  ein:  brüalibuab,  schnudarbiiab,  tsankibueb 
(auch  sonst:  schualbueb,  Urbuab,  milchbuab),  ebenso  für  persönliche  kollektivbegriffe: 
büralüt  bauern,  stattlüt  städter,  heralüt  herren. 

Merkwürdig  ist  die  Verkürzung  langer  vokale  (beziehungsweise  bewahrung 
alter  kürze)  im  ersten  kompositionsteil  gegenüber  länge  des  vokals  im  entsprechenden 
einfachen  wort.  Nach  H.  tritt  dies  nur  ein,  wenn  die  komposition  zu  entschiedener 
begriffseinheit  verwachsen  ist,  nicht  bei  loseren  beziehungen  oder  gar  bei  gelegent- 
lichen biidungen  z.  b. :  a)  kürzung  alter  länge  in  schneballa,  schnemd,  aber 
schneschüfle,  schnewassar,  haröl,  aber  hdrwassar,  schumachar,  siber  schualada,  husfrou, 
stifmnatar;  b)  alte  kürze  erhalten:  graswiirm  raupe,  aber  grdsfuadar,  badhose,  aber 
bddtsiniDtar  (lehnwort!),  sagmäl,  aber  sdgbokch,  taglön,  aber  tdghemli. 

-s-  als  kompositionBbildendes  element  findet  sich  Bernd,  in  weiterem  umfang 
als  im  Baseid.,  z.  b.  auch  bei  weiblichem  erstem  teil:  chuchistnr,  stubasdü);  ougs- 
dfchla,  chilchshirm. 

Dass  in  Wörtern  wie  bierdurst,  mostwirt,  holzsagi  das  Sprachgefühl  ein  akku- 
sativverhältnis  der  beiden  teile  wahrnehme,  möchte  ich  bezweifeln. 

Unter  den   beispielen  von  Zusammensetzungen,  in  denen  ein  verbalstamm  im 


302  lUNZ 

«rsten   teil   den  zweck  oder  die  bestimmung  bezeichnet,  nennt  H.  s.  164  auch  läb- 
chuacha.     Wie  ist  das  zu  verstehen?     Wo  ist  da  der  verbalstamm?  wo  der  zweck? 

Hodlers  arbeit  ist  im  ganzen  beschreibender  art;  sie  begnügt  sich  mit  der 
feststellung  des  heutigen  tatbestandes,  geht  nur  gelegentlich  auf  die  Vorgeschichte 
und  die  psychischen  faktoren  ein,  die  für  sie  bestimmend  geworden  sind  und  noch 
sind;  sie  beschränkt  sich  ausserdem  auf  das  Berndeutsche.  Szadrowsky  dagegen 
zieht  nur  eine  einzige  gruppe  von  bildungen  —  diese  aber  auf  dem  ganzen  gebiete 
schweizerischer  mundarten  —  in  betracht,  nicht  als  Statistiker,  sondern  als  sprach- 
psychologe,  und  sucht  für  die  in  seinem  Stoffe  liegenden  probleme  lüsungen,  die 
für  die  prinzipien  der  Sprachgeschichte  bedeutung  haben.  Lautliche  probleme  treten 
iiuch  für  ihn  in  den  hintergrund  und  das  morphologische  kommt  nur  insoweit  in 
betracht,  als  es  mit  fragen  der  bedeutung  zusammenhängt.  Geschichtliche  Unter- 
suchungen über  das  vorkommen  der  Wörter  sind  nur  beiläufig  einbezogen.  Aber 
wichtig  ist  für  ihn  die  feststellung  in  jedem  einzelnen  fall,  ob  ein  wort  dem  lebenden 
Sprachgebrauch  angehört  oder  nur  literarisch  bezeugt  ist.  S.  stützt  sich  natürlich 
auf  das  reiche  material  des  Schweizerischen  Idiotikons,  das  er  aber  nur  bei  den 
sprachpsychologisch  besonders  interessanten  gruppen,  den  bezeichnungen  für  wind , 
und  wetter,  für  affektionen,  für  abstraktes  und  bei  den  fällen  mit  nicht  aktiver 
bedeutung  lückenlos  darbietet.  Der  als  dissertation  erschienene  teil  beschränkt  sich 
auf  die  fruchtbarste  bildungsweise  der  nomina  agentis,  die  deverbativen  e/--ableitungen. 

Diese  ordnet  S.  nach  ihren  bedeutungsgruppen,  mit  feinstem  Sprachgefühl 
alle  zartesten  bedeutungsabstufungen  unterscheidend  und  auseinander  entwickelnd. 
Es  muss  jedem,  der  sich  für  solche  fragen  interessiert,  überlassen  bleiben,  die  aus- 
gezeichnete darstellung  des  Verfassers  im  original  zu  studieren ;  ein  noch  so  aus- 
führliches referat  könnte  ihren  Vorzügen  nicht  gerecht  werden.  S,  unterscheidet 
«/•-deverbativa  als  bezeichnungen  für  personen,  tiere,  pflanzen,  körperteile,  gegen- 
ständliches, wind  und  wetter,  tage  und  monate  und  flurnamen,  physische  und 
psychische  affektionen,  Vorgänge  und  tätigkeiten  (abstraktes).  Zuletzt  bespricht  er 
übersichtlich  die  e>--deverbativen  nach  der  logischen  beziehung  des  bezeichneten 
zur  Verbalhandlung. 

Auf  einige  punkte  mag  indessen  auch  hier  noch  etwas  näher  eingegangen 
werden.  Das  persönliche  nomen  agentis  auf  -er  bezeichnet  1.  den  träger  einer 
wiederholten  (berufs-  oder  gewohnheitsmässig  ausgeübten)  handlung,  den  durch  den 
verbalbegriff  dauernd  charakterisierten;  2.  den  träger  einer  einmaligen  handlung, 
<ien  handelnden  schlechthin.  In  der  heutigen  mundart  scheint  mir  indessen  die 
zweite  gruppe  nicht  wirklich  bodenständig,  sondern  der  nachahmung  schriftsprach- 
lichen gebrauchs  entsprungen.  S.  selbst  stellt  fest,  dass  bezeichnungen  für  den 
ausüber  einer  einmaligen  handlung  selten  sind,  zum  mindesten  viel  seltener  als 
bezeichnungen  des  beruflichen  oder  gewohnheitsmässigen  trägers  von  verbalbegriffen. 

Dass  das  gedeihen  des  e/--typus  auf  dem  boden  der  pflanzenbezeichnungen 
keineswegs  mythische  vorstellungsweise  voraussetze,  sagt  S.  meines  erachtens  mit 
recht.  Wundt  hat  zwar  zur  erkläruug  davon  auf  die  mythologischen  Vorstellungen  von 
der  pflanzenseele,  den  Vegetationsdämonen  hingewiesen,  die  in  keimen  und  wurzeln, 
bäumen  und  fruchten  lebten,  oder  auf  die  visionären  eindrücke  von  feld  und  wald 
im  dunkel  und  in  der  einsamkeit.  Diese  er-bildungen  erklären  sich  aber  nach  S. 
leicht  und  natürlich  damit,  dass  das  Wachstum  solcher  pflanzen  (cJiriecherli,  höckerli, 
i/rüperli,  rutscherli)  einen  vergleich  mit  menschlicher  oder  tierischer  bewegung 
zulässt,  dass  also  die  pflanze  selbst  als  tätig  erscheint. 


ÜBER   SZADROWSKY,   NOMINA    AGENTIS   DES   SCHWEIZERDEUTSCHEN  303 

Die  überaus  reiche  entfaltung  des  typus  der  deverbativen  ableitungea  mit 
gegenständlicher  bedeutung  muss  an  die  deverbativen  ableitungen  mit  persön- 
licher bedeutung  anknüpfen.  (Da  das  neutrum  dafür  nicht  vorkommt,  werden  latei- 
nische masculina  auf  -arius  das  feste  muster  für  diese  gattung  abgegeben  haben: 
Jocarius  >  focher  blasebalg,  binariiis  >  biner  milchmass,  sextaritis  >  sester  hohl- 
mass).  Wenn  eine  viehschelle  chlepfer,  ein  glockenschwengel  plumper  genannt 
wird,  sind  das  dinge,  die  chlepfen,  plampen,  sie  sind  träger  einer  handlung,  wenn 
auch  unpersönliche  Vollstrecker  derselben.  An  wirklich  handelnde  wesen  im  sinne 
einer  Personifikation  braucht  man  dabei  nicht  zu  denken,  wenn  auch  nicht  selten 
Personennamen  und  andere  personalbezeichnungen  sowie  tiernamen  auf  gegenstände 
übertragen  werden :  hoher-,  chorn-,  weizen-michel,  grossmüeterli,  fuchs,  has,  rätsch- 
vogel,  yüggel  als  bezeichnung  der  letzten  garbe.  S.  stellt  mit  recht  solche  Wörter 
in  den  Vordergrund,  wenn  es  gilt,  eine  brücke  zu  schlagen  zwischen  den  kategorien 
der  Personen-  und  der  gegenstandsbezeichnungen.  Nach  diesen  mustern  konnten 
weitere  bezeichnungen  für  gegenständliches  aufkommen,  die  nicht  tätige  dinge  be- 
zeichnen, sondern  gegenstände,  die  als  mittel  zur  ausführung  einer  tätigkeit,  als 
Werkzeug  dienen:  chnütscher,  rüerer,  süger.  Die  grenze  zwischen  beiden  gruppen 
ist  schwer  zu  ziehen.  Im  falle  von  schlapper  (der  schlappende  schuh)  würde  ich 
lieber  S.  zustimmen,  der  den  schlappenden  schuh  als  träger  der  handlung  auffasst, 
als  Behaghel,  der  in  ihm  ein  mittel  zur  ausführung  der  handlung  sieht.  S.  be- 
merkt sehr  richtig,  dass  es  von  wert  wäre,  wenn  seine  theorie  über  das  aufkommen 
der  gegenständlichen  er-ableitungen  sich  stützen  Hesse  durch  tatsachen  der  wort- 
geschichte,  d.  h.  wenn  sich  nachweisen  Hesse,  dass  tatsächlich  die  ersten  gegen- 
standsbezeichnungen auf  -er  solche  in  gewissem  sinne  aktive  dinge  bezeichnet 
haben,  dass  Wörter  mit  rein  instrumentaler  bedeutung  erst  nach  diesen  aufkamen. 
Das  wäre  aufgäbe  einer  besonderen  Untersuchung.  Aber  auch  unmittelbar  lassen 
sich  die  nomina  instrum.  an  die  nomina  agentis  anknüpfen.  Der  borer  ist  ein  ding, 
das  bohrt,  wie  der  borer  im  persönlichen  sinn  ein  mensch,  der  bohrt.  Sehr  nahe  zu 
den  persönlichen  nomina  agentis  sind  z.b.  auch  die  häufigen  scherzhaften  bezeichnungen 
des  Weines  und  branntweines  zu  stellen:  chratzer,  rachenbittzer,  rippenchlemmer  usw. 

Bei  den  pflanzennamen  auf  -er  hat  S.  die  annähme  mythischer  Personifikation 
als  überflüssig  abgelehnt,  bei  den  windnamen  erkennt  er  deren  berechtigung  an. 
Wenn  auch  bei  benennung  von  dingen  und  erscheinungen  der  natur  eine  mehrfache 
möglichkeit  der  deutung  sich  biete,  so  verdiene  doch  auf  diesem  gebiet  die  mit 
weniger  mittein  auskommende  erklärung  keineswegs  aus  gründen  der  methode  den 
Vorzug  vor  einer  deutung,  die  dämonen  und  geister  zu  hilfe  nimmt,  um  so  weniger,  als 
in  abgelegenen  ländlichen  oder  gebirgigen  gegenden  der  mythos  noch  jetzt  zu  hause  sei. 

Besondere  vorsieht  verlangt  die  deutung  der  flur-  und  geländenamen ;  neben 
maskulinen  auf  -er,  in  denen  vielfach  familiennamen  der  besitzer  stecken  mögen, 
treffen  wir  da  häufig  feminina  auf  -eren,  in  denen  verschiedene  bildungsweisen 
zusammengeflossen  sein  können,  Risleren,  riseren,  /alleren  deutet  S.  unter  vorbehält 
als  nom.  agentis  =  ort  wo  sand,  kies  und  dergleichen  herabrieselt,  beziehungs- 
weise Schutthalde,  beziehungsweise  'die  fallende'  (waldnamej.  In  anderen  derartigen 
hildungen  vermutet  er  altes  latein.  -ar/a-suffix,  in  anderen  altes  -/yöH-suffix.  Grossen- 
teils sind  übrigens,  wie  wir  schon  bei  der  besprechung  von  Kodier  gesehen  haben, 
diese  namen  nicht  deverbativ,  sondern  denominativ  als  bezeichnungen  von  orten, 
wo  die  im  namen  steckenden  pflanzen,  tiere  und  stoffe  in  mengen  vorkommen. 

Ganz  besonders  gelungen  scheinen  mir  die  psychologischen  ausführungen  des  §  9 


304      HINZ    CHER   SZADUOWSKY,   NOMINA   AOENTIS   DES   SCHWEIZERDEUTSCHEN 

Über  bezeichnungen  physischer  und  psychischer  affektionen  (krankheiten,  rausch  und 
ähnliches)  und  der  §  lü  über  bezeichnungen  für  Vorgänge  und  tätigkeiteu  (abstraktes) 
darunter  lautvorgänge  (juchzer,  Jodler  usw.),  hewegungsvorgänge  (tanze  usw.). 

Das  ergebnis  des  letzten  kapitels  über  die  logischen  beziehungen  des  bezeichneten 
zur  Verbalhandlung  lässt  sich  so  zusammenfassen:  Die  deverbativa  auf  -er  bezeichnen: 

1.  alle  arten  von  kausaler  beziehung; 

a)  was  die  verbalhandlung  ausführt,  aktive  beziehung,  weitaus  der  häufigste 
fall  —  beispiele  überflüssig; 

b)  was^die  verbalhandlung  ausführt  und  zugleich  von  ihr  betroffen  wird, 
reflexive  beziehung;  schwach  belegt,  meist  nur  in  älterer  spräche,  in 
Sprichwörtern  usw.,  aber  auch  sonst  gelegentlich  z.  b.  schneller  ein 
käfer  zu  [sich)  schnellen; 

c)  dasjenige,  womit  die  verbalhandlung  ausgeführt  wird,  instrumentale 
beziehung,  reichlich  vertreten:  borer,  Schöpfer; 

d)  was  zur  ausführung  veranlasst,  kausative  beziehung:  inmickerli  (schlaf- 
liedchen),  Springer,  laufer  (durchfall).  Doch  ist  gerade  bei  der  letzten 
art  von  beispielen  kausative  aüffassung  nicht  durchaus  notwendig; 

e)  was  von  der  verbalhandlung  betroffen  wird,  das  objekt  des  verbalbegriffs, 
und  zwar: 

a)  strikte  passive  beziehung  bei  deverbativen  von  transitiven  verben,  eine 
abart  von  passiver  beziehung  bei  deverbativen  von  intransitiven 
verben:  anhenker,  Schieber  (schiebfenster),  versuecherli,  kleines  muster 
zum  versuchen  (eine  solche  bildung  kann  den  Übergang  von  instru- 
mentaler zu  passiver  beziehung  vermitteln);  triber  ein  junges  schwein, 
stark  genug,  dass  es  getrieben  werden  kann.  Die  hierher  gehörigen 
Personenbezeichnungen  lassen  in  älterer  spräche  denominative  aüf- 
fassung neben  der  deverbativen  zu :  ächter  =  ächter  und  =  geächteter, 
verfolgter,  zu  ächten  oder  acht;  buesser  frevler,  der  busse  leisten 
sollte,  aber  nicht  wirklich  leistet;  anchläger  =  a.nkX&g&r  und  =  be- 
klagter, Schuldner.  S.  wendet  sich  in  seiner  erklärung  solciier  fäll© 
gegen  Behaghel,  der  meint,  es  sei  da  die  bedeutung  in  ihr  gegen- 
teil  umgeschlagen,  also  ein  Widerspruch  gegen  die  formale  logik  in 
der  Sprachentwicklung.  S.  sieht  im  tatbestand  keinen  anlass  zu 
solchem  Vorwurf,  da  es  sich  einmal  um  zwei  selbständige,  gleich- 
berechtigte bedeutungssphären  handelt,  ächter  =  der  aktiv  oder  passiv 
bei  der  acht  beteiligte,  und  da  angeklagter  nicht  der  logische  gegen- 
satz   zu   ankläger   sei,  was  vielmehr  einer,  der  nicht  anklagt,  wäre; 

ß)  was  bei  ausführung  der  verbalhandlung  sich  ergibt,  das  produktiv- 
objekt,  den  effekt:  trüller,  haarkuoton,  der  durch  trüllen  entsteht; 
Spritzer^  der  durch  spritzen  entstandene  flecken. 

2.  den  ort  der  ausführung  der  verbalhandlung,  räumliche  beziehung,  sehr 
selten:  hocker,  gegenständ  auf  dem  man  hockt;  meist  ist  die  beziehung 
nicht  rein  räumlich,  sondern  instrumental ; 

3.  was  zur  verbalhandlung  in  zeitlicher  beziehung  steht,  sehr  selten:  heim- 
gäer  der  letzte  tanz  beim  tanzfest. 

MAINZ  [jetzt  Bern].  '  gustav  binz. 


FRIEDRICH-NIETZSCHE-PREIS    FÜR    1923.  —  NACHRICHTEN.  305 

FRIEDRICH-NIETZSCHE-PREIS  FÜR  1923. 

Preisausschreiben  der  Stiftung  Nietzs  che-archiv. 

Welche  fingerzeig-e  gibt  die  Sprachwissenschaft,  insonderheit  die  etymologische 
forschung,  für  die  entwicklungsgeschichte  der  moralischen  begriffe  ab  ? 

(Nietzsche,  Zur  genealogie  der  moral.  Anm.  am  schluss  der  1.  abhandlung 
'Gut  und  böse',  'Gut  und  schlecht'.) 

Für  die  bewertung  kommen  nur  arbeiten  in  betracht,  die  die  philosophischen 
wie  sprachwissenschaftlichen  gesichtspunkte  nach  streng  wissenschaftlicher 
methode  behandeln. 

Zu  berücksichtigen  sind  in  erster  linie  die  indogermanischen  sprachen.  Doch 
ist  es  sehr  willkommen,  wenn  auch  das  material  aus  anderen  sprachen  herangezogen 
wird,  wobei  dem  bearbeiter  indessen, .  soweit  er  sich  ein  selbständiges  urteil  nicht 
zu  bilden  vermag,  gestattet  wird,  über  das  aus  zweiter  band  geschöpfte  lediglich 
zusammenfassend  zu  referieren. 

Die  arbeiten  sind  bis  spätestens  1.  april  1923  an  das  Nietzsche-archiv 
in  Weimar  einzureichen.  Jede  arbeit  ist  mit  einem  kennwort  zu  versehen;  der 
name  des  Verfassers  darf  nur  in  einem  mit  dem  gleichen  kennwort  versehenen  ver- 
schlossenen Umschlag  angegeben  sein. 

Alle  arbeiten  bleiben  unbeschränktes  eigentum  der  Verfasser. 

Der  ausgesetzte  preis  beträgt  5000  m.  Er  soll  am  geburtstag  Fr.  Nietzsches, 
den  15.  Oktober  (1923),  ungeteilt  einer  arbeit  zuerkannt  werden.  Ist  keine  arbeit 
preiswürdig,  bleibt  es  den  preisrichtern  überlassen,  über  die  Verwendung  der  aus- 
gesetzten summe  zu  befinden. 

Das  Preisgericht  besteht  aus: 

1.  Universitätsprofessor  Dr.  Bruno  Bauch,  Jena. 

2.  Frau  Dr.  h.  c.  Elisabeth  Förster-Nietzsche,  Weimar. 

3.  Graf  Harry  Kessler,  Berlin. 

4.  Oberbürgermeister  Dr.  Adalbert  Oehler,  versitzender  der  Stiftung  Nietzsche- 
archiv. 

5.  Universitätsprofessor  Dr.  Ferd.  Sommer,  Jena. 


NACHRICHTEN. 


Am  14.  mai  1921  starb  zu  Kopenhagen  der  Sprachforscher  und  grammatiker 
Karl  Arnold  Edvin  Jessen  (geb.  am  1.  Januar  1833  zu  Randers);  am  8.  Ok- 
tober 1921  zu  Askov  (Jütland),  der  als  autorität  auf  dem  gebiete  der  Volkskunde 
und  als  lexikograph  der  jütischen  mundarten  rühmlichst  bekannte  pastor  emer. 
Henning  Frederik  Feilberg  (geb.  6.  august  1831  zu  Hillerod);  am  26.  Ok- 
tober 1921  zu  Königsberg  der  ausserordentl.  professor  dr.  Wilhelm  Uhl  (geb. 
23.  november  1864  zu  Braunschweig);  am  4.  november  1921  zu  Stockholm  der 
durch  seine  prähistorischen  forschungen  hochverdiente  Nestor  der  schwedisclien 
archäologen,  prof.  dr.  Oskar  Montelius;  ende  dezember  1921  zu  Prag  der 
ausserordentl.  professor  dr.  Hans  Lambel  (geb.  26.  august  1842  zu  Linz);  am 
31.  dezember  1921  der  ordentl.  professor  an  der  Universität  München,  geh.  hofrat 
dr.  Hermann  Paul  (geb.  7.  august  1846  zu  Salbke  bei  Magdeburg);  am  4.  Ja- 
nuar   1922    zu   Jena    der   ordentl.   professor  der  vergleichenden  Sprachwissenschaft, 


306  .  NACHRUHTEN 

geh.  hofrat  dr.  Berthold  Delbrück  (geb.  26.  juli  1842  in  Danzig) ;  am  13.  märz  1822 
zu  Erlangen  der  ordentl.  professor,  geh.  hofrat  dr.  Elias  Steinmeyer  (geb. 
8.  februar  1848  zu  Nowawes  bei  Potsdam) ;  am  4.  mai  1921  zu  Wien  der  bekannte 
und  verdiente  skandinavist,  hofrat  dr.  Josef  Calisanz  Poes  tion  (geb.  7.  juli  1853 
in  Aussee). 

Delbrück,  Jessen,  Paul,  Steinmeyer  und  Ubl  waren  hochgeschätzte  mitarbeiter 
unserer  Zeitschrift,  denen  die  redaktion  ein  dankbares  angedenken  bewahrt. 

Berufen  wurden :  der  privat  dozent,  studienrat  dr.  W  a  1 1  h  e  r  H  e  i  n  r.  Vogt 
in  Marburg  an  stelle  des  in  den  ruhestand  getretenen  ordentl.  professors  der  nordischen 
Philologie,  dr.  Hugo  Gering  nach  Kiel;  der  ausserord.  professor  an  der- Universität 
Jena  dr.  Hans  Naumann  als  nachfolger  von  Karl  Helm  nach  Frankfurt  a.  M.;  der 
geh.  hofrat  professor  dr.  Oskar  Walzel  in  Dresden  als  ordentl.  professor  der 
neueren  deutschen  literaturgeschichte  nach  Bonn;  der  ordentl.  professor  der  neueren 
deutschen  spräche  und  literatur,  dr.  Franz  Schultz  in  Köln  nach  Frankfurt 
a.  M. ;  der  ausserordentl.  professor  dr.  Friedrich  Eanke  in  Göttingen  als  ordentl. 
professor  der  germanischen  philologie  nach  Königsberg;  der  privatdozent  dr. 
Ernst  Bertram  in  Bonn  als  ordentl.  professor  der  neueren  deutschen  spräche  und 
literatur  nach  Köln;  der  ausserordentl.  professor  der  deutschen  literaturgeschichte 
dr.  Christ.  Janentzky  in  München  als  Ordinarius  an  die  technische  hochschule 
in  Dresden. 

Befördert  sind:  die  ausserordentl.  professoren  für  neuere  deutsche  spräche 
und  literatur  dr.  Robert  F.  Arnold  in  Wien,  dr.  Eugen  Wolff  in  Kiel  und 
dr.  Phil.  Witkop  in  Freiburg  i.  B.  zu  Ordinarien;  der  ausserordentl.  professor  der 
deutschen  spräche  und  literatur  dr.  Friedr.  Neumann  in  Leipzig  (zuvor  privat- 
dozent in  Göttingen)  zum  Ordinarius;  der  ordentl.  honorarprofessor  dr.  Walther 
Ziesemer  in  Königsberg  zum  Ordinarius;  der  privatdozent  dr.  Robert  Faesi  in 
Zürich  zum  ausserordentl.  professor  für  neuere  deutsche  und  schweizerische  literatur- 
geschichte. Der  Oberlehrer  prof.  dr.  Gustav  Rosenhagen  in  Hamburg  wurde 
zum  honorarprofessor  an  der  dortigen  Universität  ernannt,  der  privatdozent  dr. 
Fr.  Braun  in  Leipzig  zum  ordentl.  honorarprofessor  der  germ.  philologie. 

Dem  professor  dr.  Adolf  Hauffen  in  Prag  wurde  die  neuerrichtete  professur 
für  deutsche  Volkskunde  an  der  dortigen  deutschen  Universität  übertragen;  der 
privatdozent  an  der  Universität  Halle,  dr.  Wolf  gang  Liepe,  erhielt  einen  lehr- 
auftrag  für  geschichte  des  theaterwesens  und  dramaturgie. 

Es  habilitierten  sich:  für  deutsche  literatur  dr.  Gustav  Bebermeyer 
in  Tübingen,  für  deutsche  literaturgeschichte  und  deutsche  Sprachkunde  dr. 
Martin  Sommerfeld  in  Frankfurt  a.  M  Der  privatdozent  dr.  Karl  Wesle 
hat  sich  von  Frankfurt  nach  Jena  urahabilitiert. 

Der  ordentl.  professor,  geh.  hofrat  dr.  W.  Braune  in  Heidelberg  wurde  zum 
korrespondierenden  mitgliede  der  preuss.  akademie  der  Wissenschaften  ernannt;  der 
ordentl.  professor,  geh.  regierungsrat  dr.  Friedrich  Vogt  in  Marburg  zum 
korrespondierenden  mitgliede  der  Göttinger  gesellschaft  der  Wissenschaften,  der  ordentl. 
professor,  geh.  regierungsrat  dr.  Edward  Schröder  in  Göttingen  zum  korrespon- 
dierenden mitgliede  der  bayr.  akademie  der  Wissenschaften. 


NEUE   ERSCHEINUKGEN  307 

NEUE  ERSCHEINUNGEN. 

Die  redaktion   ist  bemüht,   für  alle  zur  besprechuiig  geeigneten  werke  aus  dem  gebiete  der  german. 

Philologie  sachkundige  referenten  zu  gewinnen,  übernimmt  jedoch   keine  Verpflichtung,   unverlangt 

eingesendete    bücher    zu    rezensieren.     Eine    zurücklieferung    der    r  e  z  en  s  i  o  u  s  -  e  x  e  m- 

plare   an   die   herren    Verleger   findet   unter   keinen  umständen  statt. 

Alexander,  Meister.  —  Hase,  Günther,  Der  minneleich  meister  Alexanders  und 
seine  Stellung  in  der  mittelalterlichen  musik.  [Forschungsinstitut  für  neuere 
phüoiogie  in  Leipzig.  I.  Altgermanistische  abteilung  unter  leitung  von  E.  Sie- 
vers.    Heft  1.]     Halle,  Niemeyer  1921.     (VIII),  96  s.  18  m. 

Anzeugrubers  werke.  Gesamtausgabe  nach  den  handschriften  in  20  teilen,  mit 
lebensabriss,  einleitung  und  anmerkungen  herausgegeben  von  Eduard  Castle. 
Leipzig,  Hesse  &  Becker  o.  j.  (1921),  geb.  (in  7  bände)  140  m. 

Arzneibuch,  Das  Gothaer  mittelniederdeutsche,  und  seine  sippe,  herausgegeben  von 
Sven  Norrbom.  [Mnd.  arzneibücher,  herausgegeben  von  Konrad  Borch- 
ling.     Bd.  2.]     Hamburg  1921.     4».     (VI),  240  s. 

Bell,  Clair  Hayden,  The  sisters  son  in  the  medieval  German  epic.  A  study  in 
the  survival  of  matriliny.  [üniversity  of  California  publications  in  modern 
philology,  vol.  X,  2.]     Berkeley  1922.     120  s. 

Bibeltraktate  (Gothaer).  —  Im  Kampf  um  die  deutsche  bibel.  Zwei  traktate  des 
14.  Jahrhunderts,  herausgegeben  von  Josef  Klapper.  Breslau,  Eigenverlag 
1922.     VUI,  56  s. 

Blöndal,  Sigfüs,  Islandsk-dansk  ordbog.  (Hovedmedarbejdere :  ßjörg  5".  Blöndal, 
Jon  Ofeigsson,  Holger  Wiche).  1.  halvbind.  Reykjavik,  Kebenhavn  og 
Kristiania  1920-22.     XII,  480  s.  gr.  4.  35  kr. 

Bock,  Eugen  de,  Beknopt  overzicht  van  de  vlaamsche  letterkunde,  hoofdzakelijk 
in  de  19 <^  eeuw.    'De  Sikkel',  Antwerpen;  Em.  Querido,  Amsterdam  o.  j.    108  s. 

Bojunga,  Klaudius,  Deutsche  spräche  und  deutsches  Volkstum.  Die  behandlung 
ihrer  zusammenhänge  im  Unterricht  auf  höheren  schulen.  [Deutschunterricht 
und  deutschkunde,  heft  6.]     Berlin,  Otto  Salle  1921.     72  s.  6  m. 

Borinski,  Karl,  Geschichte  der  deutschen  literatur  von  den  anfangen  bis  zur 
gegenwart.  Stuttgart,  Berlin,  Leipzig;  Union  Deutsche  Verlagsgesellschaft  o.  j. 
[1921].     2  bände.     XVI,  643;  VIII,  673  s.  und  48  tafeln,  geb.  98  m. 

Braun,  Friedr.,  Die  Urbevölkerung  Europas  und  die  herkunft  der  Germanen.  [Ja- 
phetische  Studien  zur  spräche  und  kultur  Eurasiens,  herausgegeben  von  F.  Braun 
und  N.  Marr.  L]     Berlin,  Stuttgart,  Leipzig,  W.  Kohlhammer  1922.    91  s.  22  m. 

Bruns,  Frifedr.,  Modern  thought  in  the  German  lyric  poets  from  Goethe  to  Dehmel. 
[Üniversity  of  Wisconsin  studies  in  language  and  literature.  13.]  Madisou 
1921.     103  8. 

Cohn,  Egon,  Gesellschaftsideale  und  gesellschaftsroman  des  17.  Jahrhunderts.  Studien 
zur  deutschen  bildungsgeschichte.  [German.  Studien  .  .  .  herausgegeben  von 
E.  Ehering.  13.]     Berlin,  E.  Ehering  1921.     (VIII),  239  s.  30  m. 

Conscience,  Hendrik.  —  Bock,  Eugen  de,  H.  C.  en  de  opkomst  van  de  vlaam- 
sche romantiek.  'De  Sikkel',  Antwerpen;  Em.  Querido,  Amsterdam  o.  j.  319  s. 
Curnie,  George  0.,  A  grammar  of  the  German  language  designed  for  a  thoro  and 
practical  study  of  the  language  as  spoken  and  written  to-day.  New- York,  The 
Macmillan  Company.  1922.  XII,  623  s.  geb. 
Edda  Saemundar.  -  Den  teldre  Eddan  tolkad  av  Axel  Akerblom.  2  delar. 
Uppsala,  J.  A.  Lindblad  1920-21.     186;  226  s.  24  kr. 


308  nki:k  kk.s(;iikini;.nc;i-:n 

Edda  Sapinundar.  ^  Die  Edda  mit  historisch-kritischem  kommentar,  herausgegebea 
von  R.  C.  Boer.  Haarlem,  H.  D.  Tjeenk  Willink  &  zoon  1922.  2  bände. 
XCI,  320  und  VIII,  398  s.  geb. 

—  Die  lieder   der   älteren  Edda   (S;cm.    Edda)    herausgegeben   von   Karl   Hilde- 

brand, völlig  umgearbeitet  von  Hugo  Gering.    4.  aufl.   Paderborn,  Schiiningli 
1922.     XXVIH,  484  s. 

—  Gering,  Hugo,   Glossar  zu  den  liedern  der  Edda.     5.  aufl.     Paderborn,  Scliö- 

ningh  1923.     X,  231  s. 

—  Reuter,    Otto    Sigfried,    Das    rätsei    der   Edda   und   der   arische  urglaube. 

Sontra  in  Hessen,  Verlag  Deutschordensland  1921.  174  s.  raitlSholzschnitten.  28  m. 
Ehret,  Joseph,  Das  Jesuitentheater  zu  Freiburg  in  der  Schweiz.     Erster  teil.    Die 

äussere   geschichte    der  herbstspiele   von   1580—1700   mit  einer  Übersicht  über 

das   schweizerische  Jesuitentheater.     Freiburg  i.  Br.  1921.   XV,  259  s.,  7  tafeln 

und  2  karten  50  m. 
Eventyr,  Norske,  En  systematisk  fortegnelse  efter  trykte  og  utrykte  kilder  .  .  .  ved 

Reidar  Th.  Christiansen.     Kristiania,  J.  Dybwad  1921.     XI,  152  s. 
Feist,  Sigmund,  Einführung  in  das  gotische.    Texte,  Übersetzungen,  erläuterungen. 

[Teubners  philol.  Studienbücher.]    Leipzig  und  Berlin,  Teubner  1922.   VI,  156  s. 

und  1  tafel  kart.  48  m. 
Oerdau  Hans,  Der  kämpf  ums  dasein  im  leben  der  spräche.    Ein  sprachbiologischer 

versuch    zur    lösung    des    lautwandelproblems    auf   darwinistischer    grundlage. 

Hamburg,  W.  Gente  1921.     62  s.  3  m. 
(xerullis,   Georg,    Die   altpreussischen    Ortsnamen,    gesammelt   und   sprachlich    be- 
handelt.    Berlin   und   Leipzig,   W.  de   Gruyter  &  co.   1922.   (VI,  286  s.  75  m. 
Goethe.    —    Berendsohn,    Walter    A.,    Goethes    knabendichtung.      Hamburg, 

W.  Gente  1922.     172  s. 

—  Schnitzer,  Manuel,  Goethes  Josephbilder,  Goethes  Josephdichtung.  1.— 6.  aufl. 

Hamburg,  W.  Gente  1921.     130  s.  und  22  tafeln,  geb.  25  m. 

Götze,  Alfred,  Proben  hoch-  und  niederdeutscher  mundarten.  [Kleine  texte  für 
Vorlesungen  und  Übungen  herausgegeben  von  H.  Lietzmann.  146.]  Bonn, 
A.  Marcus  &  E.  Weber  1922.     (II),  110  s. 

Graebisch,  Friedr.,  Die  muudart  der  grafschaft  Glatz  und  ihrer  böhmischen  nach- 
•  bargebiete.  [Glatzer  heimatschriften.  I.]  Kommissionsverlag  von  A.  Walzel  in 
Mittelwalde  1920.     IV,  78  s. 

Gragger,  Robert,  Deutsche  handschriften  in  ungarischen  bibliotheken.  [Ungarische 
bibliothek,  für  das  Ungarische  institut  an  der  Universität  Berlin,  herausgegeben 
von  R.  Gragger.  I,  2.]  Berlin  und  Leipzig,  W.  de  Gruyter  &  co.  1921. 
(IV).  56  s.  und  1  facs.  8  m. 

Grimm,  Jacob  und  Wilhelm.  —  Berendsohn,  Walther  A.,  Grundformen  volks- 
tümlicher erzählerkunst  in  den  Kinder-  und  hausmärchen  der  briider  Grimm. 
[Hamburger  habilitationsschrift.]     Hamburg,  W.  Gente  1922.     143  s.  30  m. 

Gryphius.  —  Steinberg,  Hans,  Die  reyen  in  den  trauerspielen  des  Andreas 
Gryphius.     [Gott,  dissert.]     Göttingen  1914.     VIII,  124  s. 

Güntert,  Herm.,  Von  der  spräche  der  götter  und  geister.  Bedeutungsgeschicht- 
liche Untersuchungen  zur  Homerischen  und  eddischen  göttersprache.  Halle, 
Niemeyer  1921.     VUI,  1S3  s.  26  m. 

Hanimerich,    Louis    L.,    Zur    deutschen   akzentuation.     [Det   kgl.  danske  vidensk. 


NKUE    KRSCHEINUNGKN  309 

selskab.  Histor.-filol.  meddelelser  VII,    1.]     Kebenhavn,  A.  F.  Host  &  son  1921. 

330  s. 
Heine,  Heinr.   —    Schellenberg,   Alfred,   H.  Heines  französische  prosawerke. 

[German.  Studien  .  .  .,  herausgegeben  von  E.  E bering.    14.]    Berlin,  E.  Ehering 

1921.     (VIII),  88  8.  12  m. 
Hengestsage.  —  Aurner,  Nellie  Slaytou,  Hengest.    A  study  in  early  english 

hero  legend.  [University  of  Iowa  studies.     I,  51.]     1921.    (II),  7H  s.  und  44  taf. 
—  Schreiner,  Katharina,  Die  sage   von  Hengest  und  Horsa.     Entwicklung  und 

nachleben    bei    den    dichtem    und    geschichtsschreiberu    Englands.      [German. 

Studien  .  .  .,  herausgegeben  von  E.  Ehering.     12.]     Berlin,   E.  Ebering   1921. 

Xn,  166  s.  24  m. 
Iwaud,   Käthe,   Die  Schlüsse  der  mhd.  epen.     [German.  Studien,  het't  16].     Berlin, 

Emil  Ebering  1922.     171  s. 
Jespersen,  Otto,  Language,  its  nature,  development  and  origiu.     London,  G.  AUen 

&  Unwin  1922.     448  s.  geb.  18  sh. 
Kaiser,    Elsbet,  Frauendienst   im   mittelhochdeutschen   volksepos.     [Germanist,  ab- 

handlungen  .  .  .,   herausgegeben   von   Fr.  Vogt.     54.]     Breslau,   Marcus  1921. 

VII,  1U6  s. 
Kelly,  Jolin  Alexandier,  England  and  tlie  Englishman  in  German  literature  of  the 

18.  Century.     New- York,  Columbia  university  press  1921.    XVII,  156  s.  1,25  doli. 
Kossinna,  Gustaf,   Die   deutsche  Vorgeschichte  eine  hervorragend  deutsche  Wissen- 
schaft.    3.  verbesserte   aufläge.     [Mannus-bibl.  nr.  9.]     Leipzig,  Gurt  Kabitzsch 

1921.     VIII,  255  8.  und  50  tafeln  50  m. 
Kurath,   Hans,    The   semantic   sources  of  the   words   for  the  emotions  in  sanskrit, 

greek,   latin   and  the   germanic   languages.     [Chicago  dissert.]     Menasha,  Wis- 
consin 1921.     VIII,  68  s. 
Leacii,   Henry   Goddard,   Angevia   Britain  and  Scandinavia.     [Harvard  studies  in 

comparative   literature   VI.]     ("ambridge,   Harvard  university  press  1921.     XII, 

432  s.  3,5U  doli. 
Loen,  Joli.  Michael  von,  Goethes  grossoheim  (1694—1776),  sein  leben,  sein  wirken 

ynd    eine    auswahl   aus   seinen   Schriften   von   Siegfried   Sieb  er.     Leipzig, 

Historiaverlag  (Paul  Schraepler)  1922.     237  s.  und  1  portr.  60  ra. 
Luther.  —  Franke,    Carl,   Grundzüge  der  Schriftsprache  Luthers.     3.  teil:  Satz- 
lehre.    2.  aufläge.     Halle,  Wailenhaus  1922.     XII,  419  s. 
Magni'isson,  Arni.  —  A.  M.s  private   brevveksling   udg.  af    kommissionen    for   det 

Arnamagna'anske  legat.    Kobenb.  og  Krist.,  Gyldendal  1920.   (IV),  7.35  s.  10  kr. 
Matthias,  Theodor,  Sprachleben  und  Sprachschäden.    Ein  fiihrer  durch  die  Schwan- 
kungen und  Schwierigkeiten  des  deutschen   Sprachgebrauchs.     5.  aufl.    Leipzig, 

Friedr.  Brandstetter  1921.     XII,  503  s.  40  m. 
Naumann,   Hans,    Primitive    gemeinschaftskultur.     Beiträge    zur    Volkskunde    und 

mythologie.     .Jena,  Diederichs  1921.     (II),  196  s.  25  m. 
Nibelungenlied.  —  Der  Nibelunge  not  in  auswahl  und  mhd.  Sprachlehre  mit  kurzem 

Wörterbuch  von  W.  G  0 1 1  h  e  r.  6.  aufl.  [Sammlung  Göschen.]  Berlin  und  Leipzig, 

W.  de  Gruyter  &  co.  1922.     196  s.  geb. 
Nibelungensage.  —  Schröder,  Franz  Rolf,  Nibelungenstudien.    [Rhein,  beitrage  und 

hilfsbücher  zur  german.  philologieund  Volkskunde,  herausgegeben  von  Th.  Frings, 

R.  Meissner  und  J.  Müller.     VI.]     Bonn  und  Leipzig,  Kurt  Schröder  1921. 

(VIII),  58  s.  15  m. 


ZEITSCHRIFT  F.  DEUTSCHE  PHILOLOGIE.      BD.  XLLX. 


21 


310  NEUE    KKSCHEINUNCEN 

Jiotker.  —  Hoffmann,  Paul  Th.,  Der  mittelalterliche  mensch,  gesehen  aus  weit 
und  umweit  Notkers  des  deutschen.  Gotha,  F.  A.  Perthes  1922.  (VIII), 
356  s.  40  m. 

Olafs  saga  helga  efter  pergamenthaandskrift  i  Uppsala  universitetsbibliothek 
Delagardieske  samling  nr.  811  utg.  av  den  Norske  historiske  kildeskriftkom-' 
mission  ved  Oscar  Albert  Johnsen.  Kristiania,  J.  Dybwad  1922.  LVIL 
116  s.  und  1  facs.  7  kr. 

Ordbog  over  det  danske  sprog  grundlagt  afVerner  Dahlerup  med  understöt- 
telse  af  undervisningsministeriet  og  Carlsbergfondet  udg.  af  det  Danske  sprog-og 
litteratur-selskab.  Tredje  bind,  brge  —  de.  Kebenh.,  Gyldendal  1921.  VI,  4  s, 
u.  1268  sp.  -  Fjerde  bind,  debe  -  flytte.  VI.  s.  u.  1276  sp.  1922. 

Paul,  UermaBn,  Über  Sprachunterricht.    Halle,  Niemeyer  1921.     29  s. 

Petsch,  Robert,  Deutsche  dramaturgie.  1.  band:  Von  Lessing  bis  Hebbel.  2.  aufl. 
Hamburg,  Paul  Härtung  1921.     LVI,  194  s.  geb.  26  m. 

Plpping,  Hugo,  Inledning  tili  studiet  av  de  nordiska  spriikens  Ijudlära.  Helsing- 
fors,  Söderstrom  &  co.  1922.     XII,  211  s. 

Pohl,  Gerhard,  Der  strophenbau  im  deutschen  Volkslied.  [Palaestra  136.]  Berlin, 
Mayer  &  Müller  1921.     yill,  219  s.  28  m. 

Rother,  herausgegeben  von  Jan  de  Vries.  [German.  bibliothek,  herausgegeben 
von  W.  Streitberg.     II,  13.]    Heidelberg,  Winter  1922.    CXV,  129  s.  28  m. 

Runen.  —  Lin  dquist,  Ivar,  Runinskriften  pä  Hogastenen  i  Bohuslän.  Ett  rätts- 
dokument  frän  700-talet.  Särtryck  ur  Göteborgs  och  Bohusläns  fornminnesför- 
enings  tidskrift.     Göteborg,  Elanders  boktrykkeri  a.  b.  1921.     13  s. 

Schiffniann,  Konrad,  Das  Land  ob  der  Enns.  Eine  altbaierische  landschaft  in  den 
naraen  ihrer  Siedlungen,  berge,  flüsse  und  seen.  München  und  Berlin,  R.  Olden- 
bourg  1922.     XII,  248  s.  cart.  68  m. 

Schleierinacher.  —  Schleiermacher  als  mensch.  Sein  werden,  farailien-  und  freundes- 
briefe  1783—1804.  In  neuer  form  mit  einleitung  und  anmerkungen  heraus- 
gegeben von  Heinrich  Meisner.  Gotha,  Fr.  Andr.  Perthes  1922.  (IV), 
368  s.  und  3,  abbildungen  geb.  60  m. 

Seiler,  Frledr.,  Deutsche  sprichwörterkunde.  [Handbuch  des  deutschen  Unter- 
richts .  .  .  begründet  von  A.  Matthias.  IV,  3.]  München,  C.  H.  Becksche 
Verlagsbuchhandlung  1922.     X,  457  s.  geb.  85  m. 

Skalden.  —  Meissner,  Rudolf,  Die  kennin^ar  der  skalden.  Ein  beitrag  zur 
skaldischen  poetik.  [Rhein,  beitrage  und  hilfsbücher  zur  german.  philologie 
und  Volkskunde,  herausgegeben  von  Th.  Frings,  R.  Meissner  und  Jos. 
Müller.     I.]     Bonn  und  Leipzig,  Kurt  Schröder  1921.     XII,  437  s.  80  m. 

Sprüche,  Merseburger.  —  Meissner,  Rudolf,  Cuonio  uuidi.  [Sonderabdruck 
aus  der   Festgabe   für  Friedr.  von  Bezold.]     Bonn,  Kurt  Schröder  1921.     16  s. 

Stolz,  Alban.  —  Mayer,  Julius,  Alban  Stolz.  Freiburg  i.  Br.,  Herder  &  co. 
1921.     X,  619  s.,  10  abbild.  und  1  facs.  geb.  115  m. 

Studier  i  modern   spräkvetenskap   utgivna  av  Nyfllologiska  sällskapet  i  Stockholm. 
VIII.  Upsala,  Almqvist  &  Wiksells  boktryckeri-a.-b.  1921.    (IV),  163  s.  6,50  kr. 
Darin    u.  a. :    A.    Nordfeit,    Det    historiska    beviset    för    Eufemiavisornas 
älder.  —  J.  Reinius,  Nägra  anmärkningar  tili  tysk  grammatik. 

Studiei',  Nysvenska.  Tidskrift  för  svensk  stil-  ok  spräkforskning  utg.  av.  Bengt 
Hesselraan  och  OlofÖstergren.  1.  arg.,  1—3.  haftet.  Uppsala,  Akadem. 
bokhandeln  1921.     144  s.   Preis  für  den  Jahrgang  8  kr. 


NTIUE    ERSCHEINUNGEN  311 

Neue    folge    von    'Spräk    och   süV,  die    ihr  erstes  heft  mit  einem  aufsatz  von 

Nils  Syanberg  über  Heines  einfluss  auf  Fröding  eröffnet. 
TannhäDser,  Der,  herausgegeben  von  S.  Singer.     Tübingen,  J.  C.  B.  Mohr  1922, 

VIII,  47  8.  15  m. 
Yogi,  Friedr.,  Geschichte  der  mittelhochdeutschen   literatur.     1.  teil.     8.  umgearb. 

aufläge.      Berlin   und^  Leipzig,  Vereinigung  wissenschaftlicher  Verleger  (Walter 

de  Gruyter  &  co.)  1922.     X,  363  s.  55  m. 
Wasserzieher,  Ernst,  Deutsche  Sprachgeschichte,  anregungen  und  beitrage  zu  ihrer 

behandlung   auf   der    schule.      [Deutschunterricht    und    deutschkunde,    heft   7.] 

Berlin,  Otto  Salle  1921.     64  s.  6m. 
Weibull,    Curt.  Sverige  och  dess  nordiska  grannmakter  under  den  tidigare  medel- 

tiden.     Lund,  Gleerup  1921.     VIII,  196  s.  12  kr. 
Wolff,  Ludwig,  Studien  über  die  dreikonsonanz  in  den  german.  sprachen.  [German. 

Studien  .  .  .,  herausgegeben    von   E.  Ehering.   11.]     Berlin.   E.  Ehering  1921. 

(IV),  190  s.  24  m. 
Wolters,  Friedr.  und  Petersen,  Karl,  Die  heldensagen  der  germanischen  frühzeit. 

Breslau,  Ferd.  Hirt  1921.     (VIII),  315  s.  34  m. 


ZEITSCHRIFT 


FÜR 


DEUTSCHE  PHILOLOGIE 


BEGRÜNDET  von  JULIUS  ZACHER 


HERAUSGEGEBEN 


VON 


Hugo  Gering  und  Friedrich  Kauffmann 


FÜNFZIGSTER  BAND 


VERLAG  VON  W.  KOHLHAMMER  /STUTTGART  192G 


Druck  V  0  II  W.  K  o  li  1  li  a  ni  in  e  r   in    Stuttgart 
P  1'  i  u  t  e  d    in   G  e  r  ni  a  n  y 


Inhalt. 

Abhandlungen. 

Seite 

Der  Eügelberger  prediger.     Von  Philipp  S  trau  ch 1.  210 

Der  Ursprung  der  lateinischen  osterfeiern.     Von  Joseph  Klapper.     .     .     .  46 

Zur  Eddametrik.     Von  Hugo  Gering 128 

Die  nordische  und  deutsche  Hildebrandsage.     Von  H.  de  Boor 175 

Hugo  Gering,     Von  F.  Kauf f mann 339 

Über  den  schicksalsgluuben  der  Germanen.    Von  F  Kauffmann       ....  361 

Briefe  von  Klopstock  und  Gleim.     Von  K.  Vietor 408 

Miszellen. 
Auszüge   aus   briefen    der   brüder   Grimm   an    Salomon   Hirzel.     Von  Albert 

L  e  i  t  z  m  a  n  n .')B.  241 

Liscows  zitate.     Von  AlbertLeitzmann 79 

Magister  Ardelio.     Von  AlbertLeitzmann 92 

Runensachen.    Von  Th.  von  Grienberger 274 

Die  komposition  der  Geuchmat  Thomas  Slurners.  Von  Eduard  Fuchs  .  .  419 
Übertragungen  bekannter  und  unbekannter  lateinischer  gedichte  Paul  Flemings. 

Von  AntonEnglert 429 

Matthissoniana.     Von  AlbertLeitzmann 431 

Literatur. 

Eduard  Sievers,  Die  Eddalieder;  angez.  von  HugoGering  .  .  .  .  93 
Rittershaus,  Frau  Dr.  Adel  in  e,  Altnordische  frauen  ;  angez.  von  W.H.Vogt  97 
Friedrich  Michael,  Die  anfange  der  theaterkritik  in  Deutschland;  angez. 

von  HansDevrient 97 

Werner   Mahr  holz,    Deutsche    Selbstbekenntnisse;    angez.   von    Philipp 

Strauch lol 

Albert    Leitzmann,    Quellenschriften    zur    neueren    deutschen    literatur; 

angez.  von  KarlBorinski 104 

Borcherdt,  Dr.  Hans  Heinrich,  Augustus  Buchner  und  seine  bedeutung 

für  die  deutsche  literatur  des  17.  jahrhundeits;  angez.  von  K.  Boriuski     105 

Hans  Sperber,  Motiv  und  wort;  angez.  von  KarlBorinski Iü7 

Kazimir   Beik,    Zur   entstehungsgeachichte   von   Goethes   Torquato   Tasso; 

angez.  von  Otto  Pnio wer 108 

Karl  Vietor,  Die  lyrik  Hölderlins;  —  Die  briefe  der  Diotima;  —  Hfilderlia 

und  Diotima;  angez.  von  FranzZinkernagel 111 

Hermann  Glockner,  Fr.  Th.  Vischers  ästhetik ;  angez.  von  Paul  Schultz  114 
Wolf    von    Unwerth,     Proben   deutschrussischer   mundarten;     angez.    von 

V.  Moser 115 

J.  Lindem  an  n,   Über  die   alliteration   als   kunstform   im   volks-  und    sjjiel- 

mannsepos;  angez.  von  GeorgBäsecke 117 

Friedrich  Kluge,  Deutsche  namenkunde;  angez.  von  Th.  v.  Grien  berge r  118 
Pa.ul  Gau  er.  Von  deutscher  Spracherziehung;  angez.  von  Th.  Matthias  .  119 
Dr.  Katharina  Schreiner,  Die  sage  von  Hengist  und  Horsa;  angez.  von 

Walter  A.  Berendsohn 234 

Friedrich   Seiler,   Die   entwicklung   der  deutschen  kultur  im  Spiegel  des 

deutschen  lehiiworts;  angez.  von  Gustav  Bin  z 285 


rV  INHALT 


Seite. 


Humbert    Dell'mour,    Altdeutsche    Sprachlehre   für  anfänger;   angez.  von 

V.  Moser '. 286 

Walther  Zies einer,    Das   grossfi   ämterbuch  des  deutsclien  ordens;  angez. 

von  Karl  Hei  in.     .     .     .1 '291 

Albert   Küster,    Die   raeistersing,-erbühne   des  16.  Jahrhunderts;  angez.  von 

Johannes  Bolte  .     .     .     j 292 

P  rieb  seh,  Bruder  Rausch;  angez.  von  Robert  Pctsch 293 

Hans   Schauer,   Christian  Weises   biblische   dramen   und  Christian  Reuters 

werke;  angez.  von  GeorgEllinger 296 

Hans   Müller,   Lebeusansichten   des  katers  Murr  und  Zwölf  berlinische  ge- 

schichten  aus  den  jahreu  155il-1816;  angez.  von  Georg  Ellinge r   .     299 
Johannes  Günther,  Dar  theaterkritiker  Heinrich  Theodor  Rötscher;  angez. 

von  Hans  Devrient  . BIS 

Louis    Brun,    Hebbel    sa    personnalite   et  sou    osuvre   lyrique;    angez.   von 

H.  Weiss-Bass 322 

Karl   von  A  m  i  r  a ,  Die  germ.  todesstrafen  ;  angez.  von  M.  P  a  p  p  e  n  h  e  i  m  .     443 
Dr.  Paul  Th.  Hoff  mann,  Der  mittelalterliche  mensch;  angez.  von  H.  Nau- 
mann       455 

Andreas  Heusler,  Nibelungensage  und  Nibelungenlied;  angez.  von  Fried- 

richPanzer 4!)6 

J.  Tauler    ed.  A.  L.  Corin,    Bibliotheque    de   la   faculte   de   philosophie   et 

lettres  de  l'universitede  Liege;  angez.  von  Philipp  Str au  ch    .     .     .     462 
Albert   Schreiber,    Neue    bausteine   zu    einer    lebensgeschichte   Wolframs 

von  Eschenbach;  angez.  von  AlbertLeitzmann 467 

Karl  Lach  mann,    Die  gedichte   Walthers   von   der   Vogelweide    8.  ausg.; 

angez.  von  AlbertLeitzmann 4()8 

Sven  Norrbom,  Das  Gothaer  mnd.  arzneibuch  und  seine  sippe;  angez.  von 

J.  Klapper .     471 

Hugo  Gering,  Abwehr .     326 

Scherer- Stiftung 122 

Neue  erscheinungen    .     .     .     : 122.  333 

Verzeichnis  der  Mitarbeiter  und  ihrer  Beiträge  in  Band  XLI— L  der  Zeitschr.     474 

Nachrichten 126.  332.  489 

Mitteilung ' 338 

Register  zu  band  49  und  5(>.    Von  0.  Schar bou 490 


Die  Zeilsclirift  für  deutsohe  pliilolo^ie  erscheint  in  bäiideu  von  je  4  heften  in  duichechnitt- 
lichera  umfang  von  K  bosou  zum  preise  von  Ji  20. —  jiro  band.  Zu  beziehen  durch  alle  buch- 
haudlungen.      Einzelne    hefte   werden    nur   im    buchhandel     und    nur  zu  erhöhtem  preise  abgegel)en. 

Die  manuskripte  müssen  in  d  r  u  ck  f  e  r  ti  gern  zustand  abgeliefert  werden.  Die  geehrten 
herren  mitarbeiter  werden  höflichst  ersucht,  zu  ihren  manuakripten  lose  quarthlätterzu 
verwenden,  deutlich  und  nur  auf  einer  seite  des  blattes  zu  schreiben  und  einen 
breiten  rand  freizulassen. 

Die  mitarbeiter  erhalten  10  s  e  para  tabzQg  e  ohne  besondere  paginierung  kostenfrei  ge- 
liefert, jedoch  uiclit  vor  ausgäbe  des  heftes,  in  welchem  der  betr.  beitrag  erscheint.  Kine 
grössere  anzahl  Separatabzüge  kann  nur  nach  rechtzeitig  erfolgter  Verständigung  mit  der  vcr- 
lagshandlung  angefertigt  werden.     Dieselben  werden  mit  3  Pfg.  für  jede  druckeeite  berechnet. 

Die  erste  korrektur  der  beitrage  wird  in  der  druckerei,  die  zweite  vom  Verfasser,  die 
dritte  von  der  redaktion  gelten. 


DER  ENGELBERGER  PREDIGER 

Wackernagel  hat  in  seinen  Altdeutsehen  predigten  aus  zwei  Engelberger 
hss.  -  cod.  335  (Sa)  und  336  (Sb),  siehe  B.  Gottwalds  Cat.  p.  237, 
Wackernagel  s.  283  f.  -  unter  nr.  LXVIII,  LXIX  und  LXX  (s.  182-208) 
drei  predigten  mitgeteilt,  die  Rieger  ebenda  s.  583-598  durch  weitere 
handschriftliche  excerpte  aus  Wackernagels  nachlass  ergänzte,  um  darauf 
s.  436-438  seine  Charakteristik  des  an  Tauler  gemahnenden  Engel- 
berger Predigers  aufzubauen.  Vgl.  auch  Cruel,  Gesch.  der  deutschen 
predigt  im  raittelalter  s.  399-402;  Linsenmayer,  Gesch.  der  predigt 
in  Deutschland  s.  151,  444-447;  Preger,  Gesch.  der  deutschen  mystik 
3,  230  f.  359.  Schon  die  auszüge  Hessen  eine  anziehende  persönlichkeit 
als  Verfasser  dieser  an  die  Engelberger  benediktinerinnen  gerichteten 
klosterpredigten  erkennen,  in  denen  'tiefsinnige  und  gemütvolle  auf- 
fassung  mit  entschiedener  betonung  der  praktischen  anforderungen  des 
christlichen  lebens'  auf  das  glücklichste  vereinigt  ist.  Es  dürfte  daher 
geboten  sein,  nochmals  und  eingehender  auf  diese  sermone  zurück- 
zukommen. Einer  meiner  schüler,  H.  Pansegrau,  nahm  im  jähre  1906 
an  ort  und  stelle  eine  sorgfältige,  zeilengetreue  abschrift  der  beiden 
Codices,  musste  dann  aber  von  der  weiteren  bearbeitung  abstand 
nehmen.  Die  abschrift  ist  jetzt  eigentum  des  Deutschen  Seminars  in 
Halle  und  sollte  von  meinem  schüler  Friedrich  Knopf  näher  unter- 
sucht werden.  Auch  hier  Hess  der  krieg  -  Knopf  fiel  am  13.  februar 
1916  -  es  nicht  über  vorarbeiten  hinauskommen.  Da  nun  in  abseh- 
barer zeit  kaum  ein  vollständiger  abdruck  der  predigten  zu  erwarten 
ist,  möchte  ich  im  folgenden  die  ergebnisse  längerer  beschäftigung  mit 
dem  gegenstände  vorlegen. 

Cod.  335  (Sa  bei  Wackernagel;  das  Engelberger  benediktiner- 
nonnenkloster  wurde  1615  nach  Sarnen  verlegt),  eine  papierhs.  4"  aus 
dem  14.  Jahrhundert,  enthält  17  predigten  und  bricht  mit  bl.  148b  i  ab, 
dessen  letzte  zeile  nur  noch  das  textwort  der  18.  predigt  bietet.   Eigent- 

1)  Die  blattzählung  Wackernagels  zeigt  von  der  obigen  kleine  abweichungeu. 
ZEITSCIIUIFT  F.  DEUTSCHE  PHILOLOGIE.    BD.  L.  1 


8TRAUCH 


lieh  sind  es  nur  147  bll.,  da  vor  bl.  148  ein  blatt,  das  letzte  einer 
läge,  abhanden  gekommen  ist.  Wackernagel  vermutete,  die  bälfte  der  hs. 
möchte  verloren  gegangen  sein,  doch  siehe  s.  3.  Es  sind  tünf 
Schreiberhände  zu  unterscheiden:  I  bl.  la  (am  oberen  runde  Fiiieat  in- 
cepUnn  scä  Maria  meum)  bis  40a,  24  zeilen  auf  der  seite,  enthalten  die 
predigten  1-4.  II  bl.  40b-51b^  25-27  zeilen  auf  der  seite,  predigt  nr.  5; 
bl.  52a  unbeschrieben.  III  bl.  52b-56b,  36  und  37  zeilen  auf  der  seite, 
predigt  nr.  6 ;  die  schrift  ist  im  allgemeinen  elegant  und  klar,  die  ab- 
schrift  als  solche  jedoch  oft  flüchtig.  Der  Schreiber  der  6.  predigt 
unterscheidet  sich  in  manchem  von  den  übrigen  bänden:  eingangs  ist 
das  biblische  textwort  nur  in  deutscher  Übersetzung  wiedergegeben, 
der  sonstigen  gepflogenheit  in  der  hs.  entgegen.  Bl.  561^  findet  sich 
nach  dem  Amen  am  schluss  der  predigt  der  auf  ihren  Inhalt  bezug 
nehmende  eintrag:  Bittend  got  für  mich,  das  mir  dis  lieht  und  och 
allen,  den  ich  des  selben  gunn,  ze  grimd  offen  iverd,  hie  dur  vorttan 
('gottesfurcht'?)  und  minne,  dörcht  dur  messen  und  schoben.  Auch  in 
der  Schreibung  geht  diese  band  ihre  eigenen  wege,  während  sonst  die 
Orthographie  der  einzelnen  bände  ein  ziemlich  gleichmässiges  gepräge 
zeigt.  Bl.  57a,  58a, b  unbeschrieben;  bl.  57b  enthält  nur  den  eintrag 
sei  spirif  assit  nöb  gra.  IV  bl.  59a-63a,  28-31  zeilen  auf  der  seite, 
predigt  nr.  7  mit  dem  vermerk  am  schluss  Gedeiikent  och  min  durch 
got  Vnd  biiend  öch  got  für  mich.  amen,  das  ivd;  bl.  63b  unbeschrieben. 
V  bl.  64a  _  zum  schluss,  24-26  zeilen  auf  der  seite,  predigt  nr.  8-17. 
Pansegrau  hält  den  zweiten  und  fünften  Schreiber  für  identisch.  V  um- 
fasst  sieben  lagen  zu  zwölf  blättern,  also  sexterne;  in  läge  7  fehlt  das 
letzte  blatt  (147);  die  Verteilung  der  lagen  ist  folgende:  bl.  64-75, 
76-87,  88-99,  100-111,  112-123,  124-135,  136-147;  mit  bl.  148 
begann  die  achte  läge,  womit  die  hs.  abbricht. 

Cod.  336  (Sb  bei  Wackernagel,  vgl.  s.  284  nr.  LXX),  eine 
papierhs.  4*^  aus  dem  14.  Jahrhundert  mit  212  blättern,  enthält  23  pre- 
digten, von  der  letzten  nur  den  anfang.  Auch  an  ihr  waren  mehrere 
Schreiber  tätig,  doch  kommt  der  grösste  teil  auf  rechnung  der  auch  in 
Sa  wirksamen  fünften  band  und  zwar  bl.  1-62,  92-200.  Bl.  1-60  mit 
25  Zeilen  auf  der  seite  sind  aus  fünf  lagen  zu  12  blättern  gebildet, 
bl.  12b,  24b,  36b,  48b  zeigen  unten  am  rande  das  kennwort,  mit  dem 
die  neue  läge  beginnt.  Bl.  61,  62  sind  angefügt,  um  die  6.  predigt 
zum  abschluss  (62b,  8)  zu  bringen.  Bl.  92-200  ergeben  gleichfalls 
neun  lagen  zu  12  blättern  mit  27  zeilen  auf  der  seite  bis  139b,  von 
140a  ab  mit  29,  25,  24,  gelegentlich  auch  26  und  27  zeilen  auf  der 
seite.     Der   erste  sextern  trägt   92a  unten   die   lagenbezeichnung  Tre- 


DER   ENGELBERGER   PREDIGER 


decimus,  bl.  188»  als  letzte  Vicesimus  primus.  Wenn  Pansegrau  in 
Übereinstimmung  mit  Wackernagel  den  Schreiber  in  Sb  mit  der  fünften 
band  in  Sa  identifiziert,  dann  dürfte  Wackeruagels  Vermutung,  von  Sa 
sei  die  hälfte  verloren  gegangen,  vielleicht  genauer  dahin  festzulegen 
sein,  dass  man  einen  abgang  von  im  ganzen  fünf  sexternen  anzu- 
nehmen hat.  Umfasste  Sb  92-200  die  lagen  13-21,  Sa  64  bis  zum 
jetzigen  schluss  läge  1-8  (von  letzterer  blieb  freilich  nur  bl.  148,  mit 
dem  lagenvermerk  (versehentlich  9'  statt)  8'  auf  bl,  148a  unten  am  rande, 
erhalten),  dann  hatte  der  jetzt  fehlende  teil  von  Sa  ursprünglich  wohl 
ausser  dem  8.  noch  die  sexterne  9-12  gefüllt.  Beide  Codices  wären 
dann  auch  ihrem  äusseren  umfange  nach  fast  gleich  gewesen. 

Neben  diesem  tätigsten  Schreiber  (I),  der  im  ganzen  15  predigten 
(nr.  1-6,  12-20)  aufzeichnete,  haben  aber  auch  in  Sb  noch  andere 
bände  mitgewirkt.  II  bl.  63a-91b,  32,  vereinzelt  27-33  zeilen  auf  der 
Seite,  pred.  nr.  7-11;  die  band  ist  im  vergleich  zu  I  wenig  sorgfältig; 
für  mensche,  auch  für  menschheit  {z.  b.  69a,  5)  ist  M  geschrieben,  Jhesvs 
durch  ih^  und  /^  abgekürzt.  Vorübergehend  setzt  für  bl.  71a  eine  dritte 
band  ein,  aber  nur  für  diese  eine  seite;  sie  ist  wesentlich  klarer, 
gefälliger  als  11,  sie  stellt  die  buchstaben  etwas  mehr  nach  links  hin- 
über, während  II  sie  senkrechter  setzt,  zwischen  u  und  n  ist  strenge 
geschieden.  Bl.  9la  ist  halb,  91b  garnicht  beschrieben.  IV  bl.  201*  bis 
203a,  24  Zeilen  auf  der  seite,  schluss  der  pred.  nr.  20 ;  bl.  203b  frei. 
V  bl.  204a-212c,  zweispaltig,  die  spalte  mit  40  zeilen,  abgesehen  von 
gelegentlichen  Schwankungen,  pred.  nr.  21,  22.  Der  Schreiber  hat  oft 
recht  flüchtig  geschrieben.  VI  bl.  212c,  d  anfang  der  pred.  nr.  23,  wo- 
mit die  hs.  mitten  im  satze  abbricht.  Der  Schreiber  schreibt  nicht 
schlecht,  doch  ist  die  schrift  völlig  verblasst,  am  rande  verstümmelt 
und  abgegriffen. 

Sa  wie  Sb  sind  abschriften.  Das  äuge  des  Schreibers  ist  gelegent- 
lich vorausgeeilt,  der  Irrtum  ist  dann  nachträglich  durch  b,  a  richtig 
gestellt  (Sa  3b,  10)  oder  der  vorweg  genommene  satz  gestrichen  worden 
(Sa  3b,  16  f.  vgl.  4a,  1.  2;  7a,  .5  vgl.  7;  12a,  19  vgl.  21;  84b,  15  f.  vgl. 
17  f.;  Sb  32a,  3  vgl.  5;  76b,  1  vgl.  3;  108a,  13.  14  vgl.  17.  18).  - 
Sa  129a,  19  ist  eine  zunächst  übersehene  stelle  nachgetragen,  wie  über- 
haupt des  öfteren  die  gleiche  band  nachgebessert  hat;  nur  vereinzelt 
findet  sich  correktur  oder  nachtrag  von  anderer  band  (Sa  20b,  21). 
Lücken  sind  selten  (Sa  6b,  16.  118a,  9  =  Wackernagel  Altd.  pred.  68 
z.  352;  Sb  82b,  25). 

Die  predigten,  in  Sa  17  an  der  zahl  (nr.  18  ist  nur  noch  durch 
das  textwort  vertreten),  in  Sb  22  (von  nr.  23  ist  nur  der  anfang  über- 

1* 


4  STRAUCH 

liefert),  halten  keine  feste  anordnung  nach  dem  kirchenjahr  ein.     Sie 
verteilen  sich  auf  folgende  tage  ^ : 

Sa     1'^  nr.  1  Adventspredigt.    Luc.  3,  4  ist  das  evang.  Sabb.  Quatt.  temp.  Adventus, 
Joh.  1,  23  das  evang.  Dom.  IV  Adventus  nach  dem  Missale  Constant.  (1504); 
da  der  prediger  aber  diesem  textwort  nach  der  deutschen  Übersetzung  so- 
gleich Matth.  3,  2  folgen  lässt,  bevorzugte  er  wohl  die  mit  den  genannten 
evangelisten  gleichlautende  bibelstelle  Matth.  3,  3. 
9b  nr.  2  Vo»  dem  Adventt  Christi:  1  Reg.  7,  3  lässt  sich  für  den  advent  nicht 
belegen,  wohl  aber  im  brevier  (Brev.  Constant.  von  1516)  in  Feria  IV  post 
Dom.  II  post  Pentec. 
19a  nr.  3  S.  Andreas  (30  uov.). 
29b  nr.  4  S.  Andreas,  Matth.  4,  19. 
40b  nr.  5  Vigil.  s.  Andreae,  Joh.  1,  39. 
.52b  nr.  6  Epiphania,  Isai.  60,  1. 
59b  nr.  7         ?        ,  Apoc.  3,  12. 
64a  nr.  8  S.  Benedictus  (21  märz),  Job  28,  10,  der  text  ist  im  Missale  Constant. 

bei  s.  Benedict  nicht  zu  finden. 
73*  nr.  9  Fortsetzung  von  nr.  8. 

84a  nr.  10  Feria  IV  Quatt.  temp.  Quadrag.,  Matth.  12,  43-45. 
91«,  101»  nr.  11.  12  Fortsetzung  von  nr.  10. 
106b  nr.  13  Dom.  II  Adventus   nach   dem   Missale  Constant.,  Dom.  I  Adv.  nach 

dem  Missale  Romanum,  Luc.  21,  25. 
120b  nr.  14  Dom.  XXI  post  Pentec,  Joh.  4,  52. 
129a  nr.  15  In  ascensione  domini  ?  Ps.  96,  3.  (Der  psalm  ist  der  erste  der  3.  noc- 

turn  im  brevier  dieses  tages.) 
137a  nr.  16  Fortsetzung  von  nr.  15. 
145a  nr.  17  Dom.  I  Quadrag.,  2.  Cor.  6,  1. 
148b  nr.  18      ?      ,  Apoc.  14,  13. 
Sb     la  nr.  1  Dom.  I  post  Pentec.  (Missale  Constant.),  1.  Joh.  4,  16. 
10b  nr.  2  Dom.  I  post  Pentec,  Luc  16,  19. 
2ob  nr.  3  Dom.  II  post  Pentec.  (Missale  Constant.),  Luc.  14,  17. 
33a  nr.  4  Dom.  II  post  Pentec,  Luc  14,  17. 
43b  nr.  5  Fortsetzung  von  nr.  4. 
53b  nr,  6  ?  ,1  Macc.  4,  57,  58, 

63a  nr.  7  Feria  VI  post  Dom.  III  Quadrag.,  Joh.  4,  5. 
74a  nr.  8  Dom.  X  post  Pentec,  Luc.  18,  10. 
77b  nr.  9  Dom.  XIII  post  Pentec,  Luc.  17,  11. 
83a  nr.  10  Dom.  XIV  post  Pentec,  Gal.  5,  16,  17. 
87a  nr.  11  Dom.  XV  post  Pentec,  Gal.  5,  25,  Fortsetzung  von  nr.  10. 
92a  nr.  12  Maria  Magdalena  (22  juli),  Cant.  6,  9  (die  textstelle  nicht  im  Missale). 
102a  nr.  13  ?  ,  (Jerem.  6, 2). 

1)  Bei  der  festlegung  der  sonn-  und  festtage  hat  mich  K.  Bihlmeyer  in 
Tübingen,  bereitwillig  wie  immer,  unterstützt.  Wenn  nicht  alle  predigttexte  auf 
bestimmte  tage  des  kirchenjahres  sich  festlegen  lassen,  so  darf  vermutet  werden, 
dass  der  prediger  dann  seinen  text  nicht  der  liturgie  entnommen,  ihn  vielmehr 
frei  gewählt  hat. 


DER   ENaELBKRGKR   PREDIGER  5 

lib^  nr,  14  Dom.  VI  post  Pentec,  Marc.  8,  8. 

128a  nr.  15  S.  Petri  viucula  (1  aug.),  Act.  12,  6. 

135a  nr.  16  S.  Peter  (29  juni),  Matth.  16,  16. 

14:4b  nr.  17  Dedicatio  ecclesiae,  Ps.  33,  9,  Luc.  19,  4,  5. 

163a  nr.  18  ?  ,  Ps.  29,  2. 

184a  nr.  19  Dom.  III  Adv.  (Missale  Constant.),  Matth.  11,  3. 

1901»  nr.  20  Dom.  III  Adv.  (Breviar.  Constant.),  siehe  unten. 

204a  nr.  21  Nativitas  Domini  (vgl.  Migne.  Patrol.  lat.  184,  827),  Cant.  1,  2. 

208a  nr.  22  schliesst  sich  an  nr.  21  an,  Cant.  1,  2. 

212b  nr.  23  Missa  HI  Nativitatis  Domini,  Joh.  1,  14. 

Die  sermone  beginnen  mit  dem  lateinischen  textwort,  das  un- 
mittelbar darauf  verdeutscht  wird,  gelegentlich  auch  zu  einer  ausführ- 
licheren Wiedergabe  des  capitels  führt,  dem  das  einzelne  textwort 
entnommen  ist.  Neben  den  lateinischen  bibelcitaten  und  der  folgenden 
deutschen  Übersetzung  stehen  freiere  deutsche  ohne  lateinischen  text; 
diese  sind  nicht  immer  sicher  zu  identifizieren,  da  sie  nicht  den  Wort- 
laut des  Originals  genau  wiedergeben,  sondern  nur  den  gedanken  zum 
ausdruck  bringen.  Am  schluss  der  predigt  stellt  sich  weitaus  über- 
wiegend die  formel  des  helf  (dz  verlieh  Sb  20)  uns  (mir  wid  lich 
Sa  13,  Sb  4,  18,  19)  der  vatter  (got  der  v.  Sb  22)  und  der  sun  und  der 
heilig  geist.  amen  ein,  der  Sb  13,  15  noch  der  satz  daz  uns  dis  allen 
gescheche,  Sb  20  daz  uns  dis  allen  g.  hie  in  zu  und  dort  in  ewigkeit 
vorausgeht.  Abweichend  lautet  nur  Sa  2  des  helf  uns  der  minnenklich 
gemachel  Christus  selber,  amen,  Sa  7  dar  zu  helf  uns  daz  dripersönlich 
einiges  wesen  vater  sun  heiliger  geist,  Sb  6  d.  h.  uns  du  hoch  drivaltikeit 
selber,  amen,  eivanklich  amen;  Sa  6  klingt  aus  unser  herr  J.  Chr.  der 
mit  dem  vatter  in  minn  des  hailigen  gaistes  lept  und  richset  von  weit  ze 
weit.  amen.  Ohne  formelhafte  Schlusswendung  sind  geblieben  Sa  16, 
17,  Sb  21. 

Sämtliche  predigten  rühren  von  einem  und  demselben  Verfasser^ 
her,  der  zweifellos  dem  Engelberger  benediktinerkloster  angehörte  und 
wohl  beichtvater  bei  den  dortigen  benediktinerinnen  'bei  St.  An- 
dreas'   war,    an   die   alle   stücke    in   erster   linie   sich   wenden  ^.      Der 

1)  In  Sa  bezieht  sich  nr.  5  auf  die  4.  predigt,  nr.  9  ist  fortsetzung  von  8, 
nr.  11.  12  von  10,  nr.  16  von  15;  in  Sb  setzen  nr.  5  predigt  4,  nr.  11  predigt  10 
fort,  die  2.  predigt  beruft  sich  18b,  15  auf^  nr.  1,  die  15.  predigt  132a,  27  auf  nr.  13 
(110b,  2),  die  22.  predigt  208a,  49  f.  auf  nr.  21. 

2)  Vgl.  Sa  9Ga,  18  du  vindest  öch  menig  gut  bild  an  dinen  froiven,  die  tot 
sint,  vo7t  den  du  hörst  sagen,  wie  volkomenlich  si  gelebt  haut,  und  du  stehest  öch  noch 
gät  bilde  an  dien  die  noch  lebent.  —  Nur  eine  weibliche  Zuhörerschaft  ermöglichte 
auch  den  ausspruch :  Sa  85b,  15  bei  seiner  gehurt  ist  das  kind  ein  kind  des  teufeis, 
getauft  wird  es  ein  kind  des  vaters,  eine  Schwester  des  sohnes,  ein  gemahl 
des  h.  geistes. 


b  STRAUCH 

schweizer  '  Ursprung  wird  durch  folgende  Wendungen  gestützt:  Sa  93a,  16 
(Wackernagel  s.  436)  werden  die  menschen,  die  uf  disen  bergen  erzogen 
sint,  von  den  Städtern  unterschieden,  Sb  13a,  H  min  frowe  du  schidt- 
heiss(e),  min  herre  der  amman  (Schweizer  idiotikon  2,  1683.  4,  246)  zitiert. 
Ob  an  Einsiedeln  gedacht  werden  darf,  wenn  Sb  198a,  5  neben  Pilger- 
fahrten nach  Rom  und  Avignon  auch  zil  unser  frowen  genannt  ist^? 
Basel  wird  Sb  82a,  lo  (=  Wackernagel  70,  223)  erwähnt,  desgl.  Sb  101a, 
6  f.  Zürich  (siehe  unten). 

Ich  gebe  im  folgenden  zunächst  eine  inhaltsanalyse  der  predigten. 

Sa  1.  Bl.  la.  Adventspredigt.  Ego  vox  clamantis  in  deserto.  Ich  bin  ein 
Stirn  des  raffenden  in  der  wüsti  (Matth.  3,  3,  Vgl.  Luc.  3,  4 ;  Joh.  1,  23).  Penitenciam 
agite,  appropinquavit  e?iim  regnum  celorum  (Matth.  3,  2).  Die  auslegung  gilt  den 
Worten  vox  damcmtis  und  desertum.  Es  gibt  dreierlei  wüste  (2*,  22 ff.):  eine  leib- 
liche, eine  geistliche  und  eine  göttliche.  In  die  erste  ruft  die  stimme  der  'Ordnung', 
in  die  zweite  die  stimme  Jesu  Christi,  in  die  dritte  ruft  gott  sich  selbst:  hie  estfilius 
mens  dilectus.  In  der  ersten  findet  man  nüt  kitten  (ausser  einsiedlern  und  heiligen), 
denn  sie  ist  wüst,  in  der  zweiten  sind  nichts  als  disteln  und  dornen  (menschliche  sünden, 
Christi  leiden),  in  der  dritten  rote  und  weisse  rosen  und  mengerley  minnenklicher 
blämen  tmd  süsse  wolgeschmaki  kriitter  und  edel  würtzen  und  der  minnenklichen  vSgellin 
gesang;  in  ihr  sind  die  menschen,  die  do  sint  tvorden  formlos  und  bildlos  aller 
geschafner  dingen  (4»,  10  ff.).  Des  rufenden  stimme  ist  eine  siebenfache  (5a,  Iff.): 
vox  doniini  super  aquas  (=  sünden,  5*  3),  vox  d.  in  virtute  (5b,  10),  vox  d.  in  magni- 
ficentia  (grosmutkeit  der  tiigent  6a,  10);  zuo  dem  vierden  mal  so  rüffet  disti  stim  uf 
den  zederböm  (6b,  4,  siehe  unten);  vox  d.  intercedentis  flamam  ignis  (7a,  9),  vox 
d.  concutientis  desertum  (7b,  11),  vox  d.  preparantis  cervum  (hie  mit  manet  er  den 
mdnschen  das  er  sich  bereit  als  der  hirtz  8»,  16,  siehe  unten).  ■ 

1)  Siehe  auch  die  schweizerischen  werte:  ^ 

*asne  (asnü)  Sb  107a,  7:  schitter  ab  einer  a.  tverfen  'balkenwerk  über  dem 

herde  zum  trocknen  und  dörren  des  holzes',  Schweizer  idiotikon  1,  504; 
ettich  stf.  hectica  Sb  149»,  19 f.  in  e.  vallen,  siehe  Schweizer  idiotikon  1,599  ff.; 
*hirte  swf.  eine  bestimmte  zeit  des  Jahres  (siehe  Schweizer  idiotikon  2, 1649): 

Sa  82b,  22  s.  Benedict  der  tvas  als  gar  mit  got  vereint,  das  er  mit  ivüste, 

weler  hirten  es  in  dem  jar  was. 
kerse  (kris)  stf.  Sa  81b,  8,  14,  siehe  Schweizer  idiotikon  3,  480. 
luvetsche  (lubetsch)  stm.  einfältiger  mensch,   narr   Sb  4»,  1  =  Wackernagel 

Altd.  pred.  s.  597,  16,  siehe  Schweizer  idiotikon  3,  997;  Schmidt,  Hist. 

wörterb.  d.  elsäss.  mundart  s.  227b  j 
*vlederschen  swv.  flattern,   von    der   taube  Noas  Sb  6b,  9,   siehe  Schweizer 

idiotikon  1,  1230; 
vluo  (fl&h)  stf.  steiler  fels  Sb  78a,  27  =  Wackernagel  70,  28,  siehe  Schweizer 

idiotikon  1,  1184. 

2)  Sb  198a,  3  wir  Sechen  das  wol  wo  ein  grosz  geselleschaft  mit  ein  ander  gat 
ze  Rome  oder  ze  Aviun  oder  zä  unser  frowen  odvr  ande(r)  ferr  weg  usw.  Dem  zu- 
sammenhange nach  könnte  aber  auch  ein  entfernterer  Wallfahrtsort  gemeint  sein. 


DfiR    ENGELBKRGER   PtlEDIGßR  7 

2.  Bl.  9^.  T'o«  dem  Ädventt  Christi  (rot).  Prepaiate  corda  vestra  domino  et 
servite  Uli  sali  et  liberavit  vos  de  manibiis  inimicorum  vestrorum  (1.  Keg.  7,  3).  Auf 
siebenerlei  weise  sollst  du  dein  herz  bereiten,  entsprechend  den  sieben  gaben  des 
heiligen  geistes  (10»,  2  ff. ;  vgl.  Isai.  11,  2;  Tauler  ed.  Vetter  105,  32  ff.) :  timor  domini 
(10a,  5)  führt  dich  zu  reue  und  beichte  (IQa,  3);  scientia  (kiinst  10»,  9.  14»,  13) 
soll  dich  schützen,  dass  dein  herz  nicht  in  die  sünde  zurückfalle,  miltikeit  (pietas 
10a,  12.  16a,  9j;  gdtlichi  sterk  (fortitudo  10a,  15.  16^,  9)  soll  dich  vor  uHtstveifikeit 
bewahren;  rat  (consilium  IQa,  17.  17a,  Xi);  verstantnüs  (gemerk,  intellectus  10a,  20. 
18a,  8 ff.);  wisheit  (sapientia  10a,  24.  18^,  16).  Sa  16a,  13 ff.  heisst  es,  wo  der  prediger 
vor  der  witschweifkeit  warnt:  (du)  solt  din  hertz  setzen  in  einkeit.  nu  mochtest  du 
sprechen:  ich  bin  doch  tinder  einer  mengi,  wie  sol  ich  denne  in  einkeit  komen?  min 
kint,  das  mäs  geschechen,  das  din  fiinf  sin  und  alle  din  vichlichen  sinne  zesamen 
zwingest  schiva  du  sitzest,  gangest  oder  standest,  das  du  din  gedenk  alwegen  zä  got 
richtest,  du  mäst  dur  menigvaltikeit  komen  in  einkeit.  du  solt  betrachten  eticas  von 
got.  ist  dir  das  ze  schwer  iind  du  es  noch  mit  kanst,  so  solt  du  gedenken  von  got. 
macht  du  das  mit  tan,  so  solt  du  reden  von  got.  (16^)  macht  du  das  mit  tUn,  so  hör 
reden  von  got  oder  du  bett  etwas,  macht  du  das  mit  tan,  so  schrib  oder  sing  von 
gott,  si  es  dir  erlöbt.  macht  du  das  mit  tän,  so  beger  doch,  das  du  es  mSchtist 
tän.  macht  du  das  och  mit  tän,  so  setz  dich  jiider  und  bitt  got,  das  er  diner  sinnen 
hutt  und  dinr  gedenken  gewaltig  si,  und  also  kumest  du  dur  menigvaltikeit  in 
einkeit.  — 

3.  Bl,  18^.  Von  dem  wirdigen  zwelfbotten  sant  Andres  (30.  nov.).  0  bona 
crux  quam  diu  desiderata  et  iam  concupiscenti  animo  prejiarata  (aus  der  Passio  beati 
Andreae  apostoli  bei  Mombritius,  Sanctuarium.  nova  ed.  1  (1910),  lOo,  57  ff.).  Im 
anschluss  an  die  Andreaslegende  handelt  die  predigt  vom  nutzen  des  kreuzes  und 
der  frucht  des  leidens.  20a,  1  ff.  ein  kreuz  wird  —  auch  sonst  ein  beliebtes  thema  zur 
ausdeutung  —  aus  vier  teilen  (stamen)  hergestellt:  der  stamm,  der  auf  dem  erdreich 
steht,  gleicht  dem  anfangenden  leben,  der  zur  rechten  bezeichnet  die  behenden 
t6d,  die  der  mSnsch  sol  nemen  dur  eigenen  tvillen  brechen,  der  zur  linken  bedeutet 
ein  gednltig  frolich  minrich  liden,  der  obrost  ein  schowlich  leben  und  heissef  ein 
bahnböm.  Im  weiteren  verlauf  wird  der  ganze  kreuzigungsprozess  allegorisch 
ausgedeutet.  24a,  3  ff .  werden  die  drei  zuerst  genannten  kreuzeshölzer  als  an- 
fangendes und  zunehmendes  leben  gefasst,  der  palmbaum  eines  voUkommnen  lebens 
ist  der  stain  der  uff  dem  kriitz  ist. 

4.  Bl.  29^.  Von  dem  himelfursten  sant  Andres  (rot).  Venite  j^ost  nie,  faciam 
vos  fieri  piscatores  hominum  (Matth.  4,  19).  Eingangs  wird  vor  behandlung  des 
eigentlichen  textwortes  dem  hörer  der  biblische  Zusammenhang  aus  dem  evangelium 
erläutert  (3Ga,  14.  30^,  5).  Dann  wird  der  text  wort  für  wort  durchgenommen,  mit 
Unterabteilungen  in  der  disposition.  Der  heiligung  der  jünger  Christi,  insbesondere 
des  Andreas  und  des  Petrus,  sollen  auch  wir  nachstreben  (33a,  1  ff.).  ]\^u  sint  alle 
die  Ordnung  der  heiligen  cristenheit  in  disen  zwein  stuken  beschlossen:  das  ist  miden 
die  siind  und  tiln  das  gut,  dann  hast  du  alles  was  nötig  ist  zu  einem  ewigen  und 
zu  einem  anfangenden,  zunehmeuden,  vollkommenen  leben.  33^»,  5:  In  drei  dingen 
ist  alle  Sünde,  die  die  menschen  begehen,  beschlossen,  das  erst  ist  gebrest  der  schuld, 
das  ander  ist  lust  der  natur,  das  dritt  uppikeit  der  weit,  die  ersten  hasset  got,  die 
andren  gevallent  im  mit,  die  dritten  sint  vigent  gottes.  das  erst  nicis  man  überwinden 
mit  bitterkeit  der  rüw,  das  ander  da  mi'is  man  ßiechen  ursach  der  sünd,  zä  dem 
dritten  mal  so  mäs  man  die  weit  versmachen. 


8  STRAUCH 

5.  BJ.  40^  (ati  dem  ahent  sancti  Andree  40b,  4).  Venite  et  videte  (Joh.  1,  39). 
Die  predigt  nimmt  bezug  auf  die  vorhergehende  (40b,  4ia,  43b  als  ir  an  der  vordren 
brudiie  hortent  und  dike  von  mir  gehört  hant).  41^1,  22  ff.  Die  berufung  des  Andreas 
und  Petrus  zum  'schaueu  und  ansehen'  schon  hier  auf  erden,  daz  si  ewklich  ge- 
hrucheti  s6nd,  ist  eine  vierfache,  gott  hat  sie  gerufen,  auf  dass  sie  werden  bekettner 
und  erkenner  {41b,  4)  gottes,  jünger  gottes  (44b,  12  ff.),  apostel  gottes  (47b,  14)  und 
Christi  (41b,  1)  und  heimliche  freunde  gottes.  Zu  jeder  dieser  vier  stufen  gelangt 
man  auf  dreierlei  weise.  Zur  ersten:  man  lernt  gott  erkennen  a)  in  und  an  der 
kreatur,  b)  in  gnaden,  c)  in  einem  glorioslich  schowen  oder  erkennen.  Von  der  kreatur 
heisst  es,  wie  auch  an  anderer  stelle  (17»,  22 ff.)  ganz  ähnlich:  an  der  schönen 
kreatur  sieht  man  die  Schönheit  des  Schöpfers,  an  der  Veisen'  kreatur  den  weisen 
minniglichen  gott,  an  der  minniglichen  blume  den  minniglichen  schöpfer,  der  in  der 
weissen  rose  als  weisser,  in  der  roten  rose  als  roter  gott  erscheint:  irisz  in  siner 
luteren  tinvermasgoten  monscheit,  rot  an  siner  briinnenden  minnricheyi  gotheit  (42*, 
1  ff.).  Und  doch !  stehest  du  nu  a»t  alle  creaturen,  so  rindest  du  dinen  minnenklichen 
got  in  inen  allen:  und  si  sint  doch  mit  got  (42*,  8).  —  Um  2.  liebe  jünger 
gottes  zu  werden,  müssen  wir  a)  seine  geböte  kennen  und  erkennen  lernen,  b)  sie 
halten,  c)  einander  lieb  haben,  wie  er  uns  lieb  gehabt  bat  (46b,  1).  —  3.  Zum  apostel- 
amt  Christi  oder  gottes  bedarf  es  gleichfalls  dreierlei  weisen:  Christus  sprach  zu 
Petrus:  minnest  du  mich?  ja  herre :  a)  so  spis  mir  minu  scheffli.  disii  spis  ist  guti 
lere,  die  ein  mönsche  dem  andren  tän  sol,  wie  die  apostel  es  taten,  —  also  bist  du 
ein  mund  gottes  (48b,  3)j  b)  so  tveid  mir  mini'i  scheflin:  in  Worten  und  werken  sollst 
du  ein  gutes  vorbild  geben ;  c)  so  bitte  für  minü  schefU:  wenn  a  und  b  beim  eben- 
menschen nichts  helfen,  dann  bitte  gott  für  ihn  in  diner  andacht  und  in  diner 
heimlikeit.  —  4.  heimlich  frmid  gottes:  wenn  sich  hier  in  der  zeit  zwei  menschen 
recht  lieb  haben,  so  zeigt  sich  das  in  dreierlei  weise:  a)  sie  sehen  einander  oft; 
b)  sie  sind  einander  heimlich  und  sagen  sich  gegenseitig  heimlichii  ding,  tver  der 
mönsche  ist,  der  dir  rechter  heimlicher  dingen  heimlich  wirt  und  du  im  dar  nach 
der  dingen,  der  er  dir  heimlich  worden  ist,  uß"  slachest  (49b),  (^as  ist  ein  zeichen,  daz 
sich  alle  mSnschen  vor  dir  s6nd  hüten,  daz  si  dir  niemer  heimlich  werden;  c)  gute 
freunde  sind  einander  treu;  auch  wenn  sie  nicht  bei  einander  sind,  sind  sie  doch 
einander  treu  mit  dem  herzen.  49b,  5  ff.  wenn  nun  irdische  menschen  sich  gegen- 
seitig lieb  haben  und  doch  die  liebe  dieser  weit  falsch  und  unstät  ist,  dann  ist  es 
doch  wohl  billig,  dass  wir  den  lieb  haben,  dessen  treue  und  liebe  von  ewiger  dauer 
ist.  So  wie  die  liebe  zwischen  zwei  mensclien  besteht,  so  muss  auch  die  liebe 
zwischen  gott  und  dem  menschen  sein  und  zwar  gleichfalls  eine  dreifache  (häufiger 
sehen,  'heimlich'  sein,  freundestreue);  ad  a  heisst  es:  gott  sieht  dich  im  kor,  im 
reventer  ob  dem  tische  (50*,  1),  im  kreuzgang  oder  avo  du  auf  erden  bist,  du  aber 
sollst  Christus  sehen  in  der  krippe:  letzteres  wird  im  einzelnen  weiter  ausgemalt, 
dabei  der  gegensatz  hervorgehoben:  50'^,  19  als  klein  und  als  unmngent  als  er  dnr 
dich  ist  tvorden  und  er  doch  den  sivere^i  last  himelriches  und  ertriches  hat  gehenket 
an  sin  dry  vinger  und  in  sinen  kleinen  füstlin  allen  den  gewalt  hat  den  er  ietzunt 
hat  tiber  himelrich  und  ertrich. 

6.  Bl.  52b.  Epiphania.  (S)tand  uf  Jerusalem  und  wird  erluhfet,  won  din 
licht  ist  komen  und  die  glori  dines  herren  ist  uf  gestanden  über  dich  (Isai.  60,  1). 
Der  sermo  handelt  von  dem  göttlichen  licht  der  gnaden  gottes,  von  der  geistlichen 
geburt  in  der  inu-endikait  der  sei.  Welche  frucht  bringt  dir  diese  geburt!  ist  dis 
mit   ewig   leben,    das   du  got   mit  got  wurdest?     Nu  stand  uf,  Jerusalem,    und  wird 


DER   ENGELBBRGER   PREDIGER  9 

erh'ihtet!     sid   man  disi'i   wort  zi'ihet  uf  ain  gaistlich  gebtirt,   so  ist  es  nu  ze  merken, 
wie    dis  licht  in  Jerusalem  der  sei  enzündet  iverd  oder  wie  disi  yaistlichi  gebnrt  an- 
gecayigen,   gemittolot   und  geendot   iverd.     wen    ivir   aber    von  unser  krankhait  wegen 
dis   blossen    ivarhe(i)t   an    bild   mit   wol  verstan    mugent,    so  züch  ich  dis  verni'mftig 
licht  uf  das  licht  der  natürlichen  sunnen,  wie  der  uf  brichet  ze  Orient  und  loffet  gen 
occident  mit  sineti  natürlichen  stapheln.     dar  nach  wie  der  göttlich  sitnn,  unser  herr 
Jesus  Cristus,    vahet   in    dem   zirkel   der   sei  gaistlich    schinnen  und  gle{p2>^)sten,    da 
merkend,  das  der  natürlich  su)t  an  dem  himel  hat  sechs  staphel,  da  ynit  er  volbringet 
sinen  teglichen  lof,  die  alle  gezogen  werden  uf  den  lof  der  gnadrichen  sutmen  in  der 
sei.     Die   sechs   Stadien   des   Sonnenlaufes   sind   1.  der  vor  Sonnenaufgang  fallende 
tau,  2.  die  dämmerung  (wissi  und  graici  des  tages)  ',  3.  das  morgenrot,  4.  der  sich 
üher   die   weit   ausbreitende   sonnenglanz,   5.  die  dadurch  hervorgerufene  hitze  und 
ihre   kraft,   6.  Untergang  und  verblassen  (blaichi)  des  lichtes.     Dies  wird  dann  im 
einzelnen  gedeutet,   um  stufenweise  die  geistliche  geburt  in  der  seele  zu  bewirken, 
'den  vollkommenen  tag   eines   wahrhaften   erkennens   seiner  selbst  und  aller  dinge 
aufgehen  zu   lassen'.     Jede   Staffel,   auf  der  die  göttliche  gnade  sich  in  besonderer 
weise  im  menschen  betätigt,   schliesst  wieder  eine  dreiteilung  in  sich:   wie  der  tau 
unbemerkt   aufs   erdreieh   fällt  und  wieder  schwindet,    aber  erquickung  zurücklässt, 
so   auch   die   gnade   usw.  —  Dem  menschlichen   schuldbewusstsein   (stufe  1  und  2) 
folgt   tiefes   Schamgefühl  (stufe  3);   allmählich   bereitet  sich   der  neue  mensch  vor 
(stufe  4),   bis    er   itthitzig   (55»,    14)   wird,     auf  diesem   5.  grad  macht  der  gaistlich 
sunn   in    der  sei  sollich  hitzig  und  inbrünstig  minn,    das  die  menschen  uss  ir  selbers 
wesen  flüssen .  müssent.     und  disü  menschen  werdent  hertzlos.     wie  da^  beschech,    das 
merkent:    tvir   sechent    wol,    tvenn  man  bli  oder  wachs  zä  dem  für  tat,  so  wirt  es  ze 
dem  ersten    lind,    dar   nach   so   zegat  es.     nach  dem  so  flüsset  es  von  silier  stat  und 
verainet  sich  ze  ainem  ain  in  end  sines  ßusses.     also  gelich  beschicht  disen  menschen 
uf  dem  fünften  staphel.     ze  dem  erstell :    iri  herczen  werdent  geendrot  und  gelindert 
von  der  gegenwüfrjfikeit  des  ewigen  Hechtes,     dar  nach  zergan  die  kreft  des  herczen. 
da  wirt  der  mensch  so  berobet  sin  selbers,  won  disü  menschen  sind  uf  der  vart,  das 
si  gezukkot  sond  werden  von  ir  selbes  istikait.     ze  hand  so  flüsset  hin  der  (mensch) 
von   allikait   des   inwendigen   wesen.     war  flüssent  disü  menschen  ?     si  fltissent  in  die 
tünsterhait   der   ungeschaffen  gothait   und  in    die   ungeburtlichhait  des  blossen  tvesen 
gottes,    und   da    verainent   si  sich    mit  gott   in   gott  und    empfinden   nichts    als   gott 
(^55^,  5) ;   alles    äussere   ist  ihnen   gleichgiltig,    sie  ahtond  nüt,    was  von  in  gehalten 
iverd,  ivon  sie  enhaltend  och  von  in  selber  nicht.    Aber  wie  die  sonne  untergeht  und 
ihr  licht  verblasst  (stufe  6),  so  erbleichen  auch  diese  menschen,  gottes  fründ,  wenn 
sie  sich  durch  schwere  arbeit,  siechtum  und  furcht  gehindert  sehen,  sich  der  göttlichen 
gnade  entzogen  meinen,  wenn  sie  glauben,  gott  halte  sich  vor  ihnen  verborgen,  sie 
hätten    ihren    herren   verloren,     sie   en   mugent   der   weit   nütes  nüt,   so  hand  si  och 
gottes  nüt  nach   ir   begerung  — ;   aber   auch  Christus   hat   die  stunde  des  todes  ge- 
fürchtet und  sich  dem  willen  des  vaters  untergeordnet.     So  tu  auch  du,  mensch. 

7,  Bl,  59».  Qui  vicerit,  faciam  illum  columpnam  in  templo  meo  (Apoc.  3,  12)- 
Kein  leben  bleibt  ohne  anfechtung  und  Versuchung  (bekorunge).  Werde  selbst  eine 
Säule,  eine  stütze  für  die  andern  menschen!  Leide!  Die  worte  dieser  predigt  lauten 
vom   überwinden.     Wie  können   wir   mit  gottes  hülfe  das  erreichen?    Dreierlei  ist 

1)  Sa  bS^,  19  denn  so  blasent  und  kündent  die  wahter  in  den  stetten  und  uf 
den  bürgen  den  tag,  da  mit  si  das  volk  ermündron. 


10  STRAUCH 

ZU  beobachten:  1.  unterschied  und  mannigfaltigkeit  der  anfechtung,  2.  widerstand 
gegen  jegliche  Versuchung,  13,  lohn  und  glori  derer,  die  ritterlich  die  Versuchung 
überwunden  haben :  es  ist  billich  daz  der  mensch,  der  durch  die  tilgend  des  crüces 
stritten(d)e  und  überwindend  ist,  daz  er  ouch  sig  niessend  des  genuachsamen  kipper- 
truben  so  dar  an  gewahssen  und  geheftet  ist  mit  (dem)  band  der  liebt.  Die  predigt 
behandelt  dann  für  alle  drei  gruppen  je  sieben  verschiedene  arten  der  anfechtung, 
die  den  meuschen  bedrängen  und  die  er  siegreich  zu  überwinden  hat;  sie  werden 
ihm  auferlegt  von  gott,  seinen  mitmenschen,  vom  büscn  geist,  von  der  weit,  vom 
fleisch,  von  ihm  selbst,  von  den  guten  werken.  Die  ausführung  ist  von  grosser  Innig- 
keit getragen  im  anschluss  an  Apoc.  3,  21.  5;  2,  7.  11.  17;  3,  12;  21,  7. 

8.  Bl.  64*.  S.  Benedictentag  (21.  märz).  Omne  preciosum  vidit  oculus  eins  et 
in  profunda  fluviorum  scrutatus  est  (Job  28,  10).  Zunächst  wird  im  anschluss  an 
des  üregorius  Vita  S.  Benedicti  (vgl.  74a,  5^  17  f.)  das  bibelwoit  ausgelegt  und  zwar 
z.  t.  wort  für  wort.  Wie  die  biene  den  honig  aus  den  blumen  saugt  und  ihn  in 
einen  winkel  zusammenträgt,  so  hat  der  heilige  Benedictus  seine  'regel'  aus  den 
Vätern  Augustin,  Ambrosius,  Gregorius,  Hieronyraus,  denen  anachronistisch  auch 
der  h.  Bernhard  angereiht  ist,  zusammengestellt;  der  prediger  schätzt  die  regel  so 
hoch  ein,  dass  er  65*1,  11  sagen  kann:  wie  das  ist  das  sant  Augustinus  regel  die  erst 
was,  so  ist  si  doch  uß  diser  regel  komen!  07%  15  und  dar  umbe  so  süllen  wir 
Sechen,  wie  wir  getan,  das  ivir  benedicti  iverden,  tvon  sin  nam  heisset  Benedictus  und 
ist  ouch  gesegnet  von  dem  mund  gottes,  und  also  ist  er  ztvivaltenclich  gesegnot  a7i  detn 
namen  und  ouch  von  got.  67^,  21  ff.  drei  dinge  hatte  Benedictus  —  65^,  17  e)- 
gieng  uß  der  schäl  ungelert  wolgelert  und  wolgelert  ungelert  (nach  der  Vita  des 
Gregorius)  —  voraus  und  hat  sie  'vollbracht',  was  uns  nicht  möglich  ist.  Es  ist 
nicht  jedem  gegeben  bücher  zu  schreiben  oder  zu  predigen,  und  keiner  ist  zu  einem 
gelübde  gezwungen.  Wer  es  aber  ablegt,  der  soll  es  treu  befolgen  und  tun  was 
die  regel  vorschreibt,  was  der  prälat  und  die  äbtissin,  der  prior  und  die  priorin 
oder  'die  auf  den  stuhlen  sitzen'  (67^',  20)  einen  heissen.  Dein  gelübde  sollst  du 
in  dreifacher  hinsieht  vollbringen:  1.  äusserlich  mit  einem  übenden  leben,  2.  mit 
einem  inwendigen  leben,  3.  Vereinigung  mit  gott  mit  einer  volkomner  volkomenheit. 
Punkt  1  erfährt  abermals  eine  dreifache  gliederung  mit  je  drei  Unterabteilungen: 
a)  aufgäbe  alles  zeitlichen  gutes :  a)  des  väterlichen  erbes  und  sonstiger  gaben. 
69'S  8  (vgl.  auch  Wackernagel  70,  138)  wer  in  einem  geistlichen  leben  hat  eins 
helblinges  tvert  ane  notdurft  und  ane  der  meisterscJtaft  gunst  und  urlob,  sicher, 
mensche,  ane  allen  zivivel,  der  ist  mit  eins  helblinges  wert  vor  got.  —  ß)  verzieht  auf 
nutzniessung  zeitlichen  gutes,  y)  geistige  armut.  —  b)  Jungfräulichkeit:  a)  aller 
unlauterkeit  aus  dem  wege  gehen,  ß)  streng  hert  Übung,  askese,  y)  concordantia 
cordis  (einhellutig  des  herzen).  —  c)  aufgäbe  des  freien  willens:  a)  der  nicht 'wieder 
genommen'  werden  kann  (es  wäre  todsünde),  es  sei  denn  aus  notdurft  und  mit 
erlaubnis  der  'raeisterschaft',  ß)  im  gegenteil:  der  freie  wille  soll  zunehmen,  y)  du 
sollst  ihn  'ewig  machen',  als  solltest  du  bis  zum  jüngsten  tage  leben.  Gott  wird 
dirs  lohnen. 

9.  Bl.  73a.  s.  Benedictentag.  Derselbe  text  wie  in  nr.  8  und  fortsetzung 
davon,  vgL  74'^,  1.  Kii  s6nd  wir  anvachen  da  wir  an  der  ersten  brudie  Hessen. 
Dort  war  zunächst  nur  die  erste  stufe,  das  übende,  anfangende  leben  ausführlich 
behandelt  worden;  hier  nun  wird  näher  auf  die  zweite  und  dritte  stufe,  das  innere 
leben  und  die  Vereinigung  mit  got  (em  mit  got  werden  78*»,  21),  auf  das  zunehmende 
und  vollkommene  leben  eingegangen  und  zwar  ebenfalls  in  drei  abstufungen,  deren 


DER   ENGELBERGER   PREDIGER  11 

jede  wieder  dreiteilig  ist.  —  Das  innere  leben  (stufe  2)  bedingt:  a)  din  conciencie 
(gewüssenü)  rieh  machen:  a)  du  sollst  dein  gewissen  reinigen,  es  luter,  pur,  klar 
macbeü,  ß)  reich  machen  durch  Übung  der  tugenden,  y)  durch  von  herzlicliem  mit- 
leid  getragene  betrachtung  von  Christi  leiden;  b)  din  verstäyiUnist  subtil  machen: 
a)  der  gnade  gottes  stilUcheii  warnehmen:  ein  einziges  wort  kann  gelegentlich  den 
menschen  tiefer  bewegen  (rüren),  als  wenn  er  einen  ffantsen  vocabulum  möcht  über- 
lesen (75b,  25)  oder  aller  münden  gebete  spreche,  ß)  bescheidenheit  (Verständigkeit), 
die  frd'iv  diner  sele,  soll  wie  eine  ehrbare  hausfrau  oder  wie  ein  Schulmeister  es  mit 
seinen  schülern  macht,  die  Oberaufsicht  über  die  'Jungfrauen  der  seele'  führen, 
sowohl  über  die  bekennerin  und  niinnerin  wie  Über  die  bilderin  (einbildungskraft) 
und  klafferin  (geschwätzigkeit),  y)  erschliess  dich  gott  und  seiner  gnade:  got  ist 
allen  mönschen  bereit  sin  gnade  ze  geben,  weren  loir  bereit  ze  enphachen  (78*,  4); 
c)  din  reminiscentia  (angedenhniist)  mit  got  vereinen :  a)  alle  deine  gedanken  sollen 
dir  Zeugnis  geben  von  gott,  ß)  erhebst  du  dich  zu  ihm,  so  neigt  er  sich  zu  dir 
herab,  y)  gottes  gnade  umgibt  dich,  wie  es  Moses  auf  dem  berge  (Sinai)  geschah.  — 
Das  vollkommene  leben  (stufe  3):  a)  wirkendes  leben:  a)  alles  wirken  soll  ein 
dahkber  u/tragen  zu  gott  sein,  ß)  zu  immer  neuen  tugenden  emporsteigen,  um  wieder 
zum  Ursprung,  aus  dem  wir  gekommen,  zu  gelangen,  y)  setze  dich  mit  Maria 
Magdalena  zwischen  die  füsse  Christi:  seine  gerechtigkeit  und  sein  erbarmen,  und 
lausche  seinen  worten:  hie  werdent  die  zwo  zungen  redent  mit  eina7ider,  der  sele 
und  gottes,  das  ist  die  minn  die  die  seh  zä  got  hat  und  die  gunst  die  got  zu  der 
sele  hat  (80^,  3);  b)  minnenklich  unverschidt  gedultig  liden:  a)  Christus  litt  unschuldig 
und  geduldig,  ß)  fröhlich,  y)  standhaft  (vestenklich,  constanter) ;  c)  vollkommne  Voll- 
kommenheit: a)  Caritas  (holtschaft),  sie  gehört  zu  einem  anfangenden,  ß)  dilectio 
zu  einem  zunehmenden  leben,  y)  ardor  amoris  (fürin,  brünninde  minne). 

10.  Bl.  84^.  Fer.  IV  Quatt.  temp.  Quadrag.  Cum  immundus  spiritus 
exierit  (Matth.  12,  48—45).  Der  besen  (Matth.  12,  44)  nimmt  nur  die  obere 
Staubschicht,  die  groben  Sünden  auf,  das  gestüppe  und  das  bulver  der  kleinen  schulde 
bleibt,  und  da  setzt  der  böse  geist  ein  und  die  menschen  werden  schlimmer  als 
bisher.  Christus  trieb  den  bösen  geist  von  den  Juden,  indem  er  ihnen  die  zehn 
geböte  durch  Moses  gal)  und  dar  nach  die  monscheit  nam  von  jüdschem  gesiecht. 
Allein  die  Juden  nahmen  das  wort  nur  äusserlich  nach  dem  text  in  sich  auf,  nicht 
nach  der  glosse  (ebenso  92b,  21  ff.),  und  so  blieb  ihnen  der  christliche  glaube  ver- 
schlossen, während  die  beiden  durch  die  predigt  der  apostel  sich  zu  ihm  bekannten 
'ein  kunigrich  hie,  das  ander  da'.  So  hat  Christus  den  bösen  geist  ausgetrieben  bei 
allen,  die  getauft  werden  wollten,  und  sie  durch  die  taufe  zu  kindern  des  ewigen 
lebens  bestimmt.  Wer  sich  aber  zur  weit,  zur  sünde  bekennt,  ist  ein  kind  des 
teufeis,  falls  er  nicht  durch  das  sacrament  der  reue  zu  Christus  zurückkehrt.  Dies 
wird  nun  in  eindringlich-bilderreicher  spräche  ausgeführt  mit  dem  Schwerpunkt  auf 
das  geistliche,  klösterliche  leben,  das  die  seele  unter  völliger  aufgäbe  des  eigenen 
freien  willens  zu  einer  höhern  Vereinigung,  zu  einem  gehunt  mit  gott,  zur  freiheit 
Christi  führen  soll.  Das  klösterliche,  gott  geleistete  gelübde,  das  die  weibliche 
Insassin  abgelegt  hat,  stellt  die  höchsten  anforderungen :  es  brechen  wäre  schlimmer 
als  der  weit  meineidig  werden.  Andererseits  aber  heisst  es  sich  hüten  vor  jeg- 
lichem Pharisäertum. 

11.  Bl.  91a.  Dasselbe  textwort  wie  in  nr.  10  und  fortsetzung  der  letzteren. 
In  nr.  10  waren  bereits  sieben  gaben  erwähnt,  die  der  geistliche  mensch  vor  dem 
weltlichen   voraus  hat:    zwei   davon,    das   gelübde   und   die   dadurch   bewirkte  ver- 


12  STRAUCH 

mählung  der  seele  mit  gott,  sodann  die  göttliche  speisung,  die  dem  zuteil  wird, 
der  sich  frilich  an  in  lasse  und  sin  sor(/valtikeit  alzemale  in  in  werfe,  waren  schon 
dort  (Bl.  89»)  berührt  worden.  Von  den  übrigen  gaben  folgen  hier  zwei  weitere : 
als  dritte  das  minnigliche  wort  gottes  (93»  11—97'^,  3,  vgl.  das  excerpt  bei  Wacker- 
nagel s.  583  f.),  das  a)  die  eigene  Sündhaftigkeit,  die  sich  in  reue  und  beichte  kund 
gibt,  b)  die  einzelnen  tugenden,  in  denen  der  mensch  sich  üben  soll,  erkennen  lässt. 
Kannst  du  auch  nicht  jedes  wort  in  dich  aufnehmen,  darum  sorge  dich  nicht,  nie 
mochtest  du  alles  das  einer  stunde  behüben  das  ich  vil  jaren  hab  yelernet!  Wähle 
dir  das  beste  aus  (zur  erläuterung  wird  ein  beispiel  aus  den  altvätern  eingeschaltet). 
Jeder  mensch  hat  eine  verschlossene  tür  in  seinem  herzen,  die  sich  bei  gegebenem 
anlass  (einer  predigt  etwa)  auftut  und  dann  wieder  schliesst,  und  was  da  empfangen 
wurde,  das  kommt  einem  noch  im  tode  zustatten,  c)  gottes  wort,  das  'die  sinne' 
erschliesst  und  für  die  subtilen  dinge  empfänglich  macht,  das  um  so  lieblicher  grünt 
und  blüht,  je  mehr  die  zeitlichen  dinge  im  menschenherzen  ausgerodet  sind,  je 
freier  es  sich  fühlt:  da  lernst  du  gottes  wort  verstehen  (wirst  künstig) ;  was  man 
nicht  versteht,  darüber  kann  man  nicht  sprechen,  willst  du  das  wort  aber  in  dir 
aufnehmen,  so  findest  du  treffliche  Vorbilder  nicht  nur  in  der  schrift  von  Christi 
und  seiner  auserwählten  freunde  leben,  sondern  auch  bei  deinen  klosterschwestem, 
verstorbenen  und  lebenden.  Wer  seine  fünf  sinne  besitzt,  muss  wissen,  was  er  tun 
und  lassen  soll,  er  sei  weltlich  oder  geistlich.  Wer  viel  weiss,  künstig  ist,  der  wird 
sich,  auch  wenn  er  fällt,  wieder  aufrichten,  empfindet  er  aber  diese  kunst  nicht  als 
von  gott  gegeben,  irenjie  der  (97"')  demi  vallet,  so  vallet  er  so  vil  schedlicher  so  vil 
er  bas  iveis,  wie  er  gestan  sölt,  und  er  sin  kunst  nüt  nutzklich  anleit.  —  Die  vierte 
gäbe  betrifft  das  allerheiligste  sacrament,  den  fronleichnam,  vor  dessen  unwürdigem 
empfang  der  prediger  warnt',  um  den  gewinn  um  so  stärker  zu  betonen.  Aus 
zwei  gründen  gab  Christus  sein  leben  hin :  einmal  im  selber  ze  einer  ere,  won  er 
hat  ellil  ding  getan  im  selber  zu  einer  günlichi,  sodann  dem  menschen  zum  nutzen 
und  zwar  1.  zur  Stärkung  seiner  geistlichen  kräfte,  2.  um  hier  in  disem  eilenden  zit 
und  später  im  ewigen  leben  unser  wegleiter  zum  himmlischen  Vaterland,  3.  beim 
jüngsten  gericht  unser  fürsprecher  zu  sein,  4.  um  unsere  geistlichen  kräfte  zu  •ver- 
leiblichen', wie  es  der  mutter  gottes  geschah,  als  sie  das  ewige  wort  des  vaters 
empfing,  als  das  wort  fleisch  wurde. 

12.  (Bl.  101a),  Ässunipsit  alios  Septem  Spiritus  (secum)  nequiores  se  et  ingressi 
habitant  ibi  (Matth.  12,  45).  Fortsetzung  der  nrr.  10  und  11,  in  der  die  letzten 
drei  der  sieben  gaben  (s.  nr.  11)  abgehandelt  werden;  die  drei  nummern  bilden  also 
eine  einheit  (vgl.  101a,  lO).  Die  fünfte  gäbe,  die  dem  geistlichen  menschen  vor- 
behalten ist,  bilden  die  süssen  minnenklichen  trSst  und  das  heimlich  kosen,  das  got 
in  der  sele  tat:  a)  so  dass  sie  mit  dem  psalmisten  (Ps.  119,  103)  und  Maria  Magdalena 
(Luc.  7,  47)  empfindet;  b)  ein  in  jeder  beziehung  reines  gewissen,  das  alles  aus- 
geschaltet hat,  was  von  gott  trennen  könnte ;  c)  ein  aufgehen  der  irdischen  minne 
in  die  göttliche,  aus  der  sie  geflossen  ist ;  d)  eine  innere  läuterung,  die  den  menschen 
zum  Vorbild  seiner  mitmenschen  macht  (102a,  14  ff.):  dis  ist  wol  ein  süsser  jubil  und 
mag  wol  heissen  die  heimliche  trSst,  die  got  der  sele  git,  und  in  disem  ist  hillich 
fröide  über  fröide.  —  Das   gebet  eines  geistlichen  menschen  schätzt  —  es  ist  dies 

1)  Unter  berufung  auf  1.  Cor.  11,  29  und  Joh.  6,  59  ff.  Genauer  als  Job,  6,  60 
ist  Sa  98t>,  15  die  zahl  der  jünger  nach  Hieronymus  mit  72  angegeben,  von  denen 
aich  die  zwölf  eigentlichen  jünger  (Joh.  6,  67)  dann  abheben. 


DER  ENGELBERGER  PREDIGER  13 

die  sechste  gäbe  —  gott  höher  als  das  des  weltlichen,  vorausgesetzt,  dass  es  stets 
im  einklang  mit  Matth.  26,  42  geschieht,  sodann  in  der  Zuversicht  deinerseits,  dass 
was  du  bittest  auch  erhörung  findet,  hier  in  der  zeit  oder  zu  deinem  ewigen  nutzen. 
War  doch  auch  der  h.  Benedictus  so  eins  mit  dem  willen  gottes,  dass  er  nichts 
wollte  als  was  gott  wollte  und  gott  nichts  als  was  er  wollte.  —  Die  siebente  gäbe 
ist  der  vollkommene  friede,  es  si  haben  oder  darben,  geluke  oder  ungelüke,  es  konie 
von  got  oder  von  creature,  unter  berufung  auf  Job.  14,  27  und  Rom.  8,  35.  —  Wer 
diese  sieben  gaben  nicht  dankbar  in  sich  aufnimmt,  sondern  dem  weltlichen  wieder 
räum  gibt,  der  ist  für  gott  weder  kalt  noch  warm  (Apoc.  3,  16),  er  hat  sich 
zwischen  zwei  stuhle  gesetzt  und  gleicht  der  fledermaus,  die  weder  vogel  noch  maus 
ist.  Wollte  aber  solch  ein  sich  untreu  gewordener  geistlicher  mensch  sich  auch 
gern  wieder  bekehren,  es  wäre  ihm  kaum  möglich,  so  ist  er  mit  dem  ungern  für- 
komen,  es  sei  denn  durch  einen  behenden  niderslag,  wie  er  Paulus  traf.  Dise 
mSnschen  sint  recht  ir  selbers  helrich,  won  helle  und  himelrich  ist  nienant  ivon  in 
dem  mönschen.  Solcher  menschen  gebet  wird  auch  nicht  erhört,  sie  geben  nur  böses 
Vorbild.  Aber  ein  mSnsche  das  sich  luterlich  hielti  z&  sinem  geistlichen  leben,  das 
imirde  sin  selbers  himelrich,  ivon  das  rieh  gottes  das  ist  in  uns. 

13.  ßl.  106b.  Dom.  II  Adventus.  Erunt  signa  in  sole  et  luna  et  stellis 
(Luc.  21,  25)  =  Wackernagel  nr.  68  (s.  182  ff.),  vgl.  Cruel  8.401  f.,  Linsenmayer  s.  444. 
Das  hauptthema  ist  die  mystische  erklärung  der  fünfzehn  Vorzeichen  des  jüngsten 
gerichts  nach  Hieronymus  *. 

14.  Bl.  120^.  Dom.  XXI  post  Pentec.  Quia  heri  hora  septima  reliquit  enm 
febris  (Joh.  4,  52)  =  Wackernagel  nr.  69  (s.  193  ff.),  vgl.  Cruel  s.  400,  Linsenmayer 
8.  445. 

16.  Bl.  129a.  Ignis  ante  ipsum  precedet  (Ps.  96,  3).  Es  gibt  32  arten  göttlicher 
minne  und  neun  staffeln  sind  zu  ersteigen,  um  auf  die  zehnte  zu  gelangen,  auf  dass 
der  mensch  empfänglich  werde  für  die  weslich  minne  wid  dis  ist  got  allein.  Die 
minne  verlangt  eine  dreifache  speise :  1  lesen  und  beten :  129^,  4  ff.  ich  oder  ein 
brödier  der  die  bucher  kan  lesen  oder  die  geschrift  gelernet  hat,  der  sol  in  der  ge- 
schrift  lesen,  da  findet  er  gottes  Ordnung  und  unterscheid  aller  dinge,  und  wie  die 
lieben  heiligen  und  die  hochen  lerer  die  geschrift  gemachet  hant  und  so  groß  arbeit 
gehebt  hant.  Wir  sollen  nun  schneiden,  was  sie  gesät  (Joh,  4,  37).  Ja  die  minnenk- 
lichen  fründe  gottes  die  hant  menig  lieplich  bäch  gemachet  als  si  geiviset  wurden  von 
dem  heiligen  geiste  und  hant  groß  arbeit  dar  umbe  gehebt,  und  dis  alles  niessen  wir 
nu.  Du  aber,  die  du  nicht  die  geschrift  kannst,  sollst  in  der  kreatur  lesen  und  er- 
kennen, wie  liebevoll  gott  alles  geschaffen,  den  himmel  mit  sonne,  mond  und  sternen, 
das  erdreich  mit  rosen,  blumen,  mit  mancherlei  frucht  und  gebaum  geschmückt  hat, 
hier  körn  und  dort  wein  wachsen  lässt,  das  die  länder  dann  gegenseitig  austauschen. 
uttd  dis  ist  du  gemein  bräderschaft  die  die  liit  zemen  habent  nach  liplicher  wis  ze 
nemen.  So  lernst  du  einen  weisen,  starken,  schönen  gott  erkennen !  —  Zum  andern 
sollst  du  die  minne  vuoren  ('speisen,  nähren')  mit  betrachtunge,  und  das  steht  höher. 
In  der  schrift  lesen  und  beten  ist  gar  siecht,  einvaltklich  (130*»,  3),  aber  hie  muß 
der  mönsche  stund  und  stat  geben  dar  zä.  tvon  wil  ich  ein  brodie  studieren,  ich  muß 
mich  gar  wol  dar  uf  bedenken,    iine  ich  si  betracht,    das  ich  si  ze  velde  bringe,    das 

* 
1)  Aus  der  Zeitschr.  46,  228  angeführten  parallele  zwischen  Sa  120;»,  13  ff.  = 
Wackernagel  68,   418  ff.  und  Seuse  242,   7  ff.   wird   man  keine   folgerungen  ziehen 
dürfen. 


14  STRAUCH 

got  da  von  gelopt  werde  und  min  ebenmonsche  gebessret.  So  tu  auch  du,  denn 
'betrachtung'  ist  mehr  als  'lesen',  won  zli  dem  ersten  so  sptst  man  die  kint  mit  tnilch 
und  mit  brot,  das  ist  ein  liechtvertig  spis.  rtt  dem  andren  male  so  es  gebinnet  {'■hegiimV  '), 
ivachsen  das  es  ein  völliger  mSnsche  sol  werden,  so  miiß  man  im  besser  und  sterker 
spise  geben.  —  dar  nach  so  wirt  es  denne  ein  volkomner  mansche,  denne  bedarf  es 
aller  best  starker  spise.  Und  so  muss  nun  auch  3.  die  rainne  gekräftigt  werden  und 
zwar  durch  aufgeben  des  eigenen  willens,  wie  es  s.  Paulus  tat  (Act.  9,  6).  —  Die 
neun  minnestaffeln  sind  in  folgender  weise  charakterisiert:  1.  im  'anfangenden'  leben 
ein  siechi  minne  (131^,20),  und  zwar  a)  siech  aus  Sehnsucht  nach  gott  (Cant.  5,8), 
b)  dem  siechen  ist  alle  speise  —  alle  weltfreude  verleidet:  das  man  vor  inen  (den 
siechen  menschen)  tantzoti,  das  mochte  si  7iützit  gefroicen,  won  ein  siecher  mansche, 
der  dem  psalterioti  und  sungi  und  seiti  alliu  du  fröide  du  in  dirre  zit  ie  wart  und 
man  ime  alle  dis  weit  ze  eigen  gebe,  er  gebe  niitzit  dar  umbe,  und  were  allü  du  weit 
sin,  die  gebe  er  frdlich  dar  umbe  das  ime  ein  artzat  wider  hülfe,  der  artzat  were 
ime  lieber  denne  alle  sin  frt'tnde  und  alles  das  disii  weit  geleisten  mag,  c)  den  siechen 
erkennt  man  an  der  blässe  des  antlitzes  (1.  Sam.  IG,  7);  diese  wird  hervorgerufen 
a)  durch  arbeit  (wachen,  fasten,  beten  usw.),  ß)  durch  siechtagen,  y)  durch  Sehnsucht 
nach  gott  (Cant.  2,  16),  der  sich  dem  menschen  zeitweise  entzieht:  in  der  freude 
der  göttlichen  gegenwärtigkeit  vermag  die  liebende  seele  davon  nicht  zu  schweigen 
und  si  dch  (133*)  da  von  nicht  völklich  gesagen  mag,  won  das  si  halbü  wort  redet 
recht  als  si  nß  utisinnen  redi  und  si  sprich  et :  Dilectus  meus  michi  et  ego  Uli.  Min 
geminter  mir  und  ich  ime.  was  weis  si  des?  do  hat  si  es  enphunden.  dis  sint  gar 
kintlichü  wort,  won  si  kan  von  rechter  minne  so  si  zä  dem  geminten  hat  [so  kan  si] 
niitzit  anders  reden,  won  es  ist  der  minne  recht,  das  si  nützit  kan  ivon  gar  stumpf- 
lich reden  und  gar  slechtlich,  und  so  ir  also  hertzlich  wol  ist,  das  si  niitzit  bessers 
begerti,  so  ziichet  sich  ir  ir  geminter  under.  Ihn  dann  zu  entbehren,  lässt  sie  mit 
8.  Bernhard  sprechen:  mochti  helle  in  dirre  zit  sin,  so  tvere  —  das  pinlicher  denne 
helle.  —  2.  (133^,  20)  eiti  übendü  minn  (Matth.  25,  40) :  —  allü  möyischen  müssent  dur 
übent  leben  zä  dem  schowlichen  komen.  —  3.  (134^,  9)  ein  s&chendii  minn  (Cant.  3, 
1—3),  siehe  Wackernagel  s.  596  unter  Sa  132^.  —  4.  (135^,  5)  ein  unmüdi  minn.  — 
6.  (136^,  16)  ein  ungestümi  minne  (Cant.  1,  3,  4).  —  6.  (136^,  7)  ein  löffende  minn: 
wie  die  heiligen  einst  von  tugend  zu  tugend  eilten,  so  sollen  auch  wir  in  edlem 
wettlauf-  dem  ziel,  dem  ewigen  leben  zustreben,  und  wer  der  ist  der  aller  meist 
tugent  volbringet,  dem  wirt  du  krön  ewiges  lebens.  nu  was  ir  vil  die  nach  der  krön 
lüffen,  und  si  wart  doch  mit  won  einem,  dis  bezeichnet  geistlich  ze  (137»)  nemeyi  alle 
creft  der  sei  die  löffent,  und  wirt  doch  allein  dem  blossen  wesen.  Die  übrigen  minne- 
staffeln behandelt  die  folgende  predigt. 

IG.  Bl.  137*.  Derselbe  text  wie  in  nr.  15  und  fortsetzung  in  der  auslegung 
der  neun  (zehn)  minnestaffeln:  7.  (137^,  10)  ein  getiirstig  minn:  (Maria  Magdalena) 
sacht  den  engel  des  grossen  rates,    das  was  got  selber,  also  tänd  dch  disü  manschen. 

1)  Wie  auch  sonst  beobachtet  worden  ist,  findet  bisweilen  Verwechslung  von 
h  und  g  statt,  d.  h.  die  schriftzeichen  müssen  sich  sehr  ähnlich  gewesen  sein,  auch 
phonetisches  mag  mitsprechen:  Sa  2*,  16.  130*,  20.  131*,  23.  25.  146^,  5.  Sb  41b,  8. 
81b,  18.  98b,  4  siQ\ii  gebin(ne)t  für  beginnet,  Sb  81b,  20  sogar  bint,  Sb  81b,  22.  93b,  10 
gebonde(n)  für  begonde(n). 

2)  Sa  136b,  15.  Es  was  hie  vor  in  der  alten  E  da  man  ein  zil  gemachet  hat, 
und  lüffen  vil  lüten  zä  dem  zil,  und  welr  der  erst  icas  der  das  zil  erlüf,  der  hat  öch 
gewunnen,  das  denn  hieß  (hs.  ließ)  wetton. 


DER   ENGELBERGER   PREDIGER  15 

St  envindent  mit  e  das  si  den  herren  selben  vindent.  si  hant  niH  ffenüff,  das  (138a) 
ef  inen  sin  hotten  sendet,  das  sint  die  hrodier.  si  xvend  in  selb  selber,  recht  als  ob  si 
sprechfenj :  ich  wil  weder  Chernbin  noch  Seraphin,  ich  ivil  in  selber,  habe  er  kein 
minn  sä  mir,  so  sende  (er)  mir  keinen  botten,  sunder  er  sol  selber  komen  mit  siner 
gegentvürtikeit.  Die  getiirstig  iiiinne  geht  in  die  brautkammer,  weckt  den  geliebten, 
dass  er  sich  mit  ihr  vereinige  als  ob  nieman  mer  were  in  zit  won  si  zwey.  — 
8.  (138a,  14.)  ein  verstrichti  minn.  Die  'Verstrickung'  zwischen  gott  und  der  seele 
ist  eine  dreifache  :  a)  gott  ist  zä  der  sele  verstrikket  als  ein  bilgrim  d.  h.  vorüber- 
gehend, ivas  nu  Hecht  ist  verstrikket,  das  ist  och  Hecht  entstrikket.  Der  minnigliche 
herr  wird,  dem  pilger  gleich,  oft  smelich  uß  getriben  von  der  sele  und  dis  geschieht 
mit  der  sele  willen  und  über  allen  sinen  willen  (hinweis  auf  Luc.  19,  41).  —  hie  maß 
die  gnade  gottes  verborgen  ligen  schedlich  in  dem  manschen,  won  er  hat  si  von  ime 
rertriben  und  lat  si  in  ime  mit  wurken;  b)  als  ein  huswirt,  den  nieman  nß  getriben 
mag:  hie  gat  got  von  der  sele  mit  sin  selbs  willen  u?id  über  der  sei  willen.  Entzöge 
gott  nicht  zeitweise  seine  gnade,  die  auf  dieser  staffel  stehenden  menschen  würden 
sich  zu  tode  üben.  Sie  ringen  wie  Jakob  mit  dem  engel  um  den  segen  gottes,  sie 
erhalten  ihn  auch,  daz  si  untz  an  iren  tod  müssent  hinken  wie  Jakob  (Gen.  32,  25). 
diser  segen  —  der  ist  das  er  (der  lierr)  inen  brichet  die  adren  ob  der  rechten  huf: 
das  ist  ir  begirde  die  si  zii  ziilichen  dingen  hant,  wo7i  wenne  si  har  abe  gant  z& 
zitlichen  dingen  daz  si  ir  notdurft  müssent  suchest:  wenne  si  denne  die  zehen  des 
rechten  fässes  uf  das  ert  (139^^)  riche  bietent,  so  kumet  doch  die  versen  niemer 
gentzklich  uf  das  ertrich.  war  umbe?  do  hinkent  si  an  dem  rechten  fasse,  das  ist  ir 
begirde  die  hinket  zä  allen  zitlichen  dingen,  und  hebent  iren  fäs  snelklich  uf  zä  got- 
lichcn  dingen  und  hant  behendenklich  genüg;  c)  als  ein  minnenklich  gemachel  zä 
siner  gemachlen.  hie  gant  si  beidü  von  einander  und  dis  geschieht  och  mit  ir  beider 
willen,  der  sele  und  gottes.  ja  si  lasset  hie  got  dur  got  und  dient  und  hilft  den 
(kloster)schwe8tern,  überhaupt  ihren  mitmenschen  um  gottes  willen,  ohne  deshalb 
auf  sich  selber  unachtsam  zu  werden.  wo7i  ein  mansche  mag  einer  stunde  uß  gan  von 
liechtkeit  von  der  gnade  gottes  {1¥)^)  und  das  er  si  darnach  gern  hetti,  das  si  im  i7i 
langer  zit  niemer  tvider  wirt.  won  die  gnad  gottes  ist  also  zart,  das  si  mit  itallich 
bi  dem  monscJien  beliben  wil  und  kumt  si  einig  zä  dem  manschen,  so  wil  si  aber 
fruchtberlich  wider  komett.  —  9.  (11:0^,8)  ein  fürin  minn:  zum  vergleich  wird  die 
schwarze  kohle,  bis  sie  im  feuer  zu  asche  wird,  herangezogen,  ihr  völliges  aufgehen 
am  leben  der  Maria  Magdalena  an  der  band  ihrer  legende  veranschaulicht  (siehe 
unten);  ihr  ist  nachzueifern  und  zwar  gleichfalls  in  dreifacher  beziehung:  1.  min 
kint,  laß  dich!  der  kol  bi  dem  für  lat  sich  wellen  ('rollen,  schieben')  war  ynan 
iril.  also  solt  du  dich  lassen,  ivie  got  oder  creatur  mit  dir  tänd,  das  soll  du 
liden  (hinweis  auf  Gal.  6,  11).  2.  Im  feuer  wird  die  kohle  dem  feuer  gleich :  so  sollst 
auch  du  das  feuer,  das  in  deinem  herzen  glüht,  deinem  nächsten,  bedarf  er  dessen, 
mitteilen,  sei  es  dass  du  von  gott  sagen  hörst  in  der  predigt  oder  anderswo.  Ist  dir 
et^as  von  der  paradiesesfrucht  zuteil  geworden,  so  spende  davon  auch  deinem  mit- 
menschen, und  wäre  es  eiti  einig  loiblin,  ein  einziges  gutes  wort,  in  der  predigt 
gehört  oder  in  gnaden  empfangen,  du  macht  nüt  wüssen  wo  dur  got  den  manschen 
wil  ziechen,  dur  dich  oder  dur  ander  lüt.  3.  Die  kohle  geht  gänzlich  im  feuer  auf 
und  wird  zu  asche:  so  gehe  auch  du  ganz  in  der  göttlichen  minne  auf.  in  disen 
manschen  —  lebet  got  und  iveset  in  in  und  würket  allüjr  trerk,  won'\er  ist  ir  tän 
und  ir  lassen  und  si  sint  in  got  alzemale  als  si  u'aren  in  ir  erstem  Ursprünge,  do  si 
von  in  selber  und  von  keiner  creature  nützit  wüston.  —  10.  (143»,  14)  die  zehnte  und 


16  STRAUCH 

höchste  stafifel  ist  du  wcslich  minn,  die  got  selber  ist.  Gott  schuf  uns  nach  seinem 
bilde,  machte  uns  an  der  gerechtikeit  sich  gleich  und  an  der  grussi.  Durch  Adams 
fall  beleih  dem  menschen  mit  won  du  grussi,  als  vil  als  der  M.  das  antlit  der  sele 
—  das  ist  der  fri  wille  —  na(c)hbildet  dem  leben  Christi.  Wie  Christus  alles  dem 
vater  zur  ehre,  dem  nächsten  zum  nutzen,  der  ganzen  menschheit  zum  guten  Vor- 
bild tat,  so  sollen  auch  wir  in  gleicher  weise  aus  'freier  minne'  handeln,  als  vil  du 
dich  tiu  gelich  haltest  Christus  leben,  als  vil  belihet  das  antlüt  diner  sele  gelich  got. 
Wie  Noe  das  edel  tüblin  aus  der  arche  aussandte  und  dieses  einen  grünen  zweig  im 
Schnabel  heimbrachte  als  Wortzeichen,  als  wares  urkünd  der  Versöhnung  zwischen 
gott  und  dem  menschen,  so  hat  gott  aus  der  arche  seines  väterlichen  herzeus  den 
menschen  auf  den  plan  dieses  zeitlichen  lebens  gesandt,  auf  dass  er  sich  luterlich 
halte  das  er  das  grüne  zwy  sines  verdienens  und  siner  ersten  unschulde  und  des 
minnenklichen  verdienens  Christi  bringen  solt  in  dem  munde,  als  es  die  küngklich 
magt  Maria  bracht  in  der  hant  ('auf  den  armen'  nämlich  das  Christuskind,  vgl. 
A.  Salzer,  Die  .Sinnbilder  und  beiworte  Mariens  s.  501,  10),  also  bringent  es  alle 
mSnschen  in  dem  munde,  won  sicher,  mansche,  tvilt  du  ivider  komen  in  die  arch  des 
vätterlicJien  hertzen,  uß  der  du  komen  bist,  so  m^st  du  ze  siben  malen  schSner 
(werden)  denne  du  sunn,  aber  din  sele  die  muß  ze  acht  malen  schöner  werden  denne 
du  sunne,  also  das  si  lücht  dur  den  lib.  —  du  müst  werden  also  edel  als  du  uß  ge- 
flossen bist,  solt  du  wider  in  fliessen  in  das  grundlos  mer  der  hochen  gotheit.  Nach 
dem  schluss,  dem  Amen  der  predigt  heisst  es  dann  noch  145*,  13  Wer  nu  dis  zechen 
Staffel  übergangen  hat,  der  vindet  in  zit  kein  räwestat ,  won  er  sich  in  weslicher 
minne  mit  got  vereinet  hat  und  er  sin  gemüte  mit  dem  adler  in  die  hSchi  erhaben 
hat  und  sin  gevider  erswungen  hat  und  blikket  mit  dem  adler  in  der  sunnen  rat. 
Dis  ist  du  sunne  der  hochen  gotheit,  mit  der  ist  er  vereint  in  ewiger  Sicherheit 
mit  der  hochen  dryvaltikeit.  Kaum  ein  zusatz  des  Schreibers,  da  es  am  schluss 
der  folgenden  predigt  (14:8b,  9  ff)  fast  wörtlich,  wenn  auch  ohne  reimprosa,  ebenso 
lautet  (siehe  unten). 

17.  Bl.  liöa.  Dom.  I  Quadragesimae.  Hortamur  vos  ne  in  vacuum  graciam 
dei  recipiatis  (2.  Cor.  6,  1).  Es  sind  sechserlei  gnaden,  durch  die  gott  den  menschen 
aus  einem  sündhaften  leben  in  ein  geistlich  göttlich  leben  führt:  1.  ein  tribendii 
gnad,  2.  ein  ziechendü  gn.,  3.  ein  gandii  gn.,  4.  ein  löff'endu  gn.,  5.  ein  fliegendü  gn., 
6.  ein  zukkendtl  gnade.  Wie  der  esel  durch  schlage  und  die  aufgebürdete  last  vor- 
wärts getrieben  wird,  so  muss  auch  der  mensch  mit  bitterkeit  'angetrieben'  werden, 
damit  er  den  rechten  weg  gehe  (siehe  unten).  Des  weiteren  'entzieht'  gottes 
gnade  den  menschen  zitlicher  wollust.  (Durch  den  Verlust  von  bl.  147  erfahren  wir 
nur  noch  die  ausführungen  über  die  fünfte  und  sechste  gnade).  Die  'fliegende'  gnade 
macht  den  menschen  so  leicht,  das  er  auffliegt  wie  eine  taube :  wie  diese  gern  in 
den  mauerspalten  ihre  wohnung  nimmt,  so  der  begnadete  mensch  in  den  wunden 
und  im  herzen  Christi  (mit  verweis  auf  Job.  10,  9).  Entgegen  145b,  24  (ein  zukkendü 
gnad)  heisat  es  148b,  5  ein  flnkkendil  oder  ein  zukkendü  gnad,  wohl  weil  der  adler, 
der  auffliegt,  in  das  sonnenrad  blickt  und  an  der  sonne  hitze  sein  gefieder  versengt, 
zum  vergleich  herangezogen  werden  soll  (siehe  unten),  also  tänd  och  disü 
minnenklichen  manschen,  die  werdent  mit  den  ögen  der  Vernunft  und  des  bekentmisses 
in  blikent  in  das  rad  der  sunnen  als  vil  es  tnuglich  ist  einem  mönschen  in  zit,  und 
ir  gevider  wirt  besenget  von  der  sunnen,  das  ist  ir  minn  wirt  enzündet  in  der  sunnen 
der  hochen  gotheit,  und  si  werdent  verzükket  von  aller  zitlicheit  und  wider  ingefüret 
in  iren  ersten  Ursprung,  uß  dem  si  geflossen  sint,  do  werdent  si  mit  got  vereint. 


DER   EliGELBERGER   PREDIGER  17 

18.  Bl.  148'\  Mit  dem  textwort  Beati  mortui  qui  in  domiyio  morinntur  (Apoc. 
li,  13)  bricht  die  hs.  ab. 

Sb.  1.  Bl.  la.  Dom.  I  post  Pentec.  Dens  Caritas  est  et  qui  manet  in  caritate 
in  deo  manet  et  deus  in  eo  (1.  Job.  4,  16).  (2*,  2)  Amor  vincit  otnnia.  minne  tiber- 
windet  alhi  ding,  sid  das  nu  ist  in  sitlichen  dingen,  so  ist  es  vil  billicher  in  gotlichen 
dingen.  (2«'^,  17  if.)  Es  gibt  vier  arten  der  minne,  die  uns  zu  gott  zieht:  die  götliche, 
natürlicbe,  brüderlicbe  und  selpliclii  minne ;  besitzest  du  diese  in  richtiger  weise,  so 
wirst  du  mit  gott  vereint.  Die  erste,  die  göttliche  minne  analysiert  unser  prediger 
in  Worten,  die  den  Stempel  innerer  anteilnahme,  eigensten  empfiudens  tragen;  Abel, 
Moses  und  Elias  werden  zum  vergleich  herangezogen;  siehe  auch  die  excerpte  bei 
Wackernagel  s.  597  unter  'S.  Bernhard'  und  s.  595  unter  'Funke'.  Die  natürliche 
minne  *  gibt  anlass  zu  einer  allegorischen  ausdeutung  von  Noes  raben  und  den 
beiden  wieder  in  die  arche  zurückkehrenden  tauben.  Die  brüderliche  liebe  zu  seinem 
nächsten  soll  gleich  der  zu  gott  sein,  mit  zwei  ausnahmen :  ihn  nicht  mehr  zu  lieben 
als  gott  und  ihn  damit  zu  einem  abgott  zu  machen,  und  ihn  nicht  als  gott  anzu- 
beten. Lehre  ihn  auch  nicht  subtili  ding  von  der  gotheit,  das  kommt  dir  nicht  zu, 
ist  vielmehr  die  aufgäbe  der  lehrer  (die  das  gotz  wort  uf  den  stälen  si'dlent  thi 
15b,  20)  und  prediger;  beschränke  dich  darauf,  ihn  den  christlichen  glauben  und  die 
zehn  geböte  zu  lehren  sowie  die,  die  einem  orden  angehören,  nach  der  regel  zu 
leben,  der  meisterschaft  ane  murmulon  gehorsam  zu  sein  (7a,  16  ff.);  vgl.  auch  das 
excerpt  bei  Wackernagel  s.  584  z.  15— 23^  Die  selplich  minne  ist  die  liebe  zu 
sich  selbst,  sie  soll  so  gross  sein,  dass  du  keine  sünde  in  dir  ungerochen  lässt.  Der 
mensch  soll  stets  das  rechte  äuge  (die  gerechtigkeit)  auf  sich  selber  gerichtet  halten, 
was  oft  nicht  geschieht.  Es  gibt  viele  menschen,  die  dis  minne  gar  unredlich 
bruchent,  die  alwegent  mit  dem  geissögen  uf  iren  ebenmonschen  secJient,  eine  an- 
spielung,  die  mit  einem  einleitenden  wir  lesen  (8b,  4)  des  näheren  erläutert  (siehe 
unten)  und  durch  hinweis  auf  Matth.  5,  29  gestützt  wird.  9b,  1  ff.  führt  eine 
scholastische  auslegung  des  vierteiligen  kirchenjahres  ^  mit  nutzanwendung  zum  schluss. 

2.  Bl.  10^.  Dom.  I  post  Pentec.  Homo  quidam  erat  dives  et  induebatur  pur- 
pura   et   bisso   et   epulabatur   cotidie   splendide   (Luc.  16,  19).     Der  text  vom   reichen 

1)  Und  dise  minne  ist  also  edel,  so  du  nature  stat  in  irem  adel,  das  kein 
mittel  ist  zivuschent  got  und  nature  wen  (Sb  5^»)  das  got  ist  wesen  und  nature  ist 
ein  gäbe,  ja  !  got  ist  ane  anvang  und  ane  ende,  so  ist  nature  anvang  und  ende  und 
ist  uß  got  geflossen\nnd  ist  ein  gäbe  gottes. 

2)  Dem  excerpt  bei  Wackernagel,  im  Zusammenhang  mit  ihm,  geht  Sb  8a,  2 
der  eigenartige  vergleich  voraus :  hette  ein  monsche  den  andren  lieb  und  tvere  der 
mönsche  in  einem  vasse,  als  vil  sin  in  dem  vasse  tvere  gesin,  also  vil  hette  er  das  vas 
lieb,  also  solt  du  tän. 

3)  Die  teilung  ist  folgendermassen  gruppiert:  1.  die  zeit  von  Septuagesima 
bis  zum  Sonntag  so  das  marterzit  an  rächet;  es  ist  ein  zit  des  irrganges,  als  Adam 
aus  dem  paradies  Verstössen  ward  und  mit  ihm  das  ganze  menschengeschlecht;  in 
diesem   Zeitabschnitt   liest   man    das   bäch   Genisi  (!).     2.  Advent   bis    Septuagesima 

—  zit  der  ividerrüffunge,  seit  Christi  geburt.  —  lectio;  die  buch  der  propheten  und 
der  ivisagen.  3.  Sonntag  de  passione  Domini  —  so  das  marterzit  an  rächet  untz  an 
den  sunnentag  das  man  an  vachet  Deus  omnium  (respons  der  zweiten  brevierlectio 
der  Dominica  III  post  Pentec.)  —  zit  der  versünunge,  marter,  tod  und  auferstehung 
Christi,  aussendung  des  h.  geistes.  —  lectio:  das  bäch  Jeremie.  4.  von  da  bis  zum 
Advent  —  zit  des  strites,  streit  und  sieg  der  könige:  ecclesia  militat,  ecclesia 
triumphat.  —  lectio:    das  bäch    libri  (!)  Regum,    libri  (!)  Sapiencia    und  andrü  blich 

—  libri  Machabeornm.  Die  einteilung  entspricht  im  grossen  ganzen  dem  Breviarium 
Coüstantiense  (vor  1500). 

ZEITSCHEIFT  F.  DEUTSCHE  PHILOLOGIE.    BD.  L.  2 


18  STRAUCH 

manne  und  Lazarus  erfährt  geistliche  deutung.  Beide,  der  arme  wie  der  reiche, 
sollen  im  menschen  'vollbracht'  werden,  tco^i  du  bist  der  ander  himel  und  du  minder 
weit  (mikrokosmus).  Willst  du  ein  reicher  mensch  werden,  so  musst  du  arm  werden, 
denn  der  reichtum  entspringt  aus  der  arniut.  Diese  aber  bedingt  ein  dreifaches  im 
klösterlichen  leben:  1.  freier  verzieht  auf  zeitliches  gut,  auf  das  erbe  der  eitern  und 
verwandten,  unter  berufung  auf  Matth.  19,  16ff. ;  2.  verzieht  auf  jeglichen  'nutz  des 
gutes',  auf  die  ausnutzung  dessen,  was  andere  besitzen,  denn  dann  wäre  es  schon 
besser  gewesen,  das  väterliche  erbe  zu  behalten.  Siehe  das  excerpt  bei  Wackernagel 
s.  592  unter  'Nonnenleben'  (z.  4  ist  gilen  zu  lesen,  desgl.  s.  593,  19  ab  mit  gilen)\ 
3.  völlige  aufgäbe  seiner  selbst,  'das  ist  die  grösste  armut  und  gelassenheit' ;  berufung 
auf  Matth.  19,  27,  Joh.  12,  25.  Dis  int  ein  armät  der  snellenMich  volget  grosser 
geistlicher  richtam.  Zu  diesem  führen  fünf  staffeln :  1.  sich  von  allen  sündlichen 
gebresten  kehren,  sich  den  tugeuden  zuwenden,  den  Untugenden  entfremden;  2.  ein 
tapferer  manlicher  flis  alle  tilgende  ze  roibringen  nf  ir  volkomcnheit.  Lass  dir  die 
niedrigsten  dinge  zu  tun  angelegen  sein ;  3.  ein  erluchtet  consciencia  —  oder  ein  wis 
bescheiden  minne  — ;  das  ist  das  der  mansche  also  erluchtet  si  und  alsolichen  under- 
scheid  enphangen  habe  von  got,  das  er  ieklichem  dinge  sin  recht  ordenlich  kunne 
geben.  Man  soll  nicht  alle  menschen  auf  einen  punkt  treiben,  denn  was  dein  leben 
ist,  kann  eines  andern  ewiger  tod  sein ;  4.  versäume  nicht  den  rechten  aiigenblick 
(hlickschos  IG^,  21),  wenn  gottes  gnade  sich  dir  nähert;  sie  wird  dir  vielleicht  nie- 
mals wieder  zuteil ;  5.  sei  allen  ein  vorbild  durch  einen  in  werten  und  werken 
geordneten  lebenswandel.  Im  weiteren  verlauf  werden  die  textworte  'purpur',  'bissus', 
'grosse  Wirtschaft'  im  sinne  des  geistlichen  reichtums  ausgelegt,  es  wird  gezeigt, 
dass  dieser  geistliche  besitz  den  menschen  erst  befähigt,  auch  innerlich  arm  zu 
werden,  zu  sterben  und  entwerden  gotz  und  aller  siner  gaben  von  innan,  was  wieder 
an  der  haud  des  textes  ausführlich  veranschaulicht  wird. 

3.  ßl.  23^.  Dom.  II  post  Pentec.  Homo  quidem  fecit  cenam  magnam  et  vocavit 
multos  (Luc.  14,  16).  ^ach  vollständiger  mitteilung  des  evangelientextes  folgt  die 
auslegung  im  einzelnen:  des  brntlöf  und  des  abentessen,  der  spendung  des  altar- 
sacramentes.  Unter  den  drei  gruppen,  die  nicht  der  einladung  des  herren  folge 
leisten,  sind  gitig  und  hochvertig  liite  sowie  solche  zu  verstehen,  die  ein  unlauteres 
leben  führen.  Über  erstere  siehe  das  excerpt  bei  Wackernagel  s.  594  unter  'Strass- 
burg'er  messe'.  Wer  da  sagt  'entschuldige  mich'  und  weiss,  dass  er  unrecht  getan, 
der  tut  wie  Adam,  der  die  schuld  auf  Eva  und  die  schlänge  schob.  Da  wählst  du 
dir  besser  Maria  Magdalena  zum  vorbild  (Marc.  14,  3  ff).  —  Die  hochfertigen  (gruppe  2: 
26b,  2  ff.)  sind  wie  die  rinden  die,  Avenn  man  ihnen  das  joch  auflegt,  im  zorn  mit 
beiden  hörnern  alles  verletzen  was  ihnen  in  den  weg  kommt.  Man  ist  ihnen  gegen- 
über, auch  im  kloster,  machtlos ;  wider  ein  wort  geben  sie  zehn,  lassen  weder  geist- 
liches noch  göttliches  gelten,  das  recht  harn  (27»)  ist  die  geschrift,  die  valschent  si 
und  sprechent  was  si  gelesen  iind  gehört  haben  und  wie  man  tan  si'dle,  als  inen  denne 
in  irem  hopte  ist.  won  si  wend  uß  ihrem  höpte  leben  und  wend  schlechtlich  nieman 
gehorsam  sin.  das  sint  wol  die  menschen,  von  dien  da  stat  in  der  regel  s.  Benedicti 
die  do  heissent  selbweller  (siehe  die  Engelberger  benedictinerregel,  Geschichtsfreund 
89  (1884),  15  23j  16").  —  dise  manschen  verkerent  die  heiligen  geschrift,  wan  die  ge- 
schrift lat  sich  biegen  als  das  wachs  und  dar  umbe  spricht  man,  si  habe  ein  wechsln 
nasen^  aber  wenn  man  si  richtig  nimmt,  so  lehrt  sie  niemanden  etwas  unrechtes. 
Mit  dem  andern  hörn  glauben  sich  die  hochfertigen  zu  wehren,  indem  sie  sagen : 
ich  tue  nichts  als  was  du  auch  tust ;  du  kannst  dich  aber  vor  gott  damit  nicht  ent- 


DER  ENGELBERGER  PREDIGER  19 

schuldigen,  dass  die  andern  auch  tun  was  sie  nicht  tun  sollten  (mit  berufung  auf 
Matth.  23,  2—4;  ebenso  106^,  9).  28,  5  ff.  werden  die  fünf  joch  rinder  (ein  joch  zwen 
ochsen)  auf  die  fünf  aus-  und  inwendigen  sinne  gedeutet  (vgl.  auch  Eckhart  114,  30  f.). 
—  Über  die  unlauteren  menschen  (3.  gruppe)  siehe  das  excerpt  bei  Wackernagel 
8.  593  z.  20—41.  —  Aus  der  weiteren,  jeden  einzelnen  satz  des  bibeltextes  auslegen- 
den predigt  sei  noch  folgendes  ausgehoben :  31a,  8  ff.  gross  war  das  'abendessen' 
(Luc.  14,  16),  weil  der  gastmahlgeber  'ein  grosser  herr',  Jesus  Christus  war,  u-oti 
was  ein  keiser  gebe,  das  teere  vil  getneiner  denne  das  ein  kleiner  mansche  gebe,  weil 
alle  Patriarchen,  propheten  und  apostel  zugegen  waren,  der  heilige  geist  selber 
schenke,  die  mutter  gottes  kelnerin,  die  gerichte  und  speisen  edel  und  vin  waren, 
warum  es  ein  nach  tmahl  war,  sagt  das  weiter  unten  mitzuteilende  excerpt. 

4.  Bl.  33a.  Dom.  II  post  Pentec.  Dicite  invitatis  ut  venirent  qnia  parata  sunt 
omnia  (Luc.  14,  17).  Unser  prediger  hat  die  neigung,  öfter  die  präfiguration '  als 
mittel  der  veranschaulichung  zu  verwenden.  Er  'beweist'  seine  ausführungen  mit 
figur  und  mit  der  geschrift.  So  auch  hier.  Das  Luc.  14,  16  ff.  erwähnte  abendmahl, 
zu  dem  'alles  bereit'  ist,  hat  schon  im  alten  testament  sein  vorbild  in  dem  fest- 
mahl  des  königs  Aswerus  (=  Christus,  siehe  meine  anm.  zu  Heinrich  v.  Xördlingen 
XXXni,  3,ö  ff.),  das  osterlembli  (=  fronleichnam),  das  da  gebraten  wart  ayi  dem 
heiligen  krütze  in  dem  himelbrot,  das  der  rabe  täglich  dem  Elias  brachte  (1  Könige 
17,  6;  ausser  an  dieser  stelle  34",  7  wird  nochmals  45a,  1  und  12315,  17  darauf  an- 
gespielt) und  mit  dem  das  volk  Israel  in  der  \vüste  gespeist  wurde  (unter  bezug- 
nahme  auf  Exod.  12,  8,  vgl.  auch  bl.  45*,  8  ff.).  In  weiterer  ausführung  von  Esth.  1,  3.  5 
werden  zu  dem  von  könig  Aswerus  veranstalteten  mahle  viererlei  menschen  geladen: 
die  fürsten  und  edelleute,  gewaltig  hite,  dur  das  si  der  porten  und  der  toren  solten 
hüten,  die  schönsten  kinder,  um  dem  volk  und  der  herschaft  kurzweil  zu  schaffen, 
das  'gemeine'  volk :  vier  gruppeu,  die  ausführlich  im  geistlichen  sinne  charakterisiert 
werden;]^ die  ausdeutung  ist  hier  oft  eine  recht  gewaltsame,  weit  hergeholt  und 
gesucht.  37^,  5  ff.  bis  zum  schluss  handelt  dann  vom  sechsfachen  nutzen  eines 
würdigen  geniessens  des  osterlamms  und  des  altarsacramentes,  vor  dessen  unwür- 
digem, sündigem  empfang  besonders  eindringlich  gewarnt  wird. 

5.  Bl.  43b.  Der  gleiche  text  wie  in  nr.  4,  auf  die  sich  der  prediger  auch 
beruft  (44a,  9  f.).  Wieder  wird  an  des  Aswerus  festmahl  als  präfiguration  des 
abendmahles  Christi  angeknüpft.  Christus  genoss  (nos)  zuerst  sich  selber,  um  allen, 
die  ihn  begehren,  genug  zu  tun  ;  alle,  die  verderbent  in  wasser  oder  in  füre  oder  an 
stritten  oder  des  gechen  todes:  sie  empfangen  den  fronleichnam  als  gewerlick  geistlich 
als  ob  si  in  enphiengen  von  des  priesters  hant.  Um  das  n achtmahl,  das  sacrament 
würdig  zu  empfangen,  bedarf  es  zwölferlei  (4  X  3)  dinge,  erkenntnisse  und  Übungen  : 
1.  in  welcher  weise  und  warum  Christus  es  eingesetzt  hat:  a)  auf  dass  die  flguren 
der  alten  e  vollbracht  würden,  Avobei  ausser  auf  Elias,  das  den  kindern  von  Israel 
gespendete  manna  und  Moses'  bestimmung  über  den  genuss  des  osterlamms  (siehe 
pred.  nr.  4),  auch  auf  Jesaias  45,  8  und  Ps.  77,  25  hingewiesen  wird.  Des  Martyrium 
Isaiae  wird  bei  diesem  anlass  in  einer  eigenartigen  fassung  gedacht:  45'',  7  ff.  do 
man  den  (Jesaias)  tcolt  tuden,  do  hat  er  sich  verborgen  in  eine  böm  vil  zites,  und  die 
vigent  kamen  und  sagten  den  bön.    und  do  si  kamen  im  in  sin  hopt,    do  rt«ft  er  das 

1)  du  alte  und  dti  nihve  E  (Sb  142b,  14  werden  sie  durch  die  beiden  hörner 
der  bischöflichen  inful  versinnbildlicht),  die  gant  gar  gelich  mit  ein  ander,  toan  waz 
du  alt  e  hat  in  figure,  das  hat  du  niUv  in  gnade  (Sb  60^,  4). 

9* 


20  STRAUCH 

si  uf  horten,  und  si  taten  es  nnd  hatten  ime  in  sin  höpte  gesagt,  das  ime  sin  blät 
über  sin  antlit  nider  ran.  do  sprach  er:  es  werdent  komen  die  tage,  das  die  himel 
werdent  trophent  von  süssiJk'eit  nnd  es  wirt  geben  ein  spis  den  manschen,  das  ich  die 
spise  solte  niessen,  so  ivolte  ich  ir  gerne  in  diser  bitterkeit  beiten.  Dis  sprechent  die 
lerer,  das  es  nochten  was  nündhalbhundert  iar,  e  das  Cristus  die  spis  bereit^.  — 
b)  dass  Christus  das  naclitmahl  einsetzte  aus  überströmender  liebe  zum  menschen- 
geschlecht  (Jerem.  31,3),  wofür  der  prediget  sich  u.  a.  auch  auf  sanctus  Urbanus 
beruft,  der  do  schribt  von  dem  sncranient  (46b,  12)  ^  —  c)  dass  aucli  der  inwendige 
mensch  von  geistlicher  speise  gespeist  werden  sollte;  2.  der  Vorbereitung  zum 
empfang  des  sacraments  innerhalb  3  oder  4  tagen :  a)  indem  du  dich  begangener 
Sünden  schämst  und  sie  gewissenhaft,  aber  kurz  beichtest,  won  ein. lange  bicht  zoiget 
ein  verirt  gewitssenil  (cotisciencia)  —  und  du  benimest  dinem  bichter  sin  edel  zit  und 
verirrest  dich  selber  und  och  in  (47^,  1  ff.).  In  der  alten  e  büsste  man  die  schweren 
Sünden  durch  darbriugung  eines  opfers.  Wir  beichten  dem  menschen,  denn  gott 
ist  mensch  geworden.  Dar  umbe  saste  sant  Jakob  ^  uf,  das  man  de  manschen  bichtet 
an  gotes  stat  totsiinde  und  der  gelich  (47b,  21  ff.).  Zuerst  aber  beichte  gott,  dann 
erst  dem  priester.  —  b)  indem  du  deinem  nächsten  gegenüber  friedlichen  herzens  bist 
(Matth.  5,  23.  24),  —  c)  indem  du  die  feste  und  ernste  absieht  hast,  dich  vor  Sünden 
zu  hüten ;  weder  papst  noch  bischof,  prälat  noch  leutpriester  können  dich  sonst 
absolvieren;  3.  der  Vorbereitung  am  morgen  und  in  dem  augenblick  (dem  ^e^en- 
tf'iirtigen  nn),  da  du  das  sacrament  empfangen  sollst:  a)  dazu  ist  nötig  ein  reuiges, 
gesammeltes  (geordnot)  herz,  nach  dem  du  genügend  geschlafen,  dich  nicht  un- 
ordenliche)-  Übung  der  nacht  hingegeben  hast;  —  b)  inbrünstige  Sehnsucht  nach 
dem  sacrament,  so  dass  dir  nicht  leider  geschehen  könnte  als  wenn  man  dir  sagte : 
dii  kilch  ist  verschlagen,  du  mäst  ane  das  sacrament  sin.  dir  solte  vil  lieber  sin,  das 
man  dir  seite,  das  din  vatter  und  niäter  und  alle  din  frthide  tot  weren,  ja  ob  ma7i 
Joch  spreche  des  gechen  todes  (49b,  H  ff ),  _  e)  alle  andacht  zu  lassen,  vielmehr  habe 
der  mensch  darauf  zu  achten,  in  nichts  ärgernis'zu  geben,  sich  zu  hüten,  das  er 
mit  sinen  tüchren  noch  mit  keinen  dingen  den  jjriester  irre  noch  das  sacrament  nüt 
rare  noch  ime  kein  untvirdikeit  erbiete  und  Unachtsamkeit  noch  den  kelch  nüt  schütte 
(..0»,  11  ff.).  Manche  menschen  sagen,  man  solle  beim  empfang  des  sacramentes  aus 
andacht  niederfallen :  das  ist  mit  recht,  sicher  ane  zivivel,  won  der  mansche  macht 
salich  andacht  haben,  das  er  sin  selbes  vergesse  und  ime  das  sacrament  uß  dem 
mnnde  enphiele,  —  —  er  soll  deshalb  darauf  bedacht  sein,  dass  er  dem  sacrament 
von  ussnan  genug  tüge  (50'i,  15  ff.);  4.  des  Verhaltens  nach  dem  empfang:  a)  nach- 
dem du  in  dem  kor  den  mund  geöffnet  und  dem  sacrament  von  ussnan  genug  getan 

1)  Über  das  Martyrium  Isaiae  siehe  Schürer,  Geschichte  des  jüdischen  Volkes 
3*,  386  ff. ;  Kautzsch,  Apokryphen  und  pseudepigraphen  2  (1900),  122  f.;  Protest, 
realencykl.  8  (1900),  71 4,  24  ff'.  Aus  der  älteren  deutschen  literatur  kenne  ich  nur 
die  anspielung  in  Heslers  Apokalypse  ed.  Helm  13271  ff.  mit  der  anm.  Zu  do  sprach 
er  usw.  vgl.  Luc.  17,  22;  Joel  3,  18;  Amos  9,  13;  Ps.  135,  25.  Dazu  schreibt  mir 
K.  Bihlmeyer :  'die  christliche  Weiterbildung  der  legende  mit  Weissagung  der  eucharistie 
kann  ich  zunächst  nicht  belegen.' 

2)  Gemeint  ist  pabst  Urban  IV  (f  1264),  der  Stifter  des  fronleichnamsfestes 
(Magnum  Bullarium  romanum  I  (Luxemb.  1742),  121  f.).  'Die  bezeichnung  Urbans 
als  ,sanctus'  erklärt  sich  wohl  daraus,  dass  sich  nach  seinem  tode  das  gerücht  ver- 
breitete, auf  seine  fürbitte  hin  seien  wunder  geschehen.  Deshalb  wurde  auch  der 
leichnam  aus  der  dominikanerkirche  in  Perugia  nach  dem  dorne  daselbst  überführt. 
Vgl.  L.  Duchesne,   Liber  pontificalis  2  (Paris  1892),  455.'     (K.  Bihlmeyer.) 

3)  Vgl.  Jac.  5,  16  und  Beda:  Schönbach  zu  den  Altd.  predigten  3,  88,  34. 


DER  ENGELBERGER  PREDIGER  21 

hast,  solt  du  nu  den  mund  diner  sele  uf  tän,  das  ist  diu  begirde,  und  du  solt  din 
hertzlieb  umbevachen  mit  dien  armen  dinier  sele  (bezugnahme  auf  Cant.  3,  4).  Dann 
erschliesst  er  dir  den  minniglichen  verborgenen  schätz  seines  leidens  und  wird  jedem 
menschen  gegenwärtig  auf  seine  weise,  diesen  in  dem  kripflin,  an  der  säule,  unter 
der  dornenkrone,  unter  oder  an  dem  kreuze,  jenen  im  grabe,  in  der  vorhölle  bei 
den  altvätern,  oder  bei  der  auferstehung,  der  himmelfahrt,  beim  gericht.  51b,  8  ff. 
Etlichi  manschen  werdent  aber  in  grosses  darben  und  hertikeit  gesetzet,  sind  gnadlos, 
etliche  werden  schleffent  von  turri  und  von  trakheit  iind  gelassenheit.  Wenn  dir 
derartiges  widerfährt,  dann  prüfe  dich,  womit  du  es  verschuldet  hast,  oder  schicke 
dich  darein,  wenn  du  dir  keiner  schuld  bewusst  bist:  dann  ist  es  eine  gäbe  von 
gott.  Du  vermagst  vielleicht  in  der  hertikeit  mehr  gutes  zu  bewirken  (schicken) 
als  in  überfliessender  gnade.  Alles  gute  aber  haben  wir  von  gott,  —  b)  du  sollst 
an  jenem  tage  oder  bis  du  wieder  das  sacrament  empfängst,  diesem  zu  ehren  etwas 
besonderes  tun  oder  lassen:  darin  liegt  die  verborgene  frucht  des  sacramentes:  an 
fugenden  zu-,  an  Untugenden  abzunehmen,  c)  ein  minnenklich  bibeliben  bi  dem  sacra- 
ment und  ein  stilles  warnemen  din  selbes,  won  ie  stiller  du  dich  haltest  bi  dem  sacra- 
ment, ie  langer  es  dir  belibet  (53a,  3  ff.)  ]S[u  ist  ein  frage,  wie  lange  das  sacrament 
leiblich  im  menschen  bleibe:  nur  solange  die  oblate  ganz  bleibt;  geistig  genommen 
aber  bleibt  das  sacrament  so  lange  als  der  mensch  bei  ihm  bleibt  und  bei  sich 
selbst  (58a,  7  ff.). 

6i  BI.  53^.  Ornaverunt  fadem  templi  coronis  aureis  et  dedicaverunt  altare 
domino  et  factß  est  letitia  magna  in  populo  (1  Maccab.  4,  57.  58).  Die  predigt  handelt 
von  drei  tempeln,  geziert  mit  guldinen  kronlinen:  ein  materglicher  tempel  (der 
tempel  Salomos),  ein  liplicher  tempel  (Jesus  Christus),  ein  geistlicher  tempel  (jegliche 
reine  minnende  seele  (vgl.  1.  Gor.  3,  17.  6,  19).  Diese  drei  tempel,  zu  gottes  ehren 
erbaut,  wurden  dann  aber  zerstört,  um  abermals  wieder  aufgerichtet  zu  werden.  Von 
Salomos  tempel  blieb  unter  seinen  söhnen  *  Eoboab  und  Naason  nichts  bis  auf  das 
gemi'ir  ein  wenig,  Christus  ward  gemartert  (.Job.  2,  19.  12,  24),  aber  nach  dem  kreuzes- 
tod  schnell  wieder  erhoben  zu  göttlicher  klarheit.  Und  ebenfalls  ward  der  dritte 
tempel  zerstört  mit  menger  hande  suntlicher  werke,  mit  dien  sich  der  mansche  von 
got  hat  gekeret:  soll  er  wieder  aufgerichtet  werden,  müssen  wir  Maria  Magdalena 
zum  Vorbild  nehmen.  Aber  auch  den  tempel  S^alomo8  lieas  Israel  später  um  so 
schöner  neu  erstehen,  aussen  und  innen,  und  zwar  innen  noch  kostbarer  als  aussen. 
59^,21  Disi  ustvendig  gezierde  d^s  ußirendigen  anthites  betutet,  das  du-  din  ußicctidig 
antlüt  solt  zieren,!  ^^'*  ^^  allen  mönsche(n)  wol  gevalle  und  gilt  bilde  da  von  nemen. 
Dis  antlüt  ist  din  [60^)  conversacion,  das  ist  din  nßivendige  wandlunge,  di  soltu  zieren 
in  Worten,  in  werken,  in  wandel,  in  geberde,  das  alle  manschen  gut  bilde  von  dir 
mugen  nemen  (Matth.  5,  16).  —  aber  du  solt  mit  hochfertig  da  von  sin.  —  das  inivendig 
antlüt  des  tempels  —  das  betütet,  das  das  inivendig  antlüt  diner  sele  sol  vinlich  geziert 
sin  mit  rot  guldinen  kranlinen.  das  antlüt  der  sei  ist  der  fryg  wille  des  manschen, 
der  sol  geziert  sin  mit  der  rot  guldinen  gotlichen  minne,    ivon   gotlich    minne   ist  als 

1)  Zugrunde  liegt  1  Kön.  cap.  12,  der  krieg  zwischen  Rehabeam  und  Jerobeam 
und  die  zerteilung  des  reiches  Salomos,  wie  es  in  der  predigt  heisst  in  regnum  Juda 
und  regnum  Israel;  zu  ersterem  hätten  sich  drei  der  zwölf  geschlechter  von  Israel 
vereinigt.  Die  biblische  Überlieferung  kennt  nur  Roboam  (Rehabeam)  als  söhn 
Salomos.  Naason  beruht  wohl  auf  der  irrtümlichen  auslegung  des  satzes  Naasson 
genuit  Salmon  (Ruth  4,  20;  1  Paral.  2,  11;  Matth.  1,  4;  Luc.  3,' 32).  Wo  aber  ist  die 
quelle  für  diese  Variante? 


22  STRAUCH 

edel  vin  rot  golt  wider  kupher  und  andrem  gesmide.  Der  altar  aber  im  teinpel 
Salomos  sei  dein  herz :  dies  gib  gott  allein  und  nicht  der  kreatur  (Sprüche  23,  26). 
61^,  18  were  ein  grosser  herre  in  zit,  der  begerte  diner  minne,  du  leitest  allen  dinen 
flis  dar  an,  wie  du  in  lieb  gehettest.  nu  were  der  nachten  tatlich  und  macht  dir  nüt 
dins  hertzen  gehuten  als  der  wirdig  ewig  got.  Ach!  min  liebes  kint,  gib  ime  allein  din 
hertze  und  tä  denne  uf  mich  was  du  teilt,  wan  ich  tun  dich  des  sicher  ane  zwi{<o2^)- 
vel,  das  du  dorne  nützit  vermacht  denne  das  er  tvil,  ivon  du  bist  hertzlos,  und  alles 
din  würhen,  das  tat  er  und  ist  sin.  Mit  bezug  auf  das  textwort  1.  Maccab.  4,  58 
Es  geschach  ein  grSssi  frSide  in  dem  volle  heisst  es  62*^,  6 :  was  ist  dis  anders  tüoti 
wenn  din  friier  iville  vereint  wirt  mit  gatlichem  willen:  denne  wirt  ein  grosse  fraide 
allen  kreften  der  sele.  Nu  sprechent  die  lerer,  das  di't  sele  habe  als  mengen  willen 
als  menig  gelid  der  üb  hat,  und  das  ist  vierdhalb  hundert^,  Dis  willen  alle  siillent 
vereint  werden  mit  gatlichem  willen,  denne  wirt  vil  und  grassi  fröide  allen  kreften 
der  sele  und  ze  male  dem  intvendigen  mönsche.  Hie  ist  rechti  kilchwi  und  anders 
nienant.  Hie  ist  nät  hundert  tage  ablas,  niere  hie  ist  ablas  aller  schulde,  hie  ist  uf 
ein  stunde  me  fraiden  denn  an  allen  kilchtcinen  ie  wurde  van  anfange  der  weit  untz 
an  das  ende.  Nu  ist  der  liplich  tempel,  das  ist  du  person  Christi,  enmitten  geleit 
entzwiischent  dis  ziven  tempel,  den  materglich  und  den  geistlichen,  und  billich,  tvon 
Christus  ist  ein  schlosstein,  der  do  ze  samen  schlüsset  du  zwei  geschlecht,  iuden  und 
heiden,  und  des  nujnschen  Hb  und  sele  och  ein{62^)lig  machet  mit  einander. 

7.  Bl.  63a.  Feria  VI  post  Dom.  III  Quadrag.  Venit  Jhesus  in  civitatem  Samarie, 
que  dicitur  Siclien  (!)  iuxsta  predium  qiiod  dedit  Jacob  Joseph  filio  suo  (Joh.  4,  5). 
Die  texterklärung  und  -ausdeutung  der  geschichte  von  Christus  und  der  Samariterin 
ist  eine  sehr  ausführliche  und  knüpft  fast  an  jedes  wort-  an.  Auf  eine  eingehende 
analyse  kann  verzichtet  werden,  doch  sei  verwiesen  auf  die  excerpte  bei  Wacker- 
nagel s.  593  z.  42  ff.  und  s.  596:  Quellen  der  geistlichen  lehre.  Anlässlich  des  ge- 
horsamgelübdes  heisst  es  68^,  2ff. :  ia  du  tverest  gar  gern  gehorsam,  der  dich  nützit 
hies  denn  das  du  gern  tetist.  du  stundist  gern  ze  metti  uf,  der  tags  metti  lutti.  du 
rastetist  gern,  der  dir  fünf  trahten  oder  sechs  geb  und  ztvo  simlen  oder  dry.  du  hast 
mit  genüg  mit  einer  kannen  mit  win,  du  hettist  gern  zwo,  und  recht  schlechtlich 
gerett :  dii  natur  der  ir  volget,  si  (hs.  so)  benügti  den  manscheti  niemer,  weri  loch 
ellii  du  ivelt  ir  eigeyi. 

8.  Bl.  743'.  Dom.  x  post  Pentec.  Duo  homines  ascenderant  in  templuni  ut 
orarent  (Luc.  18,  10).  Nach  der  textwiedergab e  befasst  sich  der  prediger  eingehend 
mit  der  ausdeutung  des  2)^iarisetis  (gelichsner)  und  j^^Micanus  (si'mder),  die  nach 
geistlicher  wis  beide  im  menschen  ^Is  leib  und  seele  vereinigt  sind.  Den  pharisäer 
kennzeichnet  ein  dreifaches,  wenn  auch  das  an  dritter  stelle  das  allein  entscheidende 
ist:  1.  ein  geistlicher  wandel  nach  aussen  in  Worten,  gebärden  und  tracht.  also 
waren  ir  kleider  lang  und  gar  geistlich,  der  schriberen  und  der  pharisei,  und  hatten 
denn    du    x  gebot  geschriben   an    berment    und   uf  irii    habter  geleit  und  torn  an  ir 

1)  Ähnliches  im  Legatus  divinae  pietatis  der  h.  Gertrud  IV,  23  (Revelationes 
Gertrudianae  ac  Mechtildianae  1,  371)  legit  vice  omnium  memhror}im  suorum  365 
vicibus  illud  evangelium  (Luc.  22,  42).  Vgl.  auch  Regimen  sanctatis  salerni  ed. 
Ackermann  1790  cap.  84  v.  253—257  und  im  Talmud:  D.  B.  von  Haneberg,  Die 
religiösen  altertümer  der  bibel-  1869  s.  134  (K.  B.). 

2)  Die  fünf  männer  (Joh.  4,  18)  werden  wie  Eckhart  109,  26.  114,  36.  187, 10 
nach  Augustin  auf  die  fünf  sinne  gedeutet  (Sb  671).  10).  Siehe  Lassen,  Meister 
Eckhart  s.  297. 


DER   ENGELBERGER  PREDIGER  23 

kleider  undnan  gemachet,  und  die  torn  stachen  si  in  die  versen7ien:  so  solten  si 
denn  vermant  werden  an  dii  x  gebot,  und  tvas  gar  ein  geistlich  ding.  2.  äussere 
Übungen  mit  fasten,  wachen,  gebet,  kirchgehen  und  dem  was  nach  aussen  grossen 
schein  hat,  aber  inwendig  wening  gät  meinung ;  so  tun  noch  heut  gar  viele  menschen, 
damit  sie  gesehen  und  für  heilig  gehalten  werden  (Matth.  6,  2).  3.  die  gelichsner 
lassen  sich  von  niemandem  zurechtweisen,  sie  halten  sich  für  besser  als  andere, 
massen  sich  aber  an  über  diese  zu  urteilen  und  zu  richten.  So  auch  die  pharisäer 
und  'Schreiber'  Christo  gegenüber,  aber  so  ist  es  auch  heute  noch  und  dreifach  ist 
die  gefahr.  daz  erst  ist  daz  der  inStisch  der  gaben  und  der  gtiad  gottes  unachtsam 
ist  und  dien  vermammgen  und  dem  triben  des  heiligen  geistes  tveder  loset  noch  volget 
(2.  Cor.  6,  1).  —  daz  ander  —  daz  ist  daz  der  mSnsch  dem  liden  Christi  (75b)  widerstat. 
ja  es  sint  etlich  manschen,  die  in  ireni  ersten  anvang  daz  liden  Christi  so  hertzclich 
liep  haut,  daz  inen  die  trehen  so  bald  über  ir  wangen  nider  löfen,  so  si  daran 
gedenkent  oder  do  von  hSrent  sagen,  und  recht  bald  dar  nach  in  kurtzer  zit  so  kerent 
si  der  von  und  widersta^id  im  und  tänd  daz  dar  umb  daz  si  die  behenden  tod  die 
daz  liden  Christi  von  dem  manschen  vordrot,  daz  si  die  mit  volbringen  went  und  ir 
natürlichen  gesäch  mit  toend  absterben,  ivon  daz  liden  Christi  vordrot  alwegent  in 
dem  mönschen  behend  töd  der  natur  und  des  eigenen  tvillen,  und  der  dis  mit  tun 
wil,  der  valt  denn  gern  in  ein  phariselich  tvis,  und  sprechent :  ach !  ich  ivil  ze  kor 
und  ze  kilchen  gan  und  tän  als  die  und  die,  die  werin  och  gern  ze  himelrich  und 
sint  gar  Hecht  dabi.  min  kint,  dis  ist  mit  recht,  got  vordrot  nie  denn  ze  kor  gan 
und  des  gelich,  er  vordrot  daz  alles  din  leben  imvendig  und  uswendig  in  sim  lob 
verzert  werd.  Das  dritte  ist  Undankbarkeit '  gegen  die  gaben  gottes,  wie  wir  es  an 
Lucifcr  und  Adam  sehen.  Wer  das  'heilige  almosen'  empfängt,  hat  fünf  dinge  zu 
beachten:  1.  du  sollst  es  suchen  an  gesäch,  d.h.  du  sollst  es  nicht  beanspruchen 
als  etwas  was  dir  zukommt;  wird  es  dir  zuteil,  dann  sollst  du  es  in  demut  emp- 
fangen ;  2.  empfang  es  an  gelichsnon,  daz  ist  einen  helbling  ass  danlcberlich  ass  einen 
guldin;  3.  soltn  es  gehalten  an  gitkeit  daz  du  din  hertz  do  von  kerest  ass  ob  du  sin 
mit  hettest;  4.  es  bruchen  an  bist  —  daz  du  kein  üppig  ding  niemer  do  mit  kdfest, 
tveder  schont  messer  noch  paternoster  noch  gesmeltz  noch  schtechtlich  geret  nützit  tcon 
blos  noturft  gewandes  oder  spis  und  daz  selb  nach  noturft  und  mit  nach  lust  noch 
nach  begird,  won  dir  git  menig  monsch  sin  almüsen,  daz  sin  bass  bedorfti  denn  du 
und  sin  stveis  und  sin  blät  darum  rert;  5.  es  verlieren  an  rtiwen,  aso  ob  du  es  öch 
dur  got  gebest  oder  es  dir  genomen  werd,  so  laß  es  varn  aso  lidclich  ass  du  es 
enphiengt.  Im  weiteren  verlauf  der  textausdeutung  bemerkt  der  prediger  zu  Luc.  18, 
12 :  76b,  27  ja  es  ist  vil  mönschen,  die  vasient  die  zäkiinft  (advent)  oder  die  vasten 
oder  ander  tag,  ja  sie  vastent  der  spis  daz  si  nüt  won  einest  essent,  aber  der  siind 
vastent  si  mit  daz  si  die  miden,  und  so  die  lüt  vastent  in  der  vasten,  so  tantzent  si 
denn  zu  dien  Östren  oder  vor  der  vasten  ze  vasnacht,  und  dis  ist  ein  unredlich  (77*) 
vasten  und  ist  mit  dti  vast  du  Christus  meint.  —  wel  eilend  ding  daz  ist,  gistu  got 
den  X.  teil  dines  gutes  und  gist  die  nun  dir  selber  und  dinen  f runden  !  es  vervachtich  (!) 
nützit.  —  got  wil  dich  gantz  han  mit  einander  oder  er  wil  din  aber  zemal  nützit.  — 
ina!  min  kint,  tvirf  vatter,  mäter,  bräder,  swester  in  den  einigen  vatter,  der  all 
creatur  versieht,  es  ist  mit  genäg  daz  du  mit  einem  teil  (das  ist  tot  sin  allen  crea- 
turen  und  got  allein  leben)  bist  bedeket,  mit  einer  kutten  umhenket,  me  du  solt  din 
hertz  und  din  gemät  got  allein  geben. 

1)  76a,  23    iveri   du    mäter  gottes  in  zit.  si  geb   sich   wol  schuldig,    daz  si  gott 
mit  aso  dankber  weri  ass  si  s&lti. 


24  sTRAuca 

9.  Bl.  71^'.  Dom.  XIII  post  Peutec.  Dntti  iret  Jhesns  in  Jet-nsalem,  transiebat 
per  medium  Samariam  et  Galileam.  (Luc.  17,  11)  =  Wackernagel  iir.  70  (s.  201  ff.), 
vgl.  Cruel  s.  400  f. 

10.  Bl.  83!>'.  Dom.  XIV  post  Pentec.  Fratres,  spiriiu  amhulate  et  desideria 
carnis  non  perficietis.  Caro  enim  concujnscit  adversns  spirltnm,  spiritus  enini  adversus 
carnem  (Gal.  5,  16.  17).  Ermahnung  zu  einem  'inwendigen  leben  des  gemütes'.  Wie 
groß,  wie  gilt  werk  man  iemer  gewi'irken  mag  von  iisnan  und  wie  gotformlich  si  ipch 
schinent  oder  sint,  so  sint  doch  die  inwendigen  ahvegent  got  die  nechren  und  die 
liebren.  Es  sind  drei  kräfte  der  sele,  die  in  uns  eigenartig  wirken  und  uns  zur 
einkelir  in  uns  selbst  verhelfen:  intellectus  (verstantni'ist),  voluntas  (will),  memoria 
(angedenlcnt'ist).  Der  intellect  kennt  viererlei  gedanken:  rerswekt  gedenk  oder  bös, 
versumt  gedenk,  gute  und  vollkommene.  Erstere,  die  minderwertigen  gedanken,  sind 
solche,  do  der  m.  Itistet  in  sinen  fnindeti  oder  in  citlichem  gilt  oder  er  oder  Inst  der 
natiir  oder  gnüglicheit  der  zit  oder  slechtlich  gerett  tvaz  got  mit  ein  ist  noeh  redlich 
notdurft  und  do  du  dinen  lust  suchest  in  dien  dingen,  du  dir  in  der  regel  din  meister- 
schaft  verbütet,  oder  das  do  ist  wider  Ordnung  der  kristenheit,  das  ist  das  do  ist 
tcider  du  x  gebot  oder  wider  den  globen,  und  du  dinen  lust  tvilt  nemen  wider  die  er 
gottes  und  du  in  weder  minnest  noch  meinest  mit  won  din  wol  sin.  Von  solchen 
unreinen  gedanken  kehre  dich!  wie  schon  Ezechiel  (36,  25),  Jesaias  (1,  16),  Jere- 
mias  (4,  14)  gemahnt  haben.  Bei  den  'versäumten'  gedanken  aber,  gedanken  an 
die  verlorene  zeit,  an  dein  sündiges  leben  halte  dich  nicht  lange  auf,  mit  'ver- 
wegenem gemüte'  entschliesse  dich,  dich  zu  bessern,  denke  nicht,  du  wollest  dich 
morgen  oder  dann  oder  dann'  bessern,  nach  der  predigt:  du  solt  es  iegenot  (hs. 
regnot)  an  vahen  mit  einem  gantzen  fürsats.  Sei  gewiss !  gott  will  dir  viel  bereit- 
williger helfen  als  du  es  zu  wünschen  vermagst.  Die  'guten'  gedanken  richten  sich 
auf  befolgen  der  zehn  geböte  und  dessen,  was  die  christliche  kirche  anordnet  (unter 
beruf ung  auf  Matth.  19,  17),  'vollkommenen'  gedanken  aber  gibt  der  mensch  räum, 
wenn  er  seine  äusseren  'viehischen'  sinne  und  kräfte,  wie  Moses  seine  schäüein 
(Exod.  3,  1  ff.),  in  die  'innere  wüste'  treibt,  wo  er  das  tvesen  gottes  tvirt  bekennent 
und  schöwent,  und  sin  sei  wirt  entsündet  und  wider  inflamment  in  das  minneclich 
Wesen,  in  dem  er  etvclich  gewesen  ist,  und  wift  also  begabot  und  entsündet,  das  er 
all  menigvaltikeit  rerlüret  tind  ein  istig  wesen  mit  got  irirt. 

Der  wille,  der  so  vielgestaltig  ist  wie  die  glieder  des  menschen,  deren  vierte- 
halbhundert  ^  sind,  wirkt  sich  gleichfalls  in  vierfacher  weise  aus  und  erscheint  als 
bös  oder  rerswekt,  miissig,  gät  und  glorioslich.  Über  die  erstere  art  s.  das  excerpt 
bei  Wackern:  s.  584  f.  z.  24—51,  woran  unmittelbar  anschliesst  (85^,  22):  der  m.  der 
in  einem  geistlichen  leben  ist,  der  solt  altvegen  sin  gehorsami  vor  allen  dingen  t&n 
und  lassen,  nein!  disi  m.  dti  hant  sich  nietnan  selassen.  warum?  do  hant  si  iren 
willen  also  gar  besessen,  das  inen  mitsit  gevallet  das  si  vor  gehorsami  täti  solten, 
nu  dunkt  si  dis  zehert,  denn  selang,  nu  lutet  man  ze  früg  metti,  den7i  liitet  man 
zelang,  denn  bettet  man  (86'i)  se  vil,  denn  sint  du  sit  selang,  detin  rastet  man  ze  vil, 
denn  git  man  in  ze  wenig,  und  alwegent  gebrist  in  etwas  und  körnend  niemer  zefrid. 
dis  komet  alles  von  eignem  willen,  das  dir  niitzit  gevallet  won  das  din,  weri  joch 
das  vil  herter  ujid  tinordenlicher.  —  Einen  'müssigen'  willen  zeigen  jene  menschen, 
die  dies  und  das  tun  wollen,  alles  mit  dem  munde  tun,  aber  nichts  wirklich  an- 
greifen   und    ausführen,    ja.,    du    wilt   gern    vil    vernünftiger   bredig   horeti   und   ril 

1)  Siehe  oben  s.  22. 


I 


DER   ENGELBERGER   PREDIGER  25 

buchren  in  diner  kisten  beschliessen  und  aber  nut  mit  leben  eri-olgen  (Prov.  13,  4); 
ja,  du  u-erist  gern  gat,  gieng  es  dir  zä  an  arbeit,  du  woltist  aber  gar  nngern  scham- 
lich ze  ca2}itel  gesteh  werden  und  der  dingen  gezigen  der  du  nut  schuldig  werist,  ass 
Christus  und  alleyi  cristfarmlichen  m.  dik  geschechen  ist  und  noch  geschieht,  und 
harnmb  so  vint  man  och  so  wening  heiliger  m.  under  geistlichen  Inten.  Die  beiden 
weiteren  willensarten  dürfen  hier  übergangen  werden. 

Die  dritte  kraft  der  seele,  die  memoria,  ist  etwas  anderes  als  der  erst  be- 
sprochene intellectus,  icon  in  dien  gedenken  hat  man  wol  bosi  und  giiti  ding,  aber 
angedenknüst  da  mag  man  nützit  haben  won  g&t  gedenk,  das  ist  ein  gät  memoria, 
do  der  m.  angedenkig  ist  das  man  im  seit  von  got  und  daz  man  höret  an  bredien 
oder  von  der  heiligen  geschrift  oder  ivaz  es  ist  daz  götlich  ist.  der  m.  hat  mit  ein 
g&t  memoria,  der  angedenkiger  ist  dag  man  im  seit  von  sinen  f runden  oder  von  zit- 
lichem  gat  oder  er  und  des  gelich;  was  man  ihm  aber  predigt  oder  von  gott  redet, 
das  geht  zu  einem  ohr  hinein,  zum  andern  hinaus,  und  dis  ist  ein  bös  memoria. 

11.  Bl.  87a.     Dom.  XV    post  Pentec.     Fratres,   si  vivimus  spiritii,   spiritu  et 
ambulemus  (Gal.  5,  25).   Die  predigt  setzt  die  vorige,  auf  die  sie  sich  87^,  5.  88^,  7 
beruft,   fort.     Die   sich   einem   inneren   leben   zugewandt   haben,   sollen  auf  diesem 
Wege   fortschreiten   im   einklang   mit  dem  h.  Bernhard,   nach  dem  ein  diener  gottes 
auf  dem  wege  zu  ihm  nicht  stille  stehen  dürfe ;  es  gebe  nur  ein  vorwärts  (für  sich 
gan)  oder  zurück  (hinder  sich  gan).   Es  gilt  ein  vierfaches:  1.  sich  sammeln  gegen 
alle  äusserlichkeit  fnswendikeit),  Zerstreuung  (Zerstörung,  lies  zerströwung)  und  ent- 
stellung  (verbildung)  zeitlicher  dinge,  einkehr  halten  im  eigenen  gemüt  —  dem  edlen 
fiinkli  der  sei,  daz  do  {do  daz  hs.)  lebet  und  verborgest  ist,  2.  es  strafen,  wo  es  sich  von 
gott  abgewandt,   3.  es  vom   zeitlichen  zum  göttlichen   erheben  (Phil.  3,   20),   4.  es 
ganz   in   gott   haften   zu   lassen  (1.  Cor.  6,  17).  —  Den  drei  kräften  der  seele  wird 
hier  eine  andere  Wirksamkeit  als  in  dem  vorhergehenden  sermo  zugeschrieben,  was 
besonders  hervorgehoben  ist.     Es  sind  n-arterin  —  und  si  ist  ein  kiinklichi  jungfrötc 
und  heisset  ein    tohter   von  Syon  —,    schetzerin  und  schöwerin.     Ihre  aufgäbe  ist  es 
des  menschen  von  innan,  von  usnan,  gegen  got  war  ze  nemen.   Der  warferin  wirken 
ist   ein   dreifaches.     1.  sie   beobachtet   des  menschen  mannigfaches  verschulden  und 
die  art,  warum,   wo  und  wann  er  sich  in  sünde  verstrickt,   ob  aus  Übermut  (frevel) 
oder   furcht,    ob   vor   den   äugen  seiner   mitmenschen,   die   dadurch  selbst  zum  un- 
rechten verleitet  werden,  zu  welchen  zeiten  und  an  welchen  statten,  ivon  ze  heiligen 
ziten  und  an  heiligen  stetten  ist  ein  ding  mer  siind  demi  ettcenn  anders.     2.  zu  dem 
andreti  mal  so  nimpt  disi  kraft  warterin  war  waz  ubels  ir  erlanget  und  ervolget  ist 
dur  die  schuld,  und  dis  ist,  daz  si  iemer  mer  ist  geneigt  z&  der  siind  denn  ein  luter 
m.,  daz  sich  vor  siinden  gehüt  hat,  und  im  blibet  ie  daz  toürtzeli  und  die  geneiglicheit 
der  sihid.     irie  genot  joch  der  m.  sin  sünd  rüwet,  bichtet  und  usrütet,  alles  geschieht 
dem    m.  von   gütlicher   trüw.     und   des  nim  bild  bi  den  kijiden  von  Ysrahel.     do  die 
vil  stetten  und  lendren  liberwunden   und  getoten   und  inen  an  gesigten,   do  konden  si 
ein  klein  volk  nie  tiberwinden  und  dis  umb  dri  sach.     zu  dem  ersten  mal  darum  daz 
si   sich   mit  tiberhüben  daz  si  so  gros  volk  iiberivunde7i  hatten,     zu  dem  andren  mal 
dartun :   hetten    si   daz  volk  libermmden  und  getödet,  so  teerin  tvürm  in  dien  muren 
geicachsen,  die  iverin  inen  schedlicher  gesin  denn   die  m.    ze  dem  dritten  mal  darum, 
daz   si  alwegent  lerneten  striten  und  niemer  müssig  wurden,     also  beschicht  och  dien 
m.:  zu   dem    ersten    mal  so  ein  m.  sin  sünd  gerüicet  und  gebüsset  und  dar  nach  vil 
(89^)   tind  groß   bekorting    tiberivint  und  groß  Übung  tat,    so  lat  got  dem  m.  eticenn 
einen    kleinen  gebresten  allen  sinen  lebtagen,    daz  er  den  niemer  tlbericinden  kan  und 


26  STRAUCH 

(//,s-  um  dry  sach:  a)  damit  er  demütig  und  sich  seiner  Sündhaftigkeit,  seiner  ge- 
bresten  bewusst,  dessen  eingedenk  bleibe,  dass,  was  er  gutes  getan,  allein  gott  in 
ihm  gewirkt  habe  (Job.  15,  5),  b)  dass  er  in  jedem  augenblick  sterbebereit  sei,  denn, 
glaubt  er  eine  anfechtung  oder  Untugend  überwunden  zu  haben,  so  sind  andere 
gegenwärtig:  überall  haben  wir  wider  unsere  feinde,  die  weit,  den  teufel  und  unser 
eigen  fleisch  zu  kämpfen  (Col.  3, 13,  jedoch  nicht  genaues  zitat,  vgl.  Ephes.  4,  2.  82.  5,  2. 
Job  7,  1),  c)  damit  der  mensch  zeige,  ob  er  göttliche  minne  habe  (unter  berufung 
auf  Paulus ').  —  3.  daz  drit  daz  disi  kraft  (warterin)  tmirket,  das  ist  daz  si  war  neme 
des  menigvaltigen  gutes  daz  ir  got  getan  hat,  indem  er  sie  nach  dem  bilde  der 
h.  dreifaltigkeit  geschaffen  hat,  sie,  die  gefallen,  mit  seinem  tode  erlöste  und  wieder- 
kaufte. Unfähig  dafür  zu  danken,  geswiget  si  alles  lobes  und  begert  allein,  daz  got 
sich  selber  lob,  und  dis  ist  daz  grSst  und  daz  minnrichest,  daz  man  got  in  der  zit 
getan  mag,  und  harum  so  wirt  ir  z&  gesprochen  von  got:  Enge  ancilla  usw. 
(Matth.  25,  21  sowie  Luc.  7,  47.  50  werden  citiert).  tvenn  des  menschen  hertz  gerürt 
wirt  also  daz  der  mensch  bewegt  wirt  zu  niiiver  andacht,  denn  ist  dir  dis  tcort  von 
got  zä  gesprochen. 

Dil  ander  kraft  der  sei  di'i  heisset  schetzerin  —  und  hat  öch  drierha^it  wilrken.  — 
dii  erst  kraft  warterin  du  tat  dich  wol  sitzen  in  dim  stäl  an  diner  andaht,  aber 
schetzerin  du  nimpt  din  von  ussnan  war  in  tvorten,  in  wandel,  in  tun  und  in  laßen 
bi  allen  liiten,  an  allen  steilen,  a)  der  mensch  soll  darauf  bedacht  sein,  daz  er  im 
selber  mit  schedlichi  bild  in  trag,  die  in  der  gnad  gottes  hindren.  b)  diese  kraft 
schetzet,  wie  lustlich  und  wie  minneclich  got  in  der  zit  allü  ding  geordnet  hat.  Alles 
weist  die  kreatur  auf  den  götilichen  Ursprung,  der  es  recht  nemen  teil  und  den  nüt 
die  gegenwürtikeit  der  natur  blendet,  c)  diese  kraft  erkennt  aber  auch,  dass  diese 
natürlichen,  gar  lustlichen  dinge  vergänglich  sind  und  ende  nehmen.  Daher  soll 
der  mensch  schon  hier  wie  Christus  und  die  freunde  gottes  darauf  verzichten,  sich 
selber  tödten  in  allen  unredlichen  dingen  und  im  selber  allen  lust  abbrechen,  disi 
kraft  schetzerin  sieht  öch  an,  daz  got,  der  ellii  ding  vermag,  der  vermag  daz  mit, 
daz  er  kein  tugent  mit  keinen  dingen  mag  vergelten  denn  mit  im  selber,  ja  ntlt  daz 
minst  Ave  Maria  daz  der  m.  in  der  zit  ie  gesprach  in  rechter  Ordnung:  got  teil  sich 
selber  darum  geben.  —  du  drit  kraft  der  sei  heisset  schöwerin  ttnd  disi  kroft  schötret 
und  sieht  wie  tögenlich,  wie  minneclich  got  in  der  sei  tviirket. 

12.  Bl.  92^.  Am  tage  s.  Marien  Magdalenen  (22  juli).  Qiie  est  ista  que  ascendit 
per  desertum  sicut  aurora  consurgens,  pulchra  ut  luna,  electa  ut  sol  ?  (Cant.  6,  9). 
Die  bekehrung  (ker)  diser  lieplichen  froiven  ist  Christus  selbst  wunderbar  erschienen 
(Luc.  15,  10.  7),  der  nicht  gesagt  hat,  der  riiw  redet  oder  gedenket,  er  hat  gemeitit, 
der  rmv  tat  mit  deti  werken,  das  ist  mit  luter  bicht,  mit  gantz  büß  und  mit  dem 
festen  vorsatz,  nicht  wieder  zu  sündigen,  so  weit  das  bei  der  eigenen  schwäche 
möglich  ist.  Sodann  aber  mussten  sich  auch  die  engel  verwundern,  indem  die  eben 
noch  grosse  Sünderin  nu  so  snelklich  uf  ist  gefarn  durch  die  tvüsti,  ja,  man  möchte 
sagen,  dur  das  si  so  wüst  ist  gewesen  aller  creaturen,  dar  umb  ist  si  so  hoch  uf 
gefuret  in  die  titnsterlichen  wüsten  gotheit,  do  si  sich  selber  alzemale  gar  und  gar 
rerlorn  hat  und  aller  geschaffner  bild  bildlos  ist  worden,    du  heilig  kristenheit  endlich 

1)  Sb  89^^,  10  tvon  Paulus  sprichet:  gStlich  minn  wirt  niemer  müssig.  nunquam 
est  dei  amor  otiosus.  operaiur  enim  magna,  si  est;  ^i  vero  operari  renuit,  amor  non 
est.  si  wi'irket  alwegent  grossi  ding  ob  si  ist;  würket  si  nüt,  so  ist  si  minn  mit. 
Das  citat  findet  sich  wörtlich  bei  Gregor,  Homilia  XXX  in  Evangel.  n.  2  (Migne  76, 
1221)  und  ist  eine  erklärung  zu  Joh.  14,  23,  nicht  zu  Paulus  (K.  B.). 


DER   ENGELBERGER   PREDIGER  27 

findet  es  gleichfalls  wunderbar,  dass  die,  die  sie  eine  Sünderin  nennt,  so  schnell 
sich  aller  Sünden  entledigt  hat.  Das  verwundern  gilt  den  drei  in  der  textstelle 
der  Maria  Magdalena  beigelegten  eigenschaften  sicut  anrora  consurgens  usw.  Dem 
morgenrot  wird  Maria  Magdalena  in  dreifacher  weise  verglichen.  Die  ausraalung 
der  an  sich  poetischen  naturerscheinung  kommt  auch  der  weiteren  darstellung,  in- 
sofern sie  den  vergleich  auf  die  Sünderin  überträgt,  zugute  (siehe  unten),  jeder  teil 
ihres  körpers,  der  früher  weltlichen  zwecken  diente:  die  äugen,  das  haar,  der  mund, 
der  vordem  oft  verlassnii  wort  geredet,  die  füsse,  die  vormals  so  oft  zum  tanze 
gegangen,  die  bände:  sie  sind  jetzt  dem  dien.Ste  des  herren  gewidmet.  Aus  der 
Sünderin  ist  eine  'reueriu'  eine  'schauerin'  geworden  (94b,  21  ff.,  ebenso  Sa  123^,  22  ff ). 
—  Bl.  97b,  23  pulchra  ut  luna.  Auch  dem  monde  gleicht  Maria  Magdalena  in  drei- 
facher art.  Der  mond  ist  der  nidreste  planet,  der  schnellste,  won  er  louffet  in  ei?iem 
manot  me  oder  als  vil  als  dil  spinne  in  einem  jar;  auch  kommt  er  der  sonne  am 
nächsten  {aller  gelichest  der  sunnen  98»,  8).  So  auch  Maria  Magdalena :  sie  war  du 
aller  nidrest  an  der  diemät  (im  einklang  mit  Luc.  14,11.  18,14),  beständig  zu  den 
fassen  des  herren;  sie  war  die  schnellste,  tvon  uf  dem  ersten  nu  do  (98b)  si  gerä,ft 
wart,  do  kam  si  schnelklich  und  überliess  alles  ihrer  Schwester  Martha  (im  einklang 
mit  Matth.  19,21);  sie  steht  aber  auch  der  sonne  Christus  am  nächsten:  icon  die 
mäier  gottes  so  ist  kein  heilig  als  ch risfforndich  in  allen  si7ien  werken  als  si  (im 
einklang  mit  Matth.  11,29).  —  BI.  98b,  25  electa  ut  sol.  Wie  die  sonne  der  schönste 
planet  ist,  achtmal  so  schön  und  gross  als  das  ganze  erdreich,  zugleich  auch  der 
heisseste  (99^,  15)  und  der  fruchtbarste  (lüOb,  25),  so  auch  Maria  Magdalena :  mögen 
auch  8.  Margareta  und  s.  Katharina  von  jugend  auf  reiner  gewesen  sein,  in  der 
litanei  steht  doch  Maria  Magdalena  an  erster  stelle  (zä  de' erste)  vor  den  andern 
jnngfrauen,  ^von  die  heilig  kilch  hat  si  fi'ir  die  andren  Marien  an  der  grossi  und 
an  der  tvirdikeit.  Sie  ist  aber  auch  du  aller  hitzigost  under  allen  megden  oder 
andern  /runden  gottes,  das  hat  si  vor  allem  am  ostertage  am  grabe  Christi,  als  si 
es  leer  fand,  gezeigt.  Und  endlich  ist  sie  auch  die  fruchtbarste  gewesen,  denn  sie 
zog  nach  der  auferstehung  des  herren  aus  zu  predigen  und  warb  für  den  Christen- 
glauben wie  irgend  einer  der  apostel  und  dar  umbe  nemt  man  si  ein  böttin.  si 
bekert  von  Marsylia  der  stat  alle  di  lut  imtz  gegen  Zürich  (siehe  unten)  und  auch 
später  noch,  nachdem  sie  in  die  einöde  gegangen  und  dort  dreissig  jähre  verweilt 
hatte,  zog  sie  auf  gottes  geheiss  abermals  hinaus,  die  menschen  zu  bessern. 

13.  Bl.  102'i.  Speciose  et  delicate  assimilavi  te,  filia  Syon  (Jerm.  6,  2).  Syon 
bedeutet  einen  geistlichen  spiegel,  in  dem  ein  christförmiges  leben  sich  äusserlich 
und  innerlich  wiederspiegeln  soll.  In  grosser  ausführlichkeit  wird  die  auch  sonst 
gern  ausgedeutete  geschichte  von  Ahasver  und  Esther  (siehe  oben  s.  19)  wieder- 
gegeben und  auf  Christus  und  jede  reine  Jungfrau,  insbes.  klosterjungfrau  bezogen. 
Ganz  ähnlich  dem  S.  Georgener  prediger  (Rieder  s.  44  nr.  15,  vgl.  Cruel,  Gesch.  der 
deutschen  predigt  s.  357)  schildert  unser  prediger  die  einkleidung  einer  nonne 
durch  sieben  Jungfrauen,  ihre  einführung  ins  klösterliche  leben,  sich  auch  hier  in 
mannigfachen  divisionen  und  subdivisionen  gefallend.  Die  sieben  Jungfrauen  sind 
Paupertas  (armät  104*,  7),  Hurailitas  (diemät  lOä»,  16),  Obedientia  {gehorsami  lUG»,  14), 
Erubescentia  {megdlich  schäm  110»,  21),  Castitas-  (megdlich  luterkeit  llQb,  16),  Pax 
{frid  112'^,  4),  Caritas  (gotlich  minne  113^,14).  Die  arniut  kann  dreifacher  art 
sein  (104a,  19),  insofern  es  von  haus  aus  arme  gibt,  die  schon  gern  reich  wären, 
nun  aber  um  gottes  willen  arm  sein  wollen,  aus  der  not  eine  tugend  machen ;  an 
zweiter  stelle  stehen  diejenigen,  die,  obwohl  reich,   arm  werden,   indem  sie  ihr  gut 


28  STRAUCH 

mit  den  armen  und  den  freunden  gottcs  teilen,  als  hätten  sie  es  nie  besessen;  an 
dritter  endlich  die  geistig  armen  im  sinne  des  evangeliums  (Mattli.  5,  3),  deren 
armut  abermals  eine  dreifache  ist  (unter  berufung  auf  Gal.  6,  14  und  Job,  15,  5).  — 
Beim  gehorsam,  der  für  alle  klosterinsassen,  männliche  wie  weibliche,  ein  ganz 
besonders  gewichtiges  gelübde  bedingt,  werden  nicht  weniger  als  sieben  arten  unter- 
schieden (1()7'\  14):  1.  lauteren  gehorsam  (107»,  18)  findet  man  bei  dem,  der  keinen 
lohn  fordert  in  zeit  noch  in  ewigkeit;  als  abschreckendes  beispiel  ist  für  die,  die 
nur  um  zeitlichen  gutes  oder  zeitlicher  ehre  willen  gehorsam  sind,  awf  Simon 
Magus  (den  zöfrer  lü7b,  4  vgl.  Att.  8,  9  ff.)  hingewiesen.  2.  williglicher  gehorsam 
(1071^,  22),  nicht  erzwungener,  wie  bei  Simon  dem  roten  (107'\  24.  Simon  von  Kyrene, 
Matth.  27,  32) ;  gott  liebt  nur  einen  fröhlichen  ufgeber  (2  Cor.  9,  17) ;  3.  demütiger 
gehorsam  (108^,  10),  Vorbild  sei  Simon  der  aussätzige  (108^1,  13^  der  beiname  beruht 
auf  Vermischung  von  Marc.  1,  40  mit  Marc.  14,  3),  doch  sagt  die  biblische  Über- 
lieferung nicht,  dass  der  aussätzige  begehrt  habe,  diesen  beinamen  beizubehalten 
clur  das,  das  er  sich  seiner  reincheit  nnt  überhübe.  4.  geduldiger  gehorsam  (108^,  10), 
wie  ihn  Simon  Machabeus  zeigte,  und  wie  er  ganz  besonders  im  kloster  verlangt 
werden  muss :  din  meisterin  mag  dich  heissen  icas  si  teil.  —  si  mag  dich  heissen  essen, 
so  du  sultest  rasten,  —  doch  soll  kein  abt,  keine  äbtissin  erlauben,  was  die  regel 
verbietet;  —  ehe  man  in  geistlichem  orden  unrecht  geschehen  lasse,  solle  man  lieber 
den  tod  wählen.  5.  getreuer  gehorsam  (109^,  3)  mit  Simon  Petrus  als  Vorbild 
(Act.  3,  6;  Matth.  25,  21).  G.  andechtiger  gehorsam  (109b,  26,  vgl.  Ps.  141,  2). 
7.  minnereicher  gehorsam  (HO**,  7),  das  du  alwegent  begerest  zechnii  ze  tände,  dero 
du  kiim  eins  volbringen  macht  unter  berufung  auf  Eöm.  8,  37.  —  Zur  Charakteristik 
der  tugenden  Castitas,  Pax,  Caritas  (megdlich  luterkeit,  frid,  götlich  minne)  wird  die 
Lapidarius-literatur  symbolisch  verwertet.  Nachdem  bei  ersterer  an  das  gleichnis 
von  den  klugen  und  törichten  Jungfrauen  erinnert  ist,  wird  von  dem  ringe,  mit  dem 
Castitas  die  königin  Esther  schmückt,  gesagt:  (111^,2)  m  diesem  vingerlin  lit 
ein  stein  der  heisset  Ägathes.  der  ist  der  nature  daz  er  bi  nieman  belibet  won  bi 
einer  jungfrowen  du  ein  magt  ist,  und  weht  frow  in  hat  du  nüt  ein  magt  ist,  und 
tvere  er  joch  umbendum  gantz  vermacht  in  silber  oder  in  golt,  er  springet  uß  uß  dem 
galt  und  von  dem  manschen  das  in  hat.  und  dis  selbe  hat  Christus  och  an  im,  daz  er 
bi  keiner  Jungfroweti  belibet  dii  mit  ist  ein  luter  magt  und  si  kein  liebi  anders  in  ir 
hertzen  hat:  do  sprijtget  Jhesus  von  dem  manschen  und  belibet  do  mit  (Matth.  6,24). 
—  minnest  du  die  weit,  ganzer  steter  minn  gewännest  du  ze  got  niemer.  und  er  wil 
öch  kein  ziveiunge  liden:  das  bettelin  ist  se  enge  do  der  lieb  gemachel  und  sin  geminti 
sond  mit  einander  slaffen.  wenne  das  dritte  kumet,  so  flächet  Jhesus  und  mag  do  nüt 
beliben.  (Il2ä>)  sicher  sicher!  es  ist  gar  billich  das  er  fli'ichet.  ein  zitliches  mag  doch 
das  ander  nüt  erliden,  wie  solte  denne  das  ewig  bi  dem  zitlichen  beliben  !  —  Von  dem 
mantel,  den  der  friede*  (Pax)  der  königin  Esther  umlegt,  heisst  es  112b,  11  Nu  muß 
diser  mantel  ein  schlos  haben  oder  er  vieli  ab.  und  dis  slos  hat  einen  stein  der  heisset 
Topassius"^.  diser  stein  hat  aller  stein  variv :  er  hat  als  wol  des  kislings  vartie,  der 
doch  ze  keinem  ding  vervacht  won  z&  eitler  mur,    so  man  phlaster  und  sand  dar  zä 

1)  Der  friede  kann  äusserer  und  innerer  art  sein  (Job.  14,  27),  der  innere 
kommt  aus  einem  reinen  gewissen  (1.  Cor.  4,  4).  got  gebe  im  (dem  menschen),  got 
neme  im,  er  habe  sussikeit  oder  bitter keit:  im  belibet  ie  sin  inwetidiger  frid  (11 2b,  9). 

2)  Nach  Marbod  versinnbildlicht  der  topas  das  beschauliche  leben,  dann  auch 
jene,  welche  gott  und  den  nächsten  lieben  (A.  Salzer,  Sinnbilder  und  beiworte 
Mariens  s.  277,  17). 


DER   ENGELBEROER   PREDIGER  29 

treit.  disiu  varive  hat  Topasiiis  als  wol  als  des  aller  edlesten  steins  den  man  vinden 
kan.  dis  slos  betütet  einen  ungeteilten  frid  mit  allen  monschen,  bos  und  g&t  im  ein- 
klang  mit  des  Paulus  Worten  Eöm.  12, 15.  1,  14.  11, 13.  1  Cor.  9,  20.  wer  dis  mitm  und 
dis  gelicheit  und  disen  frid  mit  Jtetti  z(i  allen  manschen,  sicher!  do  viele  der  mantel 
abe.  —  Die  7.  Jungfrau  Caritas  bringt  der  Esther  eine  kröne  und  krönt  sie  damit 
(113a,  14) ;  die  kröne  aber  bedeutet  die  gotliche  minne  (unter  berufung  auf  1.  Cor.  13,  3), 
denn  minne  ist  die  kröne  aller  tugenden.  Die  kröne  hat  fünf  steine.  IIS^,  23  der 
erste  heisset  ei?i  Smaragdus '  und  lit  vornan  in  der  krön  und  hat  ein  grüne  varive 
und  hat  die  craft:  der  dürre  blämen  dar  zä  leit,  so  werdent  si  grün,  und  dis  bettitet 
die  Üblichen  minn.  —  113^,  3  der  ander  stein  heisset  Jacinctus^  und  ist  gät  für  bos 
trSme  und  vertribet  die  fantasien  und  die  falschen  bild  die  sich  dem  monschen 
erzöigent  in  dem  tröme.  Manche  an  sich  gute  menschen  wollen  gern  andere  in 
ihrem  sinne  bestimmen,  andernfalls  sie  sie  verurteilen,  mit  diesen  valschen  bilden 
machent  si  sich  selber  rasig,  das  ist  unsinnig,  und  vallent  von  dem  urteil  irs  nechsten 
in  unrecht  friheit.  Davor  soll  dieser  stein  behüten  und  sol  dich  zä,  den  rechten 
bilden  leiten.  Der  stein  liegt  in  der  kröne  rechts:  mit  der  rechten  hant  wiirket  man: 
also  solt  du  würken  du  werk  der  gerechtikeit  und  dur  die  gerechten  bild  gan,  die  dich 
leiten  in  unbild  (bildlosigkeit),  totd  dis  sint  die  minnenklichen  bild.  und  das  leben 
{und  liden  114»,  26)  Jhesu  Christi  usw.  in  schöner  auslegung  von  Job.  10,  9.  — 
IHa,  27  der  dritte  stein  —  ist  ein  Jaspis  und  der  lit  zä  der  linggen  siten.  diser  stein 
ist  also  stark,  das  in  nieman  gebrechen  mag.  er  ist  sterker  denne  der  adamast.  und 
viel  ein  isiiier  hamer  von  dem  himel  har  abe  nf  disen  stein,  er  mochte  in  mit  brechen, 
diser  stein  betiitet  die  starke  minn  im  einklang  mit  Cant.  8,  6  und  Eöm.  8,  35,  von 
der  den  menschen  nichts  zu  scheiden  vermag,  nicht  messer,  noch  schwert,  noch  tod 
noch  leben,  noch  engel  noch  teufel,  nocli  priticipatus  noch  potestates,  weder  leiden, 
noch  bitterkeit,  noch  betrübnis.  Alles  ist  ihm  ein  weg  zu  gott.  e  das  got  disii 
monschen  ane  liden  ließ,  er  gebe  e  einem  hiindlin  gewalt  liber  si,  das  es  si  biss,  tvon 
er  tveis,  das  si  allii  ding  nement  von  der  friien  hant  gottes.  —  IM^",  25  der  vierde 
stein  das  ist  ein  Ämatistus^  und  der  ist  gät  für  trunkenheit  und  der  lit  hin{\\b'^)denan 
in  der  krön,  tvon  hindnan  in  dem  hobt  lit  das  hirni  und  die  sinne  des  monschen, 
und  ivenne  der  mansche  getrinket,  so  siecht  der  win  den  monschen  hindnan  uf  in  das 
hirni  und  in  die  sinne,  und  das  sol  diser  stein  verhüten,  diser  stein  bettitet  messikeit  —, 
ivon  messikeit  behaltet  luterkeit  und  machet  wis.  —  1153',  16  der  fünfte  stein  lit  obnan 
uf  den  ciborien  der  krön,  won  hie  vor  in  der  alten  e  trüg  man  besloßne  krönen  als 
die  da  mit  man  die  megde  mechelt,  so  man  si  ivilet;  aber  man  hat  si  in  rvening 
klostren.  diser  stein  heisset  ein  Saphgr*  und  hat  eine  blawen  himelvarive,  und  das 
bezeichnet  das  der  mansche  sin  gemüte  hab  uf  gerichtet  zä  got,  daz  er  der  himelschlichen 
u'onunge  des  Vaterlandes  niemer  vergesse  (Phil.  3,  20). 

14.  BJ.  115b.  Dom.  VI  post  Pentec,  Manducaverunt  et  satnrati  sunt  (Marc.  8,  8). 
Der  evangelientext  Marc.  8,  1—9  (die  hi/storia  llb^,  23)  wird  zunächst  ausführlich 
und  genau  wiedererzählt,  die  auslegung  dann  mit  den  worten  nu  u-il  ich  tu  sagen 
die  geistlichen  sinne  eingeleitet.  Nachdem  vier  menschengruppen  besprochen  worden, 
böse  und  gute,  deren  jede  sich  von  Jesu  speisen  Hess,  so  verschieden  auch  die 
gefolgschaft  Jesu  von  jeder  einzelnen  aufgefasst  wird,  heisst  es  118»,  18  nu  koment 

1)  Siehe  A.  Salzer  a.  a.  0.  s.  267,  18  ff. 

2)  Ebenda  8.230,15.  231,6. 

3)  Ebenda  s.  202,  23.  203,  2i.  204,  4,  6.  205,  6  f.,  14. 

4)  Ebenda  s.  254, 14  ff. 


30  STRAUCH 

ouch  geistlich  vierer  hand  lüten  zu  Jhesn  und  zwar  1.  solche,  die  nur  ins  kloster 
geben,  um  andern  ein  kreuz  zu  sein:  sie  sind  zornig,  ruhelos,  eigenwillig,  über- 
mütig, ungehorsam  und  stiften  nur  Unfrieden,  2.  die  andern,  um  nicht  für  ihren 
unterhalt  arbeiten  zu  müssen,  3.  die  dritten,  damit  sie  den  minniglichen  wandel 
Christi  sehen,  sein  wort  (Matth.  11,  30)  hören:  die  'anfangenden'  menschen,  4.  die 
vierten,  die  nur  gott  leben  und  leiden  und  das  sind  die  'volkommnen'  menschen. 
Siehe  das  excerpt  bei  Wackernagel  s.  585,  52—88.  Des  weiteren  handelt  unser 
prediger  dann  im  anschluss  an  Marc.  8,  2  vom  dreifachen  erbarmen  Jesu  (119^,  23.  26; 
120*,  13)  und  drei  'tagweiden',  dis  volk  hat  Christum  gelitten  dry  tag.  wilt  du  nu 
'wissen  was  dis  dry  tagtveid  sin,  die  du  Christo  solt  geistlich  liden  und  nach  volgen : 
der  mansche  bestat  von  dryn  dingen:  von  gät,  von  übe  und  von  sele,  und  dur  disii 
drü  inäst  du  Christo  nach  volgen  dis  dry  tagweid,  ivilt  du  recht  zu  Christo  komen. 
Erste  tagweide:  aufgäbe  zeitlichen  gutes  (121a,  11—122»,  7)  unter  berufung  auf 
Matth.  19,  21.  Da  sind  manche  klos'terinsassen,  die,  wenn  sie  auf  ihr  väterliches 
erbe  verzichtet  haben,  anderen,  seien  es  obere  oder  ihres  gleichen,  etwas  'abzu- 
streifen' suchen,  sei  es  in  gestalt  von  pfründen  oder  almosen,  ja  ein  recht  dazu  für 
sich  in  anspruch  nehmen.  Hätten  sie  dann  doch  lieber  ihr  gut  behalten !  denn  keine 
schlimmere  sünde  kann  man  im  geistlichen  stände  begehen,  als  seinen  eigenwillen 
wieder  freventlich  geltend  zu  macheu,  nachdem  man  ihn  einmal  aufgegeben.  Das 
ist  totsünde,  so  lehren  es  die  h.  schrift  und  s.  Bernhard.  Ist  dirs  aber  zu  schwer, 
dann  speise  wenigstens  mit  deinem  gute  die  freunde  unseres  herren  und  gib  den 
armen  dein  almosen.  Almosen  tilgt  die  sünde  wie  wasser  das  feuer  löscht.  Stütze 
dich  aber  auch  nicht  auf  dein  gut  wie  auf  einen  stab  [ivenne  dir  einhcdb  din  gät 
abgange,  daz  du  dich  denne  anderthalb  dar  uf  neigest  1211*,  23).  Christus  hat  seinen 
Jüngern  stäbe  und  sacke  verboten  (Luc.  9,  8),  ja  den  sah  der  ane  boden  ist  (ebenso 
Sb  65*,  10  ff.) '.  daz  sint  die  mönschen,  di  niemer-benuget  an  zitlichem  gät,  won  so 
si  ie  mer  habent,  so  si  gerner  me  hetten.  ivon  sicher  das  ist  ivar,  daz  nüt  gät  hilfet 
für  gitekeit.  und  dar  umb  hat  es  öch  Christus  verbotten,  won  er  das  tvol  tvüste.  — 
Zweite  tagweide:  bezwingung  des  körpers  (122^,  7  ff.).  —  Dritte  tagweide:  betrifft 
die  seele  (122^,  21  ff.):  kehre  deinen  freien  willen  und  deine  liebe  allein  zu  gott, 
zu  enheiner  creatur,  tvon  allein  in  got  utid  dur  got:  minne  dinen  frund  in  got  und 
dinen  viient  dur  got.  —  Aus  Marc.  8,  3  greift  der  prediger  (122b,  4  ff.)  den  begriff 
des  'von  ferne  gekommen'  heraus.  Alle  Christen  stammen  von  den  beiden.  Die  Juden 
stehen  Christus  näher  als  die  beiden,  die  abgötter  anbeteten,  die  Juden  dagegen 
hatten  viele  gesetze  und  Ordnungen :  die  bücher  Mosis  (sie  werden  einzeln  benannt) 
und  die  zehn  geböte,  und  Christas  hat  die  monscheit  (hs.  nuhische)  von  ir  gesiechte 
enphangen,  und  har  umbe  do  (lies  so  ?)  ivaren  si  im  nüt  als  ferre  als  tvir,  U7id  über 
dis  gät  alles  das  inen  Christus  hat  getan,  so  ist  ir  tvening,  (123»)  die  von  Rom  har 
uß  komen  siien  zä  christetieti  geloben.  —  Es  folgt  123»,  6,  anknüpfend  an  Marc.  8,  4, 
das  bei  Wackernagel  s.  586,  89—147  abgedruckte  stück,  das,  mit  Nu  ist  eiti  frage 
eingeleitet,  eine  weit  ausholende  allegorisch-mystische  deutung  des  begriffes  wüste 
gibt.  —  124^,  24  ff.  wird  der  Marcusstelle  8,  6  Job.  6,  9  gegenübergestellt,  die  sieben 
brote  den  fünf  gerstenbroten :   Marcus  sage   nicht,    dass  die  sieben  brote  von  gerste 

1)  Von  den  sacken,  die  keinen  boden  haben:  dz  ist  der  grünt  der  bosheit, 
der  hat  nüt  bodems  und  ist  unergrüntlich,  tvon  ie  me  man  in  us  wirket,  ie  mer  er 
hSschet  und  begeret.  Kurz  vorher  (64^,  23)  hat  der  prediger  den  brunnen  im  gleich- 
nis  von  Christus  und  der  Samariterin  als  grünt  der  bosheit  gedeutet,  us  dem  der 
münsch  all  siti  untugent  wirket. 


DER   ENCtELBERGER   PREDIGER  31 

gewesen  wären,  so  dürften  es  Weizenbrote  gewesen  sein.  Gerstenbrot  sei  kalter 
nature  (Konrad  von  Megenberg  -ilS,  11  f.)  und  kühle  die  hits  zitUcher  begirde,  weizen 
sei  dagegen  hitzig  und  soll  den  menschen  zu  göttlicher  liebe  entflammen.  Die  fünf 
gerstenbrote  werden  auf  die  fünf  bücher  Mosis  bezogen  (125'*,  8),  mit  den  sieben 
broten  sind  die  sieben  sacramente  (1253^,  13),  und  die  sieben  gaben  des  h.  geistes 
(125^,23)  gemeint,  sie  bedeuten  aber  noch  sieben  andere  eigenschaften  (125^,  Iff.): 
göttliche  kraft,  Weisheit  und  gute:  diese  drei  verleiht  die  dreieinigkeit  und  zwar 
den  drei  seeleukräften,  sodann  leutseligen  lebenswandel,  liebe  (Matth,  22,  37.  39; 
Marc.  12,  31.  33),  willigen  gehorsam  und  ein  volherten  in  allen  guten  dingen  bis  ans 
ende  (Matth.  10,  22).  —  Bei  der  Speisung  der  5000  heisst  es  Job.  6,  10:  sie  lagerten 
auf  gras  (liöii).  Das  veranlasst  den  prediger  (126a,  21  ff.)  zu  folgenden  ausführungen : 
einige  konnten  sich  auf  dem  'heu'  lagern,  wo  sie  linder  sassen,  andere  nur  auf  blosser 
erde.  Im  alten  testament  hatten  die  menschen  es  leichter:  sie  hatten  dem  gebot: 
'der  dich  liebt,  den  liebe  auch,  wer  dich  hasst,  den  hasse  auch  du'  zu  folgen;  das 
war  leicht.  Wir  aber  sitzen  auf  blosser  erde  und  haben  ein  schwereres  gebot  zu 
erfüllen:  'wer  dir  übel,  böses  tun  will,  dem  tue  du  wohl'.  So  unterscheidet  sich 
auch  'übendes'  und  'schauendes'  leben.  Im  übenden  leben  sitzt  man  auf  dem  'heu', 
der  mensch  geht  noch  mit  bilden  um,  und  das  ist  leichter  als  ane  bild.  Im  schauen- 
den leben  aber  fällt  bild  und  form  ab,  der  mensch  muss  bloss  und  ledig  sein  alles 
nfenthaltes,  und  diese  menschen  sitzent  uf  dem  blossen  Herten  ertrich.  Gleichzeitig 
wird  uns  in  diesem  Zusammenhang  noch  ein  weiterer  hübscher  bildlicher  vergleich 
nahe  gebracht,  indem  die  'grünende'  und  verblühende  blume,  die  morgen  zu  heu 
wird,  mit  der  zeitlichen  und  ewigen  gnade  gottes  in  beziehung  gesetzt  ist  (126^,  18  ff.): 
do  ist  mit  hiit  froide,  morn  leid ;  es  ist  unirandelbar  froide  ane  alles  truren.  —  Auch 
das  gleichuis  von  den  sieben  broten  und  den  zwei  fischen  wird  (127^,  7  ff.)  auf  das 
wirkende,  übende  und  das  schauende  leben  gedeutet.  Wie  das  brot  nötiger  als  die 
fische,  so  jenes  nötiger  als  dieses,  aber  das  schowlich  leben  ist  wertvoller.  Ohne  die 
schauenden  menschen  könnte  die  h.  kirche  nicht  bestehen,  einige  von  ihnen  sind 
'säulen  der  Christenheit'.  Die  predigt  klingt  aus  mit  dem  textwort,  das  sie  einleitete 
(Marc.  8,  8),  mit  dem  hinweis,  dass  essen  an  sich  noch  keine  wahre  Sättigung  ver- 
schafft. Die  anfangenden  menschen  nehmen  die  ganzen  brote,  die  zunehmenden  die 
schnitten,  die  sint  got  etwas  dankberer,  die  vollkommenen  nehmen  die  brosamen, 
die  sint  aller  dankberest :  zu  diesen  gehören  die  jünger  des  herren,  die  die  brosmen 
gütlicher  gnade  uf  hebent  und  si  got  dankberlich  wider  gebent. 

15.  Bl.  128^.  S.  Petri  vincula  (1  aug.)  Erat  Petrus  dormiens  inter  diios  milites 
vinctus  duabus  catenis  (Act.  12,  6).  Auch  hier  legt  die  predigt  den  biblischen  text 
(Act.  12,  1-11),  die  hystoria  (129»,  25),  von  wort  ze  wort  (128^,  8.  129^,  22)  aus, 
damit  die  geistlichen  sinne  besser  gemerkt  werden  könnten.  Der  anfang  der  aus- 
legung  (129b,  3  ff.)  ist  bei  Wackernagel  s.  595,  15  ff.  wiedergegeben.  Mit  der  einen 
der  beiden  ketten,  mit  denen  Petrus  gefesselt  ist,  sind  die  sündigen  handlungen  des 
menschen  versinnbildlicht:  wie  ring  an  ring  sich  zur  kette  fügt,  so  auch  die  ein- 
zelnen 'Untugenden'  des  menschen :  sie  bilden  eine  lange  unlösliche  kette.  ViO^,  13  ff. 
wenne  man  einen  kling  oder  einen  apt  wil  setzen,  so  hat  man  si  balde  erivelt  mid 
gesetzet,  aber  wölte  m^an  si  Verstössen,  das  möcht  mit  also  balde  gescheche?t.  recht  also 
geschieht  dem  mönschen,  der  den  schalk  siner  nature  ze  einem  herren  setzet  über  sich 
selber,  daz  wirt  gar  lange  e  das  man  in  Verstössen  muge,  won  der  schalk  ist  din 
herre  worden  und  du  bist  sin  knecht.  won  wer  der  siinde  dienot,  der  ist  dch  ein  knecht 
der  siinde.    Die  andere  kette  meiut  den  freien  willen,  den  du  der  sünde  zu  eigen 


32  STRAUCH 

gemacht  hast,  sie  bindet  noch  fester  als  die  erste,  die  seele  hat  deshalb  noch  stärker 
unter  ihr  zu  leiden.  In  den  kerker,  des  mSnschen  Hb,  in  dem  das  bekennen  gottes 
gefangen  liegt,  in  alle  winkel  der  seele  leuchtet  der  engel  des  grossen  rates,  gottes 
gnade,  hinein,  und  nun  wird  sichtbar,  was  vorher  verdunkelt  und  verborgen  war, 
der  mensch  erkennt  seine  Sündhaftigkeit.  Der  erste  gnadenbeweis  ist  die  gracia 
pyeveniens,  du  fiirkoment  g)iade^  icoii  si  färknniet  de  monsclicu  und  leret  in  sin  si'inde 
an  Sechen,  gott  gibt  sie  unverdient,  aus  freien  stücken,  aus  reinem  erbarmen.  Das 
herz  aber  trifft  er  (nicht  etwa  den  arm  oder  fuss),  weil  dieses  ein  sessel  der  sele  ist 
und  ivar  sich  das  hertze  neiget,  dar  neiget  sich  dii  sele  mit  einander  (mit  berufung 
auf  Prov.  23,  26).  So  gib  auch  du  dein  herz  nicht  der  weit,  nicht  deinen  freunden, 
sondern  gott  allein :  es  sol  gante  gante  (!)  hi  got  sin  ungeteilet,  won  der  mansche  ist 
nie  do  er  minnet  denne  do  er  lebet.  —  Die  geistliche  ausdeutung  von  Act.  12,  7  surge 
velociter  zieht  ausser  Eöm.  13, 12  und  Cant.  3, 1.  2  auch  die  Benediktinerregel  heran : 
es  ist  uns  iete  zit  nf  se  stan,  was  zu  der  allgemeinen  bemei-kung  131b,  15  etlichü 
manschen  so  die  geweket  werdent,  so  müssent  si  sich  ranggen  und  gebarent  sich  als 
tragklich  daz  si  ivider  entslaffent,  und  disen  monschen  ist  mülich  ze  helfm  anlass  gibt. 
Der  'gürteP  (Act.  12,  8)  symbolisiert  die  heheblikeit  {continentia),  du  den  manschen 
behebt  daz  er  mit  ze  witsu-eif  wirt  mit  sinen  fünf  sinnen  (132=\  18  ff.),  wie  er  schon 
vorher  (110^,  2)  als  Sinnbild  der  schäm  bezeichnet  war.  Die  'schuhe'  (Act.  12,  8) 
sind  hüt  der  toten  tieren  und  behutent  des  monschen  fasse  vor  den  steinen  im  einklang 
mit  Ps.  91,  12,  mit  hinweis  auf  Rom.  8,  13  und  auf  das  leben  der  heiligen  Jung- 
frauen (Katharina,  Margareta,  Oecilia,  Agnes)  und  altväter,  die  die  weit  und  den 
teufel  überwunden  haben,  während  der  'mantel',  den  Petrus  bei  sich  im  kerker 
hatte  und  auf  des  engeis  geheiss  wieder  umlegte  (Act.  12,  8),  eine  stete  erinnerung 
{angedenkunge  133^,  25)  an  das  bisherige  sündige  leben  sein  soll,  wie  heilig  einer 
auch  immer  werden  mag.  Vgl.  Matth.  9,  6  und  des  h.  Gregors  wort:  'wer  zu  stehen 
glaubt,  sehe  zu,  dass  er  nicht  falle'.  Und  endlich  (133^,  18)  die  auslegung  des 
Sequere  me  (Act.  12,  8)  mit  bezugnahme  auf  Joh.  8,  12:  'nicht  (gehe  mir)  vor,  sondern 
folge  mir  nach',  sprach  der  engel  zu  Petrus,  ivon  wer  do  gat  vor  dem  Hecht,  d.  h,  in 
sinem  natürlichen  Hecht  und  verstan,  und  das  ist  ein  falsches  licht,  der  gesteht  nüt 
als  tvol  als  der  do  gat  dem  Hecht  nach.  Das  haus  aber,  do  die  fri'md  gottes  in  tvaren 
(Act.  12,  12),  ist  die  h.  Christenheit,  die  unablässig  für  den  sünder  bittet  und  ihn 
seiner  erlösung  zuführt  (Cant.  5,  6).  Im  anschluss  daran  folgt  das  excerpt  bei 
Wackernagel  s.  587  f.  z.  148-165. 

16.  Bl.  135^*.  Am  Tage  s.  Petri  (29  juni).  Tu  es  Christus  filius  dei  vivi 
(Matth.  16,  16,  worauf  am  rande  verwiesen  ist,  während  im  texte  Marcus  (8,  29) 
genannt  ist;  aber  136^,  24  steht  auch  im  text  Matthäus).  Auslegung  des  biblischen 
textes  Matth.  16,  13—19  von  wort  ze  wort.  Auch  wir  sollen  uns  das  himmelreich 
verdienen  wie  Petrus  und  die  andern  heiligen.  Die  partes  Caesareae  Philippi 
(Matth.  16,  13)  geben  dem  prediger  zu  folgenden  erwägungen  anlass,  für  die  er  sich 
ausser  auf  die  bibel  (Ps.  18,  5.  Luc.  12,  3L  17,  21)  auf  Gregor  und  die  lenr  beruft: 
in  der  ersten  weit  waren  alle  dinge  gemeinsam,  dann  aber  fand  teilung  statt:  dem 
einen  herren  gehörte  dies,  dem  andern  das,  und  'jetzt  in  dieser  zeit'  ist  ein  teil  der 
scheflinen  dem  prälaten,  ein  anderer  einem  leutpriester  unterstellt.  So  kann  man 
von  vier  teilen  sprechen,  denen  allen  die  apostel  das  evangelium  verkündet  haben,  auf 
dass  keiner  sich  entschuldigen  könne,  er  wisse  davon  nicht.  Der  mensch  hat  glicheit 
mit  aller  creatur,  ist  ein  teil  davon,  und  zu  diesem  teil  kam  Jesus  (Matth.  16,  13); 
der  mensch  ist  der  mikrokosmus,  du  minder  weit,  er  ist  der  andere  himmel  (Luc.  17,  21). 


I 


DER  ENGELBERGER  PREDIGER  33 

—  Aus  mancherlei  gründen  hat  Christus  die  frage  Matth.  16,  13.  15  an  die  jünger 
gerichtet,  um  darzutun,  wie  er  sich  selbst  stelle  {sich  rergiht)  zu  den  anfangenden, 
zunehmenden  und  vollkommenen  menschen,  zu  jedem  in  seiner  besonderen  weise 
(anders  und  anders),  sodann,  um  zu  erfahren,  wofür  man  ihn  hielte.  Inwiefern 
Christus  bald  züge  mit  Johannes  Baptista,  mit  Elias,-  mit  Jeremias  und  sonst  einem 
der  Propheten  gemein  habe  (Matth.  16,14)  und  diese  auf  die  lebensweise  gewisser 
auserwählter  menschen  übertrage,  wird  im  einzelnen  dargelegt,  unter  heranziehung 
von  Ps.  68,  10;  Matth.  5,  10;  Ps.  142,  8  (?).  Auf  die  frage  Matth.  16,  15  antwortet 
nicht  sofort  Petrus,  vielmehr  citiert  der  prediger  138»,  27  If.  für  die  Schweigsamkeit 
der  jünger  die  lerer ^,  die  berichten:  vergeblich  seien.  Johannes,  Jacobus,  Thomas, 
Bartholomäus  und  die  andern  jünger  befragt  worden,  ein  jeder  habe  sich  auf 
Petrus  berufen:  das  bekennen  solle  antworten,  womit  dann  wieder  der  biblische  text 
(Matth.  16,  16)  einsetzt.  Matth.  16,  17  wird  eingehend  commentiert:  139»,  23  «k  hat 
sich  hie  in  Petro  verjechen  vatter,  sun,  heiliger  (feist,  das  ist  du  hoch  drivaltikeit  mit 
einander.  —  140^,  15  nii  spreche^it  die  lerer,  war  unib  Christus  z&  Petro  sprech  das 
er  selig  icere,  er,  der  doch  den  herren  verleugnet  habe.  Selig  nannte  er  ihn,  da  er 
ewiglich  bei  ihm  bleiben  sollte,  weil  er  allein  mit  göttlicher  Weisheit  gott  begriffen 
habe,  nicht  mit  zeitlicher  und  nicht  mit  natürlicher  Vernunft.  Was  haben  Aristoteles, 
TuUius,  Plato  und  andere  heidnische  meister  mit  ihrer  weisheit  erreicht?  nichts. 
Wie  die  biene  aus  den  bluraen  den  honig,  so  hat  Petrus  seine  erkenntnis  gesogen 
aus  den  fliessenden  honigwaben  der  hohen  gottheit,  —  141b,  18  (vgl.  Wackemagel 
s.  588  z.  166  ff.)  Petrus  war  ein  fundament  der  kirche  (Matth.  16,  18)  und  also 
geschieht  noch  geistlich  in  allen  dien  manschen,  in  dien  sich  verjechen  hat  du  hoch 
drivaltikeit  uß  dem  bekennen  des  vatters.  —  wo  sich  der  grünt  der  bosheit  har 
neiget,  do  kunnen  si  sich  wider  setzen  uft  dem  minnenklichen  bekennen,  das  si  uß  dem 
vatter  hant  genomen.  Es  sind  'vollkommene'  menschen,  eine  stütze  der  Christenheit. 
Die  heiligen  Gregorius,  Augustin,  Ambrosius  und  der  ehrwürdige  Beda  haben  mehr 
zeichen  und  lehren  getan  als  Christus  selbst  (Joh.  14,  12).  —  142»,  27  ff.  Die  Ver- 
leihung des  himmelschlüssels  an  Petrus  (Matth.  16,  19)  gibt  anlass  zu  einem  längeren 
excurs,  den  man  bei  Wackernagel  s.  589  z.  203  ff.  nachlesen  mag:  er  handelt  von 
zwei  schlüsseln :  kunst  und  geivalt,  dem  pabst  und  den  bischöfen  und  auch  denen 
gegeben,  die  freunde  gottes  werden  wollen. 

17.  Bl.  144^.  Dedicatio  ecclesiae  (hochzit  der  kilchici).  Gustate  et  videte  quo- 
niam  suavis  est  dominus  (Ps.  33,  9).  Die  predigt  bringt  die  psalmstelle  mit  Luc.  19,  4.  5 
(15,  7.  10)  in  beziehung^  Zachäus  stieg  auf  den  feigenbaum  um  den  herren  zu  sehen, 
dieser  aber  veranlasste  ihn  herabzusteigen,  da  er  noch  heute  bei  ihm  einkehren 
wolle.  Der  dürre  feigenbaum  trug  fortan  die  frucht  ewigen  lebens,  denn  er  bezeichnet 
das  heilige  kreuz.  So  können  auch  wir  durch  Selbsterkenntnis  und  gotteserkenntnis 
emporsteigen,  und  dann  spricht  der  herr  auch  zu  uns  die  'lieblichen  worte',  die  er 
zu  Zachäus  sprach.  Das  hus  dz  Christus  (Luc.  19,  5)  meint  dz  ist  ein  ieklicher  mansche 
(1  Cor.  3, 17  ;  auch  s.  Gregor  wird  citiert).  Ist  nun  das  reich  gottes  in  uns  (Luc.  17,  21), 
so  gilt  es,  uns  dessen  auch  voll  bewusst  zu  wei-den  (1.  Cor.  6, 19 ;  Prov.  8, 31 ;  Luc.  19,  9). 
—  Wer  das  textwort  (Ps.  33,  9)  an  sich  wahrmachen  will,  der  muss  die  inneren 
äugen  der  seele  darauf  richten  (147b,  15  ff.),  denn  wie  der  leib,  so  hat  auch  die  seele 

1)  Wer  ist  gemeint?  Eine  art  parallele  bietet  Hermann  von  Fritzlar,  Heiligen- 
leben 92,  10-15. 

2)  Vgl.  Tauler  ed.  Vetter  379,  1  ff. 

ZEITSCHRIFT  F.  DEUTSCHE  PHILOLOGIE.    BD.  L,  3 


34  STRAUCH 

zwei  äugen:  erkenntnis  dessen,  was  man  tun  und  lassen  soll,  und  die  begierde,  gött- 
liche Wahrheit  zu  erschauen.  Im  anschluss  an  Joh.  4,  37.  88  (vgl.  Act.  4,  4)  wird  auf 
die  apostel  verwiesen,  die  die  frucht  des  ewigen  lehens  geschnitten  haben,  die 
Christus  durch  lehre,  wandel  und  dienstbereitschaft  gesät  hat,  sowie  auf  Gregor, 
Hieronymus,  Augustin,  Arabrosius  und  den  ehrwürdigen  Beda,  in  deren  Schriften  wir 
allen  den  unterscheid  finden,  des  wir  bedürfen  zil  ewigem  lebeti.  Man  muss  unter- 
scheiden lernen  zwischen  gutem  und  bösem,  nini  eben  war  tvas  ich  dir  sage  und  nim 
mit  eins  fiir  das  ander  (148b,  16  ff.).  Es  gibt  vier  arten  der  liebt,  do  ist  etlichü  ze 
male  boß  und  die  sol  man  lassen :  die  erste  heisst  dilectio  personalis,  ein  personlichi 
liebi,  die  liebe  zu  sich  selbst  und  um  das  eigene  wohl.  Disii  manschen  müssent 
Undi  betti  haben  und  lindi  und  l-ostlichii  kleider  tragen.  Disen  mönscheyi  mttß  man 
die  spis  gar  eben  vor  bereiten,  ja  zwen  tag  oder  dry  muß  man  si  rosten  und  bereiten, 
dz  Laurencius  uf  dem  roste  nie  also  gebraten  noch  gekochet  wart;  sie  darf  nüt  ver- 
saltzen  sin  noch  dien  ögen  mit  unlnstlich  ze  sechen  noch  dem  gesmah  nüt  bitter  sin 
und  slechtlich  ane  gebresten,  oder  si  murmlent  do  wider  tind  loerdent  zornig  wider 
die  die  joch  groß  arbeit  do  mit  hatten.  Solche  menschen  versagen  sich  der  göttlichen 
gnade,  die  ihnen  angeboten  wird,  sie  wollen  sie  nicht  und  gant  uß  und  sächent 
zitlich  ivollitst  und  sprechent,  si  müssen  frolich  sin  und  müssen  sich  hüten  dz  si  mit 
in  ettig  vallen  (Schweizer  Idiotikon  1,  599  ff.).  Dir  were  gät,  mochtest  du  dich  vor 
ettig  hüten  und  si  für  komen  und  du  aber  das  tettis.t  dz  du  dich  bessrotist  und  dar 
inn  meintest  die  ere  gottes  und  du  hessriinge  diner  sele.  Andernfalls  wäre  es  besser, 
du  stürbest  oder  wärest  nie  geboren  (Matth.  26,  24).  Diese  art  liebe  ist  im  anfange 
wohl  süss,  sie  hat  aber  in  sich  verborgen  gift  und  galle.  Etwas  besser  steht  es  mit 
der  zweiten  art,  der  dilectio  beneficialis  {ein  begabetü  liebii),  doch  auch  sie  ist  nicht 
die  wahre,  wenn  der  mensch  gott  nur  liebt,  weil  er  ihm  zeitliches  gut  und  glück 
gegeben,  ihn  vor  not  behütet  hat,  die  eitern  hat  geachtet  sein  lassen,  auch  wenn 
sie  arm  waren,  und  wenn  er  gott  bittet,  ihm  dies  glück  bis  an  sein  lebensende  zu 
erhalten.  Ein  solcher  preist  gott  nicht  darum,  dass  er  gegeben  und  wie  treu  er 
gegeben  hat.  Dd  dritte  liebü  heisset  dilectio  mercurialis,  das  ist  ein  mertzellendu 
liebi.  Hie  git  der  monsche  ein  liebi  umb  die  andren,  denn  er  hat  gottes  ewige  liebe 
erkannt  (Jerem.  31,  3)  und  will  sie  ihm  mit  liebe  wieder  vergelten  (Marc.  12,  33). 
Und  doch  ist  auch  diese  liebe,  obwohl  sie  das  ewige  dem  zeitlichen  vorzieht,  noch 
nicht  die  höchste,  es  ist  ein  koufti  liebü  (150^^,  9),  geübt  umb  das  widergelt  (Matth.. 
19,27;  Ps.  119,  112).  Erst  die  vierte  liebe  ist  die  volkomnü  liebü  (150^,23),  wo 
der  mensch  gott  darum  liebt,  dass  er  um  unsertwillen  mensch  geworden  ist.  Disi'i 
manschen  hant  allein  got  lieb  dur  got  und  iimb  das  gät  dz  si  an  ime  erkennent  und 
umb  die  edelkeit  ir  natnr,  wobei  bezug  genommen  ist  auf  eine  weihnachtshomilie 
des  Augustin  und  auf  Joh.  10,  14.  enivere  joch  u'eder  helle  noch  himelrich  (ebenso 
119*,  25),  so  wend  si  in  doch  dar  umb  lieb  haben,  dz  er  ane  underlaß  eiti  (151b; 
lustlich  wolgevallen  in  inen  haben  mng.  Es  folgt  dann  das  excerpt  bei  Wackernagel 
s.  590,  255-592,  343,  das  die  seelsorgerische  befähigung  des  predigers  besonders  gut 
charakterisiert.  Im  unmittelbaren  anschluss  hieran  werden  die  tiefelslichen  fantas- 
ma{ta)  (fantasien,  inbildunge:  158b,  Ig  =  Wackeruagel  z.  836),  die  den  von  dem/«'/-/« 
flammenden  tvinde  götlicher  gnade  und  minn  voll  erfassten  (geterrten)  menschen  be- 
drängen, um  siegreich  überwunden  zu  werden,  in  vierfacher  weise  unter  allegorischer 
beziehung  auf  Josua  3,  13  ff. ;  Luc.  11,  21;  Exod.  14,  22  ff. ;  Tob.  6,  1  ff.  zergliedert, 
des  weiteren  sieben  gründe  augeführt,  weshalb  gott  dem  ihn  suchenden  menschen 
zeitweise  seine  gnade  entzieht  (156*,  18.  156^4.  158b,  4.  160^,14.  160^,19.  161b,  12. 


DER  ENGELBERGER  PREDIGER  35 

162b,  2).  Er  soll  dadurch  letzten  grades  Christus  nur  immer  näher  kommen,  durch 
die  menscheit  in  die  gottheit,  durch  den  söhn  zum  vater,  durch  bild  und  form  in 
die  hildlosigkeit  {iinbild),  in  die  wustutige  der  hocken  gotheit  gelangen  (156'\  22  if.)- 
—  Vgl.  das  excerpt  bei  Wackernagel  s.  598,  10—33,  wo  es  am  schluss  heisst 
(Sh  158a,  13):  als  inen  got  ist  mansche  worden,  also  werdent  si  ime  got. 

18.  Bl.  163a.  ETcdtabo  te  domine  quoniam  suscepisti  (me)  (Ps.  29,  2).  Die 
nummer  kann  als  typischer  Vertreter  einer  das  thema  vielfach  gliedernden  predigt- 
weise gelten.  Die  psalmstelle  wird  zunächst  auf  Davids  Wiedereinsetzung  in  sein 
königreich  bezogen  (2.  Sam.  c.  17  und  19),  dann  geistlich  angewendet  auf  den  sündigen, 
doch  durch  das  göttliche  erbarmen  wieder  aufgenommenen  menschen,  insbesondere 
aber  auf  den  aus  der  weit  ins  kloster,  ins  geistliche  leben  tretenden.  Der  begriff  des 
geistlichen  klosters  knüpft  schon  au  Adam  an,  der  aus  dem  kloster  des  paradieses 
(163b,  19  f.)  gestossen  ward.  In  diesem  kloster  waltet  Christus  als  prior,  der  heilige 
geist  als  zuchtmeister,  der  himmlische  vater  als  abt  (164^^  9  ff.).  Im  einzelnen  werden 
ein  leibliches,  ein  geistliches,  ein  ewiges  kloster  unterschieden.  Zum  leiblichen 
kloster,  dar  in  man  kint  tat,  eine  jiingfrowe  tun  tvil,  gehören  sieben  dinge.  1.  man 
m&ß  ein  phränd  gewinnen:  dazu  benötigt  man  dreierlei:  a)  161^^24:  man  muss  dem 
abt  und  denen,  die  des  klosters  pfleger  sind,  bekannt  oder  diensthaft  sein  mit  Hb 
oder  mit  gut  oder  mit  beidem,  b)  165»,  7  jemanden  haben,  der  einem  nahesteht 
{der  der  jungfroiven  lip  si  und  geschaffen  joch  von  natiirlichem  sypUit  (=  sippeblnot), 
vgl.  166a,  1  sypfründe)^  der  einem  zu  phründe  verhelfe,  ^  165a,  13  eindringlich  um 
aufnähme  bitten  (tribt  man  die,  die  do  bittent,  zä  einer  tür  nß,  so  sund  si  zu  der 
andren  icider  in  gan).  Ins  geistliche  übertragen  und  dann  zum  ewigen  führend, 
wiederholen  sich  diese  drei  forderungen  im  geistlichen  kloster  (165»,  22.  165b,  23. 
166b,  6),  in  dem  gott,  Christus  und  der  heilige  geist  als  höchste  Instanzen  wirken  (a), 
die  irdischen  verwandten  {sip)pefriHnde)  durch  die  engel  ersetzt  sind,  deren  niftel 
oder  fründin  zu  werden  die  aufzunehmende  in  megdlicher  luterkeit  (Hieronymus  [?] : ' 
rirginitas  est  angelorum  societas)  bestrebt  ist  (b),  zu  dem  c)  der  einlass  dem  nach- 
haltig bittenden  gewährt  wird  im  sinne  von  Luc.  11,  9.  5—8.  —  2.  167,  3  ff.  Man 
fragt  bei  der  aufnähme  eines  kindes  in  ein  kloster,  a)  ob  es  ieman  ützit  gelten  stille, 
do  mit  man  nachin  nf  das  kloster  macht  vallen,  won  man  hat  etztvas  anders  in 
klostren  ze  tän  denne  man  für  si  gelten  müsti,  b)  ob  es  iemans  eigen  si,  eines  herzogs 
oder  sonst  jemandes  :  es  möchte  nach  15  jähren  nf  das  kloster  vallen  und  das  gotzhus 
nmtriben,  c)  ob  es  irgend  ein  körperliches  leiden  habe.  Darauf  auch  hier  die  geist- 
liche ausdeutung  der  drei  Voraussetzungen  (167»,  20.  167b,  13.  löS^*,  10)  mit  der  an- 
wartschaft  auf  das  ewige  kloster.  —  3.  168a,  22  ff.  vor  dem  klostereiutritt  ist  die 
hertikeit,  die  der  orden  auferlegt  (ze  metti  gan,  ze  köre,  ze  reventor,  ze  cappittel, 
schweigen  und  fasten)  nachdrücklich  hervorzuheben.  So  auch  im  geistlichen  kloster: 
der  mensch  muss  sich  in  sineni  inwendigen  gründe  gruntlich  erbieten  und  lassen  in 
alle  die  hertikeit  des  Ordens,  wie  es  im  joch  tüge  we  oder  ivol,  süssikeit  oder  herti- 
keit: louff  im  engegen  von  innan  oder  von  ussen,  von  got  oder  von  creatitre:  tust  du 
das,   so  tcirdest  du  ane  allen  zivivel  in  gand  in  das   ewig   kloster    des   himelrichs.    — 

1)  'Auffalleuderweise  wird  auch  im  index  zu  Mignes  Patrol.  lat.  3,  707  f.  bei 
keinem  lat.  kirchen vater  dies  zitat  erwähnt.  Verwandte  stellen  finden  sich  aber 
natürlich  häufig,  so  bei  Hieronymus  Ep.  130  ad  Demetr.  n.  ll  (Migue  22,  1119): 
servi  dei  .  .  .  qiii  in  terra  positi  imitantur  angelorum  co)iversationem ;  Ambros.  Exhort. 
virg.  c.  4  n.  19  (Migne  16,  342):  virginitas  vitam  angelorum  exhibet;  August.  De  8. 
virginitate  c.  4  n.  4  (Migne  40,  398):  rirginitas  coelestis  vitae  imitatio,  c.  18  n.  12 
(1.  c.  401) :  virginalis  integritas  angelica  portio  est'.     (K.  B.) 

3* 


36  STRAUCH 

4.  Bl.  lG8b,  24.  Wie  man  im  'leiblichen'  kloster  dem  leint  das  alte  gewand  abzieht 
und  Jhm  ein  neues  anlegt,  so  soll  man  im  geistlichen  kloster  'tugenden'  für  die 
alten  gewohnheiten  und  sitten  eintauschen.  Wir  sollen  den  von  Adam  ererbten, 
aus  feigenbaumblättern  (die  wohl  süss  sind,  aber  den  verborgen  heimlichen  schalk 
der  natur  bezeichnen)  hergestellten  rock  ablegen  und  uns  neu  kleiden  gemäss 
Pauli  Worten  (Ephes.  4,  24)  und  nach  Schlangenart  (vgl.  den  Physiologus) :  die  alte 
Schlangenhaut  bedeutet  das  alte  sündige  leben,  die  zwei  steine,  zwischen  denen  die 
schlänge  hindurchschlüpft,  versinnbildlichen  das  strenge  urteil  gottes  und  Christi 
würdiges  leiden.  Die  kurz  vorher  erwähnten  feigenbaumblätter  rufen  im  prediger 
die  erinnerung  au  ihre  zungeuartige  form  wach  (169^,  18  ff.  =  Wackernagel  s.  598 
z.  34—10)  und  veranlassen  ihn  zu  einer  längeren  scharfen  äusserung  über  den  miss- 
brauch mit  der  zunge  (hüt  diner  znngen!)  unter  hinweis  auf  die  Benediktinerregel 
cap.  6  mors  et  vita  est  in  manihus  linguae  (Prov.  18,  21)  und  auf  das,  was  der 
Physiologus  vom  alt  gewordenen  adler  zu  erzählen  weiss:  170b,  1  also  solt  du  dinen 
Schnabel,  dz  ist  din  zungett,  vor  ab  billen,  also  dz  dti  si  behütest  dz  du  si  ze  keiner 
schedlicher  rede  bruchest.  —  5.  Bl.  170^,  7.  Nach  der  darbringung  (geophret)  und  ein- 
kleidung  setzet  man  dz  leint  ze  orden  und  git  ime  a)  einen  orden  in  dem  köre  und 
ein  stimme  tcirt  ime  erlöbt,  do  mit  es  sol  singen  und  lesen  mit  dem  convent  —  daz 
din  gemüt  diner  stimme  ebenhelle  (Ps.  137,  1),  b)  einen  orden  im  reventor,  wo  ihm 
ein  trunk  weines  und  ein  gät  tracht  gereicht  wird,  auf  dass  der  mensch  oft  zum 
tische  des  herren  gehe  und  nach  speisung  verlange  wie  das  kananäische  weib 
(Matth.  15,  22  tf.  5,  6),  und  dass  auch  ihm  jene  fünf  trachten  zuteil  werden,  mit 
denen  die  jünger  am  gründonnerstag  gespeist  wurden:  dii  hochgelojyt  wirdig  gotheit, 
sin  zartt'i  vini  geminti  sei,  sin  lutseligü  minnenklichü  mfmschheit,  sin  fleisch,  sin 
rosvarwes   kostber    minnwallent   blät,    c)  ein  stimme   in    dem    cappittel   (Ps.  18,  5).    — 

6.  171b,  13.  Hierauf  wird  dem  convent  ein  dienst,  eine  ehrenvolle  aufwartung  gegeben 
in  gestalt  von  wein  und  brot,  wie  es  brauch  ist,  wo  herren  und  frowen  sich  in 
einem  kloster  zusammenfinden,  do  man  ein  kint  ophret,  doch  speiset  der  geistliche 
dienst,  die  freude  über  die  aufnähme  eines  menschenkindes  aus  der  weit  Unreinheit 
in  ein  göttliches  geistliches  leben  mehr  als  der 'leibliche' (Job.  4,  31.  34;  Luc.  15,  7). 
So  man  nu  den  dienst  uß  gerichtH,  so  gat  dar  nach  anni  probacio  (172b,  10),  daz 
jar  der  versächnng  (174»',  1),  das  mit  eindringlichen  worten  unter  berufung  auf 
Rom.  8,  14  charakterisiert  wird.  Wenn  es  da  u.  a.  (173*,  18  if.)  heisst,  dass  der 
mensch  im  leid  gott  weniger  vergisst,  als  wenn  es  ihm  wohl  ergeht,  so  veran- 
schaulicht der  prediger  dies,  indem  er  auf  2.  Sam.  16,  5—11.  19,  18—23  anspielt.  — 

7.  1743-,  3.  Nach  Jahresfrist  (anni  probatio)  findet  dann  die  endgiltige  aufnähme 
ins  kloster  statt:  der  mansche  irirf  gentzUch  enphangen  in  den  orden  und  mihichet 
man  in.  In  der  völligen  Verbindung  mit  gott  und  seinem  orden  wird  er  ein  anderer 
mensch,  bis  die  seele  vom  leibe  scheidet  —  und  dis  ist  ein  Eisgang  uß  dem  liplichen 
kloster  in  das  geistlich  kloster  oder  in  das  himelschlich  kloster,  do  er  denne  in 
enphangen  wirt. 

Damit  ist  der  prediger  zu  seinem  ausgangspunkt  (Ps.  29,  2)  zurückgekehrt, 
um  in  einem  zweiten  teile  (174b,  5  ff.)?  wortspielend,  eine  neue  auslegung  des  gleichen 
textwortes  zu  geben.  Exaltabo  bedeutet  so  viel  wie  frowen,  die  freude  aber,  die 
der  mensch  hat,  ist  zweifacher  art:  eine  ist  ußwendig,  heisset  exultabo,  eine  inivendig 
exaltabo:  letztere  heisst  eine  springendil  fröde  (eine  bezeichnung,  die  eigentlich 
besser  zu  exultabo  passt)  und  erhebt  sich  in  dem  hertzen,  kann  sich  aber  dort  nicht 
enthalten,    ivon  daz   si  har  uß  springet   in  die   ußtvendigen    creft    des  mönschen.     So 


DER   ENGELBERGER   PREDIGER  37 

ergieng  es  der  mutter  gottes  (Luc.  1,  46.  47),  so  David  und  anderen  {f runden  gottes 
176a,  11).  Es  ist  eine  freude,  die  aus  dem  empfinden  einer  fromden  süssikeü  hervor- 
geht: 175*,  9  tvenne  der  m.  sin  selbs  uß  gat  und  aller  creatnr  tmd  denne  in  gat  in 
den  inwendigen  grünt  sins  wesens  und  siner  seh  in  das  heimlich  verborgen  rieh  gottes, 
do  got  r'ichset  und  lebet  und  dem  manschen  necher  und  heimlicher  ist  denne  der  m. 
im  selber,  do  ivirt  er  enj)hindent  eitler  verborgner  fromder  siissikeit.  Die  'inwendige' 
freude  findet  dreifachen  ausdruck:  in  gedanken,  werten  und  werken  (175^,25): 
1.  in  gedanken,  die  eingegeben  sind  a)  durch  ein  gutes  (luter)  gewissen  (171^1, 16), 
b)  im  gefühl,  dass  gottes  gnade  gegenwärtig  ist  (nQ^,l\,  wobei  s.  Dionysius  citiert 
wird)  oder  c)  dem  wünsche  entsprungen  sind,  geduldig  zu  leiden  im  sinne  der  nach- 
folge Christi  (177a  7  unter  beruf ung  auf  Gal.  6,  14  und  2.  Cor.  12,  9).  Wie  tief 
empfunden  ist  es,  wenn  im  anschluss  an  das  letztgenannte  zitat  unser  prediger 
hinzufügt:  177^,  5  der  m.  ivi'tsse  es  oder  wüsse  es  mit,  so  treit  doch  got  die  burdi 
des  criHzes,  das  ist  das  liden,  an  dem  stoersten  teile,  und  er  tvigt  aller  m.  craft  und 
git  nieman  nie  ze  liden  denne  er  getragen  mag.  —  2.  äussert  sich  die  innere  freude 
in  Worten,  indem  man  a)  (177^,  11)  dii  ivort  trulcet,  d.h.  sein  innerstes  empfinden 
im  gebet  zum  ausdruck  zu  bringen  sucht,  sie  presst  wie  die  traube,  um  aus  ihr  den 
klaren  edlen  wein  zu  gewinnen,  was  auf  Christi  menschheit  und  die  in  ihr  ver- 
borgene gottheit  gedeutet  wird;  so  wirst  du  —  dur  du  wort  und  dnr  den  text  in 
gand  in  du  glos  und  dur  den  einhornen  siin  des  vatters  in  die  gotheit,  ujid  do 
■wirst  du  enphindent  des  safs  und  der  süssikeit  so  in  den  worten  verborgen  ist; 
b)  (178b,  21)  insofern  man  seine  worte  auf  die  wagschale  legt,  behh  ist  in  sinen 
Worten,  niemanden  truket,  gegen  jedermann  eineti  unschedlichen  mund  hat;  c)  (179a,  7) 
wenn  sie  von  gott  reden  hören  oder  selbst  von  ihm  sprechen.  Da  lieben  die  einen 
von  Christi  menschheit,  dem  kleinen  kindlein  Jesu  zu  hören,  die  andern  von  seinem 
leiden,  seinem  grabe,  seiner  auferstehung,  seiner  himmelfahrt,  von  der  sandunge  und 
gäbe  des  heiligen  geistes.  Ist  diese  Vorliebe  für  dieses  oder  jenes  auch  berechtigt 
(Job.  14,  2),  so  soll  man  doch  nicht  aus  dem  äuge  verlieren,  dass  gott  in  allen  seinen 
werken,  in  seiner  totalität  erfasst  sein  will:  da  ist  jegliches  sunderbar  und  ist  doch 
mit  tvon  ein  weg  zä  dem  himelrich.  Wenn  da  von  natürlicher  art  gerne  hörst,  von 
dem  kleinen  Jesuskinde,  dann  sei  dir  bewusst,  dass  schon  bei  seiner  geburt  in  ihm 
jene  vier  dinge  vorhanden  waren,  die  du  dir  aneignen  musst,  wenn  du  ihm  nach- 
streben willst :  die  lauterkeit  (won  er  was  pur  und  luter  an  siner  monscheitj,  armut. 
demut,  gehorsam.  Das  wird  im  einzelnen  weiter  ausgeführt,  wie  auch  aus  den 
erwähnten  sechs  lebensstadien  Christi  nutzanwendungen  für  die  klosterinsassin  ab- 
geleitet werden :  indem  der  prediger  an  Jesaias  29,  IH  (nicht  Jeremias,  wie  die  hs. 
bietet)  erinnert,  führt  er  des  weiteren  aus:  es  lit  mit  an  schonen  worten,  vielmehr 
an  einem  liebreichen  herzen,  es  lit  an  riehen  sinnen:  das  ist  minncnldiehn  lere  der 
heiligen  geschrift.  Wort  und  werk  sollen  band  in  band  gehen.  Pauli  briefe  (Col.  3, 1 ; 
Rom.  6,  9.  8;  1.  Thessal.  4,  13;  Phil.  3,  20)  sind  auch  hier  dem  prediger  mehrfach 
Stützpunkt  seiner  ausführungen.  —  Während  diesem  zweiten  punkt  ein  breiter  räum 
gewidmet  ist,  findet  der  dritte  und  letzte  nur  kurze  behandlung;  das  thema  war 
gelegentlich  schon  vorher  berührt:  es  handelt  sich  3.  um  die  werke  (183b,  5),  durch 
die  ein  inneres  freudegefühl  geweckt  wird.  Es  sind  a)  ordnunge  der  heiligen  kristen- 
heit:  wie  hoch  der  m.  ienier  gezogen  wirt,  tvenne  er  zu  ime  selber  kumet,  so  sol 
er  die  ordnunge  der  kristenheit  minnen  und  lieb  haben  und  nützit  do  wider  tän; 
b)  (183b,  10)  was  innerlich  am  meisten  befreit  vo7i  bilden  und  von  formen:  gebet  oder 


38  STRAUCH 

betrachten  oder  wiirken,  deren  Inhalt  allein  gott  und  Christus  sei;  c)  (183^,16)  alles, 
was  die  liebe  zu  Christus  zu  entzünden  vermag. 

19.  Bl.  184'\  Dom.  III  Adventus.  Tu  es  qui  ventiirus  es  an  alinm  exjjectanms? 
(Matth.  11,  3).  Die  predigt  legt  eingangs  Matth.  11,  '2—5  aus  und  verweilt  nament- 
lich bei  der  geistlichen  ausdeutung  von  v.  5:  Christus  allein  kann  uns  von  diesen 
geistlichen  siechtagen  heilen,  und  zwar  nähert  er  sich  uns  in  dreifacher  weise.  Sein 
kommen  ist  1.  ein  verborgnü  z&kunft  (185b,  17)^  2.  eine  geistliche  (ISGi^,  7),  3.  eine 
offenn  zakunft  (ISßt»,  22).  Im  kinde,  das  noch  nicht  zwischen  gut  und  böse  zu 
scheiden  versteht,  sowie  bei  den  menschen,  die  aus  gottesliebe  sich  selber  ze  tode 
übten,  wenn  nicht  die  göttliche  gnade  selbst  einhält  geböte  —  und  solchen  wäre 
deshalb  eine  Ordensgemeinschaft  anzuempfehlen  — ,  erscheint  die  gnade  als  ein  ver- 
borgnii  zäkunft;  'geistlich',  d.  h.  innerlich  erwerben  wir  uns  Christi  kommen,  seine 
gnade  durch  begirde  und  andechtig  gebet,  die  uns  über  manches  wunder,  d.  h.  zweifei 
und  Unsicherheit  hinweghelfen  (vgl.  Matth.  11,  3),  bis  in  der  gelicheit  und  der 
mithellunge  zwischen  gott  und  der  seele  sein  kommen  sich  ganz  offenbart:  das  ist 
dann  du  offenn  ciikunft.  Hierauf  folgt  dann  (186'',  22  ff.)  eine  ausführliche  geistliche 
Interpretation  der  sechs  Matth.  11,  5  aufgezählten  menschlichen  gebresten  und  ihrer 
heilung,  die  durch  den  warmen  seelsorgerischen  ton  zu  fesseln  vermag;  ich  wähle 
aus  dem  abschnitt  'die  blinden  sehen'  folgendes  stück  als  beispiel :  man  kann  nicht 
gott  lieben  ohne  ihn  zu  erkennen.  IST^,  15  du  solt  sechen  tmcl  bekennen  dz  gut  mit 
sinem  gewalt  hat  geschaff'en  alle  creatur,  und  mit  siner  wisheit  hat  er  si  ordenlich 
gezieret,  und  mit  siner  güti  hat  er  si  erfüllet,  nu  hat  got  allü  ding  ordenlich  und 
minnenklich  geschaffen,  aber  vor  allen  dingen  so  solt  du  sechen  dz  dich  got  von  nicht 
ze  icht  gemachet  hat  und  hat  dich  allein  under  allen  creaturen  nach  im  selben  gebildet 
und  das  bild  siner  ho(187^)chen  drivaltikeit  in  din  sei  getrnket,  utid  du  bist  allei7i 
ein  redlich  vernünftig  creatur  der  gotheit  vor  allen  creaturen,  und  er  hat  alle  creatur 
geschaffen  dir  ze  dienst,  und  du  bist  ein  herre  aller  creatur  (Ps.  8,  7)  —  du  solt  och 
got  sechen  und  bekennen  in  allen  creaturen.  sichest  du  ein  gewaltig  creatur,  min 
kint,  so  sich  einen  gewaltigen  got  der  si  geschaffen  hat.  sichest  du  ein  wise  creatur, 
got  der  ist  der  aller  tvisest,  von  dem  si  geschaffen  ist.  sichest  du  ein  gütig  creatur, 
so  sich,  dz  got  ist  du  guti  von  dem  allü  güti  flüsset.  sichest  du  ein  rosen,  ein  blumelin, 
min  kint,  so  sich  und  bekenne  dz  allü  du  wisheit  und  kunst  du  in  zit  ie  ivart,  dii 
könde  mit  so  vil,  dz  si  das  kondi  schöpfen  oder  machen,  hie  sichest  du  aber  dz  es 
allein  von  got  geschaffen  ist.  also  vindest  du  in  aller  creatur,  wie  klein  si  iemer 
werden  mag,  in  ieklicher  sunderbar  einen  gantzen  got.  und  sicher !  wer  der  monsche 
ist  der  also  speculieret  in  aller  creature  und  nüt  vindet  denne  got  uttd  got,  der  gat 
allii  zit  dur  die  geschöpfte  in  (188*)  de7i  schopher.  von  diesem  m.  begerent  alle  crea- 
turen dz  si  von  ime  wider  uf  getragen  werden  zä  got.  und  dar  umbe  solt  du  wissen: 
und  kondi  das  klein  greslin  reden,  es  spreche  zu  disem  m.:  is  mich  und  trag  mich 
wider  uf  in  minen  Ursprung  uß  dem  ich  komen  bin. 

20.  Bl.  190b.  Adventspredigt.  Veni  domine  et  noli  tardare^).  Disü  wort  hat 
gesprochen  ein  heiliger  wissage  von  der  minnenklichen  Zukunft  unsers  herren  (109^, 
3.  194b,  13.  15).  Eine  kunstvoll  gegliederte  predigt.  Gott  erbarmte  sich  Adams  und 
seines  falles,  indem  er  seinen  eingeborenen  söhn  sandte;  auch  auf  Noe  erstreckt  sich 

1)  Der  text  steht  im  Constanzer  brevier  als  responsorium  zu  lectio  IX  der 
in.  nocturn  der  Dominica  III  Adventus  und  schon  vorher  als  antiphon  zur  terz  der 
feria  II  post  Dominicam  I  Adventus  (übrigens  auch  heute  noch  im  Brev.  romanum 
als  responsorium  zu  lectio  VIII  der  III.  noct.  Dom.  11  Adventus).    (K.  B.) 


DER   ENGELBERGER   PREDIGER  39 

die  verheissung  (Gen.  9,  13) :  wie  der  regenbogen,  dessen  färbe  rot,  bleich  und  grün 
ist,  so  zeigte  auch  Christus  am  kreuz  diese  drei  färben :  rot  von  bl&t,  gel  und  bleich 
von  totlicher  not,  grün  z'A  einem  urkiind  siner  urstendi,  in  der  er  nach  sinem  tode 
tvider  gränent  und  hlügent  wart;  sie  bezeichnen  das  anfangende,  das  zunehmende 
und  das  schauende  leben,  und  zwar,  abgesehen  von  letzterem,  gleichfalls  auf  dreierlei 
art.  Wenn  der  anfangende  mensch  von  der  göttlichen  gnade  berührt  wird,  so  wird 
er  einmal  von  rechter  schäm  rot  inivendig  in  dem  hertzen  und  och  ußtcendig  an 
dem  antlut  —  Maria  Magdalena  so  sehr  innerlich,  dass  sie  aller  äusseren  schäm  ver- 
gass  — ,  sodann  wird  er  rot  aus  zorn  über  sich  selber,  über  sein  sündiges  leben, 
und  er  übt  die  tugend  irascibilis  (vgl.  Paradisus  anime  intelligentis  78,  33.  111,  6). 
Nicht  hierher,  sondern  besser  zum  ersten  faU  gehört  die  dann  folgende  hübsche 
stelle:  191^,10  disil  rSti  kuntet  och  von  megdlicher  schäm,  iron  ein  magt  hat  das 
von  nature  dz  si  sich  schämet  tvenne  si  eins  mans  person  sieht  xind  getar  in  doch 
mit  mit  vollen  ogen  an  gesechen.  und  dis  schäm  hat  du  müter  gottes  volkomenlicher 
denne  ie  kein  magt,  und  das  bewart  si,  do  der  engel  Gabriel  zä  irkam:  do  er  schämt 
si  sich  hertzhlich  i(nd  erschrak  och,  won  er  kam  in  eins  Junglings  person.  3.  aber 
werden  solch  anfangende  menschen  rot  von  grosser  arbeit,  von  selbst  auferlegter 
bürde  wie  fasten,  wachen,  beten,  kasteien,  oder  wenn  gott  seine  gnade  versagt  und 
sie  verstummen,  wo  sie  meinten,  aus  sich  selbst  zu  haben,  was  doch  alles  gottes  ist. 
—  Die  bleiche  färbe,  die  das  zunehmende  leben  bezeichnet,  kommt  1.  von  siechtagen, 
von  der  Sehnsucht  nach  dem  'geminnten'  (Cant.  5,  8),  2.  von  arbeit:  hat  sich  der 
geliebte  der  liebenden  entzogen,  so  glaubt  sie  durch  strenge  arbeit  bei  tag  und 
nacht  ihn  wiedergewinnen  zu  können,  3.  im  sterben,  durch  den  tod:  diese  menschen 
sind  nicht  nur  äusserlich  bleich,  weil  sie  aller  creature  tod  sind,  sie  sind  auch 
geistlich  bleich,  d.  h.  sie  müssen  auch  innerlich  alles  das  sterben,  ertöten,  was  gott 
jemals  durch  sie  und  für  sie  gewirkt  hat.  Gott  entzieht  sich  ihnen  völlig,  sie  werden 
wie  ein  stock,  der  von  gott  nie  etwas  vernahm.  192^,  15  hie  ist  wol  ein  tötlichi 
bleichi:  won  der  m.  ist  als  ein  sterbender  m.  der  in  zit  noch  in  ewkeit  keinen  trost 
hat.  und  dar  umb  sprichet  sani  Bernhart  von  disen  monschen:  inen  ist  wirs  denn 
ob  si  in  der  helle  werin,  won  si  dnnket  disu  gelassenheit  helle  ob  aller  helle.  — 
192^,  21  ff.  Das  vollkommene  leben  endlich  versinnbildlicht  die  grüne  färbe.  Gemeint 
sind  alle  die,  die  dem  grünen  zwijlin  Jesus  Christus  (dabei  bezugnahme  auf  Luc.  23,  31) 
durch  alle  leiden  hindurch  bis  unter  das  kreuz  gefolgt  sind,  ja  weiter  noch  den 
palmbaum  des  kreuzes  erstiegen  haben :  und  do  schowent  si  und  sechent  mit  der 
müter  gottes  das  angstlich  welich  liden  Jesu  Christi  und  si  helfent  der  mäter  gottes 
mitliden  und  sechent  wie  die  Juden  under  dem  criitze  giengen  (hiengen?)  an  sinen  ogen 
in  sine  totliche  smertzen  und  tantzeten  von  froden.  So  ganz  im  mitleiden  mit  dem 
gottessohn  aufgehend,  wird  der  mensch  wie  Maria  Magdalena,  der  der  silsse  kern 
der  gotheit  offenbar  ward,  mit  gott  vereint.  193'^  5  hie  werdent  die  zwo  geistlichen 
Zungen  redent  mit  einander:  das  ist  dii  minn  die  der  m.  hat  zä  got  und  die  gunst 
die  got  hat  wider  umb  zä  der  sele.  dis  ist  ein  minnenklich  vereinen  der  (hs.  du)  sei  mit 
got.  dz  ist  tcol  ein  volkomen  leben.  Damit  kehrt  der  prediger  zu  seinem  textwort,  das 
er  noch  durch  hinweis  auf  Ps.  '42,  3.  80,  3  verstärkt,  zurück,  um  hierauf  die  frage 
was  bringet  diser  herre  oder  das  minnenklich  kindli?  und  tcie  kumet  diser  herre? 
in  planmässiger  abstufung  zu  beantworten:  er  bringt  sechserlei  gaben,  ieklich  selb 
drytt;  er  kommt  in  sechsfacher  weise. 

194^,  7  ff.    Gott  kommt  1.  als  ein  strenger  richter  der  missetat,  2.  als  ein  wiser 
artzat,    3.  als  ein  wegleiter  nu  hie  in  disem  eilende   und  har  nach  z&  dem  himelsch' 


40  STRAUCH 

liehen  vaUerlcmde,  4.  als  ein  gewaltiger  kling  (Asswerus  zä  der  künigin  Hester  200"^,  8), 
5.  als  ein  tvol  gezierter  schälphaJJ'e,  6.  als  ein  zärtlicher  minnenklicher  gemahel  z& 
siner  gemachlin.  194^^  1  ff .  Als  strenger  rieht  er  bringt  er  dreierlei  gaben  (unter 
berufung  auf  Job.  16,  8)  und  dis  sint  hert  gaben:  er  straft  den  menschen  a)  um  seiner 
Sünde  willen,  auch  wegen  der  kleinsten  täglichen  Sünden  {das  bnlver  der  schulde), 
b)  u})ih  die  gerechtikeit,  c)  nmb  das  gericht,  und  zwar  in  den  beiden  letzteren  fällen 
mit  dem  hinweis,  dass  der  mensch  an  sich  selbst  den  gleichen  masstab  anzulegen 
habe  wie  an  seine  mitmenschen.  —  196»,  6  ff.  Als  arzt  (celestis  medicus  1961^,  5)  bringt 
der  herr  a)  eine  milde  salbe  aus  öl  zur  heilung  der  wunden,  es  ist  das  öl  des 
erbarmens,  b)  latwerge  zur  Stärkung  der  siechen  und  c)  eine  kostbare  wider  tribent 
salbe  als  heilsalbe  für  die  wundenmale.  Geistlich  gedeutet,  bewirken  diese  mittel 
auch  ein  dreifaches  gesunden  (197»,  10  ff.).  —  197^,22  ff.  Als  ein  wegleiter  {iveg- 
geferte  198»,  13)  macht  Christus  dem  menschen  a)  den  weg  kurz,  h)  lieht  d.h.  leicht 
{behend,  siecht,  snell  198»,  24),  c)  eben:  er  rechtvertigot  dem  menschen  seinen  weg. 
Bei  a)  heisst  es  198»,  3  wir  sechen  das  tvol,  tvo  ein  groß  geselleschaft  mit  einander 
gut  ze  Rome  oder  ze  Aviun  oder  zä  unser  frowen  (Ein siedeln  ?)  oder  ande(r)  ferr 
tveg,  hant  si  einen  m.  under  inen  der  Uechtvertig  ist  oder  frölich,  der  singt  oder  seit 
iemer  etwas  dz  si  alle  frSlich  werdent,  und  machet  in  die  wil  also  kurtz:  so  si  ein 
gantz  mil  gegangen  hant,  so  wennent  si  etzwenn  dz  si  kuni  einen  vier  den  teil  haben 
gegangen.  Geistlich  gewendet  sendet  Christus  dem,  der  gottes  wort  gern  hört  und 
daher  von  gott  ist  (Job.  8,  47),  seine  boten  und  briefe,  das  sint  die  lerer  und  gottes 
wort,  das  die  lerer  verkündigen,  geistlich  betrachtunge  kürzt  den  weg.  so  der  tag 
vergangen  ist,  so  ist  er  inen  (solchen  menschen)  also  kurtz  gewesen,  dz  er  dick  wennet, 
er  sy  noch  halber  hie  vor.  Zur  Charakteristik  des  liehten,  snellen  weges  (b),  der  durch 
die  zehn  geböte  und  zwölf  rate  führt,  siehe  das  die  seelsorgerische  begabung  der 
Predigers  treffend  kennzeichnende  excerpt  bei  Wackernagel  s.  594  f.  'Pilgerfahrten' 
z.  1—14.  Des  'wegleiters'  dritte  gäbe  (c)  ist,  dass  er  den  weg  rechtvertig  machet. 
Von  den  hindern  Israels  kamen  von  tausend  nur  zwei  (Josua  und  Kaleb)  ins  gelobte 
(geheissen)  land,  won  si  umgiengen  einen  berg  und  do  si  xl  jar  giengen,  do  waren 
si  do  si  an  viengen^.  So  geht  es  auch  allen  jenen  geistlichen  menschen,  die  do  umb 
gand  in  ir  eigenen  willen.  Nach  30  oder  40  jähren  stehen  sie  noch  am  anfang.  Er 
geht  einen  unrechten  weg,  wer  seinen  willen  in  die  band  seiner  meisterschuft  auf- 
gegeben hat  und  ihn  dann  wieder  zurücknimmt.  Der  vergleich  mit  den  kindern 
Israels  ist  auch  im  folgenden  noch  festgehalten,  wenn  vom  wegleiter  Jesus  Christus 
gesagt  wird :  199^,  18  er  wist  dich  dur  das  rot  mer,  das  ist  dur  fleisch  und  dur 
blät:  do  dur  solt  du  tringen  unts  dz  du  es  überwindest  und  och  din  eigenen  natur. 
—  er  wist  dich  dur  den  Jordan,  das  ist  dil  siben  heilikeit,  und  dur  di  siben  gaben  des 
h.  geistes  sowie  dur  die  wusti  (200»),  das  ist  dz  du  wüst  und  ledig  und  quit  solt 
werden  aller  creature  —  .•  so  kommst  du  in  das  geheissen  laut,  —  in  die  hochen 
wilden  tvüsti  der  gotheit.  —  2ü0»,  6.  Als  k  ö  n  i  g  kommt  der  herr  wie  Aswerus  zur 
königin  Hester  (siehe  oben  s.  19.  27);  auch  er  bringt  drei  gaben  und  lässt  seine 
freunde  a)  seinen  reichtum  (stett  und  bürg,  liit  und  land),  b)  seine  heimlich  ver- 
borgenen schätze  (hdrde)  schauen  und  gestattet  ihnen  c)  ein  lustig  niessen  dieser 
gaben,  deren  geistliche  ausdeutung  200»,  21  ff.  dann  folgt.  —  200^,  18  ff.  Der  herr 
kommt  als    ein  tvol  gezierter   s  ch  alpha  ff  e.     Nu  möchtest   du  sprechen:  sol  ich  nu 

^  1)  Vgl.  Petrus   Comestor,   Hist.  schol.  libr.  Numerorum  c,  23  (Migne,  Patrol. 
lat.  198,  1232). 


DER   ENGELBERGER   PREDIGER  41 

erst  an  rächen  lernen?  ja,  min  kint!  merk  dz  noch  neisivas  ist  das  du  mit  kanst, 
tvan  das  du  es  noch  müst  lernen  von  disem  minnenklichen  schalphaffeji,  tinserm 
herren  (201^)  JJiesu  Christo,  die  ersten  zwo  gaben  —  dz  sint  zicen  tvinkel  der  sele, 
die  solt  dti  lernen  erkennen:  —  a)  der  grund  der  bossheit,  tiss  dem  du  alles  dz  ivurkest 
dz  du  si'tntliches  tust  in  ivorten,  in  werken  und  in  gedetiken.  Diser  grund  ist  un- 
ergri'mtlich,  —  ist  recht  ein  helrich  mit  einander,  und  fi'irkeme  dich  got  nut  mit  siner 
gnad  und  erbermd,  du  vermöchtist  all  die  bosheit  aller  tn.  uss  disem  winkel  u-ürken. 
Der  andere  winkel  ist  b)  ein  gütlicher  w,  in  dem  got  lebet  und  richset  und  alles  dz 
gut  würket,  dz  du  in  Worten,  in  tverken  oder  in  gedenken  täst  oder  mit  allen  sinnen 
usicendig  oder  inwendig  würkest.  Die  dritte  gäbe  (c)  lehrt  dich  zwuschent  disen 
zwein  winklen  durchgan  in  demut,  dankbarkeit  und  lobpreisung.  —  201^,  18  ff. 
Endlich  kommt  der  herr  auch  als  liebender  gemahl  zu  seiner  gemahlin  und  bringt 
ihr  drei  richlich  morgengaben :  es  sind  ■  die  drei  'königlichen'  seelenkräfte :  a)  du 
hoch  gotlich  ma(202^}genkraft  der  sei  du  heisset  gehügnüst  oder  angedenkmist 
(memoria,  reminiscentia),  b)  Vernunft,  c)  freier  wille,  die  mit  der  dreifaltigkeit  in 
beziebung  gebracht  werden,  a)  mit  dem  vater,  b)  mit  dem  einborn  sun,  des  vatters 
ewigii  wisheit,   c)  mit  der  süssen  minne  des  heiligen  geistes. 

21.  Bl.  204^.  Oleum  effusiim  est  nomen  tuum.  Ideo  adolescentule  dilexerunt  te 
(Cant.  1,  2).  Es  ist  eine  weihnachtspredigt  und  feiert  Maria '  und  das  Jesuskind, 
won  öch  der  nam  Jhesus  geborn  und  geprosset  ist  und  us  gegangen  von  dem.  tvirdigen 
tabernaculum  Marien,  in  der  dz  ewig  wort  des  vatters  hat  (204/^)  an  sich  genomen 
monischlich  natur  und  in  dem  lieplichen  lustlichen  paradys  des  megdlichen  herczen 
hat  geräwet  Villi  manod  als  ain  küng  in  ainer  ivolgezierten  phallentz  und  als  ain 
gemachel  an  sinem  brütbet.  Jedes  einzelne  textwort  wird  durchgesprochen.  Wie  das 
öl  über  allem  feuchten  schwebt,  darauf  zerfliesst,  so  ist  Maria  ain  ob  swebendii  frotv 
aller  geschafner  kreatur,  —  der  fruchtber  olebom,  der  Ölbaum  des  götlichen  erbarmens, 
dessen  frucht  Jesus  ist".  Wer  erbarmen  begehrt,  der  soll  kommen  zä  dem  namen 
Maria;  sie  versagt  sich  keinem.  201^,  65  nti  hat  du  alt  e  gemurmelt,  dz  du  niiwe  e 
den  phenning  hat  genomen  und  aber  si  die  burdi  in  der  hitz  des  tages  hat  getragen: 
aber  dz  tat  du  heiig  kristenheit  mit:  du  gan  wol  allen  m.  (204^)  dz  si  genad  und 
erbermd  vinden  und  den  phenning  des  ewigen  lebens  verdienen  und  besitzen.  — 
'Effusiim  esf :  Maria  ist  allzeit  bereit  die  von  gott  empfangene  gnade  denen,  die 
sie  anrufen,  mitzuteilen,  icon  si  hat  die  genad  gottes  also  fruchtberlich  enphangen, 
dz  alles  dz  got  ist  und  hat,  dz  ist  alzemal  durch  si  und  in  si  geflossen,  dz  ir  niitzit 
gebristot  ivon  dz  si  mit  selber  got  ist,  anders  so  hat  si  alles  dz  von  gnaden  dz  got 
hat  von  natur.   —    'Nomen  tuum':   der  name  Maria  ist  «/h  gezierd  aller  namen  tind 

1)  Es  heisst  immer  der  name  Maria,  der  name  Jliesus. 

2)  Zum  vergleich  Marias  mit  dem  öl  und  Ölbaum  siehe  A.  Salzer,  Sinnbilder 
und  beiworte  Mariens  s,  26.  177  ff.  497  f.,  bes.  die  citate  497,  19.  30  ff.  Dem  herrn 
p.  Anselm  Manzer  O.S.B.  in  Beuron  verdanke  ich  durch  Karl  Bihlmeyers  Vermitt- 
lung das  folgende :  'Oleum,  id  est  tu,  sacratissima  rirgo  Maria  und  Nomen  tuum, 
beatissima  virgo  Maria,  comparat}ir  oleo:  beide  äuBserungen  finden  sich  bei  einem 
berühmten  französischen  augustiner  aus  dem  14.  Jahrhundert  (1381),  bei  Eaymundus 
Jordanus  (Chevalier,  Repertoire  2,  2650),  Piae  lectiones  seu  contemplationes  de  beata 
Virgine.  Pars  IV^,  contemplatio  II  n.  1  in  J.  J.  Bourasse,  Summa  aurea  de  laudibus 
beatissimae  virginis  Mariae,  t.  IV.  Paris  1862,  sp.  890.  Einen  Vorgänger  aus  dem 
13.  Jahrhundert  (1245)  hatte  R.  Jordanus  an  seinem  landsmanu  von  Rouen  Richardus 
a  S.  Laurentio  (Chevalier,  Rep.  2,  3961;  Hist.  lit.  de  la  France  19,  23).  Seine  Libri  XII 
de  laudibus  b.  Mariae  stehen  in  Jammys  ausgäbe  des  Albertus  magnus.  Lyon  1651. 
t.  XX,  vgl.  bes.  p.  7.  402.    Vgl.  auch  über  Richardus  Bourasse  a.  a.  o.  t.  X  sp.  42  f.'. 


42  STRAUCH 

disen  namen  rufet  an  alles  dz  in  zit  und  in  ewikait  ist  und  diser  nam  wirt  in 
meniger  tvis  an  gerüft  und  geloht,  in  ehraischer  sprach  nemet  man  si  Meo  oleo  ',  in 
der  stat  Cyrino  (beruht  auf  missverstäudnis  von  Luc.  2,  2)  do  nemmet  man  si  Domina 
gentium  '^.  dz  ist  als  vil  gesprochen  als  ain  fröiv  der  geschlechtejt,  ja  wol  ain  fröiv 
über  allit  geschlecht  in  himel  und  in  erd.  Maria  ist  öch  als  vil  gesprochen  als  mer- 
stern  *.  der  merstern  der  luchtet  und  schinet  dz  man  sich  nach  im  richtet  uff  dem 
mer.  also  ist  öch  Maria  ain  erlüc]i{te)rin  der  sünderen,  die  sian  ruffent,  won^  si 
getürren  öch  z'ii  dem  namen  Maria  (2048)  getürstlicher  komett  denn  zu,  dem  namen 
Jhesu,  won  Jhesus  ist  ain  richter  der  mistäf,  aber  Maria  du  ist  ain  mütter  der 
erbermd.  Gibt  es  jemanden,  der  sie  angerufen  und  dem  sie  nicht  geholfen  hätte? 
Niemand!  (s.  Bernhard).  —  'Ideo  dilexerunt  te' :  hier  wird  Maria  in  merkwürdiger  Ver- 
wechslung von  turris  und  cnrrus  im  anschluss  an  Gant.  4,  4  (vgl.  A.  Salzer,  Sinn- 
bilder und  beiworte  Mariens  s.  12.  284  ff.)  dem  ivagen  her  Davides  verglichen,  mit 
Schiiten  —  seiner  ritter  und  amptlüte  —  umjienket,  vor  denen  die  feinde  erschrecken : 
so  ist  auch  die  mutter  gottes  umgeben  von  allen  den  Schilden,  die  wider  die  ivelt 
hant  gestritten  und  ir  angesicht  und  ewig  leben  mit  strit  haut  getvunnen:  gemeint 
sind  die  altväter,  apostel,  David,  die  bekenner,  märtyrer  und  jimgfrauen,  ins- 
besondere auch  die  jugendlichen  mit  hinweis  auf  Act.  14,  4.  Von  denen,  die  wie 
s.  Katharina,  s.  Agnes,  s.  Margareta  und  s.  Cecilia  von  jugend  auf  'ihr  krönlein 
oder  schappel  mit  weissen  lilien,  untermengt  mit  roten  rosen'  (d.  h.  mit  strit  =  leiden) 
getragen,  sind  jene  unterschieden,  die  ihrer  megtlichen  luterkait  verlustig  gegangen 
waren,  dann  aber  durch  reue,  beichte  und  busse  wiedergeboren  worden  sind.  —  Nach 
dem  überschwänglichen  Marienlob  ^,  für  das  sich  unser  prediger  auf  die  hohen 
lehrer  Augustin,  Ambrosius,  s.  Bernhard  beruft  und  das  niemand  ze  grund  erg^-ünden 
kann,  werden  205b,  41  ff,  die  gleichen  textworte  auch  auf  den  namen  Jesus  bezogen 
und  gedeutet.  Bei  'effusum  est'  heisst  es :  usgegosseji  ist  als  vil  gesprochen  als  ain 
usgiessen  gütlicher  gnad  und  ain  erfüllen  der  himelschen  trophen  alli'i  mimienden 
hertzen  ®  und  alle  die,  die  sin  emphenklich  si^tt,  iekliche  nach  siner  begird,  als  do  stat 
geschriben  de  vigilia  vtgilia(e),  an  des  heiigen  abents  abent  in  dem  respons '  De  illa 
occulta  (habitatiotie)    descendet  visitare  et  consolari^ :   er  ist  gesant  ze  sechen    und  ze 

1)  Volksetymologische  deutung  aus  hebräisch  möri?  mör 'salböl' (nach  freund- 
licher auskunft  meines  coUegen  K.  Brockelmann). 

2)  Das  reiche  material,  das  Salzer  a.  a.  0.  s.  450  ff.  unter  'domina'  zusammen- 
getragen hat.  verzeichnet  die  hier  gebrachte  deutung  nicht,  doch  wird  nach  freundl. 
mitteilung  des  h.  p.  Anselm  Manzer  Maria  so  in  einem  gebet  genannt,  das  unter 
dem  namen  des  h.  bischofs  Mauritius  von  Eouen  (f  1067)  überliefert  ist;  siehe 
Bourasse  a.  a.  0.  t.  IX  sp.  1114  mitte,  X  sp.  983  f. 

3)  'Stella  maris'  ist  die  gewöhnliche  deutung  des  namens  seit  dem  10.  Jahr- 
hundert. Siehe  Bardeuhewer,  Der  uame  Maria.  Bibl.  Studien  I  (1896)  s.  93  f. ;  Salzer 
a.  a.  0.  s.  404  ff. ;  Zeitschr.  15,  40. 

4)  toon  si]  hs.  ivo  (zeilenschluss)  irer  oder  wer? 

5)  Sb  204^,  71  und  darum  ist  billich,  dz  man  den  namen  Marien  an  raff  und  si  öch 
lobi  und  er  für  alles  dz  in  zit  und  in  ewkait  ist,  won  si  öch  du  liepst  und  du  minnen- 
klichest  kreatur   ist   an   die  menscheit  (?  hs.  il/«)  Christi  du  in  zit  und  in  ewikait  ist. 

6)  Der  accusativ  von  erfüllen  abhängig? 

7)  Das  unbiblische  citat  (siehe  auch  Kelle,  Spec.  eccl.  22,  29  ff.)  dient  In  vigilia 
vigilie  nativitatis  Domini  (Grotefend,  Zeitrechnung  ] ,  1.  83)  als  respons  zum  capi- 
tulum  der  vesper:  De  illa  occidta  habitatione  sua  egressus  est  filius  Dei,  descendet 
risitare  et  consolari  omnes,  qui  eum  de  toto  corde  desiderabant.  Versiculus :  Ex  Syon 
species  decoris  eins,  Dens  noster  manifeste  veniet.  Breviarium  Constantiense  s.  1.  et  a, 
[vor  1482],  Tübinger  univ.-bibl.  Gi  28  fol.  (K.  B.). 

8)  Hs.   consolare. 


DER   ENGELBERGER   PREDIGER  43 

tröstend  alle  die  die  sin  von  hert::en  begerend.  —  Bei  'nomen  tuum'  ist  auf  Luc.  1,  31 
verwiesen.  —  Dieser  erstmaligen  kürzeren  deutung  auf  Jesu  folgt  dann  206^,  9  ff. 
noch  eine  zweite  weit  ausführlichere,  wiederum  die  textworte  der  reihe  nach  durch- 
gehend. 1.  Die  leuchtkraft  des  Öles,  seine  schmackhaftmachung  der  speisen  —  und 
darum  ist  man  in  welschem  land  über  dz  jar  bomoley  —  sowie  seine  wundenheilende 
eigenschaft  (mit  bezugnahme  auf  das  gleichnis  vom  barmherzigen  Samariter)  finden 
auf  Jesus  anwendung,  insofern  er  a)  206*,  36  ff.  die  sonne  der  gerechtigkeit,  das 
gewar  Hecht  (Job.  1,  9.  8,  12),  ein  erlühter  aller  vinsternis  *,  b)  2063-,  80  ff.  ein  spiser  der 
hungrigen,  ein  trank  der  turstigen  (Job.  6,  51 ;  Eccli.  24,  29  - ;  49,2?=*),  c)  206'',  26  ff. 
ein  arzt  für  alle  wunden  ist,  bist  du  gnadlos  und  treg  an  lügenden  oder  krank.  — 
2.  206b,  40  ff.  'nsgegossen':  darin  bezugnahme  auf  die  geschichte  von  der  witwe  und 
dem  ölkrug  (2.  Kön.  4,  2  ff.):  also  geschieht  dir:  ist  lU  ital  in  dir  von  creatur,  dz 
tvirt  erfüll  mit  gütlicher  gnad,  wer  aber  ist  beheftel  mit  Tcreatur,  do  geslal  dz  oley 
der  gnad  gottes  und  mag  noch  wil  dar  nüt  körnen.  —  3.  206b^  74  ff.  'din  nam' :  den 
namen  Jesus  rufe  in  allen  lebenslagen  an  (Matth.  9,  27;  Luc.  17,  13)!  da  heisst  es  u.  a. 
er  ist  ein  gantzer  vocabxd  in  dem  du  vindest  alles  dz  dir  gebristet.,  er  ist  du  liberig 
in  der  do  verborgen  ist  aller  der  underschaid  des  du  und  all  menschen  noturftig  sint 
ze  wissen  z&  ewiger  selikait.  4.  207^,  40  ff.  'Ideo  adolescentule  dilexerunt  te'.  Wenn 
auch  das  wort  zunächst  an  die  jungen  gerichtet  ist,  gilt  es  doch  auch  für  die  alten. 
Diese  sind  die  volkomen  menschen,  den  24  alten  der  Apocalypse  (4,  4)  vergleichbar, 
während  die  jungen  die  anvahenten  menschen  sind,  die  eisten  an  hebent  ain  gStlich 
tugentiich  leben.  —  dis  ist  als  ain  manen  und  ain  triben  und  ain  anreizen,  dz  si  den 
sächen  und  im  nach  löfent  der  in  dis  süskait  git.  ach,  min  kinl,  t&  es  luterlich  dur 
got  und  las  dich  nüt  da  mit  beniegen  wz  dir  gelüchten  oder  gesmaken  mag.  Wie  der 
Jagdhund  der  spur  des  hirsches  folgt,  so  tue  anch  du  und  ruhe  nicht  eher  als  bis 
du  den  wilden  ainhürn  im  schösse  der  Jungfrau  gefangen  hast.  207'',  4  ff.  Die 
menschen  werden  ungleich  gezogen  und  gehen  ungleiche  wege.  Die  einen  gehen 
durch  das  wort,  die  andern  in  das  woit,  die  dritten  ohne  {an)  das  wort.  Die 
ersteren  geben  ganz  in  dem  auf,  was  vom  Jesuskinde  und  von  der  menschheit  Jesu 
Christi  gesagt  und  gepredigt  wird  und  reden  auch  selber  gerne  davon.  Die  andern 
suchen  den  kern  in  der  schale,  die  gottheit  in  der  menschheit  Jesu  Christi  und 
stehen  somit  auf  höherer  stufe.  207'',  Hl  ^md  harum  so  spricht  ain  lerer  *^  haisset 
Eabanus^ :    'wen   ich  hör  sprechen  got  und  mensch,  so  zerßüs  ich',    war  zerfliis  ich? 

1)  206a,  63  und  darum  so  sprechen  wir  von  disem  geminten  namen  und  von 
der  klarhait  dises  namen  billich  und  wol:  0  oriens,  splendor  lucis  eterne!  o  du  uff 
brechend  morgen[t]rot,  ain  glantz  des  ewigen  Hechtes  und  ain  sun  der  gerechtikait, 
kxvm  und  erlücht  die  sitzenden  in  der  vinstri  und  die  do  umgeben  sint  mit  dem 
schatten  des  todes.  o  du  erluchtes  Hecht,  erlücht  al  die  die  dinen  geminten  namen 
an  rüfent.  —  0  oriens,  splendor  Incis  aeternae  (vgl.  Zach.  6,  12 ;  Sap.  6,  26)  ist  der 
anfang  des  .5.  der  7  (früher  12)  sog.  grossen,  je  mit  0  beginnenden  autiphonen  zum 
Magnificat  der  vespcr  vom  17.— 23.  dezember  (die  5.  zum  21.  dezember)  des  bre- 
viers  (K.  B.). 

2)  206'',  15  und  darum  sprichet  die  minnent  sei:  Qui  te  gnstant  esiirinnt,  qni 
te  bibunt  adhuc  sitinnt.  die  dich  essent  die  hungrot  noch,  die  dich  trinkent  die 
lürstent  noch, 

3)  206'',  19  ^ind  aber  sprichet  si:  du  bist  ain  honigsegm  in  dem  miinf  und  ain 
süsses  saittenspil  dien  oren  und  ain  Jubel  in  dem  hertzen. 

4)  Hs.  leif,  darüber  rer,     so  dass  lerer  gemeint  scheint. 

6)  Trotz  allem  bemühen  Hess  sich  über  diesen  autor  nichts  ermitteln.  Einer 
nach  Engelberg  gerichteten  bitte   um   nochmalige   einsieht  in  die  hs.  wurde  bisher 


44  STRAUCH 

US  mir  selbe?',  aber  zerfliis  ich.  tvar  zerfliis  ich?  wider  in  mich  selber,  aber  zerßüs 
ich.  war  zerflüs  ich  ?  von  mir  selber,  aber  wider  ßüs  ich.  tvar  flüs  ich  ?  in  dz  selb 
ainig  tvese{n),  do  da  veraint  ist  got  und  mensch  in  ainkait  des  wesens,  in  drihait  der 
personen  und  ainvaltiger  istikait  gütliches  wesens.  in  diser  ainkait  verh'ts  ich  all 
menigvaltikait  und  kum  in  zerfliessender  tvis  in  min  ersten  istikait  gütlicher  weslicher 
ainikait.  —  Die  dritten,  die  'ohne  wort'  gezogen  und  in  gefuret  werden,  dz  sint  äie 
menschen  die  sich  erhaltent  über  bild  und  form  und  tiber  alles  dz  man  genemen  oder 
gedenken  mag.  —  si  werdent  vil  necher  in  gefuret  den  die  ersten  oder  die  andren. 
Kannst  du  aber  zu  dem  besten  und  nächsten  nicht  kommen,  so  halte  dich  fest  an 
das  Jesuskind  und  die  menschheit  Christi  — ,  denn  alle  menschen  können  nur  durch 
das  leiden  Christi  in  das  ewige  leben  eingehen.  —  Die  predigt  endet  im  anschluss 
an  Apoc.  5,  1—8  (207'^,  61  ff.)  208^,  16  also  geschieht  dem  menschen,  wen  im  uf- 
entschlossen  wirt  dz  bäch  der  haimlichait  gottes,  so  tvirt  allii  trurkait  gewendet  und 
die  tierli  vallent  nider,  dz  ist  allii  bild  und  form  und  alles  dz  man  geworten  mag, 
und  der  mensch  wirt  zerßiessent  us  siner  istikait  in  die  istikait  gottes.  do  tvirt  er 
also  minnenklich  veraint  mit  dem  stat  gottes,  dz  ist  dz  wesen  gottes,  dz  er  im  selber 
und  aller  creatur  enttvirdet  tmd  ain  mit  got  tvirdet,  also  dz  got  sin  eivig  wort  in  im 
gebirt  tmd  ain  als  lustlich  tvolgevallen  in  im  hat  als  in  sinem  aingebornen  sun  (es 
folgt  Mattli.  3,  17).  —  ja  er  hat  ain  minnenklich  tvolgevallen  in  im,  tvon  er  sieht  siti 
eeterlich  wesen  in  ime  und  sin  ewig  niinrich  gebern. 

22.  Bl.  208/^.  Dasselbe  textwort  wie  in  nr.  21  und  an  diese  anschliessend.  Ihr 
hörtet,  wie  der  name  Jesus  der  menschen  herzen  zu  sich  zieht  und  diese  ihm  nach- 
folgen. Nun  gilt  es  ihm  einen  würdigen  empfang  zu  bereiten.  In  diser  tvirdigen 
gab  (mit  bezug  auf  Joh.  3,  16)  ist  veraint  got  t(nd  mensch  in  ain  person  und  crea- 
tur en,  in  ain  götlich  wesen,  her  und  knecht  in  ain  form,  tmd  du  ewig  gothait  hat  dz 
zit  enphangen  und  ist  doch  ewig  beliben  an  anvang  und  an  end.  dti  almechtikait  hat 
sich  genidret  und  ir  almechtikait  ist  do  von  tmgekrenket.  die  wishait  ist  getöret  und 
doch  mit  tintvis  tvorden.  du  hohi  hat  sich  genidret  tmd  gediemütet  iti  mejischlich  natur 
und  ist  doch  sin  gewalt  tmd  sin  er  do  von  mit  geminret.  die  süsmutkait  des  hailigen 
gaistes  du  ist  zerflossen  über  alles  (208'')  ertrich  und  hat  tvider  in  geflötzet  in  den 
ersten  ursprtmg  alle  die  sin  enphenklich  sitit.  Deshalb  kann  das  Jesuskind,  von  dem 
Jesaias  9,  6  gesagt  hat:  Parvnlus  filius  natus  est  nobis,  garnicht  würdig  genug  emp- 
fangen werden.  Aller  menschen  und  enge!  zungen  reichen  nicht  aus :  es  will  mit 
dem  herzen,  dem  gemüt  und  durch  taten  gepriesen  werden,  wie  auch  der  hoch  sus 
mitirich  lerer  Gregorius  in  der  omelia  die  man  uf  den  phingstag  liset  (Migne,  Patrol. 
lat.  76,  1220)  lehrt:  Probacio  dilectionis  exibitio  operis:  die  bewarung  der  liebi  ist 
ain  erbietung  der  werken.  208^,  27  ff.  Das  Jesuskind  will  wie  ein  edel  lieb  kind 
{edler  lüten  kind  209b,  47)  liebreich  erzogen  sein,  denn  tnan  mäs  die  kint  gar  lieb 
haben,  tvon  tnan  mochti  si  anders  tiüt  erziechen.  Der  prediger  gibt  dann  eine  breit 
ausgeführte  Schilderung  der   kindeserziehung ',   indem   er  zwölf  Jungfrauen  an  uns 

nicht  entsprochen.  —  Hss.  in  St.  Florian  (Czerny  s.  144.  148)  enthalten  Chaubanus 
de  Tempore,  Chlaubcmns  de  Sanctis;  s.  auch  Franz,  Drei  deutsche  minoritenprediger. 
Freiburg  1907.  S.  40(?). 

1)  Ähnliches  bei  Bonaventura,  siehe  Linsenmayer,  Beiträge  zur  gesch.  der 
predigt.  Passau  188!'.  s.  9,  doch  kann  Bonaventuras  De  quinque  festivitatibus  pueri 
Jesu  (Opera  ed.  Quaracchi  VIII,  88  ff.)  kaum  gemeint  sein.  Weitere  .parallelen  bei 
Schönhach,  Über  eine  Grazer  hs.  lat.-deutscher  predigten.  Graz  1890.  s.  81  nr.  27, 
s.  82  ff.  nr.  36;  Borchling,  Niederdeutsche  hss.  1,  102.  3,  30.  53.  157;  ms.  Berol. 
germ.  quarto  164  bl.  268  b  ff. 


DER   ENdELBERGER   PREDIGER  45 

vorübergehen  lässt,  deren  jede  mit  einem  besonderen  amt  in  der  kinderpflege  betraut 
ist.  Jede  einzelne  handreichung  wird  uns  anschaulich  gemacht  und  zeugt  von 
guter  beobachtungsgabe.  Da  (208b,  35  ff.)  waschen  und  trocknen  zwei  Jungfrauen 
die  windeln  (das  trocknen  an  der  sonne  —  heisst  es  —  ist  empfehlenswerter  als  in 
der  Stube),  zwei  weitere  wickeln  das  kind  ein,  nachdem  die  eine  die  windeln  auf 
dem  schoss  zerspreitet  hat  (208^,  45) ;  zwei  legen  das  kind  in  die  krippe  oder  wiege 
und  sorgen  dafür,  dass  niemand  es  wecke:  die  eine  Jungfrau  kommt  der  andern 
zuvor  und  nimmt  das  strohsäcklein  oder  kissen,  auf  dem  das  kind  liegen  soll, 
schüttelt  es  aus,  ob  auch  nicht  staub  {bnlver)  darinn  sei,  der  sich  'aufblähe'  und 
des  kindes  äugen  schädige  (208^,  50).  Wieder  zwei  baden  das  kind ;  die  eine  richtet 
das  bad,  dass  es  nicht  zu  kalt  noch  zu  warm  sei,  die  andere  hält  das  kind  im  bade, 
dass  es  nicht  falle  und  ertrinke  (208^,  60).  Dann  nehmen  zwei  das  kind  auf, 
wecken'  und  tragen  es:  die  eine  räumt  der  andern  die  steine  aus  dem  wege,  damit 
sie  nicht  falle,  wenn  sie  das  kind  trägt  (208b,  67).  Die  11.  und  12.  Jungfrau  endlich 
speisen  das  kind  (208^,  73).  —  Wo  man  so  sorgfältig,  fährt  der  prediger  fort,  schon 
ein  irdisches  kind  erzieht,  um  wie  viel  mehr  verdient  da  das  Jesuskind  diese  Sorg- 
falt. Es  werden  dann  209^,  22  ff.  die  vorher  behandelten  ämter  der  zwölf  Jungfrauen 
allegorisch  auf  das  Jesuskind  bezogen,  es  fehlt  dabei  nicht  an  naiven  ausdeutungen, 
doch  darf  man  nicht  vergessen,  dass  es  sich  um  eine  weibliche  Zuhörerschaft  handelt. 
Als  stütze  für  seine  ausdeutungen  zieht  der  prediger  bibel  und  patristik  ausgiebig 
zurate.     Die  zweimal   sechs  Jungfrauen   sind  ins   geistliche  gewandt:    1.  Penitencia 

—  ruw  (209a,  49)  und  2.  unverdachti  bicht  (209a,  81)  unter  bezugnahme  auf  Ps.  6,  7, 
Augustin,  Ps.  4,  7;  3.  ain  luter gewizzen  —  coxscientia  (209^,  31.  56)  und  4.  karitas  —  mimi 
(209b,  32.  60;  210*  20),  dazu  herufung  auf  Cant.  1,  16,  Gregor,  s.  Bernhard 
=  Cant.  2,  16;  Rom.  8,  28;  5.  Tranqnillitas  mentis  —  stilheit  des  gemätes  (2103-,  57) 
und  6.  SoUicitiido  —  sorgvaltikeit  (210b,  54.  62  f.),  dazu  berufung  auf  Matth.  6,  33, 
Luc.  17,  21,    Gregor,   Ps.  84,  9,   Apoc.  12,  1  ff.,   Luc.  1,  35,   1  Sam.  26,  16;   7.  Pietas 

-  miltikeit  (211a,  34;  211b,  8.  11)  und  8.  Meditatio  -  betrachtnng  (211a,  4.  52; 
211b,  24),  betracJiterin  oder  andechtig  gebet  (211»,  53),  dazu  berufung  auf  Ps.  44,  24, 
Matth.  8,  24.  25  (ist  der  evangelientext  für  Dom.  IV  post  Epiphaniam,  daher  211»,  50 
als  ivir  7iu  bald  lesen),  Cant.  5,  6.  3,  4;  9.  tcilligi  gehorsami  (21  tb,  35.  41;  dii  treit 
dz  kindlm  mit  sunt  Cristofet)  und  10.  ein  erlücht  geloub  (211b,  40.  64)  mit  bezug- 
nahme auf  Cant.  8,  6,  1.  Cor.  10,12  und  wiedergäbe  des  glaubensbekenntnisses ; 
11.  Misericordia  —  erbermherzikeit  (212»,  36.  49);  sie  git  dem  kindli  ze  essen,  dz  ist 
allen  dien  gelidren  Christi,  di  sin  nottürftig  sint,  nnd  iveren  es  joch  btden  und 
bUinnen)  und  12.  senftmütikeit  (212%  37.  58)  unter  bezugnahme  auf  Matth.  25,  40; 
Ps.  118,  103.  115,  1 ;  Joh.  10,  30  vgl.  17,  11. 

23.  Bl.  212y  Missa  IIT  Nativitatis  Domini.  Verbiim  caro  factum  est  et  habi- 
favit  in  nobis  (Joh.  1,  14).  Anfang:  disi  wort  hat  gesprochen  der  hochfliegent  adler 
sanct  Johans  der  ewangelist  in  der  ersten  ler  sines  hochen  berinde(n')des  und  disi 
irort  begrife{n)t  dz  drivaltig  ivesen  nach  person,  dz  einig  ein  (hs.  sin),  dz  ivesen  der  gotheit 
usw.   Bereits  auf  bl.  212  5  bricht  die  hs.  ab. 

1)  Vgl.  211a,  41  won  etlichi  ki)idli  sint  also  zart,  so  man  si  uff  dien  armen 
hat,  dz  si  noch  den  slaffen;  56  ff.  und  si  tat  d'ch  als  man  dii  kindli  weket  etwen  mit 
(ieplich  geberd,  etzwen  mit  einem  kuss  dz  man  si  kiist  an  ein  wengli,  etztven  in  ein 
ugli,  etwen  an  ir  mündli,  etzwen  in  ir  Srli.  (Fortsetzung  folgt.) 

HALLE  A.  D.  S.  PHILIIM"    STRAUCH. 


46  KLAPPER 

DER  URSPRUNG  DER  LATEINISCHEN  OSTERFEIERN. 

Im  gegensatze  zu  der  forderung  Milchsacks  (Die  oster-  und 
passionsspiele,  Wolfenbüttel  1880),  der  für  die  dramatische  oster- 
liturgie  eine  urform  aus  der  band  eines  Verfassers  annehmen  wollte, 
kam  Karl  Lange  (Die  lateinischen  osterfeiern,  München  1887)  zu  dem 
ergebnis,  daß  sich  eine  abhängigkeit  der  denkmäler  der  einzelnen 
länder  voneinander  nicht  erkennen  lasse,  dass  vielmehr  das  ritual  die 
gemeinsame  quelle  aller  sei  (s.  78).  Auch  die  neueren  versuche  der 
herleitung  dieses  liturgischen  grundstockes  aller  religiösen  Schauspiele 
des  mittelalters  aus  französischen  kultübungen  haben  die  frage  zu 
keiner  annehmbaren  lösung  geführt.  Eine  erkenntnis  aber  scheint 
Lange  gegenüber  allgemein  geteilt  zu  werden :  die  dramatischen  texte 
müssen  auf  eine  bestimmte  heimat  zurückgehen;  sie  können  bei  der 
wesentlichen  Übereinstimmung  ihrer  vier  sätze  nicht  an  verschiedenen 
stellen  etwa  gleichzeitig  zur  dramatischen  form  aus  liturgischen  brevier- 
versen  entwickelt  worden  sein.  Wo  diese  heimat  zu  suchen  ist,  soll 
die  folgende  darlegung  an  der  band  einer  neuen  quelle  ergeben.  Wir 
vergegenwärtigen  uns  zunächst  die  grundlegenden  tatsachen,  die  durch 
Langes  Untersuchungen  bereits  festgestellt  worden  sind.  Die  litur- 
gischen osterfeiern  sind  zunächst  auf  klösterliche  kultübung  beschränkt ; 
sie  sind  nie  ins  römische  rituale  aufgenommen  worden.  Ihr  haupt- 
verbreitungsgebiet  ist  Deutschland  und  Frankreich.  Die  ältesten  texte 
reichen  ins  10.  Jahrhundert  zurück;  im  11.  sind  die  feiern  schon 
überall  im  gebrauch.  Nach  Langes  vorgange  gliedern  wir  die  texte 
in  eine  ältere  stufe,  die  nur  die  frauen-engelverse  enthält,  eine  zweite, 
die  den  apostellauf  hinzufügt,  eine  dritte,  die  die  Magdalena- Jesus- 
szene enthält.  Wir  gliedern  den  text  der  frauen-engelszene  in  die 
folgenden  sätze: 

1.  0  deus,  quis  reoolret  nobis  lapidem  ah  ostio  monumenti  ? 

2.  Quem  queritis  {in  sepulchro)? 

3.  Jhesum  Nazarejium. 

4.  Non  est  hie,  surrexit,  sicut  predixerat;  ite,  nunciaie,  quia 
surrexit. 

5.  Alleliiia.     Resurrexif. 

Dabei  ist  im  einzelnen  zu  beachten: 

Satz  1  hat  nur  selten  (Fecanip  XIV.  s.,  Toul  XIII.  s.)  die  an- 
rufung:  0  deus.  Der  ganze  erste  vers  wird  in  vielen  texten  der 
ältesten  Überlieferung  weggelassen  und  von  Lange  nicht  als  grund- 
bestandteil  der  ältesten  feiern  angenommen. 


DER   URSPRUNG   DER   LATEINISCHEN"    OSTERFEIERN  47 

Satz  4  lautet  in  den  texten  der  zweiten  entwicklungsstufe  (Deutsch- 
land, Holland,  Italien) : 

Non  est  hie,  quem  queritis,  sed  cito  euntes  nutUiate  discipulis  eins 
et  Petro  qiiia  siirrexit  Jesus  (Sutri  XIII.  s.  Lange  s.  81). 

Diese  zweite  stufe  setzt  mit  dem  ende  des  11.  Jahrhunderts  ein. 
Ausserhalb  des  Verbreitungsgebietes  der  zweiten  stufe  findet  sich  der 
Zusatz:  quem  queritis  in  keinem  texte,  also  nirgends  in  Frankreich. 
Der  Zusatz  deckt  sich,  was  wesentlich  ist,  nicht  mit  einer  evangelien- 
stelle,  sondern  mit  einem  alten  brevierverse,  wie  er  im  Gregorianischen 
brevier  vorliegt:  Jcsum,  quem  quaeritis,  no7i  est  hie,  sed  surrexit  (Jos. 
Mar.  Thomasii  Opera  omnia.     Romae  1749  p.  237). 

Die  Weiterbildung  des  dramatischen  textes  der  1.  fassung  läßt 
somit  im  4.  satze  das  dem  Matthäusevangelium  28,  6  f.  widersprechende: 
que^n  quaeritis  fallen  und  bindet  sich  dem  breviertext  entgegen  an  den 
evangeliumstext. 

Die  Weiterbildung  der  2.  fassung  behält  den  breviertext  bei  und 
bindet  sich  in  ihrer  ausgestaltung  an  eine  evangelienharmonie  oder 
einen  kommentar,  wo  der  Wortlaut  von  Matth.  28,  6  f.  durch  den  text 
von  Marc.  16,  6  f.  ergänzt  worden  w^ar: 

Matth. :  noii  est  hie,  surrexit  enim,  sicut  dixit  .  .  .  et  cito  euntes, 
dicite  discijjulis  eins,  quia  surrexit. 

Marc:  surrexit,  non  est  hie  .  .  .  Sed  ite,  dicite  discipuUs  eins  et 
Pitro  .  .  . 

Der  4.  satz  der  zweiten  entwicklungsstufe  hat,  eben  weil  er  an 
die  brevierüberlieferung  enger  angelehnt  ist,  die  ursprüngliche  fassung 
treuer  bewahrt. 

Eine  rückbildung  der  beiden  fassungen  gemeinsamen  grundlage 
müßte  also  im  1.  verse:  0  deus  zeigen  (diese  anrufung  kann  nicht 
erst  in  ihrer  eigenartigkeit  spätere  zutat  sein) ;  sie  müßte  vor  allem 
den  4.  satz  auf  die  knappen  worte  beschränken :  Non  est  hie,  quem 
queritis.  Der  Charakter  des  Stückes  w^ürde  dadurch  rein  liturgisch, 
nicht  den  gedanken  ausführend,  sondern  den  evangelienvorgang  sym- 
bolisch durch  brevierversikel  andeutend.  Je  stärker  der  text  zur 
dramatischen  veranschaulichung  für  die  große  masse  der  laien  dienen 
sollte,  je  mehr  er  also  dem  reinen  breviergebrauch  der  geistlichen 
entrückt  wurde,  desto  enger  musste  der  anschluß  an  die  worte  der 
evangelien  gesucht  und  die  handlung  ausgestaltet  werden.  Nach  diesen 
Vorbemerkungen  können  wir  an  die  handschrift  herangehen,  die  uns 
dem  Ursprünge  des  grundtextes  zuführen  soll. 

Die  pergamenthandschrift  I  qu.  175  der  Staats-  und  universitäts- 


48  KLAPPER 

bibliothek  zu  Breslau,  die  unseren  neuen  text  enthält,  stammt  aus  dem 
14.  Jahrhundert.    Sie  enthält  einen  Ordodivini  officil  per  totum  annum 
und  gehörte  einst  in  die  bücherei  der  kreuzherren  mit  dem  doppelten 
roten  kreuze  in  Neiße  nach  dem  eintrage  auf  der  innenseite  des  vorder- 
deckeis:   Conuoitm    Cnicigeroruni   cum    dupUci   ruhea  Cruce  Nissensis. 
Die   handschrift    ist   auf  meine   bitte    von  dem   liturgieforscher  Albert 
Schönfelder   beschrieben   und    als    wertvolles  liturgisches  denkmal  ge- 
würdigt   worden    in    dem    aufsatze:   Die   prozessionen   der  lateiner  in 
Jerusalem   zur   zeit   der  kreuzzüge   (Historisches  Jahrbuch  der  Görres- 
gesellschaft  1911,  s.  578-597).     Ich  kann  mich  daher  auf  diesen  auf- 
satz,  der  leider  kaum  beachtung  gefunden  hat,  beziehen.    Ein  kalender 
(6  bl.)   erwähnt    die    translation    der   hl.  Hedwig    (kanonisiert    1267); 
ebenso  die  translation  des  hl.  Adalbert,  doch  sind  beide  eintrage  von 
etwas   späterer   band.     Nach  blatt  6  sind  2  blätter  herausgeschnitten; 
zwischen   blatt   115  und  116   fehlt   eine   läge;   nach   blatt  127   fehlen 
mehrere  blätter;  erhalten  sind  heute  130  blätter;  sie  sind  25  cm  hoch 
und  16,5  cm  breit,  zweireihig  zu  je  28  zeilen  beschrieben  von  einer  band. 
Die    bedeutung    der    handschrift    für    die   liturgieforschung  liegt 
darin,    daß   sie  eine    abschrift  (mit  einigen  erweiterungen)  einer  hand- 
schrift  des  12.  Jahrhunderts    ist,  die  den  gesamten  Ordo  divinl  officii 
enthielt,    wie   er   in   der   kreuzzugszeit  in  Jerusalem  bei  den  lateinern 
in  Übung  gewesen  ist.     Die  abschrift  war  für  die  Prager  kreuzherren 
bestimmt,  und  nach  ihr  regelte  man  dort  den  gottesdienst.   Die  heute  in 
der   hs.  vorhandenen    lücken    betreffen    die    erste    adventswoche,    die 
heiligenfeste   vom    15.  juli    bis   8.  September   und    vom    13.  november 
bis  5.  dezember.     Die  hs.  enthält  auf  blatt  7-81  die  liturgischen  an- 
weisungen  de  tempore  und  de  missis  votivls,  auf  blatt  82-130  die  an- 
weisungen   de   sandorum  proprietatibus   und  das  Commune  saitctorum. 
Die   entstehungszeit    der    vorläge    unserer   hs.  läßt   sich   einiger- 
maßen  genau   aus   mehreren   hinweisen    entnehmen.      Aus    anlaß  der 
dedicacio   ecclesie   wird   blatt  115  erwähnt:    Quam   agimus  sollemimüer 
iuxta  mnndatum  jdomini  fulchern  patriarche.    Fulcherius  war  patriarch 
von  1145-1157.     In  der  palmsonntagsliturgie  wird  die  beteiligung  des 
königs  erwähnt  (bl.  37  rb)-  nach  1187  hat  Jerusalem  keinen  könig  mehr 
gehabt.    Das  Jerusalemer  original  unserer  abschrift  muß  also  im  dritten 
viertel   des  12.  Jahrhunderts   entstanden  sein.     Dass  auch  diese  Jeru- 
salemer  hs.   wieder    auf  eine   ältere   vorläge    zurückgeht,   wird  später 
erwiesen    werden.     Unsere  abschrift  zeigt  keine  nachweisbaren  erwei- 
terungen   im   teile    de   tempore,  einige  wenige  auf  das  13.  Jahrhundert 
und  Deutschland  bezügliche  erweiterungen  weist  der  auf  die  heiligen 


DER  URSPRUNG  PER   LATEINISCHEN   OSTERFEIERN  49 

bezügliche  teil  auf,  desgleichen  der  ursprünglich  für  Jerusalem  be- 
stimmte kalender;  dieser  enthält  das  fest  der  hl.  Elisabeth  am 
19.  november  (1235  kanonisiert)  und  das  fest  des  hl.  Thomas  von 
Canterbury  (1173  kanonisiert). 

Wesentlich  für  die  in  Jerusalem  geltende  lateinische  liturgie  sind 
die    zahlreichen    feierlichen    prozessionen.      Jeden    sonntag   fand    eine 
solche    nach    der    frühmesse    statt;  vom   sonntag  nach  ostern  bis   zum 
feste  Christi    himmelfahrt   geht   die  prozession  vom  chore  der  grabes- 
kirche   zum   Speisesaal   des    dazugehörigen   klosters,    zur  kreuzigungs- 
stättc,  hinter  das  hl.  grab   und  zurück  zum  chore  (bl.  50);  ähnlich  ist 
der  weg  vom  trinitatissonntage  bis  zum  advent ;  daneben  finden  kürzere 
prozessionen  vom  chor  der  grabeskirche  hinter  das  hl.  grab  und  zurück 
statt.      Am    hl.  abend  gehen    die   brüder   des   klosters   vom  hl.  grabe 
zum    kapitel;    nach    dem    kapitel   ziehen   patriarch,    prior  und   einige 
kanoniker  des  hl.  grabes  nach  der  geburtskirche  Christi  in  Bethlehem, 
von    wo    sie    erst    nach    der    zweiten   weihnachtsvesper   zurückkehren 
(bl.  11).    Am  aschennittwoch  zieht  die  prozession  zur  kalvarienkirche, 
wo  die  ötFentlicben  büßer  mit  asche  bestreut  aus  der  kirche  verwiesen 
werden    (bl.   26).     Am    feierlichsten   vollzieht   sich    die   palmsonntags- 
prozession.     Vor   Sonnenaufgang   zieht    der   patriarch   nach   Bethanien 
zum   grabe   des    Lazarus    in    begleitung   des   thesaurarius    der  grabes- 
kirche, der  das  kreuz  trägt,  der  prioren  der  Sions-  und  Olbergskirche 
und    des  abtes   von    st.  Maria   im    tale   Josaphat   mit   ihren  genossen- 
schaften.     Auf  der  rückkehr  trägt  der  patriarch  das  kreuz.    Inzwischen 
versammeln   sich    die   drei    in   Jerusalem   zurückgebliebenen    konvente 
der   grabeskirche,    des    Johanneshospitals    und   der   kirche    St.  Maria 
de  Latin/s   mit   dem    ganzen  volke   beim  tempel  des  herrn  zur    weihe 
der  [):ilinen.    Dann  gehen  sie  dem  patriarchen  entgegen.    Vier  voraus- 
geeilte   Säuger   begrüßen   das  kreuz  mit  der  autiphon :  Ave  rex  noster. 
Unter  genau  angegebenen  wechselgesängen  kehren  alle  zurück,  wobei 
unterwegs   auf  einer   bühne   ein    diakon   und    ein  subdiakon  vor  dem 
Patriarchen,  deni  könige  und  den  vornehmen  geistlichen  das  evangelium 
Math.  21  lesen.      Auf  der   Porta   aurea  begrüsst   ein    knabenchor  die 
durchziehenden,    die    sich    zum    tempelvorhofe,    dann  die  stufen  hinab 
zum  tempel  Salomons,  darauf  an  die  südtür  des  vorhofes  begeben,  wo 
mit   gesungen    die  schlusstation  gemacht  wird.     Ahnlich    eindrucksvoll 
verläuft  die  karfreitagsliturgie   mit  der  Ädoratio  criici^.     Prozessionen 
finden  desgleichen  statt  am  karsamstag,    am  ostersonntag,  am  montag 
in  der  rogationswoche,  am  dienstag  und  mittwoch,  am  ptingstsonnabend, 
am  pfingstsonntag;  ferner   am  5.  dezember  zur  kirche  des  hl.  Sabbas, 

ZEITSCHRIFT  F.  DEUTSCHE  PHILOLOGIE.    15D.  L.  4 


5ü  KLAPPRR 

am  17.  dezember  zur  kirche  des  hl.  Lazarus  in  Bethanien,  am  25.  de- 
zember,  am  26.  dezember  vom  hl.  Stephanus  zur  Johanneskirche,  dann 
zurück  zur  grabeskirche,  am  27.  dezember  von  der  Johanneskirche 
zur  grabeskirche;  am  2.  februar  zur  kirche  Templum  domini  und  mit 
den  geweihten  kerzen  um  die  kirche  herum ;  am  25.  raärz,  am  25.  april 
nach  der  tempelkirche ;  am  3.  mai  (kreuzauffindung)  in  den  chor  der 
grabeskirche,  hinter  das  hl.  grab  und  durch  das  kloster;  am  24.  juni 
(Joh.  der  täufer)  hinter  das  hl.  grab,  nach  der  Kalvarie  und  zum 
Johanneshospital;  am  15.  juli,  dem  dankfeste  der  befreiung  Jerusalems, 
zur  tempelkirche,  dann  zur  stelle,  wo  die  kreuzfahrer  am  15.  juli  1099 
zuerst  die  mauer  erstiegen,  dann  zum  hl,  grabe ;  am  feste  kreuzerhöhung 
(14,  September)  mit  hochamt  in  der  Kalvarie;  endlich  an  allerseelen 
(2,  uovember)  nach  der  kirche  Halceldama,  die  auf  dem  Matth.  27,  8 
erwähnten  begräbnisplatze  errichtet  war. 

In  der  anordnung  des  gottesdienstes,  in  der  auswahl  der  anti- 
phonen  und  der  wenigen  hymnen,  die  erwähnt  werden  {Crux  fidelis, 
Salve  festa  dies,  Veni  creator,  Te  deum),  sowie  der  psalmen,  ferner 
in  der  eingliederung  mehrerer  feste  (allerseelen,  allerheiligen  als  fest 
des  1.  novembers,  kreuzerfindung  und  des  dankfestes  für  die  ein- 
nähme der  Stadt  am  15.  juli),  gewiss  auch  in  der  ausschmückung  des 
feierlichen  ritus  als  folge  der  Wiedererrichtung  des  patriarchats  und 
der  errichtung  eines  königtums  ist  die  liturgie  ein  werk  der  abend- 
ländischen kirche  und  teilweise  erst  das  werk  der  kreuzzugszeit.  Das 
hindert  aber  nicht,  dass  in  ihr  in  stärkster  weise  ursprüngliche  litur- 
gische Überlieferungen  Jerusalems  selbst  aufnähme  gefunden  haben, 
die  in  dem  einheimischen  ritus  der  vorkreuzzugszeit  in  griechischer 
spräche  ihre  feierliche  ausgestaltung  in  engster  anlehnung  an  die  heiligen 
Stätten  erfahren  hatten  und  auf  eine  jahrhundertelange  Übung  zurück- 
blickten, die  auch  bereits  durch  die  pilger  und  die  Ordensnieder- 
lassungen des  abendlandes  ihre  Wirkung  auf  die  abendländischen 
liturgischen  formen  geübt  hatten,  vornehmlich  im  hinblick  auf  die 
ausgestaltung  der  abendländischen  prozessionen.  In  der  grossen  zahl 
der  prozessionen,  in  dem  wege,  den  sie  wählen,  und  in  dem  kerne 
ihres  gebetsritus  spiegelt  unser  Ordo  divini  officii  Jerusalemer  sondergut. 

Die  liturgischen  Wechselwirkungen  zwischen  Jerusalem  und  der 
lateinischen  kirche  sind  immer  sehr  stark  gewesen ;  Rom  und  das 
ganze  abendland  haben  vieles  der  hierosol3'mitanischen  liturgie  ent- 
lehnt (S.  Bäum  er,  Geschichte  des  breviers,  Freiburg  i.  B.  1895  s.  105); 
der  ritus  der  karwoche,  die  prozession  des  palmsonntages,  die  von 
Caesarius  von  Arles  eingeführte  Verlesung  der  Resurrectio  in  den  metten 


DER   URSPRUNG   DER   LATEINISCHEN    OSTERFEIERN  51 

des  sonntags  (Bäumer  s.  150)  und  viele  einzelheiten  weisen  auf  die 
bis  zum  Schlüsse  des  6.  Jahrhunderts  besonders  bei  den  Monazontes 
Südgalliens  stark,  wirksamen  Vorbilder  ägyptischer  und  palästinensischer 
normen  zurück,  die  mit  abendländischen  formen  verbunden  wurden 
und  die  grundlagen  für  das  abendländische  Offizium  abgaben  (Bäumer 
s.  193).  Umgekehrt  ist  zu  beachten,  dass  bis  um  das  jähr  600  „Jeru- 
salem noch  eine  römische  stadt  war,  wo  neben  der  von  Justinian  er- 
bauten basilika  der  theotokos,  das  pilgerhaus  für  die  Wallfahrer  des 
erdkreises,  stand"  (F.  Arnold,  Die  geschichte  der  alten  kirche,  Leipzig 
1919,  S.  241),  Es  ist  somit  trotz  des  mangels  entscheidender  nach- 
richten  sehr  wohl  denkbar,  daß  die  römische  brevierreform  ihren  ein- 
fluss  etwa  in  der  form  des  Respojisorhim  S.  Gregorii  Papae  um  600 
auch  in  Jerusalem  geltend  machte,  wo  die  abendländer  gewiss  in 
eigenen  gottesdienstlicheu  gemeinschaften  lateinische  spräche  und 
römischen  ritus  lange  vor  den  kreuzzügen  gepflegt  haben.  Sicher  aber 
ist,  dass  die  abendländischen  pilger  in  der  läge  gewesen  sind,  den 
gebeten  und  dem  prozessionsritus  der  griechischen  liturgie  Jerusalems 
genau  zu  folgen,  wohl  eben  an  der  band  lateinischer  erkläruugen  und 
Übersetzungen.  So  sind  die  grundbedingungen  für  einen  liturgischen 
ausgleich  in  Jerusalem  zur  kreuzzugszeit  gegeben.  Schon  im  jähre  1101 
überwiegt  in  dem  vom  patriarchen  gefeierten  karsamstagsgottesdienste 
die  lateinische  liturgie.  „Der  bericht  eines  Foucher  von  Chartres  aus 
dem  jähre  1101  (abgedruckt  im  anfang  von  Noroffs  ausgäbe  des  Daniel 
[Felerinage  en  Terre  Sainte  de  l'igoumene  Rust<e  Daniel  an  eonniun- 
cement  du  XII'  siecle  traduH  .  .  .  pctr  Noroff.  St.  PetersJ)our(j  1864] 
s.  198-207:  Recit  de  Foucher  de  Chartres,  en  1101,  siir  rapparition 
de  la  lumii-re  fainie  en  Samedi-Saint)  zeigt  den  abendgottesdienst  des 
karsanistags  mit  dem  wunder  des  heiligen  feuers  als  einen  allerdings 
von  Griechen,  Syrern  und  Lateinern  gemeinsam  gefeierten,  aber  doch 
als  einen  wesentlich  lateinischen,  bei  welchem  -  es  wird  dies  aus- 
drücklich von  Foucher  gesagt  -  der  lateinische  patriarch  pontifiziert. 
Das  nämliche  gilt  von  der  entsprechenden,  um  etwas  mehr  als  ein 
Jahrzehnt  jüngeren  Schilderung  des  Russen  Daniel"  (A.  Baumstark 
im  Oriens  christianus  V  (1905)  s.  283). 

Hier  in  Jerusalem  war  somit  im  frühen  mittelalter  die  statte,  an 
der  sich  die  abendländer  mit  den  fruchtbarsten  anregungen  und  Vor- 
bildern für  die  gestaltung  ihrer  eigenen  liturgie  erfüllten,  wogegen 
das  Abendland  seinerseits  auf  die  Jerusalemer  liturgie  formgebend 
und  ausgleichend,  seit  der  ausbau  der  römischen  liturgie  vollzogen 
war,  besonders  seit  den  kreuzzügen  wirken  sollte. 

i* 


52  KLAPPER 

Nach  der  klarlegung'  dieser  Verhältnisse  erst  können  wir  jetzt 
die  auferstehungsliturgie  würdigen,  die  unser  Jerusalemer  ordo  ent- 
hält. Sie  lautet  auf  blatt  45'*  unter  auflösung  der  starken  abkür- 
zungen : 

In  die  sancto  Pasce  ad  matutinas  non  dicitur  Domine,  labia 
mea  nee  deus  in  adiutorium  meum,  sed  primo  incipiatur  inui- 
tatorimn  Alleluia,  surrexit  dominus.  Psnlmus  Venite.  Ympnus 
non  dicitur.  Antiphona  Ego  snm  qui  sum.  Psalmus  Beatus  vir. 
Antiphona  P ostulavi  patrem.  Psalmus  Quare  facieni^.  Anti- 
phona Ego  dormivi.  Psalmus  Domine,  quid  multi.  Antiphona. 
dnplicentur  versicidi.  R  esur  rexit  dominus,  alleluia.  Lectores 
[bl.  45'''']  et  cantores  cappis  sericis  induantur.  Lecciones  III  de  omelia. 
ewangelium.  Mar ia  Mag dalena.  Responsorium  Angelus  domini. 
Versus  Ecce  precedet.  Responsorium  Dum  transissei.  Versus 
Et  valde.  Gloria  pa tri.  Reiter atur  Dum  transisset.  Quod 
dum  cantatiir,  preparantur  tres  clerici  iuvenes  retro  altare  in  modum 
mulierum  iu.cta  con^uetudinem.  antiquam.  Finito  responsorio  procedant 
inde  contra  sepulcrum,  deferentes  singuli  vas  aureum  ucl  aryenteum 
cum  aliquo  ungento  candelahris  et  turibulis  preeuntibus  cantando  ter: 
Ode  u  s !  Qui  s  reu  ol  u  e  t  ? 

üumque  ad  portam  sepulcri  venerint,  duo  alii  chrici  iuxta  portam 
sepulcri   albis   uestiti   et   habentes   amictus   super   capita   et   candelas  in 
manibus  cantando  respondeant  sie: 
Quem  q  ueritis? 

Midieres : 

Jhesum  Nazarenum. 
[Bl.  46 '-^j   Tunc  Uli  duo: 

Non  est  hie,  quem  queritis, 

Interim  mulieres  introeant  in  sepulcrum.  Ibique  facta  oracione 
breui  exeant  inde.  Et  uenientes  in  medium  chori  alta  uoce  nuncciabunt 
cantando: 

Alleluia.     Re  surrexit. 

Sed  uisitacionem  haue  modo  non  facimus  propter  astancium  multi- 
tudinem.  Quibus  Jinitis  incipiat  piatriarclia  Te  deum  lau  dam  us. 
Versus  In  re  s  u  rrec  c  i  one  t  u  a ,  Ch  r  i  s  t  e.     Alleluia. 

Aus    diesem    text   ergeben   sich  folgende  wesentlichen  tatsachen: 

Der  Wechselgesang  ist  eine  consuetudo  antiqua ;  er  ist  nicht  mehr 
in    der    zweiten    hälfte    des    12.  Jahrhunderts  in    der   grabeskirche   in 

1)  Hs.  Quare  fre. 


DER   URSPRUNG   DER   LATEINISCHEN    OSTERFEIERN  53 

Übung-,  weil  die  pilg-er  und  kreuzfahrer  zu  zahlreich  sind  und  das  ge- 
dränge  diese  prozession  nicht  mehr  gestattet.  Es  handelt  sich  wirk- 
lich um  eine  prozession  ganz  in  der  art  der  zahlreichen  sonntags-  und 
festtagsprozessionen,  die  vom  chor  zum  grab  und  zurück  stattfanden. 
Diese  prozession  der  drei  kleriker  vollzieht  sich  candelahris  et  turibidis 
preeunt/bus,  unter  vorantritt  von  leuchter-  und  rauchfassträgern.  Die 
frauenkleidung,  die  salbengefässe,  das  Zwiegespräch  mit  den  engein 
sind  die  dramatischen  demente.  Die  consuefndo  antiqua  trat  unorga- 
nisch zu  der  liturgie  der  Matutin,  deren  text  etwa  dem  Responsorium 
S.  Gregon'i  Papae  entspricht.  Der  brauch  muss  also  in  der  grabes- 
kirche  bereits  alte  Überlieferung  sein,  also  doch  wohl  vor  der  neu- 
regelung  der  liturgie  durch  die  lateinischen  kreuzfahrer  dort  bekannt 
gewesen  sein ;  die  kreuzfahrer  schaffen  ihn  ab.  Der  text  unseres  ordo 
führt  also  an  dieser  stelle  auf  eine  Jerusalemer  hs.,  die  die  bemer- 
kung  von  der  Unterlassung  der  prozession,  wohl  als  randbemerkung, 
enthalten  hat,  während  die  aus  frühester  kreuzzugszeit  des  beginnenden 
12.  Jahrhunderts  stammende  origiualhandschrift  den  auferstehungsritus 
noch  als  übliche  Zeremonie  der  grabeskirche  gekannt  haben  muss. 

Der  text  unterscheidet  sich  von  allen  anderen  angaben  der  hand- 
schrift  im  Wortlaute  in  entscheidender  weise  dadurch,  dass  vor  keinem 
seiner  fünf  sätze  ein  hinweis  breviertechnischer  art  steht,  wie  etwa : 
Antiphoiia,  Ver.'tus,  Psa?mus\  Es  ist  von  grundlegender  bedeutung, 
dass  man  sich  darüber  klar  werden  muss,  ob  wir  es  mit  abgekürzten 
Versen  oder  mit  dem  vollständigen  Wortlaute  des  dialogs  zu  tun  haben. 
Es  kann  kein  zweifei  sein,  dass  in  den  breviermässigen  angaben  der 
hs.  die  meisten  textstellen  nur  den  anfang  der  antiphona  oder  des 
psalmenverses  geben;  es  ist  aber  ebenso  sicher,  dass  in  der  dramatischen 
prozession  der  vollständige  Wortlaut  der  texte  vorliegt.  Die  Frauen 
singen  dreimal  die  beiden  sätzchen:  0  deus.'  Qii/'s  reuoluet?  Der 
prozessionsgesang  ist  also  durchaus  liturgisch  gebunden ;  er  ist  noch 
nicht  durch  anlehnung  an  den  evangelientext  inhaltlich  anschaulich 
geworden.  In  gleicher,  fast  symbolischer  form  erfolgt  das  Zwiegespräch : 
Quem  queritis?  -  Jhemm  Xazarenum.  —  Non  est  hie,  quem  qneritif'. 
Der  eintritt  ins  grab  und  das  gebet,  sowie  die  rückkehr  der  prozession 
zum  chor  ist  noch  strenge  prozessionsliturgie  ohne  die  absieht  einer 
veranschaulichung  der  auferstehung,  einbeziehung  von  tatsachen  der 
evangelienberichte;  desgleichen  die  dem  brevier  entsprechende  Ver- 
kündigung: Allelnia.  Resurrexit.  Der  gesamte  ritus  steht  somit  stil- 
echt in  dem  rahmen  der  prozessionsliturgie  der  hl.  grabeskirche  und 
in    der    tradition    der    ältesten    breviertexte.     Er  liefert,   wie  wir  aus 


54  KLAPPER 

einem  vergleich  mit  den  beiden  abendländischen  grundformen  der 
dramatischen  auferstehungslitiirgie  entnehmen  können,  einen  text,  der 
die  gemeinsame  grundlage  für  die  stufe  I  und  II  sein  kann. 

Lässt  es  sich  somit  wahrscheinlich  machen,  dass  die  im  Jerusalemer 
Ordo  vorhandene  dramatische  osterprozession  nicht  aus  dem  abend- 
lande dort  eingeführt  worden  ist,  sondern  eine  bodenständige  liturgie- 
form der  hl.  grabeskirche  darstellt,  so  ist  es  als  sicher  anzunehmen, 
dass  wir  hier  die  quelle  aller  abendländischen  dramatischen  osterlitur- 
gien  gefunden  haben,  dass  von  Jerusalem  von  monastischen  pilgern 
diese  prozession  wie  viele  andere  nach  den  klöstern  Frankreichs  und 
anderwärts  verpflanzt  worden  ist.  Ob  diese  Jerusalemcr  prozessions- 
liturgie  ihre  sätzchen  griechisch  oder  lateinisch  enthalten  hat,  ist  dabei 
belanglos;  die  lateinischen  entsprechuugen  waren  jedem  pilger  geläufig. 

In  den  fünf  Jerusalemer  sätzen  der  auferstehungsprozession  ist 
nichts  enthalten,  was  eine  entlehnung  aus  dem  abendländischen  ritus 
sein  müsste ;  nichts  widerspricht  darin  der  annähme  eines  Jerusalemer 
Ursprungs.  Die  verse  sind  alten  brevierlektionen  entnommen,  ohne 
sich  in  dieser  form  mit  den  evangelistenworten  zu  decken;  Dens! 
Quis  reuoluet  geht  auf  Mark.  16,  3  Qui!^  revolvet.  -  Quem  qiieritis 
nach  Luk.  24,  5  Quid  quaeritis.  -  Jhesum  Nazareniwi  nach  Mark. 
16,  6  Jesum  quaeritis  Nazarenum.  —  Non  est  hie,  quem  queritis  nach 
Luk.  24,  6  (=Mark.  16,  6  =  Matth.  28,  5)  Non  est  hie.  -  ÄUeluia. 
Besurrexit  nach  Luk.  6  (=  Mark.  16,  6  =  Matth.  28,  5)  siirrexit. 
Die  Umformung  der  evangelistenwoite  in  den  text  der  brevierlektionen 
zeigt  noch  heute  der  breviertext  Dominica  in  Albis  (Resp.  nach 
lectio  IV)  Jesus,  quem  quaeritis  non  est  hie,  surrexit  .  .  .  alleluia, 
oder  in  einer  dem  dialog  näher  kommenden  form  das  Responsoriale 
et  Ant/phonarium  Bomanae  Ecelesiae  in  Jos.  Mar.  Thomasii  o^^era 
omnia,  Bomae  1749,  p.  94:  Besp.  (Ad  noeturnam)  Anyelus  Domini 
loeutiis  est  mulieribiis  dieens.  Quein  quaeritis?  an  Jesum  quaeritis? 
jam  surrexit,  venite  et  videte,  alleluia,  alleluia.  Wie  diese  Umformung 
der  evangelistenworte  in  den  breviertext  und  daraus  in  die  dialogform 
der  auferstehungsliturgie  vorgegangen  ist,  lässt  sich  noch  nicht  ermitteln ; 
auffallend  allerdings  ist  es,  dass  sich  in  zwei  eng  verwandten  vulgata- 
handschriften  des  beginnenden  9.  Jahrhunderts  hier  eine  eigenartige 
Variante  zur  gemeinüberlieferung  findet,  die  sinnlos  bleibt,  wenn  sie  nicht 
als  dialog  aufgefasst  wird.  Nach  dem  Variantenapparate  zu  Luk. 
24,  4  des  Novum  Testamentum  Latine  {ree.  Wordsworth- 
White,  1  Qnatuor  Evangelia  1889-1898)  zu  der  stelle:  quid 
quaeritis   viventcm   cum    mortuis?  non   est  hie,  sed  surrexit  enthält  der 


DER   URSPRUNG    DER    J.ATEINISCHFA"   OSTERFEIERN  00 

Cod.  l)  i  b  1  i  0  r.  H  u  b  e  r  t  i  a  n  u  s  IX  oder  X.  s  a  e  c.  (aus  dem  Ar- 
denuenkloster  S.  Hubertue)  sowie  der  Cod.  bibl.  T  li  e  o  d  u  1  f  i  a  n  u  s 
(einst  dem  bischof  Theodulf  von  Orleans  788 — 821  gehörig)  die  lesai t : 
quem  quaer'Uis  iesum  nazarenum,  quum  mortuis.  non  est  hie  sed  surre- 
xit.  Das  gibt  doch  nur  einen  erträglicben  sinn,  wenn  die  worte :  iesum 
razarenum  als  antwort  den  frauen  in  den  mund  gelegt  wird  und  die 
entgegnung  der  engel  dann  lautet:  cum  mortuis  non  est  hie  sed  surrexit. 
Deiikbar  ist  es  somit,  dass  in  der  bibelliandselirift  des  Theodulf  eine 
von  Jerusalem  beeinüusste  textgestaltung  vorliegt,  deren  dialogform 
auch  in  dem  breviertexte  und  seiner  späteren  Verwendung  in  der 
Jerusalemer  auferstehungsliturgie  nachwirkt.  Diese  liturgie  wäre 
demnach  zu  zerlegen :  1.  in  den  prozeseionsgesang  des  dreimal  wieder- 
holten 0  Dens!  Qiiis  revolvet?;  2.  in  den  dialog,  der  aus  dem  brevier- 
lexte  gebildet  ist:  Quem  quaeritis?  Jesum  Nazarenum.  Non  est  hie, 
quem  quaeritis;  3.  in  den  prozessionsschlussgesang :  AUeluia.  Eesur- 
rexit.  Was  über  diesen  Wortlaut  hinaue  an  technischen  anordnungen 
für  die  prozession  erforderlich  wurde,  ist  einzig  aus  Lukas  entlehnt: 
drei  frauen,  zwei  engel. 

Dieser  rein  morgenländisch  anmutende  prozess^ionsritus  ist  m 
unserem  Jerusalemer  ordo  ganz  äusserlich  mit  dem  römischen  brevier- 
rilue  verknüpft.  Das  von  den  abendländern  wieder  eingerichtete 
Patriarchat  ist  in  gar  keine  beziehung  gesetzt  zu  der  auferstehungs- 
prozession,  während  doch  sonst  der  patriarch  bei  ähnlichen  funktionen 
in  seiner  grabeskirche  stark  beteiligt  erscheint;  es  handelt  sich  eben 
um  eine  ausser  brauch  gesetzte  consuetudo  antiqua,  die  von  den  latei- 
nern  vorgefunden,  aber  kaum  länge  beibehalten  worden  ist.  Ein  kurz 
nach  dem  ersten  kreuzzuge  geschriebener  Tractatus  de  terra  sanctn. 
der  in  einer  Breslauer  handschrift  I  F  117  abschriftlich  vorliegt  (an- 
f aiig :  Terra  sancta  'promissionis  deo  amahilis;  geschr.  1362)  und  die 
genauesten  angaben  über  die  liturgie  des  ostertages  von  einem  augen- 
zeugen  enthält,  weiss  von  der  dramatisierten  osterprozession  nichts ; 
sicherlich  hätte  er  diese  nicht  vergessen;  der  bericht  lautet  (bl.  IS""'')  : 
In  quo  loco  corpus  domini  positum  cum  aromatihus  honorifice  sepultu)n 
usque  in  diem  tercium  requieuit.  Die  autem  tercia  resurrexit.  In  quo 
loco  so.ncti  angeli  mulierihus  aparuerunt,  milites  sepulchrum  custo- 
dientes  velud  mortui  sunt  effecti.  In  quo  eciam  loco  in  nocte  dominier 
resurreccionis  ignis  sacer  descendit  supemis.  Cum  autem  per  mtindum 
^Universum  dicatur  a  fidelibus:  ,8urrexit  dominus  de  sepulchro,  cpii 
pro  vohis  pependit  in  ligno' ,  soll  canonici  ecciesie  resurreccionis  domi- 
■trice  speciali  prerogativa  gaudent  dicentes,  ad  oculum  demonstracionem 


56  KLAPPKR 

facicntes:  ßurrexit  dominus  de  h  o  c  sepulchro/  Similiter  in  ewangeh'o 
paschali  cum.  dlcitvr:  ßurrexit,  non  est  hie  ,  dyaconus,  qui  legit  ewan- 
fietium,  digito  demonstret  dominicam  sepulturani.  Wir  können  den 
])ericht  auf  seine  treue  an  unserem  -Terusalemer  ordo  selbst  prüfen. 
Dae  wunder  der  herabkunft  des  lieiligen  feuers  am  ostersonnabende 
ist  auch  in  den  vom  patriarcben  verordneten  weihen  von  feuer  un'l 
kerzen  erwähnt  (bL  45)  :  Letania.  ...  cantatur,  quousque  ignis  adue- 
nerit.  Qui  dum  aduenerit  statim.  incipitur  T  e  de  um  laudamus. 
Quo  finito  secundum  preceptum  domini  patriarche  ignis  henedictus  et 
cereus  a  dyacono  henedicitur.  Das  privileg  der  zusetzung  des  Jwc'^  zu 
.sepulchrurn  spiegelt  sich  wiederholt  in  dem  Jerusalemer  ordo;  bl.  49  ; 
■hl.  50;  bl.  56;  bl.  63  heisst  der  versus  immer:  Surrexit  dominus  de 
h  0  c  sepulcro.  ■  .        . 

Der  dialogisierte  prozessionsritus  kann  also  unmöglich  in  Jeru- 
salem von  lateinern  eingeführt  worden  sein,  da  sie  ihn  selbst  nicht 
mehr  üben,  sondern  als  consuetudo  antiqua  nur  noch  im  ordo  erwähnen. 
Er  hätte  zu  einer  zeit,  wo  der  dramatische  text  im  abendlande  schon 
die  weiteste  Verbreitung  und  in  doppelter  fassung  seine  starke  Weiter- 
bildung erfahren  hat,  auch  unmöglich  in  der  knappen  grundform  dort 
eingeführt  werden  können,  die  den  abendländern  gar  nicht  mehr  ge- 
läufig Avar.  Die  bodenständige  Jerusalemer  prozessionsliturgie  ist 
eben  dein  römischen  breviertexte  der  kreuzfahrer  am  auferstehungs- 
jnorgen  gewichen,  und  zwar  zur  gleichen  zeit,  w^o  im  abendlande  selbst 
die  v/eitergestaltung  des  aus  Jerusalem  einst  von  mönchen  eingeführteji 
textes  zum  innner  umfänglicheren  liiteinisehen  auferstehungsdrama 
\^or  sich  geht. 

ISTieht  aus  dem  abendlande  in  die  Jerusalemer  liturgie,  sondern 
umgekehrt  aus  der  liturgie  der  grabeskirche  ins  monastieche  abend- 
in nd  ist  die  auferstehungsliturgie  ihren  weg  gegangen. 

Am  heiligen  grabe  selbst  waren  alle  bedingungen  seit  der  frühzeit 
des  oliristentums  für  die  ausbildung  einer  solchen  liturgie  vorhanden. 
Tm  abendlande  lagen  die  gleichen  anläisse  nirgends  vor.  Man  vergegen- 
w^ärtige  sich,  mit  welcher  aufmerksamkeit  die  gallischen  pilger  die 
liturgischen  Vorgänge  der  grabeskirche  verfolgt  haben,  mn  sie  zur 
nachbildung  ihrer  heimat  zu  vermitteln.  Im  ältesten  uns  erhaltenen 
derartigen  berichte  möchte  man  bereits  alle  grundlagen  für  eine  dva- 
ruatisclie  auferetehungsfeier  angedeutet  finden.  Sanctae  Silviae  Pere- 
grinniio  (Paul  Geyer,  Itinera  Hierosolymitana  =  Corpus  scr.  eccles. 
lat.  vol.  XXXVIII,  Vindobonae  1898,  p.  71),  die  um  383  geschrieboa 


DER   URSPRUNG   DER   LATEINISCHEN    OSTERFEIERN  57 

ist,  erzählt  nach  eingehender  Schilderung  der  liturgie  der  grabeskirche 
in  derkarwoche  den  verlauf  der  ostertagsliturgie  wie  folgt  (s.  73)  : 

Septima  aufem  die,  id  est  dominlca  die,  ante  pallorum  cantum 
colliget  se  omnis  muUitudo,  quaecumque  esse  potest  in  eo  loco,  ao  si  per 
pascha  in  hasilica,  quae  est  loco  iuxta  Anastasim,  foms  tarnen,  uhi 
luminaria  pro  hoc  ipso  pendent.  Dum  enim  uerentur,  ne  ad  pullorum 
cantum  non  occurrant,  antecessus  ueniunt  et  ibi  sedent.  Et  dicuntiir 
■ijmni  nee  non  et  antiphonae,  et  fiunt  orationes  (/-y-Ta)  singulos  ymnos  uel 
antiphonas.  Nam  et  presbyteri  et  diacones  semper  parati  sunt  in  eo 
loco  ad  uigilias  propter  multitudinem',  quae  se  colliget.  Consuetudo 
enim.  talis  est,  ut  ante  pullorum  cantum  loca  sancta  non  aperiantur. 
Mox  autem  primus  pullus  cantauerit,  statim  descendet  episcopus  et 
Vit  rat  intro  speluncam  ad  Anastasim,  ilbi  iam  luminuria  infinita 
lucent,  et  quemadmodum.  ingressus  fuerit  popuUis.  dicet  psalmum 
quicumque  de  preshyteris  et  respondent  omnes,  post  hoc  fit  oratio.  Item 
dicit  psalmum  cpticumque  de  diaconihus ,  similiter  fit  oratio^  dicitur  et 
iertius  psalmus  a  quocumque  clerico,  fit  et  tertia  oratio  et  commemo- 
ratio  omnium.  Dictis  ergo  h^is  trihus  psalmis  et  factis  orationibus 
trihus  ecce  etiam  thymiataria  inferuntur  intro  spelunca  Anastasis,  ut 
t^pta  hasilica  Ana,stasis  repleatur  odorihus.  Et  tunc  ihi  stat  episcopus 
imro  canceUos,  prendet  euangelium  (p.  74)  et  accedet  ad  hostium  et 
leget  resurrectionem  Domini  episcopus  ipse.  Quod  cum  coeperit  legi, 
tantus  rugitus  et  mugitus  fit  omnium  hominum  et  tantae  lacrimae.  ut 
quamuis  durissimus  possit  moueri  in  lacrimis  Dominum  pro  nobis 
tanta  sustinuisse.  Lecto  ergo  euangelio  exit  episcopus  et  ducitur  cum 
ymnis  ad  Crucem  et  omnis  populus  cum  iUo. 

Also  schon  hier  der  andrang  des  Volkes  zur  aufer5>tehungsliturgie. 
ii;  deren  mittelpunkte  die  handlungen  am  und  im  hl.  grabe  selbst 
stehen,  die  lichter,  der  weihraueh,  eine  prozession ;  sobald  die  liturgie 
vom  Id.  grabe  Aveg  in  den  Chor  verlegt  wurde,  musste  sich  mit  notwen- 
digkeit  eine  prozession  zum  grabe  entwickeln;  die  einflihrung  der 
frauen  und  tngel  und  ihr  dialog  boten  sich  in  ähnlicher  weise  dar  wie 
die  draraatioche  darstellung  der  palmsonntagsprozession  mit  dem  vor 
dem  kreuz  herziehenden  und  niederfallenden  volke  und  den  gesängen 
der  kinder  von  der  goldenen  pforte  herab,  wie  es  in  unserem  Jerusa- 
Icmer  ordo  geschildert  ist  und  sclion  ganz  ähnlich  von  Silvia-Aethena 
Vrerichtet  Avird  (Geyer  s.  83).  Die  auferstehungsprozession  ist  eben 
nur  eine  der  vielen  dramatisch  belebten  prozessionen  Jerusalems; 
hätte  sie  vor  den  kreuzzügen  dort  gefehlt,  so  Aväre  im  ritual  eine  un- 
erträgliche lücke  vorhanden  gewesen.    Auch  die  fonnel :  0  Deus!  im 


58  l.EITZMANN 

]jrozessioii8gesange  weist  auf  morgenländisclieii  braucli  hin ;  das  abend- 
land  hätte  so  schwerlich  sagen  können ;  hier  heisst  es  in  liturgischen 
Wendungen  nur  Deus!  Das  morgenland  kennt  dagegen  die  auch  in 
der  karfreitagsliturgie  vorhandene  anrufung:  0  Th'eos! 

Die  herleitung  der  abendländischen  dramatischen  auferetehungs- 
liturgie  aus  der  Übung  des  heiligen  grabes  in  Jerusalem  stösst  somit 
kaum  auf  ernste  Schwierigkeiten.  Noch  nicht  beantwortbar  dagegen 
ist  die  frage,  wann  in  Jerusalem  die  prozession  eingeführt  wurde  und 
wann  sie  von  dort  nach  Gallien  und  Deutschland  übernommen  worden 
ist.  Die  älteeten  abendländischen  handschriften  mit  dieser  liturgie 
führen  ins  10.  Jahrhundert  zurück.  Die  gallische  liturgie  des  Caesarius 
von  Arles,  die  auf  orientalischem  beziehungsweise  jerusalemischem  ein- 
fiuss  beruht  (S.  Bäumer,  Gesch.  des  breviers,  s.  150),  kennt  im  anfange 
des  ß.  jahrhimderts  die  auferetehungsprozession  noch  nicht;  sie  wird 
somit  auch  um  diese  zeit  nocli  in  Jerusalem  nicht  üblich  gewesen  sein. 
Ee  bleibt  daher  für  die  jerusalemisohe  entsteh ung  und  die  abendlän- 
dische Übernahme  der  liturgie  der  lange  Zeitraum  frei  vom  beginnenden 
ö.  bis  zum  ausgehenden  10.  Jahrhunderte.  Die  Wahrscheinlichkeit  spricht 
jedoch  dafür,  dass  die  herübernahmejerusalemischer  Übung  ins  monasti- 
'sche  Gallien  vor  die  durohfülirung  der  gregorianischen  reform  mit 
ihrer  zentralisierenden  tendenz  fällt,  also  in  Frankreich  vor  die  zeit 
der  Karolinger,  in  der  die  benediktinisch-römische  regel  eingeführt 
wurde;  denn  in  Rom  ist  die  dramatische  osterfeier  nie  offiziell  ge- 
A\'orden.  Wenn  uns  aus  der  zeit  vor  dem  ausgehenden  10.  Jahrhunderte 
abendländische  texte  der  dramatischen  osterliturgie  fehlen,  eo  ist 
d.aran  jedesfalls  nur  die  Seltenheit  der  liturgischen  handschriften 
dieser  zeit  schuld.  Die  ausgestaltung  der  Jerusalemer  liturgie  in  dem 
dramatischen  sinne  könnte  dann  in  die  zeit  zwischen  dem  anfange  des 
('-.  Jahrhunderts  und  der  mitte  des  8.  Jahrhunderte  fallen.^) 

BRESLAU.  JOSEPH    KLAl'PER. 


MISZELLEN. 

Auszüge  aus  briefen  der  brüder  Grimm  an  Snlomon  Hirzel. 

Aus  Hans  Gürtlers  nachlass  herausgegeben  von  Albert  Leitzmaun. 

Auszüge   aus    briefen    von   Jacob   und  Wilhelm   Grimm   an   Salomon   Hirzel, 

soweit   sich    deren    Inhalt   zunächst   auf  die   geschichte   des  Deutschen  Wörterbuchs 

bezieht,  hat  Matthias  Lexer  im  Anzeiger  für  deutsches  altertum  16,  220  und  17,  238 

veröffentlicht;    doch   sind   auch    manche    'für  personen-  und    zeitverh.ältnisse   inter- 

1)  Vgl.  Journ.  of  engl.  and.  gerraan.  Philology  21  (1922),  692.     Red. 


AUSZÜGE   AUS   BRIEFEN"   DER   BRÜDER   GRIMM   AN    SALOMON   HIRZEL  59 

essante  oder  für  die  briefschreiber  überhaupt  charakteristische'  beraerkungen  ein- 
bezogen worden.  Der  im  besitze  der  Göttinger  Universitätsbibliothek  befindliche 
sammelband  (Cod.  Philos.  178'"),  in  dem  sich  diese  geschäftsbriefe  beider  brüder 
nun  zusammengebunden  befinden  (für  die  wenigen  sonst  vereinzelt  erhaltenen  ist 
der  jetzige  aufbewahrungsort  besonders  angegeben),  enthält  jedoch  ausser  diesen 
teilweise  schon  herangezogenen  briefen  noch  eine  ganze  reihe  anderer  bemerkens- 
werter, deren  kenntnis  sowohl  für  die  Schreiber  selbst  erwünscht  erscheint  als  auch 
die  geschichte  des  Wörterbuchs  vervollständigt.  Ihrem  werte  nach  sind  sie  aller- 
dings sehr  ungleich :  mit  ausführlichen  briefen  wechseln  oft  einfache  mitteilungen 
und  flüchtig  hingeworfene  bemerkungen.  Diesen  grossenteils  undatierten,  teilweise 
auf  losen  blättchen  geschriebenen  und  den  manuskriptsendungen  beigefügten  mit- 
teilungen die  richtige  reihenfolge  anzuweisen,  war  nicht  leicht.  Bei  manchen  ist 
auf  der  rückseite  ein  empfangsvermerk,  zumeist  aber  eine  erst  viel  später  nach- 
getragene Zeitbestimmung  angegeben,  die  zudem  in  einigen  fällen  ungenau  ist. 
In  der  handschrift  sind  sie  oft  an  falscher  stelle  eingeheftet.  Ich  gebe  im  folgenden, 
für  jeden  brief  oder  jede  kürzere  mitteilung  unter  besonderer  zahl,  einen  auszug 
aus  dem  bände:  die  von  Lexer  ausgehobenen  stellen  sind  nachverglichen,  besse- 
rungen  eingefügt,  nur  nebensächliches  übergangen.  Von  den  von  Lexer  mitgeteilten 
briefen  Hirzels  sind  ausser  dem  einen  vom  24.  februar  1863,  nur  teilweise  in  dem 
Sammelbande  erhaltenen,  nur  noch  einer  vom  14.  märz  1854  (wegen  einiger  angaben 
im  quellen  Verzeichnis  zum  ersten  band)  und  der  auf  die  dritte  briefseite  von  Jacobs 
brief  vom  27.  September  1857  entworfene  anfang  der  antwort  Hirzels  vorhanden. 

Zur  Geschichte  des  Wörterbuchs  vgl.  die  arbeiten  von  Hofmann  und  Meissner 
in  den  Preussischen  Jahrbüchern  136,  472  und  142,  62,  sowie  die  dort  angeführte 
literatur. 

I.  Von  Jacob  Grimm. 

1.  Naumburg  20  juli  1838. 

...  In  Weißenfels  saß  ich  gestern  abend  noch  neben  herrn  von  Gaudy*  zu 
tisch,  und  langte  12  uhr  mitternachts  hier  an.  ich  bin  eben  im  begrif  meine  wande-- 
rung  nach  Pforta  anzutreten;  das  wetter  könnte  mehr  versprechen.  .  .  . 

2.  Liebe  freunde, 

Frau  Bettine  von  Arnim,  die  uns  hier  mit  ihrem  besuch  erfreut  hat,  wird 
über  Leipzig  zurückreisen,  und  zu  Ihnen  kommen,  sich  Ihres  raths  in  einer  literari- 
schen angelegenheit  zu  erholen  ^  Sie  ist  uns  mit  wahrer  schwesterliebe  zugethan, 
und  vermag  bessere  auskuuft  über  unser  gegenwärtiges  leben,  wohnen  und  treiben 
zu  ertheilen,  als  es  briete  können. 

Sein  Sie  und  Ihre  frauen  herzlich  von  mir  gegrüßt. 

Cassel  29  nov.  1838. 

Jac.  Grimm. 

3.  Cassel  18  jun.  1839. 

Da  Sie,  lieber  freund,  nach  Berlin  reisen,  oder  schon  dort  sind,  in  welchem 
fall  Ihnen  der  brief  nachgeschickt  werden  soll,  so  sende  ich  Ihnen  einen  an  Meuse- 
bach,  den  Sie  ihm  vielleicht  gern  selbst  überbringen.     Er  hatte  mir  vorigen  monat 

1)  Der  dichter  Franz  freiherr  von  Gaudy  (1800—46)? 

2)  Wegen  der  gesamtausgabe  von  Arnims  Schriften. 


60  LEITZMANN 

durch  den  Wiener  Karajan  gefichrieben,  ich  höre  aber  seitdem,  daß  er  sich  unwol 
soll  befunden  haben.  Ich  hoffe  niclits  anders  als  daß  er  dennoch  zur  rechten  zeit 
uns  mit  erwünschten  beitragen  freude  mache. 

Für  die  der  Kleeschen '  sendung  heigepackte  rede  Hermanns  *  danke  ich 
besonders,  sie  hat  mich  sehr  erquickt,  mehr  als  das  Thierschsche  taschenbuch  ^, 
das  doch  zu  gewöhnliche  dinge  vorträgt. 

Noch  eine  bitte,  mein  bruder,  der  mahler,  hat  seine  radierten  blätter  (einige 
hundert  stück,  größere  und  kleinere,  portraits,  compositionen,  landschaften,  thier- 
stücke)  in  ein  werk  gesammelt,  und  läßt  exemplare  in  einzelne  bände  heften. 
Rathen  Sie  nun,  wie  er  mit  dem  vertrieb  am  besten  fahren  würde?  ob  ein  solider 
leipziger  oder  dresdner  kunsthändler  sich  damit  und  unter  welcher  bedingung 
befassen  könnte? 

Gödeke  hat  mit  seinen  manuscripten  Unglück;  sein  trauerspiel  ^  hat  ihm  die 
censur  so  mitgenommen,  daß  man  ihm  nicht  anders  rathen  konnte,  als  es  zurück- 
zuziehen. Was  er  über  Platen  sagt"  ist  garnicht  übel,  und  vernünftiger  als  das 
Minckwitzische  ge^ede^  Ihr  Jac.  Gr. 

4.  Steil  Oct.  abends  [1841?] 
Lieber  Hirzel  .  .  .  mit  dem  kommen  war  es  nichts,  Sie  aber  höre  ich  kommen 

noch  diesen  monat,  worauf  ich  mich  freue ;  an  andern  besuchen,  die  mir  meisten- 
theils  lange  nicht  so  lieb  sind,  ist  jetzt  hier  einiger  Überfluß.  .  .  . 

an  Ihre  frau  und  Reimers  grüße 

Ihr  Jac.  Grimm, 
ich  lege  blätter  für  die   hauptische  Zeitschrift  an, 

damit  es  nicht  scheint  als  wolle  ich  nichts  weiter 
für  sie  thun;  zu  besserem  war  aber  noch  nicht  zeit, 
man  sagt  daß  schon  2000  exemplare  abgesetzt  wer- 
den, neulich  hatte  Benecke  einen  guten  namen,  der 
uns  voriges  jähr  nicht  einfiel:  altdeutsche  scheuer. 

5.  Lieber  Hirzel,  [1841] 

.  .  .  Die  heiliegenden  von  Waitz   erhaltnen  glossen '  stellen  Sie    dem  heraus- 
geber   der   Zeitschrift   für   deutsches   alterthum    zu   und   sagen   ihm.   daß  Warnung 
2328  eide   kaum    etwas    anderes    sei    als    egide,    egge.  ...  Zu   den    weihnachtsferien 
werden  Sie  noch  einen  bericht  über  die  wörterhuchsangelegenheit  empfangen. 
Herzliche  grüße  an  Ihre  frau  und  Reimers 

Ihr  .Tac.  Gr. 
Das   paket   an    Kehrein  ^  (leider  nicht   Kehr  rein,   der   leser  kehrt   schlecht) 
lassen  Sie  an  Hinrichs  abgeben. 

1)  .Julius  Ludwig  Klee  (1807— 67\  rektor  des  gymnasiums  der  alten  kreuz- 
schule in  Dresden;  seine  Verdienste  um  das  Wörterbuch  hat  .Jacob  in  den  vorreden 
zu  den  ersten  beiden  bänden  hervorgehoben. 

2)  Gottfried  Hermann,  Oratio  in  tertiis  sncris  saecularibus  i-eceptae  a  civibi(s 
Lipsiettibus  reformafae  per  M.  Lufhenim  religionis,  Leipzig  1839. 

3)  Taschenbuch  der  neuesten  geschichte,  Stuttgart  und  Tübingen  1839. 

4)  König  Kodrus,  eine  missgeburt  der  zeit,  Leipzig  1839. 

5)  Als  einleitung  zur  ausgäbe  der  Gesammelten  werke  (Stuttgart  und  Tü- 
bingen 1839). 

6)  Graf  von  Platen  als  mensch  und  dichter,  Leipzig  183S. 

7)  Erfurter  glossen  (Zeitschrift  für  deutsches  altertum  2,  204). 

8)  Josef  Kehrein  (1808—76),  schulmann  und  literarhistoriker. 


AUSZÜGE    AU.S   BRIEFEN    DER   BRÜDER   GRIMM   AN   SALOMON    HIRZEL  bl 

6.  Lieber  Hirzel, 

.  .  .  Beifolgenden  poetischen  erguß  von  Palleske  *  hat  die  Dahlmann  hier 
vergessen.  .  .  . 

Den  brief  an  Pfeiffer*  bitte  ich  .  .  .  zuzufertigen. 

Oft  noch  habe  ich  und  Dortchen  an  die  unruhe  gedacht,  die  wir  Ihrem  hause 
vor  zehn  tagen  bereiteten ;   das   überwinden  Sie  alles   mit  Ihrer  freundlichkeit,   die 
Ihnen  natürlich  ist,  also  leicht  wird, 
[von  Hirzels  band:  Oktober  1845.]  .Jacob  Grimm. 

7.  Liebster  Hirzel,  Berlin  2  sept.  1846. 

Sie  können  sich  denken  daß  ich  Ursache  gehabt  habe,  die  antwort  auf  Ihren 
brief  vom  17  aug.  zu  verschieben,  ich  bin  nemlich  seit  meiner  rückkunft  aus  Lipp- 
springe  auf  das  verschiedenste  und  lebhafteste  bewegt  und  zu  geschäfteu  bewogen 
gewesen,  an  die  ich  gar  nicht  dachte.  Nun  gehn  mir  auch  meines  buchs  '  wegen 
noch  ein  paar  dinge  im  köpf  herum,  die  ich  zuvor  durch  neue  Untersuchung  be- 
ruhigen muß,  und  gegen  ende  des  monats  soll  ich  nach  Frankfurt  zu  der  ver- 
samlung.  Folglich  bedarf  es  noch  einer  frist,  sobald  ich  kann  werde  ich  Ihnen 
raanuscript  senden. 

Grüßen  Sie  alle  die  Ihrigen  .  .  .  Wilhelm  ist  in  Teplitz  und  will,  ohne  erst 
heimzukehren,  über  Wien  und  München  nach  Frankfurt  reisen.  Wer  hätte  ihm 
diesen  reisemut  zugetraut?  Jac.  Grimm. 

8.  [Frankfurt]  Mittwoch  6  sept.  [1848] 
Lieber  Hirzel,   gestern   abend,   als   ich   aus   einer   stürmischen   Sitzung  heim 

kam,  fand  sich  das  längst  erwartete  buch,  gedankenvoll  über  die  gefahr  und  den 
erfolg  des  ebengefaßten  beschlusses,  zu  dem  ich  mitgestimmt  hatte,  mochte  ich  das 
buch  kaum  öfnen  und  erblicken  was  mir  einige  jähre  lang  durch  den  köpf  gegangen 
war.  wie  klein  erscheint  einem  das  eigne  werk  gegenüber  des  Vaterlandes  noth. 
die  versamlung,  wenn  sie  mit  ehren  fortbestehen  wollte,  muste  den  Waffenstillstand* 
verwerfen,  komme  was  über  uns  verhängt  ist. 

Ich    danke   für   alles,    die   ausstattung   des    buchs    ist   gut    und    schön,    aber 
lassen  Sie,    falls    es    noch    nicht   geschah,    zu  Berlin   gleich    meinem    bruder  zwei 
exemplare  übergeben,    denn  er  soll  eins  davon  dem  könig  schicken,    und  er  wartet 
selbst  darauf  weil  er  dann  verreisen  will. 
[Original  im  besitze  des  geschichtsvereins  in  Hanau.]  Jacob  Grimm. 

9.  Lieber  Hirzel, 

hier  sende  ich  Ihnen  meine  rede  auf  Lachmaun '".  [Exemplare  für  Zarncke 
und  Koberstein.] 

13  sept.  [1851]  Ihr  Jac.  Gr. 

10.  5  Jan.  52 
[Anzeiger  16,  222.]  aber  Herrn   Ilildebrands"  erste  beraerkuug  ist  begründet 

und  das  übel  daher  entspringend,    datz    für   namen    kleinere    majuskel   gebraucht 

1)  Emil  Palleske  (1823—80),  dramatischer  Vorleser  und  schriftsteiler. 

2)  Vgl.  Germania  11,  111. 

3)  Geschichte  der  deutschen  spräche,  Leipzig  1848. 

4)  Von  Malmö ;  zwischen  Dänemark  und  Preussen,  am  26.  august. 

5)  Kleinere  Schriften  1,  145. 

6)  Rudolf  Hildebrand  (1824—94),  lehrer  an  der  Thomasschule  in  Leipzeig. 


62  LfitTZMAKN 

werden  sollte,  als  die  gewöhnliclie,  unter  der  andern  schrift  verwendete  ist.  Ich 
weisz  keinen  andern  rath,  als  dasz  wir  der  majuskel'  ganz  entsagen,  besorge  auch 
keinen  nachtheil  davon,  mau  schriebe  Göthe,  Luther,  wie  Westfalen,  Fulda,  nur 
wird  es  mühe  kosten,  diese  majuskel  aus  dem  schon  gesetzt  stehenden  wegzuschaffen. 
in  der  majuskel  selbst  buchstaben  verschieduer  grösze  anzunehmen  streitet  wider 
alle  gute  regel. 

Den  hiernach  geänderten  ersten  halben  bogen  wünsche  ich  vorher  zu  sehen, 
das  manuscript  will  ich  Ihnen  durch  Dieterich  zurücksenden.  Sie  brauchen  nicht 
immer  soviel  porto  auszugeben  und  können  die  beifügung  des  manuscripts  unterlassen. 

Nicht  Seiten  sondern  spalten  sind  zu  beziifern,  damit  man  nicht  8*  8**  zu 
citieren  braucht,  da  aber  in  die  mitte  der  spalte  die  anfangsbuchstaben  gehören, 
musz  die  zahl  neben  an  die  seite  rücken,  die  eine  vorn,  die  andere  hinten. 

Zu  Vermeidung  der  dummen  striche  hinter  flusz-,  ab-  wollte  ich  erst  die 
Wörter  zusammenschieben  (fluszundortsnamen,  abundzulauf),  sehe  aber,  dasz  es  zu 
sehr  auffallen  würde,  und  ergebe  mich  der  alten  gewohnheit. 

Dies  alles  in  eile,  da  ich  zur  academiesitzung  fort  musz. 

herzlichen  grusz  Jac.  Gr. 

Sollte  der  setzer  es  unthunlich  finden,  die  gesetzte  majuskel  zu  tilgen,  so 
gebe  ich  auch  hier  nach  und  gestatte 

BÜRGER  an  A.  W.  Schlegel 
dann  müste  aber  stehn  überall  Luthrr  G()the. 
da  ich  so  weich  gestimmt  bin,   konnten  Sie  mir   sogar  noch  fs  für 
sz  aufnöthigeu.     ich  denke   mehr  an   die  sache  als   an  die  gestalt. 

11.  Liebster  Hirzel, 

das  paket  ist  gekommen,  die  auszüge  aus  dem  bienenkorb  sind  noch  sehr  braucii- 
bar,  aber  mühsam  zu  ordnen  und  unterzubringen,  wenn  Müller  den  Geliert  aus- 
gezogen hat,  so  weiß  ich  nicht  was,  denn  im  A  treten  mir  wenigstens  keine  zettel 
vor  äugen.     [Anzeiger  16,  222.] 

Sie  wollten  ein  blatt  zur  probe  ausgeben,  falls  Sie  damit  nicht  noch  länger 
und  auf  ein  besseres  warten  wollen,  so  nehmen  Sie  col.  33—36,  worauf  auch  ein 
spasz  steht  den  niemand  merkt. 

von  haus  Ihr  .Jac.  Grimm, 

es  ist  nicht  gut  dasz  die  zweite  vom  setzer  noch  unberichtigte  correctur  mir  zur 
revisiou  geschickt  wird  und  besser  wäre  die  zweite  correctur  dort  einzutragen  und 
dann  einen  abzug  zu  nehmen  und  hierher  gehn  zu  lassen,  sonst  mischen  sich 
Hildebrands  und  meine  correcturen  und  die  clare  einsieht  der  letzteren  wird  erschwert. 
[Bittet  Hirzel  um  nachweisuug  eines  Goethischen  Spruches.] 

12.  [Dankt  für  Hirzels  nachweis  aus  Logau.] 

Alles  heil  zu  Ihrem  gestrigen  geburtstage,  in  diesem  monat  fällt  auch  Wil- 
helms,    möge  uns  der  himmel  alle  zusammen  schützen! 

Auf  Dünzers  oder  Düntzers  pamphlet  bin  ich  begierig,  noch  mehr  auf  die 
auszüge,  die  Sie  davon  ins  Centralblatt  geben  werden. 

Bald  müssen  nun  aushängebogen  kommen,  es  freut  mich,  daß  .setzer  und 
corrector  so  verständig  sind. 

samstag  14  febr.  [1852]  nipiim  Jac.  Gr. 

1)  für  die  mannsnamen,  wie  für  die  ortsnameu. 


AUSZÜGE   AUS   BRIEFEN   DER   BRÜDER   GRIMM   AN    SALOMON    HIRZEL  63 

13.  Lieber  Hirzel, 

es  ist  schön,  daß  Sie  im  Wörterbuch  immer  thätiger  eingreifen  .  .  . 

Hierbei  folgt  manuscript  p.  501-702,  dessen  eingang  ich  auf  der  nächsten 
correctur  unten  kurz  anzuzeigen  bitte. 

Bogen  13'*'  liegt  hier  durchgesehn  gleichfalls  bei.  .  .  . 

freitag  nachmittag  [1852]  Dies  alles  in  eile  Gr. 

14.  [Anzeiger  16,  223.]  Dieser  tage  sandte  mir  ein  postmeister  Fitger  aus  Delmen- 
horst zwei  auszüge  über  bönhase  und  knüppelvers  als  gut  gemeinten  beitrag,  mit 
dem  erbieten  nöthigenfalls  die  ganz  bekannten  folianten  einzusenden,  denen  er 
sie  entnommen  habe. 

[Bittet  um  abschrift  eines  Goethischen  gedichtes.] 

2.  ich  sehe  dasz  Sie  die  Vossische  zeitung  lesen,  weisz  aber  nicht  ob  auf- 
heben, im  letzten  fall  bitte  ich  auch  um  das  was  im  blatt  vom  19  merz  der 
schändliche  Förster  gegen  mich  geschrieben  hat.  .  .  . 

[Anzeiger  16,  224.] 

einlage  an  Tischendorf '  ersuche  ich  bestellen  zu  lassen. 

freitag  23  apr.  [1852]  Jac.  Grimm. 

15.  Lieber  Hirzel,  • 

die  erklärung  der  abkürzungen  ist  zu  weitläuftig,   als  dasz   sie   auf   dem   Umschlag 
platz  hätte,   ohnehin  habe  ich  jetzt  keine  zeit  sie  zu  sammeln  und  abzufassen,    die 
leser  müssen   sich   also   bis   zum   schlusz   des   bandes  I   gedulden,   wie   es  auch  in 
anderm  betraclit  uachtheiiig  ist,  dasz  wichtige  erläuterungen  verspart  bleiben  müssen.- 
das  sind  übelstände  des  heftweise  ersclieiiiens,  aber  unvermeidliche.  .  .  . 

diese  zeilen  nimmt  professor  von  Lilienkron  -  mit,  welcher  für  die  Kieler 
monatsschrift  (die  in  Halle  gedruckte)  alle  fertigen  aushängebogen  zu  haben  wünscht, 
Müllenhoff  will  das  werk  besprechen.  Vielleicht  können  Sie  diese  bogen  oder 
gleich  das  fertige  heft  ohne  Verzug  nach  Kiel  senden. 

dienstag.  [1852]  Ihr  Gr. 

16.  Lieber  Hirzel, 

alles  war  schön  und  erwünscht  ausgestattet;  wenn  der  innere  werth  des  buches 
gleichen  schritt  hält  mit  dem  äußeren,  so  wird  die  Zufriedenheit  allgemein  sein, 
daß  blöden  und  verwöhnten  äugen  der  druck  zu  fein  und  blaß  scheint,  thut  nichts, 
sie  müssen  sich  nur  dran  gewöhnen. 

[Druckfehler.] 
hierbei  folgt  mauuscript  703—900.  ob  ich  den  beiden  gierigen  raben,  den  setzern, 
immer  so  futter  verabreichen  können  werde,  steht  dahin,  dies  manuscript  muß  fast 
schon  das  zweite  heft  füllen,  vielleicht  weniger  einen  bogen,  würde  ich  nur  nicht 
von  andern  mit  zugesandtem  unverlangtem  manuscript  geplagt,  ein  Marburger 
Professor  sendet  mir  seins  zum  lesen  und  beurtheilen,  auch  soll  ich  ihm  einen  Ver- 
leger dafür  schaifen.    wollen  Sies?    es  ist  eine  abhandlung  über  den  Büdinger  wald 

1)  Lobegott  Friedrich  Konstantin  Tischendorf  (1815—74),  theolog.  bekannt 
durch  seine  ausgaben  des  nenen  testaments. 

2)  Rochus  freiherr  von  Liliencron  (1820—1912),  prufessor  der  philosophie 
in  Jena. 


04  Lfitt2MAi<ti 

und  zweitens  sein  process  mit  der  Darmslädter  regierung,  nebst  beilagen.  Dann 
schickt  mir  Pertz  die  von  Graff  hinterlassenen  raanuscripte,  ich  soll  mich  über  ihren 
werth  und  den  preis  äußern,  für  den  sie  zu  erkaufen  seien. 

Den  beiliegenden  brief  Strodtmanns  (dessen  söhn,  glaube  ich,  dem  Kinkel 
durchgeholfen  hat,  überlasse  ich  Ihrer  entscheidung.  .  .  . 

für  die  gesandten  abschritten  und  auszüge  besten  dank,  und  sonst  glück- 
liche messe. 

montag.  [1852]  Jac.  Gr. 

17.  Lieber  Hirzel, 
[Anzeiger  16,  22i.] 

Das  zweite  heft  wird  zu  bestimmter  zeit  erscheinen,  oder  schon  früher, 
manuscript  liegt  bis  zu  bogen  35.  bereits  fertig. 

[Anzeiger  ebenda.]  ich  schicke  Ihnen  hier  eine  anzeige  aus  der  Königsberger 
zeituug,  deren  Verfasser  es  haben  will;  an  sein  lob  knüpft  er  aber  die  ängstliche 
meidung  von  seinem  unverlegten  eignen  manuscript  und  von  seiner  unconfirmierten 
tochter.  ich  musz  fürchten,  das  vielleicht  ganz  leidliche  manuscript  war  schon  in 
Ihren  bänden,  mich  hat  der  Witte  bis  jetzt  noch  damit  verschont,  sodann  ein 
mehr  gefaszter  brief  von  Dr.  Friebelt  aus  Hamburg,  der  sich  als  Verfasser  des 
artikels  in  den  grenzboten  nennt,  den  ich  noch  nicht  gelesen  habe,  mit  einem 
dutzend  anderer  briefe,  die  blosz  mich  quälen,  behellige  ich  Sie  nicht. 

Aber  diese  stücke  bitte  ich  mir  gelegentlich  wieder  aus. 

an  Klee  werde  ich  unmittelbar  schreiben  und  sein  anerbieten'  dankbar 
annehmen. 

Reimer  frug  neulich  wegen  auszügen  aus  Lichtenberg,  sie  sollen  willkommen  sein. 

[Anzeiger  ebenda.] 

von  herzen  Ihr  Jac.  Gr. 

22  Mai.  [1852,  nicht  2  mai,  wie  Lexer  nach  der  unrichtigen  angäbe  von 
andrer  band  auf  der  rückseite  des  briefs  angibt] 

pastor  Strodtmann  '  aus  Wandsbeck  hat  mir  dankbar  geantwortet. 

18.  [Jacob  Grimm  schickt:  rerne  den  flexx  niondes,  deutsches  uiuseum,  schul- 
zeitung,  in  denen  anzeigen  über  das  Wörterbuch  stehen,  zurück.]  alle  diese  berichte 
lauten  günstig,  und  doch  ist  einiges,  was  mir  das  wesentliche  scheint,  noch  von 
keinem  berichterstatter  ausgesprochen,     nun  es  thut  nichts. 

[Anzeiger  16,  224.] 

montag  14  juni  1852.  Ihr  Jac.  Gr. 

19.  Lieber  freund, 

ich  habe  vorige  woche,  laut  ertheilter  quitung  555  erhalten  und  danke  dafür,  hier- 
bei sende  ich  901—1076,  was  nun  sclion  weit  ins  dritte  heft  laufen  wird,  in  der 
ausarbeitung  gerathe  ich  jetzt  an  ein  wort,  das  bei  frauen  nicht  aufgeschlagen 
werden  darf,  ein  phtlolog  kennt  aber  nichts  obscoenes,  ihm  erscheinen  alle  Wörter 
und  gerade  solche  sehr  wichtig  und  wissenswerth.  alle  lateinischen  und  griechischen 
Wörterbücher  lassen  ihnen  auch  gebührendes  recht  widerfahren,  was  kümmern  uns 
die  modernen? 

1)  Johann  Sigismund  Strodtmann  (1797-1888),  der  entsetzte  pastor  von 
Hadersleben. 


AUSZÜGE   AUS   BRIEFEN   DER   BRÜDER   GRIMM   AN   SALOMOX   HIRZEL  65 

Ein  brief  an  Zarncke  liegt  bei,  sodann  eine  anzeige,  die  Sie,  wenn  Sie  davon 
kenntnis  genommen  und  sie  gebilligt  haben,  ihm  auch  zustellen,  es  sollen  dadurch 
die  einlaufenden  wilden  beitrage  gezügelt  und  in  das  rechte  gleis  geleitet  werden. 

Gebe  der  himmel  dasz  jetzt  alle  kranken  in  Ihrem  hause  geheilt  und  her- 
gestellt sind. 

[1852]  Ihr  Jac.  Gr. 

20.  Das  zweite  heft  schlieszt  ominös  mit  anstehn.  es  fragt  sich,  ob  dem  publicum 
die  arbeit  ansteht,  sonst  könnte  sie  anstehn,  wie  Reimer  gerade  hinzu  schreibt, 
keinen  fortgang  haben. 

Was  für  mühe  und  erfolg  darin  steckt,  weisz  ich  am  besten,  die  leser  merken 
sehr  langsam,  und  sehn  fast  nur  auf  äuszerliches.  das  dritte,  weil  mehr  einfache, 
unzusammengesetzte  Wörter  enthaltend,  wirft  den  Sprachforschern  eine  gute  zahl 
neuer  entdeckungen  ins  gesicht. 

Das  publicum  weisz  gar  nicht,  was  es  sich  unter  einem  Wörterbuch  denken 
soll,  einer  meint,  den  vollen  gehalt  der  heutigen  spräche;  als  wenn  der  nicht  vor 
30  Jahren  ein  andrer  war,  in  30  jähren  nicht  wieder  ein  andrer  sein  wird,  ein 
andrer  sucht  blosz  nach  alten,  schweren  Wörtern.  Die  vorrede  musz  manches  auf- 
klären, ich  könnte  sie  aber  diesen  augenblick  noch  nicht  schreiben,  lerne  sie  erst 
im  verlauf  der  ausarbeitung  abfassen. 

Der  artikel  in  der  nationalzeitung  ist  so  einfältig  wie  boshaft,  ich  rathe  aber 
nicht  auf  den  Verfasser,  vielleicht  sind  die  buchstaben  B— s  fingiert,  zu  erwidern 
hätte  ich  einem  solchen  kein  wort,  es  gehört  ihm  was  Logau  2,  1,  94  *  sagt. 
Schaden  kanns  wol  bei  der  groszen  Verbreitung  des  blatts,  doch  werden  sich  die 
gegengifte  von  selbst  darthun,  es  ist  zu  unbedeutend. 

Ich  gehe  den  begonnenen,  vorbedachten  weg  ruhig  fort. 

Hirzel  meldete  vom  storch,  der  bei  seinem  schwager  ein  kind  abgelegt  habe ; 
da  er  aber  mehr  als  einen  schwager  hat,  räth  man  nicht,  welchen  er  meint. 

Die  gesandten  hefte  habe  ich  durch  Dietrich  zurückgehn  lassen. 

19  juni  [1852]  Jac.  Gr. 

21.  [Anzeiger  17,  241.]  Nachdem  einige  schwere  artikel  beseitigt  sind,  hoffe  ich 
in  den  Zusammensetzungen  mit  auf  wieder  schneller  vorzurücken. 

[Anzeiger  ebenda.]     Auszüge  aus  Eyering  wird  Fallenstein-  senden. 

Mich  soll  wundern  ob  sich  nicht  Düntzer  über  die  art  und  weise  wie  Göthe 
im  Wörterbuch  benutzt  ist,  äuszern  wird,  neulich  fand  ich  das  früher  vergeblich 
gesuchte  aar  für  adler  doch  im  letzten  theil  des  Faust. 

Das  zeitraubende  briefschreiben  suche  ich  auf  alle  weise  abzuschneiden,  es 
geht  nicht  immer. 

30  juni  [1852]  Viele  grüsze  Jac.  Gr. 

[Anzeiger  ebenda,   lies  „für  sie"  und  „erst  fertig."] 

22.  [Schickt  mit  Bogen  361»  neues  manuscript  jpa<;r.  1181-1276.]  [Anzeiger  17,  242.] 
16  juli  [1852]  in  groszer  hitze  Ihr  Jac.  Gr. 

1)  „Wann  ein  böser  gute  schmäht,  wann  ein  kind  den  wind  verbläst,  gilt  es 
gleich,  ob  unten  diß,  jener  oben  athem  lässt.'' 

2)  Georg  Friedrich  Fallenstein  (1790—1853),  geheimer  finanzrat  in  Berlin. 
Ausserdem  hat  er  besonders  Fischart  ausgezogen.  In  der  vorrede  zum  ersten  bände 
hat  Jacob  (S.  LXVIII)  seine  hilfe  ausdrücklich  erwähnt. 

ZEITSCHRIFT  F.  DEUTSCHE  PHILOLOGIE.    BD.  L.  5 


66  LEITZMANN 

23.  [Anzeiger  16,  225.] 

[Nachtrag  aus  Agricola  zu  spalte  565,  der  nicht  mehr  aufgenommen  wurde. 
Unerträgliche  hitze.] 

19  juli  [1852J  Jac.  Gr. 

24.  Als  mein  improvisierter  einfall  mit  der  atzel '  weg  war,  fiel  mir  ein,  daaz 
die  geschichte  des  vogels,  der  sich  mit  fremden  federn  putzt,  eigentlich  von  der 
dohle  oder  krähe,  je  nachdem  man  graculus  beim  Phaedrus  deutet,  erzählt  wird, 
nicht  von  der  elster.  (zwar  gehören  corvus  monedula,  corviis  cornix,  corrns  pica 
zu  derselben  classe.)  so  gut  nun  das  geborgte  haar  der  perücke  zur  geborgten  feder 
stimmt,  schlage  ich  doch  lieber  die  beifolgende  redaction  vor. 

[1852J  Jac.  Gr. 

25.  Manuscript  sandte  ich  bereits  gestern  mittag  in  richtiger  ahnung  ab  p.  1277 
—1390,  das  wird  den  bogen  43  füllen  und  für  den  schlusz  des  hefts  soll  bald  ge- 
sorgt sein.  Zarncke  habe  gelesen,  Prutz  noch  nicht,  gestern  reiste  professor  de 
Vries-  wieder  ab,  aber  Uhland  und  Gervinus  waren  noch  nicht  da. 

[1852] 

26.  Liebster  Hirzel, 

heute  kam  ein  mahler  Engelbach  ^  mit  einer  nach  dem  Biowschen  ^  lichtbild  ge- 
machten Zeichnung  und  der  bitte  um  Sitzungen,  damit  er  sie  verbessern  könne, 
was  haben  sie  damit  vor?  es  that  mir  leid,  dasz  sie  Reimer  gekauft  hatte,  die 
ganze  composition  ist  mir  zuwider,  und  wenn  das  daguerotyp  noch  durch  die  band 
des  mahlers  und  kupferstechers  gehu  soll,  kann  auch  nichts  ähnliches  daraus  werden, 
es  bleibt  zeit  genug,  einmal  ein  besseres,  glücklicheres  zu  erlangen,  wenn  Sie  zum 
achten  bände  des  Wörterbuchs  den  treu  gebliebnen  käufern  ein  porträt  der  Verfasser 
in  den  kauf  geben  wollen.  Lieber  zwei  einzelne  bilder  von  uns  vor  einzelne  bände 
als  eine  solche  Zusammenstellung.  Neulich  hat  sich  mein  bruder  in  öl  mahlen  lassen, 
und  recht  gut,  das  müssen  Sie  sich  ansehn,  wenn  Sie  einmal  herkommen. 

Das  heft  von  Prutz  geht  Ihnen  durch  Dieterich  zurück,  den  ton  und  die 
bedeutung  der  anzeige  (die  schon  hinreichend  gute  frucht  getragen  hat)  misversteht 
er  ganz ;  was  er  sonst  vorbringt,  ist  passend  und  zusagend.  Die  merkwürdige 
catholische  Opposition  kann  auch  nichts  schaden,  und  ich  möchte  das  catholische 
Wörterbuch  sehn,  das  mit  auslassung  aller  citate  aus  Luther,  Göthe,  Schiller  und 
andern  Sündern  oder  ketzern  der  Borromäusverein  unserra  Wörterbuch  auf  dem  fusze 
folgen  lassen  will.  Das  alles  geht  von  dem  fanatischen  Hermann  Müller  ^  aus, 
der  mich  im  Jahre  1837  besungen  hat,  allerdings  wird  verständigen  durch  das 
Wörterbuch  auch  die  nichtigkeit  der  catholischen  religion,  die  keine  deutsche 
literatur  zeugen  kann,  offenbar. 

donnerstag  abend  [1852]  Ihr  Jac.  Gr. 

1)  Vgl.  Wörterbuch  1,  596. 

2)  Matthias  de  Vries  (1820—92),  professor  in  Groningen. 

3)  Georg  Engelbach  (1817—64),  maier,  bildniszeichner  und  lithograph. 

4)  Raphael  Biow  (1771-1836),  maier. 

5)  Hermann  Müller  (1803— 76):  vgl.  über  ihn  Allgemeine  deutsche  biographie 
22,  559. 


AUSZÜGE   AUS   BRIEFEN   DER   BRÜDER    GRIMM    AN    SALOMON    HIRZEL  67 

27.  Lieber  Hirzel, 

da  Sie  wieder  kein  manuscript  haben,  so  schicke  ich  p.  1391—1470,  es  geht  aus  der 
hand  in  den  mund.  die  geschichte  mit  dem  bild  ist  mir  nicht  recht  und  thut  mir 
leid,  der  Biow  quälte  uns  zum  daguerotyp  für  seine  samlung  und  ich  überliesz  die 
getroffene  anordnung  damals  ganz  seiner  phantasie,  weil  wir  das  bild  gar  nicht 
für  uns  bestellten,  nun  sitzt  Wilhelm  da  im  stul  wie  ein  kranker  und  ich  habe  das 
ansehn  eines  herangerufenen  hausverwalters.  mehr  in  meinem  sinne  gewesen  wäre, 
wenn  [wir]  nicht  zum  ersten  bände  gleich,  sondern  am  Schlüsse  des  ganzen  werks 
auf  zwei  stillen  gerade  neben  einander  sitzend  aufgenommen  und  der  weit  vor- 
gestellt worden  wären.  Das  hätte  sich  ruhiger  und  natürlicher  ausgenommen, 
auszerdem  weisz  ich  nicht,  ob  aus  Engelbachs  correcturen  und  der  dritten  hand  des 
kupferstechers  irgend  etwas  gutes  und  ähnliches  hervorgehn  wird. 

[Schickt  die  Hamburger  nachrichten  und  den  Wiener  llovd  mit  den  anzeigen 
des  Wörterbuchs  zurück.] 

[Freut  sich  auf  den  besuch  von  Hirzels  Schwester.]  heute  ist  Wilhelm  mit 
Dortchen  und  frl.  tochter  nach  Friedrichsrode  bei  Gotha  auf  i,  5  wochen  gereist 
und  ich  befinde  mich  mit  beiden  neffen  allein. 

Die  immer  nachkommenden  excerpte  machen  schwere  mühe,  die  Harzer* 
waren  alle  aus  Schuppius,  der  bisher  fehlte,  und  vor  zehn  jähren  bestellt  war. 
statt  dasz  der  mann  diesen  schon  seit  fünf  jähren  fertig  liegenden  pack  längst  hätte 
senden  sollen,  hielt  er  ihn  zurück,  weil  noch  ein  stück  unausgezogen  war,  und  erst 
unsre  neuliche  aufforderung  schärfte  ihm  das  gemssen. 

[etwa  20.  august  1852]  von  herzen  Ihr  Jac.  Gr. 

< 

28.  [Anzeiger  17,  242.] 

Die  dritte  lieferung,  worauf  ich  gewartet  hatte,  ist  heute  morgen  nicht  ein- 
getroffen, ich  werde  sie  also  erst  bei  der  heimkehr  vorfinden. 

[Nachtrag  zu  aufschreien  p.  730  aus  Goethe,  nicht  aufgenommen.] 

Bis  auf  weiteres  alles  gott  befohlen 

montag  6  sept.  52.  Jac.  Gr. 

29.  Lieber  Hirzel,  26  sept.  [1852] 
heute  ist  ein  milder  tag,  wärmer  als  einer  war  während  ich  reiste,  ich  beginne  mich 
also  hier  zu  erholen  und  der  ausflug  hatte  mir  mehr  geschadet  als  genutzt,  zudem 
auch   der   besuch   bei   Dahlmann   mislungen   war.  .  .  .  Gustchen  ist  von  dem   ersten 
anblick  des  Rheins  noch  ganz  entzückt. 

[Anzeiger  16,  226.] 
[Korrekturen  und  nachtrage.] 

Treulich  Ihr  .Tac.  Gr. 

30.  [Anzeiger  17,  242.] 

Vorgestern  kam  bestätigung  von  Dahlmanns  besserung  durch  frau  Blume  oder 
vielmehr  Bluhme;  andere  leute  sind  froh  das  überlästige  h  auszuwerfen,  der  hat  es 
wieder  angenommen,  ich  glaube  um  dem  Robert  Blum  desto  unähnlicher  zu  scheinen. 

hierbei  folgt  di^  Darmstädter  recension  wieder  und  noch  p.  1589—1602. 

1)  Vom  pastor  Schulze  in  Altenau. 


68  LEITZMANN 

[Bitte  um  Vervollständigung  der  aushängebogen,] 

Bruder  und  Schwägerin  erwarte  ich  morgen  aus  Thüringen  zurück. 

Grüsze  an  Reimer, 
dienstag  28  sept.  [1852]  Jac.  Gr. 

revisiou  4:7b  liegt  auch  bei. 

31.  Längst  schon  habe  ich  Ihnen,  lieber  Hirzel,  für  die  sauberen,  zwischen  Pfeifers 
auszüge  gesteckten  siegel  zu  danken,  die  in  unserm  hause  räthselhafte  Überraschung 
verbreiteten,  allerdings  aber  wurde  bald  nur  auf  Sie,  dem  so  etwas  möglich  wäre, 
geraten,  auch  der  Maaler  ist  eingetroffen  und  liegt  auf  meinem  tisch,  als  Ihr 
eigenthum,  neben  dem  Logau. 

Dieser  tage  ist  kein  revisionsbogen  eingetroffen,  er  wurde  vielleicht  zu  Roslau 
zerquetscht. 

Kann  in  bogen  .49  noch  etwas  gerückt  werden?  ich  habe  das  seltsame  auf- 
wartete für  aufwärter  nochmals  gefunden. 

Grüsze  an  Reimer  und  dank  für  dessen  brief 

[von  anderer  band :  Berlin  5.  Oktober  1852.]  Jac.  Gr. 

32.  Lieber  freund, 

ich  sende  mit  dem  bogen  50»,  der  noch  einmal  kommen  musz,  zugleich  manuscript 
p,  1599— 17U0,  damit  die  setzer  nicht  zuviel  spazieren  gehn. 

[Anzeiger  16,  226],  ich  wünsche  dasz  Zarnke  ganz  leicht  an  ihm  vorüber- 
streift nach  meinen  gedanken  ungefähr  wie  es  auf  beiliegendem  blatt  geschieht, 
doch  will  ich  es  nicht  geschrieben  haben,  sondern  bitte  es  abzuschreiben  und  auf 
sich  zu  nehmen,  auch  nach  gutdünken  zu  verbessern.  Die  anzeige  von  Heufler 
müste  aber  unmittelbar  dahinter  folgen. 

[Anzeiger  ebenda.] 

15  oct.  [1852]  Jac.  Gr. 

33.  Ich  schicke  alles  fertige  manuscript^.  1801—1870,  was  über  das  heft  hinaus 
reichen  wird,  zugleich  liegen  die  anzeigen  von  Prutz  und  Darmstadt  bei.  aus- 
heben ist  nach  herrn  Hirschfeld  berichtigt,  bei  aushelligen  waren  herrn  Hildebrands 
bedenken  überflüssig,  man  helligt  den  ermatteten  falken  aus,  indem  man  ihn  hungern 
läszt.  durch  den  hunger  sollen  ihre  bauche,  die  sich  übernommen  hatten,  wieder 
leer  und  rein  werden,  aushelligen  kann  also  nicht  conficere,  nur  reficere  heißen. 

[1852] 

34.  [Nachtrag  zu  ausstich  Wörterbuch  1,  988.] 

35.  [Wegen  Hirzels  reise.] 

Sie  sandten  mir  die  hierbei  zurückkehrenden  correcturbogen  bis  zu  spalte  1000, 
ich  lege  manuscript  hinzu  bis  zu  s.  2000.  ich  habe  nun  den  buchstaben  A  über- 
wunden, es  werden  nur  noch  ein  paar  blätter  daraus  folgen;  wären  die  übrigen 
buchstaben  des  alphabets  auch  so  nahe  erlegt,  ich  hätte  nichts  dagegen,  mir  machen 
jetzt  schon  die  nachtrage  die  grüszte  freude,  wenn  Sie  wieder  einmal  herkommen, 
sollen  Sie  mit  erstaunen  sehen,  wie  vieles  meinem  breiten  exemplar  schon  bei- 
geschrieben ist. 


AUSZÜGE   AUS   BRIEFEN   DER   BRÜDER    GRIMM   AN    SALOMON   HIRZEL  69 

Dergleichen  ergänzimgen  werden  dadurch  erst  möglich,  dasz  die  gedruckte 
fassung  vor  äugen  liegt.     [Anzeiger  16,  226.] 

freitag  abend  den  17  dec.  1852  Jac.  Gr. 

dank  für  die  zettel  aus  B. 

36.  Lieber  Hirzel, 

wundern  Sie  sich  nicht,  dasz  das  manuscript  ausgeblieben  ist  und  die  setzer  nun 
allen  Vorrat  aufgezehrt  haben,  ich  bin  seit  den  letzten  tagen  des  vorigen  Jahres 
krank  und  zum  arbeiten  unfähig  oder  unaufgelegt,  man  sieht  auch,  dasz  die  wünsche 
nicht  helfen,  wenigstens  nicht  gleich,  denn  sonst  hätte  mir  seit  meinem  geburtstag 
wieder  sehr  wol  sein  müssen,  die  sache  wird  von  dem  arzt  noch  für  ungefährlich 
ausgegeben,  ich  soll  mir  mit  häufigen  Spaziergängen  helfen,  wozu  die  winterliche 
zeit  wenig  antreibt,  mein  herzschlag  ist  in  Unordnung,  und  die  pulse  bleiben  aus, 
es  vergeht  und  kehrt  wieder,  'gestern  fühlte  ich  mich  freier,  heute  wieder  beengt. 
ich  hoffe  dasz  sich  das  übel  in  einigen  wochen  legt  und  dann  soll  alles  versäumte, 
wie  nach  der  letzten  herbstreise  bald  eingeholt  werden,  es  thut  mir  leid,  dasz 
gerade  im  augenblick  eine  kleine  Unterbrechung  stattfindet,  wo  Sie  das  verlag- 
geschäft  übernehmen.  .  .  .  und  ein  neuer  buchstab  begonnen  wird. 

Auf  spalte  1048  kommt  nichts  mehr  von  B,  sondern  1049,  d.  h.  die  folgende 
blattseite  fängt  damit  an,  es  ist  kein  neuer  bogen,  sondern  die  zweite  hälfte  des 
bogens  66. 

Da  auf  der  letzten  seite  (1047—48)  leerer  räum  ist,  kann  der  setzer  einige 
Zusätze  einschalten,  obgleich  es  ihn  bemühen  wird. 

Sobald  ich  kann  sende  ich  neues  manuscript.  es  ist  gerade  im  eingang  des  B 
allerhand  schweres  vorzubringen,  das  ich  nicht  gern  anbeisze;  hernach  geht  es  leichter. 

Dieterichs  frau,  das  arme  Jettchen,  soll  unrettbar  verloren  sein,  es  thut  uns 
allen  sehr  leid.  .  ,  , 

Von  andern  mündlich,  wenn  Sie  diesen  monat  noch  hierher  kommen. 

montag  den  11  jan.  1853.  Ihr  Jac.  Grimm. 

37.  Lieber  freund, 

ich  sende,  damit  wir  endlich  aus  der  unangenehmen  Unterbrechung  kommen, 
manuscript  2007-2066. 

besteht  der  drucker  immer  noch  darauf,  dasz  auf  spalte  1047.  48  auch  der 
anfang  von  B  komme,  so  scheint  mir  besser,  dasz  man  A  auf  spalte  1047  auslaufen 
und  B  auf  1048  beginnen  lasse,   dadurch  wird  dem  übelstand  in  den  rubriken  gesteuert. 

Durch  den  Wiederabdruck  der  geschichte  der  deutschen  spräche  wird  mir  die 
angenehme  hofnung  verdorben,  das  werk  ansehnlich,  wie  ich  könnte,  zu  verbessern, 
denn  in  der  berechnung  eines  schnellen  absatzes  dieser  unverbesserten  zweiten 
aufläge  könnten  Sie  sich  teuschen ;  möglicherweise  blieben  meine  gesammelten 
collectaneen  für  immer  verloren,  auch  ist  zu  bedenken,  dasz  eine  zweckmiiszlge 
Umarbeitung  nochmals  einen  groszen  theil  der  vorigen  käufer  anziehn  würde,  denen 
mit  dem  bloszen  wiederdruck  nicht  gedient  ist.  ich  würde  diesen  sommer  die  abend- 
stunden  dazu  verwenden,  ein  planiertes  exemplar  zu  corrigieren  und  zu  vermehren, 
auch  hin  und  wieder  zu  mindern,  überlegen  Sie  daher  nochmals  bevor  Sie  be- 
ginnen, denn  beginnen  Sie,  so  gebe  ich  nach  und  ziehe  mich  jetzt  zurück. 

Gervinus  wird  heute  den  kämpf  siegreich  bestanden  haben '. 

28  jan.  1853.  Ihr  Jac.  Gr. 

1)  Vgl.  brief Wechsel  Grimm-Dahlmann- Gervinus  2,  119. 


70  LEITZMANN 

38.  Hierbei  manuscript  2111—2184,  was  mehr  als  zwei  bogen  gibt,  für  den 
Bobrik '  und  VoUmann  danke  ich,  der  letzte  ist  interessant,  aus  Bobrik,  fürchte  ich 
und  wünsche  ich,  wird  wenig  aufzunehmen  sein. 

montag  28.  febr.  [1853]  Jac.  Gr. 

39.  ich  frage  nach  einem  unanständigen  wort,  das  man  in  den  Wörterbüchern 
vergeblich  sucht,  das  aber  im  gröszten  theile  Deutschlands  gilt,  dessen  ausbreitung 
ich  erfahren  möchte  .  .  .  der  kalte  bauer-. 

[1853] 

40.  Hierbei  manuscript  2185—2244,  was  beinahe  den  bogen  74  füllen  wird,  das 
übrige  soll  bald  folgen,  ich  danke  schön  für  den  zusatz  aus  Atta  Troll,  der  mir 
willkommen  war.  die  recension  des  Lanzelet  folgt  zurück.  Sie  hatten  mich  dadurch 
zu  einem  einschiebsei  über  barlaufen  verführt,  das  besser  zu  spalte  1140  verarbeitet 
worden  wäre,  doch  habe  ich  nun  hier  darauf  bezug  genommen  und  es  dient  auch 
für  den  ersten  anlauf  wenn  man  barlaufen  aufschlägt,  nur  wäre  spalte  1134,  wenns 
geht,  beizufügen  s.  harre  3.  Die  meistentheils  erfundnen  oder  falsch  angewandten 
turnwörter  bei  Jahn  vermeide  ich  möglichst. 

Sonnabend  nachmittag  [1853] 

41.  Lieber  freund, 

die  beendiguDg  des  fünften  hefts  unterliegt  keinem  zweifei  und  was  noch  an 
manuscript  abgeht,  soll  und  kann  gesandt  werden,  sobald  Sie  es  fordern.  Sie  sind 
besorgt  wegen  der  ausdehnung  des  buchstaben  B,  und  werden  sich  bei  der  nächsten 
lieferung  schon  beruhigen,  ich  fasse  mich  ao  kurz  es  nur  geht,  doch  sind  mehr 
etymologien  nöthig  als  im  A,  wo  sie  bei  den  Zusammensetzungen  mit  ab  an  auf  aus 
unpassend  gewesen  wären ;  auch  hat  sich  der  Vorrat  des  materials  durch  viele  seit- 
dem eingelaufene  beitrage  für  B  allerdings  verstärkt,  es  wird  aber  lange  nicht 
alles  zugelassen. 

Warum  aber  enthalten  Sie  die  aushängebogen  vor?  ich  habe  nur  bis  65  ind. 
und  bin  begierig  zu  sehn,  wie  sich  manche  einschaltungen  gemacht  haben. 

Ein  kleines  Unglück  musz  ich  berichten,  das  eine  der  Ihnen  gehörigen  jagd- 
bücher,  das  von  Göchhausen,  alten  weidmannischen  verlags  ist  mir  seit  einigen 
monaten  unter  den  bänden  weggekommen  und  alles  suchen  danach  hilft  nicht, 
es  musz  mir  aus  der  stube  entwendet  worden  sein.  Sollte  es  sich  noch  einmal  in 
maculatur  finden,  so  gäbe  es  wol  Reimer  her  (dem  ich  für  die  gesandten  auszüge 
schönstens  danke)?  ich  hatte  gerade  etwas  darin  nachzuschlagen,  worüber  mich 
Döbel  und  Tänzer  unaufgeklärt  lassen. 

Da  Sie  mir  herrn  Köhler  auf  den  hals  geschickt  haben,  müssen  Sie  auch  nun 
die  einlage  an  ihn  besorgen. 

Düntzer  läszt  ja  allen  groll  fahren,  dasz  er  Ihnen  ein  werk  über  Göthe 
anbietet. 

mittwoch  23  merz  [1853]  Ihr  Jac.  Gr. 

42.  Hierbei  folgt  p.  2245—2294,  was  über  bogen  75  hiuausreicht. 

29  merz  [1853].  J.  Gr. 

1)  Nautisches  Wörterbuch,  Leipzig  18öO, 

2)  Vgl.  Wörterbuch  1, 1176. 


AUSZÜGE  AUS  BRIEFEN  DER  BRÜDER  GRIMM  AN   SALOMON  HIRZEL  71 

43.  Lieber  Hirzel, 

Sie  haben  wort  gehalten,  meine  neugeborne  fünfte  tochter  ist  heute  morgen  hier 
eingetroffen;  dasz  Sie  A  und  B,  nach  dem  S,  für  die  stärksten  buchstaben  des 
deutschen  alphabets  erklären,  scheint  mir  aber  eine  kühne  annähme,  die  demnächst 
durch  V  und  W  widerlegt  werden  kann;  vorläufig  mag  es  zur  beruhigung  des 
publicums  dienen,  diesem  zu  sagen,  dasz  in  den  ersten  band  nothwendig  auch  die 
vorrede  gehört,  wäre  vielleicht  gut  gewesen,  wir  wollen  sehen,  ob  auszer  ihr  noch  C 
hinein  kommen  wird. 

Auch  Ihre  früheren  Sendungen  sind  in  meinen  bänden  und  ich  danke.  Göch- 
hausen  ist  aber  nicht  der  verlorne,  welcher  in  quart  war  und  bilder  hatte,  für  unsern 
zweck  verschlägt  es  nichts. 

Hier  folgt  manuscript  2357—2456,  genau  hundert  Seiten,  ich  wünsche  glück- 
liche messe,  und  dasz  sie  von  vielen  abnehmern  des  Wörterbuchs  gebaut  werden  möge. 

am  20  apr.  1853  Ihr  Jac.  Grimm. 

44.  Lieber  Hirzel, 

mit  der  zurückgehenden  correctur  82a  sende  ich  manuscript  2493—2558.  zugleich 
empfangen  Sie  Kühnes  Europa  no  39,  worin  der  artikel  über  unser  Wörterbuch  keinen 
heller  werth  ist.  dagegen  hat  mich  Fleglers '  anzeige  erfi-eut,  ich  kann  doch 
das  heft  behalten?  weil  ich  es  demnächst  bei  abfassung  der  vorrede  brauchen  musz. 

Wahrscheinlich  ist  das  mir  fehlende  heft  von  Kehrein  nicht  zu  erlangen, 
sonst  hätten  Sie  es  mir  angeschaft.  das  schreckt  mich  nicht  ab,  Sie  um  eine  andere 
gefälligkeit  zu  ersuchen,  in  der  dortigen  handelsschule  ist  neulich  ein  programm 
erschienen  C.  H.  Monicke  notes  and  queries  on  the  Ormulum^,  das  ich  haben  möchte. 

Hermann  schickt  Ihnen  seinen  Demetrius  ^,  aber  mit  der  bitte,  niemand 
davon  zu  sagen,  das  stück  soll  erst,  wie  er  denkt,  aufgeführt  werden,  eh  es  als 
buch  erscheint;  ich  glaube  dasz  die  leute,  wie  sonst  bei  trauerspielen,  nicht  bis 
eilf  uhr  aufgehalten  werden. 

Dank  für  Ihre  ■\villkommnen  nachtrage 

dienstag  31  mai  [1853]  Jac.  Gr. 

45.  L.  H.  ich  sende  hierbei  2701—26,  welches  für  die  lieferung  ausreichen  wird, 
obenstehendes  *  lassen  Sie  doch  auf  den  Umschlag  setzen,  der  artikel  bandhüter  war 
eine  dummheit,  zu  der  mich  ein  secerpt  aus  Schlegels  Shakespear  verleitete.  [Fehler 
im  abdruck.]  glücklicherweise  kleinigkeiten,  doch  das  äuge  beleidigend,  ein  exemplar 
bitte  ich  von  nun  an  auch  an  professor  Gervinus  nach  Heidelberg  abzusenden  (die 
früheren  hefte  hatte  ich  ihm  selbst  geschickt),  folglich  eins  weniger  hierher  zu  senden. 

[1853] 

46.  Lieber  freund, 

ich  danke  für  den  nachweis  der  beiden  stellen  und  habe  auf  beifolgendem  zettel 
angegeben,  wie  verfahren  werden  musz,  um  sie  noch  einzuschalten.  .  .  . 

6  juli  1853.  Ihr  .Tac.  Gr. 

1)  Alexander  Flegler,    dozent  der  geschichte  in  Zürich,   dann  archivvorstand 
des  germanischen  museums  in  Nürnberg. 

2)  Leipzig  1853. 

3)  Leipzig  1854. 

4)  Vgl.  Kleinere  Schriften  8,  543. 


72  LEITZMANN 

47.  Sonnabend  9  juli  [1853] 

L.  H.  sobald  der  bogen  90  durchgesehn  ist  (das  manuscript  reichte,  da  Sie 
nichts  bemerkt  haben,  sonst  hätten  leicht  ein  paar  blätter  mehr  gesandt  werden 
können)  geht  meine  reise  über  Basel,  Bern,  Genf  nach  Lyon  und  Marseille;  haben 
Sie  mir  noch  rathschläge  zu  geben,  so  thun  Sies  umgehend,  vier  wochen  werde  ich 
ausbleiben,  wenn  mir  nichts  zustöszt. 

.  .  .  Über  den  heute  eingetroffenen  bogen  85  können  Sie  wieder  bei  Hirschfeld 
lärm  schlagen.    [Stehengebliebene  druckfehler,  nachtrag.] 

Bleiben  Sie  gesund  und  vergnügt,  soll  ich  Ihnen  einmal  von  unterwegs 
schreiben  ? 

die  fertige  sechste  lieferung  heben  Sie  mir  dort  auf  bis  ich  heimkomme, 
denn  Wilhelm  reist  auch  auf  länger  fort,  Dortchen  ist  schon  fort. 

48.  Marseille  24  juli  1853. 
Lieber  freund,  ich  halte  mein  versprechen  Ihnen  einmal  von  meiner  reise  aus 

zu  schreiben,  sie  ist  bisher  ganz  glücklich  vonstatten  gegangen,  zu  Basel  empfieng 
mich,  von  Ihnen  aufgefordert,  Wackernagel  aufs  freundschaftlichste,  es  war  um  ein 
paar  tage  geschehn,  so  hätte  ich  ihn  wieder  verfehlt,  denn  er  stand  im  begrif  mit 
sack  und  pack  nach  dem  landgut  seiner  Schwiegermutter,  ich  glaube  im  canton 
Solothurn  gelegen,  abzureisen.  Zu  Bern  wohnte  ich  im  Distelzwang',  der  Ihnen 
ohne  zweifei  bekannt  ist.  der  weg  von  da  nach  Vevey  führt  durch  prächtige  felsen 
des  Münsterthals,  Friburg  gefiel  mir,  doch  nichts  geht  über  die  reizende  läge  von 
Vevey,  wo  ein  sehr  gutes  gasthaus  ist.  Auf  dem  see  fuhr  ich  nach  Genf,  dessen 
Umgebung  hinter  der  von  Vevey  zurück  bleibt.  Die  diligence  von  Genf  nach  Lyon 
ist  unbequem.  Von  Lyon  hatte  ich  geringere  Vorstellung,  die  Stadt  ist  nicht  nur 
grosz,  sondern  auch  an  den  quais  oft  anmutig  und  gefällig.  Auf  der  Rhone,  die 
breiter  als  der  Rhein  ist,  aber  nicht  so  schön  flieszt,  fährt  man  im  dampfscbif  schnell 
herab  bis  Avignon,  das  schif  war  übervoll,  hauptsächlich  von  kaufleuten,  die  nach 
Beaucaire,  dem  französischen  Leipzig  giengen  und  alle  bequemlichkeiten  immer  vor- 
weg nahmen,  sodasz  mau  sich  in  dem  gedränge  nicht  wol  befand,  eine  büchermesse 
ist  aber  zu  Beaucaire  nicht.  Avignon,  Montpellier,  Nimes  sind  lauter  ansehnliche 
und  sehenswerthe  städte,  Nimes  zumal,  bei  dem  unumwölkten  himmel  ist  die  luft 
heisz  und  schwül  und  grosze  plage  von  stechenden  mucken.  Auf  den  eisenbahnen 
aber  mäszigt  ein  kühlender  luftzug.  Sie  haben  keine  Vorstellung  davon,  wie  man 
bei  der  ankunft  zu  Marseille  im  bahnhof  aufgehalten  wird,  ich  rathe  jedem  fremden, 
womöglich,  dieser  Stadt  auszuweichen,  denn  wenn  man  endlich  seinen  koffer  hat, 
kann  man  damit  nicht  fort,  sondern  musz  endlose  enregistremens  abwarten,  ich 
konnte  erst  eine  stunde  nachher  den  gasthof  erreichen. 

Heute  verweile  ich  ungern  hier,  weil  erst  morgen  ein  schif  nach  Genua,  das 
mich  aufnehmen  wird,  abgeht.  Von  Genua  reise  ich  über  Mailand  nach  Venedig 
und  Triest. 

Grüszen  Sie  Ihre  gute  frau. 

Jacob  Grimm. 

49.  Berlin  11  aug.  1853 
Lieber  freund,   ich  halte  wort  und  bin  wieder  da.     ich  habe  den  Rhein,   die 

Rhone,   den  Po,   die  Etsch,   Donau  und  Elbe,   auch  das  meer  zweimal  passiert,  bin 

1)  Vgl.  Wörterbuch  2,  1197. 


AUSZÜGE   AUS   BRIEFEN   DER   BRÜDER   GRIMM   AN    SALOMON   HIRZEL  73 

Über  Marseille  (wo  ich  einige  zeilen  an  Sie  in  den  briefkasten  warf),  Genua,  Mailand, 
Verona,  Venedig,  Triest,  Graz,  Brück,  Salzburg,  Ischl,  Linz,  Budweis,  Prag,  Dresden 
zurück  gereist;  Sie  werden  mir  einräumen,  dasz  ich  den  angesetzten  monat  tapfer 
angewandt  habe.  Den  andern  allen  ists  nicht  so  gut  ergangen,  sie  sind  noch  nicht 
am  Rhein,  sondern  Dortchen  wurde  zu  Marburg  krank  und  im  guten  fall  werden 
sie  erst  ende  dieser  woche  nach  ihrem  bestimmungsort  weiter  vomicken.  Zum  glück 
erfuhr  ich  die  künde,  die  mich  auf  der  reise  sehr  beunruhigt  oder  früher  zurück- 
geführt hätte,  erst  in  Salzburg,  zugleich  mit  der  nachricht  yon  eingetretener  besserung. 

Hier  hat  es  mich  betrübt  zu  hören,  dasz  Jettchen  Reimer  nun  doch  dahin  ist. 
die  arme  mutter. 

Nun  solls  wieder  angehn.  Hermann  erzählt  mir,  dasz  beide  hunde,  Sander 
und  Wurm,  von  neuem  gebollen  haben,  gelesen  hab  ichs  noch  nicht. 

«  Ihr  Jac.  Gr. 

50.  Ich  will  wieder  frucht  auf  die  müle  schütten,  und  schicke  hierbei  p.  2,121 
—2830.  Sanders  zweites  heft*  habe  ich  durchgesehen,  es  sind  lauter  kleinliche, 
feindselig  vorgetragne,  aber  fleiszige  beitrage,  die  willkommen  und  brauchbar  ge- 
wesen wären,  hätte  er  sie  vor  dem  druck  liebreich  mitgetheilt.  Jetzt  mag  der 
gehässige  mensch  zum  teufel  gehn,  und  keinen  dank  dafür  haben,  wenn  man  etwas 
in  Zukunft  aus  ihm  gebrauchen  kann,  offenbar  aber  hat  ihn -dieser  hasz  erst  zur 
arbeit  befähigt,  sonst  hätte  ihm  nichts  zu  gebot  gestanden.  Solch  ein  wesen  ist  zum 
glück  den  meisten  menschen,   und  vor  allen  Ihnen,   von  grundaus   entgegengesetzt. 

16  aug.  1853.  •  Ihr  Jac.  Gr. 

51.  Lieber  Hirzel, 

der  Sanders  ist  ein  Schmeichler  gegen  den  Wurm''',  dessen  freche  und  übermütige 
Impertinenz  alles  hinter  sich  läszt.  er  bildet  sich  ernstlich  ein,  durch  seine  kritik 
das  Wörterbuch  zu  gründe  gerichtet  zu  haben,  und  bereitet  sich  vor,  ihm  durch 
einen  wiederholten  schlag  den  letzten  stosz  zu  versetzen.  Ich  mag  mich,  wenigstens 
jetzt  noch,  nicht  mit  ihm  einlassen,  gut  geschienen  aber  hätte  mir,  wenn  Zarnke 
die  derbe  lüge,  dasz  die  recension  im  centralblatt  von  mir  herrühre,  abgefertigt 
hätte.     Das  niederträchtigste  ist,   dasz  er  s.  15  mich  sucht  politisch  anzuschwärzen. 

Ich  weisz  kein  beispiei  sonst,  dasz  ein  niemand  beleidigendes,  niemand  an- 
greifendes vaterländisches  werk,  das  auf  den  ersten  blick  so  viel  neues  und  einen 
reichthum  von  Wörtern  bringt,  die  man  noch  nicht  gehört  hatte,  gleich  bei  seinem 
beginn  so  gelästert  und  verfolgt  wird. 

Es  wäre  gut,  dasz  ein  kundiger,  bewanderter  mann  diesen  pamphleten  etwas 
entgegenstellte,     die  hauptgesichtspuncte  dabei  wären, 

1)  zu  zeigen,  dasz  Adelung,  den  sie  jetzt  als  classisches  muster  anpreisen,  in 
unzähligen  stücken  geirrt  hat  und  jetzt  schlagende  Verbesserung  erfährt. 

2)  dasz  nicht  nur  die  heutigen  schriftsteiler  wie  Göthe,  Schiller,  Lessing  usw. 
zuerst  in  reicher  Stellenauswahl  vorgeführt  werden,  sondern  dies  noch  mehr 
in  bezug  auf  Luther,  Keisersberg,  Fischart  pp  gilt,  deren  wortreichthum 
bisher  völlig  ungekannt  war. 

1)  Das  deutsche  Wörterbuch  von  Jakob  und  Wilhelm  Grimm,  kritisch  beleuchtet, 
Hamburg  1853. 

2)  Beleuchtung  der  5.  lieferung  des  deutschen  Wörterbuchs,   München  1853. 


74  LEITZMANN 

3)  (lasz  überall  die  Wörter  grammatisch  scliarf  aufgestellt  und  vom  standpunct 
der  heutigen  philologie  ihnen  etymologien  beigefügt  werden,  die  im  gegensatz 
zu  den  alten,  falschen  mindestens  durch  ihre  frische  und  neuheit,  wo  nicht 
befriedigen,  doch  anziehen. 

4)  dasz  in  der  auswahl  der  belege  und  in  den  erörterungen  auf  poesie  und 
Volksgebrauch  geachtet  und  dadurch  dem  Wörterbuch  seine  trockenheit  be- 
nommen wird. 

Dies  alles  mit  schlagenden  aber  reichen  beispielen  darzulegen  ist  aus  den  er- 
schienenen sechs  lieferungen  nicht  schwer  und  musz  jenen  burschen  das  schamlose 
maul  stopfen. 

Dasz  aus  dem  meer  von  Wörtern,  aus  der  ungeheuren  masse  von  büchern 
nicht  alle  Wörter  gewonnen  sind,  liegt  in  der  natur  der  sache.  greife  man  nach 
irgend  einem  band  Göthes  oder  Lessings  und  lese  ihn  genau  mit  rücksicht  auf  a 
und  b  durch,  so  wird  sich  mangelndes  und  ausgelassenes  ergeben;  und  wie  viele 
bücher  und  schriftsteiler  sind  gar  nicht  gelesen  und  ausgezogen  worden!  auch 
soll  ja  nicht  die  ganze  literatur  ins  Wörterbuch  eingetragen  werden,  nur  gestrebt, 
dasz  nichts  wesentliches  entgehe. 

Beide  Sanders  und  Wurm  ziehen  alles  was  sie  wissen  und  hervorbringen, 
blosz  aus  der  neuen  spräche,  verstehn  von  der  alten  und  älteren  nichts,  und  würden 
den  ärgsten  irrthüraern  anheimfallen,  sollten  sie  eigne  artikel  liefern. 

Im  punct  der  Orthographie  und  der  äuszeren  einrichtung  musz  meine  vorrede 
ahgewartet  werden. 

19.  aug.  1853.  Ihr  Jac.  Gr.  ■ 

52.       Lieber  freund, 

ich  danke  für  die  schönen  geschenke.  Da  Sie  mir  früher  einmal  gesagt  hatten,  auf 
Wurms  erstes  pamphlet '  sei  gleich  ein  häufe  bestellungen  nach  Nürnberg  rückgängig 
gemacht  worden;  so  glaubte  ich,  ähnliche  nachtheile  fürchtend,  es  sei  jetzt  an  der 
zeit,  diesen  schändlichen  leuten  ordentlich  zu  leibe  zu  gehn,  und  sie  durch  eine 
wahrhafte  darlegung  des  Sachverhalts  zum  schweigen  zu  bringen.  Die  bisher  vor- 
gekommnen  günstigen  beurtheilungen  reden  alle  zu  allgemein,  ohne  auf  das  bündig 
einzugehn,  was  durch  das  Wörterbuch  gegenüber  den  älteren  arbeiten  gewonnen  und 
erreicht  wird,  das  würde  den  schreiern  auf  einmal  das  maul  stopfen.  Indessen 
raüste  es  mit  groszer  sachkunde  und  umsieht  geschrieben  werden  und  ich  weisz 
nicht  wer  es  schreiben  sollte.  Mit  der  zeit  wird  die  sache  von  selbst  durch  ihre 
innere  gewalt  vortreten  und  dann  die  lüge  verstummen.  Meinetwegen  also  mag 
nichts  geschehn,  ich  erhalte  ohnedem  in  der  vorrede  gelegenheit  mich  über  wesent- 
liche puncte  auszusprechen.  Was  Häuser"  sagen  wird,  kann  zwar  gut  sein,  wird 
aber  doch  nichts  helfen,  er  ist  übrigens  seit  einigen  wochen  hier,  um  das  archiv 
zu  benutzen,  als  er  mich  besuchte,  kam  die  rede  gar  nicht  aufs  Wörterbuch  und 
ich  mochte  natürlich  jene  sache  nicht  berühren. 

Lesen  Sie  doch  einmal   einliegenden  brief.      dieser   Candidus^   ist    ein    nach 
Lothringen  verschlagner  Elsäszer,  eigentlich  Weisz  geheiszen,  ein  begabter  mensch, 

1)  Zur  baurteilung  des  deutschen  Wörterbuchs  von  Jakob  und  Wilhelm  Grimm, 
München  1852.  * 

2)  Ludwig  Häusser  (1818—67),  professor  der  geschichte  in  Heidelberg. 

3)  Karl  August  Candidus  (1817-72),   lehrer   in    Markirch,   dann  1846-58   in 
Nancy,  seitdem  in  Odessa. 


AUSZÜGE   AUS   BRIEFEN   DER   BRÜDER   GRIMM   AN    SALOMON   HIRZEL  75 

von  deutscher  gesinnung  und  voll  treuer  anhänglichkeit  an  uns  und  unsere  literatur. 
Er  hat  eine  Messiade  gedichtet  *,  auf  die  er,  wie  sein  schreiben  an  mich  zeigt, 
grosze  stücke  hält.  Ich  will  Ihnen  nun  nicht  rathen  das  gedieht  in  verlag  zu  nehmen, 
der  gegenständ  seheint  mir  schwierig  und  bedenklich;  doch  wäre  es  kein  groszes 
Wagnis,  da  die  2000  verse  etwa  nur  8—10  bogen  füllen  würden,  auf  jeden  fall 
müste  er  das  manuscript  vorher  einsenden,  dann  wüchse  vielleicht  Ihre  lust  und  ich 
könnte  bestimmter  zurathen,  würde  auch  gern,  wie  er  wünscht,  ein  vorwort  bei- 
fügen ^,     Sie  dürfen  aber  auch  rund  die  sache  von  der  band  weisen. 

Ist  denn  Ihr  söhn  von  seiner  ersten  Schweizerreise  glücklich  heimgekehrt? 
Dortchen  erholt  sich  zu  Breitbach  langsam,  Wilhelm  ist  in  diesen  tagen  zu  Bonn 
gewesen.  Dahlmann,  beide  Gervinus,  und  Fallenstein  reisen  im  Berner  Oberland, 
Tirol  und  durch  Baiern  zurück. 

mittwoch  den  letzten  august  1853.  Ihr  Jac.  Gr. 

Göthes  briefwechsel  mit  der  Lotte  soll  jetzt  wirklich  bei  Cotta  gedruckt 
werden  ^ ;  das  buch  hätte  ich  Ihnen  lieber  gegönnt,  es  musz  alsbald  noch  fürs 
Wörterbuch  ausgezogen  werden. 

53.  [Berichtigung  einer  stelle  im  Wörterbuch.] 

Die  leute  sind  toll,  wenn  sie  meinen,  dasz  ich  gerade  ihnen  Verleger  suchen 
müsse,  den  tag  nachdem  ich  jenen  brief  von  Candidus  empfangen  hatte,  kam  ein 
andrer  meines  alten  freundes  Wigand,  der  preuszische  rechtsalterthümer  oder  so 
etwas  fertig  hat*,  zum  spasz  lege  ich  ihn  bei,  ohne  im  mindesten  dazu  zu  rathen. 
Von  Oandidus  habe  ich  schon  wieder  autwort  (briefe  aus  Nancy  kommen  unglaublich 
jetzt  in  einem  tage  hier  an);  Sie  sehen  es  ist  ein  guter  mensch,  ich  habe  ihm 
noch  keine  hofnung  gemacht  und  Ihren  namen  noch  nicht  genannt,  nur  geschrieben, 
er  solle  mir  sein  manuscript  schicken. 

samstag  10  sept.  [1853]  Jac.  Gr. 

54.  [Nachträglicher  beleg  aus  Goethe  zu  bescheiden,  am  rand  Hirzels  Stellen- 
nachweis, Wörterbuch  1,  1556.] 

Auch  wünsche  ich  spalte  1560  statt  des  nachgetragnen  studentischen  schissier 
lieber  die  deutsche  form  schisser  gesetzt,  also  das  i  getilgt. 
[Wegen  krankheit  von  Haupts  frau.] 
donnerstag  [1853].  Gr. 

55.  ■        Berlin  U  oct.  1853. 
Wünschen  Sie  mir  glück,  liebster  Hirzel,  zum  hundertsten  bogen.  Gott  wird  auch 

weiter  helfen ;  ich  habe  das  manuscript  zum  7  heft  fast  fertig  und  kann  es  schicken. 

Haupt  erzählte  mir  von  groszer  schwulität,  in  der  das  Webersche  unter- 
nehmen *  bereits,  und  höchst  verdienter  maszen,  stecke. 

Sobald  die  geschichte  der  deutschen  spräche  versendbar  wird,   bitte   ich,   in 

1)  Der  deutsche  Christus,  Leipzig  1854. 

2)  Kleinere  Schriften  8,  390. 

3)  Goethe  und  Werther,  Stuttgart  und  Tübingen  1854. 

4)  Denkwürdigkeiten  für  die  Staats-  und  rechtswissenschaft,  für  rechtsalter- 
tümer,  sitten  und  gewohnheiten  des  mittelalters,  Leipzig  1854. 

5)  Sanders  wollte  sein  Wörterbuch  anfangs  bei  Weber  in  Leipzig  erscheinen 
lassen,  überwarf  sich  aber  mit  diesem  und  wandte  sich  an  Otto  Wigand. 


76  LEITZMANN 

meinem  namen,  ein  exemplar  an  Gerviuus  gelangen  zu  lassen '.  auch  sonst  zu 
geschenken  hätte  ich  gern  eine  mäszige  anzahl. 

[Nachtrag  zu  heschmitzen  spalte  1585  aus  Spees  Trutznachtigall]  da  sonst  aus 
diesem  dichter,  weil  er  oft  zu  läppisch  ist,  nicht  viel  aufgenommen  wurde,  talent 
besasz  er  dennoch.  Ich  merke,  dasz  Sie  nun  auch  den  Schillerband  von  1840 
besitzen.  Der  neue  Lessing  ist  hübsch  gedruckt,  ich  kaufe  ihn  aber  nicht,  weil 
doch  nach  Lachmann  citiert  werden  musz.  Jac.  Gr. 

56.  Montag  17  oct.  1853. 
Lieber   freund,   unsere    letzten    briefe    und    gedanken    haben    sich    gekreuzt. 

Wenn  Sie  pakete  an  mich  expedieren  lassen,  bitte  ich  zu  sorgen,  dasz  auszer  der 
strasze  auch  die  hausnummer  7  ausgedrückt  werde,  weil  sonst  die  pakete  nicht 
gebracht  werden,  sondern  zu  holen  sind.  .  .  . 

Nun  sage  ich  herzlich  dank  für  das  schön  gebundne  exemplar  und  für  die 
besorgung  an  Gervinus.  von  der  eintheilung  des  buchs  in  zwei  hälften  hätte  besser 
ganz  abgegangen  werden  sollen,  sie  geschah  das  vorigemal  nur  weil  der  band  zu 
dick  wurde,  jetzt  erscheinen  beide  bände  zu  dünn  und  es  werden,  da  die  Seiten- 
zahlen fortlaufen,  unnöthige  citate  von  band  1  und  2  veranlaszt.  beim  register 
hätten,  da  sie  doch  neben  stehen,  die  alten  Seitenzahlen  genommen  werden  sollen, 
mit  dem  honorar  halten  Sie  es  doch  ganz  nach  Ihrer  bequemlichkeit. 

Der  druckfehler  augenbehalten  ist  ein  leidlicher ;  ich  war  beim  niederschreiben 
der  wenigen  worte  unschlüssig,  ob  ich  nicht  dankbar  erwähnen  solle,  dasz  ein  von 
Hildebrand  verfasztes  register  der  neuen  aufläge  einigen  werth  verleihe,  ich  werde 
aber  in  der  vorrede  zum  Wörterbuch  bessern  anlasz  finden,  seines  Verdienstes  um 
mich  zu  erwähnen.  Grüszen  Sie  ihn  von  mir,  und  seine  bemerkungen  zum  letzten 
bogen  seien  begründet  gewesen  und  gebraucht  worden. 

Das  heute  abgegangene  manuscript  reicht  bis  zum  wort  besuchen  und  wird, 
meine  ich,  das  heft  ausfüllen,  widrigenfalls  noch  einige  blätter  nachfolgen  sollen. 
Die  meinigen  sind  immer  noch  nicht  vom  Rhein  zurück,  weil  Dortchen  einen  bösen 
husten  bekommen  hatte,  der  vor  dem  antritt  der  reise  weichen  soll. 

Ihr  Jac.  Gr. 

57.  Lieber  Hirzel,  das  übersandte  blatt  aus  der  schulzeitung  enthält  nichts  als 
erbärmliches,  wenn  schon  wol  meinendes  gewäsch,  ohne  alle  ahnung  von  dem  was 
zu  sagen  nöthig  wäre,  diese  leute  verdienen  das  freie  exemplar  nicht  und  ich 
rathe  es  einzuziehen. 

Von   den   mir  noch   zugedachten    exemplaren   der   geschichte   der   deutschen 
spräche  bitte  ich  in   meinem  namen   nach  Euszland  unter  folgenden  adressen  zu 
versenden  (Brockhaus  steht  in  lebhaftem  verkehr  mit  Helsingfors) : 
eins  an  die  Finnische  Literaturgesellschaft  zu  Helsingfors, 
eins  an  die  ehstländische  literarische  Gesellschaft  zu  Reval, 
und  ferner  eins  an  die 

Kongl.    Vitterheds,  Historie  och  Antiqtiitets  Academie  zu  Stockholm, 
Für  Simrocks  Walther  ^,  der  mir  eben  auch  seine  deutsche  mythologie^  schickt 

1)  Das  buch  ist  ihm  gewidmet. 

2)  Zuerst  Berlin  1833. 

3)  Handbuch  der  deutschen  mythologie,  Bonn  1853—55. 


AUSZÜGE   AUS    BRIEFEN   DER   BRÜDER   GRIMM   AN   SALOMON   HIRZEL.  77 

und  oifenbar  zuviel  schreibt,  schönsten  dank.  Dortchens  husten,  der  die  heimreise 
immer  aufhält,  macht  mir  sorgen. 

freitag  21  octob.  1853.  Stets  Ihr  Jac.  Gr. 

58.  31  octob.  [1858] 
[Dankt  für  sechs  exemplare  der  Geschichte  der  deutschen  spräche.] 

Die  grenzboten  folgen  mit  dank  zurück,  sowie  die  schulzeitung  und  das 
Bremer  sonntagsblatt.  .  .  .  statt  dasz  der  berichterstatter  über  das  Wörterbuch  selbst 
redete,  spricht  er  von  Sanders ! 

Obgleich  Sie  kein  manuscript  begehren,  übersende  ich  hierbei  fürs  achte  heft 
pag.  3175—3252,  worin  viel  hübsche  Sachen  vorkommen. 

Noch  immer  ist  mein  bruder  und  die  Schwägerin  nicht  zurück,  müssen  aber 
nun  alle  tage  eintreffen.  Ihr  Jac.  Gr. 

59.  Lieber  freund, 

Candidus  hat  mir  seine  dichtung  nun  übersandt.  ich  finde  meine  erwartung 
noch  übertroffen,  es  ist  reine  und  innige  poesie,  die  wie  ich  glaube  auf  die  leser 
eindruck  machen  wird  und  durch  ihre  gedankenvolle  Schwärmerei  rühren,  würde 
das  büchlein  zu  Weihnachten  dem  publicum  geboten,  so  müste  es  wol  abgang  finden, 
falls  Sie  noch  entschlossen  sind  es  zu  verlegen  und  dem  Verfasser  schreiben  wollen, 
so  ist  dessen  adresse  ä  Mr.  Candidus  pastenr  protestant  ä  Nana/,  er  schreibt  kein 
wort  von  honorar,  ich  halte  dafür,  es  liegt  ihm  nicht  daran  und  er  sehnt  sich  blosz 
das  werk  der  weit  zu  übergeben,  betrachten  Sie  sich  das  manuscript  und  melden 
mir  Ihren  entschlusz.  gefragt  werden  müste  er  auch  nach  den  anmerkungen,  deren 
gedacht  wird,  die  aber  nicht  beiliegen,  vielleicht  nur  eine  oder  einige  selten,  eine 
versprochene  kurze  vorrede  würde  ich  gern  liefern. 

den  11  nov.  1853.  -  Jac.  Grimm. 

60.  Lieber  Hirzel,  ich  danke  Ihnen,  dasz  Sie  an  Candidus  geschrieben  haben, 
kommt  die  sache  zustand,  so  bin  ich  es,  der  Ihnen  für  allen  schaden  haftet,  der 
daraus  entspringen  könnte,  weil  Sie  nur  mir  zu  gefallen  sich  darauf  eingelassen  haben. 

[Berichtigung  zu  betriegfen  Wörterbuch  1,  1714.] 

Es  ist  schön  dasz  Sie  so  genau  und  glücklich  aufpassen,  die  briete  an  Lotte 
lesen  Sie  schon. 

Samstag  morgen  [20.  november  1853]  Ihr  Jac.  Gr. 

61.  Lieber  freund, 

anfangs  dachte  ich,  die  drei  ersten  bucbstaben  ABC  in  den  ersten  band  zu  bringen, 
sehe  aber  immer  deutlicher  ein,  dasz  es  sich  nicht  thun  lassen  wird.  A  und  B 
halten  sich  ungefähr  das  gleichgewicht,  und  A  hat  4'/3  lieferungen  gefüllt,  allein 
die  erste,  wo  ich  noch  nicht  recht  in  die  arbeit  eingeschossen  war,  behandelt 
manche  artikel  zu  kurz,  und  A  würde  jetzt,  wenn  noch  einmal  augefangen  würde, 
mindestens  4'/2  einnehmen,  woraus  folgt,  dasz  B  erst  mit  lieferung  9  schlieszen 
kann,  C  nebst  vorrede  und  quellenverzeichnis  noch  die  zehnte  lieferung  fordert, 
zehn  lieferungen  geben  einen  band  von  1200  selten,  was  ihn,  so  dünn  das  papier 
ist,  doch  zu  sehr  anschwellt,  kaum  wird  es  auch  möglich  sein  lieferung  8.  9.  10 
zur  ostermesse  zu  stellen. 

Überlegen  Sie  also,  und  ziehen  Sie  auch  Reimer,  der  dem  Wörterbuch  seine 
alte   theilnahme   forterhalten  wird,   mit  in  den  rath,   ob  es   nicht  besser  sei,   davon 


\ 

78      LEITZMANN,   AUSZÜGE   AUS   BltlEFEN    DKR    BRÜDER    GRIMM    AN  8ALOMON  HIRZEL 

abzugehn,  dasz  die  bände  sich  nach  den  buchstaben  richten,  wie  wir  hefte  von 
15  bogen  geben,  lassen  sich  auch  bände  von  acht  heften  oder  960  Seiten  absondern 
und  ohne  rücksicht  auf  den  inhalt  abbrechen,  ich  denke  überhaupt,  dasz  es  vortheil- 
haft  i«t,  durch  das  ganze  werk  die  spaltenzahl  fortlaufen  zu  lassen ;  reicht  der  erste 
band  bis  s.  960  oder  spalte  1920,  so  wird  der  zweite  bis  s.  1920  oder  spalte  384-0 
reichen  usw.  Nehmen  wir  diesen  grundsatz  an,  so  hört  alle  uoth  und  sorge  wegen 
des  abschlusses  der  bände  nach  den  buchstaben  auf.  dann  aber  lassen  Sie  das 
werk  seinen  gang  ruhig  gehn,  es  wird  sich  von  selbst  im  rechten  masz  halten,  und 
verkaufen  sich  die  erscheinenden  bände  gut,  so  liegt  nichts  dran,  dasz  am  ende 
einer  mehr  kommt,  als  man  sich  anfangs  vorstellte. 

In  der  ausarbeitung  kann  ich  mir  keinen  zwang  auferlegen  und  eine  ab- 
kürzung  der  bibelstellen  nicht  gefallen  lassen.  Der  grund  des  werks  ist  auf  Luther 
und  Göthe  gebaut,  Luthers  spräche  hat  auf  die  ganze  entwickelung  des  nhd.  den 
entschiedensten  einflusz,  die  citate  aus  der  bibel  sind  schon  ausgewählt  und  jedes 
einzelne  sichert  eine  besondere  Wendung  des  ausdrucks;  auch  musz  durch  häufung. 
der  citate  die  gangbarkeit  des  worts  vor  das  äuge  gestellt  werden.  AUmälich,  wie 
Sie  wissen  und  selbst  dazu  mitwirken,  gehn  noch  aus  andern  Schriftstellern  auszüge 
ein;  soll  man  sie  abweisen?  und  nicht  lieber  durch  ihre  aufnähme  das  werk  ein 
wenig  ausdehnen? 

Billigen  Sie  meinen  verschlag,  so  liefere  ich  noch  zu  heft  8  ausreichendes 
manuscript  und  mache  mich  gleich  an  die  vorrede;  dann  wird  band  1  im  merz  aus- 
gegeben werden  können.  Wollen  Sie  aber  mindestens  ganz  B  in  den  ersten  band, 
so  musz  es  länger  bis  zu  Johannis  damit  währen. 

Wie  viel  bogen  schlagen  Sie  das  gedieht  von  Candidus  an  ?  es  wird  vom 
gewählten  format  abhängen. 

26  nov.  1853  Ihr  Jac.  Gr. 

62.  Kaum  sind  Sie  fort.  Lieber  Hirzel,  so  fällt  mir  etwas  ein,  was  in  Überlegung 
kommen  musz.  nemlich,  da  im  verlauf  des  Wörterbuchs  unvermeidlich  noch  manche 
bisher  unbenutzte  quellen  hinzutreten  werden,  so  kann  das  jetzt  zu  gebende  Ver- 
zeichnis nur  ein  sehr  unvollständiges  sein,  das  am  schlusz  des  ganzen  von  neuem 
gedruckt  werden  musz.  fragt  sich  also,  ob  man  dessen  beifügung  zum  ersten  band, 
wie  sie  freilich  versprochen  wurde,  für  unentbehrlich  hält  und  es  damit  lieber  nicht 
anstehn  läszt?  mir  scheint  es  warten  zu  können  und  es  bliebe  in  der  vorrede  nur 
das  erforderliche  darüber  zu  sagen. 

Sie  müssen  mir  nicht  übel  nehmen,  dasz  ich  von  dem  gedanken  des  fort- 
paginierens  immer  noch  nicht  zurückgebracht  bin.  ich  werde  Ihnen  neuere  bücher 
angeben,  die  Sie  auf  der  bibliothek  bei  Hartenstein '  nachsehen  können,  um  sich  zu 
überzeugen,  dasz  die  sache  ausführbar  ist. 

Ich  habe  Ihnen  entweder  gesagt,  oder  Sie  wüsten  es  schon,  dasz  Schweizer- 
in Zürich  vor  hat,  die  etymologien  des  Wörterbuchs  zu  recensieren.  es  wäre  gut, 
wenn  Sie  ihn  vom  baldigen  erscheinen  der  vorrede  benachrichtigten,  worin  ich  mich 
über  meine  art  und  weise  auslassen  will,  spräche  er  vorher  über  die  sache,  so 
gäbe  es  mancherlei  misverständnisse;  wartet  er  aber-  ab,  was  ich  sage,  so  kann  er 
mich  desto  sichrer  beurtheilen. 

1)  Gustav  Hartenstein  (1808—90),  profess.or  der  philosophie  in  Leipzig,  ober- 
bibliothekar  der  Universitätsbibliothek. 

2)  Heinrich  Schweizer-Sidler  (1815—94),  professor  der  phüologie  in  Zürich. 


LEITZMANN,   LISCOWS   ZITATE  79 

Candidus  ist  seelenvergnügt  und  hat  mir  ein  Volkslied  mit  musik  geschickt; 
doch  ich  lege  Ihnen  lieber  seinen  brief  bei. 

Sonntag  abend.  .Jac.  Griram. 

[Auf  der  rückseite  von  andrer  hand :  17.  december  185.S.] 

63.  am  26  dec.  [1853] 

Lieber  freund, 
diese  tage  waren  so  bewegt,  dasz  ich  erst  heute  dazu  gelangt  bin,   die  beifolgende 
vorrede   zu  Candidus   zu   schreiben,   von   deren   abdruck  ich   mir   eine  revision  zur 
lesung   ausbitte,     auf   dem   titel   darf  mein  name   nicht   stehn.     es  wird   alles   mit, 
lateinischen  buchstaben  auf  meine  weise  gesetzt,     um  dies  büchlein 

hab  keinen  kummer, 
wie  die  Schweizer  sagen,  es  wird  bald  verkauft  sein  und  ich  sehe  schon  eine  neue 
aufläge  kommen. 

A  propos  Schweizer.  Sie,  als  solcher,  hätten  mehr  dringen  sollen  auf  auszüge 
aus  Gotthelf  für  das  Wörterbuch,  ich  habe  in  den  letzten  wochen  viel  in  seineu 
büchern  gelesen ;  er  war  mir  sonst  verleidet  durch  sein  schimpfen  auf  Deutschland, 
was  kann  das  helfen?  ich  gewahre,  dasz  unter  allen  jetzt  lebenden  deutschen 
Schriftstellern  keiner  die  spräche  so  in  seiner  gewalt  hat  wie  er,  und  dasz,  seit  er 
aus  den  allgemeinen  alterthümlichen  erzählungen  heraus  gekommen  ist  in  die  innige 
Schweizerart,  ungeheuer  viel  aus  ihm  zu  lernen  und  zu  gewinnen  ist.  seine  natur 
erscheint  höchst  begabt. 

Wenn  Sie  und  Hartenstein  in  bezug  auf  fortgeführte  payma  einmal  nachsehen 
wollen  Richardson  .  .  ,  Valentini  .  .  .  Tommaseo  .  ,  .  Kowalewski  ...  ja  sogar  Heyse 
deutsches  Wörterbuch,  so  werden  Sie  gar  nicht  verkennen,  dasz  bei  solchen  werken, 
die  ihrer  natur  nach  unaufhörlich  artikel  abbrechen,  es  keinen  rechten  sinn  hat 
für  einzelne  bände  äuszerliche  und  sichtbare  abschnitte,  die  nur  stören,  einzu- 
schwärzen.  es  gibt  im  Wörterbuch  keine  andere  als  die  beim  anheben  neuer  buch- 
staben. der  band  hat  auf  dem  titel  blosz  anzugeben  wie  weit  die  einzelnen  Wörter 
in  ihm  gehn,   gerade  wie  es  bei  den  ausgegebnen  einzelnen  heften  geschah. 

Wol  aber  musz  ich  mich  Ihren  gründen  ergeben,  die  für  beifügung  des  quellen- 
verzeichnisses  schon  zum  ersten  band  sprechen,  vor  dem  Verzeichnis  selbst  ist  mir 
aber  bang,  mehr  als  vor  der  viel  schwerern  vorrede. 

Eben  bringt  mir  Ihr  freundlicher  hausgenosse  Ulrich  den  brief  vom  2-1-,  wofür 
ich  danke.  Ihr  .Tac.  Gr. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Liscows  Zitate. 

Ich  zitiere  in  der  folgenden  abhandlung  Liscows  Schriften  nach  der  von  ihm 
selbst  Frankfurt  und  Leipzig  (in  Wahrheit  Hamburg)  1739  veranstalteten  'Sammlung 
satyrischer  und  ernsthafter  Schriften'  und  zwar  nach  der  nach  besserung  der  im 
letzten  bogen  verdruckten  Seitenzahlen  903  selten  umfassenden  ausgäbe,  die  in 
dieser  Sammlung  nicht  mit  aufgenommene  schrift  'Über  die  unnötigkeit  der  guten 
werke  zur  Seligkeit',  von  der  mir  der  erste,  von  Pott  Leipzig  1803  besorgte  ab- 
druck nicht  zugänglich  ist,  nach  Müchlers  abdruck  im  ersten  teile  seiner  Liscow- 
ausgabe  (Berlin  1806).   Jene  bezeichne   ich   mit   S  und  der  Seitenzahl,  diese  mit  M 


80  "  LBITZMANN 

und  der  Seitenzahl.  Die  Schriften  Liscows  zerfallen  in  verschiedene  zeitlich  ge- 
trennte gruppen :  1.  die  epistel  an  Lange  über  die  guten  werke,  1730  (M  3—104); 
2.  die  Satiren  gegen  Sievers,  1732  (S  1-134);  3.  die  Satiren  gegen  Philippi,  1732-34 
(S  135-472);  4.  die  schrift  über  die  elenden  skribenten,  1734  (S  473-574);  5.  die 
epistel  über  Manzels  naturrecht,  1785  (S  629—804) ;  6.  die  kleineren  rezensionen, 
deren  echtheit  bei  vielen  starken  zweifeln  unterliegt  (S  805—903;  vgl.  darüber 
Litzmann,  Christian  Ludwig  Liscow  in  seiner  literarischen  laufbahn  S  114,  dessen 
auffassung  ich  mich  im  wesentlichen  glaube  anschliessen  zu  müssen);  endlich  7.  die 
beiden  vorreden  zur  ganzen  Sammlung  und  zu  dem  darin  enthaltenen  neuen  abdruck 
^von  nr.  6,  1739  (S  1—84,  vor  den  Satiren  gegen  Sievers  besonders  paginiert,  und 
S  577—628).  Was  ich  im  folgenden  zu  geben  beabsichtige,  ist  ein  uachweis,  welche 
Schriftsteller  und  zu  welchen  zeiten  sie  Liscow  zitiert  hat,  ferner  wo  sich  die  zitierten 
stellen  bei  ihnen  finden.  Zuweilen  gibt  Liscow  genaue  zitate  der  fundstellen  der 
von  ihm  zitierten  verse  und  sätze,  zuweilen  zitiert  er  nur  den  autor  oder  das  werk, 
nicht  aber  die  stelle,  zuweilen  auch  diese  nicht  einmal.  Eine  kleinere  anzahl  von 
Zitaten  habe  ich  trotz  aller  beniühung  und  freundlicher  beihilfe  kundiger  kollegen 
als  vorläufig  nicht  identifizierbar  auf  sich  beruhen  lassen  müssen,  die  am  Schluß 
jedes  abschnitts  zusammengestellt  sind.  Wem  eine  solche  Untersuchung,  wie  die 
vorliegende,  wertlos  und  überflüssig  erscheint,  dem  halte  ich  mit  Bernays  in  seiner 
geistvollen  abhandlung  'Zur  lehre  von  den  zitaten  und  noten'  (Schriften  zur  kritik 
und  literaturgeschichte  4,  345)  Leasings  worte  entgegen:  'die  Wichtigkeit  ist  ein 
relativer  begriff  und  was  in  einem  betracht  sehr  unwichtig  ist,  kann  in  einem  an- 
dern sehr  wichtig  werden.  Als  beschaffenheit  unserer  erkenntnis  ist  dazu  eine 
Wahrheit  so  wichtig  als  die  andere,  und  wer  in  dem  allergeringsten  dinge  für 
Wahrheit  und  Unwahrheit  gleichgiltig  ist,  wird  mich  nimmermehr  überreden,  dass 
er  die  Wahrheit  bloss  der  Wahrheit  wegen  liebet'. 

1.  Zitate  aus  der  bibel. 

Für  diesen  ersten  teil  der  aufgäbe  ist  die  hauptarbeit  bereits  getan:  Johannes 
Müller,  ein  schüler  Oskar  Schades,  hat  in  einer  abhandlung  'Liscow  und  die  bibel' 
(festschrift  zum  70.  geburtstage  Oskar  Schade  dargebracht  s.  187)  die  bei  Liscow 
vorkommenden  biblischen  zitate  äusserst  sorgfältig  zusammengestellt  und  erläutert, 
so  dass  mir  nur  eine  kärgliche  nachlese  übrig  bleibt.  Die  generationen  vor  der 
erneuerung  unserer  literatur  durch  Klopstock,  Goethe  und  Schiller  (Lessing  muss 
hier  beiseite  bleiben,  denn  bei  ihm  sind,  obwohl  er  in  einem  pfarrhause  aufwuchs 
oder  vielleicht  gerade  deshalb,  nur  äusserst  wenige  anklänge  an  bibelstellen  zu  be- 
legen, während  spräche  und  stil  der  genannten  drei  geradezu  von  bibelzitaten  er- 
füllt und  durchtränkt  ist)  dachten  darüber  strenger  und  sahen  in  biblischen  anklängen 
der  weltlichen  rede  leicht  eine  profanation  oder  entweihung  des  heiligen  wortes. 
So  musste  sich  Liscow,  der  in  diesem  punkte  schon  etwas  freier  und  weitherziger 
dachte  als  seine  Zeitgenossen,  da  sein  biblisch  gefärbter  stil  vielfach  ärgernis  er- 
regt hatte,  ausdrücklich  gegen  den  Vorwurf  der  profanation  und  des  frevelhaften 
angriffs  auf  das  heilige  verteidigen,  ein  zweck,  dem  er  seine  'Unparteiische  Unter- 
suchung der  frage,  ob  die  bekannte  satire  Briontes  der  jüngere  .  .  .  mit  entsetzlichen 
religionsspöttereien  angefüllet  und  eine  strafbare  schrift  sei'  (S.  197)  gewidmet  hat. 
Ich  habe  nicht  den  eindruck  wie  Müller  (s.  197),  als  habe  Liscow  absichtlich  bib- 
lische  Wendungen,   bilder  und   gedanken   angebracht,   um   seine  gegner  zu  ärgern, 


LISCOWS  ZITATE  81 

die  80  gerne  'uuter  die  kanoueu  der  kircbe  retirieren'  (S  646),  glaube  vielmehr, 
dass  Liscows  Sprechweise  ähnlich  wie  die  der  folgenden  generationen  sich  von  klein 
auf  am  bibelstil  gebildet  hatte  und  er  bei  seinem  streben  nach  naiv  treffendem, 
volkstümlichem  ausdruck  ganz  unbewußt  in  den  Wendungen  der  Lutherscheu  Über- 
setzung schrieb,  wie  wir  das  auch  in  Goethes  und  Schillers  Jugendsprache  in  gleicher 
weise  beobachten  können  (vgl.  Hehn,  'üoethe  und  die  spräche  der  bibel'  im  Goethe- 
jahrbuch  8,  187  und  Boxberger,  Die  spräche  der  bibel  in  Schillers  räubern,  Erfurt 
1867)  und  wie  es  bis  zum  überdruss  und  zur  manieriertheit  etwa  Hippels  'Lebens- 
läufe' zeigen.  Man  lese  Müllers  sorgfältige  listen  durch  und  man  wird  mir,  glaube 
ich,  recht  geben  müssen.  In  diesem  zusammenhange  ist  besonders  eine  stelle  in 
der  dritten  satire  gegen  Sievers  zu  beachten,  die  Müller  (s.  216)  eigentümlicher- 
weise übersehen  hat  und  die  so  lautet  (S  131):  'Was  das  anlanget,  dass  ich  ge- 
saget habe:  Niemand  verachte  meine  Jugend  [S  41;  das  zitat  stammt  aus  dem  ersten 
brief  des  Paulus  an  Timotheus  4,  12],  so  möchte  ich  wohl  von  den  gewissenhaften 
personen,  die  mir  dieses  zur  süude  deuten,  belehret  sein,  "wie  ein  mensch,  der  sagen 
will,  man  solle  ihn  seiner  Jugend  wegen  nicht  verachten,  seine  worte  ordnen  müsse, 
wenn  er  sich  nicht  versündigen  will.  Ich  vor  meine  person  wusste  es  nicht  kürzer 
und  deutlicher  auszudrücken  und  kann  nicht  davor,  dass  Luther  eine  gewisse  stelle 
in  deu  briefen  Pauli  ebenso  übersetzet  hat.  Ich  halte  es  für  eine  gar  zu  grosse 
beschwerlichkeit,  allezeit,  wenn  man  etwas  reden  oder  schreiben  will,  die  nase  in 
der  koukordanz  zu  haben,  um  zu  sehen,  ob  die  redensarten,  der  man  sich  bedienen 
will,  auch  in  der  bibel  stehen.  Meine  heiligen  richter  müssen  dieses  tun,  falls  man 
nicht  mutmassen  soll,  dass  es  mit  ihrem  engen  gewissen  nicht  viel  zu  bedeuteu 
habe.     Ich  beklage  sie  desfalls  und  gehe  weiter'. 

Ungefähr  24ü  stellen  der  bibel  aus  beiden  testamenteu  hat  Müller  zusammen- 
gebracht, die  von  Liscow  zitiert  werden,  viele  von  ihnen  mehrfach.  Das  wenige, 
was  ihm  entgangen  ist,  stelle  ich  hier  zusammen : 

'Dass  derjenige  eine  mehr  als  eiserne  stirn  haben  müsste'  M  9:  'Denn  ich 
weiss,  dass  du  hart  bist,  und  dein  uacken  ist  eine  eiserne  ader  und  deine  stirn  ist 
ehern'  Jesaias  48,  4.  An  der  vertauschung  von  'ehern'  und  'eisern'  (auch  Lessing, 
Sämtliche  Schriften  2, 291.  4,  395  spricht  von  'eiserner  stirn')  darf  man  keinen  au- 
stoss  nehmen:  erscheint  doch  auch  der  aus  5  Mose  28,  23  stammende  'eherne  himmel', 
den  Goethe  im  Werther  (Werke  19,  129  =  Der  junge  Goethe  4,295)  und  in  der 
Natürlichen  tochter  vers  2645  (Werke  10,  37üj  richtig  zitiert,  in  Klopstocks  Messias 
11,692.  699  als  'eiserner". 

'Das  werk  mag  seinen  meister  loben'  M  87:  'Das  werk  lobt  den  meister' 
Sirach  9,24;  vgl.  auch  Schillers  lied  von  der  glocke  vers  7. 

'Unserer  gesellschaft,  die  dich  als  ihren  augapfel  hoch  hält'  S  195:  'Er  be- 
hütet ihn  wie  seinen  augapfel"  5  Mose  32,  10;  ähnlich  psalm  17,8;  sprüche  Salo- 
mouis  7,2;  Sirach  17,18. 

'Verstelle  deine  gebärde'  S  859:  'Da  ergrimmte  Kaiu  sehr  und  seine  gebärde 
verstellte  sich',  1  Mose  4,  5. 

'Die  geringste  kluft,  die  zwischen  ihm  und  seinem  nächsten  nachbarn  be- 
festiget ist'  S  480:  'Über  das  alles  ist  zwischen  uns  und  euch  eine  grosse  kluft 
befestiget'  Lukas  16,  26. 

'Und  mein  freund  Sievers  würde  längst  vor  kummer  wie  ein  Schemen  ver- 
gangen sein,   wenn  nicht   das  lob   der   alten  weiber  .  .  .  seine    gebeine  fett  machte' 

ZEITSCHRIFT  F.  DEUTSCHE  PHILOLOGIE.    BD.  L.  6 


82  LEitZMANlJ 

S  527:    'Sie    gehen   daher  wie   ein  scheinen'  psalm  39,7;    'Ein  gut  gerächt  machet 
das  geheine  fett'  Sprüche  Salomonis  15,  30. 

Folgender  merkwürdige  umstand,  mit  dem  ich  von  den  hiblischen  zitaten 
abschied  nehmen  möchte,  scheint  bisher  der  aufmerksarakeit  entgangen  zu  sein. 
Litzraann  berichtet  (s.  94)  darüber,  wie  sich  Liscows  gegner  Philippi  in  seinen 
späteren  schriften,  die  er  mit  recht  'ausgeburten  eines  völlig  zerrütteten  geistes' 
nennt,  über  Liscow  geäussert  hat,  und  gibt  proben  seiner  reumütigen  Selbsterkenntnis. 
In  diesem  zusammenhange  zitiert  er  einmal  (s.  95):  'Die  schlage  des  liebhabers 
raeinens  nicht  böse,  spricht  könig  Salomo'.  Dieser  satz,  genauer  'Die  schlage  eines 
liebhabers  meinens  recht  gut'  (sprüche  Salomonis  27,  6),  bildet  das  motto  von  Liscows 
Schrift  gegen  Lange  über  die  guten  werke  (M  8)  und  man  dürfte  daraus  wohl  ein 
neues  argument  dafür  entnehmen,  dass  diese  schrift  tatsächlich,  wie  auch  Litzmann 
nachzuweisen  versucht  hat,  von  Liscow  verfasst  ist. 

2.  Zitate  aus  der  griechischen  und  römischen  literatur. 

Die  antike  literatur,  und  zwar  in  erster  linie  die  lateinische  (denn  seine 
griechischen  kenntnisse  waren  massig,  seine  griechische  belesenheit  minimal),  trägt 
nächst  der  bibel  den  löwenanteil  von  allen  zitaten  Liscows  davon :  es  fehlt  nicht 
viel  an  200  stellen.  In  seiner  ersten,  unter  der  maske  eines  geistlichen  Verfassers 
auftretenden  schrift  von  den  guten  werken  zieht  er,  nachdem  er  kurz  nacheinander 
Lucrez  und  ein  kirchenlied  zitiert  hat,  sich  selber  ironisch  wegen  dieser  anleihen 
beim  heidentum  auf  (M  11):  'Ich  weiss  wohl,  dass  der  geschmack  der  heutigen 
weit  so  verderbt  ist,  dass  sie  lieber  siebet,  wenn  man  seine  reden  und  schriften 
mit  stellen  der  heidnischen  poeten  ausziert,  als  wenn  man  sich  der  worte  des 
heiligen  geistes  und  der  schönsten  stellen  geistreicher  gesänge  bedient.  Man  spottet 
der  Prediger,  welche  dieses  letzte  zu  tun  gewohnt  sind,  und  hält  es  für  ein  sicher 
kennzeichen  eines  postillanteu.  Allein  gleich  wie  es  unter  den  predigern  gottlob 
noch  so  tapfere  männer,  und  zwar  im  überfluss,  gibt,  die  sich  durch  dieses  alberne 
urteil  der  närrischen  und  gottlosen  weit  nicht  irren  lassen,  sondern  ihre  predigten 
grösstenteils  aus  anmutig  untereinander  gemischten  sprücheu  aus  der  bibel  und 
Versen  aus  gesängen  zusammensetzen  ...  so  können  ew.  hochedelgeboren  daher 
schon  zufrieden  sein,  dass  ich,  um  Ihren  vermutlich  auch  verdorbenen  geschmack 
zu  vergnügen,  lieber  mit  dem  Lucretius  als  dem  apostel  Paulus  reden  wollen  .  .  . 
Sie  können  glauben,  dass  ich  mir,  um  nicht  bei  Ihnen  zum  gespötte  zu  werden, 
gewalt  angetan  habe:  endlich  konnte  ich  es  nicht  länger  aushalten.  Das  macht  die 
gewohnheit  nebst  der  kleinen  begierde,  meine  priesterlichen,  mir  auf  das  gesang- 
buch  zustehenden  rechte  beizubehalten'.  Seine  reiche  kenntnis  der  antiken  Schrift- 
steller  breitet  der   zitatenfreudige   mann   mit   eifer  und  lust  vor  seineu  lesern  aus. 

Nach  der  Unterrichtsmethode  seiner  zeit,  die  auf  energische  und  um  ihrer 
selbst  willen  getriebene  griechische  Studien  noch  nicht  den  wert  legte,  den  sie 
dann  zu  ende  des  Jahrhunderts  gewannen,  traten  dem  schüler,  der  ins  altertum 
eindringen  wollte,  die  Griechen  wesentlich  in  lateinischer  Vermittlung,  die  griechischen 
schriftsteiler  mit  und  durch  lateinische  Übersetzungen  nahe.  Auch  Liscow  war  das 
vom  Lüneburger  Johanneijm  her  gewohnt,  das  ihm  für  das  akademische  Studium 
die  letzte  feile  gab  (vgl.  Schröder  Euphorion  13,  55G).  Wenn  Liscow  von  einem 
übelwollenden  leser  seiner  ersten  satire  sagt  (S  8):  'Er  wird  herzlich  lachen,  dass 
ich    einige   griechische   stellen   angeführet,   und    stein   und   bein  schwören,  ich  ver- 


i 


LISCOWS   ZITATE  88 

Stünde' nichts  davon;  ja  wer  weiss,  ob  er  nicht  gar  sagen  wird,  ich  könne  nicht 
einmal  griechisch  lesen',  so  spricht  die  Seltenheit  griechischer  zitate  dafür,  dass  er 
sich  hier,  um  zu  verblüffen,  eines  trumpfes  rühmt,  den  er  nicht  in  seiner  karte  zu 
haben  ungern  zugeben  mochte.  Und  wenn  er  an  einer  andern  stelle  (S  48)  gar 
von  der  lektüre  Pindars  und  den  gemütsbewegungen  spricht,  'die  ich  spüre,  wann 
ich  diesen  alten  Griechen  lese',  so  ist  der  Zusammenhang  zu  deutlich  ironisch,  als 
dass  man  ihm  für  sein  renommieren  ernstliche  vorwürfe  machen  dürfte.  So  finden 
sich  denn  in  all  seinen  Schriften  nur  fünf  griechische  stellen  zitiert,  zwei  davon 
aus  dem  altvater  Homer  mit  lateinischer  Übertragung,  je  eine  aus  Euripides  und 
Plutarch  nur  in  übersetzter  fassung  und  zwei  komikerverse  in  der  Ursprache,  die 
er  aus  irgend  einem  kommentar  entnommen  oder  sonstwie  kennengelernt  haben  mag. 
Aus   Homers   Ilias  zitiert  er  zwei   durch   nichts   besonderes  ausgezeichnete   stellen : 

I,  219   vom   zurückweichen   des    streitbaren  Achilleus  vor  Pallas  Athene  S  403  und 

II.  390,  einen  gnomischen  satz,  S  362.  Welcher  Übersetzung  die  lateinischen 
fassungen  entstammen,  die  er  beiden  stellen  beigibt,  vermochte  ich  bei  der  kürze 
der  Zitate  nicht  einwandfrei  festzulegen:  Henricus  Stephanus  liegt  jedenfalls  nicht 
zugrunde;  am  nächsten  steht  bis  auf  winzige  abweichungen,  die  sich  übrigens 
Liscow  auch  sonst  hie  und  da  einmal  erlaubt,  der  lateinische  Homer  des  Hubert 
van  Giffen  (Giphanius),  der  Strassburg  1572  erschien  (vgl.  Finsler,  Homer  in  der 
neuzeit  s.  124).  Die  beiden  verse  aus  Menander,  dem  'alten  comicus  graecus\ 
S  25  finden  sich  im  vierten  bände  von  Meinekes  'Fragmenta  comicorum  graeco- 
nim'  in  seinen  Monosticha  vers  432  und  21.  Die  8  27  in  lateinischer  prosa  ge- 
gebene stelle  aus  Euripides  ist  die  berühmte  und  vielzitierte  aus  den  Phoe- 
nissae  524:  'E'iTtsp  y^P  ä^ixstv  XP"/],  xopawidog  Tispi  -/.dcÄÄiaTOv  äS'.xsTv,  TaÄXa 
d"  e'j3i^=tv  xp£(j)v'  (ich  verdanke  diesen  nachweis  meinem  verehrten  koUegen 
Friedrich  Zucker) ;  die  Übersetzung,  die  Liscow  benutzt  hat,  ist  nicht  die  ge- 
läufige von  Barnes  (vgl.  auch  Litzmann  s.  24).  Nach  Xylanders  Übersetzung  2, 150  e 
(Frankfurt  1620)  endlich  zitiert  Liscow  die  stelle  von  den  unmusikalischen  eseln,  deren 
knochen  zu  den  schönsten  flöten  verarbeitet  werden,  aus  Plutarchs  ''Ezxä  ao-^öv 
a'jlJLuöaiov'  S  566  (vgl.  auch  Litzmann  s.  97  anm.).  Für  seine  kenntuis  des  philosophen 
von  Chaironeia  zeugt  auch  die  erwähnung  der  schrift  'IIspl  xöv  äpsay.övTcov  cp'.Äoaö- 
voi;'  und  die  bemerkung  (S  108):  'Ich  habe  die  apophthegmata  der  alten  bei  dem 
Plutarchus  gelesen'.  Seine  epoche  war  damals  für  Deutschland  noch  nicht  ange- 
brochen (Vgl.  Hirzel,  Plutarch  s.  167).  Der  hinweis  auf  das  34.  kapitel  von  Longins 
'Ilspl  u^^oug'  (S  181),  zu  dessen  Übersetzung  von  Heinecke  Liscow  später  eine  vor- 
rede geschrieben  hat,  bringt  kein  wörtliches  zitat. 

Neben  diesem  schwachen  Schimmer  griechischen  einflusses  steht  wie  ein  voller 
und  breiter  ström  fremden  lichtes  der  lateinische,  der  sich  durch  Liscows 
Schriften  von  der  ersten  bis  zur  letzten  periode  in  reicher  fülle  ergiesst.  Ich  scheide 
dichter  und  prosaisten  und  ordne  jede  gruppe  unter  sich  alphabetisch  an,  lasse 
aber  die  ganz  wenigen  christlichen  autoren  und  Neulateiner  für  sich  als  anhang 
die  reihe  schliessen.  Ein  kreuzchen  vor  dem  zitat  aus  Liscow  bedeutet,  dass  er 
selbst  keine  andeutung  gibt,  woher  er  das  geborgte  dictum  entnommen  hat,  dass 
ich  also  seine  quelle  selbständig  suchen  und  finden  musste. 

Zunächst  die  dichter.  Ausonius'  drolliges  epigramm  vom  Faustulus  und  der 
ameise  {MenUae  et  Ugoleii  eingrammata  '20  in  Schenkls  ausgäbe)  finden  wir  S  328 
zitiert,  einen  kurzen  satz  aus  seiner  vorrede  zum  Cento  nuptialis  (bei  Schenkl 
28,  1,  32)  S  231.     (Das  'p.  ni.\   das   sich   hier  und  sonst  häufig  noch  bei  Liscow  in 

6* 


84  LElTZMAtJK 

Zitaten  findet,  fasse  ich  als  'pagiina  mihi  (oder  meay  und  verstehe  darunter  die  seite 
des  iu  seinem  besitz  befindlichen  oder  ihm  zur  Verfügung  stehenden  exemplars; 
ähnlich  zitiert  Jacob  Grimm  in  der  grammatik  1,  409.  415.  937.  9ü3  'Orlenz  mihi\ 
933  jvaterunser  mihi\  935  'Wittich  mihi',  939  'Wolfdietrich  mihi\  983.  984.  989 
'Opitz  mihi\  1009  'hohelied  mihi\  endlich  in  den  Kleineren  Schriften  4,  11  wie 
Liscow  'pagina  milii'  und  meint  damit  seine  abschriften  und  exemplare.) 

Aus  Calpurnius'  eklogen  4,  23  finden  sich  beissende  mahnungen  für  professor 
Philippi  gezogen  S  885:  es  ist  dieselbe  gröbliche  abführung,  wegen  deren  der  be- 
troffene bei  der  Hamburger  Stadtverwaltung  über  den  Verfasser  klage  führte  (vgl. 
Lisch,  Chr.  L.  Liscows  leben  s.  81). 

Dionysius  Cato  4,  14:  M  66. 

CatuU  ist  mit  drei  stellen  vertreten:  dem  vielzitierten,  an  Hamlets  mouolog 
anklingenden  vers  vom  jenseits  3,12:  *S  471;  der  ironischen  Schilderung  des  voll- 
kommenen menschen  '23,  15:  S  747;  der  apostrophe  an  Ravidus  40,  1 :  S  vorrede  83. 
Sonst  liefern  die   triumvirn  der  liebe  Liscow  keine  pfeile  (vgl.  nur  nachher  Properz). 

Claudian  finden  wir  gleichfalls  dreifach:  7  (Panegyrikus  auf  das  dritte  kousulat 
des  Honorius),  96.  97:  *S  173;  17,  209:  S  536;  33,  5:  ö  139. 

Horaz,  den  'grossen  dichter'  (S  12.  80),  den  er  ironisch  einen  'alten  grillen- 
fänger'  nennt  und  ihm  'vorsätzliche  torheit,  den  menschen  das  schreiben  schwer 
macheu  zu  wollen'  zuschreibt  (S  515),  zitiert  Liscow  41mal  und  zwar  je  12  stellen 
der  öden  und  satiren  und  17  stellen   der  epistelu.     Aus  den  öden:  1,3,30:  S  705; 

1,  22,  19:  *S74;  1,  37,1:  S357;  2,  16, '29:  *S  457 ;  3,1,1,  viel  zitiert:  S  214; 
3,  14,  13:  S  356;  3,  25,  7:  S  473  als  motto  der  schrift  über  die  elenden  skribenten; 
3,  30,  14:  S  188;  4,  4,  51:  S  622;  4,  4,  61:  *S  439;  4,  7,  15:  *S  457;  4,  7,  21:  S  452 
als  zweites  motto  der  'Bescheidenen  beautwortung  der  einwürfe'.  Aus  den  satiren: 
1,1,24,  oft  zitiert:  S  274  (vgl.  auch  S  vorrede  71:  'Ich  habe  einigen  elenden 
Skribenten  ...  im  lachen  die  Wahrheit  gesaget');  1,  1,  66:  S  6;  1,  3,  99,  die  Schilderung 
der  goldenen  zeit:  S  661;  1,  3,  117:  S  268;  1,  4,  34:  S  106;  1,  10,  14:  S  vorrede  80; 

2,  1,  23:  S  203;  2,  1,  44:  S  134  als  ausklang;  2,  1,  60:  S  826  (statt  XI  ist  I  zu 
lesen);  2,  1,  84:  S  336  als  ausklang;  2,  3,  137:  S  870;  2,  3,  152:  *S  754.  Aus  den 
episteln:  1,2,62:  *S  126;  1,7,46:  S  366;  1,10,24,  viel  zitiert:  *S84;  1,11, '23: 
S  178  (statt  2  ist  11  zu  leseu) ;  2,  1,  108:  S  125;  2,  1,  151:  S  205;  2,  1,  '269,  die 
vielzitierten  schlussverse :  S  531;  2,  2,  51 :  S  897;  2,  2,  106:  S  534;  2,  2,  126:  S  540; 
'2,  2,  129.  135:  S  751;  aus  der  Ars  poetica  (2,  3)  25:  S  12;  38:  S  515;  163:  S  873; 
355:  S  898;  385,  viel  zitiert:  S  193;  470:  S  424. 

Juvenals  satiren  sind  nicht  so  kräftig  benutzt,  wie  man  erwarten  könnte. 
1,49:   S  623;   1,73:   S  384;    1,  165:  S  204 ;  2,20.  21:  M  100.  101;  2,38:  S  273; 

7,  207:   *S83;   7,  241:    S  314;   8,  71 :    S  vorrede  82  (statt  III  ist  VIII  zu  lesen); 

8,  73:  S  488  (vgl.  auch  S  54);  14,  204:  *S  28. 

Lucans  Pharsalia  9,  572 :  S  619. 

Lucrez,  De  rerurn  natura  2,7:  M  10;  3,1025.1042,  eine  berühmte  stelle: 
S  vorrede  45  (statt  IV  ist  III  zu  lesen) ;  4,  11 :  S  282. 

Martials  epigramme  1,  41,  1:  S  362;  5,  60,  1 :  S  vorrede  83  (statt  81  ist  60 
zu  lesen);  11,  104,  1.  11:  S  756  (statt  IX  ist  XI,  statt  105  104  zu  lesen). 

Naevius  nr.  59  in  Diels  Poetantm  romanorum  reterum  reliquiae:  S  99. 
Liscows  quelle  waren,  wie  die  unmittelbar  folgenden  sätze  zeigen,  Ciceros  Epistidae 
ad  familiäres  15,  6,  1  (vgl.  ferner  ebenda  5,  12,  7,  Tuscnlanae  disputationes  4,  67 
und   Senecas   episteln   102,  16).     Es  ist  das  gleiche  wort,  das  Joseph  von  Lassberg 


LISCOWS    ZITATE  85 

in  einem  briefe  an  Wackernagel  (Briefe  aus  dem  nachlass  Wilhelm  Wackernagels 
8.  93)  in  sehr  freier  nmformung  zitiert  und  das  ich  in  den  anmerkungen  nicht 
belegen  konnte  (vgl.  meinen  rezensenten  Wocke  im  Literaturblatt  für  germanische 
und  romanische  philologie  1921  s.  363),  dessen  rudimenten  ich  aber  seitdem  mehr- 
fach bei  Schriftstellern  des  18.  Jahrhunderts  begegnet  bin  (vgl.  Lichtenbergs 
briefe  8,  101.  136;  Briefe  an  Johann  von  Müller  3,  280.  4,  275.  288;  Wieland,  Aus- 
gewählte briefe  2,  285). 

Aus  Ovid  finden  sich  nur  15  zitate,  davon  natürlich  11  aus  den  Metamorphosen 
entlehnt  sind:  1,  81,  die  berühmte  Schilderung  des  menschen:  S  479  (vgl.  auch 
S  726);  2,  107,  der  wagen  des  Phoebus:  S  559;  5,  191:  vorrede  zu  Heineckes 
Übersetzung  des  Longin  s.  46  (das  einzige  zitat  in  dieser  letzten  arbeit  Liscows, 
die  1742  erschien);  7,  9:  S  651;  8,  631.  709,  der  wünsch  des  alten  Philemon:  S765; 
8,  688:  S209;  11,  172:  S  13  (statt  IX  ist  XI  zu  lesen;  die  geschichte  des  Midas, 
zu  der  diese  stelle  gehört,  erwähnt  Liscow  auch  sonst  gern,  vgl.  S  373.  477.  504. 
560);  13,  16:  S  vorrede  6;  15,  120:  S  621;  15,  871,  das  selbstbewusste  schlusswort: 
M  93.  Aus  andern  ovidischen  dichtungen  finden  sich' yl;s  atnatoria  3,  799:  S  756; 
Arnores  1,  15,  39:  M  94;  Tristia  4,  10,  19:  S  192;  5,  6,  13:  S  29. 

Persius'  Satiren  sind  fast  so  oft  zitiert  wie  die  Juvenals  bei  viel  kleinerem 
umfang:  i,  7:  S  534;  1,  41:  S  527;  1,  107:  S  204;  1,  110:  S  105:  2,  17:  *S  645; 
3,  86:  S  523;  4,  23:  S  vorrede  .58  (vgl.  auch  s.  50.  60);  4,  46:  S  528. 

Properz  5,  10,  3  liegt  sicher  *S  59  zugrunde,  Liscow  hat  nur  'iter  ascendo' 
in  'opus  aggredior'  geändert,  was  leicht  auf  untreuer  erinnerung  beruhen  kann  (ich 
verdanke  den  nachweis  der  generaldirektion  des  Thesaurus  linguae  latinae). 

Von  Senecas  tragödien  zitiert  Liscow  zweimal  den  Hippolytus,  den  wir  jetzt 
Phaedra  nennen:  177.  184.  195.  202:  S  652;  607:  S  141. 

Statins,  Thebais  1,  188:  S  352  als  ausklang;  2,  449:  S  354. 

Terenz,  Etmuchus  4:  S  vorrede  62;  'die  scharfsinnigen  worte'  Ennuchus  415: 
S  109;  Ennuchus  427:  *S  108;  Heautontimorumenos  805:  S  685;  Phormio  458: 
*S  63;  Phormio  1026  liegt  dem  titelmotto  zur  'Stand-  oder  antrittsrede'  S  337 
zu  gründe,  wobei  sich  allerdings  die  worte  'ollus  defertur'  nicht  im  original  und 
überhaupt  nicht  bei  Terenz  finden. 

Vergil  endlich  liefert  unserm  Liscow  26  zitate,  davon  sind  21  der  Aeneis  und 
5  den  Georgica  entnommen.  Aus  der  Aeneis  werden  zitiert:  1,  11,  viel  zitiert: 
*S  124;  1,  401:  S  15;  2,  325,  viel  zitiert:  M  54;  2,  389:  S  482;  2,  390:  S420; 
2,  584;  *S  896;  2,  724:  S  4;  3,  56,  viel  zitiert:  S  31 ;  3,  461,  viel  zitiert:  S  422 
als  ausklang;  4,  174,  viel  zitiert:  S  30;  4,  625,  Didos  berühmte  letzte  worte: 
S  397;  4,  666:  *S  82;  6,  86:  S  396;  6,  126,  viel  zitiert:  S  573;  6,  687:  S  353 
als  motto  der  'Höflichen  antwort  des  ältesten  der  gesellschaft  der  kleinen  geister'; 
7,  586:  *S  81;  9,  641,  viel  zitiert:  S  15;  12,  101:  S  342  als  motto  der  'Stand- 
oder antrittsrede';  12,  233:  S  483;  12,  427:  S404;  12,  951,  die  schlussverse  vom 
tode  des  Turnus:  *S  442  als  ausklang.  Aus  den  Georgica:  3,  289:  S  474;  3,  292: 
S  46  als  motto    der   'Yitrea  fracta' ;   3,  513:    S  398;  4,  116:  *S  89;  4,  414:  S  382. 

Nun  zu  den  prosaikern.     Apulejus,  Apologia  sive  de  magia  3:  S  212. 

Cicero,  der  'grosse  mann',  der  'vortreffliche  TuUius'  (S  98),  'ein  redner,  der 
seinesgleichen  schwerlich  hat'  (S  862),  trägt  naturgemäss  bei  seiner  beherrschenden 
Stellung  in  der  römischen  literatur,  besonders  in  der  nachweit,  den  löwenanteil  an 
Zitaten  unter  den  prosaisten  davon.  Liscow,  der  ihn  S  362  'einen  grossen  spötter 
seiner  zeit  und   abgesagten   feind  unserer  gesellschaft  (der  kleinen    geister)'  nennt 


86  I.EITZMANN 

(vgl.  auch  S  380),  hat  32  zitate  aus  seinen  werken,  4  aus  den  reden,  8  aus  den 
rhetorischen,  13  aus  den  philosophischen  Schriften,  7  aus  den  briefen.  Aus  den 
reden  finden  wir  angeführt:  In  C.  Verrem  2,  4,  56,  viel  zitiert  (vgl.  auch  In  Ij. 
Catilinam  1,  2;  Z)c  (.lomn  sua  137;  Pro  reffe  Dejotaro  31):  *S  76;  In  M.  Anton iitm 
philippica  3,  22 :  S  S63  (es  handelt  sich  hier  nur  um  eine  einzelne  wondung,  nicht 
um  einen  zusammenhängenden  satz);  Pro  L.  Flacco  42.  46:  S  862,  wo  die  Schluss- 
worte 'ubi—literarum'  sich  übrigens  im  original  nicht  finden ;  Pro  Sexto  Roscio  Amerino 
56:  S  520.  Aus  den  rhetorischen  Schriften:  Brutus  225:  S  vorrede  79;  Orator  7: 
S  1.50  (Liscow  zitiert  die  stelle  nur  deutsch);  24:  S  523;  De  oratore  1,  130.  251: 
S  174;  2,  222  (ein  wort  des  Ennius) :  S  565;  2,  237.  2.38:  S  251;  3,  64:  S  536: 
3,  220:  S  174.  Aus  den  philosophischen  Schriften;  Academicae  quaestiones  2,  9: 
S  478  (statt  IV  ist  II  zu  lesen) ;  De  divinatione  2,  119 :  S  489 ;  De  finibus  bonorum 
et  malornm  2,  80:  S  255;  De  natura  deorum  2,  9:  S  362  (statt  I  ist  II  zu  lesen); 
2,  49  (ein  wort  des  Ennius):  S  726;  2,  74:  S  863  (statt  I  ist  II  zu  lesen);  3,  9: 
S  576  als  motto  zu  der  schrift  gegen  Manzels  naturrecht;    3,  69:  S  506 ;  De  ofßciis 

I,  99:  S  98;  Tusculanae  disputationes  1,  6:  S  270  und  824  (beide  stellen  sind 
ungefähr  gleichzeitig) ;  5,  62:  S  463;  5,  103:  S  527.  Aus  den  briefen:  Ad  Atticum 
14,  20,  3:  S  271  (statt  23  ist  20  zu  lesen);  Ad  familiäres  5,  12,  9:  S  43  (im  ori- 
ginal steht  'gloriola'  statt  'ffloria');  7,  10,  1:  S  vorrede  19;  7,  27,  2:  S  vorrede  341 
9,  16,  3:  S  524  (statt  'ad  Atticuni'  ist  'ad  familiäres'  zu  lesen);  15,  6,  1:  S  99; 
Ad  Qnintum  fratrem  2,  15,  5:  S  vorrede  60, 

Macrobius,  Convivia  satnr'nalia  2,  7,  4:  *S  244.  Unter  denen,  bei  denen  er 
'viele  bofia  dicta  [bons  mots)  und  scharfsinnige  einfalle  gefunden'  habe,  nennt  Liscow 
(S  108)  neben  Plutarch  und  Cicero  auch  Macrobius:  ich  habe  jedoch  nur  vier  seiner 
zitate  bei  Macrobius  nachweisen  können  (Aeneis  2,  390:  5,  16,  7;  7,  586:  6,  3,  1: 
12,  101:  4,  1,  2;  Georgica  3,  289:  6,  2,  2);  er  verdankt  also  dem  gefüllten  köcher 
des  alten  Sammlers  und  exzerptors  nur  sehr  wenige  pfeile. 

Petrons  Satiren  10:  S  45  als  titel  (vgl.  Litzmann  s.  46);  HO:  S  327;  118: 
S  549. 

Aus  Plinius  dem  älteren  zitiert  Liscow  eine  allgemeine  pessimistische  er- 
örterung  in  ihren  hauptstellen,  eine  bemerkung  über  die  ärzte  und  eine  natur- 
historische tatsache,  die  er  sehr  witzig  ausdeutet:  Naturalis  hisioria  7,  1,  i:  S  492; 

II,  115:  S  538;  29,  11.  18:  *S  vorrede  82.  Auch  die  briefe  des  jüngeren  Plinius 
hat  er  angelesen:  1,  5,  13:  S  2  als  motto  der  'Anmerkungen  über  die  klägliche 
geschichte  von  der  Zerstörung  Jerusalems';  1,  12,  8:  S  820. 

Quintilian,  De  institutione  oratoria  5,  13,  22 :  S  897. 
'  Sallust,  lugurtha  10,  6,  ein  sehr  häufig  zitiertes  wort:  S  22. 

Seneca  rlietor,  Controversiae  vorrede  10 :  S  269 ;  Suasoriae  7,  12 :  S  850. 

Seneca  der  philosoph,  sein  söhn,  der  'so  zierlich  geschrieben  hat'  (S  557), 
'der  vortreffliche'  (S  558),  'der  uns  (die  elenden  skribenten)  sehr  genau  gekannt 
haben  muss'  (S  561),  ist  bei  Liscow  sehr  beliebt  und  er  zitiert  ihn  16mal,  wovon 
allein  dreiviertel  der  stellen  auf  die  briefe  fallen.  Aus  diesen  findet  sich  angeführt: 
9,  22:  S  544;  41,  6:  S  559  (statt  44  ist  41  zu  lesen);  90,  18:  S  670;  90,  44.  46: 
S  657;  94,  17:  S863;  95,  18.  .20.  23:  S  706;  106,  12:  S  75;  108,  18:  S  694 
114,  1.  2.  3:  S  557;  114,  12:  S530;  115,  2:  S  558;  115,  18:  S  561.  Aus  den 
philosophischen  Schriften:  De  beneficiis  3,  6,  2  und  4,  37,  1:  M  23;  3,  7,  2.  3 : 
M  22  ('artig  ausgedrückt');  De  ira  2,  27,  2:  S  692;  De  tranquillitate  animi  17,  10: 
S  372  (statt  XV  ist  XVH  zu  lesen). 


.    LISOOWS   ZITATE  87 

Suetons  biographien  werden  besonders  in  der  ersten  schrift  gegen  Sievers 
benutzt,  wo  Liscow  auch  (S  24)  sich  ausführlich  über  ihn  auslässt  und  aus  Bor- 
richius'  'Conspectus  praesfantiorum  scriptonim  latinae  linyiiae'  (Kopenhagen  1705) 
eine  längere  lateinische  stelle  über  die  Suetonausgaben  anführt.  Im  einzelnen 
zitiert  er:  Nero  10:  *S  123;  Vespasian  24:  S  28;  Titus  1.  8:  S  31. 

Tacitus,  Agricola  12:  S  477. 

Vellejus  2,  35:  S  192. 

Es  bleiben  endlich  die  wenigen  Christen  und  Neulateiner.  Von  den  früh- 
christlichen Schriftstellern  zitiert  Liscow  Augustin,  den  'grossen  kirchenvater'  (S  757), 
und  Hieronyinus.  Von  jenem:  Confessiones  8,  17:  S  757;  8,  19:  S  284;  De  ciri- 
fate  dei  14,  23,  3.  24,  1:  S  744;  die  berühmte  und  vielzitierte  stelle  von  den 
tugenden  der  beiden  als  'splendida  vitia'  (M  31.  44)  habe  ich  nicht  aufgefunden. 
Von  diesem  zwei  stellen  der  briefe:  71,  5,  2:  S  21;  75,  4,  1:  S  256.  Aus  Alcimus 
Avitus,  De  originali  peccato  (=  De  spiritalis  historiae  gestis  2)  werden  zwei  längere 
stellen  angeführt:  145,  169:  S  598.  Ein  mittelalterliches  lied  \vird  S  457  zitiert. 
Aus  Dominicus  Baudius'  (Baudier,  1561—1613)  Poemata  (Amsterdam  1640)  finden 
sich  zwei  zitate:  aus  der  Praefatio  ad  lectorem:  S  214;  aus  lambicorwn  1,  9: 
S  136  als  motto  zu  'Briontes  dem  jüngeren'  (vgl.  auch  S  290). 

Zwei  hexametrische  stellen  habe  ich  trotz  alles  angestrengtesten  suchens 
nicht  auffinden  können:  'Xatn  grave  formeii tum  fcnttes'  S  29;  'Non  moror,  an  landet 
me  turpis  an  iniprobet  osor'  S  99  (nach  freundlicher  auskunft  vom  Thesaurus 
Unguae  latinae  ist  der  vers  wahrscheinlich  mittelalterlich  oder  neulateiuisch).  Auch 
das  'sehr  alte  skytbische  Sprichwort'  S  513,  'dass  es  eine  grössere  kunst  sei,  aus 
einem  ledigen  als  aus  einem  vollen  glase  zu  trinken',  dessen  quelle  ja  wohl  der 
antike  angehören  wird,  kann  ich  nicht  nachweisen. 

Eine  grosse  anzahl  dem  deutschen  text  eingestreute  lateinische  brocken  sind 
mehr  oder  weniger  sprichwörtliche  Wendungen,  für  die  in  den  meisten  fällen  Eras- 
mus'  Adagia  oder  noch  mehr  die  ebenso  betitelte,  eine  zahlreiche  reihe  von  nach- 
folgern  des  Erasmus  verwertende  Sammlung  (Frankfurt  1646)  weiterhelfen  (ich 
gebe  in  den  klammern  einige  zitate) :  so  S  20.  27.  28.  29  (s.  226a).  30.  52  und  216 
(s.  671b).  103.  109.  119.  147  (s.  234  b);  364.  394.  487.  520.  713.  740.  754.  828. 
864.  871  sowie  M  25.  31.  32.  86.  94.  Andres  sieht  aus  wie  reminiszenz  aus  der 
akademischen  Vorlesung  (S.  25.  27.  110.  115.  127.  260.  553.  638.  639.  666.  725; 
M  19.  33.  55.  89,  S  vorrede  63.  84)  oder  aus  der  lateinischen  pennälersprache 
(S  98.  280.  396)  und  trägt  somit  nicht  eigentlichen  zitatcbarakter.  Zu  diesen 
reminiszenzen  rechne  ich  auch  die  zitate  aus  Pomponius  (S  227),  Ulpian  (S  306) 
und  Comenius  (S  545).  Wer  aber  ist  Josephus  Quercetanus,  der  'berühmte  fran- 
zösische medikus',  der  S  370  zitiert  wird? 

3.  Zitate  aus  der  französischen  und  italienischen  literatur. 

Aus  dem  gebiete  der  französischen  literatur  kennt  Liscow  eine  reihe 
dichter  und  prosaiker  und  zwar  nicht  nur  namen  ersten,  sondern  auch  minderen 
ranges.  Ich  gebe  zunächst  das  material  in  alphabetischer  folge  der  in  betracht 
kommenden  autoren. 

Von  .Jean  Louis  Guez  de  Balzac  wird  S  489  eine  stelle  aus  'Äristippe  ou  de 
la  conr'  und  S  517  eine  aus  den  briefen  zitiert:  die  letztere  habe  ich  nicht  auf-- 
finden  können;  auch  muss  in  Liscows  angäbe  ein  fehler  stecken,  da  es  23  bücher 
briefe  von  Balzac  nicht  gibt. 


88  T.EITZMANN 

Bayles,  des  'vortrefflichon  mannes'  (S  760),  werke,  vor  allem  sein  'Dictionnuire 
historique  et  critique',  waren  ja  auf  lange  hinaus  grnndbücher  des  wissens  und 
Urteils  der  damaligen  zeit:  es  kann  daher  nicht  wunder  nehmen,  dass  wir  ihn  auch 
bei  Liscow  häufig  genannt  finden.  Der  'Dictionnaire'  wird  S  651.  6ö3.  727.  731. 
753.  755  zitiert.,  die  'Peiisee.s  diverses  sicr  la  coniete'  S  17.  693.  700,  die  'Xourelles 
lettres  de  Vantenr  de  la  critique  r/enerale  de  l'histoire  du  calvinisme  du  pcre  Maim- 
honrg'  S  760,  die  von  Bayle  herausgegebenen  'Nouvelles  de  la  r^pnbliqne  des  lettres' 
S  771 ;  auch  nennt  er  ihn  S  475  als  musterbeiapiel  eines  'unstreitig  guten  skribentcn'. 

Wie  sehr  Liscow  in  seinen  literarischen  anschauungcn  von  Boileau  beeinflusst 
ist,  hat  Litzraann  (s.  73)  zuerst  eingehend  gezeigt  und  Seuffert  scheint  mir  in  seinem 
angriff  auf  diese  beliauptung  Litzmanns  (Afda.  11,  71)  etwas  zu  Avoit  gegangen  zu 
sein :  auch  mir  scheint  Bo:leaus  einfluss  wichtiger  als  der  Swifts.  Schon  S  79.  80 
nennt  er  ihn  neben  Horaz  als  den  regelgebenden  geist  und  überragenden  kritischen 
köpf  in  ästhetischen  fragen.  Von  direkten  zitaten  aus  der  'Art  po(Hique',  die  er 
hier  vor  allem  im  äuge  hat,  findet  sich  allerdings  nur  ein  einziges,  häufig  ange- 
führtes: 1,  232:  S  243.  Dagegen  werden  seine  satiren  14mal  angeführt:  1,  149: 
S  128;  2,  76:  S  540;  2,  81:  S  521;  2,  87:  S  265;  2,  93:  S  540;  7,  2:  S  105; 
7,  13:  S  106;  8,  55:  S  679;  8,  61 :  S  699;  9,  169:  S256;  9,  187:  S257;  9,209: 
S  255;  9,225;  S  92  als  motto  zu  dem  'Sich  selbst  entdeckenden  X  Y  Z';  9,  305- 
S  198  als  motto  zu  der  'Unparteiischen  Untersuchung'. 

Cyrano  de  Bergeracs  geistreiche  ^Histoire  comiqne  des  etats  et  empire  de  la 
Inne',  das  Vorbild  für  Swifts  Gulliver  und  Voltaires  'Microm^gas',  wird  einmal  8  695 
zitiert:  die  stelle  steht  in  Jordans  ausgäbe  s.  151. 

Charles  Riviere  Dufresny,  Amüsements  s^rieux  et  comiques  9 :  S  499  (statt  49 
ist  69  zu  lesen). 

Von  Fontenelle,  'einem  von  unsern  (der  elenden  skribenten)  ärgsten  feinden' 
(S  493),  zitiert  Liscow  die  Schlussworte  des  ersten  der  '■Dialognes  des  morts  anciens' 
zwischen  Herostrat  und  Demetrios  von  Phaleron  S  493. 

Von  Fran(}ois  Garasse,  der  eine  gewisse  ähnlichkeit  mit  unserm  Abraham  a 
sancta  Clara  nicht  verleugnen  kann,  wird  eine  stelle  aus  der  'Sotmne  the'ologiqne 
des  ve'rite's  capitales  de  la  religion  chretienne'  S  535  angeführt. 

Der  pater  Jean  Baptiste  Girard,  der  eben  damals  1733  gestorben  war,  wird 
S  116  wegen  seiner  amoureusen  neigungen,  S  569  mit  einer  nachgelassenen  schrift 
genannt,  die  ich  genauer  nicht  nachweisen  kann  und  deren  existenz  vielleicht  nur 
auf  einem  scherz  Liscows  beruht. 

Der  Polemiker  Jurieu,   Bayles  bekannter  gegner,  begegnet  M  56   und   S  70. 

Labruyere,  Des  ouvrages  de  l'esprit  18 :  S  303. 

Lafontaine,  fabeln  3,  10,  7:  S  668;  8,  5:  S  244  (statt  II  ist  VIII  zu  lesen): 
9,  1,  89:  S  279  (statt  III  ist  IX  zu  lesen).  Als  fabeldichter  neben  Aesop  wird  er 
auch  S  902  genannt. 

Rene  Lepays,  briefe  35:  S  666  (die  Seitenzahl  bezieht  sich  auf  den  zweiten 
band  der  'Nouvelles  oeuvres') ;  Ode  irreguliere  ä  mousieur  Chorier  52 :  S  vorrede  5 
(die  fehlende  Seitenzahl  ist  als  2,  219  zu  ergänzen). 

Malebranche,  Becherches  de  la  r^ritd  1,  18:  S  129. 

Moliere,  L'i^fourdi  585  (2,  4):  S  472  als  ausklang  der  'Bescheidenen  beant- 
wortung  der  einwürfe'.     Seine  'FrScieuses  ridicules'  werden  S  560  genannt. 

Gern  zitiert  Liscow  die  essais  Montaignes,  den  er  'einen  der  besten  skribenten' 
(S  501),  den  'vortrefflichen'  (S  692),  den  'weisen'  (S  752)  nennt.     Von  den  8  mehr- 


LISCOWS    ZITATE  89 

fach  längeren  zitaten,  die  er  aus  ihm  anführt,  sind  7  dem  überlangen  philosophischen 
kapitel  2,  12  'Jpoloffie  de  Raimond  Sebond'  entnommen  (ich  zitiere  nach  der  aus- 
gäbe Paris  1827):  4,  228:  S  692;  4,  247:  S  739;  5,  37:  S  543;  5,  53:  S  491; 
5,  53:  S  498;  5,  210:  S  501 ;  5,  234.  235:  S  494;  ausserhalb  dieses  kapitels  nur  2, 
215.  216  (1,  29):  S  752  (statt  27  ist  29  zu  lesen).  Auf  Montaignes  einfluss  auf 
unsere  literatur  ist  neuerdings  von  Unger  (Hamann  und  die  aufklärung  1,  393) 
für  Hamann,  von  Schneider  (Euphorien  23,  23.  369)  für  die  geniezeit  und  für 
Hippel  mit  nachdruck  hingewiesen  worden:  Liscows  hohe  Schätzung  des  originellen 
Franzosen,  mit  dem  er  auch  die  lust  zum  zitieren  der  antiken  literatur  gemein  hat 
(aus  ihm  5,  174  entlehnt  dürfte  wolil  das  Cicerozitat  S  489  sein),  reiht  sich  diesen 
Zeugnissen  an. 

Regnier,  Satiren  2,  38:  S  107. 

Jean  Baptiste  Rousseau,  episteln  1,  3,  58:  S  vorrede  56  (statt  2  ist  8  zu 
lesen);  öden  2,  2,  9:  S  vorrede  81. 

Eine  stelle  aus  Saint-Evremond,  die  Liscow  in  einem  briefe  vom  12.  februar  1734 
zitiert  (Heibig,  Ch.  L.  Liscow  s.  33),  habe  ich  nicht  auffinden  können. 

Jean  Frangois  Sarrasin,  Ballade  dn  paijs  de  Cocagne  2:  S  674/  Sonnet  ä 
monsienr  de  Charleral  10:  S  659. 

Endlich  zitiert  Liscow  noch  zwei  anonyme  Sammlungen  französischer  gedichte : 
S  223  die  ^Arleqiduiana  ou  les  bons  mofs  et  les  ht'stoires  plaisantes  et  agreables, 
recueillis  des  conrersations  d'Arlequiu'  (Paris  1694;  Verfasser  ist  nach  Barbier  Coto- 
lendi)  und  S  499  'Je  ne  sais  qiioi'  (Haag  1723;  Verfasser  ist  nach  derselben  quelle 
Cartier  de  Saint-Philip). 

Dass  er  auch  den  roman  des  Cervantes,  den  er  S  391.  440  nennt,  nur  in 
französischer  Vermittlung  gekannt  hat,  darf  man  aus  der  bezeichnung  'chevalier  de 
la  triste  figiire'  (S  811)  schliessen. 

Die  französischen  zitate  Liscows  und  ihre  Verteilung  auf  seine  verschiedenen 
Schriften  spielen  eine  rolle  in  einer  chronologischen  frage:  in  der  frage,  wann  die 
Schrift  gegen  Manzels  naturrecht  entstanden  ist,  ob  1726—29  oder  1735,  d.  h.  mit 
anderen  worten,  ob  Liscow  als  parodist  seine  schriftstellerische  laufbahn  eröffnete 
und  als  ernster  schriftsteiler  abschloss  oder  ob  sein  ernstestes  und  gedanklich  bestes 
werk,  eben  das  gegen  Manzel,  am  anfang  steht.  Kürzlich  hat  Schirokauer  (Eupho- 
rion  22,  663)  im  gegensatz  gegen  Litzmann,  der  (s.  8)  für  frühe  entstehung  ein- 
getreten war,  vor  allem  aus  den  französischen  zitaten,  die  erst  1733  mit  dem  'Sich 
selbst  entdeckenden  X.  Y.  Z.'  beginnen  und  in  der  schrift  gegen  Manzel  einen  grossen 
räum  einnehmen,  den  nachweis  geführt,  dass  die  letztere  erst  1735  ihre  endgiltige, 
uns  vorliegende  gestalt  erhalten  haben  kann,  wobei  es  immerhin  möglich  ist,  dass 
ältere  schriftliche  materialien  und  ausätze  damals  vom  Verfasser  benutzt  worden 
sind.  Das  resultat  dieser  Untersuchung  von  Schirokauer  ist  ohne  jeden  zweifei 
richtig,  aber  dass  die  Untersuchung  selbst  in  dieser  form  erscheinen  konnte,  ist  ein 
trauriges  zeichen  für  die  nachlässigkeit,  mit  der  jüngere  forscher  vielfach  heute 
ihre  elaborate  veröffentlichen,  ohne  sich  in  der  nächstliegenden  literatur  über  den 
betreffenden  stoff  genügend  umgesehen  zu  haben.  Dass  Litzmanns  schrift  bald 
nach  ihrem  erscheinen  in  unsem  fachblättern  eingehend  besprochen  worden  ist, 
ist  selbstverständlich,  und  den  'Afda.  und  deutsche  literatur'  darf  und  soll  man  ja 
wohl  kennen,  auch  wenn  man,  wie  ich  es  von  dem  Verfasser  annehme,  nicht  gerade 
germanist  im  strengeren  sinne  des  wortes  ist.  Hätte  Schirokauer  den  naheliegenden 
gedanken  gehabt,  dort  nachzusehen,  so  hätte  er  seinen  aufsatz  entweder  ungeschrieben 


90  I.EITZSrANN 

lassen  oder  doch  sehr  kürzen  können,  denn  er  hätte  gefunden,  dass  Seuffert  dort 
(11,  70)  schon  vor  37  Jahren  die  streitfraffe  ganz  im  gleichen  sinne  und  durch  die 
gleiche  beohachtung  erledigt  hat.  Was  Schirokauer  über  Seuffert  hinaus  bietet, 
ist  unerheblich;  ja  man  muss  jenen  aus  diesem  in  manchem  verbessern  und  er- 
gänzen, obwohl  Schirokauers  wortreicher  aufsatz  einen  halben  bogen,  Seuflferts  knappe 
behandlung  der  frage  eine  seite  umfasst. 

Zitate  aus  der  italienischen  literatur  bringt  Liscow  dreimal;  sie  genauer 
auf  ihren  Ursprung  hin  festzulegen,  ist  mir  leider  nicht  gelungen.  Den  S  826 
deutsch  angeführten  sutz  von  Guariui  habe  ich  weder  im  'Pastor  fido'  noch  in  den 
Sonetten  und  madrigalen  finden  können,  ebensowenig  den  S  451  als  erstes  motto 
der  'Bescheidenen  beantwortung  der  einwürfe'  in  der  Ursprache  gegebenen  vers 
aus  Tasso  in  den  werken  der  beiden  dichter  dieses  namens.  Auch  die  S  753  zitierte 
anonyme  schrift  'Precetfi  da  es.ser  vnparati  dalle  donne  ebree'  kann  ich  nicht  genauer 
nachweisen.  Das  M  79  angeführte,  noch  heute  oft  gebrauchte  italienische  Sprich- 
wort soll  nach  Büchmanns  nachweis  bei  Giordano  Bruno  stehen,  kam  aber  auch 
Liscow  sicher  wie  uns  heute  aus  der  lebendigen  umgangsrede  zu. 

4.  Zitate  aus  der  deutschen  und  englischen  literatur. 

An  der  spitze  der  deutschen  zitate  Liscows  steht  Luther,  'dieser  teure 
mann'  (M  14),  'unser  seliger  vater'  (M  14.  47.  49.  78.  82.  85),  der  in  der  unter 
theologischer  maske  erscheinenden'  schrift  über  die  guten  werke  eine  reihe  von 
malen  genannt  wird.  Aus  der  schrift  'De  servo  arbitrio' :  werke  18,  675  Weima- 
rische ausgäbe:  M  14;  aus  dem  Genesiskommentar:  24,  207.  20S:  M  47.  48;  355. 
425:  M  51.  Die  M  78  zitierte  bekannte  stelle  von  der  strohernen  epistel  Jacobi 
findet  sich  am  schluss  der  vorrede  zur  septemberbibel.  Das  S  845  genauer  nach 
seinem  fundort  bezeichnete  zitat  aus  der  antwort  an  Heinrich  VIIT.  von  England 
steht  in  einer  rezension,  die  Liscow  nicht  gehört  (vgl.  Litzmann  s.  115). 

Brockes,  Irdisches  vergnügen  in  gott  1,  43:  *S  678;  1,  456:  *S  746. 

Canitz,  Klagode  über  den  tod  seiner  ersten  gemahlin  19:  S  820;  Satiren  3,  29: 
S  192.  Die  an  der  letzten  stelle  sich  findende  parallelisierung  von  Canitz  und 
Ovid  entnahm  Liscow  aus  Königs  lebensbeschreibung  von  Canitz  s.  17. 

Eichey,  Auf  die  Lastrop  und  von  Beselerische  Verbindung  in  Hamburg  5 
(Deutsche  gedichte  1,  76):  S  423  als  motto  der  'Sottises  champHres' . 

Schlot,  Poetanim  splendida  miseria  72  (Eine  handvoll  poetischer  blätter  s.  8): 
S  206. 

Kirchenlieder  werden  zitiert  M  11.  15.  39.  67 ;  S  25. 

Die  Worte  eines  'mystischen  skribenten'  S  162  und  die  eines  'gewissen 
Skribenten'  S  210  kann  ich  nicht  nachweisen. 

Genannt  werden  noch  S  522  Happel,  Menantes,  Uhse  (Wohlinformierter  redner, 
Gotha  1730)  und  Hübner  (Fragen  aus  der  oratorie,  Leipzig  1726—30),  sowie  S  vor- 
rede 4  Buchka  (vgl.  Goedekes  Grundriss*  3,  356). 

Von  der  englischen  literatur  zitiert  Liscow  fast  nichts,  nur  einzig  S  516 
Prior,  Another  epistle  to  Fleefwood  Shephard  31.  Er  kennt  weder  Shakespeare,  der 
ja  damals  aus  seinem  langen  dornröschenschlaf  noch  nicht  erweckt  war,  noch 
Miltoo,  der  ihm  manche  pfeilc  hätte  bieten  können,  und  nennt  auch  Swift,  dessen 
einfluss  auf  ihn  auch  nach  meiner  meinung  überschätzt  worden  ist  (vgl.  schon  Litz- 
mann s.  73),  nur  indirekt  S  209  in   einer   aus   Thomas   Swifts  'Complete  hey  to  the 


LISCOWS   ZITATE 


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92  LEITZMANN,    MAGISTER    ARDET.IO 

tale  of  a  tnb'  (London  1710)  zitierten  äusserung  William  Wottons  in  einer  späteren 
aufläge  seiner  zuerst  London  1694  erschienenen  'Reflections  upon  ancient  and  modeni 
learniAg'. 

JENA.  ALBEKT    I.EITZMANN. 


Magister  Ardelio. 

Aus  dem  nachlass  des  badischen  hofrats  Eing,  dessen  Schilderung  Klopstocks 
durch  Erich  Schmidts  'Charakteristiken'  allgemein  bekannt  geworden  ist,  hat  Funck 
vor  vielen  jähren  ein  anekdoton  Wielands  hervorgezogen,  das  für  die  Züricher 
'Freimütigen  nachrichten'  bestimmt,  aber  dann  durch  die  zensur,  die  darin  eine 
Satire  gegen  den  bibelkommentar  eines  einheimischen  kirchenlichts  vermutete,  unter- 
drückt worden  war,  die  besprechung  einer  Horazausgabe,  'Quinti  Horatii  Flacci 
opera,  der  lieben  Jugend  zum  besten  mit  anmerkungen  herausgegeben  von  magister 
Ardelio,  Greifswalde  1753'  (beilage  zur  Allgemeinen  zeitung  1884  nr.  131,  jetzt 
bequemer  zugänglich  in  der  akademischen  ausgäbe  von  Wielands  Gesammelten 
Schriften  1,  4,  62;  vgl.  auch  Seuffert,  Prolegomena  zu  einer  Wielandausgabe  1,  42). 
Den  genaueren  nachweis  dieses  Greifswalder  Horaz  von  1753  und  seines  heraus- 
gehers und  kommentators  magister  Ardelio,  dessen  lächerliche  und  trivial-kindische 
anmerkungen  Wieland  zitiert  und  mit  den  theologischen  des  'berühmten  herren 
magister  Sievers',  des  bekannten  Schlachtopfers  der  satirischen  geissei  Liscows, 
auf  eine  linie  stellt,  hat  noch  niemand  zu  geben  versucht.  Ganz  arglos  spricht 
vielmehr  Seuifert  1,  63  vom  'Ardelioschen  Horaz'  und  Budde,  Wieland  und  Bodmer 
s.  176  hält  gar  'Ardelio'  für  einen  lateinischen  dativ,  obwohl  Wieland  selbst  sein 
Opfer  zweimal  (63,  10.  64,  30)  'herr  magister  Ardelio'  nennt,  und  tauft  den  rätsel- 
haften mann  'Ardelius'. 

Wieland  würde  ins  fäustchen  lachen,  wenn  er  sähe,  dass  er  noch  die  gelehrten 
einer  späten  nachweit  mit  seiner  rezension  genarrt  hat.  Es  gibt  Aveder  einen 
Greifswalder  Horaz  von  1753  noch  überhaupt  einen  magister  Ardelio.  .Jenes  lehrt 
ein  blick  in  Schweigers  Handbuch  der  klassischen  bibliographie  (Leipzig  1830-34), 
dieses  eine  stelle  des  Phaedrus  (2,  5,  1): 

Est  ardelionum  quaedam  Romae  natio, 

trepide  cotiaifsans,  occupata  in  otio, 

gratis  anhelans,  mnlta  agendo  nil  agens, 

sibi  molesta  et  aliis  odiosissima. 
In  diese  beneidenswerte  menschenklasse  gehört  natürlich  auch  unser  magister 
Ardelio,  der  ebenso  wie  sein  Horaz  eine  reine  Aktion  Wielands  ist,  der  unter  dieser 
sprechenden  maske  jenen  seichten  bibelkommentator  treffen  wollte.  Dass  Wieland 
die  Phaedrusstelle  gekannt  hat,  beweisen,  wenn  es  überhaupt  noch  beweises  be- 
darf, zwei  briefstellen.  An  Bodmer  schreibt  er  aus  Bern  am  30.  januar  1760  (Aus- 
gewählte briefe  2,  117):  'Hier  arbeitet  niemand,  wen  nicht  der  hunger  dazu  treibt. 
Alles  wimmelt  von  ardelioneu,  deren  einziges  geschäft  ist,  zu  machen,  dass  andere 
ehrliche  leute  ebenso  wenig  tun  können  als  sie  selbst';  ähnlich  an  Jacobi  aus  Weimar 
am  15.  august  1774  (Jacobi,  Auserlesener  briefwechsel  1,  170):  'Sie  erinnern  sich 
doch  noch  aus  Ihrem  Phaedrus  der  ardelionen,  die  immer  in  hewegung  sind  und 
doch  nichts  tun?  Diese  ardelionen  sind  die  hoüeute'.  Auch  der  bearbeiter  der 
briefe  an  Jacobi  kannte  seinen  Phaedrus  nicht,  denn  er  druckt  beidemale  'aedelionen'. 


GEftlNG   ÜBER  SiEVERS,  DIE   EDDALIEDER  9B 

Wir  literarhistoriker  aber  sollen  uus  aufs  neue  immer  wieder  Horazeua  regel 
gegenwärtig  halten :  Vos  exemplaria  graeca  (in  diesem  falle  latina)  nocturna  ver- 
sate  manu,  versate  diurna. 

JENA.  ALBERT   LEITZMANN. 


LITERATUR. 

Die  Eddalieder  klanglich  untersucht  und  herausgegeben  von  Eduard  Sievers. 
[Abhandlungen  der  phüologisch-historischen  klasse  der  sächs.  akademie  der 
Wissenschaften.     Band  XXXVII  nr.  3.]    Leipzig,  Teubner  1923.    (11;,  188  s.  gr.  8. 

E.  Sievers  ist  bekanntlich  seit  einer  reilie  von  jähren  bemüht,  auf  grund  von 
ihm  entdeckter  oder  vervollkommneter  Untersuchungsmethoden  die  ganze  altger- 
manische metrik  auf  eine  neue  basis  zu  stellen.  Diese  methoden,  die  den  forscher 
angeblich  auch  in  den  stand  setzen,  die  frage  nach  der  heimat  jeder  einzelnen 
dichtung  mit  Sicherheit  zu  entscheiden  und  Interpolationen  zweifellos  zu  erkennen, 
hat  Sievers  bereits  in  seinen  Metrischen  Studien  IV,  1  (Leipzig,  1918)  auf  die  Här- 
barjisljöt)  und  die  Lokaseuua  angewandt,  und  es  folgt  nun  in  dem  vorliegenden 
buche  eine  ausgäbe  der  Edda,  in  der  nur  die  Svipdagsuiyl,  der  Grottasgngr  und  die 
in  prosaschriften  zerstreuten,  wenig  umfangreichen  bruchstücke  fehlen.  Prüfen  wir 
an  einzelnen  beispielen,  was  bei  dieser  umstürzenden  neugestaltung  des  textes 
herausgekommen  ist,  und  ob  die  ergebnisse  annehmbar  sind. 

Die  Gripisspü  galt  bisher  als  ein  einheitliches,  von  Interpolationen  un- 
berührtes gedieht  isländischer  proveuienz.  Nach  Sievers  ist  sie  dagegen  ein  gemisch 
von  norwegisch  und  isländisch,  und  zwar  wechseln  nicht  nur  norwegische  Strophen 
mit  isländischen,  sondern  häufig  fällt  die  Scheidung  zwischen  den  beiden  mundarten 
mit  der  helmiuggrenze  zusammen,  so  dass  also  die  erste  halbstrophe  einem  nor- 
wegischen dichter  zugeschrieben  wird,  die  zweite  einem  isländischen  oder  umgekehrt. 
Wie  dieses  sonderbare  mosaik  zustandegekommen  sein  soll,  verrät  uns  der  heraus- 
geber  nicht;  ich  könnte  mir  nur  eine  —  allerdings  sehr  unwahrscheinliche  —  mög- 
lichkeit  denken,  nämlich  die,  dass  zwei  befreundete  dichter,  ein  Norweger  und 
ein  Isländer,  sich  den  jux  gemacht  haben,  das  lied  gemeinsam  zu  verfassen,  und, 
wie  bei  dem  bekannten  gesellschaftsspiel,  entweder  von  strophe  zu  Strophe  oder 
von  helmingr  zu  helmingr  miteinander  wechselten.  Doch  wie  dem  auch  sein  möge, 
jedesfalls  war  es  die  absieht  der  beiden  autoren,  ein  regelmässiges  gedieht  zu  ver- 
fassen. Denn  wenn  es  auch  glaublich  ist,  dass  Norweger  und  Isländer  sich  durch 
die  klangfarbe  der  gesprochenen  rede  unterschieden  (wie  z.  b.  heute  das  ge- 
sprochene norwegisch  eine  von  dem  gesprochenen  schwedisch  und  dänisch  deutlich 
abweichende  modulation  besitzt),  so  hat  doch  diese  Sprachmelodie  niemals  die  Um- 
gestaltung eines  bestimmten  metrums  verursachen  können:  wer  dichten  wollte, 
und  gar  in  einem  so  allgemein  bekannten  und  häufig  benutzten  metrum,  wie  das 
fornyröislag  es  ist,  der  musste,  mochte  er  ein  Norweger  oder  ein  Isländer  sein, 
den  gesetzen  dieses  metrums,  die  sich  aus  hunderten  von  Strophen  ablesen  lassen, 
gehorsam  sein,  wenn  er  nicht  als  ein  skäldfifl  verspottet  werden  wollte.  Ich  halte 
es  daher  für  völlig  ausgeschlossen,  dass  solche  unverse,  wie  sie  Sievers  in  seinem 
texte  zu  dutzenden  drucken  liess,  verse,  die  überdies  die  merkwürdige  eigentümlich- 
keit  haben,  dass  sie  durchweg,  ohne  die  Wortfolge  zu  ändern,  mühelos  in  korrektes 


Ö4  Uering 

fornyröislag-  mit  regelmässiger  alliteration  sich  umschreiben  lassen  —  also  in  die 
form,  die  wir  in  allen  früheren  ausgaben  finden  — ,  jemals  produziert  werden  konnten, 
und  ich  bin  überzeugt,  dass  die  meisten  kenner  altnordisciier  diclitung  mir  ohne 
weiteres  zustimmen  werden '. 

Das  gesagte  möge  durch  einige  proben  erläutert  werden.  Grp  str.  1  (man 
vergleiche  eine  beliebige  ältere  Eddaausgabe)  erscheint  bei  Sievers  in  der  folgen- 
den form: 

'Uvlrr  bi/ggir  her  börgir  öessarY 

hvat  dann  pjopkonumj  Jn^gnar  nefnai" 
'Gripir  heitir  gihnna  stjöri  sä  er 

fdstri  rcfÖr  földu  ok  p^gmun'. 

Diese  'besserung'  (in  der  z.  2  und  4  zäsurlos  sein  sollen)  wird  dadurch  erkauft,  dass 
1.  z.  3a  6  Silben  erhält;  2.  z.  3b  alliterationslos  wird;  3.  die  relativpartikel  er  die 
hebung  tragen  muss,  was  ich  für  ebenso  viele  Unmöglichkeiten  halte.  Z.  2—4  sind 
überdies  so  holprig,  dass  ich  sie  auch  einem  minder  gewandten  dichter  nicht  zu- 
trauen kann. 

Schlimmer  noch  ist  der  str.  9  mitgespielt  worden: 

'Fi/rst  montu,  fi/lkir,  f^Öur  um  Mfna, 

ok  Ef/lima  dllz  harms  re'kä : 
pü  nuint  harda  Hi'mdings  sönü  snjdlla 

fella,  »lünt  sigr  hdfä /' 
Gegen  diese  'restitution'  ist  folgendes  zu  sagen :  1.  hinter  Et//i»ia  muss  interpungiert 
werden  ('du  wirst  deinen  vater  und  den  Eylimi  rächen,  für  den  ganzen  kummer 
räche  nehmen')  und  daher  liegt  hinter  dem  nameu  offenbar  die  mit  unrecht  ge- 
leugnete Zäsur;  2.  3b  alliteriert  nur  in  sich  selbst,  nicht  mit  3a,  was  durchaus 
gegen  die  regel  ist;  3.  z.  4  ist  ohne  Stabreim;  4.  dass  das  hilfsverbum  in  zelle  3 
und  4  eine  hebung  tragen  sollte,  das  darauffolgende  nomen  aber  nicht,  ist  ganz 
unglaublich  und  würde  eine  überaus  mangelhafte  teciinik  verraten.  Dagegen  ist 
alles  in  schönster  Ordnung,  wenn  man  den  bisherigen  text  unverändert  lässt. 
Ebenso  halte  ich  die  Jierstellung  von  str.  10  für  verfehlt: 

'SegÖü,  Ur  könioigr,  lettingi,  mi'r 

heldr  hdrskliga,  ir  vip  hngat  mtelom: 
ser  /)il  Sü/xrdar  snör  brögP  fi/rir 

dtiu  er  htest 

fdra   niid  Ji/iiniis  skäiitumf" 
Hier  ist  folgendes  zu  beanstanden:  1.  in  der  angeblich  zäsurlosen  z.  2  ist  ein  iktus 
auf  die  konj.  er  gelegt,  nicht  aber  auf  das  reimwort  hugat  (die  alliteration,  die  man 
bisher  als  den  zuverlässigsten  Wegweiser  für  die  abgrenzung  der  verszellen  und  die 
Setzung   der  ikten   betrachtete,    ist  ja   neuerdings   für  SIevers    gänzlich    irrelevant!) 

1)  Man  kann  auch  anders  argumentieren,  um  zu  demselben  Schlüsse  zu  ge- 
langen: von  den  53  Strophen  der  Grp  sind  auch  in  dem  texte  von  Sievers,  wenn 
man  von  geringeren  entgleisungen  absieht,  49  korrektes  fornyrölslag,  und  es  ist 
daher  höchst  wahrscheinlich,  dass  auch  die  übrigen  4  In  demselben  metrum  abgefasst 
sind.  Diese  Wahrscheinlichkeit  wird  dadurch  zur  gewisslielt,  dass  die  Strophen  1 
und  9—11  sich  ohne  weiteres  in  das  l)ekannte  metrum  umschreiben  lassen,  wobei 
alle  Sonderbarkeiten  und  fehler  in  fortfall  kommen,  an  denen  man  in  dem  neuen 
heratellungsversuche  anstoss  nehmen  musste. 


I 


ÜBER   SIEVKRS,    die   EDDALIED^U  Ö5 

und  die  ganze  zeile  ist  höchst  ungeschickt  (ein  erträglicher  rhythmus  würde  erst 
durch  Streichung  des  vip  geschaffen);  2.  die  athetese  von  z.  3  und  die  ansetzuug 
einer  lücke  in  z.  4  erscheint  völlig  unmotiviert;  3.  die  zäsurlose  z.  5  ist  ohne 
Stabreim.  Alle  diese  Unmöglichkeiten  fallen  fort,  wenn  wir  der  Überlieferung  und 
den  bisherigen  ausgaben  folgen. 

Ich  schliesse  gleich  noch  die  IL,  sehr  stark  verunstaltete  strophe  an: 

'Mondu  einn  vegä  6nn  enn  fruna  dann  er 

yrüöiiyr  liygr  ü  Gnitaheidi: 
ßu  munt  badum  at  bdna  veröa,  Regin 

oh  Fufni:  rett  segir  Gripir !'' 

Es  wird  kaum  einen  germanisten  geben,  der  den  neuen  text  dem  alten  vor- 
ziehen wollte.  Dass  das  den  relativsatz  einleitende  pron.  mit  der  partikel  er  (die 
wieder  einmal  die  hebung  tragen  muss !)  nicht  an  den  schluss  von  z.  1  gestellt 
werden  darf,  dass  in  z.  2  die  stabreimeuden  silben  yräd-  und  Gnit-  die  hauptikten 
tragen  müssen,  die  praepos.  «  dagegen  nicht  fähig  ist,  die  hebung  auf  sich  zu 
nehmen,  dass  die  beiden  durch  ok  verbundenen  eigennamen  nicht  auseinandergerissen 
werden  können,  liegin  vielmehr,  wie  die  alliteration  beweist,  in  die  vierte  zeile 
gehört  —  das  alles  waren  früher  für  jedermann  (und  auch  für  Öievers  selbst)  selbst- 
verständliche dinge,  die  ich  auch  heute  noch  für  selbstverständlich  halte. 

Dasselbe  Hesse  sich  noch  über  zahlreiche  andere,  von  Sievers  hergestellte 
Strophen  sagen,  z.  b.  über  HH  I  31.  32,  die  ich  als  ein  besonders  abschreckendes 
beispiel  noch  anfüge.  Diese  beiden  Strophen  erscheiuen  bei  Sievers  in  folgender 
gestalt : 

En  peim  sjtdfnm  Sigrün  o/an  fölkdjörf  um  barg 

ok  fdri  peira :  snöriz  ramllga 
Run  ör  hendi  gjul/rdyr  könungs 

at  Gnipalundi,  svut  par  um  dptan 
I  Unavugnm  flaust  fagrbtdn 

fijöta  knättu,  en  pur  sjtllßr 
fra  Svarinshdugi  mep  hermÖar-hüy 

her  könnudu.     Fra  gop)börinn  .   .  . 

Neben  vielen  anderen  Unmöglichkeiten,  die  uns  schon  in  den  frühereu  zitaten 
begegnet  sind,  wird  uns  hier  noch  die  Ungeheuerlichkeit  zugemutet,  dass  die  kon- 
struktion  aus  einer  strophe  in  die  andere  hinübergreift. 

Für  höchst  bedenklich  halte  ich  auch  die  von  Sievers  postulierten  langverse 
mit  zwei  Zäsuren.  Rm  3  und  4,  die  schon  Bugge  u.  a.  für  unecht  erklärt  haben, 
bezeichnet  Sievers  als  eine  isländische  Interpolation,  und  dass  wir  es  mit  einem 
späteren  einschub  zu  tun  haben,  ist  in  der  tat  sehr  wahrscheinlich.  Aber  ich  kann 
nicht  verstehen,  warum  diese  beiden  atrophen  nicht  ebenso  gut  Ijööahättr  sein 
sollen  wie  1  und  2.  Der  3.  teil  der  vier  langzeilen  alliteriert  nur  in  sich  selbst, 
hat  also  das  volle  anrecht  darauf,  als  eiuzelzeile  zu  gelten,  und  es  ist  völlig  un- 
begreiflich, warum  3*  Itf  {  lypa  s^lum  anders  beurteilt  werden  soll  als  die  gauz 
gleich  gebaute  z.  1*  flnn  mer  lindar  loga.  Dasselbe  wäre  zu  Fm  11  zu  sagen  (wo 
schon  Bugge  die  erste  vollzeile  durch  einsetzung  des  Wortes  erlQy  gewiss  richtig 
ergänzt  hat),  ebenso  zu  Fm  18  und  19  (wo  die  einleuchtende  besserung  galzt  statt 
gazt   vermutlich    'klanglich'   nicht   befriedigte),   zu   2U.  30  usw.     Die   ganzen   Vaf- 


90  nERING   ÜBER   SiEVERS,   DTE  EDDALIKUEU 

ljriiönism(»l  sind  nach  Sievers  iu  diesem  phantasiemetrum  abgefasst,  das  wir  ruhig 
ablehnen   dürfen,   um   uns   mit   dem    alten  wohlbekannten   Ijööajjättr   zu  begnügen. 

Es  ist  dem  herausgeber  auch  widerfahren,  dass  er,  seineu  klanglichen  theorieu 
zuliebe,  Verstösse  gegen  die  grammatik  begieng.     Hym  3  *  lautet  in  den  hss.  : 

panns  (ßann  E)  ek  ((er  Ä)  QÜiim  ypr  gl  (gl  i/pr  R)  of  heita  {heiti  A)^ 
und  Sijmons  schrieb  mit  leichter  ändcrung: 

Jjanns  pHom  i//jr  gl  of  heitak. 
Sievers  ändert  gl  in  glvi.     Diese  konjektur  werde  ich  so  lange  für  verfehlt  ansehen, 
bis    man    mir    nachweist,   dass   das   denominative   traüsitivum   heita  'herss  machen, 
brauen'  jemals   mit  dem   dat.  konstruiert   worden    ist.     Ungrammatisch    ist   ferner 
Vkv  41^-  *  (Sievers  39  b): 

btp  du  Bgpvildi,  meyna  brähißto, 

gdnga  fagrtärip  vip  fgöv.r  rieÖa ! 

Die  herausgeber  haben  daher  geändert;  ich  schrieb: 

bip  Bgpvildi  ena  *  brdhvitu, 

gangi  ■^  fagrvarip  •  vip>  fgpur  rSpa, 

Heusler  (bei  Neckel): 

,  bijj  JjH  Bp/jvildi  brdhvita  ganga, 

fagrvarpa  mey,  vip  fgjmr  ropa; 

Sievers  lässt  dagegen  (wieBoer!)  die  unmögliche  konstruktion  bestehen,  vermutlich, 
weil  ihm  die  zeilen  melodisch  keinen  anstoss  erregten;  ebenso  (gleichfalls  wie  Beer!) 
Hm  22*  (28  b): 

1  blööi  brugnar  Itgn  lomip  ör  hnusii  Gütna, 

was   Neckel   durch   die   einsetzung   von   vus  (vor  komij))  besserte,  während  ich  den 
überlieferungsfehier  in  der  ersten   halbzeile  vermutete  (bl6p  bragnar  öjm).     Endlich 
ist  auch  frk  32'-  (wiederum  wie   bei   Boer!)  ein  grammatischer  fehler  (den  Sievers 
in  den  'Proben'  verbessert  hatte!)  stehen  geblieben: 
di'äji  haitii  iiia  dldnu  jgtna  sysfnr 

hol  er  (lies:  hinas  od.  es)  brR/jf?ar  itiii  bcOit  hdfdi. 

Man  könnte  noch  hunderte  von  dingen  beanstanden.  Z.  b.  dürfte  man  fragen, 
wodurch  es  sich  rechtfertigt,  dass  ikten  mit  Vorliebe  auf  das  2.  glied  von  compositis 
(selbst  wenn  das  1.  träger  des  Stabreims  ist !)  oder  auf  schwere  ableitungssilben 
gelegt  werden,  dass  präpositionen,  konjunktionen,  encliticae  (z.  b.  die  angehängte 
negation)  für  fähig  erachtet  werden,  die  hebung  zu  tragen,  dass  mit  dieser  sogar 
üexionssilben  beglückt  werden  {röpit  er  of  räp,  rlklr  ero  komnir),  dass  auslautende 
vokale,  die  bisher  als  kurz  galten,  als  längen  angesetzt  worden  sind  {smradi,  ekkl, 
Vera)  usw.  usw.  Doch  ich  breche  ab,  da  das  vorstehende  genügen  wird,  um  mein 
urteil  über  diese  revolutionäre  Eddaausgabe  zu  motivieren. 

Sievers  verlangt  von  dem  leser,  dass  er  seine  experimente  mit  benutzung 
der  von  ihm  gebrauchten  hilfsmittel  (die  vielleicht  imstande  sind,  leute,  die  für 
solche  einwirkungen  empfänglich  sind,  zu  hypnotisieren),  dem  unten  dicken  und 
oben   dünnen    taktstocke,   den    optischen    Signalen  usw.  nachprüfe.     Ich    für   meine 

1)  Das  hsl.  meyna  ist  unmöglich,  weil  das  nomcn  an  der  alliteration  teil- 
nehmen musste  und  der  angehäugte  artikel  in  der  dichtung  hohen  stils  nicht  ver- 
wendet wird. 

2)  So  änderten  bereits  v.  d.  Hagen  und  Finmir  Jönsson. 


VOGT    CBEU   KITTEKSIIAUS,    FRAU   DR.  ADELINE  97 

person  imiss  diese  forderung  ablehnen,  da  ich  die  ganze  raethode  für  völlig  un- 
brauchbar halte.  Sie  wird  durch  die  fruchte,  welche  sie  zeitigt,  gerichtet,  denn 
weil  sie  zu  so  haarsträubenden  ergebnissen  führt  —  ergebnisseu,  die  den  grundsätzen 
besonnener  philologischer  Untersuchung  und  den  sicher  festgelegten  gesetzen  der 
verskunst  und  grammatik  geradezu  ins  gesiebt  schlagen  — ,  muss  sie  notwendiger- 
Aveise  falsch  sein. 

Ed.  Sievers  war  es,  der  uns  durch  seine  bahnbrechenden  Untersuchungen, 
deren  ertrag  er  in  seiner  ausgezeichneten  Altgermanischen  metrik  zusammenfasste 
{die  ich  nicht,  wie  der  autor  selber,  als  antiquiert  betrachte,  sondern  immer  noch 
^Is  ein  'kanonisches'  buch  ansehe),  das  wissenschaftliche  Verständnis  der  alliterierenden 
verskunst  zuerst  eröffnet  und  dadurch  alle  seine  fachgeuossen  zu  unauslöschlichem 
danke  verpflichtet  hat.  Ich  glaube  diesen  dank  am  besten  dadurch  zu  betätigen, 
dass  ich  gegen  alle  Schädigungen  des  stolzen  und,  wie  ich  hoffe,  unzerstörbaren 
Werkes  (auch  gegen  die  von  dem  begründer  selbst  unternommenen)  entschieden  und 
energisch  front  mache. 

KIEL.  HUGO    GERING. 


Rittersliaus,  Fr;iu  Dr.  Adellne,  privatdozent  an  der  Universität  Zürich,  Alt- 
nordische frauen.  Frauenfeld  und  Leipzig,  Huber  &  co.  1917.  240s. 
Dies  buch  ist  von  einer  frau  für  unsere  frauen  geschrieben.  Und  so  werden 
in  ihm  die  altnordischen  Verhältnisse  und  Charaktere  mit  den  äugen  unserer  frauen 
gesehen.  Das  ergibt  für  den,  der  sich  in  die  aisl.  weit  und  vorstellungsweise  einge- 
lebt zu  haben  glaubt,  einen  fremdartigen  eindruck:  gerade,  was  die  saga  verschweigt, 
wird  gesagt,  und  gefühle,  die  sie  kaum  erreicht,  deutlich  ausgesprochen.  Es  mag  gut 
sein,  dass  die  auch  in  guten  Übersetzungen  schwer  verständlich  bleibende  altnordische 
weit  in  dieser  verdoTmetschung  an  die  leseriunen  hemngerückt  wird.  Warum  werden 
dann  aber  so  innige  züge  wie  das  verschen  der  tördis  Ljösv.  s.  c.  5,  Helgas  abschieds- 
blick  Gunnl.  s.  c.  14-,  die  idylle  von  den  beiden  J'öras  Sturl.  s.  hg.  Kälund  I,  248  ff. 
nicht  aufgenommen?  Der  druckfehlerteufel  gibt  der  weisen  Audr  den  weisen  Ölafr 
zum  manne  s.  9U;  ist  er's  auch,  der  für  den  altnoniischen  nanien  Griss  unser  ß  bemüht 
s.  27  ?  Die  darstellung  des  altnordischen  frauenlebens  in  der  einleitung  von  88  s. 
bedurfte  unbedingt  einer  heherrschung  durch  überragende  gedanken.  —  Nun,  damen 
lesen  das  buch  gern,  die  aus  den  sagas  gezogenen  einzelnen  'frauenleben'  gefallen, 
und  so  erreicht  das  buch  wohl  seinen  zweck. 

MOYS   B.    GÖULirZ.  SV.   H.    VOGT. 


Friedrich    Michael,    Die    anfange    der    theaterkri  ti  k    in    Deutschland. 
Leipzig,  H.  Haessel  1918.     IV,  110  s.   4  m. 

Es  ist  eigentlich  nur  die  einleitung  zu  einem  buche,  das  erst  kommen  soll, 
wie  es  ja  auch  der  titel  ausdrückt:  'Die  anfange  der  theaterkritik  in  Deutschland'. 
Wie  aber  schon  die  Volksweisheit  erkannt  hat,  'aller  anfang  ist  schwer',  so  ist  auch 
hier  für  das  ganze  gebiet  der  Untersuchung  über  die  deutsche  theaterkritik  das 
schwere,  der  anfang,  geleistet.  Die  ersten  regungen  einer  erscheinung  nachzuweisen, 
führt  immer  in  noch  unergründetes  gebiet,  und  mit  besonders  vielem  versagen 
eines  erfolges  wird  der  forscher  da  zu  rechnen  haben;  zumal  auf  einem  gebiete, 
dessen  ernste  ergebnisse  von  der  Wissenschaft   noch  so  umstritten  und  augezweifelt 

ZEITSCHRIFT   F.  DEUTSCHE   PHILOLOGIE.    P.D.  L.  7 


98  DKVUIKNT 

werden  wie  die  der  deutschen  theatergescliichto,  eines  jungen  Wissenszweiges,  der 
sich  mit  einer  kunst  beschäftigt,  der  die  ästhetik  und  die  geschichtswissenschaft 
noch  heute  oft  das  recht  des  daseins  bestreiten  möchten,  vielleicht,  weil  ihre  grund- 
lagen  so  tief  in  allen  lebensäusserungen  der  menschlichen  natur  wurzeln,  dass  sie 
gerade  in  ihren  höchsten  leistungen,  der  abspiegelung  des  menschen  von  aussen  und 
von  innen,  ganz  selbstverständlich  zu  sein  scheinen,  und  dass  das  geheimnis  dieser 
kunst  wohl  vor  allem  auf  der  engen  Verbindung  von  kunst  und  natur  beruht. 

Noch  immer  streiten  wir  uns  um  die  bestimniung  der  anfange  der  deutschen 
bühnenkunst  und  ihres  besonderen  gebietes,  der  Schauspielkunst;  da  ist  es  nicht  zu 
verwundern,  dass  Friedrich  Michaels  forschen  nach  den  anfangen  einer  kritik  dieser 
kunst  nur  so  selten  durch  freudiges  finden  belohnt  wird.  Mit  viel  fleiss  und  Spür- 
sinn durchsucht  er  das  wenig  bebaute  land,  und  die  ausdauer  bei  der  schwierigen 
arbeit  an  oft  recht  entlegenen,  schwer  zu  findenden  quellen  ist  im  dienste  der 
erkenntnis  der  geschichtlichen  Wahrheit  um  so  anerkennenswerter,  als  sie  fast  immer 
in  diesen  anfangen  ergebnislos  bleibt.  Und  es  ist  gut,  dass  sich  M.  durch  den 
geringen  positiven  ertrag  nicht  hat  zurückschrecken  lassen,  ehe  er  sein  feld  bis 
zum  markstein  der  Hamburger  dramaturgie  durchfurcht  hat.  Denn  auch  das  negative 
ergebnis  ist  ein  ergebnis:  dass  es  nämlich  vor  Lessing  in  Deutschland  überhaupt 
noch  keine  theaterkritik  gegeben  hat.  Was  sich  auf  den  1C4  Seiten  von  Michaels 
büchlein  zum  gegenständ  und  was  sich  nebenher  ergibt,  ist  oft  wissenswert  genug. 
In  6  kapiteln  verfolgt  M.  sein  ziel,  gestützt  vor  allem  auf  W.  Creizenachs  'Geschichte 
des  neueren  dramas'  und  K.  Borinskis  'Poetik  der  renaissance  und  die  anfange  der 
literarischen  kritik  in  Deutschland',  durch  viele  ursprüngliche  und  abgeleitete  quellen 
hindurch,  zu  denen  er  sicherlich  in  friedenszeiten,  wo  alle  wasser  fliessen,  noch 
manche  hinzugefunden  hätte,  ohne  doch  wohl  im  ganzen  zu  einem  anderen  Schlüsse 
zu  gelangen.  Im  Vorworte  halte  ich  es  nicht  für  notwendig  und  nicht  für  glücklich, 
wenn  der  Verfasser  in  stolzer  finderfreude  als  anhänget  einer  neuen  wissenschaft- 
lichen theatergeschichtlichen  forschung  ihre  Vorläufer  aus  den  kreisen  'dilettierendcr 
theaterliebhaber'  verachten  zu  müssen  meint,  denen  unsere  forschung  eben  doch  die 
ersten  werke  verdankt,  die  in  wissenschaftlich  kritischer  methode  wohl  laien  waren, 
auf  dem  gebiete  des  theaters  jedoch  als  künstlerische  fachleute  uns  oft  spuren  ver- 
rieten, von  denen  die  gelehrtenweit  nichts  weiss.  Man  sollte  nicht  das  einbringen 
seines  neuen  fündleins  mit  dem  billigen  versuche  einführen,  die  Vorgänger  herab- 
zuwürdigen. Ein  grosses  neues  sollte  so  stark  durch  sich  selbst  sein  und  seine 
inneren  gründe,  dass  alles  schwächliche  und  falsche,  das  vorher  im  wege  stand,  von 
selbst  umfiele  beim  nahen  des  neuen. 

Es  scheint  natürlich,  dass  in  all  den  Jahrhunderten,  solange  es  noch  keine 
ernst  zu  nehmende  bühnenkunst  gab,  auch  ihre  kritischen  bcobachter  nicht  zu  finden 
sind.  Und  doch  wäre  es  an  sich  nicht  ausgeschlossen,  dass  sich  gelegentlich,  durch 
begeisterung  oder  durch  abscheu  getrieben,  vereinzelte  stimmen  gefunden  hätten, 
die  uns  vom  auftreten  eines  mimen  oder  von  der  aufführung  eines  dramas  einen 
bericht  hinterlassen  hätten,  der  einen  ästhetischen  Standpunkt  des  heobachters  ver- 
riete. So,  wenn  (kap.  I)  aus  sydonalbeschlüssen  und  stimmen  von  kirchenvätem, 
aus  glossaren  und  ritualen  sorgfältig  nach  notizen  über  darstellungen  des  antiken 
theaters  gesucht  wird,  so,  wenn  das  geistliche  Schauspiel  des  mittelalters  in  den 
kirchen  nicht  sicher  ist  vor  dem  spüren  nach  dem  kritiker.  Herrad  von  Landsberg 
und  Gerhoh  von  Reichersberg  erzählen  in  ihren  polemischen  berichten  wohl  ein- 
zelnes von  den  raysterienspielen ;  von  ästhetischem  abstaudnelimeu  eigentlicher  kunst- 


ÜBEK   MICHAEL,   DIE   ANFÄNGE   DER  THEATEUKllITIK   IN   DEUTSCHLAND  99 

kritik  kann  natürlich  nicht  die  rede  sein.  Das  II.  kapitel  führt  in  wohlunter- 
richtetem überblick  in  die  spalten  der  stadtchroniken  mit  ihren  vermerken  von 
bürgerspielen  hinein,  kapitel  III  in  die  schulkomödie,  kapitel  IV  zu  den  englischen 
komödianten.  So  wenig  ergiebig  die  spiessbürgerlichen  oder  hochgelehrten  urteile 
von  geistlichen  und  laien  der  renaissance-  und  barockzeit  rein  künstlerisch  auch 
sind,  so  ist  mit  der  allgemein  zunehmenden  wissenschaftlichen  bildung  doch  die  kritische 
Stellungnahme  wenigstens  zu  den  literaturwerken  auch  auf  dramatischem  gebiete 
gewachsen.  Ganz  anders  aber  lauten  zur  selben  zeit  schon  wirklich  kunstkritische 
stimmen  über  theaterkunst  in  Frankreich,  wie  sie  Fr.  Michael  aus  Petit  de  Julle- 
villes  Histoire  de  theätre  en  France  anführen  kann;  doch  nur,  um  uns  auch  auf 
diesem  gebiete  zu  zeigen,  wie  Frankreich  kulturell  im  mittelalter  durchaus  den 
Vorrang  vor  Deutschland  behauptet.  Da  steigen  wohl  unsere  mhd.  höfischen  dich- 
tungen  oder  die  bauten  romanischer  und  gotischer  dome  zum  vergleiche  vor  uns  auf, 
mit  ihren  grundlagen  in  Frankreich  fussend,  ihre  spitzen  im  deutschen  ströme 
spiegelnd.  Freilich  bleibt  auf  dem  kunstkritischen,  besonders  theaterkritischen  felde 
Deutschland  die  nachfolge,  nachahmung  und  Vertiefung  ganz  schuldig,  die  es  in 
poesie  und  baukunst  so  wundervoll  über  das  pfadfindende  Frankreich  hinaushebt. 
Ahnlich  bietet  Etigland  zur  zeit  der  englischen  komödianten  ebenfalls  schon  ausätze 
zu  einer  bühnenkritik,  die  um  die  gleiche  zeit  bei  uns  fehlt.  Das  England  der 
Elisabethanischen  zeit  ist  ebqp  wie  das  'süsse'  Fpankreich  des  14.  und  15.  Jahr- 
hunderts in  bühnenkünstlerischer  beziehung  ein  altes,  reifes  kulturland,  in  Deutsch- 
land fehlt  die  jahrhundertlange  durcharbeitung  des  bodens.  Auf  dem  umwege  der 
gelehrten  bildung  aber,  zum  teil  auch  durch  reisen  einen  Standpunkt  des  ver- 
gleichens  findend,  kam  dann  endlich  durch  das  wachsen  der  Wissenschaften  auch 
bei  uns  eine  literarische  kritik  und  spuren  einer  theaterkritik  auf,  zu  der  freilich 
die  fragwürdigen  leistungen  der  englischen  komödianten  und  ihrer  uachfolger  in 
Deutschland  allein  noch  nicht  sehr  reizen  mochten,  obwohl  eine  starke  Wirkung 
ihres  auftretens,  gelegentlich  unbeholfen  genug,  bestätigt  wird.  Doch  auch  dann 
noch  ist  die  abhängigkeit  des  künstlerischen  geschmacks  und  des  literarischen 
Urteils  vom  auslande  für  Deutschland  bezeichnend.  Vortreiflich  zeigt  das  Michael 
in  seinem  V.  kapitel,  theorie  und  kritik;  Wo  um  die  wende  des  16.  und  17.  Jahr- 
hunderts in  der  kritik  Verständnis  für  theaterkunst  sich  zeigt,  da  ist  es  ein  aus- 
länder, wie  der  niederländische  humauist  Scaliger,  der  in  seiner  poetik  die  eindrücke 
nicht  deutscher,  sondern  französischer  mystcrienspiele  abspiegelt.  Seine  urteile 
schreiben  die  deutschen  poetiken  des  folgenden  Jahrhunderts  getreulich  und  ohne 
jede  eigene  anschauung  aus.  Wie  dürftig  gebärdet  sich  den  ausländem  gegenüber 
unser  pedantischer  Opitz  in  seiner  'Deutschen  poeterei'.  Viel  mehr  eigene  Sachkenntnis 
einer  selbstgeschauten  bühnenweit  verraten  die  Nürnberger,  wie  Harsdörffer,  bei 
denen  freilich  neben  der  lust  am  spiele  der  englischen  komödianten  oper  und  Sing- 
spiel aucli  schon  in  den  kritiken  ihren  siegeszug  antreten,  zu  dem  sich  bald  fast 
alle  künste  vereinen.  Die  pracht  der  ausstattung  ist  es,  die  hierbei  auch  der  kritik 
anlass  zu  ästhetischer  Würdigung  bietet.  So  hält  sich  die  stimme  des  urteilenden 
Verstandes  und  der  bildung  bei  den  Deutschen  noch  fast  ein  Jahrhundert  lang  an  den 
aussenseiten,  ja  an  den  äusserlichkeiten  der  bühnenkunst  auf,  während  ihr  kern,  die 
szenische  und  gar  die  Schauspielkunst  aus  Verachtung  ihrer  träger  oder  aus  Unver- 
mögen der  beurteiler  unbeachtet  bleibt.  Auch  der  berüchtigte  Hamburger  opern- 
streit,  so  eigenartige  späne  er  für  die  religions-  und  kulturgeschichte  im  allgemeinen 
abwirft,   bringt  keinen  beitrag  zur  eigentlichen   theaterkritik.     Französische  kunst- 

7* 


100      DKVRIENT  CKER  MICHAEL,  DIE  ANFÄNGE  DEU  THEATEUKRITIK  IN  DEUTSCHLAND 

forderung  bleibt  massgebend,  vorbildlicli  und  unerreicht,  solange  das  theater  in 
Deutschland  nicht  für  literaturfiihig  gilt.  Das  ändert  Gottsched.  Er  ist  in  der 
theorie  und  in  ernsten  ausätzen  der  ausführüug  der  begründer  der  deutschen  theater- 
kritik,  wie  Lessing  ihr  erster  meister  ist.  Sie  sind  beide  eigentlich  die  ersten 
gebildeten  raänner  der  deutschen  kulturgeschichte,  die  Schauspieler  und  theater 
selbst  kannten  und  so  deren  künste  als  eine  eigene  kunst  zu  würdigen  verstanden. 
Dazu  gehörten  freilich  —  das  zeigt  Michael  in  seinem  letzten  (VI.)  kapitel  als 
schönstes  ergebnis  seiner  ganzen  Untersuchung  —  nicht  nur  die  kritischen  vorreden 
und  die  betreifenden  kapitel  der  'Kritischen  dichtkunst  für  die  Deutschen',  nicht 
also  nur  büclior,  die  in  der  stnbe  des  gelehrten  studiert,  im  boudoir  der  damen 
durchstöbert  wurden,  sondern  ein  neues  orgauon,  das  eindringlicher  in  den  alitag 
des  geschäftigen  ■Deutschen  hineinrief:  Zeitschrift  und  zeitung. 

Und  mit  dieser  erfindung  schliesst  die  anfangsgeschichte  der  deutschen  theater- 
kritik  ab.  Denn  nun  ist  jener  unselige  wechselbalg  geboren,  der  unsrer  ernsten 
kunst  des  theaters  der  grösste  helfer  hätte  sein  sollen,  und  der  in  Wirklichkeit  ihr 
leider  unendlich  viel  mehr  geschadet,  oft  ihre  schönsten  keime  und  bluten  zerstört 
hat,  die  theaterkritik  der  tageszeitung.  Bemerkenswert  ist,  zu  beobachten,  wie 
sogar  noch  auf  dieser  schwelle  zum  ersehnten  tempel  deutscher  theaterkritik  immer 
wieder,  auch  wo  einmal  ästhetische  kritik  versucht  wird,  eigentlich  nur  literarisch- 
dramaturgische fragen  untersucht  werden,  und  kaum  einmal  darstellerische.  Da  ist 
es  bezeichnend,  dass  die  stelle,  wo  schüchtern  die  leistung  der  darstellungskunst  von 
Gottsched  einmal  gewürdigt  wird,  von  der  ersten  bedeutenden  deutschen  Schau- 
spielerin unwillkürlich  und  unwiderstehlich  hervorgerufen  ist,  von  der  Neuberin. 
Sollte  das  nicht  ein  Sngerzeig  dafür  sein,  dass  eben  bis  dahin  in  Deutschland  von 
einer  wirklichen  Schauspielkunst  noch  keine  hinreissenden  beispiele  geboten  worden 
waren ;  wie  hätte  da  eine  ästhetik  sich  damit  befassen  sollen.  Das  kunstwerk,  der 
künstler  muss  immer  —  das  gilt  nun  für  die  ganze  folgezeit  —  eine  kunstkritik 
erst  hervorrufen  und  nach  seinen  innersten  trieben  lenken ;  nicht  soll  die  gelehrte 
betrachtungsweise  richtung  und  werden  eines  kunstwerks  erzeugen  und  bestimmen 
wollen.  Der  künstler  schafft,  der  gelehrte  kann  nur  erklären.  Das  misstrauen  der 
ganzen  künstlerschaft  gegen  das  amt  des  kritikers  hat  in  dem  verkennen  dieser 
tatsache,  so  selbstverständlich  sie  an  sich  ist,  seinen  oft  nur  zu  berechtigten  psycho- 
logischen grund.  Aus  dieser  karapfstimmung  der  beiden  aufeinander  angewiesenen 
gebiete  erklärt  sich  doch  auch  mit,  nicht  nur  aus  mad.  Hensels  gekränkter  eitelkeit, 
das  tiefbedauerliche  abbrechen  von  Lessings  eigentlicher  theaterkritik,  so  dass  auch 
die  'Hamburger  dramaturgie',  unser  berühmtes  erstes,  fast  einzig  dastehendes  werk 
dieses  zweiges  der  ästhetik,  auch  wieder  in  eine  poetik,  eine  besprechung  der 
dramen,  freilich  der  aufgeführten,  sich  auflöst. 

Möchte  Michaels  hauptwerk,  auf  das  alle  diese  fragen  in  ihren  ausätzen  schon 
in  diesem  büchlein  als  stimmunggebende  grundakkorde  hinweisen,  von  dem  gleichen 
echt  wissenschaftlichen  geiste  der  Vorsichtigkeit  und  Selbständigkeit  des  Urteils 
getragen  sein,  wie  es  auf  diesen  blättern  wohltuend  geschehen  ist,  damit  nicht  nur 
'der  theatergeschichtler  ebenso  wie  der  literarhistoriker',  wie  M.  es  von  diesem 
ersten  versuche  über  die  anfange  erhofft,  daraus  'einigen  nutzen  ziehen  kann', 
sondern  damit  dieses  werk  auch,  wie  es  die  kritik  immer  soll,  unsrer  deutschen 
bühnen-  und  Schauspielkunst  selbst  diene! 

WEIMAR.  irANS    DEVRIENT. 


STRAUCH   ÜBER   MAHRHOLZ,   DEUFSCHK    SELBSTBEKENKTNIS&B  101 

"Werner  Mahrholz,  Deutsche  Selbstbekenntnisse.  Ein  beitrag  zur  geschiebte 
der  Selbstbiographie  von  der  mystik  bis  zum  pietismus.  Furche-Verlag.  Berlin 
1919.  VII,  254  8.  8  m. 
Die  vorrede  des  hier  besprochenen  werkes  begründet,  wie  der  Verfasser  zur 
abgrenzung  des  von  ihm  behandelten  themas  gelangt  ist.  Ursprünglich  weiter  ge- 
steckte ziele,  die  die  aufnähme  Goethes  und  seiner  werke  in  der  deutschen  kritik 
und  im  deutscheu  publikura  ins  äuge  fassten,  nötigten  zu  vorarbeiten,  die,  um  den 
bruch  zwischen  dichtung  und  publikum  um  1780  begTeiflich  zu  machen  —  man 
denke  an  den  erfolg  des  Werther,  den  misserfolg  der  Iphigenie  — ,  gestützt  auf 
zahlreiche  autobiographische  äusserungen  aus  dem  bürgertum,  zu  der  erkenntnis 
eines  inneren  Zusammenhanges  zwischen  der  bürgerlichen  lebensform  und  der  ent- 
wicklung  der  autobiographie  führten.  So  gibt  der  Verfasser  in  diesem  ersten  bände 
eine  entwicklungsgeschichte  deutschen  seelentums,  wie  es  sich  auf  der  grundlage 
mystischer  religiosität  im  bürgertum  ausprägt.  Die  bürgerliche  lebensform,  die  sich 
vom  13.  Jahrhundert  an  aufsteigend  entfaltet,  bricht  um  1600,  in  derzeit  der  gegen- 
reformation,  und  dann  während  des  dreissigjährigen  krieges  zusammen,  um  seit  dem 
ausgang  des  17.  und  im  anfang  des  18.  Jahrhunderts  sich  ganz  allmählich  neu  zu 
gestalten,  zu  verinnerlichen  und  zur  jiöhe  zu  führen.  Es  sind  wege,  die  uns  schon 
Karl  Biedermann  und  Dilthey  gewiesen,  auf  denen  wir  mit  dem  Verfasser  fort- 
schreiten, indem  er  die  drei  stufen  der  bürgerlichen  geistesentwicklung  an  der  band 
autobiographischer  aufzeichnungen  zu  veranschaulichen  sucht.  Er  ist  dabei  mit 
geschick  vorgegangen  und  hat  aus  der  reichen  literatur,  die  nicht  so  leicht  zu 
erschöpfen  ist  (siehe  die  bibliographischen  Zusammenstellungen  s.  244  ff.),  soweit  ich 
sehe,  eine  grössere  reihe  markanter  typen,  und  zwar  typen  der  entwicklung,  denen 
eine  grössere  bedeutung  zukommt  als  den  Individuen,  den  trägem  der  entwicklung, 
ausgewählt.  Nachdem  er  einleitend  das  wesen  des  klein-,  mittel-  (man  wünschte 
eine  geschmackvollere  bezeichnung!)  und  grossbürgertums  charakterisiert  sowie  den 
wert  der  Selbstbiographie  als  geschichtlicher  quelle  besprochen,  schildert  er  im  ersten 
buche  zunächst  den  frühindividualismus  und  die  entstehung  der  autobiographischen 
typen.  In  Mechthild  von  Magdeburg  strömt  als  einer  der  ersten  das  ichgefühl  stark 
aus  bei  immerhin  möglichst  objektiv  gehaltener  darstellung,  bei  Sense  steht  die 
künstlerische  form,  bei  Margareta  Ebner  die  psychologische  im  Vordergrund.  Seit 
dem  14.  Jahrhundert  gibt  auch  das  reisen  mehrfach  anlass  zu  schriftstellerischer 
Selbstbetrachtung;  die  beweggründe  können  dabei  verschiedenster  art  sein.  Pilger- 
reisen nach  dem  heiligen  lande,  aus  religiösem  bedürfnis  unternommen,  regen  zur 
aufzeichnung  des  äusserlich  und  innerlich  erlebten  an,  doch  bleibt  die  darstellung 
anfänglich  stark  konventionell ;  aber  auch  der  aus  abenteuerlust  reisende  (Philipp 
von  Hütten),  der  künstler  (Dürer),  der  kaufmann  (der  Ulmer  Ulrich  Krafft),  der 
forschungsreisende  (Leonhart  Rauwolf  aus  Augsburg)  fühlt  den  drang  dauernd  fest- 
zuhalten, was  ihm  fahrten  in  ferne  lande  an  eindrücken,  erfahrungen  und  kennt- 
nissen  eingetragen  haben.  Das  tägliche  leben,  die  stoffquelle  für  die  eigentliche 
hauschronik,  ist  dem  Nürnberger  Ulman  Stromer  gegenständ  der  betrachtung,  in 
noch  reicherem,  persönlicherem  masse  ein  Jahrhundert  später  für  den  Augsburger 
kaufmann  Burkhard  Zink,  im  16.  Jahrhundert  für  die  beiden  Schweizer  Thoraas  und 
Felix  Platter.  Lebensinhalt  und  darstellung  bewegt  sich  in  grossbürgerlichera  sinne 
in  aufsteigender  linie  (s.  58  ff.).  Das  öffentliche  leben  ruft  verteidigungs-  und  recht- 
fertigungsschriften  politischer  und  religiöser  natur  hervor;  es  sind  die  anfange  einer 
memoirenschreibung,   die   bis   ins   14.  Jahrhundert  zurückreicht   (Kazmair,  Arnecke 


102  ^  *   STUAIU^II 

Götz  von  Berlicliingen)  und  in  den  ausfiihrliclion  aiifzeicbnunffcn  Bartholomaeus 
Sastrows  den  hohcpunkt  grossbürgorlicher  selbstdarstclluiig  vor  dem  dreissigjährigeu 
kriege  erreicht. 

Seit  dem  ansgang  des  16,  jahrlmndorts  und  vollends  während  des  grossea 
krieges  im  17.  Jahrhundert  lässt  sich,  durch  die  verschiedensten  Ursachen  bewirkt, 
ein  niedergang  des  bürgertums,  und  damit  des  volksgeistes  erkennen,  das  gross- 
bürgertum  bricht  zusammen,  der  raittelstand  schaltet  aus;  auch  die  autobiographik 
verliert  an  bedeutung,  vermag  sich  doch  nur  eine  traurige  Wirklichkeit  in  ihr  wider- 
zuspiegeln: die  typen  gehen  verloren,  die  darstellungsmittel  sind  einseitig  und  un- 
beholfen. Der  Verfasser  schildert  diesen  verlauf  in  dem  zweiten  buch  seines  Werkes 
und  sucht  ihn  aus  den  wirtschaftlichen  und  sozialen  Verhältnissen  zu  erklären. 
Der  Individualismus  wird  in  seiner  entwicklung  vielfach  gehemmt,  zu  vernichten 
war  er  freilich  nicht,  und  wir  begegnen  ihm  später  aufs  neue,  nun  vertieft  und 
nachhaltiger  in  seiner  Avirkung.  Den  haus-  und  familienchroniken  des  17.  Jahr- 
hunderts fehlt  der  weite  blick,  sie  beschränken  sich  zumeist  auf  das,  was  die  eigene 
persönlichkeit  angeht,  und  was  sich  im  engen  kreise  der  familie  abspielt.  Dem 
kleinleben  des  tages  gilt  das  hauptinteresse,  wir  vermissen  das  geistige,  seelische, 
die  innere  wärme.  Einige  aufzeiclmungen  dieser  art  werden  s.  S8  ff.  analysiert,  unter 
ihnen  die  des  Augsburger  stadtliaumeisters  Elias  HoU.  An  sich  durchaus  nicht  un- 
bedeutende persönlichkeiten,  stehen  sie  als  selbstbiographen  doch  unter  dem  druck 
ihrer  zeit.  Andererseits  freilich  wurde  ebendadurch  der  sinn  für  verinnerlichung 
und  Versenkung  ins  eigene  leben  geweckt,  religiöser  selbstbetrachtung  geneigt 
gemacht.  Aber  die  religiosität  des  barocks  war  eine  andere  als  die  des  reformations- 
zeitalters.  War  diese  'gemeindebildend'  gewesen,  so  wurde  jene  eine  angelegenheit 
des  einzelnen,  die  in  glaubeiisbekenntnis  und  glaubensverteidigung  oder  in  mystik, 
ckstase  uud  vision  ihre  ausdrucksform  fand.  Als  beispiele  der  ersteren  gattung  hat 
M.  die  aufzeichnungen  des  astronomen  Keppler  sowie  die  aus  Arnolds  kirchen-  und 
ketzerhistorie  bekannten  äusserungen  des  Schwärmers  Felgenhauer  und  Peter  Moritzens 
aus  Halle  gewählt,  die  zweite  gattung  ist  durch  Greulich,  den  niederländischen 
bauern  Hemme  Hayen  und  Quiriuus  Kuhlmann  (nicht  Kühlmann)  vertreten. 

Es  brauchte  zeit,  um  nach  dem  dreissigj ährigen  kriege  —  und  damit  setzt 
das  dritte  und'  letzte  buch  ein  —  die  freude  am  dasein  im  deutschen  bürgertum  neu 
zu  beleben,  ihm  die  lebenszufriedenheit  wiederzugeben,  den  einzelnen  zur  selbst- 
fichilderung  anzuregen.  Ähnlich  wie  im  15.  Jahrhundert  verlaufen  auch  jetzt  die 
phasen  der  entwicklung,  doch  sind  die  aufzeichnungen  lebendiger,  die  Verfasser 
mitteilsamer;  das  äussere,  zwar  immer  noch  engbegrenzte  leben,  falls  nicht  eindrucks- 
vollere erlebnisse  der  jugend-  und  wanderjahre  oder  sonstige  reisen  abwechslung 
gebracht  haben,  bleibt  nach  wie  vor  die  hauptsächlichste  stoffquelle,  das  innere 
leben  äussert  sich  wenn  überhaupt  nur  nach. der  religiösen  seite  hin  als  fromme 
betrachtung.  Erst  der  pietismus  erhebt  die  autobiographie  zu  einer  im  höheren 
sinne  literarischen  gattung.  Der  Verfasser  lässt  wieder  Vertreter  der  einzelnen 
stände  als  typen  an  uns  vorüberziehen:  den  gelehrten  von  beruf  (J.  Fr.  Reimmann, 
nicht  Reinmaun),  rausiker  wie  Mattheson,  Dreyer,  Franciscis,  Printz  und  Telemann, 
den  pfarrer  J.  L.  Hocker,  den  handwerkermeister  Job.  Dietz,  und  sucht  die  eigenart 
ihrer  darstellung  zu  veranschaulichen.  Die  frommen  autobiographen  des  pietismus 
sind  Spener,  Francke,  das  ehepaar  Petersen,  Spangenberg,  das  moralische  motiv 
tritt  bei  Haller  und  Geliert  in  den  Vordergrund,  das  rein  dichterische  bei  Sclinabel 
und  Günther:    für  den  Verfasser  der  Insel  Felsenberg   und  den   lyriker  Günther  ist 


ÜBER   MARHOLZ,    DEUTSCHE    SELBSTBEKENNTNISSE  103 

die  'seelenaufrüttelnde  gestalt'  des  pietismus  'die  Voraussetzung  ihrer  individua- 
lisstischen  darstellungsweise'.  Günthers  lyrik  ist  zum  grossen  teil  poetisches  Selbst- 
bekenntnis im  sinne  Goethes,  die  Insel  Felsenberg  eine  Sammlung  von  autobio- 
graphicn,  deren  Schema  in  der  m ehrzahl  doch  wohl  reale  begebenheiten  verwertet.  — 
Für  den  pietismus  als  romantik  hat  der  Verfasser  Hamann,  Jung-Stilling  und  Bräcker 
als  typen  gewählt.  'Die  erhabenheit  Hamanns,  die  moralisch-deduktive  betracht- 
samkeit  Stillings,  die  idyllische  frömmigkeit  Bräckers:  damit  sind  die  möglichkeiten 
des  Spätpietismus  erschöpft,  die  auflösung  der  frömmigkeit  in  reine  romantik,  in 
gefühlsscliwelgerei  und  skepsis  sind  die  nächsten  stufen  der  entwicklung'.  Mit  ihnen 
beschäftigt  sich  das  schlusskapitel:  Die  psychologische  autobiographie.  Sie  ist  aus 
frommen  betrachtungen  erregter  und  erweckter  uaturen  hervorgegangen,  für  die 
das  innere  erlebnis  das  entscheidende  ist,  das  zur  aufzeichnung  drängt.  Aus  den 
Sammlungen  solch  frommer  Selbstbekenntnisse,  deren  wir  manche  besitzen  (Scrivers 
Seelenschatz,  Teerstegens  Auserlesene  lebensbeschreibungeu  heiliger  seelen,  Gerbers 
und  Eeitz'  Historie  der  wiedergebornen),  gibt  der  Verfasser  charakteristische  proben 
aus  dem  Eeitzschen  werk,  um  dann  an  Adam  Bernd  und  Lavater  zu  zeigen,  Avie 
die  frömmigkeit,  der  moralisraus  sich  mehr  und  mehr  in  psychologische  beobachtung 
auflöst,  bis  schliesslich  unter  dem  einfluss  des  rationalismus  —  die  darstellung  der 
rationalistischen  autobiographie  behält  sich  der  Verfasser  in  anderm  zusammenhange 
vor  (s.  244)  —  das  religiös-moralische  moment  völlig  ausgeschaltet  wird,  wofür 
K.  Ph.  Moritz  als  geeignetster  typus  gelten  kann:  sein  Anton  Eeiser  ist  der  erste 
psychologische  roman  in  Deutschland,  sein  Verfasser  'der  erste  deutsche  psychologe', 
(las  wort  in  seiner  modernen  bedeutung  genommen,  wie  das  von  Moritz  in  den 
Jahren  1786/8  herausgegebene  Magazin  für  erfahrungsseelenkunde  als  erste  psycho- 
logische Zeitschrift  angesehen  werden  kann.  M.  legt  daraus  s.  224  ff.  einige  äusserst 
lehrreiche  exzerpte  vor,  die  zeigen,  dass  Moritz  mit  seinen  bestrebungen  nicht  allein 
stand:  die  menschliche  seele  wird  seit  der  zweiten  hälfte  des  18.  Jahrhunderts  nicht 
mehr  religiös-moralisch  gewertet  und  gedeutet,  sondern  im  sinne  der  aufklärung 
beschrieben  und  zergliedert,  ihre  'falschen  empfindungen',  'ihre  sentimentalen  er- 
lebnisse,  denen  keine  geistige  realität  entspricht'  werden  als  krankhaft  erkannt,  die 
blosse  existenz  des  Individuums  aber  wird  andererseits  'schon  als  wert,  ja,  als  der 
wert  schlechthin  empfunden'. 

Die  anregende  schrift  schliesst  mit  dem  hinweis,  dass,  so  sehr  auch  Moritz 
und  wohl  auch  Stilling  mit  ihren  autobiographien  auf  Goethes  lebensbeschreibung 
eingewirkt  haben  mögen,  'die  weltweite  Goethes  von  der  engen  begrenztheit  Stillings 
und  von  der  insichgekehrtheit  Anton  Reisers'  weit  abstehe,  der  weg  noch  lang  sei, 
'ehe  man  die  Goethische  autobiographie  als  das  glied  einer  organischen  entwicklung 
zu  erkennen  vermöge'.  Der  Verfasser  soll  uns  als  führer  auf  diesem  noch  zu  be- 
schreitenden pfade  willkommen  sein ! 

Den  anraerkungen,  die  die  belege  für  die  exzerpte  zusammenstellen,  bat  der 
Verfasser  ein  Verzeichnis  von  autobiographischen  aufzeichnungen  bis  zum  ausgang 
des  18.  Jahrhunderts  beigefügt  mit  der  bitte  um  Vervollständigung.  Über  die  grund- 
lage  der  Selbstbiographie  handelt  auch  K.  Jahn  in  den  Geisteswissenschaften  1,28  ff. 
Freytag,  der  schon  in  den  Bildern  4^,  29  ff.  Petersens  und  seiner  gattin  lebens- 
beschreibung verwertet  hat,  gab  ebenda  3^  123  ff.  auszüge  aus  den  fragmentarisch 
auf  uns  gekommenen  niederschriften  des  pfarrers  Martin  Bötzinger  sowie  aus  den 
lebensaufzeichnungen  Ernst  Friedrich  Haupts  (4^  325),  des  vaters  von  Moriz  Haupt, 
und   Christ.  Wilh.  Heinrich  Sethes  (4^,  376),   die  beiden   letzteren   sind   bisher   un- 


lOi       liOlUNSKl    ÜBEU   Lr:iTZMANK,    QUEI.LENSCIIKUTEN    ZUJl   DEUTSCHEN  LIIERATUR 

gedruckt  geblieben;  Jakob  von  Axeus  Haus-  und  familienbuch  (gleichfalls  hand- 
schriftlich) erwähnt  0.  Beneke  in  seineu  Hamburgischen  geschichten  und  denk- 
würdigkeiten  *1886  s.  478.  —  Erinnerungen  des  Schauspielers  J.  A.  Christ  ei  schienen 
1912  unter  dem  titel:  'Schauspielerleben  im  18.  Jahrhundert',  zum  erstenmal  ver- 
öffentlicht von  R.  Scliirmer.  —  s.  li.  Neben  Hildegard  von  Bingen  durfte  nocji 
Elisabet  von  Schönau  (siehe  Afda.  12,  25  ff.)  ihrer  ausgesprochenen  und  temperament- 
vollen persönlichkeit  wegen  genannt  werden.  —  s.  16.  Die  authentizität  der  Seusi- 
schen  vita  ist  neuerdings  verdäclitigt  worden;  ich  hoffe  darüber  demnächst  eine 
Untersuchung  eines  meiner  schüler  vorlegen  zu  können.  —  s.  20.  Das  citat  aus 
Preger  stammt  nicht  aus  Seuse,  sondern  betrifft  eine  briefstelle  Heinrichs  von  Nürd- 
lingen.  —  s.  22.  Siehe  jetzt  auch  L.  Zoepf,  Die  mystikerin  Margareta  Ebner. 
Leipzig  1914.  —  s.  61  z.  11  v.  u.  lies  anm.  Gl,  s.  64  z,  3  v.  u.  anm.  61.  —  s.  93 
z.  1  V.  u.  ,ein  beiher'  (=  eine  untergeordnete  angelegenheit)  ist  doch  eine  recht 
unschöne  Wortbildung!  —  s.  138  'Der  reisende  gerbergeselle',  Liegnitz  1751,  hat 
den  ratskämmerer  Samuel  Kleuner  zum  Verfasser,  siehe  Mensel,  Lex.  7,  79. 

HALLE   A.  D.  S.  PHILIPP   STRAUCH. 


Quellenschriften  zur  neuereu  deutschen  literatur  herausgegeben  voa 
Albert  Leitzmann.  Nr.  7.  Histoire  du  Cid.  Nach  der  ausgäbe  von  1785 
herausgegeben  von  Albert  Leitzniaun.     Halle  a.  S.  1916.     VI,  142  s. 

Zu  dem  abdruck  Köhlers  (1867),  Voegelins  (1879)  und  zu  den  Zusammen- 
stellungen Redliclis  in  Suphans  Herderausgabe  (28,  564)  tritt  hier  ein  neuer  druck 
der  französischen  quelle  Herders  im  zweiten  Juliheft  der  Bibliotheque  universelle  des 
romans  s.  3—176;  verbunden  mit  der  romanzensammlung  Sepulvedas  Bomances  nneva- 
rnente  sacades  de  historias  antiguas  de  la  cronica  de  Espana  (Antwerpen  1551),  die  Herder 
von  der  Göttinger  bibliothek  an  stelle  des  nicht  erhältlichen  Escobar,  des  Stützpunkts 
des  Franzosen  (Couchut?);  sowie  den  ersten  neun  romanzen  aus  dem  französischen, 
der  romantischen  geschichte  des  Cid,  die  der  Neue  deutsche  Merkur  von 
1792  I  199—215  (februar)  mit  der  Zeichnung  S.  brachte,  unter  dem  man  schon  früher 
(vgl.  Hans  Lanibel,  Herders  werke  II,  XXXIX  in  der  Deutschen  nationalliteratur  Nr.  75) 
wie  der  Verfasser  bemerkt  'allerdings  ohne  zwingenden  grund'  einen  der  Seckendorfs 
hat  sehen  wollen.  Voegelin  hat  für  die  schlussromauzen,  wo  die  französische  quelle 
fehlt,  einen  andern  spanischen  text  benutzt,  als  den  von  Herder  gebrauchten  Sepulveda 
und  hat  infolgedessen  unnötige  und  unhaltbare  konjekturen  vorgeschlagen.  Indem 
der  neue  herausgeber  jetzt  die  richtige  quelle  gibt,  erhofft  er  'eine  ins  einzelne 
gehende  vergleichung  Herders  mit  seinen  vorlagen',  die  'noch  immer  ein  wünsch  der 
forschung  bleibe,  zumal  Herder  auch  in  seine  endgiltige  fassung  der  aus  der  fran- 
zösischen prosa  hergeleiteten  stücke  einzelne  motive  spanischer  romanzen  eingefügt 
hat',  (s.  V).  Zu  der  einleitung  der  französischen  prosa  (bis  s.  19)  hat  der  heraus- 
geber auf  s.  VI  die  vorkommenden  gelehrten  bezüge  und  zitate  nachgewiesen ;  sowie 
Geibels  Übersetzungen  (Gesammelte  werke  8,  164,  235)  zweier  darin  vorkommender 
romanzen. 

MÜNCHEN.  KARL   BORIXSKI  (t). 


r.ORINSKI    ÜBER   BGRCHERDT,    liUCHNER    UM)    DIE   DEUTSCHE    LITERATUR         105- 

Aujrustus  Büchner  und  seine  bedeutung  für  die  deutsche  literatur 
des  17.  Jahrhunderts  von  Dr.  Haas  Heinrich  Borcherdt,  privatdozent  an 
der  Universität  München.     München,  0.  Beck  1919.     VII,  175  s. 

Diese  scbrift,  die  1914,  15  der  Müncheuer  fakultät  als  habilitationsschrift 
vorlag,  ist  in  den  ersten  6  bogen  1915  gedruckt  worden;  in  den  übrigen  fast  5  bogen 
später  mit  kürzungen,  zu  denen  der  Verfasser,  'dem  buche  fremd  geworden',  'sich 
leichter  entschloss,  als  es  vor  jähren  der  fall  gewesen  wäre'.  Dadurch  sind  die 
deutsclien  dichtungen  verhältnismässig  hinter  den  lateinischen  zurückgetreten.  Der 
Verfasser  glaubt  dies  mit  dem  'klassizistischen  Charakter'  und  der  'schwachen  dichter- 
persönlichkeit'  Büchners  rechtfertigeu  zu  können,  denen  zufolge  'der  sprachstil  und 
die  nietrik  der  Wittenberger  schule',  die  Buchner  auch  nur  in  der  äusseren  form 
bestimmte,  hauptsächlich  zu  betrachten  •waren.  'So  zwangen  die  ergebnisse  der 
Untersuchung  zu  einer  einseitigen  betrachtungsweise,  die  im  wesentlichen  dem  form- 
problem  des  17.  Jahrhunderts  zugute  kommt'. 

Buchners  persönlichkeit  und  seine  werke  genauer  zu  betracliten,  wird  mit  der 
absieht  motiviert,  'die  griindlagen  seiner  bildung  und  seiner  interessen  festzustellen'. 
Darüber  geht  das  tatsächlich  gebotene  hinaus.  Auf  den  Umschwung  in  der  beur- 
teilung  Buchners  als  dichters  durch  die  forschung  Hoffmanns  von  Fallersleben  wird 
kritisch  hingewiesen  (s.  4).  Es  folgt  ein  erstes  kapitel  über  Buchners  ahnen  und 
leben  (s.  7—12),  ein  zweites  über  die  Persönlichkeit  (s.  ]'2— 16),  wobei  bereits  der 
lateinischen  rede  für  Gustav  Adolf  1682  gedacht  wird,  die  durch  einen  ehemaligen 
Schüler  Buchners  in  Leyden  gedruckt  ward.  Die  britfe  (s.  16—24),  die  bekannteste 
Seite  Buchners,  beleuchten  die  kriegsnot  von  objektiv-neutraler  seite,  aus  der  die 
Passivität  der  protestantischen  gelehrten  und  der  aufschwung  der  philologie  hervor- 
tritt. Die  vollständigste  briefsammlung,  die  wir  von  einem  deutschen  dichter  des 
17.  Jahrhunderts  besitzen,  'vermittelt  zwischen  den  kulturzentren  im  ostcn  und 
Westen'  (S.  20),  ist  überschwenglich  in  ihrem  freundschaftskultus,  so  dass  sie  uns 
unwillkürlich  an  die  zeiten  der  romantik  erinnernt'  (s.  21  f.).  Die  lateinischen  iverke 
(s.  24—32)  erörtern  die  'möglichkeit  dichter  zu  sein,  was  ihm  im  deutschen  oft  ver- 
sagt blieb',  besprechen  die  hauptsächlichsten  'de  philosophia  ecloga',  die  Opitz 
'Marone  ipso  dignissimum'  fand;  den  'Joas',  den  Joh.  Klaj  1642  ins  deutsche  über- 
setzte; die  gleichfalls  ins  deutsche  übersetzte  'Gratulatoria'  und  'Panegyricus  funebris' 
au  kurfürst  Johann  Georg  I. ;  die  von  Jakob  Thomasius  und  Philipp  Zesen  übersetzte 
Übungsrede,  die  Karl  I.  von  England  'hätte  -halten  können  nach  dem  urteilsprueh 
gegen  sich'.  Wie  'persönliche  anteilnahme  an  dem  geschick  des  königs  dazu  be- 
wog',  so  wird  auch  auf  Andreas  Gryphius  hingewiesen,  der  im  4.  akt  'ohne  einen 
wörtlichen  anklang'  eine  solche  bringt  (s.  30  A.).  Die  ,stilistischen  avfsätze'  Buchners 
werden  (s.  32)  kurz  und  abweisend  besprochen.  Buchner  als  herausgeber  (s.  32—35) 
in  grammatik,  lexikon,  altchristlichen  und  namentlich  lateinischen  autoren  ist  'von 
pädagogischen  Interessen'  bestimmt  (s.  85).  Mittelhochdeutsche  Studien  und  Vor- 
lesungen über  deutsche  poetik  (s.  8f.— 44)'  besprechen  die  'fast  ein  Jahrhundert  dauern- 
den' beraerkungen  in  seiner  poetik  mit  ihren  Schreibungen,  die  dissertation  seines 
Schülers  Carl  Ortlob  (Scholowsky  s.  17  f.),  endlich  eine  briefstelle  au  den  hofprediger 
Hoe  von  Hoenegg  (s.  40  ff.),  aus  der  ein  schulbetrieb  in  der  poetik  zu  Wittenberg 
geschlossen  wird  (Paul  Gerhardt).  Die  ausgaben  der  poetik  (s.  45—54)  erklären  sich 
gegen  die  annähme  einer  ausgäbe  von  1642  (s.  49)  und  geben  der  ausgäbe  von 
Praetorius  den  vorzug  vor  der  Gözischen,  die  aber  der  fassung  der  dreissiger  jähre 
entspricht   (s.  52).     Allgemeine  theorie  der  dichtkunst    (s.  55—64)    hebt   hervor,    dass- 


106        BORINSKI    ÜBER   BORCUERT,    BÜCHNER   UNU   DIE   DEUTSCHE   LITERATUR 


Buchners  poctik  keine  blosse  konipilation  ist,  wie  die  anderen  poetiken  (s.  56), 
erklärt  sich  aber  gegen  die  anffassung  der  poesie  als  einer  älteren  pliilosophie  (s.  62) 
und  gegen  den  ausschluss  der  erotischen  poesie  (s.  63  f.).  Spracfistil  (s.  71—83) 
behandelt  1.  Wortschatz:  und  wortformen  nach  Opitzischen  prinzipen  und  der  klang- 
wirkung,  sowie  (im  klein  gedruckten  anhang)  speziell  nach  Buchners  diclitungen ; 
2.  syntaktische  bemerkungen,  gleichfalls  Opitzisch,  spraclie  lebendig  ohne  leidenschaft 
(mit  anhang);  3.  aesthetische  erweiterunf/en  des  sprachstils,  unter  unverständlichem 
titel,  die  tropcn,  heftig  gegen  die  renaissanccpoesie,  mit  einem  kurzen  anhang  zur 
oithographie  (gegen  doppeltes  ch  und  kk).  Metrik  (s.  84—102)  beurteilt  den  rhrjth- 
mus  nach  der  klangwirkung;  scheidet  streng  zwischen  quantität  und  akzent;  nimmt 
den  takt  (silbenausfall  und  Verlängerung)  gleichfalls  nach  der  klangwirkung;  'er- 
weitert vorsichtig'  die  Opitzischen  lehren  über  den  vers,  'wandelt  auf  eigenen  wegen' 
in  der  Zulassung  der  daktylen  und  nimmt  anapästische  rhythmen  an  statt  der  dak- 
tjlen  mit  auftakt;  dringt  auf  /«»/gleiche  reime;  belebt  die  strophe  wieder.  Im 
ganzen  geht  die  poetik  von  der  antiken  und  mittelalterlichen  weise  aus,  offenbart 
am  deutlichsten  den  renaissancecharakter  mit  absage  an  das  volkstümliche  dement. 
Ihrer  'goldenen  mittelstrasse'  zwischen  den  revolutionären  bestrebungen  der  Zesen 
und  Harsdörffer  und  der  reaktion  der  Fruchtbringenden  gesellschaft  war  der  erfolg 
beschieden.     Morhof  hat  sie  fortgesetzt  (s.  lÜU  ff.). 

Buchners  deutsche  dichtungen  (s.  103—122),  von  ihm  grossenteils  zurück- 
gehalten, werden  auf  grund  einer  von  Rud.  Schloesser  begonnenen,  auf  51  gedichte 
angewachsenen  Sammlung  und  des  in  der  italienischen  operndichtung  wurzelnden, 
schwerlich  aber  übersetzten  'Orfeus',  des  deutschen  daktylenverbreiters  (s.  116), 
besprochen;  ihr  religiöses  und  seit  der  renaissance  lebendigeres  naturgefühl  hervor- 
gehoben (8. 118  ff.),  auch  schon  das  'beginnende  barock'  aufgezeigt  (s.  121).  Buchners 
freundschaft  mit  Opitz  und  seine  beziehungen  zu  den  andern  schlesischen  dichtem 
(s.  122—138),  Kirchner,  Nüssler,  Köler,  Tscherning,  wird  auf  grund  der  vorhandenen 
literatur  aufmerksam  durchgesprochen.  Buchner  und  die  Fruchtbringende  gesellschaft 
(s.  138—164)  setzt  dies  fort,  bringt  die  verzögerte  aufnähme  durch  Hübner  zur 
spräche,  den  tadel  Dietrichs  v.  d.  Werder  (S.  149)  bis  zu  seinem  tode  1636  und 
Opitz'  aufgang  in  der  gesellschaft.  'Der  kämpf  um  den  daktylus'  (s.  153  ff.)  und  die 
Gueinzische  Sprachlehre  (s.  156  f.)  führt  dann  zu  seiner  aufnähme  1641  (s.  159).  Von 
Zesen  wird  hier  das  tadelnde  stammbuchblatt  Buchners  (ep.  I  179)  in  das  jähr  1648 
gesetzt.  Buchner  und  die  junge  generation  (s.  164—175)  prüft  genau  jede  mögliche 
beziehung,  verweilt  länger  bei  Paul  Fleming  (s.  166  ff.),  Paul  Gerhard  (s.  17üf )  auf 
grund  des  Hahnischen  aufsatzes  im  Euphorien  XV  (1908)  s.  19—34,  Johann  Klaj 
(S.  171  f.)  und  Justus  Siber  (s.  174  f.).  Auf  prüfung  der  beziehung  zu  J.  G.  Schoch, 
dem  Buchner  ein  anerkennendes  distichon  widmete,  wird  verzichtet,  'da  wir  die 
lebensschicksale  dieses  dichters  noch  sehr  wenig  kennen'  (s.  171).  Mit  der  hervor- 
hebung  von  Buchners  vermittlerverdieust  für  Opitz,  dem  er  einst  die  bahn  gebroclien 
hatte,  schliesst  das  buch. 

MÜNCHEN.  KARL   BORINSKI  ("i"). 


BORIXSKI    ÜBER    SPERBER,    MOTIV    UND    WORT  107 

Motiv   Tind   wort.     Studien   zur  literatur-   und   Sprachpsychologie. 
I.  Motiv   und   wort   bei   feiustaT  Meyrink   von   Hans   Sperber.     11.  Die 

groteske  gestaltungs-  und  sprachkuust  Christian  Morgensterns  von 
Leo  Spitzer.  (Mit  einem  bisher  unveröfientlichten  briefe  des  dichters).  Leipzig, 
0.  R.  Reisland.    1918.   123  s.  (-  §  7). 

Die  beiden  abhandlungen  sind  Wilhelm  Meyer-Lübke  gewidmet,  als  'dem 
gemeinsamen  lehrer,  dem  jedes  forschungsgebiet  gleich  wertvoll,  jede  forscliungs- 
methode  gleich  vertraut  ist'.  Die  erste  folgt  nach  der  'einleitung'  den  prinzipien, 
-die  Zs.  47,  s.  421—424:  von  uns  vorgeführt  wurden.  Nur  ist  die  'zensur'  von 
ihrem  bezuge  auf  das  sexualgebiet  'auf  den  geschmack  des  hörers  oder  lesers, 
auf  die  gute  sitte,  auf  gewisse  grammatische  oder  kunsttheoretische  regeln  usw.' 
übertragen.  Die  zweite  erklärt  nach  ihrem  'motto' :  'im  französischen  heisst  le 
mot  nicht  nur  'das  wort',  sondern  auch  'die  lösung  eines  rätseis'.  Man  kann  also 
sagen:  le  mot  est  le  mot  de  la  Situation.  Die  erste  verbreitet  sich  über  den 
'vorsteliungskreis  des  erstickens'  in  drei  Unterabteilungen,  über  den  ,vorstellungs- 
kreis  der  blindheit'  und  über  'die  vampirmotive  und  ihre  sprachlichen  reflexe'. 
Die  zweite  konzentriert  sich  nach  'psychologischer  analyse  der  sprachlichen  neu- 
bildungen  Morgensterns  auf  'motiv-  und  Wortforschung'  'in  doppeltem  gegensatz  zu 
^er  Wörter-  und  sacheuforschung'  'der  bekannten  Zeitschrift',  d.  h.  'auf  psychisches', 
'auf  die  psyche  des  individuellen  Sprechers'.  Sie  verweist  auf  ihre  dissertation  'Die 
Wortbildung  als  stilistisches  mittel  bei  Rabelais',  findet  wort-  und  motivforschung 
bei  Richard  Messleny,  der  in  seinem  Spittelerbuch  (Halle  1918)  'Rhythmus  und  stil' 
als  primären  entstehuugsgrund  behandele,  und  erkennt  im  gegensatz  zu  einem 
kritiker  der  'Summa'  (2  viertel  s.  105  ff.  welchen  Jahres  ?)  nicht  'wortkonstruktion', 
sondern  'sinuesadaptierung  an  die  bestehenden  worte'  als  das  'wesentliche  in  Morgen- 
sterns schaffen'.  '!Nicht  die  'paritätische,  sinnvolle  gegebenheit',  der  gegenüber  ein 
'äusserlicher  nebensinn'  abfallen  müsste,  sondern  das  erschaffen  eines  neuen  sinnes 
aus  der  gegebenheit  des  wortes',  'die  sprachkritik  (in  dem  von  Fritz  Mauthner 
geprägten  wortsinne),  die  zu  einer  phänomenologischen  anschauung  gelangt  ist', 
ist  nach  Spitzer  Morgensterns  eigentümlichkeit.  Mit  einem  hinblick  auf  Leopold 
Ziegler,  Karl  Kraus  und  die  spräche  ("Wien  1918),  das  'die  ewig  ungelöste  ver- 
quickung von  spräche  und  erleben  hervorhebt'  und  vier  , anhängen',  die  'biblio- 
graphisches über  individuelle  Sprachschöpfung'  nachtragen,  sowie  berührungen  mit 
Fritz  Mauthner  auch  in  dem  nachgelassenen  werke  Morgensterns  ('Stufen,  eine  ent- 
wicklung  in  aphorismen  und  tagebuchuotizen',  München  1918)  schliesst  das  werk. 

Die  erste  abhandlung  schliesst  sich  an  das  lebenswerk  eines  der  hoffnungs- 
losesten und  abgesagtesten  pessimisten.  'Worte,  welche  eine  starke  affektbetonte 
Vorstellung  bezeichnen,  haben  nämlich  eme  starke  tendenz,  ihr  gdUinjsgebiet  über 
das  traditionelle  hinaus  zu  erweitern.  Wo  der  sprechende  etwas  ausdrücken  will, 
wofür  die  traditionelle  spräche  noch  kein  adäquates  wort  besitzt,  da  drängen  sich 
ihm  mit  Vorliebe  worte  für  affektbetonte  Vorstellungen  auf,  welche,  sei  es  modifiziert 
durch  ableitungssilben,  sei  es  in  übertragener,  uneigentlicher  bedeutung,  das  so 
erworbene  neuland  in  besitz  nehmen'  (s.  19).  Worte  von  solcher  'expansivität'  sind 
nun  bei  Meyrink  die  des  erstickens  (erwürgens,  erhängens).  .  .  .  'wenn  er  sagt, 
•dass  vorhänge  das  gebrüU  von  wilden  bestien,  dass  zufallende  türen  die  klänge 
■eines  klaviers,  dass  die  schatten  der  bäume  das  zirpen  der  grillen  ersticken,  so  ist 
wohl  jeder  zweifei  daran  ausgeschlossen,  dass  bei  ihm  die  Vorstellung  des  erstickens 
■über   das   gewöhnliche   mass   hinaus   sprachlich   produktiv   ist'   (s.  20).     'Sekundäre 


108  I'NIOWEU 

motivc'  sind  ihm  solche,  'welche  aus  irgendeinem  gründe  .  .  .  die  Vertretung  von 
anderen  afifektstärkeren  übernehmen'  (s.  29).  Solche  'setzen  die  geschichten  zum 
komplex  des  erwürgens  in  beziehung'  (ebenda).  Der  vorstellungskreis  der  blindheit 
ist  gleichfalls  'nur  ein  untergeordnetes  ylied  einer  noch  höheren  einheit,  die  wir  als 
vorstellungskreis  der  behinderten  körperfunktionen  bezeichnen  könnten'  (s.  32\  Als 
höchste  scheint  der  'vampirkomplex'  zu  figurieren,  .  .  .  'gespenstische  doppelgänger 
der  erdenwesen,  die  deutlich  als  vampirartige  Schemen  charakterisiert  werden:  sie 
fressen  den  menschen  das  leben  und  die  zeit  weg,  nähren  sich  von  dem  marke  ihrer 
irdischen  Urformen,  saugen  uns  aus  wie  vampire'  (s.  43).  Zu  ihren  höchsten  und 
verbreitetsten  formen  scheinen  die  seitegel  zu  gehören,  die  'sich  von  den  vergeblichen 
hoflnungen  nähren,  Avie  die  betschnecken  von  leeren  gebeten  leben'  (s.  47). 

Die  zweite  abhandlung  knüpft  an  den  melancholischen  dichter  der  'galgen- 
lieder'  u.  ä.,  wie  au  'das  grosse  Lalula'  in  ihnen,  gedanken  der  absoluten  sprach- 
erfindung.  'Der  leser  ist  eben  gewohnt,  in  einer  publikation  spräche  zu  suchen, 
d.  h.  einen  ausgedrückten  inhalt,  während  der  dichter  nur  laute  im  Schriftbild  fixiert. 
Der  leser  verfällt  immer  wieder  in  die  gewohnheit,  das  gelesene  zu  vertiefen,  aus- 
zuweiten, er  überdichtet  den  dichter'.  .  .  .  'Wie  bedeutungslose  laute  so  denkt  sich 
Morgenstern  auch  dinge,  die  sind,  ohne  zu  bedeuten,  autonome  dinge,  nicht  zeichen, 
die  über  sich  hinausweisen:  so  ein  exlibris  ohne  bild  (s.  57  f.).  Sein  gedieht  'Der 
mond'  ist  eine  'glänzende  ironie'  auf  seinen  'beruf,  beim  ab-  und  zunehmen  ein 
a  und  ein  z  zu  formieren.  Die  ganze  witzsinphonie  des  nähe  im  'kategorischen 
komparativ',  näher  und  näherin,  des  deklinierten  werwolf,  des  ztvölefant,  des  nacht- 
u-indhunds,  der  agel  als  feinslieb  des  igels,  des  nasobem  (von  ß'^iia),  der  niessivurz- 
sonate,  des  siezgeists,  des  simmaleins  (von  symbolisch)^  der  hnänel  und  greuel,  des 
gingganz  usf.  im  verein  mit  der  raelancholie  des  zwi-,  des  nichtaufgeliens  im  einen,, 
wie  bei  mutter  und  kind  von  der  gehurt,  und  der  'unverdaulichen  worte',  wie 
bildungshung{er),  vielfress  dienen  dazu,  die  Mauthnersche  spraclitheorie  zu  erhärten^ 
dass  die  sprachen  unsinnige  Irreführungen  des  menschengeistes  und  'lachen  und 
schweigen  die  orientalischen  kuren'  dagegen  sind  (113). 

Wer  die  neigung  dazu  verspürt,  möge  sich  dieser  sprachentstehung  aus  dem 
nichts  einer  übersättigten  bildung  hingeben. 

MÜNCHEN.  KARL    BOllINSKI  (f ). 


Knzimir  Beik,  Zur  entsteh ungsgeschichte  von  Goethes  Torquato 
Tasso.  Widerlegung  der  hypothese  Kuno  Fischers.  Leipzig.  W.  Schunke  1918. 
IX,  100  s.     3  m. 

Der  Verfasser  tritt  recht  siegesgewiss  auf.  S.  71  schliesst  er  einen  abschnitt 
mit  den  triumphierenden  worten :  'Die  Fischer-Rueffsche  hypothese  ist  wurzellos. 
Wir  haben  festen  fuss  gefasst.    Die  Tassoforschung  ist  der  Danaidenmühe  enthoben'. 

Ganz  so  weit  sind  wir  nicht.  B.  ist  sich,  was  wir  seiner  Jugend  —  die 
Schrift  ist  aus  einer  dissertation  hervorgegangen  —  zugute  halten  wollen,  der 
grossen  Schwierigkeiten,  die  gerade  die  entstehung  des  'Tasso',  des  geschlossensten 
Werkes  Goethes,  der  wissenschaftlichen  erkenntnis  bietet,  nicht  bewusst.  Indessen 
scheint  mir  sein  Standpunkt  gerechtfertigt.  Auch  ich  halte  Kuno  Fischers  hypothese 
für  verfehlt.  Nach  ihr  soll  das  drama  zunächst  1780/81  ohne  den  Antonio  resp. 
ohne   eine   ihm   entsprechende   gestalt  geplant   und  dieser  gegenspieler  erst  in  der 


ÜBER  BEIK,  ZUR  ENTSTEHUNGSGESCHICHTE  VON  GOETHES  TORQUATO  TASSO   109 

zweiten  phase  der  entstehung  der  dichtuug  (1788/89)  zugeführt  worden  sein.  Fischer 
stützte  seine  ansieht  hauptsächlich  auf  eine  'dramatische  antinomie'.  Sie  soll  darin 
bestehn,  dass  in  den  letzten  drei  akten  des  dramas  Antonio  für  einen  alten  be- 
kannten Tassos  gilt,  während  die  beiden  ersten  voraussetzen,  dass  der  held  ihn 
zum  ersten  mal  sehe.  Eine  solche  Unstimmigkeit  könne  sich  nur  aus  einer  in  die 
tiefe  gehenden  Störung  des  poetischen  prozesses,  aus  einer  fundamentalen  änderuug 
der  konzeption  und  des  grundgedankens  der  dichtung  erklären. 

Dieser  auffassung  stehn  vornehmlich  zwei  schwere  bedenken  entgegen.  Ein- 
mal wäre  ein  so  eklatanter  Widerspruch  nur  dann  möglich,  wenn  zwischen  der 
Ausführung  der  beiden  verschiedeneu  plane  ein  beträchtlicher  Zeitabschnitt  läge. 
Das  ist  aber  nicht  der  fall.  Die  neue  dichtung,  d.  h.  die  abfassung  der  akte  3—5 
fällt  in  die  zeit  von  1787—89.  In  denselben  jähren  aber  wurden  die  zuerst  1780/81 
gedichteten  beiden  ersten  akte  umgegossen.  Sollte  da  Goethe  der  Widerspruch 
nicht  zum  bewusstsein  gekommen  und  von  ihm  ausgeglichen  worden  sein? 

Dann  aber,  wie  steht  es  um  die  antinomie  selbst?  In  der  abhandlung  'Zwei 
Tassoerklärer'  (Heidelberg  1896),  in  der  sich  Kuno  Fischer  gegen  Heinrich  Düntzer 
und  Franz  Kern,  die  seiner  hypothese  entgegengetreten  waren,  wandte,  erläuterte 
€r  diese  antinomie  an  zwei  stellen  des  gedichtes,  den  versen  der  prinzessin  aus 
<3em  zweiten  akt: 

Und  nun,  da  wir  Antonio  wieder  haben, 
Ist  dir  ein  neuer,  kluger  freund  gewiss  (v.  939  f.), 
und  den  versen: 

Es  ist  unmöglich,  dass  ein  alter  freund, 
Der  lang  entfernt  ein  fremdes  leben  führte, 
Im  augenblick,  da  er  uns  wiedersieht, 
Sich  wieder  gleich  wie  ehmals  finden  soll  usw.  (v.  767  ff.). 
Die  zweite  stelle  erklärt  er  so,  dass  die  prinzessin  Antonio  einen  alten  freund 
ihres  hauses  nennt,  der  dem  Tasso  zunächst  fremd  gegenüber  stehn  muss,  ihn 
allmählich  aber  bei  näherer  bekanntschaft  zu  würdigen  wissen  wird.  Das  kann 
man  gelten  lassen.  Unmöglich  aber  ist  seine  ausnutzung  der  ersten  stelle.  Die 
beiden  verse  939  f.  müssten,  da  sie,  wie  er  meint,  voraussetzen,  Tasso  habe  jetzt 
erst  die  bekanntschaft  Antonios  gemacht,  der  alten  dichtung  angehören.  Ist  dieser 
schluss  richtig,  dann  beweisen  die  worte  aber  auch,  dass  schon  in  ihr  vorher,  d.  h. 
in  der  letzten  szene  des  ersten  aktes  jemand  aufgetreten,  resp.  das  auftreten  jemandes 
geplant  gewesen  sei,  den  wir  für  keinen  andern  als  einen  gegner  Tassos  halten 
müssen.  Gerade  dies  motiv  aber  spricht  Kuno  Fischer  der  dichtung  von  1780/81 
■ab.  Nach  seiner  ansieht  schloss  der  erste  akt  mit  Tassos  krönung,  ohne  dass  ein 
antagonist  des  beiden  hinzugetreten  sei.  Wollte  man,  um  die  Schwierigkeit  zu 
beseitigen,  annehmen,  dass  die  verse  unursprünglich  sind  und  erst  bei  der  Um- 
arbeitung des  zweiten  aktes  hinzukamen,  dann  muss  man  fragen:  wie  ist  es  möglich, 
dass  Goethe,  der  in  den  nicht  lange  vorher  gedichteten  akten  3  bis  5  Tasso  und 
Antonio  alte  bekannte  sein  lässt,  hier  davon  ausgeht,  dass  sie  sich  eben  erst  kennen 
gelernt  haben?  Nein,  die  antinomie  ist  ein  phantom.  Nach  der  Voraussetzung  des' 
dichters  sehen  sich  Antonio  und  Tasso  keineswegs  zum  erstenmal,  als  jener,  aus 
Kom  zurückgekehrt,  diesen  mit  dem  lorbeerkranz  gekrönt  antrifft.  Kuno  Eischer 
bat,  was  ihm  auch  bei  seiner  darstellung  der  entstehungsgeschichte  des  'Faust' 
begegnete,  hier  eine  lässigkeit  Goethes  (wenn  man  will),  einen  scheinbaren  Wider- 
spruch aufgebauscht  und  daraus  ein  kriterium  für  verschiedene  dichtuugspläne  ge- 


110  I'NIOWKR    ÜBER    ]?E[K,    (^.OETIIES   TASSO 

schaffen.  Möglicli,  dasa  dabei  der  philosoph  dem  literarbistoriker  zum  schaden  ge- 
reichte. Denn  auf  poetische  gehilde  lässt  sich  dialektische  schärfe  gewöhnlich 
ausser  etwa  beim  alten  Ibsen  nicht  anwenden.  Ein  dichterisches  werk  ist  kein 
logisches  eystcm,  das  bis  in  die  kleinste  eigenheit  den  ansprüchen  des  Verstandes 
genügt.  Kuno  Fischers  einfühlungsgabe  und  intcrpretationskunst  versagte  auch 
sonst  dem  'Tasso'  gegenüber.  Nach  ihm  ist  die  grundidec  des  draraas;  dass  der 
held  die  ihm  durch  sein  temperament,  seine  natur  auferlegten  leiden  mittels  der 
ihm  verliehenen  gäbe  des  dichterischen  gestaltens  überwindet.  Tasso  ist  ein  Werther, 
dem  jedoch  die  scliüpferische  kraft  schliesslich  die  heilung  bringt.  Das  drania  ist 
nach  ihm  also  ein  Schauspiel  im  modernen  sinne,  in  dem  eine  tragische  Verwicklung 
zu  einer  friedlichen  lösung  geführt  wird.  Tasso  soll  an  der  freundschaft  Antonios 
einen  halt  fiirs  leben  gewinnen.  Sie  wird  ihn  —  mit  dieser  hoffnung  soll  uns  da» 
Schauspiel  entlassen  —  vor  dem  Untergang  bewahren.  Dass  diese  auffassung  irrige 
ist,  wurde  wiederholt  dargetan;  vgl.  mein  buch  'Dichtungen  und  dichter'  s.  74  f. 
und  neuerdings  Roethe,  Jahrb.  d.  Goethcges.  9  (1922)  s.  119  ff.  Sie  wird  schon 
durch  die  äusserung  widerlegt,  die  Goethe  gegenüber  Caroline  Herder  über  den 
eigentlichen  sinn  des  Stückes  tat.  Es  ist,  sagte  er,  die  disproportion  des 
taleuts  mit  dem  leben'  (Caroline  an  Herder  den  2Ü.  mürz  1789).  Ein  anderer, 
fast  unbegreiflicher  irrtum  Fischers  ist  die  grundvoraussetzung  seiner  ansieht  über 
die  im  wesen  angeblich  verscliiedenen  dichtungeu  von  1780/81  und  1788/89. 
Danach  soll  der  Goethe  jener  jähre  noch  nicht  fähig  gewesen  sein,  den  tj'pischen 
gegensatz  von  Tasso  und  Antonio  zu  konzipieren.  Das  wird  bei  einem  dichter 
geltend  gemacht,  der  bereits  gestalten  wie  Clavigo  und  Carlos,  Faust  und  Mephisto, 
Orest  und  Pylades  geschaffen  hatte ! 

Somit  war  Beik  durchaus  im  recht,  die  Fischersche  hypothese  zu  bekämpfen. 
Dass  er  sie  mit  klarheit  und  einprägsamkeit  widerlegt,  kann  man  nicht  behaupten. 
Eins  seiner  hauptargumente  ist,  dass  er  dem  Heinsiscben  aufsatz  in  der  Iris  von 
1774  'Leben  des  Torquato  Tasso'  einen  starken  anteil  an  der  konzeption  des 
Goethischeu  dramas  beimisst.  Allein  er  überschätzt  sichtlich  seinen  einfluss  und 
presst  Heinses  därlegungen  mit  bedenklicher  gewaltsamkeit.  Schwerlich  hat  Goethe 
von  ihnen  mehr  als  eine  anregung  empfangen.  Überhaupt  reflektiert  B.  zu  viel. 
Was  der  Tassoforschung  not  tut,  ist  eine  rein  quellenmässige  behandlung  der 
hauptmotive.  Es  müsste  einmal  schlicht  und  klar  unter  Vermeidung  jeglicher 
hypothesen  und  mit  hervorkehrung  des  durchaus  sicheren  festgestellt  werden,  welche 
Übereinstimmung  zwischen  der  dichtung  und  den  von  Goethe  benutzten  Schriften 
von  Koppens  einleitung  zu  seiner  Übersetzung  von  Tassos  Befreitem  Jerusalem  an 
bis  zur  biographie  Serassis  bestehe.  Dabei  wird  sich,  wie  ich  nicht  zweifle,  ergeben, 
dass  der  einfluss  dieses  buches  verhältnismässig  gering  ist.  Damit  würde  Kuna 
Fischers  ansieht,  wonach  seine  lektüre  eine  neue  dichtung  bewirkt  habe,  hinfällig 
werden.  Da  seine  hypothese,  wie  wir  gesehen  haben,  sich  auch  sonst  als  wenig 
haltbar  gezeigt  hat,  würde  sie  mit  diesem  nach  weis  wohl  für  abgetan  gelten 
können. 

BERLIN.  OTTO    I'NIOWER. 


ZINKERXAGEL    ÜBER   VIKTOR,   DIE    LYRIK    HÖLDERLINS  111 

Karl  Yiötor,   Die   lyrik  Hölderlins.     Eine  analytische  Untersuchung.     Frank- 
furt a.  M.,  Moritz  Diesterweg  1921.     XVI,  240  s. 

—  Die  Briefe  der  Diotima.     Veröffentlicht  von  Frida  Arnold.    Leipzig,    Insel- 

verlag 1921.     77  8. 

—  Hölderlin  und  Diotima.    Sonderabdruck  aus  den  'Preussischen  Jahrbüchern', 

bd.  182,  s.  298-320.     Berlin  "1920. 

So  viel  auch  in  neuerer  zeit  über  Hölderlin  geschrieben  worden  ist,  so  fehlt 
es  an  exakten  arbeiten  doch  noch  durchaus.  Am  meisten  hat  Hölderlins  lyrik 
darunter  zu  leiden.  Denn  in  dem  masse,  als  ihre  Würdigung  von  reinen  anempfindern 
ins  kritiklose  gesteigert  wird,  entschwindet  der  forschung  der  boden  unter  den 
füssen.  Das  prädikat  'unvergleichlich'  wird  zum  freibrief  für  jede  überschwanglich- 
keit.  Um  so  erfreulicher  wirkt  V.s  versuch  eiuer  streng  exakten  analyse,  zumal 
wenn  man  aus  seinem  vorwort  ersehen  hat,  wie  sehr  er  sich  der  Schwierigkeit 
seiner  aufgäbe  bewusst  ist. 

Weit  davon  entfernt,  sich  sein  geschäft  auf  kosten  der  gründlichkeit  etwas 
genialischer  machen  zu  wollen,  untersucht  V.  in  jeder  der  5  perioden,  in  denen  sich 
ihm  der  entwicklungsgang  des  lyrikers  darstellt,  allergenauestens  tendenz,  bau,, 
diktion  und  metrik.  Erst  auf  grund  dieses  befundes  zeichnet  er  dann  jeweils  'die 
Stellung  innerhalb  der  zeitgenössischen  lyrik'  und  'die  entwicklung  innerhalb  dieser 
periode',  um  alsdann  erst,  wenigstens  für  die  drei  mittleren  perioden,  den  'eigen- 
wert'  zu  würdigen.  Natürlich  wird  schon  in  der  analyse  auf  das  vom  dichter  über- 
nommene gut  stets  nachdrücklich  hingewiesen,  so  dass  es  auch  insofern  an  wieder- 
liolungen  nicht  fehlt.  Aber  man  nimmt  sie  gern  in  kauf,  da  die  Übersichtlichkeit 
des  ganzen  nur  so  gewahrt  bleiben  konnte.  Erst  jetzt  überschauen  wir  vollkommen,, 
wie  die  den  bahnen  des  Horaz  folgende  odendichtung  in  antiken  Strophen  sich  von 
der  basis  der  unter  dem  bestimmenden  einfluss  von  Klopstock,  Schubart,  Matthisson, 
Stolberg  und  Schiller  stehenden,  meist  reimenden  Jugenddichtung  abhebt,  w^ährend 
sie  in  die  spätere  hymnendichtuug  in  freien  rhythmen  viel  allmählicher  übergeht. 
Dieser  bedeutsamen  entwicklung  mit  aufmerksamer  hingäbe  und  feinstem  verständnis^ 
folgend,  bietet  V.  eine  fülle  von  wertvollen  einzelheiten,  die  nur  in  ganz  seltenen 
fällen  noch  zu  berichtigen  wären. 

Eine  besonders  wertvolle  feststellung  ist  ihm  in  bezug  auf  den  bau  gelungen.. 
Er  weiss  zu  zeigen,  wie  von  der  3.  periode  ab  die  ode  Hölderlins  sich  in  der  form 
von  thesis,  antithesis  und  synthesis  dreigliedrig  aufbaut.  Er  sucht  auch  nach  einer 
erklärung  und  findet  sie,  den  spuren  W.  Michels  behutsam  folgend,  in  der  eigenart 
von  Hölderlins  empfindungsweise.  Michels  ausdeutung  der  späteren  fassung  von 
Hölderlins  'Stimme  des  volks'  in  den  dreiklaug  'Form  —  Chaos  —  Friede  des  alls'^ 
schärft  ihm  den  blick  für  die  durch  weit  und  ich  gegebene  dissonanz  in  der  seele 
des  dichters  und  den  ausgleich,  den  sein  künstlerisches  streben  einbegreift.  Aber 
er  glaubt  trotzdem  nicht  auf  den  hinweis  verzichten  zu  dürfen,  dass  die  zeit- 
genössische Philosophie  für  ihre  dialektische  methode  eine  ganz  entsprechende  formel 
fand,  ganz  zu  derselben  zeit  und  gleichsam  unter  Hölderlins  äugen.  Freilich,  auf 
die  kitzliche  frage,  ob  und  wie  wir  uns  hier  einen  Zusammenhang  vorzustellen 
haben,  geht  V.  nicht  ein.  Er  beschränkt  sich  darauf,  gewissenhaft  alles  anzuführen, 
was  dem  dichter  diese  formel  nahebringen  konnte.  Und  er  durfte  sich  darauf  be- 
schränken, da  eine  rein  analytische  arbeit  hier  ruhig  halt  machen  darf.  Aber  eine 
antwort   auf   die   angrenzende   frage,   ob  es  sich  bei  dem  dreigliedrigen  aiifbau  der 


112  ZlNKKKNACiKL 

Hölderliuschen  ode  überhaupt  um  ein  bewusstes  kunstmittcl  handelt  oder  nur  um 
den  unbevvussten  niederschlag  seiner  individuellen  erapfindungswelt,  dürften  und 
sollten  wir  erwarten.  Aber  selbst  diese  frage  wird  —  bewusst  oder  unbewusst  — 
vermieden. 

Und  doch  liegt  sie  au  sich  gewiss  nahe.  Sie  drängt  sich  uns  geradezu  auf, 
wenn  Avir  uns  die  ganz  ausscrgewöhnliche  bewusstheit  vergegenwärtigen,  die  aus 
Hölderlins  theoretischen  betrachtungen  zu  uns  spricht  und  gerade  in  der  späteren 
zeit,  wo  sie  zu  der  wachsenden  Unklarheit  seines  denkens  in  den  seltsamsten  gegen- 
satz  tritt,  uns  so  unheimlicli  anmutet.  Gleichwohl  wird  V.  die  annähme,  es  könnte 
sich  bei  dieser  dreigliederung  um  ein  bewusstes  aufbauen  handeln,  vermutlich  ab- 
lehnen, und  wir  würden  ihm  schliesslich  beistimmen.  Neigt  aber  V.  zu  der  eut- 
gegengesetlten  auffassung,  dass  hier  eine  unmittelbare  Zwangsläufigkeit  wirksam 
ist  —  und  es  scheint  durchaus  so  — ,  dann  genügt  selbst  Michels  ausdeutung.  die 
an  sich  tiefer  greift  als  die  V.s,  wohl  kaum,  und  wir  werden  in  unserer  abieitung 
noch  weiter  zurückgreifen  müssen.  Wir  werden  versuchen  müssen,  bis  zu  dem 
punkte  zurückzugehen,  wo  das  irrationale  uns  endgütig  den  weg  versperrt.  Schlagen 
wir  diesen  weg  •  aber  ein,  so  finden  wir  vielleicht  auch  eine  erklärung  für  den 
umstand,  dass  Hölderlins  dichtuug  sich  innerhalb  der  polarität  'hyranus  —  elegie'  von 
<'inem  extrem  zum  andern  bewegt,  dass  sie,  um  mit  Hcllingrath  zu  reden,  zwischen 
tag  und  nacht  wechselt.  Vielleicht,  dass  dann  sogar  die  seltsame  rolle,  die  der 
dreiklang  selbst  noch  in  den  katatonischen  Stereotypien  des  kranken  spielt,  eine 
hellere  beleuchtung  erfährt. 

Das  alles  aber  sind  wege,  die  von  denen  V.s  weit  abliegen.  So  korrekt  seine 
Untersuchungsmethoden  an  sich  sind,  so  wenig  versucht  er  sich  von  seinem  Unter- 
suchungsgegenstand z.u  distanzieren.  Freilich  sichert  gerade  das  seiner  arbeit  die 
persönliche  wärme,  die  sie  so  liebenswürdig  erscheinen  lässt.  Aber  es  liefert  ihn 
-auch  der  gefahr  aus,  ins  schlepptau  moderner  ästheten  zu  geraten.  Und  dieser 
gefahr  ist  V.  schliesslich  doch  nicht  ganz  entgangen.  Es  zeigt  sich  das  im  grossen 
und  im  kleinen :  im  kleinen  etwa  da,  wo  er  im  hinblick  auf  das  'Schicksalslied'  und 
das  gedieht  'Andenken'  das  wort  'jahrlang'  als  'wundervoll'  bezeichnet  (s.  105), 
während  schon  der  vergleich  beider  Verwendungen  ilim  sagen  müsste,  dass  dies 
'wundervolle  wort'  an  sich  äusserst  unkünstlerisch  ist,  und  dass  nur  die  klangliche 
Position  ihm  im  ersteren  falle  den  künstlerischen  wert  gibt;  und  im  grossen  etwa 
da,  wo  er  Gundolf  das  paradoxe  wort  nachspricht,  dass  Hölderlins  Griechenliebe 
sich  nicht  aus  seiner  enttäuschung  über  die  urawelt  erkläre,  sondern  umgekehrt 
(s.  129  f.),  während  hier  doch  allein  schon  die  abhängigkeit  von  Schiller  das  gegen- 
teil  beweisen  sollte.  Entscheidend  aber  wird  dies  angekräukeltsein  von  modelheorien 
erst  da,  wo  es  sich  um  die  Würdigung  der  späten  hymnendichtung  handelt.  Gerade 
V.  zeigt  uns  an  sich  so  recht  einleuchtend,  wie  sich  der  dichter  hier  aller  bisher 
von  ihm  gepflogenen  kunstmittel  entäussert  und  wie  exzentrisch  im  gründe  der 
weg  ist,  den  die  entwicklung  hier  plötzlich  einschlägt.  Und  doch  gibt  er  sich  der 
modernen  Illusion  gefangen,  dass  hier  erst  Hölderlins  kunst  ihre  'bedeutendste  höhe 
erreicht'  habe  (s.  222),  während  es  sich  meines  erachtens  trotzdem  immer  nur  um 
<lie  tatsache  handelt,  dass  das  künstlerische  gefühl  sich  trotz  der  durch  die  geistes- 
krankheit  bedingten  mangelnden  beherrschung  der  bis  dahin  erworbenen  fähigkeiten 
noch  gelegentlich  in  rhythmischen  Satzgefügen  auswirkt,  die  die  zugrunde  liegenden 
liühnen  intentioncn  uns  nur  noch  ahnen  und  erraten  lassen.  Dass  sich  gerade 
■dabei  gelegentlich  ästhetische  Wirkungen  einstellen,  die  erst  durch  das  zurücktreten 


ÜBER   VIKTOR,    DIE    LYRIK    HÖLDERLINS  113 

der  gedanklichen  bindung  möglich  geworden  sind,  ist  an  sich  nicht  überraschend 
«nd  erklärt  sich  aus  der  natur  der  sache. 

Doch  diese  einwendungen  mögen  unberechtigt  erscheinen  angesichts  einer  so 
gediegenen  und  ausgeglichenen  leistung,  wie  V.s  arbeit  sie  darstellt.  Denn  letzten 
endes  ergeben  sie  sich  doch  nur  aus  der  divergenz  des  ästhetischen  Standpunktes. 
Stellen  wir  uns  aber  auf  den  Standpunkt  des  Verfassers,  so  gebührt  ihm  zweifellos 
das  lob,  anscheinend  so  ziemlich  alles  erreicht  zu  haben,  was  sich  mit  den  ihm 
zugänglichen  untersuchungsinethoden  erreichen  Hess.  Anders  gestaltet  sich  das 
urteil  erst,  wenn  man  die  frage  aufzuwerfen  beginnt,  ob  umfassendere  methoden 
überhaupt  möglich  sind.  In  welcher  richtung  sie  vielleicht  zu  suchen  wären,  zeigen 
■Schillers  Unterscheidung  von  naiv  und  sentimentalisch  und  Nietzsches  gegenüber- 
«tellung  von  apollinisch  und  dionysiscL  sowie  die  dazwischen  liegenden  versuche 
■der  romantiker.  Freilich  ist  auch  bei  V.  von  den  erstgenannten  polaritäten  ge- 
legentlich die  rede,  da  sie  in  Hölderlins  eigenen  reflexionen  eine  wesentliche  rolle 
spielen.  Aber  sie  werden  für  V.  nicht  zu  wirksamen  kriterien.  Eine  solche  Ver- 
wertung aber  erscheint  zum  mindesten  denkbar.  Und  der  Verfasser  der  vorliegenden 
erstlingsarbcit  wird  es  infolgedessen  nur  als  anerkennung  empfinden,  wenn  seine 
leistung  an  den  grenzen  des  möglicherscheinenden  gemessen  wird. 

Noch  eine  weitere  arbeit  V.s  ist  hier  zu  würdigen.  Er  hat  vom  Inselverlag 
den  ehrenvollen  auftrag  bekommen,  die  kürzlich  bekannt  gewordenen  Diotiraabriefe 
■erstmals  herauszugeben  und  hat  sich  dieser  aufgäbe  mit  Sorgfalt  und  geschmack 
«ntledigt.  Es  galt  vor  allem,  die  19  briefe,  die  die  eukeliu  von  Hölderlins  Stief- 
bruder Karl  Gock  endlich  der  öifentlichkeit  unterbreiten  zu  dürfen  glaubte,  zu 
ordnen,  zu  datieren  und  die  datierung  zu  begründen.  Diese  aufgäbe  ist  in  restlos 
befriedigender  weise  gelöst.  Danach  setzt  der  briefwechsel  der  beiden  -liebenden 
ein  mit  dem  Zeitpunkt,  wo  Hölderlin  unmittelbar  nach  der  gewaltsamen  trennung 
im  September  1798  in  Homburg  festen  fuss  zu  fassen  beginnt,  und  dauert  bis  in 
den  sommer  1800,  d.  h.  bis  in  die  :?eit  kurz  vor  seiner  rückkehr  in  die  heimat. 
Leider  sind  es  nur  die  briefe  Diotimas,  die,  seit  vielen  Jahrzehnten  schmerzlich 
vermisst  und  nur  aus  ganz  wenigen  Sätzen  bekannt,  hier  endlich  ans  licht  treten 
—  und  obendrein  nicht  einmal  ganz  ohne  gewollte  oder  ungewollte  lücken  — , 
während  wir  uns  für  die  briefe  des  dichters  nach  wie  vor  mit  den  drei  fragment-, 
kopien  begnügen  müssen,  die  vor  16  jähren '  durch  W.  Böhm  aus  G.  Schlesiers 
nachlass  bekannt  geworden  sind.  Was  aber  zur  aufhellung  der  beziehungen  zwischen 
den  beiden  liebenden  noch  irgendwie  beigebracht  werden  konnte,  das  hat  V.  in 
übersichtlicher  weise  in  seinen  anraerkungen  getan.  Die  wichtigste  unter  ihnen 
bringt  die  feststellupg,  dass  jene  eifersüchtige  regung,  von  der  Diotima  im  14.  briefe 
schreibt,  auf  Charlotte  von  Kalb  geht,  wobei  freilich  die  weitere  frage,  ob  mit  oder 
ohne  berechtigung,  noch  immer  offen  bleibt.  Gerade  dieser  satz  war  einer  jener 
wenigen,  die  von  Christoph  Schv\'ab  dem  früheren  besitzer  der  briefe  abgeluchst 
worden  waren.  Doch  hatte  er  leider  mehr  irregeführt  als  aufgeklärt,  da  er  aus 
Unkenntnis  des  Zusammenhangs  auf  Schiller  bezogen  werden  musste. 

Gleichsam  gekrönt  aber  hat  V.  das  ganze  mit  einer  überaus  feinsinnigen 
Würdigung  dieser  dichterliebe,  die  wir  freilich  in  den  Preuss.  Jahrbüchern  nachlesen 
müssen,  da  sie  der  ausgäbe  aus  irgendwelchen  gründen  leider  vorenthalten  geblieben 
ist.  Sie  betont  noch  einmal  die  reinheit  dieser  beziehungen,  nicht  weniger  aber 
auch  deren  beiderseitige  Innigkeit,  die  mehr  als  jene  gelegentlich  angezweifelt  worden 
war.     Auch   hier  tut  V.  vielleicht   des   guten   eher  zu  viel  als  zu  wenig,   so  z.  b. 

ZEITSCHRIFT  F.  DEUTSCHE   PHILOLOGIE.    BD.  L.  8 


114  SCIUJI.Z    ÜHKR    GLOCKNKK,    KU.    TU.    VISCIIKHS    ÄSTIIEIIK 

mit  der  behauptung,  dass  Diotimas  briefe  den  vergleich  aushielten  mit  den  be- 
rühmtesten liebesbriefen  aller  zeitcn  und  Völker,  ja,  dass  die  europäische  literatur 
seines  wissens  überhaupt  keine  briefe  kenne  'von  solch  edler  einfalt  und  klugheit, 
glut  und  beherrschtheit,  Sehnsucht  nach  glück  und  Opfermut'  (s.  309).  Aber  wie 
dem  auch  sein  mag,  unverständlich  erscheint  uns  heute  —  vorausgesetzt  freilich,  dass 
jene  lücken  wirklich  rein  zufällige  sind  —  das  ängstliche  bedenken,  das  diese 
rührenden  dokumente  so  lange  verheimlicht  hat.  Es  hätte  der  rechtfertigung  durch 
die  derzeitige  besitzerin  der  briefe,  die  in  einem  nachwort  der  briefausgabe  bei- 
gefügt ist,  nicht  bedurft,  um  die  Veröffentlichung  als  eine  in  jeder  beziehung  ver- 
dienstliche tat  erscheinen  zu  lassen, 

BASEL.  FRANZ   ZINKKUNAGKL. 


Hermann  Glockner,  Fr.  Tb.  V ischers  ästhetik  in  ihrem  Verhältnis  zu 
Hegels  Phänomenologie  des  geistes.  Leipzig,  Leopold  Voss  1920. 
VI,  74  8.  11,50  m. 

Die  als  bd.  XV  der  von  Th.  Lipps  und  K.  M.  Werner  herausgegebenen  'Bei- 
träge zur  ästhetik'  erschienene  monographie  stellt  sich  als  eine  dankenswerte  und 
fruchtbare  Sonderuntersuchung  über  die  geschichte  der  Hegeischen  ge- 
dankenweit dar.  In  3  kapiteln,  denen  ein  anhaug  von  auf  reiches  quellen- 
material  sich  stützenden  anmerkungen  angefügt  ist,  entrollt  Glockner  ein  ebenso 
scharfsinniges  wie  anschauliches  bild  der  engen  gedanklichen  beziehungen  zwi- 
schen Hegels  panlogismus  und  Vischers  panästhetizismus.  Die  genetische  struktur 
der  Hegfelschen  begriffsbildung,  die  sich  von  der  aufklärerisch-Kantischen  epoche 
seines  denkens  über  die  mystisch-pantheistische  bewegt  und  zur  enzyklopädistisch- 
panlogischen  aufgipfelt,  vertieft  sich  in  der  darstellung  Glockners  zu  einer  das 
ästhetische  weltfühlen  als  das  philosophische  grundferment  aufweisenden  entwicke- 
lung.  Hegels  Verhältnis  zu  Kant  und  Fichte,  Schelling  und  Hölderlin,  Spinoza 
und  Leibniz  ist  im  ganzen  ungemein  treffsicher  und  schlüssig  gekennzeichnet. 
Im  Interesse  einer  geschlossenen  beweislinie  hätte  es  sich  vielleicht  verlohnt, 
der  tiefen  Wurzelverwandtschaft  zwischen  der  absoluten  idee  Hegels  und  dem 
Goethischen  'urphänomen',  die  G.  mit  feinem  Spürsinn  für  ideengeschichtliche  zu- 
sammenhänge aufdeckt,  eindringlicher  nachzugehen.  Wo  G.  die  ästhetischen 
Vorlesungen  Hegels  in  vergleichende  betrachtung  zur  'phänomenlogie  des  geistes' 
rückt,  zeigt  er  sich  in  auffassung  und  einfühluug  aufs  glücklichste  von  Simmel  und 
dessen  ringen  um  feststellung  typischer  geistigkeiteu  beeinflusst.  Der  hier  ange- 
tretene beweis,  dass  die  Phänomenologie  des  geistes  'die  wahre  naturphilosophie 
Hegels'  enthält  und  das  ästhetischste  seiner  werke  bildot,  insofern  es  letzte  geistige 
zusammenhänge  unter  dem  gesichtspunkt  des  kunstwerks  anschaut,  während  die 
ästhetischen  Vorlesungen  vom  blossen  kategorialen  begriff  des  schönen  ausgehend 
das  Schema  der  enzyklopädie  zugrunde  legen,  erscheint  durchaus  zwingend  und 
unwiderleglich.  Die  erneuerung  der  Hegeischen  ästhetik  durch  freiere  anwendung 
der  in  der  Phänomenologie  entwickelten  dialektischen  methode  erblickt  G.  in  Th. 
Vischers  künstlerischem  und  philosophischem  schaffen.  In  tiefschürfender,  auf  gründ- 
lichen quellenstudien  fussender  Untersuchung  wird  die  geistesgeschichtliche  ent- 
wicklung  Vischers  an  dem  Zwiespalt  zwischen  künstlerischem  urerlebnis  und  philo- 
sophischem bildungserlebnis   verfolgt  und    die  Versöhnung   ursprünglich  gegensätz- 


MOSER   ÜBER   V.  UNWERTH,   I'ROIiEX    DEUTSCHRrS.SISCHER   MVNDARTEX         115 

lieber  richtungselemente  in  der  an  eifrigen  Shakespearestudien  und  naturfreudiger 
Italienwanderung  erblühten  systembildenden  äs  th  etik  Vischers  aufgezeigt. 
Auch  hier  macht  G.  allenthalben  den  grundcharakter  dialektischen  welterlebens  in 
Vischers  gesamtschaffen  auf  höherer  stufe  der  betrachtung  ersichtlich.  Xur  in 
einem  punkte  lässt  G.  eine  abweichung  Vischers  von  Hegels  formalem  intellek- 
tualismus  gelten:  in  der  lehre  vom  zufall,  wie  ihn  der  künstlerraensch  Vischer  in 
der  freude  an  der  charakteristischen  einmaligkeit  schöner  erscheinungen  erlebt. 

ULM.  PAUL   A.   .SCHULZ. 


Wolf  Ton  tnwertli  (tX  Proben  deutschrussischer  mundarten  aus  den 
Wolgakolonieu  und  dem  gouvernementCherson.  (Einzelausgabe  aus 
den  abhandlungen  der  Preussischen  akademie  der  Wissenschaften,  Jahrgang  1918. 
Phil. -bist,  klasse.  Xr.  11).  Berlin  1918  (Verlag  der  Akademie  der  Wissenschaften. 
In  kommission  bei  Georg  Reimer).    94  s. 

Nicht  ohne  stille  wehmut  legt  man  diese  letzte  reife  gäbe  des  früh  dahin- 
geschiedenen aus  der  band.  Hat  doch  durch  seinen  tod  die  germanistik,  vor  allem 
aber  die  mundartenforschung  einen  herben  verlust  erlitten.  "Welch  ein  fortschritt 
von  Weinholds  schrift  'Über  deutsche  dialectforschung'  zu  U.s  'Schlesischer  mund- 
art'!  Freilich  ist  nicht  alles  sein  verdienst,  sondern  zum  grossen  teil  das  allgemeine 
ergebnis  mehr  als  halbhundertjähriger  dialektforscbung.  Aber  die  kristallklare  art 
der  darstellung  mit  ihrer  pointierten  Charakteristik  der  ma.  und  der  scharfum- 
rissenen  heraushebung  der  wesentlichen  züge  ist  es,  die  diese  erstarbeit  eines  noch 
nicht  zweiundzwanzigjährigen  auf  Jahrzehnte  hinaus  direkt  vorbildlich  für  jede  zu- 
sammenfassende darstellung  eines  grössern  dialektgebiets  macht '. 

Die  gleichen  Vorzüge  zeichnen  auch  die  vorliegende  arbeit,  wodurch  uns  ein 
an  und  für  sich  ziemlich  fernliegendes  gebiet  —  zumal  solange  im  stammland  sehr 
grosse  gebiete  noch  mehr  oder  minder  neuland  für  die  wissenschaftliche  forschung 
sind,  —  in  plastischer  form  nahegebracht  wird,  aus.  Zur  behandlung  steht  einer- 
seits das  umfängliche,  zu  beiden  selten  der  Wolga  in  der  gegend  (grösstenteils 
südlich)  der  Stadt  Saratow  (etwa  zwischen,  dem  52.  und  50. ")  gelegene  kolonialgebiet, 
anderseits  die  beiden  kleinen  an  der  ostseite  der  Dnjestermündung  und  westlich 
des  untersten  Bug  nächst  dem  Schwarzen  meer  befindlichen  kolonien,  wovon  ersteres 
in  der  zweiten  hälfte  des  18.,  letztere  zu  anfang  des  19.  Jahrhunderts  besiedelt 
wurden ;  dagegen  finden  sich  die  zahlreichen  zwischen  diesen  zwei  gebieten  (besonders 
östlich  des  untern  Dnjeper)  wie  auch  westlich  des  Dnjester  gelegenen  Schwarzen- 
meer-kolonien  nicht  einbezogen.  Den  stoff  lieferten  aus  jenen  gegenden  stammende 
kriegsgefangene  des  westfälischen  lagers  Holthausen ;  daher  konnten  naturgemäss  die 
zur  darstellung  bestimmten  gebiete  nur  durch  ausgewählte  typen  einer  anzahl  von 
ortsmaa.  vertreten  werden.  Voran  geht  jedesmal  die  mundartliche  wiedergäbe  von 
AVenkers  Sätzen,  dann  folgt  eine  grammatische  darstellung  nach  lauten,  formen,  satz- 
bau und  Wortschatz  und  zuletzt  die  'heimatsbestimmuug'.  Im  einzelnen  ist  bei  der 
glänzenden  Stoffbeherrschung  des  Verfassers  wenig   zu  sagen   und  auf  einige  kleine 

1)  Wohl  nur  infolge  eines  bedauerlichen  zufalls  muss  man  gerade  diese  hervor- 
ragende arbeit  in  den  neueren  aufIngen  von  Behaghels  Gesch.  d.  deutschen  spräche 
bei  aufführung  der  dialektliteratur  schmerzlieh  vermissen. 

8* 


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116         MOSER   ÜBER   V.  UNVVERTH,    PROBEN   OEU^SCHRUSSISCHER   MUNDARTEN 

ausstelliingen  wird  man  daher  ohne  weiters  verzichten  dürfen.  Auch  den  unter 
mühevollster  ausnützung  des  Sprachatlasses  gewonnenen  fixierungen  der  entsprechen- 
den, durchweg  rheiu fränkischen  stammmaa.  —  es  handelt  sich  (nach  der  termino- 
logie  der  Bremerschen  karte)  bei  den  westlich  des  flusses  gelegenen  Wolga-kolonien 
im  norden  und  der  mitte  (probe  I  und  II)  um  Mittelwetterauisch  (im  südöstlichen 
Oberhessen  und  dem  anschliessenden  Hessen-Nassau  etwa  zwischen  Vogelsberg, 
Nidda  und  Einzig)  und  südlicher  (probe  III)  um  südöstlichstes  Wetterauisch  und 
anschliessende  nördlichste  Untermainma.  (östlich  der  Einzig  am  nordrand  des 
Spessart),  bei  den  östlich  gelegenen  nördlich  (probe  VII  und  VIII)  um  das  südwest- 
liche Westrichische  (in  der  südwestecke  der  Rheinpfalz,  besonders  der  gegend  um 
Zweibrücken),  südlich  (probe  IV— VI)  um  die  südwestlichste  Untermainma.,  das 
nordöstlichste  Vorderpfälzische  und  die  nordwestliche  Unterneckarma.  am  Rhein 
(also  das  bei  Worms  zusammenstossende  hessische,  rheinpfälzische  und  badische 
gebiet),  bei  den  Dnjester-Bug-kolonien  um  den  südlichen  teil  des  Vorderpfälzischen, 
der  südlich  (im  nordöstlichsten  Elsass,  also  noch  zum  Südfränkischen  gehörend, 
probe  IX)  und  nördlich  (südöstliche  Rheinpfalz,  probe  X)  der  ^-verschiebungsgrenze. 
liegt,  —  kann  man  an  sich  vollauf  zustimmen.  Dagegen  werden  sich  prinzipielle 
bedenken,  für  die  indes  nicht  der  Verfasser,  sondern  die  auftrageberin  (die  Preus- 
sische  akademie)  die  Verantwortung  trägt,  erheben,  inwieweit  denn  überhaupt  der 
dialekt  dieser  kolonien  durch  Zuhilfenahme  solcher  einzelner,  von  der  schölle  los- 
gelöster persönlichkeiten  bestimmt  werden  kann.  Wird  sich  uns  doch  recht  ge- 
bieterisch die  frage  aufdrängen,  ob  eigentlich  bei  der  verhältnismässigen  kürze  der 
besiedlungszeit  bereits  eine  völlige  Verschmelzung  der  den  einwanderern  ange- 
stammten mundartlichen  Verschiedenheiten  zu  einem  einheitlichen  dialekt  statt- 
gefunden hat.  U.  selbst  weist  wiederholt  auf  fremde  demente  sogar  im  dialekt  des 
einzelnen  gewährsmanns  hin  (so  s.  54,  71  f.).  Auch  das  thema  der  bevölkerungs- 
vermischung  hat  er,  freilich  nur  bei  den  Schwarz-meer-kolonien  (s.  88  und  93), 
wenigstens  gestreift,  ohne  sich  begreiflicherweise  auf  eine  heikle  auseinandersetzung 
näher  einzulassen.  Dieses  problem  des  Verhältnisses  der  spräche  zur  kolonialen 
bevölkerungsmischung  hat  erst  kürzlich  wieder  Wrede  in  seinem  aufsatz  'Zur  ent- 
wicklungsgeschichte  der  deutschen  mundartenforscliung'  (Z.f.d.maa.  1919,  s.  9  ff.)  an- 
geschnitten und  höchst  instruktive  aufschlüsse  dazu  gegeben :  Wenn  eben  —  wie 
hier  in  einem  fall  direkt  nachweislich  —  'keine  einzige  der  einwandererfamilien 
genau  aus  dem  gebiete  stammt,  das  als  heimat  der  heute  geltenden  ma.  zu  er- 
schliessen  ist,  ihre  herkunftsorte  sich  vielmehr  in  einem  ziemlich  engen  kreise 
aussen  um  dieses  dialektgebiet  herum  gruppieren'  (s.  93),  so  haben  hierbei  doch  wohl 
schwerlich  kolonisten  anderer  orte  'den  ausschlag  gegeben  bei  der  herausbildung 
der  kolonistenma'  (höchstens  sie  in  sehr  bescheidenem  mass,  z.  b.  durch  einheirat, 
beeinflusst),  sondern  es  liegt  hier  sicherlich  ein  unabhängiges,  aber  naturgemäs  der 
heimatlichen  mittelma.  sehr  nahekommendes  kompromissprodukt  vor.  Schliesslich 
müssen  aber  doch  auch  die  Ortsnamen  ursprünglich  alle  einen  sinn  gehabt  haben: 
dass  die  ansicdler  von  orten  wie  Mannheim,  Speier  oder  Earlsruhe  nicht  überwiegend, 
ja  sogar  gar  keiner  unter  ihnen  aus  den  gleichnamigen  städten  selbst  stammen 
müssen,  da  im  erstem  fall  eine  gewisse  soziale  oder  intellektuelle  Überlegenheit 
für  die  namengebung  ausschlaggebend  gewesen  sein  kann,  während  diese  im  letztern 
lediglich  zu  ehren  ihrer  hauptstädte  erfolgt  sein  kann,  ist  klar;  aber  wie  soll  man 
sich  namen  schweizerischer  orte  wie  Luzern  oder  wie  Neu-Weimar  (literarische 
einflüsse   bei   letzterm   sind  bei   der   damaligen  bäuerlichen    bevölkcrung   jedenfalls 


BAKSECKE   ÜBER  LINUEMANN,   ALLITERATION  117 

ganz  ausgeschlossen)  durch  eine  reine  besiedlung  aus  dem  hessisch-rbeinpfälzisch- 
badischen  grenzgebiet  erklären?  Ist  unter  diesen  umständen  der  zufällige  gewährs- 
mann  wirklich  der  Vertreter  katexochen  für  die  lokale  ma.  oder  stossen  sich  hier 
vielleicht  hart  im  räum  noch  mehr  oder  minder  stark  voneinander  abweichende 
dialektunterschiede?  Diese  dinge  lassen  sich  aber  nur  an  ort  und  stelle,  nicht  aus 
der  ferne,  wo  besonders  in  diesem  krieg  die  gedanken  gern  allzu  leicht  beieinander 
wohnten,  beantworten.  Es  dürften  darum  immerhin  zweifei  entstehen,  ob  dem  unter- 
nehmen, das  tragischerweise  ein  blühendes  leben  forderte,  als  solchem  eine  allzu 
grosse  bedeutung  zukommt.  (Mit  recht  ist  es  daher  auch  nicht  fortgesetzt  worden 
[korr.-note].) 

Man  kann  sich  des  gedankens  nicht  erwehren,  dass  gerade  U.  die  geeignete 
persönlichkeit  zur  Zusammenfassung  und  ausgestaltung  der  weitverzweigten  mund- 
artenliteratur  zu  einer  gramraatik  der  deutschen  oder  hochdeutschen  mundarten, 
die  heute  wohl  ebenso  nötig  wie  vor  einem  menschenalter  die  der  historischen  ist, 
gewesen  wäre,  da  leider  das  sonst  immerhin  verdienstliche  büchlein  von  Reis  vor 
allem  mangels  der  sj-stematik  seiner  darstellung  infolge  unangebrachter  populari- 
sierungsbestrebungen  (die  aber,  wie  die  darstellungen  von  Meringer,  Loewe  und 
anderen  zeigen,  auch  im  rahmen  der  Sammlung  Göschen  gar  nicht  notwendig  waren) 
diesem  zweck  auch  für  den  anfänger  nicht  zu  genügen  vermag.  Es  war  ihm  und 
uns  nicht  gegönnt! 

MÜNCHEX.  V.    MOSER. 


J.  Lindemann,    Über    die    alliteration   als   kunstform   im   volks-   und 
epielmannsepos.     Diss.  Breslau  1914.     63s. 

Eine  bunte  Sammlung  von  alliterationen,  die  aber  für  das  thema  zunächst 
nichts  ergibt,  und  zwar  aus  mangel  an  metrischer  grundlage.  Es  war  von  vorn- 
herein in  echte  und  unechte  alliteration  zu  teilen.  Die  echte  kann  sich  nur  an  den 
stabstellen  und  im  rhythmus  des  alten  verses  zeigen,  also  auch  nicht  im  viertakter, 
(Denn  mag  man  über  den  alliterationsvers  denken,  wie  man  will,  dass  er  nicht  die 
vier  takte  des  altdeutschen  reiraverses  hat,  darüber  herrscht  wohl  Übereinstimmung.) 
spieze,  swert  linde  sper,  auch  langverse  wie  diu  was  geheizen  Hildebiirc,  frmi  Hilde 
Heigenen  tvip  gehören  also  nicht  dazu :  sie  lassen  sich  nicht  als  alliterationsverse 
lesen.  Noch  verkehrter  ist  es,  eine  reimzeile  mit  drei  stabenden  hebungen  (sie 
glasten  als  ein  gliiendiu  glüot)  deshalb  als  bewusste  anwendung  der  alten  technik 
anzusehen:  die  verband  ja  vielmehr  zwei  kurzzeilen  durch  drei  (oder  zwei)  stäbe. 
Entscheidend  ist  der  dipodische  rhythmus,  der  denn  auch  sofort  die  alten  formein 
hervortreten  lässt :  in  stürmen  unde  in  stn'ten  (aber  nicht:  so  sage  ich  m  von  stürmen 
und  von  striten) ;  aber  auch  Verbindungen  wie  Röther  der  riche,  Dietrich  der  de'gen, 
Wdlfrut  der  tvigant  werden  so  als  altertümlich  erwiesen.  Sogar  langverse  finden 
sich  80  zusammen:  in  leidet  bi  den  vroüwen  unde  liebet  bt  den  mannen  oder  zur 
not:  wie  liebe  mit  leide  ze  jungest  lönen  kdn.  (Aber  gerade  den  Nibelungen-  und 
Kudrunvers  stellt  der  Verfasser  als  'dreihebig'  abseits  — .  als  ob  dann  nicht  auch 
alle  klingenden  reimpaarverse  dreihebig  w-ären !)  —  Nur  in  diesen,  hier  in  der  masse 
aufgehenden  gruppen  liesse  sich  nach  einem  fortleben  der  alten  technik  spüren. 
Die  übrigen  stehen  auf  der  linie  des  zufälligen  Stabreims,  der  bei  der  germanischen 


118  GRIENBEUGKU    ÜBKU   KLIKJE,   DEUTSCHE   NAMENKUNDE 

eprechart  einst  zum  geregelten  geführt  hat,  aber  auch  fremden,  rhetorischen,  antiken 
Ursprungs  sein  und  als  schmuck  dienen  kann;  was  er  gerade  im  alten  alliterations- 
verse  nicht  getan  hat. 

Erst  nach  dieser  sonderung  Hessen  sich  aus  dieser  Sammlung,   wenn   sie  gut 
und  zuverlässig  ist,  Schlüsse  ziehen. 

KÖNKJSHKRG.  GEOKG   BAKSECKE. 


Friedrich  Kluge,  Deutsche  namenkunde.  Hilfsbüchlein  für  den  Unterricht 
in  den  oberen  klassen  der  höheren  lehranstalten  (Deutschkundlichc  bücherei). 
Leipzig,  Quelle  &  Meyer   1917.  4»  s.   0.60  m. 

Diese  jilangemäss  gedrängte  Übersicht  der  deutschen  namenkunde,  deren  stoff 
in  der  form  feststehend  herausgearbeiteter  tatsachen  vorgelegt  wird,  die  ihre  bei- 
spiele  ohne  polemik,  ohne  urheberzitate  und  literaturverweise  anführt,  ist  auch  vom 
rein  wissenschaftlichen  Standpunkte  aus  beachtenswert  und  ohne  zweifei  geeignet, 
dem  namhaft  gemachten  uutcrrichtszwecke  zu  entsprechen.  Literarisch  angesehen 
gleicht  sie  dem  orientierenden  artikel  eines  kouversatiocslexikons,  abzüglich  der  hier 
fehlenden  literaturangaben.  Den  drei  kapiteln:  familienuamen,  taufnamen,  topische 
namen  sind  als  viertes  die  namen  der  Wochentage  und  einige  ausdrücke  des  christ- 
lichen kalenders  beigegeben.  In  1  behandelt  Verfasser  die  patronymika,  die  geo- 
graphischen namen  im  weitesten  sinne,  die  beinamen  nach  eigenschaften  und  nach 
berufen,  die  nameu  nichtdeutscher  herkunft,  das  Verhältnis  der  namen  zum  jeweiligen 
Stande  des  Sprachschatzes,  Veränderungen  und  Weiterbildungen  aus  namen,  den  Ur- 
sprung der  namen  aus  der  Umgebung  des  trägers,  die  namen  aus  kalenderbezeich- 
nungen,  akrophonische  differenzierung  und  doppelnamen.  In  2  bespricht  er  die 
historische  Schichtung:  ererbte  germanische,  adoptierte  christliche,  von  anderen 
Völkern  entlehnte  namen,  die  bildung  charakteristischer  gruppen  für  je  eine  person 
darch  Vermehrung  der  Vornamen,  die  verschiedene  funktion  des  Vornamens  und  Zu- 
namens je  nach  dem  Umgebungskreise,  die  weiblichen  taufnamen  nach  äusserer 
erscheinung  und  bestand  (kürzungen,  entnähme  aus  dem  kalender  und  von  anderen 
nationen  her,  deminutiva),  bei  denen  im  besonderen  das  fehlen  durchgreifender  ein- 
deutschung  angemerkt  werden  muss.  In  3  Völker-  und  ländernanien,  siedlungs- 
namen,  namen  nichtdeutschen  Ursprunges  (keltischen  und  lateiuischenj,  fluss-  und 
bachnamen. 

Dass  diesem  ausschnitte  der  namenkunde  noch  mancherlei  details  fehlen,  ist 
bei  seiner  knappheit  wohl  zu  verstehen.  Es  ergibt  sich  aus  der  ganzen  art  des 
Vortrages,  den  der  Verfasser  mit  psychologischen  begründungen  durchflicht,  mit 
fragen  des  nutzens  und  der  Zweckmässigkeit,  der  absieht,  des  beliebens,  dass  er 
dem  leser  das  phänoraen  der  namengebuug  in  den  einzelheiten  des  historischen 
geschehens  und  in  den  motiven  nahezubringen  bestrebt  ist.  Es  darf  doch  eingewendet 
werden,  dass  grundsätzliche  unterschiede  zwischen  alter  und  neuer  namengebung 
eigentlich  nicht  bestehen  und  dass  der  namenbeilegung  nach  Vorbildern  der  familie, 
gesellschaft,  der  gesc-hichte  und  literatur*  auch  in  alter  zeit  eine  wesentliche  rolle 
zukommt,  dass  ferner  die  alten,  zweistämmigen  namen  vielfach  zugleich  als  appel- 
lativa,  im  besonderen  der  poetischen  spräche,  nachweisbar  sind  und  im  sinne  eben 

1)  Vgl.  R.  F.  Arnold,  Die  deutschen  vornamen.     Wien  1900. 


MATTHIAS   ÜBER   CAUER,   VON   DEUTSCHER    SPRACHERZIEHUNG  119 

dieser  verstanden,  klassifiziert  und  übersetzt  sein  wollen.  Chönrät  z.  b.  ist  ein  bahu- 
vrihikompositum  wie  an.  kaldrddr,  illrädr  'übelwollend,  böswillig'  und  als  appel- 
lativum  vom  einfachen  adjektiv  chuoni  sehr  wenig  entfernt,  wogegen  die  komposita 
Gerhard  und  Eberhard  modal  bestimmt  sind  und  auf  den  zweiten  teil,  das  adjektiv 
kard,  das  hauptgewicht  legen.  Geistige,  beziehungsweise  moralische  kraft  wird  in 
dem  einen  falle,  körperliche  Widerstandsfähigkeit  in  dem  anderen  zum  ausdruck 
gebracht.  Es  mag  ferner  nützlich  sein,  daran  zu  erinnern,  dass  bei  allen  namen  der 
wortsinn  gegenüber  dem  persönlichen  Inhalte,  als  dem  eigentlichen  zwecke  der 
namengebung,  mehr  und  mehr  zurücktritt  und  dass  deshalb  die  namen  die  tendenz 
haben,  blosse  lautgebilde  zu  werden,  die  nach  den  erfordernissen  der  bequemlichkeit 
unter  einhaltung  gewisser  stilgesetze  reduzierbar  und  formbar  sind.  Es  soll  endlich 
auch  darauf  hingewiesen  werden,  dass  der  passus  über  die  plurale  -hausen,  -hofen, 
-lehen  s.  35  nicht  in  der  fassung,  die  ihm  Kluge  gegeben  hat,  bestehen  kann.  Der 
nachweis,  dass  es  sich  hier  vielmehr  um  persönliche  bildungen  aus  dem  singularischen 
Ortsnamen  'die  leute  von'  handle,  ist  von  Eud.  Kögel  in  P.B.B.  (1889)  s.  113  f.  in 
überzeugender  weise  erbracht  worden.  Unter  den  hydrographischen  namen  vermisst 
man  die  seenamen,  unter  den  für  rinnendes  gewässer  die  gruppe  -affa,  unter  den 
von  nichtdeutschen  Völkern  her  übernommenen  ortsbezeichnungen  die  baltische  und 
«lavische  gruppe  wie  Stallnpönen,  Trakehnen,  Breslau,  Damig,  Dresden  und  andere. 
Dass  neuere  ländernamen  und  in  moderner  zeit  aufgekommene  amts-  und  berufs- 
titel  unter  den  familiennamen  seltener  erscheinen,  ist  eine  leicht  verständliche  sache. 
Sie  fehlen  jedoch  nicht  völlig.  Der  name  Reinländer  findet  sich  z.  b.  im  Jahrgang 
1901  des  Schematismus  f.  d.  k.  u.  k.  beer,  die  namen  Würtenberger  und  Rektor  im 
Wiener  wohnungsanzeiger  1919,  II.  Konkurrenzen  der  ableitungen  kommen  in  be- 
tracht  für  die  namen  Hager  (örtlich),  Hammer  (gegenständlich),  Haslach  (kollek- 
tivisch), Altmühl  (hydrographisch).  Des  weiteren  ist  Elkan  offenbar  hebräisch  *El- 
kän,  Hattemer  ein  name  auf  -emer  (=  -heimer),  Wieland  vorzugsweise  der  deutschen 
heldensage  entnommen;  die  familiennamen  auf  -sch(e)  zeigen  Zugehörigkeit  an,  die 
ländernamen  auf  -ei:  Wendei,  Slowakei,  mhd.  -le:NormanJe,  gehen  offenbar  von 
der  französischen  gestalt  des  romanischen  suffixes  -ia  aus.  Der  name  der  insel 
Rügen  führt  auf  die  Rügen,  nur  mit  einem  umwege  über  die  slav.  Rugiani,  Rniani, 
auch  i?unt  und  i?a?j/ des  Heluiold,  zurück.  Zwei  Wörter  sind  weiler  und  -weil,  mhd. 
wller  m.  und  wll{e)  f.  aus  mlat.  (Ducauge)  villare,  villaris,  vlllarium  und  v'illa.  Die 
existenz  einer  altdeutschen  göttin  Ostra  s.  45  ist  um  so  mehr  zweifelhaft,  als  auch 
die  aufstellung  Baeda's  (De  tempor.  ratione  cap.  15)  einer  ags.  göttin  Eostre  nicht 
als  gesichert  angesehen  werden  kann. 

WIEN.  GRIENBERGER. 


Paul  Cauer(f),  Von  deutscher  Spracherziehung.  Beobachtungen  und  rat- 
schlage. Zweite,  erweiterte  und  zum  teil  umgearbeitete  aufläge.  Berlin,  Weid- 
mannsche  buchandlung  1919.    VIII,  323  s.    geb.  11  m. 

Das  buch  ist  auch  in  der  neuen  aufläge  in  kern  und  wesen  dasselbe  geblieben, 
als  was  es  im  jähr  1906  zum  ersten  male  ausgieng:  die  anregende  darstellung  eines 
tiefverankerten  und  weitschauenden  lehrverfahrens  im  deutschunterricht  der  mittel- 
iind  vor  allem  der  oberklassen  humangymnasialer  anstalten,  das,  wesentlich  literarisch, 


120  MATTHIAS 

doch  wirklich  'auf  erziehung  zum  leben  in  menschlicher  gemeinschaft',  auf  ein- 
dringendes Verständnis  fremden  und  wohldurchdachtes  gestalten  eigener  gedankcn 
gerichtet  ist.  Im  aufbau  und  in  dem  tiefen  ernste,  womit  die  sozialethischen  auf- 
gaben der  neuen  furchtbaren  zeit  verantwortungsbewusst  und  liilfbeflissen,  aber  mit 
charaktervoller  treue  gegen  unser  Volkstum  angegriffen  werden,  hat  das  um  50  selten 
gewachsene  werk  sogar  noch  gewonnen. 

Abgesehen  von  der  neuen  fassung  mancher  eingänge  und  Überleitungen,  von 
kleineren  einschaltungen  und  Verschiebungen,  die  alle  betrachtungen  und  vorschlage 
in  unmittelbarere  zeitnahe  rücken,  sind  bedeutsamer  die  folgenden  Veränderungen. 
Die  philosophische  Propädeutik,  für  die  verständigerweise  eigentlicher  fachbetrieb 
und  vor  allem  die  experimentelle  psychologie  von  den  statten  höherer  allgemein- 
bildung  zwar  auch  jetzt  noch  abgewiesen  wird,  tritt  doch  erst  hinter  den  dem 
deutschunterricht  im  engeren  sinne  zufallenden  aufgaben  (literaturgeschichte  — 
lektürc  —  spracbgescbichte  und  Sprachrichtigkeit  —  freradwörter  —  stil  —  inter- 
punktion  —  disponieren  —  themata  =  abschnitt  I— VIII)  in  selbständigerer  Stellung' 
auf,  und  von  ihr  ist  noch  ein  besonderer  X.  abschnitt:  Sittliche  fragen  und  auf- 
gaben, abgezweigt.  Indem  ihm  hier  die  erörterung  des  tragischen,  das  ja  freilich 
andere  der  ethischen  betracbtung  überhaupt  entrücken  zu  müssen  meinen,  in  den 
schatten  unseres  grausamen  Schicksals  rückt,  sieht  der  Verfasser  zu  dessen  ver- 
scheuchung vor  allem  zwei  mittel  geboten:  eine  ausgedfhntere  berücksichtigung 
unseres  politischen  Schrifttums,  besonders  seit  dem  zusammenbrach  von  Jena,  und 
lehrerpersönlichkeiten,  die  die  schwere  aufgäbe,  auf  deren  lösung  sie  die  Jugend 
einstellen  sollen,  selbsterziehung,  d.  h.  Selbstüberwindung,  ihnen  vorleben.  Und  er 
wird  mit  alldem  bis  weit  nach  links,  bis  an  den  oberrealschulen  warmen  Widerhall 
wecken,  zumal  er  ein  gut  teil  der  bildenden  kraft  der  alten  sprachen  jetzt  auch 
dem  neusprachlichen  Unterricht  ausdrücklich  zugesteht,  wenn  'er  sich  psychologisch 
vertieft  statt  nur  der  aneignung  geläufiger  ausdrucksformen  zu  dienen.' 

Desto  lebhafterer  einspruch  dürfte  sich  zumal  an  real-  und  reformanstalten 
gegen  die  anderen  gebiete  regen,  denen  die  Umarbeitung  und  erweiteruug  des  buches 
hauptsächlich  gegolten  hat:  die  behandlung  unseres  immer  noch  höchst  stiefmütter- 
lich bedachten  mhd.  und  des  wesentlich  der  freien  privatlektüre  überlassenen  neueren 
deutschen  Schrifttums  über  LudAvig,  Hebbel  und  Grillparzer  hinaus  sowie  die  ent- 
schiedene ablehnung  einer  grundlegenden  deutschen  Sprachlehre,  auch  soweit  sie  schon 
möglich  wäre,  mit  deutschen  fachausdrücken.  Unverkennbar  ist  im  allgemeinen 
die  grössere  Vornehmheit  des  tones,  womit  er  hier  seine  gegner,  voran  den  All- 
gemeinen deutschen  Sprachverein  und  die  führer  des  Deutschen  germauistenverbandes,. 
Sprengel  und  Bojunga,  jetzt  würdigt  und  Überzeugung  gegen  Überzeugung  gelten 
lässt,  aber  es  fragt  sich  doch,  ob  die  für  die  eigene  Überzeugung  angeführten  gründe 
durchweg  stichhaltig  sind  und  die  bei  einem  so  feinsinnigen  kenner  des  altertums 
wie  P.  Cauer  nur  zu  verständliche  gewohnheit  und  neigung  nicht  der  pflicbt  ab- 
brach getan  hat,  gemäss  der  ja  auch  ihm  vertrauten  voraussage  J.  Grimms  (s.  291) 
auch  der  neuzeit  und  heimat  die  wachsend  immer  nötigere  geltung  zuteil  werden 
zu  lassen. 

Im  einzelnen  nur  so  viel:  Friedrich  Rückerts  schönes  bild  von  der  frei  wachsen- 
den und  der  angebundenen  winde,  mit  dem  C.  s.  286  seine  Stellung  zu  deutscher 
Sprachlehre  decken  möchte,  Avurzelt  als  bild  im  gefühl  und  ist  kein  beweis  für  deren 
richtigkeit,  kann  es  doch  ebensogut  für  eine  deutsche  sprachkunde  in  anspruch 
genommen  werden,   die  sich  von  bindung  und   meisterung   der  heimischen   sprach- 


ÜBER   CAUER,   VON   DEUTSCHER   SPRACHERZIEHUNG  121 

entwicklung  nach  willkürlichen  regeln  oder  gar  fremden  mustern  frei  hält  nnd  nur 
sorgfältige  beobachtung  heimischen  wurzelns  und  Wachsens  pflegt.  Wieviel  von 
solcher  beobachtung  für  wirkliches  inneres  Verständnis  deutscher  Sprachfügungen  zu 
gewinnen  ist,  sollte  zuletzt  Behaghel  nicht  umsonst  gezeigt  haben;  und  nachdem 
die  deutsche  Sprachforschung  längst  den  beweis  geführt  hat,  wie  sehr  unsere  sprach- 
entwicklung  in  der  lateinischen  Zwangsjacke  gelitten  hat,  sollte  sie  endlich  auch 
erwarten  dürfen,  dass  ihr  die  schule  nicht  immer  noch  auf  die  lateinischen  muster 
und  regeln  eingeschworene  hörer  zuführt,  ganz  zu  schweigen  von  den  schülern, 
denep  keine  hochschule  die  schulmässige  auffassung  berichtigt,  wie  ihnen  bloss 
gelegentliche  sprachgeschichtliche  aufklärungen  auch  kein  bild  deutscher  Sprach- 
geschichte wenigstens  in  grossen  zügen  vermittelte.  Von  seinen  geliebten  Griechen 
weiss  der  Verfasser  doch  selbst  sehr  wohl,  dass  sie  ihre  Sprachlehre  an  und  in 
der  muttersprache  ausgebildet  und  deren  entwicklung  dadurch  durchaus  nicht  ge- 
schädigt haben. 

Betreffs  der  fremdwörterfrage,  deren  behandlung  von  wenigen  seiten 
unter  'Sprachgeschichte  und  Sprachrichtigkeit'  zu  einem  ausführlichen  sonderkapitel 
aufgeschwellt  ist,  hat  sich  C.  in  sofern  eine  bessere  Stellung  geschaffen,  als  er  nicht 
mehr  so  grundsätzlich  den  manchem  'allzu  massvollen'  Allgemeinen  deutschen  Sprach- 
verein zum  gegner  nimmt,  sondern  sich  namentlich  mit  dem  entschiedensten  be- 
kämpfer  der  welscherei  von  heute,  Ed.  Engel,  auseinandersetzt.  Und  dessen  Stand- 
punkt, 'jedes  von  einem  gebildeten,  seine  spräche  achtenden  und  liebenden  Deutschen 
in  guter  absieht  und  nach  eruKstem  bedacht  geschaffene  wort  zur  verdrängung^ 
eines  welschen  sei  allermindestens  so  gut  oder  besser  als  das  welschwort',  lässt  frei- 
lich für  die  zwar  nicht  alleinige,  aber  stärkste  und  gesündeste  wurzel  des  sprach- 
lebens,  das  stille,  natürliche  Wachstum,  nicht  genug  boden.  Aber  im  übrigen 
scheint  auch  hier  Cauers  unvoreingeuommenheit  zweifelhaft,  wenn  er  nach  s.  91  an 
H.  Wernekes  aufsatz  in  den  Preussischen  Jahrbüchern,  nov.  1918,  'seine  freude  ge- 
habt' hat,  der  an  anderer  stelle,  Weidmanns  Jahresbericht  über  das  höhere  Schul- 
wesen XXXIII,  wohl  richtiger  als  ausfluss  knotiger  und  unflätiger  gehässigkeit 
bezeichnet  worden  ist  und  dessen  seligpreisung  der  öfter  herausgekehrten  miene 
sachlicher  friedfertigkeit  wenig  steht.  Was  soll  man  z.  b.  zu  dem  einwand  gegen 
die  Verdeutschung  'ausspräche'  für  debatte  s.  100  sagen,  dann  lasse  sich  der  gegen - 
satz:  'die  debatte  dauerte  zwei  stunden,  führte  aber  zu  keiner  rechten  ausspräche', 
nicht  ausdrücken  ?  Als  ob  nicht  'erörterung'  ein  besserer  ersatz  für  debatte  wäre ! 
Ebenso  willkürlich  ist  Cauers  kämpf  dagegen,  dass  Verdeutschungen  oft  zu  Ver- 
engungen des  begriffes  führten,  wie  in  der  gerichtssprache  'auftrag'  für  mandat, 
'Vermutung'  für  Präsumtion;  ist  doch  der  begriffliche  reichtum  der  spräche  tausend- 
fältig dadurch  gewonnen  Avorden,  dass  sich  durch  diesen  Vorgang  (wie  auch  den  um- 
gekehrten) bestimmtere  (allgemeinere)  bedeutungen  von  der  ursprünglichen  weiteren 
(engeren)  abspalteten.  Es  sei  nur  an  'zitieren'  vor  gericht  uud  in  büchern,  an  volumen 
für  'band'  und  in  der  naturlehre,  an  deren  'elemente'  neben  der  allgemeineren 
bedeutung  des  Wortes  erinnert,  und  was  dem  freradwort  hingeht,  wird  wohl  auch 
für  heimische  rechtens  sein.  Auch  gegenüber  Sprengel,  der  sich  für  deutsche  fach- 
ausdrücke der  Sprachlehre  auf  J.  Grimms  schon  oben  angezogene  voraussage  beruft, 
den  Vorwurf  nicht  vollständigen  anführens  zu  erheben,  steht  dem  nicht  zu,  der  den 
altmeister  der  deutscheu  Sprachforschung  ganz  einseitig  nur  für  die  fremdwörter 
in  die  schranken  ruft,  während  er  doch  im  nämlichen  vorwort  zum  Deutschen  wörter- 
buche  lesen  konnte,  dass  Grimms  letzte  wünsche  auf  das  abschütteln  dieses  fremden 


122  SCHBREU-STIFTUNG.    —    NEUE   ERSCHEINUNGEN. 

anfluges  unserer  spräche  gerichtet  waren.  Wenn  C.  ferner  bei  den  eprachreinigern 
■den  rechten  geschichtlichen  sinn  vermisst,  so  musste  ihm  seinerseits  das  geschicht- 
liche gewissen  doch  auch  verbieten,  Grimms  gegen  gewalttätige  'teutschtümelnde' 
wortmacher  wie  Wolke  und  genossen  geschleuderte  anwürfe  gegen  puristen  auf 
'die'  Sprachreiniger  allgemein  zu  beziehen.  Meine  Schrift:  Der  deutsche  gedanke 
bei  Jak.  Grimm  (Leipzig,  Vogtländer  1915)  hätte  ihm  nicht  nur  diese  beziehung, 
sondern  auch  recht  viele  Verdeutschungen  nachweisen  können,  die  Grimm  selbst 
angewendet  oder  gar  gebildet  hat. 

Cauers  gründe  für  eine  grundsätzliche  Stellungnahme  gegen  die  sprach- 
reinigung  halten  aber  durchaus  nicht  immer  stich,  und  wenn  er  s.  25  die  leseweit 
anklagt,  die  sich  dem  zeitgenössischen  Schrifttum  verschlossen  und  damit  ihr  amt 
versäumt  habe,  'mit  beifall  oder  ablehnung  auf  die  richtung  der  schaffenden  ein- 
fluss  zu  üben',  so  fällt  diese  anklage,  wie  seine  Zustimmung  zu  klagen  von  hoch- 
schuUehrern  über  stilistische  unbcbolfeuheit  ihrer  hörer,  auf  den  sonst  so  berufenen 
führer  der  Jugend  selbst  zurück;  hat  er  doch  in  seiner  Stellung  zu  unserem  neueren 
Schrifttum  und  unserer  sprachbew(!gung  eine  unumstössliche  psychologische  tat- 
sache  verkannt,  die  tatsache,  dass  die  bevorzugende  beschäftigung  mit  dem  fernen, 
iand-  wie  zeitfernen,  zumal  in  Deutsehland  von  je  den  irrtum  genährt  hat,  das  nur 
gelegentlich  herangezogene  nahe  und  heimische  sei  'nicht  weit  her'! 

PLAUEN  I.  V.  THEODOR  MATTHIAS. 


SCHERER-STIFTÜNG. 

Der  verehrlichen  redaktion  wird  hierdurch  mitgeteilt,  dass  das  kuratorium  der 
Wilhelm-Scherer-stiftung  den  diesjährigen  Schererpreis  geteilt  und  durch  ihn  aus- 
gezeichnet hat  die  herren  privatdozenten  dr.  Herbert  Cysarz  in  Wien  für  sein  buch 
'Erfahrung  und  idee.  Probleme  und  lebensformen  in  der  deutschen  literatur  von 
Hamann  bis  Hegel'  (Wien  und  Leipzig  1921)  und  privatdozent  dr.  Karl  V^ietor  in 
Frankfurt  a.  M.  für  sein  buch  'Geschichte  der  deutschen  ode'  (München  1923). 

Das  kuratorium  der  Scherer- Stiftung 

ROETHE. 


NEUE  ERSCHEINUNGEN. 

Die  redaktion  iet  bemüht,   für  alle  zur  besprechung  geeigneten  werke  aus  dem  gebiete  der  german. 

Philologie  flaclikundige  referenten  zu  gewinnen,  übernimmt  jedoch   keine  Verpflichtung,   unverlangt 

«ingesendete    bücher    zu    rezensieren.     Kine    zurückliefer  ung    der    r  e  z  en  s  i  o  u  8  -  e  x  e  m- 

plare    an    die    herreu   Verleger    findet   unter   keinen  umständen  statt. 

Ammon,  Herrn.,  Repetitorium  der  deutschen  spräche  (gotisch,  althochdeutsch,  alt- 
sächsisch). [Wissenschaftl.  repetitorien.  YIII.J  Berlin  und  Leipzig,  Walter 
de  Gruyter  &  co.  1922.     (VIII),  79  s. 

Bauckner,  Arthur,  Einführung  in  das  mittelalterliche  Schrifttum.  München, 
J.  Kösel  &  Fr.  Pustet  1923.     X,  174  8. 

Beck,  Erust  H.  F.,  Die  Impersonalien  in  sprachpsychologischer,  logischer  und 
linguistischer  hinsieht.     Leipzig,  Quelle  &  Meyer  1922.    IV^,  106  s.  32  m. 


NEUE   ERSCHEINUNGEN  123 

Bibelübersetznng',  Vorlutlierische.  —  Brodführer,  Eduard,  Untersuchung 
zur  vorlutherischen  bibelübersetzung.  Eine  syntaktische  Studie.  [Hermaea  XIV.] 
Halle,  Niemeyer  1922.     (X),  304  s.     Grundpreis  8  m. 

Caniiin.a  Burana.  —  Die  deutschen  lieder  der  C.  B.  nach  äex  hs.  CLM  4660  der 
Staatsbibliothek  München,  hrg.  von  Fr.  Lüers.  [Kleine  texte  für  Vorlesungen 
und  Übungen,  hrg.  von  H.  Lietzmann  nr.  148.]  Bonn,  A.  Marcus  u.  E.  Weber 
1922.     34  8. 

Edda  (Sieraundar).  —  Die  Eddalieder  klanglich  untersucht  und  hrg.  von  Eduard 
Sievers.  [Abhandlungen  der  philol.-hist.  klasse  der  sächs.  akademie  der 
Wissenschaften.  XXXVII  nr.  3.]  Leipzig,  .B.  G.  Teubner  1923.  gr.  8.  II,  188  s. 
Grundpreis  3,50  m. 

Fassbinder,  Franz,  Kahle,  Aug.  und  Kortz,  Friedr.,  Die  deutsche  dichtung  in 
ihren  kulturellen  zusammenhängen  mit  charakteristischen  proben.  Eine  ge- 
schichte  der  deutschen  literatur.  XI,  262  u.  VII,  252  u.  XII,  342  s.  Freiburg 
i.  B.,  Herder  &  co.  1922.     Geb.  Grundpreis  17,50  m. 

Faust.  —  Bittner,  Konrad,  Beiträge  zur  geschichte  des  volkssehauspiels  vom 
doktor  Faust.  [Prager  deutsche  Studien.  27.]  Reichenberg  i.  B.,  Sudetendeutscher 
Verlag  (Franz  Kraus)  1922.     (IV),  30  s. 

Friedrich,  Joli.,  Lehrbuch  der  gotischen  spräche  für  den  Selbstunterricht  mit 
übungsbeispieleu,  lesestücken  und  Wörterverzeichnis.  [Bibliothek  der  sprachen- 
kunde  132.]     Wien  und  Leipzig,  A.  Hartleben,    VIII,  94  s.  geb.  Grundpreis  2  m. 

Glosseu.  —  Die  althochdeutschen  glossen,  gesammelt  und  bearbeitet  von  Elias 
Steinmeyer  und  Eduard  Sievers.  5.  band.  Ergänzungen  und  Unter- 
suchungen. Bearbeitet  von  E.  v.  Steinmeyer.  Berlin,  Weidmann  1922.  XII. 
524  s.    Grundpreis  15  m. 

ixoethe.  —  Zinkernagel,  Franz,  Goethes  Ur-Meister  und  der  typusgedanke. 
Akad.  rede.     Zürich,  verlag  Seldwyla  1922.     30  s.  1,20  m. 

4jroethe  und  Schiller.  —  Die  quellen  von  Schillers  und  Goethes  Balladen,  zusammen- 
gestellt von  Alb.  Leitz'mann.  2.  aufl.  [Kleine  texte  .  .  .  hrg.  von  H.  Lietz- 
mann nr.  73.]     Bonn,  A.  Marcus  und  E.  Weber  1923.     60  s.  u.  3  abbild. 

trimme,  Hubert,  Plattdeutsche  mundarten.  2.  aufl.  [Sammlung  Göschen.]  Berlin 
und  Leipzig,  W.  de  Gruyter  &  co.  1922.     152  s.  geb.  210  m. 

Orimmelshausens  Courasche.  Abdruck  der  ältesten  Originalausgabe  (1670)  mit  den 
lesarten  der  beiden  anderen  zu  lebzeiten  des  Verfassers  erschienenen  drucke, 
hrg.  von  J.  H.  Schölte.  [Neudrucke  deutscher  literaturwerke  des  16.  und 
17.  jhs.     216-248.]     Halle,   Niemeyer  1923.     LVI,  168  s.     Grundpreis  1,80  m. 

Günther,  Christian.  —  Frei  ist  der  bursch.  Studenten-  und  Wanderlieder  und 
sonstige  Zeugnisse  von  und  über  Günther  mit  anmerkungen,  hrg.  von  Adalb. 
Hoff  mann.     Schweidnitz,  L.  Heege  o.  j.  (IV),  66  s. 

Heine.  —  Loewenthal,  Erich,  Studien  zu  Heines  'Reisebildern'.  [Palaestra 
nr.  138.]  Berlin  und  Leipzig,  Mayer  &  MüUer  1922.  (VHI),  172  s.  Grund- 
preis 25  m. 

Heliand  und  Genesis  hrg.  von  0  tto  Behaghel.  3.  aufl.  Halle,  Niemeyer  1922. 
XXXVI,  290  s.     Grundpreis  8  m. 

Hellquist,  Elof,  Svensk  etymologisk  oi-dbok.  Lund,  Gleerup  1922.  13  u.  LXXIH 
u.  1284  s.  71  kr. 

islendingabök.  —  Ares  Isländerbuch,  hrg.  von  Wolg.  Golther.  2.  aufl.  [Altnord, 
sagabibl.  1.]     Halle,  Niemeyer  1923.     XXXII,  54  s.     Grundpreis  2  m. 


124  NEUE   ERSCHEINUNGEN 

Kauffiiiann,  Friedrich,  Deutsche  altertumskunde.     Zweite  hälfte :  Von  der  völker- 

wanderund   bis    zur   reiclisj^ründung.     München,   C.  H.  Becksche    verlagsbuch- 

liandlung  (Oskar  Beck)  1923.     VIII,  711  s.  und  30  taff. 
Lenz,   J.  M.  K.     -   Huber-Bind  schedler,   Berta,    Die    motivierung   in    den 

dramen   von   J.  M.  K.  Lenz.     Ein   beitrag  zur  psychologie  Lenzens.     [Züricher 

dissert.  1922.]     (VI),  157  s. 
Lübeck.   —   Veröffentlichungen   der  Stadtbibliothek  zu  Lübeck.     Erstes  stück,  hrg. 

zur   dreihundertjahrfeier    der  stadtbibliothek.     Lübeck,   M.  Schmidt  1922.    VI^ 

26  u.  VIII,  101  s. 

Inhalt:  W.  Pieth,  Mitteilungen  über  die  Lübeckische  stadtbibliothek  1616 

(1622)— 1922.  —  Paul  Hagen,  Die  deutschen  theologischen  handschriften  der 

Lübeckischen  stadtbibliothek. 

Marr,  Nikolaus,  Der  japhetitische  Kaukasus  und  das  dritte  ethnische  element  im 
bildungsprozess  der  mittelländischen  kultur.  Aus  dem  russischen  übersetzt  von 
F.  Braun.  [Japhetitische  Studien,  hrg.  von  F.  Braun  und  N.  Marr.  IL] 
Berlin,  Stuttgart  und  Leipzig.  W.  Kohlhammer  1923.     76  s. 

Merker,  Paul,  Neuere  deutsche  literaturgeschichte.  [Wissenschaftl.  forschungs- 
berichte,  hrg.  von  K.  Honn.  VIII.]  Stuttgart  und  Gotha,  Andr.  Perthes  1922. 
(VIII),  142  8. 

Murner.—  Thomas  Murners  Deutsche  Schriften  mit  den  holzschnitten  der  erst- 
drucke,  hrg.  unter  raitarbeit  von  G.  Bebermeyer,  K.  Drescher,  F.  List,  P.  Merker, 
V.  Michels,  M.  Spanier  u.  a.  von  Franz  Schultz.  Band  IV.  Die  mühle  von 
Schwindelsheim  und  Gredt  Müllerin  Jahrzeit,  hrg.  von  Gust.  Bebermeyer. 
Berlin  und  Leipzig,  W.  de  Gruyter  &  co.     1923.     VIII,  205  s. 

Naumann,  Hans,  Althochdeutsche  grammatik.  2.  aufl.  [Sammlung  Göschen.]  Berlin 
und  Leipzig,  Walter  de  Gruyter  &  co.     1923.     159  s. 

Nibelungensage.  —  Pol ak,  Leon.  Untersuchungen  über  die  sage  vom  Burgunden- 
untergang.     [Groninger  dissert.]     Berlin  1922.    VIII,  124  s. 

Noreen,  Adolf,  Einführung  in  die  wissenschaftliche  betrachtung  der  spräche.  Bei- 
träge zur  methode  und  therminologie  der  grammatik.  Vom  Verfasser  genehmigte 
und  durchgesehene  Übersetzung  ausgewählter  teile  seines  schwedischen  Werkes 
'Värt  spräk'  von  Hans  W.  Po  Hak.  Halle,  Niemeyer  1923.  VIII,  460  s. 
Grundpreis  12  m. 

Ordbog  over  det  danske  sprog  grundlagt  af  Verner  Dahlerup  med  understottelse 
af  undervisningsministeriet  og  Carlsbergfondet  udg.  af  det  Danske  sprog-og 
litteratur-selskab.  Femte  bind,  flyve  —  frette.  Kebenh.,  Gyldendal  1923.  (IV)- 
s.  u.  1312  sp. 

Pelagia.  Eine  legende  in  mnl.  spräche  mit  einleitung,  anmerkungen  und  glossar 
von  A.  F.  Win  eil.  Halle,  Niemeyer  1922.  XVIII,  50  s.  u.  1  facsim.  Grund- 
preis 2  m. 

Reinniar  von  Zwetei*.  —  Bonjour,  Edgar,  Eeinmar  von  Zweter  als  politischer 
dichter.  Ein  beitrag  zur  Chronologie  seiner  politischen  Sprüche.  [Sprache  und 
dichtung  .  .  .  hrg.  von  H.  Maync  u.  S.  Singer.  24.]  Bern,  Paul  Haupt  1922. 
59  s.  32  m. 

Schirokauer,  Arnold,  Studien  zur  rahd.  reimgrammatik.  Preisschrift  der  Münchener 
philos.  fakultät.  [Sonderabdruck  aus  den  Beitr.  zur  gesch.  der  deutschen 
.spräche  und  lit.,  bd.  47.]     Halle,  Niemeyer  1923.    (IV),  126  s.   Grundpreis  4  m. 


NEUE   ERSCHEINUNGEN  125 

Schrader,  0.,  Reallexikon  der  indogermanischen  altertumskunde.  Grundzüge  einer 
kultur-  und  völkergeschichte  Alteuropas.  1.  band  (A— K),  hrg.  von  A.  Nehring. 
Berlin  und   Leipzig,   W.  de   Gruyter  &  co.  1917-23.     X,   672  s.  u.  59  tafeln. 

Stefausky,  Georg,  Das  wesen  der  deutschen  romantik.  Kritische  Studien  zu  ihrer 
geschichte.     Stuttgart,  J.  B.  Metzler  1923.     (VIII),  324  s.    Grundpreis  9,50  m. 

Steiniuar.  —  Schultz,  Franz,  Steinmar  im  Strassburger  münster.  Ein  beitrag 
zur  geschichte  des  naturalismus  im  13.  Jahrhundert.  [Schriften  der  Strassb. 
wissensch.  gesellsch.  in  Heidelberg,  n.  f.  VI.]  (IV),  15  s.  u.  1  tafel  in  lichtdruck. 
Berlin  und  Leipzig,  W.  de  Gruyter  &  co.  1922.     20  m. 

Sturm  und  drang.  —  Stockmeyer,  Clara,  Soziale  probleme  im  drama  des  Sturmes 
und  dranges.  [Deutsche  forschungen,  hrg.  von  Fr.  Panzer  u.  J.  Petersens.] 
Frankfurt  a.  M.,  M.  Diesterweg  1922.     V,  244  s. 

Taylor,  Archer,  Northern  parallels  to  the  Death  of  Pan.  [Washington  university 
studies,  vol.  X,  1.]  1922.     100  s. 

Tieck.  —  Lüdeke,  H.,  Ludw.  Tieck  und  das  alte  englische  theater.  Ein  beitrag 
zur  geschichte  der  romantik.  [Deutsche  forschungen,  hrg.  von  Fr.  Panzer 
und  J.  Petersen.     6.]     Frankf.  a.  M.,  M.  Diesterweg  1922.     VIII,  373  s. 

Totentänze.  —  Stammler,  Wolfgang,  Die  totentänze  des  mittelalters.  [Einzel- 
schriften zur  bücher-  und  handschriftenkunde.  IV.]  München,  Hofst  Stobbe 
1922.     64  s.  und  6  bll.  tafeln. 

Trojan,  Felix,  Das  theater  an  der  Wien.  Schauspieler  und  volksstücke  in  den 
Jahren  1850—1875.   Wien  und  Leipzig,  Wilaverlags-aktiengesellschaft  1923.  77  s. 

Unger,  Rudolf,  Herder,  Novalis  und  Kleist.  Studien  über  die  entwicklung  des 
todesproblems  in  denken  und  dichten  vom  Sturm  und  drang  zur  Romantik. 
[Deutsche  forschungen,  herausgegeben  von  Fr.  Panzer  und  Jul.  Petersen, 
9.]  Frankfurt  a.  M.,  M.  Diesterweg  1922.     VIII,  188  s.  1600  m. 

Volkskunde.  —  Hoffmann-Krayer,  E.,  Volkskundliche  bibliographie  für  das 
jähr  1919.  Im  auftrage  des  Verbandes  deutscher  vereine  für  Volkskunde  heraus- 
gegeben.    Berlin  und  Leipzig,  W.  de  Gruyter  &  co.  1922.    XVf,  142  s.  54  m. 

—  Naumann,    Hans,    Grundzüge    der   deutschen    Volkskunde.    [Wissensch.    und 

bildung.     181.]     Leipzig,  Quelle  &  Meyer  1922.    (IV),  158  s.  geb.  100  m. 
Waltlier  von  der  Vogehveide,   hrg.  von  Karl  Lachmann.   8.  ausgäbe,  besorgt 

von    Karl    v.    Kraus.      Berlin    und   Leipzig,    W.   de    Gruyter   &   co.   1923. 

XXXIII,  232  s. 
IVeckherlin.   —   Johnson,    Elizab.  F.,    Weckherlins    Eclogues    of   the  seasons. 

[Dissert.  der  John  Hophius  univ.]     Tübingen  1922.     68  s. 
Wolfram   von   Eschenbach.   —   Schreiber,   Albert,   Neue  bausteine  zu  einer 

lebensgeschichte   Wolframs   von  Eschenbach.     [Deutsche  forschungen,  hrg.  von 

Fr.    Panzer   und    J.  Petersen.  7.]     Frankfurt  a.  M.,  M.  Diesterweg  1922. 

IX,  233  s. 

—  Palgen,   Rud.,  Der  stein  der  weisen.     Quellenstudien  zum  Parzival.     Breslau, 

Trewendt  &  Granier  in  komm.  1922.  (IV),  60  s^;  30  m. 

Wortspiele.  —  Buch  der  Wortspiele,  hrg.  von  J.  Gössel.  Köln  a.  Rh.,  Hoursch  & 
Bechstedt  1923.     95  s. 

Ziehen,  Eduard,  Die  deutsche  Schweizerbegeisterung  in  den  jähren  1750—1815. 
[Deutsche  forschungen,  hrg.  von  Fr.  Panzer  und  J.  Petersen.  8.]  Frank- 
furt a.  M.,  M.  Diesterweg  1922.     VIII,  214  s. 


NACHRICHTEN 

NACHRICHTEN. 

Am  25.  Oktober  1922  verstarb  zu  Weimar  der  Goetheforschcr  dr.  Wilhelm' 
Bode  (geb.  zu  Hornhausen  30.  märz  18Ü2). 

Der  ausserordentl.  professor  der  nordischen  philologie  an  der  Universität 
Leipzig,  geh.  studienrat  dr.  Eugen  Mogk  wurde  zum  Ordinarius  befördert,  ebenso- 
der  ausserordentl.  professor  dr.  AlbertLeitzmann  in  Jena. 

Der  ordentl.  professor  dr.  Julius  Petersen  und  der  geh.  studienrat  dr. 
Johannes  Bolte  in  Berlin  wurden  zu  ordentl.  mitgliedern  der  philos.-hist.  klasse 
der  preuss.  akademie  ernannt;  der  ordentl.  professor,  geh.  regierungsrat  dr.  Edward 
Schröder  in  Göttingen  zum  korresjtondierenden  mitgliede  der  Münchner  akademie. 

Für  deutsche  philologie  habilierteu  sich:  in  Frankfurt  a.  M.  dr.  Karl  Victor, 
in  Giesseu  dr.  Karl  Karstien,  in  Göttingen  dr.  Günther  Müller  und  dr. 
Ludwig  Wolff,  in  Leipzig  dr.  Fritz  Karg;  für  neuere  deutsche  literatur- 
geschichte:  in  Frankfurt  a.  M.  dr.  M.  Sommerfeld  und  in  Wien  dr.  Herbert 
Cysarz. 


PHILOLOGEN-VERSAMMLUNG  IN  MUNSI^ER  1923. 

Die  54.  Versammlung  deutscher  philologeu  und  schulmänner  findet  vom 
27.-29.  September  1923  zu  Münster  i.  W.  statt.  Als  obmänner  der  germanistischen 
Sektion  fungieren  professor  dr.  J.  Schwering  in  Münster,  Erphostr.  29  und 
professor  dr.  P.  Kluckhoh  u  in  Münster,  Neustr.  8.  Vorträge  sind  bis  zum  20.  juli 
anzumelden. 


ZUR  EDDAMETRIK^ 

(Härbar|)slj  6f),  Sigr  drifumol,  Atlakvi|)a,  Atlamyl, 

Ham|)esm()l.) 

I.  Harbarl)sljöl). 

Dass  die  lang-zeile  18^  (z.  45  Sijmons),  in  der  die  beiden  halb- 
verse  ihre  eigene  alliteration  haben  (ok  ör  dale  djüpom  1  grund  of  gröfo) 
\\\  R  fehlerhaft  überliefert  ist,  liegt  auf  der  band.  Bereits  Bergmann 
stellte  mit  recht  chiastischen  Stabreim  her  {ok  grund  or  drde  \  djupom 
<jn>fo),  und  es  ist  schwer  begreiflich,  dass  diese  auf  den  ersten  blick 
einleuchtende  emendation,  die  Hildebrand  und  ich  in  den  text  auf- 
nahmen, späteren  herausgebern  zu  kühn  erschienen  ist.  Ebensowenig 
bedurfte  es  besonderen  Scharfblicks  um  zu  sehen,  dass  str.  12  (z,  27 
Sijmons)  in  Unordnung  geraten  ist :  auch  hier  boten  die  reimbuchstaben 
das  mittel  zur  heilung  dar,  die  jedoch  noch  keinem  vollständig  ge- 
lungen ist.  Was  ich  noch  in  meiner  letzten  ausgäbe  aus  den  beiden 
vorausgegangenen  wiederholte,  ist  nämlich  noch  nicht  befriedigend ; 
es  lassen  sich  aber  ohne  besondere  Schwierigkeiten  zwei  korrekte 
langzeilen  herstellen : 

En  pot  sakar  eigak,  fyr  slikom  sem  pü  est 

monk  forpa  fJQvve,  nemo  feigr  seak. 

Neckel  war  hier  bereits  auf  dem  richtigen  y^Q^t,  wagte  aber  noch  nicht 
das  völlig  entbehrliche  nihio,  das  den  vers  überlädt,  und  das  J)ä  zu 
streichen:  die  halbzeilen  12^''  und  12 ^^  bilden  nämlich  einen  satz 
und  die  kommata  in  ^'°  sind  vom  übel. 

Diese  beiden  stellen  beweisen,  dass  es  mit  der  Überlieferung  des 
liedes  nicht  zum  besten  bestellt  ist,  und  diese  erkenntnis  gibt,  wie  ich 
meine,  dem  herausgeber  das  recht,  bei  der  herstellung  des  textes  etwas 
kühner  zuzupacken.  Man  darf  sich  nicht  mit  der  meinung  beruhigen, 
dass  man  es  mit  'freien  rhythmen'  (oder  mit  'sagversen' !)  zu  tun  habe, 
oder  dass  unser  dialog  (wie  bei  Shakespeare)  aus  poesie  und  prosa 
gemischt  sei.  Die  verwendeten  verse  sind  nämlich  in  der  weitaus 
überwiegenden  mehrzahl  dieselben,  die  auch  in  den  übrigen  eddischen 

1)  Diese  ausführungen  bilden  eiae  ergänzung  zu  dem  im  Arkiv  för  nord. 
fijßl.,  bd.  XL  erschienenen  aufsatze,  der  die  in  reinem  foruyrl)islag  abgefaßten  Edda- 
gedichte behandelt. 

ZEITSCHRIFT  F.  DEUTSCHE  nilLOLOGIE.    BD.  L.  10 


128  GEitiN«; 

massen  (fornyr}Mslag-,  niälahättr  und  ljul)ah;\ttr)  sich  finden,  und  die 
prosa  beschränkt  sich,  wie  mir  scheint,  auf  die  immer  wiederholten 
kurzen  fragen:  llcat  cant  pä  mepan,  pörr'i'  Hvat  vant  pü  mepan, 
IL'irburpr'^  Am  stärksten  war  der  autor  ohne  frage  von  der  gnomischen 
und  dialogischen  dichtung  beeinflusst:  mehrere  Strophen  sind  ja  in 
nahezu  korrektem  Ijöl^ahättr  oder  galdralag  abgefasst  (s.  unten  §  30). 
Ich  lasse  das  denkmal  in  der  gestalt,  wie  sie  sich  nach  längerer  be- 
schäftigung  mit  demselben  mir  ergeben  hat,  folgen;  die  verstypeu  sind 
links  und  rechts  am  rande  angegeben. 

H  urbar I)slj  ü[). 
I^örr  för  or  austrvegi  ok  kom  at  sundi  einu;  9|j)rum  megum  sundsins 
var  ferjukarlinn  niej)  skipit.     ]:>('»rr  kalla})! : 
C*      1  '  Hverr's  sä  sveinn  sveina,       es  stendr  fyr  sundet  handan?      BA 

Ferjukarlinu  kva}» : 
C*      2  ^  Hverr's  sä  karl  karla,       es  kallar  of  vägenn?  aA 

tön-  kval): 

A       3     ^  Fer  mik  of  sundet !       f0{)ek  pik  ä  morgou :  AA 

El           *  meis  hefk  ä  bake,       verpra  matr  enn  betre.  AA 

El           °  At  ek  i  hvilf),       äpr  heimau  förk,  D  2 

A             '^  sildr  ok  hafra:       sajjr  emk  enn  pess.  E2 

Ferjukarlinn  kvali : 

A       4  •  '  Arlegom  verkom       hrösar  verpe  pinom  •,  AA 

E2  veiztattu  fyrer,       [veslingr!]  gorla:  A21 

EC  ^  dopr 'ro  pin  heimkynne,       dauf)  hykk  at  pin  möper  se.       EE 

f'örr  kva}) : 
D2    5    ^  Hitt  seger  \m  nii,       es  hverjom  pykker  aA 

P  raest  at  vita,       at  min  möper  daup  se.  aA 

Ferjukarlinn  kva]»: 

E2   6  '°  f)eyge's  sem  pü       \m\\  bü  gö|j  eiger:  AC 

El       ^' berbeinn  {ni  stendr       ok  hefr  brautinga  gorve;  CE* 

F  ^2  patke  at  brokr       pinar  hafer!  F 

1)  Hverr  er  R.  2j  Hverr  er  K.  3)  Fer]pu  K.  löl)i  ek  R.  matrinn  betri  R. 
5)  äjjr  ek  heiman  för  R.  6)  am  ek  R.  7  *•  -)  Arlegom  —  gorla  eine  zeile  (säsur  nach 
vert)enom)  S.  7  ')  hrösar  l)ü  R.  ver{)e  J)inom  Bm,  verjjinum  R.  8)  dQpr  eru  R.  hykk] 
hygg  ek  R.  9  *■  -)  als  zwei  langzeilen  Nl,  als  dine  [zäsnrlose)  langzeile  S.  9  ')  HittJ 
I'at  R.  10)  l'eygi  er  R.  11)  hefir  R.  12)  eine  langzeile  edd.  at  \m  hafer  brökr 
Jjinar  R. 


ZUR   EDDAMETRIK  129 

f^örr  kvaj) : 
AA     7  '^  Styr{)U  hingat  eikjo!       st9l3na  monk  |)er  kenna;  AA 

B  ^*  ej)a  hverr  a  skipet      es  heldr  vi^j  landet?  aA 

Ferjukarlinn  kvaj) : 

E*l     8  '^  Hildolfr  sä  heiter,       es  mik  halda  bal?,  B* 

D*l        ^^  rekr  enu  ra|3sviniie       i  Räl)seyjarsimde;  CA 

BC         ^^  ba{3at  hlennemenn  flytja      ef)a  hrossa  {^jofa,  aA 

A  ^^  gö{)a  eina       ok  {)äs  gorva  kunnak.  aA 

A  ^^  Segjoii  til  nafns  pins,       ef  of  sundet  vill  fara.  BC 

t'ürr  kvaj) : 

aA  9  ^^  Monk  segja  til  nafns  mins,       I^öt  ek  sekr  seak,  C* 

C*           ^^  ok  til  alz  0f)les:       ek  em  ÖJ)ens  sunr,  B 

A             ^^  Meila  brolier,       en  Magna  fa{)er,  B 

A2k        ^^  {)rül3valdr  goJ)a;       vij)  f>6r  knattu  her  döma.  CE* 

DE*        ^*  f)ess  viljak  nii  spyrja,       hvat  {)ii  heiter.  C 

Ferjukarlinn  kvaJ) : 
E*l    10  ^°  Härbar{3r  ek  heite,       hylk  of  nafn  sjaldan.  AC 

f'örr  kva}): 
EIC  11  ^"  Hvat  skaltu  of  nafn  hylja,       uema  Jxi  sakar  eiger?        AC 

Härbarl^r  kvaJ) : 
C*      12  -^^  En  {jüt  sakar  eigak,       fyr  slikom  sem  |)ii  est  aA 

aA  monk  forpa  fjorve,       nema  feigr  seak.  C 

föiT  kval): 
F        13  -**  Harm  Ijötan       hykk  mer  1  {3 vi  [vesa],  AC 

BB  at  val^a  of  vag  til  |)in 

BC  (katal.)  ^^  ok  vseta  ggor  minn; 

E*  ^°  kogorsveine  I^inom       skalk  launa  kangenyrj^e,  BA 

AB  J)äs  ek  komomk  of  sund. 

13)  eikjunni  R.  ek  mun  lier  stoljua  kenna  R.  14)  \)n  heldr  R.  16)  es  bj'r 
i  R.R.  17)  bal)at  hann  R.  18)  l^äs]  l)ä  er  R.  gorva  kunnak  J,  ek  g^rva  kunna  R. 
19)  ef  l)ü  vill  of  sundit  fara  R.  20)  Segja  mun  ek  R.  seak]  sjäk  R.  24)  Pesä] 
Hins  R.  viljak  S,  vil  ek  R.  26)  eine  zäswlose  langweile  S.  27  *'  *)  ^ine  langseile 
{zäsur  nach  eiga)  .S'.  27^)  l)6t  ek  sakar  eiga  R.  fyr  —  est  hinter  mino  (27^)  R  edd. 
27-)  l)ä  mun  ek  R.  fjorvi  minu  R.  feigr  seak  J,  ek  feigr  se  R.  28'*^)  eine  lang- 
zeile  (zäsnr  nach  l)vi)  .S'.  28')  hykk  —  vesa]  mer  {jykkir  i  l^vi  R.  28'-)  väginn  R. 
28-*.  29)  eine  langseile  G.  29.30*)  eine  langseile  (ok  vs.'ta.  qsoy  minn  |  skyldak  launa 
kogorsveine  Innom)  S.  30*)  skyldak  (skylda  ek  R)  launa  kogursveini  [)inum  |  kan- 
ginyr|)i  G  mit  R.  kangenyrt)e  als  erste  halbzeile  mit  30"*  verbunden  S.  30*  l)äs]  ef 
ek  R.  sundit  R. 

10* 


130  GERING 

HärbarJ)!'  kvalK 

A       14  ^^  Her  monk  standa       ok  bel)an  J)in  bi|)a-,  CG 

B*           ^^  faiitat  harfiara  mann       at  Hrungne  dau[ian.  aA 

l^örr  kval) : 

El     15  ^^  Hins  vildu  nü  geta,       es  vit  Hrungner  deildom,  aA 
CB          ^^  sa  enn  sturiil)ge  J9tonn,       es  6r  steine  vas  h9fol)et  ä ;  aAB 

E*l  ^^  {i6  letk  hann  falla  ok  fyrer  hniga.  C 
(Prosa)    ^^  Hvat  vantu  |)ä  mejjan,  Härbar{)r? 

Härbarjir  kvali : 

C*     16  ^'  Vask  raej)  FJ9lvare       fimm  vetr  alla  A21 

aA           ^^  i  eyjo  {^eire       es  Algron  heiter;  aA21 

A            ^^  vega  J)ar  kn^ttom       ok  val  fella,  C 

A            *"  margs  at  freista,       mans  at  kosta.  A 

förr  kvaj) : 

B*     17  *^  Hverso  snünoJDO  yj)r       snöter  yjjrar?  A 

Härbar|)r  kva}) : 

AA    18  ^^  Sparkar  ^ttom  snöter,       ef  at  spgkom  yr|)e,  C 

AA          ^^  horskar  gttom  snöter,       ef  oss  liollar  vsere:  aA 

A            **  {)8er  6r  sande       sima  nndo  A 

B             *^  ok  grund  6r  dale       djiipom  gröfo.  A 

C*           "^  Varf)k  {^eim  einn  gllom       0fre  at  r(}J)oin,  A 

B             *''  hja  systrom  I)eim       sjau  ek  hvildak  A 

C  ***  ok  gej)  (Htak  alt  jDeira  ok  gaman.  El 
(Prosa)    *^  Hvat  vantu  {iä  mel^au,  f)6rr? 

i'örr  kva|) : 

A       19  ^"^  Ek  drap  f>jaza,       enn  |)rül)mul)ga  J9ton,  CB 

A  ^^  upp  varpk  augom  Alvalda  sonar  El 
BB          ^^            ä  ]3ann  enn  heijm  himen; 

B*           ^^  J)au'ro  merke  mest      minna  verka,  A 
CB          ^*            |)aus  menn  si[jan  of  se. 
(Prosa)    "^  Hvat  vantu  mej^an,  Härbar|)r? 

31)  mun   ek   R.    bin   he]ian  R.    32)   fantattu  mann  enn  har^ara  R.    35)  let 
ek  R.     37)  var  ek  R.     38)    eyjo]   ey   R.     39)   vega   ver   \ydr  kn.  R.     41)  zäsm-lose 

langzeile  edd.  snöter]  konur  R.  42)  snöter]  ver  konur  R,  ef  oss  R.  43)  snöter] 
ver  konur  R.  45)  ok  or  dale  djüpom  |  grund  of  gröfo  R  edd.  46)  Var^  ek  R. 
47)  hvildak  (livilda  ek  R)  hjä  lieim  systrum  sjau  R  edd.  (als  zäsurlose  seile).  48)  ok 
hafbak  (haf^a  ek  R)  ge\)  beira  alt  ok  gaman  R  edd.  {als  zosurlose  zeile).  51)  ek 
varp  R.     53)  bau  eru  R.     54)  pau  er  aller  menn  RA. 


ZUR   EDDAMETRIK  131 

Härbar[)r  kvaj) : 
D*l  20  ^^  Miklar  manvelar       ek  haf|)a  vif)  myrkrijjor,  BC 

BB  ^^  es  ek  velta  f)ä  frä  verom ; 

F  ^^  har{)an  joton       hugjoak  Hlebar|)  vesa:  aA2k 

BB  ^^  bann  gaf  mer  gambantein, 

BB  ®°  en  ek  velta  bann  6r  vite. 

i'örr  kva]3 : 
D2    21  ^^  Gjafar  launaper  |)ü       g6|)ar  illom  buga.  AB 

HärbaiJ)r  kva]5: 

F       22  ^^  f)at  befr  eik       es  af  annarre  skefr:  CB 

BB  ^^  es  i  sliko  bverr  of  sik. 

(Prosa)    ^^  Hvat  vantu  me]3an,  fxjrr? 

{•örr  kvaf» : 

F       23  '^^  Ek  vas  austr       ok  jotna  bar|)ak  aA 

D*l         ^^  briij^er  b9lvisar       es  til  bjargs  gengo:  C* 

EC          "^^  mikel  munde  sett  J9tna,       ef  aller  lifj^e,  aA 

B*           *'^  munde  manna  vaetr       und  mi{)gar{)e.  C 

(Prosa)    "^  Hvat  vantu  mejjan,  Harbarf)r? 

Härbarjjr  kva}) : 

D*l  24  "  Vask  ä  Vallande       ok  vigom  fylgf)ak,  aA 

A             ''^  attak  j^from,       en  aldre  ssettak,  aA 

E*2         '■*  Ö{)enn  ä  jarla       {)as  i  val  falla,  C* 
BB          '^          en  f)6rr  ä  |)riela  kyn. 

t'örr  kva]) : 

A21   25  '*  Ojafnt  skipta       munder  me|)  ysom  lij^e  B* 

BE  '^  ef  Setter  vilge  mikels  vald. 

Härbail)!-  kvaij : 
AC    26  ^'^  f)örr  ä  afl  öret,       en  etke  bjarta:  aA 

BC  '^  af  bräizlo  ok  bugbleype       vas  {)er  i  banzka  trof)et         BB 

BC  ''^  ok  {jötteska  J^orr  vesa; 

57)  es]  l)ä  er  RA.  58)  \mg\)&  ek  A,  ek  hugba  R.  59)  gaf  bann  RA.  61)  Illum 
huga  launajjer  {)ü  bä  gö^ar  gjafar  (gjafir  A)  RA  (i-o«  den  edd.  als prosa  betrachtet). 
63)  of  sik  er  bverr  i  sliku  RA.  68)  vä^tr  mundi  manna  RA.  70)  Var  ek  RA. 
71)  atta  ek  RA.  72)  bäs]  liä  er  RA.  74)  er  bii  mundir  RA.  75)  ef  ^\\  ä-ttir  RA, 
77)  l)er  var  R.     78  ^ötteska  \n\  R,  <<boftizkattu»  A. 


132  OKHIXC 

A  ''^  hvärke  l)ii  |)or[)er       fyr  liräzlo  l)iiine  aA 

A  **'  fisa  ne  hnjosa,       svat  Fjalarr  heyr|)e.  C 

l'örr  kva|): 
A2k    27  ^^  HärbarJ)!-  rage!       mundak  I)ik  i  hei  drepa,  B*C 

BB  ^'^  ef  ek  seilask  mjetta  of  simd. 

Härl)arl)r  kval» : 
BC      28  ^^  Hvat  skaltu  of  sund  seilask,       es  sakar  'o  alz  engvar?  BC 
(Prosa)      ^*  Hvat  vantu  \n\,  {^6rr? 

IVirr  kvalj: 

F        29  ^^  Ek  vas  austr       ok  (}na  varj)ak,  aA 

A              ^®  J3as  mik  sotto       ])eir  Svärangs  syner;  aA2k 

A              ®'  gi>>te  mik  b9r|)o,       gagne  ])(')  litt  fegner  AC 

A               ****  ur|)o  J)eir  fyrre       frij^ar  at  bi[)ja.  A 
(Prosa)      ^^  Hvat  vantu  Jn'i  mepan,  Härbar])r? 

Härbarl)r  kva^): 

F         30  ^'  Ek  vas  austr       ok  vi|)  einhverja  döm[)ak,  C*A 

D*l           ^^  lekk  vij)  linhvita       ok  launping  haf^ak,  aA2b 

D*l            ^^  gladdak  gollbjarta,       gamne  m^er  unl)e.  D*l 

t*örr  kva}) : 
D2      31  ^^,  Mä't  yttol)  er       maukynne  I^ar.  El 

Härbarl)!-  kvaj) : 
A21     32  ^*  p>ins  lil^s  I)urfe,       I:>()rr,  vierak  I^ä,  D2 

aA  at  heldak  henne,       enne  livito  mey.  B* 

f*6rr  kvaj) : 
AE      33  ^^  Veita  mundak  J^er  {jat,       ef  ek  vil)r  of  kviemomk,        aA 

Härbai-Jir  kval) : 
D2       34  ^^  Trua  mundak  J)er,       nema  mik  i  tryg|j  veiter.  BC 

79)  l)u  J)ä  RA.  80)  hnjösa  ne  fisa  R.  svä  at  RA.  81)  ena  rage  RA.  ek 
munda  RA.  82)  mst'tta  seilask  RA.  sund  R,  sundit.  A.  83)  skaltu  A,  skyldir  \)n  R. 
sakir  'ro  R,  sakar  eru  A.  86)  l3äs]  t)ä  er  RA.  l)eir  söttu  mik  A.  87)  [)eir  mik  RA. 
gagne  urljo  l)eir  Ijö  (1)6  am.  A)  RA.  88)  1)6  url)u  RA.  lieir  mik  f^rre  RA.  91)  lek 
ek  RA.  vili  ena  jinhvito  (lindhvito  R)  RA.  long  Inug  R.  92)  gladda  ek  A.  ena 
gollbjgrtu  R,  hina  guUhvitu  A.  93)  Mä't]  Göl)  RA  edd.  öttu  [)er  A,  (ittu  l)eir  R. 
l)ar  l)ä  RA.  94 ''O  eine  langzeile  {zäsiir  vor  at)  S.  94*)  Lii)S  J)ins  va?ra  (var  A) 
ek  l)ä  l)urfi  törr  RA.  94 ")  heldak  henne]  ek  heida  Jjeire  RA.  linhvitu  RA.  95)  Ek 
munda  l)er  ]);i  l)at  (l^at  Jjä  A)  veita  RA.  ek  om.  A.  vilj  A.  «kfemumz»  A, 
ckomiz»  K.     96  a)  Ek  nuuula  l)er  Jiä  tn'iu  RA.     96b)  nema  l)ii  RA. 


ZrK    EDDAMETRIK  133 

l*6rr  kTa{)  : 
€*         35    "'  Emka  hselbitr  sä       sein  hülDskor  forn  a  vär.  BB 

Härbarl)r  kvaj) : 
(Prosa)  36    '^^  Hvat  vantu  niej^an,  p>orr? 

P'örr  kva|j : 
D*l       37    »^  Brillier  berserkja       barijak  i  Hleseyjo,  D*l 

C*  ^"^^  h9fl)0  {)£er  verst  unnet,       vilta  I)jö|i  alla.  D*l 

Harbar}»r  kvaJ) : 
AB       38  ^'''  Klajke  vantu,  |:)urr!       es  ä  konom  bar[)er.  C 

l*6rr  kva{) : 
E*l      39  ^°^  Vargyiijor  v(>ro,       en  varla  konor;  B 

A  ^"^-^  skeldo  skip  mitt,       es  ek  skorfjat  hafj)ak,  aA 

D*i  ^°^  t'gl^o  mer  jarnlurke,       en  elto  {^jalfa.  aA 

(Prosa)       ^'^^  Hvat  vantu  melian,  Harbar|)r? 

HärbarJ)!'  kvajj: 
B         40  '°^  I  hernom  vask,       es  hingat  gorliesk  aA 

D*l  ^"^^  gnaifa  gunnfaua,       geir  at  rjöf^a.  A 

Pnrr  kvajj : 

El       41   ^"^  f)ess  vildu  nü  g-eta,       es  {^ü  fürt  o///  oss  bjojia.       aAA 

Härbarjjr  kvajj : 
E*2      42  '^^  Böta  skal  [)er  I)at       bauge  raundar,  A 

aA  ^1'  sem  jafuendr  unno,       I)eirs  okr  vilja  s^etta.  CA 

1*0  rr  kvajj ; 
El       43  ^^^  Hvar  namtu  or[)       Jjesse  en  hnüfelego,  AB 

aA  ^^^  es  ek  heyrj)a  aldre       in  hnüfelegre  V  aA 

Härbarln*  kvajj : 
A         44  113  isi^am]^  af  f/tom       euom  aldrönom  C 

Bß  ^^*  es  i  heimes  haugom  ])ua. 

97)  Emkat  ek  sä  luvlbitr  RA.  99)  barlja  ek  A.  Hlesey  A.  100)  l)*r 
hofl)U  RA.  velta  R.  101)  vantu  l):i  RA.  es  \)\\  RA.  102>  vüru  l.ä-r  R,  l)at  vom  A. 
lO.'i)  baflm  A.  106)  Ek  vark  (var  A)  i  bernom  RA.  108)  ölil>  oss]  oss  «ölubax» 
(«oliyfä  >  A)  at  RA.  109)  l)at  liä  R,  om.  A.  munda  baugi  RA.  110)  |)eir.s]  l)eir 
«r  R.V.  sä'tta  R,  s;vtt  hafa  A.  111)  zäsur  nach  namtu  S.  l)essi  en  hnöfiligu  orl) 
JRA.  112)  aldregi  R.  in]  hin  A,  15;».  R.  113)  Nam  ek  RA.  ytom  Bitgi/e,  monnum 
R,  om.   A.      l)eim    enonx    R.\.       114)   er    büa  i   heimis    skögum   (<'skagö«>    A)   RA. 


134  GERING 

i*nrr  kva}) : 
F         4b  ^^^  pd  gefr  |iü       gött  nafn  dysjom,  A2I 

B*B  "^  es  I)ü  heimes  havga  heitr. 

Härbarj)!"  kva)) : 

F         46  ^1'  Sva  (lumek       of  slikt  far.  F 

l'örr  kvaj) : 
El        47  ^''^  Orjjkringe  |)in       mon  [xir  illa  koma,  B*^ 

BB  *^^  ef  ek  rädp  a  vag  at  vajja; 

A  ^'^°  ulfe  htera       hykk  |)ik  üpa  mono,  B* 

BB  ^^^  ef  hlj'tr  af  hamre  hogg. 

llärbarj)!-  kva]»: 
AC       48  ^^^  Sif  a  hör  heima,       bans  mont  fuud  vilja,  AC 

AC  ^-^  {)anii  mont  ftrek  drygja,       |)at's  |)er  skyldara.  AC 

{•nrr  kvalj : 
AC       49  '-•*  Mjeler  at  münz  rixpe,        svät  mer  shjh  verst  {jykkja,   BC 
D*l  ^^'^  halr  enn  hugblanl:)e!       hykk  at  {hi  Ijüger.  E*2 

Härbarjjr  kva]j : 
DA      50  ^^*^  Satt  hykk  mik  segja;       seinn'st  at  f9r  |jinne;  AC 

El  '-'  langt  munder  komenn,       ef  NJ>  of  fdrer.  aA 

f'örr  kvalj: 
A2k     51  ^'■^^  Härbarl)r  rage!       heldr  hefr  nü  mik  dvaljian.  AA 

Härbarl)r  kva}) : 

F  52  '^^  Asaf)örs       hug{)ak  aldre  mundo  AA 

AE  ^-^^        glepja  farhirfje  farar. 

f'örr  kvat) : 
AA       53  ^^^  Rä|)  monk  per  nü  ra|)a:       rö  {du  hingat  bäte;  AA 

D*l  ^^^  hsettom  hotinge,       hittu  fo|)or  Magna.  AC 

115)  f'ä  S,  Pö  RA.  116)  es  \)\i  kallar  ^äir  (om.  A)  heimis  sköga  RA.  haugom 
(114)  und  hauga  (116)  hessernny  von  Bngge.  117)  säsiirlosc  zeile  edd.  dömi  ek  RA. 
120)  hygg  ek  BA.  i)ik  äpa  munu  A,  at  })ü  opa  mynir  R.  121)  ef  Ijü  hlytr  RA. 
122)  h(')r]  hö  RA.  muntu  A,  mundo  R.  123)  muntu  RA.  l)at  er  RA.  skyldra  A. 
124)  mä'ler  Ijü  RA.  svä  at  RA.  skyle  J,  skyldi  RA.  125)  hygg  ek  RA.  126)  hygg 
ek  RA.  mik  R,  Jiik  A.  seinn  ertu  RA.  127)  munder  Jni  nü  komenn  (I'örr  add.  R) 
RA.  ef  liü  RA.  lilj  of  Hild.,  litum  RA.  128  enn  rage  RA.  \m  nü  RA.  dvallianR, 
dvalit  A.  129)  Äsaljörs  R,  Äsal)ör  A.  huglia  ek  R,  ek  hugjia  A.  aldregi  RA. 
130)  farhirj)e  SvhJ.  Egilsson,   fehir})i  RA.     131)  raun  ek  RA.     bätinum  RA. 


ZUR   EDDAMETRIK  13& 

Härbar])r  kvaj) : 
AC       54  ^^^  Farlni  firr  siinde!       {)er  skal  fars  synja.  AC 

PöTT  kva|) : 
BB       55  ^^^  Alz  vilta  mik  ferja  of  vag,      [pä]  visa  f)u  leil)ena  mer.  BB 

Härbarl)r  kvaj) : 

A  56  ^^^  Litt's  at  synja,       langt's  at  fara:  F 

A  ^^"  stund's  til  stoksens,       til  steinsens  9nnor,                      aA 

BA  '^^  halt  sva  til  vinstra  vegsens,      unz  Verland  hitter.    aA2l> 

A  ^^^  f)ar  mon  Fjgrgyn       hitta  pör  sun  sinn                           C* 

F  ^'^^  ok  hon  mon       h(>nom  kenna  A. 

E*l  ()ttunga  brauter       til  OJiens  landa.  aA 

förr  kva[) : 
C  57   ^^«       Mon  ^/;n-  taka       I^angat  i  dag?  El 

Härbar{)r  kva^) : 
C         58  ^■'^  Vi{3  vil  taka       ok  erfil^e,  C 

CA  '*■-  at  upvesande  solo,       es  ek  dila  pik  nä.  B- 

f'örr  kva|3: 
EC       59  ^^^  Skamtmonnümälokkat,  alzmersvararskytingo  eiune;  CE* 
AC  ^*^  launa  monk  farsynjon,     ef  vit  finnomsk  i  sinn  annat,   B*C 

Härbarljr  kvaj): 
AC       60  ^^''  Far|ni  J^ars  g^rvallan       gramer  J^ik  hafel  DC 

1.  Versbau  und  strophenbau. 

1.  Von  den  264  zeilen  unseres  denkmals  (246  halbzeilen  und 
18  Vollzeilen)  kommen  42  (=  15,9  "/o)  auf  den  typus  A.  Normalverse 
(ohne   nebenhebungen    und   verschleifungeu)  sind  die  folgenden:  sildr 

133)  firr  K,  frä  A.  134  a)  hinter  131  b  RA.  Alz  -  väg]  alz  bii  vill  mik  (nu 
add.  A)  eigi  of  väginn  ferja  KA.  134  b)  Jiä  om.  RA.  leibena  mer]  mer  nü  {om.  A) 
leifjina  RA.  135)  Litit  er  RA,  at(l)  om.  R.  langt  er  RA.  13Ö)  stund  er  RA. 
stoks  A.  9nnor  (er  add.  A)  til  steinsins  (steins  A)  RA.  137)  haltu  RA.  vegs  A. 
unz  In'i  hittir  Verland  (Yalland  A)  RA.  \^%^-^)  eine  langzeile  {zästir  nach  \>r&\\%Qv)  S^ 
139 ')  ok  mun  bön  kenna  hönum  RA.  140)  zäsurlose  zeile  edd.  förr]  ek  RA. 
i  dag  R,  :i  degi  A.  141)  zäsurlose  seile  edd.  Taka  vi})  vil  ok  (vit  add.  A)- 
erfibi  RA.  142)  zäsurlose  zeile  edd.  upverandi  R,  uprennandi  A.  fetla]  get  RA^ 
bik  nä]  bäna  R,  bau»  A.  143)  okkat  A,  okkat  vera  R.  alz  —  einne]  alz  \ni  mer 
skötingu  einni  svarar  R,  er  b^  vill  skötingu  eiuni  svara  A.  144)  monk]  mun  ek 
ber  RA.  145)  zäsurlose  zeile  (prosa)  edd.  Farjiu  nü  RA.  gQrvallan  —  hafe]  b'^^ 
hafi  allan  (allir  A)  gramir  RA.  ♦ 


I 


136  GERING 

ok  hafrn  3*",  göpa  eina^  8*%  Meila  broper  9'"^'',  her  mo7ik  sfandd  14:''"; 
ferner  16 <'^  16**>  18 ^^  18 ^''^  19"*  19"'  19 ^^  24 ^^  29'"  39«''  40«"  42'^ 
441a  473a  56  2a  Ausserdem  wären,  wenn  die  vorgenommenen  ände- 
rungen  als  annehmbar  befunden  werden,  hinzuzurechnen  :  djnponi  grüfo 
18^",  sjau  eh  hvtldak  18"'',  litt's  ot  mnja  56"',  h<}iiom  kcnna  bQ-''°.  - 
Der  untertj'pus  A2k  ist  zweimal  bezeugt:  pn'ipvcddr  (lojm  9*",  Hdr- 
hurpr  {enn)  rage  271«  (=511")  5  A21  3mal:  fimm  retr  cdla  16 1^  öjafnt 
xkipta  25"',  gött  7iafn  dgsjom  4b^^;  dazu  käme,  wenn  meine  ergänzung 
richtig  ist,  [veslingr]  ggrla  4^'^  sowie  32"'  (wo  der  überlieferte  text 
nur  leicht  geändert  wurde):  plns  Ups  pmrfe.  -  Nebenhebung  im 
2.  f u s s e  begegnet  2mal :  segpu  til  nafas p'ins  8 ^\ par  nwn  FJQrgyii  56 ^'\ 

2.  Verschleifung  der  1.  hebung  kommt  2mal  vor:  vegcf 
(irr)  par  kngttom  16^*,  fripar  at  bipja  29*";  verschleifung  der  binnen- 
senk ung  8mal:  fer{pu)  mik  of  sundet  3"',  drlegom  verkom  4"',  segjm 
tu  nafns  plns  8-''\  ofre  at  rrjpom  18^",  hvdrke  pü  {pm)  P)orp>er  26*', 
Jisa  ne  hnjösa  26^",  grjöte  {peir)  mik  hQipyo  29^",  urpo  peir  (mik) 
fyrre  29*". 

3.  U  b  e  r  1  a  d  e  n  e  s  e  n  k  u  n  g  e  n  sind  durch  Streichung  überflüssiger 
Wörter  stets  zu  beseitigen: /('/•(^m)  mik  of  sundet  3"',  vega  (ver)  par 
knpttom  16  3%  hvdrke  pü  {pä)  porper  26*%  Härbarpr  {enn)  rage  27"' 
{=  511*),  grjöte  {peir)  mik  bf>rpo  29^",  urpo  peir  {mik)  fyrre  29*". 

4.  Typus  B  ist  nur  durch  8  belege  (3,04 ^Vo)  vertreten,  die  meist 
V  e  r  s  c  h  1  e  i  f  u  n  g  e  n  (z.  t.  mehrfache)  aufweisen :  ejja  hverr  ä  skipet  7  •^'', 
ek  em  Opens  sunr  9''^",  rn  Magna  faper  9^";  en  varla  konor  39 1"; 
dazu  4  verse,  in  denen  emendationen  nötig  waren :  ok  grund  6r  dale 
18*-',  hjd  systrom  peim  18''",  /  hernom  vask  40 1*,   es  ek  dtla  p)ik  nä  58''^". 

5.  Die  zahl  der  C-verse  beträgt  13  (4,94  "/o),  darunter  4  normale: 
hvat  p)ü  heiter  9^",  ok  val  fdla  IQ'^^,  ok  gep  dttak  (emendation)  18'", 
und  mip)garpe  23*".  Der  untertypus  C2  (2.  hebung  auf  kurzer  silbe) 
kommt  4mal  vor:  nema  feigr  seak  {nema  ek  feigr  se  R)  12^'',  man 
porr  taka  (mon  ek  iaka  RA)  57"',  vip  od  taka  {taka  vip  iilJlk)  58"', 
ok  erfipe  58 1".  —  Verschleifung  der  e  i  n  g  a  n  g  s  s  e n  k  u  n  g  begegnet 
2mal:  nema  feigr  seak  12^'',  {peim)  enoni  aldrönom  44 1";  verschleifung 
der  ].  hebung  ebenfalls  2mal:  ok  fyrer  hnlga  15'^",  scdt  Fjalarr 
heyrpe  26^";  beide  auflösungen  nebeneinander  finden  sich  wie- 
derum 2mal :  ef  {oss)  at  spQkom  yrpe  18 1",  es  {pü)  u  konom  barper  38 1". 

1)  Sievers  (Upplandslagh  I,  132;  Eddalieder  s.  37)  will  auf  grund  seiner 
neuen  melodisch-rhythmischen  kriterien  vor  göpa  ein  geradezu  sinnwidriges  nema 
«inschieben  und  hinter  göpa  ein  ganz  überflüssiges  menn. 


ZUR   EDDAMETRFK  137 

Überflüssige,  das  metrum  störende  Wörter  miissten  2mal  entfernt  werden 
(181^  3811'). 

6.  Ein  D-vers  (D2)  wird  3  ^^  herzustellen  sein :  apr  heiman  förk 
(/(pr  ek  h.  für  R).  Dazu  kämen,  wenn  ich  richtig-  emendiert  habe, 
noch  die  folgenden:  hitt  {pat  R)  seger  Jm  nü  (verschleifung  der 
2.  hebung)  5i%  mdd  {gop  RA)  gttop  er  31 1",  gjnfar  launaper  pm 
(verschleifung  der  1.  hebung  und  der  Senkung  21  ^-^  (s.  den 
text),  pürr  va/rak  pu  321"  ^g_  ^^^  text),  trua  mundak  per  (verschlei- 
fung der  1.  hebung;  ek  munda  per  pm  trua  RA)  34 1\  Die  zahl 
der  belege  stiege  damit  auf  6  (2,27  *Vo). 

7.  Normale  El  sind  die  folgenden  4:  tU  ek  i  hc'dp  3-^^,  berheinn 
pü  stendr  6^-',  orp)kringe  p'm  471'',  pangat  i  dag  571'';  (jjjjr^  ^ach 
meiner  emendation:  hvar  namtu  orp  43 1"  (s.  den  text).  Verschleifung 
der  schlu  SS  hebung  findet  sich  2mal:  meis  hefkä  bake  S^'\  Alvalda 
sonar  19-*';  dazu  nach  meiner  emendation:  langt  miuider  {pü  na) 
komenn  (porr)  50-^;  auflösung  der  Senkung  und  der  schluss- 
hebung:  hins  vildu  nn  geta  151'"'  (ebenso  -  nur  pess  st.  liuis  -  41 1"); 
dazu  nach  meiner  Umstellung:  alt  peira  ok  gaman  18 ^i*  (s.  den  text).  — 
E2  sind:  sapr  emk  enn  pess  3^'\  P^eyges  sern  pü  6 1",  mankynne  par 
(pa)  3111*  und  (mit  verschleifung  der  2.  hebung)  veiztattu  fyrer 
4•^^     Summa  der  belege  14  (5,30 ''/o). 

8.  Auch  der  dreisilber  F  ist  nur  spärlich  vertreten  (13  belege  = 
4,94 'Vo).  Fl  sind:  härm  Ijötan  13 1=^  und  svä  domek  46 1";  F2:  mest 
at  vita  5-",  patke  at  {pü)  brökr  (Umstellung)  6^'"*,  plnar  hafer  (Umstel- 
lung) 6  3b,  harpanJQton  20  3»,  p^,i  j^^f^.  ^^^  22 1",  ek  vas  austr  23 1%  (=  29 1'' 
301^),  A'sapors  b2'\  langt's  at  fara  56 1^;  F  3 :  pa  gefr  pü  45i'\  of 
sUkt  far  46 1^,  ok  hon  mon(?)  56  ^^  Nur  in  F  2  kommen  verschlei- 
fungen  vor:  auf  der  Schlusshebung  5-"  G'^^'  20^-'  561'',  g^^f  ^jg,. 
Senkung  6^''\   Streichung  eines  entbehrlichen  Wortes  war  nur  6^-^  nötig. 

9.  Von  den  fünf  silbern  (mtilahättr)  ist  aA  der  häufigste  typus 
(36  belege  =  13,64  "/a).  Normalverse  (ohne  nebenhebungen  und  ver- 
schleifungen)  sind  die  folgenden  14:  es  hverjom  pnjkker  5''',  at  Hrnngne 
daupan  14^^,  i  eyjo  peire  16 2^';  231"  233b  24 1^  24 ^^  261"  26^''  291" 
393b  401"  432b  56  6b^  \)2JLV.  kommen  5,  die  der  besserung  (durch 
Streichung  entbehrlicher  Wörter,  Umstellung  usw.)  bedürftig  waren :  es 
{pü)  hcldr  vip  landet  7"-",  {p)a)  monk  forpa  fJQrve  {m'ino)  12'-*,  at 
heldak  kenne  {at  ek  heida  peire  RA)  32''^'*,  ef  {pü)  lip  of  {lipuni  RA) 
ferer  50-",  til  steinseiis  gnnor  {<jnnoi  til  steinsens  R,  Qnnor  er  til  Steins  A) 

56-".      Der   untertypus  aA21   ist  4mal  bezeugt:  es  Algrßii  heiter  16"^", 
ok  launping  hdpak  30^",  sem  jafneiidr   unno  42'-*,    unz  {pü)   Verland 


138  GERING 

hitter  {hitter  Verland  R,  h.  Valland  A)  56  ^"^ ;  aA2k  2mal :  peir  Svdrangs 
syner  29 ^^  und  20 ^^  (s.  u.).  Ver Schleifung  des  auftakts  begegnet 
5mal:  epa  hrossa  pjöfa  8^^,  ef  oss  hollar  vwre  18^'',  ef  ek  vipr  of 
kvämomlx  33^^,  es  eh  skorpat  hafpak  39 ^''j  es  ek  heyrpa  aldre  43^"; 
auflösung  der  binnensenkung  2nial:  es  kallar  of  vdgenn  2^^\  monk 
sepja  tu  naftis  m ins  9^'\  Einen  2silbigen  unver schleifbaren 
auftakt  hat  sich  der  dichter  ein  paarmal  gestattet  (4  belege):  at 
mm  moper  daup  se  b^^,  ok  päs  ggroa  kiinnak  S^^,  es  vit  Hrumjner 
deildom  15 1**,  hugpak  Hlebarp  vesa  20^^  (oder  AA?). 

10.  B*  {^x±\x±)  ist  selten  (9  belege  =  3,4 '7o).  Normal  sind 
die  2  verse:  es  mik  hcdda  hap  8^'',  Jmu  'ro  merke  mest  19^";  dazu 
2  von  mir  emendierte:  munde  manna  vd'tr  {vMr  munde  manna  RA)  23*'\ 
enne  hoito  (Imhv/tu'RA)  meg  S2'^^.  2mal  findet  sich  ver  Schleifung 
der  Senkung:  fantat{tu)  harpara  matin  14^^,  hverso  snünopo  ypr 
17 1";  3mal  ist  die  Schlusshebung  aufgelöst:  {es  pü)  munder  mrp 
<}som  lipe  25  i**,  mon  per  lila  koma  47^^,  hykk  p)/k  opa  mono  47^^.  Die 
schwer  überladene  (ösilbige)  eingangssenkung  in  25  ^^  Hess  sich  durch 
Streichung  der  ersten  beiden  Wörter  wenigstens  auf  3  silben  reduzieren ; 
ausserdem  war  nur  noch  einmal  (14  2*)  tilgung  einer  silbe  erforderlich. 

11.  Typus  C*(^x^ux)  ist  durch  12  halbzeilen  (4,54 ''/o)  ver- 
treten. Normal  sind  die  folgenden  7 ;  hverr's  sä  sveinn  sveina  1  ^% 
hverr's  sä  karl  karla  2  ^^,  ok  tu  alz  0ples  9  ^",  earpk  peim  emn  gllom 
1 8  ^^,  es  tu  hjargs  gengo  23  ^'',  päs  i  val  falla  24  ^^,  hitta  pör  sun  sinn 
56■*^  Der  untertypus  C*2  findet  sich  2mal:  p6t  ek  sehr  seak  9^^,  vask 
mep  FJglvare  16  ^'\  Verschleifung  findet  sich  nur  je  einmal  auf  der 
2.  eingangssilbe  und  auf  der  1.  hebung:  hgfpo  p&r  verst  unnet 
37^"';  en  p6t  sakar  eigak  12  i'\  Einmal  ist  nebenhebung  auf  der 
schlussilbe  bezeugt:  emka  hiib'är  S((  35  ^^ 

12.  Die  14  D*-verse  (5,3%)  gehören  sämtlich  zu  dem  typus  D*  1 
(_ixUo.x)  und  sind  meist  normal:  rekr  enn  räpsvinne  S'^'-^,  miklar  man- 
velar  20  ^'\  hri(J)er  bglvisar  23  '•^",  vask  ä  Vallande  24  ^'\  gamne  md'.r 
unpe  30  3'',  Irüper  berserkja  37  ^'■',  vilta  pjöp  alla  37  ■^'',  halr  emi  hug- 
blaup)e  49^-',  hwttom  hMinge  53  2";  dazu  kommen  2  halbzeilen,  die 
einer  kleinen  berichtigung  bedurften :  Ukk  vip  Unlivlta  {lek  ek  vip  ena 
linhvUu-lmdhvitu  R— RA)  30'-',  gladdak  gollbjarta  {ena  gollbjgrtu  R, 
ena  goWivitu  A)  30  ^\  -  Verschleifung  findet  sich  nur  2mal  auf 
der  binnensenkung:  barpak  l  Hleseyjo  37  ^^,  ögpo  nier  jarnliirke  39  ^'\ 

13.  E*  ist  auf  9  halbzeilen  (3,4  "/o)  beschränkt.  6  davon  gehören 
zu  E*l  (jL^xUx):  Rudolf r  sä  heiter  8 1",  pö  Utk  kann  falla  15^% 
Qtfunga  braiäer  56*'";    dazu    ein  yers,    in    dem    eine  silbe  zu  streichen 


ZUR  EDDAMETRIK  139 

war:  vargijnjor  vc/ro  {ßd'f)  39^"-  und  ein  vers  mit  verschleifung 
der  1.  hebung:  Icggorsveine  p'mom  13^".  Die  übrigen  3  verse  sind 
E*2  (-ixj_ij.x):  Openn  a  jarla  24^",  liijkk  at  pu  Ijüger  49  ^'^ ;  in  dem 
dritten  musste  das  am  Schlüsse  stehende  adverb  getilgt  werden:  böta 
skal  per  pat  (pd)  42  '\ 

14.  V^on  den  dreihebigen  schwellversen  ist  AA  {j.x\±x\±x) 
durch  11  belege  (4,18  °/o)  vertreten.  Korrekt  überliefert  sind  3 : /d^«^• 
p/Jc  d  morgon  3  ^'',  verpva  matr  enn  betre  3  -'',  rdp  nionh  per  nn  rdpa 
53  ^"^ ;  geringer  nachhilfe  (durch  Streichung  überflüssiger  Wörter  oder 
Silben)  bedurften  die  folgenden  4 :  stippu  hingat  eikJo{mie)  7  '^''',  heldr 
hefr  (pd)  nn  niik  dvalpan  bl^^,  hugpnk  aldre(ge)  mundo  52  ^^'j  rö  p)ü 
hingat  bdt€{nom)  53^^.  18'''  sparkar  gftom  (ver)  konor  und  18'-'^ 
horskar  (}tiom  {ver)  konor  war  nicht  nur  das  pronomen  zu  tilgen, 
sondern  auch  das  Substantiv  durch  das  synonyme  snoter  zu  ersetzen, 
weil  dieses  17^:  hverso  sndnopo  ypr  \  snoter  {konor  R)  ijjjrar  als 
zweites  reimwort  zu  substituieren  war.  4^*^  hrosar  {pd)  verpe  p/nom 
(verpenom  R)  war  die  besserung  schon  von  Bergmann  gefunden. 

Anm.  Vielleicht  gehört  hierher  auch  41 1'',  wo  ich  schreiben  möchte:  es  pn 
fort  ölip  oss  bjöpa  'dass  du  es  warst,  der  uns  verdruss  bereitete'.  AÄ.-verse  mit 
auftakt  kommen  allerdings  im  liede  sonst  nicht  vor,  auch  nicht  in  der  Ijöjjahättr- 
dichtung. 

15.  Ein  korrektes  BA  {x±\x±x\s.x)  ist  1^'':  es  stendr  fgr  sundet 
handan,  und  56^-'':  halt{u)  svd  til  vinstra  vegsens  brauchte  nur  das 
enklitische  pronomen  getilgt  zu  werden  (A  liest  vegs,  bietet  also  ein 
regelmässiges  BB).  13  ■^'':  skalk  launa  kangeni/rpe  wurde  durch  Um- 
stellung gewonnen  (s.  oben  die  fussnote  zum  texte).    3  belege  (l,14"/o). 

16.  Normale  CA  (x^Uxi-ix)  sind  42'^'':  pei7'S  okr  vilja  sdita 
{sd'tt  hafa  A  verstösst  wider  den  rhythmus;  Sievers  kombiniert  aus 
beiden  lesarten  ein  unmögliches  scHta  hafa)  und  58  -" :  at  iipvesande 
solo  (verschleifung  der  2.  hebung).  30^^:  ok  vip  einhverja  dom- 
pak  wäre  wegen  der  2silbigen  eingangssenkung  als  C"^A  zu  bezeichnen. 
8  -'' :  (es  b)jr)  i  Bdpseysarsnnde  tilgte  bereits  Finnur  Jönssen  (in  der 
Hallischen  ausgäbe)  die  ersten  beiden  worte.     4  belege  (1,51  "/o). 

17.  DA  (^Ux|-ix)  kommt  nur  einmal  vor:  satt  hi/kk  (hygg  ek 
RA)  mik  segja  50'^*. 

18.  AB  (zxUjxj.)  findet  sich  5mal  (1,98  7o)'-  ^s  ör  steine  ras 
hgfopet  ä  (aAB;  verschleifung  des  auftakt  es,  der  1.  Senkung 
und  der  2.  hebung)  15'-'',  göpar  illom  hiiga  (durch  Umstellung  ge- 
wonnen; verschleifung  der  Schlusshebung)  21^'',  kld^ke  vanta  {pd) 
porr  38  ^^,  pesse  en  hnöfelego  (durch  Umstellung  gewonnen ;  verschleifung 


140  GEUiN(; 

der  1.  Senkung  und  der  Schlusshebung)  43^'';  pas  (?/ R)  ek 
komomk  of  mnd{et)  (verschleifung  der  2.  hebung)  13^  (vollzeile  in 
einer  Ijöjiahättr-strophe). 

19.  Verhältnismässig  häufig  (16  belege  =  6,06  7o)ist  BB  {x±\x±\  xw-x). 
12  von  diesen  versen  sind  voUzeilen  in  Ijöjjahättr-strophen,  wo  dieser 
typus  besonders  beliebt  war  (Ljööah.  §  135  ff.).  Normale  BBl 
(Schlusshebung  einsilbig)  sind  darunter  die  folgenden:  hann 
gaf  {gaf  hann  RA)  mer  gambantein  20*,  en  pörr  ä  präla  kyn  24*,  ef 
(ßii)  hhjtr  of  hamre  h{>gg  41*-^  dazu:  at  vapa  of  vag{enn)  tu  p'in  (ver- 
schleifung der  1.  hebung)  13^;  ferner  (nach  vorgenommener  um- 
Istellung):  ^.s-  /'  sllko  hverr  of  sik  {of  sik  es  hverr  l  sliko  RA)  22^  (ver- 
schleifung der  eingangssenkung),  ef  »k  seilask  mcetta  {nuHta  seilnsk 
RA)  of  siind  {sundit  A)  21'^  (verschleifung  der  eingangssenkung) 
und  (mit  stärkerer  emendierung) :  es  pü  liehnes  hauga  heitr  {es  pu 
kallar  pär  heimis  sköga^W  RA)  45 ^  (2silbige  eingangssenkung),  -  Zum 
typus  BB2  (Schlusshebung  ver schleift)  gehören:  a  pcinn  enn 
heipa  keimen  19^,  es  {pd  er  RA)  ek  veltn  pÜT  frd  veroni  20^,  en  ek 
vHta  hann  nr  vite  20^,  ef  ek  rdpj  d  vdg  at  vapa  47'^  und  (mit  Um- 
stellung) es  !  heimes  haugom  bua  {es  hiia  i  heimis  skogom^W  RA)  44^. 
In    den  4  letzten    versen  ist  die  eingangssenkung    ver  schleift. 

Als  1.  oder  2.  teil  der  langzeile  begegnet  BB  nur4mal:  (BBl) 
sein  häpskör  forn  d  vdr  (schwere  Senkung-  nebenhebung?  -  nach 
der  1.  hebung)  35  ^'\  alz  vilta  mik  ferja  of  vdg  (Umstellung:  ah  pu 
v/U  mik  {nd  add.  A)  eigi  of  vd ginn  ferja  RA)  55^"  (verschleifung 
der  1.  und  2.  Senkung),  [pm]  vlsa  pu  leipena  mer  (Umstellung:  v'isa 
pü  mer  nü  {om.  A)  leipina  RA)  55 1*';  (BB2)  vas per  i  hanzka  tropet  2Q'^^. 

20.  CB(x^U|xw-x)  ist  viermal  vertreten  (1,51^/0).  Einer  von 
diesen  versen  ist  eine  vollzeile:  paus  {aller)  menn  sipan  of  se  (ver- 
schleifung  der  binnen  Senkung)  19 '^;  von  den  übrigen  3  haben 
2  die  letzte  hebung  aufgelöst  (CB  2) :  sd  enn  storupge  jtjlonn  (ver- 
schleifung der  eingangssenkung)  15^%  enn  pyrdpmopga  j(jton  19^''; 
der  dritte  ist  reguläres  CBl:  es  af  annarre  skefr  (verschleifung  der 
eingangssenkung)  22 ^*\ 

21.  Die  zahl  der  AC-verse  {±x\±^^x)  ist  17  (6,44"/„).  Normale 
ACl  (3.  hebung  auf  langer  silbe)  sind  die  folgenden  8:  hylk  of  nafi 
sjaldan  10^'',  pörr  d  ofl  oret  26^',  Sif  d  hdr  heima  4:8 ^'\  hans  mont{u) 
fund  vilja  48  ^'\  p)ann  moni{i()  prek  drijgja  48^%  sein  st  {seinn  ertu  RA) 
at  fgr  p'inne  50^'',  farpn  firr   sunde  54^^*,  P)er  skal  fars  synja  54 "\ 

1)  Dieser  lächerliche  fehler  feiert  in  der  'herstellung'  von  Sievers  seine 
fröhliche  auferstehunff. 


ZL'K    EDDAMETRIK  141 

Ver Schleifung  der  1.  hebung-  findet  sich  6^'':  priu  hii  gop  eiger; 
verschleifung  der  binnensenkung  29^'':  gagne  p6  litt  fegner,  4:9'^^: 
nuf/ler  {pi()  at  münz  räpe,  59^^:  launa  inonk  {per)  fursynjon;  ver- 
schleifung der2.  hebung  öS-^'-:  hittu  ßjjmr  Magna;  verschleifung  der 
1.  und  2.  hebung  11^'':  nema  pn  sakar  eiger.  Tilgungen  entbehr- 
licher Wörter  oder  silben  waren  48^''  48 ^'^  49^'^  50^''  59  ^'^  erforderlich. 
Eine  stärkere  änderung  dürfte  60  ^  vorzunehmen  sein,  um  der  langzeile 
den  2.  reimstab  zu  schaffen:  farpu  {nü)  pars  ggrvallan  \  gramer  pik 
hafe  {farp)u  nü  pjars  pik  hfife  allan  —  allir  A  -  gramir). 

AC2  (3.  hebung  auf  kurzer  silbe)  ist  nur  einmal  überliefert: 
pdt's  per  skgldara  48^''.  Dazu  käme  noch  13^'':  har7n  Ijötan  \  hjkk 
mer  i  pv'i  [cesa] ;  die  Überlieferung  {härm  Ijötan  mer  pijkkir  i  pcl)  ist 
ungrammatisch. 

22.  Von  den  12  BC-versen  (4,54 7o)  haben  die  7  BCl  {x±\^±^±x) 
mit  einer  ausnähme  verschleifungen.  Auflösung  der  eingangs- 
senkung  ist  2mal  bezeugt:  bapat  {kann)  hlennemenn  flytja  8^*,  nema 
ipti)  mik  l  irygp  veiter  34 ^'';  auflösung  der  1.  hebung  einmal:  es 
sakar  0  alz  0ngiar  28^'';  auflösung  der  binnensenkung  3mal:  af 
hrd'zlo  ok  hugbleype  26--',  hvat  skalta  of  sund  seilask  28^''',  svdt  mer 
skyle  verst  pykkja  49  ^'',  Der  7.  vers  ist  unregelmässig,  da  sowohl 
die  eingangssenkung  wie  die  binnensenkung  zwei  nicht  verschleifbare 
Silben  enthalten:  ef  vit  ■  finnomsk  i  sinn  annat  59'^'\  -  Ein  fata- 
le kti  seh  es  BCl  ist  die  vollzeile  13^:  at  väita  ggor  mi.nn  (ver- 
schleifung der  2.  hebung). 

Auch  die  4  BC2  (x^  i  x_!.|  .^x)  haben  durchweg  mehrsilbige 
Senkungen:  ef  of  sundet  rill  fara  (auflösung  der  eingangs- 
senkung) 8^'',  ek  hafpa  vip  myrhipor  (auflösung  der  binnen- 
senkung) 20 1'^;  ok  potteska  {pü  p)d)  porr  vesa  (2silbige  nicht 
V e r s c h  1  e  i  f b  a r  e  binnensenkung)  26  ^  (vollzeile) ;  mundak  pik  i.  hei 
drepa  (2 silbige,  nicht  verschleifbare  eingangssenkung)  27^^. 

23,  CC  (x  w-x  I  _L  I  jL  x)  kommt  nur  einmal  vor:  ok  hepan  pin  {p>in 
hepan  R)  ö/pa  (verschleifung  der  1.  hebung)  14"'. 

24,  Ein  DC2  (^^  u  |  ^  x)  wäre,  wenn  meine  herstellung  richtig  ist, 
60"':  gramer  pik  hafe  (auflösung  der  1.  hebung), 

25,  EC  ist  4mal  belegt  (1,51"/,),  Auf  EIC  (- xU|^x)  und  E2C 
(xxjlU|_!lx)  kommen  je  2  halbzeilen:  hvat  skalt{n)  of  nafn  hylja  \l^^, 
mikel  munde  dit  Jgtna  (auflösung  der  1,  hebung)  23"''';  dopr'o  pln 
heimhjnne  4 2'',  skamt  mon  nü  mdl  okkat  59'". 

126.  Die  beiden  typen  von  AE  (^  x  u  jl  x  |  o^x  AEl,  ^  x  u  x  j.  |  v/x  AE2) 
sind  nur  je  einmal  vertreten:  glejyja  farhirpe  farar  52'^  (vollzeile  mit 


142  OEUINO 

auflösung-    der   letzten    hebung);   veita  mundak  per  pat  (so  von 
mir  hergestellt ;  ek  munda  per  pä  pat  -  pat  pä  A  -  veita  RA). 

27.  BE  (x  JL I  xjLxjL  I  j^)  ist  nur  durch  eine  vollzeile  bezeugt:  ef  {pi'i) 
ä'tter  vilfje   mikeh   vald  (versohl ei fung   der   nebenhebung)  25^. 

28.  CE  findet  sich  3nial  (1,14'Vfl).  Ein  CE*1  (xzi^^x,^x)  ist 
6-'':  ok  he  fr  brautinga  rjorce,  ein  CE*2  (x  j.  |  zxjl  |  j.x)  G'*'':  vip  pöv 
kndttic  her  döma,  ein  C*E*1  (j-x^x  Ujlx  |  j.x)  59  ^'':  alz  (pii)  mer  srarar 
skötingo  einne  (so  von  mir  hergestellt;  alz  pu  mer  sköthuju  einni  sva- 
rar  R,  er  J)ü  vill  skötingu  einni  svara  A). 

29.  DE*2  (^Uxi|jLx)  und  ElEl  {jl^x\±^><\±)  begegnen  nur  je 
«inmal:  Jjess  {hifis  R)  viljak  (vilekU)  na  spyrja  9^-';  daup  hjkk  {hijgg 
ek  R)  at  Jnn  möper  se  4^^. 

.  29  a.  Enjambement  ist  selten:  'feste'  bindung  findet  sich  3^'' 
231. -2  26*- 5;  'lose'  G^-'^  16  ^'^  l'd^-^. 

30.  Die  Härbarj3sljö{),  eine  einzigartige  dichtung  -  ein  keim,  aus 
dem  unter  günstigeren  Verhältnissen  ein  altnordisches  drama  sich  hätte 
entwickeln  können  -  mussten  für  die  bewegteren  partien  des  dialogs, 
in  denen  frage  und  antwort,  invective  und  abwehr,  höhn  und  drohung 
schlag  auf  schlag  blitzartig  aufeinander  folgen,  auf  die  Verwendung 
regelmässiger  Strophen  verzichten.  Aber  auch  diese  stellen  sich  ein, 
wenn  die  beiden  gegner  in  ihrem  mannjafaapr  ausführlicher  ihrer 
kämpfe  und  abenteuer  sich  rühmen ;  nur  sind  sie  nach  form  und  um- 
fang recht  verschieden.  Die  zahl  der  zeilen  steigt  von  2  bis  zu  7 
und  neben  Strophen,  die  fornyr|)islag  (F),  mälahättr  (M)  und  schwell- 
verse  (S)  mischen  oder  nur  eins  oder  zwei  dieser  metra  verwenden, 
stehen  andere  in  ausgesprochenem  ljö|3ahättr  (L)  oder  galdralag  (G), 
in  denen  also  langzeilen  (1)  mit  vollzeilen  (v)  wechseln.  Die  nach- 
stehende Übersicht  gibt  ein  bild  von  der  Zusammensetzung  des  denkmals. 

I.  Einzelzeilen:  (F)  31.  46.  57.     (M)  2.     (S)  11.  28.  41.  54. 
55.  60.     (FM)   17.     (FS)  21.  34.  51.     (MS)  1.  10.  33.  35.  38. 
IL  Strophen. 

a)  zweizeilige:  (M)  37.  (S)  48.  59.  (FM)  5.  12.  32.  39.  40.  42. 
<FS)  58.     (MS)  49.  50.  53.     (FMS)  7.  14.  43.     (L)  22.  25.  27.  52. 

b)  dreizeilige:  (FM)  39.     (FS)  4.6.     (FMS)  15.30. 

c)  vierzeilige:  (FM)  16.  (FSj  3.  (FMS)  23.  29.  (L)  44  +  45. 
47.     (G)  24  (31  +  Iv). 

d)  fünfzeilige:  (FMS)  8.  9.  (G)  13  (1  +  2v  +  1  +  v).  19  (2  1  + 
V  +  1  +  V).    20  (1  +  V  +  1  +  2v).    26  (21  +  v  +  2 1). 

e)  sechszeilige:  (FMS)  56. 

f)  sieben  zeilige:  (FMS)  18. 


ZUR    EUDAMETKIIC  113 

2.  Alliteration  und  reim. 

31.  Doppelalliteration  in  der  1.  lialbzeile  findet  sich  in  A 
5mal:  19 -^  24 ^^  32^'''  39 ^'^  56 ^^1  in  E  einmal:  peyges  sem  pü  6^^  (doch 
ist  es, möglich,  dass  6--'  berbeinn  pü  stendr  auch  die  nebenhebung  mit 
reimen  sollte);  in  F  einmal:  ek  vas  austr  23 ^"^  (=29^''  30^'");  in  aA 
2mal:  12 ^^  32 2";  in  B*  einmal:  pauro  merke  mest  19*^;  in  C*4mal: 
hverr's  sä  sveinn  sveina  1^^,  Jn^err's  sei  karl  karla  2^^  (in  beiden  fällen 
annomination) ;  9^-'  18^".  In  D*  (nurD*l  ist  bezeugt)  ist  die  doppel- 
alliteration  in  der  ersten  halbzeile  ohne  ausnähme  durchgeführt:  8^=' 
20  la  23'-^^  241^  30  2^^  30  3^  37 1''  39  ^^  49^=1  532«;  in  E*  kommt  sie 
4mal  vor:  S^^^  lOi'*  2^^^  39l^  Von  den  schwellversen  hat  AA 
einmal  doppelreim:  räp  monk  per  ml  räpa  (annomination)  53 ^•■';  ebenso 
einer  von  den  3  BA-versen :  halt  svd  til  vinstra  vegsens  56  ^^  und  der 
einzige  DA-vers:  satt  hykk  mik  segja  50^*.  AC  hat  in  den  a-versen 
mit  einer  ausnähme  (59 ^a)  immer  zweifachen  Stabreim:  1.  und  2.  hebung 
reimen  48  ^^  pann  mont  prek  dri'/gja^  49^*^  iniHer  at  münz  räp>e,  54^'' 
farp)u  firr  sunde;  2.  und  3.  hebung  26^"  pörr  ä  aß  öret  und  48^'' 
Sif  d  hör  heima :  dass  in  diesen  beiden  versen  das  an  dej*  spitze 
stehende  nomen  gegen  die  regel  am  Stabreime  nicht  teilnimmt,  darf 
nicht  als  fehler  bezeichnet  werden,  da  auf  dem  zweiten  (aß,  hör)  ein 
besonders  starker  nachdruck  ruht,  s.  Sievers,  Altgerm,  metrik  (1905) 
§  21,  3b.  Von  den  2  BC-versen  mit  doppelalliteration  hat  der  eine 
Stabreim  auf  der  1.  und  2.  hebung  (af  hrcezlo  ok  hugblei/pe  26-^),  der 
andere  auf  der  2.  und  3.  (hrat  skaltu  of  sund  seilask  28  ^•■').  Endlich 
kommt  auch  in  EC  ein  vers  mit  Stabreim  auf  2.  und  3.  hebung  vor 
(mikel  munde  <Ht  jcjtna  23^=^):  hier  ist  es  fehlerhaft,  dass  das  am  an- 
fang  stehende  adjektiv  von  der  alliteration  ausgeschlossen  wurde, 

32.  Die  vollzeile  der  Ijoljahättr-strophen  hat  der  regel  entsprechend 
fast  immer  2  reimstäbe.  Die  1.  und  2.  hebung  alliterieren:  (BB)  at 
vapa  of  vag  til  p'm  13 2,  hann  gaf  mer  gambantein  20*,  en  pörr  d 
prcela  kg7i  24*,  es  i  heimes  haugom  bun  44-;  (BC)  ok  pötteska  pörr 
vesa  26^;  die  1.  und  3.:  (BB)  es  ek  velta  pcer  frd  verom  20-,  en  ek 
velta  hann  ör  vite  20^,  es  i  sUko  hverr  of  sik  22*,  ef  ek  seilask  md'tta 
of  sund  27  2;  die  2.  und  3.:  (BB)  ä  pann  enn  heipa  hinten  19^,  ef  ek 
rcep  d  vag  at  vapa  47  2,  (CB)  paus  menn  sipan  of  se  19  ^.  —  3  stäbe 
finden  sich  47*:  ef  hlgtr  af  hamre  hggg  (BB)  und,  wenn  meine  her- 
stellung  das  richtige  getroffen  hat,  45  2;  es  pü  heimes  hauga  heitr  (BB). 

Anm.  Der  katalektische  BC-vers  at  vceta  ggor  minn  13'  reimt  entweder  v: 
Tokal  (vgl.  unten   §  33  und  35  anm.)   oder  ist   an  die  voraufgehende   vollzeile,   i» 

ZEITSCHRIFT  F.  DEUTSCHE   PHII.OLOGIE.    BD.  L.  11 


144  GRRIN(; 

der  2  mit  r  anlautende  Wörter  träger  der  alliteration  sind,  angereimt.  Eine  solche- 
anreimuiig  findet  sich  auch  in  dem  AB-verse  13*  pds  ek  komotnk  nf  sund,  dem  eine 
langzeile  mit  2  ^•-stäben  vorausgeht. 

33.  Mehrmals  ist  in  der  1,  halbzeile  die  alliteration  auf  die 
2.  hebung  beschränkt.  In  A-versen  findet  sich  dies  5mal:  pcer  ör 
sande  \  {s'ima  wido)  18^  (wo  übrigens  durch  Umstellung-  leicht  ein  B 
her7Aistellen  W'kxt  {ör  sande  Jjdr),  ek  drap  Jyjaz((  \  (eint  pri\pmüp.ja  ji^tony 
19',  ^/6-  mik  söfto  |  (/^iV  Svdra7i(/s  syner)  29''^  (vgl.  §35),  nnmk  r/t 
ytom  {mgnnom  R)  |  {enom  aldrmom)  44^;  auffallend  ist  der  vers  4^ 
(hiegom  verkam  \  (hrösar  vivpe  J^hiom),  da  das  am  anfange  stehende 
adjektiv  an  der  alliteration  teilnehmen  sollte,  vgl.  jedoch  §  35  anm.  - 
In  einem  F-verse  reimt  nur  die  2.  hebung  22':  ßat  he  fr  eik  \  (es  af 
nnnarre  rkefr). 

34.  Gekreuzte  alliteration  ist  2mal  überliefert:  mm  hefk  a 
hake  \  vertrat  matr  cnn  betre  3  ^,  dt  ek  i  hv'dp  \  äßr  heiman  förk  3  ^ 
Wenn  die  Umstellungen  18"^  {ok  grund  ör  dale  \  djupom  gröfo)  und  18^ 
{ok  gej»  (Hiak  \  alt  pelra  ok  gaman)  mit  recht  vorgenommen  sind,  würden 
auch  2  fälle  mit  chi astischem  Stabreim  zu  verzeichnen  sein. 

35.  Verstösse  gegen  die  alliterationstechnik  sind  selten.  2mal 
ruht  der  Stabreim  auf  konjunktionen:  |  äpr  3^'^;  nema  11"'  (vgl.  da- 
gegen 12^''),  9"'  und  29^''  stehen  zwei  gleiche  reimstäbe  in  der 
2.  vershälfte  {p')t  ek  sekr  senk;  peir  Svdrangs  syner).  23 '"  hätte  das  au 
der  spitze  des  verses  stehende  adjektiv  an  der  alliteration  teilnehmen: 
sollen  (§  31  am  ende);  dass  menn  19^  von  ihr  ausgeschlossen  ist, 
erklärt  sich  aus  der  abgeschwächten  bedeutung  des  Wortes.  Über  26  "^ 
und  48'"  s.  oben  §  31. 

Anm.  r  mit  vokal  zu  reimen  hat  der  dichter,  wie  es  scheint,  für  zulässig 
gehalten  {vd^ta :  p,r/o>-  13  ^,  vil :  erfipe  ,Ö8  ',  drlegom  :  verkom  :  verße  4  ').  Vgl.  §  32. 
anm. ;  33. 

ir.  Sigrdrifomöl. 

1.  In  den  2'/2  fornyrjjislag-strophen  der  Sd  (20  halbzeilen)  ist 
typus  A  9mal  vertreten  (45  "/o). 

A2k  kommt  nur  einmal  vor:  brynpings  apaldr  5"',  wo  auch  der 
2.  fuss  eine  nebenhebung  hat. 

2.  Verschleifungen  fehlen.  Überladung  der  1.  Senkung 
ist  2mal  bezeugt ;  sie  ist  in  dem  einen  verse  leicht  zu  beseitigen :  fidlr 
es  {kann)  IjöPa  5^",  nicht  aber  in  dem  andern  :  annarr  JiH  Agnarr  4a'\ 

3.  Der  einzige  B-vers:  hrerr  felde  af  mer  l^'^  hat  ver Schleifung: 
auf  der  binnensenkung. 


ZUR   EDDAMETRIK  145 

4.  Unter  den  6  C-versen  (30 "/o)  findet  sich  ein  C2  :  ok  Uknstafa 
5 3''.  Ver Schleifung  der  1.  hebung  ist  2mal  bezeugt:  ok  megen- 
tlre  5  2'^,  ok  gamannma  5^'^. 

5.  Von  den  2  D-versen  (10"/o)  ist  der  eine  normales  Dl:  hrafns 
hrcelunder  1  *'',  der  andere  hat  in  der  2.  hebung  eine  kürze:  hjorr 
Sigur]?ar  1  ^^. 

6.  Die  beiden  E-verse  sind  normale  El  :  Sigmundar  burr  l^», 
fjjör  förek  per  5  ^^. 

7.  Von  den  t3'pen-kombinationeu  der  langzeile  sind  nur 
die  folgenden  belegt:  A  ^  C  (3),  E  +  A  (2),  A  +  A  (1),  B  +  A  (1),  C  +  A(l), 
C  +  C  (1),  D  +  D  (1). 

8.  Enjambement  kommt  3mal  vor  ('feste'  bindung  1 '^- *,  'lose' 

51.2  53.4)^ 

9.  Doppelalliteration  in  der  1.  halbzeile  findet  sich  in  A 
2mal  (4a  ^"  5*^),  in  C  einmal  (P^)  und  in  D  einmal  (1  *-')•  Auf  die 
2.  hebung  beschränkt  ist  der  Stabreim  in  dem  A-verse  5^''. 


Die  '12zeilige;  aus  mälahättr  und  fornyrf^islag  gemischte  fjula' 
erfordert  eine  gesonderte  betrachtung. 

10.  Die  A-verse,  11  an  zahl,  haben  sämtlich  auftakt,  sind  also 
'mälahättr' :  (^    Sleipnes    tgiinom    15^*,    ä    bjarnar    hrammv    16  ^'^   usw. 

11.  Verschleifungen  finden  sich  öfter,  2mal  auf  dem  auf- 
takt {ok  d  ÄUvinz  höfe  15^^,  ok  d  gumtia  lieilloyn  17^'');  Imal  auf 
der  1.  hebung  und  der  binnensenkung  (d  giere  ok  d  golle  11^"^)) 
Imal  auf  der  binnensenkung  {l  v'nie  ok  l  virtre  17--';  das  e  in 
vme  muss  vor  dem  nachfolgenden  vocale  elidiert  werden). 

12.  Einmal  findet  sich  nebenhebung  im  1.  fusse  (A21):  ok 
d  Älsvinz  höfe  15 ■-'^',  einmal  auch  im  2.  fusse:  d  eijra  Ärvakrs  15 -^^ 

13.  Die  4  B-verse  sind  alle  viersilbler,  denn  auch  15^":  d 
pol  hvele  es  snijsk  ist  das  demonstr.  sicher  zu  tilgen,  und  15^'':  und 
reiß  Hrungnes  bona  {bana  ist  die  treffliche  ergänzung  von  Finnur 
Jönsson)  muss  das  wider  das  alliterationsgesetz  verstossende  reiß  un- 
bedingt gestrichen  werden.  -  2mal  ist  die  eingangssenkung  auf- 
gelöst (ok  d  arnar  nefe  16  2'',  ok  d  liknar  spore  16^'')  und  in  diesen 
beiden  versen,  sowie  15^''  (wenn  bana  richtig  ergänzt  ist)  auch  die 
Schlusshebung,  was  sonst  streng  verpönt  ist. 

14.  Auch  die  7  C-verse  sind  fornyrjnslag.  6raal  sind  eingangs- 
senkung und  1.  hebung  verschleift:  ok  d  shßa  fJQtrom  15^^,  ok  d 

11* 


14:6  GERING 

Braga  tungo  16'^  usw.  (16  ^''^  17^^  17  ^'^  17*'^).  Einmal  ruht  die 
2.  hebung  auf  kurzer  silbe:  d  ulfs  kloom  16 ^'^  (einziger  vers  ohne 
verschleifung). 

15.  Der  vers  15^'':  peims  stendr  ftjr  skhiande  gope  bleibt  auch, 
wenn  man  die  ersten  beiden  Wörter  streicht,  höchst  auffallend  (ein 
E-vers  mit  auftakt  und  aufgelöster  schlusshebung?). 

16.  Doppelalliteration  im  1.  halbverse  kommt  nur  in  A 
vor  (5  fälle):  15 2"  16*'^  17^*'  17*";  beschränkung  des  Stabreims  auf 
den  2.  fuss  niemals. 

III.  Atlakvil»a. 

(341  halbzeilen.) 
Da   das   lied   als   eine   kompilation   aus  mehreren  gedichten,  die 
in   verschiedenen   versmassen   abgefasst  waren,  anzusehen  ist,  müssen 
das    fornyr{)islag    einerseits,    mälahättr   und    schwellvers   andererseits, 
gesondert  behandelt  werden. 

I.  Fornyr{)i8lag. 
A.  Versbau. 

1.  Von  den  116  halbzeilen,  die  dem  'alten  metrum'  angehören, 
fallen  69  (59,6%)  auf  den  typus  A. 

Nebenhebung  im  1.  fusse  vor  nachfolgender  länge  (A21) 
findet  sich  4mal:  ögl'ikt  hjarta  24^"  26^''',  heiptmöpr  hgrpo  34*%  väpn- 
sgngr  virpa  35*%  forn  timbr  fello  45 3»;  vor  nachfolgender  kürze 
(A2k)  ebenfalls  4mal:  menv(j)p  bitols  33^^,  glreifr  {glreifa  R)  tvaa  40^'', 
banorp  höret  46*'%  fjargkns  ruko  A5^^. 

2.  Verschleifung  der  1.  hebung  ist  auf  2  fälle  beschränkt: 
figndom  s'mom  20^'',  sona  he  fr  p'inna  39  ^^  Weit  häufiger  (18  belege) 
ist  auflösung  der  binnen  Senkung:  kallope  {pä)  Knefropr  2^",  hr'is 
pat  et  imera  5*-',  hver  (fehlt  R)  ero  peira  7^%  kvadde  pä  Gtmnarr  9^% 
sMer  (pt'i)  'i  SQplom  17  ^''*,  sk^ro  peir  hjartn  23^-'',  Hjalla  6r  brjoste  23^^, 
(ok)  b^ro  ipnt)  fijr  Gunnarr  23*''  25*%  Hjalla  ens  blaupa  242"  26  3% 
Hggna  ens  fröhia  24^^  26 2'',  ey  vgromk  (vas  mer  R)  tj/Ja  28^'^,  Alle 
enn  rike  31^",  dynr  vas  i  garpe  35^%  drQslom  of  prunget  35^^,  sera 
pü  (das  pu  ist  entbehrlich)  s'ipan  40^'',  bröpra  at  hefna  46 2'';  dazu 
ferner  die  beiden  verse:  pä  kvap  pat  Gunnarr  24^"^,  mwrr  kvap  pat 
Gunnarr  26^%  in  denen  die  beiden  zusammenstossenden  /  gewiss 
nur  einmal  artikuliert  wurden:  s.  Ark.  40,  13  (§5a).  185  (§  4b).  Beide 
verschleifungen  neben  einander  finden  sich  nur  einmal:  Ufera  ml 
Hggne  28  2^,  wo  jedoch  das  adv.  zu  streichen  sein  wird. 


ZUR   EDDAMETRIK  147 

Anm.  20  2  eii  enoni  dtta  \  hratt  (kann)  l  eld  heitan  ist  en  ohne  zweifei  zu 
streichen  und  die  zäsur  hinter  hratt  zu  legen,  wodurch  2  normale  viersilbler  (B  +  C) 
gewonnen  werden.  Dass  die  konj.  en  die  1.  hebung  tragen  sollte,  ist  überdies 
höchst  unwahrscheinlich.     Die  ganze  Strophe  war  ursprünglich  gewiss  fornyri)islag. 

3.  Überladung  der  binnen  Senkung  ist  ein  paarmal  über- 
liefert, sie  lässt  sich  jedoch  durch  tilgung  entbehrlicher  Wörter  überall 
beseitigen:  knllape  {pä)  Kuffrepr  2^'\  ukter  {pi'i)  '(  sgplom  11  ^'\  svd 
.sk((lt{u)  Atle  27 1",  kallara  (pii)  s'ipan  40 1\ 

4.  Typus  B  ist  auf  3  halbzeilen  (2,6 °/o)  beschränkt,  von  denen 
2  eine  2silbige  verschleif  bare  eingangssenkung  haben:  es 
((  bjopö  liygr  24^''  {=  26*''),  es  und  einom  mer  28^".  In  dem  3.  verse: 
es  hon  wca  gret  41  ^'^  ist  das  pron.  vollkommen  entbehrlich. 

Anm.  Über  den  vers  20 '^a^  der  vermutlich  ebenfalls  hier  einzuordnen  ist, 
s.  oben  §  2  anm. 

5.  Die  zahl  der  C-verse  beträgt  24  (20,6  %).  Von  ihnen  haben  5 
die  nebenheb ung  auf  kurzer  silbe  (C2) :  skoret  haldrißa  22 '^'°, 
es  mjgk  bifask  24*=',  es  Utt  hifask  26*%  es  ek  einn  lifek  28^^,  ok  meirr 
papan  33^='. 

6.  Verschleifung  der  eingangssenkung  ist  4mal  bezeugt: 
skoret  baldripa  22'^'',  mepan  (vit)  tveir  lifpom  28 ^'\  es  ek  einn  lifek 
(das  ek  ist  entbehrlich)  28*'',  nema  ein  Gvprün  41  ^'\  Häufiger  ist  die 
auflösung  der  1.  hebung  (9  belege):  ok  sUpe  Vanpa?-  b^^,  d  Gnita- 
heipe  6^'\  ne  ngungr  annorr  9^'',  sem  konungr  skylde  9^'',  vip  fira 
halda  34^'',  Ul  knea  plnna  40^'',  !  sete  mipjo  40 ^'',  ne  mara  keyra  40  ^'', 
ok  bure  sväsa  41*''. 

7.  Überladung  der  eingangssenkung  kommt  nicht  vor, 
denn  28^''  mepan  vit  tveir  lifpom  ist  das  pers.  pron,  entbehrlich  und 
in  den  beiden  versen :  blöpogt  ok  d  bJ6p  Iggpo  23  *'',  blopogt  pat  d  bjöp 
Iggpo  25*''  ist  das  wort  blöpogt  ohne  zweifei  beide  male  interpoliert, 
da  die  überlieferten  worte  in  kein  Schema  sich  fügen.  -  Über  20^'' 
s.  oben  §  2  anm. 

Anm.  38 1  hält  Sijmons  die  worte :  Skcemße  ßci  en  ski'rleita,  von  denen  er 
ßä  streicht,  für  die  erste  hälfte  eines  verstümmelten  langverses;  ich  möchte  dagegen 
einen   vollständigen    fornyrl)islag-vers   E  +  C    annehmen :    sk(evape  pd  \  en  skirleita. 

8.  Typus  D  ist  auf  8  halbverse  (6,9%)  beschränkt.  Ein  nor- 
males Dl  ist  28-'':  hodd  Nifliinga ;  dazu  käme  41*":  bröpr  (pina) 
berharpa,  wo  das  pron.  zu  streichen  sein  wird,  da  auch  die  2.  halb- 
zeile  {ok  bure  svdsa)  %m  fornyr|)islag-vers  ist,  und  17*'*:  ndr  navpfgha 
(die  ganze  langzeile  ist  jedoch  sinnlos  und  nur  durch  konjektur  zu 
heilen  ;  ich  schrieb :  nars  norner  leter  \  naupfglva  grata).  -  D2  ist  durch 


143  GERING 

2  verse  vertreten:  frökn  hrinydrife  34*''",  /a  eyrskaan  35 2",  -  Für  den 
untertypus  Dlnk  ist  ein  beleg  zu  buchen:  pjoßkominga  ^Q^^\ 

Anin.  üb  die  5  verse  mit  verschleifter  1.  hebung:  boga  bekksoma 
(Dl)  7-t"-,  slef/enn  sessmeipom  (Dl)  14- ^b^  syne  pjöpkomings  (D2)  22  31j,  slegenn  r6g- 
pornom  (Dl)  312»,  gimtar  gransij)er  (Dl)  373a  hier  einzuordnen  sind,  ist  zweifel- 
haft:   sie  gehören  eher  zum  typus  D*  (s.  unten  §  24). 

9.  Auch  die  E-verse  sind  nur  sehr  spärlich  bezeugt  (5  belege  = 
4,3*^/0).  Auf  El  fallen  davon  4:  dolgr^gne  drö  33 2"',  lifanda  graut 
(Verkürzung  der  1.  hebung)  34^",  lands  s'ins  d  vit  35 ^'\  solheißan 
dag  (die  überlieferte  halbzeile  sölheißa  daga  ist  unmöglich)  17^''.  Ein 
Elnk  ist  38^'":  akd'vape  pä  (s.  oben  §  7  anra.). 

10.  Von  den  ebenfalls  seltenen  drei  silblern  (7  belege  =  6,0  7») 
gehören  3  zu  dem  untertypus  Fl :  geirniflungr  2Q^^\  golz  mißlendr  4S)*''^ 
(in  diesen  beiden  versen  hat  die  3.  silbe  einen  nebenictüs),  manar 
meita  40^"  (verschleifung  der  1.  hebung).  F2  und  F3  sind  durch 
je  2  beispiele  bezeugt:  lagpe  i  garß  34^'',  Atla  1  g0gn  (vgl.  jedoch  §  39) 
36^''  (in  beiden  versen  ist  die  Senkung  verschleift);  til  daups 
skokr  33 ^'^j  ßanns  i-kripenn  ras  (auflösung  der  1.  hebung)  34'^". 
Hierher  gehört  wohl  auch  noch  20  ^* :  svd  skal  frßkn  \  (ß^ndom  verjask 
(s.  §  33  anm.). 

Anm.     Der   halbvers  35'  Atle   let  ist   ohne  zweifei  verderbt  (s.  unten  §  14). 

11.  Verstösse  gegen  die  natürliche  betonung  kommen 
kaum  vor.  Dass  34-'"*  panns  skripenn  vas  das  hilfsverbum  eine  hebung 
trägt,  ist  nicht  besonders  störend,  da  der  zweite  ictus  weniger  nach- 
druck  besitzt  als  der  unmittelbar  voraufgehende  erste.  Vgl.  auch 
unten  §  14. 

B.  Alliteration  und  reim. 

12.  Doppelalliteration  in  der  1.  halbzeile  ist  nur  für  B 
und  C  nicht  bezeugt.    In  A  findet  sie  sich  2^"^  17 ^^  21=*^  24'^^'  (=26  2") 

251a    343a    344a    354a    402a    40  3a    453a    4(^  2a    40  4«.     [^     £)     174a    352a   414a. 

in  E  nur  einmal  (32 2^);  in  F  ebenfalls  nur  einmal  (40^^^).  -  Gekreuzte 
alliteration  kommt  2mal  vor:  sjau  hjö  Hggne  \  sverpe  hagsso  20  "^  (die 
zwei  anlautenden  h  in  der  1.  halbzeile  sind  störend,  daher  wird  hJ6 
durch  vä  zu  ersetzen  sein),  tiema  ein  Gupri'm  \  es  (hon)  d-va  gret-il^'^ 
chiastische  einmal:  es  litt  bifask  \  es  a  bjöpe  liggr  26 *\ 

Anm.  Ein  zweiter  fall  von  chias  tisch  er  alliteration  lässt  sich  vielleicht 
6*  herstellen:  hrls  Jjat  et  mcera  \  es  Myrkvipr  heiter;  die  überlieferte  2.  halbzeile 
{es  mepr  Myrkvip  kalla)  ist  kaum  möglich. 


ZUR   KDDAMETRIK  149 

13.  Nicht  selten  ist  in  A  der  Stabreim  in  der  1.  halbzeile  auf 
<die  2.  hebung  beschränkt:  17 ^'^  23  3"  24 ^^  24 3^'  (=20^^)  21^^  28 ^^^ 
284a  31  ui  46  3a^  Einmal  findet  sich  derselbe  fall  auch  in  C:  es  mjgk 
bifask  I  es  ä  hjöpe  Hgyr  24^.  -  Gegen  die  regel  ist  zweimal  auch  der 
hauptstab  in  A  auf  die  2.  hebung  gelegt:  hodd  Niflumja  \  lifera 
{nü)  Hgyne  28-'',  gluwpo  strenger  \  svä  skal  Tjolle  34^''. 

14.  Von  sonstigen  Verstössen  gegen  die  all  Iteration  s- 
technik  ist  nur  noch  zu  notieren,  dass  2mal  das  1.  nomen  der 
1.  halbzeile  am  Stabreime  nicht  teilnimmt:  wem*  kvap  pat  Gunnarr  \ 
geirnifluugr  26  ^'\  ÄÜe  enn  r'/ke  \  reip  glauine  nv/norn  31'  (die  ganze 
jzeile  ist  vermutlich  verderbt;  vgl.  unten  §  32).  Fehlerhaft  überliefert 
ist  offenbar  auch  35 ' :  Alle  let  \  lands  suis  d  vit,  da  der  am  eingange 
stehende  eigenname  die  alliteration  tragen  müsste  (durch  die  einfügung 
von  rinna  hinter  let  wird  nichts  gebessert);  ob  meine  konjektur  (Ut 
J>d  Ä(le)  das  richtige  getroffen  hat,  erscheint  freilich  auch  zweifelhaft. 
Über  20--'',  wo  nach  der  Verstellung  bei^Sijmons  die  konjunktion  en 
trägeriu  der  hebung  und  des  Stabreims  wäre,  s.  oben  §  2  anm. 

II.  Mälahüttr  und  Schwellverse. 
A.  Versbau. 

15.  Von  den  172  malahättr-versen  gehören  35  (20,3  %)  zu  typus 
aA  (A  mit  auftakt),  darunter  17  normale  (ohne  verschleifung  ,  und 
nebenhebung) :  ok  skafna  aska  4^'\  ok  Hüna  menge  4-'',  af  möpe  störom 
9*'*,    mep  gumna    JiQndom  10^'',    ef  Gunnars   misser  11-'',    ef  Giinnar 

ine)  k0mrat  11*'',  of  fJQÜ  at  pgrja  13 1'',  en  Atla  sjcdfan  \1  ^'•\  ok 
biindo  fastla  19^'',  /  liende  Uggja  22^'',  ok  dr  of  nefndn  32  ^'',  mep 
gyldom  kalke  36  ^^,  '/  pinne  hgllo  36  3'',  hon  bepjom  brodde  44  ^-'^  gaf 
blop  üt  drekka  44^'',  ok  hvelpa  leyste  44^'^,  es  inne  vgro  45^''. 

Anm.  20  *  ist  verstümmelt  überliefert :  [sem']  Hgyne  varpe  .  .  .  (sem  ergänzte 
Bugge).  Ich  vermute,  dass  die  langzeile  ursprünglich  gelautet  habe:  sem  hendr 
sinar  \  Hpgiie  varpe  (C  +  A).     Die  ganze  Strophe  bestand  wohl  aus  fürnyrl)islag. 

16.  Nebenhebung  im  1,  fusse  vor  nachfolgender  länge 
(aA21)  findet  sich  3mal :  en  dyljendr  pQgpo  2  ^'',  es  Myrkvipr  heiter 
(konjektur;  es  mepr  Myrkvip  kalla  R,  was  schon  wegen  der  2  m  un- 
möglich ist)  5*'\  ok  at  Sigfys  berge  32 3^;  vor  nachfolgender  kürze 
(aA2k)  ö'iumal :  i  ormgarp  koma  (die  in  der  hs.  vorausgehenden  worte : 
IHer  pH  sind  aus  z.  4  ungeschickt  von  einem  Schreiber  herübergenommen) 
17 '\    Im  2.  fusse  ist  nebenhebung  einmal  bezeugt :  sore  goUe  Giipnhi 

<s.  unten  §  17)  42'". 


150  GERING 

17.  Verschleifung  im  auftakt  ist  8mal  bezeugt:  ok  at  Gun- 
nars  hgllo  1^'',  ok  at  bjore  sv<}^om  1^'',  ok  af  gyldom  stofnom  5^'',  at 
{J)ü)  i  bri/njo  förer  17^'',  ok  l  fJ(A'>'(t  {fj<jfor  R)  i^etto  19  ^'\  ok  at  Sigiijs 
berge  32^"',  ok  at  hringe  Ullar  32^'',  i^0re  golle  Ouprün  {gölte  sore  G. 
R,  was  ein  recht  unwahrscheinliches  AC  wäre)  42^"  (§  16);  ver- 
schleifung der  1.  hebung  einmal:  vij)  hunang  of  tuggen  39 2'';  ver- 
schleifung der  binnensenkung  2mal:  en  hrijnjor  6r  golle  7*'',  svä 
gange  ph-  Aile  32'-'. 

18.  Überladener  auftakt  Hesse  sich  einmal  (17"')  durch 
tilgung  eines  entbehrlichen  pron.  beseitigen :  at  {pn)  i  hnjnjo  förer; 
aber  32  ^''  sem  (pä)  v/p  Gunnar  aiter  lässt  sich  durch  Streichung  de» 
pron.  der  3silbige  auftakt  nur  auf  einen  2silbigen  reduzieren.  Auch 
45^'':  es  frä  morpe  peira  Gunnars  kann  der  2silbige  auftakt  nicht 
angetastet  werden,  dagegen  ist  peira  eine  offenbare,  schon  von  Finnur 
Jonsson  mit  recht  gestrichene  interpolation :  dass  auch  Gunnars  ge- 
fährten  ermordet  wurden,  wird  sonst  nicht  berichtet.  Über  17*"'  s. 
oben  §  16.  11^''  ef  Gunarr  nr  komrat  ist  das  die  binnensenkung 
überfüllende  ne  vollkommen  entbehrlich,  da  das  verbum  bereits  durch 
das  enklitische  -ai  negiert  ist. 

19.  Der  typus  B*  {^x±\xj)  kommt  nur  3mal  vor  (l,7''/o):  pds 
i  brjoste  la  24^''  26^''  (an  der  1.  stelle  hat  R  es  statt  p<U),  päs  (höii) 
viP  Atta  gat  41  ^'',  puu  IH  {liön)  bröpra  gj(jld  {(jjgld  bropra  R  gegen 
das  metrum  und  die  alliterationsregeln)  44*''.  In  den  letzten  beiden 
versen  müssen  die  entbehrlichen  pronomina  entfernt  werden. 

20.  Typus  C*  (c^xzUx)  ist  durch  19  halbzeilen  (11,0 °/o)  ver- 
treten, darunter  nur  3  C*2  (2.  hebung  auf  kurzer  silbe):  kotnenn 
6r  hgll  K'/ars  7^'',  lcit{tu)  a  ßep  vapa  10"',  pds  /  hrßl  saman  37'^''. 
Die  nebenbetonte  1.  silbe  ist  3mal  verschleift:  komenn  6r  hgll 
K'/ars  7'''',  vripet  i  hring  raitpom  8^'',  hnigo  i  eld  keitan  45^''  (das 
verbum  nimmt  am  Stabreime  nicht  teil).  —  Mehrmals  werden  über- 
schüssige Wörter  zu  tilgen  sein:  läi{tii)  ä  flep  vapa  10 ^'',  (at)  vekja 
gram   hilde    lö'*'',    i'/kvesk   (er)   hvelvggnom    30^'',  {at)  reipa   gjgld  rggne 

36  2",    Qjyl    ^,^g    (5^;)    l^^l-^    l,glf.g    43  3a^ 

Anm.  Ein  unmögliches  monstrum  mit  4  hebungen  ist  v.  46  2b:  komner  vQro 
6r  Myrkheime ;  es  ist  gewiss  zu  lesen :  kvpnto  ör  Myrkheime  (verschleifung  der 
2.  und  3.  eingangssilbe).  —  Über  v.  20  ^b^  der  nicht  hierher  gehört,  s.  oben  §  2  anm. 

21.  Der  beliebteste  typus  unter  den  mälahattr- versen  ist  D* 
(73  belege  =  42,5  "/o).  Der  normale  vers  D*  1  (zxU^x)  findet  sich 
31  mal:  hjalma  goUhropna  4-%    serke  valranpa  4'^*',  sal  of  suprpjopom 


ZUR   EDDAMEIRIX  15t 

143a.     22a    (^152,1)    2*a    44b     76a     94a     lO'^a     111b    (=29-^'^)     112a    113a   ^  ^  4n 

12 1'"^    12^''    13^^'    13**^    17  5'^    18  *b  22^='  25  2"  32*-''  36  ^^  37 1"  37  ^^  39  ^^^ 

39  3b    412b     416a     442a    444a_ 

Mehrmals  hat  auch  der  1.  fuss  eine  nebenhebung:  Myrkvip 
ökunnan  S^^  (=  13 2''),  silfrgyld  sQpolkl&pe  ^^''\  m'inn  veitk  mar  haztan 
7^%  här  fannkhei]>lngja  S^^,  (}  (fehlt  R)  svlnn  dskunnn  29^",  GuJ>rün 
sigtiva  31  ^". 

22.  Verschleifung  der  1.  hebung  ist  3mal  bezeugt:  dafar 
[okj  darraj>ar  4:*^,  vapen  i  pijsh(^llo  31*^,  eia  at  (ßkrQsom  39*^;  ver- 
schleifung der  2.  hebung  3mal :  bekkjoni  arengreijijom  \^^,  silfrgyld 
SQpolkläpe  4^-',  viprar  Gnitaheipar  5^^;  verschleifung  der  binnen- 
senkung  3mal:  mar  enom  melgreypa  S^'*,  björe  vas  {hon)  litt  driikken 
16 2^*,  brunno  ok  skjaldmeyjar  45*'';  verschleifung  der  1.  hebung  und 
der  binnensenkung  einmal :  m ara  ena  melgreypo  1 3 '^^. 

23.  Überladung  der  binnensenkung  ist  selten  und  lässt 
sich  durch  tilgung  entbehrlicher  Wörter  immer  beseitigen :  drukko  {par} 
drotmeger  2^^,  vrpko  (peir)  vandstyggva  13'*=*,  khkkva  (kann)  siz  hiigpe 
252'',  reifpe  (Jwn)  hüskarla  42  ^b. 

24.  Verkürzung  der  1.  hebung  findet  sich  5mal  (7**^  14^"^  22^^ 
312a  37  3a^  jyfgjj  liönnte  diese  verse  natürlich  auch  als  einfache  Dl 
mit  verschleifung  des  einsilbigen  fusses  betrachten  (§  8  anm.),  da  sie 
jedoch  mit  einem  2.  mälahattr-vers  verkoppelt  sind,  dürfte  es  richtiger 
sein,  sie  mit  Sievers  (Beitr.  6,  348;  Proben  47;  Altgerm,  metrik  §  4^ 
anm.  2)  als  zulässige  Spielart  von  D*  aufzufassen.  —  Verkürzung  der 
nebenhebung  (D*lnk)  ist  6mal  bezeugt:  driikko  {par)  drötmeger 
2^^,  dafar  [ok]  darropar  4*^,  grcHendr  gimnhvatan  122%  syne  pjöp- 
konungs  22-^'',  naupog  neffglom  38*'*,  inne  aldrstamar  4b^'\ 

Anm.  Der  vers  6-^  ßats  rit  rettema  |  annat  slikt  ist  offenbar  unrichtig  über- 
liefert, aber  Finnur  Jonssons  änderung  {annat  jafnmiket)  ist  verfehlt,  da  sie  2  reim- 
8täl)e  in  die  2.  halbzeile  bringt.  Ich  schrieb:  pats  vit  jafnmiket  \  annat  ne  hefpem 
(C*  +  D*).  —  45  ^'^  bor  huplunga  ist,  da  er  in  einer  mälahättr-str.  steht,  um  eine 
Silbe  zu  kurz,  aber  Sijmons'  ergänzung  {bor  brann  B.)  ist  kaum  zulässig,  da  die 
3  b  störend  wirken;  ich  würde  daher  rank  st.  brann  vorziehen.  —  32-»  eißa  opt 
of  svarpa  wird  das  of  zu  streichen  sein;  falls  die  Überlieferung  richtig  sein  sollte, 
müsste  die  halbzeile  als  schwell  vers  (AA)  gelten. 

25.  D*2  ist  nur  durch  5  halbzeilen  vertreten:  U'jpa  sinnes  til  18^^, 
hifpesk  h()lfo  meirr  24^*,  kvikvan  kumblasmip  252-',  bifpesk  sväge  mJQk 
26^%  hrait  fyr  hallar  dyrr  443". 

26.  Der  typus  E*  (von  Sievers  in  den  proben  als  erweitertes  E 
aufgefasst,    später   aber  -  minder    richtig  -  als  A*  bezeichnet')  zählt 

1)  Altgerman.   metrik   (1905)  §  47,  2.  50,  8.      Einfaches   E  (-'-  x  x  U)  verhält 


152 


GERING 


42  verse  (24,5 '^/o).  Normales  E'l  {±^x\±x)  begegnet  8mal:  goU  rissak 
etke  6-^",  bröpr  hennar  hüper  16  ^■■',  blößoyt  ör  brjosfe  22^",  rogmalme 
skatna  29^'',  hapirs  ml  i  bgndotn  30^'',  >jmr  vnrp  ä  bekkjom  41^'', 
i^kgp  let  hon  cnxa  42  ■^■'',  fullröWs  of  petto  4G*".  Dazu  kommen  noch 
die  folgenden  3  halbzeilen,  in  denen  überschüssige  wörter  zu  streichen 
«ind:  Knefropr  vas  (sd)  heitenn  1 -'\  betr  hefper  (pä)  bröper  17^", 
VQpn  hafpe  {kann)  etke  43  ■^•',  endlich  18^",  wo  ich  das  pron,  oss  ein- 
setzen möchte,  um  einen  ösilbler  zu  gewinnen,  da  fornyrlnslag  in  der 
ganzen  Strophe  nicht  vorkommt:  langt's  [oss]  at  leita. 

27.  Einige  male  findet  sich  in  E*l  auch  im  2.  fusse  neben- 
liebung:  r/'/nendr  ne  räpendr  9'--',  iH  gekk  pä  Giiprün  36'''';  dazu  noch 
(mit  Streichung  eines  entbehrlichen  pron.)  sjau  eigom  (vit)  salhus  7^" 
und  vielleicht  19  ^'\  wo  die  hs.  in  einem  helmingr,  der  sonst  nur 
malahättr-verse  enthält,  ein  D  bietet,  das  überdies  gegen  die  allite- 
rationsregeln  verstösst:  v'tn  Borgunda  \  (ok  bundo  fastla),  wofür  ich 
Borgunda  hoUvhi  in  den  text  setzte  (das  compos.  begegnet  Frg.  bist.  4^ 
und  öfter  bei  den  skalden).  -  Nebenhebung  auf  kurzer  silbe 
(E*lnk)  ist  einmal  bezeugt:  varnape  vip  töroin  31*'\  -  Ver Schlei- 
fungen sind  selten:  einmal  ist  die  1.  hebung  aufgelöst:  fetom  leio 

J'mkner  13  ^'■',  einmal  die  neben  hebung:  land  (lies:  IiqU)  sqo  peir 
Atla  14^",  und  einmal  die  binnensenkung:  varnape  cip  fgrom  3P". 

28.  Normales  E*2  sind  die  folgenden  10  verse:  sverpa  ftdl  hvcrjo 
(lies:  hver  'ro?)  7  ^^,  erfevQvpr  H^gna  12 -^'^  syster  fann  peira  16  ^%  seinat's 
nü  syster  18--',  fengo  peir  Gunnar  19^'"',  afkgr  d'ts  JQfre  38'^",  afkärr 
SQngr  virpa  41  ^'',  öpan  sik  dridiket  43  ''\  optarr  umb  fapmask  43  ^'\ 
f errat  svä  s'ipan  46^'';  dazu  noch  12  andere,  in  denen  Streichungen,  er- 
gänzungen  oder  andere  leichte  änderungen  notwendig  erscheinen: 
vreipe  sgosk  {pi'ir)  Hüna  (hier  ver  Schleifung  der  ne  benheb  ung) 
2^^,  hgfpe  vatt  {pä)  Giinnarr  6^'"*,  vf}pom  nlfs  varpan  {varenn  ulfs  vQpom 
R,  was  schwerlich  richtig  ist,  da  der  abhängige  und  am  Stabreime 
nicht  beteiligte  genet.  besser  in  der  nebenhebung  einen  platz  findet)  8  2", 
nipjarge  JivQtto  (wo  die  hs.  noch  Gunnar  hinzufügt,  was  unbedingt 
unmöglich  ist)  9^'^  räpenn  est{u  nü)  Gunnarr  16-^",  hgll  gakk  (pi'i)  6r 
snirnma  16^^,  Bin  skal  {nü)  räpa  (das  nü  ist  mit  recht  von  Sievers  ein- 
gesetzt, da  die  ganze  strophe  aus  5-  und  6silblern  besteht)  29^^%  pggja 
knätt(ii)  pengell  36^%  Hüna  b^rn  iglposk  (Hünar  R  ist  unwahrschein- 
lich, da   die   übrigen  5  halbzeilen    der  strophe  nicht  dem  fornyrjjislag 


sich  doch  zu  dem  erweiterten  E*  (-^  xx  I  -ix)  genau  ebenso  wie  einfaches  D  (-^^  i  -^  xx) 
zu  dem  erweiterten  D*  (±  x\  ±x  x). 


ZUR   EDDAMETRIK  153 

angehören)    37  ^'\   gengo    inn   Jivasser  {hvater   R)    37-^*',    melta   knätt^u) 
moßogr  39  ^^  (§  29),  elde  gnf  {hon  pä)  alla  45  ^^ 

29.  Eine    2.   nebenhebung    im    2.  fusse    findet    sich    3mal: 

hristesk   qU   Hunmrtrk    13^*,    iH  gekk  pä    Gupnhi  36  "\    ynelia  knätt{u) 
mdpogr  39  ^^  (§  28). 

30.  Von  den  53  schwellversen  fallen  auf  den  typus  AA  {j.x\±x\±x) 
12  halbzeilen  (22,6*^/0):  kiaman  segg  atripa  1"^^,  Bupla  greppar  standa 
14tl^,  veyper  SQto  üte  \b^^,  leter  norner  grata  17*'^,  hjarta  skal  nier 
Hggna  22^%  Hüna  b^niom  sk'tne  (sk.  H.  b.  R)  29  ^'\  nvarr  hafpe  Atle 
43^-'';  dazu  ein  vers  mit  versehleifung  der  1.  Senkung:  Atle  mik 
hingat  sende  3^^,  einer  mit  versehleifung  der  2.  hebung:  sk^ldo  knegop 
pat' irlja  4:^'',  und  2  mit  überladener  1.  Senkung,  die  sich  durch 
tilgung  eines  entbehrlichen  pron.  heilen  lässt:  hvat  hyggr  {pü)  brüpe 
bendo  8^%  /igkk  at  {hön)  VQvnop  bjöpe  {bype  R)  8-'*. 

Anm.  35*''  vqko  af  heipe  komner  (der  einzige  schwellvers  in  einer  fornyr- 
Jjislag-strophe)  ist  höchst  wahrscheinlich  fehlerhaft  überliefert.  Ich  schrieb :  es  af 
xipe  kvQtno  (C).     Vgl.  §  40. 

31.  CA  (x^Ux|^x)  zählt  ebenfalls  12  halbzeilen  (22,6  °/o):  an 
see  allra  Hüna  (versehleifung  der  1.  hebung)  7*"',  ne  peirs  riker  v<}ro 
^^^,  pars  harpmöpger  furo  13^'',  ok  hlipskjalfar  djüpar  14^^,  ä  borg 
enne  hgvo  14 ■^'',  i  veltanda  vatne  29^%  ok  glkräser  valpe  38^^\  en  nip 
sagpe  Atla  38*",  ok  ör  onduge  at  senda  (versehleifung  der  2.  hebung) 
39^'',  ok  hüskarla  vakpe  44 3'';  dazu  zwei  weitere,  in  denen  das  metrum 
überfüllende  Wörter  gestrichen  werden  raussten :  hvat  rdpr  {pü  okr) 
seggr  enn  öre  6'-",  ef  (peir)  hans  vif  ja  kcä'me  15^''. 

32.  Als  DA  (j.i^x|^x)  sind  vielleicht  zu  fassen  123-':  pä  kvnp 
(pat)  enn  öre  und  31 1'':  reip  Glaume  mdrom  (so  Finnur  Jonsson  statt 
•des  unmöglichen  mgnom).  Aber  die  ganze  langzeile  ist  offenbar  verderbt 
(§  14):  wahrscheinlich  stand  in  der  1.  halbzeile  nicht  der  eigenname, 
sondern  eine  minder  genaue  bezeichnung  Atles,  die  ein  mit  g  an- 
lautendes wort  {geirvaldr  ?)  enthielt,  und  ein  Schreiber  hat  geändert. 
-2  belege  (=  3,8 '^/o). 

33.  Sichere  AC  (j.xU|_lx)  sind  die  beiden  halbzeilen:  gif  skr  es 
vegr  okkar  S*"",  rlstu  nü- FJgrner  10^-'';  dazu  kommt  ein  vers  mit  ver- 
sehleifung der  2.  hebung:  idfar  mono  räpn  11^"  und  ein  paar 
andere,  in  denen  das  metrum  überfüllende  Wörter  zu  streichen  sind : 
sat  {hann)  a  bekk  hgvom  2*'',  vqU  Uzk  {ykr  ok)  gefa  mundo  (ver- 
sehleifung der  2.  hebung)  5^*,  heiler  farep  (nü  ok)  horsker  {horsker 
ist   vocat. !)    12*-'.     Schwerer   verderbt   ist    16^^:   snemst   at  peir  i  sal 


154  GERING 

küQmo,  da  in  b  doppelalliteration  nicht  zulässig  ist  •,  ich  vermute :  pegar^ 
i  sal  kvpmo.     Summa  7  verse  (13,3  °/o), 

Anm,  20 3"  siä  skal  frökn  verjusk  gehört  kaum  hierher,  da  die  ganze  Strophe 
gewiss  ursprünglich  im  fornyr})i8lag  abgefasst  war;  der  2.  helmingr  lautete  wohl: 
srd  skal  frökn  \  ßpndom  verjask  ||  sem  hendr  sinar  \  Hpgne  varpe. 

34.  Zum  typus  BC  (x  jl  i  x  ^  |  jlx)  werden  die  folgenden  18  verse 
(33,9  "/(,)  zu  stellen  sein :  at  (jgrpom  kcam  (kann)  Gjäka  1  ^'',  at  hipja 
ykr  Gimnarr  ^'^'\  at  it  d  bekk  kömep  3^*^,  at  sökja  heim  Atla  3*'',  af 
(bez.  mep)  geire  gjallanda  5-*'  15*'\  ok  Hggna  til  sagpe  6^'',  en  mceke 
hvassastan  7^^,  at  ripa  egretide  8^^^,  6r  garpe  Niflunga  12^^,  vip  Uüna 
harmbvQgpom  16*%  at  samna  Niflungom  18^'',  of  rosmofJQÜ  R'inar  18*'', 
at  solo  suprhQllo  32^';  dazu  2  halbzeilen  mit  verse hleifung  der 
2.  hebung:  mep  (bez.  sem)  hjglmom  arengreyjioni  3*"  17^'';  2  mit 
kurzer  silbe  in  der  3.  hebung:  at  varpa  {peim)  Gunnare  15^-',  en 
skiron  malm  rapa  42'^^.  Den  vers  überfüllende  Wörter  mussten  2mal 
gestrichen  werden  (l^''  15'^"). 

35.  CC  (xj:U|  jLx)  kommt  nur  einmal  vor:  at  sea  heim  Atla  (ver- 
schleifung  der  1.  hebung)  17 2''. 

36.  Auch  AD  {±^\±\±^>)  ist  nur  durch  ein  beispiel  bezeugt : 
hjalm  ok  skjgld  hvitastan  T""".  Vielleicht  gehört  aber  auch  43^**,  der 
verderbt  überliefert  ist,  hierher:  varnapet  hann  vip  Guprüno;  ich  ver- 
mute: säska  hann  vel  Guprünar. 

B.  Alliteration  und  reim. 

37.  Doppelalliteration  im  1.  halbverse  ist  für  die  mala- 
hattrzeilen  in  aA  nur  2mal  bezeugt:  f0)-e  gölte  Guprnn  (s.  oben  §  16.  17) 
42  ^%  hon  hepjom  hrodde  44  ^^ ;  dagegen  ist  in  D  *  der  doppelreim 
geradezu  regel,  da  von  50  a-zeilen  nur  7  (l*''  4-*  7*''^  17^*  24^" 
26  6a  3]^ 3a-)  gj^jj  jjjj^  einem  stabe  begnügen;  die  beispiele  sind:  drukko 
(par)  drötmeger  2^^,  vin  i  valhgllo  2"^%  [p]  svinn  äskunna  (das  unent- 
behrliche  ()   ist   von   mir   ergänzt)   29  2**;    2**^  32''   43''  4*"  7  3"  7*'^  8^=* 

94a  102a  ll-ia  113a  114a  121a  122a  132a  134a  143a  152a  22  ^'^  25  ^^^ 
32  2a     32  4a     36  4a     371a     33  4a     392a      394a    412a     4I  Ba    442a    443a    444a    454a 

(vgl.  §  24  anm.)  45  ^^  Häufig  ist  die  doppelalliteration  auch  inE* 
(16  belege  in  den  31  a-versen):  sjau  eigom  (oit)  salhus  7 1",  v(}pom 
Ulfs    varpan    82»  (vgl.  §28);  9^«  13 1-'    13^^»    16^''  17'-'  18 ^^  18 ^^  22^« 

291'»    36  3a    333a   393a   451a_ 

38.  In  den  schwellversen  ist  doppelalliteration  in  der 
1.  halbzeile  ebenfalls  nachzuweisen;  2mal  in  AA:  hiat  hyggr  {pü} 


ZUR   EDDAMETRIK  155 

■hrüpe  bendo  8^=*,  hjnrta  skal  mer  Hgyna  22^'';  einmal  in  CA:  i  veltanda 
vatne  29^'';  2mal  in  AC:  ylfskr  es  vegr  okkarr  8*",  heiler  farep  (nü 
ok)  horsker  12  *''  (§  33) ;  6mal  in  BC :  at  ggrpom  kvam  {kann)  Gji'(ka 
13a.  52a  154a  16  4a  i^i^  32  3a.  einmal  in  AD:  hjnltn  ok  skjgld  hvitastan  7  5\ 

39.  Gekreuzte  alliteration  ist  in  den  5-  und  6-silblern  nur 
2mal  bezeugt:  svd  gange  per  Äfle  \  sem  (ßü)  vip  Gunnar  atter  (aA  +  aAj 
32  \  //;;  gekk  pa  Guprim  \  Atla  i  gogn  (E*  +  F?)  36  ^  Der  2.  fall 
ist  jedoch  bedenklich,  da  die  verkoppelung  eines  5-silblers  mit  einem 
3-silbler  höchst  auffällig  ist  und  die  ganze  Strophe  gewiss  ursprünglich 
im  malahuttr  gedichtet  war.  Ich  schrieb  daher  in  der  handausgabe: 
Atla  fit  mote  (vgl.  Haustl9ng  2-  =  Sk.  B  I,  14;  Vellekla  19*  -  Sk.  B  I, 
120  u.  ö.). 

40.  Ein  schlimmer  V er sto  SS  gegen  die  alliterationstechnik  findet 
sich  14  '^^ :  sal  of  svprpjopom  \  slegetin  sessmeipom  (4  gleiche  reimstäbe 
in  der  langzeile!),  wo  doch  wohl  vorderbnis  vorliegen  dürfte.  Dass 
das  part.  an  der  alliteration  nicht  teilnehmen  sollte,  wie  Sijmons 
meinte,  ist  gewiss  nicht  anzunehmen  (vgl.  auch  31 2-');  vermutlich  hat 
sessmeipom  an  stelle  einer  anderen  kenning  {bekkmeipom?)  sich  ein- 
geschlichen. Kaum  erträglich  ist  es  ferner,  dass  35^  {vdpnsQtigr  virpa 
j  vgro  af  heipe  komner)  das  hilfsverbum  den  hauptstab  trägt  (s.  §  30 
anm.).  Dass  einmal  ein  poss.  pron.,  auf  dem  kein  rhetorischer 
nachdruck  liegt,  den  Stabreim  trägt  {piggja  kncHtn  pengell  \  i  ptnne 
JiqUo  36  ^)  ist  technisches  Ungeschick. 

IV.  Atlamöl. 

(749  halbzeilen.) 

Über  die  metrik  dieses  liedes  haben  Sievers  in  seinen  'Proben' 
{s.  45-62)  und  Rud.  Leonhardt  in  seiner  fleissigen  dissertation : 
'Der  malahattr  der  Atlamöl'  (Halle  1907)  ausführlich  gehandelt,  doch 
wird,  wie  ich  hoffe,  meine  eigene  darstellung,  in  der  ich  von  meinen 
Vorgängern  mehrfach  abweiche,  nicht  für  überflüssig  augesehen  werden. 
Vor  allem  muss  ich  dagegen  einspruch  erheben,  dass  Leonhardt  sich 
Tjeständig  auf  seinen  eigenen  'angemessenen'  Vortrag  beruft,  ohne  uns 
sagen  zu  können,  worin  diese  'angemessenheit'  beruht,  und  dass  er 
konjekturen  abzulehnen  sich  erkühnt,  weil  sie  nach  seiner  meinung 
'das  melodische  kolorit  der  Strophe  zerstören',  ein  ding,  das  ebenso- 
wenig definierbar  ist.  Es  muss  einmal  mit  allem  nachdruck  betont 
werden,  dass  der  Vortrag  einer  dichtung  durchaus  eine  subjektive 
leistung  des  vortragenden  ist.  Zwei  verschiedene  tüchtige  Schauspieler, 
Ton   denen  jeder   den   anspruch   erheben    darf,   einen  'angemessenen' 


156  GERING 

Vortrag  zu  besitzen,  werden  dennoch  den  monolog  des  Hamlet  nicht 
in  derselben  weise  rezitieren,  und  der  geniale  mime  oder  der  ge- 
schulte rhapsode  werden  feinheiten  im  detail  herausarbeiten,  an  die 
vielleicht  der  dichter  selbst  (der  bekanntlich  keineswegs  der  beste 
rezitator  seiner  eigenen  Schöpfungen  zu  sein  pflegt)  nicht  im  entfern- 
testen gedacht  hat.  Es  darf  auch  nicht  vergessen  werden,  dass  der 
dichter  eine  variable  (aflfektcn  und  Stimmungen  unterworfene)  person 
ist,  die  nicht,  wie  der  fink,  immer  wieder  dieselbe  weise  pfeift,  und 
öfter  auch  fremden  einflüssen  ausgesetzt  ist,  wie  z.  b.  Sighvatr,  nach- 
dem er  längere  zeit  in  Schweden  sich  aufgehalten  hatte,  in  seinen 
späteren  poesien  durch  unverkennbare  suecismen  diese  einwirkung 
verrät.  Es  dürfte  daher  nicht  unwahrscheinlich  sein,  dass  isländische 
skalden,  die  jähre  lang  am  norwegischen  hofe  lebten,  auch  spräche 
und  tonfall  norwegisierten,  so  dass  ich  schon  aus  diesem  gründe  die 
kühne  behauptung,  dass  man  heute  noch  imstande  sei,  unzweifelhaft 
festzustellen,  ob  eine  Strophe  von  einem  Isländer  oder  von  eineni 
Norweger  herrühre,  für  durchaus  unglaubwürdig  halte.  Wir  wissen 
auch  nicht  -  und  werden  es  nie  wissen  -  wie  ein  fmlr  seine  kvipa 
oder  ein  skäld  seine  drapa  vorgetragen  hat,  da  die  kunst,  die  mensch- 
liche stimme  auf  der  platte  des  grammophons  zu  fixieren,  damals  noch 
nicht  erfunden  war. 

Sowohl  Sievers  wie  Leonhardt  haben  es  verkannt,  dass  in  Am 
neben  eigentlichen  mälahätti-versen  (d.  h.  versen  von  den  typen  aA, 
C*,  D*,  E*  -  B*  hat  der  dichter  gemieden  -)  auch  eine  nicht  unbe- 
trächtliche zahl  von  dreimal  gehobenen  seh  well  versen  sich  findet. 
Durch  diese  erkenntnis  erledigen  sich  verschiedene  von  den  in  der 
Sieversschen  rhythmisierung  angebrachten  fragezeichen  und  mehrere 
fälschlich  als  aD  oder  aE  bezeichnete  verse  finden  ihre  richtige  er- 
klärung. 

1.  Versbau. 

1.  Der  um  die  auftaktssilbe  vermehrte  A-vers  (aA)  ist  fast  ganz 
auf  die  zweite  halbzeile  beschränkt:  von  den  83  belegen  (11,1  ^/o) 
fallen  nur  3  auf  die  erste.  Von  diesen  Ist  69--'':  /  kne  gengr  Jinefe  , 
{ef  kvii^Ur  pcerra)  ein  im  ganzen  liede  sonst  nicht  wieder  vorkommender 
typ,  nämlich  ein  aA2k.  Auffallend  ist  auch  74^'':  enn  f rette  Atle  \ 
(hvert  farner  vctre),  da  bei  natürlicher  betonung  das  adv.  eiin  einen, 
hauptictus  und  das  folgende  verbum  nur  einen  nebenictus  tragen  sollte ; 
wahrscheinlich  hatte  der  dichter  einen  vers  E*l  mit  doppelalliteration 
beabsichtigt,  da  aber  ein  vokalischer  reimstab  für  den  2.  halbvers  sich 


ZUR   EDüAMETRIK  157" 

ihm  nicht  ohne  weiteres  darbot  \  machte  er  aus  der  not  eine  tugend 
lind  Hess  das  hierfür  nicht  geeignete  freite  mit  dem  partizip  der 
2.  halbzeile  alliterieren.  In  dem  3.  verse  90^'':  mepan  iQnd  pau  iQgo 
ist  die  auftaktssilbe  aufgelöst. 

2.  Verschleifung  des  auftaktes  ist  auch  in  den  aA-versen 
der  2.  halbzeile  häufig  (12  fälle):  pegars  hm  rep  vnhia  10*'',  ef  it 
brälld  Jccdmep  12 ^^'j  cpa  valda  aprer  12^^,  nema  laiina  eigem  13^^. 
ef  it  stundep  pangat  14  ^"^j  epa  ella  hrcepomk  14*'^,  mepan  Jwkk  (ek 
Iwgg  B.)  gpr  galga  36*'',  mepan  sjalfer  lifpo  (vgl.  jedoch  unten  §  25^ 
anm.)  48^'',  meJ)on  heiler  vfjrom  56^'',  mepan  Hggne  lifpe  67*^,  ok  i 
l linde  öxom  68 ~^,  ok  d  teine  sfeikpak  78^^.  Auflösung  der  1.  heb ung 
kommt  nur  einmal  vor:  at  vega  pik  sjalfan  SP**;  auflösung  der 
binnensenkuug  2mal :  ok  föro  i  brynjor  39 ^^,  ok  fengo  i  snöre  42 ^^ 
(Leonhardt  stellt  diese  beiden  verse  mit  unrecht  zu  E*2). 

3.  Zweisilbiger,  nicht  verschleifbarer  auftakt  lässt 
sich  meist  durch  tilgung  überflüssiger  wörtchen  beseitigen:  pars{pi() 
bldjo  hugper  (so  schrieb  Sijmons  mit  recht  statt  des  hsl.  pars  pü 
hl&jo  mit,  (vgl.  unten  §  4)  15*'',  i^vdt  {ver)  mdiiem  etke  16^^',  es  {hon) 
ekka  heyrpe  43^'',  es  {pn'i)  härm  p>inn  (pinn  härm  unrichtig  R)  tiner 
SS***,  at  {hon)  ser  ne  ifnpet  54*'',  {ok)  rep  heldr  at  bregpa  64^'',  es 
{hann)  sd  pd  hverge  74*'',  ef  {pü)  ggrva  reyner  lh'^^\  pats  {niit)  dpan 
fygom  81°^.  Durch  Umstellung  wird  9*^:  at  vas  vant  at  rdpa  zu 
heilen  sein  (lies:  at  vant  vas  at  rdpa);  den  unmöglichen  vers  81^'': 
Jjats  menn  dorne  vissot  til  besserte  Sijmons  durch  tilgung  von  menn 
und  til;  90-^  es  mer  leifpe  Bupile  ist  gewiss  mit  Sijmons  (fussn.)  es 
leifpoynk  B.  zu  lesen. 

Anm.  Zn  aA  gehöreo  gewiss  auch  die  3  als  viersilbler  überlieferten  verse 
313b  354b  59  ^b^  8.  §  28. 

4.  Typus  B*  (^xjlIxjl),  der  in  Akv  ein  paarmal  vorkommt,  wurde 
von  dem  dichter  der  Am  gemieden.  Das  einzige  'sichere'  beispiel,. 
das  Sievers  (Altgerra.  metrik  §  50,  2)  aufführte  {p(vrs  pü  bMjo  satt 
IS***)  wird  ebenfalls  zu  streichen  sein,  da.  sdtt  vermutlich  das  ursprüng- 
liche hvgper  (vgl.  15^'')  verdrängt  hat.  Dass  derselbe  gelehrte  in  den 
'Proben'  auch  49-''  ok  ondnrpan  dag  und  88  ^''  alt  vas  itarlekt  als 
B-verse  bezeichnete,  ist  natürlich  nicht  richtig:  der  erste  vers  ist  ein. 
CB  (§  23),  der  zweite  ein  D=^2  (§  14). 

I)  Ein  gewandter  poet  hätte  sich  zu  helfen  gewusst,  z.  b. : 
enn  fritte  Atle,         hvert  unger  före 
sveinar  at  leika  .  .  . 


158  UERING 

5.  Die  zahl  der  C*-verse  (x><^Ux)  betrügt  113  (15,1 ''/o).  Der 
nebenton  der  1.  silbe  ruht  häufig  auf  einem  verbum:  felde  stoj)  störa 
2"\  fellskat  sapr  svipre  6^=^  (ebenso  3^*^  5  ^'^  7 1-'  8'=^  10*"  12  ^^  13'^" 
21 4u  24  ^•■'  34**  44*^'  48  2='  50  ^^  51  ^''  59 1"  661*^  84 1"  84  ^'^  85  2"  85*'' 
874a  87  41)  90  in  90  5a  951a  981--1);  zuweilen  auch  auf  einem  verbalnomen 
(part.,  inf.):  frett  hefr  gld  öfö  \'^'-\,  reifa  glöpraupo  13"',  ganga  mon 
iyki)  andd'res  14*^,  sküpo  (inf.  praet.,  das  überlieferte  skopa  -  es  wäre 
der  einzige  beleg  für  den  eingang  ^x  -  ist  unrichtig)  s'jkn  sverpom 
48'*'';  öfter  auf  einem  pronomen:  hvat  {peir)  d  lann  nuPlto  3^'^  hvat 
pd  larp)  vitre  12'^^,  okr  mon  gramr  golle  13^-'',  paus  er  litt  röhp  15 ^'', 
pau  mono  brdtt  bvinna  15*%  p)at  mon  oss  drjugt  deilosk  18^-',  sü  vas 
hinzt  kvepja  44 ^'',  sü  mon  erfp  epter  65-^",  hverr  vd  smi  Bupla  85^'', 
panns  per  vel  triier  86^^,  pats  til  hags  skylde  91^'';  am  häufigsten  auf 
adverbien  und  konjunktionen  (hvarges  99*'',  hvars  46**^,  nü  56  *ä  69^" 
76**  81^%  opt  232%  svd  ]2=^%  pd  33*  332%  Jjar  88*%  peyge  47  ^b.  „/^ 
26  3%  at  18*^  20  2b  39  ^b  46*''  56*'^  59^»'  64  *b  68 s''  83  *b  952%  „^j^. 
381b  413b  58  4a^  f',pr  42b  3311.  34  4b^  ^,y  71b  72b  303b  304b  374a  594b 
652b  69:3b  70  2b  842",  ella  36*%  es  5^^  282b  421b  535b  585b  672b  86 -'b 
951b  96 *b,  hve  32*'-,  inepan  38  2b,  nema  65*%  sem  8*  48 ^b  QQih  qq3u 
^7*b  992%  svdt  47 *b,  imz  28*''  92*%  p6t  13*''  50  ^b  gi^'O^  E^^te  nomina, 
die  am  eingange  des  verses  hätten  alliterieren  sollen,  erscheinen  hier 
nur  selten  (22  2"  371a  734a  86  sa  942a).  g_  darüber  unten  §  30. 

6.  V e r s c h  1  e i f u n g  der  nebentonsilbe  ist  nur  3mal  bezeugt : 
bupjo  pje/'r  heim  Hggna  7^'^,  mepjan  l  gnd  hixte  382b,  nema  ek  auk  deyja 
65*''.  Häufiger  ist  die  auflösung  der  binnensenkung  (13  belege): 
skyldo  of  sd'  s/'gla  3*",  ganga  mon  (ykr)  andd'res  14**^,  Pmu  mono  brdtt 
brinna  15*",  pat  mon  oss  drjiigt  deilask  182%  ^,^^  Jigforn  einn  feldan 
41  ^b^  -j^il  erom  svd  sdrer  (wo  jedoch,  um  den  hiatus  zu  beseitigen, 
besser  nd  Vo/>«  geschrieben  wird)  56*%  at  hafe  svd  genget  64='^^,  kannka 
ek  sliks  synja  (wo  aber  das  ek  wohl  zu  streichen  ist)  66^",  at  va're 
grimmr  Äila  83  *b,  kvgmo  i  hiig  kenne  84^",  fylgpe  oss  herr  manna 
87*'\  fannka  l  huy  heilom  90^",  kvamtat  {komtapm  R)  af  pvl  pinge  95'". 

Anm.  Ob  in  den  drei  versen :  at  t^cere  hamr  Atla  18*'>,  at  rcere  grand  svefna 
202b,  es  VQro  sakar  minne  (§7)  67  2b  auflösung-  der  verbalforni  anzunehmen  sei,  ist 
mir  zweifelhaft;  sie  könnten  auch  als  schwellverse  von  dem  typus  BC  angesehen 
Tverden. 

7.  Selten  ist  die  verschleifung  der  1.  hebung:  alz  pos  fara 
(stlat  26 -^b^  ß//(j5  hepan  blpep  36*'.  Dazu  vielleicht  noch  67  2b:  es  vgro 
^akar  minne  (§  6  anm.). 

8.  Der   nebentypus    C*2    (ix_LUx)   kommt    nur  5nuil  vor:   ( f  at 


ZUR   EDDAMETRIK  159 

i/pr   Jyge  30^'',    vgrom  prir   teger  50'^'*,  sem  pü  -yglf  viler  66"*'',  patms 
per  vel  triier  86  °^,  par  vas  fjglp  fear  88  '*'*■. 

9.  Neben hebung  auf  der  schlussilbe  ist  ein  einziges  mal 
bezeugt:  frett  hefr  gld  6f()  1^-'.  Da  dieser  fall  ganz  singulär  ist, 
-dürfte  doch  vielleicht  gfo  statt  üfg  zu  lesen  sein. 

10.  Typus  D*  ist  durch  197  halbzeilen  (26,3^/^)  vertreten,  darunter 
140  normale  D*l  (zxIzjlx)  wie  segger  samkundo  1^'',  kunne  skil  ri'ina 
'9  ^^  usw.  Der  untertypus  mit  der  nebenhebung  auf  kurzer  silbe  (D*lnk) 
begegnet  24mal :  hugpe  at  manvite  3'^,  kvam  [ja  Kostbera  6^",  h^mlor 
slitnopo  34=^";  d^^  9'^*  20 1"  25*»  27  3--'  45  ^^  46i^  49^^'  5030  54-^''  61»" 
ß44a  72  la  742a  784a  §3  ib  §4  ib  873a  892a  98  2a  99  2a^  dazu  noch  (wemi 

richtig  ergänzt  ward)  [/Jarre]  of  fjQrp  Lima  4*-'. 

11.  Einen  anderen  untertypus  (D*lhlk)  bilden  die  den  Am  eigen- 
tümlichen verse  mit  verkürzter  erster  hebung  (/-x!j.jlx):  kona 
kapps  gäleg  6^'',  bryte  fötr  ykra  24  3*,  rifo  kjgl  half  an  34^'',  farep  firr 
hüse  36  ^^,  hlapen  halsmenjom  43  *'"',  Ufa  ipjrofter  63  '^^,  Bero  tveir  sveinar 
49^^,  spyrep)  liit  epter  73^",  kurom  land  papra  93^'',  hlute  hvdregra 
96'^''  (10  belege).  Man  darf  diese  halbzeilen  gewiss  nicht  als  vier- 
«ilbler  mit  verschleifter  erster  hebung  betrachten,  da  die  spärlichen 
viersilbler,  die  sonst  in  dem  liede  sich  finden  (§  26)  sämtlich  fehlerhaft 
überliefert  und  meist  leicht  zu  heilen  sind. 

4mal  ist  in  diesen  versen  ausserdem  die  nebenhebung  ver- 
kürzt (D*lhlknk):  hryte  hgr  löge  15  ^^  haer  brotnopo  34»",  skuto 
skarplega  42 ^^'j  kono  välega  51**.  —  Ein  singulärer  vers  mit  Ver- 
kürzung der  2.  hebung  findet  sich  92"-'':  fylgpom  Sigorpe;  er  darf 
jedoch  nicht  angetastet  werden,  da  eigennamen  auch  sonst  Unregel- 
mässigkeiten veranlasst  haben.  Ganz  unmöglich  dagegen  ist  32  ^'' : 
Hgyne  svarape  (2.  hebung  und  nebenhebung  auf  kurzer  silbe!);  hier 
muss  durch  konjektur  geholfen  werden  (lies:  hitt  kcap  pa  HQgne,  vgl. 
Sg  31  '  Hm'  6  1  u.  ö.). 

12.  V  er  Schleifung  der  1.  hebung  findet  sich  allerdings  eben- 
falls (8  belege):  bopyet  i  sinn  petta  ll*^  borenn  6r  serk  pinom  22^'', 
vesall  lezk  v'/gs  peira  58»=*,  prifo  peir  Pijöpgöpan  61 1'"*,  alen  vit  upp 
vrjrom  68^^,  faret  vip  gram  slikan  81'^",  fara  i  /Jos  annat  82*'',  segep 
et  sannasta  85 »\  Selten  (2mal)  ist  die  2.  hebung  verschleift:  skiipmsk 
veger  peira  33-'',  pjrwla  pria  t0go  89-^,  dazu  (wenn  die  besserung 
richtig  ist)  49*'':  0fre  firom  urpo  (ofre  peir  nrpo  R).  Häufig  ist  da- 
gegen auflösung  der  binnensenkung  (23  fälle):  hugpe  at  manvite 
3^0,  si'/sf.e  of  JjQrf  gesta  6*^,  allar  'o  illüpgar  13^'',  eige  l  sinn  petta 
14^'',   liggja   her  Vmkld'pe  15»*,    munn[e\  oss  mgrg  hefpe  16»=',  vgknopto 

ZEITSCHEIFT  F.  DEUTSCHE   PHILOLOGIE.    BD.  L.  12 


160  (;euin(; 

velboren  20'",  veitkok  ef  {veitkat  ek  hvi'irt  R)  verp  launep  29^**,  fijrr 
i{)rom  faUrdpa  40^",  enn  eroj)  öbuner  41^",  mdite  af  manvite  45^*, 
hugpe  (i  harpva'J>e  46 '^'',  vinna  et  vergasta  ÖO'*",  iiv'i  mynem  her  vilja 
60^",  hni'fpak  of  hotvetno  67'",  (jolle  ok  hahmeHJom  68-*'',  kunne  of 
hn</  md'la  70-"',  f<h'o  '/  fafmi  mnpor  72"*'',  bröpra  eii  kappscinna  74'^', 
hafpa  at  (jlshjlom  11 '^^\  sagpak  at  kalfs  vcere  78^^,  hugpe  d  störräpie 
83  ^^  hersar  d  h{>nd  gengo  93-".  -  Verschleifung  der  1.  und  2.  hebung 
nebeneinander  ist  nur  einmal  bezeugt:  fare  sem  (ek)  fgrer  mdiek  31^". 

13.  Überladung  der  binnen  Senkung  findet  sich  nur  4mal 
und  lässt  sich  durch  tilgung  überflüssiger  Wörter  stets  beseitigen:  ser 
rep  (hann)  litt  eirn  30^'',  fnre  sem  (ek)  fgrer  nniiek  31'",  >iwns  efit{u)- 
sja/fskapa  64*",  ofk(}r  {ek)  dpr  pöttak  67^".  Dass  der  dichter  sich  in 
dem  4.  verse  statt  der  Senkung  eine  nebenhebung  gestattet  hat,  ist 
singulär:  sie  wurde  beim  vortrage  gewiss  nicht  markiert. 

14.  Der  typus  D*2  mit  nebenhebung  auf  der  schlussilbe 
(jL  X  u  X  jl)  ist  sehr  selten  (4  belege) :  alt  vas  Itarleki  88 '",  varr  at  vettoge 
37^",  oomk  ek  aldrege  13''",  böta  aldrege  68*^.  In  den  Wörtern  vettoge 
und  aldrege  müssen  natürlich  die  icten  auf  die  beiden  glieder  des 
kompositums  verteilt  werden:  die  betonung  vettoge,  dldrege  wäre  un- 
natürlich (R  schreibt  auch  stets  aldregi,  wvagi,  vettugi^  niemals  -ge).  - 
13'"  ist  die  hebung  aufgelöst. 

15.  E*  ist  von  den  mälahättr-typen  der  Am  weitaus  der  häufigste 
(303  belege  =  40,6  °/o),  besonders  aber  E*2  (^x^Ux),  das  vor  E*l 
(i4.x|jLx)  in  auffälliger  weise  bevorzugt  wird  (244:  59). 

Von  den  E*l  sind  35  völlig  normal,  wie  lag  hegrpe  orpa  3  ■^", 
Qlowrer  urpo  5'"  usw.  In  dem  verse  35^",  der  ohne  zweifei  auch 
hierher  gehört,  ist  eine  Umstellung  vorzunehmen,  um  die  beiden  sta- 
benden Wörter  in  die  hebungen  zu  bringen :  h()tt  grinder  hrikpo  {h()tt 
hrikpo  grindr'R:  die  seltenere  zweisilbige  form  des-  plur.  verlangt  das 
metrum).  -  Der  untertypus  mit  verkürzter  nebenhebung  (E*lnk) 
begegnet  5mal:  emjopo  idfar  22"'",  forpopo  fingrom  42  2",  lokkape  {hon) 
litla  72-^",  glupnopo  grimmer  72^**,  Qrkopom  at  aiipno  92^".  Sievers 
(Proben)  betrachtet  diese  verse  als  E2,  aber  C-verse  des  fornyrjjislag 
wie  es  vaknape,  of  sahiape  f>rk  1  '•  ^  beweisen,  dass  die  präterital- 
formen  der  alten  verba  auf -oh  ursprünglich  gewiss  den  nebenton  auf 
der  2.  silbe  hatten.  Allerdings  können  die  beiden  schlussilben  auch 
'verschleift  werden  {leitapak  l  llkna  45^"  kann  kaum  anders  als  ein 
E2  mit  verschleifung  der  binnensenkung  aufgefasst  werden). 

Anm.  Nebenhebung  auf  der  schlussilbe  ist  zweimal  durch  den  eigen- 
namen  Guprün  veranlasst:  (/rimm  rastu  Gußriin  80^'^,  f roß  vilde  Gx/inhi  98  3". 


ZUR   EDDAMETRIK  161 

16.  Von  ver Schleifungen  ist  nur  die  der  1.  hebung  häufiger 
bezeugt  (13  belege):  amng  foro  sißan  10^",  bane  i/kkarr  beygja  12^% 
konor  hugpak  davpar  2h^^,  syner  vgro  {peir)  Hggna  28^'',  Bera  kvap 
at  orpe  31^%  roa  tigmo  rike  34 ^•\  {ok)  skolop  p6  her  komner  4b'^^, 
fegenn  lezk  pö  Ejalle  59  ^'*,  yfer  r(}pomk  ganga  75^",  vapet  he  fr  {p>i'i) 
at  rige  86*%  priu  VQrom  sgMken  92^%  koniing  drQpom  fyrstan  93^'^, 
fara  ser  at  spilla  dS^^.  Auflösung  der  nebenhebung  begegnet  nur 
einmal :  Jwg  vasot  [at]  hjaldre  (die  notwendige  ergänzung  der  präpo- 
sition  ist  von  Sijmons  vorgenommen)  46^*;  35'="  bö  .^fo  peir  standa 
ist  die  auflösung  -  vielleicht  unnötigerweise  -  erst  von  den  neueren 
herausgebern  statt  des  überlieferten  sä  in  den  text  gesetzt.  Verschlei- 
fuug  der  binnensenkung  ist  2mal  zu  buchen:  Glaumvfjr  kvap  at 
orjje  29^'"^,  Qrkopjom  at  aiipno  92  ^'\ 

17.  Überladene  binnensenkung  kommt  ein  paarmal  vor, 
ist  jedoch  durch  Streichung  überflüssiger-  wörter  stets  zu  heilen :  lok- 
kape  {hört)  Htla  12^"^,  vier  Id'fr  {pu)  oJc  sjfßfom  SO'*^',  brend  mont 
{mundii  R)  d  bdle  82^^,  vapet  hcfr  {pu)  at  vlge  86**. 

18.  Von  den  versen  des  typus  E*2  ist  die  weitaus  grössere 
mehrzahl  (189)  normal:  sendemenn  Ätla  4^'',  hvitabjgrn  hugper  17^*; 
hjona  vd'tr  sipan  ^0'^^,  ekkjo  nafn  hljöta  94 2'';  illa  rezk  Atla  2'^^, 
dtte  p(j  hygqjo  2  ^^,  föro  pä  slpan  4  ^*,  hengpo  d  sülo  5  **  usw.  Der  unter- 
typus  mit  verkürzter  1.  hebung  (E*2hlk)  begegnet  23mal:  stopalt 
monojj  ganga  14'",  bryte  iq/p  stokka  16^'',  seoni  J>d  ropro  19  ^''j  loket 
pvl  Uta  19*^  (=  71-5"),  pyte  af  pjöste  24  ^'S  lito  es  hjste  27 1%  sQOsk  til 
sipa7i  33^'^,  hcater  fyr  hgllo  43  2-'',  skQpom  vipr  mange  45  ^'\  slitosk 
(sl'dask  R)  af  brynjor  48*^,  fee  opt  svikvenn  52'^'',  gopom  pat  pakkak 
(ek  pat  pakka  R)  53  ^'\  sea  pat  md'ttak  54*",  takep  er  Hggna  55^% 
skerep  ör  hjarta.  55  ^",  skolop  pess  ggrver  55  ^^,  tgkom  ver  Hjnlla  57  "^^y 
dgo  pd  dgrer  63 1",  fegenn  est(u)  Atle  65^",  lagat  vas  drykkjo  71^^, 
maga  hefr  {pu)  plnna  11  ^"^^  nnfotn  af  storom  88^^,  hgfom  gll  skar- 
pan  96'-^ 

Anm.  Nebenhebung  im  2.  f.usse  ist  auf  eigennamen  von  der  form  -^^ 
beschränkt  (7  belege):  glgp  vas  auk  Glaumi-gr  G^b^  gcettesk  pess  Glaumvgr  202a, 
gtol  vas  pd  Gtipnin  43  ^a,  yödde  okr  Grimhildr  68  3a,  krrypp  vas  pd  Guprtln  70  3a, 
li'/gr  pü  fiH,  Guprün  961''',  g^rptu  nn  Gupm'm  96  3a. 

19.  VerSchleifungen  sind  nicht  häufig.  Auflösung  der 
1.  hebung  kommt  12mal  voi*:  koma  i  ngft  hingat  25'^,  hugat  vas 
pv'i  illa  27*^,  gtol  vas  pd  {ruprun  43^",  bera  varp  pann  sipan  ^1^^, 
bryte  vas  hann  Atla  57"',  Ufera  svd  lengehl'^'^,  mane  monk  pik  hugga 
66^",    bana   mont   mer   bröpra  68*",  glapa  nion  {pik)  minzt  Atle  lo'^^t 

12* 


162  (lERING 

vile  mer  enn  vd're  81^",  vegenn  las  pä  Alle  84^",  Ufa  mon  pat  epter 
99^";  auflösung  der  binnen  Senkung  llmal:  dreifpe  (kann)  oss  qU 
blope  18''^'',  IHoat  heldr  segjask  (es  liegt  jedoch  nahe,  letot  zu  schreiben) 
28  ^^'j  md'lte  hon  vip  Vinga  (das  pron.  haben  die  neueren  heraiisgeber 
gestrichen)  29-'',  bragps  skolop[f'r]  h{>ggner  36'*',  hofpu  pat  fram  sjal- 
dan  (die  neueren  herausgeber  schreiben  ha f  pat)  37^^,  helta  in  lengr 
riime  58  ^''j  heym  d  pä  skr&kton  60*'',  he'p'pa  kann  svd  kunne  (das  pron. 
wird  von  den  neueren  herausgebern  getilgt)  61  *",  ä  mono  pfr  iprar 
65'-'',  Igst  vgromJx  pess  lenge  73-'',  hgggja  d  pgrf  hverja  97  *■';  auflösung 
der  nebenhebung  2mal:  hehnan  goresk  (pii)  H(jgne  IP'S  sitopalt 
monop  ganga  14^", 

20.  Überladung  der  b  i  n  n  e  n  s  e  n  k  u  n  g  ist  immer  durch 
Streichung  überflüssiger  Wörter  zu  beseitigen  (7  fälle):  dreifpe  {kann) 
oss  gll  blöpe  18  ^'',  ilt  mont  (mondu  R)  per  lengja  37*'',  iQfkr  mon  {kann) 
d'  heitenn  57*'',  stt'  {hann)  6f  pd  bdpa  64^'',  mint  hefr  {pi'i)  per  hollra 
64^'',  glapa  mon  {pik)  minst  Alle  Ib^'^,  drygpak  {per)  svd  drgkkjo  77*-''; 
ebenso  Überladung  der  nebenhebung  (10  fälle):  rünar  nam  {at) 
r'tsta  4'",  g<Ha  varp  {hon)  tungo  9^'\  heiman  goresk  {pä)  H<jgne  11'", 
n0kpan  tök  {hon)  md'ke  46^",  bröpor  hjö  {hon)  Atla  47'-",  maga  hefr 
{pü)  p'inna  11 '^'^^  etke  rett{ii)  leifa  78^^,  barna  ve/zf{u)  p'inna  79^", 
dylja  monk  {pik)  eige  86^%  sv&ro  lezt{u)  p'ma  90*". 

21.  Auftakt  ist  in  E*-versen  so  selten  überliefert,  dass  es  rät- 
lich scheint,  ihn  zu  beseitigen:  {ok)  fagnape  komnom  4:4:'^^,  {ok)  skolop 
p6  her  komner  45^^,  {ok)  kcadde  pd  bdpa  6'-'',  {ok)  mgrper  til  hnossa 
53  ^^  {ok)  hyldep  mep  kn',fe  55 1^,  {ok)  lagpe  vip  stokke  12'^. 

22.  Dass  in  den  Am  auch  eine  beträchtliche  zahl  von  schw di- 
versen vorkommen,  ist  nicht  zu  leugnen.  Sichere  AA  {sx\  j.x\^j.x) 
sind  die  folgenden:  IqUo  dvalt  Ijosar  28^",  barna  p'mna  blöpe  80 2", 
vilder  dvalt  vd'gja  95^'"';  dazu  ferner  bld'Jo  hugpak  p'ma  15'",  blöpgan 
hiigpak  mwke  22 1"  (in  beiden  versen  ist  es  nicht  nötig,  hugpak  durch 
sdk  zu  ersetzen';  und  cesn  mon  pat  fyr  nekkce  (verschleifung  der 
1,  hebung)  24*''.  Wahrscheinlich  gehört  auch  21'"  hierher:  gorcan 
hugpak  per  galga,  wo  entweder  per  zu  streichen  oder  !<dk  statt  hugpak 
zu  schreiben  ist. 

23.  CA  (xjL  Ux|j.xj  ist  durch  2  verse  vertreten:  at  endhjngo  Jiüse 
18"'  (=  24'")  und  es  lipr  pinn  d't-e  86''\  Ein  DA  (^Ux|^x)  ist  92'": 
skii^e  hvert  rdrt  styrpe  (verschleifung  der  1.  hebung);  ein  CB  (xzUjxj.) 
49*":  ok  Qudurpan  dag  (von  Sievers  in  den  'Proben'  wohl  nur  ver- 
sehentlich als  B  bezeichnet,  während  er  es  Altgerm,  metrik  §  50,  1 
als  aE  erklärt).    Ich  habe  die  langzeile,  die  auch  Leonhardt  als  iuter- 


ZUR   EDDAMETRIK  163 

poliert  ansieht,  als  unecht  eingeklammert,  wie  ich  jetzt  glaube  mit 
unrecht,  da  auch  der  viersilbige  1.  halbvers  sich  ohne  mühe  vervoll- 
ständigen lässt  {('Mo  ggroolla):  eher  wird  die  3.  zeile  mit  dem  auf- 
fälligen endreime  auszuschalten  sein  (s.  unten  §  33). 

24.  Von  den  C-versen  ist  AC ■{±x\±\±^)  nur  durch  einen  beleg 
bezeugt :  peire  vas  vip  hrugpet  (verschleifung  der  binnensenkung)  48  ^^. 
Besonders  häufig  ist  dagegen  der  typus  BC  (x  ^  i  x  ^  ,  .ü  x)  (39  beispiele) : 
es  vpro  sannrdj'ner  1  ***,  af  hragpe  hop  sende  2  *'*,  at  kuiime  brdit  mägar 
2**^,  um  ßöite  ftdldrulket  8'^^',  es  shjlde  vilt  rlsta  12^'*,  at  segja  naup- 
mamie  22 -^  sein  henne  veri  p.'Me  29^**,  at  firra  ypr  Ufe  40-^,  ef  Jigf- 
pop  dpr  rdpet  41"^^,  at  letja  t/kr  heiman  45^^,  ok  nipja  fjgr  varpe 
46 ^'',  t  heljo  pann  ]iafp>e  47^^,  es  uuno  bgrn  Gjnka  AB'^^,  unz  mipjan 
dag  l'/dde  49^'',  siz  kcamt  i  hendr  ossär  52^^,  es  skijlde  vdss  gj'alda 
58^^,  at  drna  dnaupgom  60^*,  at  fremja  leik  pennaßO^^,  es  kunno 
gorst  heyra  62^^,  ne  vinna  pess  etke  QS^^,  at  erfa  br0p)r  sina  71^'', 
vip  svQrfon  ofinikla  71*'',  at  lyfjft  ykr  eile  73'-^,  es  gorua  svd  mdtter 
80^'',  at  bipja  phi  Gupjrün  (man  beachte  die  durch  den  eigennamen 
veranlasste  nebenhebung  auf  der  schlussilbe !)  87  ^''j  at  koma  l  hüs 
Atla  (verschleifung  der  1.  hebung)  94^'',  at  verja  pitt  llke  97^^. 

25.  Für  CC  (xiUjzx)  sind  7  belege  zu  buchen:  ok  et  sama 
sunom  Gji'ika  (verschleifung  der  eingangssenkung  und  der  beiden  ersten 
hebungen)  l*'',  at  munem  skammceer  (verschleifung  der  1.  hebung)  26*'', 
at  l  sundr  hruto  baiigar  (verschleifung  der  eingangssenkung  und  der 
2.  hebung)  43^^,  es  vdtt  bröpy  mina  75*'',  ok  barep  dpr  grjöte  (ver- 
schleifung der  1.  hebung)  82^'',  en  sumo  sunr  Hggna  (verschleifung 
der  1.  hebung)  86 -^'^  EC  (zjlx  u  i'^x)  kommt  2mal  vor:  bjgrn  hvgpak 
inn  komenn  16  ^'\  gm  hugp)ak  inn  fljüga  18^''.  Endlich  ist  auch  noch 
ein   DD*   (^  u  x  |  ^  i,  x)   zu   notieren :   skgp  öxo   {öxto  R)  skjgldunga  2  ^'^. 

Anm.  Nach  der  Überlieferung  wäre  auch  483a  ein  DD,  aber  die  ganze  laug- 
zeile  {srd  kvppo  Xiflunga  |  mepan  sjalfer  lifpo)  ist  ohne  zweifei  verderbt ;  ich  schrieb : 
Uniflunj/a  kr^po  \  mejjan  heiler  lifpo  (E*l  +  aA). 

26.  Die  wenigen  viersilbler,  die  in  dem  liede  sich  finden, 
sind  gewiss  sämtlich  verstümmelt  beziehungsweise  fehlerhaft  überliefert. 
31"'  ok  sigr  drnep  und  59^''  dpr  ods  kende  können  einfach  durch  die 
einsetzung  der  partikel  of  vor  dem  verbam  zu  regelmässigen  aA  ver- 
vollständigt werden  (vgl.  1^7*);  30 ''"'  sor  pd  Vinge  ist  das  starke 
Präteritum  durch  die  schwache  nebenfoim  svarp)e  zu,  ersetzen;  81'* 
greipt  glöp  storan  ist  hinter  dem  part.  das  verbum  hefr  ausgefallen ; 
35*''  pats  (}ii  vwre  ist  der  von  Sijmons  eingesetzte  compar.  beir  (der 
jedoch  besser  hinter  qh  seine  stelle  findet)  gar  nicht  zu  entbehren  (die 


164  CKKING 

ergänzung  ergibt  allerdings  den  sonst  nicht  vorkommenden  typ  aA21); 
49'*"  Otto  alla  wird  das  simplex  durch  das  von  dem  dichter  zweimal 
(30*  43*)  gebrauchte  kompositum  {(jQrvalla)  zu  ersetzen  sein  (§23); 
43'^"  h(}tt  fijr  IioUo  ist  mit  .Sijmons  hvater  statt  h(}tt  zu  schreiben  und 
hinter  hoUo  stark  zu  interpungiereu;  61^''  hlö  pä  Hgyne  hat  der  eigen- 
name  vermutlich  ein  dreisilbiges  appellativum  {herstiller?)  verdrängt. 
Auch  die  beiden  zu  einer  laugzeile  verbundenen  viersilbler  84*:  sunr 
vc'i  H^gna  \  ok  -yQ/f  Gußriin  sind  schwerlich,  wie  Sijmons  meinte,  aus 
einem  älteren  liede  herübergenommen :  Finnur  Jonsson  änderte  an- 
sprechend: sunr  V('(  hann  lloytia  \  sj{>lf  olle  Gupnin. 

27.  Die  natürliche  beton ung  ist  nur  selten  verletzt.  l*ist 
die  hebung  auf  die  copula  gelegt  {es  v(}ro  sannrdpner);  dagegen  ist  24* 
vesa  mon  pat  fyr  nekkce  der  starke  ictus  auf  dem  verbum  nicht  zu 
beanstanden,  da  diesem  eine  ausgeprägtere  bedeutung  hat  {vesa  fijr  elio 
'etwas  bedeuten').  Sonst  hat  nur  die  alliteration  den  dichter  oft  ver- 
anlasst, Wörtern  einen  ungewöhnlichen  nachdruck  zu  geben  (i^  30), 

27a.  Enjambement  ist  verhältnismässig  selten:  'feste'  bin- 
dung  findet  sich  l'-''  12 3-*  27 ^-^  27'-*  43  i  ^  483.4  494.5  541.2  g]  1.2 
661..  743.4  813.4  961.2  963.4  991.2.  «log^'  1 3. 4  4;i.4  61  2  351.2371.2 
4^3.4  433.4  584.6  QQi.i  QQi.i  ^^ i  \  -  X){q  siuncspause  zwischen  den 
beiden  helmiugar  fehlt  str.  24.  25.  28.  30.  42.  97.  -  Dass  das  lied 
ursprünglich  nur  aus  vi  erzeiligen  Strophen  bestand,  darf  als 
sicher  gelten,  da  in  allen  fünfzeilern  eine  zeile  als  entbehrlich  ge- 
strichen werden  kann  und  Strophen,  die  das  normale  mass  nicht  er- 
reichen, meist  auf  den  ersten  blick  als  verstümmelt  erkennbar  sind, 
was  in  mehreren  fällen  die  V9lsungasaga,  die  einen  vollständigeren 
text  paraphrasiert  hat,  bestätigt. 

27b.  Von  den  typen-combinationen  ist  in  Am  E*  -  E*  die 
häufigste (56) ;  es  folgen  E*  +  aA  (42),  D*  +  E*  (41),  E*  +  D*  (39)  E*  ^  C* 
(30),  D*  +  D*  (24),  D*  +  aA  (22),  D*  +  C*  (22),  C*  +  E*  (16),  C*  +  aA 
(14),  E*  -r  BC  (12),  C*  +  D*  (10),  C*  +  C*  (7),  D*  +  BC  (7),  aA  +  aA 
(3),  AA  +  E'^  (3),  C*  +  BC  (3),  D'^  +  CC  (3),  BC  +  C*  (2),  E*  +  CC  (2), 
EC  +  CA  (2).  Nur  je  einmal  belegt  sind :  AA  +  aA,  AA  -r  BC,  AA  +  D*, 
BC  +  BC,  BC  +  E*,  C*  +  AA,  CC  +  BC,  CC  +  C*  D*  +  AA,  D*  +  CA, 
D*  +  CB,  DD  +  aA,  DD*  +  E*,  E*  +  AC,  E*  +  DA,  EC  +  E*. 

2.  Alliteration  und  reim. 

28.  Doppelalliteration  in  der  1.  vershälfte  ist  für  aA  (das 
bis  auf  3  fälle  auf  die  zweite  halbzeile  beschränkt  ist:  §  1)  einmal 
bezeugt:  mepan  bjnd  Jjau  l(}go  90 2".    In  C*  und  D*  ist  doppelalliteration 


ZUR   EDDAMETUIK  165 

die  regel:  in  C*  haben  von  den  51  a-versen  nur  4  einfache  stabung 
<23'^^  36*»  50  3a  901=*),  in  D*  von  122  a-versen  nur  8  (24-^^  S2^^  34  ^^ 
49  Sa  51  la  51 4a  561a  731a.  j^zu  noch  -  falls  meine  konjektur  utto 
gQrvalla  richtig-  ist  -  49-").  In  E*  halten  sich  verse  mit  doppelter 
und  einfacher  stabung  ungefähr  die  wage:  von  den  52  a-versen  in 
E*l  haben  24  nur  einen  stab,  in  E*2  von  132  a-versen  Gl.  Dass 
von  diesen  85  einstabigen  versen  nicht  weniger  als  29  einen  eigen- 
namen  enthalten,  ist  gewiss  kein  zufall.  -  Was  die  sehwellverse 
anbetrifft,  so  haben  von  5  AA-versen  4  doppelalliteration  (auf  der 
1.  und  5.  Silbe):  21^'  2%^="  SO^^^  95 3''^;  von  5  BC-versen  wiederum  4 
(auf  der  2.  und  4.  silbe  2*»  50**  60  2%  auf  der  2.  und  5.  silbe  47  ^'^)-, 
von  den  2  CC-versen  einer  (auf  der  2.  und  3.  silbe,  1  *^).  Endlich 
iiat  auch  der  einzige  DD*-vers  (2^'')  Stabreim  auf  der  1.  und  4.  silbe. 

Anm.  Die  einfache  alliteration  in  dem  auffallenden  verse  32 1'* :  HQgne  sra- 
rape  (§  11)  verstärkt  den  verdacht  fehlerhafter  Überlieferung. 

29.T)ass  in  dem  1.  halbverse  der  Stabreim  auf  die  2.  hebung 
.beschränkt  ist,  kommt  nur  in  E*2  ein  paarmal  vor:  furo  pä  s'ipon 
I  {sendimenn  Atla)  4  ^,  töko  peir  förner  \  {es  l)ehn  fr'ipr  sende)  5^,  md'lte 
(hön)  vip  Vinga  \  {sein  henne  vert  px'jtte)  29  '^,  takep  er  H^gna  \  {ok 
hyldep)  wep  knift)  55  ^  if)kom  ver  Hjalla  \  {en  H<jgna  forpjom)  57  ^. 

30.  In  der  alliterationstechnik  erweist  sich  der  dichter  der  Am 
im  übrigen  als  ein  stümper,  da  er  sehr  oft  den  Stabreim  auf  Wörter 
legt,  die  schlechterdings  nicht  hervorgehoben  werden  durften.  Besonders 
häufig  sind  hilfsverba^  träger  desselben:  hugpo  vdir  vela  \  es  {peir) 
vpro  komiier  5'^,  rgknopo  velboren  \  vas  Jjar  sams  dorne  20^,  vwre 
vertbünor  \  vilde  pik  kjösa  25^,  vcirr  at  vettuge  \  es  varp  at  reyna  37  ^, 
mc'elte  af  manvite  |  ef  mundo  sd'itask  45 '^  skerepj  6r  hjarta  \  skolop 
pess  ggrver  55 '^  hei  ek  per  hgrpo  \  hefk  pik  nü  mintan  76^,  vegenn 
vas  pä  Alle  \  vas  pess  skamt  hipa  84^,  vapet  he  fr  at  v'ige  \  pjot  vd'ret 
skaplegt  86*,  varp)a  v<}n  lijge  \  es  vir  of  reyndom  87  \  gröftu  Sfä 
under  \  g0rpet  ('did  not')  hlut  piggja  90^;  öfter  auch  andere  bedeu- 
tungsschwache Zeitwörter:  ggrvati  hugpak  per  galga  \  genge  r  at  hanga 
21  ^,  rakkar  p)ar  rinna  \  rdpask  mjgk  geyja  23  \  krgpp  vas  p)d  Guprün  j 
kunne  of  hug  mdia  10'\  hausa  veizt  p)eira  \  hafpa  at  Qhk(}lom  11^, 
Igtomk  pvl  valda  \  es  üpr  plna  dwe  86^,  leyfp  vastu  ekkja  \leto 
störräpa  87  2,  bgrposk  bröpr  imger  \  börosk  rög  mille  91^,  vggom  6r 
sköge  \  panns  vildom  syknan  93^,  Mute  hväregra  \  hgfoni  oll  skarpa}i 

1)  Fälle,  in  denen  diese  verba  eine  i)rägnantere  bedeutung-  haben,  sind  nicht 
mitgerechnet:  hrat  pd  varp  vifre  'was  ihr  zustiess'  12^,  rerpa  (man)  Ott  snimma 
"•'wird  eintreten'  17 '. 


166  GBRIN« 

96*;  zuweilen  endlich  personal-  und  possessiv-pronomina 
ohne  rhetorischen  naehdruck:  sf/n  cas  svipc'fse  j  <f  J>eir  sin  g(t'J>e  7-, 
t!(igj>e  horsk  hilme  \  J>eyars  hun  rep  vakna  10^,  scarpe  pd  Vinye  \  ser 
rep  litt  eira  30',  sen  pat  nuHtak  \  at  ser  ne  ynpet  54*,  syn  cas  soip-^ 
eise  I  ef  kann  sin  g<ipe  70*,  settom  pann  sdian  \  es  ser  ne  ättet  93^; 
Sdiny  furo  slpan  \  sina  pau  Hgyne  10 \  alt  vns  itarlekt  \  of  örar 
ferPer  88  ^  Gegen  die  regel  verstösst  es  auch,  dass  3mal  das  1.  nomen 
des  Verses  an  der  alliteration  nicht  teilnimmt:  orp  kvap  hitt  Hgyne  j 
huyPe  litt  vdgja  37^  (vgl.  dagegen  35*:  orp  kvap  pä  Vinye  \  pats  gn 
beir  vtere),  skgmm  nion  rö  reipe  \  ef  reyner  ggrca  73*,  strängt  vas 
anyr  unyre  \  ekkjo  nofn  hljöia  (lies:  vas  anyr  strängt  nngre?)  .94'^^ 
Anders  zu  beurteilen  sind  22^:  ilt  es  svefa  slikan  \  at  segja  naiipmanne 
und  86°:  ilt  es  ein  cela  \  panns  per  vel  triier  (vgl.  Ark.  40,  198  §  24). 
Fehlerhaft  ist  es  ferner,  dass  das  dem  nomen  folgende  pronomen  alli- 
teriert, jenes  aber  keinen  Stabreim  bildet:  hygyja  d  pQrf  hrerja  \  seni 
Vit  hall  cdrem  (lies:  d  hverja  p(^rf  hyyyja?)  97*.  Unge^hickt  ist 
endlich  die  Wiederholung  des  Zeitworts  56*:  rgskr  monk  per  reynask  \ 
reynt  hefk  fyrr  hrattan.. 

Anm.  Einmal  nimmt,  wie  es  scheint,  auch  die  nebenhebung  eines  E-verses 
an  der  alliteration  teil,  was  sonst  nicht  üblich  ist:  tre  tekr  at  hniga  \  ef  hbggr  tpg 
iindan  69^  —  oder  liegt  hier  ein  schwell vers  DA  vor? 

31.  Gekreuzte  alliteration  findet  sich  4mal:  svd  cas  d  visat  \ 
seni  under  cdre  12  ^  spyrep  litt  epter  |  spilla  (Hlak  hQponi  73',  pd  he  fr 
pu  drnat  \  pats  pd  d-  beiddesb  82^,  ndr  rarp  pd  Atle,  \  nipjom  strip 
0xfe  98  \ 

32.  Hypertrophische  alliteration,  die  ömal  vorkommt,  ist 
kaum  beabsichtigt:  8^  b/)ro  tnjgp  md'rer  \  margs  vas  a'z  deine  ist  also 
schwerlich  eine  nebenalliteration  (bgro:  beine)  anzunehmen,  ebenso- 
wenig 12':  eitt  ek  niest  undromk  \  mdkat  enn  hygyja  {mest:  mdkat), 
69  ^  Ire  tekr  at  hniga  \  ef  hoggr  tpg  undan  {hniga :  hoggr),  87  *  förtu 
heim  hinyat  \  fylgpe  oss  herr  manna  (förtu:  fylgpe),  98*  urpo  dcgl 
dvgra  \  dö  [hön)  i  sinn  annat  {urpo:  annai). 

33.  Der  einzige  endreim  des  liedes:  flöpe  cgllr  bldpe  49^^  kann 
•kaum  als  lautmalerei  betrachtet  werden  und  wirkt  daher  störend.    Er 

vermehrt  den  verdacht,  dass  die  überschüssige  langzeile  interpoliert 
ist  (§  23). 

V.  Hamlt^smol. 

(212  halbzeilen.) 
Dass   die   Hm   nicht   das    einheitliche   werk   eines  dichters  sind, 
liegt   auf  der   band.     Dem  ersten  aufzeichner  waren  nur  noch  bruch- 


ZUR   EDDAMETRIK  167 

stücke  verschiedener  lieder  bekannt  (darunter  fragmente  eines  sehr* 
alten  liedes  vom  untergange  Hamf)ers  und  S9rles,  das  malahättr  und 
Schwellverse  mischte,  und  eines  jüngeren  gedichtes  im  fornyr|)islag, 
das  denselben  stoff  behandelte,  sowie  wohl  auch  einzelne  Strophen 
einer  Gu|)rünarhv9t  in  dem  letzteren  metrum),  die  er,  so  gut  es  gehen 
wollte,  miteinander  zu  verbinden  und  chronologisch  zu  ordnen  ver- 
suchte. Die  kontamination  ist  unentwirrbar,  da  nicht  nur  mälahattr- 
und  fornyr{)islag-strophen  nebeneinander  stehen,  sondern  auch  inner- 
halb einer  Strophe  und  sogar  innerhalb  einer  langzeile  die  beiden 
metra  abwechseln.  Als  jüngste  Interpolationen  werden  der  aus  drei- 
silblern  bestehende  helmingr  2^-^  und  die  lj6{)ahättr-strophe  29  zu 
betrachten  sein. 

Unter  diesen  umständen  müssen  die  beiden  metra:  fornyrjiislag 
(nebst  dreisilbler)  und  malahättr  (nebst  schwellvers)  gesondert  behan- 
delt werden. 

A.  Fornyr{)islag  und  dreisilbler. 
1.  Versbau. 

1.  Von  den  117  halbversen,  die  wir  dem  'alten  metrum'  zuweisen 
müssen,  fallen  59  (50,4%)  auf  den  typus  A. 

Nebenhebung  im  1.  fusse  vor  nachfolgender  länge  (A2I) 
rindet  sich  3mal:  fiillting  frihidom  13^*,  mcefingr  mcHte  22 -'^,  vargtre 
vindkgld  (hier  nebenhebung  in  beiden  füssen)  17 2-';  vor  nachfol- 
gender kürze  (A2k)  4mal:  hornung  vesa  14*'',  Jönakrs  simo  26*'', 
BqU  rgp  koma  27^^,  svalt  pä  Sigurpr  7^^  (einziger  beleg  für  den  vers- 
ausgang  ^jl).  Ausserdem  ist  nebenhebung  im  2.  fusse  noch  4mal 
bezeugt:  hitt  kvap  pä  Hamper  ö^""  (=  25^*  27^''),  hve  mon  Jarpskamr 
12*%  tri/tte  (('  tvQno  hvot  17*'*  (vermutlich  verderbt,  s.  §  2  anm.),  hitt 
kvap  pä  hröprglgp  22^^. 

2.  V  er  Schleifung  der  1.  hebung  begegnet  nur  3mal:  joom 
of  tradde  3"^'\  vopen  at  vllja  4^-',  lipo  pä  imger  IP".  Weit  häufiger 
ist  die  verschleifung  der  binnensenkung  (18  belege):  hvHom 
ok  svQrtom  3^'*,  fallen  at  fnhidom  4^^,  etiler  es  prunget  5-'',  saztu  ä 
hfpjom  6*",  hokr  vgro  plnar  7^'^,  saztu  of  daupoin  7^*^,  vilka  {vilkat  ek 
Rj  vip  möpor  9^%  gengo  6r  garpe  IP'',  ggrver  at  eiskra  11 '%  fundo 
ä  stnHe  12  ^"'^  drögo  (peir)  6r  skipe  15  ^'",  säran  d  meipe  17"^'',  glaumr 
vas  i  hgllo  18^*,  segger  und  hJQlmom  19  2'',  riker'o  komner  19  ^'\  grgtep 
i/'r)  ä  gumna  26^*. 

Anm.  In  dem  verse  Yl^^:  tr//tte  (e  tt-Quo  hvot  ist  sowohl  die  binnen- 
senkung als  auch  (was  sonst  streng  verpönt  ist)  die  2.  heb  ung  verschleift.    Dieser 


168  GERING 

umstand   bestätigt   die  Vermutung,   dass   diese   schwer  verständlichen   worte   nicht 
richtig  überliefert  sind. 

3.  Überladene  bin nensenkung  lässt  sich  öfter  durch  tilguug 
entbehrlicher  Wörter  beseitigen :  vllka  {vilkat  ek  R)  vip  mußor  9  '^''\  •  drögo 
{ßeir)6r  sk/pe  15^",  s&U  \  {ek)  pa  pöttomk  21  ^%  grytej)  (er)  ä  gumna  26-*''. 
In  den  beiden  versen :  hitt  kcop  pa  Hamper  6  ^*  (=  25  ^*  27  ^'')  und 
hitt  kvap  pü  hröprghjp  22  '■'  wurden  die  beiden  zusammenstossenden  / 
gewiss  nur  einmal  artikuliert.  (Ark.  40, 13  §  5  a).  Die  zweisilbige  Senkung 
in  dem  verse  23^"^  binda  epa  her  ja  ist  wenig  störend,  erträglich  auch 
10'**  siijom  her  feiger  (a  in<jrom  ist  sicher  Interpolation). 

4.  In  der  langzeile  5  ^  Ufep  einer  er  \  pätta  d'ttar  minnnr  ist  das 
«rste  nomen  der  2.  vershälfte,  weil  es  am  Stabreime  nicht  teilnimmt 
und  überdies  völlig  entbehrlich  ist,  sicher  zu  streichen,  wodurch  ein 
normaler  A-vers  gewonnen  wird. 

5.  Verse  mit  auftakt  sind  unten  §  18  unter  den  fünfsilblern 
behandelt. 

6.  Typus  B  ist  nur  schwach  vertreten  (9  kurzzeilen  =  7,6"/o). 
Normalverse  ohne  verschleifung  begegnen  5mal:  siis  Jgrmonrekr  3  2", 
ilt's  hlaiipom  hol  (vgl.  unten  §  17)  14  ^'^,  ok  systormn^  17--'*,  t  hörn 
of  paut  18^'',  en  Hcimper  hne  31 2",  dazu  auch  14'^'''  es  mdr  of  Uk, 
wo  die  relativpartikel  mit  recht  von  Sijmons  ergänzt  wurde.  Ver- 
schleifung der  eingangssenkung  kommt  2mal  vor:  Ufep  einer 
er  5^%  kvepa  harpan  mjgk  14**  (das  überlieferte  ki-r}po  ist  sicher  un- 
richtig, da  nur  das  Sprichwort  ('bastarde  pflegen  tapfere  leute  zu  sein'j 
einen  guten  sinn  gibt'. 

Anm.  Ob  der  vers  23  ^^  at  hli/pege  mi/ne  hier  einzuordnen  ist,  erscheint 
höchst  fraglich.  Die  doppelte  Singularität  (verschleifung  der  binnensenkung 
•und  der  Schlusshebung)  macht  es  sehr  wahrscheinlich,  dass  eine  Verderbnis 
vorliegt.  Sicher  aber  dürfte  11 3'*  hierher  zu  stellen  sein,  wo  of  lirer/  fjfßl  statt 
lireg  fjrjll  i/fer  zu  lesen  ist  (§  26). 

7.  Die  zahl  der  C-verse  beträgt  30  (25,6  "/o).  Von  ihnen  haben 
7  die  2.  hebung  auf  kurzer  silbe  (C  2):  en  glgstQmo^  1-'',  a  hervege 

1)  Wisen  wollte  systor  stjüpson  schreiben.  Aber  wenn  man  es  für  wahr- 
scheinlich hält,  dass  der  dichter  das  verwandtschaftliche  Verhältnis  zwischen  Svan- 
hildr  und  Randver  genau  angegeben  habe,  würde  es  genügen,  stin  durch  stjäp  zu 
ersetzen,  um  nicht  unnötigerweise  einen  fünfsilbler  mit  einem  regelmässigen  A-verse 
zu  verkoppeln. 

2)  Boer  entscheidet  sich  im  entgegengesetzten  sinne,  ich  biu  also  völlig 
sicher,  das  richtige  getroffen  zu  haben. 

3)  Die  überlieferte  langzeile  ist  jedoch  kaum  möglich;  ich  schrieb  in  der 
Handausgabe:  at  </l//.<itnmo  \  gräte  alj'a  (d.  i.  at  niorne). 


ZUR   EDDAMETRIK  169 

3^^,  ne  lioldyyoen  13*^,  a  mars  bake  14"^'',  i  goßcefe'^  16 '''\  sem  bjgni 
hnjte  26  *^  at  hüsbake  31 -^ 

8.  Verschleifiing  der  eingangssenkung  ist  4mal  bezeugt: 
eiiar  blähv'ito  7^'',  smuyo  göpborner'^  16-^,  ef  eh  sea  kndttak  (das  über- 
flüssige ek  wurde  von  Sijmons  gestrichen)  21^'',  es  (es  vit  R)  d  braut 
vQyom  28'^''.  Etwas  häufiger  ist  die  auflösung  der  1.  hebung 
(8  belege):  enn  hugomstöre  Q^^,  en  banar  hlögo  6*^,  ok  bure  sväsa  10^'', 
ok  Hl  gota  etke  18"-",  ef  {ek)  sea  knd'ttak  21^'',  mej>  boga  strengjom 
21^^,  enn  regenhmnge  26^"^,  at  salar  gafle  31  ^'\ 

9.  Überladung  der  eingangssenkung  lässt  sich  2mal  durch 
Streichung  entbehrlicher  Wörter  beseitigen:  es  {p\l  pami)  belg  legster 
27-^,  es  (vit)  d  braut  vögoin  28  ^^  In  einem  dritten  falle  werden  die 
beiden  schwach  betonten  wörtchen  der  eingangssenkung  beizubehalten 
sein:  ok  tll  gota  etke  18 2". 

Anra.  Ein  C-vers  war  ursprünglich  wohl  auch  23  3b:  [  horg  enne  hfjvo  (lies: 
/  bofg  JiQvo  oder  /  borg  hgre). 

10.  Von  den  7  D-versen  (5,9 ''/o)  sind  3  normale  Dl:  störbygg- 
püttan  12 ^^  okr  fiiUtlngja  12**^,  hQnd  annarre  13*''.  Verschleif ung 
der  1.  hebung  findet  sich  3mal:  grgom  gangigmom  (Dlnk)  3*'\  mgrotn 
hunlenzkom  (Dl)  11*'\  haier  glreifer  18^''  {haier  ist  natürlich  in  gmnar 
zu  ändern,  da  das  am  eingange  der  1.  halbzeile  stehende  nomeu 
—  glaiimr  -  an  der  alliteration  teilnehmen  muss).  Der  7.  vers  ist  pjop- 
konnnga  5-^  (Dl  mit  2.  hebung  auf  kurzer  silbe):  das  in  der  hs.  dem 
compositum  voraufgehende  ykr  ist  ohne  zweifei  zu  streichen. 

11.  Normale  4silbige  E-verse  kommen  nicht  vor. 

12.  Von  den  12  d r eis ilb lern  (10,5*^/0)  gehören  10  zu  dem 
typus  F2:  sprutto  d  tae  1  ^'\  vasa  pat  nu  2'^^,  ne  '/  gwr  2^'',  pat  hcfr 
langt  2'^-',  GJiika  boren  2^^,  hvat  mege  fötr  13^%  pd  koap  pat  Erpr  14 ^•■* 
(vgl.  oben  §  3),  sköko  lopa  16^%  röpep  {er)  of  rdp  19^*,  vel  hgfom 
(vit)  veget  30^''.  Fl  und  F3  sind  nur  durch  je  einen  beleg  vertreten: 
lipet  stpan  2-'';  es  Siyorp  peir  (oder  plnn?)  Q'^'^  (die  hs.  kürzt  ab: 
[er  p.  siy.]).  ^  Ver  s  ch  1  eif  u  n  g  der  1.  silbe  findet  sich  2mal 
(21^^  2-'^),  verschleifung  der  2.  silbe  4mal  (O--^  13 ^^^  W"  19  ^'O.  ver- 
Schleifung der  3.  silbe  2mal  (2^''  16^-').  2.  und  3.  silbe  sind  2mal 
aufgelöst  (1 1"  30  ^'^).  Streichungen  überflüssiger  worte  mussten  2mal 
vorgenommen  werden  (19^"  30  ^'■'). 

1)  Ich  lese  mit  Niedner:  smugo  göpbonier  \  /  gopvefe  (ok  göpb.  smugo  i  gopv.  R). 
Das  C*  in  der  2.  vershälfte  ist  hier  unwahrscheinlich. 


\ 


170  GERING 

13.  Verstösse  gegen  die  natürliche  betonung  kommen  kaum  vor, 
2  ^"  vasa  pat  ml  ruht  die  hebung  auf  dem  verbum  substantivum,  das 
jedoch  durch  die  negierung  an  gewicht  gewonnen  hat. 

2.  Alliteration  und  reim. 

14.  Doppelalliteration  in  der  1.  halbzeile  ist  für  A,  B^ 
D  und  F  bezeugt;  in  A  findet  sie  sich  4^'^  4 3«  6'='  (=251''  27'")  7^'^ 
IP"  132»  153»  173^^  17  ^-^  22 1^  222*  23^"  26'^'*  26^''  26*";  in  B  nur 
2mal:  5'*  31 2*;  in  D  nur  einmal  {gr<^om  gangigmom  3*");  in  F  2mal: 
19-^"  30^''.  -  Gekreuzte  alliteration  (ab  |  ab)  findet  sich  nur  einmal: 
mgrom  hünlenzkom  \  morps  at  lief  na  11*.  Der  vers  5*:  epter  es  ßninget  \ 
yh-  pjöpkonunga  zählt  nicht  mit,  da  das  pronomen  ohne  zweifei  ge- 
strichen werden  muss. 

15.  Mehrmals  ist  in  A  der  Stabreim  in  der  1.  halbzeile  auf 
die  2.  hebung  beschränkt:  1^"  5^"  6*"  9'^"  11-^"  12 1«  12*"  15i"23i^ 
31 1\  Fehlerhaft  ist  es,  dass  einmal  auch  in  der  2.  vershälfte  der 
Stabreim  (also  der  hauptstab)  auf  der  2.  hebung  ruht:  hitt  kvaj>  pä 
hröprglgp  \  stöp  of  Jilepom  22  ^. 

16.  Auch  in  F  trägt  5mal  die  schlussilbe  der  1.  halbzeile 
allein  einen  stabreiin:  sjynitto  d  tae  \  (tregnar  /per)  1*,  vasa  pat  iiii\ 
(ue  i  gwr)  2  \  pat  hefr  langt  \  {lipet  s'iparh)  2'^,  hvat  mege  fötr  \  {föte 
veita)  13^*,  pd  kvap  pat  Erpr  (  {eino  sinne)  14  ^ 

17.  Dass  in  dem  verse  18 1;  Glaumr  ras  i  hßXo  \  haier  glreifer 
das  au  der  spitze  stehende  Substantiv  an  der  alliteration  nicht  teil- 
nimmt, ist  gewiss  nur  ein  fehler  der  Überlieferung,  der  durch  eine 
leichte  änderung  (gumar  statt  haier)  beseitigt  werden  kann.  Dagegen 
darf  14^:  ilt's  blaupom  hal  \  hranter  henna  nicht  geändert  werden, 
s.  Ark.  40,  198  §  24.  Ein  Ungeschick  des  dichters  ist  es  aber,  dass  IS'"* 
ok  tu  gota  ethe  \  gorpot  heijra  das  auxiliare  an  stelle  des  vollverbums 
die  alliteration  trägt.    Beabsichtigt  ist  offenbar  die  annomination  fötr: 

ßte  13  s. 

Anm.  ski'pe  sktpelsani  15  *  ist  eine  so  grobe  Ungeschicklichkeit,  dass  wir  sie 
dem  dichter  nicht  zutrauen  können :  ich  habe  daher  skipe  durch  ein  synonym  {sIcqI- 
potk)  ersetzt*. 

1)  Selbst  Boer  meint,  dass  Bugge  das  wiederholte  sk/pe  'wohl  mit  recht'  für 
unrichtig  halte,  er  unterschlägt  aber  natürlich  meine  konjektur. 


ZUR  EDDAMETRIK  171 

B.  Mälahättr  und  schwell v er se. 
1.  Versbau. 

18.  Unter  den  75  malahattr-halbzeilen  finden  sich  15  (d.  i.  20%) 
A-verse  mit  auftakt  (aA),  davon  7  normale  (ohne  verschleifung  und 
nebenhebung) :  se^n  gsp  l  holte  4:^^\  til  moldav  hntga  15*'',  ftjr  m<}ikom 
mgunom  19*'*-,  4^^  S**»  19-"  21-''.  Zweimal  begegnet  nebenhebung 
im  2.  fusse:  es  hvatte  Gvprün  2°'\  hvers  hipr  pü  (nii)  Gvpri'in  9*'*. 
Ver Schleifung  im  auftakt  ist  zweimal  überliefert:  hafep  {er)  mey 
of  tradda  19*'',  megot  tveir  metin  einer  23^*^;  verschleifung  der 
1.  hebung  und  der  binnensenkung  je  einmal:  sem  fiira  at  kviste 
A-^'y  sem  erner  d  kviste  30 '-'^.  Nur  2mal  ist  die  entfernung  überflüssiger 
wörtchen  notwendig (9*'' 19*'',  s.  o.);  einmal  eine  Umstellung:  d  galgafei<ta 
ai***  (die  hs.  gibt  einen  vers  A3  mit  dem  hauptstab  auf  der  2.  hebung: 
festa  d  galga).  Eine  lückenhaft  überlieferte  halbzeile  ist  von  Finnur 
Jönsson  glücklich  ergänzt:  pd  hraiit  vip  [rwser^  \  enn  regenkiinnge  26  ^ 

19.  Ein  vers  B*  (}.x±\x±)  lässt  sich  durch  Umstellung  und  durch 
tilgung  eines  überflüssigen  wertes  herstellen:  let  l  hende  ser  \  {hvarfa 
ker  gollct)  20  ^'-^ .  Die  hs.  bietet  eine  halbzeile,  die  nur  als  schwellvers 
(AA)  mit  alliteration  auf  der  3.  hebung  erklärt  werden  könnte  (let 
hann  Sf'r  '/  hende),  was  zwar  nicht  unmöglich  (vgl.  19^*),  aber  doch 
unwahrscheinlich  ist. 

20.  Der  typus  C*  (^xx^Ux)  ist  durch  10  halbzeilen  (13,4 Vo) 
vertreten,  darunter  7  normale:  pd's  en  kvistskßpa  A*^,  ropnar  valundom 
1'^^,  leidda  ticer  rage  10-'',  sknltu  auk  Gupri'm  \0^^,  IHo  mgg  iingan 
15**,  sd  d  skJQld  hvHan  20^'',  opt  6r  belg  orpgom  27  ^^  Ver  Schlei- 
fungen kommen  nur  in  den  der  1.  hebung  voraufgehenden  eingangs- 
silben  vor:  ßuto  /  vers  dregra  7 2'',  stgtidom  d  val  Gotna  30^''.  Ein 
vers  mit  dreisilbiger  eingangssenkung:  ot  hefna  Svatihildar  2®''  ist 
sehr  bedenklich;  Bugge  konjizierte:  si/stor  at  hefna. 

21.  Typus  D*  (^xUo,x  D*l;  ±x\±x^  D*2)  zählt  20  halbzeilen 
(26,6  ^/o).  Normales  D*l  begegnet  Umal:  komr  of  dag  vartnan  4*'', 
legfa  d<}p  Hggna  6-'';  Gnnnarr  (per)  scd  cilde  7*'',  sverpie  sdrbeiio  8*", 
tiipjja  tidhorna  10--',  fimdo  vdstigo  17  ^'',  skök  hann  skgr  jarpa  20^'"», 
hvarfa  ker  goUet  20*'',  sfukko  glskdler  24^'',  bropra  sammöpjra  25'^'', 
verr  enn  vipfräge  28^";  der  untertypus  D*lnk  nur  einmal:  fdtt  es  {es 

fdtt  R)  fornara  2*".  Verkürzung  der  1.  hebung  (Sievers,  Beitr. 
6,  348;  Proben  s.  47;  Altgerm,  metrik  §  49  anm.  2)  ist  einmal  be- 
zeugt: ofa)i  eggmöpom  30-'';  die  halbzeile  könnte  natürlich  auch  als  ein- 
faches D  (mit  verschleifung  des  1.  fusses,  s.  oben  §  10)  erklärt  werden, 


172  GERING 

da  sie  aber  mit  einem  aA  zu  einem  langverse  verkoppelt  ist,  dürfte 
die  andere  auffassung  wahrscheinlicher  sein.  Ver Schleifung  der 
1.  hebung  kommt  einmal  vor:  gume  enn  giinnhelge  28^',  die  der  2. 
ebenfalls  einmal:  fjarre  mimom  deijja  10*''  und  einmal  auch  ver- 
schleifung  der  Senkung:  hröper  enn  h^pfrokne  28--' (die  hypertrophie 
des  überlieferten  verses  -  hröper  okkarr  enn  iK^pfrökne  -  musste  durch 
tilgung  des  pron.  poss.  beseitigt  werden).  Eine  nebenheb ung  im 
1.  fusse  von  D*l  hat  v.  21^":  göp  bgm  Guprünar.  -  D*2  findet  sich 
nur  3mal :  ykro  higroge  9^'',  hlö  pä  jQrmonrekv  20^'',  <Pster  J^rmon- 
rekr  25  2'\ 

22.  Von  den  29  E*-versen '  (38,6  "/o)  sind  die  folgenden  9  nor- 
males E*l  (jL jLxUx):  Sranhildr  of  helfen  3'^,  einsiop  enik  orpen  4:^^,. 
bropr  gni'ir  pn  plnn  10'^^,  fram  Iggo  brauter  17^%  Hanpe  ok  Sgrla  21-% 
styrr  varp  t  ranne  2A:'^'-\  okkarrar  kvpmo  25 2'',  b(jl  vant  pd  bnper  27 '^'^^. 
dazu  auch  wohl  der  von  Bugge  geänderte  vers  30'^":  göps  fengom 
t'irar  (die  hsl.  Überlieferung:  göps  hgfom  tirar  /enget  -  ein  schwellvers 
AA  -  wäre  übrigens  nicht  unmöglich).  -  N  e  b  e  n  h  e  b  u  n  g  im  2.  fusse 
ist  3mal  zu  buchen:  lUt  munder  (pü  pä)  Gvpn'm  e-",  orps  pgkker  enn 
vant  9^",  hug  he  fr  pü  Hamper  27**  (§  26);  verschleifung  der 
1.  hebung  3mal:  simo  sina  unga  2^%  bure  mundak  {pä)  bindn  21  ^'V 
tio  hundrop  Goina  2S'^^;  verschleifung  der  binnensenkung  einmal: 
af  vdre  nn  haufop  (das  nü  ist  jedoch  entbehrlich)  28 ^'^ 

Normales  E*2  (j.xj-Ux)  ist  9mal  belegt:  fremr  vas  pat  hglfo  2*'V 
syster  vas  ykkor  3  ^'^,  svefne  ör  vgkpo  6  ^'',  g/yja  (pü)  nf  gaper  7  *^y 
hitt  kvap  pä  Sgrle  9^",  heiddesk  at  brgngo  (verderbt  und  unverständlich; 
ich  vermutete:  beinde  sh'ig  vangd)  20^*,  Jgrmonrekr  orpet  2b°^,  Qttomk 
(besserung  statt  hvgttomk  R)  at  dlser  28^'',,  gorpomk  at  v'ige  28*''. 
Verschleifung  der  binnensenkung  kommt  2mal  vor:  hgpvapesk 
at  vtne  20-'',  kveld  Ufer  mapr  etke  30*.  -  Unmöglich  sind  die  beiden 
zu  einer  langzeile  vereinigten  verse  25*:  fötr  ser  {pü)  p'ina  \  hgndom 
ser  {pü)  phiom,  da  die  an  der  spitze  stehenden  substantiva  nicht  vom 
Stabreim  ausgeschlossen  werden  konnten  und  der  Wechsel  der  kon- 
struktion  nicht  minder  unglaublich  ist;  ich  änderte  daher:  hgggnom  ser 
hgndom  \  hgggnonl  ser  fötoni. 

Anm.  Das  metrura  überfüllende  und  entbehrliche  Wörter  brauchten  nur  selten 
getilgt  zu  werden  (6^''  ?■*"  21  ^^-^  2b  *'^-^). 

23.  Unter  den  20  seh  well  ver  sen  sind  die  AA  (zx  1  jlx|  zx)  die 
häufigsten  (7  belege):  Atla  pöttesk  (pü)  stripa  8'*,  svlnna  hafpe  {hann) 

1)  Über  die  bezeichnung  dieses  typus  s.  s.  151  §  26. 


ZUR  EDDAMETRIK  173- 

hyggjo  9^*^,  svd  kvazk  veiia  mundo  13 ^'\  segja  furo  <vrer  (das  nomen 
ist  von  Sijmons  ergänzt,  Bugge  hatte  ^ar/ar  vorgeschlagen)  19^%  hende 
drap  d  knnpa  20^'',  komet  6r  brjöste  Gotna  (verschleifimg  der  1.  hebung) 
24*^*,  innen  horgar  pinnar  25^'';  dazu  vielleicht  auch  noch  30  ^'^r  göps 
hQfom  tirar  f enget  (verschleifung  der  1.  Senkung;  s.  §  22). 

DA  (zUxij.x)  ist  2mal  vertreten:  okr  grata  hüpci^  10^'',  hlöp 
bragnar  öpo^  24**;  AB  {j-x\j-\x±)  einmal:  mikels  es  d  mann  hvem 
vant  (verschleifung  der  1.  hebung  und  der  1.  Senkung)  21^^]  AC 
(_LxU|^x)  3raal:  pat  ras  {per)  enn  verra  8^^,  verja  Hl  aldrlaga  (ver- 
schleifung der  1.  Senkung)  8^**,  ureg  fJQÜ  yfer  (vgl.  jedoch  unten  §  26) 
11^^;  BC  (xj.ixjL|^x)  5mal:  ok  af  Eitels  aldrlage  (verschleifung  der 
eingangssenkung)  8^*  (vgl.  jedoch  meine  note  z.  st.),  es  (pn)  at  grate 
ne  fd'rat  9'*'',  alz  geirar  ne  bita  26^^,  ef  [pu)  hefper  hyggjande  (s.  u^ 
§  27)  27*^,  pöt  ni'(  epu  i  gdn-  c?^?/^m  (verschleifung  der  binnensenkung 
und  elision  des  a  von  epa  vor  dem  folgenden  vokaP)  30^'';  EC 
(j.  j.  X  u  I  ^  x)  einmal :  svd  skylde  hverr  gprom  8  ^''. 

Anm.  1.  Der  vers  13 1»:  svarape  enn  sundmiopre  Hesse  sich  ebenfalls  al& 
ein  AC  erklären,  aber  die  ganze  Strophe  ist  so  lückenhaft  überliefert,  dass  ihr  nur 
durch  eingreifende  konjekturen  aufgeholfen  werden  kann.  Schon  Bugge  änderte 
gewiss  richtig :  svarape  Erp)'  \  enn  snndnnöpre. 

Anm.  2.  Streichung  entbehrlicher  und  den  vers  überfüllender  Wörter  brauchte 
nur  5mal  vorgenommen  werden  (8ia  82b  91b  94b  274b). 

2.  Alliteration  und  reim. 

24.  Doppelalliteration  im -1.  halbverse  ist  für  die  mala- 
hattrzeilen  in  aA  nur  einmal  bezeugt:  fyr  mc}tkom  mQn7iom  19 ■*'*^ 
in  B*  und  C*  gar  nicht,  während  sie  in  D*  und  E*  häufig  auftritt. 
In  D*  haben  sie  von  12  versen  10  (83,3  Vo):  fdtt  es  fornara  2*% 
sverpe  sdrbeiio  8^^,  nipja  ndborna  10 2%  skök  kann  skgr  Jarpa  20^*^ 
göp  bgrn  Gvprünar  21**,  d'sier  jQvmonrekr  25^*,  bröper  enn  bQpfrökne 

1)  Die  langzeile  lautet  in  R:  okr  skaltu  ok  Guprün  \  grata  bäpa;  die  Um- 
stellung skaltu  aid:  Gupriin  \  okr  gr.  b.  haben  Finnur  Jönsson  und  Sijmons  vor- 
genommen. Ich  schrieb:  gr.  okr  bdpa  (E*2).  was  2  mälahättrverse  ergäbe  (C*-fE*2' 
mit  gekreuzter  alliteration). 

2)  In  E  lautet  die  langzeile :  l  blöpe  bragnar  l(Jgo  \  kämet  ör  brjöste  Gotna,. 
was  schon  deshalb  nicht  richtig  sein  kann,  weil  nach  dieser  lesung  die  bragnar 
und  die  Gotar  identisch  wären.  Die  besserung  (von  mir  vorgenommen)  gab  das 
part.  komet  an  die  band,  das  nicht  als  Interpolation  getilgt  werden  darf.  Möglich 
wäre  auch:  /  bloße  bragnar  stöpo  \  komna  6r  brjöste  Gotna  (BA-|- AA). 

3)  Oder  Streichung  des  /?  Vgl.  {"jüljolfr  Amörsson,  3Iagnusfl.  18°  (Sk.  B  I, 
336):  gier  flugo  mold  ok  m /'/rar  ..  .flaugar dgrr ;  ders.,  lausav.  1*  (Sk.  B  1,  317):. 
(fwr  sdk  .  .  .  steine  .  .  .  haf-plega  kastat. 


174  GERING,    ZUR   EDDAMKTRIK 

28 2",  verr  enn  vipfnfge  (oerr  ist  besserung  von  Bugge  statt  des  hsl. 
varr^)  28^",  gume  enn  gunnhelge  28^-',  ofan  eggmöpom  30  2'';  in  E*  von 

20  versen  8  (40°/o):  einstöp  eml:  orpen  4^%  glyja  {J>u)  ne  güper  7*", 
orps  piß-ker  enn  vant  9^*,  belddesh  ot  bvQugo  (verderbt)  20  2",  biire 
mimdak  (pu)  binda  21^^,  jQrmonrekr  orpet  25^%  bgl  vant  pü  broper 
272%  hug  hefr  pü  Hamjjer  27**  (vgl.  jedoch  §  26). 

25.  Auf  die  2.  hebung  der  1.  halbzeile  ist  der  Stabreim  in 
aA  zweimal  beschränkt:  es  hvatie  Guprün  |  Gjuka  boren  2^,  hvers  b/pr 
])ii  {nii)  Gvprün  \  es  (pu)  at  grate  ne  fwrat  9  *. 

£6.  In  den  schwellversen  kommt  doppelalliteration  in 
der  1.  halbzeile  2mal  vor:  ok  at  Eitels  aldrlage  (vgl.  jedoch  oben 
§  23)  8  2",  mikils  es  a  mann  hvern  vant  27  ^■'^  (über  13  i"  s.  §  23  anm.  1). 
2mal  ist  gegen  die  regel  doppelalliteration  auch  in  der  2.  halb- 
zeile bezeugt,  sie  beruht  jedoch  in  beiden  fällen  sicher  auf  fehler- 
liafter  Überlieferung:  lipo  pd  unger  \  i'treg  fJQU  yfer  (lies:  of  nreg  fj^ll, 
B,  v^as  auch  deswegen  sich  empfiehtl,  weil  die  übrigen  5  halbzeilen 
der  Strophe  ebenfalls  fornyr{)islag  sind)  ll^*";  hug  hefr  Jm  Hamper  \ 
ef  (pi'i)  hefjjer  hyggjande  (lies :  hug  ättu  Hamjier  \  ef  d'tfer  hyggjande) 

21  *.  Es  fragt  sich,  ob  nicht  noch  eine  weitere  änderung  {broper  statt 
Hamper)  vorzunehmen  wäre,  um  die  5  reimstäbe  auf  4  zu  reduzieren. 

27.  Gekreuzte  alliteration  findet  sich  in  den  mälahattr- 
iind  schwellversen  10^:  skaltu  auk  Onprihi  \  okr  grata  bdpa,  vielleicht 
auch  27*   (§  26). 

28.  Verstösse  gegen  die  alliterationstechnik  sind  selten. 
4*  J)ds  en  kvistsköjya  \  k0mr  of  dag  varman  ist  der  hauptstab  unge- 
schickterweise auf  das  bedeutungsschwache  verbum  gelegt  und  30' 
göps  fengom  i/rar  \  pöt  nü  epa  (f)  gar  deyem  hätte  das  erste  adverbium 
{nu)  eher  anspruch  auf  den  Stabreim  als  das  zweite  (gar). 


Die  Eddaausgabe  von  E.  Sievers  ('Die  Eddalieder  klauglich 
untersucht  und  herausgegeben  von  E.  S.',  Leipzig  1923)  kam  erst  in 
meine  bände,  als  die  vorliegende  arbeit  beendet  war,  und  zu  nach- 
träglichen änderungen  fühlte  ich  keine  veranlassung,  da  ich  gegen  die 
richtigkeit  der  von  S.  aufgestellten  neuen  theorien  sehr  erhebliche 
zweifei  hege,  die  in  meiner  anzeige  des  buches  (Zeitschr.  50,  93)  be- 
gründet wurden.    Nicht  zugänglich  war  mir  die  schrift  von  R.  C.  Beer, 

1)  Boer  schreibt  halt-  statt  rerr,  wodurch  die  änderung  von  hvpftomk-  in 
OUoml-  überflüssig  würde.  Man  beachte  jedoch,  dass  auch  in  z.  2  und  4  die  attri- 
butiven adjektiva  mit  dem  zugehörigen  Substantiv  alliterieren. 


H.    DE    BOOR.    DIE    NORDISCHE    UND    DEUTSCHE    HILDEBRANDSAGE  175 

Studien  over  de  metriek  van  het  alliteratievers  (Amsterdam  1916),  was 
ich  für  keinen  besonderen  schaden  halte,  da  die  metrischen  benier- 
kungen  in  seiner  Edda  (Haarlem  1922,  2  bde.)  gewöhnlich  verfehlt  sind. 

KIEL.  HUGO    GERING. 


\ 


DIE  NORDISCHE  UND  DEUTSCHE  HILDEBRANDSAGE. 

(Schluss.) 

IL 

III.  Äsnmndarsaga  und  Hervararsaga. 

Es  ist  nun  an  der  zeit,  die  eingangs  gestellte  frage  zu  wieder- 
liolen:  ist  in  der  erzählung  der  Asmundarsaga,  so  wie  wir  sie  aus 
der  verwucherung  mit  rein  deutschen  Hildebrandmotiven  herausgelöst 
haben,  noch  anlass  vorhanden,  an  der  Identität  der  nordischen  und 
deutschen  Hildebranddichtung  festzuhalten  ^  ? 

Ein  wichtiges  moment  bleibt  der  name  Hildebrand  selbst.  Ich  habe, 
oben  s.  151,  zu  erweisen  versucht,  dass  nicht  Saxos  Hildigerus,  sondern 
Hildebrf^nd  der  saga  und  des  liedes  die  älteste,  uns  erreichbare  nordische 
namensform  ist.  Das  ist  immerhin  beachtenswert,  denn  obwohl  der 
name  gelegentlich  im  norden  auch  sonst  belegt  ist"'*,  so  ist  er  als  typ 
unnordisch,  wie  übrigens  auch  Saxos  Hildigeirr,  und  er  dürfte  überall, 
wo  er  auftritt,  aus  der  Verwendung  in  der  dichtung  herzuleiten  sein. 
Beide  namenskomponenten  sind  dem  norden  jedoch  geläufig  und  in 
der  form  korrekt  (vgl.  einerseits  Asbrand,  Gudhrand,  andererseits 
Hildiglümr,  HildihJQrg  und  ähnl.) 

An  diesen  Hildebrand  ist  das  motiv  des  Verwandtenkampfes  ge- 
knüpft, wie  an  den  deutschen  Hildebrand  des  Dietrichkreises,  und 
zwar  in  derselben  weise  wie  in  der  ältesten  deutschen  version.  Hilde- 
brand selbst  weiss,  dass  sein  gegner  ein  naher  angehöriger  ist,  wird 
aber  endlich  durch  das  gebot  der  ehre  gezwungen,  den  kämpf  mit 
dem  nah  verwandten  gegner  aufzunehmen.  Der  konflikt  ist  also  ebenso 
wie  im  deutschen  Hildebrandslied  angelegt  auf  die  zur  tragik  getriebene 
kontrastierung  von  sippengebot  und  einem  der  gefolgschaftsethik  ent- 
wachsenen ehrgebot,  das  das  sippengebot  bricht. 

1)  Housler,  EinleituDg  zur  Übersetzung  von  Hildebrands  sterbelied  in  Genz- 
mers  Edda  (beldenl.  s.  211)  leugnet  die  Identität  der  beiden  Stoffe;  der  nordische 
Hildebrand  hat  'mit  dem  deutschen  fast  nur  den  namen  gemein'. 

2)  Die  belege  stellt  H.  Naumann,  Altnordische  namensstudien,  s.4:7  zusammen. 

ZEITSCHRIFT  F.  DEUTSCHE   PHILOLOGIE.    BD.  L.  13 


176  H.    DK    BOOK 

Ein  dritter  Vergleichspunkt  ist  die  beziehung  zum  Hunnenkönig. 
Der  eine  der  beiden  kämpfenden  verwandten  tritt  in  dem  streit  als 
'Vorkämpfer  der  Hunnen'  auf,  wie  auch  Hadubrand  seinen  vater  als 
solchen  auffasst  und  anredet.  In  beiden  fällen  ist  der  Hunnenkämpfer 
der  siegreiche. 

Diese  drei  punkte  bleiben,  soviel  ich  sehe,  immerhin  recht  be- 
deutsam. Freilich  darf  man  die  auffälligen  abweichungen  daneben 
nicht  vergessen.  Dem  tragisch  tieferen,  deutschen  vater-sohn-konflikt 
steht  der  nordische  bruderkonflikt  gegenüber.  Der  Wechsel  liesse  sich 
immerhin  begreifen.  Es  sind  in  beiden  fällen  epische  formein,  die 
jeweils  mit  persönlichem  gehalt  gefüllt  wurden.  Die  Varianten  des 
kampfes  zwischen  vater  und  söhn  in  der  indogermanischen  helden- 
dichtung  hat  Busse  (PBB.  26,  1  ff.)  zusammengestellt  und  verglichen. 
Die  Häufigkeit  des  tragischen  bruderkampfes  betont  H.  Schuck  in 
seinem  schon  oben  49,  167  zitierten  rektorprogramm  über  die  Hervarar- 
saga,  Upsala  1918. 

Schwerer  w4egt  die  umkehr  von  glück  und  Unglück  im  kämpf 
der  verwandten.  Hildebrand  ist  in  der  nordischen  Version  der  sterbende, 
er,  der  das  unselige  des  Streites  einsieht ;  auf  dem  überlebenden  lastet 
der  Vorwurf  törichter  vorschnelle.  Die  kraftvolle  tragik  der  deutschen 
Version,  in  der  Hildebrand,  der  wissende,  seinen  söhn  dem  gebot  der 
ehre  folgend,  tötet,  ist  in  der  nordischen  ermattet.  Erleichtert  wird 
diese  umkehr  durch  die  Indifferenz  des  bruderverhältnisses  gegenüber 
den  differenzierten  gestalten  vater  und  söhn.  An  stelle  der  Stimmung 
einer  unerbittlichen  tragik  tritt  ein  weicher,  elegischer  fatalismus,  der 
sich  in  Hildebrands  sterbelied  ausdruck  sucht.  Aber  damit  ist  nichts 
für  die  haltung  der  älteren  nordischen  Hildebrandsdichtung  bewiesen. 
Solche  wehmütigen  rückblickslieder  sind  junge  versuche,  alte  herbere 
Stoffe  in  weichere  beleuchtung  zu  rücken.  Sie  sind  nicht  denkbar 
ohne  eine  ältere  epische  tradition,  die  stützend  dahintersteht.  Ob 
die  erzählte  oder  geschriebene  saga  unbedingt  erfordert  wird,  um 
gebilde  wie  Hjalmars  oder  Hildebrands  Sterbelieder  lebensfähig  zu 
machen,  wie  Heusler,  Eddica  minora  behauptet,  möchte  mir  doch 
zweifelhaft  scheinen.  Auch  die  rückblickslieder  des  eddischen  corpus 
waren  nur  dem  begreiflich,  der  in  dem  stoff  der  Siegfried-  und  Gudrun- 
dichtung zu  hause  war,  das  zeigt  schon  die  prosaisch  angedeutete 
Situation,  die  der  sammler  skizzieren  zu  müssen  meint.  Auch  gedichte, 
wie  Hildebrands  sterbelied,  verlangen  nur  eine  episch  geprägte  und 
bekannte  tradition,  keine  reale  prosaerzählung,  von  der  sich  für  den 
kundigen    das   rückblickslied   abhebt.     Diese  epische  tradition  ist  uns 


DIE   NORDISCHE   UND   DEUTSCHE   HILDEBRANDSAGE  177 

für  den  Sigurdstoff  direkt,  für  den  Hildebrandstoff  nur  in  der  späten 
prosaumprägung  der  saga  erhalten.  Ihr  Verfasser  erachtete  es  aus 
seinem  jüngeren  geschmack  heraus  für  nötig,  gerade  nur  das  sterbe- 
lied  mit  seiner  lyrischen  Stimmungsweichheit  vollständig  mitzuteilen. 
Wie  die  ältere  epische  tradition  aussah,  weissen  wir  nicht.  Hildebrands 
tod  wird  durch  das  aus  ihr  erwachsene  sterbelied  jedenfalls  auch  für 
sie  festgelegt  und  bleibt  eine  bedeutende,  wenn  auch  nicht  entscheidende 
abweichung  von  der  deutschen  Hildebrandversion. 

Es  scheint  mir  also  wohl  möglich,  doch  zunächst  noch  verfrüht, 
sichere  parallelen  zur  deutschen  dichtung  zu  ziehen.  Ihre  nächste 
Stoffverwandtschaft  hat  die  Asmundarsaga  vielmehr  auf  nordischem 
boden,  in  teilen  der  Hervararsaga.  Diesen  nachweis  hat  Schuck  in 
seinem  genannten  programm  erbracht.  Die  analyse  des  gesamten 
bunten  konglomerates  erneut  zu  versuchen,  das  diese  saga  darstellt, 
ist  hier  nicht  meine  aufgäbe.  Auch  habe  ich  nicht  das  Verhältnis  der 
beiden  stark  abweichenden  rezensionen  zueinander  näher  zu  bestimmen, 
um  so  weniger,  als  der  hier  allein  in  betracht  kommende  schluss  der 
saga  in  cod.  reg.  2845  4to  ziemlich  im  anfang  der  uns  interessierenden 
partie,  der  Hunnenschlacht,  abbricht,  die  Hauksbok  uns  schon  vorher 
im  stich  lässt  und  wir  im  übrigen  auf  junge  papierhss.  angewiesen  sind. 

Die  hier  zu  besprechende  Schlusspartie  der  Hervararsaga  grenzt 
sich  so  klar  gegen  die  vorangehenden  abschnitte  ab,  dass  ihre  alte 
Selbständigkeit  längst  erkannt  ist.  Aus  der  masse  typischer  Wikinger- 
dichtung hebt  sich  der  schluss  durch  milieu  und  Stimmung  ganz  heraus. 
Von  der  Wikingergeographie  der  Ostseeländer  (Samsey,  Reidgotaland, 
Saxland,  Upsala,  Garöariki)  wendet  er  sich  entschlossen  mit  könig 
Heidreks  tode  südwärts,  indem  er  ihn  'undir  HarvodafJQllum  verlegt, 
d.  h.  in  ein  gebiet,  das  der  namensform  nach  genau  den  Karpathen 
entspricht.  Die  neue  lokalisierung  setzt  sich  konsequent  in  dem  weiteren 
erzählungsverlauf  fort,  dessen  poetisches  rückgrat  das  lied  von  der 
Hunnenschlacht  ist.  Aus  der  meeresstimmung  der  Sämseyszenerie, 
aus  dem  weiten  umherschweifen  der  übrigen  Wikingerperspektive  treten 
wir  in  eine  typische  binnenlandschaft;  ein  einsamer  see,  von  einem 
fluss  durchströmt,  weite  flächen  mit  grossen  strömen,  und  umgrenzt 
von  dunklen  Waldgebirgen.  Die  geographischen  deutungsversuche  der 
Ortsangaben,  die  namentlich  Heinzeis  Scharfsinn  geliefert  hat,  (sitzber. 
d.  Wiener  Ak.  W.  1887  phil.  bist.  kl.  bd.  114,417  ff.)  und  die  dann 
Boer  (PBB.  22.  342  ff.)  und  zuletzt  G.  Schütte  (arkiv  21.  30  ff.)  fort- 
geführt haben,  sind  zwar  nur  in  wenigen  punkten  zu  wirklicher  klar- 
heit  gelangt,  während   die  meisten  Ortsnamen,  so  sehr  sie  nach  wirk- 

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178  H.   DK    BOOlt 

lichkeit,  nicht  nach  Aktion  aussehen,  eine  zweifellose  deutung  nicht 
zulassen.  Aber  die  beiden  wirklich  klaren  lokalitäten,  Danpar(stadir) 
und  Dun(Jieictr),  Dniepr  und  Don  oder  Donau,  verweisen  die  ereignisse 
ebenso  sicher  nach  Südosteuropa  wie  die  HarvadnfJQlL  Daher  ist 
Heinzeis  gesamtdeutung  des  Hunnenschlachtliedes  auf  die  katalaunischen 
gefilde  verfehlt  und  Schucks  polemik  dagegen  berechtigt.  Die  nationalen, 
hunnisch-gotischen  gegensätze  und  die  grosse  entscheidungsschlacht 
des  gedichtes  haben  sich  in  Osteuropa,  nicht  in  Frankreich  abgespielt. 
Auf  diese  frage  wird  noch  zurückzukommen  sein,  hier  sei  nur  erwähnt, 
dass  schon  Heussler  in  den  Eddica  minora  mit  der  möglichkeit  öst- 
licher lokalisierung  rechnet,  ohne  ihr  doch  weiter  nachzugehen  oder 
die  katalaunische  hypothese  aufzugeben,  an  der  er  vielmehr  auch  im 
artikel  'Hunnenschlacht'  des  Hoopsschen  reallexikons  entschieden  festhält. 
Neckeis  kleine  altnordische  literatur  (Natur  und  geistesweit  782)  scheint 
ebenfalls  mit  der  östlichen  herkunft  zu  rechnen.  Jedesfalls  ist  die 
Scheidelinie  zwischen  dem  Hunnenschlachtteil  und  der  übrigen  saga 
unleugbar  und  in  geographie,  stil  und  pathos  von  Heusler  in  den 
Eddica  minora  genügend  scharf  herausgearbeitet. 

In  diesem  schlussteil  der  Hervararsaga  liegen  die  Vergleichspunkte 
zur  nordischen  Hildebranddichtung.  Die  möglichkeit,  dem  nationalen 
konflikt  persönliches  gepräge  zu  geben,  findet  die  Hunnenschlacht- 
dichtung in  dem  tragisch  endenden  zwist  zweier  brüder.  Das  ist  auch 
das  Zentralmotiv  der  Asmundarsaga.  Beweisender  für  unmittelbaren 
Zusammenhang  ist  die  tatsache,  dass  die  streitenden  brüder  nur  halb- 
brüder  sind.  Ich  kann  nicht  mit  Schuck  einen  wesentlichen  unter- 
schied darin  finden,  dass  in  der  einen  version  die  mutter,  in  der 
anderen  der  vater  gemeinsam  ist,  und  ich  sehe  mich  nicht  veranlasst, 
hier  Schucks  konstruktionen  zu  folgen,  der  die  gemeinsame  mutter 
für  das  ältere  motiv  hält.  Ich  sehe  nämlich  nicht,  dass  die  mutter  in 
der  Asmundarsaga  ein  'konstitutives  dement'  ist.  Sie  wäre  es,  wenn 
sich  aus  dem  Asraund-Hildebrandkomplex  irgendwie  als  leitmotiv 
herauslesen  liese:  'die  mutter,  die,  ohne  es  zu  ahnen,  den  tod  des 
sohnes  verschuldet'.  Das  kann  aber  Schuck  nur  mit  gezwungenster 
Interpretation  hineinlegen.  Den  einzigen  halt  nach  dieser  richtung 
überhaupt  gibt  die  Saxovariante,  gegen  die  wir  ein  berechtigtes  miss- 
trauen haben.  Hier  erhält  wirklich  Haldanus  das  verhängnisvolle 
Schwert  von  der  mutter.  Aber  von  poetischer  ausnutzung  des  motivs 
ist  auch  bei  Saxo  keine  rede;  auch  bei  ihm  wird  nicht  der  eine  söhn 
von  der  mutter  in  den  verhängnisvollen  kämpf  'geschickt'.  Die  schluss- 
szene   zeigt  auch   hier  nicht   die  mutter  verzweifelt  vor  dem  ausgang 


DIK    NORDI.SCHE    UND    DEUTSCHE    HILDEBRANDSAGE  179 

des  kampfes.  Sie  ist  vielmehr  im  schluss  ganz  verscliwunden  und 
vergessen,  nachdem  sie  ihre  einzige  aufgäbe,  mutter  der  beiden  söhne, 
einmal  in  gezwungener  ehe,  zu  werden,  erfüllt  hat.  Die  tragische 
Schlusspointe  liegt  vielmehr  auch  in  Saxos  darstellung  bei  Hildebrand, 
der  im  bewusstsein,  Sippenheiligkeit  zu  verletzen,  dem  gebot  der  ehre 
folgt  und  in  den  kämpf  eintritt,  in  dem  blut  von  nah  verwandter  band 
vergossen  werden  muss.  Vollends  ist  es  unmöglich,  das  tragische 
motiv  der  mutter  in  die  Hervararsaga  hineinzuinterpretieren  und  Herv9r, 
die  Schlachtjungfrau,  zur  mutter  HI99S  und  Angantyrs  zu  machen. 
Die  Sämseyepisode,  in  der  Herv9r  das  schwert  aus  dem  grabhügel  des 
vaters  hervormahnt,  ist  eine  in  sich  geschlossene  dichtung,  die  mit  der 
Hunnenschlacht  erst  in  sehr  später  zeit  äußerlich  verbunden  ist  und 
für  diese  keine  konstitutive  bedeutung  haben  kann.  Im  Hunnen- 
schlachtlied ist  nur  der  gemeinsame  vater  überliefert  und  ist  dort  auch 
allein  sinngemäss.  Denn  wenn  irgend  etwas  in  diesem  gedieht  alt 
ist,  so  ist  es  die  eindrucksvolle  erbforderung  Hlo5s,  und  die  aus- 
einandersetzung  der  brüder  über  das  vatererbe  ist  erfüllt  von  der 
wuchtigen  und  knappen  Spannung  altgermanischer  dichtung.  Die  erb- 
ansprüche  als  treibendes  motiv  bedingen  aber  den  gemeinsamen  vater 
als  den  erblasser  von  reich  und  gut. 

Wohl  aber  wird  uns  im  Hunnenschlachtlied  der  sinn  der  halb- 
bruderschaft klar.  Er  liegt  in  der  unebenbürtigkeit,  der  bemakelung 
eines  der  brüder.  Nur  Angantyr  entspringt  anerkannter  Verbindung 
und  fühlt  sich  als  berechtigten  erben.  Hlgör,  der  söhn  der  verstossenen 
Hunnin,  muss  sich  von  dem  alten  pflegevater  Angatyrs,  Gizurr,  den 
höhnenden  und  die  tragische  wendung  unvermeidlich  herbeiführenden 
Vorwurf  anhören,  dass  er  ein  pßjar  harn  sei,  emphatisch  zweimal 
hintereinander  dem  erbanwärter  entgegengeschleudert.  Da  haben  wir 
dasselbe  cognomen  plenuni  ignomi7iiae,  auf  das  Saxo  anspielt,  und  das 
in  dem  nah  verwandten  kellingarson  des  färöischen  liedes  wiederkehrt. 

Auch  die  Asmundarsaga  oder  wenigstens  ihje  verse  haben  eine 
schwache  erinnerung  an  die  nationalen  gegensätze  bewahrt,  die  hinter 
den  persönlichen  der  brüder  stehen.  Während  die  Goten  in  dem 
skandinavisch-wikingischen  milieu  der  saga  aufgegeben  und  willkürlich 
durch  Schweden  ersetzt  sind,  bleibt  die  beziehung  des  anderen  bruders 
zu  den  Hunnen  gewahrt,  die  sich  in  den  Ruthen!  des  Saxo  verbergen, 
und  die  mit  Boers  richtiger  Interpretation  in  der  ersten  Strophe  seines 
preisgedichtes  vor  seiner  braut  direkt  als  seine  freunde  bezeugt  sind. 
Die  bezeichnung  /.Y^/;j(j/  Hiaimaga,  Vorkämpfer  der  Hunnen,  bezieht 
sich   auf  Asm  und.      Die   massen  Wirkung   freilich,  mit  deren  wuchtiger 


180  H.   DK    BO(JK 

und  plastischer  Schilderung  das  Hunnenschlachtlied  in  der  altger- 
manischen kunst  überhaupt  alleiusteht,  ist  hier  verschwunden;  der 
üblichere  einzelkampf  ist  an  die  stelle  getreten. 

Der  kämpf  der  brüder  endet  in  beiden  darstellungen  tragisch. 
Der  persönliche  zwist  der  brüder,  der  im  Hunnenschlachtlied  vor  den 
nationalen  gegensätzen  zurückgetreten  war,  drängt  im  schluss  wieder 
in  den  Vordergrund.  Die  sagaprosa,  der  die  gcstaltungskraft  völlig 
mangelt,  gibt  eine  blasse  und  schablonenmässige  darstellung  des  ent- 
scheidungskampfes  der  beiden  brüder.  Aber  die  schlusszene  des  ge- 
dichtes,  der  brüder  an  der  leiche  des  bruders,  lässt  eine  stärkere 
poetische  behandlung  des  kampfes  selbst  erwarten.  Mit  dem  ererbten 
väterlichen  schwert,  das  im  eingang  des  liedes  als  symbol  der  Unteil- 
barkeit der  väterlichen  herrschaft  verwendet  worden  war,  war  Angantyr 
dem  brüder  entgegengetreten  und  hatte  ihn  gefällt.  An  seiner  leiche 
spricht  er  die  nachdenklichen  worte: 

bglvat  er  okkr  brödir: 
bnni  em  ek  pinn  ordinn  ! 
pat  mim  oß  uppi; 
ülr  er  dömr  norna  ^ 

In  der  Hildebranddichtung  wird  der  kämpf  der  brüder  von  vorne- 
herein ganz  in  den  mittelpunkt  gestellt  und  in  Hildebrands  sterbelied 
noch  einmal  reflektierend  beleuchtet.  Auch  hier  ist  es  das  erbschwert 
in  der  band  des  einen  bruders,  das  dem  andern  den  tod  bringt.  Und 
die  fatalistische  Schlussbetrachtung  in  Saxos  versen  (Holder  s.  245)  steht 
dem  schluss  des  Hunnenschlachtliedes  überraschend  nahe: 

sed  quaecunque  ligai  Parcarum  praescius  ordo, 
quaecunque  arcanum  superae  rationis  adumbrat  .  .  . 
niilla  caducarum  rerum  conversio  tollet. 

Wir  sahen  (s.  176),  dass  diese  nornenformel,  die  so  auffällig  an  den 
schluss   des  Hunnenschlachtliedes   anklingt,   nicht  nur  Saxos  eigentum 

1)  Neckel,  Beiträge  zur  Eddaforschung  s.  256  ff.  sieht  diese  strophe  mit  ihren 
scharf  geschnittenen  kurzzeilen  als  jüngere  stilistische  nachahmung  von  Gizurs  fluch 
Str.  24  an,  indem  er  hier  die  stilform  in  der  atemlosigkeit  der  Stimmung  begründet 
findet.  Eine  solche  beurteilung  schliesst  naturgemäss  immer  ein  subjektives  dement 
in  sich  und  kommt  über  eine  gewisse  annehnibarkeit  nicht  hinaus.  Auch  die  tief 
gepresste  Stimmung  des  bruders,  der  bruderblut  vergiessen  musste,  kann  sich  wohl 
in  solchen  gehackten,  den  glatten  redefluss  durchbrechenden  formen  ausdruck  suchen. 


DIE   NORDISCHE    UND   DEUTSCHK   HILDEBRANDSAGE  181 

ist,  sondern    durch   das  färöische  lied  für  die  älteste,  uns  erreichbare 
fassung  des  sterbeliedes  bestätigt  wird^ 

Dieser .  schluss  mit  seiner  fatalistischen  ergebung  legt  es  nahe  zu 
fragen,  ob  nicht  auch  das  motiv  des  fluches,  der  in  beiden  dichtungen 
auf  dem  schwert  lastet,  und  mit  ihm  die  eingaiigserzählung  von  der 
herkunft  der  Schwerter  niit  ihrer  starken  ähnlichkeit  auf  alter  Ver- 
wandtschaft beruhen.  Die  Übereinstimmung  ist  in  der  tat  sehr  gross. 
In  beiden  erzählungen  zwingt  der  ahnherr  des  geschlechts  zwei  zwerge, 
ihm  ein  schwert  von  besonderen  qualitäten  zu  schmieden;  das  fertige 
schwert  wird  von  den  zwergen  mit  einem  fluch  belegt,  der  sich  an 
den  nachkommen  erfüllen  soll.  Auf  die  einzelausgestaltung,  die  in 
der  Hervararsaga  ein  geläufiges  motiv  aus  dem  Volksglauben,  in  der 
Äsmundarsaga  das  ebenfalls  weiterverbreitete  novellistische  motiv  des 
Wettschmiedens  aufgreift,  kommt  es  dabei  nicht  an,  noch  weniger  auf 
die  entstellung,  die  es  in  der  saga  erfahren  hat.  Der  fluch,  den  die 
Äsmundarsaga  auf  das  schwert  legt,  steht  in  klarer  beziehuug  zu  ihrem 
inhalt;  es  soll  den  beiden  tochtersöhnen  Budlis  zum  unheil  werden, 
bezieht  sich  also  auf  Asmund  und  Hildebrand;  er  ist  nur  insofern 
falsch,  als  er  beiden  brüdern  gleichmässig  gilt,  eine  folge  der  ent- 
stellung, die  beide  Schwerter  zu  zwergenwerk  macht.  Liegen  somit 
die  dinge  bei  der  Äsmundarsaga  klar,  so  sind  sie  bei  der  Hervarar- 
saga verworrener,  einmal,  weil  die  beiden  alten  Versionen  beträchtlich 
voneinander  abweichen,  und  dann,  weil  es  sich  fragt,  zu  welcher  der 
verschiedenen  episoden,  die  sich  an  das  schwert  Tyrfing  knüpfen,  die 
einleitende  geschiehte  gehört.  Nur  die  Hauksbuk  berichtet  ausführ- 
licher über  die  zwerge,  nur  sie  kennt  auch  den  fluch,  den  die  zwerge 
auf  das  schwert  legen.  Dieser  bestimmt  erstens,  dass  damit  drei 
'niöingsverk'  ausgeführt  werden  sollen ;  zweitens,  dass  es  dem  ersten 
liesitzer,  könig  Svafrlami,  den  tod  bringen  solle.  Die  drei  niöingsverk 
hat  Schuck  (a.  a.  o.  s.  37)  mit  recht  als  ein  fremdes,  formelhaftes  dement 
aus  der  saga  ausgeschieden,  denn  nur  gezwungenste  Interpretation 
kann  die  drei  Untaten  darin  entdecken,  und  die  greifbarste  solche, 
die  ermordung  Angantyrs  IL  durch  seinen  bruder  Heidrek,  findet  sich 
nur  in  der  version  der  Hauksbök  an  das  schwert  Tyrfing  geknüpft; 
in  der  Regiusversion  sieht  die  darstellung  zweifellos  individueller  so 
aus,  dass  Heidrek  den  bruder  zufällig  mit  einem  stein  tötet,  den  er  ins 
dunkle  hinein  gegen  eine  schar  von  männern  schleudert,  deren  reden  ihm 

1)  Auch  die  erste  Strophe  von  Hildebrands  sterbelied  in  der  saga  zeigt  die- 
selbe fatalistische  schicksalsbetrachtung,  nur  dass  die  nornen  als  ihr  symbol  hier 
fehlen. 


182  H.  DE   BOOR 

bedrohlich  erscheinen.  Ebenso  ist  die  erzdhlung  von  könig  Svafrlamis 
tode,  die  aus  dem  fluch  der  zvverge  folgt,  nur  der  Hauksbök  eigen. 
Der  Kegius  kennt  weder  fluch  noch  gewaltsamen  tod  des  ersten 
Schwertbesitzers.  Dagegen  ist  beiden  Versionen  eine  dritte,  von  den 
zwerge'n  an  das  schwert  geknüpfte  bestimmung  gemeinsam:  jedesmal, 
wenn  das  schwert  gezogen  wird,  soll  es  einen  menschen  töten.  Ge- 
meinsam ist  ferner  die  in  Hauksbök  von  Svafrlami  geforderte  eigen- 
schaft,  immer  sieg  zu  geben.  Mit  diesen  zwei  durch  die  beiden  Ver- 
sionen bezeugten  eigenschaften  wäre  das  schwert  fähig,  im  rahmen 
der  erzählung  vom  bruderzwist  zu  wirken. 

Es  bleibt  indessen  zunächst  weiter  zu  fragen,  welche  Tyrfing- 
episode  die  schwerterwerbung  von  hause  aus  eingeleitet  habe.  Eine 
konstitutive  rolle  spielt  das  schwert  im  verlauf  der  Hervararsaga  an 
zwei  stellen,  in  der  Sämseydichtung  und  in  der  Hunnenschlacht.  Zu 
beiden  kann  das  zwergenmotiv  gehört  haben.  Dass  es  in  den  Sämsey- 
strophen  erwähnt  wird  (str.  7,  10,  18  der  Edd.  min.),  besagt  bei  dem 
relativ  jungen  lied  nichts  für  die  ursprüngliche  Stoffzugehörigkeit,  da 
in  Strophe  7  auf  Svafrlami,  in  Strophe  10  auf  den  zwergennamen 
Dvalinn  angespielt  wird,  auf  namen  also,  die  nicht  älter  als  die  saga- 
prosa  sein  werden.  Dagegen  ist  es  wichtig,  dass  die  Sämseyepisode 
gegen  den  tatsächlichen  verlauf  der  saga  aus  sich  heraus  einen  fluch 
auf  das  schwert  legt,  der  von  dem  zwergenfluch  abweicht.  Das  ge- 
spenst  Angantyrs,  das  an  Herv9r  das  schwert  widerwillig  ausliefern  muss,. 
verkündet  ihr  zugleich  den  darauf  lastenden  fluch : 

s/n  tuhii   Tijrßngr, 
ff  pH  trüa  mccttir, 
(ßtt  pinni,  mcer, 
allri  spilla. 

Dieser  fluch  stimmt  nicht  zu  dem  weiteren  verlauf  der  saga,  nach  der 
Horvyrs  enkel  Angantyr  die  Hunnenschlacht  siegreich  überlebt  und  der 
ahnherr  des  Skjoldungengesohlechtes  wird.  Der  zweimal  (str.  16  und  25) 
wiederholte  fluch  erhält  an  beiden  stellen  eine  nähere  ausführung.  In 
Strophe  17  verkündet  der  haughui  seiner  tochter,  dass  sie  einen  söhn 
haben  werde,  der  Heidrek  heissen  und  der  reichste  mann  unter  der 
sonne  werden  solle.  In  Strophe  26  entgegnet  Hervgr  selbst  dem  fluch 
des  vaters:  'wenig  bekümmert  es  mich,  wie  sich  meine  söhne  später 
entzweien'.  Heusler  in  seiner  einleitung  zum  Hervgrlied  hebt  mit 
recht  hervor,  dass  die  Sämseydichtung  episodischen  charakter  trage 
und   auf  eine  zukunft   hinweise,  die  notwendig  folgen  muss,  die  aber 


DIE    NORDISCHE    T'ND    DEUTSCHE    HILDEBRANDSAGE  188 

anders  verlaufen  ist,  als  die  sagaerzählung.  Die  andeutungen  der 
fluchstropben  über  den  weiteren  verlauf  führen  leider  nur  wenig  weiter. 
Strophe  26  mit  Herv9rs  hinweis  auf  den  zwist  ihrer  söhne  ist  nicht 
aus  dem  dialog  heraus  entwickelt,  sondern  aus  der  saga  abstrahiert. 
Nichts  in  Angant}'rs  warnenden  Worten  hatte  den  späteren  zwist  der 
Hervorsöhne  berührt  und  die  trotzige  antwort  der  tochter  heraus- 
gefordert. Die  andere  stelle,  wenn  sie  wirklich  älter  ist,  nennt  nur 
den  einen  söhn  Heidrek.  Sie  widerspricht  damit  dem  sagaverlauf, 
hat  also  einen  gewissen  anspruch  auf  beachtung.  Wie  und  warum 
aber  dieser  Heidrek  oder  seine  nachkommen  von  dem  fluch  betroffen 
werden,  ist  aus  dieser  Strophe  nicht  zu  erfahren. 

Da  die  Samseydichtung  also  ihren  fluch  auf  dem  schwert  aus 
sich  selber  trägt  und  dieser  seine  eigene  richtung  nimmt  -  ausrottung 
des  ganzen  geschlechtes  -,  lässt  sich  sehr  wohl  mit  der  möglichkeit 
rechnen,  dass  die  zwergenepisode  zwar  gewiss  nicht  von  anfang  an, 
aber  doch,  um  das  fatalistische  dement  der  ganzen  dichtung  zu  unter- 
streichen, schon  sehr  früh  zu  der  dichtung  von  Angantyr  und  Hlgd 
gehört  hat.  Dann  wäre  die  herkunft  des  Schwertes  und  seine  Ver- 
fluchung ein  weiteres  gemeinsames  glied  der  Angantyr-  und  der  Hilde- 
branddichtung. Ein  klarer  beweis  für  einen  wirklichen  Zusammenhang 
wird  sich  indessen  bei  einem  letzten  endes  formelhaften  Schema 
schwerlich  führen  lassen.  Ich  verzichte  daher  auf  diese  gemeinsam- 
keit  der  einleitung  und  sehe  den  parallelen  aufbau  der  beiden  dich- 
tungen  auch  ohne  sie  als  erwiesen  an. 

Gegenüber  diesen  Übereinstimmungen  darf  man  indessen  nicht 
vergessen,  dass  die  beiden  dichtungen  einige  konstitutive  züge  auf- 
weisen, in  denen  sie  auseinandergehen.  Die  art,  wie  völkerkampf 
uud  bruderzwist  gegeneinander  abgestimmt  sind,  mag  immerhin  nur 
ein  stilunterschied  sein.  Die  grosszügige,  alte  dichtung  von  der  Hunnen- 
schlacht hat  poetische  Voraussetzungen  zur  Schilderung  eines  zusammen- 
stosses  der  massen,  die  dem  schematischen  sagamann  absolut  fehlen. 
Die  Fornaldarsaga  arbeitet  statt  dessen  mit  ihrem  lieblingsmotiv  des 
persönlichen  Zweikampfes,  das  ja  der  Hunnenschlachtdichtung  nicht 
gefehlt  hat.  Als  Vertreter  der  kämpfenden  Völker  stellt  der  sagaver- 
fasser  die  brüder  gegeneinander. 

Sehr  viel  wesentlicher  ist  der  unterschied,  dass  nur  der  eine 
bruder  weiss,  was  in  diesem  kämpf  eigentlich  geschieht,  und  dass  er 
darun.  auszuweichen  sucht,  solange  es  geht.  Das  gibt  der  pointe  des 
Stoffes  eine  ganz  andere  wendung,  sie  vertieft  die  tragik  des  einen 
bruders    auf   kosten    des    anderen,    indem    sie    ihn    in    einen   tieferen 


184  H.    DE   BOOK 

seelischen  konflikt  hineinstellt.  Davon  kann  in  dem  bruderzwist  der 
Hunnenschlacht  keine  rede  sein.  Da  zerreisst  das  band  bei  den  erb- 
verhandlungen,  wo  sich  ansprach  unausgleichbar  neben  ansprach  stellt 
und  schliesslich  nur  die  wafien  entscheiden  können.  Beide  brüder 
wissen  im  kämpf  voneinander,  und  keiner  will  den  andern  schonen. 
Auch  die  elegische  schlusstrophe  Angantyrs  ändert  daran  nichts;  im 
kämpf  selbst  gab  es  für  ihn  im  vollbewusstsein  seines  rechtes  kein 
bedenken,  und  der  konflikt  zwischen  brudergefühl  und  ehre,  den 
Hildebrand  durchzumachen  hat,  bleibt  ihm  fremd. 

Von  gewicht  ist  ferner  die  scheinbar  mehr  im  äussern  haftende 
tatsache,  dass  im  Hunnenschlachtlied  der  unebenbürtige  hunnische 
bruder  dem  echt  geborenen  gotischen,  dem  besitzer  von  reich  und 
Schwert  unterliegt,  in  der  Hildebranddichtung  dagegen  der  hunnische 
Vorkämpfer  Asmund  im  besitz  des  Schwertes  den  bruder  überwindet. 
Aber  dieser  zug  ist  doch  in  beiden  dichtwerken  konstitutiv.  Die 
Hunnenschlacht  mit  ihrer  gotisch-nationalen  wärme  kann  nur  so  endigen, 
wie  sie  es  tut;  HI9Ö  ist  im  unrecht  und  büsst  dafür.  Die  Hildebrand- 
dichtung dagegen  ist  in  der  form,  wie  wir  sie  kennen,  auf  die  recht- 
fertigung  des  unebenbürtigen  aber  tapferen  Asmund  eingestellt,  und 
kann  ihn,  den  eigentlichen  beiden,  nicht  am  schluss  durch  Hildebrand 
fallen  lassen.  Da  der  nationale  gegensatz  sehr  verblasst,  die  nationale 
anteilnahme  ganz  geschwunden  ist,  begegnet  der  sieg- des  hunnischen 
partners  aus  diesem  gesichtspunkt  keinen  Schwierigkeiten  mehr. 

Es  ist  nun  kein  zufall,  dass  diese  drei  wesentlichen  abweichungen 
der  Hunnenschlacht  von  der  Hildebrandversion  ausgemacht  nach  der 
richtung  der  deutschen  Hildebranddichtung  hin  liegen.  Das  Hilde- 
brandslied hebt  vater  und  söhn  aus  dem  gedränge  der  kämpfenden 
beere  heraus,  das  mit  den  worten  u)ttar  heriun  tuhn  nur  als  hinter- 
grund  in  knappster  kontur  gezeichnet  wird.  Ehrismanns  ausgezeich- 
neter aufsatz  zum  Hildebrandslied  (PBB.  32,  260  ff.)  hat  die  grundlage 
der  ethik  und  des  handlungsaufbaus  des  gedichtes  im  germanischen 
rechtsstreit  erwiesen,  sofern  dieser  durch  den  Zweikampf  entschieden 
wird.  Die  private  einrichtung  des  gerichtlichen  Zweikampfs  wird  zur 
öffentlichen,  wenn  politische  machtansprüche  dadurch  zum  austrag 
kommen.  Hildebrand  und  Hadubrand  fühlen  sich  als  die  gegner  in 
einem  streit  um  recht  und  unrecht  zunächst  in  ihrem  rein  privaten 
zusammenstoss  und  fechten  ihren  kämpf  als  einen  rechtsstreit  durch, 
in  dem  die  gottheit  über  recht  und  unrecht  zu  entscheiden  hat.  Aber 
in  ihrem  privaten  zwist  fühlen  sie  sich  zugleich  als  die  politischen 
Vertreter   ihres   volkes   oder   ihrer   partei   und  empfinden  den  ausgang 


DIE   NORDISCHE   UND    DEUTSCHE   HILDEBRANDSAGE  185 

ihres  persönlichen  kampfes  als  bedeutungsvoll  für  den  kämpf  ihrer 
heere.  Ein  offizieller  Zweikampf  in  Stellvertretung  des  kampfes  der 
beiden  heere  scheint  mir  dagegen  in  dem  gedieht  nicht  dargestellt  oder 
beabsichtigt  zu  sein.  In  gleicher  v^^eise  stehen  sich  Hildebrand  und  Äs- 
mund  als  die  Vertreter  politischer  ansprüche  gegenüber.  Äsmund 
kämpft  für  das  recht  seiner  auftraggeber,  der  sächsischen  herzöge, 
die  nur  an  stelle  der  älteren  Hunnen  getreten  sind,  Hildebrand  für 
das  seines  Schwiegervaters  Lascinus.  So  entstellt  der  hergang  hier 
rein  stofflich  ist,  indem  Asraund,  der  den  versen  nach  für  die  Hän- 
meyir  kämpft,  in  der  prosa  zwei  persönlichkeitslosen  sächsischen 
herzögen  dient,  so  veräusserlicht  der  sittliche  gehalt,  so  unverstanden 
der  sinn  des  Zweikampfes  ist,  wenn  er  in  Stoffhunger  und  äusserlicher 
kraftmeierei  durch  Asmunds  kämpfe  mit  der  sich  immer  mehrenden 
anzahl  berserker  eingeleitet  wird,  der  grundgedanke  dieses  holmganges 
ist  derselbe  wie  der  des  deutschen  Hildebrandliedes.  Saxos  darstellung 
steht  der  eigentlichen  politischen  zweikampfformel  näher,  wenn  bei 
ihm  Hildigerus  als  Vorkämpfer  der  Schweden  einen  Rutherien  zum 
kämpfe  herausfordert. 

In  diesem  rechtsstreit  dem  nah  verwandten  manne  mit  bewusst- 
sein  gegenüberzustehen,  ist  das  harte  Schicksal  Hildebrands  hier  wie 
im  Hildebrandsliede.  Erst  diese  auffassung  als  rechtsstreit  gibt  Hilde- 
brands läge  die  färbung  bitterer  notwendigkeit ;  vor  dem  kämpf  zurück- 
treten, heisst  nicht  nur  sich,  sondern  auch  seine  partei  ins  unrecht 
setzen.  Darum  muss  Hildebrand  den  kämpf  durchfechten.  Auch  hier 
ist  die  saga  äusserlich  und  unklar;  äusserlich,  indem  der  apparat  der 
berserker  vorangehen  muss,  um  Hildebrand  endlich  zum  eingreifen  zu 
bewegen,  unklar,  weil  man  nicht  erfährt,  wie  Hildebrand  zur  kenntuis 
von  Asmunds  namen  und  herkunft  und  damit  zur  feststellung  ihrer 
blutsverwandtschaft  gekommen  ist,  die  er  unvermittelt  in  seinem  sterbe- 
lied  offenbart.  Denn  der  in  der  vorangehenden  szene  an  die  sachsen- 
herzöge ausgesandte  V9ggr  bereitet  zwar  den  leser  auf  die  erkennungs- 
szene  vor,  indem  er  die  wunderbare  ähnlichkeit  von  mann  und  schwert 
mit  seinem  herrn  und  dessen  waffe  nachdrücklich  bestaunt  und  berichtet. 
Aber  er  erfährt  und  nennt  auch  Hildebrand  keinen  namen,  so  dass 
dessen  kenntnis  uns  verwundern  muss.  Es  ist  kaum  vermeidlich,  vor 
dem  Zweikampf  die  formelhafte  namensfrage  und  -nennung  voraus- 
zusetzen, die  das  Hildebraudslied  einleitet.  Etwas  logischer  ist  Saxos 
darstellung  aufgebaut.  Wir  hören  hier  gleich  nach  der  alten  heraus- 
forderung,  dass  Hildigerus  den  wahren  Sachverhalt  irgendwie  weiss 
und   daher   zunächst   dem   kämpf  auszuweichen   sucht.     "Woher   seine 


18fi  H.  DE    BOOK 

kenntnis  stammt,  verrät  auch  Saxo  nicht,  es  folgt  vielmehr  auch  hier 
erst  einmal  Haldanus'  kämpf  mit  den  berserkem,  erfunden  und  durch- 
geführt unter  dem  zv^^ang  der  jüngeren  grundtendenz  der  sagadarstellung: 
'erkämpfung  eines  ehrennamens  {kappabani)  durch  den  unebenbürtigen 
Haldanus-Äsmund'.  Erst  als  diese  kämpfe  vorüber  sind,  treibt  nun 
das  ehrgefühl  Hildebrand  in  den  bruderkampf.  Die  alte,  unerbittliche 
ethik  des  gottesgerichts  ist  also  auch  hier  gebrochen,  wenn  ein  heraus- 
forderer  andere  an  seiner  stelle  in  den  kämpf  schicken  kann.  Aber 
der  konflikt  zwischen  verwandtschaftsgefühl  und  ehre  ist  hier  doch 
deutlicher  das  treibende  moment  geblieben. 

Das  alte  deutsche  Hildebrandslied  hat  im  kämpf  des  vaters  mit 
dem  söhne  zweifellos  Hildebrand,  den  Hunnen  Vorkämpfer,  siegen  lassen. 
Die  deutschen  demente  in  der  nordischen  .darstellung,  vor  allem  das 
färöische  lied,  stehen  ja  unter  der  nachwirkung  dieses  Schlusses.  In 
der  nordischen  behandlung  ist  Hildebrand  der  unterliegende.  Aber 
wir  sahen,  dass  entgegen  der  ganzen  tendenz  des  Hunnenschlachtliedes 
auch  hier  der  Vertreter  der  hunnischen  partei  siegreich  aus  dem  kämpf 
hervorgeht.      Und   das   entspricht    der    deutschen    Hildebranddichtung. 

Als  resultat  der  Untersuchung  ergibt  sich  also  folgendes:  die 
älteste  nordische  form  der  Hildebranddichtung  ist  eine  stoffliche  paral- 
lele zu  der  im  schluss  der  in  der  Harvararsaga  verwendeten  Hunnen- 
schlachtdichtung. Sie  zeigt  jedoch  ab  weichungen  davon  ausser  in  dem 
namen  Hildebrand  selbst  in  drei  wichtigen  punkten,  die  sämtlich  eine 
Übereinstimmung  mit  der  deutschen  Hildebrandtradition  bedeuten.  Wir 
werden  also  die  entstehung  der  nordischen  Hildebranddichtung  so  zu 
verstehen  haben,  dass  der  stoff  vom  gotisch-hunnischen  bruderkampf, 
den  das  Hunnenschlachtlied  überliefert,  von  einem  dichter  zu  einer 
einheit  verschmolzen  wurde  mit  der  alten  dichtung  vom  tragischen 
zw^eikampf  Hildebrands  mit  seinem  söhne,  den  wir  aus  dem  Hilde- 
brandsliede  kennen. 

4.  Die  gotischen  wurzeln. 

Wie  und  wo  hat  sich  dieser  verschmelzungsprozess  vollzogen? 
Zunächst  liegt  es  nahe  zu  fragen,  ob  nicht  auch  diese  Hildebrands- 
motive dem  deutschen  schub  angehören,  den  wir  in  abschnitt  1  und  2 
aus  Saxo,  saga  und  lied  ausgeschieden  haben.  Darauf  ist  zu  ant- 
worten, dass  dort  nur  dinge  zur  erörterung  und  zum  abscheiden  ge- 
kommen waren,  die  sich  als  ein  leicht  entbehrlicher,  oft  dem  übrigen 
Inhalt  widersprechender  anfing  erwiesen  hatten.  Hier  dagegen  handelt 
es  sich  um  züge,  die  in  gefüge  und  komposition  der  dichtung  unent- 


DIE    NORDISCHE    UND    DEUTSCHE    HILÜEBRANDSAGE  187 

behrlich  sind.  Die  tragik  Hildebrands,  des  wissenden  bruders,  ist 
die  Schlusspointe,  auf  die  die  ganze  erzähhmg  zustrebt,  und  die  nicht 
entbehrt  werden  kann,  ohne  das  ganze  zu  entwurzeln,  Hildebrands 
Sterbelied  und  seine  Stimmung  ist  nur  so  denkbar.  Die  auffassung 
des  kampfes  als  beauftragter  rechtsstreit,  nicht  als  erbstreit,  ist  eben- 
falls im  gefüge  der  ganzen  erzählung  vorbereitet;  die  landlosen 
Wikinger  sind  von  vorneherein  nicht  danach  angelegt,  ihren  kämpf 
als  erbzwist  auszufechten.  Besonders  deutlich  liegen  die  zwei  schichten 
zutage  bei  der  beziehung  zu  den  Hunnen.  Die  jüngere  ist  'enn  hart 
Hildibrandr,  hi'inakappi .  Sie  kann  nicht  ebenso  alt  sein  wie  die  Vor- 
stellung: Asmund,  der  kappi  der  Hunmegir.  Wir  stossen  vielmehr 
auf  eine  weit  ältere,  zu  wirklich  organischer  Verschmelzung  geführte 
Schicht  Hildebranddichtung,  die  in  den  stoff  des  bruderzwistes  ein- 
verleibt ist.  Nach  ihrer  herkunft,  nach  ihrem  alter  haben  wir  zu 
fragen. 

Zwei  möglichkeiten  kommen  in  betracht.  Erstens  kann  deutsche 
Hildebranddichtung  mit  tragischem  ausgang  schon  in  sehr  viel  früherer 
zeit,  etwa  gleichzeitig  mit  der  ältesten  Wanderung  des  Nibelungenstoffes 
nach  dem  norden  gekommen  und  dort  mit  dem  bruderzwiststoff  ver- 
arbeitet worden  sein.  Gegen  diese  an  sich  plausible  auffassung  steht 
immerhin  das  bedenken,  dass  Hildebrandsdichtung  in  Deutschland  nur 
als  eingegliedert  in  den  stoffkreis  von  Dietrich  von  Bern  gedacht 
werden  kann.  Von  der  ganzen  reichen  Dietrichdichtung  hat  der  norden 
aber  vor  dem  12.  Jahrhundert  nichts  aufgenommen,  vermutlich  weil 
die  pflege  der  Dietrichdichtung  zur  zeit  der  lebendigen  kultur-  und 
literaturübernahme  der  frühen  Wikingerzeit  noch  nicht  in  fränkischen 
bänden  war.  Das  Hildebrandslied  in  Fulda  ist  ein  erster  früher  vor- 
stoss  bayrischer  dichtung  nach  westen  und  norden.  Eine  so  früh- 
zeitige Übernahme  der  Hildebranddichtung  nach  dem  skandinavischen 
norden  unter  sekundärem  verlust  von  Dietrichs  namen  stellte  ein  iso- 
liertes faktum  dar,  dessen  möglichkeit  man  nicht  leugnen  kann,  das 
aber  aus  dem  rahmen  des  wahrscheinlichen  herausfällt. 

Daneben  besteht  eine  andere  möglichkeit.  Alle  werden  darüber 
einig  sein,  dass  das  Hunnenschlachtlied  ursprünglich  gotische  dichtung 
sei.  Heinzel,  der  vater  der  als  grundlegend  anerkannten  katalaunischen 
hypothese,  braucht  doch  eine  östliche  durchgangsstufe  für  die  Hunnen- 
schlachtdichtung, um  ihr  südöstliches  lokalkolorit  zu  erklären.  Seinem 
gedanken,  diese  bei  den  russischen  Warägern  des  11.  Jahrhunderts  zu 
suchen,  wird  niemand  mehr  gerne  folgen.  Auch  die  auhänger  seiner 
grundanschauung  haben  hier  seinen  Standpunkt  verlassen.    Die  lokali- 


188  H.    UE   BOOK 

sierung  weist,  wie  gesagt,  ausgemacht  auf  pannonische  und  russische, 
üiclit  auf  gallische  ereignisse.  Von  den  versuchten  namensdeutungen 
nimmt  Neckel  (Beiträge  zur  Eddaforschung)  nur  Danparstodir,  Heusler 
(Reallexikon)  daneben  Di'mheiär  und  zweifelnd  JassarfJQÜ  (=  südL 
Karpathen)  als  geglückt  auf.  Auch  sie  müssen  also  mit  dem  östlichen 
moment  rechnen,  das  sie  nun  aber  nicht  mit  Heinzel  als  späten  Zuwachs 
betrachten,  sondern  umgekehrt  als  besonders  alt  ansehen.  Eine  alte, 
aus  den  pannonischen  sitzen  mitgebrachte  dichtung  vom  gotischen 
bruderzwist  ist  in  der  als  westgotisch  anzusehenden  Hunnenschlacht- 
dichtung mit  den  jüngeren  ereignissen  der  katalaunischen  Schlacht 
verschmolzen  worden.  Auch  an  den  historischen  parallelen  Heinzeis, 
die  an  einem  überspitzten  Scharfsinn  leiden,  hat  bereits  Neckel  eine 
berechtigte,  aber  nicht  durchgreifende  kritik  geübt.  Die  gleichsetzung 
der  zwei  unbedeutenden  fränkischen  prinzen,  die  in  einem  zwist  hilfe 
bei  Aetius  und  Attila  gesucht  haben  und  in  der  katalaunischen  schlacht 
auf  verschiedenen  parteien  standen,  mit  den  gotischen  königssöhnen 
Angantyr  und  HI9Ö,  ist  nicht  haltbar.  Ebenso  unmöglich  aber  scheint 
mir  der  historische  Synkretismus,  durch  den  römisch-fränkische  und 
römisch-westgotische  wirren  der  jähre  428  und  439  in  die  Hunnen- 
schlachtdichtung eingespielt  hätten;  ausfallen  muss  auch  der  'prophe- 
tische einsiedler'  und  der  bischof  von  Orleans  mit  seiner  voraussage 
des  Schlachttages  als  spezifisch  christlich  legendenhafte  arabesken  an 
den  ereignissen.  Am  meisten  halt  hat  die  beliebte,  auch  von  Neckel 
und  Heusler  aufgenommene  gleichsetzung  des  Vandalenkönigs  Geise- 
ricus,  Attilas  bundesgenossen,  mit  dem  Gizurr  Grytingalidi  des  liedes. 
Aber  die  parallele  verlangt  eine  radikale  Verschiebung  dieser  persön- 
lichkeit, nicht  nur  von  der  hunnischen  auf  die  gotische  seite,  sondern 
eine  ganz  besonders  krasse  Umstellung  ihres  ethos,  indem  dieser  Gizurr 
zur  Verkörperung  des  gotisch-völkischen  Überlegenheitsgefühls  über 
das  Hunnentum  wird,  und  einen  entsprechend  gebildeten,  stabenden 
beinamen  erhält.  Dieser  poetische  frontwechsel  nimmt  der  gleichung^ 
ihre  Wahrscheinlichkeit.  Es  bleibt  letzten  endes  von  allen  parallelen 
nur  die  grosse  Völkerschlacht  selbst  mit  einem  warmen  ton  gotischen 
Siegergefühls.  Gerade  der  gotisch-nationale  einschlag  ist  aber,  selbst 
wenn  man  westgotische  herkunft  des  Hunnenschlachtliedes  annimmt^ 
bei  dieser  internationalen  römischen  begebenheit  weniger  verständlich, 
als  wenn  man  einen  der  freiheits-  und  existenzkämpfe  der  Goten  mit 
den  Hunnen  in  den  durch  Danpr,  DunheUlr  und  JassarfJQll  festgelegten 
pannonischen  gegenden  als  historische  grundlage  ansieht.  Die  hier 
ausgefochtenen   schlachten,    uns   ferner  gerückt  und  weniger  bekannt. 


DIE   NORmSCHE   UND    DEUTSCHE   HILDEBRANDSAGE  189 

weil  sie  die  römische  weit  und  ihre  Chronisten  wenig  interessierten^ 
müssen  mit  gotischen  äugen  gesehen  und  mit  gotischem  herzen  durch- 
fochten als  ereignisse  von  zentraler  bedeutung  erschienen  sein,  die 
in  der  nationalen  phantasie  gewaltige  masstäbe  annahmen.  Der  süd- 
östliche einschlag  ist  einmal  da,  warum  soll  man  nicht  versuchen,  auf 
ihm  von  grund  aus  aufzubauen?  die  mischungshypothese  ist  ja  nur 
eine  Verlegenheitsauskunft,  die  schon  in  Heinzeis  darlegungen  gegeben 
war.  Von  Schütte,  der  an  der  katalaunischen  hypothese  festhält, 
wurde  sie  straffer  herausgearbeitet,  blieb  aber  formlos  und  ohne  Um- 
grenzung der  konkreten  bildungselemente.  Neckel  sucht  die  künst- 
lerisch geformten  einheiten  herauszuschälen,  aus  denen  das  misch- 
produkt  entstand  K  Alle  versuche  aber  erwachsen  aus  dem  bestreben, 
Heinzeis  bestechende  hypothese  zu  halten,  auch  nachdem  sich  ergeben 
hatte,  dass  sie  allein  für  die  analyse  der  ganzen  Hunnenschlachtdichtnng 
nicht  ausreichte.  Hier  hat  denn  Schuck  den  richtigen  griff  getan, 
indem  er  die  Heiuzelsche  hypothese  entschlossen  beiseite  tat  und  ver- 
suchte, mit  den  gotisch-pannonischen  ereignissen  allein  auszukommen. 
Da  die  meisten  eigennamen  jede  historische  anknüpfung  verweigern, 
ist  eine  klare  historische  festlegung  nicht  möglich.  Die  auf  Heinzel 
zurückgehende  gleichung  Angantyr  =  Aetius,  Hlgör  =  Chlodio  ist  in  ihrem 
ersten  teil  sprachlich  so  weit  hergeholt,  dass  man  allenfalls  von  einer 
sonst  ganz  sicheren  basis  aus  versuchen  könnte,  die  beiden  namen  in 
Übereinstimmung  zu  bringen ;  um  eine  selbst  noch  unbewiesene  an- 
nähme zu  stützen,  ist  die  gleichung  unbrauchbar.  Weit  einleuchtender 
ist  die  gleichsetzung  Hl9Ör-Chlodio,  nur  ist  leider  der  von  Heinzel 
herangezogene  Franke  Chlodio  an  der  katalaunischen  schlacht  nicht 
beteiligt,  sondern  schon  428  von  Aetius  besiegt,  während  451  die 
Franken   nicht   seine  gegner,    sondern   seine   verbündeten   sind.     Hier 

1)  Hier  entspringt  auch  Neckeis  versuch,  den  namen  Tjrfingr  als  schwert- 
namen  für  unursprünglich  zu  erweisen  und  ihm  im  alten  lied  die  bedeutung  eines 
Völker-  oder  ländernameus  im  anschluss  an  die  bezeichnung  der  Westgoten  als 
'Tervingen'  beizulegen.  Er  gewinnt  so  einen  ostgotisch- westgotischen  bruder-  und 
erbzwist  als  Inhalt  des  alten  gotischen  liedes,  das  sich  mit  der  dichtung  der  kata- 
launischen Schlacht  verschmolz.  Mir  will  diese  konstruktion  weder  nötig  noch 
glücklich  erscheinen.  Soviel  ich  sehe,  ist  der  name  Tyrfing  zunächst  gut  der 
Sämseydichtung,  wo  das  schwert  die  entscheidende  rolle  spielt,  und  wo  der  name 
seine  etymologische  berechtigung  erhält  (Tyrfingr  zu  an.  torf  =  torf,  rasen,  d.  h. 
also  das  unter  der  rasenscholle  verborgene,  aus  der  erde  gewonnene  schwert).  Dass 
Tyrfingr  in  den  katalogaufzeichnungen  der  Arngrirasöhne  mehrfach  als  name  eines 
Sohnes  auftritt,  ist  für  mich  nur  so  aufzufassen,  dass  der  name  des  ihnen  zugehörigen 
Schwertes  missverständlich  in  die  aufzählung  eingedrungen  ist. 


190  H.  DK    BOOK 

Stimmt  also  zwar  die  etymologische,  aber  nicht  die  historische  parallele. 
Um  diesem  mangel  abzuhelfen,  hat  Heinzel  weitere  parallelliguren 
herbeigezogen,  nämlich  Litorius,  den  Aetius  im  jähre  439  besiegte  und 
Laudaricus,  einen  verwandten  Attilas,  der  in  der  katalaunischen  schlacht 
fiel.  Dieser  Synkretismus  der  gestalten  und  namen  zu  dem  einen 
Hlgdr  entbehrt  für  mich  jeder  inneren  Wahrscheinlichkeit  und  beweist 
nur  die  Unmöglichkeit,  auf  diesem  wege  das  wirkliche  historische 
Vorbild  für  Hlgör  zu  gewinnen.  Nun  fehlen  freilich  auch  auf  ost- 
gotischem boden  alle  möglichkeiten  einer  anknüpfung  der  namen 
Angantyr  und  Hlgö,  und  es  ist  zu  erwägen,  ob  sie  nicht  erst  nordischen 
Ursprungs  sind\    Ihre  frühe  existenz  wird  jedenfalls  durch  den  Widsid 

1)  Die  namen  Hlgft  und  Humli  sind  bekanntlich  auch  in  die  dänische  Vor- 
geschichte an  der  spitze  der  Skjoldungenreihe  aufgenommen  worden.  Die  aufnalime 
ist  nicht  für  beide  namen  gleichzeitig  erfolgt.  Saxo  kennt  beide,  aber  auch  hier 
zeigen  sich  die  dän.  königsreihen  nur  sehr  z.  t.  von  Saxo  beeinflusst.  Seine  reihe 
ist:  Humblus  — Dan  etAngul  — Humhlus  etLotherus  als  söhne  Dans— Skyoldus  als  söhn 
des  Lotherus.  Diese  reihenbildung  mit  zwei  Humblus  und  einem  Lotherus  als 
enkel  des  älteren  Humhlus  hat  von  den  ausführlichen  dän.  reihen  nur  der  ganz  von 
Saxo  abhängige  Petrus  Olai  und  die  Ry-annalen  (Chronikon  Erici,  f  bei  Olrik),  die 
auch  in  der  einführung  des  Haldanus  Saxos  einfluss  verrieten.  Sonst  haben  den 
älteren  Humblus  nur  noch  die  längere  runenreihe  (Olrik  e),  die  ebenfalls  Saxos 
Haldanus  aufgenommen  hatte,  den  jüngeren  Humblus  ohne  verwandtschaftsangabe 
a  in  seiner  reihe:  Dan-Humli-Löther-Skjold,  und  wieder  sahen  wir  a  von  Saxo  ab- 
hängig in  der  aufnähme  des  0stmarus,  der  bei  Saxo  Borcarus  von  Schonen  ersetzt. 
Dagegen  fehlt  Humblus  nicht  nur  in  den  kürzeren  reihen  (Sven  Ageson,  Lunder 
annalen,  Catalogus  regum  in  Script,  rer.  dan.  I,  13  f)  die  auch  Lotherus  nicht  kennen, 
sondern  auch  unter  den  längeren  reihen  in  b  und  c.  Die  kürzere  runenreihe  (Olriks  d) 
ist  im  anfang  verstümmelt  und  kommt  deswegen  nicht  in  betracht,  wird  aber 
durch  5  (Kongetalet  bei  Rerdam,  Mon.  bist.  dan.  453—456)  ersetzt.  3  stellt  sich 
trotz  einiger  entstellungen  zu  h  und  c  mit  seiner  genealogie:  Dan,  der  erste  Dänen- 
könig—Dans söhn  Lother  —  Dans  söhn  Skjoldoe.  Lother  und  Skjold  werden  hier  also 
brüder  statt  vater  und  söhn.  Das  ist  vielleicht  ein  schwacher  anklang  an  Saxos 
brüder  Lotherus  und  Humblus.  Ebenso  konnte  die  erfinduug  eines  Herr  Pethar  als 
Dans  vater  durch  Saxo  veranlasst  sein.  Aber  der  name  Humli  ist  5  unbekannt. 
Dagegen  ist  Lotherus  der  ganzen  gruppe  der  längeren  reihe  eigen,  auch  b,  c  und  3 
kennen  ihn;  er  ist  also  älter  als  Saxo.  Die  reihenfolge  Lotherus-Skjold  als  vater 
und  söhn  ist  das  festeste,  was  die  königsreihen  in  dieser  ältesten  zeit  überhaupt 
haben,  schon  Müllers  Notae  uberiores  machen  darauf  aufmerksam.  Da  der  folge 
Lotherus-Skjold  in  isl.  quellen  eine  folge  Ödinn-SkJQldr  entspricht,  besteht  Müllers 
schluss  zu  recht,  dass  auch  der  Lotherus  der  königsreihen  mythologischen  wert 
habe,  wenn  auch  seine  noch  von  Heinzel  aufgenommene  gleichung:  Lotherus  =  Lödurr 
wenig  Wahrscheinlichkeit  hat.  Der  gang  der  entwicklung  war  also  der,  dass  Saxo 
den  Lotherus,  den  er  in  den  königsgenealogien  vorfand,  mit  dem  Hl9dr  der  Her- 
vararsaga  gleichsetzte,  ihm  ganz  richtig  einen  grossvater  Humli  zuschrieb  und  ihn 
in   einen   bruderzwist  verwickelte,   wobei   der   Saxo  sichtlich  unbekannte  name  des 


DIE    NORDISCHK    UND    DEL'TSCHE    HILDEBRAXDSAGE  191 

■erwiesen.  Das  nebeneinander  von  HeaJ)oric,  Sifeca,  HliJ)e,  Incgen|3eüw 
kann  nicht  zufällig  sein.  Dagegen  steht  Wyrmhere  bedeutend  weiter 
ab  und  braucht  nicht  zu  dieser  gruppe  zu  gehören.  Jedesfalls  kann 
ich  aber  mit  Heusler  (reallexikon)  nicht  einverstanden  sein,  dass  der 
sechs  Zeilen  später  erwähnte  kämpf  mit  AJtlan  leodum  sich  gerade 
auf  diese  gruppe  beziehen  und  Zusammenhang  mit  der  niederlage 
Attilas  auf  den  katalaunischeu  gefilden  erweisen  solle.  Dem  wider- 
spräche schon  der  alte  gotische  erbsitz  Wistlaiviidu,  der  weit  vor 
Attilas  zeit  fällt.  Ich  kann  auch  hier  nur  erinnerungen  an  sehr  frühe 
gotisch-hunnische  gegensätze  im  östlichen  Europa  erkennen,  in  denen 
die  gesamten,  in  den  voraufgehenden  Zeilen  genannten  Gotenhelden  als 
Vertreter  ihres  volkes  den  Hunnen  gegenübergestellt  werden.  Die 
bezeichnung  .Etlan  leode  =  Attilas  volk  ist  rein  periphrastisch  ohne 
bestimmte  historische  festlegung.  Von  hier  aus  ist  also  weder  eine 
anknüpfung  an  die  katalaunische  Schlacht  noch  eine  klärung  der  namen 
zu  gewinnen '.  Es  ist  also  einstweilen  am  vorsichtigsten,  von  einer 
deutung  der  namen  überhaupt  abzusehen.  Der  einzige  wirklich  greif- 
bare Personenname  ist  der  beiname  Gri/tingnlidi,  der  schon  längst  und 
wohl  allgemein  anerkannt  auf  den  völkernamen  der  Greutungen  -=  Ost- 
goten gedeutet  ist,  also  auf  ostgotiscbes  milieu  verweist  und  von  den 
Vertretern  der  katalaunischeu  hypothese  in  dem  westgotischen  gedieht 
erst  einem  radikalen  umwandlungsprozess  unterworfen  werden  muss. 
Über  das  ansprechende  der  namensgleichung  Gizurr  =  Geisericus  ist 
bereits  gesprochen.  Aber  auch  die  ostgotische  tradition  liefert  eine 
parallele,  die  einen  wenigstens  ähnlichen  namen  mit  einer  stofflich 
weit  besser  passenden  persönlichkeit  verbindet.  Es  ist  der  bekannte 
Ge(n)simundus  des  Cassiodor,  den  Müllenhoff  (ZE  II)  als  historisches 
Vorbild  des  deutschen  Hildebrand  erkannt  hat.  Er  hat  immerhin  den- 
selben ersten  namensteil  aufzuweisen  wie  Geisericus  —  in  ostgotischer 
lautgestalt  Gesi  -,  der  in  Gizurr  entstellt  nachleben  könnte.  Er  hat 
aber  daneben  dieselbe  rolle,  die  Gizurr  im  Hunnenschlachtlied  zufällt, 
die  eines  älteren  erfahrenen   Schützers   und  beraters  eines  jungen  ost- 

bruders  durch  den  des  grossvaters  Huiuli  ersetzt  wurde.  Diese  aus  der  Hervarar- 
saga  vermehrte  genealogie  hat  einzelne  der  una  erhaltenen  längeren  königsreihen 
beeinflusst,  ist  aber  erst  von  spezifischen  Saxoepigonen  wie  Petrus  Olai  voll  an- 
erkannt worden. 

1)  Auf  deutschem  boden  ist  der  name  Angandeo  nur  sehr  spärlich  belegt. 
Von  den  beiden  stellen  bei  Förstemann  fällt  die  aus  Einharts  Annalen  (Scr.  I,  198) 
fort,  da  es  sich  hier  um  einen  dänischen  königsohn  handelt.  Es  bleibt  nur  der 
vereinzelte  fuldische  beleg  bei  Dronke. 

ZEITSCHRIFT  F.  DEUTSCHE  PHILOLOGIE.    BD.  L.  U 


[ 


192  H.    DE   BOOK 

gotischen  königsohnes;  der  beinarae  Grytingalidi  =  Greutungenschutz 
ist  damit  historisch  gerechtfertigt.  Die  poetische  Verklärung  des  Gesi- 
mundus  bezeugt  uns  Cassiodor  an  jener  stelle  ausdrücklich.  Er  ist 
ostgotischer  held  und  verweist  uns  in  die  zeit  der  brüder  Valamir, 
Vidimir  und  Theodemir,  in  die  gleiche  zeit  also,  in  der  die  Ostgoten 
das  hunnische  joch  unter  Attilas  schwachen  söhnen  kräftig  abschüttelten. 
Das  stimmt  wieder  gut  zu  dem  siegesfrohen  klang,  der  durch  die 
Hunnenschlachtdichtung  geht,  sodass  Schucks  hinweis  gerade  auf  die 
kämpfe  dieser  zeit  volle  beachtung  verdient.  Eine  zug  für  zug  durch- 
geführte historische  vergleichung,  dessen  ist  sich  auch  Schuck  wohl 
bewusst,  ist  damit  nicht  gewonnen.  Sie  ist  auch  vielleicht  nicht  das 
wesentlichste.  Viel  wichtiger  ist  es  jedesfalls,  die  Stimmung  von 
feindschaft  zwischen  Goten  und  Hunnen  vom  Zusammenbruch  des 
grossen  reiches  Ermanarichs  bis  zur  abschüttelung  der  Hunnenherr- 
schaft unter  Attilas  söhnen  kräftig  hervorzuheben.  Das  nationale  Über- 
legenheitsgefühl eines  selbstbewussten  und  kulturell  hochstehenden 
Volkes  gegenüber  seinen  unzivilisierten  und  hässlichen  oberherrn  ist 
auch  in  dem  sympathischen  Attilabild  der  mittelhochdeutschen  epik 
nicht  ganz  vergessen.  Bei  den  Zeitgenossen  muss  der  Widerspruch 
geistiger  Überlegenheit  und  politischer  unterwenfung  zu  heftigen  inneren 
Spannungen  geführt  haben,  die  sich  auch  tatsächlich  in  wiederholten 
befreiungsversuchen  entluden.  Das  bild  des  grossen  germanischen 
Völkerhirten  Attila,  das  gewiss  seine  berechtigung  hat,  ist  in  der 
deutschen  dichtung  schon  frühzeitig  so  in  den  Vordergrund  getreten, 
dass  man  nur  zu  leicht  vergisst,  dass  germanische  Völker  und  herrscher 
schwer  unter  dem  politischen  und  moralischen  druck  der  Unfreiheit  gelitten 
haben.  Der  Attila  der  eddischen  dichtung  mit  seinen  zügen  wilder  grausam- 
keit,  masslosigkeit  und  heimtücke,  -  das  sollte  man  nicht  vergessen  -  ist 
nicht  weniger  als  der  Attila  der  Dietrichdichtungen  eine  germanische 
poetische  gestaltuug,  die  in  ihren  anfangen  auf  zeitgenössisch-germanischer 
beurteilung  des  grossen  Hunnenkönigs  beruht.  Das  eddische  Attilaporträt 
wurde  zuerst  entworfen  in  kreisen  gotischer  edler,  denen  sein  tod 
eine  erlösung,  und  denen  die  früh  von  der  dichtung  ergriffene  Hildico 
eine  heldin  war.  Wir  haben  keinen  grund  zu  zweifeln,  dass  die  fast 
hundertjährige  Hunnenherrschaft  und  die  unter  ihr  brennenden  natio- 
nalen gegensätze  poetische  Verarbeitung  gefunden  haben.  Aber  auch 
innere  Zersplitterung  und  Parteigänger  der  Hunnen  sind  uns  aus 
dieser  zeit  bekannt  (z.  b.  die  geschichte  von  Vinitharius  bei  Jor- 
danes)  und  können  anlass  gegeben  haben  zu  einer  dichtung  von 
idiotischen     bruderkämpfen.      Der     Hervararsaga     haben     wir    es     zu 


DIE   NORDrSCHE   UND   DEUTSCHE   HILDEBRANDSAGE  193 

danken,  dass  sie  uns  ein  stück  gotisch-nationaler  dichtung*  bewahrt 
hat,  deren  pragmatisch-historische  grundlage  nicht  mehr  eindeutig  be- 
stimmbar und  vermutlich  überhaupt  mehrdeutig  ist,  deren  ganzer 
psychologischer  quellboden  aber  deutlich  und  verständlich  uns  vor 
äugen  steht. 

Eine  besondere  stütze  hatte  die  katalaunische  hypothese  darin, 
dass  sie  die  Vermittlung  des  Stoffes  nach  dem  norden  gut  erklären 
konnte.  Die  westgotische  Hunnenschlachtdichtung,  die  alte  gotische 
erinnerungen  (erbstreit  der  brüder)  mit  dem  gewaltigen  eindruck  der 
katalaunischen  schlacht  zusammenarbeitete,  ist  von  den  benachbarten 
und  in  der  schlacht  verbündeten  Franken  aufgenommen  und  wie  der 
Nibelungenstoff  von  ihnen  dem  skandinavischen  norden  weitergegeben, 
in  Deutschland  selbst  aber  später  vergessen  worden.  Dagegen  bliebe 
bei  einer  ostgotischen  entstehung  die  weite  Wanderung  über  Bayern 
und  Franken  nach  dem  norden  schwer  verständlich,  die  dem  so  popu- 
lären Dietrichstoff  nicht  geglückt  ist. 

Indessen  haben  wir  den  richtigen  kulturellen  hintergrund  für  die 
bewahrung  eines  Stückes  in  poetischer  formung  von  seiner  ostgotischen 
entstehung  bis  in  die  isländische  saga  hinein  erst  in  letzter  zeit  recht 
verstehen  gelernt.  Seit  wir  wissen,  wie  lebhafte  kulturbeziehungen 
sich  von  den  russischen  und  pannonischen  Goten  die  ostdeutschen 
ströme  hinab  nach  dem  skandinavischen  norden  erstreckt  haben,  wird 
uns  auch  die  wanderungsstrasse  des  Hunnenschlachtliedes  klar.  Diese 
östlichen  kulturzusammenhänge  sind  zuerst  den  germanischen  archäo- 
logen  aufgefallen  und  von  Bernhard  Salin  in  seinem  buch  über  die 
altgermanische  tierornamentik  für  das  germanische  kunsthandwerk 
näher  verfolgt  worden.  Die  lagerung  des  Zentrums  und  der  wege 
dieser  kulturströmungen  erwiesen  sich  dabei  als  ziemlich,  entsprechend 
den  Zügen  und  Verschiebungen  der  Goten  in  ihren  versuchen,  den  von 
Osten  andrängenden  Hunnen  auszuweichen.  Erhöhte  kulturgeschicht- 
liche bedeutung  erhielt  die  östliche  Verbindung  des  nordens  mit  süd- 
germanischen Völkern  durch  von  Friesens  nachweis,  dass  die  kenntnis 
des  runenalphabets  dem  skandinavischen  norden  auf  diesem  wege 
zugekommen  sei.  Auf  mythologischem  gebiet  haben  u.  a.  Olrik  seine 
Ragnarokstudien  und  Neckel  sein  buch  über  Baldr  auf  der  tatsache 
dieses  östlichen  weges  aufgebaut.  Neckel  denkt  dabei  an  Wanderung 
der  mythologischen  Vorstellungen  in  poetisch  festgeprägter  form.  Auch 
die  erforschung  der  heldendichtung  wird  sich  diesen  weg  zunutze 
machen    müssen.      Sie  wird    die  seinerzeit  auf  zu  schmaler  basis  auf- 


i 


194  H.    IJK    HOOK 

gebaute  hypothese  Mogks  *  von  einer  direkten  Vermittlung  der  gotischen, 
durch  Jordanes  vertretenen  Ermanarichdichtung  an  die  skandinavischen 
Völker  wieder  aufnehmen  müssen,  woran  Neckel  in  seiner  kleinen  alt- 
nordischen literaturgeschichte  andeutend  zu  denken  scheint.  Und  sie 
wird  sich  fragen  müssen,  ob  nicht  auch  die  nordische  darstellung  von 
Attilas  tode  und  vom  Burgundenuntergang  diesen  weg  gegangen  sein 
kann.  So  erst  tritt  auch  die  ostgotische  herkunft  der  nordischen  Hunnen- 
schlachtdichtung in  einen  breiteren  kulturgeschichtlichen  Zusammenhang, 
durch  den  sie  organisch  und  wahrscheinlich  wirkt.  Sie  ist  ein  zeuge 
für  die  östliche  kulturwelle,  die  neben  einer  in  so  alter  zeit  übrigens 
noch  schwächeren  westlichen  welle  dem  skandinavischen  norden  die 
erweiterten  Weltkenntnisse,  erfahrungen  und  kulturgüter  der  Germanen 
vermittelte,  die  mit  der  römisch-griechischen  weit  in  berührung  getreten 
waren.  Es  ist  dabei  unnötig,  wie  Schuck  es  in  Heinzeis  fusspuren 
tut,  warägische  zv^'ischenstufen  vorauszusetzen.  Das  festgeformte  gotische 
Hunnenschlachtlied  des  5.  Jahrhunderts  ist  auf  östlichen  wegen  dem 
norden  zugekommen,  und  in  den  hochaltertümlichen  teilen  des  arg 
zersetzten  gedichtes  dürfen  wir  einen  direkten  nachklang  alter  gotischer 
verse  verehren. 

Viel  kürzer  kann  die  heimat  der  Hildebranddichtung  behandelt 
werden.  Es  besteht  wohl  nirgends  ein  zweifei,  dass  sie  ostgotischer 
herkunft  ist,  und  Mülleuhoffs  hiuweis  auf  den  ostgotischen  Ge(n)simundus 
als  historisches  vorbild  für  den  alten  Hildebrand  hat  wohl  allseitige 
Zustimmung  gefunden.  Damit  stellt  sich  neben  die  eine  möglichkeit, 
dass  deutsche,  durch  die  Franken  übermittelte  Hildebranddichtung  im 
norden  mit  dem  bruderzwiststoff  verschmolzen  sei,  die  andere,  dass 
diese  Verschmelzung  sich  schon  in  der  band  der  Ostgoten  vollzogen 
habe.  Welche  von  beiden  möglichkeiten  vorzuziehen  ist,  muss  die 
Untersuchung  erweisen.  Für  die  zweite  hätte  man  sich  zu  entscheiden, 
wenn  auch  die  deutsche  Hildebranddichtung  selbständige  und  von 
der  nordischen  Hildebranddichtuug  unabhängige  beziehungen  zum 
Hunnenschlachtliede  aufwiese.  Dann  ergäbe  sich  ein  gotisches  lied, 
das  Hunnenschlacht  und  Hildebrandsschicksal  "in  eins  verschmolzen 
hätte,  als  der  wahrscheinliche  quellpunkt.  Und  das  ist  in  der  tat 
der  fall. 

Im  Hunnenschlachtlied  hebt  sich  als  markante  persönlichkeit  der 
alte   ziehvater  Angantyrs,    Gizurr,  heraus.      Er  hat  im  lied  zwei  indi- 

1)  E.  Mogk,  Die  älteste  Wanderung  der  deutschen  heldensage  nach  dem 
norden.     Festgabe  für  Eud.  Hildebrand  s.  1  if. 


DIE    NORDISCHE   UND   DEUTSCHE   HILDEBRANDSAGK  195 

vidiielle  aiiftritte,  die  scheltrede  gegen  HI9Ö,  in  der  er  ihm  den  vor- 
warf seiner  unechten  geburt  entgegenschleudert,  und  den  kundschaftsritt 
zum  feindlichen  heer.  Dieser  zweite  auftritt  verläuft  so,  dass  der  könig 
mit  freigebigem  angebot  vergebens  einen  seiner  mannen  zu  dem  gefahr- 
vollen ritt  zu  werben  versucht,  bis  sich  endlich  Gizurr  ohne  goldenen 
lohn  dazu  erbietet.  Er  trifft  das  Hunnenheer  und  ruft  es  an;  den 
Speer  schleudert  er  hinein  und  weiht  damit  die  feinde  Odinn  zum 
opfer.  Da  ruft  Hloö,  man  solle  Gizurr  Grytingalidi  ergreifen,  Humli 
aber  wehrt  ab,  dass  die  masse  über  den  einzelnen  herfalle.  So  kommt 
Gizurr  unverletzt  davon  und  berichtet  seinem  herrn  von  der  unüber- 
sehbaren Hunnenschar.  Nach  dieser  szene  der  Hunnenschlacht  hat 
Saxo  eine  episode  seines  sechsten  buches  gestaltet  und  sie  an  Frotho  HI. 
(=  Angantyr)  und  Ericus  (=  Gizurr)  geknüpft.  Auch  hier  finden  wir 
den  prächtigen  auftritt  des  einsamen  spähers  gegenüber  den  wimmelnden 
massen.  Aber  es  ist  eine  zweifellose  Störung,  wenn  hier  Ericus  das 
Sittengebot:  einer  soll  nicht  von  vielen  angegriffen  werden,  im  eigenen 
Interesse  selbst  geltend  macht. 

Der  soeben  näher  analysierte  auftritt  Gizurs  hat  seine  deutliche 
entsprechung  in  der  deutschen  Hildebrandtradition,  die  eine  typische 
szene  herausgearbeitet  hat:  'Hildebrand  auf  der  wart'.  Und  zwar  ist 
diese  szene  im  kontext  der  Rabenschlachtdichtung  entwickelt,  deren 
kern  entschieden  ostgotischen  Ursprungs  ist.  Am  klarsten  ist  die 
Situation  in  der  fassung  der  Rabenschlacht  bewahrt,  die,  vielfach  von 
der  Heinrich  des  Voglers  abweichend,  der  Thidrekssaga  als  vorläge 
gedient  hat.  Die  sehr  ausführliche  und  keineswegs  klare  darstellung 
der  saga  reflektiert  hier  nur  den  ebenso  gearteten,  angeschwellten  und 
breit  epischen  auf  bau  der  deutschen  quelle,  die  mit  den  komplizierten 
und  schwankenden  freundschafts-  und  feindschaftsverhältnissen  arbeitet, 
die  der  historisierenden  Dietrichdichtung  eigen  sind.  In  der  nacht 
vor  der  grossen  schlacht  reitet  Hildebrand  durch  eine  fürt  auf  kund- 
schaft  gegen  Erminriks  lager  jenseits  des  flusses,  er  stösst  auf  einen 
anderen  einsamen  reiter,  in  dem  er  seinen  alten  freund  Rseinalld  er- 
kennt, der  doch  Erminrik  treu  geblieben  ist.  Rseinalld  erklärt  Hildebrand 
die  gliederung  von  Erminriks  heer.  Als  sie  zu  Dietrichs  lager  um- 
kehren wollen,  damit  Hildebrand  Rieinalld  denselben  dienst  erweise, 
begegnet  ihnen  eine  bewaffnete  schar,  vardmenn  Öifkas,  mit  denen 
es  zu  einem  vorübergehenden  zusammenstoss  kommt.  Doch  gelangen 
Hildebrand  und  Rseinalld  über  den  fluss  zu  Dietrichs  lager,  über 
dessen  aufbau  Hildebrand  dem  freunde  umständlichen  bericht  gibt. 
Dann   trennen  sich  beide  in  freundschaft  und   kehren  zu  ihren  lagern 


196  H.    DE    liOOK 

heim^.  Als  Rseinalld  bei  den  seinen  ankommt,  findet  er  Sifkas  zeit 
in  aufruhr  und  zurüstung  zur  Verfolgung  des  von  den  vnrdmenn  ge- 
meldeten Hildebrand.  Da  tritt  Rseinalld  Sifka  entgegen  und  droht, 
dass  der  weg  zur  Verfolgung  Hildebrands  nur  über  den  kämpf  mit 
ihm  selbst  und  seiner  schar  gehe ;  er  wolle  Erminrik  wohl  treue  halten, 
'aber  nicht  kann  ich  euch  das  gestatten,  dass  ihr  Hildebrand  erschlagt, 
während  er  allein  davonreitet'.  Hildebrand  kommt  zu  Dietrich  und 
berichtet,  was  er  gesehen  hat.  Reduziert  man  diesen  episch  ver- 
breiterten und  in  mehrere  auftritte  zerdehnten  bericht  auf  seinen  kern, 
so  erhält  man  die  Gizurrepisode  des  Hunnenschlachtliedes.  Hilde- 
brand-Raeinalld-Sifka  entsprechen  Gizurr-Humli-Hl^ö.  Der  alte  königs- 
pfleger  reitet  einsam  aus,  dem  feindlichen  beer  entgegen,  um  es  zu 
erforschen.  Als  man  seiner  ansichtig  wird,  will  Sifka-Hlgö  ihn  an- 
greifen und  erschlagen,  aber  Rseinalld-Humli  tritt  für  ihn  ein;  man 
soll  den  einsam  reitenden  kundschafter  nicht  mit  Übermacht  überfallen. 
So  kehrt  er  heim  und  kann  berichten,  was  er  gesehen  hat. 

Die  szene:  'Hildebrand  auf  der  wart'  ist  in  der  deutschen  dich- 
tung  typisch  geworden.  Für  die  Rabenschlacht  haben  wir  das  zeugnis 
der  saga  anzurufen,  da  die  deutsche  Rabenschlachtdichtung  die  szene 
abgeblasst  hat  bis  auf  eine  blosse  aufzählung  der  feindlichen  scharen 
durch  Hildebrand  vor  Dietrich  (str.  474  fif.),  also  den  alten  schluss. 
Aber  Dietrichs  flucht,  die  überall  die  Rabenschlacht  ausschreibt,  macht 
sich  das  motiv  zweimal  zunutze ;  sie  schickt  Hildebrand  jeweils  selb- 
viert  auf  die  wart  (3150  ff.,  6141  ff.),  ohne  doch  das  motiv  'einer  gegen 
viele'  poetisch  auszuwerten.  Abermals  sehen  wir  Hildebrand  auf  der 
wart  in  Alpharts  tod  (str.  327  ff.)  bei  dem  entsatzzug  von  Breisach 
her.  Auch  hier  reitet  Hildebrand  zunächst  mit  vier  andern  aus,  aber 
von  Str.  338  an  löst  er  sich  von  den  genossen  los,  und  bei  dem  zu- 
sammenstoss  mit  dem  feindlichen  häufen  ist  er  allein.  Wie  Ericus 
bei  Saxo  verbirgt  er  seinen  namen,  wird  aber  erkannt  und  bedroht. 
Das  motiv  'einer  gegen  viele'  kommt  zur  entfaltung,  doch  in  der 
stereotypen  form  der  mhd.  epik,  dass  der  held  den  massenkampf  auf- 
nimmt. Die  alte  kriegerethik  des  Gizurrauftrittes  ist  verklungen. 
Aber   der   hauptinhalt   des  gedichtes,  die  wart  des  jungen  Alphart  ist 

1)  Nebenbei  ein  interessanter  beleg  für  die  Wandlung  der  gefolgschaftsethik 
mit  ihrer  leidenschaftlichen  Parteinahme  für  den  gefolgsherren  zu  einer  mechanisch 
nüchternen  lehensauffassung,  die  den  einzelnen  zwar  zur  heerfolge  bei  dem  lehns- 
herren  zwingt,  aber  auf  seine  persönlichen  neigungen  und  abneigungen  keinen 
einfluss  hat.  Wie  anders  tiefgreifend  behandelt  noch  das  Nibelungenlied  dasselbe 
problem  in  Rüdigers  seelenkonflikt. 


DIE   NORDISCHE   UND   DEUTSCHE   HILDEBRANDSAGE  197 

ganz  darauf  aufgebaut.    Er  selbst  schlägt  das  thema  vor  dem  ausritt  an  : 

Str.  99.    sol  einer  nach  dem  andern       an  mich  ze  strite  gän, 
also  ez  von  alter  her       reht  ist  gewesen, 
in  stürmen  und  in  strtten       getrüwe  ich  harte  ivol  genesen. 

Das  alte  ehrenhafte  kampfgebot  wird  denn  auch  hier  wie  im  Hunnen- 
schlachtlied von  dem  anständigsten  seiner  feinde  zu  seinem  schütze 
geltend  gemacht.  Als  hüter  alter  sitte  tritt  ein  grauer  ritter  für  ehr- 
lichen kämpf  ein. 

Str.  162.  si  wollen  alle  ze  male       üf  in  geslagen  hdn. 

dö  sprach  ein  alter  ritter        des  müest  ivir  immer  laster  hdn. 

str.  163.  in  beste  der  man  bestmder,  als  ez  reht  6v  gewesen. 

Das  ist  ganz  die  alte  szene,  die  dann  freilich  mit  der  gefühllosigkeit 
dieser  epik  für  stil  doch  wieder  zu  dem  üblichen  kämpf  des  einen 
gegen  die  masse  weitergeführt  wird.  Noch  einmal  wird  der  grundsatz 
in  Alpharts  letztem  kämpf  mit  Witege  und  Heime  hervorgekehrt.  Alphart 
selber  sagt: 

Str.  279.  ez  geschach  nie  mer  daz  zwene       einen  sint  an  gegdn: 

ivelt  ir  ez  an  mir  heben,       des  müezt  ir  immer  laster  hdn. 

Das  mhd.  Alphartlied  hat  freilich  so  wenig  wie  der  dän.  geistliche 
Saxo  gefühl  für  den  ethischen  ernst  der  alten  kriegerregel,  wenn  er 
sie  dem  angegriffenen,  nicht  dem  angreifer  in  den  mund  legt  \  Hören 
wir  nun  dieselbe  maxime  dem  kämpf  Asmunds  und  Hildebrands  in 
der  Asmundarsaga  als  leitwort  vorangestellt  (/lann  kvad  einn  skyldi 
einum  imöt  koma),  so  schliesst  sich  hier  ein  fester  kreis  von  dichtungen 
zusammen.  In  allen  drei  gedichten  der  historisierenden  Dietrich- 
dichtung, ßabenschlacht,  Flucht  und  Alphart,  kommt  die  typische 
szene  'Hildebrand  auf  der  wart'  zur  Verwendung;  sie  wirkt  sich  in 
der  eigentlichen  wartdichtung,  Alpharts  tod,  weiter  aus  und  ist  hier 
sowie  in  der  Kabenschlachtvariante  der  Thidreksaga  am  stärksten, 
nicht  nur  auf  das  epische  bild:  'einer  gegen  viele',  sondern  spezieller 
auf  das  ehrgebot:  'einer  ist  vor  dem  angriff  vieler  sicher'  eingestellt, 
das  endlich  in  der  nordischen  Hildebrandsdichtung  wieder  hervortritt. 
Schliesslich  wäre  es  verlockend,  das  alte  Hildebrandslied  selbst  in 
diesen  kreis  einzuziehen  und  sich  die  rahmensituation  zu  dem  tragischen 

1)  Diese  ausführungen  decken  sich,  wie  ich  erst  nach  ihrer  niederschrift 
feststellen  konnte,  zum  teil  mit  dem,  was  Neckel  in  seinem  hübschen  aufsatz  über 
christliche  kriegerethik  (Zfda.  58,  288  ff.)  zu  dieser  stelle  gesagt  hat. 


198  H.    DK    BOOK 

kämpf  so  zu  denken,  dass  sie  durch  Hildebrands  wartraotiv  bestimmt 
ist.  Als  Späher  und  böte  wie  im  Hunnenschlachtlied  vorausreitend, 
trifft  Hildebrand  auf  seinen  söhn  und  tritt  in  den  verhängnisvollen 
kämpf  ein '. 

Der  quellpunkt  dieses  motivs  und  seiner  dichterischen  handlung 
na(^h  beiden  selten  hin  ist  das  Hunnenschlachtlied,  das  also  die  deutsche 
dichtung  in  einer  ihrer  typischen  Hiidebrandsituation  beeinflusst  hat. 
Das  ist  um  so  bedeutsamer,  als  Hildebrands  repertoir  nicht  eben  reich 
ist.  Die  allgemeine  und  überall  wiederkehrende  aufgäbe  des  alten 
Waffenmeisters  und  königspflegers  ist  nur  zu  wenigen,  speziell  um- 
grenzten und  charakteristischen  auftritten  ausgemünzt.  Neben  dem 
kämpf  mit  dem  eigenen  söhn,  der  aber  älter  und  tiefer  ist  als  seine 
vvaffenmeisterrolle,  sind  es  eigentlich  nur  der  wartmann,  der  länder- 
kundige Wegweiser  und  der  besorgt  seinem  abenteuernden  herrn  nach- 
reitende erzieher,  während  die  szene,  in  der  Hildebrand  Dietrichs  Ver- 
zagtheit durch  einen  aufreizenden  schlag  in  wilden  kampfzorn  verwandelt, 
wohl  erst  jünger  ist:  die  doppelte  Wirkung  der  Hunnenschlacht  auf 
nordische  und  deutsche  Hildebranddichtung,  die  damit  erwiesen  ist, 
bringt  nun  auch  die  entscheidung  der  zuvor  gestellten  frage  nach  dem 
ort   der   berührung.      Sie  kann  nur  in  gotischen  bänden  stattgefunden 

1)  Die  beziehungen  zwischen  Hunnenschlachtlied  und  Rabenschlacht  sind 
mit  dem  oben  ausgeführten  vielleicht  nicht  erschöpft.  Es  ist  nicht  undenkbar,  dass 
die  grosse  entscheidungsschlacht  überhaupt  nach  dem  Vorbild  der  älteren  Völker- 
schlachtdichtung gestaltet  wäre.  In  dem  nachlass  von  W.  von  Unwerth  fand  ich 
ein  notizblatt,  aus  dem  hervorgeht,  dass  er  an  eine  solche  möglichkeit  gedacht  hat. 
Zweifellos  hat  die  gesamtsituation  eine  starke  ähnlichkeit.  Ein  gotischer  reichs- 
ünd  thronprätendent  tritt  auf,  um  mit  hilfe  des  hunnischen  königs  seine  ansprüche 
zu  verwirklichen.  In  ältester  dichtung  konnte  wohl  auf  Dietrich,  dem  söhn  der 
beischläferin  Erelieva,  der  Vorwurf  unechter  gehurt  lasten  wie  auf  Hhiö  des  Hunnen- 
schlachtliedes. Über  Dietrichs  mütterliche  herkunft  schweigen  ja  noch  die  mhd. 
dichtungen  mit  ausnähme  der  töricht  konstruierenden  'Flucht'  hartnäckig.  Die 
ansprüche  Dietrichs  werden  in  einer  gewaltigen  schlacht  ausgetragen,  deren  dimen- 
sionen  zum  teil  mit  ähnlichen  forraeln  geschildert  werden  wie  die  der  Hunuenschlacht. 
Beide  dichtungen  kennen  endlich  die  oben  eingehender  analysierte  scene  des  alten 
königspflegers  auf  der  wart.  Die  beziehungen  sind  also  wirklich  nicht  gering.  Für 
eine  breitere  Wirkung  des  Hunncuschlachtliedes  auf  deutsche  dichtung  ist  ferner  die 
bekannte  stelle  des  Waltharius  manu  fortis  heranzuziehen,  in  der  Etzel  seinen 
Hunnen  überreichen  lohn  verspricht  in  ganz  ähnlichen  formein  wie  Angautyr  seinem 
bruder  reichen  anteil  am  erbe  zusichert.  Diese  schon  von  J.  Grimm  erkannte  gleich- 
heit  der  formel  hat  zuletzt  G.  Neckel  (Germ.-rom.  mtschr.  9,  216  ff.)  behandelt  und 
weiteren  Zusammenhang  der  beiden  dichtungen  wahrscheinlich  zu  machen  gesucht. 
Bei  dem  hohen  alter  der  Hunnenschlachtdichtung  ist  die  richtung  der  beeinflussung 
von  Torneherein  festgelegt,  der  Waltharius  ist  der  nehmende. 


DIE    NORDISCHE    UND    DEUTSCHE    HILDEBRANDSAGE  19^ 

und   von    dort   aus   nach    Deutschland   und  Skandinavien   hinüber  ge- 
wirkt haben. 

Wir  gewinnen  so  eine  gesamtübersicht  über  die  älteste  entwiek- 
lung.  Im  Zusammenhang  der  Huunenschlachtdichtung  mit  ihrem  bruder- 
zwist  wird  Gesimundus,  -  in  nord.  form  Gizurr  Grytingalidi  besungen, 
Cassiodors  notiz  damit  bestätigt.  Ein  anderer  ostgotischer  held  in  ähnlicher 
königspflegerrolle  ist  Hildebrand,  zugleich  träger  des  tragischen  motivs 
vom  kämpf  des  vaters  mit  dem  söhn.  Hildebrand,  als  poetische  Schöpfung 
der  jüngere,  erfährt  bald  entscheidende  beeinflussung  von  der  dichtung 
über  Gesimundus,  sodass  ein  gotischer  dichter  eine  volle  Verschmelzung 
der  beiden  tragischen  Sippenkämpfe  unter  Hildebrands  namen  voll- 
zog. Diese  dichtung  hat  der  norden  direkt  von  den  Goten  über- 
nommen und  sie  wesentlich  umgestaltet.  Eine  auf  dieser  grundlage 
ruhende  nordische  Hildebranddichtung  ist  die  epische  folie  zu  Hilde- 
brands Sterbelied  und  der  liedmässige  kern  der  späten  prosadarstellung 
in  der  Äsmundar  saga  kappabana,  deren  spezifisches,  romantisches 
Wikingermilieu  natürlich  abzuziehen  ist.  Sehr  viel  später,  nicht  vor 
dem  11.  Jahrhundert  ist  die  deutsche  Hildebrandversion  dem  norden 
bekannt  und  oberflächlich  mit  der  vorhandenen  Hildebranddichtung 
verflochten  worden. 

5.  Die  deutsche  entwieklung. 

Nachdem  so  die  nordische  entwicklung  und  ihr  Zusammenhang 
mit  der  deutschen  dichtung  klargestellt  ist,  bleibt  es  noch  übrig,  auf 
die  Wandlungen  des  deutschen  zweiges  einen  blick  zu  werfen.  Auch 
dieses  oft  besprochene  problem  lässt  sich  doch  unter  einen  neuen 
gesichtspunkt  stellen. 

Wir  haben  ja  hier  das  seltene  glück,  einer  700jährigen  entwick- 
lung folgen  zu  können,  indem  am  eingang  und  schluss  der  deutschen 
heldendichtung  im  älteren  und  jüngeren  Hildebrandslied  derselbe  Stoff 
nicht  nur  dichterisch  Verwendung  gefunden  hat,  sondern  auch  in  der- 
selben form  als  geschlossenes  einzelglied  behandelt  wird.  Zwischen 
diesen  beiden  endpunkten  der  entwicklung  steht  die  erzählung  der 
Thidrekssaga,  die  schon  starke  Verwandtschaft  mit  dem  jüngeren  Hilde- 
brandslied (j.  H.)  zeigt  und  uns  einen  terminus  ante  quem  für  die 
Umgestaltung  der  alten  tragischen  dichtung  in  die  gemütliche  des  j.  H. 
liefert.  Die  formal  gleichartige  behandlung  desselben  Stoffes  in  so 
weit  geschiedenen  zeiten  pflegt  als  ein  musterbeispiel  dafür  zu  gelten, 
wie  derselbe  Stoff  über  alle  Wandlungen  des  stils  und  der  anschau- 
ungen    hin    doch    seine   liedhafte   grundform    durch    die  Jahrhunderte 


200  n.   DE    BOOK 

bewahrt.  Die  entwicklungsgeschichte  des  Hildebrandstoffes  zu  ver- 
folgen, bedeutet  also  hauptsächlich,  dem  wandel  des  Zeitgeschmacks 
nachzugehen,  der  sich  innerhalb  desselben  rahmens  verschieden  aus- 
wirkt. So  etwa  hat,  freilich  nur  kurz  andeutend,  zuletzt  Heusler  in 
Hoops  reallexikon  unter  dem  Stichwort  Hildebrand  die  sache  gefasst.  Das 
j.  H.  dient  damit  gleichzeitig  als  eines  der  faktischen  beweisstücke  für 
das  fortleben  der  altgermanischen  liedtechnik,  für  das  als  zweiter  beleg 
das  niederdeutsche  lied  von  Ermenrikes  dOt  gilt.  In  der  festschrift  zum 
sechzigsten  geburtstag  von  Th.  Siebs  ^  habe  ich  diese  bewertung  des 
Ermenrikliedes  zu  erschüttern  und  dieses  selbst  in  einen  ganz  anders- 
artigen Zusammenhang  mit  der  ausgebildeten  dänischen  volkslieder- 
dichtung  zu  setzen  versucht.  Für  das  j.  H.  kommt  ähnliches  nicht 
in  frage;  seine  entwicklung  hat  sich  in  der  tat  ganz  auf  deutschem 
boden  vollzogen,  aber  doch  vermutlich  anders,  als  man  im  allgemeinen 
annimmt. 

Der  entscheidende  unterschied  zwischen  dem  alten  fragment  und 
dem  j.  H.  liegt  in  dem  ausgang,  der  dort  tragisch,  hier  versöhnlich  ist. 
Aber  dieser  ausgang  ist  natürlich  keine  isolierte  erscheinung,  sondern 
die  ganze  anläge  muss  auf  ihn  eingestellt  sein.  Im  alten  fragment 
hat  der  vater  den  söhn  getötet  in  einem  ernsthaften  kämpf,  trotzdem 
er  ihn  erkannt  und  sich  ihm  zu  erkennen  gegeben  hat,  dem  gebot  der 
ehre  folgend,  da  der  söhn  ihm  kränkend  den  glauben  verweigert.  Im 
j.  H.  weiss  Hildebrand  von  vorne  herein,  mit  wem  er  kämpfen  wird, 
noch  ehe  er  mit  dem  söhn  zusammenstösst,  und  er  sucht  den  kämpf 
nur,  um  die  kraft  des  sohnes  zu  erproben,  seinen  Übermut  zu  dämpfen. 
Dagegen  weiss  der  söhn  nicht,  wer  sein  gegner  ist,  die  ganze  pointe 
ist  vielmehr,  dass  jeder  den  eigenen  namen  verschweigt  und  den 
andern  zu  zwingen  versucht,  sich  durch  nennung  seines  namens  als 
überwunden  zu  erkennen.  Dieser  zwang  gilt  gegenüber  der  freiwilligen 
und  selbstverständlichen  selbstpräsentation  der  kämpfenden  im  alten 
lied  als  eine  ritterliche  schände.  Der  söhn  verweigert  also,  auch  als 
er  überwunden  ist,  dem  vater  die  namensnennung,  sodass  Hilde- 
brand schliesslich  keinen  andern  ausweg  weiss,  als  sich  freiwillig  selbst 
zuerst  zu  nennen,  was  ihm  als  sieger  kein  Vorwurf  sein  kann.  Sobald 
diese  frage  ritterlicher  ehre  gelöst  ist,  erfolgt  unmittelbar  die  Ver- 
söhnung  und  der  fröhliche  heimritt. 

Es   ist  also    nicht    nur   eine   Verschiebung  der  tatsächlichen  vor- 

1)  Beiträge  zur  deutschkunde,  festschr.  Th.  Siebs  zum  sechzigsten  geburtstag 
dargebracht.     Emden  1922  s.  22-38. 


DIE   NORDISCHE   UND   DEUTSCHE   HILDEBRANDSAGK  201 

gänge,  sondern  eine  Umstellung  und  veräusserliehung  des  etlios  in  den 
beiden  Hildebrandsliedern,  oder  vielmehr  die  vertauschung  ethischer 
gegen  konventionelle  triebkräfte.  Im  alten  fragment  ist  es  das  ernste 
gebot  der  mannesehre,  das  den  vater  dazu  zwingt,  das  schwerste 
Schicksal  auf  sich  zu  nehmen  und  den  söhn  wissentlich  mit  eigener 
band  zu  töten.  Im  j.  H.  ist  der  kämpf  von  vornherein  als  ein  ritter- 
liches messen  der  kräfte  gedacht,  ein  spiel,  dessen  pointe  eine  rein 
ritterlich  höfische  und  formelle  ehrenfrage,  die  namensnennung  ist; 
der  altgermanische  held  kannte  diese  ehrenpflicht  nicht,  noch  dem 
Nibelungendichter  ist  sie  unbekannt,  als  Siegfried  herausfordernd  an 
den  Burgundenhof  kommt;  auch  die  Kudrun  kennt  sie  nicht,  ver- 
wendet vielmehr  die  selbstpräsentation  z.  b.  in  Ludwigs  letztem  kämpf, 
Str.  1432.  Das  höfische  epos  dagegen  arbeitet  ständig  mit  diesem  aus 
Frankreich  stammenden  paragraphen  des  ritterlichen  ehrenkodex,  und 
wo  der  höfische  stil  das  volksepos  beherrscht,  wie  etwa  im  Biterolf, 
dringt  auch  diese  anschauung  mit  ein.  Insbesondere  scheint  mir 
Wolframs  so  populär  gewordener  Parzival  für  die  Umgestaltung  des 
Hildebrandliedes  von  bedeutung  geworden  zu  sein.  Ich  denke  dabei 
an  den  zusammenstoss  zwischen  Parzival  und  Feirefiz  (15.  buch,  745  ff.). 
Parzival  trifft  hier  unerkannt  auf  seinen  bruder  Feirefiz,  und  da  keiner 
dem  anderen  seinen  namen  nennen  will,  kommt  es  zum  kämpf.  Par- 
zival wird  besiegt,  will  aber  lieber  sterben,  als  seinen  namen  kundtun. 
So  entschliesst  sich  der  sieger,  Feirefiz,  sich  zuerst  zu  nennen,  und 
das  führt  zu  unmittelbarer  erkennung  und  Versöhnung.  Dies  ritter- 
liche Schema  des  Verwandtenkampfes  hat  die  darstellung  des  j.  H. 
hervorgerufen.  Wie  beliebt  und  zugkräftig  es  war,  ersieht  man  daraus, 
dass  es  in  der  deutschen  heldendichtung  noch  einmal  Verwendung 
fand  in  Siegfrieds  kämpf  mit  seinem  neffen  Amelung,  den  die  Thidreks- 
saga  in  ihren  Bertangazug  eingefügt  hat,  und  der  nur  eine  Variante 
des  Schemas  des  j.  H.  ist,  denn  auch  hier  weiss  Siegfried  von  vorn- 
herein, wer  ihm  gegenübersteht  und  unternimmt  den  kämpf  nur,  um 
seinem  übermütigen  neffen  einen  denkzettel  zu  erteilen.  Auch  der 
scherzhafte  kämpf  zwischen  Alphart  und  Hildebrand  im  Alphartliede 
dürfte  zu  derselben  gruppe  mit  demselben  Schema  gehören,  worauf 
Jiriczek  in  seiner  Heldensage  aufmerksam  macht.  Jedesfalls  wird 
durch  die  zentrale  Stellung  der  namensfrage  im  verlauf  der  ereignisse 
das  j.  H.  in  eine  gruppe  von  produkten  gerückt,  in  denen  die  alten 
heldenstoffe  sich  bis  in  ihren  kern  hinein  stärker  als  etwa  das  Nibe- 
lungenlied mit  ritterlichem  denken  und  wesen  durchsetzt  haben,  eine 
gruppe,    deren    hauptvertreter  der  Biterolf  ist.     Schon  diese  erwägung 


202  U.   DE    1500R 

macht   es  zweifelhaft,    ob  das  j.  H.  tatsächlich  nur  als  ein  rein  volks- 
tümliches, kurzes  lied  existiert  hat. 

Man  kann  in  dieser  richtung  der  kritik  weitergehen.  Das  alte 
fragment  beginnt  mit  dem  zusammenstoss  zwischen  vater  und  söhn 
undar  heriun  tuem.  Das  jüngere  lied  hat  eine  vorbereitende  szene 
von  vier  Strophen  davorgeschoben.  Hildebrand  äussert  seinen  wünsch, 
nach  Bern  zu  frau  Uote  zu  reiten.  Da  warnt  ihn  herzog  Abelon  vor 
dem  jungen  Alebrand,  von  dem  er  'angerannt  werden  würde'.  Hilde- 
brand aber  freut  sich  auf  diese  begegnung  und  will  dem  söhn  einen 
tüchtigen  denkzettel  geben,  an  dem  er  ein  jähr  lang  zu  tragen  haben 
soll.  Dietrich  von  Bern  legt  jedoch  ein  gutes  wort  ein,  da  der  junge 
herr  Alebrand  ihm  von  herzen  lieb  sei.  Die  szene  führt  also  in  das 
kleine  stück  mit  seinen  zwei  oder  -  frau  Uote  eingerechnet  -  höch- 
stens drei  personen,  zwei  weitere  persönlichkeiten,  herzog  Abelon  und 
Dietrich  von  Bern  unvermittelt  ein,  ohne  dass  sie  im  verlauf  der 
haupthandlung  eine  rolle  spielen.  Die  liedhafte  einheitlichkeit  und 
geschlossenheit  der  fabel  wird  damit  nach  vorne  zu  völlig  durchbrochen. 
Eine  ähnliche  durchbrechung  der  liedmässigen  abrundung  ist  auch  für 
den  schluss  erweislich,  wo  nur  die  korruption  des  textes  den  über- 
blick erschwert.  Von  dem  MSD^  H,  26  ff.  mitgeteilten  kritischen 
text  der  drucke  können  die  abschlüsse  beider  gruppen  als  ganz  jung 
nicht  in  betracht  kommen.  Weder  die  flickzeileu  der  gruppe  aik» 
noch  die  entlehnung  aus  der  Möringerballade  im  rest  der  drucke  gehen 
über  die  archetypi  zurück.  Etwas  besser  steht  es  mit  den  hand- 
schriften,  die  einen  vollständigeren  schluss  bieten.  Von  ihnen  kommt 
in  erster  linie  Kaspar  von  der  Rhön  in  betracht,  demnächst  die  nieder- 
ländische Version  und  die  Woltfenbüttler  hs.  Letztere  war  mir  hier 
nicht  zugänglich.  Das  kleine  Wiener  fragment,  mitgeteilt  in  von  der 
Hagen-Primissers  Heldenbuch  ist  verworren  und  wenig  aufschlussreich. 
Kaspars  text  ist  in  vielem  natürlich  wieder  ein  greuliches  machwerk, 
ist  uns  aber  hier  wichtig  als  der  Vertreter  einer  längeren  version,  die 
sonst  nur  noch  in  niederländischer  Übersetzung  vorhanden  ist  \   Weder 

1)  Die  längere  version  verteilte  die  reden  zwischen  mutter  und  söhn  (str.  19 
der  drucke)  auf  zwei  Strophen,  ehenso  sah  die  vorläge  der  druckversion  aus,  denn 
str.  20,  1  gehört  noch  zum  alten  bestand.  Den  rest  schnitten  die  drucke  zugunsten 
ihrer  verkürzenden  Schlüsse  weg.  Kaspar  macht  drei  Strophen  (24—26)  daraus,  von 
denen  26  ganz  und  25,  5—8,  seine  eigene  mache  sind.  24—25,  5  werden  grösstenteils 
durch  das  verworrene  Wiener  fragment  gedeckt,  von  dessen  16  halbzeilen  11  teil- 
weise stark  umgestaltet,  bei  Kaspar  wiedererscheinen.  Die  letzte  zeile  der  ersten 
.««trophe  des  Wiener   fragments  ist  ausgemachtes  flickwerk,  ebenso  die  zweite  halb- 


DIE   NORDISCHE   UND   DEUTSCHE   HILDEBRANDSAöE  203 

Kaspar  noch  N.  schliessen  mit  der  erkennungsszene  zwischen  Hilde- 
brand und  Uote  ab,  die  ein  gegebener  schluss  für  den  versöhnlichen 
ausgang  waren,  wenn  es  nicht  mit  dem  abschluss  des  kampfes  genug 
sein  sollte.  Vielmehr  beschliessen  die  herren  und  Uote  nach  der 
erkennungsszene,  sich  nunmehr  nach  Bern  zu  begeben.  Trotzdem  die 
eingangsstrophe  also  voraussetzte,  dass  Hildebrand  in  Berner  gebiet 
hinein  tritt,  um  mit  seinem  söhn  zusammenzutreffen,  ist  Uotes  bürg 
nicht  Bern,  sondern  es  schliesst  sich  ein  ritt  dorthin  an.  Bei  Kaspar 
lautet  die  strophe: 

Sie  het  im  hoff  alleine,      fraw  Gut  und  auch  ir  sun 
der  alt  Hilprant  gemeine,       der  must  zu  hoff  sein  nun 
inn  Lamparten  zu  Berren,       do  hin  stund  im  sein  syn, 
er  gesegnet  si  in  eren       vnd  reit  do  mit  do  hin. 

Wie  der  anfang  eine  nicht  liedmässige  personenerweiterung,  so  bringt 
also  der  schluss  eine  unnötige  lokale  erweiterung,  die  aus  dem  lied 
allein  nicht  zu  verstehen  ist.  Anfang  und  schluss  des  j.  H.  über- 
schreiten den  alten  rahmen  in  einer  weise,  die  nicht  aus  stil-  und 
formgründen  motiviert  werden  kann,  sondern  auf  reste  einer  umfäng- 
licheren darstellung  mit  einer  grösseren  menge  von  auftritten,  personen 
und  Schauplätzen  weist. 

In  einen  breiteren  epischen  rahmen,  der  geeignet  ist,  anfang 
und  schluss  des  j.  H.  zu  erklären,  spannt  den  stoff  nun  tatsächlich  die 
Thidrekssaga  ein.  Der  kämpf  Hildebrands  mit  seinem  söhn  wird  hier 
zu  einer  episode  in  dem  gesamtverlauf  von  Dietrichs  heimkehr,  in 
einer  form,  die  dem  versöhnlichen  ausgang  des  j.  H.  sehr  nahe  steht. 
Edzardi,  Germania  19,  316  f.  hat  die  wörtlichen  parallelen  zusammen- 
gestellt. Der  nordische  text  des  13.  jahrhunder-ts  ist  mehrfach  besser 
als  das  j.  H.;  dass  das  junge  lied  den  ausruf  Hildebrands  'den  sireich 
lert  dich  ein  wib^  missverstanden  hat,  während  die  saga  den  richtigen 
Zusammenhang  bietet,  ist  schon  früh  erkannt  und  zur  erklärung  des 
alten  liedes  mit  benutzt  worden.  Die  dreifach  gestaffelte  anläge  des 
kampfes,  jeweils  mit  einer  ruhepause  und  dem  versuch  eines  gütlichen 
ausgleichs,  ist  sicher  nicht  erfindung  des  sagamannes  sondern  grössere 
epische  ausführlichkeit  seiner  quelle.  Dem  kämpf  Hildebrands  mit 
Alebrand  geht  in  der  saga  eine  andere  episode  voran.  Als  Dietrich 
und  Hildebrand  auf  ihrem  einsamen  ritt  in  der  nähe  des  heimatlandes 
ankommen,    treffen    sie   auf  eine   bürg,    die   dem   herzog  Ludwig  und 

zeile  der  ersten  langzeile.  Die  längere  Version  Kaspars  wird  also  gegenüber  der 
knapperen  der  drucke  als  ursprünglicher  erwiesen. 


204  H.   DE    BOOK 

seinem  söhn  Konrad  gehört.  Ihnen  als  alten  getreuen  gibt  sich 
Dietrich  zu  erkennen,  hört  von  ihnen  die  freudenkunde  von  Ermenrichs 
tode  und  erfährt  die  erste  huldigung  als  rechtmässiger  herr  des  landes. 
Nach  dieser  begegnung  will  Hildebrand  nach  Bern  voranreiten,  um 
womöglich  seinen  dort  waltenden  söhn  zu  treffen.  Konrad  begleitet 
ihn  ein  stück  weges,  und  schildert  ihm  warnend  die  stärke  und  kampf- 
lust  Alebrands.  Und  als  Hildebrand  nun  gerade  beschliesst,  den  jungen 
beiden  zu  bestehen  und  ihn  zur  nennung  seines  namens  zu  zwingen, 
rät  Konrad  ihm  an,  dem  jungen  recken  gegenüber  lieber  freundschaft- 
lich aufzutreten.  Der  ausführliche,  auf  breiter  deutscher  quelle  be- 
ruhende bericht  der  saga  gibt  uns  die  erwünschte  erklärung  für  den 
anfang  des  jungen  Hildebrandsliedes.  Der  rätselhafte  herzog  Abelon^ 
der  warner,  ist  der  junge  Konrad  der  Thidrekssaga.  Er  führt  im 
lied  den  herzogtitel  wie  Ludwig  und  Konrad  in  der  saga.  Der  saga- 
mann kann  seine  erzählung  nicht  den  kurzen  eingangsstrophen  des 
j.  H.  entnommen  haben,  allein  die  namen  Ludwig  und  Konrad  ver- 
bieten eine  solche  annähme.  Sie  müssen  vielmehr  der  saga  in  ihrer 
deutschen  quelle  bekannt  geworden  sein,  deren  episch-breite  erzählungs- 
weise die  saga  getreulich  wiederspiegelt.  Die  Ludwigepisode  und  die 
Alibrandepisode  haben  in  dieser  quelle  ein  ganzes  gebildet,  und  dieses 
liegt  zeitlich  und  quellenmässig  vor  dem  jüngeren  Hildebrandsliede. 
Damit  ist  die  liedhafte  Überlieferung  bereits  durchbrochen,  eine  solche 
Zusammenstellung  zweier  ganz  heterogener  episoden  gehört  der  epischen 
darstellung  an. 

Man  kann  jedoch  weiter  gehen.  Die  deutschen  namen  Ludwig- 
und  Konrad  konnte  der  Norweger  nur  aus  seiner  deutschen  quelle 
haben.  Wenn  das  j.  H.  statt  Konrad  einen  anderen  namen  zeigt,  so 
weicht  es  damit  von  der  zu  erschliessenden  Vorstufe  des  13.  Jahr- 
hunderts ab.  Das  lied  nennt  den  warner  Abelon  oder  ähnlich  (eir, 
Kaspar  von  der  Rhön,  N),  Amelon  (1),  Abelunc  oder  ähnlich  (abcdfgmop), 
Amelung  (knqWV).  Von  diesen  formen  gibt  nur  Amelung  (dazu  die 
leichten  entstellungen  Abelunc,  Awelung)  einen  guten  reim  und  eine 
vernünftige  anknüpfung  an  bekannte  deutsche  heldendichtung  und  ist 
daher  vorzuziehen. 

Wiederum  kann  die  rückkehrdichtung  der  Thidrekssaga  zur  er- 
klärung herangezogen  werden.  Unmittelbar  vor  der  erkennungsszene  mit 
herzog  Ludwig  hat  Dietrich  einen  feindlichen  anfall  durch  den  jungen 
jarl  Eisung  zu  bestehen,  der  alte  unbill  rächen  möchte.  Mit  ihm 
reitet  sein  junger  schwestersohn  Aumlungr  =  Amelunc.  Diese  kampf- 
szene  ist  durch  die  trotzige  Verweigerung  aller  auskünfte  auf  dasselbe 


UIE   NOHDISCHE    UND   DEUTSCHE   HILDEBRANDSAGE  20& 

ritterlich-höfische  niveau  gestellt,  wie  die  Alebrandepisode,  und  zeigt 
überhaupt  keine  geringe  Verwandtschaft  mit  dieser.  Doch  ist  ihr  aus- 
gang  blutiger.  Eisung  und  die  meisten  seiner  ritter  fallen.  Nur 
Aumlungr  hat  ein  freundlicheres  geschick;  er  kämpft  mit  Hildebrand, 
der  ihn  überwindet,  aber  verschont,  und  dem  er  zum  dank  von  Er- 
menrichs  schwerer  krankheit  künde  gibt,  wie  nachher  Konrad  von 
Ermenrichs  tode.  Auch  Aumlungr  ist  keine  erfindung  des  sagamannes. 
Mit  Eisung  und  Amelung  stehen  wir  vielmehr,  was  hier  nur  kurz 
angedeutet  werden  kann,  auf  dem  boden  des  Bayernabenteuers  des 
Nibelungenliedes.  Dort  wird  neben  dem  herzog  Else  der  'Elses  man 
Amelrich'  genannt,  für  den  sich  Hagen  auf  rat  der  meerfrauen  aus- 
gibt. Die  hier  behandelte  episode  von  Dietrichs  heimkehr  in  der 
saga  muss  also  irgendwelche  deutschen  Vorstufen  haben,  die  dem 
Nibelungenliede  nahe  standen.  Wir  haben  also  folgende  konstellation : 
die  Thidrekssaga  kennt  aus  ihrer  deutschen  quelle  einen  Amelung,  der 
sich  in  seiner  rolle  mit  dem  gleich  darauf  folgenden  Konrad  stark 
berührt.  Das  j.  H.  bietet  an  einer  stelle,  die  der  Konradepisode  der 
saga  entspricht,  den  Namen  Amelung,  Dieser  befund  lässt  nur  den 
einen  schluss  zu,  dass  dem  j.  H.  eine  dichtung  voraufliegt,  die  Amelung 
und  Konrad  nebst  ihren  von  der  saga  überlieferten  rollen  gekannt  hat, 
und  dass  das  j.  H.  die  beiden  figuren  zu  einer  einzigen  verschmolzen 
hat.  Wir  werden  damit  auf  eine  deutsche  dichtung  geführt,  in  der 
die  drei  szenen :  Amelung  -  Ludwig  und  Konrad  -  Alebrand  in 
derselben  reihenfolge  wie  in  der  saga  zu  einer  erzählungskette  ver- 
bunden waren,  und  diese  deutsche  dichtung  ist  die  Vorstufe  des  j.  H., 
d.  h.  aber,  dass  wir  noch  weiter  fort  von  einer  liedhaften  zu  einer 
epischen  darstellung  geführt  werden  und  zwar  zu  einem  epos,  das 
Dietrichs  heimkehr  zum  stoff  hatte'.  Die  Aumlungrszene  der  saga 
hat  mit  dem  j.  H.  ausser  dem  namen  noch  den  auffälligen  zug  gemein, 
dass  der  junge  gegner  den  ergrauten  beiden  Hildebrand  verächtlich 
androht,  ihm  den  hart  auszuraufen.  Solange  das  j.  H.  als  Vertreter 
einer  stets  liedmässigen  tradition  gelten  konnte,  war  man  in  der  tat 
berechtigt,  von  zerdehnung  in  der  saga  zu  sprechen.  Der  alte  stolf 
vom  kämpf  des  vaters  mit  dem  söhne  hätte  dann  eine  reihe  aus- 
geprägter motive  besessen,  die  in  der  saga  auf  zwei  auftritte  verteilt 
wurden,  von  denen  der  des  jungen  Aumlungr  der  jüngere  war.    Solche 

1)  Auch  die  phantastische,  nach  spielmäunischer  gewohnheit  schmeckende 
lokalisierung  Aumlungs  in  Babylon  dürfte  der  deutschen  quelle  der  saga  angehört 
haben.  Sollte  es  möglich  sein,  dass  sie  den  anstoss  zu  der  namensform  Abelou 
gegeben  hat? 


206  H.   DE   BOOK 

epische  zerdehnung  mag  wirklieh  einuial  eingespielt  haben,  doch  nicht 
in  der  saga,  sondern  in  deren  epischer  quelle.  Sobald  aber  auch  für 
das  j.  H.  eine  episch  breite  Vorstufe  feststeht,  ist  auch  für  das 
bartmotiv  das  Verhältnis  des  j.  H.  zu  der  Aumlungrepisode  anders 
zu  beurteilen.  Es  muss  auch  dies  motiv  beim  zurechtschneiden  der 
jungen  liedform  aus  der  älteren  epischen  darstellung  von  der  Aum- 
lungrepisode herübergeholt  worden  sein. 

Wie  die  einleitenden,  so  führen  auch  die  schlusstrophen  in  die 
episch  breite  darstellung  der  Thidreksaga  hinein.  Die  längeren  Versionen 
des  j.  H.  schliessen  wie  erwähnt  mit  einer  kurzen  andeutung,  dass 
die  wiedervereinigten  sich  nun  nach  Bern  aufmachen.  So  berichtet 
auch  die  saga  im  anschluss  an  die  erkennungsszene  und  als  einleitung 
der  nun  folgenden  ereignisse:  epier  pnt  taka  peir  s'ina  hesta  og  riäa 
til  Bernar.  Man  sieht,  dass  der  schlusstrich  des  liedes  nicht  an  einer 
markierten  grenzstelle  im  sagatext  gezogen  werden  kann.  Der  auf- 
bruch  nach  Bern  ist  nicht  der  beruhigende  abklang  des  aufregenden 
zusammenstosses  zwischen  vater  und  söhn,  sondern  der  auftakt  zu 
den  nun  folgenden  kriegerischen  Schlussereignissen.  Bern  ist  der 
ausgangspunkt  der  aktion  Dietrichs  gegen  Sibeche  und  der  Versamm- 
lungsort des  heeres,  mit  dem  die  aktion  durchgeführt  werden  soll. 
Hier  empfängt  Dietrich  die  ersten  öffentlichen  lehnshuldigungen  und 
regelt  die  lehnsverhältnisse  neu.  Von  dieser  sehr  breiten  darstellung 
ist  begreiflicherweise  nichts  in  dem  lied  vorhanden.  Aber  der  erste 
schritt  des  ganzen,  der  aufbruch  Hildebrands  nach  Bern  ist  doch  be- 
richtet und  ist  uns  ein  zeugnis  dafür,  dass  das  j.  H.  auch  hier  nur 
ein  ausschnitt  aus  einer  ausführlichen  epischen  darstellung  ist.  Die 
art,  wie  dieser  zug  nach  Bern  bei  Kaspar  v.  d.  Rhön  berichtet  wird, 
dass  Hildebrand  in  'Peren  inn  Lamparten  zu  hoff'  sein  musste,  lässt 
doch  den  offiziellen  charakter  dieser  lehnsversammlung  noch  sehr  wohl 
empfinden. 

Als  gesamtresultat  ergibt  sich  also,  dass  das  j.  H.  kenntnis  der 
ganzen  heimkehrdichtung  von  der  Amelungepisode  bis  zum  beginn  der 
Schlusskämpfe  verrät  und  am  anfang  und  schluss  Überschussstücke  hat, 
die  sich  genau  in  den  sagaverlauf  einpassen.  Da  die  saga  selbst  als 
quelle  des  j.  H.  natürlich  nicht  in  frage  kommt,  so  werden  wir  auf 
eine  deutsche  epische  dichtung  des  13.  Jahrhunderts  gedrängt,  die  als 
gegenstück  zu  Dietrichs  Flucht  als  'Dietrichs  heimkehr'  bezeichnet 
werden  kann.  Dieses  epos  machte  sich  eine  reihe  älterer  episoden 
verschiedener  herkunft  zunutze,  und  hatte  die  absieht,  den  zyklus  von 
Flucht  und   Rabenschlacht,   so   wie   er   sich   unter   dem  eindruck  von 


DIE    NORDISCHK   UND    DEUTSCHE    HILDEBRANDSAOE  207 

Dietrichs  teilnähme  an  der  Nibelungenkatastrophe  gestaltet  hatte,  zum 
abschluss  zu  führend  Das  so  erwiesene  epos  näher  zu  analysieren, 
fällt  aus  dem  rahmen  dieser  Untersuchung.  Nur  andeutend  sei  gesagt, 
dass  es  zunächst  mit  motiven  der  Klage  arbeitet  und  nach  dem  abschied 
von  Etzel  dem  weg  der  Klage  über  Bechlarn  nach  Bayern  folgt.  Das 
Bayernabentener  des  Nibelungenliedes  oder  damit  zusammenhängende 
dichtungen  werden  in  dem  vorsichtigen  reiten  der  einsamen  heim- 
wanderer  und  in  dem  Eisungabenteuer  ausgenutzt.  Nach  der  sonst 
unbekannten  erzählung  von  Ludwig  und  Konrad  wird  dann  Hildebrands 
kämpf  mit  seinem  söhn,  der  ja  von  anfang  an  seinen  chronologischen 
hintergrund  in  Dietrichs  rückkehr  hatte,  dem  gesamtkomplex  der  rück- 
kehrdichtung  einverleibt.  Für  das  entscheidende  schlussgefecht  bei 
Raan  ist  die  Rabenschlacht  selbst,  für  den  ganzen  historisch-politischen 
anstrich  der  grossen  Schlussaktion  zeitpolitisches  Interesse  massgebend 
gewesen.  Dieser  aufbau  aus  grösstenteils  nachweisbaren  motiven 
anderer  dichtungen  und  der  mehrfach  betonte  höfische  einschlag  in 
der  ganzen  lebensform  und  lebensautfassung  bestimmen  das  epos  von 
Dietrichs  heimkehr  als  ein  relativ  spätes  produkt  und  weist  es  der 
Schicht  später  quellen  zu,  die  wir  neben  recht  altertümlichen  in  der 
saga  beobachten  können  (herzog  Iron,  Herburt  und  Hilde  u.  a.). 

Aus  dem  rahmen,  in  den  so  das  j.  H.  tritt,  verstehen  wir  nun 
auch  besser  die  Umstellung  von  tragischer  zu  freundlicher  anläge.  Sie 
geschah  nicht  aus  einem  allgemeineren,  behaglicheren  Zeitgeschmack 
heraus,  sondern  aus  der  speziellen  künstlerischen  notwendigkeit  der 
gesamtstimmung  des  werkes,  in  dem  es  nur  episode  war.  Das  alte 
fragment  hat  als  deutlich  gefühlten  historisch-poetischen  hintergrund 
Dietrichs  kriegerische  heimkehr,  die  in  der  Rabenschlacht,  dem  schweren 
und  blutigen  sieg  über  Otacner,  gipfelte.  Dazu  stimmt  die  tragik  des 
alten,  getreuen  Waffenmeisters.  Das  mittelhochdeutsche  epos  der  späten 
rückkehr  führt  Dietrich  und  Hildebrand  als  einsame  wanderer  in  die 
heimat  zurück,  nachdem  die  Nibelungenkatastrophe  die  letzten  getreuen 
hingerafft  hat.  Es  ist  die  wehmütig  stille  erfüllung  eines  lebenstraumes, 
den  die  kraftanstrengungen  der  Rabenschlacht  nicht  hatten  verwirk- 
lichen können,  und  die  nun  als  späte  frucht  dem  alternden  beiden 
von   selber   zureift.      Die   ergebung  und  wehmut  dieses  letzten  glucks 

1)  Priuzipiell  richtig  ist  das  j.  H.  schon  in  v.  ünwerth-Siebs  Ahd.  literatur- 
geschichte  s.  67  bewertet,  wo  jedoch  verständlicherweise  die  ausführliche  einzel- 
analyse  nicht  gegeben  werden  konnte.  Meine  darstellung  gibt  das  wieder,  was  in 
häufigen  besprechungen  mit  W.  v.  Unwerth  über  die  komposition  der  Thidrekssaga 
von  uns  für  eine  partie  der  saga  gewonnen  worden  ist. 

ZEITSCHRIFT  F.  DEUTSCHE  PHILOLOGIE..  BD.  L.  15 


208  H.    DE    BOOR 

klingt  in  den  worten  nach,  mit  denen  Dietrich  nach  gewonnener 
Schlacht  den  getreuen  Alebrand  begrüßt:  'gewiss  ein  glücklicher  tag, 
aber  wenn  das  glück  neun  jähre  früher  gekommen  wäre,  stände  es 
besser  um  Amiungenland.'  Die  ganze  heimkehr  ist  in  matte,  wolken- 
lose herbstbeleuchtung  getaucht;  wie  sollten  da  grelle  kontraste  und 
starke  schatten  platz  linden !  Dietrich  kehrt  heim  wie  Odysseus ;  das 
schwerste  ist  durchlitten,  die  bösewichter  haben  ihren  lohn  dahin,  das 
späte  glück  darf  nichts  mehr  trüben.  Unter  dem  druck  dieses  Stimmungs- 
moments wurde  die  alte,  hier  unmögliche  tragik  des  HildebrandstoflPes 
umgestellt  auf  eine  darstellung,  die  den  glücklichen  ausgang  von  vorne- 
herein verbürgt.  Auch  das  Bayernabenteuer  der  saga  hat  deutlich 
diese  freundliche  und  versöhnliche  neigung.  Dem  dichter  gieng  es 
freilich  nicht  auf,  wie  sehr  er  den  zur  tragik  geschaffenen  stofif  de» 
kampfes  von  vater  und  söhn  damit  entwurzelte. 

Ich  glaube,  dass  diese  neue  beleuchtung  des  j.  H.  auch  eine  ver- 
änderte beurteilung  der  bekannten  Marnerstelle  verlangt,  an  der  er 
sein  repertoire  aus  der  heldendichtung  aufzählt.  Unter  den  angeführten 
stücken  befindet  sich  nach  der  Kolmarer  handschrift  auch :  von  wittich 
und  voti  keimen  strit,  von  des  jungen  albrandes  tot.  Holtzmann  wollte 
Germania  5,  445  hier  einen  Schreibfehler  für  ^Älpliartes  erkennen,  die 
stelle'  also  zusammen  mit  der  vorangehenden  zeile  auf  das  Alphart- 
lied beziehen.  Strauch  in  seiner  Marnerausgabe  s.  36  drückt  sich 
über  die  stelle  höchst  unklar  aus.  Er  führt  mit  recht  gegen  Holtz- 
mann aus,  dass  ein  'junger  Alebrand'  im  bereich  der  deutschen 
heldendichtung  als  söhn  Hildebrands  existiere,  der  hinweis  auf 
Alphart  also  unnötig  sei.  Zuletzt  aber  hebt  er  selbst  diesen  hinweis 
wieder  auf  und  meint:  'die  annähme  eines  Versehens  hat  hier  die 
grösste  Wahrscheinlichkeit'.  Die  gesamtdarstellungen  von  Jiriczek  und 
Sijmons  übergehen  das  Marnerzeugnis,  scheinen  sich  also  Holtz- 
mann oder  Strauch  anzuschliessen.  Aber  wie  soll  man  sich  ein  solches 
versehen  denken?  Wie  soll  aus  dem  text  der  Pariser  Marnerhand- 
schrift:  Sigfriedes  ald  kern  Eggen  tot  die  Kolmarer  fassung  durch  ein 
versehen  entstanden  sein  ?  Oder  wenn  man  wirklich  von  Alphart  ausgeht, 
wie  kommt  dann  Alebrand,  der  held  eines  glücklich  endenden  kampfes, 
durch  ein  versehen  an  diese  stelle,  die  gerade  nur  seinen  tod  erwähnt? 
Ich  glaube,  man  muss  das  Marnerzeugnis  einfach  nehmen  wie  es  da- 
steht, nämlich  als  einen  beweis  für  das  fortleben  der  tragischen  kampf- 
version  noch  um  die  mitte  des  13.  Jahrhunderts.  Dann  wäre  die 
Pariser  version  so  aufzufassen,  dass  sie  von  einem  aufzeichner  stammt, 
der  die  glückliche  form  des  rückkehrepos  kannte,  und  der  darum  den 


DIE   NOKDISCHE    UND   DEUTSCHE   HILDEBRAND  SAGE  209 

jungen  Alebrand  durch  zwei  bekannte  tragische  beiden,  Siegfried  und 
Ecke,  ersetzte.  Nach  der  oben  entwickelten  entstehungsgeschichte  der 
versöhnlichen  version  des  Hildebrandstoffes  ist  diese  nicht  älter  als  die 
erste  hälfte  des  13.  Jahrhunderts,  und  ist  in  dem  Zusammenhang  eines 
einzelnen,  ganz  bestimmten  dichtwerkes  entstanden.  Das  ältere  einzel- 
lied  mit  tragischem  ausgang,  das  noch  im  12.  Jahrhundert  dem  skan- 
dinavischen norden  bekannt  wurde,  hat  natürlich  daneben  noch  weiter 
existiert  und  kann  um  1250  sehr  wohl  zum  repertoir  des  fahrenden 
Marnei;  gehört  haben.  Später  ist  es  vergessen  worden;  die  Pariser 
Variante  des  Marnerspruches  ist  ein  zeugnis  dafür. 

Ich  habe  hier  versucht,  der  entwicklung  des  Hildebrandstoffes, 
sofern  wir  damit  den  kämpf  des  vaters  mit  dem  söhn  bezeichnen, 
möglichst  genau  zu  folgen,  und  stelle  hier  noch  einmal  kurz  die 
resultate  zusammen.  Der  Hildebrandstoff  ist  ostgotische  lokalisierung 
eines  alten  epischen  motivs  vom  kämpf  des  vaters  mit  dem  söhn  auf 
eine  vermutlich  historische  persönlichkeit.  Indem  der  alte  Hildebrand 
mit  dem  Gesimundus  der  ebenfalls  ostgotischen  Hunnenschlachtdichtung 
vermengt  wurde,  trat  er  auch  in  den  dort  geschilderten  tragischen 
bruderkampf  ein.  Er  wurde  der  held  eines  solchen,  doch  unter  bei- 
behaltung  der  alten  Hildebrandtragik  vom  wissentlichen  kämpf  inner- 
halb der  sippe.  Diese  dichtung  gab  die  grundlage  für  die  weitere 
behandlung  des  Stoffes  im  norden. 

Der  deutsche  zweig  zeigt  die  berührung  der  beiden  genannten 
dichtungen  in  anderer  form ;  der  eigentliche  Hildebrandstoff  bleibt  frei 
davon,  der  kämpf  des  vaters  mit  dem  söhn  entfaltet  ungehemmt  seine 
tragik,  indem  er  in  den  historisch-poetischen  Zusammenhang  von 
Dietrichs  schwererkämpfter  rückkehr  (Rabenschlacht)  gestellt  wird. 
Diese  selbst  zeigt  wenigstens  in  der  szene  von  Hildebrands  wart,  viel- 
leicht aber  in  weiterer  ausdehnung  einfluss  der  Hunnenschlachtdichtung. 
Die  tragische  form  des  Hildebrandstoffes  bleibt  in  Deutschland  lange 
lebendig;  sie  wird  im  12.  Jahrhundert  dem  skandinavischen  norden 
bekannt,  der  sie  seiner  Hildebranddichtung  äusserlich  und  ungeschickt 
einverleibt;  sie  ist  noch  für  das  13.  Jahrhundert  durch  den  Marner 
bezeugt.  Die  Umgestaltung  der  Rabenschlachtdichtung,  die  mit  rück- 
sicht  auf  Dietrichs  teilnähme  an  der  Nibelungenkatastrophe  mit  frei- 
williger neuer  landflucht  endigt,  führt  in  der  immer  konsequenter 
ausgebildeten  Dietrichbiographie  zu  einer  letzten  dichtung  'Dietrichs 
heimkehr'.  Bewahrt  ist  uns  diese  in  dem  bewusstesten  versuch  einer 
harmonisierenden  gesamtdarstellung  von  Dietrichs  Schicksalen,  der  nor- 
wegischen Thidrekssaga.    In  dieser  dichtung  wird  der  Hildebraudstoff 

15* 


210  STRAUCH 

episode,  die  sich  der  gesamtstimmung  anpassen,  ihren  tragischen 
schluss  aufgeben  und  höfische  motive  aufnehmen  muss.  Die  eignung 
des  Stoffes  zum  inhalt  eines  einzelliedes  führt  dazu,  dass  die  episode, 
nun  mit  gemütlichem  ausgang,  aus  dem  epischen  gesamtkomplex  von 
neuem  herausgelöst  wird  (j.  H.).  Die  unsichere  Schnittführung  lässt 
aber  die  angrenzenden  teile  der  epischen  darstellung  noch  wohl  er- 
kennen. Das  j.  H.  kann  also  nicht  als  zeuge  für  eine  fortdauernde 
liedhafte  tradition  auf  dem  gebiet  der  heldendichtung  dienen. 

GREIFSWALD.  H.    DE   BOOK. 


DER  ENGELBERGER  PREDIGER 

(Schluss.) 

Fehlerhafte  flexion  in  fremdworten  und  eigennamen  wird  oft  dem 
abschreiber,  der  hie  und  da  auch  in  der  kapitel-  und  versangabe  der 
perikopen  irrt  (Sb  la,  7.  12a,  4),  zur  last  zu  legen  sein:  vil  ceremoniis 
(acc.  pl.)  Sa  84b,  24;  dien  phariseus  (dat.  pl.)  Sa  88b,  12.  21;  Sb  74b, 
13  (daneben  aber  auch  richtige  flexion) ;  no  vi  eins  {dat.  pl.)  Sb.  40b,  S; 
das  buch  Genisi  (acc.)  Sb  9b,   13;    und  dar  umhe  liset  jnan  nach  libri 
Begmn  libri  Sapiencia  Sb  10b,  3j  vocahidum  als  acc.  masc.  Sa  75b,  25; 
fantasma  (nom.  pl.)  Sb  153b,  18;  Nemo  assirü  (nom.)  Sb  80  a,  28  statt 
Naaman   Syrus   (Reg.  4,    5),   vgl.  die   varr.  nennian,   neumati    Sb  80b, 
15.  16  =  Wackernagel  nr.  70  var.  zu  z.  136.  151.  152;    Yessi  fannili 
(=  famuli)  Heli/{sei):   Yessi  was   ein  knecht  Heliseus   Sb   80b,  13.  14. 
Dagegen  kommen  folgende  entgleisungen  auf  rechnung  des  predigers: 
Sa  2a,  2  uf  den  berg  in  montana,  vgl.  Luc.  1,  39;  Sb  204b,  30  in  der 
stat  Cyrino  beruht  auf  einem  missverständnis  von  Luc.  2,  2  a  j)raeside 
Striae   Cyrino;    Sb    205a,  14  ist  turris  (Cant.  4,  4)    mit    currus    ver- 
wechselt (siehe  oben  s.  42);   Sb  145b,  17.  22  Zachäus  ein  färste  der 
sunderen  eine  Vermischung  von  Luc.  19,  2  princeps  publica nonan  und 
Luc.  19,  7  peccator,   siehe   übrigens  p.  A.  Schott,   Das    messbuch  der 
h.  kirche  (Missale  romanum),  21.  aufl.,  s.  [74]  anm.     Die  Übersetzung 
der  9.  Strophe    aus   der   fronleichnamssequenz  Lauda  Sion  salvatorem 
(Sb  31b,  14ff.,  siehe  unten  s.  215)  greift  fehl,  indem  sie  vermutlich  bei  in- 
teritus  an  interius  denkt  und  dieses  durch  inwendig  wiedergibt:  in  (den 
fronleichnam)  nement  bös  und  nement  in  gfit,  aber  das  los  valt  ungelich 
in  inwendigem  leben,     er  ist   ein  tot  der  bösen  und  das  leben   dien 


STRAUCH,   DER  ENGELBERGER  PREDIGER  211 

guten.  -  Vgl.  auch  Sb  135a,  25 f.;  136»,  8  f.  in  die  teil  des  keisers 
{Cesaris)  Ph/hppi  für  partes  Caesareae  Philippi  (Matth.  16,  13).  Auf- 
fallen muss  auch  die  fröw  von  Samaritern  Sb  63»,  11.  14  (Job.  c.  4). 


Schon  Rieger  bat  bei  Wackernagel  s.  436  aus  gelegentlichen  an- 
spielungen  in  den  predigten  unseres  anonymus  die  zeit  ihrer  ent- 
stehung  nach  1350  angesetzt,  da  Sb  199a  (=  Wackern.  s.  595  z.  12  oben) 
vom  Jubeljahr  -  nur  dieses  jähr  kann  neben  der  erwähnung  von  Avig- 
non  (Sb  198a,  5.  199a,  4.  15  =  Wackern.  s.  594  z.  3  unten,  595  z. 
11  oben)  in  betracht  kommen  —  geredet  wird.  Die  rnannigv altigen 
freisen,  die  ietzant  sint  in  aller  der  cristenheit  und  ivie  recht  sorgklich 
es  ietzant  stat  umh  die  lüt  (Sa  12P,  16  f.  =  Wackern.  69,  40  f.)  kennen 
wir  auch  aus  Tauler  und  der  Gottesfreundliteratur.  Über  die  Strass- 
burger  Verhältnisse  zeigt  sich  der  prediger  wohlorientiert,  wenn  es 
heisst:  (Sa  92a,  8  if .  =  Wackern.  s.  583  unten  z.  3  ff.)  nu  macht  du 
niut  ge^prechen,  das  du  sin  (gottes  wort)  niut  habest  und  du  im  niut 
mugest  nach  gelouffen,  so  ivirt  es  dir  aber  nach  getragen  subtilklicher 
und  minneclicher  denne  dien  die  ze  Strasburg  in  der  stat  sint  und  eti- 
mitten  dar  under  sint.  Es  ivirt  dir  nach  getragen  von  den  lieben 
friunden  gottes.  JJnt  ivirt  dir  wenig  lieplich  buoch  gesendet.  Er  will 
damit  wohl  sagen,  dass  die  weltabgeschiedenen  nonnen  von  Engelberg 
ihr  geistliches  leben  nachhaltiger  fördern  könnten  als  die,  welche  dem 
unruhigen  städtischen  getriebe  in  Strassburg  ausgesetzt  seien.  Und 
ähnlich  lautet  es  Sb  82  a  7  ff.  =  Wackern.  70,  221  es  ist  vil  geistlicher 
menschen,  die  wenent  inen  well  himelrichs  und  ertrichs  gebresten,  und 
louffent  mit  ir  sinnen  und  sorgen  har  und  dar.  ja!  si  louffent  gen 
Basel,  gen  Rom  und  gen  Strasburg,  ina!  min  kint,  was  wiltu  gen 
Strasburg  umb  holtz,  du  vindest  sin  doch  hie  genuog.'r  du  bleibst  doch 
im  gedränge,  wenn  du  dich  nicht  'lassen'  willst.  S.  auch  Sb  25  a,  22  ff. 
(Wackern.  s.  594,  abschnitt  2,  z.  13  ff.)  man  kann  nicht  zwei  herren 
dienen,  nicht  gott  und  dem  reichtum.  min  kini,  nu  muostu  doch  disü 
zergangklichen  unmUzen  ding  gar  tiure  kouffen,  da«  du  dinen  got  dar 
umbe  ver Hurest  und  dinen  fride  zerstoerest  und  din  hertze  (25 1>)  ver- 
wirrest und  din  inivendikeit  zerstroeivest  und  du  recht  Strasburg  wirdest, 
das  alles  das,  das  dise  zit  geleisten  mag,  guot  und  boes,  das  das  alles 
stat  in  dir  vindet.  Davon  wende  dich  ab  und  gehe  zu  dem,  wo  du 
allein  ewiges  leben,  freude  und  friede  findest  ane  aWs  kouffen.  Auch 
hier  ist  also  Strassburg  als  statte  des  unruhigen  Verkehrs  gedacht  und 
Wackernagel  gab  dem  exzerpt  den  titel  'Strassburger  messe'. 


212  STKAUCH 

Den  bevorzugten  heiligen  des  Engelberger  klosters,  s.  Andreas 
und  s.  Benedikt,  gelten  besondere  predigten  an  ihren  festtagen:  dem 
ersteren  Sa  nr.  3-5,  s.  Benedikt  Sa  nr.  8.  9  in  anknüpfung  an  des 
Gregorius  Vita  s.  Benedicti,  vgl.  auch  Sa  102b,  n.  Gelegentlieh  sind 
Zitate  aus  der  Benediktinerregel  ^  und  zwar  aus  der  deutschen  im 
13.  Jahrhundert  zu  Engelberg  verfassten  Übertragung  (Geschichts- 
freund 39  (1884),  1  ff.,  s.  dazu  Braunes  Beiträge  44,  483  ff.)  entnommen: 
Sb  27a,  6  f.  die  mönschen  —  die,  do  heissent  selbweller  (sarabaitae)  = 
15,  23.  16,  7;  Sb  131b,  20  ez  ist  uns  ietz  zit  uf  ze  stan  von  dem 
slaffe  ==  12,  7f. ;  Sb.  170*,  19  f.  der  tot  und  das  leben  ist  in  dem  ge- 
walt  der  zungen  =  24,  18 f.  -  Auf  die  legende  der  h.  Agnes  wird  Sb 
106a,  18  angespielt:  Induit  me  dominus  ci/clade,  vgl.  Mombritius,  Sanct- 
uarium  1,  41,  3,  auf  die  h.  Katharina  Sb  152  a,  20  (Wackernagel 
s.  591,  286  ff.),  auf  die  h.  Tecla  und  Paulus  Sb  162  b,  i.  Zusammen 
genannt  werden  des  öfteren  die  h.  Jungfrauen  Agatha  (Sb  14b,  7), 
Agnes(a)  (Sb  14b,  6.  79a,  16.  106a,  18.  132b,  26.  205b,  65),  Cecilia 
(Sb  92  a,  20.  132  b,  25.  205  a,  66),  Katherina  (Sb  79  a,  16.  92  a,  19. 
99  a,  4.  132  b,  24.  205  a,  65),  Margareta  (Sb  14b,  7.  79  a,  16.  92  a,  19. 
99  a,  3.   132  b,  24.  205  a,  65). 

Wie  in  der  Gottesfreundliteratur  spielt  auch  in  unsern  predigten 
Maria  Magdalena  eine  vorbildliche  rolle.  Sie  hat  den  vortritt  vor  allen 
Jungfrauen:  mögen  auch  die  h.  Margareta  und  Katharina  luterer  von 
jugent  (lies  tuyent  ?)  gewesen  sein,  so  leuchtet  sie  doch  vor  allen  und  das 
sichest  du  wol,  das  man  si  in  aller  der  cristenheit  an  der  letanie  an  erster 
stelle  nennt  (Sb  99  a,  3  ff.).  Nicht  nur,  dass  ihrem  gedenktage  eine 
besondere  anspräche  (Sb  92  a  nr.  12)  gewidmet  ist,  auch  sonst  wird 
an  zahlreichen  stellen  (Sa  83a,  I5ff.  123b,  4  ff .  141b,  3  ff.  Sb  19a 
23flf.  58a,  6  ff.  123a,  15  ff.  191a,  22  ff.  193a,  23)  auf  sie  hingewiesen, 
wie  sie  in  ihrem  Schamgefühl  blindlings  auf  den  herren  zustürzt  als 
ein  löivin  der  ir  kint  genomen  sint,  Sa  123  b,  22  (=  Sb  94  b,  21)  si 
gieng  in  ein  sünderin  und  viel  zu  dien  fässeti  Christi  ein  ruwerin  und 
stund  uf  zu  dem  höpt  Christi  als  ein  schowerin  {won  hi  dem  höpt  ver- 
stat man  ein  schowent  leben  Sb  94b,  25),  wie  sie  dann  als  böte  {böttin) 
des  herren  ganze  königreiche  bekehrte  und,  als  man  ihr  das  predigen 
untersagt,  sich  in  die  wüste  zurückzieht,  wo  sie  von  gott  mit  himmels- 
brot  gespeist,  aus  der  sie  täglich  siebenmal  durch  engel  in  den  himmel 
entrückt  wird,   das   dreifache   Sanctus  der  Seraphin  und  Cherubin  zu 

1)  Von  ihr,  einer  auswahl,  einer  Zusammenstellung  aus  der  patristik  heisst 
es  Sa  66*>,  3:  won  es  ist  besser  ein  bicch  wol  gelernet  und  gelesen  ilnd  das  wol  be- 
halten denne  vil  hüchren  lesen  und  si  mit  behalten. 


DER  ENGELBERGER  PREDIGER  213 

hören  (vgl.  Heinzel  zu  Heinrichs  von  Melk  Erinnerung  v.  26).  Der 
Prediger  beruft  sich,  um  seinen  ausführungen  grösseren  nachdruck  zu 
geben,  für  einzelnes  auf  Gregor  (Sa  123  b,  8)  und  Origenes  (Sb  99  b, 
19.  25).  Im  allgemeinen  folgt  er  der  legende,  wie  wir  sie  bei  Hra- 
banus  Maurus  und  anderen  lesen.  Hervorgehoben  zu  werden  verdient 
jedoch  Sb  101a,  l  ff. ;  yach  der  urstendü  Christi  do  (jieng  si  uss 
hrödien  und  bfkeri  als  vil  lüte  zu  kristeneni  geloben  als  kein  apostolus. 
—  si  hekert  von  Marsylia  der  stat  alle  die  Inf  untz  gegen  Zürich  und 
die  minren  stat  Zürich,  nüt  das  si  gegen  Zürich  kerne,  si  bekert  aber 
den  küng  (Turicus),  des  du  stat  was,  si  und  ir  stvester  Martha  und 
cecus  natus  der  blint  geborn  was  (Joh.  9,  6)  und  du  frowe  du  do  sprach 
zu  Christo:  Beatus  venter.  Selig  ist  der  Hb  der  dich  trüg  (Luc.  11,  27). 
D/sü  frowe  hies  Maximilla  (recte  Marcilla  oder  Marcellaj.  Dem  Engel- 
berger  prediger  mochte  als  Schweizer  diese  legendenvariante  aus 
volkstümlicher  Überlieferung  geläufig  sein,  vgl.  die  gründungssagen  von 
Zürich  in  der  Chronik  der  Stadt  Zürich,  herausgegeben  von  Joh. 
Dierauer  (Quellen  z.  Schweizer  gesch.  bd.  18),  Basel  1900,  s.  6,  2  ff. 
und  s.  7  anm.  1. 

Im  übrigen  hat  die  legende  vom  missionswerk  der  h.  Magdalena, 
Martha  und  des  Lazarus  in  der  Provence,  insbes.  in  Marseille  und 
Aix  weite  Verbreitung  gefunden,  s.  L.  Clarus,  Gesch,  der  h.  geschwister 
Magdalena,  Martha  und  Lazarus,  Regensburg  1852,  s.  254.  140  anm.; 
Ch.  Barthelemy,  Les  vies  de  tous  les  saints  de  France  1  (1860),  Iff.  83; 
La  grande  encyclopedie  21,  1078  art.  Lazare;  Analecta  Bollandiana 
15,  84  f.;  B.  Altaner,  Venturino  von  Bergamo  s.  112  anm.  9. 

Auf  den  h.  Franziskus  nimmt  Sb  34  b,  35  bezug,  eine  stelle,  für 
die  sich  Herman  von  Fritzlar  im  Heiligenleben  215,  9  ff.  auf  Bona- 
ventura (wo?  ich  finde  nur  ähnliches)  beruft,  Sb  80a,  17  (Wacker- 
nagel 70,  127  ff.)  gibt  ein  zitat  aus  der  Vita  Augustini  (Mombritius, 
Sanctuarium  1,  115,  14  ff.),  das  sich  ebenfalls  in  Hermanns  Heiligen- 
leben 186,  39  ff.  findet.  Vgl.  auch  Sb  161b,  05  ff.  _  Auch  die  alt- 
väter  sind  bisweilen  dem  prediger  erwünschte  gewährsmänner:  Sa 
94  a,  20  ff.  (vgl.  Väterbuch,  herausgegeben  von  Reissenberger  v.  14 105  ff.)  \ 
Sb  105  b,  7  ff.  (Reissenberger  v.  2407  ff.),  107  a,  4  ff.,  178  a,  4  ff .  (Reissen- 
berger V.  12  747  ff.  y  21095ff.  ?).  -  Auf  ein  handschriftliches  Marien- 
leben beruft  er  sich  Sb  204  b,  77  2. 

1)  Dasselbe  exemplum  auch  bei  Hartuug  von  Erfurt  s.  J.  Weruer,  Aus 
Zürcher  hss.  1919  s.  16  f. 

2)  Es  stat  och  geschriben,  dz  si  von  der  ubertrejfenden  schöni  so  ir  minnenk- 
lich  antlit  hat  die  wil  si  dz  gemint  kindeli  Jhesus  trSg,  da  si  (205'»)    Joseph    ir   ge- 


214  '  STRAUCH 

Um  seinen  lehren  grösseren  nachdruck  zu  geben,  beruft  sich  der 
belesene  prediger  auf  die  kirehenväter,  die  liehen  heiligen  und  die 
hocheii  lerer  Ambrosius,  Augustin,  Beda  (den  erwirdigen),  Gregor  (den 
.süssen  lerer)  und  Hieronymus,  sowie  auf  Ori(g)enes  (Sb  99  b,  19.  25. 
100b,  11)  und  den  hochwirdigen  lerer  s.  Dionysius  (Sb  69b,  7.  176b, 
24),  denen  sich  Leo  M,  (Sb  72b,  3),  der  hoche  himelfürste  und  heilige 
vater  Benedictus  und  s.  Bernhart  {der  minneiit  B.  Sb  204  b,  46)  an- 
reihen. Wie  viel  mehr  nutzen  haben  die  Schriften  dieser  väter  ge- 
stiftet, in  denen  wir  allen  den  underscheid  finden  des  wir  hedürffen 
zu  ewigem  leben,  als  die  beiden  Aristoteles,  Tullius  und  Plato,  deren 
Weisheit  und  Vernunft  doch  nur  zeitlich  war  und  daher  auch  mit  der 
zeit  verUiffen  ist  (Sa  65a,  2  ff .  Sb  72b,  2  ff .  140b,  27  ff.  142a,  16  ff. 
148  a,  22  ff.)  M  Ausser  diesen  zitaten  ist  Ambrosius  auch  noch  Sb 
205  b,  9  genannt.  Augustin  ist  ausserdem  noch  neunmal  mit  aussprüchen 
vertreten,  auf  seine  regel  Sa  65a,  12  bezug  genommen;  einer  weih- 
nachtshomilie  wird  Sb  151a,  11  gedacht,  seine  Vita  zweimal  (Sb  80  a, 
17=  Wackern.  70,  127  ff.,  Sb  161b,  25  ff.'^  berührt.  Aussprüche  des 
Gregor  sind  16mal  zu  verzeichnen,  auf  eine  osterpredigt  ist  Sb  115  b,  26 
(Migne  76,  1169  homil.  XXI),  auf  eine  pfingsthomilie  Sb  208b,  23 
(Migne  76,  1220  homil.  XXX,  s.  oben  s.  44)  angespielt.  Auf  Hieronymus 
fusst  pred.  13  in  Sa:  die  15  Vorzeichen  des  jüngsten  gerichts,  zwei 
aussprüche  von  ihm  werden  Sb  102b,  13,3  i66a,  21  {Virginifas  est 
angelorum  societas)"^  zitiert.  Als  lieblingsautor  unseres  Seelsorgers  hat 
der  h.  Bernhard    zu   gelten,    auf  den  er  sich  nicht  weniger  als  29mal 

maehel  recht  nie  bekant  e  dz  si  ir  liebes  kindli  gebar:  do  wart  er  si  erst  recht  be- 
li-ennent,  won  er  si  do  erst  volkomenlich  macht  angesechen.  Vgl.  inhaltlich  des 
Schweizers  Wernher  Marienleben  v.  2491—2500. 

1)  Tauler  denkt  hier  anders,  s.  Vetter  332,  19  ff. 

2)  Sb  161^,24  also  liset  man  von  dem  hochen  lerer  sancto  Augustino,  das  er 
also  behät  was  [\%2^)  in  allem  sinen  wandel,  dz  man  nie  gesach,  wo  er  lachet,  dz 
sin  antlüt  sich  ie  dar  zä  geschafti. 

3)  Sb  102  b,  12  uttd  dar  umbe  so  liset  man,  das  eins  künges  tochter,  di'i  was 
ein  heidnin  und  kerte  sich  z&  kristenen  geloben  und  es  wart  ein  also  gross  sechen  uf 
si  in  allen  dien  landen,  das  ir  der  hoch  lerer  sanctus  Jeronimus  enbot  U7id  sprach 
z'd  ir:  bereite  dich  und  mache  dich  uf  mit  einem  tugentlichen  gütlichen  wandel  und 
leben,  won  allü  monschen  haut  ein  ufsechen  uf  dich,  und  dar  umbe  so  lag,  das  si 
ni'itzit  an  dir  sechen,  das  si  geergren  muge,  oder  si  ivellen  sich  denne  an  guten  dingen 
ergren.     des  stand  du  ze  friden. 

4)  Ich  finde  die  stelle  nicht  bei  Hieronymus.  Vgl.  auch  Ambrosii  De  vir- 
gin  bus  lib.  1  c.  9 ;  Job.  Damasceni  De  fide  orthodoxa  IV,  24  (Migne,  Patrol.  graeca 
94,   1210)    Virginitas  angliaim  est  vitae  genus. 


DER   RNGELBERGER  PREDIGER  215 

beruft,  s.  auch  Wackernagel  s.  597.  -  Sb  13b,  3.1  156a,  24^  geben 
ohne  nähere  bestimmung  zitate  eines  heiligen;  vgl.  auch  Sa  76  a,  7  ich 
han  gehört  von  einem  mönschen,  der  zu  mir  sprach,  Sb  82  b,  12  ich 
weis  einen  M.  in  der  zit  noch  lebent.  —  Sb  46  b,  12  wird  sanctus  Urbanus 
zitiert,  der  do  schriht  co7i  dem  sncrament:  gemeint  ist  papst  Urban  IV. 
und  seine  einführung  des  fronleichnamsfestes,  s.  oben  s.  20  anm.  2. 
Aus  der  dem  Thomas  von  Aquin  zugeschriebenen  fronleichnamssequenz 
Lauda  Sion  salvatorem  werden  Sb  3  b,  13.  31b,  15  strophe  9  und  aus 
der  8.  v.  4  ausgehoben,  s.  Kehrein,  Lat.  Sequenzen  des  mittelalters 
1873  s.  125  nr.  150;  Chevalier,  Repertorium  hymnologicum  2  (1897), 
19  f. ;  Thalhofer-Eisenhofer,  Handbuch  der  katholischen  liturgik  2,  83. 

-  Neben  den  zehn  geboten  und  den  glauben sartikeln,  an  die  der 
prediger  selbstverständlich  öfter  gemahnt,  werden  Sb  198  b,  23  auch 
die  zwölf  rate  erwähnt,  vgl.  Sb  78a,  18.  78b,  12  Galilea  =  ein  volbringen 
der  XII  reten.  S.  darüber  Banz,  Christus  und  die  minnende  seele 
s.  122.  373,  wo  auf  die  Engelberger  hs.  155  bl.  161  Dis  sint  die  zwelf 
rate  des  heiligen  geistes  aufmerksam  gemacht  ist,  s.  auch  Eugelb.  243  bl.  80  '. 

-  Mit  der  Physiologus-  und  Lapidarius-literatur  ist  er  vertraut,  s.  Sb  nr.  13 
und  unten  s.  231  f.,  auch  sonst  finden  wir  bisweilen  mit  wir  lesen 
eingeleitete  zitate:  Sa  55b,  16.  Sb  8b,  4.  89a,  22.     S.  unten  s.  236. 

Mit  besonderer  Vorliebe  wendet  der  prediger  auf  die  verschiedeneu 
gewährsmänner  die  bezeichnung /m<«o?ß  gottes  im  sinne  von  Joh.  15,  15. 
Jac.  2,  23  an,  für  David  Sb  176  a,  11),  Jesaias  (Sb45b,  20),  Petrus 
(Sb  129  a,  23),  Nicodemus  (Sb  55  a,  14),  für  die  icissagen,  patriarchen 
(Sb  190  b,  7),  apostel  (Sb  119  a,  11)  und  märtyrer  (Sb  58  b,  23)  wie 
für  Gregor,  Augustin,  Benedictus  und  s.  Bernhard  (Sb  151b,  n.  Sa 
64  b,  3.  Sb  4a,  3),  bald  ohne  (Sa  56  a,  32.  115  a,  22.  Sb  64  b,  16. 
70b,  10.  85b,  13.  90b,  24.  104a,  27.  134a,  13.  151b,  22),  bald  mit 
hinzugefügtem  epitheton:  heimlich  (Sa  64  b,  3.  Sb  55  a,  14),  minneclich 
(Sa  78  b,  7.  129  b,  18.  Sb  135  a,  2.  142  b,  7),  uzerwelt  (Sb  200  a,  22), 
colkomeu  (Sb  127  b,  27),  ivar  (Sb  8  a,  9.  14),  die  rechten  geivaren  armen 

1)  Es  spricht  ein  heilig:  und  hab  ich  allii  ding  gelassen  und  han  ich  mich 
selber  mit  gelassen,  so  han  ich  nüt  gelassen. 

2)  So  spricht  ein  heilig:  0  edlü  sele,  erkenne  dich,  dz  allein  an  got  lit  din 
leben  und  (156  b)  din  heil  und  allü  din  selde,  und  erkenne  dich,  dz  du  din  tugent 
und  alle  din  selde  allein  von  ime  hast  und  wie  krank  du  wirst,  wetm  got  sin  gnade 
underziichet. 

3)  Das  kleine  stück  begegnet  auch  soust  hslich,  wie  es  scheint,  in  ver- 
schiedenen fassungeu:  Trier  hs.  627  (Keuffer  5,  83  f.).  2017  nr.  5  (Verzeichnis  der 
deutschen  has.  7,  58);  Strassburg  L.  germ.  516  2'>  bl.  168  (Becker  s.  27);  Stuttgart 
hs.  Brev.  88  4"  bl.  62  b?  (Simon,  Schwester  Katrei  s.  26);  Zeitschr.  14,  82. 


216  STRAUCH 

fr.  (j.  (Sb  13  a,  18  f.).  Eine  Sammlung  der  wichtigsten  stellen  gibt 
Wackernagel  s.  583-588,  vgl.  auch  Sa  127  b,  1  f.  =  Wackern.  nr.  69, 
226  flf.,  Sb  82  a,  22  =  Wackern.  nr.  70,  232,  Sb  135  a,  3  ff.  =  Wackern. 
588,  160  und  s.  438:  cjelebter  (lotescriunt,  auch  bei  Tauler  (Schmidt, 
Job.  Tauler  s.  38  anm.  2,  fehlt  bei  Vetter),  Seuse  {geleptü  menschen, 
Bihlmeyer  338,  2),  Bannerbüchlein  ed.  Jundt  398,  12 ;  Sb  151  b,  22  ff.  - 
Wackern.  590,  271  ff.,  Sb  153  b,  6  ff.  =  Wackern.  592,  328  ff.  Genau 
wie  bei  Tauler  (Wackernagel  s.  437,  Schmidt  s.  167,  Denifle,  Taulers 
bekehrung  s.  30,  Preger,  Gesch.  der  deutschen  mystik  3,  229.  395) 
erscheinen  auch  hier  die  gottesfreunde  als  dte  sül  der  heiligen  krislen- 
heit,  vf  die  die  heilig  kristenheit  gehuwen  ist,  und  enweren  dis  ?n6n- 
(Sa  2d^)schen  niH,  du  heilig  kristenheit  gestund  ein  stund  nüt  (vgl. 
Tauler  ed.  Vetter  169,  28  f.  wörtlich  ebenso,  s.  auch  407,  5f. ;  die 
sulen  der  ivelte  24,  4.  80,  18.  406,  35),  als  ein  fundament  der  heiligen 
kristenheit,  won  got  hat  gebmven  und  gesalzt  sin  kilchen  (Sb  142  a) 
uf  disii  volkomen  manschen,  ivon  si'i  sint  ein  uf enthalt  der  kristenheit^ 
won  ane  disü  minnenklichen  manschen  so  möchte  du  kilche  ein  stund 
nid  gestan;  Sb  127  a,  15  also  ist  es  umb  das  schowlich  leben,  das  ein 
ding  ist  dar  in  got  grossen  lust  hat  an  den  monschen  und  die  heilig 
Mich  grossen  nutz,  und  du  möchte  nnt  bestan  ane  disü  monschen,  won 
etlichü  von  inen  sint  sül  der  kristenheit.  Auch  das  Bannerbüchlein  ^ 
(Jundt  401,  33  ff.)  hat  den  terminus  von  Tauler  übernommen  (s.  übrigens 
Gal.  2.  9).  Das  widerspiel  dieser  wahren  gottesfreunde  sind  die 
fryen  geist,  die  sich  fry  machent  mit  valscher  lidikeit  Sa  87  b,  5  f., 
vgl.  Tauler  ed.  Vetter  219,  1.  250,  4;  Schmidt,  Tauler  s.  140. 

Mehrfach  wird  auch  auf  lehrmeinungen  (Wackernagel  s.  597 
*s.  Bernhard')  eingegangen  unter  berufung  auf  die  meister  und  lerer. 
So  heisst  es: 

Sa  26  b,  4  mit  bezug  auf  1.  Cor.  2,  9:  hie  ist  ein  hoch  disputieren  von  den 
grossen  meistren  und  lererren,  was  dis  si  das  nieman  gesprechen  mag  und 
doch  der  lieb  sanctus  Paulus  so  minnenklich  dar  us  gesprochen  hat.  ist  das  war? 
ja!  hat  ers  aber  gesprochen  als  ers  bevand?  nein!  er  hatz  gesprochen  als  ers  macht ; 

Sa  51*,  26  won  die  meister  sprechent,  das  der  mönsche  nie  ist  do  er  ininnet 
denne  do  er  leben  git,  ebenso  Sb  2*,  9  als  die  meister  schribent; 

Sa  59a,  26  dar  umb  die  heilig  cristenheid  ist  genemet  von  den  lerem  die 
strittend  kilch,  won  si  in  iren  gelidern  strittend  wider  alles  dz  got  mit  ist; 

Sb  13 f»,  19  mit  bezug  auf  Matth.  19,  27:  dar  umbe  spricht  ein  lerer: 
O  Petre,  du  hast  wol  geret,  won  du  hast  das  aller  liepste  gelassen  das  du  hattest, 
und   das   wert  du   selber,    und   alles   das    du   in    diner   begirde  möchtest  han  gehebt; 

1)  Überhaupt  kommt  die  gauze  Strassburger  Gottesfreund-literatur  hierfür 
gleichfalls  in  betracht.     S   Bauz,  Christus  und  die  minnendc  seele  s.  56  zu  v.  136  flf. 


DER   ENGELBERGER  PREDIGER  217 

Sb  4")*^,  17  mit  bezug  auf  Jes.  45,  8:  dis  sprechent  die  lerer,  das  es  nochten 
was  nündhalbhundert  jar  e  das  Christus  dis  spis  bereit ; 

Sb  109  »•,  11  ein  lerer  (ganz  ähnlich  Sa  69*^,  8  ein  ho  eher  yn  ei  st  er) 
sprichet:  ein  abt  ist  mit  dar  umb  siner  miinchen  abt  noch  ein  ept ischin  ir  froicen 
■meistrin,  dz  si  inen  erlöben  stillen  dii  ding  du  die  regel  verbütet,  sunder  si  sond  es 
inen  werren  als  verre  si  mugen  (Joh.  10,  12).  —  e  das  man  das  unrecht  in  geistliche 
Orden  sülle  lassen  für  gan,  won  siille  e  den  tot  do  für  kiesen; 

Sb  136b,  3  nu  spricht  ein  lerer,  das  der  mansche  ist  microcosmus  ^  das  ist 
dii  minder  weit  und  der  mansche  ist  der  ander  himmel  Lac.  17,  21).  Vgl.  Sa  1071», 
19  f.  =  Wackernagel  68,  33  f.  41  ff. ;  Paradisus  anime  intelligentis  s.  XXXI  anm. 
zu  34,  20;  Sb  138 a,  27  Hie  sprechent  die  lerer,  138 b,  19.  26.  139»,  5.  13  aber 
sprechent  die  lerer,  desgleichen  in  derselben  predigt  Sb  140 b,  15  nu  sprechent 
die  lerer ,  s.  oben  s.  33 ; 

Sb  62  ii,  9  f.  mc  sprechent  die  lerer,  s.  oben  s.  22; 

Sb  95 1>,  1  ff.  Maria  Magdalena  hat  den  herren  mit  kostbarer  edelsalbe  gesalbt, 
was  Judas  als  Verschwendung  bemängelt  und  von  der  stunde  do  stalte  er  iemer  mer 
dar  uf,  ivie  er  Christus  verriet  und  verkdfte,  da  er  itne  selber  das  wider  leite  und 
vergulte  das  ime  do  was  engangen.  dis  ivas  zweij  Jar  vor  Christus  tot,  aber  etlich 
lerer  sprechent,  dz  es  tvere  anderhalb  jar.  aber  es  ist  gelöplicher  das  es  zwei/  jar 
tverin,  won  es  ist  ane  ztvivel  daz  ^laria  Magdalena  in  der  rasten  bekert  wart. 

Allein  bei  aller  ehrfurcht  vor  den  'meistern'  und  'lehrern':  es 
gibt  noch  ein  höheres !  ^  Was  allen  'meistern  von  Paris'  verborgen 
ist  nach  der  geschrift,  vermag  gottes  gnade  zu  offenbaren  fSa  78  a,  2). 
-  Mit  bezug  auf  1.  Cor.  9,  20  ff. :  die  schlichteste  predigt  des  ödesten 
'phaffen  kann  das  gleiche  wirken  wie  die  aller  vermmftigoste  brödie  eines 
hochen  meistres  von  Pargs:  ich  (Paulus)  hin  mit  allen  dingen  alles  das 
si  sint  dur  das  ich  si  bringe  zu  der  minn  Christi  und  ich  bin  doch 
Paulus  (Sa  115  a,  13  ff.  =  Wackernagel  68,  260  ff.).  -  Mit  bezug  auf 
Joh.  4,  16  heisst  es:  Johannes,  der  so  tief  eingedrungen  ist  in  das 
tunsterlich  wesen  der  gotheit,  was  seine  zunge  dann  so  subtilklich  und 
lieblich  ausgesprochen  hat:  wäre  es  noch  tiefer  ingefuret,  es  were  allen 
hochen  meistren  ze  unergriffenlich  und  ze  tiefje  ze  verstau  (Sb  la,  11  ff.); 
als  ein  kranker  mansche  erschriket  ab  dem  tonrschlag,  also  erschrikent 
(mit  bezug  auf  Marc.  3,  17  Johannes  filius  tonitrni)  alle  lerer,  so  si 
ze  gründe  uss  si'dlent  sprechen  das  er  geschriben  und  (Ib)  gesprochen 
hat  von  dem  verborgnen  heimlichen  wesen  der  gotheit  (Sb  la,  21  ff., 
ähnlich  auch  Sb  138b,  12  ff.).  S.  auch  Sa  1181',  21  =  Wackernagel 
68,  376  ff'. ;  Sb  123  b,  10  =  Wackernagel  s.  586,  109  ff. 

In  hervorragendem  masse  versteht  es  der  prediger,  seiner  seel- 
sorgerischen aufgäbe  gerecht  zu  werden.  Taulers  predigten,  wenn 
auch  überwiegend  in  der  klosterkirche  gehalten,  haben  immerhin  eine 

1)  Hs.  ngcrocosmus. 

2)  Vgl.  Banz  a.  a.  o.  s.  57  zu  v.  186  f. 


218  STRAUCH 

Zuhörerschaft  im  äuge,  die  sieh  nicht  auf  klosterinsassen  beschrankt. 
Er  gibt  seinen  lehren  eine  auf  weitere  kreise  berechnete  färbung.  Des 
Engelberger  predigers  worte  richten  sich  an  die  seiner  geistigen 
führung  anvertrauten  Ordensschwestern,  sein  ton  wirkt  persönlicher, 
er  bemüht  sich,  die  fruchte  seines  Studiums  wie  seine  reiche  erfahrung 
inhaltlich  wie  formell  fasslich  und  anziehend  seinen  zuhörerinnen  mit- 
zuteilen. Trotz  des  scholastisch-allegorisierenden  beiwerks  in  so  mancher 
seiner  predigten  bricht  immer  wieder  das  streben  hervor,  die  nutz- 
anwendung  aufs  rein  menschliche  zu  stimmen,  sie  gemütsvoll  und 
warmherzig  zum  ausdruck  zu  bringen.  Es  liegt  ihm  daran,  nicht  als 
lehrer,  sondern  als  seelenführer,  als  gottes-  und  menschenfreund  seinen 
Schützlingen  nahe  zu  kommen  und  sie  per  Christum  hominem  ad 
Christum  deum  hinzuleiten.  Er  ist  von  der  hohen  aufgäbe  des  geist- 
lichen berufes  nicht  nur  seiner  Vertreter,  sondern  auch  derer,  die  noch 
im  aufstieg  begriffen  sind,  ganz  erfüllt  und  stellt  an  ihn  nicht  geringe 
anforderungen,  dabei  beobachtet  er  aufmerksam  die  dinge  des  täglichen 
lebens  auch  ausserhalb  der  klostermauern  und  verwertet  sie  zur  ver- 
anschaulichung seiner  betrachtungen. 

Die  folgenden  exzerpte,  die  nur  in  kleiner  auswahl  hier  geboten 
werden  können,  mögen  dies  erhärten. 

Das  Verantwortungsgefühl  der  vorgesetzten  wird  nachdrücklich 
betont : 

Sa  105 '^j  3.  Artzatj  artzen  dich  selber !  wilt  du  andern  lüten  tverren  tvit  höbt- 
loch  und  gesnebel  sch&ch,  so  solt  du  dch  sechen,  daz  du  dich  selber  gesunt  machest^ 
das  gezimet  einem  artzat  tvol  das  er  och  gesunt  si.  es  ist  menig  gross  sünder  von 
geistlichen  litten  gesunt  worden ;  sölte  er  die  artznie  gekoft  han,  es  hette  in  gross  gät 
gekostet,  und  dar  nmbe  soltu,  geistlicher  m&nsche,  och  vor  din  selbs  artzat  sin,  daz 
du  tügest  das  du  och  lerest.  Das  ist  die  aufgäbe  der  häupter  der  heiligen  kristen- 
heit,  der  prälaten  und  priester,  und  in  den  klöstern  der  meisterin  und  priorin:  sie 
sollen  gute  hirten  sein  (Job.  10,  12),  uss  gotllicher  minn  und  mit  uss  zornmütikeit 
strafen,  und  haben  gott  darüber  rechenschaft  zu  geben; 

Sa  135b,  15.  Weisst  du  nicht  den  weg,  der  zu  gott  führt,  so  frag  die  lerer; 
gebristet  dir  an  leben,  so  frag  die  die  usser  dien  weiden  koment  und  das  leben  ge- 
hebt han,  aber  fragest  du  mich,  ich  wiste  dich  und  lerte  dich  noch  tvol  nach  der 
geschrift,  aber  sicher  nüt  nach  dem  leben; 

Sb  7  b  ,5.  Der  prediger  darf  sich  seine  mühe  nicht  verdriessen  lassen ;  wollte 
er  es  tun,  weil  seine  lehre  nicht  befolgt  wird,  er  predigte  besser  überhaupt  nicht 
mehr.  Ein  prediger  wirkt  bei  500  zuhörern  in  der  kirche  vielleicht  auf  keinen, 
wohl  aber  auf  dem  felde,  do  man  hoivet  und  gross  arbeit  hat  und  wo  nur  zwei  oder 
drei  (empfängliche)  menschen  sind:  si  werdent  allü  enphengklich  der  brodle; 

Sb  106 b,  1  heisst  es  mit  bezug  auf  Matth.  12,  45:  wilt  du  nu  wissen,  ob  du 
mit  disen  6  (richtiger  7)  bösen  geisten  besessen  siest,  das  merk:  bist  du  lang  ein 
geistlicher    mSnsche   gewesen    und  bist  du  hür  nüt  besser  denne  rem,   so  soltu  wissen 


DER  ENGELBERGER  PREDIGER  219 

ane  allen  ztvivel,  das  du  mit  dissen  sibeti  bösen  geisten  allen  besessen  bist,  bist  du 
aber  htir  besser  denne  verne,  und  hast  du  joch  da  zicischen  hundert  totsi'mden  getan, 
ich  icil  dir  einen  leiten  weg  geben,  so  bist  du  doch  mit  besessen,  won  der  gerecht 
mSnsche  valt  ze  sibeti  malen  an  einem  tag; 

Sa  12*,  13  mönsch,  hast  du  mit  gantzen  willen  din  büss  ze  leisten  und  dich 
Jürbas  vor  sütiden  hütten  und  vor  allen  den  dingen,  die  dir  ursach  der  siind  bringent, 
so  mugen  dir  alle  die  bebst  die  ie  icurden,  ob  sy  doch  alle  dir  applas  sprechin,  so 
miigent  si  dich  mit  entpiyiden  (vgl.  Tauler  ed.  Vetter  202,  34  fif.  282,  10  f.  296,  27. 
356,  24  ff.),  wilt  du  dich  aber  bessren,  so  wirt  dir  applas  gesprochen  von  dinem 
bichter,  iver  er  doch  ist,  und  dir  tvirt  der  himmel  uf  entschlossen  und  got  sol  dir 
sin  minnenklichen  hant  uf  din  höbt  legen; 

8.  auch  Sa  129*>,  4  ff .  ISO*',  3  ff .  (oben  s.  13)  und  weitere  charakteristische 
stellen  Sa  134  b,  4  =  Wackemagel  s.  596  'buchstabe  und  geist',  Sb  199  *,  1  —  Wacker- 
nagel s.  594  f.  'Pilgerfahrten'. 

Allgemeine  betrachtungen,  ratschlage  und  belehrungen. 

Sb  79  a,  21  ff.  =  Wackernagel  nr.  70,  77  ff.  (s.  203) ;  Sb  80  b,  22  ff.  über  simonie 
(Wackernagel  nr.  70,  156  ff.); 

Sb  "29  *',  14  min  kint,  es  ist  mit  als  du  wenest:  man  kumet  mit  mit  vinselwerk 
zu  got.     sicher!     ane  zicivel:  man  7nuss  htit  umb  hut  geben; 

Sb  197  a,  14  ff.  Wer  noch  in  alte  fehler  zurückfällt,  ist  noch  nicht  wieder 
TÖllig  gesund,  wöltest  du  ^rechen  oder  gedenken  mit  wolgevallen  oder  mit  lust:  do 
tvere  du  verne  oder  d&  oder  d&,  an  dem  hofe  oder  dem  tantz,  oder  bi  diser  fröide 
oder  bi  der  tvolluat,  und  du  mit  begirde  daran  gedechtist  und  dich  lusti  aber  do  ze 
sin,  so  mästest  du  schriien  mit  her  David  (ps.  38,  6); 

Sa  45^,  21  wem  got  de  Vernunft  geben  hat,  das  er  weis  was  er  t&n  tind 
lassen  sol,  der  ist  och  verschult,  das  er  es  tuge; 

Sb  43  a,  14  ff.  Wer  das  altarsakrament  unwürdig  empfängt,  martert  und 
kreuzigt  den  herren  aufs  neue,  dis  ist  mit  von  mir  erdacht,  mere  von  dem  h,  geiste 
der  es  durch  s.  Paulum  (1.  Cor.  11,  27)  gesprochen; 

Sa  78^,  4.  Gott  ist  bereit  allen  menschen  gnade  zuteil  werden  zu  lassen, 
wären  wir  nur  bereit  sie  zu  empfangen ; 

Sa  87t>j  4.  Von  der  christenfreiheit  heisst  es:  dis  ist  mit  ein  fryheit,  als  die 
fryen  geist  sich  fry  machent  mit  valscher  lidikeit; 

Sa  47  a,  5  hie  vor  in  der  alten  E  do  tvas  geboften,  das  man  die  minneti  die 
einem  monschen  wol  taten.  Aber  nu  in  der  miiven  ist  gebotten,  daz  man  die  sol 
minnen  die  tins  übel  tänd.     S.  auch  oben  s.  31. 

Sa  126  a,  21  ff.  Bist  du  redselig  (gerede)  und  redest  gern  von  dingen,  die 
dich  nichts  angehen,  so  bringe  deinen  mund  zum  schweigen:  gesweigest  du  den 
mund,  got  gesweiget  das  hertze; 

Sa  135a,  3  f.  du  musst  durch  gottes  wort  dringen,  soll  dir  gott  werden; 

Sb  107  b,  16.  Es  ist  kaum  ein  geistlicher  mensch  so  vollkommen,  wollte  er 
so  oft  sehen,  was  er  entbehren  könnte,  als  er  oft  sieht,  was  er  nötig  hat  und  gern 
besässe;  man  entbehrt  oft  manches,  was  man  für  sehr  nötig  (zu  besitzen)  hält; 

Sa  86  a,  7.  Der  geraahl  Christus  tut  nicht  so  wie  der  zeitliche  mensch. 
Verlässt  diesen  sein  gemahl,  so  nimmt  er  sie  nicht  wieder  auf.  Das  tut  Christus 
nicht:  als  dike  sin  gemachel  kumet  dur  das  sacrament  der  rüwe,  so  wirt  si  wider 
enphangen  ; 


220  STKAUCH 

Poetisch  empfunden  heisst  es  Sa  85  '^,  4  dem  es  hiit  wol  gat,  dem  gat  es  morn 
nbel,  der  hiit  gesunt  ist,  der  ist  morn  siech,  min  kint,  sich  an !  war  ist  der  meig 
komen  mit  aller  siner  bl&st?  war  ist  der  sumer  tvorden  mit  aller  siner  snmertinm? 
war  ist  der  herbst  worden  mit  aller  siner  frucht  ?  es  ist  alles  zergangen  als  der 
sehne  vor  der  sunnen.  Vgl.  die  sehr  ähnliche  stelle  Sa  122'',  3  ff.  =  Wackernagel 
69,  47  ff. ; 

Sb  137  =',  28.  le  einklicher  sich  der  mönsche  haltet,  ie  heimlicher  im  got  ist. 
ie  friier,  ie  lediger  aller  creature,  ie  voller  gottes.  ie  nie  du  fluchest  allen  trost  der 
creatur,    ie   süssklicher   dir  der  trost  gottes  werden  (137 '')  sol  in  zit  und  in  ewikeit' 

Sa  25  b,  5.  ein  mansch  hat  den  andren  lieb,  der  ander  schon  gewant,  der 
dritt  gütti  bücher  und  recht  schlechtlich :  was  der  monsch  lieb  hat,  da  geräwet  er  e 
nietner  e  es  im  wirdet:  so  ringent  und  vechtent  dem  vollkommenen  leben  zustrebende 
menschen  tag  und  nacht,  dass  ihnen  der  gemahl  Christus  zuteil  werde; 

Sa  78^,  14.  da  ein  kurzer  mansche  wer,  der  mit  einem  langen  manschen  reden 
wölt,  so  müste  er  nemen  einen  stäl  und  dar  uf  stan,  und  tioch  denne  so  were  er  ze 
kurtz,  so  müste  sich  der  lange  mansche  gediemütigen  und  müste  sich  har  nider  tän 
za  dem  kurtzen  mönschen  also  daz  er  mit  im  gereden  macht  und  er  in  gehören 
macht,  also  neiget  sich  got  ze  dein  andren  male  zu  dir,  so  du  dich  z&  dem  ersten 
hin  uf  zä  im  erhebest,  also  das  du  din  gedenke  mit  im  vereinest. 

Gern    knüpft   die   belehrung   an   sprichwörtliche   Wendungen  an: 

Sa  23',  14.    bi  icissem  bekennet  man  schivarz ; 

Sb  25^,  22  f.    nieman  mag  zwein  herren  gedienen  (Matth.  6,  24.  Luc.  16,  13); 

Sa  142  a,  13.    git  dir  got,  ninit  dir  got  (Job  1,  21); 

Sb  164  *,  2.  ivaz  du  wellest,  dz  dir  nieman  tüge,  daz  tä  öch  du  nieman  (Luc. 
6,  81.  Matth.  7,  12) ; 

Sb  102  bj  24  f.  als  man  sprichet:  fac  juste  et  neminem  time.  tä  recht  und 
fürchte  nieman; 

Sa  9*1,  2.  Sb  122'',  16.  in  gottes  weg  still  stan,  ist  hinder  sich  gan  gibt  einen 
gedanken  s.  Bernhards  wieder. 

Sa  lost),  20.  Von  den  lauen  geistlichen  menschen,  die  weder  warm  noch 
kalt  sind,  heisst  es :  disen  m.  geschieht  recht  als  einem  m.  der  ztmschent  zwein  stülen 
nider  sitzet  und  zä  enwedrer  siten  mit  enhat  da  er  sich  müge  enthalten; 

Sa  105 1>,  3.    artzat,  artzen  dich  selber! 

Sa  135  a,  1.  Wer  den  kern  haben  will,  muss  erst  die  schale  zerbrechen  (auch 
M.  Eckhart  333,  25  f.) ;  ebenso  von  der  nuss  Sb  178  a,  24 ; 

Sb  2^,  2.  Amor  vincit  oynnia.  Minne  überwindet  allü  ding.  Wenn  dies  für 
zeitliche  dinge  gilt,  wie  viel  mehr  noch  in  göttlichen ! 

Sb  104  a,  24.  und  machent  also  ein  tugent  uss  der  notdurft ; 

Sa  42=1,  w  ff.  als  mati  sprichet:  got  ist  allt'i  ding  in  allen  dingen,  und  ist 
doch  niit  got  allü  ding ; 

Sb  27  a,  n.  die  geschrift  lat  sich  biegen  als  das  wachs  und  dar  umbe  spricht 
man,  si  habe  ein  wechsin  nasen  (Deutsches  wörterb.  13,  130  f.) ; 

Von  guter  beobachtungsgabe  zeugen  stellen  wie 

Sa  44  b,  26  ff.  Wir  sollen  gottes  geböte  erkennen  lernen  als  man  den  kinden 
zä  dem  ersten,  so  man  si  leren  wil,  das  (45»)  ABC  für  leit  und  man  si  leret  einen 
hächstaben  nach  dem  andren; 

Sb  33  b,  15.    kinder   vachent    mängerhande  an  das  den  Ititen  kurtztvil  machet; 


DER    ENGELBERGER    PREDIGER  221 

In  der  predigt  nr.  22  in  Sb  zeigt  sich  der  redner  völlig  vertraut  mit  der 
kinder-,  spez.  Säuglingspflege,  s.  oben  s.  44  f. ; 

Sb  87'',  16.  recht  .als  man  di'i  kint  lert  gan  mid  einen  fäs  für  den  andren 
setzen,  also  mäs  der  mensche  vo7i  tugejit  ze  tugent  gan.  S.  auch  Sa  130 b,  18  (oben 
s.  U),  Sb  211a,  41.  56  ff.  (oben  s.  45  anm.). 

Sb  162*,  3.  Es  ist  vil  frowen  die  sich  hütent  daz  si  ir  tvirt  ungern  erziirndin 
mit  grossen  Sachen,  aber  si  hütent  sich  mit  ivan  das  si  si  mit  kleinen  dingen  er- 
zürnnent.  und  dien  wirt  etzwenn  ein  zornlich  antlät  erzeiget  von  ir  tcirten.  So 
geschieht  es  auch  dem  menschen,  der  sich  vor  grossen  sünden  hütet,  aber  unachtsam 
ist  Meiner  dingen; 

Sb  100  *>,  7.  ivir  Sechen  das  wol,  ivenne  es  brünnet,  das  die  lüte  gross  burdi 
tragent,  die  si  vor  kum  uf  erhüben,  und  das  geschieht  von  ernst  me  denne  von  eigener 
craft.  So  auch  Maria  Magdalena:  die  wollte  auch  aus  inbrünstiger  liebe  des  herren 
leichnam,  den  vier  männer  kaum  gehoben  hätten,  getragen  haben ; 

Sa  75  a,  14.  so  man  ballot,  so  loffent  licht  zwentzig  mönschen  einer  ballen 
nach,  das  si  iekliches  gerne  vienge:  also  solt  du  din  consciencie  rieh  machen  mit 
übunge  und  mit  gittikeit  der  tugend  was  du  sichest  oder  hörest  das  notdürftig  sii, 
dz  du  doch  der  tugent  nieman  bas  gunnest  und  der  arbeit  ze  volbringen  als  dir  selber ; 

Sa  84^1,  19.  was  man  mit  dem  besem  witschet,  do  nimt  mit  won  daz  grob 
obnan  ab  und  das  dein  gestiipp  wirt  mit  gerüret.  und  dis  nimef^  nüt  won  das 
gross  obnan  abe,  das  sint  die  groben  sünde.  aber  das  gestüppe  und  das  bulver  der 
cleitien  schulde  das  belibet  do,  das  ,  der  (84  ^)  M.  sin  selbers  nüt  gar  kleinlichen 
war  nimet; 

Sa  77''»,  1  ff.  (ebenso  Sb  67  *,  31)  wird  die  bescheidenheit  als  'frau  der  seele* 
(Zeitschr.  16,  45)  bezeichnet,  du  ist  recht  als  ein  e>-ber  husfrowe,  dti  vil  jungfröwen 
under  ir  hat,  icnd  loetine  du  frdwe  da  heim  ist,  so  sint  si  alle  gar  züchtig  und  wol- 
behüt.  aber  wenne  du  frowe  ienent  gat,  so  sint  si  alle  vil  bas  gemüter  denne  so  du 
fröw  har  tvider  kumet.  wie  das  ist,  das  si  ntitzit  tügint  das  ungenemefsj  si,  so 
sint  si  doch  frölicher  und  liechter  denne  so  es  du  fröw  sichet:  recht  als  do  öch  ein 
grosser  Schulmeister  ist:  so  der  von  sinen  sch&llerren  gat,  so  springent  si  und  sint 
gar  frolich,  wenne  aber  der  schälmeister  har  wider  kumet  und  si  sin  erst  gewar 
werdent,  so  gand  si  wider  in  die  schäle  und  sint  gar  züchtig.  So  fühlen  sich  auch 
die  Seelenkräfte,  die  'Jungfrauen  der  seele'  liechtvertiger  und  unbehäter  denne  si  vor 
und  nach  sin,  so  du  bescheidenheit  (die  'frau  der  seele')  —  uß  gat  {uß  löffet).  An 
anderer  stelle  (Sb  67  **,  25)  wird  die  bescheidenheit  einem  erber  biderman  verglichen : 
so  der  in  sinem  hus  ist,  so  rieht  er  alles  sin  husgesind,  daz  si  sich  züchtig  und 
redlich  müssend  halten; 

Sb  4a,  17  heisst  es  (ähnlich  M.  Eckhart  297,  1  ff.) :  ein  grosses  stück  holz, 
in  den  ofen  geworfen,  geht  im  feuer  völlig  auf,  wird  dem  feuer  gleich,  sich  selbst 
ungleich :  so  auch  der  mensch  in  der  göttlichen  minne.  S.  Wackernagel  s.  595.  — 
Ähnlich  Sa  140^,9  f.:  die  menschen,  die  in  &qx  fürinen  minne  sind,  die  t&nd  reöht 
als  der  swarz  kol  der  bi  dem  füre  lit.  lasset  man  in  stille  ligen,  so  lit  er  öch  stillCf 
der  in  aber  in  das  für  wirfet,  so  flammet  er  mit  dem  für  uf  untz  das  er  gentzlich 
dem  für  gelich  wirt,  der  in  'mit  tvider  uß  dem  füre  nimet.  aber  ze  jüngste  so  er- 
windet das  für  niemer,  e  das  der  kol  gentzlich  verwirdet  und  ze  eschen  wirdet^: 

1)  Hs.  meinet  oder  niemet. 

2)  Dieser  naturprozess  wird  dann  ausführlich  bis  zum  absonderlichen  an 
Maria  Magdalena  veranschaulicht.     Sa  140  a,  18  ff. :  auch  sie  Hess  sich  1.  u-ellen  als 


222  STRAUCH 

Sb  77 '',  10  recht  als  ein  kechbrunn  quilt  latig  in  dem  ertrich,  als  quilt  du 
st'md  in  dem  inwendigen  manschen  lang  e  si  harus  brech  and  sie  der  mansch  usüb 
mit  werken; 

Sb  31 'S  25  ff.  mit  bezug  auf  Luc.  U,  IG  ff.:  es  war  ein  nachtmahl,  kein  im- 
biss :  ersteres  ist  edler  und  kostbarer  und  man  ladet  dazu  seine  allerliebsten  freunde, 
-während  der  imbiss  für  reich  und  arm  ist,  insbesondere  für  das  'gemeine  Volk'  und 
man  gibt  auch  gemein  spise.  Man  reicht  ihn  nach  dem  schlafe  zur  kräftigung  (32*  2) 
ze  dem  strit,  won  es  ist  gewonUch,  das  man  nach  dem  imbis  gan  sol  ze  labor,  das 
ist  dz  man  arbeiten  maß  des  man  bedarf; 

Sb  42  ^,  15.  won  recht  als  einem  manschen  besehicht  das  einen  untawigen 
magen  hat:  was  spise  er  isset,  wie  gut  si  ist,  so  wirt  si  doch  ze  ungesuntheit  in  dem 
manschen :  so  geschieht  es  auch  dem,  der  das  heilige  sacrament  mit  'ungesundem', 
weil  sündenvollen  herzen  empfängt.  Da  hilft  kein  irdischer  arzt,  denn  er  ist  geist- 
lich ungesund.  Nur  der  ewige  arzt  im  Sakrament,  der  da  ist  ein  heiler  aller  wunden, 
kann  dir  helfen; 

Sb  105»,  16  ff.  Die  Jungfrau  Humilitas  'beschuht'  die  zur  königin  erhobene 
Esther  (die  reine  klosterjungfrau):  und  dis  sint  mit  gemein  sch&ch:  es  sint  sunder- 
lich  schüch  %md  heissent  sandalia  und  leit  man  si  dien  byschoffen  an  so  si  wichent, 
U7id  ritter  tragent  si  ach  und  dis  sch&ch  sint  undnan  gantz,  dz  si  den  f&s  behütent 
vor  dien  steinen,  aber  obnan  sint  si  minnenklich  zerschnitten,  dz  man  do  dur  sieht 
WZ  man  dar  under  treit  grün  oder  rot.  105  b,  3  also  behütet  diem&t  den  mSnschen 
vor  dem  gestiippe  zitlicher  dingen,  ^a  von  des  m.  gemüt  und  hertz  zerzert  möcht 
werden.  105 1^,  18.  als  man  rot  oder  grün  oder  ander  varw  sieht  lüchtejt  dur  dis 
sch&ch,  also  luchtent  alle  tugent  minnenklich  do  bi  diem&t  ist.  In  ähnlicher  weise 
wird  Sb  110  %  21  ff.  in  allegorischer  deutuug  ausgeführt,  wie  ein  guter  gürtel  be- 
schaffen sein  soll  und  wozu  er  dient; 

Sb  59  t),  6  ff.  wenne  man  nu  an  kilchirinen  (beim  kirchweihfest)  wil  die 
tempel  loblich  zieren,  so  stost  man  tiß  usserthalb  des  tempels  rot  guldin  renli,'  dur 
das  das  usser  antlit  des  tempels  geziert  werde,  das  es  lustlich  werde  an  zesechen,  aber 
inwendig  so  ziert  man  das  inwendig  antlit  des  tempels  mit  heilt&m  und  mit  schonen 
altart&chen  und  mit  aller  der  gezierde  so  man  kan  erdenken,  das  es  vin  und  lustlich 
werde  dien  ögen  an  zesechen:  also  was  och  der  tempel  her  Salomons  aussen  und 
innen  klarlich  geziert  usw.  Es  folgt  dann  die  nutzanwendung  für  den  äusseren 
und  inneren  menschen,  dessen  herz  den  altar  im  tempel  Salomos  bedeutet  und  allein 
dem  herren  geweiht  sein  soll. 

der  kol  und  ihrer  Schwester  Martha  klage  über  sich  ergehen;  sie  schwieg,  weil  sie 
a)  darauf  nichts  zu  antworten  wusste,  b)  ihre  zeit  besser  vertreiben  zu  können 
meinte,  und  c)  weil  Christus  für  sie  die  antwort  gab,  sie  entschuldigte  (Luk.  10, 
38  ff.),  und  dis  t&nd  noch  die  lieben  f runde  gottes:  die  lassent  sich  ir  Heben  minner 
Christus  verantwürten.  2.  Wie  die  kohle  so  flammte  auch  M.  M.  auf,  als  sie,  wie 
wir  lesen,  auf  der  kanzel  predigte,  ganze  königreiche  zum  Christentum  bekehrte, 
mehr  als  dies  einem  der  apostel  gelang,  und  als  man  ihr  das  predigen  untersagte, 
in  die  wüste  ging,  um  keine  kreatur  fortan  sehen  zu  müssen.  Und  endlich  3.  Wie 
die  kohle  im  feuer  vergeht  und  zu  asche  wird,  so  ward  auch  M.  M.  in  dem  feuer 
göttlicher  liebe  so  völlig  rersmeltzet,  dass  sie,  sich  selbst  und  aller  kreatur  ent- 
rückt, alle  tag  ze  siben  malen  erhocht  wart  über  alles  ertrich  uf  in  die  luft  von  den 
heiligen  englen  also  das  si  hört  singen  (142«)  Cherubin  und  Seraphin  vor  dem 
künglichen  tron  'sanctus,  sanctus,  sanctus'  (letzteres  ebenso  Sa  83»,  19  ff.  Sb  öS'', 
16  ff.  123»,  17  ff.). 


.DER   ENGELBERCtER   PREDIGER  223 

Die  kulturgeschichte  kann  einigen  gewinn  aus  dem  ziehen,  was 
der  prediger  seinen  beichtkindern  von  weltlichem  tand  aufzählt,  dem 
sie  nicht  anhangen,  ihn  wenigstens  nicht  überschätzen  sollen.  An 
verschiedenen  stellen  kommt  er  darauf  zu  sprechen  und  nennt  Sb  29  a, 
7  ff.  68  a,  13  f.  (=  Wackern.  593,  27  f.  50)  Melder,  Uemoede,  i^pis, 
trank,  gespilschaft,  ungeordnote  geselleschaft,  Sb  76  a,  6  f.  schöni  messer , 
pafernoster,  geömeltz,  Sb  82a,  27  ff.  (=  Wackern.  nr.  70,  236  ff.) 
schöni  messer  lieschlageni,  röti  und  agsteinü  paternoster,  guldlni  Schlosser 
an  den  büchren,  Sb  29a,  19  ff.  (=  Wackeru.  593,  35  ff.)  die  linden 
hetti,  die  grossen  Icüssi,  kannen  7üid  schön  köphe,  paternoster  die  ko7'- 
rallin  sint,  beschlagen  kuphe  und  beschlagen  messer  und  Silbergeschirre 
und  lind  gewant.    Vgl.  auch  unt  höbtloch  und  gesnebel  schlich  Sa  105b,  4  f. 

Der  prediger  lebt  ganz  in  der  mystischen  tradition.  Die  drei 
stufen  des  anfangenden,  zunehmenden  und  vollkommenen  lebens,  des 
übenden,  inwendigen  und  minniglich  mit  gott  vereinten  menschen  sind 
ihm  geläufig,  und  er  wird  nicht  müde,  die  einzelnen  entwicklungs- 
stadien,  die  nicht  eigentlich  aufeinander  folgen,  sondern  oft  parallel 
laufen,  immer  und  immer  wieder  und  doch  abw^echslungsreich  zu 
schildern.  Vgl.  Sa  20a,  3.  9.  24a,  4  ff.  33a,  17.  65a,  8.  73a,  2  ff. 
Sb  70b,  23.  25.  71a,  4.  119a,  16.  119b,  13.  126b,  10  ff.  128a,  14  ff. 
136  b,  19  ff.  138  a,  17  f.  191a,  5  f.  207  a,  5  ff.  und  oben  die  inhalts- 
analysen  der  predigten  Sa  nr.  8.  9.,  Sb.  nr.  14.  21. 

Auch  von  unserm  prediger  gilt,  was  Linsenmayer  (Gesch.  der 
predigt  in  Deutschland  s.  72)  von  meister  Eckhart  sagt,  dass  er  fast 
in  jeder  seiner  predigten,  auch  wenn  der  text  zunächst  keinen  anhalts- 
punkt  bietet,  auf  seine  mystischen  Spekulationen  über  die  dreieinigkeit, 
die  gottesgeburt,  die  seelenkräfte  und  den  seelenfunken  überzuleiten 
w^eiss.  In  der  trinität  vereinigt  sich  die  gewalt  und  kraft  des  vaters, 
die   Weisheit   des  sohnes,  die  gute  des  h.  geistes: 

Sa  42  3',  21  ff.  Christus  ist  ain  bild  des  vatters  und  ain  person  der  drivaltikait 
und  ain  glatitz  des  ewigen  Hechtes  und  du  minn  des  heiligen  geistes  und  ain  almechti- 
kait  aller  volkomenheit  (Sb  204  b,  67);  er  ist  der  weg  nach  der  menscheit,  du  tvarheit 
nach  der  gothait  (Sb  207*,  23),  daz  ewig  word  und  der  ainhorn  sun  des  vatters 
(Sb  209  a),  von  dem  der  vatter  sprichet:  Filius  meus  es  tu.  ego  hodie  genui  te.  min 
sun  bistu.  hüt  hab  ich  dich  geborn  (Ps.  2,  7).  dis  hüt  ist  nu.  in  ainem  ieklichen 
ougenblik  so  gebirt  der  vatter  sinen  sun,  und  daz  ist  an  anvang  und  ist  auch  an 
end  und  ist  der  ewig  tag  der  tiiemer  end  genimet.  daz  ist  daz  vetterlich  geberen,  in 
dem  alhi  ding  sint  geschaffen  und  us  geflossen  und  tvider  in  fliessent  und  in  im  und 
dur  in  werdent  behalten  und  ewig  leben  mit  im  besicent  (Sb  208  b,  82  ff.).  Christus 
ist  US  gefruchtet  us  dem  wingarten,  den  der  himelschlich  vatter  vor  angeng  der  weit 
gezwiget  und  gephlanzet  hat  u»d  fiirsechen  in  siner  ewigen  Ordnung,  dz  si  (Maria) 
w(e)rd  ain  mäter  sines  kindes,  dii  do  wz  ain  tochter  des  vatters  und  ain  gemachel 
ZEITSCHRIFT  F.  DEUTSCHE  PHILOLOGIE.    BD.  L.  16 


224  STRAUCH 

des  heiigen  geistes  und  ain  mitgebererin  mit  dem  ratter  sines  eiligen  wortes,  daz  er 
an  underlas  gehirt  iis  sinem  veterlichen  hertzen  und  doch  in  helihet  in  sinem  ewigen 
istigen  ungetvordnen  wesen  gütlicher  natur,  in  dem  er  (Christus)  dem  ratter  und  dem 
hailigen  geist  etvklich  gelich  ist  gewesen  und  ewklich  wesen  sol  an  end  (Sb  205  b,  21  ff.). 
Das  thema  der  gottesgeburt  im  menschen  wird  oft  berührt:  Sb  210 b,  28  also  ge- 
schieht discn  menschrn:  so  si  sich  wüst  und  quit  haltend  aller  creatur,  so  gebirt  der 
vatter  siuen  einbornen  sun  an  underlas  in  inen.  Sb  208  ^i,  23  rfo  ?i'/r^  er  (der  mensch) 
also  minnenklich  veraint  mit  dem  stat  gottes  —  dz  is  dz  wesen  gottes  —,  dz  er  im 
selber  und  aller  creatur  enticirdet  und  ain  mit  got  wirdet,  also  dz  got  sin  ewig  wort 
in  im  gebirt.     Vgl.  auch  Sa  nr.  6. 

Auf  die  Seelenkräfte  kommt  der  prediger  verschiedentlich  zu 
sprechen,  vgl.  Preger,  Mystik  1,  411  ff.;  Tauler  ed.  Vetter  9,  9  f.  300, 
11  f.;  Schmidt,  Tauler  s.  100;  A.  Vogt-Terhorst,  Der  bildliche  ausdruck 
in  den  predigten  Joh.  Taulers  s.  35. 

Sb  38b,  23.  sei  ist  do  seh,  do  si  dem  lij)  leben  git  und  dien 
geUdern  bewegunge.  aber  denne  ist  si  ein  geist,  so  si  erhaben  wirt  mit 
dien  obren  kreften  in  das  einig  ein  der  gotheif.  Durch  diese  drei 
oberen  (königlichen)  kräfte  äussert  sich  im  menschen  die  trinität:  der 
memoria  {geJmgnust,  angedenknust)  gibt  der  vater  alvermugentheit,  dem 
intellectus  {vermin/t,  verstantnüst)  gibt  der  eingeborene  söhn  des  vaters 
ewige  tvisheit,  dem  friien  (eigenen)  ivillen  gibt  der  heilige  geist,  dz  er 
ein  einigu  minn  tvirt  mit  der  minn  des  h.  geistes  \  Vgl.  Sa  26  a,  5  ff. 
Sb  83  b,  21  ff.  (s.  oben  die  inhaltsangabe  der  predigt  nr.  10).  125,  9  ff. 
154b,  6.  162  b,  20  ff.  201,  21  ff.  -  Sb  139  b,  17  ff.  Sie,  die  hohe  drei- 
faltigkeit  ist  gebilt  in  dy  dry  kreft  der  sele  als  ein  ingesigel  in  ein 
icachs  (anm.  zu  A.  Langmann  67,  29ff. ;  Paradisus  animae  intelligentis 
103,  28  f.)  und  dar  umb  so  büket  das  edel  fimkeli  der  sele  von  sinem 
natürlichen  adel  ane  underlas  ivider  in  das  ungeschaffen  götlich  u-esen 
uss  dem  es  geßossen  ist  und  vergicht  sich  ein  istig  wesen  sin  mit  der 
istikeit  gottes.  Nach  Sb  19  b,  16  ff.  sind  vater,  söhn  und  heiliger  geist 
eiyi  einig  wesen  und  ein  einvaltig  substancia  in  driheit  der  personen. 
Hie  werdent  die  dry  krefte  der  sele  versöift  in  ir  ersten  geschaffenheit 
und  verlierent  sich  seiher  in  got  in  ir  ersten  Ursprung,  uss  dem  si  ge- 
ßossen sint,  und  das  bild  der  hochen  drivaltikeit  tvirt  ingetruket  in  die 
dry  crefte  der  sele,  nach  der  und  uss-  der  die  sele  gebildet  ivart  in  ir 
ersten  (20  a)  geschaffen heit.  Hie  gebirt  der  vatter  sinen  eingebornen 
sun  in  die  {sele)  und  die  sele  sich  wider  durch  den  sun  in  den  vatter 
und  wirt  gar  und  gentzlich  mit  inen  als  si  was  do  si  in  inen  eins  ivas 
vor  ir  geschaffenheit. 

1)  Vgl.  Eckhart  511,  2  ff.;  Lasson,  Meister  Eckhart  s.  121.  149. 


t»ER  ENGBLBERGER  PREDIGER  225 

Über  den  drei  kräften  der  seele  steht  aber  noch  ein  höheres: 
der  schon  eben  genannte  seelenfunke\  der  adenlidi  spief/el  der  kochen 
drivalükeit  (Sb  140  a,  H  ff,),  der  gneiste  von  Syon,  das  ist  das  edel 
fnnldi  der  sei,  iis  dem  der  mönsch  würket  alles  das  yotlich  (ist)  und 
in  dem  ist  verborgen  das  rieh  goUes,  in  dem  got  richset  und  lebet 
(Sa  7a,  12  ff.),  der  gneiste  von  Sijon,  der  aus  dem  eitoven  von  Jerusalem 
—  das  ist  got  selber,  du  weslich  mlnne  uss  dero  allü  minrie  ent><pringet  — 
kommt,  aus  dem  feuer,  das  .gottes  antlitz  ausstrahlt  (Sa  129  a,  23  ff., 
vgl.  Sb  4  a,  25  ff.  =  Wackern.  s.  595,  5  ff.).  Sb  117b,  14  ff.  119  a,  27  ff. 
der  gneist  oder  das  fänkli  der  sele,  das  da  komen  ist  uss  dem  stat 
gottes,  das  hat  alwegen  ein  widerneigen  in  got  in  sinen  ersten  Ursprung, 
Sb  129  b,  12  ff.  =  Wackern.  s.  595,  20  ff.  synderisis  hat  alwegent  sinen 
widerglast  und  sin  luchten  in  got  und  in  den  stat  gottes  dz  ist  das 
tvesen  gottes;  dies  fünklein  erlischt  niemals,  auch  nicht  in  denen,  die 
in  der  hölle  sind  (vgl.  Eckhart  113,  38,  vgl.  auch  395,  20.  11,  31),  es 
kann  wohl  verdunkelt  werden  durch  sünde,  wie  die  sonne  durch  die 
wölke,  aber  ihr  (der  sonne)  schein  und  ihr  glänz  vergeht  niemals.  - 
Zur  lehre  von  der  synteresis  vgl.  Paradisus  anime  intelligentis  s.  XXXIV 
zu  s.  58,  37;  Lasson,  Meister  Eckhart  s.  348. 

Mit  besonderer  eindringlichkeit  betonen  die  predigten  immer  und 
immer  aufs  neue  als  hauptziel  des  menschlichen,  vor  allem  des  geist- 
lichen lebens  wieder  zum  ersten  Ursprung  zurückzukehren  ^,  aus  dem 
wir  geflossen  sind:  Sa  28a,  2.  79b,  12.  148b,  23.  Sb  6a,  3.  19b,  22. 
90b,  10.  117b,  17.  21.  158a,  20  ff.  163a,  3f.  Da  heisst  es  z.  b.  Sb 
2b,  13  der  {das)  weisser  fragte,  war  umb  ßüssest  du  stettenklich?  konde 
es  reden,  es  spreche:  das  ttin  ich  dar  umb  das  ich  kom  in  niinen  Ur- 
sprung, uss  dem  ich  geflossen  bin.  der  das  für  fragte,  war  umbe  flammest 
du  über  dich  ?  das  tun  ich  dar  umb  das  ich  ivider  kome  in  den  fürin 
himel,  uss  dem  ich  komen  bin.  min  kint,  also  durgang  alle  creaturen, 
so  stehest  du  und  hörest  du,  das  ein  ieklich  ding  wider  illet  in  sinen 
Ursprung  uss  dem  es  komen  ist,  und  also  soltu  gereitzet  werden  von 
allen  creaturen  wider  ze  kereji  in  dinen  Ursprung  uss  dem  du  geflossen 
bist.  Ganz  ähnlich  auch  Sb  117  b,  23  ff.,  wo  auch  noch  die  ivilden  ti erlin 
genannt  sind,  die  aus  scheu  vor  den  menschen  wieder  in  den  wald 
oder  die  wüsti,  dannan  si  koinen  sinf,  fliehen. 

Den  begriff  der  'wüste'  (desertum)  zerlegt  gleich  die  erste  predigt 
in  Sa  (s.  oben  s.  6)  in  drei  arten,  indem  eine  leibliche,  geistliche  und 

1)  S.  Zeitschr.  16,  43  f. 

2)  S.  Lasson,  Meister  Eckhart  s.  158. 

16* 


226  STKAUCH 

göttliche  unterschieden  wird,  auch  auf  die  drei  ordensgclübde  der 
armut,  des  gehorsams  und  der  lauterkeit  wird  er  vergleichsweise  an- 
gewandt (Sb  78  b.  79  a  .=  Wackern.  nr.  70  z.  47  ff.).  In  erster  linie  ist 
aber  unserra  prediger  die  bei  Eckhart,  Seuse  und  Tauler  so  beliebte 
mystisch-allegorische  deutung  auf  das  absolute,  unbestimmbare  wesen 
der  gottheit^  gleichfalls  geläutig:  er  ist  geradezu  unerschöpflich  in  der 
Variation  der  terminologie  für  das  göttliche  wesen.  Vgl.  die  breite 
ausführung  Sb  123  a,  6  ff.  =  Wackern.  s.  586  f.  z.  89-147 ;  inre  wüsü 
Sb  85a,  5;  hoche  ivilde  wüsti  der  gotheit  Sb  200a,  4;  Sb  124  a,  4.  7. 
157  b,  23  die  {stille)  icüsti  der  gotheit;  ie  hocher  man  gat  in  die  tvilsti, 
ie  süsser  weid  man  vindet  und  ie  bas  die  vögelli  do  singejit  und  ie 
wolgesmaker  kriit  und  ie  schöner  blnmeii  man  do  sieht,  und  dar  umbe 
so  zückt  der  himelsche  vatter  das  grün  zwyli,  sinen  einbornen  sun,  dem 
mönschen  vor,  dur  das  der  mansche  im  nach  gange  in  die  wüsti,  ja 
dur  die  mönscheit  in  die  gotheit,  dur  den  sun  in  den  vatter,  ja  dur 
bild  und  forme  in  unbild.  hie  gat  der  mansche  in  in  die  wüstunge  der 
kochen  gotheit^  (Sb  157  a)  in  das  tünsterlich  istig  ivesen,  in  dem  allü 
wesen  anevang  und  ende  nement:  das  ist  du  still  wüsti,  in  der  der 
mansche  ivüst  und  quit  wi^'t  aller  creature  und  ime  ab  vallet  alles  das 
man  geworten  mag  und  ivirt  in  der  ivüsten  gotheit  also  minnenklich 
vereint  mit  dem  einigen  ein  der  gotheit  und  ivirt  also  enzünt,  dz  er 
ein  Hecht  wirt  und  ein  glantz  und  ein  spiegel  der  gotheit.  Ahnlich 
auch  Sb  114  a,  i  ff.  in  auslegung  von  Job.  10,  9.  In  diesem  längeren 
excerpt  haben  wir  bereits  alles  vereinigt,  was  an  anderen  stellen  ver- 
einzelt, jedoch  bei  grosser  abwechslung,  ausdruck  findet: 

Sb  69*,  20.  ein  lutter  hertz  dz  sol  uf  gan  in  got  und  in  anbetten  mit  einem 
minneelichen  vereinen  in  dz  istig  einig  ainn  ^  der  gotheit  und  in  die  ungenaturten 
natur  gottes  die  anvang  nie  gewan  und  end  niemer  gewünnet; 

Sa  3b,  2.  7>>,  3.  15»,  21;  Sb  ßb,  17.  38b,  26.  157?,  7.  188b,  12  das  (bloz)  einig 
ein  der  gotheit  (das  got  ist);  Sb  188b,  12  das  einig  ein  der  verborgen  gotheit; 

Sb  19  b,  14.  32  b^  20.  212  b,  12  das  [bloz)  einig  wesen  der  gotheit  (gotes); 
Sb  85a,  15  ein  istig  wesen  mit  got  werden;  Sa  26 »,  11.  Sb  1<%  15.  114 *,  14.  157»,  1. 
das  tttnsterlich  (istig)  wesen  der  (hochen)  gotheit; 

Sb  205  b,  22  in  sinem  ewigen  istigen  ungeivordnen  niesen  götlicher  natur - 
Sa  55  »,  32  die  tunsterhait  der  ungeschaffen  gothait. 

Sb  Ib,  5  das  einig  gät  das  got  ist;  Sa  144b,  24  das  grundlos  mer  der  hochen 
gotheit. 

1)  Vgl.  zu  Marg.  Ebner  76,  18  f.;  Denifle  in  seinem  Archiv  2,  455;  Bihl- 
meyer,  Seuse  im  glossar  s.  626  =' ;  A.  Nicklas,  Die  terminologie  des  mystikers  H.  Seuse 
s.  143;  Zeitschr.  16,  24.  46,  420  f.;   ßech,  Granum  sinapis  s.  XII  zu  V.  35.  3S.  70. 

2)  Vgl.  A.  Nicklas  a.  a.  0.  s.  47 ;  Zeitschr.  46,  395 ;  A.  Gebhard,  Die  briefe 
und  predigten  des  mystikers  H.  Seuse.     1920.     s.  52. 


DER  ENGELBERGER  PREDIGER  227 

Der  gleichen  terminologie  gehören  auch  im  sinne  der  in  gott  aufgehenden 
kreatur  Wendungen  wie  bildlos  und  formlos  Sa  4",  14.  26  a,  15.  Sb  114  a,  15,  i'iber 
bild  und  tiber  form  Sa  82 1*,  6.  84  a,  2,  ein  istig  wesen  sin  mit  der  istikeit  gottes 
Sb  139  b,  23  an. 

An  allegorischen,  vereinzelt  auch  etymologischen  namensdeutungen 
hat  der  prediger  besonderes  gefallen  gefunden: 

Sb  164  S',  25  nu  ist  abba  als  vil  gesprochen  als  ein  apt  oder  ein  vatter; 

139 '1,  26  Christus  ist  als  vil  gesprochen  als  ein  gesalboter  (Job.  1,  41); 

129  b  8.  184  b,  18    Herodes  daz  ist  der  schalk  der  natur ; 

64  b,  2  Jacob  ist  als  vil  gesprochen  als  ein  striter  oder  ein  rechter  und  ouch 
ein  uberu-inder,  denn  er  rang  mit  dem  engel ;  ebenso  Sb  138  b,  23 ; 

Sa  23',  20.  Sb  184  b,  16  Johannes  (Baptista):  ich  bin  geheissen  dii  gnad  gottes; 
ebenso  Sb  138  b,  17  auch  Johannes  evangelista:  seit  Hieronymus  geläufig,  s.  die 
register  in  Schönbachs  Altd.  pred.  bd.  1—3;  Sa  28%  21  Johannes  evangelista:  vox 
tonitrui  ein  stim  des  tonren,  vgl.  Sb  1  =*,  22.  123  b,  9.  138  b,  9  fiUus  tonitrui  ein 
sun  des  tonren  (Marc.  3,  17). 

Sb  64  b,  10  Joseph  (Jakobs  söhn)  der  —  ist  als  vil  gesprochen  als  ein  senft- 
mutiger ; 

110''',  19  Josepf  der  ivas  bekleidet  mit  einem  rok,  der  gieng  ime  untz  an 
sin  anklatcen  uttd  der  bezeichnet  och  gehorsami ; 

204b,  28  ff.  Maria:  in  ebraischer  sprach  nemet  man  si  Meo  oleo,  in  der  stat 
Cyrino  do  nemet  man  si  domina  gentium,  dz  ist  als  vil  gesprochen  als  ain  fröw  der 
geschlechten  —  Maria  ist  och  als  vil  gesprochen  als  merstern.     S.  oben  s.  42. 

81'"*,  13  Ozias  das  ist  als  vil  gesprochen  als  ein  schower  der  dingen; 

129  b,  5  so  ist  Petrus  als  vil  gesprochen  als  ein  bekennen  gottes,  vgl.  138  b,  17  ff. 
(cognoscens  Hieronymus) ; 

140'"^,  23  Sijmon  ist  als  vil  gesprochen  als  ein  gehorsamer  mansche  (pbediens 
Hieronymus,  s.  Schönbach  zu  Altd.  pred.  1,  366,  29  f.); 

Sa  20  b,  21  Egi/pten  ist  als  vil  gesprochen  als  dis  zerganklich  leben  (sonst  — 
tenebrae,  ongustiae,  tribulatiö); 

Sb  78 'i,  18.  78  b,  12  Galilea   betüt   als    vil   als   ein  volbringen  der  XII  reten; 

Sa  52  b,  14  Jerusalem  ist  als  vil  gesprochen  als  ain  stat  des  frides  (sonst 
visio  pacis),  vgl.  Eckhart  342,  6  f. ; 

Sb  154''',  18  der  Jordan  ein  gross  fliessent  ivasser  und  das  betütet  behorunge 
und  anvechtunge  {apprehensio  Hieronymus); 

Sb  78'"',  16.  78  b,  2.  Samarium  ist  als  vil  ges2)rochen  als  ein  Mit  der  gebott 
gottes  {custos,  custodia,  custodita  Hieronymus) ; 

Sb  102*,  15  Sgon  ist  als  vil  gesprochen  als  ein  geistlicher  Spiegel,  in  dem  man 
du  ding  sieht  (specula,  speculatio,  traditionell  seit  Hieronymus). 

Des  Predigers  spräche  ist  bildreich.  Wenn  er  vom  'adel',  vom 
'antlitz  der  seele'  (Sa  3b,  9.  Sb  17b,20.  18  a,  6),  von  der  'galle  des 
hasses  und  neides'  (Sb  144  a,  16),  der  'schale  der  bitterkeit'  (Sb  193  b,  2), 
vom  'schatten  des  todes'  (Sb  206  a,  72),  vom  'kleid  der  Unschuld' 
(Sb  195a,  17)  spricht,  so  sind  das  auch  uns  noch  geläufige  metaphern. 


228  STRAUCH 

Dem  Engelberger  prediger  aber  ist  bildersprache  ein  bewusst  geübtes 
Stilmittel  der  belebung-  und  veransehaulichung,  wobei  wir  gelegentlich 
gesuchtes,  ja  für  unser  gefühl  geschmackloses  mit  in  kauf  nehmen 
müssen.  So  redet  er  vom  'den  wein  der  ewigkeit  schenken'  (Sb  159a, 
17),  vom  'schenken  aus  der  quellenden  quelle  der  dreifaltigkeit  (Sb 
33  a,  1),  vom  'pfenning  des  ewigen  lebens'  Sb  204  b, 2,  von  dem  'sauren 
wein  der  reue'  (Sb  195  b,  i),  vom  'hammer  des  leidens'  (Sa  120  a,  19), 
vom  'kerker  unseres  leibes'  (Sb  184  b,  18),  von  der  'mauer  der  geduld' 
(Sa  13a,  12),  von  dem  ijhulment  rechter  demut  (Sa  Ca,  15),  von  dem 
biilcer  der  sünde,  der  schuld  (Sa  5  a,  15.  34  a,  3),  von  'der  natur  den 
hals  abwürgen'  (Sa  lila,  23.  126a,  8),  vom  gestüppe  zeitlicher  dinge 
(Sb  105  b,  4),  von  den  'abgöttern  zltUcher  liehi'  Sa  50  b,  20  (veranlasst 
durch  Gen.  31,  19),  vom  herzen  als  dem  'sessel  der  seele,  dem  thron 
gottes  und  dem  lustlichen  paradies  der  dreifaltigkeit'  (Sb  55b,  12. 
131a,  17),  von  dem  'tiefen  abgrund',  der  'arche  des  väterlichen  herzens' 
(Sb  157  b,  24,  —  Sa  7  b,  4),  von  der  ivol  riechenden  appotek  des  himlsch- 
liclien  vatters  (Sa  6  b,  21,  vgl.  Seuse,  Zeitschr.  46,  429),  vom  'roten 
purpur  des  rosenfarbeuen  blutes'  Christi  (Sa  42  a,  7),  von  der  'pforte 
der  durchlittnen  menschheit  Jesu  Christi',  dann  aber  auch  der  'pforte 
seiner  vinen  klaren  gottheit',  durch  die  der  weg  zu  gott  führt  (Sb 
114a,  2  f.,  vgl.  Joh.  10,  9),  vom  'spiegel',  von  der  'sonne  der  gottheit' 
(Sb  157  a,  9.  140  a,  10),  vom  'mark  der  göttlichen  natur'  (Sa  28  a,  14),  » 
vom  'grundlosen  meer  der  hohen  gotheit'  (Sa  144  b,  24),  vom  he- 
schlossnen  'brunnen  der  ewigen  Weisheit'  (Sa  28  a,  12),  vom  'regen 
götlicher  gnade'  (Sa  84  b,  19),  von  den  grülichen  ivasicetren  dirre  zer- 
ganclichen  zit  (Sa  114b,  25),  von  den  Sturmwinden  der  zerganklichen 
1(76^^  (Sa  16  b,  18),  vom  'winde  des  heil.geistes'  (Sa  84b,  18).  -  Der fiichti- 
keit  zitliches  lustes  (Sb  153  b,  21)  wird  die  türri  der  creften  (Sb  153  b, 
19),  die  die  tiefelslichen  fantasma(ta)  —  si  sint  gern  an  fliehten  stetten  — 
vertreiben  soll,  gegenübergestellt :  die  natur  des  menschen  neigt  zur 
'feuchtigkeit'  zeitlicher  lust,  gottes  freunde  dagegen  sind  yederret  von 
den  flammenden  winden  göttlicher  minne'  (Sb  153b,  4.  24,  vgl.  95a, 
21.  23).  Vgl.  auch  die  fühtlkait  Adams,  die  im  begnadeten  menschen 
trucken  wirt  (Sa  55  b,  4)  und  'die  feuchten  wölken  des  sündigen  lebens' 
der  Maria  Magdalena  (Sb  93  b,  n).  -  üas  teuer,  das  gottes  antlitz 
ausstrahlt,  kommt  aus  dem  eitoven  von  Jerusalem  und  entzündet  den 
gneisten  in  Syon,  -  auf  dass  sie  ein  feuer  werden  (Sa  129  a,  23  f.,  vgl. 
7  a,  7  f.  Sb  4b,  1).  -  Vom  'winkel  der  seele'  ist  öfter  die  rede  (Sb  93 b^' 
17.  130b,  27.  201a,  2;  auch  bei  Tauler:  A.  Vogt-Terhorst  a.  a.  0.  s.  44 f.), 
vgl.  dazu  hie  gat  der  mansch  iinder  die  ategen  der  sei  und  wischet  (hs. 


DER   KNGELBERGER   PREDIGER  >229 

ivisl/eit)  har  für  das  bulcer  der  schuld  (Sa  5  a,  14.  123a,  9).  _  Der 
nam  Jesus  ist  -  von  der  Jungfrau  Maria  us  gesjjrosset  ics  dem  paradys 
irs  m endlichen  hertzen  und  us  gefruchtet  us  dem  ivingarten  des  himm- 
lischen vaters  (Sb  205b,  17  ff.).  -  Gesucht  wirkt:  und  ivirt  den  vinger 
sines  verstans  in  tunkent  in  den  honigwaben  göilicher  nature  (Sb  191),  4) 
oder  ivo  dir  das  snf  sines  lidens  zehüwen  iverde  under  die  zene  diner 
verstantnusse,  do  helib  (Sa  50  b,  4,  vgl.  dazu  David  v.  Augsburg,  Pfeiffer 
1,  375,  25,  Sieben  staffeln  des  gebetes,  ebenda  1,  389,  34),  dagegen 
wird  treffend  bei  der  auslegung  von  Matth.  3,  3  die  stimme  als  das 
'kleid  des  wortes'  (Sa  2  a,  20)  bezeichnet.  Neben  der  bekannten  auf- 
fassung  von  Jesus  als  dem  himmlischen  arzte,  dem  medicus  celestis  (Sa 
121b,  9.  11.  Sb  196  a,  18.  196  b,  5),  oder  dem  hirten  (Sb  123  b,  20  ff. 
156  b,  9  ff.)  wirkt  auf  uns  befremdend  und  spielerisch  der  vergleich 
mit  einem  niemals  versagenden  vocabular,  mit  einer  Uherie,  die  über 
alles,  was  zu  wissen  ist,  aufschluss  gibt  (Sb  207  a,  14  ff.  s.  oben  s.  43). 
Die  rote  rose  versinnbildlicht  den  'roten,  in  göttlicher  liebe  allzeit 
brennenden',  die  weisse  den  'weissen'  gott,  in  siner  luteren  unvermas- 
goten  menscheit  oder  die  'minnigliche  menschheit  Christi'  (Sa  17  b,  10  ff. 
41t»,  23  ff.).  Für  das  minnigliche  leiden  Christi  ist  die  rote  rose  in 
ihrer  schönsten  röte  und  ihrem  süssesten  dufte  ein  beliebtes  symbol 
(Sa  97  b,  12  f.),  wie  sie  an  anderer  stelle  (Sa  128  a,  6  ff.  =  Wackern. 
69,  246  ff.)  den  menschen  daran  erinnern  soll,  dass  alle  kreatur  ein 
ingang  in  den  schöpf  er  ist.  Auch  sonst  versenkt  sich  der  prediger 
gern  in  die  pflanzenwelt  und  entnimmt  ihr  wie  auch  der  feld- 
und  gartenkunst  seine  bilder  und  vergleiche. 

Sb  126^,  18  Der  bläm  ist  ein  schon  histlich  ding  dien  ögen  an  ze  sechen,  die 
u'il  er  nf  dem  velde  stat.  aber  tvenne  er  wirt  abe  gebrochen,  so  toirt  er  dürr  als 
das  how.  also  ist  es  wnb  die  gnade  gottes  und  die  süssigkeit,  die  der  mensch 
empfängt  die  tvile  er  in  sit  ist:  dii  ist  recht  als  das  tiirre  hdw,  das  hütt  ist  grüne, 
morn  ist  dürr  wider  der  froide  du  uns  gehen  wirt  nach  diseni  leben,  so  ivir  werden 
sechent  von  ögen  ze  ögen,  von  antlit  ze  antlit  (127^)  unverdacht  in  iemer  werender 
Sicherheit,  do  ist  mit  hüt  froide,  morn  leid:  es  ist  unwandelber  froid  ane  alles 
truren.  Vgl.  auch  oben  s.  220 ;  Sa  35  ^,  4.  —  Sb  SO^^,  20  ff.  Christus  erschien  der 
Maria  Magdalena  hi  gartners  wise  z&  einem  Urkunde,  das  si  den  garten  und  das 
paradi/se  ir  sele  umbezi'men  sölte  —und  öch  alles  unkrut  uss  jeten.  Sa  112^,  11  e 
das  sich  du  natur  gentzlich  liessi,  si  hafti  sich  e  an  einen  roten  aphel  oder  an  einen 
bl'umen  und  ncme  da  Inst  oder  geyiügde  als  vil  ir  werden  möchte,  ebenso  Sb  68",  9  ff . 
(s.  Wackern.  s.  593,  47  ff.  mit  dem  zusatz  und  das  sieht  man  wol  in  geistlichen 
Orden).  —  Sb  5^,  10  ff.  findet  das  bild  vom  pfropfen  eines  grünen  zweiges  auf 
einen  stoh  Verwendung:  die  frucht  artet  nach  dem  grünen  zweige  und  nicht  nach 
dem  alten  stamm:  also  ist  die  nature  des  mönschen  got  gezwiget  und  ähnlich  Sb  52t>,  18 
recht  als  der  alt  stok  des  bömes  sin  alten  natur  lat  und  an  sich  nimet  die  kraft  des 
Jungen   zwilis,    also  wirst  du   abziechent  din  alten  natur  und  den  alten  mSnschen.  — 


23Q  STRAUCH  " 

Sa  16 ''j  10  liie  inirket  disi  gab  {foHüudo-cjoÜidie  sterki)  an  dir,  das  du  diu  rieh- 
liehest  sin  und  diu  fünf  sin  recht  ze  samen  bindest  als  einr  tat,  der  einen  böni  ziviet 
(lies  mit  Sb  132 '',  4.  8  ztvinget).  der  bindet  die  jungen  est  ze  samen  engegen  dein 
himel,  uf  das  si  sich  nüt  ze  tvitt  teilen,  dur  das  si  von  dem  regen  und  von  dem 
icint  nicht  verderben,  also  solt  du  och  hätten,  das  du  von  dien  Sturmwinden  dirr 
zerganldichen  weit  mit  werdest  beröbet  diner  sinnen  uswendiger  noch  inwendiger,  oder, 
wie  es  Sb  132  b^  ß  heisst,  also  sol  der  mansche  mit  der  tugent  continentia  beheblicheit 
zesamefi  zwingen  sin  fünf  sinne  und  alle  sin  krefte  usswendig  und  imvendig.  —  Sa 
■ö**,  4  if .  der  zederbum  ist  ein  gar  schöner  böm  mit  vil  esten  und  lober  und  ein  gar 
schöner  told  (s.  Tauler  274,  10  und  Wortregister;  Seuse  254,  10;  Zeitschr.  46,  423), 
und  die  teil  er  ufrecht  stat,  so  ist  er  ze  nicht  nütz,  wand  er  bringet  kein  fnicht. 
wenn  er  aber  nider  ivirt  geschlagen,  so  ist  er  ze  menger  artznie  gät,  recht  als  öch 
der  maser,  der  in  dem  tvald  stat:  der  ist  öch  ze  nicht  gUt  die  wil  er  in  dem  wald 
stat.  wen  man  in  her  us  bringet,  so  machet  man  kSphf  dar  us  und  ander  ding  die 
man  gern  hat.  So  gleicht  auch  der  mensch  dem  zcderbaum:  erst  wenn  er  nieder- 
geschlagen, demütig  geworden  ist,  wird  er  eine  wolriechcnde  a-ppotek  des  himrlsch- 
lichen  vatters  und  ein  artznie  aller  sünderen.  Derselbe  vergleich  mit  fast  den 
gleichen  worten  auch  Sb  27  b,  4  ff.  mit  der  nutzanwendung :  also  müstu  din  stoltz 
hofertig  gemüte  biegen  und  undertruken  under  das  jach  der  gehorsami  (Matth.  11,  30). 
-  Sb  104  a,  9.  169  a,  10.  169  b  18  =  Wackern.  s.  598,  34  f.  geben  eine  deutung  des 
feigenbaums,  mit  dessen  blättern  Adam  im  paradiese  bekleidet  war.  —  Sa  95  ^,  1  ff. 
wird  der  prediger  mit  einem  gäten  ackermann  verglichen,  der  alivegent  seijet.  er 
achtet  mit,  ob  im  eins  jares  nützit  wirt,  er  seijet  aber  des  andren,  ob  im  einest  mit 
werde,  das  ime  doch  des  andren  jares  etwas  werde,  also  sol  der  brodier  aliregen 
seijen,  und  were  joch,  das  es  an  dem  manschen  nüt  hülfe  vor  sinem  tode,  got  gebe 
doch  e  dem  manschen  einen  rüwen  an  sinem  tode,  das  der  sanie  des  bradiers  doch 
nüt  gentzlich  verdirbet.  Sb  7'',  17  heisst  es  ebenso  mit  bezug  auf  den  prediger, 
der  predigt,  auch  wenn  das,  was  er  lehrt,  nicht  befolgt  wird:  und  also  tlit  och  der 
ffät  akerman.  der  lat  och  mit  abe  dar  umbe  das  die  vogel  den  samen  essent.  doch 
belibet  ime  iemer  etwas  da  von.  Hier  mag  auch  Sa  95 a,  12  eine  stelle  finden:  nu 
ist  ein  brodier  recht  als  ein  kenel,  der  das  tvasser  leitet  und  ist  der  kenel  dik  das 
er  mit  won  mies  bringet,  und  wenne  der  brunne  uf  das  ertrich  dur  den  kenel  Jlüsset 
das  zem  ersten  tiirre  und  tmfruchtber  ist,  so  wirt  es  denne  fruchtbar  und  grüne  und 
bringet  menger  hande  frucht.  das  geböume  und  alles  das  uf  dem  ertrich  ist,  da  der 
brunne  hin  flüsset,  das  wirt  fruchtber.  also  geschieht  och  dien  manschen  die  das 
wort  gottes  gerne  hSrent.  die  joch  vor  ttirr  und  unfruchtber  sint,  die  werdent  denne 
grunent  und  blüiigent.  —  Sa  89  b,  23  es  stat  menger  mSnsche  einen  gantzen  tag  und 
hakket  und  (90  "i)  rütet,  das  im  der  sweis  über  allen  sitten  lip  nidergat.  dem  git 
man  licht  ze  nacht  nüt  wan  einen  Schilling  phenningen,  und  er  hat  licht  siben  kint 
und  der  git  dir  die  phenning,  der  sinü  kint  licht  vil  notdürftiger  werin  und  er  si 
öch  so  sh'angklich  verdienet  hat.  und  dar  umbe  ist  es  billich,  das  du  dankber  sigest, 
won  du  mit  tcüssen  macht,  wie  sure  es  (hs.  er)  erarnet  ist,  e  es  dir  werde,  wan  du 
mäst  lange  betton  und  knüwen  e  das  dir  der  sweis  also  creftenclich  dur  dinen  Hb 
nider  rinne  als  einem  werkenden  manschen  dik  und  vil  eines  tages  geschieht.  Deshalb 
sei  dankbar  für  das  kleinste  wie  für  das  grösste,  das  dir  gott  oder  die  menschen 
zufügen. 

Die    ti  er  weit    wird    mannigfach    zu    ausführlichen    vergleichen 


DER  ENGELBERGKR   PREDIGER  23t  . 

herangezogen,  wofür  der  Physiologus  die  hauptquelle  abgibt,  aber 
auch  eigene  beobacbtung  kommt  in  frage. 

Die  schlänge',  die  im  alter  durch  zwei  'enge'  steine  schlüpft,  sich  die 
alte  haut  abstreift  und  eine  neue  bekommt  (Sa  126 b,  1  =  Wackern.  69,  192  ff.), 
wird  unter  hinweis  auf  gottes  strenges  gericht  am  jüngsten  tage  (die  steine)  auf 
den  alten  sündhaften  menschen  gedeutet,  der  einen  neuen  anlegen  soll.  In  etwas 
anderer  auslegung,  in  der  die  zwei  'harten'  steine  auf  gottes  strenges  gericht  und 
Christi  wirdigez  leiden  bezogen  werden,  auch  Sb  169  a,  23  ff.  (s.  oben  s.  36). 

Sa  148 1»,  4  ff .  Der  begnadete  mensch  hat  sich  von  den  zeitlichen  zu  den 
göttlichen  dingen  erhoben,  dass  er  mit  dem  adler  uf  fliiget  und  inblikket  in  der 
sunnen  rat  der  hochen  gotheit  (ebenso  Sa  145  '^^  18.  Sb  69  a,  18  f.).  hie  flüget  der 
inSnsche  der  sunnen  als  nach  als  der  adler:  von  dem  liset^  man,  das  er  der  sunnen 
als  nach  flieget,  das  er  sin  gevider  besenget  in  der  hitz  der  sunnen  und  er  blikket  in 
das  rad  der  simnen.  —  Sa  126  b,  19  £f.  =  Wackern.  69,  203  ff.  wird  auf  den  adler 
angespielt,  der  den  durchs  alter  krumm  gewordenen  Schnabel  abwetzt '').  also 
solt  du  dinen  mund  billen-  an  dem  herten  stein  der  gerechtikeit  gottes,  du  kein  tin- 
müssig  wort  ungerochen  lat  eintweder  (127  ^)  in  zit  oder  in  eirikeit.  dis  leret  dich 
steigen  von  allen  unnützen  warten  und  allein  von  Christo  sprechen.  Ganz  ähnlich 
auch  Sb  170  a,  22.  -  Sb.  116  b,  27  ff.  Bei  der  speisung  der  4000  (Marc.  8,  1  ff.) 
heisst  es:  Jesus  tet  recht  als  der  adler:  wenne  der  einen  röb  genimet,  so  lat  er  alle 
die  vogel  mit  ime  essett,  die  bi  ime  sint,  recht  klein  und  gross,  und  also  tet  der 
süsse  Jhesus.  e>-  Hess  alle  die  mit  ime  essen  die  zä  ime  kamen,  böse  und  gut,  Judas 
als  Johannem,  Judas  als  Petrum. 

Wiederholt  begegnet  die  beliebte  deutung  vom  hirsch  und  vom  einhorn  auf 
Christus.  Zunächst  drei  besonderheiten  des  hirsch  es  als  vorbild  für  den  menschen: 
Sa  8  a,  18  der  hirtz  hat  dri'i  ding  an  im,  die  sol  öch  ein  gätter  mansch  an  im  haben, 
das  erst:  er  hat  die  aller  bittersten  ogen,  die  kein  tier  an  im  hat.  ze  dem  andren 
mal:  er  hat  den  aller  schnellasten  löff  wen  man  in  vachen  teil,  den  kein  tier  hat, 
und  sichet  mit  hinder  sich  als  andrti  tier  tünt.  zä  dem  dritten  mal  so  loffet  (8^) 
e)-  uff  das  aller  höchste  gebirg  und  birget  sich  mit  in  die  hiilinen  als  ein  ander  tier. 
—  Auf  Christus*  bezogen:  Sa  25 a,  13  so  man  in  (den  hirsch)  jaget,  so  lat  er  sin 
fässtaphfen  einen  süssen  gesrhmack  nach,  und  so  des  die  jaghunt  gewar  werdent,  so 
loffent  si  im  iemer  me  nach,  untz  das  si  den  hirtzen  gevachent.  also  tänt  och  dis 
manschen:  die  I5ffent  disem  edlen  hirtzen  nach,  untz  das  si  in  gevachent.  Ebenso 
Sb  157«,  3ff.  =  Wackern.  598,  10  ff.  -  Sb  96  b,  8  ff .  Christus  entzog  sich  der 
Maria  Magdalena  von  innan,  das  si  {im)  denne  stetklich  und  hitzklich  nach  jagt  als 
de)-  jaghunt  dem  süssen  spor  des  hirtzen  }iach  jagt  untz  daz  er  in  ergriffet.  —  Sb 
157  '\  20  Der  gottsuchende  mensch  läuft  dem  hirsch  (Christus)  nach  untz  in  die 
höchi  des  gebirges  und  der  wüsti  recht  als  du  kmigklicli  mäter  Maria,  du  da  in  der 
wüsti  der  gotheit  und  in  dem  tieff'en  abgründe  des  vätterlichen  hertzen  und  in  der 
schos  der  gotheit  gerieng  den  wilden  e inhü  rti^  (IbS^)  und  ring  in  in  ir  schos  und 

1)  Vgl.  Lauchert,  Gesch.  des  Physiologus  s.  15;  Tauler  95,  7  ff. ;  Vogt- 
Terhorst  s.  122.- 

2)  Vgl.  Lauchert  s.  9. 

3)  Vgl.  Lauchert  s.  9  anm.  3. 

4)  Vgl.  Banz  s.  58  zu  v.  213;  Vogt-Terhorst  s.  126.  S.  auch  Kieder,  Der  sog. 
St.  Georgener  prediger  236,  1  ff. 

5)  Vgl.  Lauchert  s.  22  ff. ;  Historisches  taschenbuch  1867, 224  ff. ;  Zeitschr.  46, 438. 


2d2  STRAUCH 

beslos  in  ir  hevtze.  Ebenso  Sb  207,  70  ff.  —  Typologisches  vom  bären:  Sa  81b  7  = 
Wackern.  s.  597. 

Sa  1488',  W  £)i'(  tube^  hat  die  geiconheit  das  si  nienent  (ferner  wonhaft  ist 
denne  in  dien  rigluchren  der  muren  (ebenso  Sb  144*,  18  ff.):  also  tänd  disü  minnenk- 
lichen  mönschen:  die  jliegent  uf  mit  ir  andacht  und  mit  ir  gemüte  in  die  minnrichen 
wunden  Christi  und  sunderbar  in  das  ufgetan  minnrich  hertz  Christi.  —  Sb  143  b, 
19  ff.  Petrus  gleicht  der  taube  in  dreierlei  weise:  1.  sie  wandelt  gern  auf  dem 
wasser,  vor  dem  habicht  verbirgt  sie  sich.  So  auch  Petrus:  das  wandeln  auf  dem 
wasser  bedeutet  die  h.  schrift,  die  ein  schütz  ist  vor  der  minn  craft  der  natnr 
(habicht).  2.  Auch  Petrus  war  ohne  galle.  3.  Auch  Petrus  wohnte  stets  mit  seinem 
gedanken  in  Christi  herzen  wie  die  taube  in  den  hohlen  mauerlöchern.  —  Sb  G»,  4ff. 
werden  rabe  und  tauhe  in  der  arche  Noe  gedeutet:  der  rabe  meint  die  menschen, 
die  ihre  natürliche  minne  uf  das  tot  as  creaturlicher  mijine  kerent.  Die  erste  taube 
fand  keine  ruhe,  flatterte  in  dem  wasser  hin  und  her  und  kehrte  zurück:  so  soll 
es  auch  der  mensch  machen:  findet 'die  seele  keine  ruhe  im  zeitlichen,  so  kehre  sie 
zurück  in  die  arche  des  väterlichen  herzens  und  berge  sich  dort  vor  aller  'mannig- 
faltigkeit'.  Die  zweite  taube  brachte  den  ölbaumzweig  als  friedenszeichen  gottes: 
so  komme  auch  du  in  die  arche  mit  dem  grünen  zweig  aller  tugeudlichen  werke 
und  des  minniglichen  'verdienens'  Christi,  so  wirt  ein  gantzer  sän  zwischen  dir  und 
gott,   deine   natürliche  minne   wird    vereint  mit   seiner   göttlichen  weslichen  minne. 

Sa  Sa,  6  du  seit  tän  als  der  schneg:  wenn  du  sunn  undergat,  so  schlüffet 
er  in  sin  hi'ttli  und  schnn'iket  sinü  lirli  untzent  früge,  dz  aber  der  sunn  uf  gat,  so 
kuntet  er  aber  har  us :  so  sollst  auch  du  warten,  bis  die  sonne  der  gerechtigkeit 
aufgeht:  ortus  est  sol  iustitiae  (Mal.  3,  20), 

Sa  146  a,  14  der  mönsche  tat  recht  als  der  esel,  den  müss  man  triben  oder 
er  gat  nüt  den  rechten  weg,  won  alle  die  tvile  so  der  esel  ungeladen  ist,  so  gat  er 
niemer  einen  rechten  tveg,  und  ivenne  er  geladen  ivirt,  so  kumet  er  fiirbas  niemer  uss 
dem  rechten  iveg.  und  recht  also  müss  got  den  menschen  triben  mit  bitterkeit:  nu 
nimet  er  dem  mönschen  sin  fründe,  denne  gibet  er  im  liden,  nu  dur  den  frtind,  denne 
dur  den  vigent.  nu  gibet  er  im  siechtagen,  denne  versmecht,  denne  eilende,  nu  hunger, 
nu  durst,  nu  dis,  nu  das,  denne  frost,  denne  {hitze):  (1471',  2)  so  tvirt  der  munsche 
getriben  von  der  weit  zä  got, 

Sa  103b,  23  ff.  Die  lauen  geistlichen  menschen  gleichen  der  fledermaus'^ 
die  nicht  vogel,  nicht  maus  ist.  Sie  vernam  zu  einem  male,  das  die  vogel  ein  ge- 
richt  tvolten  haben,  und  si  kam  geflogen  zä  inen  —  das  sint  möttschen  di  got  lieb 
habent  —,  und  sprachen  zä  ir :  gang  balde  von  uns,  du  hörest  nüt  zu  uns,  ivon  du 
hast  zene  —  dz  ist:  du  bist  mit  dinen  fründen  und  mit  zif liehen  dingen  als  gar  be- 
kthnhert,  das  du  zä  uns  gentzlich  mit  hörest  —  und  hast  mit  vedren  als  wir.  und 
also  wart  si  von  den  voglen  vertriben.  do  kam  si  zä  den  inüsen,  die  wolteti  och 
einen  tag  haben,  die  sprachen  zä  ir:  gang,  gang  balde  von  uns,  du  hörest  gentzlich 
nüt  zä  uns,  du  hast  doch  vetken.  (104'',  8)  also  tünd  die  weltlichen  mönschen.  die 
^prechent:  gang  von  uns,  du  bist  ein  bräder  oder  ein  nunne.  du  hörest  niH  zä  uns, 
won  du  verkertest  uns  alles  das  loir  teten. 

Sa  64 b,   23    recht    als   das   minnenclich    bygli  ze   samen  treit  das  honig  uss 

1)  Vgl.  Lauchert  s.  26. 

2)  Vgl.  E.  Peters,  Der  griechische  Physiologus  s.  77.  45c;  Renner  11  982  f.; 
Megenberg  226,  27  ff. 


DER  ENGELBERGER  PREDIGER  233 

oillen  blamen  utid  treit  es  in  einen  winkel,  so  hat  der  h.  Benedict  aus  den  kirchen- 
vätern  seine  'regel'  zusammengetragen,  s.  oben  s.  10,  ebenso  Sa  73  '■.  12  ff.,  des- 
gleichen s.  Peter  uss  dem  fliessenden  honigicaben  der  hochen  gotheit  alles  sin  be- 
kennen gesogen  (Sb  141  a^  4  ff.).  Sb  1%^^  9  recht  als  sich  ein  voller  wabe  nüt  enthalten 
mag,  das  honig  das  müsse  usstrophen  und  zerfliessen:  also  trophet  die  götlich  süssi- 
keit  her  abe  uf  dis  manschen. 

Sb  90  •»,  1  ff.  Gott  hat  alles  hier  auf  erden  minniglich  geordnet,  man  vint 
in  der  zit  einen  vogel,  der  mag  nienent  leben  denn  in  dem  fiir  (der  phönix'),  so 
ist  ein  stein  (bernstein) :  der  den  enznnti,  er  brunne  eicclich,  die  ivil  du  zit  stat,  so 
vint  man  einrhant  bUimen,  die  sint  winter  und  Stimmer  grün,  so  vint  man  ein 
krtitli^:  iceler  mansch  dz  hetti  in  siner  hant,  dem  gieng  lachend  sin  sei  us:  so  ist 
alles  lustlich  und  minniclich  geordnet  und  alles  weist  wieder  auf  den  göttlichen 
Ursprung,  aus  dem  alle  creatur  gekommen  ist. 

Weiterer  aufhellung  bedarf  der  vergleich  mit  Igel  und  löwe:  Sa  60^,  21. 
Ze  dem  sibenden  mal  so  bekorend  uns  unseri  gäten  werch,  wenn  uns  die  von  ver- 
smechung  der  creatur,  unser  ersten  frtinden,  Adams  und  Even,  nüt  lustet  ze  voll- 
bringen und  ze  würkend.  tvon  alles  gät  ist  uns  mülich  ze  tänd,  es  sig  denn,  dz  wir 
es  mit  emsiger  Übung  ze  geivanheit  bringen,  von  den  geschriben  stat:  der  igel  bi  der 
seilen  und  der  low  an  dem  tveg.  bi  dem  igel  schuhen  g'äter  iverk,  (61  ^)  bi  dem 
loiven  forcht  der  selben  werch,  ivan  gäti  werch  hand  schtihen  in  anvang  und  forcht 
in  volbringen. 

Unter  den  naturerscheinungen,  die  für  bildliche  Verwendung  nahe 
liegen,  nimmt  die  sonne  und  ihr  glänz,  in  dem  sich  das  göttliche 
wiederspiegelt,  die  erste  stelle  ein. 

Die  6.  predigt  in  Sa  verfolgt  ihren  lauf  von  aufgang  bis  zum 
niedergang  in  allegorischer  ausdeutung.  Der  aufgang  vollzieht  sich 
mit  hrasten,  mit  lautem  getöse  -  sie  brastet  und  schriyet  als  lut  das 
die  menschen  ze  Orient  sich  cerbergen  müssen  —  und  ist  ein  Symbol  für 
die  ewige  hohe  geburt  Christi  (Sa  53  a,  14  ff.)  -  Poetisch  empfunden 
ist  es,  wenn  Sb  93  b,  2  das  erröten  der  Maria  Magdalena  (innerlich 
aus  Schamgefühl,  äusserlich  im  antlitz)  mit  dem  morgenrot  verglichen 
wird:  so  der  tag  uf  iringet  und  die  sunne  begint  glentzen,  so  icider- 
tribet  si  die  fliehten  tvidken  und  vom  widerglast  der  sunnen  so  si  diir 
die  wulken  glestet,  so  iverdent  si  rot.  und  dis  hat  die  lieb  M.  M.  geist- 
lich an  ir.  Sb  96  b,  13  ff.  Beim  morgenrot  singen  die  vöglein  min- 
niglich und  loben  ihren  schöpfer:  so  auch  sang  und  jubilierte  und 
freute  sich  M.  M.,  nachdem  der  herr  zu  ihr  gesprochen  (Luc.  7,  50). 
Sb  97  b,  2  ff.  Wie  die  sonne  ihren  schein  über  die  ganze  erde  aus- 
giesst,  so  auch  M.  M.,  won  si  alle  tugent  volkomentich  usgeübet  hat. 
-  Auch  mit  dem  monde  wird  bei  Maria  Magdalena  der  vergleich 
fortgeführt,  s.  oben  s.  27.  -  Über  die  bildliche  Verwendung  des 
donners  s.  oben  s.  217. 

1)  Vgl.  Lauchert  s.  10. 

2)  Welches   kraut   ist  gemeint?  wohl  kaum  saffran  (Megenberg  392,  28—33). 


234  STRAUCH 

Sa  109*^,  20.  Der  mensch  ist  unstät  wie  das  meer.  hüt  ist  er  gät,  morn 
ist  er  bös,  hüt  ist  er  gesunt,  morn  siech,  nu  hungert  in,,  nu  türstet  in,  nu  frtirt  in. 
nu  wil  er  dis  (110*),  denne  wil  er  das,  und  ist  im  ein  stund  mit  ze  mät  als  die 
andren,  einest  ist  er  wolgem&t,  so  balde  wirt,  so  ist  er  trurig.  nu  lachet  er,  sa 
balde  wirt,  so  weinet  er.  und  recht  slechtlich  geret:  an  dem  menschen  ist  nützit  won 
unstetikeit  in  Worten,  in  werken,  in  allem  sinen  tän  und  lassen.  —  Sa  59»,  22  als 
wenig  dz  wild  mer  belibet  an  gewill,  als  wenig  belibet  ach  des  menschen  leben  an 
bekorung. 

Aus  dem  berufsieben  sind  einige  vergleiche  entnommen. 

Der  himmlische  arzt,  so  oft  auf  gott  und  Christus  bezogen  (Sb  42 b,  2  got 
der  ewige  arzat,  der  da  ist  ein  heiler  aller  unmden.  168«,  17.  194%  12.  196  a,  19. 
196'»,  5.  206  b,  32)  gibt  anlass  zu  weiteren  ausführungen  über  die  ärztliche  kunst: 
Sb  186  iJ,  3:  der  arzt  gibt  dem  kranken  die  mittel,  die  der  krankheit  'am  wider- 
wärtigsten' sind.  So  zieht  der  strebende  mensch  mit  tugenden  gegen  die  vor- 
handenen Untugenden  und  laster  zu  felde.  —  Sa  121  b,  4  tvellen  wir  tiu  gesunt 
werden  von  dem  ritten,  so  bedurffen  wir  tvol  eins  gäten  artzatz,  der  uns  den  magen 
wol  runien  kunne  und  von  dem  ritten  gehelfen  künne. 

Sb  162  b,  4  ff.  Gott  tut  wie  der  kauf  mann,  der  in  fremde  länder  fährt 
und  seiner  frau  kleinöde  und  kremlin  mitbringt,  und  ist  si  inie  getriiw  gewesen,  so 
git  er  ir  dis  minnenklich  gaben  und  si  ist  im  vilHieber  denne  vor.  So  tut  Christus 
seiner  gemahlin,  der  seele. 

Sb  126  a,  2.  Wie  ein  schütze,  der  sins  sils  war  nimet,  so  soll  der  mensch 
auf  ein  vollkommenes  leben  sein  ziel  richten.     Vgl.  Tauler  9,  23.  212,  9. 

Sa  17  a,  1  wer  möcht  nu  einem  h  afn  e  r  sines  hafens  vor  gesin  oder  einen 
kann  er  sin  kannen,  die  er  gemacht  hat?  das  ist  nieman,  won  er  hat  si  gemachet 
und  sol  billich  mit  ir  tun  was  er  ivil.  leit  er  si  an  ein  sitten,  stützet  er  si  uf:  ivie 
er  mit  ir  tat:  das  mag  er  wol  tun,  wond  si  ist  sin,  er  hat  sie  gemachet,  also  solt 
•  du  och  din  hertz  lassen  dem  des  es  och  ist,  won  er  es  selber  höschet. 

Sb  41b,  3  ff .  Vom  bildschnitzer.  Der  mansche  der  solt  recht  tän  als 
einer  der  ein  bild  tvil  machen,  der  schlecht  zä  dem  ersten  abe  einen  bon.  z&  dem 
andren  so  howet  er  abe  die  grossen  spene  7nit  grossen  icaffnen.  zu  dem  dritten  mal 
so  nimet  er  ein  kleinü  waffen  und  begint  (hs.  gebint)  nu  die  gelider  und  die  vinger 
machen  und  müss  denne  gar  subtilklich  sin  selbs  war  nemen:  won  wölt  er  nu  mit 
grossen  waffnen  das  bild  an  komen,  er  zerzarte  es  gar  und  gentzlich.  min  kint,  also 
solt  du  dich  selber  besniden,  wellest  du  dis  osterlembli  wirdenklich  niessen.  Du  musst 
1.  abschlachen  den  mürdigen  stammen  her  Adams,  2.  abhoiven  die  grossen  spen 
(Sünden),  3.  kleimi  ivaffen  nemen  und  die  kleinen  gelider  beschnideyi,  das  ist  das  du 
din  selbs  subtilklich  war  7iemest  recht  der  minsten  silnde  als  der  meisten  usw.  Hier 
mag  sich  Sa  88  b,  3  ff.  anreihen :  {si)  t&nd  och  recht  als  da  man  ein  höltzen  bild 
iibergitldet.  so  schinet  es  gar  schön,  aber  wenne  man  das  gold  ab  schabet,  so  ist 
das  bilde  kleines  Schatzes  wert,  also  ist  och  der  mönsche:  wenne  man  im  sin  ussre» 
übunge  ab  spreche,  so  ist  er  mit  won  blos  nature,  und  in  dem  gründe  do  es  alles 
solt  har  uss  quellen,  da  ist  weder  got  noch  gutlich  meinung. 

Sb  17  b,  2.  Das  purpurgewand  des  reichen  mannes  im  evangelium  veranlasst 
den  Prediger  zu  folgenden  ausführungen:  pur  pur  Meid  ist  das  vinest  Meid  das 
man  vinden  mag,  und  es  wirt  gemachet  von  der  vinesten  wullen,  so  man  hat  in  der 
zit.     und  z&  dem  ersten    ist  du  wulle  wis  und  denn  nimet  man  ein  tierli,  ist  in  dem 


DER  KNQKLBERÜER  PREDIGER  235 

m,er,  heisset  coccus,  und  das  todet  man  und  tfukt  man  sin  blät  uss  und  trukt  man 
die  wullen  oder  das  Meid  von  der  vinen  wullen  gemachet  dar  in  und  es  tvirt  denne 
rot,  einer  brunen  roti,  und  ivirt  der  aller  edlest  purpur  den  man  in  der  zit  hat. 
So  soll  auch  der  mensch  seinen  natürlichen  adel  tnd-en  in  das  rosenfarbene  blut 
des  lammes  Jesu  Christi.  Vom  bisstis  heisst  es  ebenda  Sb'lS^,  22:  ßechsin  täch 
ist  gar  fin  under  allem  linin  täche  und  es  tragent  gerne  edel  lüte  an  der  hut,  wan 
•es  hat  die  nature  an  ime,  wer  es  freit,  das  der  nienter  als  unrein  mag  (19  a)  werden 
an  der  lieh  als  ein  a)ider  nionsrhe.  Die  deutung  geht  auf  ein  Inter  geivüsseni,  ein 
reines  gewissen,  mit  dem  der  mensch  bekleidet  sein  soll. 

Nicht   selten   sind   die   vergleiche   weit    ausgesponnen ;  so  z.  b.  Sa 

86 b,  18:  min  kint,  nu  solt  du  sechen,  das  du  dich  vor  getvarnot  habest:  als  einer 
der  ein  bürg  buwen  wil,  der  muss  vor  sechen,  das  er  die  kost  hab  da  mit  er  es  vol- 
bringen  mi'ige.  ivon  gebreste  im  kost,  so  muste  es  under  wegen  beliben.  also  müst  du 
vor  gedenken  tvaz  du  gelobest  (wenn  du  dein  gelübde  ablegst),  das  du  das  och  dar 
nach  vol  (87  ^)bringest.  du  mäst  uf  einen  grünt  buwen,  sol  es  ein  phüment  werden, 
wan  butvet  man  dar  uf  mit,  so  ist  es  ein  grünt  und  nüt  ein  phüment.  das  ist  du 
tn&st  din  antheis  volbringen  mit  guten  werken  oder  es  mag  nüt  ein  geistlich  leben 
heissen.  Der  Schleier  und  die  kutte  machen  es  nicht  und  dass  du  ins  reventer,  zu 
kor  und  kapitel  gehst:  du  must  auch  ein  inivendig  capitel  han.  —  Sa  12t»,  9  ff.  i(,iit 
du  nu  din  hertz  behütten,  so  mäst  du  recht  tun  als  einr  der  ein  schon  bürg  hat. 
so  dem  sin  viant  die  bürg  ivent  besitzen,  so  mäs  er  drier  hant  hat  han.  zu  dem 
ersten  so  mäs  er  han  zwo  ringmuren  umb  die  bürg,  zu  dem  andren  mal  so  mäs 
man  haben  gilt  waffen,  zä  dem  dritten  mal  so  mäs  man  haben  lütt  uf  der  btirg  die 
der  bürg  hüten,  und  die  It'it  müssen  haben  gnäg  spis,  dtir  das  in  ir  kreften  nüt  ge- 
brest.  Die  bürg  ist  das  herz,  gegen  das  drei  feinde  kämpfen:  der  teufel,  die  weit 
und  die  eigen  natur.  Die  beiden  ringmauern  sind  paciencia^  (gedultikeit)  und  con- 
tinentia  {beheblikeit ;  13  a,  5  steht  irrtümlich  consciencia),  die  waffen  demut  und 
Sanftmut,  die  speise  das  tvirdig  sacrament,  mit  dem  din  geistlichen  kreft  gespiset 
müssen  werden,  won  dis  ist  das  volk,  daz  diner  bürg  hütet.  —  Sa  87 1»,  12  nu  solt 
du  sechen,  das  du  lügest  als  einer  der  ein  ürlig  tvil  haben,  der  mäss  zä  dem  ersten 
sechen,  das  er  gät  waffen  und  vil  lüten  habe,  wan  hat  er  ze  wening,  so  er  gegen 
den  vigenden  kerne,  müst  er  denne  erst  um  frid  senden,  das  were  im  unerlich.  So 
mache  auch  dir  klar,  ehe  du  in  ein  geistliches  leben  eintrittst,  das  du  dinen  vigenden 
mugest  angesigen,  ivon  du  hast  dry  vigent  die  stettenklich  wider  dir  sint:  die  weit, 
den  teufel  und  den  schalk  der  nature.  aber  si  mugent  dir  niemer  angesigen,  die 
wil  du  inen  das  ivaffen  dines  frien  willen  nüt  liehest.  Vgl.  auch  Sb  38**,  20  das 
wort  gottes  ist  —  durchsnident  als  ein  spitzig  swert,  vgl.  Seuse  270,  18  f.;  Zeitschr. 
46,  4:25  f. 

Ein  beliebtes  bild  ist  auch  der  Spiegel. 

1)  Sa  13  a,  9  Facienda  —  sol  hütten  der  bürg  dins  hertzen  vor  allen  den 
schössen  der  vigenden,  won  wa  die  phil  har  schiessen,  das  das  die  mur  der  gedultikeit 
gedtdteklich  enphache,  uiond  wenn  dem  mönschen  ein  phßl  geschossen  wirt  von  sinem 
vigent,  es  sin  zornlich  wort  oder  geberd,  und  das  der  mansch  gedultenklich  enphfachet, 
so  keret  sich  der  phßl  wider  umb  und  schüsset  den  manschen  wider  durch  siti  hertz, 
von  dem  er  zä  dem  ersten  kam  (hs.  kan)  und  enphfachest  aber  du'den  phßl  ungedultiklicli, 
so  blibet  er  dir,  und  wen  du  des  gewar  u-erdest,  das  du  von  krankheit  diner  natur 
habest  vergessen  der  mur  diner  gedultkeit,  so  solt  die  behendklich  griffen  zä  der 
andren  mur  du  da  heisset  continentia. 


236  STRAUCH 

Sa  93 '^j  1  recJit  als  man  in  einem  Spiegel  die  masen  des  anthites  stehet,  also 
sich  et  man  in  dem  Spiegel  der  heiligen  geschrift  alle  masen,  die  da  sint  an  dem 
antliit  der  sele  (ebenso  Sa  15^,  22.  Sb  144»,  6).  und  dar  nnib  hat  Salomon^,  do 
der  den  tempel  buwt,  do  hie{z)  er  im  Spiegel  usserthalb  des  tempels  machen:  alle  die 
in  den  temjiel  giengen,  das  sich  die  ersechen,  ob  kein  masen  an  ir  antlüt  iverin,  das 
sie  sich  de>ine  wüschen,  e  dz  si  in  den  tempel  giengen.  also  soltn:  was  dir  der 
Spiegel  der  heiligen  geschrift  zeiget,  das  soltu  mit  rüwe  und  mit  bicht  abe  tveschen.  — 
Sb  139  b,  26  tvenne  man  nem  einen  spiegel  oder  einen  guldin  schilt  (ebenso  Sb  17^^ 
22.  54",  23)  und  hette  matt  si  (140«'',  1)  gegen  der  sunnen,  so  git  du  sunne  iren 
glantz  in  si  und  si  widerglestent  gegen  der  sunnen  von  ir  minnenklichen  schSni,  so 
si  allü  wider  einander  habent:  also  geschieht  dem  manschen,  der  do  ist  in  der  un- 
vermaskeit  sines  wesens   und   do   stat   in    dem    minnenklichen  bekennen  sines  herren. 

Auf  profane  quellen  gehen  letzten  grades  folgende  üiit  wir  lesen 
eingeführte  beispiele  zurück. 

Sb  89  a,  22  wir  lesen  ^,  dz  zä  einem  mal  die  von  Rom  und  die  von  Cartagine 
lang  zit  mit  einander  stössig  waren,  dz  sie  nieman  verschlichten  kond,  und  do  es 
lang  zit  gewert,  do  tvurden  si  versänt,  und  ward  alles  dz  dz  in  dien  zwein  stetten 
was  gar  fro  denn  ein  einiger  man,  der  ivas  gar  ein  witziger  biderman.  und  er  tvard 
gefraget,  wz  er  do  mit  meindi.  do  sprach  er:  do  furcht  (89 b)  ich,  dz  unser  sün 
nu  lernen  spilen  und  ander  unnützi  ding,  die  inen  schedlich  werdent  an  sei  und  an 
eren,  und  des  taten  si  vor  mit:  si  mästen  alwegen  bereit  sin  ze  striten.  So  läuft 
auch  der  mensch  gefahr,  träge  und  unachtsam  in  göttlichen  dingen  zu  werden, 
wenn  er  nichts  mehr  zu  bekämpfen  hätte. 

Sb  8  b,  4  wir  lesen  '^,  das  ein  mansche  übergieng  ein  veld  und  im  kam  ein 
stude  in  ein  öge,  das  im  das  age  gar  uss  kam,  das  es  mit  wider  in  mochte  kamen, 
und  do  stand  ein  geis  und  si  nanien  die  geis  die  bi  im  waren  und  brachen  der 
geis  ir  öge  uss  und  sasten  es  dem  mSnschen  in  sin  höpte,  und  wo  der  mansche  ie 
gieng  für  einen  zun  do  lob  ivas,  so  sach  er  aliregent  mit  der  geisse  ög  dar,  und 
das  ög  stand  alwegent  nach  geisse  nattir  ob  sich  dem  lobe  nach,  aber  der  mund 
mocht  sin  mit  essen,  wan  es  mit  sin  nature  was.  und  der  mSnsche  wart  do  von  als 
hertzklich  getrenget,  das  er  im  hies  das  öge  wider  uss  brechen,  dur  das  (er)  ze  fride 
kerne,     also  mäss  der  mansche  tun,  er  m&ss  der  geisse  öge  uss  brechen  (Matth.  5,  29). 

Die  innere  anteilnahme  und  gemütswärme,  die  des  predigers 
gedankenweit  und  Weltanschauung  durchströmt  und  in  bildern,  aus- 
geführten vergleichen  und  allegorien  ihren  ausdruck  findet,  wird   nun 

1)  Für  das  folgende  vermag  ich  ebensowenig  die  quelle  anzugeben  wie  für 
Sa  55  bj  16  Wir  lesen,  das  Salomon  sinen  temjyel  inwendig  von  vinem  golt  zierot  und 
von  edelm  gestain,  aber  usnan  iimbhankt  er  [in)  mit  hiiton  der  tieron.  also  tänt 
disii  (begnadeten)  menschen:  si  zierond  den  tempel  ires  hertzen  von  innen  mit 
allen  tngonden  (1.  Cor.  3,  16).  —  und  wenn  der  tempel  gezierot  ist,  so  behenkend  in 
disii  menschen,  mit  hüten  ir  selbes  krankhait. 

2)  Wo? 

3)  Ähnliches  erzählen  die  Gesta  Romanorum  (üesterley  c.  76  s.  393).  Vgl. 
auch  Br.  Grimm,  Kinder-  und  hausmärchen  nr.  118  und  die  anmerkungen  dazu: 
Bolte-Polivka  2,  552.  -  Cod.  Pal.  germ.  341  bl.  274  ^  (Rosenhagen  s.  119  nr.  147) 
erzählt  die  gleiche  geschirhte,  jedoch  vom  katzenauge.  —  Engelberg  besitzt  eine  hs. 
(259,  12)  der  Gesta  aus  dem  .14.  Jahrhundert. 


DER    ENGELBERGEK    PREDIGER  237 

auch  durch  die  frische  und  lebendigkeit  seines  stils  auf  das  glück- 
lichste unterstützt.  Es  ist  nicht  mangel  an  Stilgefühl,  wenn  er  häufig 
einen  bereits  ausgesprochenen  gedanken,  selbst  wörtlich,  wiederholt: 
gerade  dem  prediger  steht  eindrucksvolle  rede  wohl  an.  Aber  auch 
im  kleinen  liebt  er  Wortwiederholungen:  der  wiederholte  wortklang 
begünstigt  das  aufmerken  des  hörers  ebenso  wie  es  ein  anruf  tut 
{sich  an  Sb  117b,  26.  118a,  2.  5,  sechent  Sb  128b,  26.  130b,  12), 
eine  verstärkende  bejahung  oder  Verneinung  {ja!  Sb  117b,  3.  ii, 
118a,  13,  nein  es!  Sa  122a,  20.  Sb  117b,  13, /wa!  Sa  17a,  24.  Sb 
66b,  26  und  sonst).    Von  formelhaften  Wortwiederholungen  begegnen: 

aber  mid  aber  Sb  99^,  25,  anders  und  anders  Sb  116b,  5.  Uga,  17,  136^', 
22,  bilUch  billich  Sb  153  b,  3.  197  a,  1,  dicke  und  dicke  Sa  112  b,  19.  sb  21  b,  24, 
so  dick  und  so  dick  Sa  34  a,  5.  Sb  47'%  14,  gang,  gang  Sa  104»,  8,  gang  für,  gang 
für  Sa  42  a,  14.  128%  2.  Sb  2»,  10,  gantz  gantz  SblSlb,  4,  gar  und  gar  Sb  93%  7, 
ie  oder  ie  Sa  118  a,  17.  Sb  22%  15.  180%  1.  209%  67,  me  und  me  Sb  66 1,  17, 
sicher  sicher  {ane  allen  zxvivel)  Sa  117 b,  12.  145^,26.  147%  24.  Sb6%22.  112%!. 
142  a,  15.  176  b,  20 ;  vgl.  auch  du  tvilt  dich  morn  oder  denn  oder  denn  bessron 
Sb  84  b,  4,  do  were  du  verne  oder  da  oder  dil  {an  dem  hofe  oder  dem  tantz  usw.)  Sb 
197a  16.  _  Zum  reim  führt  der  wortklang:  liden  und  miden  Sa  35b,  18,  in  m. 
in  l.  Sb  168  b,  9,  lide^i  miden  steigen  Sa  117  b,  3.  132  b,  12  (vgl.  Tauler  206,  27. 
376,  12  f.),  liden  miden,  haben  oder  darben  Sa  103%  10  (vgl.  Tauler  146,  5). 

Die  rhetorische  frage  findet  häufig  Verwendung: 
ivarumbe?  Sa  105%  16.  22.  116a,  iß.  20.  Sb  5a.  7.  15%  25  ff.  107%  22,  vier- 
mal einander  folgend  Sb  117b,  6.  8.  13.  19;  wie  nu?    Sb  69b,  23,  ob  mit?  Sb  70%  3, 
und  sechent  ein  ander  unrecht  als  was  wil  hie  werden?    Sa  113  a,  21.  116  a,  25,  tcie 
sieht  man  got?  Sa  118 a,  23,  waz  geschach?  Sb  77b,  2. 

Mit  seinen  zuhörerinnen,  die  er  mit  min  kint,  minü  (liehen)  kinder 
anredet,  steht  der  prediger  in  lebendiger  Wechselbeziehung,  die  sich 
stilistisch  zum  dialog  gestaltet.  Da  fragt  er  wohl:  'willst  du  hören'? 
und  antwortet  selbst  im  sinne  des  gefragten  mit  einem  'ja  gerne' 
(Sb  146  a,  17),  begegnet  einer  etwaigen  frage  mit  das  ivil  ich  dir 
sagen  (Sa  8  b,  13),  oder  schaltet  in  der  erwägung,  vielleicht  kümmern 
sich  deine  freunde  (verwandte)  gar  nicht  mehr  um  dich,  haben  dich 
vergessen  ein  'möchtest  du  ihrer  vergessen'!  (Sa  104»,  23)  ein.  Die 
möglichkeit,  dass,  wer  die  klostergelübde  einmal  abgelegt,  jemals 
wieder  aus  dem  kloster  austreten  könnte,  weist  er  selbst  sofort  zurück 
mit  den  Worten :  ich  ivil  vergessen  (gar  nicht  daran  denken),  dz  er  ez 
iüge\  (Sb  174a,  14),  Um  nicht  zu  ausführlich  zu  werden,  bringt  er 
seine  erörterungen  oft  mit  einem  'schlechtlich  geret'  zum  abschluss  oder 
überlässt  ein  weiteres  ausmalen  der  hörerin,  so  wenn  er  von  Jesu 
werken  und  taten  sagt:  dil  ich  dir  ietz  nüt  allii  zellen  mag,  ich  lasse 
dich  si  Zellen  (Sb   176  a,  8). 


238  STRAUCH 

In  die  kategorie  des  Wortspiels  weisen  folgende  Wendungen: 

simi  werk  waren  so  minnerich,  das  si  nienig  geladen  hertse  entladen  und 
entbunden  (Sb  54 '\  17);  komment  zä  mir  alle  die  geladen  sint  und  ich  tvil  i'tch 
entladen  (Sb  61^,  1  -  Matth.  11,  28);  exaltare-exiiltare  Sb  174b,  7  ff.  (s.  oben 
6.  36);  got  ist  allii  ding  in  allen  dingen  und  ist  doch  mit  got  allü  ding  (Sa  42=',  11); 
hat  ein  geistlicher  m.  eins  helblings  wert,  so  ist  er  mit  eins  helblings  irerf,  ich  mein 
an  urlop  oder  an  noturft  (Sb  80 »,  30  =  Wackern.  70,  138,  ebenso  Sa  69  ^,  8, 
8.  oben  s.  10) ;  s,  Bettedictiis  gieng  uss  der"  schäl  ungelert  wol  gelert  und  wol  gelert 
nngelert  (Sa  65b,  ig  nach  der  Vita  des  Gregorius), 

Von  weiteren  mitteilungen  über  den  dialekt  der  handschriften 
sowie  über  den  Wortschatz  muss  mit  rücksicht  auf  den  mir  zur  Ver- 
fügung stehenden  räum  zunächst  abstand  genommen  werden.  Ich  habe 
das  hierfür  gesammelte  material  der  Universitätsbibliothek  zu  Halle 
übergeben. 

NACHTRÄGE. 

S.  6  z.  21.    Zur  siebenfachen  vox  domini  verweist  Bihlmeyer  auf  Ps.  28,  3—9. 

S.  6  anm.  2.  Für  das  14.  Jahrhundert  möchte  Bihlmeyer  eher  an  Aachen 
als  an  Einsiedeln  denken.     Vgl.  meine   anm.  zu  Heinrich  von  Nördlingen  44,  41  ff. 

S.  10.  Zu  pred.  nr.  8 :  Sa  71  a,  3  dar  unib  so  hat  der  heilig  vattcr  sant 
Benedict  also  minnenclich  allü  ding  geordnot  in  sineni  orden,  das  man  sol  ze  metti 
gan  und  das  quin  qua  gen  a  lesen  und  disciplin  nemen  und  wachen,  vasten  und 
nachtes  in  dem  gewande  slaffen,  das  man  alles  dar  unibe  thi  sol,  das  man  das 
fleisch  und  den  schalk  der  natur  do  mit  tibertcinde. 

Ich  kann  die  wendung  das  quinquagena  lesen  sonst  nirgends  belegen,  es  kann 
sich  aber  doch  wol  nur  um  die  50  psalmen,  ein  drittel  des  psalters,  handeln,  wenn 
auch  für  ein  litaneiartiges  gebet  der  ausdruck  lesen  kaum  passt.  Bihlmeyer  schreibt 
mir  dazu:  'in  den  alten  poenitentialien  kommt  wiederholt  vor,  dass,  wer  einen  tag 
nicht  fasten  kann,  dafür  50  psalmen  zu  beten  habe.  Siehe  H.  J.  Schmitz,  Die  buss- 
bücher  und  die  bussdisziplin  der  kirche  1883  s.  144.  So  heisst  es  in  einem  römischen 
poenitentiale  des  frühmittelalters,  im  Poenitentiale  Valicellanum  I  can.  104  si  quis 
jejunare  non  potest  quando  debet  jejunare,  pro  uno  die  in  pane  et  aqua  cantet  cum 
venia  psalmos  L,  et  sine  venia  LXX  (Schmitz  a.  a.  o.  s.  323).  Ähnlich  bei  Burchard 
von  Worms  (-]-  1025),  Decretorum  lib.  XIX  c.  12  (Migne  140,  981):  pro  uno  die 
quem  in  pane  et  aqua  jejunare  debet,  L  psalmos  genibus  flexis  in  ecclesia  decantet. 
Diese  stelle  zitiert  auch  der  liturgiker  Eadulph  de  Rivo  (f  1403)  in  seinem  Trac- 
tatus  de  psalterio  observando,  s.  C.  Mohlberg,  Radulph  de  Rivo  IL  Texte  (1915), 
237,  17  ff.  Man  wird  also  annehmen  dürfen,  dass  die  Übung  noch  im  14.  Jahrhundert 
bestand.  Die  zahlreichen,  wenn  auch  bisher  meist  ungedruckten  Summae  confessorum 
(vgl.  Dietterle  in  der  Zeitschr.  f.  kirchengesch.  1903-1907  bd.  24-28)  dürften  noch 
weiteren  aufschluss  geben. 

S.  11  z.  6  einen  gantzen  vocabulum:  vielleicht  ist  das  berühmte  und  weit 
verbreitete  Vocabularium  des  Papias  (saec.  XI)  gemeint.  Eugelberg  besitzt  mehrere 
vocabularien,  s.  z.  b.  Catal.  s.  132  (K.  B.). 

S.  17  z.  11  s.  auch  J.  Bernhart,  Bernhardische  und  Eckhartische  mystik. 
Würzburger  diss.  1913  s.  20  anm.  1. 


DER  EXGELBERGER   PREDIGER  239 

S.  21  z.  36  conrersacion:  Bihlmeyer  verweist  mich  auf  M.  Rothenhäusler  und 
T.  Herwegen,  Studien  zur  benediktinischen  profess  (heft  3  der  Beiträge  zur  gesch. 
des  älteren  mönchtums  und  des  Benediktinerordens.  Münster  1912)  I,  20  ff.  II,  47  ff. 
und  B.  Linderbauer,  S.  Benedicti  regula  monachorum.  Hg.  und  philologisch  erklärt. 
Benediktinerstift  Metten  1922  s.  144  f.  Die  conversacio  {sive  conversio)  nionim  ist 
neben  der  stabilitas  und  obedientia  ein  hauptstück  des  benediktinischen  profess- 
gelübdes.  Conversatio  (so  nach  der  besten  Überlieferung,  nicht  conversio)  kommt 
ausser  einmal  im  prolog  lOmal  in  verschiedener  bedeutung  vor,  meist  handelt  es 
sich  um  den  asketischen  lebenswandel  im  kloster. 

S.  23  z.  44  wil:  vgl.  den  ritus  der  professablegung  der  nonnen  im  Pontificale 
romanum  :  De  benedictione  et  consecratione  virginum.  Bei  Überreichung  des  Schleiers 
spricht  der  bischof :  accipe  velamen  saci-nm,  quo  cognoscaris  ninndiun  contempsisse  et 
te  Christo  Jesu  reraciter  humiliterque  toto  cordis  annisii  sponsam  perpetualiter  snb- 
didisse.  S.  auch  s.  29  z.  34:  den  nonnen  wurden  henedizierte  torques  sive  coronae 
bei  der  profess  aufs  haupt  gesetzt  (K.  B.). 

S.  34  z.  37  f.  214  z.  15  f.  Sb  151  ^i,  7  ff.  und  teere  ioch  der  mansche  mit  ge- 
i-allen,  das  doch  got  mönsche  ivolt  sin  worden  von  rechter  liebi  die  er  z&  uns  hat. 
und  das  bewert  der  hoch  lerer  sant  Augustinus  in  einer  silier  Omelga,  die  man  list 
uf  den  heiligen  wienachttag.  und  der  liep  Christus  bewert  es  selber  in  dem  heiligen 
ewangelio  (Joh.  10,  14).  'Die  stelle  bereitet  erhebliche  Schwierigkeit.  Soviel  bis 
jetzt  bekannt,  ist  Rupert  von  Deutz  (f  1185)  der  erste,  der  die  hier  vorgetragene 
lehre  vertritt :  De  gloria  et  honore  filii  hominis  super  Matth.  1.  XIII  (Migne  168, 
1628)  und  De  glörificatione  Trinitatis  III,  20  (Migne  169,  72  C).  Sie  wurde  von 
Albert  dem  grossen  wieder  aufgegriffen  und  von  Duns  Scotus  weiter  ausgebildet, 
in  dessen  schule  sie  (auch  hierin  im  gegensatz  zur  thomistischen)  zur  herrschaft 
gelangte.  Vgl.  L.  Thomassinus,  Dogmata  theologica,  ed.  nova  III  (Paris  1866),  De 
incarnatione  1.  H  c.  5—7;  J.  Pöble,  Lehrbuch  der  dogmatik  11**  (1914),  179  ff.; 
Fr.  Diekamp,  Kath.  dogmatik  11^  (1918),  165  ff.  Die  auffassung,  dass  gott  die 
menschwerdung  seines  sohnes  unabhängig  von  der  voraussieht  des  sündenfalles  be- 
schlossen habe,  ist  ganz  und  gar  unaugustinisch.  Es  liegt  also  ein  Irrtum  des 
Predigers  vor.  Es  ist  auch  wohl  nicht  eine  pseudoaugustinische  homilie  gemeint, 
da  die  obige  lehre  im  christlichen  altertum  unbekannt  war.  —  Wie  kommt  aber 
der  prediger  zu  seiner  falschen  anschauung?  Die  ausführungen  bei  A.  Hauck, 
Kirchengesch.  Deutschlands  4  (1903),  418  anm.  1  dürften  den  Schlüssel  zur  lösung 
geben.  Rupert  beruft  sich  nämlich  im  Zusammenhang  obiger  stelle  De  gloria  et 
honore  filii  hom.  auf  Augustin,  De  civitate  dei  XIV,  23,  allerdings  für  etwas  anderes, 
aber  ein  oberflächlicher  leser  des  Rupert  konnte  meinen,  er  zitiere  Augustiu  auch 
für  die  lehre  der  sog.  unbedingten  Prädestination  des  gottmenschen.  Eine  solche 
Verwechslung  war  um  so  leichter  möglich,  als  der  name  der  zitierten  theologischen 
autorität.  Augustin,  am  blattrande  vermerkt  sein  konnte. 

Übrigens  liegen,  wie  Hauck  hervorhebt,  in  gewissem  sinne  doch  die  Voraus- 
setzungen zu  Ruperts  lehre  bei  Augustin.  Der  augustinische  gedanke  aus  dem 
Tractatus  in  Joannem  I.  n.  17  (Migne  35,  1387),  dass  clie  Weisheit  gottes  der  idee 
nach  alles  enthalte,  bevor  sie  es  verwirklicht  —  also  auch  die  menschwerdung 
Christi  als  bestandteil  eines  ewigen  göttlichen  dekrets!  — ,  schwebt  ihm  augen- 
scheinlich vor,  so  namentlich  an  der  zweiten  stelle  De  glorif.  Trinit.  III,  20.  Nun 
aber   wird   ein   stück   aus  dieser  augustinischen  homilie  im  brevier  (nämlich  Tract. 

ZEITSCHRIFT  F.  DEUTSCHE  PHILOLOGIE.    BD.  L.  17 


240  STRAUCH,   DKK   EXGELBKRGER   l'REDIGER 

in  Joannein  I.  c.  1  im  alten  konstanzer,  u.  10—11  [teilweise]  im  heutigen  römischen) 
an  Weihnachten  als  lectio  III  der  3.  nocturn  gelesen.  Man  kann  also  immerhin 
verstehen,  wie  der  Engelberger  prediger  oder  sein  Gewährsmann  zu  der  meinung 
kommen  konnte,  Augustin  vertrete  jene  lehre.  Übrigens  nimmt  Ilupert  I.  c.  auch 
auf  die  augustinische  auslegung  von  Joh.  1,  3  in  dessen  Tract.  in  Joannem  I. 
n.  16  bezug.     Vgl.  auch  Schönbach,  Altd.  pred.  3,  246,  18  ft'.'  (K.  B.). 

S.  84  z.  42  fantasmata:  vgl.  in  dem  alten  hymnus  Te  lucis  ante  tenninum 
im  completorium,  das  die  benedictinernonnen  verrichten  (Chevalier,  Registrum 
hymnologicum  2,  646;  Wackernagel,  Kirchenlied  1,  15):  I'rocid  recedant  somniay. 
Et  noctium  phuntasmcita  (K.  B.). 

S  41  z.  18.  Über  die  drei  seelenkräfte  (nach  Augustin)  s.  J.  Bernhart,  Die 
philosophische   mystik   des   mittelalters.    1922  s.  58  f.  und   die    anmerkungen    dazu. 

S.  41  pred.  nr.  21.  Zu  Maria  =  oleum  vermutet  Bihlmeyer  als  unmittel- 
barere quelle  Jacobus  a  Varagine,  Mariale  sive  sermones  de  beata  Maria  Virgine. 
Venetiis  1497  (Universitätsbibl.  Tübingen,  Gb.  216):  bl.  XLVr  ein  sermo  über  das 
thema:  Olira  signat  Mariam,  bl.  XLVIr  ein  sei'mo  mit  der  aufschrift:  Oliva  signat 
Mariae  misericordiam.  —  In  der  anm.  2  z.  3  sowie  s.  42  aum.  2  z.  3  lies  'Mauser'. 

S.  48  anm.  3.  Bihlmeyer  verweist  auf  die  worte  in  dem  hymnus  Jesu[sJ 
dulcis  memoria  (vesper  des  festes  s.  nominis  Jesu  an  Dominica  II  post  Epiph.)  aus 
dem  13.  Jahrhundert,  fälschlich  öfter  dem  h.  Bernhard  zugeschrieben  (s.  Chevalier, 
Registrum  hymnologicum  1,  574;  Wackernagel,  Kirchenlied  1,  117  ff.):  JesufsJ 
dulcis  memoria,  Dans  vera  cordi  (alias  cordis)  gaudia,  Sed  super  mel  et  omnia,  Eins 
dulcis  praesentia.  Nil  canitur  suavius,  Nil  auditur  jocundius,  Nil  cogitatur  dulcius,. 
Quam  Jesus  Dei  Filius.  —  Str.  23  Jesu,  decus  angelicuni,  In  aure  dulce  cantictim^ 
In  ore  mel  mirißcwn,  In  corde  nectu)-  coelicuni. 

S.  43  anm.  5.  Im  mysteriösen  Eobanus  möchte  Bihlmeyer  auf  grund  ihm 
zur  Verfügung  gestellter  notizen  des  h.  p.  A.  Mauser  vielleicht  doch  eine  Verderbnis 
von  Alanus  annehmen.  Alanus  ab  Insulis  (f  1203)  war  in  S.  Blasien  sehr  bekannt, 
s.  die  Chronik  des  Otto  von  S.  Blasien  (Mon.  Germ.  SS.  20,  327,  17  ad  a.  1194). 
S.  Blasien  aber  ist  das  mutterkloster  Engelbergs.  Im  cod.  234  der  Engelberger 
klosterbibl.  (Cat.  s.  179  f.)  findet  sich  ein  stück  von  Alanus,  Bern  besitzt  mehrere 
Alanus-codices.  S.  auch  Seuse  s.  178,  12  anm.  und  den  Traktat  von  der  minnenden 
seele,  Banz  s.  364  f.  Das  zitat  an  unserer  stelle  findet  sich  zwar  nicht  direkt  in 
den  Schriften  des  Alanus,  wohl  aber  klingen  ähnliche  gedanken  an  im  Hohelied- 
komm^ntar  (Migne  210,  51  ff.)  und  in  der  Summa  de  arte  praedicatoria  (Migne 
210,  151  ff.). 

S.  211  z.  12  ff.  s.  noch  R.  Durrer,  Das  fraueukloster  Eugelberg  als  pflege- 
stätte  der  mystik,  seine  beziehungen  zu  den  Strassburger  gottesfreunden  und  zu 
den  frommen  laienkreisen  der  Innerschweiz.  Geschichtsfreund  76  (1921),  195  ff. 
bes.  s.  212.  213,  nach  Bihlmeyer  auch  als  exkurs  in  des  Verfassers  bruder  Klaus. 
Die  ältesten  quellen  des  sei.  Nikolaus  von  Flüe  2  (Stans  1921),  1053  ff.  Dass  der 
Engelberger  prior  Joh.  von  Bolsenheim  die  predigt  Sa  11  selbst  gehalten  hätte,  ist 
wenig  wahrscheinlich. 

S.  213  z.  29  ff.  s.  auch  in  einer  predigt  des  minoriten  Konrad  von  Sachsen : 
A.  Franz,  Drei  deutsche  minoritenprediger  1907  s.  29. 

S.  214  z.  18  f.  und  zww  Homil.  XXI  in  evang.  n.  6  (Migne  76,  1172):  si 
niembra  nostri  Redemptoris  sumus,  praesumamus  in  nobis,  >piod  gestum  constat 
in  capite. 


LEITZMANN,   AUSZÜGE   AUS   BRIEFEN   DER  BRÜDER  GRIMM  AN  SAI.OMON  HIRZEL      241 

S.  214  anm.  3.  Es  Avill  keiner  der  Hieronymusbriefe  recht  passen,  es  müsste 
denn  nur  ganz  frei  zitiert,  dir  was  ein  heidnin  ein  irrtum  des  predigers  oder  seiner 
vorläge  sein.  Man  könnte  denken  an  Ep.  22  ad  Eustochium  (Migne  22,  394  ff.) 
oder  Ep.  79  ad  Salvinam  (Migne  22,  724  ff.),  die  eine  tochter  des  mauretanischen 
fürsten  Gildo  war  —  eines  knnges  tochter,  —  oder  namentlich  an  Ep.  130  ad  Deme- 
triadem  (Migne  22,  1107  ff.),  vgl.  dort  c.  1 :  Demetrias  virgo  Christi  qiiae  et  nobili- 
tate  et  divitiis  jn-ima  est  in  orhe  Romano;  ihre  hinwendung  zur  askese  machte 
grosses  aufsehen,  die  Hieronymus  zu  seinem  briefe  veranlasste  (K.  B.). 

HALLE   A.  D.  S.  PHILIPP   STRAUCH. 


MISZELLEN. 

Auszüge  aus  briefen  der  brüder  Grimm  an  Salomon  Hirzel. 

Aus  Hans  Gürtlers  nachlass,  herausgegeben  von  Albert  Leitzmann. 

(Fortsetzung.) 

64.  Lieber  freund, 
[Anzeiger  17,  244.] 

Die  bogen  der  briefe  an  Lotte  lege  ich  wieder  bei,  dem  vernehmen  nach 
hat  nun  Cotta  doch  alles  flott  gemacht  und  es  soll  bald  erscheinen,  ein  blatt  der 
Kölner  zeitung  mit  einem  aufsatz  Dünzers  über  Göthes  liebesverhältnisse  ist  Ihnen 
vielleicht  noch  unbekannt,  Sie  können  es,  wenn  Sie  wollen,  behalten,  ist  denn  das 
Candidusbüchlein  fertig  geworden? 

31  Jan.  1854.  Ihr  Jac.  Gr. 

65.  Hier  bekommen  Sie,  lieber  Hirzel,  manuscript  61—80,  das  nächstemal, 
hoffe  ich,  soll  der  schlusz  folgen,  falls  das  Webersche  Wörterbuch,  wie  Sie  äuszerten, 
im  februar  erscheinen  sollte,  wäre  mirs  ganz  recht,. damit  ich  mich  darüber  aus- 
sprechen kann,  ich  denke  auch  dasz  man  im  publicum  erwartet,  dasz  ich  mich 
über  die  sauberen  leute,  den  Sanders  und  Wurm  erkläre. 

Müssen  Sie  das  atbenaeum  zurück  haben? 

Jahns  aufsatz  Göthe  in  Leipzig  '  war  hübsch,  vor  einigen  wochen  versprachen 
Sie  den  Candidus  zu  schicken ;  da  Sie  es  nicht  getan  haben  und  sonst  nicht 
pflegen  dergleichen  zu  vergessen,  musz  es  damit  besonders  bewandt  sein.       ^ 

Hier  verbreitet  sich  das  gerücht,  Carl  Reimer  wolle  Leipzig  verlassen  und 
hierher  ziehen,     werden  Sie  dann  sein  haus  kaufen  oder  auch  kommen? 

montag  21  febr.  [1854]  Ihr  Jac.  Grimm. 

Dort  bei  Otto  ^\'igand  ist  der  ungrische  simplicissimus  erschienen,  ein  ganz 
interessantes  buch,  auch  mit  allerhand  brauchbaren  Wörtern.      [Anzeiger  17,  244.] 

[Bittet,  von  der  vorrede  keine  aushängebogen  an  ihn  zu  übersenden.] 

66.  L.  H.     ich  schicke  hier  manuscript  j).  123-134.     [druckfehlerverbesserung 

zu  besengen.     Zitat  der  Jenaer  Lutherausgabe  und  aus  Andreae.] 

montags.     [1854]  *  Ihr  J.  Gr. 

1)  Goethes  briefe  an  Leipziger  freunde  -  s.  i39. 

17* 


24:2  LEITZMANN 

67.  Lieber  freund, 

sonst  pflegen  Sie  mir  den  empfang  des  manuscripts  umgehend  anzuzeigen ; 
vorigen  niontag  sandte  ich  die  fortsetzung  ab,  habe  aber  bis  jetzt  keine  benach- 
richtiguug  erhalten,     sollte  es  nicht  in  Ihren  bänden  sein? 

Donnerstag  nachm.  [1854] 
J.  Gr. 

68.  Sie  haben  recht,  lieber  Hirzel,  und  Ihrem  verlangen  nach  ist  alles,  woran 
Sie  anstosz  nehmen,  getilgt,  wodurch  auch  hinreichender  räum  gewonnen  worden, 
dasz  die  vorrede  nun  bequem  auf  p.  LXVIII  auslaufen  kann.  Die  eingänge  der 
abschnitte  23  und  24  müssen  aber  nun  ausgefüllt  werden,  wie  auf  beifolgendem 
blatt  angegeben  ist. 

Vor  den  klatschblättern  habe  ich  zwar  keine  angst,  denn  die  wissen  sich 
doch  material  zu  bereiten;  und  halte  es  auch  für  recht,  andern,  wo  sie  mich  im 
stich  gelassen  haben,  das  oifen  zu  bekennen,     doch  wird  nun  alles  besser  sein. 

eben  schreibe  ich  an  Zacher,  dasz  er  die  jahrzahl  des  von  ihm  ausgezognen 
Agricola  unmittelbar  nach  Leipzig  melden  solle,  vielleicht  wäre  auch  von  Eückert, 
falls  er  noch  in  Zittau  wohnt,  die  jahrzahl  der  drei  von  ihm  excerpierten  bände 
Luthers  am  kürzesten  durch  einen  brief  zu  erfragen,  unter  den  von  Wilhelm 
bisher  aufbewahrten  briefen  kann  ich  keine  von  ihm  entdecken. 

J.  V.  Andreae  reformation  ist  nach  einem  citate  Meuselbachs,  gewis  also 
richtig,  ich  will  bei  der  con-ectur  alles  wahren  und  ordnen,  musz  aber  auch  von 
der  vorrede  noch  eine  haben. 

Gestern  empüengen  Sie  das  Verzeichnis  bis  Loher,  der  schlusz  des  ganzen 
folgt  in  drei  oder  vier  tagen. 

freitag  mittag.     [10.  märz  1854]  Ihr  Jac.  Gr. 

69.  [Anzeiger  17,  244.]  Die  drei  von  Rückert  excerpierten  bände  hat  Hermann 
durch  vergleichung  der  ausgaben  auf  der  bibliothek  glücklich  ermittelt:  [nähere 
angaben.]  [Anzeiger  ebenda.] 

Grosze  last  verursacht  das  fehlende  citat  der  ausgäbe  von  Agricola.    Zacher 
meldet  eben,  dasz  er  ihn  gar  nicht  excerpiert  hat;   es  geschah  durch  Günther,  der 
fast  wie  Zacher  schreibt  (sehen  Sie  beiliegenden  brief  an),  was  den  irrthum  veran- 
laszte.     ich  schreibe  heute  an  Günther,  wenn  er  nur  noch  in  Halle  ist. 
Unter  die  excerpenten  gehören  noch 
^  Müller  in  Wiesbaden 

C allin  in  Hannover, 
wollen  Sie  druckfehler  anzeigen?     ich  kann  noch  mit  mehr  aufwarten. 

15  merz  [1854]  Ihr  Jac.  Gr. 

70.  Hierbei  übersende  ich  manuscript  3419—66.  gestern  abend  sind  Freitags 
Journalisten  hier  mit  groszem  beifall  gegeben  worden,  ich  habe  sie  durchgelesen 
und  besonders  die  trinksceue  und  die  erzählung  der  feuersbrunst  wirksam  gefunden, 
in  diesen  tagen  erscheint  von  Hermann  ein  gedieht  träum  und  erwachen.  Den 
Candidus  will  professor  Weisz  in  der  hiesigen  theologischen  zeitung  beurtheilen, 
ein  weiszer  den  andern. 

montag  27  merz  Ihr  Jac.  Gr. 

1854 


AUSZÜGE   AUS   BRIEFEN   DER   BRÜDER    GRIMM   AN   SALOMON   HIRZEL  243 

71.  Lieber  freund, 

Hermann  behauptet  Ihnen  sein  jetziges  gedieht,  freilich  noch  in  gestalt  einer 
novelle,  gesandt  zu  haben,  die  aber  damals  von  Ihnen  abgewiesen  worden  sei. 
[Anzeiger  17,  245.] 

Jac.  Gr. 
Klee,  höre  ich,  soll  hierher  kommen  und  Böcking  *,  wohnen  beide  bei  Haupt. 
[Ende  märz  oder  anfang  april  1854.] 

72.  [1854.] 

[Wegen  zitat  der  Ägricolaausgabe  im  quellenverzeichnis.  Druckfehler  in  der 
vorrede  verbessert.] 

73.  [Die  Zitate  Günthers  ausAgricolas  sprichwörtersaramlung  seien  aus  Sebastian 
Frank.]  Von  Agricola  ist  kein  druck  von  1570  bekannt,  folglich  sind  alle  seine 
citate  Agr.  spr.  falsch,  und  enthalten  Frank  .  .  .  dieser  Irrtum  ärgert  mich  ungemein 
.  .  .  beim  nächsten  Verzeichnis  musz  die  sache  berichtigt  werden,  ich  will  sobald 
ich  dazu  kommen  kann  citate  und  buch  selbst  vergleichen,  und  —  Agricolas  Sprich- 
wörter von  neuem  durchlesen,  denn  was  nach  capiteln  aus  Voss  angeführt  wird 
genügt  lange  nicht. 

In  den  bänden  von  Luther  wollen  wir  Hermanus  angaben  folgen,  die  richtig 
sind.     [Andere  drucke.] 

Es  stimmt  durchaus  nicht  zu  dem  stil  meiner  vorrede,  dasz  ich  Hildebrand 
als  lehrer  an  der  Thomasschule  bezeichne,  das  wird  schon  hinreichend  bekannt 
werden,  und  Zarncke  könnte  es  allenfalls  in  der  anzeige  demnächst  bemerken, 
höchstens  läszt  sich  für  den  fall,  dasz  es  mehrere  Hildebrande  zu  Leipzig  gäbe, 
der  Vorname  beisetzen. 

[Dankt  für  büchersendung  (Freytag,  Usteri,  Hebel).] 

die  geschichte  mit  Agricola  ist  fatal,  ich  denke  mir  aber  am  schlusz  musz 
das  ganze  Verzeichnis  berichtigt  und  erweitert  neu  gedruckt  werden,  das  jetzige 
ist  nur  ein  provisorisches. 

[1854.]  Ihr  Jac.  Gr. 

74.  Lieber  freund,  ich  hoffe,  Sie  sind  durch  den  eingenommenen  Günther  voll- 
ständig hergestellt;  diesem  niüste  dafür  dasz  er  uns  so  angeführt  hat  auferlegt 
werden  die  gedichte  seines  weltlichen  namensverwandten  neu  herauszugeben.  Der 
angerichtete  schade  ist  so  grosz  nicht,  weil  dadurch  die  egenolfische  Sammlung,  so 
gut  ers  verstand,  ausgezogen  wurde,  geärgert  habe  ich  mich  aber  auch  über  Zacher, 
der  in  einer  ex  professo  augestellten  Untersuchung  der  spriclnvörter^  die  egenolfischen 
abdrücke  nackt  hinstellt,  ohne  etwas  über  ihr  Verhältnis  zu  ermitteln  und  zu  sagen, 
ich  bitte  folgendes  einzuschalten:  [folgen  die  im  quellenverzeichnis  gedruckten 
angaben  über  die  benutzte  Ägricolaausgabe.] 

im  16.  Jahrhundert,  wie  ich  auch  spalte  XXXVII  sage,  veriuhr  man  ohne 
alle  umstände  mit  den  büchern,  kürzte  ab  oder  erweiterte  nach  gutdünken. 

Ich  habe  nichts  dawider,  dasz  Sie  Alxinger  und  Derling  einschalten,  von 
letzterm  aber   müssen   beide  werke   angeführt   werden,   denn   ich   weisz   nicht   aus 

1)  Eduard  Böcking  (1802—70),  professor  der  Jurisprudenz  in  Bonn. 

2)  Die  deutschen  sprichwörtersammlungen,  Leipzig  1852. 


24:4  LEITZMANN 

welchem  die  spalte  512  nach  Campe  gegebne  stelle  stammt.  Campe  citiert  nirgend 
genau,  immer  nur  die  nameu. 

[Wegen  Lisch,  Wörterbuch  1,  LXXX.] 

Hoffentlich  sind  wir  mit  dem  register  bald  fertig,  mein  gestolner  Hebel 
war  auf  ordinairem  papier  nicht  Schreibpapier. 

[1854.]  Ihr  Jac.  Gr. 

Ahlfeld  musz  unangeführt  bleiben,  ich  und  Wilhelm  wissen  nichts  von  ihm. 
er  kann  nicht  die  ganze  schar  eröfnen. 

75.  [Anzeiger  16,  229.] 

Hierbei  sende  ich  manuscript  3467—3552  und  eine  anzeige  von  Zensz,  in 
deren  eingang  Pott '  sich  auch  angemessen  über  das  Wörterbuch  ausläszt.  Sie 
dürfen  das  blatt,  wenn  Sie  wollen  behalten,  an  den  dummen  recensenten  in  der 
Darmstädter-  schulzeitung  (es  ist  Wagner  ^  selbst)  lassen  Sie  doch  kein  höchst 
unverdientes  exemplar  weiter  verabfolgen?  er  hatte  sich  herausgenommen  für  den 
Umdruck  des  cartons  besserungen  zu  empfehlen,  die  lauter  grobe  fehler  gewesen  wären. 

[Wegen  Goethezitaten.    Dank  für  bücher.] 

17  apr.  1854.  Jac.  Grimm. 

76.  Lieber  freund, 

ich  übersende  Ihnen  manuscript  3558—3648,  welches  drei  bogen  geben  wird,  ferner 
einen  brief  an  Daseut*  mit  einem  exemplar  des  Wörterbuchs  an  ihn  abzusenden,  wie 
Sie  es  wollten. 

Dank  für  die  Zürcher  sachen.  Auch  Ihnen  wünsche  ich  künftig  einmal  für 
Ihre  Ottilie  einen  solchen  bräutigam  wie  Mommsen^  ist,  doch  müssen  Sie  sie  noch 
nicht  sobald  hingeben.  Zarncke  hat  sich  zwar  sehr  gut  und  freundschaftlich,  aber 
auch  kurz  gefaszt*;  mir  ist  bang,  dasz  er  sich,  wie  Haupt,  zu  viel  auf  einmal 
auflädt.     Die  übrigen  sachen  habe  ich  noch  nicht  angesehen. 

Sonntag  mittag  [1854].  Ihr  Gr. 

77.  [schickt  manuskript  3649-3748.] 

27  mai  [1854]. 

78.  Gleich  einem  fürsten  sind  Sie  ja,  1.  H.,  beständig  auf  reisen,  da  Sie  den 
Umschlag  zum  neuen  heft  vielleicht  schon  zurüsten,  bitte  ich  beifolgendes^  mit 
darauf  setzen  zu  lassen  und  mir  die  insertionsgebühr  anzurechnen. 

donnerstag  [23.  juni  1854]  Ihr  Jac.  Gr. 

79.  [Anzeiger  17,  245.] 

Die  artikel  aus  der  Hannoverschen  zeitung  habe  ich  schon  gelesen,  ich  schrieb 
es  Ihnen  blosz,  damit  Sie  sie  auch  einsähen. 

1)  August  Friedrich  Pott  (1802—87),  professor  der  Sprachwissenschaft  in  Halle. 

2)  Karl  Wagner  (1802—79),  lehrer  am  gymnasium  in  Darmstadt. 

3)  Sir  George  Dasent  (1818-96),  advokat  in  London,  dann  hilfsredakteur 
der  Times,  auch  als  germanist  tätig. 

4)  Mommsen  hatte  eine  tochter  Karl  Reimers  zur  frau. 

5)  Im  Literarischen  zentralblatt  nr.  18. 

6)  Kleinere  Schriften  8,  543. 


AUSZÜGE   AUS   BRIEFEN   DER   BRÜDER   GRIMM   AN    SALOMON   HIRZEL,  24:5 

Aui  spalte  218  bitte  ich,  wie  beifolgt,  setzen  zu  lasseu. 

Ihrer  guten  uachrichten  mich  freuend  Jac.  Gr. 

Sonnabend.  [185-i] 

^ü.  Hierbei  manuscript  3843—3874  und  den  band  Voss  mit  dank  zurück.  Zeitung 
für  Norddeutschland  Hannover  no.  1516,  1523  eine  anzeige  des  Wörterbuchs. 

[1854]  Jac.  Gr. 

81.  Ich  hoffe  dasz  Ihre  äugen  wieder  hergestellt  sind  und  sende  manuscript 
5901—3952,  sowie  den  Daterich  '  mit  dank  zurück. 

7  sept.  [1854]  Ihr  Jac.  Gr. 

82.  Mittwoch  13  sept.  [1854]  abends. 
Lieber  Hirzel, 

da  heute  so  schönes  wetter  war,  habe  ich  mich  entschlossen  und  reise  in 
einigen  stunden  nach  Danzig  ab,  das  ich  noch  nicht  gesehen  habe ;  was  dann  weiter 
geschieht,  soll  von  meinem  befinden  abhangen,  doch  denke  ich  nicht  viel  über  acht 
tage  auszubleiben,  von  meiner  rückkehr  gebe  ich  sogleich  nachricht.  ich  hoffe 
Ihre  äugen  sind  ganz  hergestellt,  obgleich  Sie  der  heutigen  correctur  nichts,  es  sei 
dann  ein  einziges  t,  hinzugefügt  haben.  Ihr  Jac.  Gr. 

[Anzeiger  16,  230.] 

83.  Ich  bin  ohne  sonderlichen  vortheil,  scheint  es  mir,  für  mein  wolbefinden  wieder 
glücklich  heimgekehrt  und  hoffe  mich  an  der  arbeit  besser  zu  erholen,  dort  in 
ganz  Westpreuszen  und  Ostpreuszen,  wo  alles  sandig  und  unheiter,  und  fern  von 
dem  belebenden  hauch  der  Appenzeller  natur  ist,  möchte  ich  meine  tage  nicht 
hinbringen,  bin  vielmehr  froh  sie  anderswo  hingebracht  zu  haben. 

Hierbei  sende  ich  alles  manuscript  was  ich  habe  3953—3988,  die  correctur  18a, 
einen  zusatz  zu  spalte  271  und  die  mitgetheilten  recensionen  zurück.  Zarncke  hat 
sich  wieder  freundlich  ausgesprochen  *,  ich  hoffe  aber,  dasz  er  sich  auch  an  meinen 
-etymologien  gewaltig  versieht. 

Schön  dasz  Sie  zu  Kosen  waren,  und  grüszen  Sie  Ihre  gute  Frau. 

Donnerstag.  Jac.  Gr. 

[Ende  September  oder  anfang  Oktober  1854.] 

84.  hierbei  manuscript  4047-4108 

und  eine  anzeige  Stöbers  wegen  Göthischer  briefe. 

eilig    J.  G.  freitags  [1854]. 

85.  [Stellenangabe  zu  dem  im  Wörterbuch  2,  479  unter  büchslein  angeführten 
beleg.     12.  november  1854.] 

86.  Lieber    freund,    ich    danke    für    das    geld,    für   das    interessante    buch    von 

1)  Niebergalls  Darmstädter  lokalposse  (1841). 

2)  Im  Literarischen  zentralblatt  nr.  37. 


246  LEITZMAXN 

Dümmler*,  und  für  das  brauchbare  badische  landrecht  (hätte  ichs  doch  schon 
früher  gehabt!) 

Sie  erhalten  hierbei  mannscript  4185—4252,  das  beinahe  fürs  heft  ausreichen 
wird  und  schon  tapfer  in  BV  eingreift. 

Auf  der  bibliothek  war  Fichards  frankfurter  archiv  verliehen,  in  dessen 
drittem  band  365  die  redensart  ins  büchslin  blasen  vorkommt,  ich  musz  aus  dem 
Zusammenhang  beurthoilen,  was  sie  bedeutet,  vielleicht  findet  sich  das  buch  auf 
dortiger  bibliothek,  und  Sie  thun  mir  den  gefallen  nachzusehn. 

Wissen  Sie,  oder  können  Sie  erfahren,  ob  Hildebrand  meine  mythologie  hat? 
ich  würde  ihm  sonst  die  neue  ausgäbe^  schenken. 

Sie  selbst  haben  das  buch  wol  in  der  ausgäbe  von  1844,  welche  correcter 
als  die  neue  ist,  und  völlig  einstimmt;  sonst  würde  ich  auch  Ihnen  ein  exemplar 
zugehn  lassen.  Schlemmers  einziger  söhn,  ein  angehender  buchhändler,  hat  sich 
zu  Wien  erschossen. 

Mit  meiner  gesundheit  wills  immer  nicht  gehn. 

montag  13  nov.  [1854]  Ihr  Gr. 

[Anzeiger  17,  245.] 

87.  Lieber  Hirzel, 

Ihr  exemplar  der  mythologie  sowie  fortsetzung  des  manuscripts  liegen  bereit, 
sein  Sie  so  gut  die  einlage  an  Zarncke  zu  besorgen,  das  bröschen  haben  Sie 
noch  angebracht  gefunden,  von  spalte  442  bitte  mir  vor  dem  abdruck  noch  einen 
abzug  aus,  ich  bin  unsicher,  ob  etwas  recht  eingetragen  ist. 

[1854]  J.  Gr. 

88.  [Anzeiger  17,  245.] 

Schlieszen  und  fangen  Sie  gut  an, 

80  dec.  [1854]  Ihr  .Tac.  Gr. 

89.  [Anzeiger  16,  230.]  ein  neues  drama,  Rotrudis,  hat  er  wieder  als  manuscript 
drucken  lassen,  zur  Versendung  an  bühneu. 

[Anzeiger  16,  231.] 

am  5  Jan.  abends  [1855] 

90.  Hierbei  4411—42  und  ein  paket  an  professor  Jacobi  zu  gütiger  abgäbe. 
23  Jan.  [1855]  Jac.  Gr. 
Rotrudis  hat  Hermann  durch  Dietrichs  beischluss  abgesandt. 

91.  L.  H.  ich  sende  hierbei  p.  4443—4464,  wenn  allenfalls  der  bogen  37  nicht 
ausgedruckt  worden  wäre  aus  mangel  an  manuscript,  wozu  meiner  meinung  nach 
das  früher  gesandte  hinreichte.  [Anzeiger  16,  231.]  Waren  denn  unter  den  schwer 
bezahlten  zetteln  aus  der  HGO  keine  C?  jetzt  ists  zu  spät  dazu. 

mittwoch  14  febr.  [1855]  Ihr  Jac.  Gr. 

92.  [Anzeiger  16,  232.]  der  setzer  hat  den  ausgang  des  B  zu  meinem  verdnisz 
auf   spalte   598   eng   zusammen   gedrängt,   mir  wäre   lieb  gewesen,  dasz  er  einigen 

1)  Pilgrim  von  Passau  und  das  erzbistum  Lorch,  Leipzig  1854. 

2)  Göttingen  1854. 


AUSZÜOE   AUS   BRIEFEN   DER   BRÜDER   GRIMM   AN    SALOMON   HIRZEL  247 

räum  für  zusätze  gespart  hätte,  wie  sie  sich  am  ende  eines  huchstabs  leicht  pflegen 
einzufinden,  es  sieht  so  auch  nicht  gut  aus,  freilich  besser  als  der  schlusz  des 
ersten  bauds.  [Anzeiger  16,  283-]  bestellen  Sie  beim  setzer,  dasz  er  das  C  nur 
auf  der  zweiten  blattseite  schliesze  und  D  auf  die  erste  eines  neuen  blattes  bringe. 
[Anzeiger  ebenda.] 

Die  Jacobsbrüder  sind  für  Sie. 

Viel  herzliche  grüsze  von  Ihrem 

Jacob  Grimm. 
Hermann  hat  eine  novelle  im  morgenblatt  drucken  lassen,  die  mir  mehr  gefällt 
als  seine  Eottrud. 

[Am  köpf  des  briefs  von  Hirzels  band :  3  März  55.] 

93.  [Bittet,  die  unvollständige  Ptolemaeusausgabe  nicht  für  ihn  zu  kaufen,  wenn 
sie  nicht  zu  erniedrigtem  preise  zu  haben  sei.     22.  august  1855  nachmittags.] 

94.  Lieber  freund, 

ich  danke  schönstens  für  die  beiden  Ulpiane.  es  ist  mehr  ein  kunststück,  als 
dasz  ich  groszen  nutzen  davon  absähe,  sonst  gab  man  die  classiker  aus  den  hand- 
schrifteu  heraus  in  druck,  jetzt  sucht  man  sie  aus  den  drucken  wieder  in  die 
handschrift  zurückzutreiben. 

Sie  haben  sich  wegen  des  Ptolemaeus  bemüht,  bald  wird  sich  für  Bädeker 
ein  gelehrter  finden,  der  dem  werk  die  abgehende  7.  8  lieferung  zufügt,  ich  weisz 
schon  wer  oder  vielmehr  welche,  denn  es  werden  ihrer  zwei  sehr  dazu  passende 
sein,  käme  Ihnen  unterdessen  ein  gutes  exemplar  der  6  ersten  lieferungen  vor 
die  äugen,  so  gäbe  ich  wol  4  thaler  darum. 

Das  zu  Wolfenbüttel  vorrätige  nachtbüchlein  in  2  bänden  ist  von  einem 
Leipziger  setzer  oder  schriftgieszer,  Valentin  Schiiman. 

[Anzeiger  17,  245  (lies  'Göttingen,  Hannover,  vielleicht').] 

3  sept.  1855.  Ihr  Jac.  Grimm. 

95.  [Anzeiger  17,  245.] 

Habe  ich  Ihnen  für  die  gütige  besorgung  des  Ptolemaeus  noch  nicht  ge- 
dankt ?     es  wäre  schändlich. 

Mit  den  Northern  Antiqiiities  kann  ich  Ihnen  in  keiner  der  drei  auflagen 
dienen,  auch  nicht  mit  Herbertz  miscellaneons  poetnj.  diese  beiden  stehn  in  zu 
geringem  rufe,  als  dasz  ich  mich  je  darum  bemüht  hätte;  man  kann  sie,  glaube 
ich,  entbehren,  doch  enthalten  Sie  mein  urtheil  dem  herrn  Möbius  vor,  aus  dessen 
feder  eben  eine  Blomsttirvallasaga '  hervorgegangen  ist. 

freitag  12  oct.  [1855]  Stets  Ihr 

Jac.  Gr. 

96.  Lieber  freund,  Berlin  6  dec.  1855. 
ich    danke    schönstens    für    die    neuen   geschenke,    Sie    werden  ja    ganz  zu  einem 
joristischen   Verleger.     Stobbe-   hatte   mich  hier  besucht  und  mir  wol  gefallen,  um 
so'  angenehmer   kommt   mir    sein   buch'.     Huschke*,    dem    Bücking   deu  Gajus  mit 

1)  Leipzig  1855. 

2)  Otto  Stobbe  (1831—87),  professor  der  Jurisprudenz  in  Königsberg. 

3)  Zur  geschichte  des  deutschen  Vertragsrechts,  Leipzig  18.55. 

4)  Philipp  Eduard  Huschke  (1801—86),  professor  der  Jurisprudenz  in  Breslau. 


248  LEITZMANN 

zugeeignet,  hat  eben  ein  unglückliches  werk  über  die  oskische  spräche  geliefert  *. 
[Anzeiger  16,  234.] 

In  Ihrem  process  werden  Sie  sicher  ehrenvoll  freigesprochen.  Zu  anfang 
neujahrs  .  .  .  hoffe  ich  Sie  hier  zu  sehen. 

Stets  Ihr  Jac.  Grimm. 

[Frage  nach  einer  von  Serrure  in  Gent  herausgegebenen  Zeitschrift  über  alt- 
niederländische literatur,  in  der  das  neugefundene  Nibelungenstück  stehe  ( Vader- 
landsch  musetun  1,  1).] 

97.  Liebster  Hirzel, 

es  soll  mich  freuen,  wenn  ich  durch  Ihre  Vermittlung  das  belgische  buch  bald 
erlangen  kann. 

[Anzeiger  17,  246.J 

Lesen  Sie  beiliegenden  himmlischen  brief,  der  geprüder  schreibt  und  nach 
Göttingen  geschickt  war;  er  hat  entdeckt,  dasz  unser  aiphabet  aus  25  buchstaben 
besteht  (wobei  sieben  vergessen  sind)  und  bittet  seinen  namen  noch  geheim  zu 
halten.     Sie  können  mir  den  brief  wieder  mitbringen,  wenn  Sie  herkommen. 

Gestern    erhielt   ich  aushängebogen  49,  doch  46.  47.  48  haben  Sie  mir  nicht 
gesandt,  auch  will  sie  Wilhelm  nur  einfach,  nicht  doppelt  empfangen  haben. 
10  Dec.  1855.  Jac.  Gr. 

98.  [Anzeiger  16,  237.] 

In  der  reime  des  deux  mondes  vom  15  fevrier  rühmt  ein  Saint  Rene  Taillan- 
dier  Ihren  verlag,  bespricht  das  werk  von  Prantl'^  und  fügt  auch  einige  sätze  über 
das  Wörterbuch  an. 

Dahlmann  soll  männliche  fassung  beweisen,  sein  Schwiegersohn  Reyscher  war 
gerade  hier,  als  die  todesbotschaft  ankam  ^.  eine  fräulein  Schramm,  höre  ich,  wird 
das  hauswesen  besorgen. 

[Anzeiger  ebenda.]  Ihr.  Jac.  Grimm. 

18  febr.  1856. 

99.  [Anzeiger  16,  237.] 

Zum  verlegerlied  hätten  Sie  einige  namen  beisetzen  sollen,  ich  verstehe  nicht 
was  mit  dem  bock  gemeint  ist,  auch  nicht  was  der  hanswurst  neben  soll  und  haben 
bedeutet. 

[Anzeiger  ebenda.]  Immer  Ihr  treu  ergebner  Jac.  Gr. 

26  mai  abend  [1856] 

100.  Lieber  freund, 

hier  schicke  ich  die  neulich  schon  angekündigte  abhandlung*,  plage  Sie  aber 
zugleich  mit  der  bitte,  das  weiter  beigelegte  dutzend  abgeben  und  versenden 
zu  lassen. 

[Anzeiger  16,  238.]  Dar  Jac.  Gr. 

n  juni  1856. 

1)  Die  oskischen  und  sabelüschen  Sprachdenkmäler,  Elberfeld  1856. 

2)  Geschichte  der  logik  im  abendland,  Leipzig  1855—70. 

3)  Dahlraanns  frau  war  am  9.  februar  gestorben. 

4)  Über  den  Personenwechsel  in  der  rede  (Kleinere  Schriften  3,  236). 


AUSZÜGE   AUS   BRIEFEN   DER   BRÜDER   GRIMM   AN   SALOMON   H[RZEL  249 

101.  Liebster  freund, 

das  centralblatt  spalte  611  hat  iu  einem  auszug  von  no  35  des  auslands: 
'Lord  Neaves  über  den  Ursprung  und  das  Vaterland  der  ossianischen  gesänge'.  ich 
kann  das  ausländ  hier  nicht  auftreiben  (das  lesezimmer  der  bibliothek  hält  es  nicht), 
wahrscheinlich  liegt  es  dort  vor,  und  ich  hätte  gern  eine  abschrift  jenes  artikels 
über  Lord  Xeaves.     es  werden  nur  einige  zeilen  sein. 

Sollte  die  dortige  Universitätsbibliothek  besitzen : 

Dana  Oisein  mhic  Fhinn.     Duneidin  1818 

(gedichte  Ossians.     Edinburg  1818) 
80  bitte   das   buch   zu  leihen  und  mir  zu  senden,     ich  würde  es  auch  kaufen,  falls 
es  Weigel  hätte. 

Neulich  bin  ich  von  einem  photographen  etwas  besser  behandelt  worden  und 
ich  hebe  Ihnen  einen  abdruck  des  bildes  auf.  Ihr  Grimm. 

Wilhelm  ist  zurück  und  wird  es  Ihnen  schon  gemeldet  haben. 

[Auf  der  rückseite  von  anderer  band:  October  18ö6.] 

102.  Lieber  Hirzel, 

wenn  Sie  da  sind,  vergesse  ich  meistens  einige  Ihnen  aufgesparte  fragen  .  .  . 
wer  hat  die  Gallischen  alterthümer  oder  samlung  alter  gedichte.  Leipzig  bei  Weid- 
manns erben  und  Reich  1781  in  zwei  bänden  übersetzt?  das  buch  war  ganz  gut 
und  ist  es  später  durch  seine  damals  unbrauchbaren  noten  geworden,  vielleicht 
wurde  es  durch  Herder  veranlaszt. 

Haben  Sie  den  band  landkarten,  worin  ich  Ihnen  das  bild  legte,  bei  Georg 
oder  Dietrich  zurückgelassen?  .  .  .  Haupt  ist  wieder  krank  und  es  scheint  wieder 
das  nervenübel,  von  dem  er  1849  zu  Leipzig  heimgesucht  wurde. 

Ihr  Jac.  Gr, 

montag  [auf  der  rückseite  von  Hirzels  band:  November  1856J. 

103.  Berlin  21  febr.  1857 
Lieber  freund,  den  band  Herder  werden  Sie  durch  Ihren  söhn,  der  mich  auf 

meinen  geburtstag-  besuchte,  zurückerhalten  haben,  ich  bin  Ihnen  schon  lange  dank 
und  antwort  schuldig,  diesmal  kam  freilich  kein  seltnes  bücheichen,  das  Sie  sich 
selbst  weggenommen  hatten,  zum  angebinde,  fürs  nächste  mal  erbitte  ich  mir*  aus 
Ihrem  verlag  eine  abhandlung  von  Droysen  über  Windeck,  wenn  sie  unter  den 
Schriften  der  leipziger  gesellschaft  der  Wissenschaften '  besonders  ausgegeben  wird. 
Zum  neuen  Jahrbuch  des  deutschen  rechts  wünsche  ich  Ihnen  glück,  ich  wüste 
wol  auch  beitrage  dazu,  wenn  ich  zeit  hätte,  ich  spüre,  im  alter  nehmen  die 
plane  und  gedanken  nicht  ab,  sondern  zu,  aber  die  ausführung  wird  schwieriger, 
die  gelenke  werden  steifer. 

[Anzeiger  16,  240  lies  1  'ungeordnet'  und  8  'sehr'  hübsches]. 

Neulich  liesz  ich  Sie  durch  Möbius  bitten  erkundigung  über  die  hinterlassene 
bibliothek  von  Zeusz  einzuziehn.  Carl  Reimer,  an  den  ich  dasselbe  ersuchen  ge- 
richtet hatte,  meldet  mir,  dasz  in  ermanglung  naher  verwandten  alles  noch  ver- 
siegelt liege,  vernehmen  Sie  in  zukunft  etwas,  so  theilen  Sie  es  mir  mit. 

[Anzeiger  16,  242.]  Ihr  Jac.  Grimm. 

1)  2.  149. 


250  I>E1TZMANN 

101.      L.  H. 

hoffentlich    siud    Sie    von   Ihrer  reise   wieder   daheim.      [Bitte   um   bestellung   von 

abzügen  seines  aufsatzes  'Recht  von  Hinsfeld'  (Kleinere  Schriften  7,  454).] 

24  juni  [1857]  Jac.  Gr. 

105.  [Anzeiger  16,  244.] 

Jetzt  stecke  ich  gerade  in  dem  von  der  Ossianic  society  zu  Dublin  diesen 
augenblick  edierten  Tornigheac.lit  DJuarmmla  agns  Ghraintie  315  selten  8*.  das 
hängt  zusammen  mit  Ossian,  leider  aber  ist  der  angekündigte  band  of  Ossianic 
poems  noch  in  preparation  und  unerschienen.  ich  würde  meine  arbeit  zwei,  drei 
monate  hinlegen,  dürfte  ich  nur  die  von  Göttingen  und  von  hier  geliehnen  bücher 
länger  mit  gutem  gewissen  behalten.  Ich  bitte  nur  in  Ihrem  herzen  den  Ossian 
nicht  zu  verwünschen,  er  ist  genug  verwünscht  gewesen. 

Wir  haben  besuch  von  professor  Weigand  aus  Gieszen  mit  seiner  tochter 
Mathilde,  vorgestern  führte  ich  sie  in  den  zoologischen  garten,  was  mir  einen 
vollen  nachmittag  wegnahm  und  mich  abmüdete;  besser  getaugt  dazu  hätte  einer 
meiner  ueffen,  wären  sie  hier,  mit  Wilhelm,  Dortchen  und  Gustchen  ist  bei  solchem 
anlasz  nichts  anzufangen,  leider  ist  die  letzte  weniger  gesund  von  Carlsbad  zurück- 
gekommen als  hingereist.  Herman  weilt  noch  in  Rom,  soll  aber  im  november 
heimkehren. 
30  sept.  1857  abends.       Vielmal  gegrüszt  Jac.  Gr. 

106.  am  zweiten  ostertag  1858  [5.  april] 
[Anzeiger  16,  245.] 

Nun  folgen  doch  gleich  ein  paar  bitten,  der  pastor  Friedrich  Schrader  zu 
Horste  bei  Bielefeld  ist  einer  der  treusten,  sorgfältigsten  und  uneigennützigsten 
arbeiter  zum  Wörterbuch,  seine  auszüge  sind  zehnmal  tauglicher,  als  die  von 
Götzinger  waren.  Es  wäre  mir  lieb,  wenn  Sie  ihm  50  thaler  senden  könnten,  er 
ist  glaube  ich  arm  und  ohne  vermögen,  hat  jedoch  nie  das  geringste  verlangt,  so 
dasz  er  sich  über  das  geld  wundern  wird,  diese  50  thaler  werden  natürlich,  wie 
bisher  geschehen,  verrechnet  und  abgezogen. 

Bei  Brockhaus  ersuche  ich  einen  mir  fehlenden  bogen  zu  fordern  .  .  .  Ein- 
liegender brief  ist  an  Möbius,  er  wird  Ihnen  darauf  ein  kleines  büchleiu  für  mich 
übermachen. 

Bleiben  Sie  gut  Ihrem  freunde  ^ 

.Jacob  Grimm. 

mir  nöthigt  bewunderuug  ab,  wie  schnell  Sie  sichere  nachricht  aus  Dublin 
einzuholen  vermochten. 

107.  [Anzeiger  16,  245.] 

Erst  dieser  tage  hat  mir  Schrader  seine  nützlichen  zettel  für  E  geschickt  .  .  . 
darüber  kommt  nun  einiges  zu  spät,  doch  konnte  noch  auf  dem  letzten  correctur- 
bogen,  der  den  setzer  sehr  geplagt  haben  wird,  einzelnes  nachgetragen  werden. 

Das  regenwetter  scheint  endlich  nachzulassen,  möge  nun  auch  die  viele 
trauer  in  Ihrem  haus  aufhören  und  ungestörte  freude  folgen. 

freitag  6  aug.  [1858]  '      Jac.  Gr. 

[Anzeiger  16,  246.] 


AUSZÜGE   AUS   BRIEFEN   UER   BRÜDER    GRIMM   AN   SALOMON   HIRZEL  251 

108.  L.  H.  hierbei  manuscript  49—152,  ich  bin  fleißzig  gewesen,  es  heiszt  Sie 
giengen  nacli  Kreuznach.  Jac.  Gr. 

Dank  für  den  Dentzler.  haben  Sie  dem  Schrader  das  geld  geschickt,  wol 
lange  schon?  bei  ei!  liesz  mich  Klee  gewaltig  im  stich,  er  hatte  keinen  einzigen 
Zettel  dafür. 

[1858.] 

109.  Lieber  freund, 

lassen  Sie  doch  spalte  42  zeile  17  von  unten  hinter  Mathesius  104a  noch 
einrücken  (vgl.  Uhland  618). 

ich  habe,  als  Sie  neulich  hier  waren,  vergessen  Ihnen  zu  erzählen,  was  Sie 
interessieren  wii'd,  dasz  unser  gemeinschaftlicher  bekannter  Candidus  Nancy 
verlassen  hat  und  mit  sack  und  pack  nach  Odessa  reist,  wo  er  deutscher  und  fran- 
zösischer prediger  geworden  ist.    er  wird  anfang  Septembers  bereits  dort  anlangen. 

Wissen  Sie  aus  dichtem  beispiele  von  wie  einer  =  welch  einer,  was  für 
einer?  z.  b.  wie  ein  schöner  tag!  (was  für  ein  schöner  tag). 

er  ist  ein  guter  mann?  'und  wie  einer!'  analog  dem  öfter  vorkommenden 
so  e i n e r  =  ein  solcher. 

[1858.] 

110.  1  Oetober  1858 
[Anzeiger  17,  250.] 

Dortchen  und  Wilhelm  erwarte  ich  heute  abend  von  Harzburg  zurück,  beide 
befinden  sich  leidlich  .  .  . 

Dem  neuen  unternehmen  der  Staatengeschichte  wünsche  ich  aUes  gedeihen, 
Wurm  ^  wird  etwas  gutes  liefern,  einige  andere  namen  kenne  ich  nicht.  Mordt- 
mann  ^  ist  verschiedentlich  hart  angegriffen  worden. 

In  dem  päckchen  war  ein  neues  gedieht  Corrodis,  de  herr  Vicari^,  das  zu 
lesen  ich  mich  freue. 

Den  bogen  p.  89—96  hatte  ich  mir  nochmals  zur  ansieht  erbeten,  es  wird 
unnötig  gewesen  sein. 

Herzliche  grüsze  an  Sie,  frau,  Schwiegermutter,  die  braut  und  den  söhn. 

-Jac.  Grimm. 

111.  Was  ist  das  ?  lieber  freund,  Sie  haben  den  druck  eingestellt,  widerspricht 
das  nicht  Ihrem  frühern  verlangen  nach  einem  baldigst  erscheinenden  2  heft?  erst 
vermutete  ich  ein  hindernis  in  der  druckerei,  allein  dasz  Sie  im  letzten  brief  völlig 
über  die  zogerung  weggleiten,  das  fäUt  mir  auf.  unterdessen  habe  ich  tüchtig 
fortgearbeitet  und  werde  in  dieser  woche  mit  dem  manuscript  für  den  bogen  15 
fertig,  meine  schuld  ist  es  also  nicht,  wenn  das  heft  diesen  winter  nicht  erscheint. 

Dank  für  John  und  das  neuste  stück  der  bekkerschen  Zeitschrift. 
am  1  nov.  1858  Ihr  ^ 

Jac.  Grimm. 

1)  Christian  Friedrich  Wurm  (1803—59),  professor  der  geschichte  in  Hamburg. 

2)  Andreas  David  Mordtmaun  (1811—79),  spanischer  geschäftsträger  in  Kon- 
stantinopel. 

.3)  Winterthur  1858. 


252  LEITZMANN 

112.      Das  schwere   wort  ein  macht  einige  zusätze  nöthig.     der  erste  gehört  gleich 

in  den  bogen,  woran  jetzt  gesetzt  wird,  das  andere  blatt  wird  sich  leicht  ein- 
schalten lassen. 

Sonntag  7  nov,  [1858]  Gr. 

118.  [Anzeiger  16,  246.]  ob  das  angebliche  erste  heft'  zu  Leipzig  angelangt  ist, 
weisz  ich  nicht,  hier  hat  es  noch  niemand,  ein  solches  heft  soll^20  silbergroschen 
für  10  octavbogen  kosten,  auf  jeden  fall  viel  theurer  als  unser  buch. 

[Anzeiger  ebenda.]  seit  anfang  September  bis  heute  sind  anderthalb  bogen 
gesetzt. 

Sie   stecken  jetzt   in   andern   buchhändlerischen   geschäften,  wozu  ich  Ihnen 
glück  wünsche,  die  epistolae  obscurormn  virorum  müssen  Ihnen  freude  gemacht  haben. 
Mit  besten  grüszen 

Jac.  Gr. 
mittwoch  17  nov.  [1858] 

114.  hierbei  folgt  manuscript  p.  309—412.     [Anzeiger  16,  246.] 

Jac.  Gr.  26  nov.  1858. 

115.  Lieber  freund 

lassen  Sie  den  bogen  9  immer  abdrucken,  ohne  die  änderung;  Sie  sollen 
mir  bald  einen  andern  gefallen  erweisen. 

Dieser  tage  sende  ich  das  übrige  manuscript  für  dies  heft. 

Ihr  Jac.  Gr. 

was  nennt  der  buchdrucker  denn  ablegen  P^  .  .  . 

bitte,  lassen  Sie  sich  doch  von  Hildebrand  aufschreiben,  was  das  für  eirt 
buch  ist :  Rädlein  Sprachschatz  ^  mir  noch  unbekannt. 

[november  1858?] 

116.  Ich  habe,  lieber  Hirzel,  das  eineinzig  noch  zugesetzt  und  sogar  einen  beleg 
aus  Hippel  beigefügt,  schade,  wenn  Ihre  zettel  für  E  verloren  gegangen  wären, 
bei  der  ausarbeitung  sind  mir  allerdings  keine  vor  die  äugen  getreten,  einbändig 
ausgenommen,  das  Sie  mir  einzeln  in  einem  briefe  mittheilten.  Sie  pflegten  immer 
stoszweise  Ihre  beitrage  für  die  eintretenden  buchstaben  zu  senden,  die  für  spätere 
zurückzubehalten,  ich  entsinne  mich  nicht  etwas  aus  dem  E  von  Ihnen  empfangen 
zu  haben,  zwar  liegen  in  meinem  beschränkten  räum  zwei  körbe  voll  eingelaufner 
auszüge  übereinandergeschichtet,  ich  will  sie  nächstens  einmal  revidieren,  ob  sich 
etwas  eingeschoben  haben  könnte. 

[Anzeiger  16,  247.J 

Der  Setzer  wird  spalte  165.  166  nicht  segnen,  ich  habe  hoffentlich  genug 
eingeschaltet  was  in  die  lücke  treten  soll,  ist  noch  mehr  nöthig  oder  bleibt  etwas 
unklar,  so  bitte  ich  um  noch  eine  revision  .  .  . 

[Anzeiger  ebenda.]  Ich  rede  nicht  von  der  äuszeren,  uns  gleiclafalls  zum 
vortheil  ausschlagenden  einrichtung,  es  war  wesentlich  nothwendig  die  dichterstellen 

1)  Wurm,  Wörterbuch  der  deutschen  spräche  von  der  druckerfindung  bis  zum 
heutigen  tage,  Freiburg  1858—59. 

2)  Vgl.  Wörterbuch  1.  70. 

3)  Vgl.  ebenda  2,  XIV. 


AUSZÜGE   AUS    BRIEFEN   DER   BRÜDER   GRIMM   AN   SALOMON   HIRZEL  253 

abzusetzen  und  damit  dem  äuge  vorzuführen,  bei  Wurm  wie  bei  Hoffmann  '  ver- 
schwimmt alles.     [Anzeiger  ebenda  (lies  'durch  die  arbeit').] 

Dank  für  das  geschenk  der  zierlichen  Valentine  ^,  die  ich  sehr  gern  lesen 
werde,     den  Göthe  au  Zelter  4.  brauchen  Sie  ja  nicht  gleich  zurück? 

Jac.  Grimm. 
3  dec.  1858. 

117.  Lieber  Hirzel, 

ich  bitte  um  rücksendung  des  manuscripts  von  dem  blatt  an,  worauf  EINS  steht 
(wird  etwa  j^.  403  sein)  bis  zu  p.  412  incl.;  ich  habe  etwas  nachzutragen,  was  ich 
bei  der  correctur  nicht  gut  bewerkstelligen  kann,  dieses  manuscript  wird  ohnehin 
noch  nicht  gebraucht  und  soll  bald  zurückkehren. 

Die  verlorenen  zettel  sind  wiedergefunden,  sie  hatten  sich  in  den  unrechten 
korb  geschoben. 

Die  Valentine  habe  ich  gelesen,  es  ist  mir  zuviel  hofleben  darin  und  der 
spitzbübische  dieuer  eine  sehr  gewagte  figur.  auf  Wörter  und  redensarten  habe  ich 
ein  äuge  gehabt,  doch  gar  nichts  fürs  Wörterbuch  darin  gefunden,  so  leicht  kommen 
selbst  gute  Schriftsteller  mit  dem  gewöhnlichen  aus. 

Schönste  grüsze 

Jac.  Gr. 

die  letzte  Tübinger  sendung  musz  allzulang  bei  Ihnen  oder  hier  bei  Gnast 
gelegen  haben,  ich  war  über  das  ausbleiben  des  Karlmeinet'  betroffen,  den  andere 
hier  2  wochen  früher  hatten,  und  schrieb  darum  hin.  jetzt  ist  er  da.  das  34.000 
versa  lange  gedieht  zog  mich  an  und  ich  habe  es  von  anfang  bis  zu  ende  genau 
durchlesen  und  ausgezogen,  wenn  nur  die  plagenden  kopfschmerzen  nicht  zu  oft 
einträten,  ich  bin  manchmal  ganz  angegriffen  davon. 

[dezember  1858] 

118.  Lieber  freund,  da  es  sich  nun  mit  dem  heft  bald  zu  ende  neigt,  so  kommt 
der  gefallen,  den  Sie  mir  thun  sollen,  vielmehr  wollen,  lassen  Sie  auf  des  gelben 
Umschlags  rückseite,  nicht  in  zwei  spalten,  sondern  in  breiten  zeilen,  die  beifolgende 
treffliche  erzählung*  drucken,  sie  zieht  an  sich  an,  enthält  aber  einen  wesentlichen, 
erst  später  von  mir  aufgefundnen  beitrag  zum  artikel  eh,  der  alle  leser  freuen 
wird,     ich  musz  aber  eine  correctur  davon  erhalten. 

[Postschwierigkeiten.] 

Leben  Sie  wol  und  vergnügt. 
18  dec.  [1858]  Jac.  Gr. 

man  kann  sich  nichts  naiveres  denken  als  das  Selbstgespräch  des  bettlers  und 
die  Schätzung  des  mantels. 

119.  Lieber  freund,  dem  correcturbogen  füge  ich  manuscript  401-500  hinzu  und 
danke  für  die  übersandten,  zierlich  gedruckten  bogen  der  neun  felsen '".  was  den 
Inhalt  anlangt,  so  Liest  man  solche  werke  und  weisz  nicht  was  man  gelesen  hat. 
der  von  Pfeifer  herausgegebne  meister  Eckhart®  ist  ungleich  günstiger  und  sprach- 

1)  Vollständigstes  Wörterbuch  der  deutschen  spräche,  Leipzig  1859—61. 

2)  Von  Gustav  Freytag. 

3)  Stuttgart  1858. 

4)  Kleinere  Schriften  8,  544. 

5)  Von  Merswin,  Leipzig  1859. 

6)  Leipzig  1857. 


254  r.ETTZMANN 

gewandter;  doch  selbst  aus  einer  so  seltsamen  Schreibung  wie  der  in  Schmidts 
handschrift  befolgten  läszt  sich  sprachlich  allerhand  lernen. 

Da  Ihr  letzter  brief  glücklicherweise  von  einer  krankheit  der  braut  nichts 
weiter  gedachte,  durfte  ich  schlieszen,  dasz  sie  gehoben  sei,  das  hat  mir  hernach 
auch  frau  Hirzcl  mündlich  bestätigt. 

Wie  hat  es  sich  denn  bei  Ihnen  über  Kindlebens  Studentenlexikon  ^  aufgeklärt? 
besinnen  Sie  sich,  dasz  ich  Ihnen  des  Candidus  Versetzung  nach  Odessa  "meldete  ? 
-auf  dem  nemlichen  blatt  meine  ich  Ihnen  auch  den  empfang  des  Kindleben  angezeigt 
zu  haben,  von  dem  Sie  zwei,  vielleicht  gleich  eingebundne  exemplare  erworben 
haben  mussten. 

[Anzeiger  16,  251.] 

Ihr 

Jac.  Grimm, 
donnerstag  abend  [1859]. 

120.  [Anzeiger  16,  248.]  selbst  Hoffmann  füllt  6  bände  und  Wurm,  falls  er,  was 
der  himmel  verhüte,  zum  ende  gelangt,  würde  nicht  mit  wenigem  ausreichen;  was 
sollen  die  greulichen,  das  buch  unlesbar  machenden  abkürzungen,  zusammen- 
ziehungen und  strichlein !    wie  edel  sieht  dagegen  unser  druck  aus.    [Anzeiger  ebenda.] 

Schönsten  grusz.     1  febr.  abends  11  uhr  [1859]. 
Jac.  Grimm. 

121.  folgt  manuscript  501-602. 

Berlin  22  febr.  1859. 

122.  Hinterher  fällt  mir  ein,  dasz  die  dem  spalte  296  eingeschalteten  einsiegel 
zugefügte  erklärung  von  emballage  und  einsiegeln  wahrscheinlich  falsch  ist.  Streichen 
Sie  sie  aus  und  setzen  blosz:  vermuthlich  nichts  .  .  . 

Das  achte  [der]  gegenwärtig  unter  presse  befindlichen  deutschen  Wörter- 
bücher ist  das  von  Gutzeit  in  Riga-,  dessen  verlag  Sie  früher  abgelehnt  haben, 
ein  sehr  fleisziges  und  willkommnes  werk. 

Schön,  dasz  Sie  in  der  nachdruckssache  der  märchen  uns  beraten  und  einen 
tüchtigen  advokaten  schaffen  wollen,  ich  weisz  nicht  wie  die  Leipziger  gesetze 
lauten,  aber  der  compilator  hat  über  dreiviertel  aus  unserm  buch  gestoleu  und 
dann  zur  versteckung  des  handeis  noch  einiges  anderwärts  entnommen,  meines 
erachtens  müste  Wigand  verurtheilt  werden,  den  ertrag  beider  ausgaben  heraus- 
zugeben und  zu  erstatten. 

Ihr 

Jac.  Gr. 

manuscript  liegt  fertig,  ich  kann  es  nächste  woche  absenden. 

[februar  1859?] 

123.  Lieber  freund, 

ich  danke  für  die  Fabier^  und  werde  sie  schon  lesen,  das  päckchen  enthielt  gute 
auszüge  von  Wolf  in  Stuttgart. 

1)  Halle  1781. 

2)  W^örterbuch  der  deutschen  spräche  Livlands,  Eiga  1859. 

3)  Von  Gustav  Freytag,  Leipzig  1859. 


AUSZÜGE   AUS   BRIEFEN    DER   BRÜDER   (iRIMM   AN   SALOMON    HIRZEL  255 

Von  Wurm  sollen  nun  2  und  3  heft  heraus  sein,  es  wäre  gut  gewesen, 
■wenc  mein  zweites  heft  sich  auch  zur  ostermesse  gezeigt  hätte,  doch  wirds  kaum 
möglich  sein,  der  setzer  ist  zu  langsam  gewesen,  das  schon  über  den  schlusz  des 
hefts  hinausreichende  manuscript  liegt  bereit. 

Ich  bin  begierig  darauf  was  Wigand  thun  wird,  die  nachdruckssache  mag 
ihn  doch  ärgern. 

[Anzeiger  17,  250.]  heute  war  das  wetter  so  schön  warm,  dasz  ich  eine 
stunde  lang  spazieren  gewesen  bin. 

[von  Hirzels  band:  22/4  59.] 

124.  Lieber  freund,  den  artikel  entalinen  möcht  ich  nicht  gern  tilgen,  es  kam 
darauf  [an]  in  einem  guten  beispiel  zu  zeigen,  wie  man  verha  mit  ent  und  eigen- 
namen  bildet,  im  gegensatz  zu  heliebreichen,  hejunkern  1,  1203.  wer  auf  derselben 
Seite  spalte  489,  4).  entalinen  bereits  gelesen  hat,  wird  an  kein  kleidungsstück 
denken,  im  gründe  legt  Aline  nicht  blosz  die  Verkleidung  in  Aline  ab,  sondern 
entalint  sich  selbst  wieder  durch  ein  andres  kleid,  denn  sie  ist  ja  eigentlich  Aline. 
ich  meine  also  wir  können  alles  jetzt  so  lassen  wie  es  steht,  ohne  schaden,  freue 
mich  aber  Ihrer  steten  aufmerksamkeit. 

[Anzeiger  16,  249.] 

17  juni  1859  Jac.  Gr. 

125.  Lieber  freund, 

hierbei  sende  ich  Ihnen  manuscript  835—928,  das  durch  eingelegte  zettel  ein  wenig 
kraus  geworden  ist,  doch  sind  alle  bezüge  genau  und  der  setzer  wird  sich  schon 
darein  finden,  der  leidige  krieg  macht  einen  unruhig  und  entrichtet,  wie  es  im 
letzten  wort  heiszt,  die  gedanken. 

[Anzeiger  16,  251.]  man  hört  ja  gar  nichts  über  die  läge  des  Wigandschen 
processes.    , 

Lehen  Sie  wol  und  so  glücklich  als  es  jetzt  angeht. 

mittwoch  [1859].  Ihr  Jac.  Gr. 

126.  [Anzeiger  16,  250.] 

Hierbei  sende  ich  p.  1091—1106,  damit  wenigstens  böge  42  ausgedruckt 
werden  kann,  das  manuscript  zu  den  drei  letzten  bogen  folgt  absobald  es  mir 
möglich  ist.  Ihr 

Jac.  Gr. 
22  oct.  59. 

ich  sehe  der  Sanders  läszt  auf  seinen  umschlagen  allerhand  aufsätze  über  sein 
machwerk  drucken,  wäre  unsre  critik  nicht  so  trag  und  faul,  so  hätte  ihm  einer 
längst  das  maul  gestopft  und  schlagend  nachgewiesen,  dasz  in  seinem  verworrenen 
buch  sich  kein  leser,  auch  kein  praktischer  herausfinden  kann  und  dasz  er  überall 
grobe  fehler  macht.  Sollen  wir  das  alles  ruhig  hingehen  lassen  ?  ich  kann  zu  dem 
Wörterbuch  selbst  nicht  auch  vecensionen  abfassen,  falls  ich  es  wollte  und  dürfte. 
was  die  Cölner  zeitung  vorbrachte,  war  alles  ungenügend  und  unnütz. 

127.  Lieber  freund,  es  ist  mir  von  unsrer  academie  auferlegt  worden  eine  rede 
auf  Schiller  zu  halten,  was  mir  leid  thut,  weil  es  doch  muhe  macht,  schreiben  Sie 
mir  doch  umgehend,  wann  das  privileg  von  Cotta  auf  Schillers  und  Göthes  verlag 

-erlischt?    wie  viel  jähre  nach  dem  tod  der  dichter  sollte  es  währen?  und  ist  nicht 

ZEITSCHRIFT  F.  DEUTSCHE  PHILOLOGIE.    BD.  L.  18 


256  LEITZMANN 

schou  einmal   erstreckung    eingetreten?  ob    Cotta    für    gegenwärtige  Schillerfeier^ 

die  ihm  offenbar  sehr  groszen  vortheil  bringt,  irgend  etwas  seinerseits  geleistet 
oder  zu  leisten  verheiszen  hat? 

Sonnabend  29  oct.  [1859].  '                                   Gr. 

128.  Hier  folgt,  lieber  freund,  meine  rede  *,  zugleich  mit  der  plage  sieben  andere 
exeraplare  an  Hildebrand,  Möbius  abgeben  und  nach  Dresden  und  der  Schweiz  be- 
sorgen zu  lassen,  es  eilt  ja  damit  nicht  und  kann  zugleich  mit  dem  nächsten  heft 
des  Wörterbuchs  geschehen,  in  Dresden  und  Stuttgart  wird  die  rede  übel  vermerkt 
werden,  ich  bin  aber  ein  alter,  unabhängiger  mann,  der  kein  blatt  vor  den  mund 
zu  nehmen  nöthig  und  sich  einmal  herausgenommen  hat,  dem  buchhändler  pabst 
die  Wahrheit  zu  sagen,  dank  für  die  mir  mitgetheilten  nachrichten,  Sie  werden  sie 
wörtlich  gebraucht  finden. 

In  Ihrem  exemplar  liegt  fortsetzung  des  manuscripts  1179—1202.  bereits- 
vor  einigen  tagen  werden  Sie  1161—1178  empfangen  haben,  sodass  nun  der  zu 
vollendenden  lieferung  nichts  im  wege  steht,  die  beiden  correcturen  des  bogens  45 
erwarte  ich  die  nächste  woche,  denn  heute  über  acht  tage  reise  ich  nach  Hamburg 
zu  einem  lappenbergischen  ^  Jubiläum,  werde  aber  schnell  heimkehren. 

26  nov.  1859.  Ihr  Jac.  Gr. 

ich  war  fast  zu  erb  geworden,  gerathe  aber  nun  in  erd. 

die  Cölner  nimmt  sich  der  Schillerstiftung  an!  aus  dem  gründe  weil  sie  sich' 
einbildet  H.  Kleist  sei  durch  noth  und  armut  untergegangen,  jetzt  ist  zuviel 
geld  gesammelt  worden  und  sie  werden  nicht  wissen  was  damit  zu  machen. 

129.  [Anzeiger  17,  252.]  meine  rede  wird  schon  in  zweiter  aufläge  gedruckt,  ia 
kleinerem  format.     die  letzte  correctur  folgt  hierbei  zurück. 

Ihr  Jac.  Gr. 

2  decemb.  [1859]. 

130.  [Anzeiger  16,  251.] 

Ich  danke  Ihnen,  lieber  Hirzel,  für  die  meinem  geburtstag  zur  ehre  heraus- 
gegebnen briefe  von  Göthes  eitern'.  Ihre  samlungen,  glaube  ich,  sind  uner- 
schöpflich, bei  diesem  anlasz  erfuhr  ich,  dasz  professor  von  Henning*  hier  neun 
oder  zehn  ungedruckte,  längere  briefe  von  Göthe  besitzt,  die  sich  sehr  interessant 
über  die  farbenlehre  verbreiten,  er  gibt  nur  stellen  daraus  her  zum  besten,  soll 
aber  neulich  seinem  söhn  geäuszert  haben,  nach  seinem  abieben  könne  er  ein  paar 
louisdor  dafür  erlangen. 

Auch  habe  ich  noch  nicht  für  Freytags  bilder  ^  gedankt,  das  ist  ein  an- 
ziehendes, unterhaltendes  buch,  mir  waren  freilich  die  meisten  zum  gründe  gelegten 
aufsätze  bereits  bekannt,  doch  hat  auch  die-  nebeneinanderstellung,  und  was  sich 
daran  von  betrachtungen  anknüpft,  seinen  werth. 

1)  Kleinere  Schriften  1,  375. 

2)  Johann  Martin  Lappenberg  (1794—1865),  archivar  in  Hamburg. 

3)  Zwölf  briefe  von  Goethes  eitern  an  Lavater,  als  raanuskript  für  freunde 
zur  feier  des  4.  januar  1860  in  druck  gegeben. 

4)  Leopold  Dorotheus  Henning  (gen.  von  Schönhoff,  1791—1866),  professor 
der  Philosophie  in  Berlin,  anhänger  der  Goetheschen  farbenlehre. 

b)  Bilder  aus  der  deutschen  Vergangenheit,  Leipzig  1859. 


AUSZÜGE   AUS   BRIEFEN   DEU   HRÜDER    GRIMM   AN    SALOMON    fllRZEI^  257 

Lieber  Hirzel,  Wilhelm  hat  eine  zweite  ausgäbe  des  Freidank  *  fertig  hinter- 
lassen, die  aber  nur  text,  lesarten  und  reimregister  enthalten  soll,  so  dasz  ein- 
leitung  und  anmerkungen  zum  text  diesmal  wegbleiben,  da  noch  exemplare  der 
ersten  ausgäbe  vorhanden  sind.  Dieterich  soll  daher  diese  zweite  ausgäbe  gratis 
erhalten,  550  exemplare  in  Leipzig,  im  format  und  mit  den  lettern  von  Haupts 
Neidhart*,  drucken  lassen,  [dr.  Hildebrand  soll  ersucht  werden  die  korrektur  zu 
übernehmen.] 

Dieterich  ist  einverstanden  und  ich  werde  ihm  das  manuscript  zugehen  lassen, 
hätten  Sie  wol  die  gute  bei  Hildebrand  anzufragen?  und  falls  ers  nicht  abschlägt, 
nach  den  bedingungen  sich  zu  erkundigen?  diese  correctur  ist  allerdings  mühsam, 
doch  Wilhelms  bandschrift  sauber  und  Hildebrand  geläufig,  ich  will  dann  an 
Schlemmer  das  nähere  melden,  ich  selbst  kann  auf  correctur  und  durchsieht  der- 
selben keinen  einflusz  haben,  aus  mangel  an  zeit  und  weil  es  mich  zu  sehr  bewegt 
und  angreift. 

[Anzeiger  16,  252  (lies  'noch  nicht  wieder').] 

Mommsen  meinte  dieser  tage  Ihr  söhn  Heinrich  stehe  auf  dem  sprung  seine 
reise  nach  England  anzutreten,  ich  wünsche  ihm  glück  und  heil. 

Unveränderlich  Ihr  Jacob  Grimm. 

12  Jan.  1860. 

131.  Lieber  freund,  es  thut  mir  leid  dasz  Ihnen  die  titel  [der  im  zweiten  band 
ausgezogenen  quellen]  so  viel  mühe  machen,  ich  bekomme  doch  eine  revision  davon 
zu  gesiebt?     [Zitat  von  J.  Fr.  von  Tröltsch.] 

[Anzeiger  17,  252.] 

6  febr.  1860.  '  Ihr  Jac.  Gr. 

132.  Lieber  freund, 

mir  war  unbekannt,  dasz  Seideraann*  je  einen  beitrag  zum  Wörterbuch  geliefert 
und  meinen  bruder  zu  Pillnitz  besucht  hat ;  seinen  letzten  band  von  Luthers  briefen 
besitze  und  brauche  ich.  auch  Hildebrand  habe  ich,  wie  Sie  wünschen,  nun  aus- 
drücklich erwähnt,  in  meinen  gedanken  erstreckte  sich  das  zu  band  1  gesagte  von 
selbst  auf  die  fortsetzungen.  dagegen  finde  ich  jetzt  keinen  platz  von  Tobler*  zu 
sprechen,  der  seit  vielen  jähren  nichts  mehr  von  sich  hören  läszt,  es  kann  besser 
ein  andermal  geschehen,  das  queUenverzeichnis  meine  ich  beginnt  besser  auf  der 
rückaeite  des  zweiten  blattes  der  vorrede. 

[Frage  nach  der  ersten  ausgäbe  und  dem  Verfasser  der  Gestriegelten  rocken- 
philosophie.]     es  ist  ein  dummes,  doch  für  aberglauben  und  spräche  nicht  unebnes  buch. 

18  febr.  [1860]  Jac.  Grimm. 

133.  Lieber  Hirzel, 

heute  thue  ich  eine  Ihrer  würdigere  frage  als  meine  letzte  war.  bei  Göthe  kommt 
irgendwo   vor,   was   ich   zu   meiner   abhandlung  über   das  altera  brauche  und  jetzt 

1)  Göttingen  1860. 

2)  Leipzig  1858. 

3)  Johann  Karl  Seidemann  (1807—79),  pfarrer  in  Eschdorf,  der  begründer  der 
modernen  Lutberforschung. 

4)  Ludwig  Tobler  (1827—95),  privatdozent  in  Bern,  dann  professor  in  Zürich. 

5)  Kleinere  Schriften  1,  189. 

18* 


258  I.EITZMANN 

durchaus  nicht  wiederfinden  kann,  die  aus  einem  französischen  schriftsteiler  ent- 
nommne  und  in  einer  recension  ?  oder  sonst  angeführte  äuszerung,  dasz  im  alter 
wieder  eine  neue  Jugend  anfange  und  ähnliches  mehr  darüber. 

Entsinnen  Sie  sich  das  gelesen  zu  haben  und  in  welchem  bände  findet  es  sich? 

Jac.  Gr.  21  febr.  [1860] 

ich  arbeite  an  dem  raanuscript  worauf  der  setzer  wartet. 

134.  Hierbei  folgt  endlich  manuscript  1208—50.  die  beiden  bUcher,  rockenphilo- 
sophie  und  Levves'  werde  ich  nächstens  wiederschicken. 

Der  autor  der  rockenphilosophie  musz  aus  Thüringen  stammen  und  vermutlich 
zu  Arnstadt  in  dem  letzten  drittel  des  17.  Jahrhunderts  gelebt  haben,  zuletzt  kam 
er  nach  Obersachsen  und  starb  wahrscheinlich  da,  vielleicht  zu  Chemnitz,  für 
Thüringen  zeugen  besonders  3,  .49  und  4,  29. 

Humboldts  briefe  an  Varnhagen  ^  und  dessen  eingemischtes  tagebuch  machen 
grosses  aufsehn. 

Jac.  Gr.  25  febr.  [1860J 

135.  Lieber  freund, 

der  titel  scheint  mir  unrichtig,  es  sollte  stehen: 

biermörder— dwatsch. 
im  quellenverzeichnis  sind  unangenehm   die   druckfehler  Haszmann  und  Zorndorfer. 
es  fehlt  S  er iver,  Christian,  Seelenschatz,  vierte  aufläge  Leipzig  1708.  2  bände 
folio,     bei   Otho   Kraukentrost   sollte   stehn   nach  der  ausgäbe  Nürnberg  1722.     die 
erste  ausgäbe  erschien  1664  (1671  wird  die  zweite  sein). 

ich  hätte  mir  sagen  sollen,  dasz  die  ausgäbe  [von  Goethe]  von  1840  dinge 
enthält,  die  sich  in  [einer  ausgäbe]  von  60  bänden  schwer  nachweisen  lassen,  z.  b. 
band  3  s.  201  die  stellen  über  die  alten 

s.  252  über  das  alter,     [am  rande  Hirzels  nachweise  49,  84.   56,  139.] 
wie  viel  mühe  mache  ich  Ihnen,  Sie  können  aber  alles  unbeachtet  lassen. 

Sonnabend  abend  [1860] 

Gr. 

136.  [Auf  eine  'ehrerbietige  anfrage'  Hirzels,  ob  3,  780  noch  erdschlipf  hinzugefügt 
werden  könne,  mit  der  begründung:  'es  ist  ein  in  der  Schweiz  verbreitetes  wort, 
weil  erdschlipfe  sehr  häufig  vorkommen',  schrieb  Jacob  auf  demselben  blatt  unter 
Hirzels  nicht  ausgedruckten  beleg:] 

ich  habe  nichts  dagegen,  wenn  es  der  setzer  noch  hineinbringt,  es  ist  gleich- 
viel mit  erdlaue  und  erdrutsch. 

Was  will  denn  Dahlmann  mit  seinem  tadel  des  artikels  erbkönigtum?  (s. 
Rudolfs  beiliegenden  brief),  es  steht  ja  in  correcturbogen  und  abdruck  kein  wort 
von  Hohenstaufen,  und  auf  fr.  rev.  s.  4  würde  weder  HohenzoUern  noch  Hohen- 
staufen  passen. 

übrigens  sind  seit  ende  november  vorigen  jahres  bis  auf  heute  von  Wörter- 
buch 3  nicht  mehr  als  fünf  bogen  gesetzt  worden,  was  auf  jeden  monat  einen 
bogen  bringt. 

Bitte  die  einlage  abzugeben.  Jac.  Gr. 

14  april  [1860]. 

1)  Goethes  leben  und  werke,  Berlin  1857—58. 

2)  Leipzig  1860. 


AUSZÜGE   AUS   BRIEFEN   DER   BRÜDER   GRIMM   AN   SALOMON    HIRZEL  259 

137.  hierbei  manuscript  1351—1450. 

22  apr.  [1860]    Gr. 

138.  eben  bekomme  ich  ein  hübsches  buch,  Hebel  von  Friedrich  Becker.  Basel  1860 
mit  95  bisher  ungedruckten  briefen  Hebels  und  mit  angenehmen  bildern.     Jac.  Gr. 

11  mai  1860. 

139.  Lieber  freund, 

ich  danke  für  das  mir  durch  Ihren  Schwiegersohn  richtig  übermachte  honorar.  da 
jetzt  rascher  gesetzt  wird,  füge  ich  der  heutigen  correctur  manuscript  1451—1550 
bei,  die  nächste  sendung  wird  dann  das  heft  vollmachen. 

die  einschlagbänder  sind  alle.  Ihr  Jac.  Grimm 

20.  mai  1860. 

schon  einmal  mündlich  berührte  ich  die  von  Franz  Sandvoss  (hier  zu  Berlin. 
.Jüdenstrasse  7)  für  das  Wörterbuch  gelieferten  sehr  brauchbaren  auszüge,  die  er 
fortzusetzen  bereit  ist.  ich  wünsche  deshalb,  dasz  ihm  vorläufig  zwanzig  thaler, 
die  dann  gewöhnlichermaszen  verrechnet  werden,  zugi engen,  das  nach  Paris  an 
Dollfus  gesandte  exemplar  der  beiden  ersten  bände  ist  wahrscheinlich  jetzt  schon 
in  dessen  bänden. 

140.  Berlin  7  juni  1860. 

Lieber  freund,  es  ist  bestimmt  worden,  dasz  ich  in  vier  wochen  nach  der  Schweiz 
reisen  soll,  um  meine  gesundheit  zu  stärken.  Da  vom  nächsten  heft  noch  fünf  bogen 
fehlen,  so  müste  in  der  druckerei  Vorkehrung  getroffen  werden,  den  satz  und  die 
correctur  noch  bis  dahin  fertig  zu  bringen,  wenn  dadurch  nicht  ein  aufschub  des 
hefts  für  mehrere  monate  entspringen  sollte,  das  noch  mangelnde  manuscript 
liegt  bereit. 

[Postschwierigkeiten.] 
'     Ihre  frau  hat  uns  noch  nicht  besucht,    wenn  wir  nach  Ihrer  Schwiegermutter 
fragen  lassen,  so  heiszt  es  dasz  die  schwäche  foitdaure,  doch  keine  Verschlimmerung 
eingetreten  sei.  Jac.  Gr. 

141.  Lieber  freund, 

schönsten  dank  für  das  reisebüchlein  in  die  Schweiz.  [Anzeiger  16,  253.]  man  hat 
jetzt  in  Stockholm  den  schlusz  drucken  laszen,  der  19  '/a  thaler  kostet,  die  ich 
dennoch  darauf  wende. 

Ihr  Jac.  Gr. 
25  juni  [1860]. 

142.  Lieber  freund, 

statt  nach  der  Schweiz  geht  es  nun  nach  Ems,  welch  ein  niederschlag!  das  elende 
schwankende  wetter   hat   noch  dazu  aufgehalten  und  verdirbt  vielleicht  noch  alles. 

Vorher  sende  ich  Ihnen  noch  allen  meinen  vorrath,  p.  1639—1670  und  füge 
F  Zettel  bei,  die  der  ordner  wol  noch  einschalten  kann,  auch  ein  paar  K  zettel  für 
Hildebrand. 

Leben  Sie  wol,  ich  bin  etwas  unsicher  an  mir  geworden. 

20  aug.  1860.  Ihr  Jac.  Grimm. 


260  LEITZMANN 

143.  [Anzeiger  16,  253  (lies  'weisz  geschleierten  bäuerinnen',  'heimreise  rathsam', 
'kleineren'  'Scherfers').]  Dahlmann  war  zur  zeit  der  abreise  noch  nicht  zurück, 
sollte  aber  in  den  nächsten  tagen  anlangen. 

[Anzeiger  ebenda.]  Lassen  Sie  mir  was  unterdessen  gesetzt  wurde  allmälich 
zugehen. 

[Anzeiger  ebenda.] 

Wie  liegt  denn  der  unselige  märchenprocess  ?  wird  denn  das  gericht  keinen 
Spruch  finden?  ich  erlebe  das  ende  des  handeis  vielleicht  ebensowenig  als  Wilhelm, 
ist  Zarnke  nach  Leipzig  zurück?  Ihr  Jac,  Grimm. 

18  sept.  1860. 

144.  Ihr  heutiges  telegramm  lief  nach  neun  minuten  ein,  wir  alle  dachten,  Wigand 
sei  nun  verurtheilt  worden,  sein  termin  scheint  von  neuem  aufgeschoben. 

Schon  vor  eilf  uhr  heute  morgen  hatte  ich  die  zweite  correctur,  die  mich 
sehr  geplagt  hat,  abgesandt,  der  setzer  oder  Hildebrands  einsieht  mag  nun  heraus- 
bringen, wie  sich  beide  correcturen  einigen  lassen,  denn  es  wäre  doch  übel,  wenn 
sie  mir  noch  einmal  zugehen  müsten.  Wir  lernen  täglich  unsere  erfahrungen 
erweitern,     besten  grusz  und  dank  für  alle  mühe  und  sorge. 

Jac.  Gr.     in  eile 

[Anzeiger  17,  252] 

[1860.] 

145.  Lieber  freund,  ich  lege  den  letzten  correcturbogen  manuscript  1671—1724 
hinzu,  diese  bogen  haben  mir  mühe  gemacht  und  werden  dem  setzer  noch  gröszere 
machen,  das  rührt  daher,  dasz  ich  mit  dem  manuscript  vor  meiner  reise  gedrängt 
wurde  und  nicht  alles  ordentlich  eintragen  konnte,  was  ich  nun  nachzuholen  suche. 

Eine  beilage  von  Gustchen  werden  sie  finden. 

Ein  herr  Blessig,  dessen  ritornelle '  Sie  verlegt  haben,  scheint  die  neusten 
hier  einschlägigen  bücher  gar  nicht  gekannt  zu  haben. 

Das  verschleppen  des  processes  ist  freilich  befremdlich,  ich  begreife  kaum, 
dasz  unser  Sachwalter,  der  anfangs  so  guten  mut  hatte,  unterlassen  hat  den  gang 
der  Verhandlung  zu  betreiben,  da  ihm  doch  selbst  an  seinem  honorar  und  an  den 
kosten  liegen  müste. 

30  sept.  1860.  '  Jac.  Gr. 

146.  Lieber  freund 

ich  gebe  der  heutigen  correctur  neues  manuscript  1725—1780  mit  und  bin  froh 
aus  dem  erz  erlöst  zu  sein,  obschon  ich  in  das  sehr  häcklige  es  gerathe. 

Sein  Sie  ja  nicht  böse  so  mit  dem  fatalen  märchenprocess  geplagt  zu  werden, 
der  Sie  eigentlich  nichts  angeht,  gestern  stack  ich  so  im  Wörterbuch,  dasz  ich 
Hermann  bat  einige  zeilen  an  Sie  zu  richten.  Wir  haben  nemUch  bedacht,  dasz 
uns  sehr  daran  liegt.  Brunners  manualacten  einzusehen,  ehe  die  appellation  ein- 
gereicht wird,  ich  gestehe,  seine  briefe  und  äuszerungen  flöszen  mistrauen  in 
seine  behandlung  der  sache  ein,  ich  fürchte  er  hat  eine  matte,  schwache  klage 
und  replik  übergeben  und  nicht  alles  nöthige  gewahrt.  Wie  kam  es  überhaupt, 
dasz  er  von  anfang  an  uns  nie  das  geringste  mittheilte,  weder  seine  klag- 

1)  Römische  ritornelle,    Leipzig  1860. 


AUSZÜGE   AUS   BRIEFEN   DER   BRÜDER   GRIMM   AN   SALOMON   HIRZEL  261 

achrift  noch  des  beklagten  antwort,  noch  seine  erwiderung  ?  ich  hätte  wahrscheiulich 
einiges  zu  rathen  und  anzugeben  vermocht,  appellieren  wir  jetzt,  so  kann  der 
oberrichter  wieder  zurückweisen  was  in  der  klage  selbst  unausgeführt  blieb, 
an  welches  gericht  wird  dann  appelliert?  an  ein  anderes  zu  Leipzig?  oder  nach 
Dresden?  es  soll  nach  einsieht  der  acten  hier  gleich  alles  beschlossen  und  besorgt 
werden,  dasz  die  appellation  noch  zu  rechter  zeit  erfolgen  kann. 

Nr  41  der  grenzboten  soll  eine  beurtheilung  des  Wörterbuchs  stehen,  ich 
bekomme  die  Zeitschrift  nicht  zu  gesiebt;  [bittet  ihm  das  heft  zu  schicken.] 

[1860.]  Grüsze  Jac.  Gr. 

147.  Lieber  freund,  schon  in  diesen  tagen  sollte  Ihnen  neues  manuscript  zugehn, 
der  artikel  es  ist  aber  einer  der  schwersten  im  ganzen  Wörterbuch  und  ich  musz 
«iniges  umschreiben,  bedarf  aber  nochmals  dazu  die  zufrühe  von  mir  gegebne 
pag.  1779.  1780.  sein  Sie  so  gut  mir  das  blatt  zu  schicken,  ich  bedauere  den 
kleinen  aufschub. 

Ich  habe  noch  mehr  zu  bitten. 

Der  Sandvoss  hat  mir  verschiedentlich  wieder  mehrere  brauchbare  auszüge 
geliefert  und  es  liegt  ihm,  wie  einlage  zeigt,  an  neuem  honorar.  ich  weise  ihm 
also  nochmals  25  thaler  an,  will  ihn  aber  bitten  nun  eiuzuhaltßn,  denn  es  wird 
nachgerade  des  materials  allzuviel,  so  dasz  es  sich  nicht  bezwingeu  läszt. 

Besinnen  Sie  sich  darauf  wo  der  vers  steht : 

leisaufzehenkoinmtsgeschlichen? 

in  den  letzten  heften  der  Leipziger  gesellsehaft  findet  sich  ein  auszug  eines 
orientalischen  Sagenbuches',  den  ich  gern  haben  möchte,  professor  Brockhaus* 
hat  ihn  gemacht,     könnten  Sie  das  heft  entbehren  ? 

wo  hat  Göthe  gesagt:  es  hat  sich  ausgegnädigt?  das  wort  fehlt  uns, 
weil  es  von  Klee  übersehen  wurde,     ich  kanns  eben  noch  unterbringen. 

Ich  musz  auch  wieder  etwas  akademisches  liefern. 
Unter  herzlichen  grüszen 

donuerstag  15  nov.  [1860]  Jac.  Gr. 

148.  Lieber  freund,  ja,  das  citat  aus  Göthe  30,  107  zu  erziehen  3  ist  sehr  passend, 
und  ich  bitte  es  einzuschalten,     auch  die  worte 

der  heutigen  Schriftsprache  abhanden 
zu  streichen. 

ich  danke  Ihnen  immer  im  stillen  für  Ihre  viele  mühe,  jetzt  einmal  ausdrücklich 
für  das  heft  der  sächsischen  berichte  und  für  Mörikofer^  der  mir  etwas  zu  weit- 
läuftig  schreibt,  die  Verhältnisse  Bodraers  und  Klopstocks  untereinander  machen  uns 
heute  langeweile.  über  Breitinger  hätte  ich  lieber  etwas  ausführlicheres  gehabt. 
Meyers  von  Knonau  fabeln  habe  ich  nie  gesehen,  da  Sie  ohne  zweifei  das  buch 
besitzen,  leihen  Sie  mirs  gelegentlich  wol  einmal. 

Geben  Sie  Scheuchenstuel  und  Gätzschmann  an  Hildebrand,  der  sich  die  K 
darin  näher  ansehen  mag.  ist  denn  der  Freidank  bald  fertig  gedruckt?  auch  einen 
brief  au  Härtel  lege  ich  bei. 

1)  Von  Somadewa'  (12,  101.  13,  203). 

2)  Hermann  Brockhaus  (1806—77),  professor  der  orientalischen  philologie  ia 
Leipzig. 

3)  Die  schweizerische  literatur  im  18.  Jahrhundert,  Leipzig  1861. 


262  LEITZMANN 

mich  ärgert,  dasz  ich  mit  dem  manuscript  in  rückstand  bin,  ich  werde  aber 
gerade  von  mehr  als  einer  seite  bestürmt. 

Ihr  Jac.  Or. 

23  nov.  [1860] 

149.     Lieber  freund, 

Das  jähr  soll  nicht  zu  ende  gehn  ohne  manuscriptsendung,  hierbei  1779—1833. 
ich  danke  für  das  schöne  bild,  das  mich  mahnen  und  warnen  soll.-  von  Wilhelms 
Freidank  Avaren  mir  50  exemplare  zugegangen,  was  mich  in  briefschreiben  stürzt, 
ich  lege  auch  eins  für  Sie  bei.  beschwert  es  Sie,  wenn  ich  bitte  fünf  exemplare 
nach  Basel  und  Zürich  andern  Ihren  Sendungen  beizulegen?  die  tage  schon  vor 
Weihnachten  bis  neujahr  und  zu  meinem  geburtstage  sind  immer  unruhige  für  mich. 

28  dec.  1860.  Ihr  Jac.  Gr. 

1.50.  Lieber  freund,  ich  wollte  erst  das  ganze  manuscript  zum  E  schicken  und  es 
fehlen  nur  ein  paar  blätter.  um  doch  den  setzer  nicht  warten  zu  lassen  folgen 
hierbei  p.  1879—1914:  und  der  rest  folgt  noch  diese  woche  nach,  ich  hätte  beim 
beginn  des  buchstabs  nicht  gedacht,  dasz  ich  über  1900  selten  von  ihm  anfüllen  müste. 
5  febr.  [1861]  Gr. 

151.  Die  stelle  aus  Scheuchzer  ist  gut  anzuführen,  es  kann  aber  erst  nach  langer 
zeit  von  meinem  nachfolger,  unter  W,  geschehen.  Jetzt  bleibt  höchstens  zu  erstellen 
noch  zu  bemerken: 

8.  wiedererstellen  .  .  . 
[1861.] 

152.  [Anzeiger  17,  253.] 

Hierbei  schicke  ich  den  schlusz  des  E,  welcher  meiner  ansieht  nach  den 
bogen  75  fast  ausfüllt.  Lassen  Sie  den  setzer  berechnen,  wie  viel  jetzt  noch  leer 
bleibt,  damit  ich  noch  einige  spalten  aus  dem  F  nachliefere. 

Legen  Sie  sich  nicht  wieder  zu  bette,  sondern  halten  sich  aufrecht. 

15  febr.  1861.  Ihr  Jac.  Grimm.   ■ 

153.  Berlin  23  merz  1861. 
Lieber  Hirzel,   ich   habe  schon  eine  woche  lang  nicht  dazu  kommen  können, 

Ihnen  zu  schreiben,  das  heft  ist  nun  fertig  geworden,  meine  kunst  hat  aber  nicht 
zugetroffen,  dasz  ich  den  buchstab  E  rein  damit  abschlieszen  wollte,  da  noch  ein 
halber  bogen  übrig  blieb.  [Anzeiger  17,  255.]  mit  dem  anrückenden  sommer  geht 
hier  meine  plage  an,  dasz  sie  mich  in  ein  bad  schicken  wollen,  wozu  ich  nicht  die 
geringste  lusi  habe,  zumal  nach  den  Übeln  erfahrungen  des  vorigen  jahrs.  [An- 
zeiger ebenda.] 

Der  Gödeke  wird  wahrscheinlich  keine  recension  zu  stände  bringen,  er  ist 
nicht  Sprachkenner  genug  und  ich  glaube,  so  freundschaftlich  er  gesinnt  ist,  er 
befindet  sich  in  Verlegenheit,  fordern  Sie  also  die  ihm  gesandten  bücher  mit  guter 
art  zurück. 

Über  Ihre  Bonner  reise  lassen  Sie  sich  gar  nicht  aus,  ich  hätte  gern  ver- 
nommen, ob  sich  von  Dahlmann  '  druckfertige  manuscripte  vorgefunden  haben,    der 

1)  Der  am  6.  dezember  1860  gestorben  war. 


AUSZÜGE   AUS   BRIEFEN    DER    BRÜDER   GRIMM   AN   SALOMON    HIRZEL  263^ 

catalog  seiner  bibliothek  ist  mir  dieser  tage  zugelangt,  er  enthält  weniges  von 
bedeutuug  und  Seltenheit. 

Es  hiesz  Sie  seien  zur  hochzeit  Ihrer  nichte  hier,  wenn  auch  ganz  flüchtige 
gewesen,     ich  glaube  es  nicht. 

Ihr  Jac.  Grimm. 

154.  30  merz  1861. 
[Anzeiger    16,   257.]  .  .  .  weisthümer   übernommen,    wie   in   den    öffentlichen 

bekanntmachungen  enthalten  ist,  ich  dachte  einen  jungen  mann  zu  gewinnen,  der 
groszentheils  für  mich  einträte,  aber  niemand  ist  da,  der  mir  genau  zusagt, 
Schlemmer  will  den  druck  in  Leipzig  veranstalten,  hoffeutlich  versagt  Hildebrand 
nicht  seine  hülfe  bei  der  correctur,  ich  habe  ihn  noch  nicht  darum  angegangen 
(fragen  Sie  ihn  doch  einmal),  das  manuscript  liegt  schon  bereit  und  bedarf  nur 
mäszige  bearbeitung;  sobald  die  sache  in  gang  kommt,  früher  nicht,  kann  ich 
absehen,  wie  viel  zeit  und  räum  mir  bleibt,  alles  soll  dann  dem  Wörterbuch  zu- 
gewandt werden.  [Anzeiger  ebenda.]  Wann  nun  manuscript  zum  F  erfolgen  wird, 
läszt  sich  nicht  voraus  bestimmen,  im  april  kann  der  setzer  anderes  vornehmen, 
hernach  werde  ich  plötzlich  kommen.  Viele  grüsze  und  erfreuen  Sie  mich  doch 
gelegentlich  mit  der  Photographie  von  Ihrer  frau,  die  zu  der  von  Ihnen  in  meine 
samlung  gehört. 

Ihr  Jacob  Grimm. 
[Anzeiger  ebenda.] 

155.  Ich  danke  schönstens  für  die  bilder,  beide  sind  ähnlich,  die  Stellung  hätte 
nur  mehr  geändert  werden  sollen. 

Hermann  wird  Ihnen  seine  Vorlesung  gesandt  haben,  wenn  Sie  bald  her- 
kommen, können  Sie  bei  ihm  einige  zwanzig  Originalbriefe  Göthes  an  die  Laroche 
einsehen,  die  später  auch  ausgestellt  werden  sollen,  ich  schreibe  auch  an  den  könig 
von  Baiern,  dasz  er  uns  Stielers  porträt  von  Göthe  leiht. 

Mir  ist  unwahrscheinlich,  dasz  Göthe  alle  römische  elegien  erst  in  Weimar 
und  auf  die  Vulpius  gemacht  haben  solle. 

Ins  letzte  heft  ist  eine  kleinigkeit  nicht  gekommen,  weil  ich  unterlassen 
hatte  Sie  um  auskunft  zu  fragen,  gegen  den  schlusz  des  17  Jahrhunderts  und  im 
anfang  des  18  war  sehr  üblich,  namentlich  in  Leipzig,  dasz  die  Verleger  auf  die 
titel  ihrer  bücher  setzten : 

verlegts  N.  N. 
diuckts  N.  N. 
statt   des   gewöhnlichen   bei,   wol   nach   dem  lateinischen  typis  expressit,  excudebat. 
wann  hat  das  genau  angefangen  und  aufgehört? 

Hildebrand  soll  von  mir  ein  exemplar  der  drei  ersten  bände  weisthümer 
erhalten,  wer  sagte  mir  doch  neulich,  durch  Stallbaums*  tod  habe  sich  seine  äuszere 
Stellung  verbessert? 

11  apr.  [1861]  Ihr  Gr. 

156.  L.  H. 

hierbei  1955-'-76.  die  nachricht  aus  Koblenz  und  Ihre  zerstörte  frohe  hofnung  hat 
mich  betrübt,    vorigen  dienstag  ist  zu  Linz  Hermann  Dahlmanns  neugeborner  söhn 

1)  Johann  Gottfried  Stallbaum  (1793—1861),  rektor  der  Thoinasschule  in  Leipzig. 


•264  T.EITZMANN 

unter  dem  namen  Christoph  getauft  worden  und  ich  bin  neben  Gervinus,  Reyscher 
und  der  Bluhme  gevatter  gewesen. 

Heute  zuerst  bricht  endlich  der  mai  ein.  die  GötheausstelJung  soll  den  15  be- 
ginnen, könig  Ludwig  hat  meinem  gesuch  willfahrt  und  das  schöne  bild  von  Stieler 
geschickt,  es  sind  auch  andere  von  Weimar  eingegangen  und  eins  von  Cotta.  das 
alles  wird  reichhaltigen  eindruck  machen.  Wann  Sie  zu  Moriz  Reimers  hochzeit 
herkommen,  müssen  Sie  auch  die  ausstellung  gründlich  besuchen,  in  diesem  augen- 
blick  läuft  ein  brief  Göthes  an  gräfin  Fritsch  aus  Teplitz  1813  ein. 

•     [auf  der  rückseite:  Mai  1861.]  Ihr  Gr. 

157.  Es  ist  schön  dasz  Sie  spalte  1227  noch  etwas  hinzusetzen,  mir  ist  facken 
und  facke  ball  gänzlich,  nach  wort  und  sache,  unbekannt,  ich  kann  auch  hier  in 
Berlin  nichts  davon  erfragen,  der  orbis  pictus  unter  billardspiel  hat  nicht  das 
geringste. 

[Anzeiger  16,  257.] 

Die  Götheausstellung  dauert  noch  und  ist  eine  neue  ausgäbe  des  catalogs 
erschienen,  mit  nachtragen  und  berichtigungen.     [Anzeiger  ebenda.] 

Ihr  Jac.  Gr. 
Sonntag  9  juni  1861. 

158.  Hierbei  folgt  manuscript  2009-2048. 
[Anzeiger  16,  258.] 

amw  1808  erschien  zu  Ronneburg  und  Leipzig  J.  G.  Haas  lateinisch  deutsches 
und  deutsches  Wörterbuch  (für  schüler).  wahrscheinlich  liegen  bei  dortigen  anti- 
quaren  exemplare  davon,  es  enthält  viele  obersächsische  provincialismen,  oder 
soll  sie  enthalten,  wäre  also  sehr  brauchbar  für  unsere  zwecke.  Ihr  sohu  oder 
Hildebrand  werden  es  leicht  ermitteln. 

[auf  der  rückseite:  Juni  1861.] 

159.  Dank,  lieber  freund,  für  die  beiden  bilder,  diesmal  sind  Sie  besser  getroffen, 
obgleich  die  brille  immer  ein  wenig  entstellt,  Ihre  liebe  frau  sieht  aus,  als  schreite 
sie  kühn  über  das  meer,  denn  der  teppich  hat  den  schein  von  krausen  wellen. 
Weigands  recension  des  Sanders  habe  ich  längst  gelesen;  hingegen  müssen  Sie  die 
hübsche  und  emphatische  unseres  Wörterbuchs  in  der  illustrirten  zeitung  no  936 
vom  8  juni  noch  nicht  zu  gesicht  bekommen  haben,  Weber  schickte  sie  mir,  ohne 
zweifei  auf  des  guten  Verfassers  befehl  alsobald  zu ;  ich  bin  aber  auf  die  folgende, 
wahrscheinlich  des  sandersschen  buches  gespannt,  die  wol  von  einem  andern  ver- 
iasser  herrührt  und  möglicherweise  unnützes  vorbringt,  sie  musz  aber  letzten 
Sonnabend  noch  nicht  gedruckt  gewesen  sein,  oder  Weber  gründe  haben  sie  mir 
nicht  zu  senden,  den  Rochholz '  würde  kränken,  wenn  sein  ehrliches  lob  hinterher 
abgeschwächt  würde. 

Die  Götheausstellung  hat  ihre  längste  zeit  gewährt,  von  den  briefen  unter 
glas  könnten  Sie  doch  nur  die  aufliegende  seite  lesen,  es  war  unvorsichtig  von 
Herman  no  159  a  herzugeben,  denn  man  sieht  gleich  die  Interpolationen,  die  freilich 
in  den  übrigen  unaufgelegten  oder  unaufiegbaren  noch  viel  dichter  kommen,  dieser 
Sache  ist  nicht  zu  helfen  und  wer  sie  zu  beschönigen  unternimmt,  thuts  auf  seine 
gefahr. 

1)  Ernst  Ludwig  Rochholz  (1809-92),  lehrer  der  deutschen  spräche  und 
literatur  in  Aarau. 


AUSZÜGE   AUS   BRIEFEN   DER   BRÜDER   GRIMM   AN   SALOMON   HIRZEL  265 

das  facken  des  balls  musz  undeutsch  sein,  mir  ist  noch  das  engl,  to  fay 
{sprich  fagg,  fak)  eingefallen,  das  erklärt  wird  to  grow  xvearij,  to  beut,  to  drudge. 
kenner  des  ballspiels  würden  das  beurtheilen.  das  billardspiel  hat  nichts  damit 
zu  thun. 

im  Haas  ist  allerdings  das  eigenthümlichste  aus  Nemnich  genommen,  doch 
ist  das  buch  nicht  unbrauchbar  und  ich  hasche  auch  nach  kleinem  gewinn.  Sie 
verrechnen  doch  alles  in  uusern  auslagen? 

[Anzeiger  16,  258.]  ich  bitte  einliegende  Photographie  herm  Quandt  zu 
übergeben,  er  möge  darin  meinen  dank  sehen  für  die  viele  mühe,  die  ihm  das 
Wörterbuch  verursacht. 

meine  plane  für  sommer  oder  herbst  laufen  ins  ungewisse,  ich  wehre  mich 
gegen  alle  reisen.  Ihr  Jac.  Grimm. 

18  juni  [1861]. 

160.  Hierbei  lieber  freund  folgt  mauuscript  2049—2094,  es  wäre  schon  einige  tage 
irüher  abgegangen,  wenn  ich  Sie  nicht  hier  erwartet  hätte,  ich  wollte  es  dann 
mitgeben,  die  ausstellung  hatte  noch  einige  schöne  bilder  erhalten,  eins  in  pastell 
von  Göthes  mutter  aus  Cöln,  und  Tischbeins  groszes  bild  von  Göthe  im  weiszen 
mantel,  was  mir  wol  gefällt;  es  ist  zwar  eine  gute  copie  aus  Frankfurt  gesandt, 
das  original  wollte  Rothschild  nicht  herleihen. 

Schon  mein  voriger  von  Ihnen  unbeantwortet  gelassener  brief  wollte  hören, 
■welchen  eindruck  Rochholz  über  mich  und  Sanders  auf  Sie  gemacht  hat.  kaufen 
Sie  mir  doch  das  zweite  blatt  der  illustrirten  zeitung. 

Sie  sind  so  ein  ordentlicher  mann,  dasz  bei  Ihnen  nichts  verschoben  (verlegt 
allerdings  sehr  viel)  wird,  das  letzte  mal  nahmen  Sie  Kleists  abendblätter  und 
ßlöraers  unpassenden  Vorschlag  über  ein  Lessingsdenkmal  mit.  im  letztern  hätte 
ich  ein  paar  zeilen  nachzusehen.  Beide  stücke  habe  ich  nicht  zurückerhalten  und 
den  Kleist  brauche  ich  vorläufig  nicht. 

Herman  ist  mit  seiner  frau  in  den  Harz  abgereist. 

Mit  herzlichem  grusz  J.  Gr. 
donnerstag  27  juni  [1861]. 

161.  [Anzeiger  16,  258.] 

Mir  war  bang,  wie  es  mit  correcturen  und  revisionen  gehen  sollte,  seit  Hilde- 
brand nach  Arnstad  ist,  mich  beruhigt,  dasz  sie  ihm,  nach  Ihrem  schreiben,  hin- 
geschickt werden,  sonst  könnte  mir  auch  die  berichtigung  meiner  correctur  hierher 
zur  revision  zugehen:  ich  bitte  die  einlage  an  Hildebrand  abgehen  zu  lassen  und 
seine  mir  unbekannte  adresse  beizufügen. 

Mit  den  weisthümern  scheint  es  nun  in  Ordnung  gekommen  und  ich  danke 
für  die  mühe,  die  Sie  damit  gehabt. 

Das  sind  leidige  nachrichten  von  der  krankheit  Ihres  Schwiegersohns  in 
Koblenz  * ;  hoffentlich  haben  Sie  bald  bessere. 

Aushängebogen  empfieng  ich  nur  76  und  78,  aber  nicht  77.  der  kann  mit  79 
kommen,     im  manuscript  ist  bis  85  incl.  fertig. 

Ihr  Jac.  Gr. 

[auf  der  rückseite  von  andrer  band:  Juli  1861.] 

1)  Ernst   Baedeker    (1838-61),   söhn   des  bekannten    reisehandbuchverlegers. 


266  LEITZMANN 

162.  Lieber  freund,  darf  ich  Sie  mit  etwas  plagen,  was  Sie  gar  nichts  angeht? 
vor  ungefähr  drei  wochen  schickte  ich  manuscript  an  Hildebrand,  das  ich  einnähen 
lassen  muste,  8odasz  der  dazu  geschriebne  brief  nicht  ins  paket  kam.  deshalb 
sandte  ich  den  9  juli  einen  andern  nach  und  legte  20  thaler  bei.  vielleicht  hält 
Hildebrand  für  unnüthig  darauf  zu  antworten,  ich  möchte  aber  doch  wissen,  ob  das 
geld   in   seine   bände   gelangt   ist,  weil,  wie  ich  höre,  geldbriefe  oft  verloren  gehn. 

reisen  Sie  nicht  nach  Frankfurt  zur  preisvertheilung?  es  ist  ganz  rechte 
dasz  die  geschickten  Schweizer  alle  gewinste  davontragen. 

den  Zettel  bitte  ich  an  Kreysing  gelangen  zu  lassen. 

Ihr  J.  G. 

Herman  ist  mit  seiner  frau  zu  Heinrichsbad,  unterwegs  war  sie  in  Zürich 
unwol  .  .  . 

[juli  1861?] 

163.  Lieber  freund,  ein  schweres  leid  haben  Sie  erfahren  *,  wir  nehmen  herzlich 
theil,  haben  uns  oft  nach  Ihnen  erkundigt  und  unsere  gedanken  an  Sie  gerichtet 
.  .  .  nun  nehmen  Sie  die  arme  junge  witwe  aus  dem  öden  haus  wieder  zu  sich  ins 
väterliche,  das  ist  traurig  und  doch  auch  tröstlich,  ich  wüste  nicht  ob  ein  früherer 
brief  Sie  in  Koblenz  oder  Salzungen  aufzusuchen  hätte,  und  was  hilft  schreiben? 
jetzt  vermute  ich  Sie  selbst  wieder  daheim  .  .  . 

[Anzeiger  17,  253.] 

Hier  waren  dieser  tage  viele  besuche,  ich  bin  nicht  recht  wol  auf  und  habe 
einen  geschwoUnen  backen. 

Richten  Sie  Ihr  gemüth  auf  und  finden  sich  in  das  was  uns  unabänderlich 
begegnet.  Ihr  treuer  freund 

■Tac.  Grimm. 
Berlin  4  aug.  1861. 
Sein   Sie   so   gut,   mir   vom   manuscript   die   letztgesandten    selten   2178—84 
zurückgehen  zu  lassen,  ich  will  noch  etwas  hinein  legen. 

164.  Lieber  freund, 

schon  vor  vierzehn  tagen  hatte  ich  Hildebrand  ersucht  sich  in  der  Kreysingschen 
druckerei  zu  erkundigen,  was  ja  beim  empfang  oder  absenden  einer  correctur  leicht 
geschehn  konnte,  er  hat  es  nicht  gethan  oder  mir  zu  melden  vergessen,  ich  bitte 
daher  den  beiliegenden  zettel  zu  Kreysing  tragen  und  die  antwort  abholen  zu  lassen. 

Ob  Ihre  frau  und  tochter  wieder  bei  Ihnen  oder  noch  zu  Salzungen  sind, 
möchte  ich  wissen,  auch  wir  haben  die  letztere  woche  in  sorge  zugebracht,  Dortchen 
hatte  einen  schweren  anfall  ihres  herzübels,  jetzt  scheint  er  zurückgeschlagen,  sie 
fühlt  sich  aber  noch  sehr  matt. 

[Anzeiger  17,  253.] 

Sie  sehen  diesen  zügen  die  eile  an. 

5  sept.  [1861.]  Jac.  Gr. 

165.  Ich  eile  Sie  zu  beruhigen  ',  lieber  freund,  der  wind  hat  sich  vorgestern  bei 
mir  umgedreht  und  ich  reise  nun  gar  nicht,    bisher  war  ich  schwankend  und  hatte 

1)  Ernst  Baedeker  war  am  23.  juli  gestorben. 

2)  Einer  früheren  manuskriptsendung  hat  anscheinend  das  in  dem  samrafel- 
band  später  eingeheftete  blatt  beigelegen :  'Gegen  den  1  oct.  werde  ich  nach  München 
müssen,  was  einige  wochen  kostet.  Gr.'      [auf  der  rückseite:  1861] 


AUSZÜGE    AUS   BRIEFEN   DER   BRÜDER    GRIMM    AN    SALOMON    HIRZKL  267 

mich  endlich  aus  mehr  als  einer  Ursache  entschieden,  nun  ist  aber  ein  neuer  für 
mich  überwiegender  grund  dagegen  eingetreten.  Sybels  entlassung '  wirft  wahr- 
scheinlich die  ganze  gemachte  anstalt  über  den  häufen  und  ich  mag  lieber  nichts 
mehr  damit  zu  thun  haben.  Doch  schütze  ich  alter  und  kränklichkeit  vor  und  falls 
die  Sache  zur  spräche  käme,  bitte  ich  auch  nichts  anderes  anzugeben. 

Unser  setzer  kann  also  ganz  ruhig  seinen  weg  wandeln. 

Jac.  Gr.  19  sept.  [1861.] 

den  Federwitz  habe  ich  noch  glücklich  ausgeworfen. 

166.  manuscript  2287-2326. 

ich  lege  der  zurückgehenden  correctur  etwas  manuscript  bei,  worin  sehr  viel 
feld  steht,  die  bemerkung  'schade  dasz  man  über  ohrfeige  nichts  erfährt'  war 
ungegründet,  es  steht  ja  spalte  1412.  1413,  ich  habe  aber  zum  überflusz  darauf  verwiesen. 

Sein  Sie  so  gut  das  manuscript  zu  den  weisthümem  an  Hildebrand  zu 
besorgen. 

9  oct.  1861  abends. 

167.  Hierbei,  Lieber  Hirzel,  2357—92,  was  schon  weit  in  den  sechsten  bogen  eingeht. 
M.  H.  hat   eine   freundschaftliche   anzeige   des  letzten  hefts  in  die  vossische 

zeitung  einrücken  lassen,  aber  nichts  als  die  Wörter  excellenz  und  extrameusch 
hervorgehoben. 

Sie  sind  sehr  aufmerksam.    Overbecks  bienenwörterbuch  ^  besitze  ich  schon  .  .  . 

Lassen  Sie  doch  die  einlage  an  Kreyssing  abgeben. 

Ich  bin  auf  morgen  abend  in  die  urwählerversammlung  eingeladen,  kann 
mich  also  des  öffentlichen  lebens  noch  immer  nicht  entschlagen. 

12  nov.  1861.  Jac.  Grimm. 

168.  Lieber  freund, 

hier  sende  ich  2421—2466  und  bin  froh,  dasz  Sie  jetzt  mit  mir  zufrieden  sind, 
das  neue  buch  von  Freytag*  freut  mich  sehr,  zum  lesen  konnte  ich  noch  nicht 
kommen,     feiern  Sie  Weihnachten  vergnügt .  .  . 

Ihr  Jac.  Gr. 

bitte  die  einlage  gleich  an  Kreising  zu  senden,  das  scheint  ein  ungefälliger 
mann  zu  sein. 

[dezember  1861.] 

169.  Nachtrag  zu  Fellbein  Wörterbuch  3,  1498  aus  den  weistümern. 

170.  Von  dem  eben  übersandten  manuscript  musz  ich  mir  p.  2511—18  noch  zurück- 
erbitten, er  ist  etwas  abzuändern,  was  ich  bei  der  correctur  nicht  bewerkstelligen 
kann  .  .  . 

14  Jan.  [1862.]  Gr. 

1)  Nach  Dalilmanns  tode  entschloss  sich  Heinrich  von  Sybel,  dessen  lehr- 
stuhl  in  Bonn  zu  übernehmen,  da  in  München  das  Verhältnis  zwischen  ihm  und 
könig  Max  durch  Sybels  politische  anschauungen  getrübt  war.  Anstoss  gab  ihm 
auch  Döllingers  wähl  zum  Sekretär  der  historischen  klasse  der  akademie,  die  von 
selten  der  gegner  Sybels  betrieben  war. 

2)  Bremen  1765. 

3)  Neue  bilder  aus  der  deutschen  Vergangenheit,  Leipzig  1862. 


268  LEITZMANN 

171.  Lieber  freund,  der  setzer  kann  auf  ein  paar  wochen  zu  anderm  greifen,  ich 
musz  einen  kleinen  aufschub  machen,  den  10  merz  habe  ich  in  der  akademie  einen 
Vortrag  zu  halten  und  der  dafür  ausgedachte  gegenständ  lenkt  mich  in  andere, 
zum  theil  schwierige  Untersuchungen  ab.  Sein  Sie  nicht  ungeduldig,  nachher  sollen 
die  am  heft  noch  mangelnden  drei  bogen  schnell  geliefert  werden. 

Haben  Göthe  und  Schiller  irgend  eine  ihrer  Schriften  jemals  mit  Zueignung 
oder  dedication  versehen?  ich  wüste  nicht,  und  für  dichter,  die  sich  der  ganzen 
weit  hingeben,  will  es  sich  auch  nicht  schicken,  fände  sich  doch  ein  dedicatiönchen,^ 
so  wäre  mir  die  angäbe  lieb. 

Die  ganze  zeit,  seit  Sie  abreisten,  bin  ich  auch  mit  schnupfen  und  husten 
geplagt  und  noch  nicht  zu  ende  damit. 

Bestens  gegrüszt 

Jac.  Gr. 
6  febr.  [1862.] 

172.  Lieber  Hirzel,  hierbei  endlich  2527—38,  damit  der  böge  102  auslaufen  kann, 
der  verfolg  soll  nicht  auf  sich  warten  lassen. 

Von  meinem  Unfall  wird  Ihnen  schon  künde  geworden  sein,  es  hätte  damit 
viel  schlimmer  werden  können,  bei  einrichtung  meiner  bibliothek  fiel  ich  rücklings 
von  einer  leiter  und  wider  einen  schrank,  das  gab  ein  loch  in  den  köpf  mit  heftigem 
blutverlust,  weil  eine  pulsader  durchschnitten  war.  der  schädel  konnte  verletzt 
sein,  was  sich  hernach  nicht  gezeigt  hat.  ein  paar  tage  musten  kalte  tücher  auf- 
gelegt werden  und  ich  still  auf  dem  sopha  liegen,  so  bin  ich  glücklich  davon 
gekommen  und  schon  ist  alles  vernarbt,  nur  eine  Spannung  zuckt  hin  und  wieder  nach. 

Auch  meine  Vorlesung  wurde  abgehalten,  sie  handelt  vom  schlafe  der  vögel ' 
und  ich  habe  eine  menge  von  büchern  dazu  nachschlagen  und  lesen  müssen,  die 
einleitung  ist  freilich  auch  sprachlich. 

Sein  Sie  so  gut  das  beiliegende  paket  an  Hildebrand  gelangen  zu  lassen. 

Ihr  Gr. 

hier  lebt  man  in  sorgen  um  die  kammer.  es  ist  traurig  dasz  Preuszen, 
das  den  kammem  in  Schleswig  und  Hessen  helfen  soll,  mit  seiner  eignen  kammer 
in  Zwiespalt  geräth. 

auch  ein  briefchen  an  Albrecht. 

[märz  1862.] 

173.  Hierbei  folgt  manuscript  2539-2554. 

ich  danke  für  das  bild  von  Uhland,  den  seine  frau  die  nachtigall  nennt,  die 
nun  schon  zwanzig  jähre  nicht  mehr  schlägt. 

die  fortschrittspartei  hat  sich,  glaube  ich,  verständig  benommen,  die  soge- 
nannten constitutionellen  oder  gouvernementalen  argumentieren  blosz,  thun  aber 
nichts  und  fangen  an  sich  um  allen  credit  zu  bringen. 

Im  februarheft  der  preuszischen  Jahrbücher  steht  ein  aufsatz  über  Savigny* 
und  eine  samlung  interessanter  briefe  zwischen  Schlegel  und  Schiller.*  ich  möchte 
das  heft  gern  haben  .  .  . 

samstag  morgen  [märz  1862.]  Ihr  Jac.  Gr. 

1)  Kleinere  Schriften  7,  485. 

2)  Von  Stintzing  (Preussische  Jahrbücher  9,  121). 

3)  Ebenda  9,  194. 


AUSZÜGE   AUS   BRIEFEN    DER   BRÜDER   GRIMM   AN   SALOMON    HIRZEL  269^ 

174.  Berlin  20  merz  [1862],  hierbei  schicke  ich  2555—2574,  womit  ich  schon  an- 
fange auf  den  bogen  105  zu  rücken,  wir  werden  vermutlich  dies  heft  unter  den 
fischen  im  raeer  schlieszen.     der  schlusz  folgt  nächste  woche. 

Ihr  Schwager  hat  mir,  wahrscheinlich  auf  Ihre  empfehlung,  wofür  ich  danke, 
Stintziugs  Savigny,  wovon  besondere  abzüge  gemacht  worden  sind,  gesandt, 
gelegentlich  leihen  Sie  mir  öun  ihr  exemplar  zum  lesen  der  schlegelschen  briefe. 

Jac.  Grimm. 

175.  Lieber  freund,  ich  habe  gestern  genug  manuscript,  um  das  heft  zn  schlieszen, 
beigelegt. 

vor  der  nächsten  lieferung  fürchte  ich  mich,  weil  darin  unangenehme  Wörter 
kommen  müssen  und  eine  menge  langweiliger  composita  mit  fort ...  . 

Jac.  Gr. 
28  merz  [1862.] 

176.  Hier  folgt  das  heft  zurück,  meinethalben  hätten  die  schlegelschen  briefe 
ungedruckt  können  bleiben,  für  unser  Wörterbuch  war  nicht  das  geringste  daraus 
zu  nehmen. 

ich  lege  Ihnen  ein  heft  bei,  worin  Sie  wol  einen  von  mir  voriges  jähr  an 
Simson  über  die  verkehrte  trilogie  Schiller,  Göthe,  Lessing  geschriebnen  brief  lesen 
mögen  ^     dasz  je  etwas  daraus  werde  kann  ich  mir  gar  nicht  denken. 

unser  fertiges  heft  wird  wol  erst  nach  dem  fest  ausgegeben  werden,  ich 
danke  Ihnen  für  den  zusatz  zu  fippern  aus  Eeiske. 

14  apr.  [1862]  abends. 

Jac.  Gr. 

177.  Lieber  freund, 

ich  verreise  auf  etliche  woclien  und  bitte  erst  dann  wieder  correcturen  hierher 
abgehen  zu  lassen,  wann  ich  Ihnen  nachricht  von  meiner  rückkehr  gegeben  habe, 
die  achte  lieferung  könnte  schon  jetzt  fertig  sein,  wenn  der  druck  im  letzten  Viertel- 
jahr nicht  allzu  schläfrig  gegangen  wäre;  ich  weisz  nicht  aus  welcher  Ursache, 
einmal  waren  Sie  mit  Hirschfeld  unzufrieden,  es  ist  aber  hernach,  als  das  beseitigt 
schien,  nicht  besser  geworden,  ich  lege  den  schlusz  des  manuscripts  2915—50  hier 
bei,  denn  auszer  dem  quellenverzeichnis,  das  Sie  wie  mir  Ihr  söhn  meldete  bearbeiten, 
und  einer  vorrede,  die  ich  nach  meiner  rückkunft  schreiben  will,  wird  nichts  weiter 
platz  finden. 

Leben  Sie  wol  und  sein  Sie  schönstens  gegrüszt. 

Jac.  Gr. 

19  aug.  [1862.] 

ich  besinne  mich  nicht,  ob  ich  schon  für  das  bild  von  Rahn  gedankt  habe,  es 
freute  mich  sehr,  wollen  Sie  mir  den  empfang  anzeigen,  so  thun  Sie  es  nach 
Arnstadt  (in  die  Henne). 

178.  Lieber  freund,  ich  bin  wieder  da.  Ihren  brief  habe  ich  unter  den  flügeln 
der    henne    richtig    erhalten.      Ihr   wünsch    des   schönsten  wetters  ist   eingetroffen. 

1)  Zur  begründung  des  in  der  sitzung  des  Goethecomites  am  7.  april  1862 
von  ftotho,  von  der  Hude  und  Hermann  Grimm  eingebrachten  antrags.  Als  manu- 
script gedruckt  (Berlin  1862).    S.  8,  vom  29.  mai  1861  (vgl.  Goethejahrbuch  2,  459). 


270  hEITZMANN 

Arnstadt  hat  auf  allen  selten  reizende  Spaziergänge,  ich  traf  auch  da  den  guten 
Fritz  Reuter  und  empfieng  von  ihm  den  zweiten  band  von  olle  kamellen,  der  eine 
rührende  höchst  lebendige  beschreibung  seiner  ungerechten  gefangenschaft  enthält, 
doch  ohne  diese  ausgestandne  noth  wäre  er  ja  nie  dichter  geworden  und  hätte  nie 
das  gefiihl  seiner  anerkennung  gehabt,  so  bereitet  mitten  aus  dem  unglück  sich 
oft  ein  unerwarteter  ersatz. 

beiliegende  weigandische  zettel  können  Sie  gebrauchen. 

6  September  [1862J.     Jac.  Gr. 

179.  Lieber  freund,  ich  habe  die  mir  zugesandten  zettel,  so  gut  ich  konnte,  aus- 
gefüllt, einige  unerledigte  mögen  ganz  wegbleiben,  doch  bitte  ich  mir  das  auf- 
gestellte Verzeichnis,  bevor  es  abgedruckt  wird,  zugehen  zu  lassen,  weil  ich  vielleicht 
«in  und  das  andere  einzuschalten  habe. 

Dieser  tage  her  lebe  ich  so  unruhig,  dasz  ich  noch  nicht  an  die  vorrede 
gekommen  bin,  die  kammerverhandlungen  regen  auf  und  viele  besuche  trafen  ein. 
es  soll  aber  baldig  geschehen. 

Ich  habe  mich  ganz  verrechnet  und  dachte,  dasz  auch  das  fort  noch  in  den 
band  gehen  würde. 

Lassen  Sie  doch  die  revisionsbogen  unbeschnitten,  der  schmälere  rand  hindert 
•oder  erschwert  die  correctur. 

In  der  Wiener  Wochenschrift  für  Wissenschaft  finden  Sie  eine  anzeige  des 
fünften  und  sechsten  heftes  unterm  12  juli  dieses  jahres. 

herzlichen  grusz  Jac.  Gr. 

Sonntag  21  sept.  [1862.] 

180.  Lieber  freund,  es  hat  sich  wider  erwarten  so  gewendet,  dasz  ich  nach  München 
Inusz,  und  heute  mittag  12  uhr  mich  aufmache,  ich  reise  aber  gleich  durch  und 
kann  bei  Ihnen  nicht  vorsprechen,  eher  wirds  auf  der  rückreise  in  etwa  zehn  tagen 
möglich  sein. 

in  der  letzte  habe  ich  Sie  hier  vergebens  erwartet,  denn  Zeller '  sagte  mir 
Sie  würden  kommen,  ich  wollte  Ihnen  also  mündlich  vortragen,  dasz  ich  überlegt 
habe  und  unangemessen  finde  dem  dritten  band,  der  mitten  im  F  abbricht,  eine 
vohrede  beizufügen,  was  alles  zu  melden  ist,  kann  lieber  später  folgen.  Sie  dürfen 
also  abschlieszen. 

da  erst  bogen  116  gedruckt  ist,  117—120  zurückstehen,  werden  wir  nicht  vor 
ende  dieses  monats  fertig  sein.  •  aus  dem  langsamen  druck  fast  des  ganzen  hefts 
könnte  man  folgern,  dasz  das  Wörterbuch  abzehre,  was  ich  doch  nicht  hoffe  und 
wozu  ich  nicht  mitgewirkt  habe.  Ihren  entwurf  des  quellenverzeichuisses  werde 
ich  wol  bei  der  heimkehr  vorfinden. 

ich  wünsche  mir  fortdauer  des  schönen  wetters  und  verbleibe  unter  herz- 
lichem grusz  Ihr  Jac.  Grimm. 

am  1  october  [1862]. 

181.  Lieber  freund,  auf  der  hinreise  am  1  oct.  kamen  wir  (ich  und  Guste,  denn 
ich  sollte  durchaus  nicht  unbegleitet  reisen)  von  Bitterfeld  an  bis  Leipzig  in  den 
heftigsten  platzregen,  der  noch  bis  Hof  anhielt,  wo  uns  um  mitternacht  der  Branden- 
burger hof  nicht  zum  besten  aufnahm,    der  folgende  tag  war  besser  und  zu  München 

1)  Eduard  Zeller  (1814—1908),  professor  der  philosophie  in  Heidelberg. 


AUSZÜGE   Ars    BRIEFEN    DER    BRÜDER    GRIMM    AN   SALOMOX   HIRZEL  271 

§ieng  alles  gut  bei  schönem  wetter  und  aushaltender  gesundheit  von  statten,  nur 
dasz  ich  froh  war.  dasz  fünf  tage  mit  zehn  Sitzungen,  eine  reihe  von  besuchen, 
einladungen  und  gastmahlen  endlich  vorübergiengen.  einige  tage  musten  zugesetzt 
werden.  Die  heimreise  sollte  auf  Leipzig  zu  gehen,  unterdessen  hatte  ich,  weisz 
nicht  wo,  vernommen,  dasz  Ihr  haus  mit  besuchen  von  Coblenz  her  überfüllt  sei. 
in  Nürnberg,  wo  ein  tag  gerastet  wurde,  traf  ich  mit  einem  Schweden  und  dessen 
frau  zusammen,  die  uns  bei  herrlichem  wetter  baten,  von  Bamberg  aus  über  Lichten- 
fels,  Coburg,  Meiningen  die  mir  völlig  unbekannte  Werrabahn  zu  versuchen,  welches 
glücklich  ausgeführt  wurde,  sodasz  wir  abends  Eisenach  erreichten,  einen  halben 
tag,  wie  in  sommerluft  verweilten,  und  10  uhr  nachts  in  unsrer  heimat  eintrafen. 
Dortchen  war  die  ganze  Zwischenzeit  kränker  gewesen,  als  wir  es  durch  ihre  ein- 
treffenden briefe  gcteuscht  voraussetzen  konnten ;  unsere  ausreise,  die  mit  Rudolfs 
rückkehr  aus  der  Schweiz  und  Hermans  reise  von  Montreux  über  Genua  nach  Rom 
zusammenfiel,  hatte  ihr  manche  sorgen  eingeflöszt.  jetzt  fühlt  sie  sich  beruhigt, 
getröstet  und  erholt  sich  wieder.     Herman  ist  glücklich  zu  Rom  angelangt. 

Bei  mir  selbst  ist  es  hinterher  doch  nicht  so  leicht  abgegangen.  [Anzeiger 
17.  253.] 

Die  bairischen  Sitzungen  haben  mir  doch,  wie  es  nicht  anders  sein  kann, 
einige  pflichten  und  Versprechungen  auferlegt  und  ich  musz  ernstlich  dran  gebn, 
die  vorrede  und  einleitung  zum  vierten  band  der  weisthümer  zu  schreiben,  was 
mich  ein  wenig  aus  der  spräche  in  das  recht  verrücken  wird,  der  druck  des 
Wörterbuchs  musz  daher  in  der  weise  lässig  fortgehen,  wie  er  in  der  letzten  zeit 
betrieben  wurde,    wenn  ich  wieder  gesund  bin,  will  ich  mich  sehr  zusammenhalten. 

Die  rückständigen  600  thaler  habe  ich  richtig  erhalten.     [Anzeiger  17,  254.] 

[Anzeiger  17,  253.]  des  Aufsess  ^  ruf  ist  völlig  zerstört  und  Wuttkes  '^  auf- 
forderung  zu  seiner  Wiederwahl  war  höchst,  verkehrt,  wird  auch  erfolglos  bleiben, 
von  herzen 

Ihr  Jac.  Gr. 

25  oct.  [1862.] 

Nun  thut  mir  doch  leid,  dasz  ich  keine  vorrede  hinzugegeben,  es  lag  mir 
soviel  in  gedanken  und  auf  dem  herzen,  wer  kann  wissen,  ob  es  jemals  zum  Vor- 
schein kommt,     die  vorhabende  reise  triat  störend  dazwischen. 

182.  Korrekturzusätze  zu  dem  auf  den  umschlagseiteu  des  ersten  hefts  des  vierten 
bandes  gedruckten  nachtrag  zu  Frevel,  Friedel  (Kleinere  Schriften  8,  545). 

[1863.] 

183.  Lieber  herr  Heinrich  Hirzel, 

ich  lege  der  correctur  wieder  manuscript  3019—3042  bei.     [Anzeiger   17,   254.]  am 
16  apr.  1863.  Jac.  Grimm. 

184.  [Anzeiger  17,  254.1  da  Littre^  mitglied  der  academie  ist,  wird  das  früher 
begonnene  academische  Wörterbuch*  wol  beim  ersten  heft  stecken  bleiben,  vom 
neuen  sind  schon  drei  lieferungen  erschienen,  mich  solls  wundern,  ob  das  so  fortgeht. 

[1863.]  Jac.  Gr. 

1)  Hans  Freiherr  von  und  zu  Aufsess  (1801—72),  gründer  des  germanischen 
museums.  dessen  vorstandschaft  er  1862  niederlegte. 

2)  Heinrich  Wuttke  (1818—76),  professor  der  geschichte  in  Leipzig. 

3)  Maximilien  Paul  Emile  Littre  (1801—81),  der  lexikograph. 

4)  Dictionnaire  de  la  langue  francaise,  Paris  1863—72. 

ZEITSCHRIFT  F.  DEUTSCHE  PHILOLOGIE.    BD.  L.  19 


272  I.KITZMANN 

185.  Wenn  beim  eintrag  meiner  correcturen,  deren  auf  dem  letzten  blatt  ziemlich 
Tiele  sein  musten,  Schwierigkeit  oder  Unsicherheit  entspringt,  lassen  Sie  lieber  noch 
eine  revision  an  mich  gehen,  ich  stelle  mir  nemlich  vor,  dasz  Hildebrand  jeden 
bogen  vor  dem  abdruck  einsieht,  ob  alles  in  Ordnung  ist.  ich  hoffe,  dasz  seine 
krankheit  bald  vorübergeht. 

krankheiten  und  todesfälle  sind  sehr  angreifend,  ich  habe  vorigen  monat 
meinen  letzten  bruder  zu  Cassel  verloren  *  und  bin  nun  von  den  neun  kindern 
meiner  eitern  allein  noch  übrig.  Sie  brauchen  also  auch  keine  hefte  des  Wörter- 
buchs weiter  nach  Cassel  zu  schicken. 

vor  einigen  tagen  ist  die  alte  Savigny  gestorben,  mit  der  ich  den  gröszten 
theil  des  jahrs  1805  zu  Paris  verlebte'-',  auch  das  ganze  damalige  brentanosche 
haus  ist  nun  fort. 

von  Littres  dktiunnaire  habe  ich  schon  vier  lieferungen  in  576  selten.  Hachettes 
pressen  gehn  viel  schneller  als  Hirschfelds. 

20  mai  [1863.]  Jac.  Gr. 

186.  Lieber  freund, 

hierbei  folgt  manuscript  3125—82.  die  letzten,  von  Hildebrand  unberührten  bogea 
waren  ganz  ordentlich,  es  hat  vvol  ein  andrer  dabei  geholfen  oder  der  setzer  ist 
jetzt  gut  eingeschossen. 

des  Professor  Hagen  ^  einfall,  dasz  die  vier  letzten  verse  der  elegie  Hermann 
und  Dorothea  von  Schenkendorf  gedichtet  seien,  scheint  mir  einfältig,  von  wem 
anders  könnten  sie  sein  als  von  Göthe?  Schenkendorf  hat  sie  in  ein  stammblatt 
ausgeschrieben,  ohne  Göthes  namen  beizusetzen,  das  braucht  man  auch  nicht,  wenn 
man  eines  berühmten  und  allgemein  bekannten  dichters  werte  anführt. 

unser  landtag  ist  nun  gestern  geschlossen,  was  ferner  folgen  wird,  weisz 
gott,  hier  ist  alles  erfüllt  von  Unruhen,     eilig  mit  stumpfer  feder. 

28  mai  [1863].  Jac.  Gr. 

187.  Ich  wünsche  zur  reise  in  die  Schweiz  gutes  wetter.  Ihre  abwesenheit  wird 
uns  einiger  zusätze  und  citate  berauben,  die  correctur  von  11  a  ist  von  mir  richtig 
besorgt  und  gleich  abgeschickt  worden,  sollte  sie  sich  verirrt  haben  und  noch 
nichts  eingetroffen  sein,  so  musz  mir  ein  neuer  abzug  zugehen  und  ich  mich  der 
mühe  nochmals  unterziehen,  dergleichen  ist  schlimm,  weil  einzelne  eintrage  ver- 
nichtet sind. 

raptim    Gr.     19  Juni  [1863]. 
l 

188.  [An  Heinrich  Hirzel?] 

Ich  verstehe  nicht,  was  mit  bogen  12  a  vorgegangen  ist.  er  schlosz  mit  m) 
lassen  auf  spalte  184.  die  eben  eingehende  revision  von  12  b  schiebt  aber  eine 
ganze  halbe  spalte  noch  auf  185,  ohne  dasz  ich  auf  184  zusätze  gemacht  habe, 
die  dazu  nöthigten. 

daher  bitte   ich  um  einen  neuen  abzug  von  12  a,  denn  ich  kann  die  revision  ' 
von  12b  erst  nach  einsieht  von  12a  unternehmen. 

1)  Ludwig  Emil  Grimm  starb  als  professor  an  der  akademie  der  bildenden 
künste  am  4.  april. 

2)  Gundel  Brentano. 

b)  Ernst  August  Hagen  (1797-1880),  kunst-  und  literarhistoriker. 


AUSZÜGE   AUS   BRIEFEN   DER   URCDER    GRIMM    AN    SALOMON   HIRZEL  273 

Wie  ist  es  mit  IIa?  die  revision  sollte  verloren  sein  und  nochmals  geschickt 
werden?     ich  habe  nichts  erhalten,     hat  sie  sich  hinterher  noch  aufgefunden? 

ergebenst  Gr. 

28  juni  [1863]. 

189.  Werthester  herr  Heinrich  Hirzel, 

hierbei  sende  ich  p.  3231—62,  welches  dem  heft  zur  ausfüllung  dienen  wird;  da  ich 
möglicherweise  noch  in  diesem  monat  verreise,  so  darf  der  setzer  nicht  zaudern, 
damit  die  beiden  noch  fehlenden  bogen  zustande  kommen. 

Wahrscheinlich  kehrt  Ihr  vater  noch  diese  woche  zurück,  ich  hoffe  der  ausflug 
hat  ihm  wolg^ethan  und  seine  gesundheit  völlig  hergestellt. 

Kannten  &ie  den  London  ßuchheim,  den  herausgeber  des  Wallenstein?  ich 
habe  ihm  neulich  zu  einer  stelle  in  Kings  College  verhelfen. 

Ihr  ergebenster 

.Jac.  Gr.     8  juli  63. 

190.  ich  freue  mich  Ihrer  heimkehr  nach  vergnügter  reise.  Hildebrand  war  für 
die  letzten  bogen  auch  durchgegangen.  Herman,  der  jetzt  auf  dem  Rigi  verweilt, 
musz  erst  nach  Ihnen  dort  eingetroffen  sein,  herr  professor  de  Vries^  aus  Leiden, 
der  herausgeber  des  neuen  niederländischen  Wörterbuchs-  will  sich  mit  Ihnen  be- 
sprechen, stellen  Sie  ihm  doch  'über  meine  entlassung'  zu^.  ich  habe  für  den  Um- 
schlag ein  paar  zeilen  nachtrag  geschickt,  da  Hildebrand  fort  ist,  Schicken  Sie  mir 
doch  den  satz  zur  correctur,  damit  ich  sicher  bin. 

eilends 

Gr.     mittwoch  22  juli  [1863]. 

191.  Lieber  freund,  ich  bin  noch  da  und  eine  correctur  kann  mir  geschickt  werden, 
mehr  manuscript  habe  ich  nicht  ausgearbeitet,  sondern  ein  paar  andere  sachen  vor- 
genommen.    [Anzeiger  17,  254.] 

meine  Schwägerin  befand  sich  noch  nicht  recht  zur  reise  und  das  wetter  war 
zu  unstät.  wohin  wir  ausfliegen,  weisz  ich  selbst  nicht,  so  vielerlei  plane  sind 
gemacht  und  immer  wieder  aufgegeben  worden,  höchstens  2  oder  3  wochen  soll 
es  dauern. 

das  paket  mit  den  fertigen  exemplaren  ist  heute  nicht  eingetroffen,  wird  also 
erst  morgen  zu  erwarten  sein. 

die  sechs  thaler  mochte  ich  nicht  an  Carl  August  und  Göthe*  wenden,  die 
Sammlung  ist  viel  unbedeutender  als  ich  mir  dachte  und  für  Göthe  wird  wenig 
daraus  gewonnen,  das  meiste  sind  briefe  von  Carl  August  und  geschäfts  oder 
gelegenheitsbriefe,  hätten  meinetwegen  können  ungedruckt  bleiben,  von  Göthe  aus 
seinen  zehn  ersten  jähren  zu  W^eimar  nur  wenig,  und  wie  verrückt,  dasz  herr  Vogel 
nicht    einmal    den    schönen    (bekannten)  brief  voransetzt,   auf  welchen   des  herzogs 

1)  Matthias  de  Vries  (1820-92). 

2)  Woordenboeh-  der  nederlandsche  taal,  Leiden   1864—65. 

3)  Basel  1838  (Kleinere  Schriften  1,  25). 

4)  Nach  einer  bemerkung  Hermann  Grimms  (Jacobs  Kleinere  Schriften  1,  186) 
fand  sich  nach  Jacobs  tode  in  dessen  schreihtisch  ein  frischgefalteter  bogen  mit 
der  Überschrift  des  buches  als  erstem  anfang  der  beabsichtigten  anzeige. 

19* 


•274  (IRIENBERGEU 

antwort  folgt!      Göthes   dictierte  briefe  im  zweiten   theil   sind   meistens  ohne  be« 
deutung.     fürs  Wörterbuch  gar  nichts  zu  schöpfen,  auszer  finzlich  1,  2. 

Jac.  Gr.     30  juli  1863. 
um  die  bevorstehenden  turneraufzüge  beneide  ich  Sie  nicht. 

192.  der   halbe   bogen    dauerte    mich,   ich  habe  also  noch   die   andre   hälfte  hinzu 
geschrieben. 

auf  fünfzehn,  wenig  bedeutende  parabeln  Göthes,  die  ihm  Lützow  lieferte, 
hat  nun  auch  Carus  eine  lange  brühe  gegossen  \ 

dies  könnte  schon  heute  abgehn,  der  Leipziger  feste  wegen  lasse  ichs  erst 
morgen,  bevor  ich  abreise  sollen  Sie  noch  nachricht  erhalten,  es  wird  wenigstens 
noch  eine  woche  damit  anstehn. 

Ihr  Jac.  Gr. 

Sonntag  2  aug.  [1863.] 
leider  war  das  grosze  exemplar  der  letzten  lieferung  wieder  geheftet. 

193.  15  aug.  1863. 
[Anzeiger  17,  254.] 

der  Moskauer  brief  folgt  zurück  und  ich  habe  mein  bild  hineingelegt,     dem 
mann  könnte  man  wol  künftig  einige  bücher  zu  besorgen  aufgeben. 
Bleiben  Sie  mit  den  Ihrigen  gesund  und  vergnügt. 

Jac.  Gr. 


Runensachen. 

1.  Zu  Arkiv  14  (1898)  a.  101-136. 

Die  nachzeichnung  H.  Kerns  der  jünger  nordischen  runenreihe  im  Codex 
Voss.  lat.  no.  83,  4  °  der  U.  B.  zu  Leiden,  die  ich  für  meinen  aufsatz  benutzte,  hat 
sich  als  nicht  ganz  zuverlässig  herausgestellt  und  wird  durch  eine  für  mich  von 
J.  Goedeljee  in  Leiden  ausgeführte  Photographie  in  natürlicher  grosse,  die  nach 
der  Versicherung  des  konservators  der  hss.  herrn  P.  C.  Molbuysens  vom  5.  4.  10 
fast  noch  deutlicher  als  das  original  ist,  in  einigen  punkten  berichtigt. 

Die  eintragung  steht  auf  der  sonst  leeren  reversseite  des  blattes  24,  beginnt 
das  ful)ark  in  erster  zeile  in  der  tat  mit  der  T//s  i'ett  und  schliesst  es  in  der  zweiten 
zeile  mit  der  Hagais  cett,  während  die  buchstaben  der  Frui/s  cett  zu  je  3  auf  die  erste 
und  zweite  zeile  verteilt  sind. 

(3)ntr/k  (1)  rm\\m'(  c2))|(+i+h 

Dafür,  dass  im  Leidener  fujiark,  so  wie  im  Abecedarium  Nordmannicum,  das 
k  der  Hagals  ('ett  zugerechnet  und  die  zahl  der  zeichen  dieses  ahschnittes  auf  G 
erhöht,  gleichzeitig  die  zahl  der  vorhergehenden  partie  um  eine  vermindert  worden 
wäre,  findet  sich  keinerlei  graphische  anzeige.  Neben  jeder  rune  steht  in  der  tat 
der  name  voll  in  runen  ausgeschrieben  und  über  jeder  rune  abermals  der  name  in 
kleineren,  lateinischen  buchstaben.    Die  dritte  zeile  ordnet  wirklich  die  runen  noch- 

1)  Goethe,  dessen  bedeutung  für  unsre  und  die  kommende  zeit  s.  91. 


RUNEKSACHEN  275 

mals  umgeschrieben  in  eine  art  von  4  physiologischen  kategörien :  bcdt— flm 
n  r  }•  f  —  a  e  i  u  —  h  und  ist  sowohl  hinsichtlich  der  runen  als  der  in  lateinischen 
buchstaben  übergesetzten  lautwerte  vollkommen  deutlich. 

Zu  den  in  runen  geschriebeneu  namen  ist  zu  bemerken,  dass  sich  bei  ^  nur 
^l'i'Rf'f^'f"  (bijierkan)  lesen  lasse,  d.  h.  kein  lat.  C,  sondern  das  gewöhnliche  runische 
K  und  kein  i  \  dem  ein  a  ^  übergeschrieben  wäre,  an  zweiter  stelle,  sondern 
blosses,  direkt  auf  der  zeile  stehendes  a  ^  \  das  runische  R  in  |R  ist  aber  in  der 
tat  so  platt  gedrückt,  dass  man  es  für  eine  sorte  von  A  halten  könnte  und  das 
schliessende  H  in  HKPK  bereitet  dem  äuge  die  wechselnde  täuschung  eines  ^  oder 
auch  ^.  Die  in  lateinischen  buchstaben  geschriebenen  namen  sind  mehrfach  un- 
deutlich.    Der  erste  scheint  indessen  komplett  ti/ur  gelesen  werden  zu  sollen. 

Dass  dem  fuljark  des  Abecedarium  Nordmannicum  gegenüber  der  sonstigen 
Zählung  6,  5,  5  in  den  3  abschnitten  vielmehr  die  Zählung  5,  6,  5  zukomme,  sagt 
der  text-  selbst,  indem  er  das  r  rät  als  endbuchstaben  (endös/tj)  der  ersten 
reihe  /,  u,  p,  o,  r  und  m  man  als  mittleren  {midi)  buchstaben  der  dritten  reihe 
t,  b,  m,  l,  R  bezeichnet,  wonach  sich  die  zweite  reihe  mit  notwendigkeit  auf  6  zeichen 
k,  h,  n,  i  a,  s  berechnet. 

Zur  syntaktischen  gliederung  trage  ich  nach:  als  Interpunktion  nach  zeile  1 
ist  besser  komma  zu  setzen  denn  Semikolon  und  in  dieselbe  kein  besonderes  verbum 
hineinzudenken,  sondern  copula  und  participium  aus  zeile  2  einzubeziehen.  Da 
sich  zeile  2  offenkundig  in  ös  ist  himo  (nämlich  dem  thuris)  ohoro  [nuritan]  und 
rät  [ist]  endös/tJ  itKritan  ergänzt,  so  gewinnen  wir  bei  weiterer  ausfüllung  die 
vollkommen  einleuchtenden  sätze  feu  [ist]  forman  [stabil  nnritan],  i<r  [ist]  after 
[uuritan],  thuris  [ist]  thritten  stabu  [uuritan]  und  entnehmen  eine  Wendung 
*stabu  writan  'mit  einem  buchstaben  bezeichnen',  die  der  ags.  Beow.  1695  [mrh  rün- 
stafas  gemearcian  gleich  ist  und  für  stab  die  bedeutung  des  einzelnen  runenzeichens 
belegt.  Das  widerspricht  jedoch  nicht  der  meinung,  dass  'stab'  als  schriftzeichen 
eine   abstraktion   aus  'stab'   als   körperlicher  träger  eines   geschriebenen  textes  sei, 

2.  Der  brakteat  von  Vadstena. 

(Photographie  in  2:1,  mir  überlassen  von  F.  Läffler  in  Djursholm.) 

1.  aversseite:  buchstaben  von  links  oben  (vom  beschauer)  herumlaufend  bis 
rechts  oben.  Zu  beginn  i^  kein  T^  zu  ende  $(,,  Ein  buchstabe  kann  durch  das 
unter  dem  henkel  aufgelötete  ornament  (nach  oben  offener  winkel  mit  kugelseg- 
menten  an  der  spitze  und  an  den  enden  der  schenke!,  die  ein  grösseres  kugelsegment 
zwischen  sich  einschliessen,  kein  dreieckiges  blatt,  sondern  zusammengesetztes 
stab-  und  scheibenornament  in  hochrelief)  gedeckt  sein.  Es  könnte  aber  auch 
diesem  aufzulötenden  Ornamente  zuliebe  ein  buchstabe  von  vornherein  weggelassen 
sein.  Die  buchstaben  der  aversseite  mit  in  hellerem  ton  hervortretendem  hasten 
sind  augenscheinlich  erhöht,  es  muss  also  die  kreisförmige  fusslinie  und  es  müssen 
die  als  helle  linien  erscheinenden  details  der  figuralen  darstellung  im  mittelfelde 
(schematisiertes  bild  eines  reiters  und  eines  vogels)  erhöht  sein.     Der  prägestempel 

1)  Demgemäss  ist  auch  Bugge,  NI  m.  de  seldre  runer  Indledning  s.  51,  z.  6—7 
v.  0.  richtig  zu  stellen. 

2)  Ludv.  F.  A.  Wimmer,  Die  runenschrift,  Berlin  1887  s.  235-236  nach  der 
zweiten  Zeichnung  von  Arx  aus  W.  Grimm,  Zur  lit.  der  runen  —  Arkiv  för  nord. 
filol.  14  (1898)  s.  109. 


276  GUIENBERGER 

ist  demnach  in  hochrelief  geschnitten  und  von  rückwärts  her  appliziert,  d.  h.  die 
aversseite  des  brakteaten  ist  der  den  prägestempel  wiederholende  durchdruck,  wälirend 
sich  die  reversseite  des  brakteaten  zur  steiupelprägung  als  negativer  abdruck  ver- 
hält. Der  zweite,  obere,  punkt  nach  der  ersten  der  4  buchstabengruppen  §  war  da, 
ist  aber  verloren  gegangen,  mindestens  undeutlich  geworden.  Die  figur  zwischen 
4^  und  Y  in  der  dritten  gruppe  tritt  bei  besserer  beleuchtung  als  ^  hervor.  Wenig 
scharf  umrissen  ist  das  zeichen  O  in  der  vierten  gruppe,  das  wie  eine  einheitliche 
erhebung  mit  abgerundeten  ecken  aussieht. 

Die  aversseite  abgebildet  auch  bei  E.  Brate*  in  2:1,  also  gleich  dem  masse 
der  Photographie,  zusammen  mit  der  aversseite  der  doublette  in  3:1.  Brate  be- 
merkt 8.  168  und  172 :  sichere  spuren  eines  M  zu  ende  seien  auf  der  kehrseite  des 
vermutlich  dem  ausgange  des  5.  Jahrhunderts  angehörigen,  1774  gefundenen  brak- 
teaten nr.  178  a  nicht  mehr  wahrnehmbar. 

Der  mit  demselben  Stempel  geprägte,  1906  vom  historischen  staatsmuseum 
erworbene  goldbrakteat  nr.  178  b  ist  an  der  eisenbahnstrecke  nordwärts  von  Motala 
gefunden.  An  demselben  ist  der  angelötete  henkel  etwas  mehr  nach  rechts  gesetzt. 
Vor  den  10  strichen  des  komplexes  luwatwva  sieht  man  einen  unteren  punkt  als 
trennungszeichen  und  die  untere  hälfte  des  ^^  nämlich  der  linken  aufrechten  hasta 
und  der  beiden  inneren  diagonalen.  Diese  angäbe  ist  an  der  abbildung  Brätes 
tafel  59  jedoch  nicht  nachprüfbar. 

2.  reversseite:  genau  unter  dem  henkel  zwei  parallele,  aufrechte  hasten,  be- 
ziehungsweise balken  in  weissen  linien,  senkrecht  auf  die  kreisförmige  grundlinie 
gestellt.  Sie  lassen,  nach  den  jeweils  äusseren  begrenzungen  gemessen,  oben  wie 
unten  eine  distanz  von  4  mm  zwischen  sich.  Das  ist  ganz  genau  die  distanz 
zwischen  den  äusseren  begrenzungen  des  M  der  Umschrift  nach  der  Photographie 
der  Vorderseite  gemessen.  Die  sichtbare  höhe  der  beiden  hasten  —  sie  sind  auch 
auf  der  kehrseite  durch  einen  absinkenden  teil  des  angelöteten  henkeis  gedeckt  — 
beträgt  gleichfalls  4  mm,  nicht  sehr  verschieden  von  der  höhe  des  M  zu  5  mm. 
Dass  die  diagonalen  des  M,  das  man  als  einzigen,  im  fujiark  des  brakteaten  noch 
fehlenden  buchstaben  erwarten  muss,  nicht  deutlich  sichtbar  seien,  soll  nicht  ge- 
leugnet werden.  Ich  konstatierte  aber  am  22.  VII.  17,  5  uhr  25  nachmittags  bei 
zerstreutem  tageslicht  ohne  direkte  sonne  vollkommen  klar  und  unzweifelhaft  die 
von  rechts  unten  nach  links  oben  aufsteigende  diagonale  \\  in  ihrer  ganzen  er- 
streckung, soweit  sie  nicht  von  oben  her  durch  den  mittleren  bügelteil  des  henkeis 
überdacht  wird.  Hinsichtlich  der  von  links  unten  nach  rechts  oben  ansteigenden 
diagonale,  die  theoretisch  gefordert  ist,  denn  eine  andere  ergänzung  des  torsos  als 
die  zu  M  gibt  es  nicht,  vermochte  ich  nicht  zur  gleichen  Sicherheit  vorzudringen. 
Vom  ui^teren  teile  dieser  diagonale  bis  zum  kreuziingspunkte  sah  ich  überhaupt 
nichts  und  der  obere  teil,  den  ich  zwar  wahrnahm,  wurde  mir  in  seiner  geometrischen 
konfiguration  nicht  ganz  überzeugend. 

In  ähnlicher  weise  habe  ich  früher:  Freilaubersheim,  zeile  2,  schluss  in 
*göliu  den  dem  l  Y  angehörigen,  allein  persistierenden  seitenstrich  **•  zum  köpfe  des 
vorhergehenden  Si.  gerechnet,  ohne  aber  jemals  die  entsprechende  geometrische 
Überzeugung  gewinnen  zu  können.  Es  hat  sich  nachträglich  gezeigt,  dass  dieselbe 
falsch   gewesen   wäre,   denn   das  o  der  inschrift  ist  ein  solches  mit  sehr  schmalem 

1)  Östergötlauds  runinskrifter  2dra  bandet,  Stockholm,  1911,  4  ",  tafel  59 
nr.  178  a  und  178  b. 


RUNENSACHEN  277 

köpfe,  und  der  seitenstrich  des  l  gehört  nicht  zu  ihm.  Es  scheint  aber  doch,  dass 
der  vermutliche,  obere,  rechte  teil  der  diagonale  am  rf-torso  von  Vadstena  nach 
links  unten  verlängert  die  linke  aufrechte  hasta  am  fusspunkte  treffen  würde.  Man 
wird  also  auch  die  zweite  diagonale  des  buchstaben  als  zum  teil  sichtbar  bezeichnen 
können. 

3.  Die  abkunft  der  ing- rnnQ. 

Nach  der  Zusammenstellung  bei  Otto  von  Friesen '  wird  für  die  urnord.  und 
ags,  n(/-rune,  deren  typische  einheitlichkeit  in  den  formen  Vadstena  und  0vre  Stabu 
O^,  Opedal  $*,  ags.  in  fuj)arken,  Themsemesser  und  hsl.,  auch  in  epigraphischen 
texten  wie  Bewcastle  $  *  unmittelbar  zutage  liegt,  ligatur  zweier  aneinander  ge- 
rückter griechischer  gamma,  cursiv  und  buchschrift  fT  behauptet,  wonach  man 
geneigt  sein  könnte,  die  gelegentliche  form  dieses  buchstabens  im  fujiark  von 
Kylfver  ^,  im  wesentlichen  ein  auf  einer  Schmalseite  stehendes  rechteck  [],  mit 
V.  Friesen  als  die  ursprünglichste  zu  betrachten.  Die  Umbildung  würde  man  dem- 
nach als  ersatz  des  rechteckes  durch  ein  quadrat  oder  raute  und  drehung  der  geo- 
metrischen figur  auf  der  grundlinie  um  45 "  definieren  müssen. 

Gegen  diese  annähme  macht  Bugge'  die  sichtliche  Inkongruenz  der  gamma- 
ligaturen  v.  Friesens  und  des  ?ir/-zeichens  von  Kylfver  geltend  und  leitet  seinerseits 
die  rune,  für  die  er  die  in  der  queraxe  geöffnete  und  nach  links  verschobene  form 
des  horns  von  Gallehus  ^  ''  zugrunde  legt,  aus  2  einander  zugewendeten  griechischen 
gamma  ab,  i.  b,  in  dieser  meinung  bestärkt  durch  das  von  ihm  silbisch  als  ing 
gelesene  paar  >>  des  brakteaten  17.  Sowie  dieses  zeichen  eine  n  eb  eneinander- 
setzung  zweier  griechischer  gamma,  sei  das  andere,  gewöhnlichere  eine  griechische 
ligatur  zweier  gamma  und  die  ags.  form,  zweifellos  später,  in  Übereinstimmung 
mit  Wimmer  eine  ineinanderschiebung  zweier  einander  zugewendeter  gamma  <, 

Am  meisten  entspräche  in  diesem  falle  das  gamma  der  chalkidischen  kolonien 
von  Veji  <  *,  das  als  graphisches  element  mit  dem  eckigen  lateinischen  <  und  der 
aus  diesem  bezogenen  germau.  rune  /.;  <  identisch  ist.  Wie  dieses  zeichen  aber 
mit  dem  lateinischen  und  mit  dem  bezeugten  runischen  lautwerte  /.•  alphabetisch 
nicht  brauchbar  ist,  um  in  seiner  doppelung  kk  den  lautwert  ny  vertreten  zu  können, 
so  ist  es  anderseits  schwer,  an  eine  nebenher  laufende,  besondere  entlehnung  des 
griechischen  gamma  <  mit  dem  runischen  lautwerte  g  zu  glauben,  sowie  in  den 
anscheinend  einfachen  graphischen  gebilden  der  urnord.  und  ags.  rune  ng  irgendeine 
orthographische  absieht  und  zwar  i.  b.  eben  jene  wieder  zu  erkennen,  die  dem 
griechischen  yy  entspräche.  Nur  die  doppelschreibung  >>  =  {i)ng  des  brakteaten  17 
würde  dieser  anforderung  genügen.  Die  möglichkeit,  sämtliche  n^-zeichen  aus  einer 
grundform  zu  erklären,  bietet  sich  bei  darstellung  der  griechischen  Orthographie  yY 
mit  den  mittein  des  runischen  typenvorrates.  In  der  runischen  doppelschreibung 
99  XX  ist  sowohl  die  paarung  <<  des  brakteaten  17  als  auch  die  urnord.  raute  O 

1)  Om  runskriftens  härkomst,  Uppsala  1904(— 1906). 

2)  G.  Stephens,  The  oldnorthern  runic  monumeuts  2  (1867— 6S)  p.  533  und 
•S.  Bugge,  Norges  Indskrifter  med  de  «Idre  runer  1,  416. 

3)  Bugge,  NX.  1,  298  und  300. 

4)  Bugge,  NX.  Indledning  s.  28  und  Stephens  1  (1866-67)  p.  399. 

5)  Bugge,  NX.  Xndledning  s.  7. 

6)  Bugge,  NX.  Xndledning  s.  113—115. 
1)  Stephens,  1,  325. 

8)  Wilhelm  Larfeld  in  Handb.  d.  klass.  altertumswiss.  I  -  (1892)  s.  505. 


278  (ilUENHEliUKK 

enthalten  und  durch  weglassung  von  je  4  Strichelementen  zu  gewinnen,  während 
die  ags.  form  durch  Verlängerung  der  neuen  kreuzungsstriclie  an  der  form  von 
Opedal  zustande  kommt. 

Silbisch  gebrauclit  findet  sich  ng  in  Opedal  Birgngu '  und  im  namen  P>ew- 
castle  ^?H^in$  ',  der  nach  dem  vorbilde  von  Beowulf  2921  Mereivloing  in  Öswiuing: 
UswiH  7  Jh.,  auch  Öswlo^  auszuschreiben  ist.  Ferner  in  der  Umschrift  des  brak- 
tcaten  17  ',  die    ich  mit   benutzung  des  von  Bugge  zusammengetragenen  materiales 

l  &  _^      10  15  ___  20  2.-1 

(r.)  O  Äk  O  ctEk  —  (1.)  eltvwÄaeJck  O  ngE  uim  nge(s)s  lese  und  gleich  Bugge  als 
besitzvermerk  erkläre,  dabei  ist  das  zeichen  1,  4,  16,  eine  geschlossene  raute,  mit 
Bugge  als  interpunktion  verstanden,  das  zeichen  2  und  11  aber  -f-  das  Bugge  ! 
transliterierte,  vielmehr  nach  M.  Olsen  bei  Bugge  ^  als  eine  form  der  yära-rune.  die 
ich  aber  hier  nicht  mehr  mit  dem  alten  lautwerte  ./,  sondern  nach  vollzogener  anlaut- 
apokope  mit  dem  späteren  lautwerte  A  ansetze.  Hinsichtlich  der  dritt-  oder  viert- 
letzten bis  vorletzten  rune,  für  die  man  den  holzschnitt  bei  Stephens  nicht  zugrunde 
legen  darf,  wohl  aber  die  phototypische  reproduktiou  Bugges,  bin  ich  zu  der  mit 
eben  diesem  übereinstimmenden  lesung  r^^M<  gelangt,  nur  dass  ich  von  dem  an- 
genommenen s  an  vorletzter  stelle  nichts  wahrzunehmen  vermag  und  das  von  Bugge 
als  g  bewertete  zeichen  <  lieber  als  dritte  form  von  7ig  —  so  auch  auf  der  spange 
von  Balingen!  —  in  anspruch  nehme.  Der  schluss  des  komplexes  (1.)  semng  .  .  ^ 
ergänzt  denselben  zum  genitiv  eines  mask.  personenuamens  *Iyigeringe(s)s. 

Die  formel  *ä  ek  -?;  *aih  el-  'possideo  ego'  ist  zweimal  gesetzt,  in  verschiedener 
Orthographie  und  in  dem  längeren  teile  der  gesamtlegende  mit  unverkennbaren 
namenselementen,  einem  beinamen  *Elwa  im  nomicativ  und  einem  patronymischen 
genitiv  mit  silbischer  lesung  des  anlautes*  [i/ngeu(h)miges  verbunden,  während 
die  erklärung  des  komplexes  Ak  im  kürzeren  teile  noch  nicht  mit  Sicherheit  gegeben 
werden  kann.  Möglicherweise  ist  er  als  kürzung  des  auf  den  brakteaten  nr.  35, 
36,  89,  41a,  84,  96®  erscheinenden,  glaublichen  personennamens  AAkai<  und  Varianten 
zu  verstehen.  Der  name  Elwa  ist  vom  hrakteaten  von  Setvet'  her  bekannt,  der 
patronymische  name  urnord.  *IngiHHgan  ist  als  ableitung  aus  einem  compositum 
mit  inghe-,  ingi-  zu  betrachten.  Nach  an.  Egilsson  178  Jitjihigr,  gen.  ßtji'ings  m. 
'vir  dives',  sowie  ebenda  6U2  nidjüngr  m.  'filius,  cognatus,  consanguineus',  auch 
eddischer  personenname  zum  ./a-stamm  yiidr  ist  germ.  *inguHla-,  repräsentiert  auch 
durch  den  ags.  namen  Ingui^  als  basis  des  mit  «^-suffix  abgeleiteten  namens  auf- 
zustellen. Die  beiden  namen  in  der  gesamtlegende  *Äk  <  cii<  >  d  —  ek,  Elwa  A  —  ek 
<  I  >  ngeünges  müssen  sich  dabei  keineswegs  auf  2  personen  verteilen,  da  gleich 
dem  Elwa  Onla  oder  Onla  Elwa  von  Setvet  sehr  wohl  auch  eine  kombination 
Akaii'   Elwa  als  benennung  einer  person  möglich  ist. 

Sämtliche  figuren  des  runischen  ng  enthalten  den  Winkelhaken  <  als  graphisches 
Clement  und  werden  in  ihren  vollen  formen   mit   doppelsetzung  eben  dieses  in  ver- 

1)  Bugge,  NI.  302  und  Indledning  14. 

2)  Stephens  1,  399  und  Victor,  Die  northumbrischen  runcnsteine  (1895)  s.  15. 

3)  Searle,  Onomasticon  ("1897)  s.  380. 

4)  Stephens  2,  529  und  Bugge  in  Aarboger  1905  s.  222-231. 

5)  Aarboger  1905,  229-230. 

6)  Stephens  2,544-6;  3,255  und  464-66;  Bugge  Aarboger  1905,  199-200 
und  266-269. 

7)  NI  1,  168-174;  2,535-6. 

8)  Searle  1,  317. 


RUNEN  SACHEN  279^ 

schiedener  anordnung  geschrieben.  Mit  einem  solchen  elemente  operierte  schon 
Julius  Zacher ',  bei  dem  nur  das  eine  festzuhalten  ist,  dass  dieses  graphische  ele- 
ment  nicht  zugleich  auch  als  alphabetisches  genommen  werden  darf.  Die 
bemerkung  Zachers,  es  müsse  eine  zeit  (auch  ort  fügen  wir  hinzu)  gegeben  haben, 
zu  der  der  Winkelhaken  <  auch  die  geltung  von  <j  hatte,  ist  zwar  an  sich  betrachtet 
ganz  richtig,  wie  das  griechische  gamma  <  von  Lokris,  Koriuth  und  Korkyra^  lehrt, 
aber  von  unmittelbarer  Zugrundelegung  desselben  für  das  ruuenzeichen  wird  man 
besser  absehen  und  i.  b.  die  typische  entstehung  der  «r/-rune,  von  der  die  jeweils 
graphische  ausführung  immer  zu  scheiden  ist,  kann  nicht  auf  diese  zeitlich  ent- 
legenen und  lokal  beschränkten  gammaformen  begründet  werden.  Sie  ist  nach  dem 
vorgetragenen  als  eine  nachbildung  zu  verstehen,  die  das  germanische  runenalphabet 
bereits  zur  Voraussetzung  hat. 

Der  name  des  Zeichens  ags.  ing,  var.  (h)mc',  got.  engnz,  d.  i.  *iggics,  sollte 
im  got.  alphabete,  das  die  velare  nasalis  ng  durch  die  alphabetisch  noch  durch- 
sichtige geminata  gg  ausdrückt,  eben  dieser  in  ihrer  besonderen  funktion  zukommen. 
Bekanntlich  ist  aber  der  name  vielmehr  mit  dem  x^  X  des  got.  alphabetes,  var.  "X 
verbunden  *,  worin  ich,  wahrscheinlich  mit  recht,  freie  Übertragung  des  im  got. 
alphabete  überschüssigen  runennamens  gesucht  habe-^.  Das  schliesst  aber  nicht 
aus,  dass  der  name  im  germ.  runenalphabete  nicht  erst  für  die  stilisierten  Verein- 
fachungen der  als  velare  nasalis  funktionierenden,  graphischen  geminata  gg^  sondern 
schon  für  eben  diese  erfunden  ist. 

4 .  Zu  den  ags.  m ü n  z i  n  s  c h  r  i  f t e n. 

Die  verschiedene  behandlung  ein  und  desselben  german.  diphthongen  au  in 
den  beiden  ags.  namen  Scänomödu  und  jEniwulufH,  zusammengestellt  von  Bugge^ 
ist  auffallend.  Sie  erklärt  sich  doch  ohne  Schwierigkeit  nach  analogen  Vorgängen 
in  der  ags.  lautentwicklung.  Der  Übergang  des  diphthongen  au  im  namenelemente 
anno-,  anni- ',  ags.  tan-  ^  zu  (J'  schliesst  sich  den  beispielen  der  ebnung  (smoothing) 
bei  Bülbring*':  kec  'lauch',  flceh  'floh',  tceg  'das  tau'  an,  bei  denen  der  urags.  di- 
phthong  (Po  zu  urangl.  <?,  später  verengt  e,  monophthongiert  wurde;  jener  des  au 
im  elemente  scauni-,  scöni-  ^^  aber  der  monophthongierung  ags.  ea  (wg.  au)  >  e«  >  ä, 
die  in  scäwung  'anblick'  <  Hceawtmg  vorliegt  und  nach  Bülb rings  darstellung'' 
durch  akzentverschiebung  bedingt  ist.  Diesem  gesicherten  beispiele  gegenüber  kann 
es  nichts  ausmachen,  dass  diese  separate  Umbildung  des  urags.  (Po  weder  in  den 
Varianten  zum  appellativschen  adjektiv  scine^'\  noch  in  personennamen,  wozu  nur 
Sceniimlf  pt.  LVD  **,  ein  zweites  mal  auftaucht. 

1)  Das  got.  aiphabet  Vulfilas  1855,  s.  30-31. 

2)  Wimmer,  Die  runenschrift,  tafel  1. 

3)  Arkiv  f.  n.  fil.  15  (1899),  s.  8. 

4)  Wilh.  Grimm  in  Jahrbücher  der  iit.  43;  6. 

5)  PBB.  21,  219. 

6)  Aarböger  f.  nord.  oldkyndighed  1870,  s.  207. 

7)  Förstemann  nbch.  I^,  sp.  207-209. 

8)  Searle  s.  208-212. 

9)  Ae.  eleraentarbuch  1.  teil:  lautlehre,  Heidelberg,  1902,  §  193,  auch  §  200. 

10)  Förstemann  sp.  1306. 

11)  A.  a.  0.  ^  333. 

12)  Boswortii-Toller  s.  833. 

13)  Searle  410. 


280  ORIENBERGER 

An  den  rechtsläufigen  runen  des  compositums  mit  möd,  dessen  lesung  bei 
Stephens  '  in  der  'additioual  note  on  bracteate  nr.  74'  an  der  zweitzitierten  stelle 
berichtigt  ist,  interessiert  das  4-eleraentige  s;  ^^  die  vorform  A  des  ags.  a'n  h 
und  die  alte  geltung  0  des  zweimaligen  5^,  an  denen  des  linksläufig  geschriebenen 
composituras  mit  inUf  des  brakteaten  nr.  75  aber  das  wie  ein  \>  aussehende  iv  mit 
voller  Spannweite  des  seitendetails  und  das  einem  nordischen  k  gleichende  -/  mit 
einfachem  aufstriche.  Beide  namen  in  runen  finden  sich  neben  lateinischen  legenden 
auf  den  brakteaten  und  sind  jeweils  von  zweiter  hand  angebracht;  der  name 
Scänomödii  in  einen  freien  teil  der  Umrandung  eingeflickt,  der  name  j-Eniivuhifu, 
wie  es  scheint,  direkt  über  eine  andere  legende  gesetzt,  von  der  noch  der  komplex 
LIO  stehengeblieben  ist. 

Beide  namen  sind  masculin  und  im  auslaut  -u  nicht  ags.,  sondern  vulgäre 
latinisierung  statt  sonstigem  -us,  die  nach  den  beispielen  germanischer  herkunft 
Alpulfu,  Anshelmu,  Landeradn,  Sigualdii,  Sindipertu  neben  echt  lateinischen  namen 
Martt?m,  Mauru,  Moderatu  ^  zu  beurteilen  ist.  Mau  wird  nicht  fehlgehen,  sie  auf 
rechnung  jenes  vulgärlateinisch  sprechenden  bevölkerungsteiles  zu  setzen,  der  von 
den  Angelsachsen  während  der  ersten  zeit  ihrer  einvvanderung  in  Brittannien  ange- 
troffen wurde  ^. 

Der  themavokal  in  scäno-  gehört  einer  ursprünglicheren  gestalt  desadj.  west- 
germ.  skmmia-  *  an,  die  ein  (7-  oder  ein  «-stamm  gewesen  sein  kann.  Ja  es  wäre  wohl 
möglich,  da  in  der  got.  adjektivdeklination  bekanntlich  bei  den  n-stämmen  ein 
teilweiser  ersatz  durch  formen  der  Jo-deklination  eingetreten  ist,  dass  die  beiden 
bezeugten  casus  des  wulfllanischen  adjektivs  nom.  pl.  masc,  skaunjat  Rom.  10,  15 
und  dat.  sing,  neutr.  ihnaskaunjamma  Phil.  3,  21  mit  einem  uominativ  sing,  des 
einfachen  adjektivs  nicht  *skanneis,  sondern  *skaunus  zu  kombinieren  sind. 

5.  Ein  r  u  n  i  s  c  h  e  s  m  o  n  o  g  r  a  m  m. 

Die  auf  tafel  58  seines  werkes  ^  nr.  173,  2  verkleinerte  abbildung  einer  rippe 
mit  runeninschrift  und  die  unter  nr.  173,  3  gegebene  nachbildung  der  inschrift  in 
natürlicher  grosse  begleitet  Erik  Brate  1,  163—164  mit  der  angäbe:  in  der  alten 
kirche  zu  Skärkind  wurde  eine  rippe  von  77,5  cm  länge  aufbewahrt,  vermutlich 
von  einer  grösseren  delphinart,  ähnlich  dem  delphinus  orca  Lin.  mit  Inschriften  auf 
der  konkaven  seite  des  knochens  nahe  dem  schmälende,  10  cm  von  demselben  beginnend 
in  zwei  gruppen.  Die  eine  ^A)  gelesen  pcettwrefen,  aufgelöst  ^pwttce  (er  refen, 
übersetzt  'das  ist  eine  rippe',  -die  andere  (B)  ein  monogramm,  über  welches  Brate 
nur  vage  Vermutungen  vorgebracht  hat. 

Die  Umschrift  der  ersten  gruppe  bei  Brate  erfordert,  dass  sowohl  die  in  der 
ligatur  mit  t  enthaltene  rp-rune  als  auch  das  folgende  /•  haplographisch  bezogen 
werde.  Das  erste  (e  der  inschrift  1  wird  im  unteren  teile  von  einer  parallele  zum 
mittleren,  kreuzenden  striche  durchschnitten,  die  sich  auch  durch  das  folgende  t  fort- 
setzt und  sich  mit  dem  linken  abstriche  des  zweiten   i  nahezu  vereinigt.  Allem  anscheine 

1)  2,  879  und  1,  LXVHI-LXIX. 

'1)  Libri  confraternitatum  Sancti  Galli  ...  ed.  Paulus  Piper.  Berolini  1884. 
4"  pag.  243-44. 

3)  Bülbring  §  14. 

4)  Wortschatz  der  germ.  spracheinheit  von  Alf  Torp.    Göttingen  1909,  s.  465. 

5)  Östergötlands  runinskrifter  granskade  och  tolkade,  2dra  bandet,  Stockholm, 
1911,  4". 


RUNENSACHEN  281 

nach  gehört  sie  in  der  tat  dem  ductus  eben  dieses  abstriches  au  und  ist  daher  in 
ihrer  ganzen,  2  buchstaben  durchschneidenden  ausdehuung  als  zufällige  Verletzung 
ohne  literale  bedeutung  anzusehen.  Die  phrasierung  der  aufschrift  'das  ist  eine 
rippe'  vergleicht  sich  u.  a.  der  Stoffbezeichnung  ohne  pronomen  auf  der  Stirnseite 
des  Clermonter  kästchens  hronces  bdn  'walfischbein',  oder  der  Umschrift  des  ringes 
von  Coquet— iland :  +  pis  is  sinhifnr.  xx  *  'das  ist  silber',  einer  ags.  sonst  nicht 
weiter  bezeugten  form  des  stoff'namens  mit  schaltvokal  vor  dem  /,  wie  sioliifr, 
silofr  einerseits  und  mit  eben  solchem  nach  dem  /,  wie  sylfor,  seolfur  anderseits  '^ 
Das  in  frage  kommende  demonstrativpronomen  generis  neutrius  verzeichnet 
Noreen'  unter  patta,  pmttce  als  seltene  nebeuform  zu  gewöhnlichem  Jxetta  und  erklärt 
refen,  indiziert  s.  586  als  n.  reben  =  aschwed.  re(f)ben  als  sporadische  assimilierung 
von  b  an  b  >  bb*.  Wieso  indessen  bei  Noreen  a.  a.  o.  bb  aus  bb  als  regressive 
assimilation  bezeichnet  wird,  ist  mir  nicht  verständlich.  Sie  ist  ja  doch  vielmehr 
progressiv!  regressiv  aber  allerdings  die  refen  geschriebene  form  der  inschrift,  die 
offenbar  eine  ausspräche  *redben  verlangt.  Die  rnnen  dieser  partie  gehen  von  links 
nach  rechts.  Dagegen  entwickelt  sich  das  monogramm  (B)  in  zwei  teilen  (rune  1 
und  2—6)  von  rechts  nach  links.    Ich   zerlege   dasselbe  in  6  buchstaben  ^H^r"Q)t 

6   5  4  3   2    1 

von  denen  3  gegen  die  schriftrichtung  orientiert  als  wenderune,  4  als  sturzrune  er- 
scheint.    Die  übrigen  runen  1,  2,  5,  6  entsprechen  der  schriftrichtung. 

Ich  translitteriere  1  mit  silbischem  werte  ha,  2—6  als  ßlquk  und  erhalte 
demnach,  indem  k  zu  ende  als  g  funktioniert,  den  frauennamen  *HaJ)laug.  Silbischen 
wert  ha  hat  die  rune  >f  beispielsweise  auch  in  der  inschrift  des  Steines  von  Tuan 
an  erster  stelle  des  komplexes  )|(R>j<r'1,  genitiv  des  bekannten  namens  könig 
Ha>-al(d)s°,  einen  frauennamen  mit  -lang:  Kilaiik  'Gillög'  enthält  die  inschrift  eines 
Steines  zu  Bromstad,  derselbe  name  findet  sich  im  genitiv  Kinlaukar  (Ginlög)  auf  einem 
steine  zu  Ölstad,  zwei  andere  composita  klnpljank  'Gudlög'  und  hielmlauk  'Hjälmlög' 
gewährt  ein  stein  zu  ö.  Selö*.  Das  Verzeichnis  runischer  Wörter  bei  Noreen  bietet 
ausserdem  Faslaug,  acc.  Fastlauku  und  Hulmnlauk,  in  späterer  form  -ISgh,  -logh '. 
Von  deutscher  seite  entspricht  Hadalaoe  9  St.  P.  oder  Hadalang  u.  a.  Schreibungen  ^ 
Eine  Wirkung  des  umlautes  vom  n  der  mittelsilbe  (themavokal !)  her  vermisst  man 
gegenüber  aisl.  eddisch  HQj)broddr,  woraus  zu  entnehmen  ist,  dass  diese  form  des 
frauennamens  schon  vor  Wirkung  des  «-umlautes  den  themavokal  synkopiert  oder 
durch  a  ersetzt  hat.  Brate  bezeichnete  dieses  monogramm  als  h  mehr  einer  binde- 
rune,  die  zu  ende  ein  R  enthalte. 

Das  vermeintliche  R  erschiene  als  wende-  und  sturzrune  zugleich.  In  der 
gegebenen  auflösung  hat  dasselbe,  das  durch  die  abstriche  des  a  und  den  ki'euzenden 
aufstrich  des  k  vorgetäuscht  wird,  keinen  platz.  Die  nicht  abgebildeten  Inschriften 
der  rückseite  der  rippe  bestehen  nach  Brätes  angäbe  C  aus  einem  R,  3  •  5  cm  vom 
schmalende,  und  D  aus  2  mit  dem  stabe  gegeneinander  gekehrten  R,  15  cm  von 
eben  diesem  entfernt,  woraus  ich  vorläufig  nichts  machen  kann. 

1)  Stephens  1  (1866-67),  480-1. 

2)  Bosworth-Toller  s.  864. 

3)  An.  grammatik  II:  aschwed.  gramm.     Halle  1904,  §  509  und  a.  4. 

4)  Ebenda  §  284.^ 

5)  V.  Friesen,  Tvä  Smäländska  runstenar  1907,  s.  17—18. 

6)  E.  Brate,  Skansens  runstenar  1897  s.  5,  9,  13. 

7)  An.  gramm.  II,  §  81,  2,  b. 

8)  Libri  confraternitatum  452. 


282  GRIENBEKGER 

6.  Zu  den  runischen  exsecrationen. 


Drei  iuschrifteii  mit  dem  Charakter  von  defixionen  hat  Magnus  Olsen '  zu 
einer  kleinen  gruppe  vereinigt:  die  von  ihm  schon  früher  veröffentlichte  Inschrift 
des  Webeblattes  von  Lund*  sowie  jene  zuletzt  von  H.  Gering  behandelte  des  bei- 
nernen weberkammes  von  Drontheim '  und  die  durch  v.  Friesen  bekanntgemachte 
der  kupferdose  von  Sigtuna*,  sämtlich  um  das  jähr  1000  zu  datieren  und  auf  losen 
gegenständen  vorfindlich,  die  nichts  mit  grabausstattung  zu  tun  haben. 

Dem  texte  des  Webeblattes  von  Luud  Sktiaran.-iki  |  mar:  afa:  \  (m)an: 
mn:  krat:  \  aallatti,  in  an.  sprachform  *Sigvaraii-Inghnarr  hafa  man  meingrat 
'der  Sigv^r-Ingimarr  soll  durch  schaden  verursachtes  leidwesen  haben',  seien  8  runen 
ohne  sprachliche  bedeutung  angehängt. 

Es   hat  sich  aber  Olsen  entzogen,  dass  dieselben  aus  ihrer  gegebenen  anord- 

1      2    3   4    5    6    7    8 

nung  a  a  l  l  a  t  t  i  in  die  folge  1,  3,  6,  2,  4,  5,  7,  8  gebracht,  nicht  nur  sprech- 
bare komplexe  alt  a  lati,  sondern  auch  deutbare  Wörter  ergeben,  die  sich  mit  den 
entsprechenden  einrichtungen  in  der  gestalt  *allt  a  landi  'überall  im  lande'  ausserdem 
sinngemäss  dem  vorhergehenden  texte  angliedern  und  ihn  ergänzen,  allt  ist  als- 
adverbium  zu  verstehen  und  (/  landi  als  zweite,  örtliche  bestimmung.  Da  das 
Webeblatt  in  einem  glaublichen  fraueugrabe  gefunden  ist,  jedesfalls  ein  frauengeräte 
darstellt,  so  liegt  der  schluss  auf  der  band,  dass  die  Verwünschung  einem  ungetreuen 
liebhaber  zugedacht  sei. 

Die  kombination  mit  dem  genitiv  eines  frauennamens  Sigvarar-Ingimarr  ist 
von  M.  Olsen  in  seiner  ersten  publikation  s.  9  metronymisch  verstanden,  wogegen 
V.  Friesen  •''  in  Sigvgr  den  namen  der  neuen  geliebten  des  Ingimarr  erkennen  wollte. 
Möglich  ist  das  eine  wie  das  andere. 

Die  Vermutung  M,  Olsens,  dass  der  runenkomplex  zu  ende:  atti  mit  der 
Inschrift  der  steiuaxt  von  Veile,  13.  jh.,  lyfatyo  etwas  zu  schaffen  habe,  ist  durch 
nichts  gestützt.  Ich  behaupte  vielmehr,  die  8  runen  am  ende  des  textchens  seien 
eine  auflösung  der  beabsichtigten  worte  in  ihre  elemente  und  demnach  eine  ver- 
steckschrift,  der  nicht  notwendig  irgendwelche  andere,  'magische'  absiebten  inne- 
wohnen müssen.  Eine  ähnliche  auffassung  dürfte  wohl  auch  für  die  neben  und 
zwischen  manifesten  werten  stehenden  buchstabengruppen :  8  a,  3  Ä,  3  «,  hmn,  3i* 
des  beingerätes  von  Lindholm  geltend  zu  machen  sein,  unbeschadet  allfälliger,  be- 
sonderer beziehung  und  bedeutung  der  gewählten  zahlen,  die  man  für  die  von  S.  Bugge^ 
verglichene  formel  gegen  kvennagaldur  Risti  eg  per  \  dsa  atta,  |  naudir  niu,  nicht 
ohne  grund  vermuten  kann. 


-    1)  Om  Troldruner:  Edda  Kristiania  5  (1916)  s.  225—45. 

2)  Trylleruneme   paa   et  Vsevspjeld  fra  Lund  i  Skaane:   Videnskaps-selskaps 
forhandlinger.     Christiania.     1908,  nr.  7. 

3)  Ärkiv  f.  nord.  fil.  33  (1917),  s.  63. 

4)  Fornvännen  1912. 

5)  Ur  vära  fäders  magi.  Upsala  Nya  Tidning.     1911. 

6)  Edda,  s.  228. 

7 )  Bemaerkninger  om  runeindskrifter  pu  guldbrakteater :  Aarbeger  for  nordisk 
oldkyndighed  .  .  .  1871,  s.  185. 


RÜNENSACHEN  283 

b. 

Aus   dem  gesichtspunkte   einer   Verwünschung   empfängt   auch   der  ags.  text 
der  beinlamelle  des  British  Museums  neues  licht,  für  dessen  buchstabenbestand  die 

1  5  _  10  _  15  25  24 

von  mir  gegebene  lesung  * :  gäd  gecnäp  äua  Hadda  pl  pis  wrät  zugrunde  gelegt 
werden  muss.  Diese  modifizierte  einteilung  der  24  lettern  (eingerechnet  2  binde- 
runen!)  empfiehlt  sich  angesichts  der  sprachlichen  einwände  F.  Holthausens'-,  von 
denen  mir  namentlich  die  einforderung  des  Wortes  gecnäp  als  verbalform  von  gewicht 
erscheint.  Da  man  aber  von  dem  satze  in  Holthausens  fassung  'mangel  kennt 
immer  Hatto,  der  dies  schrieb'  nicht  vriisste,  welche  art  notiz  das  sein  sollte  und 
die  damit  in  Verbindung  stehende  erklärung  von  pi  als  relativpronomen  'der'  von 
Holthausen  selbst  in  seiner  zweiten  miszelle  zugunsten  meiner  deutung  als  adv.  p'i 
'deshalb'  aufgegeben  ist,  befürworte  ich  für  gecnäp  nicht  3.  sing,  praes.  indicativi, 
sondern  2.  plur.  imperativi,  d.  h.  contraction  aus  *gecnäivap  und  somit  anrede  des 
verwünschten  mit  dem  plural  des  verbums  'ihr',  nicht  'du'.  Der  Charakter  der 
defixion  tritt  bei  einer  Übersetzung  'inopiam  noscite  semper  Haddo,  ea  de  causa 
hoc  scripsi'  unverkennbar  hervor  und  es  ist  durchaus  verständlich,  dass  zwar  der 
vom  fluche  zu  treffende  mit  namen  genannt,  der  urheber  der  Verwünschung  aber 
in  anonymität  gehüllt  ist. 


In  der  vorgenannten  Drontheimer  Inschrift:  'ich  liebte  sie  als  mädchen,  ich 
■will  nicht  poussieren  des  dreckigen  Erlends  weib'  äussert  sich  dieser  charakter,  wie 
von  M.  Olsen  s.  234  mit  recht  bemerkt  ist,  in  den  worten  des  zweiten  halbverses 
^als  witwe  würde  sie  mir  passen',  die  ja  das  abieben  des  gatten  ^llendr  füli  zur 
Voraussetzung  haben.  An  der  auch  von  Gering  in  ihrer  ganze  aufgenommenen 
lesung  Bugges^  finde  ich  die  konjektur  ek  nicht  überzeugend.  Beide  abbilduugen 
des  textes  auf  der  tafel  Bugges  zeigen  keinen  aufstrich  am  vermeintlichen  /.■  und 
eine  verhältnismässig  enge  distanz  zum  folgenden  n,  während  der  Zwischenraum 
zum   vorhergehenden  i  relativ   weit    ist.      Nach  Bugges   meinung  s.  10—11  wäre  im 

10111-213U15H; 

komplexe    '  I  ll  I P  T  l    zwar    ik  geschrieben,    aber    ek   zu    sprechen,    wogegen    das 

zweimalige  vorkommen  der  punktierten  e-rune  4  (in  req  und  celens\)  nicht  ein- 
gewendet werden  köime,  da  auch  anderwärts  beide  zeichen  das  ursprüngliche  /  und 
das  daraus  differenzierte  e  in  ein  und  derselben  Inschrift  zusammen  mit  dem  werte 
«  auftreten. 

Aus  gründen  der  raumverteilung  halte  ich  es  für  näher  gelegen,  dass  nicht 
an  der  zweiten  hasta  (11)  ein  seitlicher  aufstrich,  sondern  an  der  ersten  (10)  ein 
mittlerer  punkt  rückerstattet  werden  müsse,  so  dass  sich  vielmehr  die  negations- 
partikel  an.  ei,  gekürzt  aus  eigi  und  eine  lesung  des  halbverses  ei  vilat  req  ergibt, 
die  der  bisher  angenommenen  schon  deshalb  vorzuziehen  ist,  weil  bei  ihr  die  durch 
die  allitteration  bedingte,  ungerechtfertigte  hervorhebung  des  persönlichen  pronomens 
1.  person,  'ich  will  nicht  poussieren',  vermieden  bleibt. 

1)  Zeitschr.  41  (1909),  s.  428-431. 

2)  Zeitschr.  42  (1910),  s.  331-32  und  43  (1911),  s.  378. 

3)  Et  benstykke  med  runeskrift  .  .  .  Det  kgl.  norske  Videnskabers  Selskabs 
Skrifter  1901  (1902)  nr.  4,  19  ss. 

WIEN.  GRrENBERGER. 


284  BERENDSOHN    ÜBER   SCHBMiifilt,   DIE    .SAGE   VON    HENGI.ST    INI)    llOliSA 

LITERATUR. 

Dr.  Katharina  Sclirelner,  Die  sage  von  Hengist  und  Horea.  Entwicklung- 
und  nachleben  bei  den  dichtem  und  geschichtschreibern  Englands.  GermanfsohÄ 
Studien,  herausgegeben  von  Dr.  E.  Ehering.  Heft  12.  Berlin,  Emil  Ehering, 
1921.  XII,  166  s.  24  m. 
In  dieser  sehr  gründlichen  und  sorgfältigen  arbeit  wird  das  Schicksal  einer 
sage,  die  mit  recht  als  'gelehrtensage'  (s.  25)  bezeichnet  wird,  über  einen  Zeitraum 
von  mehr  als  1200  jähren  verfolgt.  Die  frühesten  quellen  bewahren  geschichts- 
charakter.  Als  ältester  zeuge  für  Hengist  kommt  der  sog.  Kosmograph  von 
Ravenna  (7.  jahrh.)  in  frage.  Die  berichte  von  Gildas  (kurz  vor  547;  ohne 
den  namen)  und  Beda  (731)  unterscheiden  sich  in  der  färbung  nach  der  nationalität 
ihrer  Verfasser.  Die  sagenbildung  ist  dann  werk  der  Britten :  sie  erscheint  zuerst 
in  der  Historia  Brittonum  des  sog.  Nennius  (ca  800)  und  wird  dann  von 
Gottfried  von  Monmouth  in  seiner  Historia  Regum  Britanniae  (1135) 
nach  Inhalt  und  form  vollendet.  Gegen  den  ungeheuren  einfluss  Gottfrieds,  der  ja 
die  Hengistsage  in  stark  brittischer  färbung  vorträgt,  kommen  die  stimmen  anderer 
historiker  nicht  auf.  Die  gründe  sind  (s.  50):  die  Vorliebe  der  zeit  für  die  roman- 
tische geschichtsschreibung,  wie  er  sie  bot,  und  die  politische  haltung  der  herr- 
schenden Normannen  gegen  die  besiegten  Sachsen.  Ausser  einigen  unbedeutenden 
Chroniken  (s.  81)  sind  die  zahlreichen  quellen  bis  zum  ende  des  15.  Jahrhunderts, 
meist  durch  Vermittlung  einer  normannischen  be arbeitung,  von  Gottfrieds  sagenform 
abhängig.  Eine  fortentwicklung  der  sage  bringen  nur  wenige  erweiterte  dar- 
stellungen,  hauptsächlich  La^yamons  Brut  (ca.  1205).  Gottfrieds  sagen  sind 
bestandteil  nationaler  Überlieferung  geworden. 

Anschliessend  an  den  scharfen  einspruch  Wilhelm  von  Newburys 
(nach  1198)  gegen  Gottfried  erwacht  die  historische  kritik  bei  Polydor  Vergil 
(1534),  jedoch  ohne  durchgreifenden  erfolg  gegenüber  der  beliebtheit  der  sagen 
auch  in  den  dichtungen  der  renaissancezeit.  Erst  um  18U0  wird  die  herkömmliche 
darstellung  als  sage  erkannt  in  der  History  of  the  Anglo-Saxons  von  Turner 
(1799— lb05),  der  zuerst  den  anfang  der  nationalen  geschichte  nicht  bei  den  Britten, 
sondern  bei  den  Angelsachsen  sucht.  Kemble  treibt  die  kritik  in  seinem  werk 
'The  Saxons  in  England'  (1849)  bis  ins  äusserste,  indem  er,  ein  schüler  Grimms, 
die  sagen  als  mythen  ohne  geschichtliche  Wahrheit  darstellt,  bis  durch  tiefer  ein- 
dringende forschuugen  das  richtige  mass  erreicht,  geschichte  und  sage  geschieden 
werden.  Die  Verteidiger  der  im  kern  germanischen  herkunft  des  englischen  volkes 
zerstören  endlich  die  brittische  sage,  welche  die  eigenen  vorfahren  in  so  ungünstigem 
lichte  zeigte  (letztes  viertel  des  19.  Jahrhunderts). 

Die  ganze  Untersuchung  ist  historisch-politisch  gerichtet,  was  im  'rückblick' 
(s.  168  ff.)  besonders  hervortritt.  Sie  erörtert  die  merkwürdige  tatsache,  dass  eine 
vom  feind  geschaffene  sage  bei  einem  volke  so  lange  geltung  haben  konnte.  Die 
Hengistsage  ist  aber  auch  dichtung.  Es  genügt  nicht,  sie  als  brittische  erfiudung 
nachzuweisen.  Es  lässt  sich  zwar  durch  quellenvergleich  zeigen,  dass  Hengist  viel 
angedichtet  ist;  aber  verrat,  hinterlist  und  grausamkeit,  die  ihm  nicht  nachzuweisen 
sind,  haben  sicherlich  bei  der  eroberung  Brittanniens  durch  die  Germanen  hundert- 
mal eine  rolle  gespielt.  Die  römische  kolonisation  der  insel  hatte  wie  die  spanische 
in  Amerika  oder   die   französische   in    .Marokko   die   formen   militärischer  besetzung 


BIXZ    ÜBER    SEILER,    LEHNWÖRTER  285 

und  wirtschaftlicher  ausbeutuus:,  die  germanische  war  dauernde  besiedeln ng 
unter  ausrottung  und  Verdrängung  der  einwohner,  genau  wie  die 
englische  in  Nordamerika.  Auch  wenn  uns  nicht  bezeugt  wäre,  dass  die  eroberer 
recht  unchristlich  zu  werke  gingen  (manchmal,  wie  bei  der  Vernichtung  des  jütischen 
reicbs  auf  der  insel  "Wight  durch  die  Sachsen,  sogar  untereinander),  könnten  wir 
es  daraus  erschliessen.  dass  die  brittische  spräche  keinen  eintluss  auf  das  angel- 
sächsische erlangt  hat.  Die  tiefe  erbitterung  gegen  die  gewalttätigen  eindringlinge 
war  gestaltende  kraft  der  Hengistsage  und  gibt  ihr  dichterische  Wahrheit  trotz  der 
Verfälschung  geschichtlicher  tatsachen.  Als  übernommenes  erzählergut  au& 
sächsischer  Stammestradition  ist  die  hinterlistige  ermordung  der  300  brit- 
tischen  edlen  beim  gastmahl  nachweisbar  (s.  20  f.).  Hier  ist  zu  erinnern  an  das 
beliebte  motiv  des  liallenkampfes  in  altgermanischer  heldendichtung,  der  ja  aucb 
stets  zwischen  wrten  und  gasten  beim  festlichen  gelage  entbrennt,  unter  bruch 
aller  sitten  und  eide. 

HAMBURG.  WALTER   A.    BERENDSOHN. 


Friedrich  Seiler,  Die  entwicklung  der  d  euts  chen  kultur  im  Spiegel 
des  deutchen  lehnworts.  11.  Von  der  einführuug  des  Christen- 
tums bis  zum  beginn  der  neueren  zeit.  3.  vermehrte  und  verbesserte 
aufl.    Halle  a.  S.,  buchhandluug  des  Waisenhauses,  1921.    X,  314  s.  36  m. 

Dass  Verfasser  und  Verleger  in  der  heutigen  zeit  den  mut  haben,  die  im 
jähr  1913  begonnene  dritte  aufläge  des  bewährten  Seilerschen  buches  fortzusetzen, 
verdient  allein  schon  anerkennung.  Nicht  weniger  löblich  ist  aber  auch  die  art 
der  bearbeitung,  die  dem  buch  einen  Zuwachs  nicht  nur  an  äusserem  umfang  (von 
etwa  drei  bogen),  sondern  auch  an  innerem  wert  gebracht  hat.  Die  zusätze  er- 
strecken sich  auf  artikel  über  mährte,  remter,  öl  und  lampe,  kelch,  patene  und 
hostie,  gründonnerstag,  legende,  bastard,  erker,  fee,  pause,  rosmarin,  emian, 
hederich,  löwenzahn,  vergissmeinnicht^  bocksdorn,  spargel,  sklave,  messing,  also 
grösstenteils  kulturgeschichtlich  wichtige  dinge;  die  besserungen  betreffen  viele 
eiuzelheiten.  Natürlich  bleibt  auch  jetzt  noch  manche  worterklärung  und  daratif 
begründete  kulturgeschichtliche  schlussfolgeining  unsicher;  aber  Verfasser  versucht 
nie,  seine  meinung  als  die  allein  richtige  aufzudrängen,  und  macht  sehr  oft  auf 
abweichende  auffassungen  aufmerksam.  Es  mag  gestattet  sein,  auf  einige  fälle 
hinzuweisen,  in  denen  genauere  fassuug  des  Wortlauts  missverständnissen  vorbeugen 
könnte  oder  in  denen  noch  auf  andere  deutsche  lehnwörter  zur  Verdeutlichung 
bezug  zu  nehmen  wäre.  S.  32  anm. :  c/e)-k  im  modernen  englisch  ist  nicht  direkte 
entlehnung  aus  dem  lateinischen,  sondern  aus  dem  französischen.  Bei  Schüler 
könnte  an  die  ältere  unumgelautete  nebenform  Schtder  erinnert  werden,  die  im 
familiennamen,  aber  auch  in  schweizerischen  Zusammensetzungen  wie  schulerbnb, 
schnlertnch  noch  fortlebt;  auch  dem  Verhältnis  zu  der  viel  späteren  entlehnung 
Scholar  könnte  ein  wort  gewidmet  werden.  S.  37  ergäbe  die  berücksichtigung  der 
altengl.  form  heden  statt  ahd.  laiinisc  mit  ihrem  Stammvokal  und  erweichtem  dental 
kulturgeschichtlich  interessante  unterschiede  zwischen  England  und  Deutschland.  — 
Wo  findet  sich  im  altengl.  ein  beleg  für  beam  =  Urkunde  V  Ist  das  nicht  ein  miss- 
verständnis  des  satzes  ic(es  se  beam  (=  das  kreuz!)  böcstafum  äwrüeti?  —  Dass  die 


286  MOSEu 

ableitung  von  hior  (hier)  aus  bihrrc  beziellun(,^s\veise  roraanisiertem  hirere  die  wahr- 
scheinlichste unter  den  verschiedenen  vorgeschlagenen  sei,  werden  wohl  wenige 
gelten  lassen ;  darum  sind  auch  die  anschliessenden  geschichtlichen  ausführungen 
abzulehnen.  —  S.  68—70  verdienen  die  schweizerischen  und  rheiufränkischen  bezeich- 
nungen  für  'pfanne',  'kachel'  dilpji  beziehungsweise  dippe,  die  wohl  mit  topf  stamm- 
Terwandt  sind,  erwähnung:  ebenso  das  rheinfränkische  doppich  —  kreisel,  das  wohl 
mit  dem  gleichbedeutenden  französischen  tonpie  auf  urawegen  zusammenhängt.  — 
S.  63  ist  die  ableitung  von  rieffei  aus  latein.  regiila  doch  umstritten ;  sollte  nicht 
stamuiverwandtschaft  mit  reihe  bestehen  V  —  Bei  Voyt  s.  115  ist  nicht  nur  der  an- 
lautende konsonant  bemerkenswert,  sondern  auch  der  erweichte  guttural  im  Innern, 
der  ebenso  wie  /  =  lat.  v  beweist,  dass  die  entlehnung  nicht  zur  älteren  schiebt 
gehört.  —  S.  227  wäre  das  Verhältnis  von  laberdan  zu  lebertran  erörternswert.  — 
Dass  die  Nürnberger  uhren  ihrer  form  wegen  'eierlein'  genannt  werden  (s.  248), 
scheint  mir  zweifelhaft;  vermutlich  ist  eierlein  eine  deminutivform  zu  aner  =  uhr, 
das  Verfasser  selbst  erwähnt.  —  Dass  schöj^s  (s.  275)  allgemein  deutsch  geworden 
sei,  ist  wohl  nicht  richtig.  Das  Schwäbisch-Alemannische  kennt  das  wort  meines 
Wissens  nicht,  auch  nicht  in  der  schriftdeutschen  Umgangssprache.  —  S.  14  führt 
Verfasser  mährte  auf  merenda  zurück,  das  ein  aus  wein  mit  eingebrocktem  brot  be- 
stehendes Vesperbrot  bezeichnete,  und  im  ahd.  als  merata,  mereda,  auch  als  mask. 
meröt  begegnet ;  landschaftlich  kommt  ihm  heute  noch  die  übertragene  bedeutung 
'breites  gerede'  zu.  Es  ist  bemerkenswert,  dass  auch  im  Schweizerd,  märt  diesen 
sinn  hat,  aber  hier  wohl  mit  recht  als  Übertragung  aus  märt  'markt'  gilt.  Freilich 
ist  die  gutturallose  form  märt  und  noch  mehr  die  berndeutsche  märit  mit  kurzem 
Stammvokal  nicht  so  einfach  aus  mercatum  abzuleiten,  als  man  in  der  regel  sagt. 
Nach  S.s  Überzeugung  muss  der  geschichtsuuterricht  an  deutschen  schulen  in 
Zukunft  ganz  andere  bahnen  einschlagen  als  vor  1918.  Er  möchte  mit  seinem  buch 
dem  lehrer  den  stoff  an  die  band  geben,  um  sach-  und  Sprachunterricht  in  frucht- 
bringender weise  miteinander  zu  verbinden.  Möchte  seine  anregung  auf  günstigen 
boden  fallen !  Auch  für  schülervorträge  und  aufsätze  ist  das  buch  vielfach  mit 
erfolg  verwertet  worden;  um  diese  art  der  benutzung  zu  erleichtern,  stellt  S.  im 
Vorwort  eine  ganze  reihe  von  passenden  themen  zusammen,  die  sich  nicht  auf  diesen 
zweiten  band  beschränken,  sondern  das  ganze  werk  berücksichtigen.  Auch  dieser 
wink  verdient  erfolg. 

BERN    (jetzt   BASEL).  fiUSTAV   BINZ. 


Humbert  Dell'mour,  Altd  euts  che  sprach  lehre  für  an  fange  r.  Erster  teil: 
Wortlehre.  Leipzig  und  Wien,  Franz  Deuticke,  1920.  XV,  43  und  V  s. 
Neben  Braunes  'Ahd.  grammatik'  und  dessen  'Abriss'  hieven,  die  durch  ihre 
klassische  Vollendung  nach  der  wissenschaftlichen  wie  der  pädagogischen  seite  und 
zugleich  durch  ihre  wiederholten,  aufs  sorgfältigste  gebesserten  neuauflagen  heute 
so  unerreicht  wie  vor  drei  Jahrzehnten  dastehen,  eine  neue  zu  stellen,  gehört  wohl 
zu  den  schwierigsten  und  heikelsten  aufgaben  in  der  deutschen  philologie.  Das 
haben  denn  bisher  alle,  die  dies  —  meist  im  auftrag  —  unternahmen,  ganz  offen- 
sichtlich deutlich  genug  empfunden.  Eigentlich  gab  es  zunächst  nur  zwoi  möglich- 
keiten,  um  nicht  ganz  überflüssige  arbeit  zu  leisten:  erstere  durch  mehr  oder 
minder  vollständige  Stellennachweise  zu  erweitern  (was  ja  Braune  selbst  Ursprung- 


ÜBER    UELL'mOUR,    ALTDEUTSCHE    SPRACHLEHRE   FÜR   ANFÄNGER  287 

lieh  für  die  3.  aufläge  beabsichtigt)  oder  letztern  für  die  zwecke  des  nur  flüchtig 
interessierten  auf  die  allerwichtigsten  grunderscheinungen  zu  reduzieren.  Dies  hat 
Schauffler  schon  kurz  nach  erscheinen  des  Braunischen  'Abrisses'  für  die  'Sammlung 
Göschen'  unternommen  und  sich  der  aufgäbe  meiner  ansieht  nach  —  trotz  der  kürz- 
lich im  entgegengesetzten  sinn  geäusserten  meinung  —  wie  nach  dem  urteil  solcher, 
die  sich  dieses  hilfsmittels  für  ihre  besonderu  zwecke  bedienten,  recht  glücklich 
entledigt.  Jenes  ist  erst  viel  später  durch  den  ungenannten  herausgeber  der  'Gram- 
matiken der  althochd.  dialekte'  unter  durchführung  der  vortrefflichen  idee  der 
Arbeitsteilung  nach  den  grossen  dialekten  —  ein  weg,  auf  dem  über  kurz  oder  lang 
auch  die  mhd.  und  frnhd.  gramm.  werden  folgen  müssen,  —  in  die  wege  geleitet 
(leider  durch  das  noch  heutige  ausstehen  von  Bohnenbergers  'Altalem.  grammatik' 
noch  nicht  zur  Vollendung  gebracht)  worden ;  diesen  gedanken  hat  dann  zum  teil 
wiederum  Naumann  als  Schaufflers  nachfolger  auf  die  kleinen  masse  der  'Sammlung 
<jö8chen'  projiziert.  Die  zwei  letzten  mit  der  bearbeitung  des  themas  betrauten 
Verfasser  sind  aber,  um  der  gefahr  und  dem  Vorwurf,  eulen  nach  Athen  zu  tragen, 
zu  entgehen,  sogar  nicht  davor  zurückgeschreckt,  den  rahmen  der  Sammlung  zu 
sprengen:  Mansion,  indem  er  die  grammatik  zu  einer  blossen  orientierenden  ein- 
führung  zu  den  lesestücken  (allerdings  mit  der  hinzufügung  einer  syntaktischen 
fikizze)  zusammenzog,  Baesecke  dadurch,  dass  er  in  ebenso  genialer  wie  kühner 
weise  an  stelle  der  darstellung  der  tatsachen  eine  solche  der  probleme  setzte;  ob 
freilich  die  benutzer,  für  die  diese  Sammlungen  zunächst  bestimmt  sind,  damit  ganz 
einverstanden  sind,  mag  dahingestellt  bleiben.  Ein  mangel  an  bequemen  hilfsmitteln 
zum  Studium  der  ahd.  spräche  nach  jeder  richtung  hin,  wie  dies  vor  dem  erscheinen 
von  Braunes  grammatiken  der  fall  war,  besteht  also  heute  keineswegs. 

Wohl  aus  diesem  gefühl  heraus  hat  denn  auch  Dell'mour  gleich  von  vorn- 
herein alle  etwaigen  bedenken  im  stürm  zu  beseitigen  gesucht:  'Während  zur 
bewältigung  anderer  eingeführter  lehrbücher  monate  nötig  sind,  muss  es  möglich 
sein,  das  vorliegende  iu  zwei  bis  drei  wochen  [durchschuss  vom  verf.]  voll- 
ständig durchzuarbeiten',  heisst  es  gleich  zu  anfang  des  Vorworts.  Ein  entscheidendes 
urteil  über  die  richtigkeit  oder  Unrichtigkeit  dieser  behauptung  können  eigentlich 
nur  ein  über  reiche  pädagogische  erfahrung  verfügender  hochschuUehrer  oder  viel- 
leicht noch  besser  ein  beziehungsweise  mehrere  mit  der  ahd.  spräche  noch  ganz 
unbekannte  studierende,  die  die  sache  an  sich  selbst  praktisch  erproben,  fällen. 
Soviel  darf  aber  immerhin  gesagt  werden,  dass  sich  das  erlernen  nicht  nach  monaten 
oder  Wochen,  sondern  nach  der  zahl  der  stunden,  welche  man  innerhalb  derselben 
darauf  verwendet,  und  dann  wieder  nach  der  Intensität,  mit  welcher  mau  diese 
ausnützt,  richtet. 

Zur  erreichung  seines  Zweckes,  'die  ahd.  Sprachlehre  [gemeint  ist:  spräche] 
leicht  und  rasch  zu  erlernen',  sah  sich  nun  der  Verfasser  gezwungen  'eine  neue  lehrart 
einzuführen',  die  nach  seiner  angäbe  zwar  nicht  von  ihm  erfunden,  'jedoch  zum 
erstenmal  in  einem  für  anfänger  bestimmten  buche  folgerichtig  angewendet'  ist. 
Demgemäss  behandelt  nun  der  Verfasser  in  dem  vorliegenden  teil  zunächst  die 
'Wortlehre'  d.  h.  die  flexion,  der  dann  laut  Schlussanzeige  als  zweiter  die  'Satzlehre' 
und  erst  als  dritter  und  letzter  die  'Lautlehre'  folgen  soll,  woran  sich  schliesslich 
noch  eine  'Einführung  in  das  lesen  der  altd.  schriftsteiler'  anschliessen  möchte. 
Bei  der  'neuen  lehrart'  scheint  es  sich  —  über  deren  eigentliches  wesen  bin  ich  mir 
offengesagt  nicht  recht  klar  geworden,  —  um  die  Verbindung  einer  systematischen 
darstellung  mit  einer  art  Berlitz-system  zu  handeln,  nur  dass  die  Übungsstücke  nicht 

ZEITSCHRIFT  F.  DEUTSCHE  PHILOLOGIE.    BD.  L.  20 


288  MO  SEK 

gleich  eingefügt  sind,  sondern  der  Zusammenhang  zwischen  theorie  und  praxis  wohl 
erst  durch  den  angekündigten  schlussteil  hergestellt  werden  soll.     Ob  sich  so  etwas 
bei  einer  toten  spräche,  bei  der  nach  der  ganzen  art  der  Überlieferung  das  Studium 
mehr   auf   die    Sprachwissenschaft    als    auf   die    literatur   eingestellt    ist,   empfiehlt, 
darüber  kann  man  immerhin  geteilter  meinung  sein.     Anderseits  wiegt  bei  all  den 
vom  gewöhnlichen  schema  abweichenden  Systemen  diß  grössere  logische  konsequenz 
die   mängel   für   die   präxis   bei   weitem   nicht   auf:    man  braucht  sich  hier  nur  des 
gebiets  der  lexikographie  zu  erinnern,  wo  das  wissenschaftlich  zweifellos  einzig  und 
allein  stichhaltige   System  der  staramanordnung  schon  nach  sehr  kurzer  zeit  wieder 
dem   alten,    rein    mechanischen    der    alphabetischen    aueinanderreihung    wegen   der 
doch  notwendigen  beigäbe  umfangreicher   und   teurer  indices  alten  Systems  auch  in 
der  strengen  fachwissenschaft  völlig  weichen  rausste.    Hier  zeigt  sich  als  folge  der 
Umstellung   der   drei    grammatischen    hauptteile   gleich  der  uachteil,  dass  zwischen- 
hinein   überall   schon   eine   ganze   reihe   wichtiger   lautgesetze   kurz  behandelt  oder 
doch   angedeutet  werden   oder,   was   noch   misslicher,   auch  blosse  verweise  auf  die 
künftige  lautlehre  den  mangel  verdecken  müssen.    Einen  teil  von  Dell'mours  System 
bildet   auch   die   teilweise  i,imbenennung   der  bezeichnungen   für   die   zeitliche   und 
mundartliche    gliederung    der    deutschen    spräche,    wie    sie   schon    auf    dem    titel 
des   buches   ersichtlich.     Sie   ist  streng  logisch   und  besitzt  ganz  unstreitig  grosse 
Vorzüge ;  deshalb  wäre  auch  ihre  allgemeine  annähme  in  der  germanistischen  fach- 
wissenschaft wie   auch   in   weitern   kreisen   nur  zu  begrüssen.     Indess  vergisst  der 
Verfasser,  wie  unsere  ganze  neuerungsfrohe  zeit,  einen  hauptfaktor  in  der  rechnung : 
die  stille,   aber  unbezwingliche  macht  der  tradition,  die  nicht  die  willkürliche  aus- 
geburt  rückständiger  gesinnung,  sondern  ein  über  uns  allen  stehendes  ewiges  gesetz 
ist  —  selbst  in  so  kleinen  dingen.    Es  lassen  sich  eben  nicht  von  heute  auf  morgen 
eine  ganze  anzahl  seit  Grimms  zeiten  mit  einem  festen  begriff  verbundene  ausdrücke 
durch  neue  verdrängen   und  noch  weniger  alte  begriffe  eines  ausdrucks  durch  neue 
ersetzen:    dem   steht   einerseits,  wie  gerade  der  philologe  am  besten  weiss,  das  un- 
abänderliche   Sprachentwicklungsgesetz,  anderseits   aber    auch    die    praxis,    die    vor 
allem   den   anfänger  beim   lesen   älterer   werke   völlig  verwirren    müsste,  entgegen. 
Damit   kommen   wir   auf    einen   andern,   viel   wesentlichern   punkt   von    Dell'mours 
System,  von   dem   mau   sogar   den   eindruck  hat,  als  sei  dieser  grammatische  abriss 
nicht   in   letzter  linie   um   seinetwillen   geschrieben,   nämlich   die  zum  grössten  teil 
von  ihm  neu  angefertigten  Verdeutschungen  der  grammatischen  termina;   denn  'die 
lat.  fachausdrücke',  so  erklärt  er,    'wollte   ich  nicht  gebrauchen,  da  mir  die  Sprach- 
mischung  als    unkünstlerisch  ein  greuel  ist'.     Hier  wird  man  —  mag  man  über  die 
Sache   selbst   denken,  wie  man  will,  —  sich  damit  begnügen   dürfen,    den  Verfasser 
auf  die  überaus   treffende   äusserung   Behaghels   anlässlich  der  kriegspolemik  über 
diese  viel   umstrittene   frage  hinzuweisen,  dass  die  einführung  einer  deutschen  ter- 
minologie  in    die    fachwissenschaft    so    lange    völlig    aussichtslos   ist,    als   man    sich 
nicht  auf  eine  allgemein  anerkannte  Verdeutschung  geeinigt  hat;  ja  man  darf  viel- 
leicht  sogar  noch  weiter  gehen  und  behaupten,  dass  die  sache  für  die  fachwissen- 
schaft erst  dann  spruchreif  ist,  wenn  diese  anerkannte  Verdeutschung  wie  die  Ortho- 
graphie  staatlich  in   allen  volks-  und   mittelschulen    ein-  und  eine  generation  lang 
durchgeführt  ist.     Denn  so  lange  —  und  das  gilt  in  erster  linie  für  ein  anfängerbuch 
wie   das   vorliegende   —   bedeutet   die   deutsche  terminologie   für   den  benützer  nur 
eine   starke    und   ganz    unnötige   hemmung,    die    ihn  von    der   sache  selbst  abzieht, 
und   aufgäbe   des   ohnehin  zu  knapp  bemessenen  akademischen  Unterrichts  kann  es 


ÜilER   DELL'mOUK,    altdeutsche    SPRACHLEHRE    FÜR   ANFÄNGER  289 

heute  weniger  als  je  sein,  in  so  elementare  dinge  der  grammatik  einzuführenj  die 
von  jeher  ein  wesentlicher  Unterrichtsbestandteil  der  untern  schulstufen  waren.  Mit 
immer  neuen  Verdeutschungen  eines  einzelnen  ist  jedesfalls  nichts  gedient,  da  sich 
diese  ja .  gerade  dadurch  gar  nicht  einbürgern  können.  Dass  die  des  Verfassers 
besonders  dazu  berufen  seien,  eine  rolle  in  der  ganzen  frage  zu  spielen,  glaube  ich 
nicht,  da  sie  die  nachteile  aller  übrigen  teilen:  sie  sind  grossenteils  sprachlich 
hässlich  und  auch  nicht  praktisch  (so  zur  herstelluug  fester  siglen);  auffallend  ist, 
dass  er  für  'verb',  dem  er  sonderbarerweise  diesen  ausserhalb  der  romanistik  ganz 
ungebräuchlichen  französischen  anstrich  gegeben  hat  (oder  meint  der  Verfasser  durch 
das  abhacken  der  endung  ein  deutsches  wort  daraus  gemacht  zu  haben?),  keine 
Übertragung  gefunden  hat.  Im  übrigen  fallen  seine  öftern  auseinandersetzungen 
mit  andern  (vielfach  auch  ganz  unüblichen)  Übersetzungen  ganz  aus  dem  knappen 
rahmen  seiner  eigentlichen  aufgäbe.  In  der  tendenz  des  buches  —  es  ist  eine 
völkerpsychologisch  auffällige,  aber  kaum  noch  wissenschaftlich  erforschte  erscheinung, 
dass  die  träger  dieser  idee  sich  häufig  durch  ihren  namen  als  nichtdeutscher  ab- 
kunft  dokumentieren,  —  begründet  ist  offenbar  auch  die  wähl  des  frakturdrucks:  das 
bietet  den  nachteil,  dass  alle  paradigmen  und  belege  in  einer  grössern  halbfetten 
gotischen  type  und  zwar  sogar  diejenigen  in  den  mit  petitdruck  hergestellten  teilen 
mit  diesem  doppelt  so  grossen  satz  (ein  recht  hässlicbes  bild!)  gedruckt  werden 
mussten.  So  und  durch  die  auch  sonst  nicht  zu  sparsame  raumverwendung  —  auch 
eine  heute  recht  bedeutsame  sache  —  erklärt  es  sich,  dass  hier  auf  einem  um  ein 
reichliches  viertel  grössern  räum  erheblich  weniger  als  in  Braunes  'Abriss'  (man 
denke  bloss  an  dessen  völlige  berücksichtigung  des  got.,  as.  und  mhd.)  geboten  wird. 
Am  beginn  stehen  sechs  paradigmentafeln  mit  der  flexion  des  verbums,  des 
subst.  und  adj.,  während  sich  am  ende  des  buches  zwei  weitere  mit  der  des  pron. 
und  zahlw.  und  den  Zahlwörtern  von  1—2000  finden;  ein  grund  für  diese  zerreisung 
ist  (auch  drucktechnisch)  nicht  einzusehen.  Unrichtig  ist  die  bemerkung  der  ersten 
fussnote  zu  tafel  I  vor  allem  für  eine  historische  grammatik.  Die  flexion  der  eigen- 
namen  muss  auf  alle  fälle  nach  der  des  subst.  (also  wenigstens  am  köpf  der  tafel  VI) 
untergebracht  werden. 

Die  an  die  spitze  der  darsteUung  selbst  beziehungsweise  deren  einzelner 
abschnitte  gestellten  ausführungen  über  'Wortarten'  und  'Vorbegriffe'  d.  h,  die 
definitionen  der  einzelnen  Satzteile  nebst  der  zum  selben  zweck  auf  tafel  I  gegebenen 
nhd.  konjugation  (die  entsprechenden  nominal-  und  pronominalflexionen  fehlen) 
gehören  meines  erachtens  nicht  in  eine  —  zumal  so  kurzgefasste  —  ahd.  flexions- 
lehre  (eher  vielleicht  noch  zum  teil  in  die  Satzlehre),  daran  ändert  auch  der  ledig- 
lich deshalb  gewählte  titel  nichts.  Zunächst  wird  nun  das  verbum  behandelt;  die 
darstellung  ist  in  der  anordnung  ziemlich  konfus,  indem  zwischen  die  behandlung 
der  stamme  zerstreut  angaben  über  die  endungen  gemacht  werden,  eine  zum  vor- 
hergehenden und  nachfolgenden  gehörige  Übersicht  (§  25)  mitten  hineingesetzt  wird, 
am  schluss  wieder  nachtrage  zu  allen  klassen  gegeben  werden  usw.  Auch  dass 
die  schwache  konjugation  vor  der  starken  (im  gegensatz  zum  nomen)  behandelt 
wird,  erscheint  unberechtigt.  In  der  anordnung  der  starken  verbalklassen  schliesst 
sich  der  Verfasser  wieder  an  die  altern  Schemen,  aber  auch  nicht  ohne  änderungen, 
an.  Die  abschweifungen  §  11  führen  zu  weit;  §  36  z.  9  n  (<  m)  statt  -.  Viel 
klarer  ist  die  flexion  der  subst.,  adj.,  pron.  und  Zahlwörter  dargestellt ;' wie  aber 
die  fem.-abstr.  auf  -?  mitten  zwischen  die  starke  6-  und  /-deklination  hineingeraten, 
bleibt  wieder  unverständlich.    Indess  sind  alle  diese  abschnitte  fast  nur  eine  ziemlich 

20* 


290  MOSER 

leichte  Überarbeitung  der  entsprechenden  von  Braunes  'Abriss';  ja  es  muss  sogar 
eine  —  zumal  im  hinblick  auf  das  hochgemute  vorw.  —  recht  peinliche  feststellung 
gemacht  werden,  nämlich  dass  manche  stellen  (abgesehen  von  der  Verdeutschung 
der  termina)  geradezu  buchstäblich  aus  Braune  nachgeschrieben  sind  (so  §  89, 
abs.  2  =  Braune  §  70,  anm.  2;  ebenda  abs.  4  =  §  71,  anm.  1 ;  §  90,  abs.  2  =  §  76, 
anm.  1;  §  91,  abs.  2  =  §  72,  anm.  2  [mit  der  charakteristischen  Wendung!]). 

Über  das  alts.  werden  trotz  des  erweiterten  titeis  (altd.  =  ahd.  +  altndd.  d.  i. 
ndfr.  und  ndsächs.)  nur  am  schluss  auf  etwa  '/4  selten  einige  bemerkungen  gemacht ; 
dass  'die  zu  diesem  anliang  gehörigen  tafeln  später  erscheinen',  spricht  niclit  für 
die  pädagogischen  Vorzüge  des  buches.  Vom  altndfr.  ist  überhaupt  nicht  mehr 
die  rede. 

Stellt  man  die  bedürfnisfrage,  die  ja  in  dem  heutigen  schweren  existenzkampf 
der  deutscheu  Wissenschaft  eine  frage  allerersten  ranges  ist,  so  glaube  ich,  sie  nach 
dem  vorher  angedeuteten,  unbeschadet  der  zweifellos  besten  absiebten  des  Verfassers, 
mit  gutem  gewissen  nicht  bejahen  zu  können.  Fehlt  es  doch  trotz  der  gewaltigen 
arbeitsleistungen  der  Junggrammatiker,  die  uns  immer  wieder  mit  bewunderung 
und  ehrfurcht  erfüllen,  wahrlich  nicht  an  themen  in  der  deutschen  philologie,  die 
dringend  einer  orientierenden  —  und  sei  es  auch  einer  zunächst  (wie  von  jeher) 
nur  provisorischen  —  Zusammenfassung,  nicht  allein  für  den  anfänger,  bedürften. 
Solche  lücken  hat  gar  mancher  studierende  schon  vor  zwei  Jahrzehnten  (auch  wohl 
schon  früher)  recht  schmerzlich  empfunden  und  heute  ist  das  doch  kaum  anders: 
ich  brauche  bloss  abgesehen  von  einer  (im  hinblick  auf  das  offensichtliche  nicht 
mehr  erscheinen  des  Streitbergschen  Werkes  dringend  notwendigen)  urgerm.  gram- 
matik  etwa  an  eine  deutsche  paläographie,  eine  die  weitverzweigte  literatur  knapp 
zusammenfassende  frühnhd.  grammatik  und  als  fortsetzung  hierzu  eine  ebensolche 
der  deutschen  spräche  von  der  mitte  des  17.  bis  ins  19.  Jahrhundert,  eine  gedrängte 
darstellung  der  geschichtlichen  entwicklung  der  nhd.  Schriftsprache,  eine  die  eben- 
falls ganz  unübersehbare  einzelliteratur  sichtende  und  kurz  verarbeitende  grammatik 
der  hochd,  und  eine  entsprechende  der  ndd.  mundarten  (da  Lessiaks  für  die  Streit- 
bergsche  Sammlung  längst  angekündigtes  'Handbuch  der  deutschen  dialekte'  so 
wenig  wie  Jellineks  'Einl.  i.  d.  Studium  des  alt.  nhd.'  in  bälde  zu  erwarten  sein 
dürfte)  zu  erinnern.  In  diesem  Zusammenhang  ist  es  um  so  erfreulicher,  dass 
kürzlich  Baesecke  in  seiner  'Deutschen  philologie'  (1919),  jener  köstlichen  kriegs- 
bibliographie  mit  ihren  in  ein  paar  worten  zusammengefassten  zielsichern  kritiken 
und  meisterlichen  Charakteristiken  ^,  einen  den  Zeitverhältnissen  genial  angepassten 
gedanken  (s.  7)  —  leider  nur  zu  kurz  —  angeregt  hat :  den  plan  eines  grundrisses 
der  Deutschen   philologie.^     Das  wäre   kein   konkurrenzwerk   zu  Pauls  grossem 

1)  Bei  dieser  gelegenheit  darf  ich  vielleicht  in  eigener  sache  noch  bemerken, 
dass  meine  beurteilung  von  H.  Schulz's  'Abriss  der  deutschen  grammatik'  (Zeitschr. 
bd.  47,  s.  296),  zu  der  B.  (s.  16)  Stellung  nimmt,  in  erster  linie  durch  den  schon 
im  Vorwort  zum  ausdruck  kommenden  und  auch  von  B.  angedeuteten  Widerspruch 
im  System,  das  von  B.  (s.  25)  bei  Naumann  gerügte  proportionale  missverhältnis, 
die  Unklarheit  der  stoffauordnung,  die  lückenhaftigkeit  der  darstellung  und  die  in 
einem  lehrbuch  für  anfänger  äusserst  schwerwiegenden  direkten  Unrichtigkeiten, 
erst  dann  durch  seine  Stellung  zum  problem  der  mhd.  und  nhd.  Schriftsprache  be- 
dingt war;  nun  bedaure  ich  doch  einigermassen,  die  ziemlich  ausführlichen  be- 
gründungen  aus  der  ursprünglichen,  ungedruckt  gebliebenen  anzeige  nicht  in  die 
gekürzte  fassung  übernommen  zu  haben. 

2)  Äusserst  zeitgemäss   scheinen   mir    auch    B.s    vorschlage    (s.  8)    zur  öko- 


HELM    ÜBER   XIESEMEK,   DAS   GROSSE   ÄMTERBUCH   DES   DEUTSCSEN   ORDENS      291 

werk,  das  bedauerlicherweise  schon  vor  dem  krieg  aus  rein  geschäftlichen  gründen 
aufgelöst  wurde  und  wohl  für  immer  auf  die  neuauflegung  der  wenigen  rentierlichen 
teile  beschränkt  bleiben  wird,  sondern  eine  höchst  willkommene  ergänzung  zu  ihm. 
Hoffentlich  gelingt  es  dem  vater  dieses  gedankens  recht  bald,  einen  ähnlich  idealen 
Verleger  wie  sein  grosser  Vorgänger  zur  Verwirklichung  seines  hochbedeutenden 
planes  zu  finden !  * 

MÜNCHEN,  V.   MOSER. 


Walther  Ziesemer,  Das  Grq,sse  ämterbuch  des  Deutschen  ordens.  Mit 
Unterstützung  des  Vereins  für  die  herstellung  und  ausschmückung  der  Marien- 
burg. Danzig,  Ä.  W.  Kafemann  1921.  XXIV,  992  s.  m.  165.-. 
Das  Grosse  ämterbuch  oder  grosse  bestallungsbuch  des  Deutschen  ordens 
enthält  die  Inventarverzeichnisse  aller  im  jähre  1700  bestehenden  komtureien  und 
selbständigen  vogteien  und  pfleger  mit  ausnähme  des  gebietes  von  Marienburg,  für 
das  ein  besonderes,  bereits  1916  von  Z.  herausgegebenes  ämterbuch  geführt  wurde. 
Angelegt  an  fasten  1400  greift  das  GAB.  zurück  ins  li.  Jahrhundert,  indem  es 
jeweils  aus  dem  alten  ämterbuch  die  früheren  Verzeichnisse  übernimmt,  und  führt 
dann  die  Sammlung  fort  bis  ins  erste  viertel  des  16.  Jahrhunderts.  Der  druck  gibt 
die  hs.  des  buches  vollständig  wieder.  Einige  ergänzungen  sind  hinzugefügt:  die 
sachlichen  abweichungen  der  im  Deutschordensbriefarchiv  erhaltenen  einzelvorlagen 
der  im  GAB.  enthaltenen  eintragungen  sind  in  fussnoten  angeführt,  ferner  wurde 
das  grosse  Zinsbuch  sowie  einige  Visitationsverzeichnisse  herangezogen,  so  dass  der 
band  nun  alle  Verzeichnisse  bis  zum  ende  des  ordensstaates  umfasst. 

Die  bedeutung  der  auch  bisher  schon  oft  benutzten,  aber  noch  nicht  voU 
ausgenutzten  quelle  liegt  auf  denselben  gebieten  wie  beim  Marienburger  ämterbuch. 
Sie  übertrifft  dieses  aber  durch  ihre  ungleich  grössere  reichhaltigkeit.  Wir  erhalten 
hier  materialien  für  die  geistige  und  materielle  kultur  des  gesamten  Staates,  in 
gleicher  ausführlichkeit  erfahren  wir  von  den  beständen  an  lebensmitteln,  an  geraten 
und  Werkzeugen  in  Wirtschaft,  höfen  und  mühlen,  an  kleidung  und  waffen  usw., 
wie  von  der  ausstattung  der  kirchen  und  bibliotheken. 

Sprachlich  betrachtet  ist  das  GAB.  ein  wertvolles  dokument  der  amtssprache, 
wie  sie  seit  ca.  1400  in  der  ordenskanzlei  in  wesentlich  einheitlicher  form  geschrieben 
wird:  auf  md.  grundlage  erwachsen,  zeigt  sie  nur  wenige  niederdeutsche  eindring- 
linge,  wozu  indessen  dith  (Insterburg  1487)  nicht  unbedingt,  wie  Z.  will,  gerechnet 
werden  muss,  da  es  auch  md.  nicht  selten  auftritt.  Auch  polnische  und  preussische 
ausdrücke  sind  recht  spärlich  vorhanden.  Während  die  lautliche  gestalt  keine 
besonderen  eigentümlichkeiten  aufweist,  bietet  der  Wortschatz  zahlreiche  besonder- 
heiten,  viel  bisher  unbelegtes,  auch  nicht  wenig  noch  unerklärtes,  wie  schon  die 
fragezeichen  bei  Z.  andeuten.  Aber  auch,  wo  kein  solches  steht,  ist  noch  nicht 
immer   Sicherheit   vorhanden,   während   sich   manche  frage  wohl  schon  beantworten 

nomischen  Umgestaltung  und  Vereinfachung  der  bibliographischen  hilfsmittel.  [Sie 
scheinen  nun  unterdessen  durch  die  dazu  berufene  stelle  der  Verwirklichung  ent- 
gegengeführt zu  werden.     Korr.-note.] 

1)  Auch  die  neue,  von  Wilhelm  und  Mausser  geplante  grammatiksammlung 
wird  eich  hoffentlich  die  ausfüliuug  eines  teils  der  oben  bezeichneten  lücken  zum 
ziel  setzen.  (Korr.-note !) 


292       ROLTE    ÜDER    KÜSTER,    DIE    MEISTERSINGERBÜHNE    DES    16.  JAHRHUNDERTS 

lässt.  ertschuh,  wozu  Z.  fragend  'am  wagen'?  setzt,  wird  der  hemmschuh  sein.  — 
ffesuntte  glut  ist  gewiss  material  für  herstellung  von  brandpfeilen,  wie  sie  gerade 
vorher  genannt  werden.  Man  wird  den  ausdruck  als  ein  wort  der  damaligen  Soldaten-  * 
spräche  betrachten  dürfen.  —  Die  36  rloi  hostencziche7i  mit  Z.  als  Überzug  zur  hostie 
zu  erklären,  scheint  mir  nicht  möglich;  vielleicht  liegt  eine  verschreibung  vor.  — 
lantisen,  Z:  im  lande  Preussen  gewonnenes  eisen.  Zusammenhang  und  ausdrucks- 
weise deuten  an  den  beiden  folgenden  stellen  eher  auf  ein  bestimmtes  gerate  hin: 
ein  zymmarbeil,  ein  lanthei/sen,  1  eysJioke  372,32;  2  schog  landyzen  656,32,  während 
79,12  zu  Z.s  deutung  passen  könnte,  und  595,17  kaum  einen  aufschluss  gibt.  — 
Indisch  697,19  vielleicht  verschrieben  aus  lubisch;  —  oder  steckt  der  name  Lüttichs 
darin?  —  es  folgt  gleich  '/-  ici^en  mechelisch;  —  sweynschawe  ist  wahrscheinlich  das 
beim  schlachten  des  Schweines  zum  abrasieren  der  borsten  benutzte  Schabeinstrument, 
nicht  ein  küchengerät.  —  tJmribnlutn  ist  natürlich  nicht  ein  gefäss  zur  aufbewahrung 
der  eucharistie,  wie  Z.  angibt,  sondern  des  Weihrauchs.  —  Das  tibiryewelle,  das  Z. 
in  der  mühle  vermutet,  wird  dem  Zusammenhang  nach  {2  eisen  eiden,  12  czome^  czu 
3  pflügen  all  gerethe,  1  ubiryewelle)  wohl  eine  walze  zur  landbearbeituug  sein.  — 
Worte  wie  abeschatz,  fake,  gebug,  kimost,  methornung  und  manches  andere  werden 
ebenso  wie  vieles  im  Marienburger  ämterbuch  wohl  erst  mit  der  fortlaufenden  arbeit 
am  Wörterbuch  des  preussischen  Wortschatzes  ihre  erkläning  finden.  Der  dmck  ist 
sorgfältig  und  korrekt  {beleirfflig,  im  text  beleii'fftig,  groivechskorse,  im  text  yro- 
iverckskorse  sind  die  wenigen  mir  aufgefallenen  druckfehler),  die  ausstattung  gut, 
freilich  der  preis  der  zeit  entsprechend  hoch ;  man  muss  dem  unterstützenden  verein 
dankbar  sein,  dass  er  die  drucklegung  des  wichtigen  textes  überhaupt  ermöglicht  hat. 
FRANKFURT  A.  M.  (jetzt  Marburg).  karl  helm. 


Albert  Köster  (t).  Die  meistersinge rbühne  des  16.  Jahrhunderts,  ein 
versuch  des  Wiederaufbaus.  Halle,  Max  Niemeyer  1920.  V,  111  s.  20  m. 
In  den  ersten  kapiteln  seiner  umfänglichen,  von  reicher  gelehrsamkeit  und 
kritischem  Scharfsinn  zeugenden  'Forschungen  zur  deutschen  theatergeschichte'  hat 
1914  Max  Herr  mann  die  bühne,  auf  der  Hans  Sachs  während  der  jähre  1545—1560 
seine  koraödien  und  tragödien  in  Nürnberg  zur  aufführung  brachte,  rekonstruiert. 
Da  die  kleine  Marthakirche,  welche  damals  mehrfach  als  spiellokal  diente,  noch 
heute  in  etwas  umgebauter  gestalt  besteht,  so  passte  er  die  bühne  dem  grundriss 
dieser  kirche  genau  an  und  setzte  sie  vor  den  chorraujn ;  das  0,80  m  über  dem 
fussboden  befindliche  bühnenfeld  war  nach  seiner  ermittlung  vorn  12,  hinten  6  m 
breit  und  2,2  m  tief  und  nach  dem  altar  zu  durch  vorhänge  abgeschlossen.  An 
dem  beispiele  des  Hürnen  Seufrid  (1557)  suchte  er  zu  zeigen,  wie  sich  unter  diesen 
Verhältnissen  die  Inszenierung  des  Stückes  im  einzelnen  gestaltete. 

Gegen  diese  darlegungen  Herrmanns  wendet  sich  nun  Köster  in  dem  vor- 
fiegenden,  E.  Sievers  zum  70.  geburtstage  gewidmeten  büchlein.  Anfangs  freudig 
zustimmend,  hatte  er  für  seine  Sammlung  von  theatermodeUen  eine  grosse  nach- 
bildung  der  Marthakirche  anfertigen  lassen,  um  das  Herrmannsche  podium  mit  allem 
Zubehör  darin  einzubauen;  dann  aber  kamen  ihm  erhebliche  zweifei.  K.  beginnt 
seine  durchaus  achtungsvoll  und  vornehm  gehaltene  polemik  mit  der  feststellung, 
dass  sich  aus  den  Nürnberger  ratsverlässen  keine  aufführung  des  Haus  Sachs  in 
der  Marthakirche  nachweisen  lässt;  vielmehr  spielten  dort  1550,  1551,  1557  und  1558 


l'ETSCH    ÜBER   PKIEBSCH,    BRUDER    RAUSCH  293 

die  raesserschmiede  und  später  (1560,  1561,  1567)  Jörg  Frölich  und  seine  niit- 
gesellen.  Hans  Sachs  dagegen  scheint  für  seine  aufführungen  vom  rate  den  ge- 
räumigen remter  des  predigerklosters,  von  dem  Herrmann  s.  20  einen  grundriss 
gibt,  erhalten  zu  haben.  Ferner  erhebt  Köster  gegen  die  einzelnen  stücke  von 
Herrmanns  bühnenaufbau  (höhe,  eingänge.  treppen,  chorgestühl,  kanzel  u.  a.)  so 
viele  kritische  einwände,  dass  dieser  vor  den  äugen  des  aufmerksamen  lesers  völlig 
zusammenbricht.  Die  bühne,  die  Köster  selber  auf  grund  einer  genauen  betrachtung 
der  texte  des  Hans  Sachs  rekonstruiert  und  auf  s.  ^6  und  94  im  grundriss  und  in 
Vorderansicht  veranschaulicht,  ist  ein  2  meter  hohes  gerüst,  das  an  drei  seiten  von 
vorhängen  umschlossen  wird,  die  auf  jeder  seite  einen  durchgang  gewähren.  Ein 
«tück  des  podiums  ragt  über  den  von  gardinen  umschlossenen  teil  vor;  in  dieses 
vordere  drittel,  das  die  stehenden  zuhörer  von  drei  seiten  umgeben,  schneiden  zwei 
treppen  ein,  an  deren  c  .jrem  ende  zwei  Standplätze  für  die  darsteiler  sich  befinden, 
<iie  den  Zuschauern  sichtbar  sein,  den  mitspielern  aber  verborgen  bleiben  müssen. 
Im  hintergrunde  des  podiums  ist  eine  Versenkung  augebracht.  Dieser  bühnenbau, 
dessen  scharfsinnige  begründung  im  einzelneu  hier  nicht  verfolgt  werden  kann,  ist 
jedesfalls  praktisch  möglich  und  würde  gewiss  vor  den  äugen  des  Hans  Sachs 
billigung  finden.  Ob  er  sich  aber,  wie  es  s.  93  heisst,  in  jedem  kirchlichen  und 
weltlichen  räume  ohne  weiteres  errichten  Hess,  ist  eine  frage,  die  ich  nicht  un- 
bedingt bejahen  möchte.  Bei  dem  von  K.  unternommeneu  einbau  in  die  Martha- 
Mrche  wenigstens  entsteht  die  Schwierigkeit,  dass  die  auffallend  tiefe,  ungefähr 
quadratische  bühne  fast  das  ganze  schiff  einnimmt  und  dass  für  die  Zuschauer,  die 
hinter  der  bühne  eintreten  und  an  ihr  vorbei  zum  altar  hinschreiten  müssen,  nur 
ein  verhältnismässig  kleiner  räum  bleibt.  Und  so  werden  anderwärts  oft  andere 
hindernisse  der  Verwirklichung  der  idealen  meistersingerbühne  in  den  weg  ge- 
treten sein. 

Zu  s.  7  des  ungemein  anregenden  und  fördernden  buches  bemerke  ich,  dass 
der  Züricher  Heinrich  Wurer  kein  anderer  als  der  bei  Baechtold  näher  charak- 
terisierte H.  Wirri  ist,  zu  s.  34,  dass  sich  von  Puschmanns  Josephdrama  ein 
zweites  exemplar  ohne  Titelblatt  in  Wernigerode  und  eine,  abschrift  auf  der  Breslauer 
Stadtbibliothek  befindet;  zu  s.  40,  dass  über  den  'processus  publicus'  der 
Schauspieler  einige  nachweise  in  Wickraras  werken  6,  XCI  stehen. 

BERLIN.  JOHANNES    BOLTE. 


Bruder  Rausch,  Faksimileausgabe  des  ältesten  niederdeutschen 
druckes  (A).  Nebst  den  Holzschnitten  des  niederländischen  druckes  (J)  vom 
Jahre  1596  eingeleitet  und  mit  einer  biographie  versehen  von  prof.  dr.  Robert 
Priebsch  (=  Zwickauer  faksimiledrucke  nr.  28).  Zwickau  i.  S.  verlag  von 
F.  üllmann  1919.     72  s.  druck  und  15  s.  facsimile. 

Die  geschichte  vom  teufel  als  klosterkoch,  der  die  frommen  müuche  zum 
genussieben  verführt,  aber  schliesslich  doch  durch  ein  bäuerlein  entlarvt  wird  und 
zu  kreuze  kriechen  muss,  hatte  eine  lange  geschichte  hinter  sich,  als  endlich  Wilhelm 
Herz  (1882)  dem  'Klostermärchen'  mit  überlegenem  humor  die  letzte,  sozusagen 
klassische  form  gab.  Den  manigfacheu  Windungen  der  mündlichen  und  literarischen 
Überlieferung  ist  u.  a.  R.  Priebsch  seit  jähren  mit  unermüdlicher  ausdauer  und 
•Sorgfalt   nachgegangen   und    legt  uns  heute  das  ergebnis  seiner  forschungen  in  an- 


294  I'ETSCH 

sprnchsloser  und  doch  ansprechender  form  auf  den  Weihnachtstisch.  Das  bändcheit 
war  freilich  schon  vor  dem  kriege  fertig  und  erscheint  hier  in  verstümmelter 
form,  wovon  unten  die  rede  sein  soll.  Unversehrt  aber  ist  die  einleitung  gedruckt. 
Sie  gibt  zunächst*  einen  knappen  und  doch  farbigen  überblick  über  die  Über- 
lieferung (zugrunde  liegt  eine  vermutlich  lateinische  teufelslegende  von  der  frömraig- 
keit  der  mönche,  die  den  Verführer  anlockt,  wir  denken  dabei  an  die  Theophilus- 
legende),  von  der  belauschung  der  teufelsversammlung  (später  beliebtes  märchenmotiv, 
Vgl.  R.  Köhler,  Kleine  Schriften,  bd.  I  s.  281  ff.)  und  von  der  demütigung  des  bösen 
vor  dem  frommen  abt,  wie  sie  dem  Optimismus  der  älteren  legende  entspricht^. 
Alle  wesentlichen  züge  der  ältesten  unbekannten  fassung  dieser  legende^  (D)  er- 
scheinen noch  in  einer  dänischen  volkssage  V  (bei  Thiele,  Danske  Folkesagn  1819), 
doch  tritt  hier  zuerst  der  uame  Runs  auf  (in  D:  'Bruder  Albrecht'),  den  man  fast 
allgemein  von  Tauschen'  =  'stürmen'  ableitet,  und  der  teufel  verwandelt  sich  zuletzt 
in  ein  rotes  pferd.  Zugrunde  liegt  wohl  eine  niederdeutsche  volkssage  (X  nennt 
sie  Priebsch),  die  sich  vielleicht,  wie  spätere  fassungen,  schon  an  ein  Cisterzienser- 
kloster  anschloss  (in  V :  kloster  Esrom).  Anderseits  aber  gab  X  wohl  die  grundlage 
für  eine  niederdeutsche  reimdichtung  her,  auf  die  wieder  die  auf  uns  gekommenen 
ndd.  Drucke  (A,  B  und  C)  zurückgehen.  Hier  waren  aber  schon  einschneidende  än- 
derungen  vorgenommen  worden.  Die  geschichte  hatte  eine  antipfäffische  tendeuz 
in  der  art  der  dunkelmännersatire  erhalten  und  war  um  eine  reihe  novellistischer, 
magischer  und  schwankhafter  züge  vermehrt  worden :  im  mittelpunkt  stand  nun 
das  motiv  der  unkeuschheit  der  klosterinsassen.  Die  niederdeutsche  dichtung  drang 
dann  auch  nach  dem  süden  vor,  ohne  dort  wesentliche  bereicherung  zu  erfahren. 
Dagegen  ist  eine  niederländische  bearbeitung  des  16.  Jahrhunderts  von  grösster 
bedeutung  für  die  Weiterbildung  des  alten  Stoffes  geworden.  Leider  wissen  wir 
von  ihrer  ältesten  form  (J)  nur  den  titel,  mit  dem  wir  wenig  genug  anfangen 
können:  der  Index  librorum  prohibitorum  führt  unter  dem  jähre  1569  an:  'De 
Historie  van  *  Broer  Ruysche,  by  Claes  van  den  Walle.  Sine  nomine  authoris  et 
privilegio'.  Aber  von  einem  späteren  druck  J  (Antwerpen  1596)  hat  K.  Meyer  aus- 
führliche künde  gegeben  °.  Priebsch  nutzt  diese  wichtige  ausgäbe  in  der  vorliegenden 
arbeit  zum  ersten  male  aus.  Zugrunde  liegt  der  ndrl.  fassung  ein  ndd.  druck,  aber 
keiner  der  uns  bekannten.  J  regte  nun  aber  seinerseits  wieder  eine  äusserst  lebendige 
darstellung  (E)  in  englischer  spräche  an  (den  'Frier  Rush' "),  die  auch  stilistisch 
ihre  eigenen  wege  geht.  Sie  lässt  die  reichlichen  zugaben  von  lyrischen,  didak- 
tischen und  dramatischen  'rederijkersversen'  der  ndl.  vorläge  grossenteils  weg  und 
setzt  anderes  in  prosa  um.  Dankbarer  benutzt  der  Engländer  weitere  zutaten  seines. 
Vorgängers.  Dieser  hatte  einmal  eine  reihe  von  possenhaften  motiven  aufgenommen, 
zum    teil    im    anschluss    an    die  Eulenspiegelüberlieferung   und   andererseits   einige- 

1)  Z.  t.  im  anschluss  an  den  aufsatz  des  Verfassers  über  die  grundfabel  und 
entwicklungsgeschichte  der  dichtung  vom  bruder  Rausch,  in  den  'Prager  deutschen 
Studien',  heft  8,  s.  423  ff. 

2)  Vgl.  meinen  aufsatz  über  'Magussage  und  Faustdichtung'  in  der  'Zeitschrift 
für  deutschkunde'  1920,  besonders  s.  513  ff. 

3)  In  der  'Heiligenregel  für  ein  vollkommenes  leben',  Deutsche  texte  des 
mittelalt ers  XVI. 

4)  Nicht  von,  wie  irrtümlich  gedruckt  ist. 

5)  'Niederländische  Volksbücher'  nr.  8,  in  Dziatzkos  Sammlung  bibliothek- 
wissenschaftlicher arbeiten,  heft  8.     1895. 

6)  Vgl.  E.  Schulz,  Englische  schwankbücher.     Palästra  117,  1912. 


ÜBER   PRIEBSCH,    BRUDER   RAUSCH  295 

teufelsschwänke  eingefügt,  die  weniger  dem  geist  der  legende  entsprachen,  als  dem 
leser  derbe,  aber  erwünschte  kost  bereiten  sollten.  Ich  möchte  freilich  den  Wider- 
spruch dieser  teile  zu  dem  geist  der  legende,  wie  er  sich  nun  einmal  entwickelt 
hatte,  nicht  so  sehr  betonen,  wie  P.  es  tut:  wenn  auch  der  teufel  hiereinmal  gutes 
stiftet,  indem  er  einem  bauern  den  ehebrecher  aus  dem  hause  hext,  so  spielt  er 
doch  damit  zugleich  dem  verbuhlten  pfaffen  einen  streich  und  das  passt  doch  wieder 
in  den  ton  des  ganzen.  Es  handelt  sich  um  jene  wohlbekannte  geschichte,  die 
Hans  Sachs  in  seinem  fastnachtspiel  vom  'fahrenden  schüler  mit  dem  teufelsbannen', 
ergötzlich  genug  behandelt  hat'.  E.  hat  das  letztere  motiv  im  grossen  ganzen 
kühl  und  kurz  behandelt,  die  Eulenspiegelschwänke  aber  kräftiger  und  eigenartiger 
herausgearbeitet.  Seine  lust  am  fabulieren  zeigt  sich  auch  sonst  und  bringt  oft 
mehr  klarheit  und  bessere  motivierung  in  die  geschichte.  So  regte  das  englische 
prosabüchlein  denn  auch  spätere  dichter  an,  unter  denen  vor  allem  Decker  mit 
seiner  übermütigen  teufelsfarce  'If  this  be  not  a  good  Play  the  Divell  is  in  it' 
(1612)  hervorragt.  Es  ist  bekannt,  dass  gerade  dieses  spiel  nachher  zur  erweiterung 
von  Marlowes  'Faust'  benutzt  wurde;  und  bei  aller  Verschiedenheit  berühren  sich 
ja  auch  beide  dramen  in  der  Satire  gegen  die  üppige  geistlichkeit  (vgl.  die  römischen 
Szenen  des  Taust')-  In  Deutschland  freilich  dauerte  es  lange  genug,  bis  'bruder 
rausch'  durch  S.  Lipiner  (nicht  Lipener,  wie  s.  47  gedruckt  ist)  und  W.  Hertz  seine 
neubelebung  erfuhr. 

Dafür  hat  nun  die  deutsche  forschung  das  ihrige  getan,  um  die  geschichte 
des  Stoffes  aufzuhellen:  vor  allem  hat  H.  Anz  mit  seinem  aufsatz  'Broder  Eusche'^ 
(Jahrbuch  für  niederdeutsche  Sprachforschung  24)  wertvolle  Vorarbeit  geleistet.  Ihm 
verdanken  wir  die  erste  kritische  ausgäbe  des  1.  niederdeutschen  druckes,  der  dem 
faksimile  im  vorliegenden  hefte  zugrunde  lag.  Priebsch  gibt  in  dem  2.  teil  seiner 
einleitung  ('Bibliographie',  S.  51—72)  eine  aufzählung  und  genaue  beschreibung  der 
ihm  bekannten  ndd.,  hd.,  dänischen,  schwedischen,  niederländischen  und  englischen 
drucke  und  ihrer  bildlichen  beilagen. 

Der  faksimiledruck  selber  ist  nicht  durchweg  klar  lesbar,  was  wohl  auf  die 
beschaffenheit  der  vorläge  zurückgeht,  verdient  aber  im  übrigen  alles  lob.  Im 
höchsten  grade  zu  bedauern  ist  es  aber,  dass  der  Verleger  die  auf  dem  titelblatt 
verheissene  und  sehr  erwünschte  wiedergäbe  der  holzschnitte  des  holländischen 
buches  sich  einfach  geschenkt  zu  haben  scheint,  ohne  dies  verfahren  mit  einem 
Worte  zu  entschuldigen.  Die  weglassung  wirkt  um  so  ärgerlicher,  als  s.  65  der 
einleitung  jede  nähere  beschreibung  im  hinblick  auf  die  reproduktion  unterblieb. 
Das  ist  das  einzige,  was  unsere  freude  an  der  trefflichen  ausgäbe  beeinträchtigen  kann. 
Gelegentliche  Unklarheiten  im  faksimile  gehen  auf  solche  der  vorläge  zurück,  von 
der  nur  e  i  n  exemplar  (im  besitz  von  professor  Anz)  vorhanden  ist. 

1)  P.  betont  (s.  35  ff.)  die  nahe  stoffliche  Verwandschaft  der  darstellung  in 
J  mit  einem  calabresischen  schwanke  (Arch.  p.  1.  studio  d.  tradiz.  popol.  VI  368  ff.), 
der  vielleicht  wieder  auf  ein  lateinisches  original  zurückgehe  und  mit  einer  ita- 
lienischen Schwanksammlung  nach  Deutschland  gelangt  sei.  Er  hat  aber  diese 
Sammlung  nicht  auffinden  können.  Sollte  nicht  dem  italienischen  wie  dem  (deut- 
schen und  dann)  holländischen  texte  eine  gemeinsame  lateinische  erzählung  zu- 
grunde liegen? 

HAMBURG.  ROBERT   PETSCH. 


29Ö  ELLIN(iER 

Hans  Schauer,  Christian  Weises  biblische  dramen.  Görlitz.  Verlags- 
anstalt Görlitzer  nachrichten  und  anzeiger  1921.   X,  124  s.  und  ein  unbez.  blatt. 

Christian  lieuters  werke,  herausgegeben  von  Georg  Witkowski.  1916.  Im 
Inselverlag  zu  Leijjzig.    2  bände.    342  und  463  s.    In  halbpergauient  geb.  30  m. 

Wenn  Christian  Eeuter  neben  Christian  Weise  gestellt  wird,  so  fällt  dabei 
am  wenigstens  ins  gewicht,  dass  der  jüngere  poet  im  einzelnen  ersichtlich  von  dem 
älteren  gelernt  hat.  Viel  eher  erscheint  eine  geraeinsame  betrachtung  dadurch  ge- 
rechtfertigt, dass  Reuter  und  Weise  geschichtlich  zusammengehören.  Denn  beide 
streben  von  der  unnatur  des  schwulstes  zum  einfachen,  natürlichen  zurück.  Aus 
der  tatsache,  dass  sie  unter  dem  banne  der  gleichen  zeitströmungen  stehen,  erklären 
sich  daher  die  wichtigsten  Übereinstimmungen  zwischen  ihnen.  Dass  diese  sich 
trotz  der  verschiedenartigkeit  der  persönlichkeiten  und  ihrer  absiebten  geltend 
machen,  steigert  ihren  wert.  Denn  bestimmte  selten  der  epoche  würden  gerade 
dadurch  am  sichersten  festgestellt  werden,  wenn  man,  eine  eingehende  vergleichung 
durchführend,  zeigte,  wie  sie  sich  in  zwei  innerlich  weit  voneinander  getrennten 
männern  gespiegelt  haben.  Die  Zusammengehörigkeit  der  beiden  poeten  mag  es  recht- 
fertigen, dass  der  besprechung  einer  in  jüngster  zeit  erschienenen  abhandluug  über 
Weises  dramatik  eine  zeitlich  schon  weiter  zurückliegende  gesamtausgabe  von  Reuters 
werken  angeschlossen  wird.  Infolge  der  Ungunst  persönlicher  und  allgemeiner  Ver- 
hältnisse ist  es  dem  berichterstatter  erst  jetzt  möglich,  auf  dieses  wichtige  quelleu- 
werk  aufmerksam  zu  machen;  er  meint  aber,  dass  ein  verspäteter  hinweis  schliesslich 
besser  als  gar  keiner  ist. 

1.  Schauer  geht  nicht  darauf  aus,  in  jedes  einzelne  der  biblischen  dramen 
Weises  einzuführen,  sondern  er  fasst  die  gesamte  stoffmasse  ins  äuge  und  sucht 
aus  ihr  eine  Vorstellung  von  Weises  absiebten  und  deren  durchführung  zu  gewinnen. 
In  der  tat  schliessen  sich  die  zahlreichen  einzelzüge  zu  einem  anschaulichen  bilde 
zusammen.  In  Weises  weltlichen  dramen  fehlt  es,  wie  bekannt,  nicht  an  versuchen, 
dem  gegenstände  von  innen  her  beizukommen ;  die  biblischen  stücke  begnügen  sich 
meist  damit,  den  stoff  durch  äussere  zutaten  aufzuschwellen.  Aber  gerade  wegen 
dieser  schematischen  art  erschliesst  sich  in  ihnen  das  verfahren  Weises  leichter,  so 
dass  die  beschränkung  auf  das  biblische  Schauspiel  durch  die  sache  gerechtfertigt 
wird.  Beschreibend  legt  die  arbeit  die  ergebnisse  einer  fleissigen  Sammeltätigkeit 
dar  und  dient  damit  ebenso  der  literatur-  wie  der  kulturgeschichte  des  endenden 
17.  und  beginnenden  18.  Jahrhunderts. 

Die  stoffliche  begrenzung  erscheint  auch  deshalb  zweckmässig,  weil  durch 
sie  ein  vergleich  mit  dem  älteren  deutschen  drama  nahegelegt  wird.  Der  Verfasser 
hat,  der  anläge  seiner  arbeit  entsprechend,  derartige  geschichtliche  parallelen  nur 
gestreift.  Ein  kapitel  über  das  biblische  drama  des  17.  Jahrhunderts,  das  wohl 
dazu  dienen  sollte,  Weises  Stellung  schärfer  zM  umreissen,  ist  leider  ausgelassen 
worden ;  bei  der  bedeutung  dieses  gegenständes  wäre  es  zweckmässig,  diese  Über- 
sicht noch  nachträglich  zugänglich  zu  machen.  Empfehlenswert  wäre  auch  ein 
hinweis  auf  das  Schauspiel  der  Wandertruppen.  So  schroff  Weise  über  die 
fahrenden  abgeurteilt  hat,  er  berührt  sich  mit  dem  volksdrama  oft  so  nahe,  dass 
ein  Zusammenhang  kaum  in  abrede  gestellt  werden  kann.  Wenn  er  beispielsweise 
einen  ernsthaften  Vorgang  durch  einen  lustigen  oder  possenhaften  parodiert,  so 
entspricht  das  durchaus  der  weise  des  volksdramas.  Auch  bei  typischen  Situationen 
und  figuren  drängen  sich  ähnliche  beobachtungen  auf.    Die  bedeutsamkeit  einzelner 


ÜBER    SCHAUER,    CHRISTIAN    WEISES    BIBLISCHE    DRAMEN  297 

fortschritte  Weises  für  die  folgezeit  tritt  in  den  Zusammenstellungen  klar  heraus; 
es  sei  namentlich  auf  die  errungenschaft  einer  freieren  ausgestaltung  des  dialogs 
hingewiesen  (s.  95);  wer  die  spätere  entwicklung  ins  äuge  fasst,  wird  die  nach- 
"wirkung  der  von  Weise  erzielten  fortschritte  schwerlich  verkennen,  wenn  auch  vor- 
läufig die  kanäle  noch  nicht  festgestellt  sind,  durch  die  ihre  Verbreitung  erfolgt  ist. 

2.  Für  eine  gesamtausgabe  der  werke  Reuters  wird  jeder  freund  unserer 
älteren  literatur  dankbar  sein,  namentlich  wenn  sie  in  so  i^rächtiger  typographischer 
ausstattung  dargeboten  wird  wie  in  dem  unternehmen  des  Inselverlags.  Der  reiz- 
vollen aussenseite  entspricht  die  gediegenheit  der  ausführung;  der  herausgeber  hat 
so  viel  liebe  und  umsieht  auf  die  arbeit  verwendet,  dass  eine  vortreffliche  leistung 
zustande  gekommen  ist.  Dieses  urteil  voranzuschicken,  hält  der  berichterstatter 
für  seine  pflicht,  da  er  im  einzelnen  manche  von  den  entscheidungen  des  heraus- 
gebers  abweichende  ansichten  vorbringen  muss. 

Die    frage    nach    der   besten    anordnung   von    Reuters   werken   bietet   einige 
Schwierigkeiten.      Am    nächsten    scheint    eine    chronologische    aufeinanderfolge    zu 
liegen.     Würde   eine   solche   versucht,    dann   müsste   sich   an   Reuters  literarischen 
anfang,   d.  h.  die   koraödie   'Die   ehrliche  frau'  (der  noch  das  nachspiel:  'Harlekins 
kindbetterinschmaus'   beizufügen   wäre),   sofort  die  erste  fassung  des  'Schelmuffskj'' 
anschliessen;    hierauf   hätten    'Der    ehrlichen   frau    krankheit  und  tod',    das  'Letzte 
denk-  uud   ehrenmahl   der   ehrlichen  frau'   (siehe  unten!)   und  die  oper  zu  folgen; 
die  zweite  fassung  des  'Schelmuffsky'  könnte  dann  den  vorläufigen  abschluss  bilden. 
Eine  derartige  chronologische  anordnung  hat  den  vorteil,  dass  sie  einen  einblick  in 
die  entwicklung  des  dichters  eröffnet  und  eine  Vorstellung  davon  gewährt,  wie  die 
einzelnen    erfindungen    sich    ausgewachsen    haben;    insbesondere    gilt    das    von    der 
gestalt  Schelmuft'skys.    Nun  gibt  es  aber  für  die  anläge  einer  ausgäbe  keine  allein- 
seligmachenden  grundsätze;    insbesondere    erweist    es    sich   keineswegs    immer   als 
nötig,    die    werke    eines    künstlers    nach   ihrer   entstehungszeit   aneinanderzureihen. 
Auch  der  herausgeber  schlägt  einen  anderen  weg  ein.    Er  gruppiert  die  werke  nach 
ihrer   dichterischen   form   und    stellt   zunächst   alle  dramatischen  bearbeitungen 
des   gleichen    Stoffgebietes   zusammen,    wobei    das   'Letzte   Denk-    und    Ehren-Mahl' 
wegen    seiner    unmittelbaren    beziehung   zu    der   zweiten   komödie  mit  einbegriffen 
wird.      (Dieses    werkchen   konnte    auch   bei    einer   chronologischen  anordnung  nicht 
von  der  zweiten  komöclie  getrennt  werden,   obgleich   es   in  der  ersten  hälfte   1697, 
also   nach    der   zweiten   fassung   des  'Schelmuffsky'  entstanden  ist.)     Erst  nachdem 
alle   dramatischen   versuche   vorgeführt   sind,   die   der  gegnerschaft  Reuters  zu  der 
familie   Müller  ihre   entstehung  verdanken,   läset  Witkowski   die  erste  fassung  des 
'Schelmuffsky'  folgen,  also  das,  was  sich  allein  von  allen  behandlungen  des  gleichen 
Stoffes   als   dauernd   erhalten  hat.     Bis  zu  diesem  punkte  könnte  man  sich  mit  den 
die  reihenfolge  bestimmenden  grundsätzen  durchaus  einverstanden  erklären ;  wesent- 
liche   einwände    sind   gegen    die   Stellung   zu    erheben,    die  der  zweiten  fassung  an- 
gewiesen ist.    Diese  bezeichnet  Witkowski  als  'verbreitert  und  künstlerisch  minder- 
wertig' ;  er  hält  sich  daher  für  berechtigt,  sie  in  eine  art  von  anhang  zu  verweisen 
und  zuvor  den  einer  ganz  anderen  stoffgruppe  angehörenden  und  beträchtlich  später 
entstandenen   'Grafen   Ehrenfried'   zu   bringen.     Das  urteil,  auf  das  sich  diese  aus- 
scheidung  gründet,  darf  kaum  auf  allgemeine  Zustimmung  hoffen.    Die  zweite  fassung 
hat   die    erste    nicht    bloss  aufgeschwemmt,  sondern  sie  hat  vielfach  erst  durch  ein- 
fügung  der   bezeichnenden   und  typischen  züge  das  Charakterbild  fertig  hingestellt. 
Freilich  lässt  es  sich  nicht  bestreiten,  dass  nicht  alle  änderungen  der  zweiten  aus- 


298  ELLINdKR 

gäbe  als  glücklich  bezeichnet  werden  können  (vgl.  Zarncke,  Ohr.  K.  1884,  s.  516  ff. 
Allg.  deutsche  biogr.  bd.  28  s.  316).  Aber  es  geht  kaum  an,  deshalb  die  zweite 
'künstlerisch  minderwertig'  zu  nennen ;  höchstens  kann  mau  das  urteil  Zarnckes  so- 
weit modifizieren,  dass  licht  und  schatten  in  beiden  fällen  gleichmässig  verteilt 
sind.  Nach  der  meinung  des  berichterstatters  liegt  also  ein  innerer  grund  nicht 
vor,  dem  werke  eine  solche  ausnahmestellung  anzuweisen.  Aber  auch  wenn  man 
Witkowskis  beurteilung  des  werkes  für  zutreffend  hielte,  müsste  man  gegen  eine 
treunung  der  beiden  fassungen  bedenken  äussern ;  sie  gehören  zusammen  und  zwar 
um  so  mehr  als  der  in  der  späteren  ausgäbe  schwerlich  stark  veränderte  zweite 
teil  nur  in  dieser  erhalten  ist. 

Eine  ähnliche  einwendung  hat  der  berichterstatter  gegen  die  dem  nachspiel: 
'Des  Harlequins  kindbetterin-schmauss'  angewiesene  Stellung  zu  erheben.  Der 
herausgeber  erklärt  es  für  apokryph  und  reiht  es  in  den  noch  zu  besprechenden 
anhang  ein,  der  spätere  gelegenheitsarbeiten  Reuters  mit  verwandten  stücken  aus 
Reuters  kreise  vereinigt.  'Des  Harlequins  kindbetterin-schmauss'  habe,  wie  der 
lierausgeber  sagt,  'schon  Zarnckes  bedenken  erregt'.  Soviel  dem  berichterstatter 
bekannt  ist,  bezogen  sich  Zarnckes  bedenken  nur  auf  die  handschrift  des  Stückes; 
an  der  autorschaft  Reuters  hat  er  nie  gezweifelt,  zumal  schon  die  Verwendung  des 
namens  Hilarius,  den  auch  'Die  ehrliche  frau'  (nicht  aber  das  alte  nachspiel  'Harle- 
quins hochzeitsschmauss')  trägt,  für  Reuters  autorschaft  spricht.  Witkowski  meint 
'aus  inneren  gründen'  das  stück  Reuter  aberkennen  zu  müssen;  nur  eine  leichte 
Überarbeitung  des  (doch  wohl  dann  ebenfalls  älteren)  nachspiels  habe  in  Reuters 
kreise  stattgefunden.  Der  berichterstatter  kennt  diese  'inneren  gründe'  nicht,  kann 
daher  zu  ihnen  keine  Stellung  nehmen,  sieht  aber  nach  einer  nochmaligen  prüfung 
des  materials  keine  möglichkeit,  von  seiner  bisherigen  ansieht  abzulassen  und  kann 
daher  eine  ausscheidung  des  nachspiels  aus  den  anerkannten  werken  Reuters  nicht 
für  berechtigt  halten. 

Dankenswert  ist  der  den  bezeugten  werken  beigegebene  anhang;  er  enthält 
ausser  dem  'Kindbetterin-schmauss'  noch  die  in  der  Wiener  handschrift  befind- 
lichen gedichte  aus  dem  kreise  des  Schelmuffsky ;  zur  kennzeichnung  der  lebensluft, 
innerhalb  deren  Reuters  poesien  erwuchsen,  sind  sie  in  der  tat  von  hoher  Avichtig- 
keit.  Die  Sammlung  der  schriften  Reuters  aus  der  Berliner  zeit  bringt  auch  die 
'Unbeständig-beständige  Spree-schäferin  Miramis',  die  schon  Zarncke  in  die  unmittel- 
bare nähe  Reuters  rückte ;  dem  herausgeber  gebührt  für  die  aufnähme  des  Stückes 
dank;  auch  wenn  man  nicht  mit  so  unbedingter  Sicherheit  wie  er  für  die  Verfasser- 
schaft Reuters  eintreten  kann,  wird  man  doch  die  auffallende  ähnlichkeit  in  spräche 
und  Situationen  nicht  leugnen  wollen. 

Eine  besonders  wertvolle  gäbe  hat  Witkowski  selbst  beigesteuert,  das  bio- 
graphische nachwort.  Absichtlich  knapp  gehalten,  gewährt  es  doch  gründlichen, 
aufschluss  über  alle  fragen,  auf  die  der  benützer  der  werke  antwort  erwartet.  Es 
unterrichtet  über  den  lebenslauf,  die  persönlichen  und  sachlichen  Voraussetzungen 
der  werke,  den  kulturgeschichtlichen  hintergrund  von  Reuters  schaffen  in  einer 
weise,  dass  ein  lebendiges  bild  der  dichterischen  persönlichkeit  vermittelt  wird. 

liEKLIN.  GEORG    ELLINGKU- 


ÜBER   MÜLLER,   LEBENSANSICHTEN   DES    KATERS    MURR  299 

1.  Lebensansichten   des   Katers  Murr.     Nach  E.  T.  A.  Hoffmanns  ausgäbe 

neu  herausgegeben  von  Hans  von  Müller.  Im  Inselverlag  zu  Leipzig.  1916. 
320  s.     Preis  1916:  7  m. 

2.  Zwölf  berlinische    geschichten    aus  den  jähren  1551—1816.     Erzählt 

von  E.  T.  A.  Hoffmann.  Nach  der  folge  der  handlung  zusammengestellt  und 
erläutert  von  Hans  von  Müller.  München.  Georg  Müller  verlag.  1921. 
Ivij  (LVII)  und  416  s. 

1.  Die  beiden  vorliegenden  ausgaben  erheben  keine  wissenschaftlichen  an- 
spüche.  Gleichwohl  sollte  der  philologe  nicht  an  ihnen  vorübergehen.  Denn  er 
kann  überall  von  dem  herausgeber  lernen,  auch  da,  wo  er  den  von  ihm  befolgten 
Grundsätzen  nicht  zuzustimmen  vermag.  Die  einkleidung  von  Hoffmanns  'Kater 
Murr'  harrt  noch  genauerer  Untersuchung.  Dem  dichter  kam  es  darauf  an,  in  zwei 
nebeneinanderlaufenden  handlungen  den  tiefen  gegensatz  zwischen  der  weit  des 
künstlers  und  dem  treiben  des  phüisters  zu  zeigen.  Wie  nun  die  eine  handlung 
die  andere  teils  ironisch  parallelisiert,  teils  deutlich  parodiert,  das  im  einzelnen 
darzulegen  wäre  eine  reizvolle  aufgäbe,  von  Müller  vertritt  die  in  dem  vorliegenden 
buche  allzukühne  Vermutungen  zeitigende  ansieht,  dass  zwischen  den  beiden  bestand- 
teilen,  d.  h.  zwischen  Kreislers  lebensgeschjchte  und  Murrs  Selbstbekenntnissen,  nur 
ein  ganz  loser  Zusammenhang  obwalte.  Er  hat  daher  bereits  1903  in  seinem 
^Kreislerbuch'  die  eine  der  beiden  hälften  herausgenommen  und  gesondert  veröffen- 
licht.  Man  kann  dieses  verfahren  bei  den  Kreislerfragmenten  billigen,  da  sie  den 
mit  Hoffmann  nicht  vertrauten  manches  rätsei  aufgeben,  und  da  der  herausgeber 
ebenso  durch  die  anordnung  wie  durch  seine  erläuterungen  das  Verständnis  wesent- 
lich gefördert  hat.  Eine  einzelausgabe  der  lebensansichten  Murrs  erscheint  dagegen 
auf  den  ersten  blick  als  nicht  so  notwendig,  weil  es  sich  bei  diesen  teilen  um  eine 
fortlaufende,  leicht  verständliche  erzählung  handelt.  Trotzdem  kann  eine  Sonder- 
ausgabe des  humoristisch-satirischen  teiles  nicht  als  überflüssig  bezeichnet  werden. 
Wer  das  werk  in  der  urgestalt  liest,  wird  immer  geneigt  sein,  die  Murrabschnitte 
im  hinblick  auf  die  Kreislerbruchstücke  zu  betrachten.  Gewiss  war  das  auch  Hoff- 
manns absieht,  aber  ebenso  sicher  ist  es,  dass  er  die  katerhaudlung  mit  besonderer 
liebe  ausgeführt  und  dementsprechend  auch  für  sie  eine  ungeteilte  aufmerksamkeit 
des  lesers  erwartet.  In  dieser  tatsache  liegt  der  innere  grund  für  die  notwendigkeit 
einer  einzelausgabe,  und  da  in  Deutschland  bloss  ein  unzureichender  Sonderdruck 
vorhanden  war,  wird  man  von  Müller  für  die  Inangriffnahme  einer  aufgäbe  dankbar 
sein,  die  bisher  nur  im  auslande  zureichend  gelöst  worden  ist  (durch  den  Engländer 
John  Hazeland,  von  dem  sonderbarerweise  eine  gute  dänische  bearbeitung  der  Murr- 
abschnitte herrührt.  1870). 

Bei  der  ausgäbe  eines  älteren  werkes  erscheint  es  als  eine  selbstverständliche 
forderung,  dass  der  bearbeiter  dem  benutzer  jede  mögliche  erleichterung  gewährt, 
die  sich  ohne  Vergewaltigung  des  in  betracht  kommenden  Schriftstellers  erzielen 
lässt.  Es  ist  nicht  einzusehen,  weshalb  man  dies  verfahren  nicht  auch  bei  einem 
neueren  dichter  anzuwenden  berechtigt  sein  sollte,  unter  der  selbstverständlichen 
Voraussetzung,  dass  es  innerlich  begründet  ist.  Bei  Hoffmann  liegt  nun  unzweifel- 
haft eine  solche  möglichkeit  vor.  Er  hat  in  den  letzten  Jahren  seines  lebens  unge- 
mein schnell  gearbeitet.  Auf  die  äussere  anordnung,  auf  satzbildung  und  Inter- 
punktion ist  daher  wenig  wert  gelegt  werden.  Da  er  selbst  meist  die  korrektur 
nicht   gelesen    hat,    so    sind    augenfällige    fehler   in    der   bezeichnung   des   aufbaus 


300  ELLINClEi: 

stehengeblieben.  Wie  dadurch  auch  der  spätere  bearbeiter  des  textes  auf  eine 
falsche  fährte  gelockt  werden  kann,  hat  von  Müller  s.  309  anra.  1  lehrreich  gezeigt, 
wobei  er  dem  berichterstatter  gegenüber,  der  in  seiner  ausgäbe  von  Hoffmanns 
Averken  (Berlin  o.  j.  [1912])  sich  ebenfalls  die  durch  Hoffmanns  absatzbildung  nahe- 
gelegte auöassung  zu  eigen  gemacht  hatte,  unzweifelhaft  im  rechte  ist.  Man  wird 
daher  zugeben,  dass  in  den  späteren  werken  Hoffmanns  der  Herausgeber  einen  freieren 
Standpunkt  einnehmen  darf,  namentlich,  wenn  es  sich  um  eine  art  von  liebhaber- 
ausgabe  handelt,  von  Müller  hat  nun  den  versuch  gemacht,  durch  eigene  absatz- 
bildung die  gliederuug  des  ganzen  deutlicher  hervortreten  zu  lassen.  Ohne  dass 
man  sich  mit  jedem  vorschlage  einverstanden  zu  erklären  braucht  -  dem  bericht- 
erstatter erscheint  z.  b.  auf  s.  68  und  139  die  vorgenommene  trennung  nicht  innerlich 
gerechtfertigt  —  muss  mau  doch  anerkennen,  dass  dieser  versuch  einer  gruppierung 
des  Stoffes,  einer  aufdeckung  des  inneren  Zusammenhanges  sorgfältige  beacbtung 
verdient  und  von  jedem,  der  sich  mit  dem  aufbau  des  werkes  beschäftigt,  berück- 
sichtigt werden  muss.  Das  Inhaltsverzeichnis  stellt  zusammenfassend  die  grundzüge 
der  handlung  dar,  während  das  allerdings  nach  der  weise  des  herausgebers  allzusehr 
ins  einzelne .  gehende  register  eine  vollständige  Übersicht  über  den  stoff  gewährt. 
Zur  Unterstützung  des  benutzers  ist  noch  mancherlei  geschehen ;  nicht  alles  kann 
hier  aufgezählt  werden.  Die  von  Hoffmann  als  fortlaufende  prosa  gegebenen  verse 
hat  von  Müller  abgesetzt.  Das  sollte  man  zur  Vermeidung  von  missverständuisseii 
überall  tun.  In  der  erzählung  'der  Zusammenhang  der  dinge'  springt  der  schön- 
geistige, gern  in  hochtrabender  spräche  sich  bewegende  Ludwig  plötzlich  aus  der 
prosa  in  vierfüssige  Jamben  über:  'Lass  dir  wenigstens  erzählen,  was  mir  begegnet, 

Und  sprich  das  urteil,  wenn  du  glaubst, 
Dass  ich  verloren  bin  total'. 

Die  absieht  des  dichters  ist  klar:  sowohl  durch  die  verse  wie  durch  die 
wunderliche  Wortstellung  will  er  die  gespreizte  Sprechweise  des  Schöngeistes  fest- 
halten. Trotz  dieses  nicht  zu  verkennenden  mimischen  Charakters  wird  in  einer 
neueren  deutschen  stiUstik,  die  sich  ebensosehr  durch  beneidenswerte  Sicherheit  wie 
durch  diktatorischen  ton  auszeichnet,  die  stelle  als  beispiel  dafür  angeführt,  dass 
Hoffmann  oft  in  undeutscher  weise  die  adverbiale  bestimmung  nachschleppt !  —  Auf- 
schlussreich ist  die  eingehende  entstehungsgeschichte  des  werkes.  Dass  auch  in 
der  katerhandlung  autobiographische  bestandteile  enthalten  sind,  hatte  von  Müller 
schon  in  seiner  ausgäbe  des  Meister  Floh'  (1908)  an  einem  wichtigen  beispiele  nach- 
gewiesen, das  nunmehr  wiederholt  wird.  Manches  andere  könnte  hinzugefügt  werden: 
so  geben  die  erlebnisse  Murrs  in  der  hundegesellschaft  ersichtlich  den  überdruss 
wieder,  der  Hoffmann  (während  seines  letzten  Berliner  aufenthaltes)  in  den  schön- 
geistigen kreisen  der  hauptstadt  befiel;  ja  man  glaubt,  in  den  herablassenden 
äusserungen  der  vornehmen  hunde  über  Murrs  schriftstellerische  leistungen  die 
schnarrenden  stimmen  der  Offiziere  und  elegants  zu  hören.  Das  Verhältnis  Murrs 
zu  Minona  parodiert  (wie  es  scheint)  die  Seelenverwirrung,  in  die  Hoffmann  durch 
die  liebe  zu  Julia  Mark  gestürzt  worden  war. 

Wenn  vom  kater  Murr  die  rede  ist,  so  wird  man  immer  wieder  gern  auf 
das  allerliebste  büchlein  verweisen,  in  welchem  Franz  Leppmann  den  litera- 
rischen katzentypus  von  Tieck  bis  an  die  schwelle  der  gegenwart  verfolgt  hat. 
(Kater  Murr  und  seine  sippe  von  der  romantik  bis  zu  V.  vScheffel 
u  n  d  G.  K  e  1 1  e  r.     München  1908  C.  H.  B  e  c  k  s  c  h  e  v  e  r  1  a  g  s  b  u  c  h  h  a  n  d  1  u  n  g.) 


ZWÖLF    HEKMNISCHE   GESCHICHTEN  .'^01 

Eine  ungewöhnliche  Vertrautheit  mit  seinem  stoff  befähigt  den  verfasBer,  jede  den 
gegenständ  streifende  literarische  anspielung  zu  buchen;  aber  höher  als  diese  gewiss 
nicht  zu  unterschätzende  belesenheit  ist  die  geschmackvolle  art  der  behandlung  zu 
bewerten.  Als  muster  einer  feinsinnigen,  ebenso  belehrenden  wie  unterhaltenden 
monographie  verdient  die  arbeit  weite  Verbreitung.  —  Zu  s.  2n  f.  kann  v.  Müller 
s.  298  verglichen  werden. 

2.  In  der  zweiten  publikation  stellt  Hans  von  Müller  eine  reihe  der  in  Berlin 
spielenden  erzählungen  Hoffraanns  zusammen  und  ordnet  sie  chronologisch,  jedoch 
nicht  nach  ihrer  entstehung,  sondern  nach  ihrem  Inhalt.  Da  mit  ausnähme  des 
ersten  Stückes  ein  jedes  autobiographische  bestandteile  enthält,  so  bietet  das  werk 
zugleich  einen  fortlaufenden  poetischen  kommentar  zur  lebensgeschichte  des  dichters, 
soweit  diese  sich  in  Berlin  abspielt,  von  Müller  verfolgt  keineswegs  die  absieht, 
mit  den  bisherigen  ausgaben  in  Wettbewerb  zu  treten,  sondern  er  will  eine  ergän- 
zung  zu  ihnen  liefern.  Deshalb  sondert  er  aus  seinen  texten  alles  aus,  was  die 
grenzen  des  von  ihm  gewählten  Stoffgebietes  überschreitet,  niemals  aber,  ohne  sein 
verfahren  genau  zu  begründen.  Auf  diese  weise  wird  in  der  tat  eine  gewisse 
einheit  des  ganzen  erreicht,  aber  auch  für  das  einzelne  stellen  sich  die  örtlichen 
und  zeitlichen  bedingungen  deutlicher  heraus  als  da,  wo  es  in  der  grossen  masse 
verschwindet. 

Der  herausgeber  hat  nun  den  versuch  gemacht,  mit  ähnlichen  mittein  wie 
in  seiner  ausgäbe  des  'kater  Murr'  dem  leser  aufbau  und  gliederung  der  erzählung 
zu  verdeutlichen.  Er  zerlegt  die  geschichteu  in  einzelne  teile,  denen  er  zusammen- 
fassende titel  gibt,  und  er  setzt  die  Zerlegung  dann  innerhalb  der  kapitel  durch 
die  bildung  neuer  abschnitte  fort,  während  er  zugleich  durch  Sperrung  entscheidende 
Vorgänge  oder  gedanken  kenntlich  macht.  Nicht  überall  vermag  man  dem  heraus- 
geber zu  folgen ;  aber  der  wert  der  arbeit  wird  dadurch  keineswegs  beeinträchtigt. 
Nur  möchte  man  das  buch  nicht  sowohl  als  eine  ausgäbe,  denn  als  beitrage  zur 
erkenntnis  der  inneren  struktur  der  erzählungen  Hoffmanns  bezeichnen.  So  auf- 
gefasst,  wird  das  werk  seinen  dauernden  wert  behalten  und  dem  ein  guter  führer 
sein,  der  den  für  Hoffmanns  erzählungskunst  massgebenden  gesetzen  nachspürt. 

Nicht  in  gleichem  masse  kann  man  sich  mit  der  herstellung  des  textes  ein- 
verstanden erklären.  Der  herausgeber  legt  meist  die  ersten  fassungen  zugrunde, 
weil  er  sie  für  die  individuellen,  unverküustelten  hält,  und  weil  er  meint,  dass  in 
ihnen  das  stoffliche  (autobiographische  und  lokalgeschichtliche)  dement  am  ur- 
wüchsigsten hervortrete.  Dagegen  wäre  bei  einer  ausgäbe,  die  keinen  anspruch 
erhebt,  eine  kritische  zu  sein,  nichts  zu  sagen.  Bedenken  erregt  aber  der  grund- 
sätzliche Standpunkt,  der  zur  rechtfertigung  dieses  Verfahrens  eingenommen  wird. 
'Eine  dichtung',  sagt  v.  Müller,  'wird  durch  ihre  erste  Veröffentlichung  geraeingut. 
und  kein  autor  kann  verlangen,  dass  man  seine  nachträglichen  änderungen  unbesehen 
hinnimmt'.  Diese  ansieht  kann  nicht  als  richtig  anerkannt  werden.  Die  grundlage 
jedes  textes  muss  die  fassung  sein,  die  der  autor  für  die  eudgiltige  und  voll- 
kommenste gehalten  hat;  von  diesem  grundsatz  kann  nur  ausnahmsAveise  und  unter 
besonders  zwingenden  Verhältnissen  abgewichen  werden.  Zu  welcher  Verwirrung 
im  kunstleben  der  entgegengesetzte  Standpunkt  führt,  das  haben  wir  bei  den  neu- 
inszenierungen  älterer  poetischer  und  musikalischer  werke  schaudernd  selbst  erlebt. 
—  "Während  sonst  der  herausgeber  zweifelhafte  stellen  der  entscheidenden  fassung 
durch  heranziehung  der  urgestalt  zu  verbessern  sucht,  schlägt  von  Müller  den  um- 
gekehrten  weg   ein :    er   legt   zwar   die  erste  fassung  zugrunde,  entnimmt  aber  un- 


302  ELLINOER  ' 

bedenklich  aus  der  späteren  form  stilistische  änderungen,  die  ihm  als  wirkliche  Ver- 
besserungen erscheinen,  und  sucht  auf  diese  weise  zu  einer  art  idealgestalt  des 
textes  vorzudringen.  Bei  allen  grundsätzlichen  einwendungen  gegen  ein  solches 
verfahren  kann  man  doch  nicht  umhin,  zuzugestehen,  dass  auf  die  abwägung  der 
verschiedenen  lesarten  ein  erstaunliches  mass  von  Scharfsinn,  Sorgfalt  und  Verständnis 
iür  die  eigenart  des  dichters  verwendet  worden  ist.  Daher  ist  auch  diese  arbeit 
nichts  weniger  als  verloren,  und  jeder  künftige  herausgeber  wird  von  ihr  zu  lernen 
und  sich  mit  ihr  auseinanderzusetzen  haben. 

In  den  anmerkungen  ist  eine  fülle  wertvollen  Stoffes  aufgespeichert  worden. 
Wie  unsere  kenntnis  des  dichters  durch  diese  auf  genauester  durchdringung  des 
gegenständes  beruhenden  forschungen  überall  förderung  findet,  kann  nicht  im  ein- 
zelnen nachgewiesen  werden.  Ebensowenig  ist  hier  der  ort,  auf  die  gegensätze  in 
der  auffassung  näher  einzugehen,  die  zwischen  dem  herausgeber  und  dem  bericht- 
■erstatter  obwalten. 

BERLIN.  GEORG  ELLINGER. 


Übersicht  über  wichtigere  erscheinungen  des  letzten  Jahrzehnts 
auf  dem  gebiete  der  de utschenlyrik  des  17.  und  beginnenden 
18.  j  ahrhunderts. 

1.  Hermann   Petrich,   Paul   Gerhardt.     Ein   beitrag  zur  geschichte  des  deutschen 

geistes.  Auf  grund  neuer  forschungen  und  funde.  Gütersloh  Bertelsmann  1914. 
XIV  und  360  s. 

2.  Hans  Heinrich  ßorclierdt,  Andreas  Tscherning.     Ein  beitrag  zur  literatur-  und 

kulturgeschichte  des  17.  Jahrhunderts.  München  und  Leipzig  1912.  Haus  Sachs- 
verlag.    Gotthilf  Haist.     10  unbezifferte  und  375  s. 

3.  Karl   Th.  Strasser,   Der  junge   Czepko.     Göttinger  inauguraldissertation.    Göt- 

tingen 1912.     Druck  von  Kastner  und  Callway  in  München.     XI  und  99  s. 

4.  William    fi-eilierr   von    Schröder,    Studien    zu    den   deutschen    mystikern    des 

siebzehnten  Jahrhunderts.  I.  Gottfi'ied  Arnold  (beitrage  zur  neuereu  literatur- 
geschichte,  neue  folge,  herausgegeben  von  M.  freiherrn  von  Waldberg,  IX.). 
Heidelberg,  Karl  Winters  Universitätsbuchhandlung.     1917. 

5.  Radolf    Zivetz,    Die    dichterische   persönlichkeit    Gerhard   Tersteegens.     Jenaer 

inauguraldissertation.     Halle  a.  S.  1915.     Buchdruckerei  Schmidt  und  Edel. 

6.  Philipp  Witkop,  Die  deutscheu  lyriker  von  Luther  bis  Nietzsche.    1.  bd.   Zweite 

veränderte   aufläge.     Von   Luther  bis  Hölderlin.     Leipzig,  Teubner  1921  (erste 

aufläge  1910). 

Die  in  der  nachfolgenden  besprechung  vereinigten  arbeiten  zeigen  im  stoö- 
lichen  wie  in  der  fragestellung  viel  gemeinsames.  Namentlich  die  in  der  zweiten 
hälfte  behandelten  Schriften  schliessen  sich  eng  zusammen  und  sind  auch  durch 
eine  immer  wieder  auftauchende  dichterpersönlichkeit  miteinander  verbunden.  Der 
berichterstatter  hat  zeitlich  sehr  weit  zurückgegriffen.  Zum  teil  liegt  die  schuld 
an  ihm ;  zur  erkläruug  des  Sachverhaltes  möge  aiif  die  bemerkungen  in  dieser  Zeit- 
schrift, bd.  48,  s.  140  f.  verwiesen  werden.  Indessen  lässt  sich  die  berücksichtigung 
längst  erschienener  Schriften  auch  sachlich  rechtfertigen.  Es  ist  nicht  ohne  nutzen, 
wenn  man  einmal  in  einer  gesamtübersicht  das,  was  innerhalb  eines  grösseren  Zeit- 
raumes auf  einem  bestimmten  gebiete  geleistet  worden  ist,  an  sich  vorüberziehen 
lässt.    Zumal  wenn  die  in  betracht  kommenden  .arbeiten  gelegeuheit  zur  besprechung 


SCHRIFTEN   ZUR   DEUTSCHEN    LYRIK  303 

einiger  wichtiger  fragen  geben,  deren  völlige  lösung  erst  ein  wirkliches  eindringen 
in  entwicklungsgang  und  zusammenhänge  ermöglichen  wird. 

1.  Unter  den  zu  besprechenden  Schriften  nimmt  dem  gegenstände  wie  der 
ausführung  nach  Petrichs  buch  den  ersten  platz  ein.  Die  Verdienste  des  Verfassers 
um  die  Gerhardtforschung  sind  bekannt;  seine  wertvolle  schrift:  'Paul  Gerhardt, 
seine  lieder  und  seine  zeit'  (1907)  hat  er  zu  einem  gesamtbilde  des  äussern 
und  Innern  lebens  Gerhardts  ausgestaltet.  Obgleich  manches  aus  der  älteren  dar- 
stellung  herübergenommen  worden  ist,  erscheint  das  ganze  doch  als  eine  neue, 
selbständige  leistung.  Entscheidend  für  diese  bewertung  sind  nicht  die  mannig- 
fachen einzelfunde,  soviel  licht  sie  auch  über  zahlreiche  der  aufklärung  bedürftige 
punkte  in  Gerhardts  leben  und  schaffen  verbreiten.  Weit  mehr  fällt  ins  gewicht, 
dass  di«  darstellung  von  echt  geschichtlichem  geiste  zeugnis  ablegt;  das  haupt- 
hestreben  des  biographen  ist  darauf  gerichtet,  den  dichter  aus  seiner  zeit  heraus 
zu  erfassen.  Werden  dabei,  wie  es  sich  von  selbst  versteht,  in  erster  linie  die 
umstände  berücksichtigt,  die  aufbauend  und  fördernd  auf  den  beiden  des  buches 
eingewirkt  haben,  so  können  doch  die  widerstreitenden  mächte  um  so  weniger 
entbehrt  werden,  als  auch  durch  sie  das  leben  Gerhardts  entscheidend  beeinflusst 
worden  ist.  Im  letzten  gründe  handelt  es  sich  dabei  allerdings  nur  um  ein  einziges 
ereignis,  nämlich  um  den  konflikt  mit  dem  grossen  kurfürsten.  Das  im  mittelpunkte 
von  Gerhardts  Schicksalen  stehende  erlebnis  findet  eine  sachliche  Würdigung.  Es 
liegt  dem  Verfasser  fern,  vom  lutherisch-orthodoxen  Standpunkt  aus  das  urteil  zu 
fällen,  wie  es  noch  vor  gar  nicht  langer  zeit  geschehen  ist.  Er  hat  vielmehr  für 
die  höheren  gesichtspunkte,  die  auch  in  dieser  angelegenheit  die  handlungswei»se 
des  grossen  kurfürsten  bestimmten,  volles  Verständnis;  freilich  hebt  er  mit  recht 
hervor,  dass  die  Staatsgewalt  hier  auf  dinge  übergriif,  die  jenseits  ihrer  berechtiguugs- 
sphäre  lagen  —  ein  Vorwurf,  der  allerdings  fast  allen  fürstlichen  Zeitgenossen  des 
grossen  kurfürsten  gemacht  werden  kann.  Letzten  endes  kommt  das  urteil  des 
Verfassers  darauf  hinaus,  dass  beide  parteien  recht  hatten,  und  dass  jeder  der 
streitenden  aus  seiner  denkart  heraus  nicht  anders  handeln  konnte.  —  Durch  das 
märtyrertum,  in  das  Gerhardt  hineingedrängt  wurde,  rückt  doch  wenigstens  für 
eine  Zeitspanne  seine  persönlichkeit  in  eine  etwas  hellere  beleuchtung,  zumal  ausser 
seinen  aufzeichnungen  von  1667  namentlich  der  seit  1909  bekannt  gewordene  un- 
schätzbare brief  an  die  gräfin  zur  Lippe  einen  tiefen  einblick  in  die  empfindungen 
ermöglicht,  die  ihn  während  jener  zeit  bewegten  und  die  durchaus  der  grundstim- 
mung  seiner  dichtung  entsprechen.  Im  übrigen  kann  selbstverständlich  die  gestalt 
Gerhardts  nicht  plastisch  heraustreten.  Die  quellen  zur  erkenntnis  des  inneren 
lebens  der  deutschen  poeteu  des  17.  Jahrhunderts  fliessen  ja  überhaupt  äusserst 
spärlich ;  bei  Gerhardt  kommt  als  erschwerender  umstand  noch  hinzu,  dass  er  sich 
offenbar  absichtlich  zurückhielt  und  in  seiner  dichtung  jede  beziehung  auf  die 
eigene  person  vermied.  So  kann  von  irgendwelchen  lebendigen  färben  in  seinem 
lebensbild  nicht  die  rede  sein.  Aber  wenn  man  den  bericht  über  den  tod  seiner 
frau  oder  der  ihm  offenbar  wesensverwandten  Schwester  liest,  dann  atmet  man  doch 
etwas  von  der  lebensluft  des  Gerhardtscheu  hauses,  und  das  zusammenhalten  dieser 
Urkunden  mit  einzelnen  liedern  ermöglicht  es  bis  zu  einem  gewissen  grade,  eine 
genaue  Vorstellung  auch  von  der  art  zu  gewinnen,  in  der  sich  die  äusseren  daseins- 
vorgänge  abgespielt  haben. 

Die  Würdigung  der  poetischen  tätigkeit  wird  auf  das  beste  durch  die  frage 
-nach   den   zwecken   vorbereitet,   die    Gerhardt   mit  seinen  liedern  verfolgte.     Sagen 

ZEITSCHRIFT  F.  DEUTSCHE   PHILOLOGIE.    BD.  L.  2l 


304  EI.LINGEK 

die  grundzüge  der  von  dem  Verfasser  erteilten  antuort  auch  dem  freunde  des 
deutschen  kirchenliedes  nichts  neues,  so  fasst  seine  auseinandersetzung  doch  die 
in  betracht  kommenden  gesichtspunkte  so  übersichtlich  zusammen,  daas  in  zukunft 
auf  sie  als  die  klarste  darstellung  dieser  probleme  verwiesen  werden  kann.  Ger- 
hardts lieder  waren  nicht  für  den  gottesdienstlichen  gebrauch  der  gemeinde,  sondern 
für  den  chorgesang  und  die  häusliche  andacht  bestimmt.  Wer  die  eigenart  Ger- 
hardts und  seine  Stellung  innerhalb  der  deutschen  lyrik  feststellen  will,  muss  diese 
absieht  des  dichters  kennen.  Denn  sie  ist  für  die  richtung  seiner  poesie  ausschlag- 
gebend geworden.  Die  rücksicht  auf  rein  kirchliche  zwecke  würde  ihm  zu  enge 
fesseln  angelegt  haben.  Mit  recht  weist  der  Verfasser  darauf  hin,  dass  erst  in 
dieser  freieren  form  des  liedes  sich  der  eigentümliche  Charakter  seiner  lyrik  voll 
entwickeln  konnte. 

Die  ruhige  Sachlichkeit,  die  den  biographischen  teil  auszeichnet,  kommt  auclv 
der  eingehenden  Würdigung  von  Gerhardts  poesie  zu  gute.  Um  es  gleich  im  voraus 
zu  sagen:  diese  zweite  hälfte  der  arbeit  ist  eine  musterhafte  leistung.  Alle  für 
Gerhardts  schaffen  wichtigen  fragen  werden  sorgfältig  berücksichtigt;  der  ästhetische 
und  der  geschichtliche  masstab  ergänzen  einander.  Obgleich  der  freund  der  deutschen 
literaturgeschichte  des  17.  Jahrhunderts  durch  diese  gediegenen  ausführungen  gleich- 
massig  gefesselt  wird,  möge  doch  als  ganz  besonders  fördernd  die  darlegung  von 
Gerhardts  theologie  und  frömmigkeit  hervorgehoben  werden :  dem  berichterstatter 
ist  kein  beitrag  zur  geschichte  der  deutschen  poesie  im  17.  Jahrhundert  bekannt, 
der  in  gleich  anschaulicher  weise  die  inhaltlichen  Voraussetzungen  der  dichtung  zu 
vergegenwärtigen  wüsste. 

Nur  wenige  punkte  können  herausgegriffen  werden ;  die  auswahl  berück- 
sichtigt namentlich  solche  anschauungen,  die  noch  nicht  oder  doch  wenigstens  nicht 
in  dieser  fassung  dargeboten  worden  sind.  Mit  recht  wird  die  ausschliesslich  lyrische 
begabung  Gerhardts  betont  und  an  beispielen  dargetan,  wie  wenig  ihm  ausätze 
zu  epischer  behandlung  glücken.  Dagegen  braucht  man  die  durch  Wechsel  und 
gegensätze  hervorgerufene  innere  bewegung  seiner  lyrik  nicht  auf  dramatische 
anläge  zurückzuführen,  da  Gerhardt  eich  in  dieser  beziehung  kaum  von  anderen 
grossen  lyrikern  unterscheidet.  Petrich  reiht  die  geistlichen  lieder  im  wesentlichen 
dem  gebiet  der  gedankenlyrik  ein ;  das  ist  gewiss  richtig,  nicht  minder  der  hinweis, 
dass  es  Gerhardt  meist  gelungen  ist,  die  reflexion  von  jeder  lehrhaften  trockenheit 
zu  befreien  und  das  bloss  gedachte  in  poetisch  angeschautes  umzusetzen.  Die  vor- 
treffliche betrachtung  von  theologie  und  frömmigkeit  liefert  den  für  die  gesamt- 
charakteristik  wichtigen  nachweis,  dass  die  sünde  bei  Gerhardt  aus  der  zentralen 
Stellung  herausgedrängt  wird, »die  sie  z.  b.  bei  Johann  Heermann  einnimmt;  sie 
tritt  durchaus  hinter  der  gottesgnade  und  deren  vdrkungen  zurück;  auch  diese 
tatsache  bekundet  die  'innigliche  herzenslust  und  freudigkeit  des  geistes',  die  nach 
dem  Zeugnis  seines  testamentes  über  die  'äusserliche  trübsal'  obgesiegt  hat.  Die 
bedeutung,  die  der  Gerhardtschen  dichtung  für  das  erwachen  des  naturgefühls  zu- 
kommt, wird  gut  dargelegt;  stärker  dürfte  vielleicht  noch  betont  werden,  wie  auch 
die  deutlich  erkennbare  begrenzung  von  Gerhardts  naturschilderung  durch  die  ihn 
umgebende  weit  bedingt  ist;  was  die  spärlichen  reize  der  landschaft  an  anregungea 
boten,  hat  er  reichlich  ausgeschöpft,  darüber  hinaus  ist  er  nicht  gegangen;  nur 
was  ihn  unmittelbar  berührte,  wurde  ihm  zum  gedieht.  So  zeugt  auch  diese  wichtige 
Seite  seines  Schaffens  dafür,  dass  ihm  im  wesentlichen  nur  das  äussere  und  innere 
erlebnis  die  zunge  gelöst  hat. 


SCHRIFTEN    ZUR   DEI  TSCHEN    LYRIK  305 

Das  mehrfach  hervorgehobene  kapitel  über  des  dichters  theologie  und 
frömmigkeit  bringt  die  wertvolle  heobachtung,  dass  der  begriff  der  kirchlichen 
gemeiuschaft  bei  Gerhardt  vollständig  zurücktritt.  Die  gründe  für  diese  tatsache 
sucht  der  Verfasser  einerseits  darin,  dass  die  lieder  hauptsächlich  für  die  private 
erbauuug  bestimmt  waren ;  anderseits  kann  er  sich  aber  der  erkenntnis  nicht  ver- 
schliessen,  'dass  die  religiöse  und  die  kirchliche  gemeiuschaft  in  seinem  glaubens- 
ieben, das  doch  in  seiner  dichtung  sich  ausspricht,  überhaupt  keine  mitbestimmende 
Stellung  hat'.  In  dieser  zwar  nicht  ausgesprochenen,  aber  tatsächlichen  beschränkung 
auf  die  bedürfnisse  der  einzelpersünlichkeit  erscheint  die  grundstimmung  des  pietis- 
nius  schon  so  weit  vorbereitet,  dass  dieser  nur  noch  die  letzten  folgerungen  zu 
ziehen  hatte.  Auch  das  geringe  mass  von  aktirität  in  Gerhardts  eigenart  und 
frömmigkeit  weist  vordeutend  auf  züge,  die  dem  pietismus  eigen  sind,  wenn  sie 
ihn  auch  nicht  ausschliesslich  beherrschen.  In  der  hauptsache  erklärt  sich  diese 
annäherung  an  die  geistesluft  des  pietismus  aus  der  anläge  von  Gerhardts 
wesen.  Aber  der  seltsame  Vorgang,  dass  derselbe  mann,  den  die  Verhältnisse  zum 
märtyrer  der  lutherischen  Orthodoxie  machten,  dem  pietismus  die  wege  bahnte, 
erscheint  gleichwohl  nicht  unvermittelt.  Denn  die  mystischen  Strömungen,  die  im 
pietismus  wieder  lebendig  wurden,  sind  auch  auf  Gerhardt  nicht  ohne  einfluss  ge- 
blieben. Einige  seiner  lieder  schliessen  sich  bekanntlich  auf  das  engste  an  Johann 
Arndts  'Paradiesgärtlein'  (1612)  an,  und  wenn  sich  auch  Gerhardt,  was  bei  Petrich 
durch  hübsche  einzelnachweise  belegt  wird,  bemüht  hat,  die  weitgehenden  mystischen 
formein  Arndts  umzubiegen  und  in  die  herkömmliche  spräche  der  lutherischen 
frömmigkeit  zu  übertragen,  so  bleibt  doch  die  ein  Wirkung  der  in  Arndt  verkörperten 
mystik  bestehen  und  macht  den  dichter  zu  einem  der  mittelglieder  zwischen  jenen 
älteren  mystischen  Strömungen  und  dem  pietismus,  so  dass  er  also  nach  dieser 
richtung  hin  in  die  nähe  des  ihm  so  unähnlichen  Scheffler  rückt.  Dem  bericht- 
erstatter  sind  schon  vor  Jahrzehnten  diese  zusammenhänge  aufgegangen;  obgleich 
sie  bei  Petrich  etwas  anders  formuliert  werden,  freut  er  sich,  in  der  hauptsache 
mit  dem  Verfasser  übereinzustimmen. 

Sehr  einsichtige  auseinandersetzungen  sind  der  frage  gewidmet,  ob  sich  der 
dichterische  Werdegang  Gerhardts  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  bestimmen  lässt. 
Das  material  bietet  zu  der  beantwortung  dieser  frage  keine  handhabe.  Dass  eine 
eigeutliche  entwicklung  bei  den  meisten  dichtem  des  17.  Jahrhunderts  nicht  fest- 
zustellen ist,  wird  dem  Verfasser  zugegeben  werden  müssen.  Unter  den  von  ihm 
genannten  poeten  möchte  man  nur  Fleming  ausnehmen,  bei  dem  doch  ein  fortschritt 
vom  augeeigneten  zum  eigenen  zu  beobachten  ist.  In  ähnlicher  weise  scheint  sich 
bei  Gerhardt  die  entwicklung  vollzogen  zu  haben;  vielleicht  Jiesse  sich  die  auf 
Seite  275  gegebene,  durchaus  einleuchtende  Stufenfolge  noch  durch  reichlichere 
Zeugnisse  belegen,  wenn  die  datierung  noch  weiter  auf  demselben  wege  gefördert 
würde,  den  der  Verfasser  mit  so  vielem  glück  und  Verständnis  bei  der  Zeitbestim- 
mung des  liedes:  'Was  soll  ich  doch,  o  Ephraim',  beschritten  hat  (anfang  IQil, 
ebenso  wie  wahrscheinlich  die  beiden  lieder:  'Ist  Ephraim  nicht  meine  krön?'  und 
'Kommt  ihr  traurigen  gemüter'j. 

Das  fehlen  einer  eigentlichen  entwicklung  bei  den  poeten  des  17.  Jahrhunderts 
wird  nicht  übel  aus  der  Starrheit  ihres  papierenen  Ideals  erklärt ;  die  massgebende 
gelehrte  Überlieferung  gestattete  nur  eine  geringe  bewegungsfreiheit.  In  dieser 
beziehung  erweisen  sich  die  deutschen  poeten  des  17.  als  die  wahren  erben  der 
neulateinischen    dichter   des    15.  und    16.  Jahrhunderts,    denn    bei    diesen    hat    der 

21* 


306  ELLIN(iEK 

mangel  an  einer  entwicklung  des  poetischen  talents  den  gleichen  grund.  Das  gilt 
auch  von  den  hervorragendsten  Vertretern  der  neulateinischen  poesie,  z.  b.  von  Pon- 
tanus,  nicht  minder  von  den  deutschen  neulateinern ;  ausnahmen,  wie  Melissus, 
bestätigen  die  regel. 

Die  beeinflussung,  die  Gerhardt  durch  seine  Vorgänger  auf  dem  gebiet  des 
geistlichen  liedes  sowie  durch  Johann  Gerhardts  Quinquaglnta  meditationes,  durch 
die  altchristliche  hymnenpoesie  und  die  neulateinische  dichtung  erfahren  hat,  wird 
durch  eine  reihe  von  parallelstellen  veranschaulicht.  Der  Verfasser  ist  sich  der 
Schwierigkeit  dieses  Unternehmens  wohl  bewusst  und  äussert  sich  über  die  zu  er- 
wartenden ergebnisse  mit  grosser  vorsieht.  Gleichwohl  bedeuten  diese  nachweise 
eine  wesentliche  förderung;  sie  sind  auch  da  aufschlussreich,  wo  sie  nicht  über- 
zeugen. Es  war  ein  glücklicher  gedanke,  für  die  hymnenpoesie  und  die  neulatei- 
nische dichtung  die  Sammlungen  heranzuziehen,  die  Gerhardt  auf  der  schule  benützt 
hat,  d.  h.  die  ausgäbe  der  hymnen  von  Georg  Fabricius  und  das  Passionale  Adam 
Sibers.  Wie  stark  die  in  dem  Passionale  enthaltenen  stücke  Stigels  bei  Johann 
Heermann  widerklingen,  ist  in  den  Neuen  Jahrbüchern  für  das  klassische  altertum 
usw.  bd.  39  s.  378  (1917)  gezeigt  worden ;  vielleicht  ist  es  die  in  betracht  kommende 
stelle  aus  Johann  Heermanns  'Herzliebster  Jesu'  gewesen,  die  Gerhardt  bei  den 
s.  222  zitierten  worten :  'Nun  was  du,  Herr,  erduldet  usw.'  vorgeschwebt  hat.  Aber 
eine  einvdrkung  der  neulateinischen  dichtung  auf  Gerhardt  wird  gewiss  nicht  zu 
bestreiten  sein.  Inwiefern  unser  dichter  mittelbar  oder  unmittelbar  von  den  her- 
kömmlichen einkleidungen  der  neulateinischen  poesie  des  16.  Jahrhunderts  abhängig 
ist,  möge  zur  ergänzung  der  darlegungen  des  Verfassers  noch  an  einem  beispiel 
gezeigt  werden.  In  den  beileidsgedichten  der  neulateiner  bildet  es  eine  stehende 
erfindung,  dass  der  (oder  die)  tote  selbst  erscheint  und  das  wort  zu  tröstender 
anspräche  an  den  (oder  die)  hinter bliebenen  ergreift  (vgl.  Neue  Jahrbücher  für  das 
klassische  altertum  usw.  II.  abteilung  bd.  24  s.  154).  Nicht,  selten  ist  es  der  ver- 
storbene kleine  söhn,  der  den  eitern  herzlich  zuspricht,  sie  mahnt,  vom  trauern 
abzulassen,  da  er  jetzt  die  leiden  der  weit  mit  den  dauernden  wonnen  des  himm- 
lischen reichs  vertauscht  habe.  Ein  gedieht  dieses  Inhalts  findet  sich  bei  dem 
Nürnberger  Heinrich  Eckard  (Varia  quaedam  poemata.  Nürnberg  1553);  der  zeit 
nach  näher  an  Gerhardt  heran  rückt  Hardwig  von  Dassel,  Poematum  libri  IV. 
Bremae  1603,  s.  110,  vgl.  auch  die  verwandte  einkleidung  s.  99.  Hält  man  Ger- 
hardts schönen  trostgesang  in  der  person  eines  verstorbenen  kindes  neben  diese 
stücke,  so  ergibt  sich  in  anläge  und  ausführung  eine  so  auffallende  Verwandtschaft, 
dass  man  an  eine  abhängigkeit  von  der  neulateinischen  dichtung  glauben  muss, 
was  selbstverständlich  volle  ursprünglichkeit  im  einzelnen  nicht  ausschliesst.  Wie 
sehr  die  formen  der  neulateinischen  literatur  für  die  deutsche  poesie  des  17.  Jahr- 
hunderts vorbildlich  gewesen  sind,  hofft  der  berichterstatter  noch  darlegen  zu  können. 

Nur  wenige  einzelbemerkungen  mögen  sich  noch  anschliessen.  Den  freunden 
der  Gerhardtschen  muse  war  das  einem  lateinischen  gedichte  des  Nathan  Chyträus 
nachgebildete  lied:  'Herr,  ich  will  ja  gerne  bleiben'  von  jeher  ein  ärgernis.  Petrich 
möchte  es  in  Gerhardts  Jugend  verweisen,  und  gewiss,  in  die  so  einleuchtenden 
aufstellungen  des  Verfassers  über  die  entwicklung  der  dichtkunst  Gerhardts  würde 
sich  diese  annähme  gut  einfügen.  Gleichwohl  wird  man  hinter  diesen  datierungs- 
versuch  ein  fragezeichen  setzen  müssen.  Der  Verfasser  hat  selbst  mit  recht  darauf 
hingewiesen  und  an  guten  beispielen  dargetan,  wie  wenig  das  17.  Jahrhundert  das 
ästhetisch  unschöne  der  behandelten  Vorstellungen  empfand.    Wenn  Gerhardt  sozu- 


SCHRIFTEN   ZUR   DEUTSCHEN   LYRIK  307 

sagen  in  einem  unbewachten  augenblick  die  seine  zeit  beherrschende  Stimmung  auch 
über  sich  selbst  herr  werden  Hess,  so  wird  schwerlich  zu  bestreiten  sein,  dass  dies 
auch  bei  dem  reifen  dichter  geschehen  konnte.  —  Noch  ein  weiterer  hinweis  möge 
folgen.  Gerhardts  grossvater,  Kaspar  Starcke,  hat  sich  auch  als  dichter  versucht. 
1593  erschien  ein  dünnes  bändchen  seiner  lateinischen  gedichte  unter  dem  titel: 
Casparis  Starckii  Lipsiensis  carmina  sacra  ab  autore  nonnihil  aucta  et  denuo  con- 
fessionis  loco  edita.  Lipsiae  1593.  4.  Nur  diese  zweite  ausgäbe  scheint  sich  er- 
halten zu  haben;  von  bekannten  poeten  haben  Nikolaus  Selneccer,  Johannes  Albinus 
und  Adam  Siber,  in  dessen  schule  Paul  Gerhardt  später  seine  Vorbildung  für  die 
Universität  erhalten  sollte,  empfehlende  versa  mit  auf  den  weg  gegeben;  die  nicht 
erhaltene  erste  ausgäbe  muss  also  vor  1584  (Sibers  todesjahr)  erschienen  sein. 
Poetischen  wert  kann  die  Sammlung  nicht  beanspruchen,  und  die  geringe  begabung 
für  die  neulateinische  poesie  scheint  demnach  bei  Paul  Gerhardt  erblich  gewesen  zu  sein. 
Starckft  hat  seine  gedichte  'als  bekenntnis',  'confessionis  loco'  herausgegeben.  Und 
so  wenig  schwer  die  kleinen  betrachtungen  über  religiöse  gegenstände  auch  wiegen, 
anziehend  ist  doch  die  persönlichkeit,  die  hier  von  ihrem  Innenleben  zeugnis  ablegen 
will.  Im  sinne  Luthers  warnt  er  vor  der  frage  nach  dem  warum,  vor  dem  vertrauen 
auf  menschenkraft  und  -witz ;  der  heiligen  schritt  zu  glauben,  ist  die  höchste 
Weisheit.  Seine  leitsterne  bilden  gottes  wort  und  Luthers  lehr'.  Doch  schliesst  die 
hingäbe  an  Luther  die  anerkennung  Melanchthons  nicht  aus,  obgleich  es  wunderlich 
anmutet,  dass  auf  ein  gedieht  zum  lobe  der  Loci  Melanchthons  sogleich  eine  über- 
schwengliche Verherrlichung  der  konkordienformel  folgt,  also  auch  nach  dieser 
richtung  hin  die  anschauungsweise  des  enkels  vorbereitet  wird.  Manches  unter  den 
religiösen  gedichten  allgemeinen  Inhalts  zieht  durch  seinen  individuellen  ton  an: 
wie  der  feldherr  die  hervorragenden  krieger  mit  ehrenzeichen  bedeckt,  so  zeichnet 
mich  der  höchste,  allmächtige  gott  mit  mannigfachem  kreuz,  damit  ich  ein  kämpfer 
des  himmels  werde  und  dermaleinst  für  mein  streiten  den  siegespreis  empfange. 
Ersichtlich  ist  auch  vieles  andere  durch  das  unmittelbare  erlebnis  angeregt  worden. 
Was  Starcke  bei  bestimmten  gelegenheiten,  etwa  vor  der  hochzeit,  empfand,  hat  er 
in  verse  gebracht,  und  vielleicht  hat  er  selbst  oft  das  für  den  zur  kanzel  hinauf- 
steigenden Prediger  bestimmte  gebet  gesprochen : 

Os  mihi,  vive  deus,  mihi  sis  sapientia!  Care 
Christe,  veni  sanctamque  tui  da  flaminis  auram 
Terrestri  famulo,  docturo  dogmata  caeli! 
Gewiss  heben   sich  diese  versuche  nicht  aus  der  durchschnittsmasse  der  neu- 
lateinischen  dichtung   heraus,   aber   dass   der   grossvater  Paul   Gerhardts   zu  worte 
kommt,  verleiht  ihnen  doch  eine  besondere  bedeutung.    Und  darum  wird  man  wohl 
fragen   dürfen,   nach   welcher  richtung   Paul   Gerhardt   hier   bereits  vorgebildet  ist. 
Entscheidend   sind   dabei   nicht   äusserliche  anklänge,  sondern  die  Übereinstimmung 
in  der  grundrichtung.    Auch  Starcke  strebt  danach,  sein  Innenleben  aufzuschliessen; 
man  erkennt,   wie   die  daseinsvorgänge   dazii  die  äussere  veranlassung  bieten,  ohne 
dass  das  persönliche    sich    irgendwie  vordrängte.     Auch  bei  ihm  lässt  sich  also  das 
erwachen    der  persönlichkeit   und  doch  zugleich  die  Zurückhaltung  im  persönlichen 
beobachten.     Beides  weist  schon  auf  Gerhardts  art,  ebenso  wie  die  subjektive  färbung 
der   frömmigkeit.      Man   wird    also    vielleicht   berechtigt   sein,   von   einer  geistigen 
familienüberlieferung  su  sprechen. 

2,  Als   die   dichter,  denen  Gerhardt  am  meisten  verdankt,  nennt  Petrich  mit 
recht  Johannes  Heermann,    Rinckhart  und  Matthäus  Apelles  von  Löwenstern,     Joh. 


308  ELLINGEU 

Heermann,  der  auch  in  nahen  heziehungen  zu  dem  helden  des  gleich  zu  besprechenden 
buches  stand,  hat  durch  Hitzeroth  (Marburg  1907)  eine  eingehende  und  aufschluss- 
reiche darstellung  erhalten ;  Löwenstern  wartet  noch  seines  biographen.  Wichtige 
züge  zu  seinem  Charakterbild  bietet  Borcherts  lebensbeschreibung  Tschernings;  als 
väterlichen  freund  des  jüngeren  dichters  lernt  man  Löwenstern  hier  von  einer  un- 
gemein erfreulichen  seite  aus  kennen.  Der  Verfasser  hat  den  biographischen  stoff 
60  vollständig  wie  möglich  zusammengebracht  und  baut  auf  ihm  eine  genaue  dar- 
stellung von  Tschernings  leben  nnd  schaffen  auf.  Schon  dem  rein  biographischen 
folgt  man  mit  vergnügen;  wohl  haben  manche  dichter  des  17.  Jahrhunderts  wenigstens 
für  einzelne  Zeitabschnitte  zusammenhängende  daseinsvorgänge  festgehalten ;  im 
allgemeinen  erweist  sich  aber  die  Überlieferung  als  recht  dürftig,  so  dass  man  schon 
an  sich  jede  Vermehrung  des  materials  freudig  willkommen  heissen  würde.  Auch 
bei  Tscherning  gestaltet  sich  selbstverständlich  das  bild  nicht  lückenlos,  allein  es 
reicht  doch  aus,  um  die  wesentlichsten  züge  erkennen  zu  lassen.  Tscherning  er- 
scheint als  eine  liebenswerte  persönlichkeit,  treuherzig  und  hilfsbereit,  fromm  und 
bescheiden;  wie  die  Vorzüge,  so  springen  aber  auch  die  grenzen  ins  äuge:  er  ist 
eine  durchschuittsnatur  ohne  tiefe  und  eigenart.  Den  ergebnissen  der  lebens- 
geschichte  entspricht  durchaus  der  eindruck  seiner  poetischen  leistungen.  Wohl 
redet  aus  diesen  versen  ein  harmloser,  biederer  mensch ;  andererseits  erkennt  man 
jedoch  deutlich,  dass  der  poet  so  gut  wie  nichts  zu  sagen  hat;  daher  sein  anlehnungs- 
bedürfnis,  das  zuweilen  in  wunderliche  hilflosigkeit  ausartet.  Käme  es  nun  beim 
lyriker  lediglich  darauf  an,  dass  der  poetische  ausdruck  sich  mit  dem  Innenleben 
deckt,  so  müsste  der  wert  von  Tschernings  schaffen  hoch  veranschlagt  werden. 
Aber  da  selbstverständlich  kraft  und  umfang  dieses  Innenlebens  entscheidend  sind, 
kann  er  nur  einen  sehr  bescheidenen  platz  beanspruchen.  Das  lob,  das  dem  dichter 
Tscherning,  'dem  söhn  der  ewigkeiten',  wie  ihn  sein  schüler  Morhof  nannte,  von 
seinen  Zeitgenossen  freigebig  gespendet  wurde,  erscheint  uns  heute  unbegreiflich; 
meist  bleibt  diese  reimerei  im  allertrivialsten  stecken.  Gleichwohl  wird  man 
dem  Verfasser  recht  geben  müssen,  dass  es  sich  um  den  typus  eines  renaissance- 
poeten  handelt.  Von  diesem  Standpunkt  aus  rechtfertigt  sich  die  ausführlich- 
keit,  mit  der  das  schaffen  Tschernings  vor  dem  leser  ausgebreitet  wird.  Den 
dichtungen,  namentlich  den  lyrischen,  werden  eingehende  Charakteristiken  zuteil, 
wobei  besonders  die  abhängigkeit  Tschernings  von  Opitz  ins  licht  tritt.  Überhaupt 
ist  der  Verfasser  den  heziehungen  Tschernings  zu  seinem  dichterkoUegen  mit  erfolg 
nachgegangen.  Das  kapitel,  das  die  literarischen  Verbindungen  Tschernings  fest- 
stellt (mit  den  nachtragen  s.  366  ff.),  erscheint  daher  als  besonders  fördernd.  In 
der  gesamtbeurteilung  der  poetischen  arbeiten  trifft  der  Verfasser  das  richtige  und 
gibt  zugleich  die  zutreffende  erklärung  für  den  einfluss,  den  Tscherning  auf  seine 
zeit  ausgeübt:  das  hauptgewicht  beruhte  auf  der  form;  die  sauber  gefeilte  poetische 
spräche  hat  vorbildlich  gewirkt  und  mit  dazu  beigetragen,  die  Überzeugung  von 
der  notwendigkeit  eines  reinen  und  regelmässigen  verses  einzuschärfen.  Man  kann 
daher  Tschernings  versuchen  trotz  ihres  ärmlichen  Inhaltes  eine  gewisse  bedeutung 
innerhalb  der  entwicklung  der  deutschen  literatur  des  17.  Jahrhunderts  nicht  ab- 
sprechen. Ähnlich  verhält  es  sich  mit  seinen  theoretischen  bemühungen.  Seine 
poetik  bietet  wenig  neues  und  will  auch  nichts  neues  geben.  Sie  begnügt  sich, 
die  von  Opitz  und  von  Buchner  aufgestellten  regeln  nochmals  zusammenzufassen 
und  durch  eigene  beobachtungen  zu  ergänzen.  Innerhalb  des  Wirrwarrs  der  damals 
durcheinanderfahreudon    theorien    war   die    nochmalige   einprägung   des    revidierten 


SCHRIFTEN   ZUR   DEUTSCHEN    LYRIK  309 

Opitz-Buchnerischen  Standpunktes  weder  unfruchtbar  noch  unnötig;  denn  dieser 
gewährte  noch  immer  den  sichersten  halt.  Uünlitz  ist  also  Tschernings  konservative 
veimittlertätigkeit  auf  dem  gebiete  der  poetik  nicht  gewesen. 

Unter  den  männern,  mit  denen  Tscherning  freundschaftlich  verbunden  war, 
hätte  wohl  auch  Christoph  Freitag,  hofprediger  zu  Oels,  einen  platz  verdient;  denn 
Freitag  war  ebenfalls  nicht  ohne  literarischen  ehrgeiz.  Der  literaturgeschichte  ist 
er  allerdings  haupts<ächlich  als  gegner  der  anschauungen  des  kreises  wichtig,  der  sich 
um  Abraham  von  Franckenberg  sammelte.  Für  Freitags  beziehungen  zu  Tscherning 
liefert  sein  auf  der  Breslauer  Stadtbibliothek  befindlicher  briefwechsel  mit  Tscherning 
das  nötige  material. 

Obgleich  manches,  so  z.  b.  die  lehrreichen  Zusammenstellungen  über  die 
metrik,  zu  näherer  betrachtung  lockt,  kann  hier  doch  nur  auf  einen  punkt  noch 
■eingegangen  werden.  Ein  wirkliches  Verständnis  der  deutscheu  dichtung  des 
17.  Jahrhunderts  wird  erst  dann  möglich  sein,  wenn  einige  Vorfragen  ganz  geklärt 
sind.  Zu  ihnen  gehört  in  erster  linie  das  Verhältnis  zwischen  der  neulateinischen 
und  der  deutschen  dichtung.  Die  neulateinische  lyrik  des  17.  Jahrhunderts  setzt 
aber  die  des  16.  unmittelbar  fort  und  ist  ohne  sie  nicht  zu  verstehen.  Wenn  der 
Verfasser  es  s.  268  als  bemerkenswert  bezeichnet,  dass  Opitz,  Heinsius,  Fleming 
und  Tscherning  bei  der  gehurt  Christi  die  landschaft  als  mit  schnee  bedeckt  schil- 
dern, so  ist  darauf  hinzuweisen,  dass  diese  dichter  hier  nur  einen  stehenden  zug 
der  lateinischen  weihnachtsgedichte  des  16.  Jahrhunderts  wiederholen.  —  Die  fest- 
stellung  des  einflusses,  den  die  neulateinische  poesie  auf  die  deutsche  dichtung  aus- 
geübt hat,  wird  wesentlich  durch  eine  Würdigung  der  lateinischen  dichtung  der 
deutschen  poeten  des  Zeitalters  gefördert  werden.  Nach  dieser  richtung  hin  ist 
aber  bisher  noch  wenig  getan.  Nur  für  Gryphius'  jugendepen  liegen  die  sorgfältigen 
Untersuchungen  Ernst  Gnerichs  vor  (Leipzig  1906);  doch  kommt  gerade  die  —  an 
sich  nicht  unwichtige  —  epik  der  neulateiner  für  das  17.  Jahrhundert  am  wenigsten 
in  betracht.  Eine  behandlung  der  andern  lateinischen  dichtungen  des  Gryphius 
war  durch  Manheimer  versprochen,  ist  aber,  soweit  dem  berichterstatter  bekannt, 
nicht  geliefert  worden.  Für  Opitz',  Flemmiugs,  Laurembergs  lateinische  gedichte 
fehlen  bisher  nähere  Untersuchungen,  obgleich  es  ungemein  lohnend  wäre,  ihre 
deutsche  und  ihre  neulateinische  hervorbringung  miteinander  zu  vergleichen.  In 
Tschernings  lebenswerk  nimmt  die  neulateinische  dichtung  keine  allzu  bedeutende 
Stellung  ein;  gleichwohl  wird  man  nicht  um  die  aufgäbe  herumkommen  können, 
die  beiden  gebiete  seiner  poetischen  tätigkeit  nebeneinander  zu  halten.  Den  angriff 
auf  einen  verkleinerer  des  Tacitus  hat  Tscherning  sowohl  in  lateinische  wie  in 
deutsche  verse  gekleidet.  Die  lateinischen  distichen  (Schediasmata  bl.  v.  B  3)  führen 
zunächst  den  vergleich  des  kritikasters  mit  einem  esel  in  der  bekannten  weise  der 
neulateiner  durch  und  gehen  dann  erst  zu  dem  eigentlichen  gegenstände,  der  ver- 
kehrten beurteilung  des  Tacitus,  über.  Irgendwelche  Wirkung  wird  nicht  erzielt; 
immerhin  übertrifft  die  lateinische  bearbeitung  noch  ganz  erheblich  die  deutsche 
(Vortrab  des  sommers  s.  389);  diese  ist  offenbar  nach  dem  lateinischen  gedichte 
entstanden;  beide  fassungen  decken  sich  nicht  vollständig,  sondern  das  deutsche 
gedieht  benutzt  nur  einige  Wendungen  des  lateinischen,  aber  schwerfällig  und  un- 
geschickt: 

Nee  vivet  per  eum  Tacitus,  nee  morte  peribit, 
Casurum  nullo  tempore  nomen  habet. 


310  EI.LINOER 

0  glaube  mir  gewiss,  er  wird  bei  weisen  gelten, 
Ob  du  ihn  auch  schon  nicht  durch  deinen  mund  erhöhst. 
Auch  sonst  lassen  sich  beziehungen  zwischen  der  lateinischen  und  deutschem 
dichterei  Tschernings  feststellen.  Schediasmata  nr.  15  fordert  in  einem  ganz  hübschen 
anakreoiitikon  zum  ablassen  von  den  klassischen  Studien,  zur  ruhe,  zu  scherz,  trunk 
und  ffesang  auf.  Das  gedieht,  das  freilich  einen  damals  viel  besungenen  gegenständ 
behandelt,  hat  analogien  in  den  deutschen  gedichteu,  z.  b,  Deutscher  gedichte 
früling,  s.  317  ff.,  8.320. 

Entsorge  deine  brüst, 

man  muss  die  arbeit  mengen 

Mit  einer  freien  lust 

Und  auch  der  ruh  verbeugen. 
Ein  vergleich  führt  zu  demselben  ergebnis  wie  bei  dem  vorher  besprochenen 
gedieht:  Tscherning  bewegt  sich  im  lateinischen  viel  ungezwungener  als  im  deut- 
schen ;  das  ist  bei  sehr  vielen  deutschen  poeten  des  17.  Jahrhunderts  in  ihren 
anfangszeiten  der  fall,  z.  b.  bei  dem  gleich  noch  zu  besprechenden  Czepko.  —  Die 
frage,  welche  ältere  richtung  der  neulateinischen  poesie  Tscherning  fortsetzt,  ist 
nicht  schwer  zu  beantworten.  Vor  allen  hat  Friedrich  Taubmann  auf  ihn  gewirkt; 
das  s,  169.  zitierte  gedieht  lehnt  sich  in  seiner  anfangszeile  ersichtlich  an  den 
anfang  von  Taubmanns  hochzeitsgedicht  für  Melissas  an: 

Heri  deambulabam 
Horis  meridianis. 

Auch  der  titel  Anacreou  latinus  stammt  aus  Taubmann.  Will  man  nach 
einem  vermittler  zwischen  Taubmann  und  Tscherning  suchen,  so  wird  auch  der 
nicht  schwer  zu  finden  sein:  es  ist  Jakob  Fabricius  (vgl.  namentlich  s.  316).  Fabricius, 
in  der  poesie  schüler  des  Nathan  Chyträus,  aber  seinem  lehrer  durchaus  unähnlich, 
ist  neben  Gabriel  Rollenhagen  und  dem  jüngeren  Mynsinger  der  wichtigste  Ver- 
treter der  späteren  neulateinischen  anakreontik.  Zu  Taubmann  hatte  er,  wie  seine 
zweite  gedichtsammlung  bezeugt,  persönliche  beziehungen.  —  Für  das  'Lob  der 
buchdnickerei'  wird  wohl  ebenfalls  am  besten  auf  die  zahlreichen  neulatinischen 
behandlungen  des  gleichen  gegenständes  seit  dem  ende  des  15.  Jahrhunderts  ver- 
wiesen werden,  denen  Tschernings  alexandriner  näher  stehen  als  seinen  deutsch 
schreibenden  Vorgängern. 

3.  Daniel  von  Czepko  ist  lange  zeit  unbeachtet  geblieben.  Nachdem  ihn 
Kahlert  zuerst  der  Vergessenheit  entzogen  hatte,  vermittelte  Palm  in  seinem  wert- 
vollen aufsatz  (Beiträge  zur  geschichte  der  deutschen  literatur  des  16.  und  17.  Jahr- 
hunderts. Breslau  lh77  s.  261  ff.)  einen  begriff  von  dem  umfang  seines  wirkens; 
Koffmanne  gab  die  drei  ersten  bücher  der  für  den  gang  der  literarischen  entwick- 
liing  wichtigsten  schrift  Czepkos,  der  'Sexcenta  monodisticha  sapientum'  heraus, 
während  eine  auswahl  aus  dem  ganzen  werke,  nach  sachlichen  gesichtspunkten  an- 
geordnet, in  der  ausgäbe  von  Schefflers  'Cherubinischem  wandersmann'  (Halle  1890, 
Braunes  neudrucke  nr.  135—138)  dargeboten  wurde.  Allein  was  bisher  zugänglich 
geworden  ist,  genügt  zu  einer  genaueren  erkenntnis  dieser  merkwürdigen  persönlich- 
keit keineswegs.  Es  ist  daher  zu  begrüseen,  dass  in  Strassers  arbeit  der  anfang 
zu  einer  biographischen  darstellung  vorliegt.  Die  frühzeit  Czepkos  von  seinen 
wenig  versprechenden  anfangen  an  bis  zum  jähre  1636  wird  sorgfältig  verfolgt  und 
in  einer  weise  vorgeführt,  dass  die  entwicklung  des  menschen  und  poeten  so  deut-^ 


SCHRIFTEN    ZUR   DEUTSCHEN   LYRIK  311 

lieh  heraustritt,  wie  es  die  lückenhafte  Überlieferung  gestattet.  Namentlich  das 
persönliche  erscheint  greifbarer,  als  man  es  sonst  im  17.  Jahrhundert  gewöhnt  ist^ 
und  die  versuche,  diese  persönlichen  beziehungen  bei  den  liebesgedichten  heraus- 
zuschälen, dürfen  besonderer  beachtung  empfohlen  werden. 

Czepkos  entwicklung  war  verhältnismässig  früh  abgeschlossen.  Auch  die 
nach  1636  entstandenen  werke,  so  die  'Sexcenta  monodisticha',  wurzeln  in  der  vom 
Verfasser  behandelten  lebensperiode.  Es  lässt  sich  daher  aus  dieser  ein  bild  seines 
könnens  auf  den  verschiedenen  gebieten  gewinnen.  Sein  dichterisches  vermögen 
ist  in  der  tat  nicht  gering  anzuschlagen.  Es  konnte  aber  bei  der  leichtigkeit  seines 
Schaffens  nicht  anders  sein,  als  dass  er  sich  mehrfach  an  gegenständen  versuchte, 
die  ihm  nicht  gemäss  waren.  Dazu  kam,  dass  sich  der  tyrannische  Zeitgeschmack 
der  wirklichen  entfaltung  seiner  gaben  als  hinderlich  erwies.  Beides  lässt  sich  in 
der  an  knlturgeschichtlich  wichtigen  zügen  reichen  Schäferdichtung:  'Coridon  und 
Phyllis'  deutlich  erkennen.  Wo  aber  Czepko  dem  antriebe  des  Innern  folgt,  da 
sind  ihm  manche  treffer  gelungen.  Das  gilt,  wie  bereits  hervorgehoben,  namentlich 
von  seiner  fragmentarisch  erhaltenen  liebeslyrik.  Den  schon  von  Palm  a.  a.  0. 
8.  265  in  ihrem  wert  richtig  erkannten  'Unbedachtsamen  einfallen'  und  den  'Drey 
rollen  verliebter  gedanken'  widmet  Strasser  lehrreiche  analysen,  die  die  tatsäch- 
lichen grundlagen  dieser  dichtungen  aufdecken  und  sie  nach  gelialt  und  form  be- 
stimmen. Wie  sehr  diese  stücke  vom  erlebnis  diktiert  sind,  tritt  erst  jetzt  hervor; 
wir  haben  hier  einen  der  wenigen  nachweisbaren  fälle  im  17.  Jahrhundert,  bei  denen 
es  sich  nicht  um  schemenhaft  konventionelle  erfindungen,  sondern  um  gelegenheits- 
dichtung  im  guten  sinne  handelt. 

Aus  der  gleichen  zeit  wie  diese  dichtungen  stammen  nun  die  wichtigsten 
mj'stischen  Schriften  dieser  ersten  periode,  vor  allem  die  schon  in  proben  bekannten 
poetischen  werke,  das  'Inwendige  himmelreich'  (1633 ;  von  Palm  s.  290  richtig 
datiert;  die  s.  1:5  Palm  erteilte  rüge  gilt  wohl  Koffmanne,  der  1638  angibt)  und 
die  'Gegenlage  der  eitelkeit'  (wohl  ebenfalls  1633).  Neben  diesen  bedeutsamen 
Schöpfungen  steht  ein  von  dem  gleichen  geiste  getragenes,  bisher  so  gut  wie  un- 
bekanntes umfängliches  prosawerk,  die  'Consolatio  ad  Baronissam  Cziganeam'  (wohl 
frühjahr  1634),  in  der  Czepko  die  auch  im  mittelpunkt  seiner  liebesdichtung  stehende 
junge  adlige  dame  über  den  tod  ihrer  Schwester  zu  trösten  sucht.  Nach  den  von 
Strasser  gegebenen  auszügen  gehört  die  Consolatio  zu  Czepkos  hervorragendsten 
leistungen ;  von  den  mystikern,  zuweilen  bis  zum  Wortlaut,  abhängig,  trägt  sie  doch 
den  Stempel  der  persönlichkeit,  die  sie  geschaffen  hat.  Ebenso  wie  in  der  genauen 
Untersuchung  der  liebeslyrik  wird  man  in  der  analyse  dieses  werkes  das  haupt- 
verdienst der  vorliegenden  arbeit  zu  sehen  haben. 

Es  ist  nun  in  hohem  masse  anziehend,  zu  beobachten,  wie  Czepkos  mystische 
neigungen  auch  in  seine  liebeslyrik  eindringen.  Da  es  sich  hier  um  eine  erscheinung 
handelt,  die  im  17.  Jahrhundert  ganz  vereinzelt  dasteht  und  auch  sonst  sich  wohl 
nicht  allzu  häufig  findet,  sei  auf  die  nachweise  s.  81  f.  und  s.  88  noch  besonders 
hingewiesen. 

Der  Verfasser  ist  auch  der  frage  nach  den  quellen  der  mystischen  Schriften 
Czepkos  nachgegangen.  Als  ergebnis  seiner  Untersuchung  stellt  sich  heraus,  dass- 
Czepko  in  erster  linie  von  meister  Eckhart  abhängig  ist.  Namentlich  die  für  die 
Consolatio  gelieferten  nachweise  erheben  die  einwirkung  Eckharts  zur  gewissheit. 
Neben  Eckhart  kommt  Weigel  in  betracht,  dann  folgen  die  anderen  mystiker  in 
ähnlicher  abstufung  wie  bei  dem  von  Czepko  beeinflussten  'Cherubinischen  wanders- 


312  ELLINGER 

mann'  Schefflers.  Die  aufstellung  des  berichterstatters  über  Schefflers  quellen  (in 
der  einleitung  zu  der  ausgäbe  des  'Cherubinischen  wandeismanns',  Halle  1895) 
bestreitet  Strasser  in  einem  wesentlichen  punkte,  indem  er  mit  Kern  als  haupt- 
quelle Schefflers  ebenfalls  meister  Eckhart  annimmt.  Der  berichterstatter  kann  dem 
Verfasser  entgegenkommen;  denn  wiederholte  nachprüfung  hat  ihn  davon  überzeugt, 
•dass  in  der  tat  der  unmittelbare  einfluss  Eckharts  grösser  gewesen  ist,  als  er 
früher  angenommen  hat.  Daneben  aber  bleibt  die  ungemein  starke  abhängigkeit 
von  Weigel  bestehen,  so  dass  schwer  zu  entscheiden  ist,  wer  die  grössere  macht 
auf  Scheffler  ausgeübt  hat,  meister  Eckhart  oder  Weigel;  die  einwirkung  beider 
wird  sich  ungefähr  die  wage  halten.  —  Die  Monodisticha  können  an  dieser  stelle 
deshalb  berücksichtigt  werden,  weil  ihre  anfange  noch  in  die  hier  bebandelte  periode 
gehören,  und  weil  sie  die  frühere  mystische  schriftstellerei  Czepkos  fortsetzen.  In 
der  erwähnten  ausgäbe  des  'Cherubinischen  wandersraannes'  ist  schon  darauf  hin- 
gewiesen Avorden,  wie  sehr  Czepko  unter  dem  banne  VVeigels  gestanden  hat.  Für 
die  benutzung  der  'Deutschen  theologie'  (vgl.  Strasser  s.  61  f.)  sind  ebenfalls  dort 
zwei  bezeichnende  beispiele  angeführt  worden;  die  paralellstellen  Hessen  sich  in- 
dessen mit  leichtigkeit  vermehren.  Nur  auf  zwei  Übereinstimmungen  möge  hin- 
gewiesen werden;  aus  naheliegenden  gründen  wird  die  'Deutsche  theologie'  nach 
«iner  späteren,  von  Johann  Arndt  besorgten  ausgäbe  (Magdeburg  1605)  zitiert. 

Deutsche  theologie,  kap.  51  s.  166.  Aber  in  der  helle  wil  jederman 
seinen  eigen  willen  haben,  darumb  ist  da  alles  unglück  uund  unseligkeit. 

Czepko,  Monodisticha,  V,  16. 

Dort  in  der  höllen  hat  ein  jeder  freien  willen. 

Drum  steckt  sie  voller  pein,  und  nichts  nicht  kan  sie  stillen. 

Deutsche  theologie,  kap.  14:,  s.  43.  Und  möchte  der  Teuffei  zu  dem 
wahren  Gehorsam  kommen,  er  würde  ein  Engel. 

Monodisticha  I,  27. 

Dör  Teuffei  wann  er  könt  in  den  Gehorsam  gehn, 
Würd  itzo  fornen  an  dort  untern  Engeln  stehn. 
In   gedankengehalt,   anläge   und  Wortlaut  knüpft  Scheffler  so  an  Czepko  an, 
dass    seine    abhängigkeit    von   ihm    ausser   frage    steht.     Aber    er   bezieht    sich  im 
^Cherubinischen  wandersmann',   was   noch   nicht   bekannt   ist,   auch  unmittelbar  auf 
Czepko.     Im  'Cherubinischen  wandersmann'  heisst  es,  IV,  90: 

Die  Tugend,  spricht  der  Weis',  ist  selbst  ihr  schönster  Lohn; 
Meint  er  nur  zeitlich  hier,  so  halt  ich  nichts  davon. 
Der  weise  ist  Czepko;   die   in  betracht  kommende  stelle  steht  Monodisticha  II,  49: 
Die  Tugend,  die  du  wirkst,  ist  selbst  ihr  grösster  Sold. 

Eine  erneuerung  der  wichtigsten  werke  Czepkos,  wie  sie  schon  Palm  plante, 
würde  keine  unnütze  ausgrabung  sein.  Augenblicklich  ist  die  zeit  einem  derartigen 
unternehmen  freilich  nicht  günstig;  vielleicht  aber  lassen  sich  die  aus  unserer  un- 
glücklichen läge  entstandenen  Schwierigkeiten  bei  gutem  willen  überwinden.  Ein 
abdruck  aller  arbeiten  Czepkos  erweist  sich  nicht  als  nötig;  'Coridon  und  Phyllis' 
ebenso  Avie  die  'Semita  oder  das  heilige  dreieck'  könnten  ohne  schaden  fehlen,  auch 
die  satirischen  gedichte  wären  zu  entbehren  oder  doch  nur  auf  eine  kurze  auswahl 
zu  beschränken.  Vollständige  aufnähme  müssten  finden:  1.  die  'Unbedachtsamen 
einfalle';   2.  die  'Drey   rollen  verliebter   gedichte';  3.  das  'luAvendige  himmelreich'; 


SCHRIFTEN   ZUR   DEUTSCHEN    LYRIK  313 

4.  die  'Gegenlage  der  eitelkeit' ;  5.  die  'Consolatio' ;  6.  die  'Sexcenta  monodisticha'. 
Zu  diesen  grösseren  werken  sollten  noch  einige  der  kleineren  stücke  treten,  so  das 
Exulantenlied  Palm  s.  270,  die  gedichte  an  Köler,  Rohr  und  Donath,  Strasser  s.  34, 
42  ff.  Die  angegebenen  leistungen  würden  genügen,  ein  bild  des  dichters  zu  ver- 
mitteln, der  es  mehr  als  mancher  bekannte  poet  des  17.  Jahrhunderts  verdient,  mit 
seinem  schaffen  fortzuleben.  Unsere  Sammlungen  älterer  literaturwerke  seien  auf 
diese  lohnende  aufgäbe  ganz  besonders  hingewiesen. 

i.  Ein  dankbares  gebiet  hat  von  Schröder  mit  seiner  betrachtung  der  religiösen 
lyrik  Arnolds  betreten.  Er  sucht  die  verschiedenen  abschnitte  der  geistigen  ent- 
wicklung  Arnolds  festzustellen  und  dessen  poetische  tätigkeit  iu  diese  einzugliedern. 
Dadurch  wird  eine  gute  Übersicht  erzielt.  Eine  andere  frage  ist  freilich,  ob  sich 
die  stufen  in  Arnolds  eutwicklung  so  genau  scheiden  lassen,  wie  der  Verfasser 
meint.  Die  neigung  zu  theosophischer  Spekulation,  die  sich  in  der  hinwendung  zu 
Jakob  Böhme  offenbart,  ist  doch  wohl  schon  von  anfang  an  bei  ihm  stark  ausgeprägt 
und  tritt  nur  scheinbar  hinter  der  schwärmerischen  mystik  zurück. 

Der  wünsch,  den  anschauungskreis  genau  zu  kennzeichnen,  innerhalb  dessen 
sich  Arnold  in  den  verschiedenen  lebenspcrioden  bewegte,  führt  notwendigerweise 
zu  der  frage  nach  seinem  Verhältnis  zu  den  verwandten  geistigen  Strömungen.  Sie 
zu  stellen  ist  nötig,  da  Arnold  der  einwirkung  von  gedankenkreisen,  in  denen  er 
etwas  seinem  geiste  entsprechendes  wiederfand,  sehr  leicht  zugänglich  war,  ohne 
dass  freilich  die  nachhaltigkeit  des  eindnicks  dieser  raschen  hingäbe  entsprochen 
hätte.  Allein  eine  entscheidung  über  die  frage,  welche  mystischen  ideen  ihn  in 
dem  jeweiligen  stände  seiner  entwicklung  die  bestimmende  richtung  gegeben  haben, 
ist  ungemein  schwierig,  und  man  wird  billigerweise  nicht  verlangen,  dass  die  ver- 
wickelten Probleme  sofort  eine  einleuchtende  lösung  finden.  Überzeugend  sind  die 
nachweise  für  die  tatsache,  dass  Arnold  von  Euysbroek  angeregt  worden  ist.  Aber 
auch  die  anderen  Vertreter  der  älteren  deutschen  mystik  (in  die  Euysbroek  ein- 
gerechnet werden  darf)  sind  sicher  von  nachhaltigem  einfluss  auf  Arnold  gewesen. 
Dem  Verfasser  kommt  es  mehr  darauf  an,  zu  zeigen,  in  welcher  weise  die  spanische 
mystik  des  16.  und  die  französische  des  17.  Jahrhundert  Arnolds  gefühlsweise 
bestimmt  hat.  Dass  ein  solcher  Zusammenhang  stattgefunden  hat,  kann  nicht  in 
abrede  gestellt  werden.  Die  quietistische  mystik  Spaniens  ist  während  des  17.  Jahr- 
hunderts auf  dem  umwege  über  Holland  auch  in  Deutschland  eingedrungen;  es 
wird  eine  dankbare,  allerdings  auch  sehr  schwierige  aufgäbe  sein,  festzustellen,  wie 
sie  sich  im  einzelnen  geltend  gemacht  hat.  Schwierig  vor  allen  dingen  deshalb, 
weil  sich  viele  von  den  gedanken  der  spanischen  mystik  auch  bereits  bei  den  älteren 
deutschen  mystikern  finden.  Wenn  der  Verfasser  in  der  tatsache,  dass  Arnold  die 
gottheit  Christi  hinter  seiner  menschlichkeit  zurücktreten  lässt,  eine  veräusserlichende 
anlehnung  an  die  mystik  der  spanischen  heiligen,  Teresa  von  Jesu  (1515—1582),  sieht, 
so  muss  doch  hervorgehoben  werden,  dass  es  sich  bei  dieser  anschauung  um  ein 
altes  mystisches  erbgut  handelt,  welches  Arnold  ebenso  gut  von  anderer  seite  zu- 
kommen konnte  und  höchst  wahrscheinlich  auch  zugekommen  ist;  es  genügt,  an 
die  allbekannten  worte  Susos  zu  erinnern:  'Je  höher  man  ohne  das  durchgehen 
durch  meine  menschheit  aufklimmt,  desto  tiefer  fällt  man.  Meine  menschheit  ist 
der  weg,  den  man  gehen  muss'.  Nicht  anders  verhält  es  sich  mit  den  weiteren, 
Arnold  und  der  spanischen  mystik  gemeinsamen  Vorstellungen.  Demnach  wird  man 
sagen  dürfen:  Arnold  fühlte  sich  zu  der  spanischen  (und  französischen)  mystik 
hingezogen,   weil  er  hier   ideen   ausgeprägt   fand,    die   schon    früh  in  ihm  erweckt 


314  ELLINGER 

worden   waren.     Bei   der   nun   eintretenden   näheren   beschliftigung   mögen   einzel- 
Wirkungen  eingetreten  sein  ;  die  grundanschauungen  werden  sie  kaum  verändert  haben. 

Dass  die  meisten  der  aufgeführten  Vorstellungen  vor  Arnold  in  Deutschland 
bereits  vorhanden  waren,  lehrt  z.  b.  Schefflers  'Cherubinischer  wandersmann'.  Nun 
ist  ja  freilich  auch  Scheffler  von  der  spanischen  mystik  berührt  worden  (vgl.  die 
angeführte  ausgäbe  des  Ch.  w.  Halle  1896  s.  OL  f.),  aber  allzuviel  hat  er  ihr  nicht 
entnommen;  der  kern  des  von  ihm  verarbeiteten  geistesgutes  stammt  aus  der 
älteren  deutschen  mystik.  Dass  einige  wesentliche  anschauungen  Arnolds  im  Cheru- 
binischen wandersmann  vorgebildet  sind,  hat  der  Verfasser  nicht  übersehen;  erweist 
auf  sie  hin,  ohne  aber  auf  das  Verhältnis  Arnolds  zu  Scheffler  einzugehen.  Tat- 
sächlich aber  ist  nicht  im  mindesten  daran  zu  zweifeln,  dass  Arnold  zeitweise  unter 
dem  banne  des  älteren  dichters  gestanden  hat.  Denn  Arnold  war  ein  glühender 
bewunderer  Schefflers  ('dieser  autor  hat  Christum  lebendig  gehabt',  beisst  es  in  der 
'Historie  der  mystischen  theologie')  er  hat  selbst  eine  ausgäbe  des  Cherubinischen 
wandersmanns  veranstaltet,  und  wie  sehr  er  in  der  gedankenweit  des  werkes  lebte, 
beweist  die  bisher  nicht  bekannte  tatsache,  dass  er  noch  auf  dem  totenbette  sich 
der  von  Scheffler  geprägten  Wendungen  bediente  (er  sagte  unmittelbar  vor  seinem 
ende:  'ich  esse  gott  in  jedem  bissen  brot';  vgl.  Cher.  wand.  11,  120);  es  ist  also 
keineswegs  ausgeschlossen,  dass  einige  seiner  grundanschauungen  durch  Scheffler 
angeregt  oder  doch  wenigstens  verstärkt  worden  sind.  Um  so  weniger  als  ja 
Arnold  tatsächlich  von  dem  Cherubinischen  wandersmann  und  der  hohenliedspoesie 
der  'Heiligen  seelenlust'  abhängig  gewesen  ist.  Diese  beziehungen  zu  Scheffler 
lassen  sich  deutlich  erweisen,  auch  in  dem  gedichte,  das  der  Verfasser  s.  103  f.  al» 
besonders  gelungen  hervorhebt;  es  zeigt  in  Stimmung,  anläge,  versmass  eine  auf- 
fallende Verwandtschaft  mit  der  Heiligen  seelenlust,  wobei  man  noch  nicht  einmal 
besonderen  wert  auf  die  ähnlichkeit  des  Wortlautes  zu  legen  braucht 

Arnold:  Komm,  komm,  mein  schöner, 
Du  Nazarener 

Scheffler:  Ich  liebe  dich,  du  schöner; 

III.  90  Ich  sehne  mich  nach  deinem  Mund, 

Du  süsser  Nazarener. 

Da  von  Scheffler  die  rede  ist,  sei  beiläufig  bemerkt,  dass  die  von  dem  verf. 
Seite  74  angeführte,  in  Rosenthals  ausgäbe  enthaltene  angebliche  Unterschrift 
Schefflers  unter  dem  bilde  Jakob  Böhmes  nicht  einwandfrei  bezeugt  ist;  zeile  1  bis  3 
stammt,  was  man  bisher  meist  übersehen  hat,  aus  dem  Cherubinischen  wandersmann 
IV,  32,  wo  sich  auch  die  der  konstruktion  entsprechende  schlusszeile  findet;  der 
endvers  der  angeblichen  Inschrift  erweckt  den  eindruck,  als  ob  es  sich  um  eine 
unorganische  und  nicht  von  dem  autor  bewirkte  anleimung  handle.  Damit  soll 
natürlich  Schefflers  Verehrung,  ja  begeisterung  für  Jakob  Böhme  nicht  bestritten 
werden,  so  sehr  sich  der  katholische  Scheffler  auch  bemüht  hat,  seine  beschäftigung 
mit  Böhmes  Schriften  als  etwas  zufälliges  hinzustellen.  —  Auch  wer,  wie  der  bericht- 
erstatter,  über  die  quellenfrage  anders  urteilt  als  der  Verfasser,  wird  sich  doch  durch 
die  übersichtliche  gliederung  gefördert  fühlen  und  es  begrüssen,  dass  die  frage 
nach  der  einwirkung  der  spanischen  mystik  auf  die  gleichartigen  deutschen  Strö- 
mungen des  17.  Jahrhunderts  aufgerollt  worden  ist. 

5.  Einen  kurzen  lebensabriss  Arnolds  und  eine  summarische,  die  wesentlichsten 
züge  gut  zusammenfassende  Charakteristik  seiner  lieder  gibt  auch  die  schrift  von 
Zwetz   über   Tersteegen.     Der  hauptteil  dieser  arbeit  beschäftigt  sich  ebenfalls  mit 


SCHRIFTEN   ZUR   DEUTSCHEN    LYRIK  315 

•einem  gegenstände,  der  ungebührlich  vernachlässigt  worden  ist.  Der  Verfasser 
«ntwirft  eine  durch  eigene  kenntnis  von  land  und  leuten  belebte  biographische 
Skizze  Tersteegens  und  schafft  so  den  Untergrund  für  seine  literarhistorische  dar- 
stellung.  Er  unterrichtet  über  den  gehalt  der  einzelnen  werke,  erörtert  das  Ver- 
hältnis Tersteegens  zu  den  bedeutendsten  geistlichen  liederdichtern  des  17.  Jahrhunderts 
und  bringt  aufschlussreiche  abschnitte  über  metrik,  spräche  sowie  über  die  natur- 
schilderungen.  Alle  diese  Untersuchungen  dienen  aber  ebenso  wie  die  anderen  bei- 
gaben zur  vergegenwärtigung  der  persöolichkeit,  und  es  ist  lehrreich  zu  beobachten, 
wie  sich  in  kleinen  und  kleinsteh  zügen  die  eigenart  dieses  schlichten  mystikers 
und  Seelenberaters  offenbart.  Um  ein  beispiel  herauszugreifen:  der  Verfasser  trifft 
durchaus  das  richtige,  wenn  er  feststellt,  dass  Tersteegen  in  der  auswahl  der 
versmasse  die  dem  wesen  seiner  natur  entsprechende  empfindung  zeigt;  sein  innerstes 
gefühl  richtete  sich,  wie  der  Verfasser  es  ausdrückt,  auf  einfachheit  und  klarheit 
des  Strophenbaus,  obgleich  er,  dem  Zeitgeschmack  folgend,  seine  in  künstlichen 
massen  sich  bewegenden  gedichte  für  die  besten  hielt. 

Tersteegens  liederdichtung  wird  neben  die  Gerhardts,  Schefflers,  Neanders, 
Arnolds  gehalten  und  eine  genaue  vergleichung  durchgeführt.  Was  sich,  von  der 
Verwendung  derselben  oder  ähnlicher  masse  abgesehen,  an  Übereinstimmung  zwischen 
Tersteegen  einerseits,  Gerhardt,  Neander  und  Arnold  andererseits  findet,  führt  über 
allgemeine  ähnlichkeiten  nur  wenig  hinaus.  Trotzdem  sind  die  Zusammenstellungen 
fruchtbar,  weil  sie  die  möglichkeit  bieten,  das  wesen  des  einen  dichters  durch  die 
betonung  des  verwandten  oder  des  gegensätzlichen  bei  dem  anderen  zu  erhellen. 
Nach  dieser  richtung  hin  werden  die  sorgfältigen  beobachtungen  des  Verfassers  gute 
dienste  leisten. 

Arnold  hat  weniger  durch  seine  gedichte  als  durch  seine  wissenschaftlichen 
und  erbaulichen  Schriften  auf  Tersteegen  gewirkt.  Was  Scheffler  betrifft,  so  schUesst 
sich  der  Verfasser  dem  urteil  des  verdienstvollen  herausgebers  von  Tersteegens 
liedem,  W.  Nelle,  an,  der  eine  gemeinsamkeit  zwischen  Scheffler  und  Tersteegen 
nur  auf  ästhetischem  gebiete  zugestehen  will.  Es  wird  sich  empfehlen,  bei  der 
behandlung  dieser  frage  die  verschiedenen  dichtungsarten  zu  scheiden.  Tersteegens 
Spruch dichtung,  seine  'Schlussreime',  wie  er  sie  in  anknüpfung  an  Scheffler  nennt, 
lehnt  sich  offensichtlich  an  den  Chenibinischen  wandersmann  an.  Dass  trotzdem 
der  grundgehalt  von  Tersteegens  Sammlung  sich  sehr  wesentlich  von  Schefflers 
art  unterscheidet,  springt  in  die  äugen  und  ist  auch  wohl  noch  nie  bestritten  worden. 
Aber  obgleich  in  der  sinnesweise  ein  grundsätzlicher  unterschied  unverkennbar  ist, 
so  wäre  doch  eine  so  bis  ins  einzelne  gehende  anlehnung  nicht  erklärlich,  wenn 
eben  nicht  Tersteegen  für  einen  teil  seiner  religiösen  anschauungen  bei  Scheffler 
den  vollkommensten  ausdruck  gefunden  hätte.  Denn  Scheffler  ist  ja  der  erste,  der 
die  quietistische  Stimmung  poetisch  festgehalten  hat,  und  nicht  umsonst  hat  ihn 
Leibniz  mit  Molinos  verglichen.  Dass  die  Sehnsucht  nach  ruhe  und  stille  dem 
wesen  Tersteegens  weit  mehr  entsprach  als  dem  Schefflers,  und  dass  sie  daher  bei 
Tersteegen  zur  beherrschenden  und  verklärenden  grundanschauung  wurde,  ändert 
an  der  tatsache  nichts,  dass  Tersteegen  auch  inhaltlich  von  Scheffler  abhängig  ist. 
Es  kann  daher  nicht  zugegeben  werden,  dass  Scheffler  lediglich  einen  ästhetischen 
einfluss  auf  Tersteegen  ausgeübt  hat.  —  Bei  weitem  nicht  in  gleichem  masse  wie 
die  Sprüche  vom  'Cherubinischen  wandersmann'  sind  die  lieder  Tersteegens  von 
Schefflers  'Heiliger  seelenlust' beeinflusst;  der  grundsätzliche  unterschied  macht  sich 
hier    deutlicher    bemerkbar.      Gleichwohl    hat    auch    Schefflers    liederdichtung    auf 


316  ELLINGER 

Tersteegen  stark  gewirkt,  und  wie  sie  ihm  im  obre  klingt,  das  zeigt  sich  sogar 
in  kleinigkeiten :  wenn  der  Verfasser  in  seinen  bemerkungen  zur  spräche  des  dichter» 
das  im  reim  auf  'nichts'  gebrauchte  'geschichts'  aus  der  spräche  der  bibelüber- 
setzungen  ableiten  will,  so  erscheint  wohl  die  annähme  gerechtfertigter, ^  dass  Ter- 
steegen bewusst  oder  unbewusst  die  verse  Scheftlers  vorgeschwebt  haben  (Heilige 
seelenlust,  III,  83): 

Liebe  Jesum  und  sonst  nichts, 
Meine  Seele,  so  geschichts. 
Einer  künftigen  gesamtdarstellung  werden  diese  beitrage  zur  geschichte  der 
pietistischen  lyrik  die  besten  dienste  leisten.  Als  universale  religiöse  bewegung 
verlor  der  deutsche  pietismus  seit  dem  ersten  viertel  des  18.  Jahrhunderts  seine 
kraft;  er  blieb  nur  in  einzelnen  gebieten  lebendig,  so  z.  b.  am  Niederrhein,  wo 
Terstegen  sein  poetischer  Vertreter  wurde.  Aber  wenn  auch  die  richtung  religiös 
als  ganzes  zurücktrat,  ihre  rolle  war  bekanntlich  damit  keineswegs  ausgespielt, 
vielmehr  begann  die  entscheidende  Wirkung  sich  erst  jetzt  zu  vollziehen.  Wie  es 
dem  pietismus  gelungen  war,  die  hervorstechendsten  züge  seines  empfindungslebens 
der  Orthodoxie  aufzuirapfen  (Joh.  Sebastian  Bach !),  so  teilte  sich  die  durch 
ihn  herbeigeführte  Verfeinerung  des  seelischen  lebens  der  allgemeinheit  mit.  Dass 
aus  diesem  wandel  des  gemütsstandes  gerade  der  lyrik  die  nachhaltigste  nahrung 
zufloss,  leuchtet  ein.  Ein  teil  des  dadurch  erzielten  fortschrittes  muss  sich  demnach 
auch  schon  in  der  pietistischen  lyrik  zeigen.  Aus  diesem  gründe  drängt  sich  die 
notwendigkeit  der  Inangriffnahme  einer  geschichte  der  pietistischen  lyrik  unabweisbar 
auf  Ein  derartiges  unternehmen  müsste  in  möglichst  umfassender  weise  auch  die 
Vorgeschichte  der  pietistischeu  lyrik  im  17.  Jahrhundert  berücksichtigen  (vgl.  oben 
s.  305),  wobei  zu  beachten  wäre,  was  der  pietismus  von  dem  älteren  liedergut  als 
seinen  eigenen  bedürfnissen  entsprechend  beibehalten  hat  (gute  fingerzeige  nach 
dieser  richtung  hin  liefert  namentlich  das  Freyliughausensche  gesangbuch).  Deut- 
licher als  bisher  würde  sich  bei  berücksichtigung  der  ganzen  stoffmasse  ergeben,, 
wie  sehr  die  durch  die  schöpferischen  geister  etwa  von  Pyra  an  herbeigeführte 
blute  der  lyrik  vorbereitet  war. 

6.  Nicht  über  das  ganze  werk  Witkops,  sondern  nur  über  die  in  das  gebiet 
dieser  besprechung  fallenden  teile  kann  hier  berichtet  werden.  Den  ausgangspunkt 
bildete  in  der  ersten  aufläge  Friedrich  Spee;  eine  einleitung  suchte  über  die 
wichtigsten  punkte  der  vorangehenden  und  gleichzeitigen  entwicklung  auskunft  zu 
geben.  Diese  einleitenden  bemerkungen  hat  der  Verfasser  jetzt  zu  einem  abriss 
der  deutschen  lyrik  von  Luther  bis  Spee  erweitert.  Man  kann  nicht  sagen,  dass 
die  arbeit  durch  dies  verfahren  wesentlich  gewonnen  hätte.  Wenn  der  Verfasser 
zunächst  von  der  renaissancepoeSie  ausgeht  und  ihre  Vertreter  in  der  allerelemen- 
tarsten  weise  charakterisiert,  sich  aber  dann  erst  zum  kirchenlied  wendet  und 
Luther  behandelt,  so  lässt  sich  zwar  die  absieht  verstehen,  aber  man  erhält  trotzdem 
ein  schiefes  bild.  Dazu  kommt  noch  ein  anderer  mangel.  Das  erwachen  des 
individuellen  gefühls  bereitet  sich  schon  im  16.  Jahrhundert  vor.  Die  wesentlichsten 
merkmale  dieses  Vorgangs  dürfen  daher  nicht  übergangen  werden,  auch  wenn  es 
sich  nur  um  einzelzeugnisse  handelt.  Huttens  'Ich  habs  gewagt  mit  sinnen'  sollte 
deshalb  ebensowenig  fehlen  wie  Schwarzenbergs  'Kummer  Trost';  das  letzte  würde 
trotz  der  Verwendung  der  reimpaare  gerade  deshalb  einen  platz  verdienen,  weil 
hier  deutlich  zu  spüren  ist,  wie  das  gefühl  sich  aussprechen  will,  aber  noch  mit 
dem    ausdruck   ringt.     Auch   in   Huttens   Spruchdichtung  müssten  die  individuellea 


SCHRIFIEN    ZVR    DEUTSCHEN    LYRIK  317 

bestandteile,  wie  die  bekaunten  stellen  in  dem  Yorwort  und  der  schlussrede  zura 
'Gesprächbüchlin'  herbeigezogen  werden.  Da  das  deutsch  des  lü.  Jahrhunderts 
im  ganzen  noch  zu  unfertig  war,  als  dass  es  den  feineren  empfindungen  des  Innen- 
lebens hätte  gerecht  werden  können,  fiel  diese  aufgäbe  einer  anderen  spräche  zu, 
deren  jeder  gebildete  mächtig  war,  der  lateinischen.  Wie  stark  in  der  neulateinischea 
poesie  des  16.  Jahrhunderts  das  individuelle  gefühl  sich  regt,  bezeugen  beispiels- 
weise Micyllus  und  sein  schüler  Petrus  Lotichius  Secundus ;  wer  also  die  moderne 
deutsche  lyrik  aus  ihren  wurzeln  ableiten  will,  darf  auch  die  neulateinische  dichtung 
nicht  vergessen.  —  So  wichtig  Luthers  lied  ist,  der  individuelle  drang  macht 
sich  auch  in  den  liedern  der  täufer  geltend,  und  namentlich  die  märtyrerlieder 
bilden  wichtige  parallelen  zu  Luthers  erstem  singbaren  gedieht.  —  Den  gegen- 
satz  zwischen  Luthers  und  Gerhardts  persönlichkeit  und  zeit  vergegenwärtigt 
der  Verfasser  an  der  oft  hervorgehobenen  tatsache,  dass  Luther  im  plural,  Gerhardt 
im  Singular  spricht;  ganz  trifft  das  nicht  zu:  bei  Lutlier  heisst  es:  'dem  teufel  ich 
gefangen  lag',  'aus  tiefer  not  schrei'  ich  zu  dir' ;  aber  es  ist  richtig,  dass  diese 
lieder  aus  den  anfangen  der  reformation  stammen  (1523) ;  eine  tiefer  dringende 
betrachtung  würde  bei  dem  ersten  liede :  'Nun  freut  euch,  liebe  Christen  gemein' 
festzustellen  haben,  wie  die  absieht  Luthers,  die  empfindungen  der  Christengemeinde 
zum  ausdruck  zu  bringen,  bereits  vorhanden  ist,  aber  durch  das  neuerwachte  indi- 
viduelle gefühl  niedergedrückt  wird,  das  dann  doch  schliesslich  unter  dem  einfluss  der 
forderungen  des  tages  dem  anderen  prinzip  weichen  muss. 

Wie  für  die  erste  hälfte  des  16.  Jahrhunderts,  so  sind  auch  für  die  zweite 
die  massgebenden  faktoren  nicht  ausreichend  berücksichtigt;  das  gesellschaftslied 
wird  zwar  einmal  flüchtig  erwähnt,  aber  von  der  bedeutenden  Wirkung,  die  es  auf 
das  Zustandekommen  der  lyrik  des  17.  Jahrhunderts  ausgeübt  hat,  ist  mit  keinem 
worte  die  rede. 

Bei  der  behandlung  des  17.  Jahrhunderts  wird  die  raumverteilung  nach  dem 
platze  bestimmt,  der  nach  der  meinung  des  Verfassers  dem  dichter  innerhalb  der 
entwicklung  zukommt.  Man  kann  die  berechtigung  dieses  Standpunktes  anerkennen, 
muss  aber  doch  einwenden,  dass  das  subjektive  urteil  seine  grenzen  hat.  Paul 
Gerhardt  erhält  zwar  eine  kurze  Charakteristik  (nicht  ganz  IV2  selten  gegenüber  14, 
die  Spee  gewidmet  sind),  wird  jedoch  als  noch  nicht  völlig  reif  befunden ;  dazu  ist 
zu  bemerken,  dass  ähnliche  schranken  wie  bei  Gerhardt  bei  allen  dichtem  des 
17.  Jahrhunderts,  auch  bei  Spee  und  Scheffler,  vorhanden  sind.  Durchaus  unrichtig 
ist  es,  die  beiden  für  den  ent wicklungsgang  der  lyrik  so  wichtigen  dichter,  Fleming 
und  Gryphius,  nur  mit  etwa  10  zeilen  abzuspeisen.  Eine  darstellung,  die  lediglich 
von  gipfel  zu  gipfel  schreitet,  mag  für  wahrhaft  produktive  zelten  allenfalls  zulässig 
sein,  im  17.  Jahrhundert  erscheint  sie  als  durchaus  unangebracht,  da  die  persönlich- 
keit damals  noch  nicht  so  ausgebildet  war,  dass  sie  die  wesentlichsten  regungen 
des  Zeitalters  in  sich  hätte  vereinigen  können.  Deshalb  sind  zur  herstellung  eines 
gesamtbildes  der  lyrik  des  17.  Jahrhunderts  die  kleineren  geister  unentbehrlich; 
findet  die  darstellung  des  18.  Jahrhunderts  räum  für  die  anakreontiker,  ja  sogar 
für  Miller,  so  dürften  im  17.  Jahrhundert  Greflinger,  Stieler,  Finkelthaus  und 
Schoch  nicht  fehlen. 

Ausführliche  Charakteristiken  erhalten  nur  Spee,  Scheffler,  Brockes,  Haller, 
Hagedorn,  womit  wir  zu  den  durch  das  Stoffgebiet  dieser  besprechung  gezogenen 
grenzen  vorgedrungen  sind.  Es  ist  rühmenswert,  dass- der  Verfasser  sich  bemüht, 
diese  dichter  als  typen  innerhalb  der  fortschreitenden  entwicklung  aufzufassen.     Li 


318  H.  DEVRIENT 

diesem  bestreben  wird    man  einen  fortschritt  sehen,  auch  wenn  man  sich  nicht  mit 
allen  formulierungen  des  Verfassers  befreunden  kann. 

Der  berichterstatter  hat  es  stets  für  seine  pflicht  gehalten,  das  gute  namentlich 
in  den  arbeiten  derer  aufzusuchen,  die  das  recht  zu  haben  vermeinen,  von  oben 
herab  über  ihn  abzuurteilen.  Mit  diesem  vorsatz  ist  er  auch  an  das  vorliegende 
buch  herangetreten,  und  est  ist  nicht  seine  schuld,  dass  er  trotz  redlichen  bemühens 
nicht  allzuviel  günstiges  hat  hervorheben  können.  Bei  der  besprechung  des  'Cheru- 
binischen wandersmanns'  findet  sich  der  folgende  satz :  'Es  ist  müssig  —  wie  man 
getan  hat  —  eine  Stufenfolge  der  einflüsse  herzustellen  und  in  ihr  etwa  Valentin 
Weigel,  Eckart,  Tauler,  pseudotaulerische  Schriften  und  die  deutsche  theologie  nach- 
einander zu  ordnen :  in  den  1676  epigrammen,  meist  alexandrinischen  Zweizeilern, 
ist  ohne  den  versuch  einer  Systematik  fast  der  gesamte  Ideengehalt  der  mystik 
krystallisiert'.  Gemeint  ist  die  mehrfach  erwähnte  einleitung  zu  der  ausgäbe  des 
'Cherubinischeu  wandersmanns'  in  Braunes  neudrucken.  Die  hochfahrende  art,  in 
der  die  arbeit  des  berichterstatters  als  unnütz  abgelehnt  wird,  kann  diesen  nicht 
abhalten,  die  tatsache,  auf  die  der  Verfasser  sein  urteil  gründet,  in  aller  ruhe 
nachzuprüfen.  Zwei  richtungen  beherrschen  die  mystik;  die  eine  lässt  sich  als 
schwärmerisch  gesteigerte  kirchlichkeit  bezeichnen,  die  andere  verarbeitet  spekulative, 
in  der  hauptsache  aus  dem  ueuplatonismus  stammende  ideen.  Nur  wo  beide  rich- 
tungen gleichmässig  vertreten  sind,  kann  man  von  einem  lebendigwerden  des  ge- 
samten mystischen  ideenschatzes  sprechen.  Die  frage,  ob  die  beiden  richtungen 
im  Cherubinischen  wandersmann  nachzuweisen  sind,  muss  bejaht  werden.  Aber  in 
den  ersten  fünf  büchern,  auf  die  es  hier  allein  ankommt,  treten  die  äusseruugen 
der  schwärmerisch  gesteigerten  kirchlichkeit  durchaus  hinter  den  theosophischen 
Spekulationen  zurück.  Scheffler  ist  daher  von  den  theosophisch  gerichteten  mystikern 
ungleich  mehr  abhängig  als  von  den  geistesverwandten  Susos.  Aus  dieser  tatsache 
ergibt  sich  die  notwendigkeit  des  nachweises  einer  Stufenfolge  von  selbst.  Ein  solcher 
nachweis  erscheint  auch  deshalb  unentbehrlich,  weil  Scheffler  seine  massgehendsten 
quellen  verschwiegen,  dagegen  andere  in  den  Vordergrund  geschoben  hat,  denen  er 
nur  wenig  oder  so  gut  wie  nichts  verdankt.  Diese  darlegung  zeigt,  wie  unzu- 
treffend die  annähme  der  Verfassers  ist,  so  dass  auch  hier  der  hochmütige  ton  der 
Überlegenheit,  wie  so  häufig,  im  umgekehrten  Verhältnis  zu  der  kenntnis  des  gegen- 
ständes und  zu  der  richtigkeit  der  behaupteten  tatsachen  steht. 

BERLIN.  GEORG    ELLINGER. 


Johannes   Günther,   Der  theaterkritiker   Heinrich  Theodor  Rötscher. 

Theatergeschichtliche    forschungen.      Herausgegeben    von    B.    Litzmann.      .81. 

Leipzig,  L.  Voss  1921.     164  s.  m.  15.-. 

Sein  buch  möchte  Joh.  Günther  dem  Schauspieler  in  die  band  geben,  nicht 
nur  dem  kritiker  und  literaten,  und  das  ist  gut.  Er  will  der  kunst  damit  dienen, 
die  hinter  allen  Schriften  seines  kritikers  Eötscher  als  der  grosse  gegenständ 
seiner  Untersuchung  liegt,  der  Schauspielkunst,  nicht  nur  der  literatur.  Und  ich 
glaube,  er  könnte  das  erreichen,  könnte  die  kunst  beträchtlich  fördern,  wenn  nur 
die  künstler  von  den  kritikern,  den  literaten,  gefördert  werden  wollten.  Dass  aber 
unsere  künstler  sich  so  ungerne  in  deren  bände  begeben,  liegt  nicht  nur  an  einer 
oft  kindlich  anmasslichen  selbstgerechtigkeit  der  Schauspieler,  sondern  ebensosehr 
daran,  dass   es  so  wenig  kritiker  gibt  von  der  überzeugenden  Sachlichkeit  und  der 


ÜBKK    (iÜNTHEK,    I>ER   THEATERK IIIKKR    HEIN'RICH   THEODOR    RÖ'IVSCJIER        319 

:aus  bildung  entsteheuden  gute  Rötschers.  Und  woher  kommt  seine  starke  Wirkung? 
Man  könnte  meinen,  dass  er  mit  seiner  philsophisch-ästhetischen  theorie  aus  Hegels 
schule  auf  die  praktische  kunst  abstossend  wirken  müsste.  Und  doch  scheint  mir, 
dass  gerade  darin  die  bedeutung  von  Rötschers  Charakteristiken  beruht,  dass  er 
immer  und  unbeiiTt  von  dem  innerlich  festen  Standpunkt  der  idee  des  kunstwerks 
ausgeht.  Das  führt  Günther  in  seinem  nicht  umfangreichen,  aber  gründlichen  büch- 
lein  überzeugend  durch. 

Gut  einführend  in  seinen  stoff  gibt  Günther  zunächst  in  3  kapiteln  einen 
überblick  über  Rötschers  Stellung  in  der  theaterkritik  seiner  zeit,  insbesondere  in 
Berlin,  und  weist  als  grundlage  seines  wirkens  eben  den  philosophischen  Stand- 
punkt seiner  kritiken  auf.  Die  idee  des  dramas  suchte  Rötscher  zunächst  aufzu- 
Aveisen  und  davon  die  idee  der  darstellung  des  ganzen  kunstwerks  abzuleiten.  Ihm 
-ordnet  er  dann  die  idee  jeder  rolle  folgerichtig  ein  und  unter  und  vergleicht  an 
diesem  masstabe  die  einzelleistung  jedes  darstellers.  Wir  sehen,  wie  auf  diese 
weise  Rötscher  theoretisch-philosophisch  als  gelehrter  oder  äthetischer  betrachter 
za  demselben  Standpunkt  kommt,  der  sich  praktisch  immer  mehr  in  der  auffassung 
ernster  bühnenleiter  wie  Schröder,  Goethe  und  Immermann  durchsetzte:  der  des 
^esamtkunstwerks  im  kämpfe  gegen  das  virtuoseutum ;  und  mit'genugtuung  sehe 
ich  Rötscher  so  auf  derselben  seite  stehen,  auf  der  ein  Vertreter  der  schauspieler- 
welt,  Eduard  Devrient,  eben  damals  am  werke  war,  aus  Standesinteresse  seiner  kunst 
ihre  ungeschminkte  geschichte  zu  schreiben.  Ich  betone  das  um  so  mehr,  als  der 
Verfasser  einer  im  vorigen  jähre  erschienenen  schrift  über  Rötscher  sich  bemüht, 
einen  gegensatz  zwischen  Rötscher  und  Ed.  Devrient  zu  finden,  von  dem  keine 
rede  war.  Devrient  blickte  'mit  aclitungsvoUer  dankbarkeit  und  inniger  freude'  zu 
^iem  wissenschaftlichen  helfer  und  Vorkämpfer  für  die  ehre  und  bedeutung  der 
Schauspielkunst  hinüber,  dem  er  sich  in  seinem  wirken  für  seinen  stand  und  seine 
kunstwahl  verwandt  fühlte.  Leider  war  Ed.  Devrient  gerade  (1844)  von  Berlin 
fortgezogen,  als  Rötscher  (1845)  von  Bromberg  nach  Berlin  kam  und  die  stelle  des 
Ijedeutendsten  kritikers  übernahm,  so  dass  beide  männer  sich  nicht  persönlich  be- 
gegnet sind,  um  sich  wechselseitig  zu  fördern.  Ein  einziger  brief  Rötschers  an 
Ed.  Devrient  ist  nur  vorhanden.  Ich  darf  ihn  hier  veröffentlichen,  um  den  ton 
■der  beziehung  beider  männer  zu  kennzeichnen.  Er  ist  die  antwort  auf  Devrients 
briefliche  besprechang  der  ersten  ausgäbe  von  Rötschers  'Kunst  der  dramatischen 
darstellung'  (Berlin  1841),  eine  kundgebung,  die  grundsätzlich  und  inhaltlich  den 
Worten  in  seiner  'Geschichte  der  deutschen  Schauspielkunst'  (V.  288  f.  1874)  ent- 
sprochen haben  muss,  Yon  besonderer  bedeutung  ist  in  diesem  briefe  auch  noch 
Rötschers  mitteilung  eines  gedankens  von  Dav.  Fr.  Strauss,  die  Schaubühne  in 
hervorragendem  masse  mit  in  die  staatlichen  bildungsstätten  des  deutschen  Volkes 
zu  ziehen,  gedanken,  die  den  gleichen  ideen  bei  Rötscher  und  bei  Ed.  Devrient 
begegneten,  aus  denen  1848  Devrients  reformschrift  'Das  nationaltheater  des  neuen 
Deutschlands'  hervorgegangen  ist. 

Bromberg,  den  16t.  Oktober  1841. 

Sie  haben  mir,  geehrter  Herr,  durch  Ihr  freundliches  Schreiben  eine  wahr- 
hafte Freude  bereitet.  Ein  ausübender  Künstler  und  ein  wissenschaftlicher  Mann 
fühlt  sich  in  meiner  Arbeit  befriedigt  und  spricht  dies  mit  einer  Wärme  und  Energie 
aus,  welche  mich  auf  das  wohlthuendste  berühren.  Sie  glauben  mir,  denk'  ich, 
aufs  Wort,  wenn  ich  Ihnen  bekenne  in  Ihren  Zeilen  eine  grosse  Genugthuung, 
einen   schönen   langefortwirkenden   Lohn   für  meine  Thätigkeit  gefunden  zu  haben. 

ZEITSCHRIFT  F.  DEUTSCHE  PHrLOLOGIE.    BD.  L.  22 


;^20  "•  1>KVRIENT 

So.  viel  günstige  Stimmen  sich  auch  bisher  öffentlich,  wie  privatim,  besonders  von 
Seiten  meiner  philosophischen  Freunde,  über  meine  Leistung  haben  vernehmen 
lassen,  so  darf  ich  Ihre  Äusserungen  über  mein  Werk  noch  in  einem  ganz  beson- 
deren Sinne  epochemachend  für  mich  nennen,  da  es  die  erste  gewichtige  Stimme 
aus  der  Künstlerwelt  selbst  ist,  welche  sich  in  einer  für  mich  so  erhebenden  Weise 
über  meine  Entwicklungen  äussert.  Der  Werth  Ihrer  Beistimmung  steigert  sich 
aber  noch  durch  die  Erwägung,  dass  Sie  selbst,  geehrter  Herr,  alle  von  mir  zur 
Sprache  gebrachten  Probleme,  alle  Momente  der  dramatischen  Darstellungskunst 
ebenfalls  zu  Objekten  Ihres  Sinnens  und  Denkens  gemacht,  dass  Sie  seit  Jahren 
sich  selbstbewusst  in  die  Welt  Ihres  künstlerischen  Schaffens  hineingelebt 
haben.  So  gilt  mir  Ihr  Wort  als  das  Wort  eines  Repräsentanten  des  edelsten 
Kunstlebens  und  des  sittlichsten  Ernstes  in  der  Ausübung  der  Kunst.  Ich  freue 
mich  im  voraus  der  Zeit,  wo  meine  Anwesenheit  in  Berlin  mich  in  nähere  Beziehung 
zu  Ihnen  bringen  wird,  und  ich  verspreche  mir  aus  unseren  Discussionen  die  mannig- 
faltio-sten  Anregungen  und  den  dauerndsten  Gewinn.  Vielleicht  betreffen  Ihre 
Differenzen  in  Rücksicht  einzelner  Partien  des  besonderen  Theils  Punkte,  in  denen 
ich  jetzt  selbst  schon  die  Schwäche  meines  Werks  anerkenne  und  welche  bei 
einer  nochmaligen  Arbeit  wohl  noch  anders  gefasst  und  tiefer  begründet  werden 
möchten.  Um  aber  nicht  selbst  übermannt  zu  werden  muss  man  eine  Arbeit,  welche 
ein  ganzes  Gebiet  dem  Gedanken  zu  unterwerfen  unternimmt,  für  fertig  erklären, 
selbst  wenn  man  weiss,  dass  eine  längere  Vertiefung  in  einzelne  Theile,  eine  noch- 
malio-e  Umgestaltung  derselben  herbeiführen  werde.  W^as  auf  der  einen  Seite  an 
Gründlichkeit  gewonnen  würde  ginge  dabei  vielleicht  an  Frische  und  Unmittel- 
barkeit verloren.  Ich  würde  mich  sehr  freuen,  wenn  Sie,  geehrtester  Herr,  mir 
gleich  vorläufig  den  einen  oder  den  anderen  Differenzpunkt  bezeichneten.  Meine 
Arbeit  ist  mir  jetzt  schon  so  objektiv  geworden,  dass  ich  Ihnen  eine  ganz  un- 
befangene und  rücksichtslose  Prüfung  versprechen  darf.  —  Ihr  Schreiben  spricht 
die  ganze  Trostlosigkeit  über  den  gegenwärtigen  Zustand  der  deutschen  Bühne 
aus.  Dabei  mögen  Sie  schmerzliche  Erfahrungen  durchdrungen  haben,  die 
sich  gewiss  täglich  wiederholen  werden,  so  lange  der  Zustand  der  Bühne  unver- 
ändert bleibt!  Dass  ich  bei  der  Entwicklung  im  letzten  Abschnitt  auch  konkrete 
Verhältnisse  vor  Augen  gehabt  wird  Ihnen  nicht  entgangen  sein.  Wer  mir  im 
allgemeinen  Theile  zum  Routinier  gesessen  hat,  denke  ich  wird  auch  zu  errathen 
sein.  Es  wird  Ihnen  nicht  uninteressant  sein  zu  hören,  dass  Strauss  mir  in 
einem  Briefe  die  Absicht  zu  erkennen  gegeben  hat  über  die  notwendige  Reform 
der  Bühne  mit  besonderer  Rücksicht  auf  mein  Buch  einen  Aufsatz  zu  schreiben. 
Bei  der  universellen  Geistesdisposition  und  der  umfassenden  philosophischen  Bildung 
des  grossen  Theologen  überraschte  es  mich  nicht  auch  für  diese  Sphäre  das  leb- 
hafteste und  geistigste  Interesse  bei  ihm  zu  finden.  Soll  die  Bühne  anders  werden, 
sagt  er  wörtlich,  so  ist  dies  nur  möglich  'wenn  auch  zugleich  von  oben  her  geholfen 
wird.  Das  Theater,  fährt  er  im  Briefe  an  mich  fort,  muss  schlechterdings  aufhören 
Hoftheater  d.  h.  ein  Theil  fürstlicher  Belustigung  von  dem  meistens  schlechten 
und  unreinen  Geschmack  eines  allerhöchsten  Individuums  und  seines  Hofes  ab- 
hängig, zu  sein;  es  muss  Nationaltheater  d.  h.  integrir endes  Glied  des 
Staatsorganismus  werden,  unter  dem  Ministerium  des  öffentlichen  Unterrichts 
ütehend,  wenn  es  seine  wahre  Bestimmung  erreichen  soll'.  Sie  werden  zugeben, 
dass  der  grosse  AUeszcrmalmer  die  würdigste  und  edelste  Vorstellung  von  der 
Bedeutung  der  Bühne  hat.     Liest  man  im  zweiten  Theil  seiner  Dogmatik  zwischen 


ÜBER   GÜNTHEr,   DER   THEATERKRITIKER   HEINRICH   THEODOR   RÖTSCHER      321 

den  Zeilen,  so  sieht  man,  dass  er  den  Kultus  der  Kunst  und  auf  seiner  höchsten 
Stufe  ein  wahrhaftes  Nationaltheater  an  die  Stelle  der  Kirche  setzen  will  und  dies 
nicht  undeutlich  als  die  nothwendige  Gestalt  der  Zukunft  bezeichnet.  Indem 
ich  mich  Ihnen  zu  fernerem  Wohlwollen  freundlichst  empfehle  füge  ich  nur  noch 
den  Wunsch  hinzu,  dass  es  Ihnen,  geehrtester  Herr,  genehm  sein  möge  mich  recht 
bald  durch  eine  Zuschrift  zu  erfreuen.  Sie  sollen  in  mir  keinen  saumseligen 
Mann  finden.     Mit  ausgezeichnetster  Hochachtung  ergebenst 

Dr.  H.  Theodor  Roetscher. 
Man  könnte  ja  fragen,  ob  es  richtig  sei,  mit  einer  von  vornherein  bestimmten 
ansieht  —  wie  der  Hegelsehen  Idee  des  kunstwerks  bei  Rötscher  —  an  die  beurteilung 
eines  kunstwerkes  heranzutreten.    Aber  J.  Günther  zeigt,  wie  Rötscher  nie  gewaltsam 
dem   kunstereignis   seinen   Standpunkt   aufgedrückt   hat,  sondern  gerade  immer  aus 
dessen  charakter  und  innerem  Organismus  heraus  den  jeweiligen  ausgangspunkt  für 
seine   beurteilung   ableitet.     Und   so  besitzt  Rötscher  freilich  eben  in  seiner  philo- 
sophisch   abstrahierenden   bildung    die   grundlage,    auf    der   er    zu    einer   sicheren 
Stellung  den  verschiedenen  werken  gegenüber  kommt.    Die  richtungslosigkeit  wirft 
den  beurteiler  nur  zu  leicht  jeder  modeströmung  in  die  arme  und  nützt  durch  diesen 
mangel    an    Weisheit    der   kunst,    dem    künstler   und    dem    publikum  gleich  wenig. 
Wir  fühlen   uns  vor  Rötschers  kritiken  so  sicher  in  der  gewähr  gediegenen  urteils 
geborgen.     Man   lese  z.  b.  etwa   die   ausführungen   (s.  20  f.)  über    Gutzkows   Uriel 
Akosta,   über  geschichtliches   drama,   über   tendenzstücke  und   im  gegensatze  dazu 
über  nationale  färbung,  besonders  auch  im  lustspiel,  über  das  umsetzen  des  kampfes 
einer  dramatischen   idee   in   entwicklung  der  Charaktere  im  drama  oder  der  idee  in 
Stimmung  durch  rhythmus  und  spräche  oder  in  konzeption,  Situationen  und  Charak- 
tere,  die   alle  aber  zugleich  ihre  selbständige  geltung  haben.     Oft  macht  Rötscher 
vorschlage   zu  änderungen   in   einem  drama,  und  ich  bedaure  nur,  dass  Günther  — 
vielleicht   aus   raummangel   der  papiernot  wegen  —  kein  bestimmtes  beispiel  dafür 
anführt   und   durchprüft.     Ich   hätte  statt  dessen  lieber  manche  umständliche  über- 
leitungswendung   gestrichen.      Der    papiernot   ist    wohl    auch    die   wünschenswerte 
weitere  ausführung  der  3  teile  des  I.  kapitels  im  II.  buche  (kritik  der  theatralischen 
darstellung)    zum    opfer   gefallen,   so   dass    die  Überschriften   —  Rötscher   und  das 
deutsche  theater  seiner  zeit,  das  Berliner  kgl.  theater  zur  zeit  der  kritikertätigkeit 
Rötschers   und  Rötschers  theatergeschichtliche  kenntnisse  in  seinen  kritiken  —  nur 
volltönende  Versprechungen  ohne  erfüllung  bleiben.   Dass  Rötschers  theatergeschicht- 
liche kenntnisse   nur   gering  gewesen    sind    (die    Vorlesungen    von  Roh.  Prutz  und 
Ed.  Devrients  Gesch.  der  deutschen  Schauspielkunst  waren  ja  noch  nicht  erschienen), 
oder  dass  er  keinen  gebrauch  davon  gemacht  hat,  das  lässt  auch  Günthers  dritten  teil 
hier  bedauerlicherweise  recht  mager  ausgehen.     Wohltätig  aber  wirkt  bei  Rötscher 
hier  gerade  auch  das  vermeiden   unsachlichen  sichrühmens  mit  gelehrsainkeit,  auch 
persönliche   erinnerungen    an   Schauspieler  kommen   nur  sehr   sparsam   und  nur  im 
dienste  der  gegenwartskritik  vor,  für  unsere  theatergeschichtliche  forschung  freilich 
allzu   sparsam.     Die  Zusammengehörigkeit   von   drama   und  Schauspielkunst  ist  für 
Rötscher  immer   selbstverständlich,   und  doch  weiss  er  wohl  stück  und  darstellung 
ZU  trennen.     Durch   das   aufzeigen   der   abhängigkeit  der  einzelnen  rolle  von  ihrer 
idee  im   zusammenhange   mit  der   idee  des  ganzen  Stückes  wird  eine  positive  auf- 
stellung  des  Charakters  geboten,  an  der  die  darstellerische  einzeldurchfuhrung  immer 
wieder  gemessen  werden  kann.    Das  von  Rötscher  so  gebotene  ideal  der  rolle  geht 
gewöhnlich  bei  ihm  auch   auf  künstlerisch  erlebtes  zurück,  zu  dem  spätere  zusätze 

22* 


322  WKKSS-BASS 

von  anderen  darstellern  im  wesentlichen  bestätigung  des  einmal  erkannten  bieten. 
Menschliche  irrtiimer  oder  subjektive  neigungen  können  natürlich  trotz  allen  philo- 
sophisch-ästhetischen  Standpunkts  mit  unterlaufen  wie  z.  b.  das  nur  zu  begreifliche 
überschätzen  Seydelmanns  anderen  gewichtigen  stimmen  gegenüber  -  vergleichbar 
etwa  Goethes  überschätzen  der  kunst  Iftlands  im  gegensatz  zu  Schillers  ruhigerem 
urteile.  Fein  und  ganz  im  zusammenhange  seiner  idee  von  der  rolle  ist  die  Unter- 
scheidung Rötschers  zwischen  künstlerischen  und  technischen  mittein  des  Schau- 
spielers und  deren  anwendung  auf  dämonische  oder  nur  landläufige  ('routinier'-) 
Charakterrollen.  Und  höchst  fördernd  und  lehrreich  ist  das  aufdecken  der  art  des 
herantretens  eines  künstlers  an  eine  rolle.  Nicht  sich  zu  begnügen  gilt  es  nach 
Rötschers  mcinung  mit  dem  ausführen  des  ersten  eindrucks,  sondern  zur  reflexion 
muss  er  sich  durcharbeiten ;  dann  aber  muss  eine  revidierende  rückkehr  zur  natur- 
auifassung  des  frischen  erlebens  erst  die  ganzheit  lebenswarmer  gestaltung  schaffen 
(b.  60  f.).  —  Vortreffliche  beobachtungen  auch  gerade  der  technischen  mittel,  wie 
sie  für  die  zeit  um  Döring  und  Dessoir,  Hendrichs  und  die  Crelinger  herum  so 
charakteristisch  und  deshalb  für  unser  Studium  der  theatergeschichte  so  lehrreich 
sind,  reiht  Günther  aus  Rötschers  kritiken  zusammen,  und  wir  durchleben  an  den 
von  Günther  geschickt  ausgewählten  beispielen  ein  stück  lieber  alter  theater- 
geschichte in  lebendigster  vergegenwärtigung.  In  die  gute  und  reife  von  Rötschers 
wesen  führt  Günther  in  einem  V.  kapitel  über  ihn  als  erzieher  des  Schauspielers. 
Er  sagt  (8.95):  'Rötscher  hat  eine  tiefe  achtung  vor  dem  Schauspieler  und  seiner 
kunst.  Gewiss,  er  hat  die  Schattenseiten,  die  gemeinheiten  der  breiten  masse  des 
Schauspielerstandes  gekannt,  aber  er  konnte  den  schauspielern  am  besten  helfen, 
indem  er  ihnen,  den  dolmetschern  der  ideen  genialster  menschen,  achtung  ent- 
gegenbrachte, dadurch  ihre  Selbstachtung  hob  oder  sie  zu  ihrer  Wiederherstellung 
zwang  und  sie  so  ihre  ehre  erhalten  oder  wiederfinden  Hess'.  —  Besonders  liebens- 
würdig ist  Rötscher,  wenn  er  tadeln  muss.  Die  würde  der  kunst  ist  ihm  da  oberstes 
gesetz,  auf  das  er  sich  beruft.  —  Eines  freilich  ist  als  mangel  bei  Rötscher  gerade 
als  kritiker  zu  beklagen :  er  hat  keinen  humor.  Und  damit  erschwert  er  sich  so 
oft  das  besprechen.  Günther  sagt  sehr  richtig  (s.  115):  'Wir  heutzutage  sind  des 
Spottes  in  der  theaterkritik  so  satt,  dass  wir  um  ein  fehlen  des  spotts  bei  Rötscher 
nicht  trauern,  aber  den  humor  vermissen  wir  bei  unserm  kritiker  ungern.  Rötscher 
hat,  obgleich  er  dem  theater  viel  zu  sagen  hatte,  dennoch  wohl  überhaupt  das 
leichte  künstlerblut  gefehlt.  Das  ist  gewissermassen  eine  tragik  für  ihn;  denn 
Latte  er  es  gehabt,  dann  hätte  er  sicher  auf  den  einzelnen  theaterkünstler  noch 
mehr  einfluss  ausüben  können'.  —  Eine  reiche  fülle  feiner  betrachtungen  bringen 
auch  Günthers  letzte  kapitel  über  Rötschers  Stellung  zu  den  'grossen  gasten',  wo 
er  auch  in  den  ernsten  kämpf  eintritt  gegen  das  eitle  virtuosentum  der  zeit,  seine 
Stellung  zu  theaterleitung  und  regisseur  und  zum  publikum  (vergleich  zwischen 
Rötscher  und  Lessing). 

WEIMAR.  HANS   DEVRIENT. 


Louis    Bran,    Hebbel    sa    personnalite    et    son   oeuvre   lyrique,    Paris, 
librairie  Felix  Alcan,  1919,  XIII,  884  s. 

Mit  Brun  hat  sich  der  dritte  Franzose  auf  das  gebiet  Hebbelscher  dichtung 
begeben;  und  dieser  hat  sich  das  sicherlich  nicht  leichte  gebiet  Hebbelscher  lyrik 
zum   gegenständ   reichlicher  forschung   ausgewählt.    —   Der   aufbau  seines  umfang- 


ÜBER   BRUN,   HEBBEL    SA   PERSONNALITE   ET   SON    OEUVRE   I-YRiyUE  323 

reichen  werkes  gestaltet  sich  folgendermassen:  als  natürliche  ausgangspunkte  für 
die  forsch ung  ergeben  sich  dem  Verfasser  die  drei  von  Hebbel  selbst  v er ötf entlichten 
gedichtsammluDgen  aus  den  jähren  1842,  1848  und  1857  (teile  11  bis  IV  von  Bruns 
darstellung).  Da  aber  Hebbels  lyrisches  werk  im  Zusammenhang  mit  Hebbels  per- 
sönlichkeit und  seiner  ästhetischen  theorie  behandelt  werden  soll,  ergibt  sich  für 
jeden  dieser  hauptabschnitte  eine  dreiteilung:  Persönlichkeit,  ästhetische  theorie, 
lyrische  Produktion.  Zum  ganzen  tritt  ein  einleitungsteil  I,  in  dessen  zwei  kapiteln 
die  Wesselburener  zeit  und  die  frühesten  gedichte  bis  zur  Übersiedlung  nach  Ham- 
burg behandelt  werden.  Von  einer  ästhetischen  theorie  ist  hier  noch  nicht  die 
rede,  sondern  erst  von  dem  momente  ab,  wo  Hebbels  eigene  'fortlaufenden'  schrift- 
liche äusseruDgen  in  briefen  und  tagebüchern  vorliegen.  Ebenso  entbehrt  der 
dreiteilung  der  Schlussabschnitt  V,  der  auf  die  analyse  des  vorherigen  die  synthese 
gibt  und  eine  gesamtstudie  über  Hebbels  verskunst  vermittelt.  —  Innerhalb  der 
drei  gegebenen  festen  ausgangspunkte  geht  nun  der  Verfasser  in  der  behandlung 
der  gedichte  genau  chronologisch  vor.  Nur  bei  ganzen  gruppen,  wie  z.  b.  bei  'Ein 
frühes  liebesieben',  'Dem  schmerz  sein  recht',  betrachtungen  über  'Gott,  mensch, 
natur'  wird  das  prinzip  der  Chronologie  durchbrochen  und  der  cyklus  als  einheit 
behandelt,  nicht  aber  ohne  dass  vorher  peinlichst  auf  die  Chronologie  der  einzelnen 
teile  hingewiesen  worden  wäre. 

Die  behandlung  eines  dichterischen  werkes  nach  seiner  zeitlichen  entstehungs- 
folge  —  soweit  diese  bekannt  ist  —  und  im  Zusammenhang  mit  des  dichters  eigenen 
theoretischen  äusserungen  mag  in  wissenschaftlicher  beziehung  vieles  für  sich  haben. 
Für  Hebbel  bleibt  mir  dieses  prinzip  sehr  fraglich.  Schon  abgesehen  davon,  dass 
er  sein  ziel  früher  erreicht  als  erkannt  zu  haben  selbst  bekennt,  gilt  auch  für  ihn 
sein  über  Feuchtersieben  gesprochenes  wort:  'die  dichterische  entwicklung  hat  nun 
einmal  Stadien,  die  nicht  in  einer  reinen  blute  aufgehen,  und  die  das  Individuum 
dennoch  nicht  überspringen  kann;  wer  soll  sie  richtig  deuten  und  würdigen,  bevor 
das  resultat  sie  erklärte  und  ins  rechte  licht  rückte'?  Wenn  irgend  ein  deutscher 
dichter,  so  verlangt  gerade  Hebbel  einen  ganz  besonderen  masstab  der  behandlung, 
und  wenn  irgendeine  der  dichtungsgattungen,  in  denen  er  vor  das  publikum  getreten 
ist,  so  die  lyrik.  Wie  man  sich  daran  gewöhnt  hat,  Hebbels  drama  rückwärts 
schauend,  nach  erkenntnis  seiner  pantragischen  Weltanschauung  und  lebensauffassung 
zu  betrachten,  so  muss  man  sich  auch  für  das  richtige  Verständnis  seiner  lyrik 
daran  gewöhnen.  In  diesem  sinne  müsste  dann,  da  der  mensch,  zumal  die  dich- 
terische einzelpersönlichkeit  kein  mechanisches  rechenexempel  ist,  bei  welchem 
eines  sich,  logisch  fortschreitend,  aus  dem  vorangegangenen  entwickelt,  für  die 
systematische  behandlung  an  stelle  des  zu  äusserlichen  chronologischen  gesichts- 
punktes  ein  gedanklicher  leitfaden  in  der  art  und  weise  einer  zentralanalyse  treten. 
"Wenn  man  aber  die  zeitliche  entstehungsfolge  als  richtschnur  wählt,  wahrt  man 
den  gedanklichen  Zusammenhang,  auf  den  es  ja  doch  in  erster  linie  ankommt,  nur 
unter  der  einen  bedingung,  dass  man  nämlich  die  einzelne  dichtung  als  abgeschlos- 
senes Produkt  einer  innerlich  erledigten  lebensstimmung  (oder  auch  als  den  versuch, 
sie  zu  erledigen)  in  den  allerengsten  Zusammenhang  mit  dem  sie  bedingenden 
erlebnis  (auch  dem  gedanklichen)  setzt  (vgl.  dafür  Ph.  Witkop,  den  Brun  übrigens 
nicht  mehr  zitiert).  —  Auf  grund  eines  solchen  Vorgehens  erhielte  man  wahrschein- 
lich dann  auch  die  möglichkeit,  weiterschreitend  auf  Werners  pfaden  (bd.  7  der 
gesamtausgabe,  einleitung)  eine  erklärung  zu  versuchen  über  die  art  und  weise  der 
Zusammenstellung  der  einzelnen  gedichtsammlungen.     Brun   geht   aber  in  der  je- 


324  WEISS-BAS.S 

weiligen  genese   du  recueil  (yor  jeder  besprechung  der  einzelnen  Sammlung)  still- 
schweigend der  frage  nach  einem  anordnungsprinzip  aus  dem  wege. 

Jedeafalls   aber  muss   ein   werk   über  lyrik   auch   interpretation  geben,   zum 
Verständnis   des   gehaltes  des  einzelnen  produktes  beitragen.     Und  immer  muss  die 
interpretation  eines  gedichtes  ausgehen  vom  erlebnis  des  einzelnen  Stoffes,  vielmehr 
vom   Verhältnis   des   dichters   zu   all   demjenigen,   was   er  im  gegebenen  augenblick 
aus   sich   herausstellen   und   es   neuschöpfeud   gestalten   und  formen  will.     Die  art, 
wie    sie   unser   Verfasser    anstrebt,    kann    nun    aber   nicht  überall  voll   befriedigen. 
Denn  im  allgemeinen  (wenn  er  sich  bei  der  erklärung  des  gedichtes  nicht  mit  einer 
einfachen   paraphrasierung   begnügt)   scheint  er  darunter  etwa  die  aufgäbe  zu  ver- 
stehen, die  abhängigkeit  eines  dichters  (seien  es  die  gedanken,  die  idee  oder  eigen- 
tümlichkeiten    der   form,    die   in    betracht   fallen)    von    einem   andern    dichter  oder 
auch   die   etwa  zufällige  ähnlichkeit   des   einen   mit  dem  andern  in  bezug  auf  ihre 
Schöpfungen  darzulegen.  —  Wie  jeder  dichter  eine  Individualität  für  sich  darstellt, 
ein   sein   für  sich  ist,   das  in  einem  bestimmten  milieu  lebt  und  seine  wesenseigen- 
heit    auf   ein   bestimmtes    milieu   wiederum   sich   auswirken  lässt,   dabei  allerdings 
aufnimmt,    aber    das    aufgenommene    auf   seine,   nur  ihm   eigentümliche  weise  ver- 
arbeitet,  so   muss   auch   seinem   gedichte,   in  erster  linie  seinem  lyrischen  gedichte 
(solange  es  als  die   ursprüngliche  beichte  seines  Schöpfers  zu  gelten  hat)  gleichsam 
ganz   individuelles  leben   zugesprochen   werden.     Dass   ein   dichter,  der  dichter  zu 
sein   beginnt,   seinen   weg   erst   suchen  muss,   ist  selbstverständlich;  ebenso  dass  er 
sich  an   denjenigen   schult,  die   vor  ihm   da   waren.     Schliesslich   gewinnt  er  aber 
seine   eigene   form.     Wenigstens   dürfen  wir  das  von  Hebbel  behaupten  (vgl.  Wit- 
kop  II  239,  245).     Brun   scheint   es   hingegen   gar  oft   dann  am  wohlsten  zu  sein, 
wenn  er   Hebbels   abhängigkeit  (und   zwar  nicht   nur  für  seine  frühzeit)  von  dem 
oder  jenem   dichter   nachweisen   zu  können  glaubt  oder  wenn  er  irgend  einer  ähn- 
lichkeit mit  einem  fremden  muster  habhaft  geworden  ist.     Öo  durchziehen  Schillers 
und   Goethes   namen   einem  roten  faden  gleich  das  ganze  werk.     Besonders  Goethe 
muss  recht   oft   herhalten,   so   dass    man   das   gefühl   nicht  los  wird,  Hebbels  lyrik 
solle   dadurch   zu   grösserem   ansehen   gebracht,  wenn  nicht  gar  überhaupt  erst  ge- 
rettet werden.    Ähnlichkeiten  sind  ja  wohl  in  grosser  zahl  und  in  frappanter  weise 
zu  konstatieren.     Aber  weshalb  scheut  man  sich  zuzugeben,  dass  geniale  menschen 
immer   nur   das   ihnen   adäquate   aus   dem   zeitdenken   und  -fühlen   sich   aneignen? 
Dabei  wird   an   sich   durchaus   nicht  geleugnet,  dass  zur  einkleidung  eines  eigenen 
erlebnisses  fremdes   muster  und  fremde  färbe  oft  herhalten  und  hergehalten  haben; 
aber   wichtig    bleibt    vor    allem    (und    gerade    neben    der  tatsache,    dass   ähnliche 
Vorstellungen   und   gefühle  bei  zwei  verschiedenen  menschen  in  der  darstellung  oft 
ähnlichen  ausdrucksmitteln  rufen)  eben  das  persönliche  erlebnis  selbst.     Was  nützt 
es  z.  b.  für   die  interpretation   eines   gedichtes   oder  für   dessen   Verständnis,  einen 
teil  desselben  aus  dem  Zusammenhang  herauszureissen  und  ihn  dann  einem  ebenfalls 
aus   dem   ganzen   herausgerissenen   teil   z.  b.  eines   Goethischen    gedichtes   an   die 
Seite   zu  stellen,   um   damit   eine  abhängigkeit  zu  konstruieren  oder  ein  vorbild  zu 
finden  (Brun  280/1)?    Die  anstrengungen,  Hebbel  Goethe  zu  nähern  (s.  236),  dürfen 
aber   kaum   mehr  ernst  genommen  werden,   wenn   ein  einziges  wort  den  ausschlag 
geben  soll  (s.  253  anm.  6).  —  Auch  für   das   versmass   müssen    Goethe  und  ühland 
herhalten   (s.  233  anm.  4).  —  Wo    bleibt   da   die  antwort  auf  die  frage  nach  Inhalt 
iind  gehalt  des  gedichtes? 

Dass  Brun  die  betrachtung  der  Hebbelschen  gedichte  auf  die  betrachtung  der 


ÜBER   BRUN,   HEBBEL    SA   l'ERSONNALITE    ET   SON    OEUVRE    I.YRIQUE  325 

form  basieren  will  (s.  238/9),  ist  ein  guter  gedauke,  nur  hätte  er  für  die  durch- 
fuhrung präziser  gefasst  werden  müssen.  Aber  der  Verfasser  geht  sogar  der  frage, 
inwiefern  für  Hebbel  die  Unterscheidung  lied,  bailade,  romanze,  diverses  bedeutung 
hat,  aus  dem  wege. 

Nach  dem  beschluss  der  abhandlung  über  die  Sammlung  von  1842  (^wiederholt 
für  die  Sammlung  'Neue  gedichte'  s.  524—527)  kommt  Brun  auf  Hebbels  sprachlichen 
ausdruck  zu  sprechen  und  zieht  ziemlich  weitgehende  folgerungen.  Es  ist  nicht 
zu  leugnen,  dass  aucli  hier  recht  interessante  dinge  auf  den  plan  gebracht  werden ; 
aber  der  Verfasser  geht  entschieden  ein  wenig  weit,  wenn  er  die  Originalität  eines 
dichters  oder  seines  werkes  auf  gruod  einer  Untersuchung  des  sprachlichen  aus- 
druckes,  des  stiles  und  der  metrik  zu  erkennen  versucht  (s.  361—875).  —  Vielleicht 
bleibt  ihm  nichts  anderes  übrig,  nachdem  er  vorher  möglichst  viel  quellen  zu  den 
gedichten  zusammengetragen  hat!  —  Es  gelingt  ihm  zwar  auf  der  einen  seite, 
Hebbel  vor  der  klassierung  zu  den  philosophischen  dichtem  zu  retten  (einleuchtender 
wäre  allerdings  die  lösuug  der  noch  keineswegs  geklärten  frage  auf  grund  eines 
Vorgehens,  das  auf  den  gehalt  und  die  Interpretation  des  poetischen  produktes  ab- 
stelltj.  Auf  der  andern  seite  gelangt  er  aber  nur  zur  bestätigung  eines  resultates, 
das  aus  der  gedanklichen  analyse  bereits  gewonnen  worden  ist,  nämlich  dazu,  dass 
Hebbel  nicht  einmal  im  lyrischen  gedichte  den  dramatiker  verleugne,  was  an  ver- 
schiedenen orten  erwähnt  und  hübsch  ausgeführt  erscheint  (^vgl.  s.  429).  —  Unnötig 
wäre  immerhin  die  feststelhing,  dass  der  held  iu  Hebbels  Ijrik  Hebbel  selber  ist 
(s.  869). 

Überall  vermissen  wir  an  solchen  stellen  eine  klare,  unzweideutige  definition 
vom  eigentlichen  wesen  der  Hebbelschen  lyrik.  Sie  wäre  meines  erachtens  viel 
dienlicher  (und  käme  dem  dichter  "vvie  seinem  werke  erst  eigentlich  zu  gute)  als 
die  viele  mühe,,  die  darauf  verwendet  wird,  Hebbel  den  richtigen  platz  zwischen 
Goethe  und  Schiller  anzuweisen,  keinem  zu  nah  und  keinem  zu  fern  (s.  380).  Oder 
aber  es  hätte  eine  prinzipielle  behandlung  hergehört,  sowohl  dieser  dichter  als 
ihrer  lyrischen  werke,  und  dann  hätte  wiederum  auf  grund  dieser  eine  feste  grenze 
und  sichere  Umschreibung  des  Hebbelschen  lyrischen  gedichtes  erhalten  und  ein 
Standpunkt  für  seine  Interpretation  gewonnen  werden  können. 

Ergebnisreicher  scheint  mir  Bruns  darstellung  der  italienischen  und  der 
Wiener  periode  zu  sein,  obwohl  auch  hiezu  manches  zu  sagen  wäre.  Die  behand- 
lung der  dichterischen  reife-  und  spätzeit  schliesst  sich  wenigstens  der  tatsache 
an,  dass  sich  Hebbel  mehr  und  mehr  auf  die  unverrückbaren  formen  des  sonetts 
und  des  epigramms  verlegt.  Es  wird  immerhin  bei  der  behandlung  der  sonette 
eine  durchgehende  linie  sichtbar,  die  vom  begriff  'Schönheit'  ausgeht.  Vielleicht 
hätte  noch  klarer  gezeigt  werden  müssen,  wie  Hebbel  seit  seinen  anfangen  mit 
diesem  begriff  gerungen  hat ;  dass  er  ihn  früher  philosophisch  zu  fassen  gezwungen 
war,  als  es  ihm  zufolge  seiner  unglücklichen  lebensverhältnisse  versagt  blieb,  Schön- 
heit zu  geniessen,  während  er  jetzt  diese  Schönheit  auf  schritt  und  tritt  in  sich 
aufzunehmen  fähig  geworden  ist;  dass  er  es  früher  nur  zum  theoretischen  begriff 
oder  nur  zur  ahnung  der  lyrischen  form  gebracht  hat,  während  er  jetzt  das  leere 
gefäss  mit  tatsächlichem  leben  zu  füllen  vermag.  Und  auch  hier  fehlt  noch  die 
definition  des  Hebbelschen  begriffes  'Schönheit'.  Was  Brun  über  die  sonette  schreibt, 
gehört  immerhin  zum  besten  in  seinem  werk  (s.  533/4,  536).  —  Wenig  befriedigt 
hingegen  wiederum  die  darstellung  über  das  epigramm.  Wie  mancher  forscher  vor 
ihm   bleibt    auch    Brun    dabei    stehen,    dieses   in   einen   möglichst  engen,  dabei  aber 


326  GERING 

sehr  äusserliclien  Zusammenhang  mit  tagebuchstellen  und  briefausziigen  zu  bringen 
(s.  56Ü).  Er  spricht  wohl  von  leitmotiven,  die  da  und  dort  auftauchen,  aber  er 
vorfolgt  sie  nicht  durchgehend.  Und  das  hängt  wiederum  viel  mit  der  chrono- 
logischen behandhing  zusammen,  deren  mangel  gerade  hier,  wo  man  es  mit  der 
ganzen  fülle  Hebbelschen  geistes  zu  tun  hat,  am  fühlbarsten  hervortritt.  Das 
wesentlichste  von  Hebbels  begriff  der  form  und  seiner  hohen  einschätzung  ist  eben 
noch  lange  nicht  erfasst,  wenn  man  in  diesen  äusserlichkeiten  stecken  bleibt.  In 
dem  gesetzmässigen  bau  und  in  der  grundform  des  aus  hexameter  und  pentameter 
zusammengesetzten  epigramms  liegt  für  Hebbel  schon  ein  gutes  stück  seiner  Welt- 
anschauung. 

Im  ganzen  ist  Bruns  werk,  rein  vvissenscliafilich  betrachtet,  ein  überaus 
reichhaltiges.  So  bleibt  rühmend  zu  erwähnen,  dass  es  der  Verfasser  an  Studium 
keineswegs  hat  fehlen  lassen.  An  material  hat  er  so  ziemlich  alles  überhaupt 
mögliche  zusammengetragen.  Jede  seite  strotzt  von  zitaten  und  hinweisen.  In 
vielen  fällen  setzt  er  sich  auch  kritisch  mit  ihnen  auseinander ;  besonders  wenn  es 
sich  darum  handelt,  Tibals  rigorosität  zu  mildern,  oder  dort  z.  b.  wo  er  für  die 
Wienerzeit  Bastiers  ausführungen  entgegentritt,  der  das  Verhältnis  Hebbels  zwischen 
den  beiden  frauen  Elise  und  Christine  als  einen  den  dichter  fast  verzehrenden 
kämpf  betrachtet.  Für  die  reichhaltigkeit  zeugen  auch  die  bibliographischen  bei- 
gaben. Im  gründe  fehlt  nur  ein  praktisches  nachschlagsverzeichnis  für  die  gedichte. 
Das  chronologische  leistet  den  gleichen  dienst  nicht,  da  es  nicht  Hebbels  gesamte 
lyrische  Produktion  umfasst.  Leider  hat  allerdings  unter  dem  detailreichtum  die 
klarheit  und  Übersichtlichkeit  gelitten.  Im  weiteren  hätte  man  sich  aber  auch  —  da 
doch  einmal  ein  werk  über  Hebbels  lyrik  geschrieben  werden  musste  —  noch  etwas 
mehr  als  eine  nur  philologisch-literargeschichtliche  arbeit  gewünscht.  Brun  dringt 
wohl  mit  kritischer  methode  in  den  stoff  ein,  aber  bei  der  äusseren  erscheinung 
bleibt  er  auch  stehen.  Er  erlebt  den  kern  der  dichterischen  persönlichkeit  nicht. 
Wer  die  liebe  zu  Hebbel  nicht  in  sich  ttägt,  dem  vermag  sie  Bruns  werk  nicht  zu 
vermitteln. 

HASEL.  F.  WEISS-BASS. 


ABWEHR. 

Esa  s;l  vinr  ojiruni  es  vilt  eitt  segir. 
Hövamöl. 

Gegen  meine  anzeige  seiner  Eddalieder  (Zeitschr.  50,  93  ff.)  hat  E.  Sievers 
unter  der  Überschrift  'Rezensentenwahrheit'  in  Braunes  Beiträgen  (48,  329  ff.)  eine 
erwiderung  veröffentlicht,  die  in  der  anklage  gipfelt,  dass  ich  wider  das  8.  gebot 
mich  versündigt,  d.  h.  wider  besseres  wissen  unwahre  dinge  behauptet  habe.  Ich 
bin  daher  —  sehr  gegen  meinen  wünsch  —  genötigt,  zur  klarstellung  noch  einmal 
die  feder  zu  ergreifen. 

Zunächst  habe  ich  allerdings  zu  bekennen,  dass  ich  den  kurzen  passus 
(Eddalieder  s.  183  fg.),  in  welchem  Sievers  über  die  textgeschiclite  von  l'rymskvilta, 
Hymiskvijja  und  GripisspQ  sich  äussert,  übersehen  oder  bei  der  niederschrift  meiner 
hesprechung  seiner  mich  nicht  mehr  erinnert  habe.  Ich  gehöre  nicht  mehr  zu  den 
jüngsten   und  mein  gedächtnis  hat  mich  leider  schon  mehr  als  einmal  im  stich  ge- 


ABWEHR  3'27 

lassen.  Aber  Sievers  hätte  klüger  getan,  auf  diese  ausfülinmgen  nicht  nochmals 
.nachdrücklich  den  finger  zu  legen.  Seine  annähme  ist  nämlich  noch  weit  weniger 
wahrscheinlich  als  meine  nur  im  scherz  ausgesprochene  hypothese  von  den  beiden 
freunden,  die  die  Gripisspö  gemeinsam  verfasst  haben  könnten,  wie  der  norwegische 
Orkneyjarl  Rggnvaldr  und  der  Isländer  Hallr  Pörarinsson  den  Hättalykill  *.  Es 
ist  unglaublich,  dass  (öüO jähre  vor  Sievers!)  einem  Isländer  die  klangfarbe  eines 
norwegischen  gedichtes  so  anstössig  erscheinen  konnte,  dass  er  infolge  dessen  zu 
einer  Umarbeitung  sich  entschloss.  Gesänge  isländischer  skalden  wurden  nicht  bloss 
in  Norwegen,  sondern  auch  an  den  höfen  von  Lejre  und  Upsala  ohne  weiteres  ver- 
standen, und  nirgends  ist  etwas  davon  überliefert,  dass  Sighvatr  seine  Knütsdräpa 
oder  Markus  Skeggjason  seine  Eiriksdräpa,  ehe  er  sie  vortrug,  auf  den  'dänischen 
meridian  visieren'  Hess.  Noch  weniger  brauchten  natürlich  norwegische  dichtungen 
umgemodelt  zu  werden,  um  sie  isländischen  obren  genehm  zu  machen.  Und  wenn 
ein  Isländer  wirklich,  wie  Sievers  meint,  die  norwegische  Gripisspö  zu  islandi- 
sieren  unternahm,  warum  hat  er  dann  nicht  ganze  arbeit  gemacht,  statt  immer 
nur  einzelne  Strophen  oder  helraingar  abzuändern??  Es  steht  schlecht  mit  der 
Zuverlässigkeit  der  'schallanalyse',  wenn  man  zu  so  verzweifelten  hypothesen  greifen 
muss,  um  ihre  ergebnisse  als  möglich  zu  erweisen. 

Sonst  habe  ich  von  dem,  was  in  meiner  rezension  gesagt  ist,  nichts  zurück- 
zunehmen, vor  allem  nicht  die  behauptung,  dass  in  dem  texte  von  Sievers  gram- 
matische fehler  untergelaufen  sind. 

Zu  Hym.  3  *  fragt  Sievers :  'Sollte  Gering  wirklich  meinen,  dies  panns  =  pann  es 
könne  etwa  mit  'worin'  übersetzt  werden?'  —  er  bedient  sich  also  des  sophistischen 
kunstgriffes,  die  meinung  des  gegners  von  vornherein  als  indiskutabel  zu  bezeichnen. 
Wie  aus  dem  Eddawörterbuche  (sp,  229'*")  zu  ersehen  war,  ist  Gering  allerdings 
dieser  von  Sievers  für  aberwitzig  erklärten  ansieht,  und  der  überlieferte  text  ist 
ebenso  'korrektes  nordisch'  wie  z.  b.  Vm  \1^  sä  vpllr  es  ßnnask  n'gi  at  Surtr  ok 
en  sv(jsu  (joj)  'die  ebene  auf  der  sich  S.  und  die  götter  zum  kämpfe  einfinden'; 
Ls64''  l)ats  mik  hvatti  hugr  'das  wozu  mein  sinn  mich  reizte';  Pläc.  dräpa  7 
(Sk.  B  I,  608) :  stap  Jxinns  flcerpar  pverri  gop  si/ndisk  'die  Stätte  an  welcher  ihm 
gott  erschienen  war'  usw.  usw.  ^  -  auch  hat,  soviel  ich  sehe,  noch  kein  mensch  die 
steile  der  Hymiskv.  anders  verstanden  als  ich:  Sv.  Egilsson,  Lex.  poet.  315b  über- 
setzt: 'lebetem  quo  cerevisiam  coquam',  Finn  Magnusen,  Den  a'ldre  Edda  II,  61 : 
'den   kjedel  ...  hvori    hau  öl  til  dem  alle  brygge  künde'  —  und  diese  geborenen 

1)  Es  wäre  übrigens  interessant  zu  erfahren,  ob  dieses  gedieht  die  ergebnisse 
der  schallanalyse,  mit  deren  hilfe  man  angeblich  isländisch  und  norwegisch  reinlich 
zu  scheiden  vermag,  bestätigt:  es  sei  daher  —  gewissermassen  um  die  probe  auf 
das  exempel  zu  machen  —  als  Untersuchungsobjekt  dem  schallanalytiker  dringend 
empfohlen. 

2)  Dass  zu  der  relativpartikel  es  oftmals  eine  präpos.  ergänzt  worden  muss, 
ist  also  eine  tatsache,  die  übrigens  jedem  Studenten,  der  nur  ein  paar  semester 
altnordisch  getrieben  hat,  geläufig  ist.  Dass  ein  gelehrter,  der  die  altgerman. 
sprachen  in  dem  masse  beherrscht  wie  E.  Sievers,  sie  nicht  gekannt  haben  sollte, 
ist  daher  undenkbar:  der  kluge  Stratege  hat  eben  eine  kriegslist  angewandt. 
Häutiger  wird  allerdings,  um  auch  das  zu  erwähnen,  die  präpos.  in  dem  nebensatze 
später  (als  adv.)  nachgeholt;  es  wäre  also  ebenso  korrekt  zu  schreiben:  panns  ek 
o/lum  iipr  gl  i  (of)  Jieitak,  aber  von  dieser  konjektur,  die  von  Sievers'  lesung  sich 
nur  durch  das  minus  eines  r  unterscheidet,  wird  man  doch  abstand  nehmen  müssen, 
da  nicht  der  mindeste  grund  vorliegt,  von  der  hsl.  Überlieferung  abzuweichen,  und 
überdies  z.  3*  und  33*  sich  gegenseitig  schützen. 


328  GERING 

Isländer  wussten  ganz  gewiss,  was  'korrektes  nordisch'  ist.  Überdies  bedeutet 
heita  gl  (heita  mtingdt)  nie  etwas  anderes  als  'hier  brauen'*  und  verständigerweise 
muss  man  annehmen,  dass  der  ausdruck  auch  an  unserer  stelle  ebenso  zu  verstehen 
ist,  (>l  also  das  objekt  von  heifa  sein  muss.  Sievers  dagegen,  der  mit  unrecht  pl 
in  (>lvi  ändert,  will,  wenn  ich  ihn  recht  verstehe,  übersetzen:  'den  kessel,  den  ich 
für  euch  alle  zugleich  mit  dem  biere  heiss  macheu  könnte'  —  eine  unnatür- 
liche und  verschrobene  ausdrucksweise,  die  dem  dichter  schlechterdings  nicht  zu- 
getraut werden  kann.  Der  versuch,  das  fatale  plvi  als  'sociativeu  oder  comitativen 
instrumental'  zu  erklären,  ist  übrigens  weiter  nichts  als  eine  verlegenheitsausflucht, 
nach  der  Sievers  in  ermaugelung  einer  besseren  gegriffen  hat,  um  eine  verfehlte 
konjektur  und  eine  verlorene  position  zu  retten. 

Überhaupt  wird  die  kühne  behauptung,  dass  die  schallanalyse  'viele  schaden 
der  Überlieferung  biossiegen  könne'  (Sievers,  Ziele  und  wege  der  schallanalyse, 
Leipzig  1924,  s.  110)  durch  seine  Eddaausgabe  nicht  gestützt;  diese  bezeichnet 
vielmehr  einen  offenbaren  rückschritt  in  der  konstituierung  des  textes,  da  mehrmals 
sinnlose  lesarten,  die  längst  durch  evidente  konjekturen  beseitigt  sind,  wieder  reha- 
biliert  werden,  wenn  die  infallible  schallanalj'se  nichts  wider  sie  einzuwenden  hatte. 
hüsi  Vsp  17  ^  das  Sievers  ruhig  stehen  lässt,  ist  unmöglich,  weil  sich  der  dichter 
sicherlich  nicht  den  lächerlichen  anachronisraus  zu  schulden  kommen  liess,  in  einer 
zeit,  wo  es  noch  gar  keine  menschen  gab,  das  Vorhandensein  von  menschlichen 
Wohnungen  anzunehmen.  Im  hinblick  auf  den  prosabericht  der  Snorra  Edda  (I,  52) : 
ßn  er  peir  B(>rs  si/nir  gengu  med  sctivar  strQiidu  haben  daher  schon  frühere 
herausgeber  geändert,  aber  weder  süsi,  das  Rask  einsetzte,  ist  akzeptabel,  da  ein 
neutr.  süs  nirgends  nachzuweisen  ist,  noch  osi,  das  Grundtvig  vermutete,  weil  da- 
durch gegen  die  alliterationsgesetze  ein  vierter  vokalischer  reimstab  in  die  langzeile 
käme.  Auch  sceiH  hat  kaum  in  dem  urtexte  gestanden,  da  die  entstehung  der 
korruptel  unbegreiflich  bliebe.  Ich  schrieb  daher,  indem  ich  einen  einzigen 
buchstaben  änderte,  Jn'oni  (dat.  sg.  von  hihii,  n.,  das  in  der  bedeutung  'meer' 
reichlich  belegt  ist^),  und  gegen  diese  konjektur  hat  auch  der  scharfsichtige  Sig. 
Nordal  in  seiner  trefflichen  Studie  über  die  Vgluspä  (Arbök  häskola  Islands  1922—23 
s.  51)  keinen  eiuspruch  erhoben,  während  er  die  übrigen  besserungsvorschläge  als 
verfehlt  abwies.  Ich  bestreite  auch  entschieden,  dass  durch  die  ersetzung  der 
Spirans  durch  die  liquida  die  'Sprachmelodie'  alteriert  werde,  oder  gar,  dass  uner- 
bittliche 'kurven',  die  überhaupt  die  freie  willensäusserung  des  menschen  aus- 
schalten würden,  den  dichter  zwingen  konnten,  einen  baren  unsinn  zu  produzieren. 
—  Ebenso  ist  Hym  40*  das  unerklärliche  <  eitt  hf)rmeifiß  >  im  texte  von  Sievers 
unverändert  geblieben,  obwohl  Sophus  Bugge  und  Jon  torkelsson  sehr  plausible 
besserungen  empfohlen  haben,  durch  die  meines  erachteus  der  rhythmus  der  zeile 
nicht  im  geringsten  modifiziert,  den  gesetzen  des  Stabreims  dagegen  besser  rechnung 
getragen  wird.  Ich  glaube,  dass  durch  eine  kombination  der  beiden  konjekturen 
{eitrornimei/n  Bugge,    eitrh(jrmeiti  Jon  fork.)  der  ursprüngliche  Wortlaut  hergestellt 

1)  Bei  dieser  gelegenheit  sei  bemerkt,  dass  Jon  Porkelsson  (Anrasirkn.  til 
Fritzners  ordb.  s.  12)  Fritzners  Übersetzung  von /ffrarw?»^^«^  (reisebier)  mit  unrecht 
als  falsch  bezeichnet. 

2)  Die  Lex.  poet.  -,  293b  gegebenen  belege  lassen  sich  vermehren:  ste//ptic 
hven-  at  hümi  Olafs  rimur  B  3,  27;  eldar  hihns  'gold'  Friö[).  rimurö,  4;  telja  mätti 
Iremiar  ßmm  \  franstar  skeidr  ä  Jiihni  Sturl.' rimur  1,  51;  ri'.gla  tök  med  ff  nennt 
html  Sorlarinmr  2,  2. 


ABWEHR  329 

werden  kann:  eitrhf»--  (oder  eitrhprs)  meipi.  Die  ormkenning  eitrhQrr  hat  ein 
genau  entsprechendes  gegenstück  in  eitrpvengr  Guömundr  Galtason  str.  1  *  =  Sk. 
B  II,  52 ;  l'öröar  s.  hreöu  str.  2  *  =  Sk.  B  II,  483,  und  zu  der  ganzen  vetrkenning 
finden  sich  zahlreiche  parallelen  (Meissner,  Kenningar  s.  109),  die  sich  aus  der 
rimur-poesie  noch  vermehren  lassen:  linns  striö  FriöJ).  rim.  5,  34: ;  väöi  uröa  laxa 
ebda.  4,  67 ;  orma  sind  Grettisr.  6,  34 ;  naudr  Pjöttu  baugs  ebda.  6  ** ;  varins  ptn 
FriöJ).  r.  4,  40  usw.  —  wie  umgekehrt  der  sommer  als  die  den  schlangen  günstige 
Jahreszeit  bezeichnet  wird  (Meissner  a.  a.  o.)  —  und  besonders  in  Zeitbestim- 
mungen waren  die  Winterumschreibungen  besonders  beliebt:  hverja  hiins  nött 
Rekst.  13  *  (Sk.  B  I,  528),  naprs  ogn  alla  Hättat.  83  *  (Sk.  B  II,  84) ;  orms  nauöina 
alla  FriöJ).  r.  3,  61;  fjöra  ok  sex  riQdru  galla  Grettisr.  1,  16;  tolf  ngöru  galla 
VqIs.  r.  3,  34 ;  fimm  ok  prjär  Fdfnes  daudasoUir  Vgls.  r.  3,  15 ;  fimm  Fäfnis  väda 
Friö}).  r.  4,  33.  hverjan  eitrJiQnneipi  ist  also  dasselbe  wie  hvern  vetr  Hättat.  84  * 
(Sk.  B  II,  84)  —  und  die  richtigkeit  der  konjektur  wird  überdies  durch  eine  stelle 
in  Arnors  l'orfinnsdräpa  2  ^*  *  (Sk.  B  I,  316):  orms  feile  drakk  allem  .  .  .  fen  hrosta  .  .  . 
RQgnvcdds  ni}}r  /  gQgnum,  die  geradezu  als  eine  reminiszeuz  au  die  schlusstrophe 
der  Hymiskv.  angesprochen  werden  darf,  völlig  erwiesen.  Kenntnis  der  einschlägigen 
literatur  wird  für  den,  der  konjizieren  will,  immer  die  hauptsache  bleiben  müssen 
und  jedesfalls  wird  auch  der  'nichtmotoriker',  der  'nicht  geneigt  und  nicht  geeignet 
ist  die  wege  der  schall-analyse  mitzuwandeln',  das  recht  sich  nicht  rauben  lassen, 
Protest  zu  erheben,  wenn  die  ergebnisse  der  neuen  methode  mit  grammatik  und 
metrlk  und  mit  dem  gesunden  mensch enverstande  allzuarg  in  konliikt  geraten. 

Vkv  41  '•  *  haben  allerdings,  was  Sievers  bestreitet,  verschiedene  herausgeber 
den  überlieferten  text: 

bip  pü  BQpvildi         meyna  brdhvitu 

ganga  fagrvarij)  vip  fQpur  rojja 
geändert:  v.  d.  Hagen  und  Finnur  Jönsson  schrieben  4'i  gangi  fagn-arip  und 
Heusler  (bei  Neckel)  fagroarpa  niey.  Also  auch  diese  gelehrten  (darunter  der 
Isländer  Finnur  Jönsson)  haben  den  nom.  neben  dem  inf.  für  grammatisch  fehler- 
haft angesehen  und  Sievers,  der  die  konstruktion  als  die  'einzig  richtige'  bezeichnet, 
möge  dies  durch  beibringung  analoger  fälle  beweisen.  Wenn  man  den  überlieferten 
nom.  fagrvarip  (nur  dieser  wird  angeblich  einer  'grundlegenden  intonationsregel' 
gerecht)  retten  will,  so  muss  ganga  in  gangi  gebessert  werden :  konjunktionslose 
nebensätze  sind  zwar  in  der  älteren  zeit  nicht  häufig,  kommen  aber  vor,  vgl.  z.  b. 
Anon.  (XII)  22^-  «  (Sk.  B  I,  596): 

hitt  mun  rdp,  kvap  reitinn, 

raunsljorir  sik  pröfi; 

Lilja  15'  fg.  (Sk.  B  II,  394): 

,  .  .  uni)-  vip)  illa  engill  .  .  . 

fyrpa  sveitin  fSdd  d  jgrpu 

fdi  par  vist,  er  sjdlfr  Jiann  misti. 
Erst   in    der   poesie    der   rimur  sind   sie   massenhaft  vertreten,  z.  b.  Skiöar.  29  ^-  * : 
Asölfsggtu  ok  austr  um  Skgrö  \  cetlag  drengrinn  pjrammi. 

Zu  HamJ).  22  *  beschwert  sich  Sievers  darüber,  'dass  ich  die  klammer  und  den 
"lückenansatz"  kaltblütig  gestrichen  habe'.  Warum  ich  dies  tat,  liegt  klar  auf  der 
band:  die  klammer  ist  absolut  unmöglich,  weil  komip  und  blopi  unbedingt  zusammen- 
gehören:  was   sollte   sonst  aus  der  brüst  der  Goten  gekommen  sein  als  blutV     Der 


330  (iEKlNd 

überlieferte  text  ist  selbstverständlich  korrumpiert,  aber  es  hat  nicht  ein  Schreiber 
seine  vorläge  falsch  wiedergejjeben,  sondern  der  mann,  der  zuerst  das  lied  aus  dem 
gedächtnisse  zu  pergament  brachte,  hat  sich  des  gehörten  Wortlauts  nicht  mehr 
genau  mnnert;  nur  den  zweiten  halbvers  hat  er  richtig  behalten,  im  ersten  aber 
das  ursprüngliche  verbum  (er  wusste  nur  noch,  dass  es  einen  langen  o-laut  ent- 
hielt) durch  ein  anderes  ersetzt.  Er  schrieb  daher  l{)gu  statt  öjm  (und  daher  auch 
l  blöpi  statt  bUp).  Die  von  Rask  vorgenommene  änderung  (kotnnn)  ist  ebenso  un- 
ziilässig  wie  die  von  Neckel  (rar  komit),  denn  dann  wären  die  bragnar  und  die 
Gotar  identisch,  was  unmöglich  ist,  wenn  anders  die  bekannte  bemerkung  Lach- 
manns zum  Hildebrandsliede  v.  4  (MSD  *  II,  13)  das  richtige  getroffen  hat.  Nachdem 
Sijmons'  Scharfsinn  das  ursprüngliche  öpa  gefunden  hatte,  ist  erst  durch  meine 
konjektur  dem  sinne  und  dem  metrum  (es  handelt  sich  um  'schwellverse',  s.  oben 
8.  172  fg.)  völlig  genüge  geschehen:  blup  bragnar  opu  |  komit  ör  brjösti  Gotna 
(die  bragnar  sind  natürlich  die  rächer  Sorli  und  Ham])er,  die  Gotar  Jgrmunrekks 
mannen).  So  kommt  man  mit  der  alten  bewährten  philologischen  methode '  aus 
und  braucht  nicht  die  requisite  des  modernen  thaumaturgen,  die  mystischen  draht- 
figürchen  und  den  seidsfafr  (al.  t'aktstock)  anzuwenden  —  diese  sollten  bald- 
möglichst 'in  der  Versenkung  verschwinden'. 

Zu  f*rk  32  *  ist  nur  zu  bemerken,  dass  es  vollkommen  gleichgiltig  ist,  ob 
mau  hinter  si/stur  ein  kouima  setzt  oder  nicht:  hin  ist  immer  grammatisch  un- 
möglich. Es  gab  auch  kein  stilgesetz,  das  den  dichter  zwang,  eine-  zeile  oder 
halbzeile,  die  schon  eipmal  vorgekommen  war,  buchstäblich  genau  zu  wider- 
holen: der  dichter,  der  es  sich  erlaubte,  die  zweite  halbzeile  zu  verändern,  hatte 
auch  das  recht,  in  der  ersten  hinas  statt  hms  zu  schreiben. 

Doch  das  alles  sind  schliesslich  nur  nebendinge:  die  hauptsache  bleibt 
der  von  mir  geführte  beweis,  dass  Grp  str.  1.  9.  10.  11  usw.  usw.  ebenso 
korrektes  fürnyröislag  sind  wie  die  übrigen  atrophen  des  gedichtes '-,  und 
diesen  beweis,  den  er  nicht  zu  widerlegen  vermag,  hat  Sievers  vor  den  lesern  der 
Beiträge  glatt  unterschlagen.  Ich  bin  also  befugt,  den  stein,  den  er  nach  mir 
geworfen  hat,  in  sein  eigenes  glashaus  zurückzuschleudern. 

Die  'doppelte  bankerotterkläruug'  nehme  ich  nicht  tragisch.  Wenn  alle  die 
für  insolvent  erklärt  werden  sollen,  die  den  neuen  theorien  von  Sievers  skeptisch 
gegenüberstehen  oder  sie  geradezu  ablehnen  —  es  hat  allerdings  noch  keiner  gewagt, 
sich  öffentlich  auszusprechen  und  der  katze  die  schelle  anzuhängen  —  würden  90  7« 
der  deutschen  germanisten  von  diesem  verdikt  getroffen  werden:  das  herkömm- 
liche  missgeschick   des   propheten   (Matth.  13,   57)  hat   sich  wieder   einmal  erfüllt. 

1)  Der  philolosrischen  methode,  wie  sie  z.  b.  seinerzeit  der  unvergessliche  Eud. 
Hildebrand  übte.  Wie  dieser  über  die  moderne  physiologisch-phonetische,  'schall- 
analysierende' methode  gedacht  haben  würde,  darf  man  aus  einem  urteil  schliessen,  das 
er  in  einem  erst  kürzlich  im  Euphorion  (2>,  16)  publizierten  briefe  an  Jul.  Zacher 
(10.  6.  72)  über  einen  jungen  gelehrten  gefällt  hat,  der  eben  in  der  Leipziger  philologen- 
versammlung  über  die  entstehung  des  umlauts  gesprochen  hatte:  'der  Vortrag  war 
mir  ein  recht  handgreiflicher  beweis,  wie  man  mit  der  beliebten  physiologie 
und  mit  bewusster  abweis ung  der  psychologie.  .  .  mit  aller  gelehrsam- 
keit  und  Scharfsinn  ins  leere  hinauskommen  kann,  ganz  verfehlt,  einfach 
unwahr'.  —  On  revient  toujours  ä  ses  premiers  amours. 

2)  Ein  klassischer  philologe,  dem  jemand  einreden  wollte,  dass  im  Horazischen 
Integer  ritae  nur  die  hälfte  im  metrum  Sapphicum,  der  rest  dagegen  in  einem 
andern,  bisher  ganz  unbekannten  versmass  abgefasst  sei,  würde  den  betreffenden 
.jemand  ohne  zweifei  für  verrückt  erklären. 


AHWKHK  331 

Sievers  tröstet  sich,  wie  es  scheint,  damit,  dass  er  in  den  Vereinigten  Staaten  (und 
in  Norwegen?)  beifall  erntete  -  aber  gerade  der  umstand,  dass  er  in  dem  lande  der 
unbegrenzten  möglichkeiten  Zustimmung  fand,  sollte  ihn  stutzig  machen. 

Die  Wissenschaft  muss  sich  oft  mit  einem  Ig>iorabimus  bescheiden.  Wie  die 
hellenischen  rhapsoden  Homers  gesänge  vorgetragen  haben,  wie  Wulfila  die  bibel- 
übersetzung  seinen  Goten  zum  gehör  bringen  Hess  und  wie  die  königsskalden  ihre 
dräpur  rezitierten,  werden  wir  niemals  ermitteln,  da  die  tradition  unterbrochen  ist, 
die  vielleicht  nur  in  Indien  bis  auf  die  gegenwart  sich  fortgeerbt  hat,  wo  noch 
heute  in  den  Brahmanenschulen  die  lieder  des  Veda  nach  gewiss  uralter  melodie 
gesungen  werden.  Die  kunst,  die  menschliche  stimme  und  die  musikalischen 
töne  auf  die  platte  des  grammophons  zu  bannen  und  von  neuem  erklingen  zu 
lassen,  ist  eben  leider  2000  jähre  zu  spät  erfunden ;  unsere  handschriften  aber  sind 
stumm  und  keine  zaubermacht  wird  dazu  imstande  sein,  der  toten  vQlva  den  mund 
zum  reden  zu  öffnen. 

Die  neueste  phase  in  der  wissenschaftlichen  forschung  von  Ed.  Sievers,  die 
seine  wahren  freunde  mit  trauer,  die  neider  und  gegner  mit  Schadenfreude  ver- 
folgen, erinnert  in  ihrer  tragik  an  die  sage  von  dem  bildhauer,  der  in  einer 
schwarzen  stunde  seiü  eigenes  meisterwerk  zertrümmerte.  Glücklicherweise  ist  die 
typentheorie  auf  solider  philologischer  grundlage  so  sicher  fundiert  und  verankert, 
dass  sie  den  vandalischen  hammerschlägen,  die  der  begründer  selbst  gegen  sie 
richtet,  trotz  bieten  wird.  S  i  e  wird  bestehen,  während  die  schallanalyse,  die 
übrigens,  wie  es  scheint,  noch  verschiedene  häutungen  durchzumachen  hat*,  ihren 
«rfinder  und  herold  schwerlich  lange  überleben  wird. 

Irren  ist  menschlich.  Auch  grosse  gelehrte  haben  sich  mitunter  gehörig  ver- 
hauen. Wer  glaubt  heute  noch  an  die  von  Jacob  Grimm  behauptete  Identität 
<ier  Goten  und  Geten  und  wer  schüttelt  nicht  heute  den  köpf  über  Karl  Lach- 
manns wunderliche  heptadenschruUe?  Trotzdem  bleiben  die  beiden  männer  die 
grossen  heroen  unserer  Wissenschaft,  zu  denen  wir  mit  Verehrung  emporschauen. 
Und  auch  Sievers'  rühm  wird  nicht  geschmälert,  wenn  auch  'aus  seinem  dichten 
und  vollen  ehrenkranze  ein  paar  blätter  abfallen'. 

Und  damit  wäre  ich  für  diesmal  fertig,  obwohl  ich  noch  allerlei  auf  dem 
herzen  hätte.  Wenn  es  aber  Sievers  gefallen  sollte,  den  mir  angekündigten  'kämpf 
weiter  fortzusetzen,  wird  meine  klinge  —  trotz  meiner  77  jähre  —  stets  bereit  sein, 
der  seinigeu  zu  begegnen  —  ich  habe  ja  das  glück,  in  dem  Sievers  der  80ger  und 
90ger  jähre  einen  vortrefflichen  Sekundanten  zu  besitzen.  Möge  dann  die  unpar- 
teiische nachweit  entscheiden,  wer  die  abfuhr  davongetragen  hat. 

1)  Neuerdings  (Ziele  und  wege  s.  107)  wird  schon  zugegeben,  dass  der  mensch 
nicht  wie  ein  starmatz  immer  dieselbe  melodie  pfeift,  sondern  öfter  über  mehrere 
stimmarten  verfügt,  die  er  nicht  nur  durch  Vererbung  von  vater  oder  mutter 
—  warum  nicht  auch  vom  onkel:  modurbrceönim  verda  menn  likastir?  —  über- 
kommen hat,  sondern  durch  'anpassung'  an  fremde  personen  noch  weiter  vermehren 
kann.  Wie  man  unter  diesen  umständen  die  schallanalyse  noch  als  ein  wichtiges 
hilfsmittel  für  die  textkritik  bezeichnen  und  allen  ernstes  noch  behaupten  kann, 
durch  sie  Interpolationen  zweifellos  ermitteln  zu  können,  ist  unbegreiflich. 

KIEL.  HUGO    GEIUXG. 


332  NACHRK'HTKN 

NACHRICHTEN. 

Am  5.  Oktober  1928  verstarb  zu  Kopenhagen  der  ord.  professor  an  der  dortigen 
Universität  dr.  Hermann  Möller  (geb.  13.  juni  1850  zu  Jerpsted  in  Schleswig); 
am  28.  Oktober  der  ord.  professor  an  der  Universität  Marburg  dr.  Friedrich  Vogt 
(geb.  11.  märz  1851  zu  Greifswald);  am  15.  november  der  ord.  professor  an  der 
Universität  Utrecht  dr.  Joh.  Jos.  Aloys  Arnold  Frantzen;  am  10.  febr.  1924 
der  als  literarhistoriker  und  altertumsforscher  hochverdiente  direktor  des  isländischen 
landesarchivs  dr.  Jon  i'orkelsson  in  Reykjavik  (geb.  16.  april  1859  zu  Äsar  im 
südl.  Island);  am  1.  april  der  gelehrte  herausgeber  der  schwedischen  runendenk- 
mäler,  lektor  dr.  Erik  Brate  in  Stockholm  (geb.  13.  juni  1857  im  kirchspiel  Nor- 
berg,  Västmanland);  am  17.  april  der  gymnasialprofessor  dr.  Paul  P  i  p  e r  in  Altena 
(geb.  14.  märz  1844  zu  Spremberg);  am  29.  mai  der  ord.  professor  an  der  Universität 
Leipzig  dr.  Albert  Koste r  (geb.  7.  november  1862  zu  Hamburg);  am  30.  mai  der 
sorgfältige  sammler  und  herausgeber  des  altschwedischen  Sprachschatzes  prof.  dr. 
Knut  Fredrik  SöderwaU  in  Lund  (geb.  am  1.  Januar  1842  zu  Dräogsered  in 
Mailands  län).  In  Möller,  Vogt  und  Piper  betrauert  die  Zeitschrift  hochgeschätzte 
mitarbeiter. 

In  den  ruhestand  traten:  professor  dr.  Franz  Jostes  in  Münster  (ersetzt 
durch  professor  dr.  Arthur  H  ü  b  n  e  r  -  Berlin) ;  professor  dr.  G  u  s  t  a  v  Ehrismann 
in  Greifswald  (ersetzt  durch  prof.  dr.  Wolf  gang  S  t  a  m  m  1  e  r  -  Hannover),  prof. 
dr.  Eduard  Sievers  in  Leipzig  (ersetzt  durch  professor  dr.  Friedrich  Neu- 
mann ebenda),  professor  dr.  Barend  Sijmons  in  Groningen  (ersetzt  durch  prof. 
dr.  J.  M.  N.  Kaptijn -Leiden)  und  professor  dr.  Max  Koch  in  Breslau  (ersetzt 
durch  prof.  dr.  Eud.  Unger- Königsberg). 

Der  ord.  professor  dr.  Dietrich  Kralik  von  Meierswaiden  in  Würz- 
burg, der  erst  kürzlich  von  Wien  dorthin  übergesiedelt  war,  wurde  nach  Wien 
zurückberufen.  Berufen  wurden  ferner:  der  ao.  professor  dr.  H.  A.  Korff  (Frankfurt) 
als  ord.  professor  der  neueren  deutschen  literaturgeschichte  nach  Giessen,  der  privat- 
dozent  dr.  Theodor  Baader  (Münster)  als  professor  der  deutschen  philologie 
an  die  neubegründete  katholische  Universität  in  Nymwegen  und  ebendahin  als  pro- 
fessor der  neueren  deutschen  literaturgeschichte  professor  dr.  Wilhelm  Kosch 
(Freiburg  in  der  Schweiz).  Professor  dr.  Gustav  Binz  (bisher  in  Bern)  wurde 
zum  direktor  der  universitäts-bibliothek  in  Basel  ernannt  und  erhielt  daselbst  titel 
und  rechte  eines  ord.  professors  mit  dem  lehrauftrage  für  englische  philologie  und 
bibliothekwesen.  Den  durch  den  tod  von  prof.  J.  J.  A.  A.  Frantzen  erledigten 
lebrstuhl  in  Utrecht  erhielt  professor  dr.  A.  G.  van  Hamel. 

Der  ao.  professor  dr.  Robert  Petsch  in  Hamburg  wurde  zum  Ordinarius  be- 
fördert, der  privatdozent  professor  dr.  Julius  Schwietering  ebendaselbst  zum 
direktor  des  kunstgewerbemuseums  und  des  Focke-museums  in  Bremen  ernannt. 
Die  privatdozenten  dr.  Wilh.  Flemming  in  Rostock,  dr.  Helmut  de 
Boor  in  Greifswald,  dr.  Karl  Wesle  in  Jena,  dr.  Josef  Wihan  an  der  deut- 
schen Universität  Prag  und  dr.  E.  Castle  in  Wien  wurden  zu  ao.  professoren 
ernannt;  den  privatdozenten  an  der  Universität  Hamburg  dr.  Heinrich  Meyer- 
Ben  fey  und  dr.  Agathe  Lasch  wurde  die  am tsbezeichnung 'professor' verliehen. 
Habiliert  haben  sich:  dr.  Luise  Berthold  in  Marburg  für  deutsche  philo- 
logie und  dr.  Emil  Schwarz  in  Prag  (deutsche  Universität)  für  deutsche  philologie 
und  Volkskunde. 


SKVF,   KRRrHRrNUN(;EN  333 

Professor  dr.  G  u  s  t  a  v  E  li  r  i  s  m  a  n  n  (Greifswaldj  wurde  zum  korrespon- 
dierenden mitgliede  der  Berliner  akademie  ernannt,  professor  dr.  Gustav  Roethe 
(Berlin)  zum  ehrenmitgliede  der  finnischen  Gesellschaft  der  Wissenschaften  (societas 
scientiaruni  fennica). 


NEUE  ERSCHEINUNGEN. 

Die  redaktion  iet  bemüht,  für  alle  zur  besprechung  geeigneten  werke  aue  dem  gebiete  der  german. 

Philologie  sachkundige  referenten  zu  gewinnen,  übernimmt  jedoch   keine  Verpflichtung,   unverlangt 

eingesendete    bücher    zu    rezensieren.     Eine   zurückliefer  «ng    der    r  e  z  en  s  i  o  n  g  -  e  x  e  m- 

plare    an    die   herren    Verleger    findet   unter   keinen   umständen  statt. 

Alpers,  Paul,  Die  alten  niederdeutschen  Volkslieder,  gesammelt  und  mit  anmer- 
kungen  herausgegeben.     Hamburg,  Quickbornverlag  192^.    260  s.  3,50  m. 

Aiuadis.  -  Mulert,  Werner,  Studien  zu  den  letzten  büchern  des  Amadisromans. 
[Romanistische  arbeiten,  hrg.  von  Karl  Voretzsch  XI.]  Halle,  Niemeyr  1928. 
X,  114  s.     Grundpreis  8  m. 

Angelus  Sileslus  sämtliche  poetische  werke  und  eine  auswahl  aus  seinen  Streit- 
schriften, mit  einem  lebensbilde,  hrg.  von  Georg  Ellinger.  2  bände.  Berlia 
0.  j.  (1924),  Propyläenverlag.     CCVH,  265  u.  467  s.  geb. 

Andler,  Charles.  —  Melanges  ofFerts  ä  M.  Ch.  Andler  par  ses  amis  et  ses  eleves. 
[Publications  de  la  faculte  des  lettres  de  l'universite  de  Strasbourg.  21.]  Strass- 
bürg,  Libr.  Istra  1924.     (XH),  446  s.  25  frcs. 

Inhalt:  F.  Bälde nsperger,  Joseph  Görres  .sous  l'oeil  du  gurt.  —  C.  A. 
Bernoulli,  Nietzsches  Intellektualismus.  —  F.  Bertaux,  L'Allemagne  de 
Guillaume  II  jugee  en  1889  par  un  AUemand.  —  G.  Bianquis,  Goethe  et  Bettina 
d'apres  leur  correspondence  authentique.  —  L.  Brun,  Rolf  Lauckner  poete  et 
theoricien  de  la  nostalgie.  —  M.  Cahen,  L'adjectif  'divin'  en  germanique.  — 
A.  ,Ooeuroy,  Petites  notes  sur  les  touches  musicales  de  l'impressionisme  et 
du  symbolisme  allemands.  —  P.  Doli  et  P.  Doyen,  Les  theme.s  lyriques  de 
Mörike.  —  J.  Dresch,  Du  nouveau  sur  Börne.  —  A.  Duraffour,  Les  consi- 
derations  de  Montesquieu  dans  leurs  rapports  avec  Bossuet  et  Polybe.  — 
A.  Faueonnet,  Simples  remarques  sur  l'enseignement  de  la  phonetique  alle- 
mande.  —  J.  Giraudoux,  Siegfried  et  le  Limousin.  -  A.  Jolivet,  La 
Winterballade  de  Gerh.  Hauptmann  et  Herr  Arnes  penningar  de  Selma  Lagerlöf. 

—  G.  Lanson,  Notes  pour  servir  ä  l'etude  des  chapitres  35-39  du  Siecle 
de  Louis  XIV  de  Voltaire.  -  E.  H.  L  e  v  y ,  Langue  des  hommes  et  lanque  des 
femmes  en  judeo-allemand.  -A.  Levy-See,  La  force  et  le  droit  d'apres  Ferd. 
Lassalle.  -  H.  Lichtenberger,  Nietzsche  et  la  'Crise  de  l'histoire'.  - 
M.  Mauss,  Gift,  gift.  -  A.  Meillet,  Ä  propos  du  verbe  wec/en  et  des  sub- 
stantifs  ira(/en,  weg  en  allemand.  -  E.  Metzger,  La  mutilation  des  morts. 
Contribution  ä  l'etude  des  croyances  et  rites  funeraires  des  Germains.  — 
G.  Pariset,  Babouvisme  et  ma?onnerie.  —  R.  Pitrou,  Cpincidences  entre 
Th.  Storm  et  P.  Loti.  -  J.  Poirot,   Sur  l'articulation  des  nasales  islandaises. 

-  G.  Raphael,  Les  Shakespearestudien  d'Otto  Ludwig  et  le  Shakespeare  de 
Gervinus.  —  J.  Rouge,  Lessing  et  la  philosophie  du  sentiment.  -  A.  Thomas, 
Quelques  notes  sur  Robert  Owen  et  la  legislation  internationale  du  travail.  — 
A.    Tibal,    L'influence    allemande    en    France    an    temps    du    lomantisme.   — 


y34  NKUE    ERSCHEINUNGEN 

E.  Tonnelat,  Le  roi  Orendel  et  la  tunique  sans  couture  du  Christ.  — 
H.  Tronchon,  Une  concnrrence  k  la  philosophie  de  l'histoire  en  France:  La 
Philosophie  du  droit.  —  J.  Vendryes,  A  propos  de  la  racine  germanique 
* fmd- ^aMumer,  brüler'.  —  E.  Verraeil,  Eeforme  Lutherienne  et  civilisation 
allemande.  —  A.  Vulliod,  Le  probleme  du  mal  dans  IVeuvre  dramatique  de 
Gerh.  Hauptmann.  —  E.  Zyromski,  La  methode  poetique  d'Alfred  de  Vigny. 
ßehaghcl,  Otto,  Deutsche  syntax.  Eine  geschichtliche  darstellung.  Band  IL  Die 
Wortklassen  und  wortformen.  B.  Adverbiuni.  C.  Verbum.  [German.  bibliothek 
hrg.  von  W.  Streitberg.  I,  10.]  Heidelberg  Winter  1924.  XIT,  444  s. 
10  goldm. 

lilöndiil,  Sigfüs,  Islandsk-dansk  ordbog.  (Hovedmedarbejdere:  Björg  t*.  Bio  n  dal, 
.Jon  Ofeigsson,  Holger  Wiehe.)  2.  halvbind,  1.  hsefte.  Leggja— skessa. 
Reykjavik,  Kebenhavn  og  Kristiania,     s.  481-720.     1922-23  gr.  4. 

Briiiihild-sage.  —  Löwis  of  Menar,  August,  Die  Brünhildsage  in  Russland. 
[Pala-stra  142.]     Leipzig,  Mayer  &  Müller  1923.     110  s. 

Cysarz,  Herbert,  Deutsche  barockdichtung.  Renaissance,  barock,  rokoko.  Leipzig, 
H.  Haessel  1924.  (VIII),  812  s.  geb. 

van  Dam,  Jan,  Zur  Vorgeschichte  des  höfischen  epos :  Lamprecht,  Eilhart,  Veldeke. 
[Rhein,  beitrage  und  hilfsbücher  zur  german.  philol.  und  volksk.,  hrg.  von 
'Jh.  Frings,  R.  Meissner  und  J.  Müller.  VIIL]  Bonn  und  Leipzig, 
Kurt  Schröder  1923.     XV,  132  s. 

Eccius  dedolatus.  —  Merk  er,  Paul,  Der  Verfasser  des  Eccius  dedolatus  und 
anderer  reformationsdialoge.  Mit  einem  beitrag  zur  verfasserfrage  der  Epistolae 
obscurorum  virorum.  [Sächsische  forschungsinstitute  in  Leipzig.  Forschungs- 
institut für  neuere  philologie.  IL  Neugermanistische  ableitung  unter  leitung 
von  Albert  Koste r.  Heft  L]  Halle,  Niemeyer  1923.  XIII,  314  s.  Grund- 
preis 10  m. 

Edda  (S*muiidar).  —  Hä v am äl  tolket  af  Finnur  Jönsson.  Kobenhavn,  G.  E.  C.  Gad 
1924.     170  s. 

Edda  Snorra  Sturlusonas.  Codex  Wormianus  (AM.  242  fol.)  udg.  af  kommissionen 
for  det  Arnamagnfeanske  legat  [ved  Finnur  Jönsson].  Kobenhavn  og 
Kristiania,  Gyldendal  1924.     IX,  122  s. 

Feist,  Sigmund,  Etymologisches  Wörterbuch  der  gotischen  spräche  mit  einschluss 
des  krimgotischen  und  sonstiger  gotischer  sprachreste.  2.  neubearbeitete  auf- 
läge.    Halle,  Niemeyer  1923.     XV,  448  s. 

Fiscliart.  —  Boss,  Hugo,  Fischarts  bearbeitung  lateinischer  quellen.  I.  Fischarts 
Onomastica  und  seine  quellen.  II.  Fischarts  Übersetzung  von  Wolfgang  Lazius' 
De  gentium  migrationibus.  [Prager  deutsche  Studien,  hrg.  von  E.  Gier  ach, 
A.  Hauffen  und  A.  Sauer.  28.]  Reichenberg  i.  B.,  Sudetendeutscher  verlag 
(Franz  Krauss)  1923.  (IV),  25  s. 

Föstbropöra  saga.  —  Die  Schwurbrüder.  Übertragen  und  mit  einer  einführung 
hrg.  von  Walter  Baetke.  [Bauern  und  beiden.  Geschichten  aus  Alt-Island. 
IL]     Hamburg,  Hanseat.  Verlagsanstalt  1924.     144  s.,  1  karte  und  4  abbild. 

Fowler,  F.  G.  &  H.  W.,  The  pocket  Oxford  dictionary  of  current  English.  Oxford, 
Clarendon  press  1924.     XVI,  1000  s.  geb. 

Friiiicke,  Kiiuo,  Die  kulturwerte  der  deutschen  literatur  in  ihrer  geschichtlichen 
entwicklung.     2.  band:   Die  kulturwerte  der  deutschen  literatur  von  der  refor- 


NEUE   ERSCHEINUNGEN  335 

mation  bis  zur  anfklärung.  Berlin,  Weidmann  1923.  XIV,  688  s.  geb.  Grund- 
preis 9  m. 

Gemoll,  Wilhelm,  Das  apophthegma.  Literaturhistorische  Studien.  Wien  und 
Leipzig,  Höider-Pichler-Tempsky  a.  g. ;  G.  Freytag,  g.  m.  b.  h.  1924.  VIII, 
178  s.  5,60  m. 

Gepp,  Edward,  An  Essex  dialect  dictionary.  2.  ed.  London,  George  Eoutledge  &  sons 
1923.     (VI),  198  8.  geb.  10  sh.  6  d. 

Goethe.  —  Reinsch,  Frank  H.^  Goethes  political  interests  prior  to  1787.  [Univ. 
of  California  publications  in  modern  philol.  X,  3.]  Univ.  of  Calif.  press,  Ber- 
keley 1923.     (II),  95  s. 

—  Seh  regle,  Hans,  Goethes  Gottfried  von  Berlichingen.    [Handbücherei  für  den 

deutschen  Unterricht,  hrg.  von  Franz  Saran.  I.  reihe.  Deutschkunde.  IV.] 
Halle,  Niemeyer  1923.     (IV),  168  s.     Grundpreis  2  m. 

—  Seuffert,  Beruh.,  Goethes  theaterroman.    Festtagsgruss  an  Konrad  Zwierzina. 

Graz,  Wien,  Leipzig,  Leuschner  und  Lubensky  1924.     44  s. 

Gottfried  von  Strassburg.  —  Wolff,  Ludwig,  Der  Gottfried  von  Strassburg 
zugeschriebene  Marienpreis  und  Lobgesang  auf  Christus.  [Jenaer  germanist. 
forschungen,  herausgegeben  von  A.  Leitzmann.  4.]  Jena,  Frommannsche  buch- 
handlung  (Walter  Biedermann)  1924.     (VI),  136  s. 

Grimm,  Brüder.    —    Briefe   der   brüder   Grimm,  gesammelt  von  Hans  Gürtler, 
nach   dessen   tode  hrg.  und   erläutert  von  Albert   Leitzmann.     Mit  2  ab- 
bililungen  und  2  facsim.     [Jenaer  germanist.  forschungen,  hrg.  von  A.  Leitz- 
mann. 1.]     Jena,  Frommannsche  buchh.   (W.   Biedermann)   1923.     XII,  320  s.  ■ 
Grundpreis  8  m. 

Haller,  Albrecht  von,  Gedichte.  Kritisch  durchgesehene  ausgäbe  nebst  einer 
abhandlung  'Haller  als  dichter'  von  Harry  Maync,  [Die  Schweiz  im  deutschen 
geistesleben.  23  u.  24.]  Leipzig,  H  Hiessel  1923.  Kl.  8.  235  s.  gebunden. 
Grundpreis  5,40  m. 

Hamel,  A.  G.  ran,  Gotisch  handboek.  [Oudgermaansche  handboeken  onder  redactie 
van  R.  C.  Boer,  J.  J.  A.  A.  Frantzen,  J.  te  Winkel.  III.]  Haarlem, 
H.  D.  Tjeenk  Willink  &  zoon  1923.     XV,  259  s.  und  1  facsim.  geb. 

Hebbel.  —  Fr.  Hebbels  persönlichkeit.  Gespräche,  urteile,  erinnerungen,  ge- 
sammelt und  erläutert  von  Paul  Bornstein.  2  bände.  Berlin,  Propyläen- 
verlag 1924.     XXXVIII,  630  und  (VIII),  570  s.  geb. 

—  Schnyder,  Walter,  Hebbel  und  Rötscher  unter  besonderer  berücksichtigung 

der  beiderseitigen  beziehungen  zu  Hegel.  [Hebbel-forschungen  begründet  von 
R.M.Werner.    10.]    Berlin  u.  Leipzig,  B.  Behr  1923.    158  s.  Grundpreis  3  m. 

Hoffmann-Krayer,  E.,  Volkskundliche  bibliographie  für  das  jähr  1920.  Im  auf- 
trage des  Verbandes  deutscher  vereine  für  Volkskunde  herausgegeben.  Berlin 
und  Leipzig,  W.  de  Gruyter  &  co.     1924.     XVIII,  212  s.  6  m. 

Hölderlin.  —  Montgomery,  Marshall,  Friedr.  Hölderlin  and  the  German 
neo-hellenic  movement.  Part  I.  From  the  Renaissance  to  the  Thalia-fragment 
of  Hölderlins  Hyperion  (17.  4).   Oxford  univ.  press.  1923.    VIII,  232  s.  10  sh.  6  d. 

Howie,  Margaret  D.,  Studies  in  the  use  of  exempla.  I.  The  use  of  exempla  in 
middle  high  german  literature.  IL  The  legend  of  the  virgin  as  knight.  London, 
University-press  1923.     130  s.  5  sh. 

Jespersen,  Otto,  The  philosophy  of  grammar.  London,  G.  Allen  &  Unwin  (New- 
^         York,  Henry  Holt  and  comp.)  1924.     359  s.  geb.  12  sh.  6  d. 

ZEITSCHRIFT  F.  DEUTSCHE  PHILOL.OGIE.    BD.  L.  23 


336  NEUE   ERSCHEINUNGEN 

JolianuessoD)  Alexander,  Grammatik  der  uruordischen  runeninschriften.  [German. 
bibl.,  hrg.  von  W.  Streitberg  I,  11.]    Heidelberg,  Winter  1923.    VIII,  136  8. 

Jönsson  Finnur,  Den  oldnorske  og  oldislandske  litteraturs  historie.  Anden  ud- 
gave.  Kobenhavn,  G.  E.  C.  Gad  1920-24.  3  bände.  (VIII),  635;  (VIII), 
994;  (VIII),  147  s. 

Keller,  Gottfried.  —  Maync,  Harry,  Gottfr.  Keller,  sein  leben  und  seine  werke.  Ein 
abriss.  [Die  Schweiz  im  deutschen  geistesleben.  20.]  Leipzig,  H.  Haessel 
1923.     90  s.  kl.  8.  geb.  Grundpreis  -^70  m. 

Kock,  Axel,  Svenak  Ijudhistoria.  Femte  delen,  förra  hälften.  Lund,  C.  W.  K.  Gleerup 
(Leipzig,  0.  Harrassowitz)  1923.     (II),  234  s.  4,50  kr. 

Kock,  Ernst  A.,  Notationes  norroenae.  Anteckningar  tili  Edda  och  skaldediktning. 
I-IIL  [Lunds  univ.  ärsskrift,  n.  f.  Avd.  1.  bd.  19  nr.  2.  8;  bd.  20  nr.  1.] 
Lund,  Gleerup  (Leipzig,  0.  Harrassowitz)  1923-24.  (IV),  107;  (11),  68;  (II), 
126  s.  8,75  kr.. 

Konrad  von  Heluisdorf,  Der  spiegel  des  menschlichen  heils,  aus  der  St.  Gallener 
hs.,  hrg.  von  Axel  Lindqvist.  [Deutsche  texte  des  mittelalters.  XXXI.] 
Berlin,  Weidmann  1924.     XXVIII,  118  s.  u.  1  facsim.  9  m. 

Konrad  von  Würzburg,  Kleinere  dichtungen  hrg.  von  Ed  w.  Schrö  der.  I.  Der 
weit  lohn.  Das  herzmaere.  Heinrich  von  Kempten.  Berlin,  Weidmann  1924. 
XXIV,  72  s. 

Krohn,  Kaarle,  Skandinavisk  mytologi.   Helsingfors,  Holger  Schildt  1922.  VIII,  229  s. 

Luther.  —  Schullerus,  Adolf,  Luthers  spräche  in  Siebenbürgen.  Forschungen 
zur  siebenbürgischen  geistes-  und  Sprachgeschichte  im  Zeitalter  der  reformation. 
1.  hälfte.     Hermannstadt,  komm.-verlag  W.  Krafft  1923.     '<^96  s. 

Manuel  Mklaus,  Die  totenfresser  (1523).  Zum  erstenmal  nach  der  einzigen  alten 
handschrift,  hrg.  und  eingeleitet  vou  Ferdinand  Vetter.  [Die  Schweiz  im 
deutschen  geistesleben.  16.]  Leipzig,  H.  Haessel  1923,  kl.  8.  89  s.  u.  1  portr. 
geb.  Grundpreis  2,70  m. 

Mitteilungen  der  schlesischen  gesellschaft  für  Volkskunde,  hrg.  von  Th.  Siebs. 
XXIV.  Breslau,  Marcus  1923.     IV,  160  s. 

Inhalt:  W.  Kroll,  Der  geistige  niedergang  der  altertums.  —  E.  Korne- 
mann,  Die  geschwisterehe  im  altertum.  —  H.  Wocke,  Beiträge  zum  Wörter- 
buch der  Soldatensprache.  —  H.  Heckel,  Zur  schlesischen  literaturgeschichts- 
schreibung.  —  B.  May  dorn,  Proben  zu  einem  Günther  wörterbuche.  — 
J.  Klapper,  Mittelalterliche  Wandererzählungen  in  Oberschlesien.  —  F.  Rotter, 
Zur  kenntnis  deutscher  flur-  und  Ortsnamen  —  K.  Roth  er.  Die  flurnamen  im 
gebiete  des  klosters  Cameuz.  —  G.  Schoppe,  Beiträge  zum  schlesischen 
Wörterbuch.  —  W.  Schremmer,  Vom  weberaufstand  im  Eulengebirge.  — 
Derselbe,  Das  erntekranzlied.  —  Fr.  Graebisch,  Sang  und  lust  im  Glatzer 
dorf  zu  grossvaters  zeiten.  —  Fr.  Rotter,  W^ermsdorfer  adventspiel.  —  Lite- 
ratur. —  Mitteilungen. 

Mogk,  Eugen,  Novellistische  darstellung  mythologischer  stoffe  Snorris  und  seiner 
schule.'    [FF  Communications  XV  nr.  51.]     Helsingfors  1923.     33  s. 

Müller,  Josef,  Rheinisches  Wörterbuch,  im  auftrag  der  preuss.  akad.  d.  wiss.,  der 
gesellsch.  f.  rhein.  geschichtskunde  und  des  provinzialverbandes  der  Rhein- 
provinz auf  grund  der  von  J.  Franck  begonnenen,  von  allen  kreisen  des  rhein. 
Volkes  unterstützten  Sammlung  herausgegeben.  1.  band,  1.  lieferung.  A— als. 
Bonn  und  Leipzig,  K.  Schröder  1923.     VI  s.  u.  128  sp.  gr.  8. 


NEUE   ERSCHKINUNGKN  337 

Neidharts   lieder,   hrg.  von   Moriz   Haupt.     2.  aufl.,   neu  bearb.  von  Edmund 

Wies  sn  er.     Leipzig,  Hirzel  1923.    LXXIX,  365  s.  8  m. 
Nibelungenlied.  —  Bälint  Höman,  Geschichtliches  im  Nibelungenlied.     [Ungar. 

bibliothek  I,  9.]    Berlin  und  Leipzig,  W.  de  Gruyter  &  co.  1924.    48  s.  1,50  m. 
Noreen,   Adolf,  Värt   spräk.  Nysvensk   grammatik  i  utförlig  framställning.     IX,  1. 

Lund,  Gleerup  1^23.     88  s.  3,25  kr. 

—  Ältisländische    und    altnorwegische    grammatik    (laut-   und   flexionslehre)    unter 

berücksichtigung  des  urnordischen.    4.  vollständig  umgearbeitete  aufläge.    Halle, 

Niemeyer  1923.     XVI,  466  s.     Grundpreis  10  m. 
Ordbok  over  det  danske  sprog  grundlagt  af  Verner  Dahlerup  med  understöttelsc 

af  undervisningsministeriet   og   Carlsbergfondet  udg.  af  det  Danske  sprog-  og 

litteraturselskab.  6.  bind,  fri— gramvsegt.  Kobenh.,  Gyldendal  1924.  II  s.  u.  1248  sp. 
Otfrid.  —  Jellinek,   M.  H.,   Otfrids   grammatische   und  metrische   bemerkungen. 

[Sonderdruck   aus   der   festschrift  für   Konr.  Zwierzina.]     Graz,  Wien,  Leipzig, 

Leuschner  u,  Lubensky  1924.    16  s. 
Poestion,   J.    C,   Lehrbuch   der  schwedischen   spräche.     4.  aufl.     Wien,  A.  Hart- 
leben 0.  j.  XII,  188  s.  geb.  2  m. 
Bebui,  Walther,  Das  werden  des  renaissancebildes  in  der  deutschen  dichtung  vom 

rationalismus  bis  zum  realismus.    München,  C.  H.  Beck  19^4.    (VIII),  192  s.  5  m. 
Eoderich-sage.  —  Krappe,   Alex.  Haggerty,   The  legend   of  Rodrick  last  of 

the  Visigoth  kings  and  the  Ermanarich  cycle.    Heidelberg,  Winter  1923.   64  s. 

Grundpreis  2  m. 
ßnnen.  —  Östergötlands    runinskrifter    granskade    och    tolkade    av    Erik    Brate. 

3je  haftet.     Stockholm,  Wahlström  &  Widstrand  1918.    S.  I-XXXIV,  185-268, 

taf.  LXVII-XCI  u.  1  karte.  4".  12  kr. 

—  Södermanlands   runinskrifter   granskade   och   tolkade  av  Erik  Brate.     Utgivna 

med  anslag  av  Bergerska  fonden.    Första  haftet.  Stockholm,  Wahlström  &  Wid- 
strand 1924.    4».  136  s.  und  77  taff.  25  kr. 

—  Friesen,  0.  v.,  Röstenen  i  Bohuslän  och  runorna  i  norden  under  folkvandrings- 

tiden.     [üppsala  univ.   ärsskr.  1924.  4.]     Uppsala,   Lundekvistska   bokhandeln 

1924.     165  8.,  2  taf.  u.  2  karten.    6  kr. 
Rnodlieb.  -  Singer,   S.,   Ruodlieb.      [Sonderdruck   aus   der  festschrift  für  Konr. 

Zwierzina.]     Graz  1924.  23  s. 
Kutgers,  H.  W.,  Märchen  und   sage.     Bemerkungen   über   ihr  gegenseitiges   Ver- 
hältnis,  mit  besonderer   rücksicht   auf  die   Sigfridsagen.     Groningen  u.  Haag, 

J.  B.  Wolters  1923.    (IV),  91  s. 
Sachs,  Hans.  -Herrmann,  Max,  Die  bühne  des  Hans  Sachs.     Ein  offener  brief 

an  Albert  Köster.     Berlin,  Weidmann  1923.     92  s.     Grundpreis  2  m. 
Schlegel  (Gebrüder).  —  Körner,  Josef,  Romantiker  und  klassiker.    Diebrüder 

Schlegel  in  ihren  beziehungen   zu   Schiller  und   Goethe.     Berlin,   Askanischer 

Verlag  1924.    239  s.  geb. 
Schmidt,   Erich,    Richardson,   Rousseau   und  Goethe.     Ein   beitrag  zur  geschichte 

des   romans   im   18.  Jahrhundert.     Obraldruck    der   ausgäbe   von   1875.     Jena, 

Frommann  1924.     VIII,  331  s.  u.  1  portr.  geb.  7,50  m. 
Schwarz,    Ernst,    Zur    namenforschung  und   Siedlungsgeschichte   in   den  Sudeten- 

ländei-n.    [Prager  deutsche  Studien.     30.]    Reichenberg  i.  B.,  Franz  Kraus  1923. 

(VI),  123  s. 
Seiler,   Friedr.,   Die   entwicklung   der   deutschen  kultur  im  spiegel  des  deutschen 

23* 


338  NEUE   ERSCHEINUNGEN 

lehnworts.    III.  Das  lehnwort  der  neueren  zeit.    1.  abschnitt.    2.  aufläge.  Halle, 
Waisenhaus  1924.     XII,  862  s.  8  m. 

—  —  VIII.    Das  deutsche  lehnsprichwort.    4.  teil:  Das  deutsche  sagwort  und  anderes. 

Halle,  Waisenhaus  1924.     (VI),  176  s.  4  m. 

Singer,  Samuel,  Die  dichterschule  von  St.  Gallen.  Mit  einem  beitrag  von  Peter 
Wagner:  St.  Gallen  in  der  musikgeschichte.  [Die  Schweiz  im  deutschen 
geistesleben.    8.]    Leipzig,  H.  Haessel  1922.    kl.  8.    96  s.  geb.  Grundpr.  2,70  m. 

Sperber,  Hans,  Einführung  in  die  bedeutuugslehre.    Bonn  u.  Leipzig,  Kurt  Schröder 

1923.  IV,  96  s. 

Stammler,  Wolfgang.  Deutsche  literatur  vom  naturalismus  bis  zur  gegenwart, 
[Jedermanns  bücherei.]     Breslau,  Ferd.  Hirt  1924.     141  s.  geb.  2,60  m. 

Tauler,  Johann,  Predigten.  In  auswahl  übertragen  und  eingeleitet  von  Leopold 
Naumann.     Leipzig,  Inselverlag  1923.     262  s.  geh. 

—  Sermons  de  J.  Tauler  et  autres  ecrits  mystiques.    I.  Le  codex  Vindobonensis  2744 

edite  pour  la  premiere  fois  .  .  .  par  A.  L.  Cor  in.  [Bibliotheque  de  la  faculte 
de  Philosophie  et  lettres  de  l'universite  de  Liege,  fasc,  XXXIII. ]  Liege,  Imp. 
•H.  Vaillant-Carmanne :  Paris,  Ed.  Champion  1924.     (XI),     XXXI,  328  s. 

Terner,  Erik,  Studier  över  räkneordet  en  och  dess  sekundära  användningar,  förnämli- 
gast  i  nysvenskan.  Uppsala,  Akademiska  bokhandeln  i  distr.  1922.  VIII,  234  s.  8  kr. 

Tristansage.  —  Kelemina,  Jakob,  Geschichte  der  Tristansage  nach  den  dich- 
tungen  des  mittelalters.     Wien,  Ed.  Hölzel  1923.     XV,  232  s. 

Victor,  Karl,  Geschichte  der  deutschen  ode.  [Geschichte  der  deutschen  literatur  nach 
gattungen.  Mit  Unterstützung  von  Hans  Naumann  und  Franz  Schultz 
hrg.  von  Karl  Vietor.    L]    München,  Drei  maskenverlag  1923.  (VIII),  198  s. 

Viga-Ghims  saga.  —  Glum  der  totschläger.  Übertragen  und  mit  einer  einführung 
hrg.  von  Walter  Baetke.  [Bauern  und  beiden.  Geschichten  aus  Alt-Island.  L] 
Hamburg,  Hanseat.  Verlagsanstalt  1923.     118  s.,  1  karte  und  6  abbild. 

Von  deutscher  art  und  kunst.    Ed.  by  Edna  Purdie.     Oxford,  Clarendon  press 

1924.  196  s.  geb.  5  sh. 

Walther  von  der  Vogelweide.  —  Kraus,  C.  v.,  Zu  Walthers  elegie.  [Sonder- 
druck aus  der  festschrift  für  Konr.  Zwierzina.]  Graz,  Wien,  Leipzig,  Leuschner 
und  Lubensky  1924.     13  s. 

Wieland.  —  Ermatinger,  Emil,  Wieland  und  die  Schweiz.  Leipzig,  H.  Haessel 
1924.     110  s.  kl.  8»  geb. 

Witkowsky,  Georg,  Textkritik  und  editionstechnik  neuerer  Schriftwerke.  Ein 
methodologischer  versuch.     Leipzig,  H.  Haessel  1924.     (VIII),  169  s.  5  m. 

Wolfram  von  Eschenbach.  —  Gahmuret  Anschevin.  A  contribution  to  the  study 
of  W.  V.  E.  by  Margaret  F.  Richey.    Oxford,  B.  Blackwell  1923.    (VI),  96  s. 

Wunderlich,  Hermann  und  Reis,  Hans,  Der  deutsche  satzbau.  3.  vollständig 
umgearbeitete  aufläge.  1.  band.  Stuttgart  und  Berlin,  J.  G.  Cotta  nachf.  1924. 
XHI,  469  s.  8  m. 


Der  bericht  über  die  Verhandlungen  der  germanistischen  section 
auf  der  philologen-versammlung  von  1923,  der  mir  von  einem  koUegen  in  Münster 
fest  zugesichert  war,  ist  mir  trotz  dringender  mahnung  bis  jetzt  nicht  zugegangen. 
Er  wird,  falls  er  nachträglich  noch  geliefert  werden  sollte  —  worauf  ich  im  vertrauen 
auf  den  alten  sprach:  'Ein  mann,  ein  wort'  noch  immer  hoffe  —  im  nächsten  hefte 
erscheinen.  H.  Gering. 


^ 


^ 


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HUGO  GERING 

In  der  nacht  vom  2.  auf  den  3.  februar  1925  ist  Hugo  Gering  im 
78.  lebensjahr  einem  tückischen  krankheitsanfall  erlegen.  Am  6.  februar 
haben  die  Kieler  professoren  dem  sanft  entschlafenen  kollegen  das 
letzte  geleit  gegeben,  über  seinem  grab  haben  sich  die  fahnen  der 
Kieler  Studenten  und  der  kampfgenossen  von  1870-71  gesenkt  und 
nun  ruht  der  willensstarke  und  arbeitsame  mann  von  seines  lebeus 
zielbewusster  fahrt.  Ein  holdes  geschick  hat  es  ihm  vergönnt,  seine 
bestimmuiig  zu  erfüllen. 

Carl  Theodor  Ludwig  Hugo  Gering  war  am  21.  September  1847 
in  Westpreussen  auf  dem  im  kreis  Briesen  gelegenen  landgut  Heinrichs- 
berg (Lipienica)  geboren.  Das  in  der  preussischen  geschichte  vor  andern 
Provinzen  .ausgezeichnete  land,  auf  dessen  boden  Gerings  wiege  stand, 
hat  seiner  menschlichen  art  das  gepräge  verliehen,  denn  der  deutsche 
gelehrte,  dessen  hingang  wir  betrauern,  ist  nicht  nur  von  geburt,  sondern 
mit  leib  und  seele  Preusse  gewesen  und  wahrscheinlich  hat  keiner 
der  schmerzen  so  tief  in  sein  leiderprobtes  gemüt  sieh  gebohrt  als  der 
täglich  sich  erneuernde  kummer  über  den  die  sonne  seines  geistes,  die 
grossmacht  Preussens  verfinsternden  ausgang  des  Weltkriegs,  der  unsern 
freund  mit  der  schweren  not  belastete,  einen  heissgeliebten,  auf  dem 
fehle  der  ehre  gefallenen  söhn  dem  vaterlande  zu  opfern  und  trotz- 
dem Westpreussens  heimatliche  erde  unter  die  botmässigkeit  des  ver- 
hasstesten  der  feinde  fallen  zu  sehen.  In  diesem  lande  seiner  geburt 
ist  H.  Gering  mit  preussischer  zucht  und  dienstwilligkeit,  mit  dem 
drang  zu  gewissenhaftester  Pflichterfüllung  und  mit  dem  pathos  seines 
natiohalbewusstseins  begabt  worden,  das  für  ihn  das  fundament  seiner 
lebensgestaltung  und  die  urquelle  der  ernstesten  seiner  entschlüsse 
war.  Wenn  einer  unter  uns,  so  war  H.  Gering  stolz  darauf,  ein  Preusse 
und  ein  Deutscher  zu  sein. 

Die  berufswahl  war  die  erste  frucht  solcher  gesinnung.  Denn 
die  deutsche  philologie,  der  er  sich  widmete,  war  in  seinen  äugen  die 
nationale  Wissenschaft.  Als  solche  dünkte  ihm  nur  sie  seinem  wesen 
gemäss  und  die  ihn  kannten,  bewahren  den  köstlichen  eindruck,  dass 


ZEITSCHRIFT  F.  DEUTSCHE  PHILOLOGIE.    BD.  L, 


24 


340  KAUFFMAXN 

bei  H.  Gering  nicht  nur  die  berufswahl,    sondern  die  gesamte  berufs- 
tätigkeit  eine  ausdrucksform  seines  Charakters  war. 

Zunächst  besuchte  er  in  Thorn  und  in  Kulm  das  gymnasium, 
verliess  es  im  herbst  1867  mit  dem  zeugnis  der  reife,  um  in  Leipzig 
die  färben  der  deutschen  burschenschaft  anzulegen  und  philologie  zu. 
studieren.  Auf  dem  gymnasium  war  bei  ihm  die  andacht  zum  klassi- 
schen altertum  erweckt  worden  und  in  dieser  Stimmung  zog  er,  gleich 
seinem  landsmann  und  spätem  Kieler  kollegen  Oskar  Erdmann  nach 
Leipzig,  später  nach  Bonn  und  nach  Halle,  um  Vorlesungen  aus  dem 
gebiet  der  klassischen  und  germanischen  philologie  zu  hören  (Zeitschr.  28, 
228  f.).  Sonst  hielt  er  sich  nur  noch 'zur  deutschen  geschichte  und 
zur  nationalökonomie ;  er  nannte  Biedermann  und  Sybel,  Röscher  und 
Schmoller  unter  seinen  lehrern,  denn  das  Interesse  am  Staat,  seiner 
Verfassung,  Verwaltung  und  Wirtschaft  schien  ihm  eingeboren  zu  sein 
und  war  jedesfalls  weit  stärker  als  die  anziehungskraft  der  philo- 
sophie,  mit  der  er  sich  nie  zu  befreunden  vermochte.  Aber  der 
mächtigste  impuls  kam  vom  deutschen  und  vom  klassischen  altertum. 
In  Leipzig  Hess  er  sich  seit  1867  von  Ritschi  und  Overbeck  für  das 
erlebnis  griechischer  Schönheit  und  römischer  kraft  weihen-  als  er 
zum  Sommersemester  1870  nach  Bonn  verzog,  um  am  sonnigen  Rhein 
sein  burschentum  auszutoben,  trieb  er  klassische  philologie  bei  Bernays 
und  bei  Bücheier  und  setzte  nach  dem  krieg  diese  Studien  in  Halle 
bei  Keil  fort.  Der  ertrag  war  eine  ungewöhnliche  Vertrautheit  mit 
griechischer  und  lateinischer  spräche  und  dichtung;  diese  bildungs- 
elemente  sind  dem  werdenden  Germanisten  unentbehrlich  gewesen  und 
haben  ihm  ausgezeichnete  dienste  geleistet,  als  er  von  der  klassischen, 
zur  deutschen  philologie  abgeschwenkt  war. 

Schon  in  Leipzig  hatte  die  'sprudelnde  lebendigkeit'  Friedrich 
Zarnckes  ihn  gefesselt,  in  Bonn  hatte  er  bei  Birlinger  und  Simrock 
weitere  anregung  für  das  deutsche  fach  gesucht,  aber  erst  das  jähr 
1870-71  hat  die  entscheidende  wendung  gebracht.  Als  der  deutsch- 
französische krieg  ausbrach,  verliess  der  Student  sofort  die  rheinische 
Universität  und  trat  am  24.  juli  in  das  zu  Thorn  garnisonierende  in- 
fanterieregiment  61  als  kriegsfrei  williger,  rückte  am  9.  September  ins 
feld,  empfing  in  der  gegend  von  Mars  la  Tour  die  feuertaufe,  machte 
die  zernierung  von  Metz,  die  belagerung  von  Paris  und  den  marsch 
des  3.  armeekorps  nach  süden  mit,  bis  er  am  14.  januar  1871  beim 
Oberkommando  der  südarmeein  den  bureaudienst  überging.  Im  juui  1871 
ist  er  wieder  daheim,  die  brüst  geschwellt  von  der  grosse  der  tat,  deren 
das  deutsche  volk  unter  Preussens  königlicher  f ührung  fähig  gewesen 


HUGO    GERING  34t 

war.  Es  ist  für  den  jugendlichen  patrioten  in  hohem  grad  bezeichnend, 
dass  dieser  krieg,  den  er  mitgemacht,  in  ihm  den  entschluss  zeitigte, 
nicht  das  Studium  der  Griechen  und  Römer,  sondern  das  der  Ger- 
manen zu  seinem  lebensberuf  zu  machen  und  die  akademische  lauf- 
bahn  ins  äuge  zu  fassen.  Mit  dieser  absieht  hat  der  24jährige  bnrschen- 
schafter  im  herbst  1871  die  Universität  Halle  bezogen,  die  seine  alma 
mater  werden  sollte. 

In  Leipzig  und  Bonn  hatte  er  sich  bei  Curtius,  Brockhaus  und 
Gildemeister  mit  vergleichender  Sprachwissenschaft  und  namentlich 
auch  mit  dem  sanskrit  beschäftigt,  in  Halle  führte  ihn  Pott  in  die  ver- 
gleichende grammatik  der  germanischen  sprachen  ein  und  wenn  auch 
H.  Gering  nach  'philologen'art  den  sprachvergleichern  nicht  sonderlich 
gewogen  war  (Zeitschr.  7,  107),  so  kannte  er  doch  ihre  methoden, 
wusste,  was  sie  geleistet  hatten  und  versäumte  nicht,  auf  ihren  pfaden 
seinen  grammatischen  horizont  zu  erweitern. 

Das  Studium  der  literaturgeschichte  ist  ihm  von  Zarncke  und 
Biedermann  in  Leipzig,  von  R.  Hajm  in  Halle  erschlossen  worden. 
Das  amt  des  philologen  im  grammatischen  und  im  literarischen 
bereich  hat  ihm  Julius  Zacher  eingeprägt.  Man  darf  wohl  sagen,  dass 
Friedrich  Zarncke  seine  philologische  gesinnung  geformt  hat,  denn  sein 
leben  lang  ist  H.  Gering  Zarnckesch liier  geblieben  und  hat  unzwei- 
deutig gegen  das  andere  lager  Stellung  genommen,  das  die  führung 
innerhalb  der  germanistik  beanspruchte.  Aber  seit  1871  trat  der  jünger 
dieser  Wissenschaft  unter  die  massgebende  leitung  von  Zacher  in  Halle. 
Er  war's,  der  seines  Schülers  arbeitsweise  am  nachhaltigsten  bestimmte. 
Mit  rührender  pietät  und  unwandelbarer  treue  hat  H.  Gering  stets 
dieses  väterlichen  freunds  gedacht.  Er  ist  auch  als  dozent  in  seine 
fusstapfen  getreten,  nachdem  er  bei  Zacher  am  18.  dezember  1873  mit 
der  dissertation  'Über  den  syntaktischen  gebrauch  der  participia  im 
gotischen'  promoviert  hatte,  die  dem  lehrer  in  dankbarer  Verehrung 
gewidmet  im  5.  band  der  von  Ziicher  herausgegebenen  Zeitschrift  für 
deutsche  philologie  veröffentlicht  wurde.  Die  verdienstliche  bearbeitung 
des  themas  legt  zeugnis  davon  ab,  wie  sehr  die  Verbindung  klassischer 
und  deutscher  philologie  ihm  zu  statten  kam,  denn  nur  die  ausgiebige 
berücksichtigung  des  griechischen  grundtextes  der  gotischen  bibel 
konnte  befriedigende  resultate  zeitigen.  Der  junge  doktor  setzte  in  der 
ihm  gewiesenen  richtung  seine  forschungen  fort,  erwies  nach  dem  ab- 
schluss  seiner  Studiensemester  durch  gelehrte  anzeigen  in  Zachers  Zeit- 
schrift die  Sorgfalt  seiner  arbeit  und  habilitierte  sich  am  11.  märz  1876 
in  Halle  für  deutsche  philologie  mit  der  abhandlung  'Die  kausalsätze 

24* 


342  KAUFFMANN 

und  ihre  partikeln  bei  den  althochdeutschen  Übersetzern  des 
8.  und  9.  jahrliunderts'  und  mit  einer  antrittsvorlesnng  über  die  deutsche 
literatur  desselben  Zeitraums.  Seine  lehrtätigkeit,  die  er  alsbald  eröffnete, 
beschränkte  sich  anfangs  aufs  gotische,  weitete  auf  das  althochdeutsche, 
namentlich  aber  auch  auf  das  angelsächsische  sieh  aus,  dem 
H.  Gering  oftmals  in  Vorlesungen  und  Übungen  sich  gewidmet  hat. 
Aber  schon  1877  ist  er  entschlossen,  seine  hauptkraft  auf  das  nordische 
fach  zu  konzentrieren. 

Familienüberlieferungen  scheinen  dabei  mitgewirkt  zu  haben. 
Denn  die  Gerings  waren  schwedischer  abkunft,  im  18.  Jahrhundert 
nach  Pommern  eingewandert  und  von  hier  nach  Westpreusseu  über- 
gesiedelt; den  schwedischen  und  pommerschen  beziehungen  seiner 
ahnen  ist  H.  Gering  auch  auf  dem  felde  seiner  Wissenschaft  nachge- 
gangen (Zeitschr.  20,  365  ff.).  Befördert  wurde  jene  ueigung  durch 
die  gelegenheit,  die  dem  Studenten  in  Leipzig  sich  bot,  bei  Zarncke 
Vorlesungen  über  altnordische  grammatik  und  literaturgeschichte,  er- 
kläruug  der  Edda,  Njäls-  und  Eyrbyggjasaga  zu  hören.  Am  stärksten 
wirkte  aber  auf  den  jungen  dozeuten  das  vorbild  des  in  Kiel  hausenden, 
ihm  jetzt  auch  persönlich  begegnenden  Theodor  Möbius. 

Es  mutet  uns  echt  Geriugisch  an,  wenn  wir  erfahren,  dass  er 
zunächst  die  absieht  hatte,  eine  ausgäbe  derjenigen  spgur  zu  ver- 
anstalten, die  Stoffe  der  deutschen  heldensage  behandeln.  Das  wort 
J.  Grimms  schwebte  ihm  vor,  dass  Skandinavien  für  den  deutschen 
forscher  klassischer  grund  und  boden  sei  (Eddaglossar  ^  s.  VII).  So 
rüstete  er  denn,  nachdem  er  beschlossen,  von  der  Goteubibel  zum  Beo- 
wulf  und  zur  Edda,  zu  den  skalden  und  zu  den  sogur  Islands  sich 
zu  wenden,  seine  erste  Nordlandsfahrt,  vortrefflich  beraten  von  den 
massgebenden  kennern.  Er  selbst  kannte  noch  allzuwenig  von  nor- 
dischem sprach-  und  literaturgut  und  es  gab  damals  nur  zwei  männer 
in  Deutschland,  von  denen  das  einem  Skandinavisten  unentbehrliche 
zu  lernen  war:  den  rechtshistoriker  Konrad  Maurer  in  München  und 
den  Philologen  Theodor  Möbius  in  Kiel.  Zu  beiden  ist  H.  Gering  in 
die  freundschaftlichsten  beziehungen  getreten,  bat  beiden  durch  Wid- 
mung wissenschaftlicher  opera  seine  dankbarkeit  bezeugt  und  ihnen 
über  das  grab  hinaus  das  ehrendste  andenken  bewahrt.  Der  natur 
der  Sache  nach  hatte  der  Kieler  philolog  dem  Hallenser  privatdozenten 
besonders  viel  zu  bieten.  Als  dieser  im  sommer  1877  nach  Däne- 
mark, Schweden  und  Norwegen  reiste,  führte  sein  Weg  über  Kiel,  wo 
Möbius  den  fachgenossen  herzlichst  begrüsste  und  seine  arbeitspläne 
mit  ihm  besprach.     Sofort  ging  der  jünger  in  Kopenhagen  ans  werk, 


HUGO    GERING  343 

das  ihm  der  meister  empfohlen  hatte.  Möbiiis  ist  für  Gering  der 
aussehhiggebende  lehrer  im  nordischen  fach  und  nächst  Zacher  das 
zweite  vorbild  seines  strebens  und  seines  Schaffens  geworden  (Zeit- 
schr.  23,  463).  Der  Kopenhagener  aufenthalt-  1881  sich  wiederholend  - 
setzte  ihn  auch  mit  nordischen  gelehrten  in  kontakt ;  H.  Gering  ist 
damals  Gudbraudur  Vigfusson  begegnet,  namentlich  aber  ist  im  sommer 
1877  die  freundschaft  mit  Gustav  Cederschiöld  geschlossen  worden, 
die  mit  besonderer  Vertraulichkeit  lebenslang  vorgehalten  hat.  Aber 
die  rolle,  die  Tb.  Möbius  bei  Gerings  nordischen  Studien  gespielt  hat, 
blieb  die  des  protagonisten  und  der  zögling  enttäuschte  nicht  die  auf 
ihn  gesetzten  hoffnungen. 

In  Halle  kündigte  er  altnordische  grammatik  und  erklärung  der 
Eddalieder  an,  lieferte  für  Zachers  Zeitschrift  (8,  483)  eine  anzeige 
der  Eddaausgabe  von  Hildebrand,  die  für  ihn  eminente  bedeutung 
gewann  und  'veröffentlichte  im  jähr  1878  isländische  glossen  (Zeit- 
schr.  9,  385).  Das  jähr  1879  brachte  die  ein  eingehenderes  und  aus- 
giebigeres Studium  altisländischer  sogur  bekundende  kritische  aus- 
gäbe der  Finnbogasaga.  Sie  war  von  Möbius  angeraten  und  ist  zum 
dank  für  vielfache  anregung,  belehrung  und  Unterstützung  ihm  dar- 
gebracht worden.  Anlässlich  der  beschäftigung  mit  der  Finnbogasage 
war  H,  Gering  auf  den  OlkofraJ^ättr  gestossen,  ihn  bearbeitete  er  1879 
und  steuerte  den  text  im  jähr  1880  zu  einer  festgabe  für  Julius  Zacher 
bei:  er  befuhr  die  gleise,  auf  die  diese  männer  ihn  gewiesen  hatten. 
Ein  beleg  dafür  ist  auch  seine  erste  grössere  publikation,  die  in  zwei 
bänden  zu  Halle  1882-83  erschien:  Islenzk  »ventyri,  isländische 
legenden  und  schwanke,  novellen  und  märchen  des  14.  Jahrhunderts; 
die  ausgäbe,  Cederschiöld  gewidmet,  ist  von  G.  Vigfusson  angeregt, 
von  Möbius,  der  die  Sammlung  zu  edieren  gewillt  gewesen  war,  vor- 
bereitet, dank  der  mitarbeit  Reinhold  Köhlers  in  den  stoflfgeschicht- 
lichen  partien  reichlich  ausgestattet.  Gerings  verdienst  erschöpfte  sich 
nicht  in  der  textherstellung,  den  anmerkungen  und  dem  Wörterbuch, 
es  gipfelt  in  den  literarischen  Untersuchungen,  gelang  ihm  doch  durch 
sorgtältige  beobachtung  des  Sprachgebrauchs,  vier  persönlichkeiten  als 
die  Verfasser  jener  isländischen  erzählungen  festzustellen  (Anz.  f.  d. 
alt.  10,  395).  Die  anerkennung  blieb  nicht  aus;  noch  im  jähr  1883 
ist  er  zum  ausserordentlichen  professor  befördert  worden  und  hat  als 
solcher  in  Halle,  wo  er  inzwischen  seinen  hausstand  gegründet  und 
in  Frau  Else  den  fürsorglichsten  lebenskameraden  gefunden  hatte, 
seine  Wirksamkeit  weiter  ausgebaut.  Auf  der  Dessauer  philogenver- 
sammlung  des  jahrs  1885  berichtete  er  über  eine  neue  Eddaausgabe,  wozu 


344  KAUrFMAN'N 

der  plan  in  gemeinscbaft  mit  B.  Symons  in  grossem  masstab  ent- 
worfen worden  war;  1887  brachte  er  ein  im  akademischen  Unterricht 
ausgezeichnet  sich  bewährendes  Eddaglossar  heraus,  wandte  sich  nun 
aber  auch  zur  skaldenpocsie  (Zeitschr.  14,  234)  und  überraschte  die 
fachgenossen  durch  die  kritische  bearbeitung  der  uns  erhaltenen  bruch- 
stücke  des  Bragi  Boddason  (Jul.  Zacher  zum  70.  geburtstag  15.  februar 
1886),  die  ihn  selbst  freilich  nicht  restlos  befriedigte  (Zeitschr.  28,  123), 
schon  weil  sie  in  fliegender  hast  fertiggestellt  werden  musste  -  ein 
Vorläufer  kommender,  den  nordischen  skalden  dienender  textkritischer 
Studien.  1888  hat  Gering  erstmalig  auch  zur  runenforschung  der  Skan- 
dinavier das  wort  ergriffen  (Zeitschr.  21,  487). 

Hiefür  stand  ihm  jetzt  die  Zeitschrift  für  deutsche  philo- 
logie  zur  Verfügung,  da  er  nach  J.  Zachers,  ihres  begründers  tod  (im 
jähr  1887)  vom  20.  bis  zum  50.  band  als  ihr  herausgeber  zeichnete 
und  auch  auf  diesem  posten  seinen  lehrer  vertrat.  Dieses  fachorgan, 
au  dem  er  schon  zuvor  fleissig  mitgearbeitet,  hatte  unter  Zachers  leitung 
der  nordischen  philologie  mehr  beachtung  geschenkt  und  räum  gewährt 
als  die  andern  germanistischen  Zeitschriften^  war  es  doch  von  Konr. 
Maurer,  Th.  Möbius,  E.  Jessen  und  S.  Bugge  mit  gewichtigen  beitragen 
bedacht  worden ;  es  verstärkte  sich  diese  ihm  eigentümliche  tendenz, 
seitdem  H.  Gering  die  redaktion  führte  und  andererseits  gab  diese 
Zeitschrift,  mit  der  er  innerlichst  verwuchs,  seiner  stimme  grösseren 
resonanzraum  und  den  nordischen  Studien  in  Deutschland  neuen 
auftrieb. 

Nach  echt  deutscher  art  verknüpfte  sich  die  schriftstellerische 
Wirksamkeit  H.  Gerings  mit  seiner  akademischen  lehrtätigkeit.  Auch 
sie  war  eine  Spiegelung  seiner  forschungsarbeit.  Meines  erachtens  ver- 
lieh dem  deutschen  Skandinayisten  vor  der  mehrzahl  der  fachgenossen 
in  den  nordischen  ländern  ein  übergewicht  der  umstand,  dass  er  das 
Nordgermanentum  nicht  isolierte,  vom  Ost-  und  Westgermanentum  nicht 
absonderte  und  durch  seine  umsieht  auf  gotischem,  altdeutschem  und 
altenglischem  gebiet  seine  Urteilskraft  zu  reicher  sich  verzweigenden 
beobachtungen  und  erfahrungen  schulte.  Die  nordischen  spezialstudien 
bettete  er  in  das  gesamtfach  der  germanistik  ein  (es  wäre  dringend 
zu  wünschen,  dass  es  dabei  auch  für  die  zukunft  in  Deutschland  ver- 
bliebe): er  las  in  Halle  über  die  Germania  des  Tacitus  (ein  bekanntes 
Zacherkolleg),  über  geschichte  der  deutschen  literatur  bis  zum  ausgang 
des  13.  Jahrhunderts  beziehungsweise  bis  zur  reformation,  historische 
grammatik  der  deutschen  spräche  (got.  ahd.  mhd.),  gotische  grammatik, 
ahd.  grammatik  und  erklärung  ausgewählter  denkmäler,   ahd.  dialekte, 


HUGO    GERING  315 

Tiilul.  Übungen  (Hartmans  Gregorius,  Walther  v,  d.  Vogelweide,  Meier 
Helmbrecht).  Die  örtlichen  Verhältnisse  brachten  es  mit  sich,  dass  er 
•daneben  das  ags.  begünstigte:  geschichte  der  ags.  literatur,  ags.  gram- 
matik,  Beowulf.  In  diesem  reigen  erschienen  die  regelmässig  wider- 
kehrenden nordischen  Vorlesungen  und  Übungen,  die  vom  altertum  bis 
auf  die  neuzeit  sich  erstreckten. 

Der  in  so  ausgiebiger  lehrtätigkeit  und  gründlicher  forschungs- 
arbeit  stehende  Hallenser  gelehrte  wurde  am  9.  Januar  1889  zum 
ordentlichen  professor  der  nordischen  philologie  in  Kiel  ernannt.  Er 
hat  als  nachfolger  von  Th.  Möbius  an  der  Kieler  Universität  (1898-99 
-auch  an  der  Marineakademie  tätig)  bis  zu  seiner  emeritierung  im 
«ommersemester  1921  und  bis  zum  letzten  atemzug  im  Wintersemester 
1925  sein  lebenswerk  durch  hauptleistungen  gekrönt. 

In  dänischer  zeit  war  an  der  Christiana  Albertina  ein  lektor  für 
nordisch,  von  1824-45  der  bekannte  Grundtvigianer  Christian  Flor 
für  das  Dänentum  tätig  gewesen,  1850 — 52  hatte  Rochus  Freiherr 
von  Liliencron  eine  ausserordentliche  professur  für  nordische  spräche 
und  literatur  versehen  wollen,  war  aber  von  der  dänischen  regierung 
nicht  anerkannt  worden.  Diese  berief  vielmehr,  um  die  dänische  Propa- 
ganda in  den  herzogtümern  zu  fördern,  im  jähr  1853  den  angesehenen 
■dänischen  literaten  und  ästhetiker  Christian  Molbech  in  das  extraordi- 
nariat  und  verwandelte  es  1858  in  ein  Ordinariat,  das  Molbech  bis  1864 
inne  hatte.  In  die  politischen  kämpfe  sich  verwickelnd  ist  er  ihnen 
zum  opfer  gefallen  und  hat  1865  in  einem  deutschen  mann,  dem  bis- 
herigen a.o.  prof.  dr.  Th.  Möbius  in  Leipzig  seinen  ersatz  bekommen. 
Durch  namhafte  wissenschaftliche  leistungen  empfohlen  hat  dieser  mit 
H.  Gering  in  herzensfreundschaft  verbundene  gelehrte  die  nordische  philo- 
logie aufs  würdigste  in  Kiel  vertreten.  Zwar  brachte  man  in  Schleswig- 
Holstein  vorerst  dieser  von  der  dänischen  regierung  gestifteten  ordent- 
lichen professur  misstrauen  entgegen  -  Möbius  klagte,  dass  er  zumal 
von  den  Nordschleswigern  gemieden  werde  —  die  folge  war,  dass  seine 
lehrtätigkeit  in  sehr  bescheidenen  grenzen  sich  hielt  (Zeitschr.  23,  459  f., 
464;  meist  hat  Möbius,  wenn  überhaupt,  so  nur  vor  einem  einzigen 
hörer  gelesen),  aber  wichtiger  war,  dass  es  nunmehr  eine  Universität 
in  Deutschland  gab,  wo  das  nordische  vollwertig  in  einer  fakultät 
nach  deutscher  art  vertreten  war  und  der  inhaber  der  professur,  ein 
anerkannter  fachmann  nicht  nur  über  altnordische  grammatik  und 
literatur  dozierte,  die  Eddalieder  und  Sogur  interpretierte,  sondern  auch 
über  neuere  dänische  spräche  und  literatur  vorzutragen  bereit  war.  Als 
H.  Gering   das  Kieler   katheder  bestieg,    trat   er   dem  Dänentum   vor- 


34ß  •  KAUFFMANN 

S 

urteilsfrei  gegenüber.  Die  unser  Vaterland  mit  Skandinavien  'ver- 
bindenden fäden,  welche  die  Jahrhunderte  gesponnen  haben,  konnten 
politische  gegensätze,  die  wie  wir  hoffen,  in  der  zukunft  sich  mehr 
und  mehr  ausgleichen  werden,  wohl  lockern  aber  nicht  lösen  und  die 
Wissenschaft,  die  ich  zu  vertreten  die  ehre  habe,  will  an  ihrem  be- 
scheidenen teil  dazu  beitragen,  sie  zu  erhalten  und  zu  festigen,  in 
dankbarer  anerkennung  dessen,  was  die  germanische  altertumskunde 
dem  norden,  dem  für  uns  klassischen  boden  verdankt',  so  sprach 
H.  Gering  in  der  Kieler  aula,  als  er  am  5.  märz  1902  das  rektorat  der 
Christian-Albrechtsuniversität  übernahm  (Über  Weissagung  und  zauber 
im  nordischen  altertum  s.  3).  Mannhaft  hat  er  allerwegen  die  deutsch- 
heit Schleswig-Holsteins  betont  und  nicht  geduldet,  dass  ein  Deutscher 
von  Südjütland  statt  von  Schleswig  spreche  (Zeitschr.  40,  377),  aber 
er  w^ar  diszipliniert  genug,  um  sein  wissenschaftliches  denken  vor  den 
einflüsterungen  politischer  leidenschaften  zu  behüten. 

Als  H.  Gering  zum  sommersemester  1889  sein  amt  in  Kiel  an- 
trat, sah  er  sich  damit,  dass  die  schleswig-holsteinische  landesuniversität 
in  der  geschichte  seiner  Wissenschaft  durch  die  nordische  professur 
vor  den  andern  deutschen  hochschulen  ausgezeichnet  war,  vor  eine 
verantwortungsvolle  aufgäbe  gestellt.  Für  die  gewissenhafte  erfüUung 
solcher  ehrenpflicht  hat  er  seine  ganze  männlichkeit  eingesetzt:  er  ge- 
hörte nicht  zu  den  professoren,  die  durch  tages-  oder  nebeninteresseii 
von  ihrer  Wissenschaft  sich  ablenken  lassen;  H.  Gering  hat  restlos 
jeden  tag  und  jede  stunde  seinem  beruf  vorbehalten,  für  nichts  anderes 
müsse  gefunden  und  niemals  der  bequemlichkeit  oder  der  popularifat 
seine  akademische  würde  geopfert.  Es  kam  ihm  zu  gut,  dass  er  in 
Kiel  an  einen  Vorgänger  von  rang  anknüpfen  und  dessen  tradition 
fortsetzen  konnte,  hatte  aber,  was  die  lehrtätigkeit  betrifft,  etwas  bessere 
erfolge  zu  verzeichnen.  Dazu  trug  hauptsächlich  bei,  dass  er,  der  alle- 
zeit bekannte,  für  den  Unterricht  nicht  begnadet  zu  sein,  den  rahmen 
weiter  steckte.  Er  legte  grossen  wert  darauf,  innerhalb  des  ger- 
manistischen Seminars  an  der  erziehung  der  studierenden  mitzuwirken. 
Sein  Spezialfach  vermochte  er  nur  im  grossen  organischen  stammes- 
znsammenhang  zu  betreiben  und  würde  eine  institutmässige  absonderung^ 
der  nordischen  Studien  nicht  empfohlen  haben.  Im  germanistischen 
Seminar  behandelte  er  die  ihm  von  Jugend  auf  ans  herz  gewachsene 
gotische  bibel,  erklärte  die  ältesten  dichterischen  ahd.,  and.  und  ags. 
denkmäler  (Hildebrandslied,  Heliand,  Genesis,  Beowulf)  und  wieder- 
holte seine  ihm  von  Halle  her  vertrauten  mhd.  Übungen.  An  Vor- 
lesungen hat  er  nicht  nur  wie  in  Halle  gotische  grammatik  und  Tacitu» 


HUGO    GERING  347 

Germania,  sondern  anch  deutsche  mythologie  und  geschichte  der  deutschen 
heldensage  angekündigt,  jedoch  mit  vorschreitendem  alter,  wie  seine 
amtliche  Stellung  von  ihm  forderte,  in  den  Vorlesungen  auf  die  nor- 
dischen themata  sich  beschränkt. 

Es  war  immer  sein  wünsch  gewesen,  Möbius  nachfolger  in  Kiel 
zu  werden  und  als  dieser  wünsch  ihm  erfüllt  wurde,  als  er  zum  weih- 
nachtsfest 1888  den  ruf  nach  Kiel  bekam,  freute  er  sich  besonders 
darauf,  nunmehr  voll  und  ganz  seinen  auf  das  gesamtfach  bezogenen 
skandinavischen  lieblingsstudien  sich  widmen  zu  können.  Er  fand, 
als  er  in  Kiel  sich  einrichtete,  eine  ihn  beglückende,  seinen  absiebten 
und  neigungen  entsprechende  Verpflichtung.  Die  Vorlesungen  gaben 
ein  bild  dessen,  was  der  arbeitsame  gelehrte  erstrebte.  Grundlegend 
war  das  kolleg  über  altnordische  grammatik,  es  folgte  die  geschichte 
der  altnordischen  literatur  bis  zum  ausgang  des  14.  Jahrhunderts,  ein- 
führung  in  die  Edda,  erklärung  der  Eddalieder  und  einer  reihe  alt- 
isländischer sogur  (Gunnlaugssaga,  Egilssaga,  Laxdoelasaga),  daneben 
rückten  Gerings  runenforschungen  in  den  Vordergrund :  geschichte  der 
germanischen  runeuschrift,  erklärung  ausgewählter  runendeukmäler. 
Auch  im  seminar  wurden  runeninschriften  interpretiert,  altnordische 
Übungen  abgehalten  (Eddalieder,  Skaldenlieder,  Snorra  Edda,  Eyrbyggja- 
saga,  Islendingasggur)  und  auf  das  alt-  und  neudänische  sowie  auf  das 
schwedische  Schrifttum  ausgedehnt  (Runeberg,  Tegner,  altdänische  folke- 
viser,  provinzialgesetze ;  Holberg,  Ohlenschläger,  Drachmann). 

Als  echter  philolog*  war  Gering  sich  bewusst,  dass  durch  Sprach- 
forschung ein  fester  grund  für  das  Studium  der  literaturen  gelegt 
werden  müsse.  Er  beabsichtigte,  eine  historische  grammatik  der 
dänischen  spräche  zu  schreiben,  leider  ist  es  nicht  dazu  gekommen, 
aber  mit  welcher  umsieht  er  darauf  sich  vorbereitet  hat,  erkennt  auch 
der  fernerstehende,  wenn  für  seine  seminarübungeu  dänische  Schrift- 
steller des  18.  und  19.  Jahrhunderts  ausgewählt  wurden  und  unter 
seinen  Kieler  Vorlesungen  neben  dem  Hallenser  kolleg  über  Ludwig- 
Holbergs  leben  und  Schriften  elemente  der  dänischen  grammatik  und 
historische  grammatik  der  dänischen  spräche  erscheinen. 

Innerhalb  des  germanistischen  gesamtfachs  hat  er  nun  allerdings 
nicht  nach  allen  seiten  hin  gleich  regsam  sich  verbreitet.  So  sehr  er 
von  der  zentralen  Stellung  der  grammatik  überzeugt  war,  machte  er 
doch  halt,  wo  die  neuere  Sprachwissenschaft  auf  philosophische  art 
sich  systematisierte,  allzu  konstruktiv  verfuhr,  wie  Gering  es  ausdrückte 
oder  wie  es  bei  der  phonetik,  deren  leistungsfähigkeit  er  anerkannte 
und  bestätigte  (PBBeitr.  13,  202;  Zeitschr.  42,  233  ff.)»    den  anschein 


SiS  KAUFFMANN 

gewann,  auf  naturwissenschaftliche  methodeu  sich  einliess.  Er  war 
nicht  spekulativ  veranlagt,  bohrte  nicht  in  die  untersten  tiefen  der 
schachte,  strebte  nicht  nach  einer  gesamtschau  und  wagte  sich  nicht 
an  grosszügige  würfe,  sondern  steckte  sich  grenzen,  hantierte  mit  gram- 
matik  und  metrik,  gebrauchte  sie  aber  im  gründe  doch  nur  als  hilfs- 
disziplinen,  erforschte  sie  nicht  um  ihrer  selbst  willen,  sondern  nahm 
die  ergebnisse  der  theoretiker,  die  erkenntnisse  der  fachautoritäten  für 
seine  textkritik  in  dienst.  Denn  dies  war  ihm  das  philologische 
hauptgeschäft.  Textkritik  war  das  feld,  auf  dem  er  sich  meister  fühlte 
und  natureu  wie  die  seine  -  auch  bei  Th.  Möbius  war  dies  der  fall 
gewesen  -  stellen  ihr  lebenswerk  darauf  ein,  dass  sie  nur  wollen, 
was  sie  können.  Es  war  nicht  Gerings  sache,  auf  eroberung  neuer 
reiche  auszuziehen  und  mit  den  in  immer  weitere  fernen  versetzten 
zielen  sein  können  und  sein  wollen  nach  und  nach  zu  steigern.  Er 
hat  es  abgelehnt,  sein  gesichtsteld  bis  dorthin  zu  vergrössern,  wo  er 
den  räum  nicht  mehr  zu  beherrschen  vermochte,  v\'o  z.  b.  die  text- 
kritik in  die  stilkritik  übergeht,  weil  er  stolz  darauf  war,  innerhalb 
des  von  ihm  begrenzten  rauras  sein  können  am  nützlichsten  zu  ent- 
falten. Er  enthielt  sich  alles  dessen,  was  ihm  wesensfremd  und  darum 
als  allzu  subjektiv  oder  als  absurd  von  ihm  abgelehnt  wurde,  weil  es 
die  angelernte  grammatik  und  metrik  oder  'den  gesunden  menschen- 
verstand'  gegen  sich  hatte  (Zeitschr.  50,  329).  Selbst  auf  stilkritik, 
für  die  er  ein  organ  besass  (Zeitschr.  43,  428.  46,  1  vgl.  Arkiv  41,  140), 
hat  er  sich  nicht  tiefer  eingelassen,  folglich  hat  er  sich  auch  die  Pro- 
blematik der  historischen  kritik  vom  leib  gehalten.  H.  Gering  war 
philolog,  nicht  historiker  und  als  philolog  war  er  textkritiker.  Auf- 
gabe war  ihm,  die  uns  erhaltenen  texte  in  ihrem  ursprünglichen  be- 
stand zu  sichern,  sie  zu  verstehen  und  zu  erklären.  Der  tatsächliche 
befund  unserer  Überlieferung,  nicht  ihr  werden  weckte  sein  kritisches 
vermögen  und  reizte  seine  phantasie.  Als  er  im  märz  1902  beim  an- 
tritt des  Kieler  rektorats  seine  rede  'über  Weissagung  und  zauber  im 
nordischen  altertum'  hielt,  lag  es  ihm  fern  ein  religionsgeschichtliches 
panorama  aufzustellen;  er  streifte  die  grossen  religionsgeschichtlichen 
Probleme,  begnügte  sich  aber  mit  einem  kapitel  aus  den  nordischen 
'altertümern'.  Er  sammelte  mit  erschöpfender  Vollständigkeit  was  zur 
Sache  gehörte,  erstrebte  genaueste  feststellung  dessen,  was  die  quellen 
herzugeben  vermochten,  war  aber  kein  freund  von  weitschichtigen 
kompilationen  (Zeitschr.  42,  235).  Über  die  letzten  gründe  der  text- 
kritik und  der  texterklärung,  wo  das  Verständnis  eines  textes  für  uns 
nachgeborene  beginnt  und  wo  es  endet,  über  die  konstitutiven  faktoren, 


HUGO    GERING  349 

Über  die  in  die  dämmerung  des  geschichtlichen  lebens  hinabreichenden 
wurzeln  unserer  Überlieferung  hat  er  nie  gegrübelt.  Er  war  der  meinung, 
dass  die  nieister  besonnener  und  scharfsinniger  philologischer  kritik, 
auf  die  er  schwor,  die  Voraussetzungen  geklärt  oder  ihre  nichtachtung 
gerechtfertigt  hätten.  Vielleicht  hat  er  sich  allzu  bereitwillig  in  die 
gefolgschaft  der  von  ihm  bewunderten  autoritäten  begeben  und  anderer- 
seits nicht  weitherzig  genug  auf  forderungen  reagiert,  die  über  die  zone 
seiner  erfahrung  hinausragten.  Die  metrischen  forschungen  eines  text- 
kritisch gerichteten  E.  Sievers  besassen  für  ihn  kanonische  geltung 
(Zeitschr.  50,  97),  die  methode  und  das  experiment  des  schallana- 
lytikers  hat  er  perhorresziert. 

Richtschnur  war  ihm  die  textkritik  und  nichts  bewunderte  er  so 
sehr  als  'geniale  kombinationsfähigkeit',  und  eine  von  kühnheit  und 
Scharfsinn  beschwingte  divinationsgabe  (S.  Bugge's;  Zeitschr.  21,  243. 
30,  379),  war  er  doch  selbst  mit  kombinatorischer  phantasie  begabt 
und  Hess  es  nicht  an  wagemut  fehlen,  wenn  eine  stelle  für  unver- 
ständlich oder  hoffnungslos  verderbt  galt,  ihr  mit  überraschender 
deutung  (Zeitschr.  28,  241)  oder  durch  kühnen  operativen  eingriff  auf- 
zuhelfen (Zeitschr.  26,  30).  Die  herzlichste  freude  genoss  er  angesichts 
einer  gelungeneu  konjektur  (z.  b.  V9I.  17;  Zeitschr.  50,  328)  und  scherte 
sich  nicht  um  den  einwand,  dass  der  text  dabei  gefiihr  laufe,  einer 
umdichtung  oder  nachdichtung  preisgegeben  zu  werden  (Edda  1904 
s.  X  f.). 

Das  hauptfeld,  auf  dem  unser  textkritiker  seine  lorbeeren  zu 
ernten  gedachte,  waren  die  Eddalieder.  Bei  ihnen  wollte  er  sich  am 
wenigsten  dem  Vorwurf  der  Zaghaftigkeit  und  kritiklosigkeit  aussetzen 
und  verfocht  in  temperamentvollster  polemik  —  leicht  schwoll  ihm  die 
zornesader  -  gegen  die  liebhaber  konservierender  texte  (Zeitschr.  46, 
466)  oder  extravaganter  neuerungen  (Zeitschr.  50,  93)  sein  recht  auf 
emendatiouen,  weil  er,  wie  er  sagte,  ein  höheres  ziel  verfolge  als  die 
sorgfältige  kopie  einer  handschrift  zu  liefern  und  mit  dem  photo- 
graphen  zu  wetteifern  (Eddaglossar  ^  s.  VIII),  weil  er  sich  zutraute, 
kraft  seiner  fähigkeit  dichterische  Schönheit  nachzuempfinden  eine  an- 
stössige  textstelle  stilgerecht  zu  verbessern  (Zeitschr.  29,  57). 

Im  jähr  1879  war,  mit  einem  vorwort  von  Th.  Möbius  versehen, 
die  Eddaausgabe  von  Karl  Hildebrand  erschienen.  Nach  dem  frühen 
tode  des  herausgebers  ist  dies  buch  in  Gerings  bände  übergegangen 
(0.  s.  343)  und  neugestaltet  im  jähr  1904  der  fachweit  vorgelegt  worden; 
1912  folgte  die  zweite  und  1922  die  dritte  aufläge  dieses,  von  der 
Eddaausgabe    des    befreundeten    arbeitsgefährteu    B.   Symons    (Zeit- 


35)  KAUFFMANN 

sehr.  17,  117)  an  nicht  wenigen  stellen  abweichenden,  durch  scharf- 
sinnige konjektnren,  sorgsamsten  fleiss,  den  er  seinen  Vorgängern  zu- 
gewandt, und  durch  vollkommene  beherrschung  der  von  H.  Gering 
erwählten  grammatischen  und  metrischen  normen  gekennzeichneten 
buchs  (Zeitschr.  34,  162).  Unermüdlich  strengte  er  sein  gehirn  an,  um 
immer  neue  feinheiten  des  monumentalen  dichterwerks  herausaüarbeiten. 
Noch  der  77jährige  hat  unverdrossen  am  kritischen  text  seiner  Edda 
herumgefeilt  (Zeitschr.  50,  127  ff.). 

In  die  Kieler  zeit  fällt  ausser  der  edition  der  Hugsvinnsm()l 
(Universitätsprogramm  1907)  die  Eyrbyggjasaga  (Halle  1897).  Im  ver- 
ein mit  G.  Cederschiöld  und  E.  Mogk  hatte  H.  Gering  die  altnordische 
Sagabibliothek  ins  leben  gerufen.  Der  erste  band  ist  1902  erschienen. 
Mit  nie  ermattender  dienstwilligkeit  und  treue  hat  er  band  für  band 
-  ihre  zahl  ist  bei  seinen  lebzeiten  auf  16  angewachsen  -  den  her- 
ausgebern  sich  zur  Verfügung  gehalten  und  nur  wenige  bände  haben 
das  licht  der  weit  erblickt,  ohne  dass  ihm  von  den  autoren  in  warmen 
Worten  der  für  unentbehrliche  beihilfe  gebührende  dank  abgestattet 
worden  wäre.  Der  6.  band  dieser  bibliothek  brachte  in  einer  muster- 
haft säubern  fassung  Gerings  Eyrbyggjasaga,  für  die  ihm  allgemeine 
anerkennung  zu  teil  geworden  ist.  Aber  damals  war  es  nicht  so  sehr 
der  textkritiker  als  der  text  erklär  er,  der  dies  lob  erntete.  Gering 
besass  ein  sehr  grosses  material,  das  er  in  hingebendem  Sammeleifer, 
namentlich  für  personen-  und  familiengeschichte  Islands  gehäuft  und 
geordnet  und  jedem  fachgenossen  in  uneigennützigster  weise  zugäng- 
lich gemacht  hat.  In  dem  ausführlichen  kommentar  der  Eyrbyggja- 
saga hat  Gering  selber  für  die  realien  einer  saga  getan,  was  in  seinen 
kräften  lag,  um  jenes  alte  interessante  buch  zur  einführung  in  die 
sagaliteratur  Islands  so  tauglich  als  nur  irgend  möglich  herzurichten 
(Zeitschr.  30,  266).  Der  kommentator  hoffte  aber,  seine  materialsamm- 
lungen  für  die  einzelerklärung  der  Eddalieder  verarbeiten  zu  können 
und  in  der  tat,  auch  dies  ziel  seiner  wünsche  hat  er  erreicht:  als 
H.  Gering  verschied,  konnte  er  uns  einen  druckfertigen  Eddakommentar 
hinterlassen.  Dies  früh  geplante  (Zeitschr.  17,  119)  und  ihm  sehr  am 
herzen  liegende  werk  durfte  er  vollenden  (Edda^  s.  XV),  eine  probe 
davon  1924  in  die  festschrift  für  E.  Mogk  stiften;  das  umfangreiche 
manuskript  wird  von  befreundeter  seite  zum  druck  befördert  werden. 
Es  widmet  sich  nicht  den  allgemeineren  problemen,  sondern  nur  der 
texterklärung  und  hierfür  hatte  der  kommentator  durch  seine  wörter- 
bucharbeit sich  geschult. 

Mit   persönlichster   anteilnahme  verfolgte  er  die  entwicklung  der 


HUGO    GERING  351 

deutsclien  lexikographie  fZeitschr.  17,  492),  insbesondere  das  Wachstum 
des  deutscheu  Wörterbuchs  der  brüder  Grimm  (Grenzboteu  1903  nr.  37). 
Auch  die  grossen  Wörterbuchunternehmungen  der  Skandinavier  studierte 
er  gründlichst  und  erstattete  darüber  sachkundige  berichte  (Zeitschr.  28, 
394.  48,  291;  Akiv  10,  392.  13,  370).  Er  war  also  in  jeder  beziehung 
gut  vorbereitet,  als  er  im  jähr  1903  sein  'vollständiges  Wörterbuch  zu 
den  liedern  der  Edda'  erscheinen  Hess,  war  ihm  doch  das  Eddaglossar 
(zu  Hildebrands  Edda  1887)  vorangegangen,  das  1896  in  zweiter  auf- 
läge herauskam  und  1907  in  dritter  aufläge  -  S.  Bugge  zum  gedächt- 
nis  -  die  eigeae  Eddaausgabe  zu  grund  legen  konnte.  Seitdem  hat 
das  für  den  akademischen  Unterricht  unentbehrliche  büchlein  in  den 
Jahren  1915  und  1923  die  4.  und  die  5.  aufläge  erreicht  und  dem 
Verfasser  erwünschte  gelegenheit  zu  Verbesserungen  seines  grossen 
Eddawörterbuchs  geboten.  Dieses  hauptwerk  Gerings  erfüllt  die  an 
eine  bedeutungsgeschichte  der  wörter  sich  knüpfenden  ausprüche  nicht, 
erschöpft  aber  dank  der  emsigkeit  deutschen  gelehrteufleisses  restlos 
mit  ungewöhnlicher  akribie  das  material,  ordnet  es  aufs  übersichtlichste 
und  ist  seinerzeit  von  Th.  Möbius,  als  H.  Gering  den  entwurf  ihm 
unterbreitete,  mit  dem  ermunternden  zuruf  begrüsst  worden :  'soviel  ist 
sicher,  dass  kein,  absolut  kein  altnordisches  buch  mit  solch  freudigem 
willkommen  begrüsst  werden  wird  als  ein  Wörterbuch  zur  Edda  und 
diese  gerade  von  Ihnen' !  Als  es  fertig  vorlag,  war  man  einhellig  der 
meinuug,  dass  diese  überaus  sorgfältige  arbeit  das  Unentbehrlichste 
hilfsmittel  der  Eddaforschung  sein  werde. 

Die  Wörterbücher  und  die  kommentare,  die  H.  Gering  verfasst 
hat,  waren  nicht  die  letzten  aufgaben  des  texterklärers.  Konsequent 
die  folgerungeu  ziehend  ging  er  dazu  über,  seine  lieblinge  unter  den 
dichtungen  des  germanischen  altertums  in  die  literarische  spräche  des 
19.  Jahrhunderts  zu  kleiden.  Sie  war  ihm  wie  wenigen  seiner  fach- 
genpssen  geläufig.  Er  schrieb  in  seiner  wissenschaftlichen  prosa  einen 
klarflüssigen  stil,  befruchtete  seine  Sprachphantasie  aus  der  ihm  in 
grossem  umfang  zu  eigen  gewordenen  deutschen  poesie  sowie  aus  der 
zeitgenössischen  schönen  literatur  Dänemarks  und  Schwedens,  Nor- 
wegens und  Islands,  worin  er  sehr  belesen  war.  Der  Übersetzer 
übte  seinen  Sprachausdruck  in  versen,  die  ihm  leicht  aus  der  feder 
flössen,  wenn  er  in  stunden  der  weihe  zu  nachahmungen  sich  angeregt 
fühlte  oder  wenn  seelische  erschütterung  ihn  zu  feierlicher  rede  drängte. 
Die  affekte,  zu  denen  sein  Studium  ihn  erregte,  schlugen  daher  leicht 
und  gern  in  rhythmen  sich  nieder  u§d  so  entstanden  seine  deutschen 
Eddalieder  (1892)   und   der   deutsche  Beowulf  (1906.    1913);    anderes 


352  KAUFFMANN 

wie  z.  b.  die  von  starkem  pathos  getragenen  Übersetzungen  der  skalden- 
lieder  des  gewaltigsten  poeten  Altislands  sind  der  Öffentlichkeit  nicht 
bekannt  geworden.  Diese  nachdichtungen  verbinden  mit  sprachlicher 
und  metrischer  feinfühligkeit  philologische  gewissenhaftigkeit  und  treue 
den  originalen  gegenüber  —  H.  Gering  war  der  erste,  der  es  wagen 
durfte,  den  alten  stabreimsvers  zu  erneuern  — ,  unleugbar  war  seine  ge- 
schicklichkeit,  die  in  den  schachten  der  Vergangenheit  versunkene 
altgermanische  poesie  dem  geschlecht  seiner  epoche  wieder  zugäuglicb 
zu  machen.  Denn  Gerings  Edda  und  sein  Beowulf  stehen  auf  ganz 
anderem  niveau  als  die  Übersetzungen  seiner  Vorgänger  (Grenzboten 
1889,  II,  366);  seine  Verdeutschungen  sind  die  erstlinge  jener  mächtig- 
anschwellenden bewegung,  an  der  nicht  wenige  der  jüngeren  teil  nehmen, 
um  durch  weit  eigenwilligere  Stilisierungskünste  als  H.  Gering  sie  ge- 
wagt haben  würde  (Zeitschr.  44,  489.  45,  68),  für  die  dichtung  der 
nordischen  vorzeit  durch  Übersetzungen  bei  dem  lebenden  geschlecht  zu 
werben.  Leider  ist  es  ihm  versagt  geblieben,  seine  deutschen  Edda- 
lieder so  zu  gestalten,  wie  sie  seiner  reifsten  einsieht  entsprochen  hätten ; 
er  hat  es  sich  verbeten,  dass  man  ihn  noch  heutigen  tags  für  alles  ver- 
antwortlich mache,  was  er  vor  langen  jähren  geschrieben  habe  ('seit- 
dem sind  wir  ein  gutes  stück  weiter  gekommen')  und  im  jähr  1913 
erklärt,  dass,  wenn  es  ihm  vergönnt  sein  sollte,  die  Eddaübersetzung 
noch  einmal  herauszugeben,  sie  ein  sehr  verändertes  aussehen  erhalten 
w^rde  (Zeitschr.  45,  71). 

Wie  das  lebeuswerk  so  verlief  auch  der  lebensgang  des  ver- 
storbenen freundes  in  aufsteigender  kurve,  seitdem  er  nach  Kiel  über- 
gesiedelt war.  1894-95  hat  er  das  dekanat  der  philosophischen  fakultät, 
1902-03  das  rektorat  der  Kieler  Universität  verwaltet  und  ist  stetS' 
als  eines  der  pflichteifrigsten  mitglieder  den  geschäftlichen  beratungen 
dieser  körperschaft  teilnehmend  gefolgt.  Ausserhalb  Kiels  waren  es 
hauptsächlich  die  nordischen  nachbarländer,  mit  denen  er  den  verkehr 
steigerte.  Zahlreichen  dänischen  und  schwedischen,  norwegischen  und 
isländischen  gelehrten  hat  er  nahe  gestanden  (z.  b.  Dahlerup  und 
Wimmer  [Zeitschr.  48,  500],  F.  Jonsson  und  Bj.  M.  Olsen),  hat  am 
Arkiv  f.  nord.  fil.  mitgearbeitet  und  ist  mitglied  gelehrter  gesellschaften 
geworden.  Im  sommer  1908  sah  er  auch  den  wünsch  sich  erfüllen, 
den  er  lange  still  gehegt  hatte:  die  Färöer  und  Island  zu  besuchen. 
Das  ferne  Thule,  das  dem  forscher  zur  andern  heimat  seines  geistes 
geworden  war,  den  für  ihn  klassischen  boden  durfte  der  warmherzige 
freund  seiner  bewohner  nunmehr,  betreten  und  von  den  wundern  der 
arktischen  natur  zu  genuss  und  ehrfurcht  sich  erheben  lassen.   Glänzend, 


HUGO    GEKING  355 

mit  erstaunlicher  aiisdauer  ertrug  er  die  Strapazen  der  reise,  ritt  die 
kreuz  und  die  quer  durch  das  einsame  land,  beobachtete  das  Volks- 
leben, vertiefte  sich  in  die  landschaftsbilder  und  bevölkerte  den  Schau- 
platz mit  den  gestalten  und  erinnerungen,  die  ihm  sein  Studium  in» 
herz  gesenkt  hatte.  Jetzt  wurden  sie  lebendig,  als  er  zum  heim  und 
und  zum  grab  Egill  Skallagrimssons  pilgerte,  bei  Snorri  Sturluson  ein- 
kehrte und  die  bühne  der  Eyrbyggja  musterte.  Hochbefriedigt  ist  er 
im  August  1908  heimgekehrt  hnd  durfte  noch  lange  von  den  ein- 
drücken dieser  mit  besonderer  dankbarkeit  empfangenen  nordlandfahrt 
zehren.  Im  jähr  1911  ist  er  als  Kieler  Vertreter  zum  universitäts- 
jubiläum  nach  Kristiana  entsandt  worden  und  mehrmals  hat  er  seit- 
dem die  dänischen  und  die  schwedischen  gestade  gegrüsst.  Denn  ais- 
er zum  Sommersemester  1921  emeritiert  wurde,  ist  er  keineswegs  zur 
ruhe  gesetzt  worden.  Die  lehrtätigkeit  an  der  Universität  hörte  auf, 
aber  das  Studium  wurde  in  seiner  reich  ausgestatteten  bibliothek  so 
regelmässig  und  unverdrossen  fortgesetzt  wie  je  zuvor. 

Die  Zeitschrift  für  deutsche  philologie,  deren  seele  er  war  (und 
die  nun  wohl  mit  ihm  ihr  ende  nehmen  wird),  hat  ihn  mit  vielfältigen 
beziehungen  nach  ausserhalb  in  atem  gehalten  und  bis  auf  seinen  letzten 
tag  zu  schriftstellerischer  arbeit  angespornt.  Am  18.  Dezember  1923 
durfte  er  die  schönste  feier,  die  einem  akademiker  zu  teil  werden 
kann,  das  goldene  doktorjubiläum  begehen  und  sich  daran  erfreuen,, 
dass  die  Hallenser  kollegen  in  ehrender  weise  das  diplom  erneuerten 
und  die  Kieler  kollegen  ihm  ihre  dankbarkeit  und  ihre  Schätzung  be- 
zeugten. Fünfvierteljahre  später  ist  er,  der  senior  der  deutschen  ger- 
manisten,  der  letzte  von  der  alten  garde,  dahingegangen.'  Das  neue 
geschlecht,  das  in  die  front  gerückt  ist,  wird  einem  H.  Gering,  der  um 
den  aufschwung  der  nordischen  Studien  in  Deutschland  sich  hoch  ver- 
dient gemacht  hat,  den  nachruhm  nicht  versagen.  Wir  aber,  die  wir 
ihm  nahe  standen,  ehren  in  dem  heimgegangenen  nicht  nur  den  ge- 
lehrten, sondern  auch  den  tapferen  mann,  dessen  bekennermut  für 
unsere  zunft  ein  Vorbild  war. 

Den  kern  seiner  vornehmen  persönlichkeit  hat  er  mit  dem  wort 
enthüllt,  das  er  im  jähr  1895  anlässlich  des  todes  von  0.  Erdmann 
ausgesprochen  hat:  'wenn  es  etwas  gibt,  das  uns  mit  der  nichtigkeit 
und  Vergänglichkeit  des  lebens  zu  versöhnen  im  stände  ist,  so  ist  es 
das  bewusstsein  treu  erfüllter  pflicht'  (Zeitschr.  28,  232).  In  der  tat, 
treue  war  der  sinn  seines  lebens.  Deutsche  treue,  ja  man  möchte 
sagen,  treue  im  altgermanischen,  im  guten  alten  sinn,  in  dem  die 
dichter  von  ihr  singen  und  sagen,  hatte  sich  in  H.  Gering  verkörpert  i 


354  HUGO    GERING 

treu  in  seinem  beruf  und  seinem  hauswesen,  treu  gegen  seine  freunde  — 
*das  ist  kein  echter  freund,  der  dem  andern  nur  das  angenelime  sagt' 
(Zeitschr.  50,  326)  -  treu  war  er  gegen  sich  selbst.  Dank  dieser  be- 
glückenden erfahrung,  mit  einem  treuen  deutschen  mann  zusammen- 
gearbeitet zu  haben,  spende  ich  ihm  das  totenopfer  mit  dem  wunder- 
vollen Spruch  aus  Goethes  Faust:  Nicht  nur  verdienst,  auch  treue 
wahrt  uns  die  person.  F.  K. 


Publikationen  von  Hngo  Gering  ^ 

1873. 

1.  Über  den  syntaktischen  gebrauch  der  participia  im  gotischen. 

Hallische  dissertation. 

1874. 

2.  Über   den   syntaktischen   gebrauch   der  participia  im  gotischen. 

Zachers  zs.  V,  294-:}2l.  ;-J93-4:33. 

1875. 

3.  Zwei  parallelstellen  aus  Vulfila  und  Tatian.     Zachers  zs.  VI,  1—3. 

4.  Anzeige  von  H.  Kluges  Geschichte  der  deutschen  nationallit. 

Pädag.  archivXVlI,   274-277. 

1876. 

5.  Die  kausalsätze    und   ihre   partikeln  bei   den   althochdeutschen   ühersetzern  des 
8.  und  9.  Jahrhunderts. 

Hallische  habilitationsschrift. 

6.  Anzeige  von  Vulfila  ed.  Bernhardt. 

Zachers  zs.  VII,  103-113. 

7.  Anzeige  fon  Ignaz  Peters,  Gotische  konjekturen. 

Zachers  zs.  VII,  484. 

1877. 

8.  Mitteldeutsche  glossen. 

Zachers  zs.  VIII,  330-337.  IX,  394. 

9.  Anzeige  von  Ssemundar  Edda  ed.  Hildebrand. 

Zachers  zs.  VIII,  483-485. 

1878. 

10.  Isländische  glossen. 

Zachers  zs.  IX,  385-394. 

1879. 

11.  Finnboga  saga  hins  ramma,  hrg.  von  H.  G.,  Halle  a.  S. 

Verlag  der  buchhandlung  des  Waisenhauses.     XL,  115  s.  8°. 

12.  Shakespeare  in  Island. 

Jahrb.  der  deutschen  Shakespearegesellschaft  XIV,  330-835. 

1)  Von  ihm  selbst  zusammengestellt. 


PUBLIKATIONEN  355 

1880. 

13.  Qlkofra   {)ättr  hrg.  von  H.  G.,  Halle  a.  S. 

Verlag   der   buchh.  des    Waisenhauses.     24  s.  8  '.     (Separatabdruck  aus   den 
'Beiträgen  zur  deutschen  philologie'). 

14.  Der  Beowulf  und  die  isländische  Grettissaga. 

Anglia  III,  74-87. 

15.  Anzeige  von  Chr.  Bang,  Vßluspaa  og  de  sibyllinske  orakler. 

Zachers  zs.  XI,  496. 

16.  Anzeige  von  Clarus  saga  ed.  Cederschiöld. 

Zachers  zs.  XI,  496-498. 

17.  Anzeige  von  Nyare  bidrag  til  kännedom  om  de  svenska  landsmälen  eck  svenskt 
folklif. 

Zachers  zs.  XI,  500-501. 

1881. 

18.  Anzeige  von  Beowulf  ed.  Heyne. 

Zachers  zs.  XII,  122-125. 

19.  Anzeige  von  Th.  Möbius,  Verzeichnis  der  auf  dem  gebiete  der  altnord.  aprache 
und  lit.  von  1855—1879  erschienenen  Schriften. 

Zachers  zs.  XII,  369-370. 

1882. 
■20.  Islendzk  seventyri.    Isländische  legenden,  novellen  und  märchen,  herausgegeben 
von  H.  G.  1.  band.     Text.     Halle  a.  S. 

Verlag  der  buchhandlung  des  Waisenhauses.     XXXVIII,  315  s.  8". 

21.  Anzeige  von  Ulfilas,  Ev.  Marci  edd.  Müller  u.  Hoeppe. 

Zachers  Zs.  XIII,  252-254. 

1883. 

22.  Islendzk  seventj'ri.  Isländische  legenden,  novellen  und  märchen,  herausgegeben 
von  H.  G.  2.  band.  Anmerkungen  und  glossar.  Mit  beitragen  von  Reinhold 
Köhler.     Halle  a.  S. 

Verlag  der  buchhandlung  des  Waisenhauses.    LXXVT,  396  s.  8'. 

23.  Zu  Heimskringla  ed.  Unger  s.  234.  491. 

Zachers  zs.  XIV,  234-236. 

24.  Anzeige  von  Nyare  bidrag  til  kännedom  om  de  svenska  landsmälen  ock  svenskt 
folklif. 

Zachers  zs.  XIV,  100-101. 

25.  Anzeige  von  J.  A.  Lundell,  Om  de  svenska  folkmälens  frändskaper  ock  etno- 
logiska  betydelse. 

Zachers  zs.  XIV,  101-102. 

26.  Anzeige  von  Ernst  Wilken,  Glossar  zur  pros.  Edda. 

Deutsche  lit.ztg.  nr.  35. 

1884  K 

27.  Anzeige  von  J.  Hoffory,  Oldnordiske  consonantstudier. 

Zachers  zs.  XVI,  377-381. 

1)  'Professor  Gering  bar  pä  en  tid,  da  han  var  öfverhopat  af  egen  arbete, 
at  mig  författad  de  tyska  referaten'  G.  Cederschiöld,  Fornsögur  sudrlanda.  Lund 
1884  vgl.  s.  CXXXIX.  CLXXV.  CCXVII  ff.  [F.  K.]. 

ZEITSCHRIFT  F.  DEUTSCHE  PHILOLOGIE.    BD.  L.  25 


356  HUGO   GERING 

28.  Anzeige  von  K.  Müllenhoff,  Deutsche  altertumskunde  V,  1. 

Lit.  centr.bl.  nr.  25. 

1885. 

29.  Über  eine  neue  ausgäbe  der  Ssemundar  Edda.  Vortrag  auf  der  philologenver- 
sammlung  zu  Dessau. 

Zachers  zs.  XVII,  117-119. 

30.  Anzeige  von  Vulfila,  ed.  Bernhardt. 

Zachers  zs.  XVII,  249-253. 

31.  Anzeige  von  E.  Bernhardt,  Got.  grammatik. 

Zachers  zs.  XVII,  254-255. 

32.  Anzeige  von  P.  Piper,  Glossar  zu  Otfrid. 

Zachers  zs.  XVII,  492-495. 

1886. 

33.  Kvael)abrot  Braga  ens  gamla  Boddasonar.  Bruchstücke  von  Brages  des  alten 
gedichten  herausgegeben  von  H.  G.  Halle  a.  S.,  verlag  von  Max  Niemeyer» 
31  s.  gr.8''. 

1887. 

34.  Glossar  zu  den  liedern  der  Edda  (Ssemundar  Edda)  von  H.  G.  Paderborn  und 
Münster.     Druck  und  verlag  von  Ferd.  Schöningh.  *  VIII,  200  s.  8". 

85.  Julius  Zacher.     Nekrolog. 
Hallische  Zeitung  nr.  71. 

36.  Anzeige  von  Guunlaugssaga  ed.  Mogk. 

Zachers  zs.  XIX,  494-501. 

37.  Altnordisch  v. 

Paul  u.  Braunes  beitr.  XIII,  202-209. 

38.  Anzeige  von  H.  J.  Huitfeldt-Kaas,  En  notitsbog  paa  voxtavler  fra  middelalderen. 

Zentralblatt  für  bibliothekswesen  IV,  351. 

39.  Anzeige  von  Festskrift  i  anledning  af  boghandlerforeningens  halvhundrede 
aarsdag. 

Zentralbl.  für  bibliothekwesen  IV,  357. 

40.  Anzeige  von  W.  Braune,  Ahd.  grammatik. 

Zachers  zs.  XX,  247-250. 

41.  Anzeige  von  H.  Frank,  Kosegarten. 

Zachers  zs.  XX,  365-374. 

1888. 

42.  Zu  Lauremberg.     Zeitschr.  XXI,  256. 

43.  Anzeige  von  Ludv.  Wimmer,  Dobefonten  i  Akirkeby  kirke. 

Zeitschr.  XXI,  487-492. 

44.  Anzeige  von  Kr.  Kälund,  Katalog  over  den  Arnamagnseanske  händskriftsamling  L 

Zentralbl.  für  bibliothekwesen  VI,  35—39. 

1889. 

45.  Jordans  Eddaübersetzung.     Grenzboten  1889,  11,  s.  366—373. 

46.  Eine  lausavisa  des  Hrömundr  halti. 

Zeitschr.  XXII,  383. 


PUBLIKATIONEN  367 

1890. 

47.  Textkritische  Studien  zu  skaldischen  dichtungen.     I.  Zur  Hau8tl9ng. 

Arkiv  f.  nord.  fil.  VII,  63-74. 

48.  Anzeige  von:  R.  Henning,  Die  deutschen  runendenkmäler. 

Zeitschr.  XXni,  354-361. 

49.  Nekrolog  auf  Theodor  Möbius  nehst  chronol.  Verzeichnis  seiner  Schriften. 

Zeitschr.  XXIH,  463-470. 

1891. 

50.  Anzeige  von :  Morgenstern,  Oddr  Fagrskinna  Snorre. 

Arkiv  f.  nord.  fil.  VII,  ;^86-87. 

51.  Anzeige  von:  Eeeves,  The  finding  of  Wineland  the  good. 

Zeitschr.  XXIV,  84-89. 

1892  ^ 

52.  Anzeige  von:  E.  H.  Meyer,  Die  eddische  kosmogenie. 

Theol.  literaturzeitung  1892  nr.  2  (sp.  40-43). 

53.  Das  zeichen  <. 

Litt.bl.  f.  germ.  u.  roman.  philologie  1892  nr.  2. 

54.  Zur  Geschichte  des  Zeichens  <. 

Ebda.  1892  nr.  5. 

55.  Die  zeichen  <  und  >. 

Zeitschr.  XXV  (1893)  s,  566-567  =  Kuhns  zs.  33,  479-80. 

56.  Die  Edda.  Die  lieder  der  sog.  älteren  Edda,  nebst  einem  anhang:  Die  mythischen 
und  heroischen  erzählungen  der  Snorra  Edda.  Übersetzt  und  erläutert  von  H.  G. 
Leipzig  und  Wien.     Bibliographisches  Institut  (o.  J.).     (VI),  17  u.  4o2  s.  8". 

57.  Zur  Lieder-Edda. 

Zeitschr.  XXVI  (1893)  s.  25-30. 

1893. 

58.  Der  zweite  Merseburger  sprach. 

Zeitschr.  XXVI  (1893)  s.  145-149. 

59.  Drauma-Jöns  saga. 

Zeitschr.  XXVI  (ISrS)  s.  289-309.     Auch  separat  gedruckt  als  gratulatione- 
schrift  für  Konrad  Maurer. 

60.  Noch  einmal  der  zweite  Merseburger  spruch. 

Zeitschr.  XXVI  (1893)  s.  462-467. 

1894. 

61.  Anzeige  von  M.  May,  Beiträge  zur  Stammkunde  der  deutschen  spräche. 

Zeitschr.  XXVII  (1894)  s.  124-125. 

62.  Anzeige  von  Joh.  Fritzner,  Ordbog  over   det  gamle  norske  sprog,  2.  udg. 

Arkiv  f.  nord.  filol.  X  (1894)  s.  392-97. 

63.  Zum  HeUand. 

Zeitschr.  XXVH  (1894)  s.  210-11. 

64.  Anzeige  von :  S.  Bugge*,  Bidrag  til  den  aeldste  skaldedigtnings  historie. 

Zeitschr.  XXVIH  (1895)  s.  121-127. 

1)  Excerpta  v.  cl.  Gering  comiter  ac  benigne  percensere  voluit  MGH  t.  XXIX 
(Hannov.  1892)  p.  254  [F.  K.]. 

25* 


358  HUGO    GERING 

1895. 

65.  Oskar  Erdmann.     (Nekrolog.) 

Zeitschr.  XXVIII  s.  228-35. 

66.  Neuere  Schriften  zur  runenkunde  (anzeige  von  Wimmer,  Senderjyliands  historiske 
runemindesmsrker ;  Wimmer,  De  tyske  runemindesmserker;  Bugge,  Norges 
indskrifter  med  de  aeldre  runer). 

Zeitschr.  XXVIII  s.  236-45. 

67.  Anzeige  von:   Ordbok  öfver  Svenska  spräket  utgifven  af  Svenska  akademien. 

Zeitschr.  XXVIII  s.  394-98. 

1896. 

68.  Zur  Lieder-Edda  II. 

Zeitschr.  XXIX  s.  49-63. 

69.  Glossar   zu    den    liedern    der   Edda   (Saemundar   Edda)  von  H.  G.     2.  aufläge. 

Paderborn,  druck  und  verlag  von  F.  Schöningh,  XVI,  212  s.  8". 

70.  Selbstanzeige  des  vorstehenden  buches. 

Zeitschr.  XXIX  s.  543-44. 

1897. 

71.  Anzeige  von:  Joh.  Fritzner,  Ordbog  over  det  gamle  norske  sprog,  2.  udg. 

Arkiv  f.  nord.  filol.  Xm  (1897)  s.  370-75. 

72.  Eyrbyggja  saga,  herausgegeben  von  H.  G.  Halle  a.  S.,  Max  Niemeyer.  XXXII, 
264  8. 

73.  Selbstanzeige  des  vorstehenden  buches. 

Zeitschr.  XXX  (1898)  s.  266-2ti7. 

1898. 

74.  Neuere  Schriften  zur  runenkunde  II  (anzeige  von  Wimmer,  De  danske  rune- 
mindesmserker und  Om  undersogelsen  og  tolkningen  af  vore  runemindesmserker 
u.  Soph.  Bugge,  Norges  indskrifter  med  de  seldre  runer). 

Zeitschr.  XXX  (1898)  s.  368-379. 

1900. 

75.  Zur  altsächsischen  Genesis. 

Zeitschr.  XXXIII  (1901)  s.  433-437. 

76.  Zum  Clermonter  runenkästchen. 

Zeitschr.  XXXIII  (1901)  s.  140-141.  287. 

77.  Anzeige  von:  Fr.  Holthausen,  Die  altengl.  Walderebruchstücke. 

Zeitschr.  XXXHI  (1901)  s.  139-140. 

1902. 

78.  Zu  flOvamgl  str.  100. 

Zeitschr.  XXXIV  (1902)  s.  133-134. 

79.  Über  Weissagung  und  zauber  im  nordischen  altertum.  Kiel,  Lipsius  &  Tischer.  31  s. 

(Rede  zum  antritt  des  rektorats.) 

80.  Die  rhythmik  des  Ijööahättr. 

Zeitschr.  XXXIV  (1902)  s.  162-234  und  s.  454-504. 

1903. 

81.  Vollständiges  Wörterbuch  zu  den  liedern  der  Edda.  Halle  a.  S.  Waisenhaus, 
xm  s.  und  1404  sp. 


PUBLIKATIONEN  359 

82.  Bas  deutsche  Wörterbuch  der  brüder  Grimm. 

Grenzboten  1903,  III,  677.  806. 

83.  Die  germanische  runenschrift.     Vortrag. 

Mitteilungen  des  Anthropol.  Vereins  für  Schleswig-Holstein  XVI,  s.  9—22. 

1904. 

84.  Die  lieder  der  älteren  Edda  (Ssemundar  Edda)  herausgegeben  von  Karl  Hilde- 
brand. Zweite  völlig  umgearbeitete  aufläge  von  H.  G.,  Paderborn,  druck  und 
Verlag  von  F.  Schöningh.     XX,  484  s. 

85.  Anzeige  von:  E.  Dagobert  Schönfeld,  Der  Island,  bauernhof  und  sein  betrieb 
zur  sagazeit. 

Zeitschr.  XXXVI  (1904)  s.  286-287. 

1905. 

86.  Neuere  Schriften  zur  runenkunde  UI  (anzeige  von  Wimmer,  De  danske  rune- 
mindesmaerker  H- IV  und  Sonderjyllands  runemindesmserker ;  S.  Bugge,  Norges 
indskrifter  med  de  seldre  runer  I,  4—6  H,  1  und  Norges  indskrifter  med  de 
yngre  runer  I;  S.  Söderberg,  Ölands  runinskrifter ;  G.  Stephens,  The  old- 
northern  runic  monuments  IV). 

Zeitschr.  XXXVHI  (1906)  s.  124-143. 

1906. 

87.  Beowulf  nebst  dem  Finnsburg-bruchstück  übersetzt  und  erläutert  von  H.  G. 
Heidelberg,  Karl  Winters  Universitätsbuchhandlung.     XU,  121  s. 

1907. 

88.  Hugsvinnsmäl.  Eine  altisländische  Übersetzung  der  Disticha  Catonis,  heraus- 
gegeben von  H.  G.     Kieler  Universitätsprogramm.     XIV,  39  s. 

89.  Zu  den  Hugsvinnsmäl. 

Zeitschr.  XXXIX  (1907)  s.  238. 

90.  Glossar  zu  den  liedern  der  Edda  (Ssemundar  Edda)  von  H.  G.  3.  aufl.  Paderborn, 
druck  u.  Verlag  von  F.  Schöningh.    XII,  229  s. 

1908. 

91.  Zu  dem  Bornholmischen  runensteine  von  Vester  Marie  VI. 

Zeitschr.  XL,  218-19. 

92.  Anzeige  von:  Paul  Herrmarm,  Island  in  Vergangenheit  und  gegenwart. 

Zeitschr.  XL,  374-377. 

93.  Um  sambandsmäliö  (aus  einem  briefe  an  Björn  Magnüsson  Olsen). 

'Reykjavik'  1908  nr.  55  (1.  decbr.). 

1909. 

94.  Anzeige  von:  Finnur  Jonsson,  Den  norskislandske  skjaldedigtning. 

Zeitschr.  XLI,  231-38. 

1910. 

95.  Altnordisch  v. 

Zeitschr.  XLH,  233-35. 

96.  Neuere  Schriften  zur  runenkunde  IV  (anzeige  von  Wimmer,  De  danske  rune- 
mindesmaerker  I,   1   und  IV,  2;   Magnus   Olsen,    En    indskrift   fra   Flaksand; 


360  HUGO    GERING,   PUBLIKATIONEN 

ders.,    Tryllerunerne    paa    et    vsevspjeld  fra   Lund;    0.  v.  Friesen    und   Hans 
Hansson.  Kj^fverstenen). 
Zeitschr.  XLII,  k:36-250. 

1911. 

97.  Zur  Lieder-Edda.  III. 

Zeitschr.  XLIII,  132-140. 

98.  Die  episode  von  Rggnvaldr  und  Ermingerör  in  der  Orkneyinga  saga, 

Zeitschr.  XLUI,  428-434. 

1912. 

99.  Die  lieder  der  älteren  Edda  (Ssemundar  Edda),  herausgegeben  von  Karl  Hilde- 
brand. Völlig  umgearbeitet  von  H.  G.  8.  aufl.  Paderborn,  druck  und  verlag 
von  Ferd.  Schöningh.     XXV,  483  e. 

100.  Beiträge  zur  kritik  und  erklärung  skaldischer  dichtungen. 

Zeitschr.  XLIV,  133-169. 

101.  Anzeige  von:  Die  geschieh te  vom  skalden  Egil,  übertragen  von  Felix  Niedner. 

Zeitschr.  XLIV,  489-492. 

1913. 

102.  Beowulf  nebst  dem  Finnsburg-bruchstück  übersetzt  und  erläutert  von  H.  G. 
Heidelberg,  Carl  Winters  Universitätsbuchhandlung.  Zweite  durchgesehene 
aufläge.     XV,  123  s. 

103.  Zu  Zeitschr.  44,  489  ff. 

Zeitschr.  XLV,  68-71. 

1914. 

104.  Die  episode  von  R^gnvaldr  und  Ermiugerör  in  der  Orkneyingja  saga.  Zweiter 
artikel. 

Zeitschr.  XLVI,  1-17. 

1915. 

105.  Glossar  zu  den  liedern  der  Edda  (Ssemundar  Edda)  von  H.  G.  4.  aufl.  Pader- 
born, druck  und  verlag  von  F.  Schöningh.  X,  229  s. 

106.  Zur  erinnerung  an  Gustav  Gering.  Für  verwandte  und  freunde  als  manuskript 
gedruckt.     Kiel  67  s. 

107.  Altnordische  Sprichwörter  und  sprichwörtliche  redensarten.  Eine  nachlese  zu 
Ark.  30,  61  ff.,  17U  ff. 

Arkiv  f.  nord.  filol.  32,  1-31. 

108.  Anzeige  von :  Edda.  Die  lieder  des  Cod.  regius,  herausgegeben  von  G.  Neckel.  I. 

Zeitschr.  XLVI,  466-469. 

1916. 

109.  Zur  runeninschrift  des  weberkammes  von  Drontheim. 

Arkiv  f.  nord.  filol.  33,  63. 

110.  Artus  fututor. 

Hermes  LI,  632-635.  ^ 

1918.  H 

111.  Sensen  als  altnordische  Waffen? 

Arkiv  f.  nord.  filol.  35,  181-83. 

1919. 

112.  Njarar. 

Zeitschr.  XLVHI,  1-7. 


KAUFFMANN,   ÜBER   DEN   SCHICKSALSGLAUBEN   DER   GERMANEN  361 

113.  Das  dänische  Volkslied  Paris  og  dronning  Ellen  und  seine  quelle. 

Beitr.  z.  gesch.  der  deutschen  spr.  u.  lit.  44,  180—182. 

1920. 

114.  Anzeige   von:    H.   F.  Feilberg,   Bidrag  til   en   ordbog   over  jyske   almuesmäl. 

Zeitschr.  XLVIII,  291-315. 

115.  Öttarr  heimski. 

Ark.  f.  nord.  filol.  36,  326-331. 

116.  Ludvig  Wimmer.     Nekrolog. 

Zeitschr.  XLVIII,  500-506. 

1922. 

117.  Zu  Arkiv  XXXVII,  329. 

Ark.  f.  nord.  fil.  -38,  216. 

118.  Die  lieder  der  älteren  Edda  (Ssemundar  Edda),  herausgegeben  von  Karl  Hilde- 
brand. Völlig  umgearbeitet  von  H.  G.  4.  aufl.  Paderborn,  druck  und  verlag 
von  F.  Schöningh.     XXVIII,  484  s. 

1923. 

119.  Glossar  zu  den  liedem  der  Edda  (Saemundar  Edda)  von  H.  G.  5.  aufl.  Pader- 
born, druck  und  verlag  von  F.  Schöningh.  X,  231  s. 

120.  Anzeige  von:  Die  Eddalieder,  klanglich  untersucht  und  herausgegeben  von 
Ed.  Sievers. 

Zeitschr.  L,  93-97. 

1924. 

121.  Das  fornyröislag  in  der  Lieder-Edda.    Eine  statistische  Übersicht. 

Ark.  f.  nord.  fil.  40,  1-50.  176-221. 

122.  Grottas^ngr.  Eine  probe  aus  dem  Eddakommentar.  Festschrift  für  E.  Mogk 
6.  30-53. 

123.  Bälagardssiöa. 

Namn  och  bygd  12,  121-126. 

124.  Zur  Eddametrik   (HärbarJ)slj6t),  SigrdrifumOI,  Ätlakvil)a,  AtlamQl,  HamJjesmOl). 

Zeitschr.  L,  127-175. 

125.  Abwehr  (gegen  E.  Sievers). 

Zeitschr.  L,  326-331. 


ÜBER  DEN  SCHICKSALSGLAUBEN   DER  GERMANEN 

Der  schicksalsglaube  der  Germanen  ist  ein  religionsgeschicht- 
liches problem^.  Seine  erörterung  wird  daher  nicht  von  der  mytho- 
logie   ausgehen   dürfen,   sondern   die   auf  grund  des  Sprachgebrauchs  ^ 

1)  J.  Grimm,   Deutsche   mythologie   1,*  335  ff. ;   2,  714  ff. ;  vgl.  0.  ^chrader, 
Neue   Jahrbücher   1919,   75  ff.     M.  P.   Nilsson,    Archiv    für    religionswissensch.  22^ 
<1924),  383  ff.  / 

2)  A.  Wolf,  Die  bezeichnungen  für  Schicksal  in  der  ags.  dichtersprache.  Diss. 
Breslau  1919;  vgl.  R.  Jente,  Die  mythologischen  ausdrücke  im  altengl.  wertschätz. 
Heidelb.  1921  (Anglistische  forschungen  56). 


362  KAUFFMANN 

als  gemeingermanisch  erkennbaren  glaubensvorstellungen  zur  riebt- 
schnür  nehmen  müssen  und  insbesondere  dies  zu  beachten  haben^ 
dass  die  mittelalterlichen  anschauungen  denen  des  altertums  nicht 
kongruent  sind.  Ganz  und  gar  nicht  kommt  für  die  vorzeit  jene  ver- 
allgemeinernde und  vereinheitlichende  abstraktion  in  frage,  die  seit 
dem  17.  Jahrhundert  vom  weltanschaulichen  denken  vollzogen  wurde 
und  den  aus  der  spräche  unserer  grossen  dichter  uns  geläufig  ge- 
wordenen schicksalsbegriff  zur  herrschaft  gelangen  Hess.  Denn  in  den 
denkmälern  der  Vergangenheit  zerfällt  das  'Schicksal'  in  eine  bunte 
reihe  von  Schicksalsfügungen,  mächten  und  gestalten.  Für  jede  von 
ihnen  wird  ein  eigenes  Ordnungsprinzip  zu  suchen  sein. 

Das  mittelalterliche  Europa  huldigte  oder  widersprach  einem- 
in  der  völkerweit  altbegründeten  schicksalsglauben,  der  durch  das^ 
Christentum  neu  bestimmt  worden  war.  Es  bevorzugte  unter  den 
Schicksalsmächten  diejenigen,  die  der  alte  orient  in  den  gestirnen 
verkörpert  gesehen  hatte.  Es  hatten  sich  aber  auch  aus  der  griechisch- 
römischen  weit  die  parzen  auf  die  fortschreitend  sich  romanisierenden 
reiche  der  Völkerwanderung  vererbt.  Die  planetengötter  einerseits  und 
die  schicksalsspinnerinnen  andererseits  sprachen  die  phantasie  der 
mittelalterlichen  menschen  an  ^  (mag  sie  auch  im  norden  von  den  alt- 
germanischen Vorstellungen  nicht  losgekommen  sein). 

An  den  überlebsein  des  orientalischen,  hellenistischen  und  ger- 
manischen schicksalsglaubens  konnte  weder  die  bibel  noch  die  missio- 
nierende kirche  gleichgiltig  vorübergehen.  Sie  haben  vielmehr  ernstlich 
damit  gerechnet  und  auf  die  art  mit  ihnen  sich  abgefunden,  dass  sie 
das  Schicksal  nicht  negierten,  sondern  dem  regiment  ihres  all- 
mächtigen gottes  unterstellten. 

Die  bibel  hat  hierfür  den  weg  gewiesen  und  in  grundlegender 
weise  zu  den  in  den  gestirnen  sich  offenbarenden  Schicksalsfügungen 
Stellung  genommen.  Es  ist  von  interesse,  zu  verfolgen,  wie  die  Ger- 
manen sich  dazu  verhalten  haben. 

Von  dem  auferstandenen  Christus  datierte  das  Neue  testament 
eine  neue  Schöpfung:  x.aiv7)  xTict;,  nova  creatura,  got.  niuja  gaskafts 
(2.  Cor.  5,  17;  Gal.  6,  15).  Mit  Christus  ist  ein  neuer  aion  ange- 
brochen, das  'leben'  der  alten  weit  (got.  fairk-us)  samt  dem  götzen- 
und  Bchicksalsdienst  abgetan.  Jetzt  hat  sich  erwiesen,  dass  die  den 
göttermächten    anhängenden    Völker    einem    wahnglauben    verknechtet 

1)  F.  v.  Bezold,  Das  fortleben  der  antiken  götter  im  mittelalterlichen  humanis- 
mus  (Bonn  1922)  s.  75  ff. 


ÜBER   DEN    SCHICKSALSGLAUBEN   DER   GERMANEN  363 

gewesen  sind  {galiugagude  skolkinossus  Gal.  5,  20;  Col.  3,  5)^;  denn 
mit  der  macht  der  gestirne  *,  auf  die  die  Völker  (piudos)  bisher  ver- 
traut haben  ^,  ist  es  nichts ;  mächtig,  übermächtig  ist  allein  der  lebendige 
schöpfergott  der  Christen  *. 

Wie  die  bibel,  so  eiferte  auch  die  missionierende  kirche  wider 
die  vorchristlichen  mächte  des  Schicksals  ^.  Die  astrologie  hatte  den 
lebenslauf  der  menschen  von  den  gestirnen  abhängig  gemacht  und  die 
schicksalsgläubigen  auf  die  sterndeutung  verwiesen,  weil  der  astrolog 
{mathematlciis,  horoscopiis)  das  Schicksal  der  menschen  aus  den  kon- 
stellationen  der  gestirne  abzulesen  vermochte^.  Die  beobachtung  der 
mächtigen  himmelsgestirne,  der  tagesgötter,  die  die  stunden  regierten  ^, 
wurde  eine  weitverbreitete  sitte.  Sie  hat  bei  den  Germanen  ihren 
einzug  gehalten,  als  sie  während  der  Völkerwanderung  die  römische 
woche  mit  ihren  sieben  tagesgöttern  übernahmen^.  Nun  achteten 
auch  sie  auf  die  machtwirkung  eines  in  den  Sternen  geschriebenen 
Schicksals^:  qiii  fatum  malum  out  honum  in  hominibus  esse  credunt 
.  .  .  qui  astrologia  et  tonitrualia  legit  .  .  .  qiii  signa  caeli  et  Stellas  ad 
auratum  inspicet  {augurandi  causa)  .  .  .  qui  dies  aspicet,  quos  pagani 
erranfes  soles  lunes  martes  mercures  ioves  veneres  saturni  nominaverunt, 
et  credet  sibi  per  hos  dies  viani  agendam  vel  negotium  faciendum  vel 
in  quacumque  utelitate   alia   aut   iovamen  aut  gravamen  fieri  posse  vel 

1)  Vgl.  1.  Cor.  8,  4-6. 

2)  Vgl.  Sapientia  13,  1— Z;  oi  äaxepec  .  .  .  ai  Suvä^iscs  ai  ev  zoXg  obpavolg 
stairnons  .  .  .  mahteis  pos  in  himinani  Marc.  13,  25 ;  uf  tugglam  skalkinondans 
Gal.  4,  3  A  (Zeitschr.  49,  41  anm.  1);  ags.  heofones  tungl  Boethiua  ed.  Sedgefield 
s.  129,  5. 

3)  iddjedup  hi  pizai  aldai  pis  fairh^aus  (aiwis)  bi  reih  waldufnjis  lustaus 
Eph.  2,  2. 

4)  ka  ufarassus  mikileins  mahtais  is  in  uns  paim  galaubjandam  bi  waurstwa 
mahtais  swinpeins  is  .  .  .  ufaro  allaize  reikje  jah  tvaldufnje  Jah  mähte  jah  frauji- 
nassiwe  (supra  omnem  principatum  et  potestatem  et  virtutem  et  dominationem) 
Eph.  1,  19.  21  vgl.  in  mahtai  swinpeins  is  6,  10;  iit  allai  mahtai  gasivinpidai  bi 
mahtai  wulpaus  is  Col.  1,  11;  dazu  2,  10. 

5)  Caspari,  Homilia  de  sacrilegiis  s.  19  if. 

6)  Isidor,  Eymol.  VIII,  9;  vgl.  F.  Boll,  Sternglaube  und  sterndeutung. 
Leipzig  1919. 

7)  dagam  witaip  jah  menopum  jah  melam  jah  apnam  Gal.  4,  10;  J.  Grimm, 
Mythol.  2  *,  953  f. ;  z.  b.  Vetieris  dient  in  nuptias  obstrvare  et  quo  die  in  via  exeatur 
adtendere  Martin  von  Bracara  ed.  Caspari  s.  32.  12.  29  u.  ö.  XCVII.  CIX  ff.  Ho- 
milia de  sacrilegiis  s.  25  ff.     Jente  a.  a.  o.  s.  241  f.     Arch.  f.  religionswiss.  19,  118  f. 

8)  Kauffmann,  Deutsche  altertumskunde  2,  509;  Martin  von  Bracara  ed. 
Caspari  s.  LXXVIII  ff. 

9)  Martin  von  Bracara  ed.  Caspari  s.  CXV  f. ;  Jente  a.  a.  o.  s.  255  ff. 


364  KAUFFMANN 

ipsiim  diem  quem  ioves  dicunt  j^f'opter  iovem  colet  et  opera  in  eo  non 
facti  .  .  .  quicumque  novnm  lunam  contralunium  vocat  et  in  aliqua 
utilitate  operis  sui\  sive  ad  agendam  v/am  sive  ad  agrum  arandum  vel 
letamen  vehendum  aut  vineam  potandam  atque  colendam  aut  in  silva 
ligna  incidenda  aut  domum  contimiandam  aut  quocumque  aliud  agendum 
et  p)^'*'  lni'Ci'>n  sibi  fieri  impedimentum  credit,  iste  non  christianus  sed 
pagnnus  est  Homilia  de  sacrilegiis  s.  6  ff.,  19  ff.  Auch  diese  geheimnis- 
vollen Schicksalsmächte,  denen  die  mittelalterlichen  Jahrhunderte  nicht 
glaubten,  sich  entziehen  zu  dürfen,  wurden  in  abhängigkeit  von  gott 
gesetzt,  das  fatum  seiner  Providentia  einverleibt  ^ 

Als  das  hauptwerk  des  Boethius  in  die  Volkssprachen  Englands 
und  Deutschlands  übertragen  und  in  St.  Gallen  auch  die  'hochzeit  der 
Philologie'  von  Marcianus  Capella  bearbeitet  wurde,  musste  zu  dem 
fatum  Stellung  genommen  werden. 

In  dem  mythologischen  handbuch  des  Spätrömers  ist  von  den 
parzen,  ausführlicher  jedoch  von  den  planetengöttern  gehandelt  und 
fitum  durch  ahd.  urlag  wiedergegeben^:  der  urlag  heizet  latine  con- 
stillatio  .  .  .  ist  kesaget,  wio  an  dien  planetis  menniakon  urlag  st  unde 
metemunga  iro  Itbes  (cursus  fafalis  siderum:  tiu  fart  iro  urlaglichun 
metemungo)  .  .  .  wanda  mathematici  ivänent  taz  ter  urlag  echert  st  an 
demo  vfrucche  dero  siernon,  ih  meino  an  iro  ortu,  dar  sie  alles  kahes 
ze  ougon  choment  Notker  ed.  Piper  1,  780,  5  ff.  ^. 

Für  diesen  an  der  astrologie  (horoskopie)  orientierten  schicksals- 
glauben  wurde  damals  statt  des  altheimischen  urlag  ein  sonderwort, 
ein  die  macht  der  planetengötter  kennzeichnender  ausdruck  für 
'Schicksal'  neu  gebildet:  wilsulda.  Dies  wort  besagt  dass  die  gestirne 
die   'stunden'  regieren  und  mit  ihnen  glück  oder  Unglück  bescheren*. 

Notker  wandelte  seine  aussage  (fatum  urlag  280,  Ü  *)  ab,  bemerkte  in  der 
Boethiusübersetzung:  tiu  rihti  des  fati  .  .  .  duinget  tero  menniskon  täte  unde  iro 
wilsdlda  mit  festemo  bände  dero  urhabo  (a.  a.  o.  s.  281,  "iL  ff.)  und  erwähnte  in  der 
€apellaverdeutschung  alle  die  wilsdlda  {fortunae)  dero  toerlte  ioh  tero  dieto  (waz 
mag   in   werelte   sin  iz   newerde   umbefangen   mit  tien  ringen  dero  planetarum  ?  föne 

1)  PBBeitr.  35,  238. 

2)  Vgl.  z.  b.  fatum  heizet  daz  iovis  kesprichet  unde  tres  parcae  gebriefent  .  .  . 
tannan  diutent  knuoge  fatum  urlag  Notker  ed.  Piper  1,  780.  280;  latein.  fatum 
war  von  haus  eine  schicksalsverkündigung,  ein  orakelspruch  (versus  antiquissimi, 
quibus  Pannus  f  ata   cecinisse   hominibus  videtur,  saturnii  appellantur  Varro  7,36). 

3)  tiu  rihti  des  selben  fati  diu  fuoret  unibe  den  himel  mit  tien  sternon  280,  9—11. 

4)  horarum  effectiva  potentia  Arch.  f.  religionswiss.  19,  119.  20,  361. 

5)  tirlag  738,  3.  798,  21:  tvilsälda  1'61,  28  (wilmaht).  manigi  dero  wtlsdldon 
(fortunarum)  707,  31  (manigi  dero  zutfelsäldon  710,  10;  fortime  daz  chit  tero 
wilewendigi  40,  13). 


ÜBER  DEN   SCHICKSALSGLAUBEN   DER   GERMANEN  365 

in  Wirt  tero  menniscon  lib  pesturzet  so  maihematici  wanent)  s.  709 ;  tär  stuont  unt' 
beringet  al  daz  io  zUo  ward  aide  wirdet  unde  die  wtlsälda  allero  burgo,  allero  dieto, 
allero  chuningo,  allero  liuto  .  .  .  under  sus  ketdnen  ferten  dero  wUsäldon  s.  704.  Er 
schilderte  schliesslich  die  wilsälda  (fortuna)  folgendermassen :  do  cham  ouh  allero 
diernon  ferchröndosta  unde  diu  io  föne  unstdtero  gnuhte  unde  widerivartigero  inda- 
galtlichero  liehti  suepferlicho  sprungezta ;  si  gab  wilon  filo,  filo  nam  si  ouh  .  .  .  dia 
heizent  sunteliche  sortem,  sumeliche  nemesim,  wanda  sors  latine  unde  nemesis  grece 
ein  bezeichenent,  sumeliche  heizent  sie  wtlsälda,  sumeliche  chraftelösi,  wanda  umbe 
infirmitatem  wurte7i  löz  funden  (schicksalsorakel)  8.  761:  in  demo  iovis  statahüs  (consi- 
storium)  .  .  .  treib  trätero  spuote  daz  unwendiga  hiinelloz  ein  wib,  tiu  adrastia  heizet 
.  .  .  si  was  tes  lieza,  wenne  ioman  solti  geborn  iverden  aide  ersterben  .  .  .  tres  parce 
iovis  priefarun  sina  reda  vilo  gewäro  scribent,  ih  nieino  cloto,  daztir  chtt  evocatio 
s.  hominum  de  non  esse  in  esse,  unde  lachesis,  taztir  chtt  sors  s.  qualiter  vivant, 
unde  atropos,  taz  chtt  absque  ordine  s.  moriendi,  wanda  sie  in  allen  alteren  erster- 
hent  8.  739  f.  Von  den  jüngeren  belegen  fallen  namentlich  die  der  Kaiserchronik 
ins  gewicht  (ed.  Schröder  v.  3029  ff.)':  diu  icilscelde  ie  muoz  ergdn  3474.  3516. 
3664  ff  ^;  das  glück  oder  Unglück  einer  'stunde'  ist  gemeint  ^  Mancherlei  lägst 
sich  dafür  und  dawider  einwenden  (3508—10),  der  Vertreter  der  astrologie  bleibt 
dabei :  swelher  ie  tot  lac,  daz  was  sin  wile  und  sin  tac,  er  mahtes  niht  über  werden, 
swelhes  tödes  er  solt  ersterben  (M537— 40) ;  daz  maisterent  allez  Septem  planete,  die  .  .  . 
die  wile  tihtent  und  ir  iegelih  besunder  walzet  alumbe  und  muoz  ir  ztt  durh  gän ; 
da  nekanst  du  mir  niht  von  gesagen,  in  den  puochen  pin  ich  gezogen,  zewär  diu 
wilscelde  muoz  ie  dem  mennisken  komen,  swaz  im  der  von  solt  geskehen  (3544—53); 
iegelich  ziuhet  stn  lip,  also  im  diu  wilscelde  gtt  3107  f. ;  ih  spriche,  daz  nehain  got 
die  werlt  rihte  noh  sie  niht  antraite  unt  daz  der  uppik  arbaite,  der  in  der  werlt 
ihtes  gere,  wan  also  ime  diu  wilscelde  gebe,  in  sicelher  wtle  der  nienniske  wirt  geborn, 
ditc  muoz  iemer  über  in  komen  (3165—72).  Diesem  konsequenten  schicksalsglauben 
gegenüber  stellen  die  Vertreter  der  kirchenlehre  sich  auf  den  Standpunkt  daz  du 
sprichest,  daz  wilscelde  si,  iz  nehät  nehainer  slahte  craft,  sunder  elliu  disiu  werlt 
stät  under  aim  skephcere  (3336—39) ;  der  allmächtige  schöpfergott  der  Christen  (alle 
dinc  megende  3298)  hat  in  siner  hitote  al  daz  in  dirre  werlt  ist  (3300). 

Dass  an  den  Schicksalsfügungen  irgendwie  ein  gott  beteiligt 
sei,  war  schon  in  den  Zeiten  Homers*  eine  geläufige  Vorstellung,  und 
so   Hess   denn   auch   Marcianus  Capella   seinen   Jupiter  die  kugel  der 

r  ortuna  beschauen  :  tiu  föne  allen  elementis  so  zesamene  geduhet  was,  taz  niehf 
tarana  nebrctste  alles  des  tiu  natura  begrtfet;  allez  taz  werltpilde  was  sament  fore 
iovis  ougon,  ivanda  in  gotes  muote  unde  in  gotes  Providentia  tvas  io  gebildot 
unde  sament  pegriffen  diu  sunderiga  misselichi  allero  creaturarum  s.  741.  Tiu  spera 
was  tirro  tverlte  gescaft  unde   bilde  .  .  .  tcaz  alle  unde  waz  iogeliche  Hute  allero  dieto 

1)  Eöhrscheidt,  Studien  zur  kaiserchronik,  diss.  Göttingen  1 907  s.  44  ff.  49  ff. 
(disputation   über  die  wilscelde);  ferner  Frommanns  Mundarten  1  (1854),  185. 

2)  wie  mäht  daz  ain  wile  getragen,  daz  si  in  ainer  wile  wurden  geborn  und 
in  ainer  wile  doch  den  lip  hant  verlorn  3490—92.  3504—6.  3606  u.  a.  vgl.  der  wile 
vier  und  zwenzich  sint .  .  .  3518  ff.  (ir  iegelich  hat  ir  chraft) ;  wile  unde  stunde 
3568.  3641 ;   diu  wile  in   grözen   saelden   3815  f.  (steht  im  zeichen  grossen  glucks). 

3)  uzerhalb  der  wilsaslde  iemer  iht  mac  gescehen  3880. 

4)  Arch.  f.  religionswiss.  22,  383  ff. 


366  KAUFFMANN 

tageliches  ilen  getuon,  daz  shinet  al  uzer  demo  spiegide  des  pildonten  gotes,  taz 
wirt  al  ersetcen  in  dero  spera;  wen  er  wolti  Idzen  gedihen  aide  missedihen  unde 
wen  geborn  werden  aide  erslagen  werden,  daz  püdota  er  imo  al  dar  selbo  mit  sinero 
haut  .  .  .  welih  lant  er  wolti  ferdösen  aide  gesäligon,  wuoste  wesen  aide  bühafte,  daz 
kemisselichota  er  al  selbchostiger  scaffare  .  .  .  tisen  allelichen  nrlag  in  dero  spera 
scouwonde  ioh  skepfende  s.  745.  Die  mannigfaltigkeit  der  8chicksalsfügungea 
ist  hier  übersichtlich  zusammengestellt  und  statt  auf  wtlsälda  wiederum  auf  urlag 
bezogen.  Es  ist  aber  nicht  mehr  eine  schicksalsmacht,  sondern  ein  gott,  der  es 
'schafft',  und  wie  auf  den  heidnischen  so  ist  diese  leistung  nun  auch  auf  T3en 
christlichen  Gott  übergegangen.  In  Notkers  Boethius  steht:  wer  ist  ouh,  ter 
guot  innehalte  xinde  übel  uztribe,  äne  got  tero  menniskon  muoto  rihtare  ioh  arzenare? 
so  er  aba  demo  chapfe  sinero  pr ovidentie  haranider  wartendo  chiuset,  waz  ioge- 
lichento  gelimfe,  danne  gibet  er  imo,  daz  er  imo  bechennet  limfen.  so  geskihet  tanne 
daz  sunderglicha  ivimder  des  in  rihti  farenten  urlages,  taz  kot  wizzende  tuot,  des 
sih  iinwizende  erchomen  s.  283  f.  kot,  allero  naturon  skepfor,  alliu  ding  sestot  io 
ze  guote  siu  cherende  unde  ze  sinero  gelichi  duingendo  diu  er  geskuof  ferstözet  er 
uzer  sinemo  rtche  allero  ubelolth  mit  tero  nothaftun  rihti  des  urlages 
6.  290,  5—11  *.  Der  abschnitt  de  Providentia  et  fato  (s.  274  ff.)  ist  der  genaueren 
erörterung  dieses  problems  gewidmet :  ordo  fatalis  ex  providentie  simplicitate  procedit 
{wanda  fatum  chumet  föne  Providentia)  .  .  .  quo  tit  ut  omnia  que  fato  subsunt^ 
providentie  quoque  subiecta  sint,  cui  etiam  ipsum  fatum  subiacet  (so  ist  ouh  fatum 
undertdn  providentie,  wanda  Providentia  fore  ist  an  gotes  willen  unde  den  ivillen  fatmn 
nähkändo  follot)  .  .  .  sive  igitur  fatum  exercetur  famulantibus  providentie  qui- 
busdam  divinis  spiritibus  seu  anima  seu  tota  inserviente  natura  seu  celestibus 
siderum  motibus  {sunnun  unde  mdnen)  seu  angelica  virtute  seu  demonum 
(tievales)  varia  sollertia  seu  aliquibus  horum  seu  omnibus  fatalis  series  texitur, 
illud  certe  manifestum  est,  providentiam  immobilem  formam  esse  gerendarum  rerum 
et  simplicem,  fatum  vero  mobilem  nexum  atque  ordinem  temporalem  eorum,  que 
divina  simplicitas  gerenda  disposuit  (sotveder  fatum  gefrumet  tverde  .  .  .  so  ist  io  daz 
kuis,  providentiam  wesen  stilla  unde  einstuodela  scaffunga  dero  geskehen  sulndon 
dinge,  aber  fatum  fertiga  chnupfeda  unde  zHlicha  ordena  dero  diu  gotes  einfalti 
scaffota  ze  tuonne)  s.  216  {.  inin  diu  sizzet  obenan  der  skepfo  unde  rihtendo,. 
cheret  er  dero  tverlde  zuol,  herro  unde  chuning,  anagenne  unde  urspring,  selbiu  diu 
ea  unde  wtse  eteilare  des  rehtes  a.  292,  8— 13^ 

Eb  lohnt  sich,  der  Verdeutschung  des  St.  Galler  theologen  die 
ags.  Übersetzung  könig  Alfreds  gegenüberzustellen.  Dabei  fällt  auf, 
dass  er  für  fatum  das  von  dem  Alemannen  gebrauchte  urlay  vermeidet 
und   uyrd  an   seine   stelle   setzt,   z.  b.  an   dem  soeben   zitierten   ort: 

/ios  wandriende  (wandelbare)  wijrd,  J>e  tve  wyrd  hätad  .  .  .  siddan  tve  hit  hdtad  wgrd,. 
siddayi  hit  ^eworht  bid,  cer   hit  tvces  ^odes  foreJ>onc  ond  his  foretiohhun^.    pä  wyrd 

1)  Vgl.  8.  280  f.  48,  16  ff.  (wilsälda). 

2)  Der  rechtssprache  angehörende  ausdrücke  werden  auch  für  das 
Schicksals  walten  der  parzen  gebraucht:  deposco  parentem  principemque  maximum 
s.  iovem  fatumque  nostrum  i.  deorum  ,  .  .  dine  brievara  (parcarum  chorus)  scafont 
tero  menniscon  ding,  tu  scaffost  tero  goto  ding  Marc.  Capella  s.  724  f. ;  Vgl.  s.  762 
(sie  fertigen  die  schicksalsurkunden  aus). 


ÜBER  DEN   SCHICKSALSGLAUBEN   DER   GERMANEN  367 

Jie  ponne  wyrcd  odde  Jmrh  pd  goodan  englas  odde  /mrh  momta  sdwla  odde  purh 
öderra  gesceafta  lif  odde  purh  h e ofo nes  tungl^  odde  purh  ßdra  scuccena  mis- 
lice  lotivrencas  .  .  ,  ac  poet  is  openlice  cüd,  pcet  sie  godcunde  fo?'etiohhung  is  dnfeald 
ond  unandivendlic  otid  weit  celces  pinges  endebyrdlice  ond  eall  ping  gehitcad.  siimu 
Ping  ponne  on  pisse  weorulde  sint  underdied  pwre  wyrde,  sume  hire  tidnwuht  under- 
died  ne  sint,  ac  sio  tcyrd  ond  eall  pd  ping,  pe  hire  underdied  sint,  sint  underdied 
/cem  godcundan  foreponce  .  .  .  (King  Alfreds  old  english  Version  of  Boethius,  de 
consolatione  philosophiae  ed.  Sedgefield  [Oxf.  1899]  s.  128  f.).  Unzweideutig  hat 
also  der  Angelsachse  Stellung  genommen  und  das  Schicksal,  ohne  seine  macht 
zu  bestreiten,  in  des  allmächtigen  Christen gottes  hand  gelegt.  Als  einer 
Schickung  gottes-  harren  die  christenmenschen  ihres  Schicksals;  'Schicksal'  und 
'Vorsehung'  sind  für  sie  fast  nur  verschiedene  ausdrücke  für  ein  und  dieselbe  welt- 
ordnung:  Pcet  pcette  we  hdtad  godes  foreponc  ond  his  foresceawung,  pmt  bid  pd 
hivile  pe  hit  pcer  mid  him  bid  on  his  möde,  cerpcem  pe  hit  gefremed  weorde,  pd 
htmle  Pe  hit  gepoht  bid;  ac  siddan  hit  fullfremed  bid,  ponne  hdtad  we  hit  tvyrd. 
be  py  mceg  celc  man  witan,  pcet  hit  sint  cegper  ge  twegen  nainan  ge  twd  ping, 
Joreponc  ond  tvyrd  .  .  .  ac  pcet  pcet  ice  wyrd  hdtad,  pcet  bid  go  des  weor c  .  .  .  sio 
tcyrd  ponne  dceld  ealluni  gesceaftum  amvUtan  ond  stöica  ond  ti'da  ond  gemetgunga, 
ac  sio  wyrd  cyd  of  pcem  gewitte  ond  of  pcem  foreponce  pces  celmehtigan  godes.  se 
wyrcd  cefter  his  unasecgendlicum  foreponce  swa  hwcet  swa  he  teile  s.  128'. 

Eifrigst  wurde  in  diesem  sinn  gegen  den  schicksalsglauben  der  vorzeit  ge- 
predigt: sujne  udiviotan  peah  secgad,  pcet  sio  wyrd  tcealde  cegper  ge  gescelda  ge  un- 
ßescelda  celces  monnes.  ic  ponne  secge,  swa  swa  ealle  cristene  men  secgad,  pcet  sio 
godcunde  foretiohhung  his  walde,  nces  sio  wyrd  ond  ic  weit,  pcet  hio  demd  eall  ping 
swide  rihte,  peah  ungesceadwisum  men  swa  ne  pince  s.  131 ;  ne  win  pii  no,  pcet  ic  to 
atiivillice  winne  tvid  pd  wyrd,  forpcem  ic  hit  no  seif  tiauht  ne  ondrcede,  forpäm  hit 
oft  gebyred,  pcet  sio  le'ase  wyrd  nauper  ne  mceg  pcem  men  dön  .  .  .  ic  wdt,  pcette  sio 
widerwearde  wyrd  bid  celcum  men  nytwyrdre  pon  sio  orsorge  .  .  ;  s.  47 ;  hü  ne  is  pe 
nu  genoh  stveotole  gesced,  pcet  sio  wyrd  pe  ne  mceg  ndne  gescelda  sellan  s.  25  u.  a.  *. 

Diese  Christianisierung  des  schicksalsglaubens,  ein  unbestreitbarer 
«rfolg  der  mission,  schuf  eine  neue  basis,  von  der  aus  die  gescheh- 
nisse  beurteilt  wurden.  Sie  kommt  in  der  frühchristlichen  dichtung 
der  Westgermanen  deutlich  zum  Vorschein. 

1)  Vgl.  0.  s.  363  got.  tuggl. 

2)  jod,  yfel  wyrd  a.  a.  o.  s.  137  f.  (folcisce  men  secjad,  Jjset  aelc  redu  wyrd 
ond  unwynsumu  sie  yfel,  ac  we  ne  sculon  l)fes  jelefan,  forjjsem  l)e  selc  wyrd  bid 
jöd).  —  In  Skandinavien  ist  dieselbe  auffassung  vertreten  worden:  af  gupi  ero 
Mir  hltitir  ok  qU  skepna  hans  göp  en  illt  kallaz  af  Jn-i  ekki  at  pat  er  engl  skepna 
pvi  at  gup  sköp  alla  hluti  gopa  ok  ekki  illt  .  .  .  Hauksbök  udg.  af  F.  Jonsson  s.  491  £f. 
vgl.  494,  20  ff.  496,  15  ff.  (nichts  geschieht  nema  firir  domez  af  gupi). 

3)  Brandl,  Festgabe  für  F.  Liebermann  s.  257  f. ;  Wolf  s.  42 ;  Jeute  s.  197  ff.,  201  ff. 

4)  Vgl.  Metra  11,  1  ff.  22  ff.  13,  1  ff.  20,  18  ff.  28,  69  ff.;  The  homilies  of 
Aelfric  ed.  Thorpe  1,  HO  ff.  (ctvcedon  pcet  se  äteorra  his  gewyrd  ivcere,  gewite  pis 
^edwyld  fram  geleaffidlum  heortum,  pcet  cenig  gewyrd  st  biiton  se  celmihtiga  scyp- 
pend)  134.  273  ff.  (in  der  arguraentation  mit  der  Kaiserchronik  [o.  s.  365]  sich  be- 
rührend). 


368  KAUFFMANN 

Unter  den  rätseln  Aldhelms  trägt  eins  die  Überschrift  Fahim; 
der  Verfasser  bezeichnet  scharf  den  unterschied  der  heidnischen  und 
der  christlichen  auffassung  des  'Schicksals': 

Facundum  constat  quondam  cecinisse  poetam:  quo  deus  et  quo  dura  vocat 
fortuna,  sequamur!  me  veteres  falso  dorn  in  am  vocitare  solebant,  sceptra  regen» 
mundi  dum  Christi  gratia  regnet'. 

Von  den  ags.  rätseln  wird  derselbe  Standpunkt  eingenommen^ 
und  auch  in  den  denkmälern  frühangelsächsischer  gnomik  ist  es  gott^ 
der  das  Schicksal  bestimmt^.  Desgleichen  in  der  ags.  Genesis  und 
den  verwandten  dichtungen  ist  gott  der  herr  des  Schicksals,  das  der 
mensch  zu  gewärtigen  hat*,  und  heisst  darum  wyrda  waldend  (Exod. 
432,  Andr.  1056-,  Elene  80).  Auch  der  Beowulfdichter  dachte  sich  die 
wyrd  'in  einem  dienstverhaltnis  zu  gott'^,  der  ihre  machtwirkung  zu 
hemmen  vermochte:  pone  amne  heht  golde  for^yldan  pone  pe  Grendel 
(FT  mäne  äcwealde,  swd  he  hyra  mä  wolde,  nefne  him  ivitlg  ^od  wyrd 
forstöde  ond  pces  mannes  mod;  metod  ealliim  iveold  ^umena  cynnes 
swd  he  nu  ^it  ded  .  .  .  fela  scecd  ^ebidan  leofes  ond  Idpes,  se  pe  longe 
her  on  pyssum  winda^um  worolde  briiceä  (1053-62).  Der  Heliand- 
dichter  hat  diesen  christlichen  Standpunkt  selbstverständlich  geteilt: 
hahed  im  iviirdgiscopu  metod  gimarcod  endi  mäht  godes  127  f.;  godes 
giscapu  mahtig  gimanodun  336  f.,  547;  thiu  berhtun  giscnjpu  .  .  .  endl 
mäht  godes  367  f. ;  thu  giwald  habes  thurh  thiu  helagun  giscapu  himiles 
endi  erdun  4063  f. 

Aber  hier  wie  dort  fehlt  es  nicht  an  ausdrucksformen,  die  aus 
einer  andern  Weltanschauung  stammen.  Denn  die  Germanen  sind  doch 
nicht  so  leicht  mit  ihrem  altererbten  schicksalsglauben  fertig  geworden, 
wie  es  den  anschein  haben  könnte.  Man  war  nicht  gesonnen,  ihn 
aufzugeben.  Man  bekannte  sich  zwar  zu  der  neuen  weitmacht,  dem 
allmächtigen  christengott,  dem  herrn  des  Schicksals :  er  ist  jnihfa  ^od 
El.  819 ;  se  metoda  drihten  (The  homilies  of  Aelfric  ed.  Thorpe  1,  598. 

1)  MGH  Auct.  antiqu.  XV,  101. 

2)  Z.  b.  41,  1  ff.  (bearbeitung  von  Aldhelms  de  creatura);  Tupper  s.  30  ff.  161  ff. 

3)  tvyrd  hid  swidost  ...  is  seo  fordgesceaft  di^ol  ond  dyrne,  drihten  dna 
wdt  Grein  1'^,  338 ;  tveoruda  god,  metod  meahtum  swid  monnum  dceled  ,  .  .  se  pe  dh 
dömes  getveald  3^,  140;  meahtig  dryhten  .  .  .  scyred  ond  scrifed  ond  gesceapu  healded 
.  .  .  weoroda  god  .  .  .  gesceapo  ferede  ceghtvylcum  on  eordan  eormencynnes  s.  150  f. ; 
Tgl.  Pauls  Grundr.  2,  959  ff.  1036  f. 

4)  ^if  pe  altvalda  i'ire  drihten  scirian  wille  se  pe  ^esceapu  healded,  pcet  fm  .  .  . 
Gen.  2826  ff. ;  seif  es  gesceapu  heofoncyninges  842  f.;  wyrd  wechselt  mit  drihtnes 
dorn  25701. 

5)  Brandl,  Festg.  f.  F.  Liebermann  s.  253  f. ;  vgl.  Anglia  39,  11  ff.,  Wolf  s.  37  ff. 


ÜBER   DEN    SCHICKSALSGIiAÜBEN   DER   GERMANEN  369 

2,  252.  316.  328.  380.  512);  metod  alwuhta  Metr.  20,  253  {eallra 
pin^n,  peoda  wählend,  frwna  ond  ende  .  .  .  lätteow  lif^endra  ^ehwces 
274-78).    Aber  es  verstummte  nicht  die  quälende  frage:  eaia  min  drih- 

ten,  pu  pe  ealle  gesceafta  ofersihst  .  .  .  eala  pu  celmihtiga  scippend  ond  rihtend  eallra 
^esceafta  .  .  .  hwy  pu  la  drihten  cefre  woldesf,  pcet  seo  wyrd  siva  hivyrfan  sceolde 
(Boethius  s.  lOj  ?  *  pu  celmihiiga  ealra  gesceafta  sceppend  ond  reccend  .  .  .  htci  pu  ece 
^od  xefre  wolde,  pcet  sio  wyrd  on  gewill  tvendan  sceolde  yßum  monnum  ealles  swa 
swipe?  .  .  .  (firum  unctid,  hwi  sio  wyrd  swa  wo  tvendan  sceolde)  .  .  .  gif  pu  nu, 
walde)id,  ne  wilt  wirde  st4oran  ae  on  selftcille  sigan  Icetest,  ponne  ic  wät,  pcette 
wile  woruldmen  tweogan  .  .  .  eala  min  drihten,  pu  pe  ealla  ofersihst  worulde  gesceafta 
Metr.  4,  29  fif. 

Angesichts  dieser  zweifei  (Metr.  28,  69  ff.)  und  der  unbestrittenen 
machtwirkungen  des  'Schicksals'  ^  ist  es  nicht  zu  verwundern,  wenn 
nicht  nur  neben,  sondern  auch  statt  des  gottes-  und  Vorsehungsglaubens 
der  alte  schicksalsglaube  zum  durchbruch  gelangte:  wi/rd  oft  nered 
toifce^ne  eorl,  ponne  his  eilen  deah  Beowulf  572  f.  (,sw«  mce^  unfce^e 
eade  gedigan  weau  ond  wrcecs'ip,  se  pe  ivealdendes  hyldo  gehealded 
229 1-93)  ^ 

Schicksalsfügungen 

Das  Schicksal  (swaz  sich  sol  gevüegen  Nib.  1680),  die  urbestimmung 
der  geschaffenen  dinge  hat  es  hauptsächlich  mit  dem  beginn  und  mit 
dem  beschluss  ihres  daseins  zu  tun. 

Durch  die  bei  der  geburt  sich  vollziehende  Schöpfung  wird  ein 
geschaffenes  mit  den  wesensmerkmalen  seiner  beschaffenheit  begabt 
und  bis  auf  den  heutigen  tag  ist  das  wort  'beschaffen'  —  von  haus 
aus  mit  'geschaffen'  (erschaffen)  identisch  -  in  einem  besonders  nahen 
Verhältnis  zu  'geschaffen'  verblieben,  auch  nachdem  die  beiden  partner 
sich  zu  verselbständigen   begannen^.     Alles  geschaffene  ist  irgendwie 

1)  ic  p)e  tvolde  acsian  .  .  .  pe  sio  godcunde  foretiohhung  odde  sio  wyrd  us  nede 
to  pccm  pe  we  willan  ?  s.  140,  19—22. 

2)  Boethius  ed.  Sedgefield  s.  12,  16  ff. ;  pu  scedest,  pcet  Jni  wende  pcet  pios 
slidne  wyrd  Jms  ivoruld  wende  buton  godes  gepeahte  13,  24  f.  (30—32) ;  pe  puhte,  pcet 
seo  ivyrd  swidost  on  pinne  willan  wode  48,  13.  Manche  wähnten  diesen  schicksals- 
glauhen  vom  teufel  eingegeben  (und  erinnerten  damit  an  die  vorchristlichen  mächte 
der  finsternis):  me  pcet  pjynced,  pcet  kie  for  cefstum  inivit  syredon  purh  deoptie 
gedu'olan  deofles  Icirum,  hceled  hinfüse  hyrdon  to  georne  tvrddnm  wcerlogan,  hie 
sio  tvyrd  besicäc,  forleolc  ond  forlcerde  Andr.  609  ff. ;  Wolf  s.  31  f. 

3)  Herrigs  Archiv  115,  179;  Wolf  s.  40  (Hess  unfcege  nicht  zu  seinem  rechte 
kommen). 

4)  sivaz  ist  geschaffen,  daz  muoz  geschehen:  daz  ist  beschaffen,  daz  kan  doch 
nienian  wenden  .  .  .  mir  geschiht  niht  wan  mir  geschaffen  ist  .  .  .  beschaffen  (fatatum) 
Müller-Zarncke,  Mhd.  wb.  2,  2,  68 f.;  J.  Grimm,  Mythol.  3,  258  f. 


870  KAUFFMANN 

beschaffen  und  damit  nicht  nur  ins  leben  gerufen,  sondern  zugleich 
auch  naturhaft  oder  schicksalhaft  in  seinem  dasein  bestimmt.  Darum 
ist  zu  allen  Zeiten  der  geburtsakt  für  den  schicksalsgläubigen  be- 
deutungsvoll gewesen  K  Der  astrolog  stellte  die  nativität :  astrologi 
dicti  eo  quod  in  astris  auguriantur ;  genethliaci  appellati  pro2)ter  nata- 
liutn  considerationes  dierum,  geneses  enim  hominum  per  duodecim  caeli 
Signa  describunt  siderumque  ciirsu  nascentium  mores  actus  eventa  prae- 
dicare  conantur  id  est  quis  quäle  signo  fuerit  natus  aut  quem  effectum 
habeat  vitae  qul  nascitur ;  hi  sunt  gui  vulgo  mathematici  vocantur  .  .  . 
horoscopi  dlcti,  quod  horas  nativitatis  hominum  specidantur  dissimili  et 
diverso  fato  Isidor,  Etymol.  8,  9,  22  ff.  ags.  tun^elwitega  vel  ^ebyrd- 
tvitega  (mathematicus)  Jente  s.  248  f.  261;  wanda  mathematici  ivänent, 
taz  ter  urlag  echert  st  an  deme  ufrucche  dero  sternon  .  .  .  unde  sower 
ijiin  diu  geboren  werde,  um  iovis  Stella  uf  hat,  taz  temo  prospera 
folgeen,  übe  aber  Stella  martis  inin  diu  chome,  daz  imo  adversa  bega- 
genen  suli7i,  sosamo  wellen  sie,  übe  sih  gemini  inin  diu  äugen  beginnen, 
daz  er  scöne  werde  unde  übe  taurus,  taz  er  guot  accherman  tverde 
Notker  1,  780.  nullus  sibi  proponat  fatum  vel  fortunam  aut  genesim, 
quod  vulgo  nascentia  dicitur,  ut  dicat,  qualem  nascentia  attulit 
taliter  erit  MGH.  Script,  rer.  Merov.  4,  707;  Caspari,  Homilia  de 
sacrilegiis  s.  19^. 

Statt  der  gestirne  Hessen  unsere  Völker  auch  die  parzen  oder  feen  * 
bei  einem  geburtsakt  in  tätigkeit  treten :  credidisti  quod  quidam  credere 
solent,  ut  illae  quae  a  vulgo  parcae  vocantur,  ipsae  vel  sint  vel  possint 
hoc  facere  quod  credunfur,  id  est  dum  aliquis  homo  nascitur,  et  tunc 
valeant  illum  designare  ad  hoc,  quod  velitit  (Burchard  von  AVorms; 
Grimm,  Mythol.  3,  409)*.  Auch  in  der  nordischen  mythologie,  d.  h. 
in  den  dichterischen  Spiegelungen  des  schicksalsglaubens  der  nordischen 

1)  J.  Grimm,  Mythol.  2,  715  ff. 

2)  'Ich  finde  nicht,  dass  in  unserm  ältesten  heidentum  das  fatum  aus  den 
gestirnen  bei  der  gehurt  beurteilt  wurde,  diese  Weissagung  scheint  erst  dem  späteren 
mittelalter  bekannt.  Radulphus  Ardens  (ein  aquitanischer  geistlicher  des  11.  Jahr- 
hunderts) sagt  in  seinen  homilien:  cavete  fratres  ab  eis  qui  mentiuntur,  quod  quando 
quisque  n  ascitur ,  Stella  sua  secum  nascitur,  qua(e)  fatum  eius  constituit{ur) 
absit  a  fidelium  cordibus,  quod  esse  aliquid  fatum  dicant  .  .  .  (Migne,  Patrol.  ser. 
lat.  155,  1732)  J.  Grimm,  Mythol.  2\  717.  3,  258.  402. 

3)  Grimm,  Mythol.  1«,  838  ff.  3,  116  ff. ;  vgl.  KHM.  50;  Bolte-Polivka  1,409. 

4)  ß.  Pecock,  der  in  Oxford  und  London  wirkte  und  die  angriffe  gegen  die 
geistlichkeit  durch  seinen  'Repressor'  (1455)  abzuwehren  suchte,  redet  von  närrischen 
opiniones  einfältiger  leute,  wie  .  .  .  ///  sistris  (whiche  ben  spiritis)  comen  to  the 
cradilis  of  infantis  for  to  sette  to  the  habe  what  shal  befalle  to  Mm  (parzen;  mit 
der  nativitätsstellung  verknüpft)  Brandl,  Festg.  f.  Liebermann  s.  261. 


ÜBER   DEX   SCHICKSALSGLAUBEN   DER   GERMANEN  371 

Völker  durften  die  nornen  dem  neugeborenen  die  grundbestimmungen 
seines  lebens  stiften.  Als  Borgbild  den  Helgi  gebar,  knüpfte  sich 
das  Schicksal  {0rlgg)  eines  heldenlebens  und  die  dichtung  stellte  diesen 
Volksglauben  im  stil  der  Eddamythologie  also  dar: 

Ngtt  varj)  i  bo  nornir  kvQmu 

l)ars  ol)lingi  aldr  of  sköpu; 

böl)U  fjlki  frtogstan  ver{)a 

ok  bul)lunga  Laztan  l^ykkja. 

Snoru  af  afli  0rlogt)öttu  ... 

l)8er  of  greiddu  golliu  bimu 

ok  und  mänasal  milijau  festu. 

Jiser  austr  ok  vestr  enda  fölu, 

liar  atti  loflmugr  land  d  milli ; 

brä  nipt  Nera  ä  norljrvega 

einni  festi,  ey  baj)  lialda. 

Eitt  vas  at  angri  ylfluga  nil^ 

ok  l)eiri  meyju  es  munug})  foddi  .  .  . 

Lrafn  kval^  at  hrafiii  .  .  ;  (Helgakv.  Huod.  1,  2—5). 

Die  schicksalhafte  'begabung'  des  beiden  finden  wir  bei  Saxo 
Grammaticus  in  eine  kurz  nach  der  geburt  erfolgende  orakelkund- 
gebung  {fatum,  nrlag)  der  schicksalsmächte  verlegt;  der  schicksals- 
glaube  wirkte  sich  hier  nicht  in  einem  mythos,  sondern  in  einem 
kultakt  aus,  von  dem  man  aber  grund  hat  anzunehmen,  dass  seine 
Schilderung  nicht  volkstümlicher  religionsübung,  sondern  dem  lite- 
rarischen formelschatz    der  fornaldarsaga  entstamme^:  mos  erat  antiquis 

super  futuris  llberormn  evetiiibus  x>tt>' ca  runi  oracula  consultare.  quo  rttu  Frid- 
levus  Olavi  filii  fortunam  exploraturus  nuncupatis  solenniter  votis  deoruni  edes  preca- 
bundus  accedif,  ubi  introspecto  sacello  ternas  sedes  totidem  nymphis  occtipari  cognoscit. 
quarum  prima,  indidgencioris  animi,  liberalem  puero  forman  uberemque  liumani 
favoris  copiam  erogabat.  eidein  secunda  beneficii  loco  Uberalitatis  excellentiam  condo- 
navit.  tercia  vero  proterrioris  ingenii  invidenciorisque  studii  femina,  sororiim  indnl- 
ge.nciorem  asperiiata  consensum  ideoque  earum  donis  officere  cupiens,  futuris  pueri 
moribus  parsimonie  crimen  offixit,  ita  aliarum  beneficiis  tristioris  fortune  veneno 
corruptis  accidit,  ut  Olavo  pro  gemina  munerum  raciojie  permixta  liberalitati  par- 
citas  tribueret  cognomentiim.  quo  evenit,  ut  prioris  indulgencie  svavitatem  inserta 
beneficio  nota  confunderet  (ed.  Holder  p.  181). 

Die  mit  der  geburt  eines  menschen  sich  verknüpfende  be Stim- 
mung seines  Schicksals  durch  die  nornen  verdeutlichte  der 
Nornagestsjjattr  (c.  10-11)  mit  hilfe  der  die  wochenstube  besuchenden 
Wahrsagerinnen    (par  foru  pa  um  land  vglüur,  er  kallapar  vdru  spä- 

1)  Olrik,  Sakses  oldhistorie  2,  62  f.  68  ff. ;  Herrmann,  Saxo  2,  409. 
ZEITSCHRIFT  F.  DEUTSCHE  PHILOLOGIE.    BD.  L.  26 


372  KAUFFMAXN 

koniir).  Auch  aus  dieser  genrehaften  darstellung  des  mythos  enthüllt 
sich  der  schicksalsglaube  (skyldu  spd  0rlQg) :  u  eh  pd  i  voggu  ok  er  pmr 

skißdii  tala  um  mitt  mal,  ßd  hrunnu  yfir  mir  hertisljös  tvau.  pcer  mieltu  vel  til 
min  ok  sqgjju  mik  mikinn  aupnumann  ver/ja  mundu  ok  sggpu  allt  svd  skyldu 
fara  um  mitt  rdp.  hin  yngsta  nornin  pöttist  oflitils  metin  af  hinum,  tveim,  er 
P(er  spurjm  hana  eigi  eptir ;  var  par  ok  mikil  ribhalda  sveit,  er  henni  hratt  ör  sinu 
S(Hi  ok  feldu  til  jarpar.  af  pessii  varp  hon  skapsfygg,  kallar  hon  ßjd  hdtt  oh 
reipiliga,  hap  hinar  hxetta  svd  g^ßnim.  ummcelum  vip  mik:  'pvlat  ek  skapa  honum 
pat,  at  hann  skal  eigi  Ufa  lengr,  en  kerti  pat  brennr,  er  upp  er  tendrat  hjd  sveini- 
num'.  eptir  petta  tök  vplvan  sii  hin  ellri  kertit  ok  slokkir  ok  bijjr  möjmr  mlna  varp- 
veita  ok  kveikja  eigi  fyrr  en  d  sij)astum  dggum  lifs  mtns  .  .  .  var  pat  ok  jafnskjött, 
at  brunnit  var  kertit,  ok  gestr  andapist  .  .  .  ok  pötti  sannast  um  lifdaga  hans  svd 
sem  hann  sagpii  (ed.  Bugge  s.  76  ff.) 

Das  märchen  hat  dasselbe  motiv  auf  seine  art  abgewandelt^: 
die  fürstin  gebar  ein  sehr  schönes  mädchen  und  an  dem  tag,  an  dem  sie  es  gebar^ 
kamen  drei  weiber,  die  sich  'blauröcke'  nannten  und  darum  baten,  das  neugeborene 
kind  sehen  zu  dürfen.  Die  älteste  nahm  das  wort:  'du  sollst  Märthöll  heissen  und 
das  bestimme  ich,  dass  du  vor  allen  fraueu  ausgezeichnet  sein  sollst  durch  Schönheit 
und  verstand,  aber  das  lege  ich  auf  dich,  dass,  so  oft  du  auch  weinen  mögest,  deine 
thränen  alle  zu  gold  werden'.  Die  zweite  sprach:  'ich  wünsche,  dass  dir  alles  zu 
teil  werde,  was  meine  Schwester  dir  bestimmt  hat ;  das  aber  bestimme  ich,  dass  du 
einen  königssohn  zum  gatten  bekommest'  .  .  .  Die  jüngste  Schwester  aber  sagte, 
sie  wolle  diese  guten  wünsche  nicht  zu  nichte  machen,  aber  dies  'lege  ich  auf  dich, 
dass  du  in  der  ersten  nacht,  in  welcher  du  bei  dem  königsohne  schläfst,  in  einen 
Sperling  verwandelt  davonfliegen  und  aus  dieser  Verzauberung  nicht  befreit  werden 
sollst,  wenn  du  nicht  das  glück  hast,  dass  jemand  in  der  dritten  nacht  das  sperlings- 
gefieder  verbrennt:  in  den  ersten  drei  nachten  kannst  du  es  abstreifen,  später  aber 
niemals  wieder'.  Ais  die  Schwestern  dies  hörten,  wurden  sie  zornig,  eilten  davon 
und  wurden  nie  wieder  gesehen-. 

Das  leitmotiv  dieser,  verschiedenen  stilarten  mythischer  dichtung 
unterworfenen  berichte  ist  der  glaube,  bei  seiner  geburt  werde  der 
mensch  für  sein  leben  lang  schicksalhaft  begabt.  In  der  formel  skapa 
mQnnum  aldr  oder  0rlQg  drückte  dieser  glaube  sich  aus  und  nahm 
damit  für  die  schicksalsmächte  einen  in  die  geburt  sich  verflechtenden 
schöpfungsakt  in  anspruch  ^  Dies  schicksalsweben  hat  aber  nicht  nur 
in  der  dichtung,  sondern  auch  im  'aberglauben'  spuren  hinterlassen, 
die  auf  dieselbe  fährte  führen  wie  die  mythischen  szenen  (von  den 
das  neugeborene  kind  mit  seinem  Schicksal  betreuenden  nornen).  Am 
bekanntesten  ist  die  aus  dem  römischen  ins  germanische  folklore  über- 

1)  Stellensammlung  bei  Feilberg,  Jysk  ordbog2,  483;  vgl.  Kaufmann,  Balder 
s.  164  ff. 

2)  Poestion,  Isländische  märchen  (1884)  nr.  XVII  s.  137  ff.;  vgl.  A.  Kitters- 
haus,  Die  neuisländ.  Volksmärchen  s.  68  ff. 

B)  'Wie  die  nornen  oder  feen  begaben,  wie  sie  schaffen,  danach  fügt  sich 
der  ganze  lebenslauf  des  neugeborenen'  Grimm,  Mjthol.  2,  715  f. 


ÜBER   DEN    SCHICKSALSGLAUBEN   DER   GERMANEN  373 

gegangene  sog.  glüekshaube  (heim).  Kinder,  die  in  die  blasenartige 
eibaut  des  embryo  (die  'naehgeburt')  gehüllt  (ags.  citdhmnd)  ^  zur 
weit  gebracht  werden  ^,  sind  vom  Schicksal  ungewöhnlich  begabte 
'glückskinder'  ^  Der  anteil,  den  die  schicksalsmächte  an  dieser  bei 
der  geburt  sich  offenbarenden,  glückverheissenden  fügung  nehmen  *, 
hatte '  zur  folge,  dass  die  glüekshaube  auf  Island  fi/lgja  heisst  ^  und 
eine  bekannte  schicksalsgestalt  mit  den  die  geburt  begleitenden  Schick- 
salsfügungen in  Zusammenhang  bringt  ^ 

Alt  an  Jahren  sind  jene  schicksalsfrauen,  die  an  der  wiege  den 
neugeborenen  die  bestimmungen  ihres  daseins  verkündigen,  alt  sind 
die  Schicksalsordnungen,  die  bei  der  geburt  eines  lebewesens  in  kraft 
treten.  In  dem  ags.  gedieht  Phönix  ist  von  dieses  vogels  ^ecijnd  (387) 
die  rede:  pcet  ne  wät  ceni^  monna  cynnes  hiUan  metod  äna,  hü  pa 
ivisctn  sind  wundorlice  fce^er  fy rn^esce ap  yyyih p ce s  fu ;^les  ^ehyr  d 

1)  Vgl.  Woordenboek  der  nederlandsche  taal  s.  v.  ham,  heim. 

2)  solent  piieri  pileo  insigniri  natiirali,  qiiod  obstetrices  rapiunt  et  advocatis 
credidis  vendunt,  siquidem  causidici  hoc  iuvari  dicuntur  Aelius  Lampridius,  Antoninus 
Diadumenus  c.  4  (Script,  liistor.  Aug.  ed.  Peter  1,  214);  dazu  ab  eo  tegmine  obste- 
trices et  delirae  aniciilae  infantibus  bona  ex  colore  rubicundo  et  mala  ex  nigri- 
cante  praesagire  solent  Grimm,  Mythol.  2,  728. 

3)  Wuttke,  Volksaberglaube  3  s.  217.  38L  406  u.  ö. ;  Grimm,  Mythol.  2,  728  f. 
3,  2G5. ;  E.  H.  Meyer,  Germ,  mythol.  s.  67  if. ;  0.  Schrader,  Neue  Jahrbücher  1919, 
77;  reichhaltigste  materialsammlung  bei  Feilberg,  Jjsk  ordbog  s.  v.  sejrsskorte. 

4)  'Es  ist  in  diesen  tagen  ein  kind  mit  einer  glückshaut  geboren:  was  so 
einer  unternimmt,  das  schlägt  ihm  zum  glück  aus  ...  es  ist  ihm  auch  geweissagt, 
er  solle  die  tochter  des  königs  zur  frau  bekommen'  KHM.  nr.  29;  Bolte-Polivka 
1,  288  f. 

5)  Biskupa  SQgur  2,  168  {barns  fylnja)\  exuviae  et  membranule,  quibus  infans 
natus  in  matris  venire  olim  indutus  fuerat  et  quae  cum  eo  in  Incem  exeunt,  vocantur 
apud  Islandos  fylgja,  nomen  hamr  iis  etiam  iusto  iure  attribui  videtur.  Existit 
apud  Islandos  traditio  perantiqua,  quod  in  Ulis  membranis  genius  vel  pars  animae 
infantis  sedem  teneat.  Hinc  sine  dubio  genius  quem  superstitio  finxit  et  adhuc  inter 
plebejos  quosdam  islandicos  fingit,  certa  forma,  praesei-tim  animalis  alicuius,  indii- 
tum,  hominem,  perpetuo  sequentem,  qui  hamingja  et  fi/lgja  a  veteribus  vocatus  fuit. 
Posteriore  nomine  adhuc  inter  nostrates  gaudet.  Obstetrices  islandicae,  quae  Uli 
superstitio?ii  deditae  sunt,  exuvias  illas  putant,  tanquam  sacruni  quid,  minime  lae- 
dendas,  sed  magna  cum  cautela  tractandas  et  eas  igitur  sub  transcedendo  a  matre 
limine  inhumant;  inquiunt  enim  exteros,  qui  eas  non  curant,  sed  vel  dehnt  igne  vel 
alio  modo  securi  abjiciunt,  fylgis  sive  geniis  comitantibus  destitui.  Arnamagn.  ausgäbe 
der  Ssemundar  Edda  2  (1818),  653  anm. 

6)  ä  pessi  stundu  tip  er  borinn  i  Norege  konungs  son  mep  bJQrtom  fylgjom 
ok  hamingjom  Saga  Olafs  konungs  Tryggvasonar  ed.  Munch  (Christ.  1853)  c.  5;  Det 
amamagnseanske  haandskrift  310  udg.  af  P.  Groth  s.  10  f.  u.  a. 

26* 


874  KAUFFMANN 

(357-60)  ^  So  rückte  denn  ^cbi/rd  in  die  stelle  von  ^esceap-^e^ceaft 
ein  (conditio  .  .  .  natura  ...  lex  gesccep,  gewt/rd,  gesceaft,  gehyrd  Anglo- 
salon  vocabularies  ed.  Wright  1,  213)^  und  so  wurde  fi/rngesceaj)  durch 
eald  gesceaft  bekräftigt: 

mödor  ne  rseded,  l)onne  heo  majan  ceuned, 

hü  liim  weorde  jeond  worold  widsid  sceapen. 

oft  heo  to  bealwe  bearn  afeded 

seolfre  to  sorje,  siddan  dreojed 

his  earfodu  orlejstunde  .  .  . 

fordan  näh  seo  mödor  jeweald,  l)onne  heo  majan  cenned, 

bearnes  bla;des  ac  sceal  on  jebyrd  faran 

an  a^fter  änum:  jieet  is  eald  jesceaft 

Salomo  und  Saturn  370-74.  383-85. 

Eine  ähnliche  bewandtnis  hat  es  mit  ags.  jeci/nd  (on  gemjttde 
'artgemäss'  Metr.  13,  55.  20,  76)^,  denn  dies  wort,  'abstamraung' 
bedeutend,  bet'asst  unter  sich  die  (schicksalhafte)  beschaffenheit  ge- 
schaffener dinge  *  mit  der  sie,  kraft  ihrer  herkunft,  bei  ihrer  entstehung 
begabt  worden  sind^  Schicksalhaft  vererbte  sich  nach  germanischer 
auffassung  in  einer  sippe  die  Wesensart^,  gebijrd  und  gecynd  berühren 
sich  also  zwar  mit  apaP,  unterscheiden  sich  aber  davon  durch  den 
schicksalhaften  einschlag,   der  ihnen  eine  erweiterte  funktion  verlieht 

Die  angeborene  art,  eine  naturanlage  (anord.  epU-opli)  erschien 
im  lichte  des  schicksalsglaubens  als  bei  der  geburt  anerschaffen.    Sehr 

1)  siua  htm  cet  fruman  sette  sigora  soäcynin^  sellicran  geci/nd  .  .  .  ofer  fugla 
ci/n  {scyppendes  ^iefe)  327—30;  Vgl.  ivuldre  ^emearcad,  See  is  se  cepelin^,  se  ße  him 
Ixet  ead  ^e/M  318  f. 

2)  on  gebi/rd  bedeutet  geradezu  'schicksalsgemäss':  07i  ^ebyrd  Jiniro7i  gäre 
wunde  .  .  .  nalles  hölinga  Höces  dohtor  meotodsceaft  hemearn  Beow.  1074—77  (Jente 
s.  221  f.);  on  gesceap  Rätsel  39,  4;  on  gesceaft  Dan.  366  (Wolf  s.  54  f.  86  f.). 

3)  onhidyrfdon    >ne    of  Jnere  gecyjide  .  .  .  wiä  gesceape  minuni  Rätsel  72,  1—6. 

4)  PhöQ.  252  ff. 

5)  ßjrngesreap,  eald  gesceaft  (s.  o.) :  ealdgecynde  Metr.  13,  40 ;  vgl.  10—13. 
61  ff. ;  ßä  gecynd  pe  him  Crist  gesccop  8,  17. 

6)  Die  frage  unde  hnic  oninia  ista^  Matth.  13,  56  behandelt  der  Heliand- 
dichter  volkstümlich,  indem  er  ausführt:  he  is  theses  kunnies  hinan,  the  man  thurh 
mägsicepi  .  .  .  Icüd  is  üs  is  kuniburd  endi  is  knosles  gihuat,  äivohs  al  undar  thesum 
werode:  huanan  scoldi  im  sulic  gewit  cuman,  meron  mahti  than  her  odra  man  egin 
2562  ff. ;  vgl.  pu  eart  swiäe  bittres  cynnes  .  .  .  ne  beyrn  ßu  on  pa  inivitgecyndo 
Salomo  und  Saturn  828  f.  u.  a. 

7)  Metr.  13,  51  f.:  55;  vgl.  Crist  1128  ff.  1177  ff. 

8)  hu-y  odwite  je  wyrde  ioiore  pwt  hio  geweald  nafad?  hwy  je  pces  deades, 
ße  ioto  drihten  gesc4op  gebidan  ne  magon  bitres  gecyndes,  nu  he  6oiv  wlce  dceg  onet 
toweard?  Metr.  27,  4—8. 


ÜBER  DEN   SCHICKSALSGLAUBEN   DER   GERMANEN  375 

klar  kommt  diese  altgermanisehe  anschauung  durch  das  Verhältnis,  in 
dem  anord.  skap  {skaplyndi)  und  skgp  zueinander  stehen,  an  den  tag  ^ 
Wurde  das  'Schicksal'  eines  lebewesens  bei  seiner  geburt  be- 
stimmungsgemäss  angelegt,  so  vollendete  es  sich  mit  dem  eintritt  des 
todes.  Vergleichbar  den  nornen,  die  kurz  nach  der  geburt  das  ge- 
schick  eines  menschen  verkündigen,  erscheinen  in  der  poesie  des 
mythos  kurz  vor  der  stunde  des  verscheidens  gestalfen,  die  das  end- 
schicksal  des  todes  ansagen  (walk3TJen,  hei)  l  Ausserhalb  der  dichtung, 
innerhalb  der  religiösen  Sphäre  des  glaubens  sind  die  motive  derartiger 
mythen  zu  suchen.  Für  ihre  erkenntnis  ist  das  gemeingermanische 
adj.  *faigja  ^  der  gegebene  ausgangspunkt.  Denn  es  bezeichnete  einen 
dem  tod  verfallenen  menschen  ■*,  besagte  nicht,  dass  der  mensch  sterb- 
lich sei  und  seiner  naturhaftigkeit  gemäss  stferben  müsse  (anord.  skap- 
daupi,  got.  sivultauairpja,  daiipuhleis  s-i^avarw;),  bezog  sich  mit  andern 
w^orten  nicht  auf  den  tod  als  naturereignis,  sondern  als  Schicksal  ^ 
Also  gerade  dort,  veo  der  'feige'  vom  'toten'  unterschieden  wird,  baut 
sich  die  brücke,  die  zum  Verständnis  des  wertes  führt  (z.  b.  fargaf 
jeqiun  ferah  .  .  .  than  gidedn  ina  quican  öfter  döde  Hei.  2351  fif.). 
'Feige'  sind  die  menschen,  sobald  sie  durch  einen  wink  des  Schicksals 
erfahren  (ahnen),  dass  sie  in  die  grübe  fahren  müssen  (Balderus-Pro- 
serpina  s.  anm.  2)^:  sitjiim  her  feig Ir  ä  niQntm,  fjnrri  mununi  deyja 
Hamftism.  10,  4;  vgl.  werigmöd  .  .  .  on  nicera  mere  fce^e  ond  geßgmed 
feorhldstas  beer  .  .  .  denäfce^e  .  .  .  in  funfreodo  feorh  älc^de  Beow.  841  ff.  ^ 
Bleibt   dieser  wink   des   Schicksals   aus,  so   sind   sterbliche  menschen 

1)  Vgl.  z.  b.  GripisspO  32,  2 :  52,  1. 

2)  (Balderus)  cum  indubitatiuii  sibi  fatuni  imtninere  sentiret  .  .  .  die  postera 
prelium  renovat  .  .  .  postera  nocte  eidetn  Prosetpina  per  quietem  astare  aspecta  postri- 
die  se  eius  complexii  nsuram  denunciat  Saxo  p.  77. 

3)  Jente  s.  215  ff.  (schott,  fey  fated  to  die:  J.  Wright,  The  english  dialect 
dictionary  s.v.);  J.  Grimm,  Mythol.  2*,  7U.  718.  3,  257;  mhd.  veiclich,  ags-fceslic^ 
&nord.  feiglikr,  dazu  anord.  feiffß,  ags.  fcehp  (.Teilte  s.  217). 

4)  ags.  hellfiis  (vgl.  anord.  helfiiss),  and.  füsid  an  helsM  Hei.  2353. 

5)  Dass  die  schicksalsbeziehung  ausgeschaltet  und  'feige'  im  profanen  sinn 
von  'sterbend'  oder  'tot'  gebraucht  wurde  (z.  b.  Elene  881-82,  Nib.  2U85.  2045  B:C) 
ist  ebenso  bekannt  wie  die  von  der  Schicksalsfügung  aus  in  der  richtung  auf  'ver- 
flucht, unselig,  furchtsam'  sich  wandelnde  Wortbedeutung  (Jente  s.  216). 

6)  moribundus:  feiger  Ahd.  gl.  2,  20,  54. 

7)  ddl  odde  i/ldo  odde  ecghete  fcejum  fromweardunt  feorh  odpriti^ed  Seef. 
70  f.  Der  mythos  berichtet,  eine  riesische,  schicksalsmacht  {Mdnagarmr  Sn  E  1,  58  f. : 
ife^Fafnism.  21—22)  bemächtige  sich  des  entweichenden  'lebens'  (fyllisk  fJQrvi  feigra 
manna  VqI.  40—41.  allra  ßeirra  manna  er  deyja  Sn  E  1,  58  f. ;  som  tu  en  given  tid 
skal  de  Egilsson-Jonsson,  Lexic.  poet.  s.  v.  feigr). 


376  KAUFPMANN 

iu  der  ernstesten  lebensgefahr  ihres  lebens  sicher  und  begrüssen  die 
entscheidung,  noch  nicht  dem  tode  verfallen  zu  sein,  als  ihre  Schick- 
salsfügung {raldre  geneäde  .  .  .  nces  ic  fce^e  pä  ^ijt  Beow.  2133.  2141; 
vgl.  2975;  unfw^e  o.  s.  369)  ^ 

Hinter  der  vrahrung  des  lebens  und  der  Schickung  des  todes 
steht  also  eine  schicksalsmacht:  wyrd  ne  cüpo7i,  geosceaft  grimme  .  .  . 
beorscealca  sum  fiis  ond  f(P^e  fletrceste  ^ebea^  Beow.  1233-41;  wyrd 
ne  mcahie  in  fa-^um  len^  ftorh  ^ehealdan  .  .  .  he  pä  wyrd  ne  meid, 
fa'^es  fordsid .  .  .  ponne  seo  J)ra^  cymed  icejen  ivyrdstofum  Gu|)l. 
1030  f.  1319  f.  1324  f.  ^  Vor  dem  Vollzug  jener  harten  entscheidung, 
kraft  deren  entweder  ein  mensch  seines  lebens  verlustig  geht  oder 
nicht,  gibt  sich  die  Verkettung  des  einzellebens  in  das  schicksals- 
weben  kund. 

Das  eindrucksvollste  bild,  das  die  mythische  dichtung  der  vorzeit 
uns  von  dieser  selbstoffenbarung  der  schicksalsmächte  hinterliess,  steht 
im  Nibelungenlied^:  Hagen  begegnet  wissenden  schicksalsfrauen  («f^esm 
wi'p  *  im  schwanengefieder)  und  erfährt  von  ihnen,  wie  zuo  den  Hiunen 
disiu  hovereise  ergCit  1535:  ir  helede  küene  also  geladet  sit,  daz  ir  er- 
sterben müezet  in  Etzelen  lant;  swelhe  dar  gerUent,  die  habent  den  tot 
an  der  hant  1540.  Hagen  gibt  dies  orakel  den  gefährten  bekannt: 
wir  enhomen  nimmer  widere  in  der  Burgonden  lant;  daz  sageten  mir 
zwei  merewtp  Mute  morgen  fruo  1587  f.  Als  diese  vorverkündigung 
sich  erfüllte,  fasste  der  dichter  den  verlauf  der  dinge  in  die  prägnante 
aussage  zusammen:  do  was  gelegen  aller  da  der  v eigen  lip  2377. 
Diese  den  tod  ansagenden  schwanfrauen  sind  die  deutsche  ent- 
sprechung  für  die  nordischen  'fylgjen'  (o.  s.  373),  deren  erscheinung 
genau  das  gleiche  zu  bedeuten  hatte:  Helgi  grunapi  um  feigp  slna- 
fylyjur  hans  h^fjm  vitjat  Hepj/ns,  pa  er  /lann  sä  konutina  rljja  var- 
ginum  (Helgakvi{)a  HJ9rvar{)ssonar) ;  auch  aus  Skandinavien  ist  bezeugt, 
dass  der  'feige'  selber  seine  fylgja  (in  tiergestalt)  sieht  und  seitdem 
-  wie  Hagen  -  weiss,  dass  er  dem  tod  verfallen  ist:  pu  munt  vera 
mapr  feigr  oh  vuint  pu  set  hafa  fylgja  ^ma  .  .  .  Njälssaga  ed. 
F.  Jonsson,  Altnord,  sagabibl.  13,  94. 

Eine,  in  der  dichtung  hohen  Stils  zum  orakel  gestempelte,  schick- 

1)  ic  sceal ,  .  .  ymb  feorh  sacan,  lad  wid  läpum,  pcer  ^eli/fan  sceal  dri/htnes 
dorne  se  ße  hine  dead  nimed  Beow.  439—41  (:  ^(ed  d  wyrd  siva  hio  scel  455) ;  op  daz 
got  erzeige,  daz  ir  niht  sit  veige  Parz.  558,  15  f. 

2)  Vgl.  Salomo  und  Saturn  v.  330  ff.  (feoxcere  f(e^es  rdpas:  getvundene  wtjrde)  ; 
Wolf  8.  26  ff. 

3)  Vgl.  PBBeitr.  32,  2G8;  t)il)reks3aga  c.  364. 

4)  feigp  fira  fJQlmargra  sei  GrottasQngr  21,  2;  vgl.  Sigrdrifum.  21,  1. 


ÜBER   DEN   SCHICKSALSGLAUBEX   DER   GERMANEN  377 

salsfügung  ^  ist  auch  in  den  ausdrucksformen  wiederzuerkennen,  die 
der  Volksglaube  für  sie  sich  schuf. 

Im  skandinavischen  altertum  fürchtete  man  sich  vor  der  ins  un- 
heimliche sich  steigernden  machtwirkung  der  schicksalsgewalten  be- 
sonders in  dem  moment,  da  ein  mensch  dem  tod  verfiel-.  Sie  gaben 
in  dem  aberglauben  sich  kund,  der  da  und  dort  an  der  Wasserkante, 
besonders  in  England,  sich  eingenistet  hat,  wonach  die  menschen  nur 
bei  ebbe,  nicht  bei  aufkommender  flut  ihren  geist  aufgeben^  (Shake- 
speare, Dickens);  veicliche  zeichen  waren  aber  auch  gewisse  körper- 
liche Symptome^,  solche,  mit  denen  der  arzt  den  sterbenskranken  ge- 
zeichnet fand  und  andere  die  er  im  sinne  wieder  gesundenden  lebens 

deuten  zu  dürfen  glaubtet  Iceca  gewuna  is,  pcet  hi  civeäad,  ponne  hi  siocne  mon 
gesiod,  gifhi  hwilc  unfceglic  tdcn  on  hini  gesiod .  . .  täcn pinre  h  celo  Boethius  ed.  Sedge- 
fields.  1U7,  28—30;  Mhafnar  puenum  hvita  lit,  feiknafopir?  hi/kk  at  feig  seir  Sigurjjar- 
kvil^a  en  skamma  31;  sä  peir  Snorri  ü  sdr  mamia  . . .  ok  sd par  blöpflekk  mikinn,  hann 
tök  upp  allt  saman,  blöpit  ok  sn(einn,  l  hendi  ser  ok  kreisti  ok  stakk  i  munn  se'r  ok  spurpt, 
hverjum  par  hefjn  bhett.  porleifr  kimbi  segir,  at  Bergpori  hefir  blcett.  Snorri  segir,  at 
Jmt  var  holblöp  (blut  aus  den  inneren  Organen  des  körpers)  .  .  .  pat  hygg  ek,  sagpi 
Snorri,  at  petta  se  feigs  tnanns  bläß  Eyrbyggja  saga  ed.  Gering  s.  170;  ist  des 
harnes   lützel  und  sivarz,    so    ist  der  mensch  veig  Lexer,  Mhd.  handwörterb.  8,  45; 

Mnl.  Woordenboek  8,  1354*.  Ein  andermal  kündet  ein  veege  vogel  -  gleich 
•den  Schwanfrauen  des  Nibelungenliedes  -  nahen  todesfall  an  (DWb 
3,  1442) •';  die  heldenepik  hat  dies  schlichte  motiv  zu  einerstehenden 
formel  ausgebaut  und  diesen  angang  zum  schicksalsomen  ^  erhöht, 
wenn  auf  einem  feldzug  die  tiere  der  walstatt  den  kriegern  begegnen  f 

ef  P)j6ta  heyrir  ulf  und  asklimum,  heilla  aupit  verpr  per  af  hjalmstQfum,  ef  pu 
ser  pa  fyrri  fara  Reginsm.  22;  imdf  in  walde^  and  se  tvanna  hrefn,  wwlgifre  fugel 
westan  be'gen^  pcet  him  pa  peodguman  pohton  tilian  fylle  on  fwgum^;  ac  him 
ßMt  on  löste  earn  cetes  georn  ürigfedera  salowigpdda,  sang  hildeleod  hi/rnednebba  . .  . 

1)  feigpar-orp  Ynglingatal  v.  1. 

2)  var  trua  peira  i  forneskju,  at  orp  fe  ig  s  manns  mcetti  mikit  (eingangs- 
prosa  der  Fafnismöl) ;  dazu  H.  Gering,  Weissagung  und  zauber  8.  9  f. 

3)  Plinius,  nat.  bist.  2,  101;  Beda,  Hist.  eccles.  5,  3;  stellensammlung  bei 
Feilberg  s.  v.  hav  (Zeitschr.  48,  310)  vgl.  z.  b.  Islenzk  fornkv»di  ed.  Grundtvig  2, 
138,  15  f. 

4)  doch  ist  der  künec  iunge  so  veiclich  getan  Nib.  1918. 

5)  Vgl.  die  mittelalterlichen  arzneibücher  z.  b.  SBW.  71,  498  f.  42,  135. 

6)  Vgl.  aus  den  visur  der  Eyrbyggja  (a.  a.  o.  s.  226  f.)  rQddo  bUpvita  .  . . 
rcBpr  of  fJQr  manna  (fjgtrar  fjgr)  .  .  .  sek  bengrdt  d  büke  blöpgom,  tarfr  mon  her 
xerpa  bane  pinn. 

7)  feigs  forap  Fafnissm.  11. 

8)  gleich  der  wolfsgestalteten  fylgja  des  Helgi  o.  s.  376. 

9)  slegefoege.  Jud.  247  (:  Uegfcege  Wy  44). 


378  KAUFFMANN 

hdr  is  gesicutelod  ilre  si/lfra  /.orwi/rd  töiveard  ^etdaiod,  pcet  pcere  tide  is  nu  mid 
ni'ßiim  neah  ge/jnin^en,  pe  we  life  sculon  losian  somod,  cpt  scecce  forweordan  .  .  . 
iculfum  to  willan  and  eac  wcelg ifrum  fu^lum  to  fröfre  Judith  205  ff.  285  ff.; 
hrefn  weorces  ^efeah,  liri^fidera  earn  sid  beheold,  wmlhreowra  wig,  wulf  sanj 
aliöf,  holtes  gehlepn,  hilde^esa  stöd  .  .  .  on  pcet  fceje  folc  fldna  scuras  .  .  .  on  ^ramra 
ßeman^  .  .  .  hildena'dran  .  ,  .forä  onsendan  Elene  110  ff.;  hreopon  herefugolas  hilde" 
^nedige  .  .  .  hriefn  deawi^federe  ,  .  .  wann  wwlceas ega ,  wulfas  sungon  atol  (efen- 
leod  cetes  on  we'nan  .  .  .  cunjldrdf  beodan  on  Iddra  last  leodnupgnes  fi/ll  .  ,  .  fleah. 
/öp  je  gast  .  .  .  w wimist  astdh  .  .  .  ne  pmr  mnig  becivom  herges  to  häme  ac  hie  he- 
hindan  bele'ac  wt/rd  mid  tviege  .  .  .fcegtim  stcefnnm  flöd  blöd  gewöd  .  .  .  UHelfiPp- 
mum  stveop,  fl6d  fdmgode,  fmge  crungon  Exodus  161  ff.  450  ff. ;  se  wonna  hrefn 
(sceal)  ft'is  ofer  fcegnm  ftla  reordian,  earne  secgan,  ht'i  him  (H  wie  speoiv,  J>enx/^n 

he  icip  Wulfe  wcel  reafode  Beow.  3024-27.  Die  nahe  beziehuiig,  in  der  ival 
und  feig  zueinander  stehen,  hellt  sich  aus  diesen  belegen  für  todver- 
kündende schieksalsomir^a  (der  fylgjen)  auf  und  wird  ausserdem  durch 
mhd.  ivalceige  dahin  aufgeklärt,  dass  die  'feigen'  das  'wal'  bilden,  das 
die  Schicksalsmächte  (walkyrjen)  erkiesen  (seine  auslese  bestimmen);  die 
'feigen'  sinds,  die  sterben  müssen  \  allen  andern  (mhd.  iinveige,  ags. 
unf(t';^e,  anord.  nfeigr)  ist  vom  Schicksal  ein  längeres  leben  beschiedeii 
(o.  s.  376):  mwik  forjja  fjgroi  mhni,  nema  eh  feigr  se  HArbar{)slj.  12^. 
Das  'Schicksal'  waltete  nicht  nur  des  todes,  sondern  auch 
des  lebens.  feigi  pflegte  m\i  ferh  (leibhaftes  leben) ^  verbunden  zu 
werden*,  weil  das  Schicksal,  wenn  es  den  menschen  bei  seiner  geburt 
begabte  und  den  eintritt  seines  todes  bestimmte^,  über  die  dauer  des^ 
lebens  {mepaii  okkart  fjgr  lifir  Skirnesm.  20;  mepan  qM  lifir  \q\.  16) 
entschied.  Über  dem  'feigen'  schwebt  das  Verhängnis  des  todes,  weil 
sein  leben  von  den  schicksalsmächten  bedroht  ist^  Hier  setzt  die 
altgermanische  Überlieferung  für  ferh  ein  \ 

1)  da  sterbent  tvan  die  veigen  Nib.  150  (Grimm,  Mythol.  2,  718);  pei'r 
verpa  at  falla,  er  feigir  ero  l'ijirekssaga  c.  B3S ;  mun  dei/ja,  er  feigr  er  Vemundar- 
saga  c.  6;  sprichwörtliche  redensarten  Arkiv  30,  82  f.;  ags.  fcege  stnilton  Andr.  1532;, 
wws  seo  tid  cumen,  pmt  pa^r  fcege  men  feallan  sceoldon  .  .  .  on  fcegean  men  feorh 
geivinnan  .  .  .  tva^l  feol  on  eordan  Byrhtn.  104  f.  125  f. ;  na^te  toill  die,  but  he  thet's 
fay  Engl,  dialect  dictionary  s.  v.  fey;  die  veghe  sijn,  die  moeten  sterven  Mnl.  woor- 
denboek  8,  1354. 

2)  unz{A\B  wile)  der  man  niht  veige  enist,  so  erneret  in  vil  deiner  list  Iwein  1299  f.. 
{ich  ensterbe  nicht  vor  minem  tac  Herbort,  Liet  von  Troye  V.  8254;  veiclichcr  tac  Klage 
353 ;  vil  maneger  veige  lac,  den  ir  veiclicher  tac  das  leben  hete  da  benomen  1203—5).. 

3)  'lebewesen'  Gen:  1618.  1310  ff.  1330.  1342;  Exod.  361.  384  (=  firas). 

4)  Mit  Härb.  12.  Vgl.  41  vgl.  z.  b.  Hei.  2353.    Gut)l.  1031  u.  a. 

5)  Ags.  swijltdceg  Gen.  1221  (Beow.  2798) :  feorhdagas  2358  (anord.  aldrdagar). 

6)  Fafnir  ist  feigr  und  sagt:  fJQr  sitt  lata  htjhk  at  Fafnir  myni  .  .  .  hv^t 
hvetjask  Uzt  minu  fjgrvi  at  fara  Fafnism.  22.  5 ;  vgl.  Lokas.  57,  4.    Reginsm.  10,  1^ 

7)  Vgl.  M.  Höfler,  Deutsches  krankheitsnamenbuch  s.  180. 


ÜBER   DEN    SCHICKSALSGLAUBEN   DER   GERMANEN  379 

Der  leib  ^  war  der  hüter  eines  dem  menschen  vom  sctiicksal 
anvertrauten  Schatzes,  des  ihm  geliehenen  'lebens'  ^  In  feindlichem 
gegensatz  zum  'tod'  stehend^  war  dies  leibhafte  leben  etwas  anderes 
als  die  in  christlicher  zeit  an  seine  stelle  und  in  feindlichen  gegensatz 
zum  leib  tretende  seele*.  Jenes  'leben'  hatte  im  blut^,  d.  h.  in  den 
inneren  Organen  des  körpers  (herz,  leber)  -  nicht  etwa  im  atemhauch*'  — 
seinen  sitz  \  In  diese  'schichten  des  lebens'  **  getroffen  (verc/tslac 
Gudr.  519;  Nib.  2210)^  geht  das  mit  dem  leben  begabte  geschöpf 
(ags.  feorkeacen  Gen.  204),  wenn  es  verchwunt  (ags.  feorhwimd)  ^'\ 
verchser  (ags.  feorhseoc,  anord.  fJQi'f'jükr)  geworden,  sein  verchhluot 
verströmt  {verch  unde  bluot  Lanzelet  2204;  Parz.  740,  2)^\  seines  vevch 
verlustig  (fJQrnuminn  Eyrbyggjasaga  ed.  Gering  s.  205). 

Dies  'leben'  haben  die  menschen  nicht  von  den  göttern,  sondern 
von  den  schicksalsraächten  empfangen  (Vol.  18.  20).     Nur  die  Snorra 

1)  fceges  feorhhüs  Byrbtn.  297. 

2)  feorhhord  Gul)l.  1117;  fce^es  feorJihord  Andr.  1184;  f^r  Jji:^ect  kenne 
lichoman,  lif  bip  on  sipe,  festes  feorhhord  Phon.  219—21;  vgl.  on  endestcef .  .  .  se 
lichoma  Icene  ;^edre'osed,  fce^e  gefealled  Beow.  1753—55  (f(ege  flceschoma  1568) :  ende 
kenan  lif  es  2844  f.;  kenda^a  2341.  2591;  oflet  lifdai,asondpds  kenan  .^esceaft  1Q22 
{:feorh  dagas) ;  ferh  eUen  wriec  2706 ;  fce^e  folc  .  .  .  yda  xvrcecon  feorh  of  flceschomati 
Gen.  1381-86. 

3)  ferah  :  dod  Hei.  2217  f. ;  libbian  .  .  .  ferahes  gifullid  4035;  qtiican  .  .  .  fera- 
hes  fullan  5849—51. 

4)  feorhhord  >  sdivh  hord  Beow.  2419—24;  feorhhtis  >  sdivelhiis  (ffe^e 
flceschoma)  Gu^jI.  1008.  1114  usw.  In  der  ags.  und  in  der  and.  dichtersprache  ist 
ferh  (feorh,  ferhp)  nicht  nur  =  lif  (Hei.  3154  f.  4165  f.)  oder  aldar  (3844  f.)  sondern 
auch  =  s/o^re  (4059  f.  5701—3.  3350—53)  und  dieselbe  doppelschicht,  eine  ältere  und 
eine  jüngere  bedeutung  des  Wortes  ferh^  tritt  im  ahd.  zu  tag,  wenn  es  bald  für 
Vita  bald  für  anima  gesetzt  wird  (Tatian,  Otfrid,  Ahd.  gl.  2,  651,  22.  641,  41.  643,  59). 

5)  Got.  tisanan,  ags.  orop :  e'pian,  anord.  andi;  danach  ist  das  Verhältnis  Yon 
anord.  Qnd.-fjpr  des  näheren  zu  bestimmen  (Helgakv.  HJ9rv.  37.  Sigrdrifum  25. 
Sigur^arkv.  61,  2.  59,  2  f.  50,  4.  33.  52.  15,  3);  am  aufschlussreichsten  ist  v.  29 
{kona  varp  gndu  'verlor  den  atem',  en  konungr  fjgrvi  'das  leben'),  wozu  mau  HeL 
2277.  2280  f.  2275  f.  Beow.  2703  vergleichsweise  heranziehen  könnte. 

6)  Vgl.  PBBeitr.  32,  21  f. 

7)  Das  herz  ist  der  lebensmuskel  {fjgrsegi  Fafnism.  32) ;  das  herz  ist  gemeint, 
wenn  es  Gul)ränarhv9t  17,  4  heisst:  frdnir  ormar  til  fJQrs  skripu  (vgl.  Vglsunga- 
saga  c.  37.  Uddr.  29-30)  oder    au,ch   die   leber  (Drap  Niflunga  17.  Sn  E  1,  364  f.). 

8)  Ufs  kestir  Eyrbyggjasaga  ed.  Gering  s.  136. 

9)  zi  ferehe  er  nan  stah  Otfrid  4,  33,  27.  5,  11,  26  (herzen  verch  Parz.  710,  29). 

10)  verchtiefe  immde  Nib.  2134;  tvnnde  ze  verche  Parz  578,  27;  vgl.  ags.  feorh- 
benn  Beow.  2740  (sceaced  lif  of  lice  2742) ;  feorhbealu  (fce^um)  2077.  2249  f. ;  anord. 

fjgrlok,  fJQrhrot. 

11)  feigs  manns  blöp  Eyrbyggjasaga  s.  170. 


380  KAUFFMANN 

Edda  behauptet,  die  ersten  menschen  seien  von  den  Borssöhnen  er- 
schaffen, mit  ödem  und  leben  begabt  worden  (Sn  E  1,  52)  \  während 
<lie  ältere  mythische  dichtung  den  ödem  und  den  geist  (oj>r),  aber 
nicht  das  leben  der  menschen  auf  Of)inn  zurückführt:  in  Askr  und 
Embla  steckte  bereits  das  'leben',  wenn  es  auch  ein  wenig  regsames 
vegetieren  pflanzlicher  art  war  {Uit  megandi,  0rfQr/lcfusa  Yq\.  17)^.  Dies 
leben  stammte  folglich  in  seiner  wurzel  von  denselben  ahnen,  von 
<ienen  auch  die  götter  mit  ihrem  'leben'  (Skirnism.  20)  begabt  worden 
yparen  ^. 

Deutlich  spielt  in  die  geschichte  des  Wortes  ßrh  das  'Schicksal' 
lierein,  wenn  der  Gote  in  seiner  bibel  von  stabeis  pis  fa'trlvnus 
sprach  (Col.  2,  20.  Gal.  4,  3)  und  nach  biblischer  anweisung  mit  eigener 
Wortwahl  die  in  der  weit  wirkenden,  das  zeitlich  begrenzte,  diesseitige 
leben  der  menschen  regierenden  schicksalsmächte  {GxoiytXoi  tou  x.&cjj.ou 
eleraenta  mundi)*  und  mit  den  'losen  dieses  lebens'  die  von  den 
Schicksalsmächten  abhängige  lebensdauer^  ins  äuge  fasste. 

Dies  menschenlos,  diese  geheimnisvollen  Schickungen  des  lebens 
iferh)  und  des  Sterbens  ifciy),  die  wichtigsten  aller  Schicksalsfügungen, 

1)  Vgl.  ond  at  Ufa  Sn  E  1,  38  (christlich);  Mogk,  PBBeitr.  7,  234  ff.;  gnd  und 
lifcQndnn^  //p;-r  Sigurliarkv.  29  (o.  s.  379,  5);  anord.  gnd :  andi  (spiritus);  westgerm. 
/indo  (leidenschaftliche  erregimg). 

2)  Genau  entsprechendes  gilt  von  der  'erschaffung'  der  zwerge  Sn  E  1,  62 
{sie  lehten  bereits,  bevor  sie  af  atkvapi  gopanna  urpu  vitandi  mannvits  oh  hgfpu 
mannsliki). 

3)  Drum  ist  anord.  ßt-ar  (got.  fairka  habands,  ahd.  firahi,  and.  firihos,  ags. 
ßras)  eine   götter  und   menschen   umfassende   kategorie   von   lebewesen   {fJQrg  qU 

Lokas.  19)  =  gld  und  aldir  Lokas.  8  u.  a. 

4)  xoa[io%päTopeg  fairhu  habandans  Eph.  6,  12;  reikja  jah  walduftija  (ge- 
stirne)  o.  s.  363.     Zeitschr.  49,  40  f. 

5)  ferh  bezeichnete  keineswegs  bloss  das  leibhafte,  im  blut  sitzende  leben 
sondern  auch  die  dem  leib  vergönnte  lebens  zeit.  Got. /a«>/^?(s  (Zeitschr.  49,  34  ff.) 
wechselte  mit  aiws  und  manaseps  (generation),  westgerman.  ferh  sowohl  mit  lib  als 
auch  mit  aldar  (lebensalter),  desgleichen  anord.  fjgr  mit  aldr  (vgl.  z.  b.  Hei.  2684  f. 
4612  f.;  Beow.  137U  f.  J433f.;  Skirnism.  13:20.  Lokas.  57:62;  anord.  aldrdagar 
Vgl.  64.  Vafl)r.  16.  ags.  feorhdagas  Gen.  2358).  Den  sichersten  aufschluss  über 
ferh  =  lebenszeit  gewährt  das  westgerman.  kompositura  ags.  nüdfeorh,  and.  midfiri^ 

ahd.  mittiferhi  (mitte  der  lebenszeit,  mittleres  lebensalter  Zeitschr.  49,  38  anm.  5) 
und  das  entsprechende  geogopfeorh  (Jugendzeit)  Beow.  537.  2664.  Auch  in  der 
spräche  der  Gotenbibel  ist  fairhus  ein  Sammelbegriff  (gesamtheit  der  in  der  zeit 
schicksalhaft  lebenden  wesen),  der  seine  bedeutung  auf  'weltzeit'  ausgeweitet  hat 
(vgl.  ags.  6.  to  feore,  xvidefeor'h;  die  zeiten  und  die  erlebnisse  einer  generation 
sind  bekanntlich  verallgemeinert  worden  und  so  hat  aiw  auf  'ewig',  iverald  auf 
*welt'  geführt  usw.). 


ÜBER   DEN    SCHICKSALSGLAUBEN   DER    GERMAXEX  381 

haben  sich  die  Germanen  durch  eine  umfassende  grundvorstellung  zu 
verdeutlichen  versucht.     Es  war  die  eines  'urgesetzes'. 

Dass  die  g-eburt  und  der  tod  eines  vollmenschen,  dass  das 
Schicksal  alles  wahrhaft  lebendigen  urgesetzlich  festgelegt  sei,  ist  die 
Volksmeinung  gewesen,  denn  urlag  'urgesetz'  ist  ein  gemeingermanischer 
ausdruck  für  'Schicksal'  (o.  s.  364)  und  der  plural  benennt^  die  ein- 
zelnen fügungen  als  schicksalsverkündigungen  (orakel)  im  sinn  ur- 
gesetzlicher bestimmungen:  ahd.  iirlag,  urlaga  fatum  (Notker  1, 
280,  14;  Ahd.  gl.  2,  19,  21.  20,  47.  766,  4.  3,  238,  33;  urladih 
fatalis  239,  43);  and.  orlag  {tho  quamun  ivurdigiscapu  them  ödagan 
man,  orlaghiüla'^,  that  he  thit  Höht  farlet  Hei.  3355);  ags.  or/opj 
{drihtiies  domas  .  .  .  orlcpj,  ivorda  ^erijnu,  pä  pu  ivendan  ne  mihi  Dan. 
745-47);  anord.  0rlgg  (die  nornen  Igg  Iggpu,  l'/f  kuru  alda  bgmum, 
0r/gg  f<eggja  V9I.  20)^.  Der  nornen  richterliches  amt  {nornn  dömr 
Fafnism.  11)  bestand  darin,  gesetzliche  bestimmungen  über  das  leben 
zu  treffen  und  der  männerweit  aufzuerlegen.  Es  ist  nicht  zu  wünschen, 
dass  diejenigen,  denen  diese  gesetze  gelten,  vorzeitig  davon  künde 
bekommen  (Hgvam.  56);  nur  götter  wissen  darüber  bescheid  (Lokas. 
21.  29)  und  seher  oder  Seherinnen  (vglur),  vor  deren  äugen  die  Schick- 
salsfügungen sich  enthüllen  (Grip.  28 ;  visindakona  sü  er  sagp)i  fyrir 
ßiigg  manna  ok  l'tf  Fms.  4,  46  u.  a.),  geheime  bestimmungen  recht- 
licher art,  rechtschaffende  urgesetze,  die  das  geschick  des  lebens 
oder  Sterbens  wirkten  und  darum  nicht  nur  'lose'  {stobeis  pis  fair- 
Jvau^),  sondern  auch  'gesetze  des  lebens'  (and*,  llbes  gilagu)  genannt 
worden  sind.  Die  frage  des  Pilatus  (nescis  quia  potestatem  habeo 
crucifigere  te  et  potestatem  dimittere?  Joh.  19,  10)  hat  der  Helianddichter 
so  wiedergegeben:  icest  thu,  that  it  all  an  minon  duome  sted  umbi 
thines  Ubes  gilagu  .  .  .  that  ik  giivaldan  muot  so  thik  te  spildianne  an 
speres  orde,  so  ti  quellian  an  cruciun,  so  quican  latan  53  43-47.  Pilatus 
hatte  das  'Schicksal'  des  angeschuldigten,  die  rechtsgiltige  entscheidung 
über  sein  leben  in  der  band;  indem  der  Niedersachse  dabei  von  den 

1)  Hflag  ist  nicht  zu  verwechseln  mit  ahd.  urliugi,  anord.  erlygi  (>  orlQg)^ 
afries.  mnd.  mnl.  orlog,  mhd.  urlog  {urlüige,  iirloug)  krieg ;  and.  urlogi,  urlagi,  orlag 
Hei.  3697.  4323;  ags.  orlceg,  orleg  Beow.  1326  u.  ö.  (Jente  s.  2U  f.). 

2)  Ags.  orleghwü  Beow.  2911  (Jente  s.  213  f.) :  gesccephwil  Beow.  26  vgl. 
Grimm,  Mythol.  1*,  715.  3,  257;  diese  komposita  sind  erst  unter  der  herrschaft 
der  astrologie  (wilscelde  0.  s.  3ii4f.)  entstanden? 

3)  Bemerkenswert  ist  die  im  ags.  und  im  anord.  belegte  formelhafte  Verbin- 
dung mit  driugan  (orleg  dreogeä  Dom.  29 ;  erlpg  dri/gja  Lokas.  25.  V9lundarkv.  1.  5 ; 
es  war  der  beruf  der  schicksalsmächte,  die  urgesetzlichen  bestimmungen  auszuführen, 
der  der  menschen  und  der  götter,  diese  Verfügungen  über  sich  ergehen  zu  lassen). 


382  KAUFFMANN 

'gesetzen'  statt  von  dem  geschick  jenes  lebens  sprach,  brachte  er  die 
grundvorstellung  germanischen  schicksalsglaubens  zu  wort,  die  um  so 
besser  zu  jener  biblischen  gerichtsszene  passte  als  das  Schicksal 
von  den  Germanen  im  sinn  einer  rechtsordnung  aufgefasst  worden 
war.  Diese  behauptung  wird  durch  aldargilagu  {nlderlagu),  die  gemein- 
germanische Variante  für  libes  gilagu  bestätigt.  Auch  unter  diesem 
kollektiven  neutrum  pluralis  sind  'gesetze'  zu  verstehen,  von  deren 
durchführung  das  dasein  der  lebewesen  in  seiner  zeitlichen  dauer  ab- 
hing iferh  =  aldarlagu  Hei.  3881  f.;  was  imu  Itf  fargehan,  that  he  is 
aldarlngu  [aldargilagu]  egan  moül  4104  f.;  Vilmar  s.  14).  Aus  der 
wechselnden  doppelbeziehung  des  Schicksals  auf  leben  oder  sterben 
ergab  sich  für  aldarlag  einerseits  die  bedeutung  'des  daseins  geschick' 
[aldorle-^e,  swä  nie  wfter  iveard  odäe  ic  fardor  findan  sceolde  Dan. 
139  f.)  andererseits  'des  todes  geschick'  {cefter  ealdorle^e  Guf)l.  1234) 
und  zwischen  diesen  grenzfällen  hatte  auch  der  altnordische  dichter 
die  wähl  frei  {at  Ufi  .  .  .  ok  at  aldrlagi  'leben'  SigurJ^arkv.  5 ;  at 
alddagi  'tod'  Vaf|)r.  52,  plur.  til  aldrlaga  Ham{)ism.  8.  Helg. 
HJ9rv.  30)  ^ 

Die  schicksalsterminologie,  aus  dem  rechtswesen  der  germanischen 
Völker  stammend,  wird  nicht  allein  durch  urlag{ii)  und  gilagu,  son- 
dern auch  durch  den  kollektiven  plural  giscoim  bezeugt,  denn  auch 
'schaffen  (schöpfen)'  war  ein  hauptwort  der  rechtssprache,  das  schaffen- 
schöpfen des  rechts  die  verantwortungsvolle  aufgäbe  der  urteilsfinder 
(schöffen)  '^  Eine  analoge  tätigkeit  der  schicksalsmächte  gibt  au& 
ihren  'rechtsschöpfungen'  (and.  giscapu^  ags.  ^esceapu,  anord.  skgp} 
sich  kund  (parcae,  fata:  schepfentun  i.  e.  skefentun,  schepfen  .  .  .  scephe- 
rinne  Ahd.  gl.  4,  84.  154)^.  Die  Übereinstimmung  des  westgermani- 
schen und  nordgermanischen  Sprachgebrauchs  fällt  für  diese  seite  de& 
schicksalsglaubens  der  Germanen  ebenso  schwer  ins  gewicht  wie  bei 
der  sippe  von  gilagu  und  wenn  diese  die  gesetzlichen  'bestimmungen*^ 
der  schicksalsmächte  vertreten,  so  sind  mit  giscapu  ihre  'entscheidungen' 
gemeint,    die   mit   unabänderlicher   Wirkung   in   kraft  treten  (niemand 

1)  Ags.  alderle^u  =feorhle3u  'vom  Schicksal  bestimmtes  leben';  srnoiö..  fJQflasr 
'tod'  (Lukas.  50  f.  HQvam  118). 

2)  J.  Grimm,  Mythol.  1,  337  f.  8,  116;  Rechtsaltextümer  2\  358.  389  ff. ^ 
T.  Amira,  Grundr.  ^  s.  251.  258. 

3)  sceffara  Ahd.  gl.  2,  361,  5;  vgl.  ahd.  scaffida,  scaffunga  dispositio,  lex 
Notker  1,  789,  22.  834,  1;  7wrna  dömr :  norna  skpp  Fafnism.  11.  44.  41.  39;  aum- 
Ug  norn  sköp  oss  i  drdaga  Keginsm.  2  vgl.  Sigurjtarkv.  7 ;  norner  .  .  .  aldr  of  sköpo 
Helg.  Hund.  1,  2  vgl.  Skimism.  13 ;  ferner  Grog.  4.  Atlam.  33 ;  o.  s.  366.  372. 


ÜBER   DEN   SCHICKSALSGLAUBEN   DER   GERMANEN  383 

vermag  dagegen  sich  aufzulehnen:  sJcgpum  vipr  manngi  Atlam.  45 
vgl.  Grip.  52;  urpar  orpi  vipr  engl  tnapjr  FjqIsv.  47)  ^ 

Über  die  dauer  der  lebenszeit  und  über  die  lebensart  (Sn  E  1, 
72  f.)  sind  entscheidende  bestimmungen  getroffen,  die  durch  anord. 
skQp"^,  westgerman.  giscapu  ihren  ausdruck  gefunden  haben ^  und 
wiederum  sind  es  nicht  die  dinglichen  gestaltungen  ('geschöpfe')*,  die 
für  uns  in  betracht  kommen,  sondern  die  'Schöpfungen'  rechtlicher  art, 
weil  sie  die  Schicksalsfügungen  ausmachen^,  von  denen  das  los  des 
menschen,  die  dauer  und  der  verlauf  seines  lebens  abhieng.  Die 
lebenszeit  (ferh),  das  lebensalter  (aldar),  das  die  menschen  erreichten, 
nnd  die  lebensart,  das  glück  oder  Unglück,  zu  dem  ihr  dasein  gedieh, 
war  ihr  Schicksal  und  dies  Schicksal  war  eine  über  lebensanfang, 
lebensführung,  lebensende  sich  hinziehende  kette  von  urgesetzlichen 
entscheidungen  der  leitenden  mächte. 

Zwar  werden  in  der  dichtung  der  Alt-  und  Angelsachsen  diese 
^Schöpfungen'  dem  allmächtigen  schöpfergott  der  Christen  zugeschrieben 
(o.  s.  362),  aber  diese  neuere  auffassung  {godes  giscapu  Hei.  336.  547)^ 
vermag  den  älteren  zustand  {wyrda  ^esceapu  Rats.  40,  24)  nicht  zu 
trüben. 

Vom  menschen,  nicht  von  der  schicksalsmacht  aus  gesehen, 
werden  die  fügungen  zu  schicksalserlebnissen ;  pronomina  weisen  auf 
seine  lebenserfahrungen  hin:  ßrlgg  sin  HQvam.  56;  0r(Qg  ykhor  Lokas. 

1)  hie  wid  god  wunnon  Exod.  514;  tvunnon  hie  tvid  dryhtnes  mihtnm  Salom. 
327 :  enffi  md  vip  skgpum  vinna  .  .  .  mcetti  eigi  vip  skgpuni  vinna  Vglsungasaga 
•c.  30.  33.  36  u.  a.  vgl.  ma  ekhi  forpaz  sitt  dldrlag  c.  35. 

2)  Atlakv.  42.  Atlam.  2  {feigir):,  göp  skpp  SigurlDarkv.  57;  ill  skgp  Oddr.  32 
{:  skepna  övi\)T.  1,  23);  öskpj)  (misgeschick)  HOvam.  98;  vgl.  ags.  ivonsceaft  Beow. 
120 ;  and.  wanscefti  Hei.  1352.  5li04  (Ungeschick,  unglück) ;  ags.  tvyrd :  imwyrd 
Jente  s.  207 ;  and.  giivurt :  ungiwurt  Otfrid  1,  19,  13.  3,  20,  2  u.  a. 

3)  Für  ags.  gesceap-^esceaft  sind  die  belegsteUen  gesammelt  bei  Jente  s.  218  if. ; 
Wolf  s.  49  ff.  62  ff. 

4)  al  thesaro  tveroldes  giscapu  Hei.  4284 ;  woruldgesceafte  Gen.  101.  863 ; 
■eorpan  gesceafte  1614,  eorpgesceaft  Metr.  20,  194  vgl.  got.  gaskafts  o.  s.  362;  ahd. 
gascaft  creatura,  elementum  Ahd.  gl.  1,  42,  12.  118,  18  f.;  Notker  1,  808,  4. 
738,  24  usw. 

5)  Ahd.  gaskaft  fatum  Ahd.  gl.  2,  309,  33;  gascafüih  fatalis  309,  37.  282,  50; 
vgl.  gascaft  condicio  1,  546,  39.  547,  20  dazu  o.  s.  37i  f. 

6)  gesceapu  heofoncgninges  Gen.  842  f. ;  alwalda,  üre  drihten  .  .  .  gesceapu 
healded  2827;  vgl.  thiti  helagun  giscapu  (göttlicher  ratschluss  der  erlösung)  Hei. 
4063  f. ;  thiu  berhtun  giscapu  Mariim  gimanodun  endi  mäht  godes  367  f. ;  lestun 
thiu  berhtun  giscapu,  waldandes  willeon  118:  pcet  beorhte  gesceap  Elene  790  u.  a, 
(Wolf  8.  65.  71  ff.). 


384  KAUFFMANN 

25;  sJ{Qp  min  ok  peirn  Oddr.  32^;  m'me  aldo^le^e  Dan.  139.  min 
jesceapu  Rats.  10,  7.  73,  6;  pin  ^esceapu  Gen.  503;  für  den  menschen 
giltige  rechtssatzungen ^  mahnen  ihn  seines  Schicksals:  mudspelles 
megin  ohar  m,an  ferid,  endi  thesaro  iveroldes  .  .  .  sculun  iro  regangiscapu 
frummien  firiho  barn  Hei.  2591-94;  ina  is  regnnogiscapu,  is  endago 
gimanoda  mahtiun  swiä  3347-49  (Sievers  anm.)^;  tJio  quamun  oc 
tciirdigii^caim  themo  ödagan  man,  orlaghuUa,  that  he  thit  Höht  farlet 
3354-57. 

In  einer  ernsten  krisis  geht  der  mensch  tapfer  seines  weges*^ 
bis  des  Schicksals  fügungen  sich  an  ihm  verwirklichen  und  die  ent- 
scheidung  im  sinne  der  gesetzlichen  bestimmungen  zu  gunsten  seines 
lebens  oder  seines  todes  fällt.  Ein  fester  termin  {;^esca'phivil,  orle^- 
hwil^QO'w.  26.  2427.  2911)  ist  hierfür  festgesetzt:  einu  dcegri  vgrumk 
aldr  of  skapapr  Skirnism.  13  (:  skapadcegr),  anord.  eindagi,  ags.  än~ 
da^a,  and.  endago^.  Die  wähl  dieses  Wortes  samt  dem  zugehörigen 
and.  dagthingi  4158  (prescriptus  dies  Notker  1,  28,  23)'^  bestätigt 
abermals,  dass  die  Schicksalsfügungen  im  sinne  der  geltenden  rechts- 
ordnung  aufgefasst  worden  sind.  Nach  massgabe  gesetzlich  festgelegter 
bestimmungen  und  entscheidungen,  'bestimmuugsgemäss'  (gesceapum 
Widsif)  135;  on  gehyrd  =  on  gesceap,  on  ^esceafi  Dan.  366  o.  s.  374) 
verläuft  das  leben,  es  ist  nicht  ratsam,  'bestimmungswidrig'  zu  handeln 
{wid  jeKceapu  Gen.  2469),  denn  gegen  des  Schicksals  strenge  gesetze 
vermag  der  mensch  so  wenig  auszurichten  (anord.  vinna  o.  s.  382  f.)  als 
gegen  die  Ordnungen,  die  seinem  leben  durch  sitte  und  brauch  gesetzt 
sind  (Metr.  11,  13). 

Neben  giscapu  trat  bei  den  Westgermaneu  das  verbalabstraktum 
giscafti  für  die  altbegründeten  urgesetze  des  Schicksals  und  die  dem- 
gemäss  in  der  zukunft  sich  erfüllenden  lebensschicksale  der  menschen: 
gesceaini  uceron  iverimi  ond  ivlfinn  Gen.  1573  f.;  ivereda  ^esceafte  \)2iii. 
160';  fnim^esceap  Crist  840,  fgni^esceap  Phon.  360^;  forp^esceoft^i 
^eosceaft  Beow.  750.  1234,  eald  ^esceaft  Salomo  und  Saturn  385 
{eald;^ecgnd  o.  s.  374);   wyrda  ^esceapu  Rats.  40,  24;    ivyrda  gesceaft 

1)  si/ni  pmnni  verpra  scela  skgpup  Eeginsm.  6. 

2)  gesceapu  dreoged  Phon.  210  vgl.  orleg  dreo^ed  o.  s.  S81  anm.  3. 

3)  sia  godes  giscapii  mahtig  gimanodun  Hei.  336  f. 

4)  der  hüene  veige  man  Nib.  969,  5  C. 

5)  Hei.  3348.  5662. 

6)  Ags.  xvtjrda  ^epinyu  Dan.  546  (Jente  s.  222). 

7)  Eäts.  10,  7  :  34,8. 

8)  fyrn^ewyrht,  cer^ewyrht  GuJjI.  944.  960. 

9)  is  seo  forß^esceaft  digol  ond  dgrne  Grein  1  ^,  389. 


ÜBER   DEN    SCHICKSALSGLAUBEN   DER   GERMANEN  385 

Dan.  132.  "Wand.  107;  uiirdgiscapuj  wurdegiscpfU  Hei.  3692  CM  vgl. 
2190.  2210.  Der  anord.  formel  skapa  aldr  steht  ags.  ealdor;^esceaft 
Rats.  40,  23  (eines  lebens  zeitliche  festsetzung  ist  eine  verwickelte 
Schicksalsbestimmung)  besonders  nahe,  und  dazu  gesellt  sich  lif^e- 
scenfta  llßi^ende  breac  Beow.  1953  (erfreute  sich  eines  langen  lebens). 
Weil  aber  die  auf  leben  lautenden  Schicksalsfügungen  mit  dem  tod 
endigen  {ende  ;:^efere  lif:^esceafta  3063  f.)  \  betreffen  die  schicksalhaften 
Zeitbestimmungen  des  'lebens'  (ags.  mceljesceaße)  auch  geradezu  den. 
tod  {/ja  iires  call  sceacen  do^or^erhnes,  dead  un^emete  neah  .  .  .  ic  o?i 
earde  bdd  mcel^esceafta  .  .  .  ponne  min  sceaced  lif  of  Ike  2727—43). 
Die  zwischen  leben  und  tod  schwebenden  'zeitverhältnisse  des  erden- 
lebens'  (dem  nach  seligem  ende  den  christgläubigen  im  himmel  bevor- 
stehenden ewigen  leben  vorhergehend)  sind  ein  auferlegtes  Schicksal 
und  werden  durch  and.  erdlifgiscapu  (lebensgeschicke,  lebenszeit)  -  ver- 
nehmlich an  2i^?>.Uf;^esce(ifte  anklingend  -  zum  ausdruck  gebracht  (stdor 
he  t/ie>e  iverold  agibid  erthlifgiscapu  Hei.  1323-31).  Als  'Schöpfungen* 
sind  diese  zeitverhältnisse  des  lebens  gesetzlich  geregelt  und  durch 
den  eintritt  des  todes  schicksalhaft  begrenzt.  Es  darf  aber  diese 
Schattenseite  nicht  als  die  für  das  schicksalswesen  der  Germanen  allein 
massgebende  hervorgekehrt  werden,  vielmehr  ist  auch  auf  das  leben 
gebührende  rücksicht  zu  nehmen.  Durch  die  hervorragend  wichtigen 
komposita  and.  metodgüccfti  {-giscapn),  ags.  tneotod^esceoft  {metod^cenft') 
werden  die  Schicksalsfügungen  von  beiden  selten  her  richtig  beleuchtet : 
thiu  möder  carode  endi  ciimde  iro  kindes  dod  .  .  .  ina  im  wurth  benam, 
märi  metodgiscapu  Hei.  2190;  metodigiscefti  2210;  meotodsceaft  bemearn 
Beow.  1077^;  ealle  ivyrd  forsweop  m'ine  md^as  to  metodsceofte  2814 
('tod') ;  weccad  of  deade  drghtgumena  bearn,  eall  rMnna  cynn  to  meo- 
iu d.^ ceaße  Crist  888  ('leben')  ^  metodsceaft  seon  Gen.  1743.  Beow.  1180 
(Wolf  s.  45f.  96  f.)  ^ 

Schicksalsni  ächte 

Hinter  den  auf  leben  und  tod  sich  erstreckenden  Schicksals- 
fügungen suchen  wir  jetzt  die  leben  und  tod  'schaffenden'  (veran- 
lassenden), das  Schicksal  kündenden  und  wirkenden  mächte.  Denn 
was  man  einstmals  bei  den  Schicksalsfügungen  mit  besonderem  nach- 
druck   hervorzuheben   pflegte,   waren   ihre    machtwirkungen    {rik    skgp 

1)  Vgl.  Beow.  1622  [llfda^as).  2844  f. 

2)  nuirnan  meoUidgesceaft  Wy  20. 

3)  oder  vielmehr:  'zum  (jüngsten)  gericht'? 

4)  seod  ponne  on  ece  ^eivyrht  Dom,  61. 


SQQ  KAUFFMANN 

Fafnism.  39):  ina  is  reganogiscaim  .  .  .  gimanodiin  mahtiun  sivM  Hei. 
3347-49  (0.  s.  377). 

Vorzugsweise  werden  metod  und  wyrd  genannt,  die  im  hinblick 
auf  7)wtod(/i.scaß  und  ivurdgisccqm  als  wirkende  schieksalsmächte  ge- 
würdigt sein  wollen:  7netod  meahtum  sivkt  ('gott')  Crist  716.  Andr. 
1209.  1515.  Grein  3^,  140,  4  u.  ö.  (Jente  s.  72);  wgrd  seo  swläe 
Ruine  25 ;  Salomo  und  Saturn  442.  435  ^ ;  wyrd  hid  swktre,  meotud 
meahti^ra  ponne  cen-^es  mannen  gehg^d  Seef.  115  f.;  wyrd  bid  swidost 
Grein  l^  338  ^ 

Im  neuen  aion  des  Christentums  waltet  ein  allmächtiger  schöpfer- 
gott  des  Schicksals^  (o.  s.  3G2  f.).  Die  geheimnisvolle  macht  dieses 
schicksalslenkers  {mahts  gudis  2.  Cor.  13,  4;  mahts  Xristaus  12,9) 
drückte  sogar  noch  der  Gote  durch  rüna  aus*:  rnna  gudis  ßou'XYi  tou 
•i>£ou  Luc.  7,  30  (vgl,  21)  oder  rüna  Xristaus  [j.uaripioy  Eph.  3,  3.  4if. 
{öi  toja  mahtais  is  '/.ary.  Tr,v  svspysixv  tt,?  S'jva[y,£co?  aurou  7).  Col.  4,  3; 
ritna  wiljins  seinis  Eph.  1,  9  (vgl.  5.  11).  Bisher  hatten  die  Völker 
statt  der  alimacht  des  christengottes  und  der  mächte  des  neuen 
glaubens  ^  der  macht  des  Schicksals  gehorcht  und  gedient,  gemäss 
den  volksüberlieferuugen  (Col.  2,  8.  22  f.)  hatten  mächtige  schicksals- 
gewalten  ihr  dasein  überschattet  (o.  s.  363)  und  dass  die  Germanen 
davon  nicht  auszunehmen  sind,  besagt  der  Sprachgebrauch.  Im  Wort- 
schatz der  gotischen  bibeP  fällt  nicht  nur  rüna,  sondern  auch  das 
gleichbedeutende,  für  die  mächtig  das  Schicksal  wirkenden  gestirne 
gebrauchte  wort  staheis  auf  (o.  s.  380),  das  ebenso  wie  rüna  dem 
heimischen  schicksalsglauben  entstammen  dürfte:  uf  raginjam  .  .  .  nf 
stahini  (randgl.  uf  tugglam  s.  o.  s.  363)  ßis  fairJvaus  ivesum  skalkinon- 
dans  UTTO    z-kw^oiz^c,  . . .  utto  tv.    aroiyjX'X   toG    x,6'jf7-ou    vif^sv    SeSouT^coasvoi 

1)  Vgl.  Metr.  4,  33  ff. 

2)  wyrda  crceftum  Rats.  36,  9;  ivyrda  mce^enwn  King  Alfreds  Orosius  ed. 
Sweet  s.  62,  10. 

3)  mihti;^  metodes  weard  Dan.  235;  se  metoda  drihten  o.  s.  868  f.;  ^esceapu  heal- 
deä .  .  .  ^esceapo  ferede  Grein  3  -,  150  f. 

4)  Zeitschr.  48,  384  f.  49,  49  ff. 

5)  rtma  piudangardjos  gudis  Marc.  4,  11 ;  runos  ßiudinassaus  gudis  Luc.  8,  10 
(ghiruni  himilorihhes  Mons.  fragm.  8,  18.  Tatian  74,  4);  mahts:  runa  gagudeins, 
galaubeinais  2  Tim.  3,  5.  1  Tim.  8,  9.  16  ('runenlied'  Zeitschr.  48,  72.  49,  52); 
macht  des  auferstehungsgeheimnisses  Phil.  3,  10 ;  1.  Cor.  15,  51  ff. 

6)  Vgl.  almahtiga  gotes  chinmilsidor  'S,  1;  dhazs  meghiniga  chiruni  dhera 
dh}-inissa  4,  5  (ohne  latein.  entsprechung) ;  heilae  chiruni  3,  2.  4,  6;  heilac  kotes 
karuni  Murb.  hymn.  13,  2 ;  thes  mahtiges  Cristes  .  .  .  helag  girüni  Hei.  4601-3 ; 
dryhtnes  geri/ne  .  .  .  swldor  mich  mcegenße^nes  word  GuJ)!.  1094  ff. 


ÜBER   DEN   SCHICKSALSGLAUBEN'   DER   GERMANEN  387 

(sub  tutoribus  .  .  .  sub  elementis  mundi  eramus  servientes)  Gal.  4,  2-3; 
mip  Xristau  of  stuhlm  ß/'s  fairkmus  (tjv  ypicTO)  a— o  t(Zv  aroiyzioyj  tou 
y.öaiJ.ou  (cum  Christo  ab  elementis  mundi)  Col.  2,  20  (niuja  gaskafts 
Got.  6,  14  f.  0.  s.  362).  Diese  grundmächte  des  weltlaufs  {elementa 
muncli)'^  waren  für  den  vorchristlichen  schicksalsglauben  die  eigent- 
lichen Schicksalsmächte.  Für  den  Christen  war  es  ausgemacht,  dass 
diese  mächte  ohnmächtig,  dass  diese  'götter'  keine  götter  seien,  nur 
auf  heidnischem  Standpunkt  konnten  sie  für  götter  ausgegeben  werden  ^ : 
ni  kunnandans  gup  paim  poei  ivistai  ni  sind  guda  sknlkinodedup,  ip 
nu  sai  uf  kunnandans  gup  .  .  .  Jvaiwa  gawandldedup  izivis  nftra  du 
Jjaim  unniahteigam  jah  haikam  stabim,  pjaimei  oftra  iupana  skal- 
kinon  ivileip  (dagam  loitaip  jah  menopum  jah  melam  jah  aßmam 
0.  s.  363)  Gal.  4,  8-10.  Die  macht  der  gestirne,  beziehungsweise 
der  planetengötter,  den  orientalischen  schicksalsglauben  hatte  der 
meister  der  Gotenbibel  auf  germanischen  boden  zu  verpflanzen.  Dieser 
seiner  aufgäbe  ist  ^r  durch  stabeis  p)is  fairkaus  gerecht  geworden. 

Wenn  dieser  altheimisch  klingende  ausdruck  jetzt  auf  die  macht 
der  gestirne  sich  bezieht,  so  bedeutete  er  für  Germanen  eine  erweiterung 
ihrer  Schicksalserfahrungen  (o.  s.  363),  die  an  volkstümliche  Über- 
lieferungen sich  anknüpfen  liess.  Denn  die  beobachtung  der  mond- 
phasen^  war  ein  hauptstück  altgermanischen  orakelwesens*,  das  in 
altgermanischem  schicksalsglauben  wurzelte:  pd  er  menn  sdtuvipmäl- 

elda  cd  Fröpd,  p^a  sd  menn  d  veggpili  hüssins,  at  komit  var  tungl  halft  (halbmond); 
Jmt  mättu  allir  menn  sjd,  peir  er  i  ht'isinu  väru  .  .  .  pöroddr  spurpi  pöri  viplegg, 
hat  petta  mundi  bopa.  porir  kvap  pat  vera  urparindna  —  mun  her  eptir  koma 
manndaupi,  segir  kann,  pessi  tipendi  bar  par  vip>  viku  alla,  at  urparmdni  kom  inn 
hvert  kveld  seni  annat  Eyrbyggjas.iga  ed.  Gering  s.  191.  Durch  Vorzeichen 
kündigte  das  endschicksal  des  todes  sich  an  (o.  s.  377).  Der  'schick- 
salsmond'  (schicksalsmacht  des  mondes)  gewinnt  für  unsern  Zusammen- 
hang erhöhte  bedeutung,  weil  wir  daraus  über  die  orakelhaften  macht- 

1)  Diels,  Elementum  s.  50  ff.  vgl.  elementum :  ahd.  gaskaft  o.  s.  383. 

2)  Vgl.  z.  b.  infestos  deos  .  .  .  propositis  inimica  elementa  (die  schicksals- 
mächte)  Saxo  Grammat.  p.  29,  27  f. 

8)  Vom  Cülosserbrief  als  nichtig  abgewiesen :  ni  manna  nu  izwis  bidomjai  .  .  . 
in  dailai  .  .  .  fullipe  (vouiir^via;,  neomeniae)  2,  16.  Indem  der  Gote  den  aus- 
druck seiner  vorläge  nicht  übersetzte,  sondern  'neumond'  durch  'voUmond'  (ags. 
fyllep)  ersetzte  (Grimm,  Mythol.  2*  591  f.),  verriet  er  uns  etwas  vom  folkiore  got. 
landsgemeinden. 

4)  Caesar,   bell.  gall.  1,   50;    Plutarch,    Caesar   c.  19;   Tacitus,   Germ.   c.  11; 
Homilia  de    sacrilegiis  s.  H.  27.  61.    nidlus  ad  inchoandum  opus  .  .  .  lunam  attendat 
MG  Script,  rer.  Merov.  4,  707. 
.      ZEITSCHRIFT  F.  DEUTSCHE  PHILOLOGIE.    BD.  L.  27 


388  KAUFFMANN 

* 

wirkuDgen  der  elemente  (himmelskörper ;  got.  tuggla,  anord.  ags.  tiingiy 
etwas  erfahren,  die  dem  Goten  vorschwebten,  als  er  jene  mächtigen 
kundgebuugen  der  gestirngötter,  die  die  bibel  verurteilte,  in  seiner 
übersetzung  zur  geltung  brachte. 

Fragen  wir  nach  der  art  dieser  kundgebungen,  so  lässt  die  wähl' 
des  Wortes  stabeis  vermuten,  dass  das  heimische  orakelwesen  und  zwar 
insonderheit  das  heimische  losorakeP  mit  seinen  geheimnisvollen 
Schickungen  den  schicksalsmächten  zur  Verfügung  gestanden  habe. 
Nicht  nur  got.  tuggla,  sondern  auch  got.  stabeis  kehren  nämlich  bei  den 
Angelsachsen  wieder  und  zwar  in  dem  durch  anord.  urparmäni  — 
mamidaupi  angedeuteten  Zusammenhang.  Auch  bei  den  Angelsachsen 
handelte  es  sich  um  den  tod  eines  menschen  (f((',jes  forctskt)^,  der 
durch  das  geheimnisvolle  weben  der  schicksalsmächte  (ivgrd)  ange- 
kündigt und  herbeigeführt  worden  ist,  als  die  zeit  dafür  gekommea 
war  {ßomie  seo  ßräg  cymed  ivefen  wyrdstafum  .  .  .  GuJjI.  1319-25). 
Die  Schickung  des  todes  ist  hier  als  ein  todeslos  aufgefasst.  Die 
geheimnisvollen  machtwirkungen  des  Schicksals  geben  hier  durch  'stäbe\ 
(d.  h.  lose)  sich  kund  und  die  webende,  wirkende  schicksalsmacht  heisst 
wyrd.  Dadurch  ist  eine  Verbindung  mit  jener  mythologischen  szene 
hergestellt,  in  der  die  n  o  r  n  e  n  uns  begegnen,  ihren  schicksalsberuf 
am  Ur|)arbrunnr  ausübend,  loszeichen  ins  holz  ritzend  {shera  d 
skipi  Vol.  20)  und  'stäbe'  verfertigend^.  Diese  stäbe,  von  den  nornen 
geritzt,  bezeichnen  die  lebenslose  (ags.  wyrdstafas,  got.  stabeis  pis- 
fairhraus),  wie  sie  den  menschen  unter  der  band  der  schicksalsfrauea 
fallen   (im   zeitenschosse  ruhen   die   schwarzen   und  die  heitern  lose). 

In  Skandinavien  war  stafir,  in  England  stafas  hauptsächlich  in 
Zusammensetzungen  üblich,  deren  erstes  glied  die  art  der  schickung^ 
und  deren  zweites  glied  die  Schickungen  kennzeichnete  (Jenta  s.  333  if.) : 
es  waren  lose  des  heils  {ärstnfas)  oder  Unheils  (wrohtstaßfs),  des  todes 
(endest aß)^,  der  sorge  (sor,jf<tafas),  des  unmuts  {inwitsta-f),  des  freveis 
{fäcenstafas,  anord.  feiknstafir)  und  ähnliches^.     Von  besonderem  in- 

1)  Vg].  Uz,  lieza  0.  s.  365  (Notker). 

2)  bäd  se  pe  sceolde  eadig  on  eine  endedögor  aivrecen  wcelstrcelum  .  .  .  nu  of 
h'ce  is  ^wst  stviäe  ßis  Gutl.  125S  ff.,  vgl.  1037  ff.  1112  ff. 

3)  siirculi  notis  discreti  Tacitus,  Germ.  c.  10. 

4)  Anord.  helstafir  =  ags.  wyrdstafas  ? 

5)  Vgl.  z.  b.  anord.  bQlstafir,  liknstafir.  Es  wird  zwar  mit  recht  angenommen^ 
dass  das  zweite  glied  dieser  komposita  funktionslos  geworden  sei,  aber  diese  ein- 
sieht enthebt  uns  nicht  der  pflicht,  die  entstehung  des  grundtypus  aufzuklären; 
z.  b.  ags.  wrdht  ('Unheil')  El.  809  ist  nicht  dasselbe   wie  u-röhtstafas  925-27,  weil 


ÜBER  DEN    SCHICKSALSGLAUBEN   DER   GERMANEN  389 

teresse  ist  1.  das  wortpaar  hennnstnfa^  (GuJ)l.  200)  -  heormtunas  (Gen. 
992)  'lose  des  harms'  (leid),  weil  statt  stofus  nun  auch  das  zweite 
beim  losorakel  gebräuchliche  grundwort  hervortritt  \  und  2.  das  Wort- 
paar inwifsUff-inicitriin  (Jul.  609-12),  weil  hierbei  das  losorakel  mit 
dem  runenwesen  in  eins  zusammengefasst  ist'.  Denn  im  ags.  treten 
wie  im  anord.  stäbe  und  runen  miteinander  in  unmittelbare  Verbin- 
dung^. Folglich  darf  ags.  irijrddnßts  mit  wijvcla  ^erynu  (Dan.  149) 
oder  rim  (542)  verkoppelt  werden :  es  hat  dem  könig  geträumt,  no  he 
^emunde,  Jxet  him  metod  ures  (119)  .  .  .  ivyrda  ;^esceaft  (132)  .  .  . 
aldorle:^e  (139)  .  .  .  wyrda  ^eiynu  (149)*;  ne  ma^on  je  pä  wijrd  be- 
mipan,  bedyrnan  pä  deoimn  mihte  .  .  .  onwreon  icyrda  ^erijnii  El. 
582-89  {onwri^e7i  ivyrda  bi^an:^  1123;  dy^le  ivyrd  541),  inivrige 
wyrda  ;^erynu  813''. 

Das  menschenlos,  die  geheimnisvollen  kundgebungen  des  Schick- 
sals und  zugleich  die  wirkenden  schicksalsm ächte  haben  hier  eine 
darstellung  gefunden,  in  die  es  sich  ungezwungen  einfügt,  wenn  die 
parzen  (und  furien)  ags.  {hur^)nine  genannt  worden  sind  ^  In  der 
regel    hiessen    die    schicksalsmächte    aber    ags.    loyrde    (anord.    urpir 

hier  die  macht  des  Unheilstifters  zur  geltung  gebracht  werden  sollte  ('unheilstiftung') ; 
vgl.  sdrstafas :  sclrslege  Gul)l.  198  f.  2u5  f. 

1)  tdnas  sind  die  taciteischen  siirculi;  anord.  teinn,  afries.  ten,  ags.  tan  hiess 
das  holzstäbchen  (anord.  spdn),  welches  das  loszeichea  trug  (Jente  s.  270  f.  336  f.) ; 
es  wurde  vom  tdnhlt/ta,  tdnhli/tere  (sortilegus;  Wright,  Vocabularies  1,  183.  189) 
gedeutet. 

2)  Jente  s.  330  f.;  von  den  Zusammensetzungen  mit  -rim  {= -stafas)  mag 
hetertin  Eäts.  31,  7.  5  nur  eine  dichterische  Variante  für  hete  sein,  nimmt  man  aber 
diese  stelle  mit  Beow.  501  oder  auch  mit  El.  1094.  1099  f.  (Dan.  738)  zusammen, 
so  kommt  das  scheinbar  funktionslose  glied  zu  seinem  recht,  weil  es  geheimnisvolle 
macht  Wirkungen  unter  sich  befasst,  die  durch  vorzeichea  sich  ankündigten  [wcel- 
rün  El.  27— oO;  anord.  valriinar,  aldrriinar,  megenrunar). 

3)  Anord.  stafir,  rünar  H^vam.  143;  ags.  stafas  begegnet  in  der  Verbindung 
mit  rüne  im  ags  Beda  (ed.  Miller,  Engl,  textsoc.  95—96.  110—11)  p.  328,6  (Grimm, 
Mythol.  2,  1029  f. ;  Beda  4,  22):  ein  kriegsgefangener  sollte  gefesselt  werden,  nee  tarnen 
vinciri  potuit  .  .  .  comes  qni  euni  tenehat,  riiirari  et  interrogare  coepit,  quare  ligari  non 
posset,  an  forte  litteras  solutorias  (=  phylacteria?)  de  qiiibus  fabulae  ferunt  apud 
se  haberet,  propter  quas  ligari  non  posset;  at  ille  respo7idit,  nil  se  taliiim  artium 
nasse  >  dcsode  hwceder  he  pä  alysendlecan  r  ü  n  e  ci'tpe  and  pa  s t  afa  s  mid  him 
aicritene  h(efpe  be  swylcum  men  leas  spei  sec^ap  .  .  .  Jente  s.  328;  Aelfric  gibt  die 
stelle  wider:  purh  dri/crceft  op)pe  purh  rtinstafiim  (Jente  s.  329). 

4)  Eine  ganz  andere  bevvandtnis  hat  es  mit  worda  gergmi  Dan.  732. 

5)  Vgl.  drihtnes  ^ergne  Crist  41.  9ö.     Gui^l.  1094  (;  ahd.  girüni  o.  s.  386). 

6)  Jente  s.  329  ipur^  gehört  zu  ags.  bgrgen  burying-place)  vgl.  helrüne  s.  330. 

27* 


390  KAUFFMANN 

Siguij)arkv.  5 ;  and.  wurdi  Hei.  4581  M.)  K  In  der  einzahl  bezeichnet 
das  wort  (anord.  urpr  [urparmäni  o.  s.  387],  ags.  ivyrd,  and.  ivurd, 
ahd.  wiirt)  eine  macht  des  werdeus  oder  geschebens^  die  nicht  allein 
hinter  den  ereignissen  der  profanen  welt^  sondern  auch  hinter  den 
Schicksalsfügungen*,  dem  orakel-  und  runenwesen  steht  (ags.  wyrd- 
stafos,  wyrda  gerf/nii)  und  durch  Schöpfungen  rechtswirksamer  art  im 
menschenleben  sich  offenbart  (ags.  ivyrd^esceap  Wright,  Vocabularies 
1,  400;  and.  wurd{i)giscaim  Hei.  127.  197.  512.  3354.  3692  C:  wurdi- 
giskefti  M. :  ags.  ivyrda  ^esceaft  Dan.  132.  Wand.  107;  wyrda  ^e- 
sceapu  Rats.  40,  24;  wyrda  ^ep/ngu  Dan.  54G ;  wyrda  bi^an;^  El.  1123). 
So  war  es  möglich,  im  christlichen  Zeitalter  die  macht  der  Offenbarung, ' 
der  verheissung  und  des  Wunders  auf  germanische  art  und  weise  aus- 
zudrücken '\  indem  die  geheimnisse  der  Schicksalsfügung  auf  gott  be- 
zogen wurden^.  Auf  die  vorchristliche  anschauung  stossen  wir  erst 
dort,  wo  eine  un-  oder  überpersönliche  macht  genannt  ist  und  die 
grundformen  des  daseins  auf  dies  'Schicksal'  zurückgeführt  werden. 

Das  eine  hauptereignis  des  menschenlebens,  der  eintritt  des  todes 
hat  die  schicksalsgläubigen  so  gründlich  beschäftigt,  dass  unser  haupt- 
wort  seine  bedeutung  gern  auf  'tod'  oder  'den  tod  wirkende  macht' 
einschränktet  Gemeinwestgermanische  formein  der  dichtersprache 
sind  hierfür  die  besten  zeugen  ^Grimm,  Mythol.  1*,  336):  a)  hine 
ivyrd  foniam  Beow.  1205^;  icurd  fornam  Hei.  761  {fornimid  3633^), 

1)  Ehrismann,  PBBeitr.  35,  235  ff. ;  Jente  s.  199  ff. ;  Anglia  36,  172  ff.  89,  11  ff. ; 
Wolf  s.  3ff.;  Brandl,  Festgabe  f.  F.  Liebermann  s.  252  ff.;  vgl.  J.  Grimm,  Mythol. 
1*,  336  f.  3,  116;  Vilmar,  Altertümer  im  Heliand  s.  10  ff. 

2)  urpar  magn  Gubrunarkv.  2,  22,  3. 

3)  'die  macht,  die  die  dinge  verändert'  Wolf  s.  47 ;  in  die  profane  Sphäre 
versetzt  uns  z.  b.  Beow.  3030.  Jul.  33  ('ereignis'  Wolf  s.  8 ff.);  ags.  wyrdwriUre 
(historiographus)  Jente  s.  207;  Csetvyrd  (historia)  s.  205 f.;  ahd.  ghvurt,  ungiwurt, 
weimirt,  wurt  (eventus  Ahd.  gl.  1,  135,  40;  fortuna  153.  6). 

4)  fsitum  :ivurt  Ahd.  gl.  2,  16,  56.  20,  39;  fsita, :  tcurte  20,  53;  ags.  ivtfrd, 
wyrde  Jente  s.  203. 

5)  Vgl.  z.  b.  Andr.  1500  ff.  1563.  1604  f.  Gen.  2353  ff.  {Jileodorcwyde  2382 : 
2389  f.);  wundorivyrd  El.  1071;  wyrd  and  tvundor  Dan.  471.  653. 

6)  wyrd :  metod :  dorn  godes  Beov*^.  10.36-58.  2858  f. 

7)  Archiv  für  religionswissensch.  22,  386;  Wolf  s.  42  ff.;  vgl.  z.  b.  Exod. 
447.  450: 456  f.  (468  f.  478-81.  484-86.  512);  auch  anord.  urßr  ist  gelegentlich 
mit  'tod'  zu  übersetzen  {sa  urpr  Ynglingatal  28;  das  mascul.  anstatt  des  sonst 
üblichen  femin.  beruhte  auf  einer  von  daupr  ausgehenden  analogievvirkung). 

8)  hie  icyrd  forswdop  477.  2814;  vgl.  d4ap  fornam  488.  2119.  2236;  swylt 
fornam  1436  (ecj  fornam  2112 ;  yild  nimed  2536 ;  hild  niine  452  :  455) ;  de'ad  nimed 
441.  447. 

9)  dod  fornam  2218;  suht  fornam  4111. 


ÜBER   DEN    SCHICKSALSGLAUBEN   DER   GERMANEN  391 

wurth  hinam  2189;  b)  ivces  wyrd  un^einete  neah  Beow.  2420  (:  dead 
uiigemete  neah  2728);  thi  wurth  nähidß  thuo  {muri  mäht  ^oc?e6')  5394; 
thiii  tvurd  is  at  handun  4619  {thea  ttdi  sind  nu  gindhid  .  .  .  thar  man 
mines  ferhes  scal,  aldres  ahtien  4612  f.).  4778  {:nu  is  iro  död  at  hendi 
2989  vgl.  4567  f.).  So  wenig  wie  bei  kämpf  und  tod,  die  in  ent^ 
sprechenden  formein  auftreten,  liegt  eine  veranlassung  vor,  aus  jenem 
Sprachgebrauch  auf  eine  todesgöttin  zu  schliessen.  Was  wir  zu  er- 
kennen vermögen  ist  eine  den  tod  wirkende  schicksalsmacht. 

In  der  christlichen  weit  erweiterte  sich  der  ausblick  vom  dies- 
seits in  das  jenseits,  wurde  das  Schicksal  des  menschen  nach  dem 
tode,  das  um  ewiges  leben  ringende  Seelenheil  ein  hauptanliegen. 
Aber  die  christliche  Jenseitsreligion  unterstellte  die  zukunft  des  menschen 
nicht  einem  Schicksal,  sondern  einem  gericht,  das  im  himmel  oder  in 
der  bölle  mit  lohn  oder  strafe  den  abgeschiedenen  seelen  zu  vergelten 
hatte,  was  sie  während  ihres  leiblichen  lebens  vollbrachten  (Dom. 
40-43)  vgl.  Crist  1220  f.  779  ff.  Jul.  718  ff.  Trotzdem  kam  es  vor, 
dass  die  dichtersprache  die  schicksalsmacht  in  das  jüngste  gericht 
einsetzte,  nachdem  das  Schicksal  unter  die  befugnisse  des  welten- 
richters  aufgenommen  worden  war  (o.  s.  362):  imjrde  bidan,  drihtnes 
dömes  Gen.  2570  f.  ^  Im  allgemeinen  aber  ist  and.  ivurd  und  ags. 
wgrd  (im  gegensatz  zum  jüngsten  gericht)  auf  die  mit  dem  tod  ab- 
schneidende lebensführung  im  diesseits,  beziehungsweise  auf  das  end- 
schicksal  der  erde  (Weltuntergang)  eingestellt  geblieben  - :  ivile  ponne 
for^ieldan  ^a'sta  dryhten  willum  wfter  poire  ivy\de,  ('nach  dem 
tode')^  widdres  ealdor  .  .  .  l/fes  ivaldend  (lic  sceal  l'tfe  onfön,  feores 
cefter  foldan)  .  .  .  cüp  sceal  -^eweordan,  pa^t  ic  getvcegan  ne  mce^  wyr  d 
under  heofenum  (Dom.  81  ff.)*. 

Das  Schicksal  der  menschen  nach  dem  tode  scheint  demnach 
nicht  zu  den  kompetenzen  der  altgermanischen  schicksalsmächte  ge- 
hört zu  haben,  auf  das  diesseits,  nicht  auf  das  jenseits,  auf  den 
lebenslauf  und  auf  das  lebensende  erstreckte  sich  ihre  Wirksamkeit 
und  wenn  auch  das  Schicksal  des  todes  häufiger  als  das  Schicksal  des 
lebens   die   stimme   der   dichter  geweckt  hat^,   so  sind  sie  doch  auch 

1)  Vgl.  887  f.:  10211  {meotudsceaft  =  dorn?). 

2)  feores  bid  cet  ende  dura  gehwi/lcum  Dom.  2—3 ;  vgl.  erdltfgiscapu  Hei.  1331 ; 
ymrdgiscapu  {an  Me)  126  f. ;  3630-33.  2586  ff.  2634  ff.  4296  ff.  4358  ff.  (Weltgericht). 

3)  cefter  heonansipe  86;  vgl.  orleg  dre'oged  29.     Crist  1272. 

4)  ac  hü  pus  gelimpan  sceal  leoda  gehwi/lcum  eofer  eall  beorht  gesetu,,  byr- 
nende  Mg;  siddan  cefter  päm  lige  lif  bid  gestapelad  116  ff. 

5)  feores  orwena  .  .  .  btded  wyrde  bewegen  wcelmiste  .  .  .  fcege  Wy  40—44. 


892  KAUFFMANN 

an  ihm  nicht  stumm  vorübergegangen  (obsehon  die  meisten  gottes 
Vorsehung  dabei  im  sinne  hatten)  \  Der  ags.  Seefahrer  machte  gott 
und  die  wi/rd  für  die  Schicksalswenden  seines  lebens  verantwortlich: 
ivt/rdbct  siviäre,  meotud  meahti^ra  pcmne  a'nges  mannes  ^eJnj;^d  115  f. 
und  der  ags.  Wanderer,  der  über  die  Vergänglichkeit  der  zeit  und  die 
nachtseite  des  lebens  grübelte  und  beim  vater  im  himmel  trost  und 
hilfe  suchte,  nennt  wyrd  seo  mcere  '^  nicht  nur  als  todes-  ^,  sondern 
auch  als  lebensmacht:  eall  is  earfodlic  eordan  rlce,  onwended  wyrda 
^esceafi  weoruld  under  heofenion  106  f. 

Als  Kain  das  blut  seines  bruders  vergoss,  beschatteten  die 
folgen  dieses  freveis  {heannianas  s.  o.  s.  388  f.)  den  ganzen  erdkreis  und 
zumal  das  leben  des  mörders  (Gen.  987  ff.):  we  p(pt  spell  ma,-^on,  wcel- 
grimme  wyrd  wope  cwldan  (995  f.;  vgl.  1013  ff.:  1031  ff.).  Auch  andern- 
orts ist  ausser  dem  tod  das  leben  schicksalhaft  (vom  allmächtigen  gott) 
bestimmt;  vgl.  Gen.  2353  ff,  2388  ff.;  -^ced  d  wyrd  swa  hio  scel 
Beow.  455.  wyrd  oft  nered  unfcegne  eorl  572  f.  (o.  s.  369);  ne  ivces 
ßa't  wyrd  pä  gen  734;  ivyrd  ne  meahte  in  fcegum  leng  fcorh  geheallan 
.  .  .  ponne  him  gedemed  wies  Guf)l.  1030-32;  wyrd  gescraf,  pwt  Jye 
peodrice  pegnas  ond  eorlas  heran  sceoldan  Metr.  1,  29-31 ;  ivyrd  ge- 
scrdf,  pmt  he  swa  leof  gode  in  ivorldrice  weordan  sceolde  El.  1047  ff.; 
auf  die  erlebnisse  des  Babylonierkönigs  hatte  das  Schicksal  bezug, 
das  ihm  durch  seinen  träum  {rün  542,  ein  von  gott  gesandtes  omen) 
offenbart  worden  war  (icyrda  gepingu  Dan.  546 ;  wyrda  gesceajt,  ivyrda 
gerynu  :  aldorlegu,  wereda  gescecftc  119  ff.  o.  s.  389)*. 

Dahingestellt  muss  es  bleiben,  ob  die  schicksalsmächte  durch 
and.  regangiscapu  auch  unmittelbar  dargestellt  worden  sind.  Der 
ausdruck  bezieht  sich  Hei.  2593  auf  das  endschicksal  der  menschheit 
(muspilli):  sculun  iro  regangiscapu  frumminn  firiho  barn.  Somit  ist 
regin-  hier  das  bekannte,  verstärkende  praefix  (Jente  s.  67  ff.),  das 
ursprünglich  die  schicksalsmächte  bezeichnete,  aber  inzwischen  pro- 
faniert worden  ist  ^  Da  nun  aber  die  Variante  regino-,  reganogiscapu 
Hei.  3347.  2593  C  vorliegt   und  nicht   sowohl   godes  giscapu  336  als 


1)  Vgl.  z.  b.  Grein  3S  148  ff.  (bi  manna  wyrdum). 

2)  Sieper,  Elegie  s.  198. 

3)  eorlas  fornömon  asca  ßri/ße,  tvoepen  tvoelßifrn,  u'i/rd  seo  mcere  99  f. ;  vgl. 
6-7  [arced  [Wolf  s.  36  f.]  stellt  sich  zu  got.  garaips  oder  zu  gareds?  Zeitschr. 
49,48);  ne  mceg  loerig  mdd  wyrde  widstondan  15. 

4)  wyrd  wces  geivorden  .  .  .  dorn  geddmed  Dan.  653. 

5)  megintheof :  regintheof  Hei.  5400.  1644;  ags.  regtipSof  Exod.  538;  and. 
reginblind  Eel.  3554 :  ags.  re^nheard  Beow.  326 ;  and,  reginskatho  Hei.  5398,  5497. 


ÜBER   DEN   SCHICKSAIiSGLAUBEN   DER    GERMANEN  393 

auch  wurdigiscapu  3354  entspricht,  ermächtigt  uns  diese  ältere  wort- 
form, die  Schicksalserlebnisse  der  menschen  auf  regln  (anord.  regln) 
genannte  schicksalsmächte  {mahtiun  sivkt)  zurückzuführen'.  Ihr  name^ 
.gibt  sie  als  jene  beratenden  und  beschliessenden  mächte  zu  erkennen  ^, 
deren  gesetzliche  bestimmungen  und  entscheidungen  durch  giscapu  zu 
Worte  gebracht  worden  sind.  Dass  auch  anord.  regln  auf  diese 
schicksalsmächte  bezug  nahm  ^,  ergibt  sich  nicht  nur  aus  der  Identität 
mit  dem  flektierten  neutr.  plur.  Altniederdeutschlands,  sondern  auch 
aus  der  Übereinstimmung  im  gebrauch  jenes  sogenannten  verstärkenden 
präfixes :  anord.  regingrjöt  enthält  eine  bezeichnung  für  die  Schicksals^- 
mächte  (das  Schicksal  malend  Grottas.  20),  reginkunnr  (Hgvam.  79) 
heisst  'von  den  schicksalsmächten  stammend'^.  Diese  schicksalsmächte 
waren  es,  unter  deren  regiment  die  'angelegenheiten'  aller  lebenden 
wesen  (ßra  rgk,  aldar  rrjk),  der  götter  und  der  menschen  {tlva  rgk, 
J>jopa  rgk)  sich  abspielten ** ;  es  waren  vermutlich  jene  vis  regin'^,  die 
den  gott  NJ9rJ)r  für  die  weisen  Wanen  geschaffen  haben  (Vaf]3r.  39)  **, 
es  waren  vermutlich  jene  nf/t  regvt,  die  auch  die  mondphasen  (schick- 
«alsomina  o.  s.  387)  geschaffen  haben  {gldum  at  drtall  Vaf|)r.  25)  ^  und 
es  waren  vermutlich  jene  überlegenen  mächte,  deren  fornar  staßr  0|)in 
erkundete  (Vaf|)r.  1.  'S),  weil  sie  mehr  als  er  selbst  bescheid  wussten: 
von  denen  die  sage  gieng,  dass  sie  die  geschöpfe  dieser  weit  mit 
geheimnisvollen  machtwirkungen  begabt,  die  runen  geritzt  hätten 
(Hgvam,  79.  143).  Andere  gewalten  als  die  götter,  von  denen  OJ)in 
einer  war,  wurden  unter  diesen  reg/n  vorgestellt,  obschon  im  lauf  der 
zeit  die  götter  diesen  schicksalsmächten  den  rang  abgelaufen  und  die 

1)  Hei.  3347  C  fehlt  das  pronomen  is. 

2)  Got.  raffin  Zeitschr.  49,  48. 

3)  rpß  gll  ok  regln  Häkonarm.  18 ;  vgl.  regindömr  (V(il.  65)  'gericht' ;  reginn 
(:  got.  ragineis);  Joura.  of  engl.  phil.  15,  251. 

4)  'ordnende  magter'  Egilsson-Jonsson,  Lex.  poet.  s.  v.  regin. 

5)  Folglich  werden  ags.  re^npeof,  and.  reginthiof,  reginskatho  einen  vom 
Schicksal  zum  Verbrecher  bestimmten,  and.  regmblind  einen  vom  Schicksal  mit  blind- 
heit  geschlagenen  menschen  bezeichnet  haben,  bevor  sie  im  jüngeren  Sprachgebrauch 
die  schicksalhafte  tönung  des  wortsinns  einbüssten. 

6)  forn  rgk  (abd.  rahha,  ags.  racu)  =  orlQg  Lokas.  25;  fornar  staßr  ok  ragna 
rQk  Vafl)r.  55  vgl.  v.  1.  Alvism.  35. 

7)  fröp  regln  Vafl)r.  26. 

8)  Auch  von  Heimdali  hören  wir,  er  sei  ragna  klndar  Hyndl.  37  {nlu  bgru, 
pann  jptna  meyjar). 

9)  Von  den  'göttern'  wird  nur  ausgesagt,  dass  sie  die  bewegungen  und  kräfte 
der  himmelsgestirne  'benannt'  hätten  (Vgl.  5—6). 


g94  KAUlETMANN 

bezeichnuDg  regin  von  ihnen  ererbt  haben  ^  Einstmals  waren  sie  deö 
göttern  überlegen,  denen  sie  -  gleich  wie  den  sterblichen  menschen  - 
das  Schicksal  des  todes  bereiteten^  und  die  kenntnis  der  in  der  Zu- 
kunft bevorstehenden  dinge  vermittelten'. 

Unter  diesen  schicksalsmächten  war  eine  richterliche  Instanz  das- 
oberhaupt  {ragna  hrüptr).  Seine  gemeingermanische  benennung  metod^ 
gehört  etymologisch  mit  griech.  [j.i^oiv,  p.eScwv  zusammen^  und  ist 
seiner  form  nach  ein  nomen  agentis  wie  z.  b.  ahd.  leitud:  leitid  oder 
scephid  (creator).  Das  zu  grund  liegende  verbum  metan  (got.  (jamiian 
[f/amiton],  mmitan,  ags.  ämetan,  anord.  meto)  reicht  mit  der  Sphäre- 
seiner  bedeutung  nahe  an  die  von  'richten'  heran,  wenn  wir  davon 
ausgehen,  dass  die  aufgäbe,  jemandem  den  ihm  gebührenden  anteil 
abzumessen,  über  'ermessen'  und  'erteilen'  zu  'urteilen'  geführt  hat''. 
'Zuteilen'  und  'zumessen'  war  ein  pr'adikat  der  schicksalsmächte  \  E^ 
war  aber  auch  ein  epitheton  gottes  {metend  Gen.  1809)^  und  so  ist 
denn  in  christlicher  dichtung  insgemein  das  nomen  agentis  metod  auf 
ihn  übergegangen  ^  Der  weltschöpfer  und  der  weltherrscher  ^"j  ins- 
besondere der  Weltenrichter  ist  metod  genannt  worden  ^^    Höchste  macht 

1)  Vgl.  u.  s.  407. 
:  2)  T>\g?,&  rjvfendr  (Baldrs  dr.  14)  veranlassten  den  zusammenbrach  der  götter 

{rjiifask  Vafl)r.  52.  Grimn.  4.  Lokas.  41.  Sigrdrif.  19);  aldar  rof  Helg.  Hund.  2,  40  j 
hvat  verpr  Opni  at  aldrlagi  ßds  of  rjvfask  regm  Vaflir.  52  {rof  und  rjüfask  sind, 
termini  der  rechtssprache  vgl.  l)ingrof,  frit)rof,  grit)rof,  drygl^rof). 

3)  gopin  rQkpu  til  spddöma  Sn  E  1,  104  {spd  s.  106.  114);  Othinus  quamquam 
deofum  pt-aecipuus  haberetur,  divinos  tarnen  et  arnsjnces  ceterosque  quos  exquisitis- 
prescientie  stttdüs  vigere  compererat  .  .  .  sollicitat  Saxo  Gramm,  p.  78. 

4)  J.  Grimm,  Mythol.  1*,  18  f. 

5)  Dazu  altir.  mediu  PBBeitr.  4,  210.  18,  180. 

6)  adomian—adelian  Hei.  4291.  4388:  1486  u.  a.;  der  teil  wirt  in  gemezen 
Notker  2,  33,  1 ;  vgl.  Otfrid  2,  13,  31  f. ;  got.  mitap  gadailjan  Eöm.  12,  3 ;  müan- 
dans  jah  gadomjandans  2.  Cor.  10,  12-13  {gamat  mitap)  vgl.  Hei.  1691  ff.  iudicare- 
metiri  >  adelian  .  .  .  dorn  .  .  .  giniet;  ags.  metan,  gemet,  gemetgian  (Boethius  ed. 
Sedgefield  s.  138f.),  ^emetgting;  anord.  mjQtvipr  (-<  mjpiupvipr  ?)  Vgl.  2  (schicksals- 
baum):  meta  Sigrdrifum  20,  4;  Mikael  engill .  .  .  skal  meta  allt  pat  er  pu  gerir  vel 
ok  er  Jiann  svd  miskunnr,  at  hann  metr  Jjat  allt  meira  er  honum  pykkir  vel  (Njäls- 
saga,  Sagabiblioth.  13,  233,  13)  vgl.  vega  Sn  E  1,  320. 

7)  J.  Grimm,  Mythol.  l"",  338  anm. 

8)  Vgl.  Metr.  11,  88. 

9)  Beow.  180.  670.  1611.  1778  usw.;  Christus  sunu  metodes  El.  461.  474. 
564  u.  a.  (Germania  13,  129  ff.;  Jente  s.  69  ff.). 

10)  Crist  und  Satan  v.  1  ff.  459.  697  f. ;  Gen.  135  ff.;  metod  engla  121  (frda 
engla  157,  dugoda  hijrde  164);  celmihtig  mid  Ms  en^la  gedrght  mce^encijnin^a. 
ineotod  Crist  942  f. ;  middan^eardes  meotud  Dom.  65  usw. 

11)  Crist  1217  ff.  1366  ff. ;    meptudes   ddm  .  .  .  wuldorcynins   meahtig    cet  pam> 


ÜBER  DEN   SCHICKSALSGLAUBEX   DER   GERMANEN  395 

kommt  ihm  zu  \  das  Schicksal  wurde  ihm  beigeordnet  {ivyrd  hlä 
swidre,  nieotud  meahti^ra  ponne  cennes  monnes  ;^ehy;^d  Seef.  115)  oder 
untergeordnet  {wHi;^  god  wyrd  forstöde  .  .  .  metod  eallum  iceold  gumena 
c'jnnes  Beow.  1056-58),  er  bestimmte  das  Schicksal:  habet  im  ivurd- 
giscapu  metod  gimarcod^  endi  mäht  yodes  Hei.  127  f.  {thiu  tvurd  is  at 
handun,  that  it  so  giyangan  scal,  so  it  god  fader  gimarcode  mahtig 
4778-80)  oder  ordnete  es  an:  ivyrd  geteod  {ahd.  gizehon),  77ietod  manna 
gehiva's  {=  metod  mnncynnes)  Beow.  2526  oder  war  wie  sonst  das 
Schicksal  für  den  lauf  der  dinge  verantwortlich :  pd  metod  nolde  Beow. 
706  {me  wces  pcet  wyrd  pa  gen  734). 

Aus  diesen  belegen  muss  gefolgert  werden,  dass  metod  ein  vor- 
christlicher ausdruck  für  eine  schicksalsmacht  gewesen  ist  und  tat- 
sächlich hat  sich  diese  bedeutung  noch  mehrfach  erhalten.  Der 
christengott  heisst  se  meto  da  drihten  (Jente  s.  70)  oder  m/'htlj  metodes 
iveard  Dan.  235  {feorh  generede)^ ,  in  den  Walderefragmenten  steht 
metod,  ausserhalb  jeder  Verbindung  mit  der  gottheit,  schlechthin  für 
Schicksal  {ic  pe  metod  ondred  1,  19)^  und  selbst  im  Andreas  erscheint 
noch  das  Schlachtfeld,  auf  dem  das  Schicksal  der  krieger  sich  ent- 
scheidet als  meotudwang  v.  11  (wal statt)  ^.  Legte  sich  schon  bei  den 
ags.  belegen  für  wyrd  (o.  s.  390),  so  legt  sich  nun  auch  für  metod  die 
Übersetzung  mit  'tod'  (Schicksalsfügung)  nahe.  Diese  bedeutung  tritt 
fürs  altniederdeutsche  und  altnordische  in  den  Vordergrund,  obschon 
auch  das  mit  der  geburt  eines  menschen  gestellte  thema  behandelt 
wurde.  Die  Schicksalsfrage  des  lebens  und  des  todes  ist  mit  metod 
verknüpft.  Anlässlich  der  geburt  des  täufers  deutet  der  Helianddichter 
eine  schicksalsbestimmung  seines  lebens  mit  den  worten  an:  ni  scal 
an  is  übe  gio  lides  anbitan,  wlnes  an  is  iveroldi,  so  habed  im  wurd- 
giscapu   metod  gimarcod    126-28   und  führt    ein  andermal  die  schick- 

meple  Phon.  524.  537  f.;  abtdan  sceal  maga  mdne  fdh  tniclan  dömes,  hii  him  sci'r 
metod  Serif  an  wille  Beow.  977—79 :  siddan  icitig  ^od  .  .  .  Jidli^  dryhten  mcerdo  deme^ 
swa  him  ^emet  pince  685—87. 

1)  mikila  mäht  metodes  Hei.  511:  ags.  metodes  meaht  Heliand  ed.  Sievers 
s.  418  anm.  14;  meotod  meahtum  sivip  Jente  s.  72;  meotodes  mihtum  Gen.  189; 
mcegena  god  .  .  .  meotod,  niihta  god  .  .  .  ece  rex,  meotod,  god  mihta  wealdend  .  .  . 
mcegena  wealdend  .  .  .  meotod  geaf  mihta  spe'd  El.  810.  819.  1042  f.  347.  365. 

2)  Hei.  601.  1518  f.  vgl.  191  f.  und  Sievers  formelverzeichnis  s.  v.  bestimmen 
(ags.  gemearcian). 

3)  n6  he  gemunde,  pcet  him  metod  W(es  119  {wyrda  gesceaft  132,  wyrda 
gerijnn  149). 

4)  penden  Jjin  god  recce  23. 

5)  deadwang  v.  1005. 


396  KAUFFMANN 

salsfügung  eines  todes  mit  den  gleichen  hauptwörtern  ein:  mosta  sm 
mid  iru  brudigumon  bodlo  giwaldan  sibun  ic'mtar  samad,  tho  gifragn 
ic  that  iru  thar  sorga  gistod,  ihat  sie  ihiu  mikila  mäht  metodes  tedelda, 
ivred  ivurdigiscopii  509-12  (:  ags.  dead  Sievers  anm.).  Diese  doppel- 
seitigkeit der  fiinktion  bewährt  sich  auch  für  den  ags.  und  anord. 
Sprachgebrauch:  nu  scealc  hnfad  purh  drihtnes  mihi  dced  ^ejremede 
,  .  .  Jxrt  secr^an  nwg  efne  swa  hwylc  mm^pa,  swa  pone  ma^an  cende 
.  .  .  Jxvt  hjre  eald  metod  este  ivcere  be  arn^ebyrdo:  ic  hine  .  .  . 
Oll  wcelbedde  wripan  pohtc,  pa't  he  for  mund^ripe  minum  scolde 
licgean  Ufbtjsi^  .  .  .  ic  hine  ne  mihte,  pa  metod  nolde  .  .  .:  abidan 
iiceal  .  .  .  miclan  domes  ('tod'),  hu  him  scir  metod  scrifan  wille  Beow. 
940  ff.  963  ff.  Bei  den  Skandinaviern  ist  für  mjgtupr  (schicksalsmacht) 
die  bedeutung  *tod'  die  usuelle ',  sie  wurde  es  aber  auch  unter  den 
Westgernianen,  hauptsächlich  den  Niedersachsen,  denn  wenn  wir  das 
kompositum  ags.  metod ;^ei<ceaft  {metodes  ;:^esceaft),  and.  metod{o)gi- 
acefti,  -giscopu  ins  äuge  fassen,  so  hat  man  darunter  die  Schicksals- 
fügung des  todes  verstanden:  bed  metudgiscapu  Hei.  4827  (vgl.  4181  ff.); 
kihnda  iro  kindes  död  .  .  .  ina  wurih  binam,  muri  metodgiscapu  2190  C 
(metodo-M) ;  mimdoda  ivider  meiodlgisceftie  2210  •,  ealle  wyrd  forsweop 
,  .  .  to  metodsceafte  Beow.  2814  f.;  Höces  dohtor  meotodsceoft  bemearn 
.  .  .  <6v'j  ealle  fornam  1076-80;  murnan  meotudjesceaft  Wy  20.  Trotz- 
dem darf  die  machtwirkung  des  metod  nicht  auf  das  Schicksal  des 
todes  eingeschränkt  werden  ^,  denn  Gnom.  Cott.  57.  65  f.  weisen  über 
den  tod  auf  das  Schicksal  der  seelen  im  jenseits  hinaus  {metod  äna 
wdt  .  .  .  is  seo  ford^esceaft  d/^ol  and  dgrne  .  .  .  htvglc  s't  meotodes 
^esceoft  sigefolca  geseta,  pcer  lie  sylfa  wunad).  Auch  Crist  888  ist 
gerade  nicht  auf  den  tod,  sondern  entweder  auf  das  jüngste  ge- 
richt  oder  auf  das  ewige  leben  hingewiesen  {weccad  of  deade  dryht- 
^umena  bearn  .  .  .  to  meotudsceafte),  und  das  letztere  ist  in  einer 
christlichen  formel  ausgedrückt,  die  diese  'Schöpfung  gottes'  den 
gläubigen  im  'himmelreich'  in  aussieht  stellt:  ponne  Jm  ford  scyle 
metodsceaft  seon  Beow.  1180^;  he  ford  ^ewät  .  .  .  metodsceaft  seon 
Gen.  1743  ^ 

1)  Egilsson-Jonsson,  Lex.  poet.  s.  v.  Auch  für  Vgl.  46  kommt  man  am  besten 
mit  'tod'  aus,  denn  es  handelt  sich  um  die  ersten  Vorzeichen  (omina),  unter  denen 
das  sterben  der  götter  (Vafl)r.  47)  sich  ankündigt. 

2)  Anord.  mJQtupr  FJQlsvinnsm.  16  wirkt  lebenfördernd  (leiden  heilend). 

3)  diadwic  seon  1275. 

4)  to  metodsceafte  in  icne  ^ef^an  Menol.  172  f. ;  vgl.'  iceras  and  u-if  ivoruld 
alcetad .  .  .  s^od  on  4ce  gewyrht  .  .  .  Dom.  60  ff. 


ÜBER  DEN   SCHICKSALSGLAUBEN   DER   GERMANEN  S97 


Gestalten 

Die  oberste  richterliche,  nach  ermessen  über  leben  und  tod  ent- 
scheidende schicksalsmacht  (meioä)  ist  in  westgermanischer  dichtung 
auf  den  christengott  übernommen  worden.  Darauf  gründet  sich  die 
Vermutung,  dass  mit  metod  nicht  nur  eine  un-  oder  überpersönliche 
macht,  sundern  auch  eine  persönliche  gestalt,  eine  gottheit  der  vor- 
christlichen Jahrhunderte  uns  bezeugt  sei '.  Noch  scheinen  ags.  metoda 
drihten,  and.  metodogiscapu  (cod.  M)  auf  die  Vielzahl  namenloser 
Schicksalsmächte  und  Schicksalsfügungen  hinzudeuten,  aber  sonst  ist 
gerade  bei  metod  die  einzahl  so  ständig  und  gleichmässig  im  gebrauch  ^, 
dass  man  geneigt  sein  könnte,  die  lesart  metodgiscapii  (cod.  C)  zu  be- 
vorzugen (ags.  metod ^escenfi),  wenn  metodogiscapu  ^  nicht  durch  regino- 
c/iscapu  (o.  s.  393)  gestützt  würde.  Berücksichtigt  man  ferner,  dass  ivurd- 
giscapu  diesen  kompositis,  die  die  Schicksalsfügungen  als  Schöpfungen 
einer  oder  vieler  namenloser  mächte  bezeichnen,  ganz  gleichartig  ist, 
so  scheinen  diese  'Schöpfungen'  nun  doch  im  mythos  und  in  der  religion 
auf  eine  persönlich  vorgestellte  mächtegruppe  zurückgeführt  worden 
zu  sein,  die  bald  in  der  einzahl,  bald  in  der  Vielzahl  aus  gottheiten 
sich  zusammensetzte.  Noch  fehlten  diesen  gestalten  die  personen- 
namen.  Nur  gattungsnamen  liegen  vor  (z.  b.  für  die  skandinavischen 
^nornen')*,  aber  die  schicksalsfrauen  des  Nibelungenliedes  {Hadeburg, 
Sigelint,  Winelint)  sind  doch  schon  -  gleich  den  antiken  parzen  — 
nicht  nur  persönlich  gestaltet,  sondern  auch  -  anders  als  die  parzen  — 
nach  frauenweise  persönlich  benannt  worden^.  Folglich  stossen  wir 
auf  gottheiten  von  der  art  der  keltischen  Matronae-Matres  oder  der 
goethischen   'mütter',    deren   plastik  -  trotz   der  antiken  bildwerke  — 

1)  Vgl.  mitodh-in  Saxo  Gramm,  p.  25  f.  (mithotyn);  PBBeitr.  18,  188.  43,  250  f. 

2)  hahed  im  tvurdgiscapu  metod  gimarcod  Hei.  127  f. 

3)  Anaptyktische  vokale  haben  in  der  kompositionsfuge  gewuchert  {metodigi- 
scefti  Hei.  221U  C;  letirdegiscefti  3692  M;  wurde-,  icurdigiscapti  3354.  197.  512; 
erdlibigiscapti  1331  M;  reginblind  >  reginiblind  3554. 

4)  Die  aus  zeitbegriffen  abstrahierte  trias  Urpr  Verßandi  Sknld  (Vgl,  20)  ist 
das  gebild  eines  den  alten  text  interpolierenden  mythographen,  der  noch  gut 
bescheid  wusste  (skera  d  sMpi),  aber  auch  sein  Schulwissen  leuchten  lassen  wollte; 
er  schöpfte  aus  Isidor  (praeteritum  praesens  futurum  Etymol.  8,  89  f.  92  f.),  dessen 
notiz  bekanntlich  auf  Piaton  zurückgeht  (J.  Grimm,  Mythol.  1  *,  343  f.  335  f. ;  Gruppe, 
Griech.  mythol.  2,  880  f.  1089). 

5)  Unter  den  vielen  keltischen  'feen'  (fatae)  sind  einige  vom  gattüngs-  zum 
Personennamen  vorgeschritten,  aber  selbst  die  fee  Morgan  ist  doch  nur  eine  'frau 
vom  meer'. 


398  KAUFFMANN 

■weit  unschärfere  konturen  aufweist,  als  wir  sie  bei  'göttern'  gewohnt 
sind.  Ein  ähnliches  geschöpf  ist  der  'tod',  der  allerdings  zum  Sensen- 
mann ausmodelliert,  also  von  der  'macht'  zur  vollplastischen  'gestalf 
erhoben,  aber  doch  nicht  mit  einem  eigennamen  begabt  und  somit 
nicht  zum  gott  geworden  ist^  Nicht  ganz  soweit  wie  mit  dieser 
Schicksalsmacht  des  todes^  ist  es  mit  der  wurd  gekommen. 

Während  metod  eine  männliche  gestalt  anzuzeigen  scheint,  sind 
es  im  übrigen  weibliche  gottheiten  gewesen,  die  die  Alten  mit  den 
Schicksalsfügungen  betraut  haben.  Die  schottischen  iveird  sisters,  denen 
Macbeth  begegnete  ^  sind  ein  besonders  anschauliches  beispiel.  Zwar 
stammten  sie,  wie  Brandl  neuerdings  gezeigt  hat*,  in  mancher  hinsieht 
von  den  mittelalterlichen  parzen,  feen  und  hexen  ab,  folglich  dürfen  wir 
ihre  'gestalt'  nicht  ohne  vorbehält  in  das  germanische  altertUm  zurück- 
datieren, aber  dass  die  schicksalsmächte  der  Germanen  bereits  in  der 
Vorzeit  gestalt  gewonnen  und  frauentracht  angelegt  hatten,  dürfen  wir 
mit  Sicherheit  der  erscheinung  der  iveird  sisters  entnehmen^,  denn  der 
beweis,  dass  überhaupt  weiblich  gestaltete  schicksalsmächte  (soge- 
nannte schicksalsfrauen)  unserem  altheimischen  mythus  oder  kultus^ 
geläufig  waren,  braucht  nicht  geführt  zu  werden. 

Ich  erinnere  daran,  dass  ags.  wijrd  und  icyrde  nicht  nur  faturriy 
fata  ®,  sondern  auch  i^arcae  als  lemma  zur  seite  haben '',  dass  ahd. 
und  and.  wurd  über  die  Sphäre  von  fatum  nicht  hinausragen,  dass 
aber  die  schicksalsfrauen  des  Nibelungenliedes  ein  viel  weiter  fort- 
gesphrittenes  bild  vollentwickelter  gestalten  uns  gewähren  **,  aber  aller- 

1)  Grimm,  Mythol.  2  *,  700  ff. ;  Burdach,  Ackermann  aus  Böhmen  s.  237  ff. 

2)  'Die  altdän.  Proserpina  (o.  s.  375)  und  ihr  korrelat,  die  westnordische 
Hei  repräsentieien  ungefähr  dasselbe  entwicklungsstadium  einer  schicksalsgo ttheit 
(Hei.  2H53f.:   Beow.  851  f.;   Fafnism.  21;   Sonatoriek  v.  25:   Helg.  Huud.  1,  4,  3). 

3)  Grimm,  Mythol.  1*,  337. 

4)  'Zur  Vorgeschichte  der  weird  sisters  im  Macbeth'  Texte  und  Forschungen, 
festgabe  für  F.  Liebermann  (Halle  1921)  s.  252  ff. 

5)  tres  sorores,  quas  nos  fatales  dicimus  esse  deas  im  Speculum  stultorum 
(c.  1180)  des  Engländers  Nigellus  (Wirekere)  Grimm,  Mythol.  1*,  339.  Th.  Wright, 
The  anglo-latin  satirical  poets  (London  1872)  s.  125  ff.  (exemplum  de  tribus  deabus 
fatalibus  [quae-  parcae  dicuntur  et  finguntur  fila  ducere]  haec  mea  multotiens  ge^ 
netrix  narrare  solebat  s.  130);  three  sistris  (whiche  ben  spiritis)  comen  to  the  cradilis 
of  infantis  Pecock,  Repressor  bei  Brandl  a.  a.  o.  s.  261  (o.  s.  370). 

6)  Wright,  Ags.  Vocabularies  245,  44.  494,  28;  407,  14.  527,  8  (fortune 
400,  15.  496,  20;  casus  371,  36.  500,  10.  507,  36:  fors  22,  41.  406,  11.  504,  28; 
sors  47,  28). 

7)  Wright,  Vocab.  37,  3.  468,  8;  Sweet,  Oldest  english  texts  s.  83.  86. 

8j  Die  polemik,  die  Wolf  in  seiner  dissertation  (a.  a.  o.  s.  3  ff.)  gegen  wyrd 


ÜBER   DEN   SCHICKSALSGLAUBEN   DER   GERMANEN  399 

dings  dem  verdacht  ausgesetzt  sind,  ebenfalls  unter  dem  einfluss  der 
feenmythologie  gestanden  zu  haben  \  In  jeder  beziehung  unantastbar 
ist  das  ags.  Zeugnis  Aldhelms,  der  das  fatum  als  dorn/' na  kannte 
(o.  s.  368)-.  Dazu  stimmt  die  westnordische  U7'p,  die  nicht  nur  in 
der  gestalt  der  Brynhild  sich  spiegelt  (Guf)r.  1,  23  :  2,  22  R),  sondern 
in  der  Eddamythologie  ein  selbständiges  leben  führt  {ürßr,  Urßar- 
bninnr  Vol.  19-20;  Vrpar  orp  FJ9ISV.  47 ;  Urpar  lohir  Grog.  7).  Mit 
ihr  vereinigen  sich  die  gestalten  (mei/jor)  der  nornen  (Helg.  Hund. 
1,  2  flf.)  und  nicht  zuletzt  die  gestalten  der  fijlgjen,  die  von  der  typik 
weiblicher  erscheinung  (disir)  einen  ausblick  auf  älteren  theriomorphis- 
mus  der  schicksalsgestalten  gewähren  {inarr  er  manns  fylyjo  Vatns- 
daela  c.  42  u.  a.)  ^.  Unter  ftjlgja  verstehe  ich  nämlich  die  für  das 
Schicksal  des  einzelnen  menschen  -  nicht  für  den  allgemeinen  weltlauf - 
verantwortliche,  ihn  sein  leben  lang  begleitende  schicksalsmacht  *,  die 
bei  der  geburt  als  hamingja  (glückshaube  0.  s.  373)  und  beim  tod 
durch  schicksalsomina  (Njalssaga  0.  s.  387)  in  erscheinung  tritt.  Ihre 
gestalt  bekommen  wir  durch  das  medium  der  dichtung^  und  der 
bildmässigen  darstellung  zu  sehend  Die  jüngere  vorstellungsweise 
artete  ins  gespensterwesen  aus'. 

als  gottheit  geführt  hat  ('todesgöttin'  nach  Ehrismann,  PBBeitr.  35,  235  ff. ;  'schick- 
aalsgöttin'  nach  Brandl  a.  a.  0. ;  vgl.  auch  Jente  s.  200)  war  allzu  kurzsichtig  und 
ist  darum  der  gesamtüberlieferung  nicht  gerecht  geworden. 

1)  Sicherlich  trifft  dies  für  Saxo  Gramm,  p.  181,  21  ff.  (0.  s.  371  deae  ni/mphae) 
und  für  die  novellistischen  erzählungen  vom  schlag  des  Nornagestsl)ättr  zu  (0. 
s.  871  f.). 

2)  Nigellus,  Speculum  stultorum  v.  1  ff. :  Ibant  tres  hominum  curas  relevare 
sorores,  quas  nos  fatales  diamus  esse  deas,  Unus  erat  cultus  trihus  his  eademque 
voluntas,  naturae  vitiis  ferre  salutis  openi  et  quod  avara  minus  dederat  vel  prodiga 
tnultum,  his  emendandi  plurima  cura  fiiit  .  .  .  geminae  voluere  sorores  ferre  salutis 
opemj  si  licuisset  eis;  instahantque  diiae  dorn  in  am  sociamque  rogantes,  ut  saltem 
silieret  niitius  esse  nialum.  lila  sed  e  contra  vultu  verbisque  renitens  obstitit  et 
surda  pertulit   aure  preces  .  .  ,  quaerentes  domin  am  .  .  .  (Wright  a.  a.  0.  s.  125  ff.). 

3)  Joh.  Erici  (Erichsen),  Observationum  ad  antiquitates  septentrionales  perti- 
nentium  specimen.     Kopenh.  17H9;  Maurer,  Bekehrung  2,  67  ff. 

4)  Maurer,  Bekehrung  2,  71;  vgl.  z.  b.  Archiv  für  religionswissensch.  8,  104  ff. 

5)  fi/lgjur  hans  hQfJni  vitjat  Hepins,  pä  er  kann  sd  konuna  ripa  varginum 
.  .  .  reip  d  vargi  fljöp  eitt  Helg.  Hjgrv.  35  nebst  prosa ;  trollkoim,  sil  reip  vargi  oh 
hafpi  orma  at  taumum  prosa  vor  v.  31  (das  tier  war  ursprünglich  die  erscheinungs- 
form  der  fylgja,  im  Zeitalter  des  anthropomorphismus  wurde  es  zum  attribut  des 
weibes). 

6)  Zeitschr.  42,  241;  Wiramer,  Runemindesmferker  3,  37. 

7)  Vgl.  z.  B.  die  lüdrandi-episode  der  jüngeren  Olafssaga  Tryggvasonar  c.  215 
(Maurer,  Bekehrung  1,  228  ff.) ;  Golther,  Mythol.  s.  99. 


400  KAUFFMANN 

Um  auch  bei  den  Westgerraanen  diese  'gestalten'  einigermassen 
zu  klären,  bedarf  es  einer  Spezialuntersuchung  des  für  wurd  uns  zur 
Verfügung  stehenden  quellenmaterials.  Man  wird  zu  diesem  zweck 
die  ags.  belege  durch  die  and.  aufzufüllen  und  von  denjenigen  bestand- 
teilen  der  dichtersprache  auszugehen  haben,  die  wurd  mit  metod  zu 
vereinigen  gestatten.  Es  sind  dies  die  bereits  erwähnten  komposita 
(and.  nietodyiscefti,  ags.  meotod^esceaft:  and.  wurdgiscefti,  ags.  wijrda 
^esceaft,  and.  metodgiscapu :  ivurdgiscopu :  ags.  wyrda  ^esceopu,  ivyrd- 
^esceap).  Namentlich  aber  sind  es  die  tätigkeitswörter,  die  in  iden- 
tischer oder  in  differenzierender  weise  für  inetod  und  für  icurd  in 
anspruch  genommen  werden. 

Die  tätigkeit  des  Schreibens  pflegte  unter  den  Römern  von 
den  parzen  ausgesagt  zu  werden  (fata  scrihuiida)  ^  Auch  nach  der 
bibel  schreibt  der  weltenrichter  sein  urteil  oder  findet  im  lebensbuch 
das  Schicksal  der  weit  und  der  menschen  geschrieben,  auf  grund 
dessen  das  endurteil  von  ihm  gesprochen  wird'*'.  Im  ags.  hat  scrifan 
(<  lat.  scribere)  dem  üblichen  juristischen  verfahren  gemäss  die  be- 
deutung  'recht  sprechen'  (urteilen,  bestimmen,  anordnen)  entwickelt 
und  ist  nicht  nur  mit  der  gottesdienstlichen  ^,  sondern  auch  mit  der 
schicksalsterminologie  in  Verbindung  getreten :  meahti^  drijhten  .  .  , 
eallum  daded,  scyreä  ond  i^crifed  ond  gesceapu  healded  .  .  .  (god)  je- 
sceapu  ferede  crjkwglcum  on  eorpan  eormencynnes  .  .  .  monnum  scr'ifeä 
Wy  66.  95-98 ;  fylca  ^ehivylcum  scyppend  scrifed  he  ^eivyrhtum  eall 
(ffter  ryhte  Crist  1220;  seo  pnjnis  .  .  .  purh  pa  sc'iran  gesceaft  scrifect 
>  hi  geivyrhtHm  weorde  monna  gehicdm  Jul.  728.  Diesem  biblischen 
Sprachgebrauch  folgte  der  Beowulfdichter  *,  wenn  er  das  verhängnis^ 
des  Schicksals  durch  den  vers  umschrieb :  lui  him  sc'ir  metod  scrifan 
■icille, (979).  Von  den  römischen  parzen  gieng  er  dagegen  aus,  wenn 
er  die  tätigkeit  des  Schreibens  sogar  der  ivyrd  zumutete  (sied  him 
wyrd  ne  ges4i-df  hred  wt  hdde  2574  f.).  Ein  ags.  poet  der  christlichen 
epoche  durfte  es  also  wagen,  tiyrd  und  metod  mit  ein  und  derselben, 
einem  latinismas   zu  verdankenden  amtshandlung  zu  betrauen  und  mit 

1)  Wissowa,  Religion  der  Römer  -  s.  265  f. ;  vgl.  J.  Grimm,  Mythol.  1  *,  336 
anm.  5;  Notker  ed.  Piper  1,  724.  739  f.  740,  16  ff.  {Jovis  priefarun  scribent).  762,  15  ff. 

2)  nomina  vestra  scripta  sunt  in  caelis  Luc.  10,  20;  scripta  nomina  in  libro 
vitae  agni  Apocal.  13,  8.  17,  8  (a  constitutione  mundi) ;  iudicati  sunt  mortui  ex  his 
quae  scripta  erant  in  libris  secundum  opera  eorum  20,  12  (vgl.  15). 

3)  scrift  hiessen  auch  die  bussbestimmungen  der  beichtiger;  Zeitschr.  f.  d.  alt. 
36,  145  ff.  61,  57  f. 

4)  Beow.  106:  Crist  und  Satan  33. 


ÜBER   DEN   SCHICKSALSGLAUBEN   DER   GERMANEN  401 

literarischem  erbgut  auf  so  seltsame  art  zu  wuchern,  dass  altgerman» 
metod-ivijyd  und  lat.  scribere  sich  zusammenfanden  ^. 

Andere  tätigkeiten  sind  von  solchem  Synkretismus  frei  und  führen 
uns  somit  näher  an  die  gestalt  der  ivurd  heran. 

Nur  die  weibliche  injrd,  niemals  der  männliche  metod  ist  von 
den  Angelsachsen  in  dem  frauenberuf  des  webens  beschäftigt  worden. 
Hierfür  gibt  es  weder  ein  antikisches  noch  ein  biblisches  vorbild. 
Die  parzen  spinnen^,  aber  sie  weben  nicht ^  und  die  nordischen 
schicksalsfrauen  der  älteren  quellenschicht  sind  nur  ausnahmsweise 
am  Spinnrocken  *,  der  regel  nach  sind  sie  am  Webstuhl  (am  sausenden 
Webstuhl  der  zeit)  tätigt.  Weder  mit  dem  weben  noch  mit  dem 
spinnen  haben  es  die  nornen  in  der  berühmten  szene  der  Helg.  Hund. 
1,  2  tf .  zu  tun  (o.  s.  371)  *',  aber  in  andern  Situationen  sind  die  alt- 
germanischen Schicksalfrauen  des  webens  kundig':  me päd  icyrd  ^eira-f 
ond  ^ewijrht  /brjefl'/Reiml.  70  ^.  Die  Schicksalsfügung  des  todes  ist  hier 
gemeint  und  für  das  wunder  dieses  schicksalswebens,  für  dies  geheim- 
nisvolle gewirk  der  schicksalsmächte  hat  das  weben  eines  gewands 
das  gleichnis  hergegeben.  Die  auflösung  des  36.  (aus  Aldhelm  über- 
setzten) rätseis  des  Exeterbuchs  ist  'ringbrünne'.  Was  ist  das  für  ein 
kunstvolles  gewand  {hijlüUc  ;^ew(ede)?  Nicht  aus  wollenem  fiiess  (son- 
dern aus  eisen)  ^  ist  es  gewoben  und  nicht  von  seidenwürmern  ist  es- 

1)  Diese  romanisierung  der  einheimischen  schicksalsvorstellungen  ist  auch 
sonst  belegbar:  wi/rd  ^escräf,  pcet  he  .  .  .  leof  ^ode  in  ivorldrice  weorpan  sceolde^ 
Criste  geciceme  El.  1047.  ivi/rd  gescrdf]  pcet  pe  peodrice  pegttas  ond  eorlas  ?ieran- 
sceoldon  {god  icolde  pcet  he  gotena  geweald  dgan  moste)  Metr.  1,  29.  38  f. 

2)  Nilsson,  Arch.  f.  religionswiss.  22,  387 ;  Norden,  Geburt  des  Kindes  s.  23; 
Brandl,  Festgabe  für  F.  Liebermann  s.  255  f. ;  Grimm,  Mythol.  1,  343  f.  835  f.  anm. 
vgl.  MGH  Auct,  antiqu.  15,  73.  89  {parcce).  117  [fusum). 

3)  Unter  den  Sophoklesfragmenten  (?)  hat  sich  der  vers  erhalten:  .  .  .  u-^afvsxa:. 
xepxfatv  aba  (ed.  Dindorf  ur.  604). 

4)  VQlundarkv.  1  (Grimm.  Mythol.  1*,  353); 'macht  sich  in  diesem  motiv  die 
alte  'fränkische'  dichtung  bemerkbar? 

5)  Jente  s.  208  (iri/rd  erscheint  nur  als  Weberin,  nie  als  Spinnerin) ;  Grimm,. 
Mythol.  1*,  343  f.  3,  118  f.  (niemals  begegnet,  so  viel  ich  weiss,  in  .  .  .  deutschen 
volkssagen  .  .  .  die  griech.  Vorstellung  vom  spinnen  und  abschneiden  des  lebens- 
fadens);  vgl.  Marner  ed.  Strauch  s.  115.  171,  26. 

6)  orl^gpQttr  und  orlggsima  (Reginsm.  14)  sind  nicht  dasselbe  wie  der  orlags- 
prdpr,  den  die  parzen  der  Alexandersaga  spinnen  (Fritzner  s.v.);  vgl.  Heinrich 
V.  d.  Türlin,  Krone  286  ff. 

7)  Jedesfalls  ganz  unrömisch;  'eine  ganz  heidnische  redensart'  J.  Grimm  a.  a.  o. 

8)  'Das  Reimlied  lehrt,  dass  die  Wyrd  nicht  bloss  wob,  sondern  auch  das 
gewobene  verteilte'  Brandl  a.  a.  o.  s.  258. 

9)  ser.kr  Jarno fenn  Vglsungasaga  c.  29  (Sigurt)arkvit)a). 


402  KAUFFMANN 

gesponnen  ';  die  latein.  vorläge  (7iec  vermes  iexunt)  hat  der  ags.  bearbeiter 
frei  durch  einen  aus  der  Vorstellung  des  schicksalswebens  ihm  zu- 
fliessenden  zusatz  erweitert:  tvi/nnas  mec  ne  awwfan  ivyrda  cro'ftum, 
denn  dieser  zusatz  setzt  künste  {heahcrccft  4)  des  webens  voraus,  über 
die  nicht  die  seidenwürmer,  wohl  aber  die  schicksalsfrauen  {ivyrdt) 
verfügten.  Die  geheimnisvolle  machtwirkung  dieser  kunstfertigkeit 
(cncftas),  das  wunder  des  schicksalswebens  wird  auch  im  41.  rätsei 
gestreift,  wo  das  schöpferwerk  gottes  durch  wrcctlice  ^etvefen 
ivundorcra'fte  v.  85  umschrieben  und  in  der  vorläge  (Aldhelm,  de 
creatura)  nur  durch  m/rr/ÄZ/g /(//?<  gedeckt  ist  (MGHAuct  antiqu,  15,  145)^. 
Auch  das  Wunderwerk,  das  kunstreiche  gewirk  einer  dichtung  wurde 
in  der  art  dieses  mächtigen  schicksalswebens  geschildert^,  aber  am 
prägnantesten  ist  die  (o.  s.  388  erörterte)  Gujjhicstelle  gefasst:  die 
todesstunde  war  für  den  heiligen  mann  gekommen,  sein  tod  mit  hilfe 
der  runen  des  Schicksals  'gewebt'  (^eivefen  ivijrdstofum  1325)*,  durch 
das  geheimnisvoll  mächtige  wirken  der  wyrd  bestimmungsgemäss  her- 
beigeführt oder  veranlasst  worden. 

Man  darf  also  sagen,  dass  'weben'  ein  dichterisch-mythischer  ausdruck 
für  verursachen  oder  schaffen  gewesen  sei^.  Frauenhände  übten  diese 
tätigkeit  -  das  weib  heisst  'friedensweberin'  Beow.  1942  {civenlic  peaiv 
1940)  -  und  so  ist  denn  nunmehr  alles  beisammen,  um  auf  grund 
der  ags.  und  anord.  Überlieferung  das  gewirk  und  geschick  der  wyrd 
zu  individualisieren  und  die  volkstümliche  Vorstellung  fraulichen 
webens  dem  schicksalsglauben  und  schicksalsmythos  der  alten  Ger- 
manen zu  sichern.  Das  57.  rätsei  des  Exeterbuchs  setzt  einen 
wunderbaren  (dämonisch)  belebten  Webstuhl  {tvhmende  wiht)  in  betrieb 
{holt  hweorfende) :  Speere  sinds,  die  in  ihn  fahren  {daropas  ivceron  iveo 
pft're  ■wihte).     Längst  ist  man   bei   diesem   ags.  speergewebe  auf  den 

1)  pn  pe  ^eolo  ;^odivehb  geativum  frcetwact  \.  10. 

2)  'too  freely  rendered'  Tupper  s.  163;  vgl.  Eäts.  41,  1.  6. 

3)  Jms  ic  fröd  and  füs  .  .  .  wordcrmft  iccef  El.  1288  (j«/e  unscynde  mcegen- 
€j/ning  comet  124S ;  leoducrceft  onleac  1251) ;  wordcroeft  591  ff.  (purh  pa  miclan 
miht  597);  wordgeri/nu  323  {:  leodorüne  522):  wyrda  gerann  589.  813. 

4)  Das  'weben'  des  Schicksals  mit  hilfe  der  runen  ist  durch  Sigrdrifum.  11 
auch  für  Skandinavien  bezeugt;  darüber  handelte  anlässlich  des  mit  runen  versehenen 
webertäfelchens  von  Lund  (10—13.  jh.)  M.  Olsen,  Norsk  vidensk.  selsk.  forhand- 
linger  1908  nr.  7  s.  22  ff.  (Zeitschr.  42.  2481).  Wahrscheinlich  ist  es  durchaus 
nicht  zufällig,  dass  auf  vpebegerät  (weberkamm  von  Drontheim)  runen  geritzt 
wurden. 

5)  unrsed  fremman,  wefan  ('anzetteln')  ond  weccean  Gen.  31 ;  dazu  Ändr.  672. 
El.  309  (wroht  webbedan). 


ÜBER   DEX    SCHICKSALSGLAUBEN   DER   GERMAXEN  403 

wörtlichen  anklang  der  anord.  DarraJ)arljö]3  aufmerksam  geworden  ^ 
wo  das  grausig-blutige,  von  unheimlichen  schicksalsfrauen  angezettelte 
;ge\virk  einer  schlacht  vefr  darropar  (speergewebe)  genannt  ist  '^ :  zwölf 
weiber  werden  in  einer  webekammer  am  Webstuhl  tätig  gesehen,  sie 
weben  das  männermorden  einer  schlacht  und  verdiuglichen  auf  mythische 
art  den  glauben  an  das  auf  der  walstatt  sich  vollziehende  Schicksal 
des  todes  {cefr  ofenn  v.  8  =  kvepk  r'ikjom  gram  n'ipenn  daupa  v.  7). 
Damit  stimmt  einerseits  die  GuJ)lacstelle  überein  und  andererseits  die 
kehrseite  des  heroischen  schlachtgemäldes,  die  nicht  die  todgeweihten, 
sondern  die  sieggekrönten  krieger  zeigt  und  das  kriegsglück  ebenfalls 
in  eine  kette  von  geweben  spannt  {him  dryhten  for;^eaf  ui;^i<peda 
^etviofu  .  .  .  pcH  hie  fcond  heora  .  .  .  edle  ofercömon  Beow.  696 ff.). 
Dieser  ausdrucksweise  wird  man  erst  dann  vollauf  gerecht,  wenn  man 
den  bildmässigen  ausdruck  -^ewiafa  ^  mit  :^esceai)u  verbindet  und  sich 
daran  erinnert,  dass  'weben'  eine  verdinglichung  des  'Schaffens'  war 
(o.  s.  402). 

Die  'Schöpfungen'  der  schicksalsmächte  (o.  s.  382  ff.)  heissen  nun 
also  auch  'gewebe'  der  schicksalsfrauen.  Dieser  mythische  Sprachgebrauch 
fordert  uns  auf,  nicht  nur  mit  schicksalsmächten,  sondern  auch  mit 
Schicksalsgottheiten  zu  rechnen,  deren  funktionen  mit  hilfe  der  prädikats- 
verba  {metan,  ivefan,  scapaii)  genauer  bestimmt  werden  können. 

Ihr  'schaffen'  ist  oftmals  anonym  geblieben^.  Dies  stand  zwar 
nicht  dem  mythischen,  aber  doch  dem  religiösen  denken  wohl  an. 
Denn  die  geheimnisvolle  'begabung'^,  die  den  sterblichen  widerfährt, 
wird  nicht  immer  auf  einen  gott,  sehr  gern  wird  sie  auch  auf 
namenlose  gewalten  zurückgeführt,  denen  der  volkstümliche  Sprach- 
gebrauch  ein   lauge  währendes  gedenken  gesichert  hat  ^.     Wenn  aber 

1)  Vgl.  die  Übersicht  bei  Tupper  s.  192  ff. 

2)  Njälssaga,  Sagabibl.  13,  412  ff.;  Thule  2,  48  ff.;  Maurer,  Bekehrung  1, 
550  ff. ;  die  kenning  darrapar  vefr  (kämpf)  steht  auch  in  Egils  Egfui^lausn  v.  5 
(Zeitschr.  44,  491). 

3)  fatum  :  ^etvif  (wyrd)  Jente  s.  211. 

4)  parcae  :  schepfentnn,  sckejifen  Ahd.  gl.  4,  84. 

5)  so  htiat  so  thi  g  if)  id  ig  ford  irerthan  scoldi  Hei.  3378;  muosta  im  erbi- 
ward  gihithig  tverthan  80.  195  (vgl.  3586.  4268);  pcer  nie  gifede  swa  cenig  yrfe- 
weard  cefter  tcurde  Beow.  2730  (vgl.  Gen.  1726);  anord.  gipt  'glück'  {ögipt  unglück, 
gcBfa  :  ögcefa,  aitpna  :  uaiipina,  skgp  :  üskpp),  aldar  gipt  'Schicksal'  Sturla  l)ordarson, 
Skjaldedigtuing  ed.  Jonsson  B  2,  120. 

6)  Z.  b.  'beschert'  (Grimm,  Mythol.  2,  719),  anord.  aupinn  (;  a»/na  Schicksal), 
ags.  eaden,  and.  ödan  Hei.  124.  204.  276  {it  aimid  thurh  gihod  godes  324  vgl.  336  f. 
367-69).   304.   2709.   5526;   Criet   200-05;   swa  him  caden   irces  iletr.  31,  9  u.  a., 

ZEITSCHRIFT  F.  DEUTSCHE  PHILOLOGIE.    BD.  L.  28 


404  KAUFFMANN 

von  'schaffen'  im  eigentlichen  und  konkreten  sinn  die  rede  war,  konnte, 
die  persönliche  Vorstellung  der  schaffenden  mächte  nicht  ausbleiben. 
Die  ältere  und  die  jüngere  mythische  dichtung  überwies  den  nornen 
das  amt,  das  leben  der  menschen  schicksalhaft  zu  bestimmen  {^kapa 
mgrinum  aldr  Sa  E  1,  72;  o.  s.  384  f.),  Hess  die  schicksalsschwestern 
die  erde  besuchen^  und  in  die  häuser  kommen,  wenn  ein  mensch 
geboren  wurde  {pa>rs  gplingi  aldr  of  skopu  Helg.  Hund.  1,  2)  ^,  um 
über  sein  leben  die  urgesetzlichen  entscheidungen  (0rlQg)  zu  treffen 
und  ihm  sein  endziel  zu  setzen^:  gopar  nornir  ok  vel  o'ttapar  skapa 
gopafi  aldr,  en  peir  menn  er  fgrir  oskQpum  verpa,  pa  valda  pvl  ülar 
nornir  .  .  .  sumir  hafa  langt  llf,  sumir  skamt  Sa  E  1,  72*;  ek  skapa 
Jionuni  pat  at  kann  skal  eigi  Ufa  lengr  en  kerti  pat  hrennr  Norna- 
gestsf).  0.  s.  372. 

Die  durch  skapa  ausgedrückte  bestimmung  oder  entscheidung  über 
ein  menschenleben  ist  etwas  wesentlich  anderes  als  der  umfassendere 
begriff  der  Schöpfung,  der  in  diesem  verbum  gesucht  und  gefunden 
zu  werden  pflegt.  Die  nordische  mythologie  hat  die  schöpfermächte 
(götter)  von  den  schicksalsmächten  (nornen)  abgesondert.  Wenn  sie 
trotzdem  beiden  gruppen  ein  und  dasselbe  tätigkeitswort  zueignete,  so 
war  dies  darin  begründet,  dass  die  leistungen  in  ihrer  wurzel  nicht 
wohl  voneinander  zu  trennen  waren.  Aber  nicht  von  geschöpfen 
(erzeugnissen)  und  ihrer  form  oder  ihrer  gestalt,  sondern  vom  leben 
der  geschöpfe,  ihrer  lebensart  und  lebenszeit  ist  die  rede,  wo  skapa 
aldr  für  die  Schöpfungen  der  schicksalsmächte  gebraucht  wird°.    Diese 


anord.  aupit  im-pr  Reginsm.  22;  Sagabibl.  6,  150.  233;  aupit  var  Fiat.  1,  132  usw. 
Ferner  verweise  ich  in  den  S9gur  auf  stehende  formein  wie  z.  b.  cetlat  er,  dkvepit 
er  (Sagabiblioth.  13,  15.  35.  248.  302).  'In  vielen  sagas  ist  der  schicksalsglaube 
die  grundstimmung'  Genzmer,  Edda  2,  121. 

1)  (numina,  deae,  tres  sorores  fatales)  venimus  .  .  .  invisere  mundum  .  .  .  ditart 
munere  nostro  Nigellus,  Speculum  stultorum  o.  s.  398  f. 

2)  III  sistrts  [tvhiche  ben  spiritis)  comen  to  the  cradiUs  of  infantis  o.  s.  398;: 
nornir  koma  til  hvers  barns  er  borit  er  Sn  E  1,  72. 

3)  einu  dwgri  vgrumk  aldr  of  slcapapr  ok  allt  l!f  of  lagit  Skirnism.  13 ;  dazu 
FJQlsv.  47.  Grip.  23—24.  Vgl.  eigi  skapi  Hallgerpr  per  aldr  (den  tod  verursachen) 
Sagabiblioth.  13,  87 ;  vceri  pat  at  skgpupu  (dem  Schicksal  gemäss)  fyrir  aldrs  sakir, 
at  Jm  Ufjnr  lengr  okkar  3,  61. 

4)  Der  nornen  jüngste  (Skuld)  geriet  unter  die  walkyrjen  mit  dem  beruf 
at  kjösa  val,  kjösa  feigp  ä  menn  Sn  E  1,  118  f. 

5)  Vgl.  aumleg  norn  sköpumk  t  drdaga,  at  skyldak  i  vatni  vajm  Reginsm.  2 ;. 
Ijötar  nornir  sköpumk  langa  pro  SigurJ)arkv.  7. 


ÜBPJR   DEX    SCHICKSALSGLAUBEX   DER   GEKMANEX  405 

formel  fehlt  den  Westgermanen  ^  Aber  ihre  dichtersprache  verfügt 
über  eine  ganz  ähnliche  ausdrucksweise  (o.  s.  385)  und  so  darf  auch 
für  sie  aus  dieser  terminologie  der  rückschluss  gewagt  werden,  dass 
ihre  schicksalsmächte  zu  schicksalsgestalten  ausgewachsen  waren. 

Wären  sie  nicht  volkläufig  gewesen,  so  hätten  auch  die  griech.- 
röm.  parzen  nicht  so  leicht  eingang  gefunden,  wie  es  die  mittelalter- 
lichen Zeugnisse  lehren  (o.  s.  362).  Die  hauptstelle  im  Corrector  des 
Burchard  von  Worms  {credldisti  quod  quidam  credere  solent,  ut  illae 
quae  a  vulyo  parcae  vocantur  ipsae  vel  sint  vel  possint  hoc  facere 
quod  creduntur,  id  est  dum  aliguis  homo  nascitur  et  tunc  voleant  illum 
designare  ad  hoc  quod  vel'tnt  o.  s.  370.  Grimm,  Mythol.  3*,  409)^  beweist, 
dass  die  schicksalsspinnerinnen  keineswegs  bloss  in  gelehrten  kreisen 
ihren  einfluss  geltend  gemacht^,  sondern  auch  die  Volksüberlieferungen 
beherrscht  haben,  wofür  Shakespeares  tveird  sisters  die  wichtigsten 
zeugen  stellen  (o.  s.  398)^.  Den  altdeutschen  'schepfen'  {skqihentun 
0.  s.  382)  dürfen  wir  für  westgerman,  schicksalsgottheiten  ebensoviel 
bßweiskraft  zutrauen  wie  den  ags.  u-yrde'' : parcae  (o.  s.  398)  und  den 
ags.  metena  :  ;^ydena,  die  im  ags.  Boethius  auftauchen  {pa  eode  he  fur- 
diir,  od  he  ^etnette  pa  ^raman  metena  [^ydena  cod.  B],  pe  folcisce 
menn  hdtad  parcas  .  .  .  pa  hl  secgact,  pcet  ivalden  celces  mannes  ivyrde 
ed.  Sedgefield  s.  102,  21  ff.)''.  Dies  ist  nicht  nur  'ein  untrügliches 
Zeugnis  für  die  fortgesetzte  einbürgerung  der  parzen  in  England' 
(Brandl  s,  255.  258),  sondern  auch  ein  beachtlicher  beitrag  zu  der 
religionsgeschichtlichen  erkenntnis,  dass  gestaltlose  oder  ungestalte 
mächte,  beziehungsweise  Schickungen  {ivyrde)  zu  gestalteten,  wenn  auch 
noch  namenlosen  gottheiten  geworden,  beziehungsweise  darauf  bezogen 
worden  sind. 

Brandl  rang  noch  (a.  a.  o.  s.  252,  255)  mit  der  Schwierigkeit,  die 
sich  für  ihn  daraus  ergab,  dass  er  den  Angelsachsen  eine  schicksals- 
göttin  zubilligte,  die  nunmehr  zwei  Schwestern  bekommen  haben  sollte. 
Diese   Schwierigkeit   besteht   für   uns   nicht,    weil  wir   von   vornherein 

1)  Nächst  verwandt  ist  das  'schöpfen'  des  namens  für  die  nachkommen 
(Kauffmann,  Deutsche  altertiimskimde  2,  461):  ahd.  namon  skepfen  Ahd.  gl.  1,  285, 15; 
Tatian  22,  6.  Otfrid  1,  9,  8.  Notker  1,  430.  773;  namon  kiasan  Hei.  223;  naman 
sajppati  Beow.  78  u.  a. 

2)  Archiv  f.  religionswiss.  19,  122  ff.;  ferner  Schles.  mitteil.  17  (1915),  37.  52. 

3)  Notker  ed.  Piper  1,  739  f.  761  f. 

4)  Brandl,  Festg.  f.  F.  Liebermann  s.  255  ff. 

5)  gegen  urlaga  Ahd.  gl.  4,  84,  5. 

6)  meten  (<  nietend  [metendlic :  metenlicj  wie  scepen  <  sceppend;  dazu  Sievers, 
Engl.  Studien  44,  295  f.)  ist  das  fem.  zu  metod  (bezw.  nietend  Gen.  1809)  Jente  s.  98  f. 

28* 


406  KAUFFMANN 

nicht  mit  der  eiuzahl,  sondern  mit  einer  Vielzahl  der  den  schicksals- 
mäehten  entstammenden  schicksalsgottheiten  (fylgjen)  rechneten  ^  und 
für  die  dreizahl  der-  nornen,  pavzeu  und  moiren  keine  andere  erklärung 
zulassen,  als  die,  dass  auch  diese  dreiheit  (die  ursprüngliche  endzahl 
der  primitiven  raenschheit)  eine  urtümliche  ausdrucksform  für  unsere 
'Vielheit'  gewesen  sei  (Usener,  Rhein,  mus.  58,  1  ff.).  Diese  einzig 
mögliche  deutung  haben  die  drei  nornen  der  Skandinavier  bereits  in 
Snorris  Edda  gefunden:  pessar  meyjar  (V9I.  19-20)  skofa  wQnnum 
aldr,  pü'r  hQÜiiin  ver  nornir,  en  eru  fleiri  nornir,  pcer  er  koma 
til  hvers  barns  er  horit  er,  at  skapa  aldr  ok  eru  gopkyndar,  en  aprar 
alfn  (Ptiar,  en  ennr  pripjo  dverga  cpttar  Sn  E  1,  72. 

Die  nornen  waren  aber  noch  für  Snorri  keine  'göttinnen'  -  sie 
fehlen  in  dem  von  ihm  aufgesetzten  Verzeichnis  —  dürfen  aber  'gott- 
heiten'  genannt  werden,  damit  sie  von  allem  dem,  was  den  namen 
der  götter  führt,  unterschieden  seien. 

Das  ist  mit  einigen  Schwierigkeiten  verknüpft,  weil  die  grenzen 
zwischen  den  göttern  und  den  schicksalsgottheiten  sich  verflüchtigten, 
sobald  die  funktionen  dieser  mächte  zu  nicht  unwesentlichen  teilen 
auf  jene  gestalten  übertragen  worden  waren.  Dies  bedeutsame  reli- 
gionsgeschichtliche ereignis  ist  bei  den  Germanen  so  gut  wie  bei  den 
Hellenen  und  bei  den  Christen  (0.  s.  362.  365)  erkennbar^. 

Nach  der  Eddamythologie  (in  der  darstellung  Snorris)  gehörte 
es  zum  beruf  der  alten  götter,  über  das  Schicksal  der  menschen 
zu   beraten   und   zu   beschliessen    (also   nicht  die  nornen,  sondern  die 

götter  bilden  den  gerichtshof)  :  Jwat  hafpisk  Alfgpr,  pd  er  gorr  var  Asgarpr  ? 
i  upphafi  setti  kann  stjörnarmenn  i  soeti  ok  beiddi  Jxi,  at  dcema  mep  ser  orlgg  manna 
ok    rdpa^  .  .  .  d6mri7in    var  J)ar    sein    heitir    IpavQllr  i  mipri    borginni  Su  E  1,  62. 

Schon  Vgluspy  und  GrimnismQl  Hessen  statt  der  nornen  die  götter 
die  richtersitze  einnehmen,  wenn  sie  am  stamm  der  weltesche  (des 
schicksalsbaums)  beim  Urparbrunnr  zur  schicksalstagung  sich  ver- 
sammeln (V9I.  6-9.  19-20;    Grimnism.  29-30)*;  jene  lieder  scheuten 

1)  Vafl)r.  48-49;  dazu  Eyrbyg-gjasaga  ed.  Gering,  Sagabiblioth.  6,  41,  18; 
tidrandi-episode  der  Olafssaga  o.  s  400  (Maurer,  Bekehrung  1,  229). 

2)  'Die  anthropomorphen  götter  und  die  mächte,  die  mit  appellativischen 
Wörtern  bezeichnet  werden,  stellen  zwei  schichten  der  religiösen  entwick- 
lung  dar,  diese  unbestimmter,  älter,  jene  entwickelter,  mit  plastischen,  wohl  um- 
grenzten, individuellen  gestalten'  Nilsson,  Arch.  f.  religionswiss.  22,  388  (hierzu 
Zfda.  62,  47  f.  corr.-note). 

3)  nornir  rdpa  orlpgum  manna  Sn  E  1,  72. 

4)  at  aski  Yggdrasils  skolu  gopin  eiga  döma  si'na  hvern  dag  Sn  E  1,  63 
(Mogk,  PBBeitr.  7,  254  ff.). 


ÜBER   DEX   SCHICKSALSGLAUBEN   DER   GERMANEN  407 

nicht  vor  der  Seltsamkeit  zurück,  die  beiden  mächtegruppen  an  dem, 
wie  schon  der  name  lehrt,  den  schicksalsmächten  oder  -gestalten  vor- 
behaltenen ort  zu  gleichem  tun  antreten  zu  lassen  \  Unser  mytho- 
graphisches  handbuch  bewahrte  zwar  in  dem  satz:  nornir  hyggja  vip 
Urparhrunn  (Sn  E  1,  74)  den  älteren  zustand.  Dieser  war  aber  nicht 
mehr  zeitgemäss,  wenn  die  neueren  lehrten,  die  götter  hätten  daselbst 
getagt. 

Es  leuchtet  jetzt  ein,  dass  eine  Wirkung  derartiger  Verschiebungen 
die  sein  musste,  dass  eine  allgemeine  bezeichnung  für  die  schicksals- 
mächte  wie  ngin  (o.  s.  392  ff. )  für  die  götter  in  gebrauch  genommen 
wurde  ^.     Mit  hgyl  und  bgnd  wird  es  sich  ebenso  verbalten  ^ 

Hauptsächlich  war  es  OJ^in*,  der  die  macht  der  schicksalsgott- 
heiten  usurpierte '.  Das  runenwesen,  hinter  dem  ursprünglich  die 
Schicksalsmächte  standen,  ist  auf  ihn  übergegangen  (Hgvam.  140  f.) 
und  im  verein  mit  J^or  ist  er  sogar  mit  der  aufgäbe  der  nornen  be- 
traut worden,  einem  Schützling  sein  Schicksal  zu  bestimmen  {0rlgg 
dcema)  ^. 

So  fragmentarisch  unsere  Überlieferung  sein  mag,  sie  lässt  uns 
hier  nicht  im  stich  und  besagt  mit  hinreichender  deutlichkeit,  dass  die 
macht  des  Schicksals  ^  ursprünglich  nicht  durch  göttliche,  sondern  durch 
riesische  gestalten^  verkörpert  worden  war.  Bei  ihnen,  den  mächtigen 
und  hochweisen   fjursen   schöpfte   der  oberste  der  götter    sein  wissen. 

j)  Mittelalterliche  dichtung,  die  den  christengott  zum  herrn  des  Schicksals 
erhob,  versetzte  auch  ihren  Kristus,  den  nachfolger  und  erben  der  alten  götter 
an  den  Urparbnmnr  (Sn  E  1,  446);  vgl.  Hövam.  111. 

2)  blip  regln  Grimn.  6  =  (esir  37.  41.  Lokas.  32 ;  holl  regln  4 ;  ragna  rQk  = 
tiva  vQk  Vol.  44.  Vaft)r.  55  vgl.  47.  52  (hier  stossen  die  beiden  schichten  hart  auf- 
einander) ;  reginkunnr  (von  den  schicksalsmächten  stammend)  Hövam.  79 :  regin- 
kunnlgr  (götterspross)  Hambism.  24  u.  a. 

8)  'de  alt  sammenholdende  magter'  Egilsson-Jonsson,  Lex  poet.  s.  v.  band; 
die  erklärung  der  beiden  ausdrücke  steckt  in  den  Strophen  Helg.  Hund.  1,  2—4;  vgl. 
tie  hafta  und  diu  gebende  unde  chnupfeda  sint  tie  cause  allero  dingo  Notker  1,  278,  20. 

4)  cuiiis  numen  reges  propensiore  cultu  prosequi  cuplentes  .  .  .  Saxo  Gramm. 
p.  25,  11.  ♦ 

5)  Mithotyn  o.  s.  397  anm.  3. 

6)  Gautrekssaga  ed  Ranisch,  Palaestra  11,  28  f.  Grimm,  Mythol.  2*,  716 
(das  ist  literarische  sagamythologie,  der  selbstverständlich  keinerlei  religiöse  be- 
deutung  zukam). 

7)  Sie  war  den  göttern  übergeordnet ;  Grimm,  Mythol.  1  *,  352  anm.  2 ;  'die 
alimacht  der  götter  erfährt  hemmung  durch  ein  noch  über  ihnen  stehendes  Ver- 
hängnis' s.  263 ;  'es  ist  beachtenswert,  dass  nach  auord.  ansieht  nicht  allen  göttern, 
sondern  nur  den  höchsten  kenntnis  des  Schicksals  beiwohnte'  s.  7lb  anm.  2. 

8)  pursa  meyjar  änigtkar  mjgk  or  jgtunheimum  Vgl.  8. 


408  VIETOK 

Das  wichtigste  orakel  \,  von  dem  die  Eddamythologie  noch  in  dunkeln 
klängen  zu  berichten  weiss,  war  das  des  Mimir,  des  von  0|)in  um 
rat  befragten  riesen^;  aber  auch  die  das  motiv  der  wissenserprobung 
abhandelnden  und  um  oldar  0rlQy  (Lokas.  21)  sich  bemühenden  Edda- 
lieder setzen  die  dereinstige  Überlegenheit  der  {)ursen  voraus  'K  Selbst 
die  schicksalsprophezeihungen  der  V^luspy  sind  einem  höheren  wesen 
in  den  mund  gelegt,  das  riesischen  Ursprungs  sich  rühmte  und  an- 
verwandte  nicht  nur  im  kreis  der  götter,  sondern  in  allen  weltregionen 
walten  sah  •*. 

Schliesslich  darf  nicht  unerwähnt  bleiben,  dass,  wo  von  der 
mcnschensehöpfung  die  rede  ist  (o.  s.  379  f.),  zwar  der  spätere  mytho- 
graph  im  sinn  der  biblischen  Überlieferungen  die  menschen  von  den 
göttern  mit  leben  begabt  werden  lässt  (//jT  Sn  E  1,  52),  der  alte 
mythus  (Vol.  18)  aber  davon  nichts  berichtet,  weil  er  offenbar  voraus- 
setzte, dass  leben  und  tod,  denen  auch  die  götter  unterworfen  waren, 
nicht  von  ihnen,  sondern  von  den  übergeordneten  Schicksals  mächten 
herstammten  (V9I.  20):  sache  des  Schicksals,  nicht  der  götter  wars, 
zu  schenken  das  leben  und  es  zu  nehmen,  sagt  Minerva  in  Goethes 
Prometbeusdrama. 

KIEL.  FRIEDRICH   KAUFFMANN. 


BRIEFE  VON  KLOPSTOCK  UND  GLEIM 

Die  hier  zum  erstenmal  veröffentlichten  briefe  stammen,  bis  auf  einen,  aus 
dem  besitz  von  angehörigen  der  Frankfurter  familie  Bansa,  welche  in  den  achtziger 
jähren  des  18.  Jahrhunderts  durch  die  Verheiratung  eines  Bansa  mit  der  tochter 
von  Klopstocks  Fanny,  Viktoria  Maria  Streiber,  in  verwandtschaftliche  Verbindung 
mit  der  familie  Schraidt-Langensalza  und  so  auch  mit  der  Klopstocks  gekommen 
■war.     Der  5.  brief  Klopstocks  fand  sich  im  archiv  des  Frankfurter  Goethe-museums. 

Die  briefe  an  Klopstocks  vetter,  Johann  Christoph  Schmidt  dürfen  be- 
sonderes Interesse   beanspruchen,   weil   sie   aus  der  interessanten  zeit  der  Werbung 

1)  gopin  rQlcpu  tu  spddonia  Sn  E  1,  104  [spar  s.  106.  114);  at  OtJmms  qtiatn- 
quam  deortim  precipuns  haberetiir,  divinos  tarnen  et  arusjnces  ceterosque  quos  ex- 
quisitis  prescientie  studiis  vigere  eompererat  .  .  .  solliciat  Saxo  Gramm,  p.  78  (0.  s.  394). 

2)  Sn  E  1,  68  f.  190;  'Mimir  ist  kein  ase,  aber  ein  erhabenes  wesen,  mit 
dem  die  äsen  umgehen'  (inbegriff  der  Weisheit)  Grimm,  Mythol.  1^  315;  hauptstellen 
sind  H()vam.  140-41.  143.  146.  Sigrdrifum  14. 

3)  Auch  Hyndla  heisst  bnipr  jgtuns  und  ihre  machtsphäre  wird  scharf  gegen 
die  der  götter  abgesetzt  iHyndl.  51). 

4)  eru  gopkyndar,  en  aprar  alfa  cettar,  en  enar  prijjjo  dverga  lettar  Sn  E  1,  72 
(0.  6.  4Ü6)  vgl.  Fafnism.  13. 


BRIEFE   VON   KLOPSTOCK   UXD    GLEIM  409 

um  Fanny  stammen  und  die  Stellung  des  dichters  zu  seinem  nächsten  freunde 
charakteristisch  beleuchten.  Erst  die  hier  veröffentlichten  5  briefe  geben  uns  eine 
grössere  zahl  unmittelbarer  biographischer  dokuraente  zur  beurteilung  dieser 
beziehungen.  Denn  die  Klopstock-forschung  kannte  bisher  nur  3  briefe  des  dichters 
an  Schmidt:  Nürnberg,  17.  juli  1750  (zugleich  an  Fanny,  Lappenberg  48),  Winterthur, 
1.  August  1750  (Klamer  Schmidt,  Kl.  u.  s.  freunde  1810,  I  102;  auch  bei  Herm. 
Schmidlin,  Kl.s  Sämtliche  werke  ergänzt  in  3  Bänden,  Stuttgart  1839,  I  81  und  Kl.s 
Sämtl.  werke,  1855,  X  15,  aber  beidemal  mit  falschem  datum  [15.  8.]),  Friedensburg, 
•20.  juli  1751  (Schmidlin  I  124).  Klopstock  selbst  ist  die  Ursache  gewesen,  dass  die 
mehrzahl  seiner  briefe  an  Schmidt  verloren  ging.  Er  hatte  sie  sich  schon  1751, 
nach  seiner  ankunft  in  Dänemark,  aushändigen  lassen  und  offenbar  nicht  zurück- 
gegeben. An  Gleim,  Kopenhagen,  13.  juli  1751:  'Schmidt  hat  mir  einen  grossen 
Theil  der  Briefe  an  ihn  zurückgegeben ;  die  schreibe  ich  jetzt,  nebst  den  seinigen 
.ab,  weil  sie  fast  unleserlich  geworden  sind,  und  ich  die  traurige  Geschichte  meines 
Herzeus  gern  bisweilen  mit  einem  Blicke  übersehen  möchte.  Non  hie  de  nihilo 
nascitur  historia!— '  (Klamer  Schmidt  I  266;  Muncker  253).  Weder  die  originale 
noch  die  abschriften  der  beiderseitigen  briefe  haben  sich  bisher  wiedergefunden 
-und  werden  wohl  als  verloren  gelten  müssen.  Durch  den  neuen  fund  ist  die  zahl 
der  erhaltenen  briefe  an  Schmidt  immerhin  auf  8  gestiegen. 

Über  Schmidt,  diesen  harmlos-gemütlichen  geniesser,  mädchenjäger  und  ge- 
legentlichen versemacher,  vielbestürmten  vertrauten  im  liebeshandel  Klopstocks  mit 
Fanny,  dessen  schreibfaulheit  der  ungeduldige  liebhaben  immer  wieder  beklagt 
(während  Schmidt  an  Gleim  eifrig  genug  schrieb;  vgl.  Klamer  Schmidt  3—332  = 
18  briefe),  unterrichten  hinreichend  Erich  Schmidt,  Beiträge  z.  kenntnis  der  Kl. sehen 
Jugendlyrik  17-30,  und  Muncker,  48  ff.  Schmidt  wurde  später  Weimarischer  ge- 
heimrat und  kammerpräsident,  Goethes  kollege  im  conseil.  Über  ihn  als  alten 
herrn  berichtet  anekdotisch  =  amüsant  Caroline  an  Wilhelm  Schlegel  in  einem 
brief  V.  1802  (ed.  Erich  Schmidt  II  292).  Nach  der  heirat  mit  Meta  Moller  hat 
Klopstock  die  Verbindung  zu  ihm  und  den  verwandten  in  Langensalza  nicht  weiter 
unterhalten. 

Die  familie  Bansa  ist  in  den  besitz  dieser  dokumente  offenbar  durch  erbgang 
von  Fanny  her  gekommen.  An  den  5.  brief  (Hschr.  im  besitz  des  Frankfurter 
Goethe-museums)  schliesst  sich  der  jüngste  der  bisher  bekannten,  der  vom  20.  juli  1751 
(Schmidlin  I  124)  an.  Im  gleichen  Privatbesitz  haben  sich  auch  eine  grössere  anzahl 
Ton  briefen  Gleims  an  Schmidt  und  ein  brief  Gleims  an  Fanny  erhalten.  Sie  sind 
-durchweg  ohne  geschichtliches  Interesse;  ihre  Veröffentlichung  würde  nur  die  ohnehin 
uferlose  flut  von  Gleimbriefen  unnötig  vermehren.  Ich  drucke  also  ausser  der 
galanten  epistel  an  Fanny  nur  ein  zusammenhängendes  stück  aus  einem  brief  an 
Schmidt  ab,  das  sich  auf  Klopstocks  Zerwürfnis  mit  Bodmer  bezieht.  Es  enthält 
an  sich  kein  neues  material,  zeigt  aber  Gleims  freundschaftliche  Zuverlässigkeit  in 
•schönem  licht. 

Klopstock  an  Schmidt: 

Mein  liebster  Schmidt, 

Sie  müssen  ■wissen,  daß  ich  drey  Briefe  in  diesem  Monath  an 
Sie  geschrieben  habe,  davon  der  letzte,  weil  er,  wie  die  übrigen, 
an  H.  W[eiss].  eingeschlagen  war,   zu   spät  gekommen,  ii.  also  retour 


41Ü  VIKTOR 

gegangen.  Ich  habe  auch  den  vierten  an  Sie  geschrieben,  u.  hierauf^ 
ehe  Sie  noch  diesen  letzten  erhalten  hatten,  schrieben  Sie  an  mich. 
Sehen  Sie,  daß  ich  wegen  des  tiefen  Stillschweigens  nicht  anzuklagen 
bin.  Weil  Sie  es  haben  wollen,  daß  einige  Oden  von  mir  gedruckt 
werden  sollen,  so  überlasse  ich  Ihnen  die  Wahl  völlig.  Ihre  Wahl 
möchte  vielleicht  nicht  mit  auf  die  Ode  an  Sie:  Schmidt,  der  mir 
gleich  ist  -  fallen ;  diese  will  ich  Ihnen  aber  mit  vorschlagen.  In  der 
Elegie  Daphnis  und  Daphue,  muß  für  Daphne  ein  andrer  Nähme 
gesetzt  werden.  -  Schicken  Sie  mir  meine  Fragmente  vom  Mesias. 
Vergessen  Sie  es  nicht  wieder.  -  Ich  möchte  einmal  die  kleine  B  .  .  ► 
sehen,  die  Sie  öfters  umgiebt,  um  Ihnen  wetteifernd  zu  sagen,  wie 
liebenswürdig  Fanny  ist.  Ich  möchte  unsichtbar  darunter  seyn.  Aber 
wie  es  nach  der  Lehre  der  Zauberer  wahr  ist,  daß  man  bey  einer 
großen  Gemütsbewegung  die  Unsichtbarkeit  verliert;  so  würde  ich 
mich  bald  sichtbar  in  Ihre  Arme  werfen,  u.  es  Ihnen  mit  andern  Ent- 
zückungen sagen,  wie  glücklich  Sie  sind,  eine  solche  S[chwester]  zu 
haben.  Das  sind  unvergleichliche  liebenswürdige  Briefe,  die  Briefe 
der  Babet  doch  haben  sie  nicht  immer  mein  ganzes  Herz  ausgefüllt. 
Sie  können  denken,  wie  lange  ich  darüber  gelesen  habe,  das  einzige 
tout  a  toi  nimmt  mir  ganze  Stunden  weg.  Man  könnte  in  einem 
etwas  anderem  Verstände  von  Babet  sagen,  was  Virgil  vom  Mäcenas  sagt: 

Forte  legit  haec  ipsa;  multa  ergo  scribenda  omisi, 

Ah,  per  deos  immortales!  mitte  iterum  dialogos 

Ita  divinos  —  Ich  werde  unterbrochen,  mehr  zu  schreiben. 

Den  28  May  1749  Klopstock. 

(Am  Rande.) 

Sie  merken  es  doch,  daß  dieser  Brief  so  beschaffen  ist,  daß  ich 
ihnen  bald  einen  längeren  schreiben  werde? 

(Nachschrift.) 

H.  Kühnert  küssen  sie  von  mir,  das  muß  ihm  mehr  als  eine 
Antwort  seyn ;  wiewohl  ich  ihm  auch  bald  antworten  werde.  Und 
wenn  Sie  dies  Wunder  thun  können;  so  setzen  Sie  den  stummen 
K  .  .  .  ins  reden  oder  ins  Briefschreiben.  -  H.  Schramm  ist  hier  ge- 
wesen, und  hat  mir  ein  Diplome  von  der  Deutschen  Gesellschaft  in 
Jena  mitgebracht. 

Klopstock  war  bei  herrn  Weiss,  einem  onkel  von  Schmidt,  in  Langensalza 
1748/49  als  Hauslehrer. 

Die  ode  'An  Herrn  Schmidten',  im  Frühjahr  1747  entstanden,  ist  zu  Kl.s 
lebzeiten  nicht  gedruckt  worden. 


BRIEFE   VON   KLOPSTOCK   UND    GLEIM  411 

Die  elegie  'Daphnis  uad  Daphne'  erschien  zuerst  in  den  'Bremischen  neuen 
Beyträgen'  1749,  5.  stück,  und  wurde  später  umbenannt  in  'Selmar  und  Selma'. 
'Daphne'  war  anfangs  der  poetische  name  Fannys  gewesen,  die  von  1749  an  auch 
in  briefen  nur  noch  mit  dem  aus  Fieldings  roman  'Begebenheiten  des  Joseph 
Andrews'  entlehnten  namen  'Fanny'  bezeichnet  wird.  Über  die  programmatische 
Bedeutung  dieser  Benennung  mit  einem  modern-literarischen  namen  vgl.  Muncker, 
Klopstock,  194  f. 

Über  die  Briefe  der  Babet  schreibt  Klopstock  12.  Juni  1749  an  Giseke,  voa 
einem  Besuch  bei  Fanny  berichtend:  "Wir  haben  die  'Lettres  de  Babet'  miteinander 
gelesen;  da  sagte  sie,  sie  wollte  mir  ihre  beyden  liebsten  Briefe  zeigen,  und  in 
diesen  beyden  liebsten  Briefen  sagte  es  Babet  zum  ersten  Male,  dass  sie  liebt" 
(Lappenberg  24  f.).  Von  Meta  Moller  rühmt  er  später  (an  Gleim  24.  mai  1751 ; 
Klamer  Schmidt,  I  252) :  '.  .  .  sie  schreibt  so  natürlich  wie  Babet'.  Dass  die  witzig- 
natürlichen briefe  der  Babet  und  ihres  liebhabers  nicht  ganz  nach  Klopstocks  ge- 
schmack  sein  konnten,  versteht  man  leicht.  Zwei  jähre  später  lobten  Geliert  und 
Lessing  sie  öffentlich,  eine  erste  deutsche  Übersetzung  erschien  1755 ;  vgl.  das  nach- 
wort  von  Wilh.  Printz  zu  seiner  ausgäbe  der  briefe  der  Babet,  2.  aufl.  Berlin  1919. 

Das  angebliche  Vergil-zitat  war  nicht  nachzuweisen,  selbst  nicht  in  den  un- 
echten, früher  unter  Vergils  namen  umgehenden  Elegien. 

Chrn.  Kühnert,  der  Leipziger  Freund  Kl.s ;  Muncker  49.—  Während  seiner 
Studienzeit  in  Jena  1745  46  hatte  Kl.  der  'Deutschen  Gesellschaft'  nicht  angehört. 
Bald  nach  ihm  wurden  auch  Mylius  und  Lessing  zu  mitgliedern  ernannt;  Muncker  47. 

Quedlinburg,  den  18.  Jan.  1750. 
Liebster  Schmidt, 
Wenn  sie  unter  dem  Regen,  den  Sie  bekamen,  haben  wegschlafen 
können,  so  wünsche  ich  Ihnen  Glück  dazu.  Sie  sind  doch  gesund 
angekommen?  Und  haben  Ihren  Hr.  Renner  gesund  wiedergefunden ? 
Nehmen  Sie  mich  oder  Gleimen  zum  Exempel.  Wir  schreiben  alle 
Tage  an  einander,  u.  vielleicht  hält  er  sein  Wort,  u.  kömmt  heute 
herüber.  Unsere  briefe,  wie  wir  abredeten,  sollten  einander  begegnen, 
u.  keiner  sollte  eine  Antwort  seyn.  Wir  werden  wohl  beide  hierbey 
unsre  Charaktere  behaupten ;  ich  mein  Wort  halten,  u.  Sie  nicht.  Ich 
werde  übermorgen,  .  .  .  künftigen  Sonnabend  über  acht  Tage  nach 
Braunschweig  zum  Besuche  reisen,  u.  bald  wiederkommen.  Schreiben 
Sie  ja  bald  an  mich.  Wenn  Sie  die  Post  versäumt  haben,  so  geht 
den  Freytag  früh  ein  Bothe  hierher.  Den  können  Sie  leicht  erfragen ; 
er  logiert  nicht  weit  von  D.  Thilo.  -  Was  macht  das  anakreontische 
Täubchen,  das  in  ihrer  Abwesenheit  von  Leipzig  hergeflogen  ist?  Ist 
es  unter  die  Krähen  und  Elstern  gerathen?  Oder  ist  es  nur  von 
einem  andern  frommen  Täubchen  gefangen  genommen  worden?  Geben 
Sie  mir  von  den  Schicksalen  des  armen  Dinges  Nachricht.  -  Denken 
Sie  was  für  eine  Freude  für  mich.  Gestern  habe  ich,  u.  zwar  beynah 
für  gewiss  gehört,    dass   Gramer  hier  Hofprediger   werden  soll.     Ich 


412  VIETOR 

gehe  deswegen  zu  dem  Superintendant  Morner[?],  die  Sache  gewiss 
XU  erfahren.  -  Gleim  ist,  aber  nur  heute,  bey  mir  gewesen.  Er  brachte 
einen  Brief  mit,  worinn  uns  der  Hofprediger  Sack  bat,  wir  sollten 
unser  Wort,  nach  Magdeburg  zu  kommen,  besser,  als  Geliert  halten. 
Sehen  Sie,  was  Ebert  für  ein  guter  Briefschreiber  ist.  Sie  sollen 
<jleimen  ja  den  Brief  wieder  zuschicken.  Sonst  wird  er  böse.  Empfehlen 
Sie  mich  Ihrer  Frau  Mama  und  Mademoiselle  Schwester.  Wenn  Sie 
nach  Halberstadt  gehen  sollten,  u.  ich  nach  Braunschweig,  so  müssen 
-Sie  sich,  wie  Ebert  sagt,  schämen  zu  oft  sieben  Meilen  her  an  mich 
2u  schreiben.     Aber  itzt  thun  Sie  es  bald. 

Ihr 

Klopstock. 

In  Braunschweig  waren  damals  Gärtner,  Ebert,  Zachariä,  Giseke. 

Johann  Andreas  Gramer  wurde  1750  Oberhofprediger  in  Quedlinburg. 

A.  Fr.  W.  Sack,  hofprediger  aus  Berlin ;  Muncker  228,  230.  Vf.  Litgesch.  4 
<1891),  51.  Ein  brief  von  ihm  an  Kl.  bei  Lappeuberg  74.  Kl.  war  erst  im  juli  1750 
mit  Gleim  in  Magdeburg;  Lappenberg  4H.     Vf.  Litgesch.  4,  51  ff. 

Quedlinburg  den  14.  März  1751. 
Mein  Schmidt, 
Ich  schrieb  Ihnen  von  Halberstadt  aus,  gleich  den  Abend  darauf, 
■dsi  Ihr  Brief  an  Gleimen  und  mich  des  Morgens  angekommen  war. 
Ich  dachte,  Sie  hätten  mich  ganz  vergessen  gehabt.  Aber  da  mein 
Brief  schon  fort  war,  in  der  eigentlichen  mitternächtlichen  Stunde,  las 
mir  Gleim  Ihre  Briefe  an  Ihn  vor,  die  Sie  seit  meiner  Abwesenheit 
geschrieben  haben.  Nun  verklagte  ich  auf  einmal  meinen  fortgeschickten 
Brief  bey  mir  selbst.  Ach,  warum  (dacht  ich)  hat  dann  mein  Schmidt 
nicht  eine  halbe  Zeile  von  dem  an  mich  selbst  geschrieben,  was  er 
an  Gleimen  schrieb?  -  -  -  Mein  Herz,  das  mir  Ihretwegen  so  sehr 
schwer  geworden  war,  durfte  es  nun  wieder  Zuversicht  fühlen,  dass 
Sie  mich  liebten.  Wenn  Sie  alles  wüssten,  was  ich,  seitdem  Sie  mir 
nicht  schrieben,  gedacht  u.  getan  habe;  es  würde  Ihnen  gewiss  recht 
nahe  gehen,  dass  sie  mich  in  dieses  Labyrinth  geführt  haben.  Nun 
ist  mir  nur  noch  von  dem  Labyrinth  ein  Bischen  Räthsel  übrig  ge- 
blieben, das  werden  Sie  mir  schon  auflösen,  wenn  ich  Sie  sehe.  Wie 
freue  ich  mich  darauf,  Sie  zu  sehen!  Das  werde  ich  Ihnen  nur  als- 
dann erst  recht  sagen  können,  wenn  es  geschieht.  Schreiben  Sie  mir 
■aber  unterdess  noch  -einmal.  Unsere  Abreise  wird,  wegen  Gleims 
Geschäften,  noch  über  acht  Tage  aufgehoben  werden  müssen.  Jetzt 
werde  ich  abgehalten,  mehr  zu  schreiben.  Sie  empfehlen  mich  Ihrer 
Frau  Mama.     Ich  bin  Ihr 

Klopstock. 


BRIEFE   VON   KLOPSTOCK   UND    GLEIII  413 

Am  6.  märz  war  KL,  von  Zürich  über  Leipzig— Halle  heimreisend,  in  Quedlln- 
.lurg  angekommen.  Seit  einem  halben  jähr  hatte  er  weder  von  Schmidt  noch  von 
Fanny  unmittelbar  gehört.  Die  ungewissheit  über  den  grund  dieses  Schweigens 
bestimmten  ihn,  nicht  über  Langensalza  zu  reisen ;  Muncker  246. 

Quedlinburg,  den  20.  März  1751 
Mein  Schmidt, 
Da  ich  ganz  von  dem  süssen  Gedanken,  Sie  zu  sehen,  voll  bin, 
bekomme  ich  von  Hannover  einen  Coppenhagner  Brief,  der  schon  auf 
Hannover  an  mich  adressiert  ist.  Womit  soll  ich  anfangen,  Ihnen 
meinen  Schmerz  auszudrücken,  dass  ich  Sie  nun  nicht  eher,  als 
künftigen  Sommer,  sehen  kann?  Denn  es  ist  schlechterdings  not- 
wendig, dass  ich  itzt  reise.  So  viel  kann  ich  Ihnen  sagen  (aber  v^ie 
mir  das  Räthsel  Ihres  halbjährigen  Stillschweigens  wieder  einfällt,  so 
getraue  ich  mich  auch  diess  kaum!)  dass  nur  eine  einzige  Person  in 
der  Welt  ist,  die  mich  im  eigentlichen  Verstände  glücklich  machen 
kann,  u.  dass  es  um  derselben  willen  geschah,  dass  die  Veränderung, 
■die  Sie  mit  den  alten  Verwandlungen  vergleichen,  mit  mir  vorgieng. 
Ich  habe  Ihnen  immer  mein  ganzes  Hertz  gesagt.  Jetzo  stehen  meine 
Sachen  so.  Der  König  und  der  Graf  Moltke  sind  mir  gut,  u.  der 
Baron  Bernstorf  liebt  mich.  Die  Fabrique,  von  der  ich  Ihnen  einmal 
geschrieben  habe,  wird  durch  meine  Vermittlung,  sehr  wahrscheinlich 
von  dem  Copenhagner  Hofe  unterstützt,  oder  arbeitet  für  eine  der 
dortigen  indischen  Compagnien.  Ich  habe  dieser  Sache  wegen  schon 
Briefe  von  Bernstorfen.  .  .  .  Aber  warum  sage  ich  Ihnen  diess?  Wahr- 
haftig, ich  weiss  es  selbst  kaum,  warum  ich  es  thue.  .  .  .  Sie  lieben 
mich,  wie  zuvor.  Denn  ich  will  mein  Herz  mit  keinem  Zweifel,  der 
meinen  Schmidt  auch  quälen  würde,  mehr  quälen.  Sie  lieben  mich 
gewiss.  Aber  Sie  thun  dass  hinter  der  Scene.  Wenn  ich  mich  frage, 
warum  hinter  der  Scene?  So  denke  ich,  mein  Schmidt  wird  mir 
schon  einmal  die  Ursach  davon  sagen.  Beklagen  Sie  mich,  u.  nicht 
sich,  dass  ich  Sie  itzt  nicht  sehen  kann.  Wenn  ich  recht  daran  denke, 
so  blutet  mir  mein  Hertz,  dass  Sie  mich  durch  Ihr  Stillschweigen  zu 
furchtsam  machten,  grade  zu,  ehe  ich  auf  Leipzig  gieng,  nach  Langen- 
salza zu  kommen.  Ich  kann  nichts  mehr  schreiben.  0  wenn  Sie  es 
wüssten,  wie  sehr  ich  Sie  u.  Ihre  Schwester  liebe.  Vielleicht  schreibe 
ich  morgen  auch  an  Ihre  Schwester,  wenn  ich  an  sie  schreiben  kann, 
ohne  dass  sich  mein  Hertz  darein  mischt,  welchem  die  kleine  Glück- 
seligkeit, traurig  zu  seyn,  nunmehr  ganz  und  gar  verboten  zu  seyn 
scheint.  Wäre  es  möglich,  dass  ich  hierinn  nur  einigermassen  unrecht 
haben  könnte,  so  werden  Sie  nicht  böse  auf  mich,  wie  Sie  einmal  in 


Ali  VIKTOR 

Halberstadt  wurden,  sondern  beklagen  Sie  mich  vielmehr.  .  .  .  leb 
erwarte  ganz  gewiss  Briefe  von  Ihnen.  Sollten  schon  welche  unter- 
wegs se^'n,  so  habe  ich  es  so  eingerichtet,  dass  ich  sie  bey  dem  Hr. 
von  Hagedorn  finde.  Haben  Sie  noch  keine  geschrieben,  so  schreiben 
Sie  bald,  nach  Empfang  dieses,  so  können  Sie  den  Brief,  Herr  von 
Hagedorn  (Lücke)  .  .  .,  nur  an  Ihn  einschliessen,  so  werde  ich  den 
Brief  auch  gewiss  antreffen.  Machen  Sie  mir  die  Freude,  einen  Brief 
bey  Hagedorn  von  Ihnen  zu  finden.  Die  Freude,  Hagedorn  das  erste- 
mal zu  sehen,  wird  kaum  so  gross  seyn. 
Ich  bin 

Ihr 

Klopstock. 

Schmidt  hatte  endlich  zum  besuch  in  Langensalza  eingeladen.  Da  traf 
Bernstorffs  brief  ein.  Am  23.  März  reiste  Kl.,  ohne  freund  und  geliebte  wieder- 
gesehen zu  haben,  über  Hamburg  nach  Dänemark,  nicht  ohne  im  vorliegenden; 
brief   seine    Werbung   um   Fanny   noch  einmal  deutlich  zu  erneuern;  Muncker  246. 

Über  das  von  Hartmann  Kahn  projektierte  fabrikuaternehmen  vgl.  Dav.  Fr^ 
Strauss,  Kl.s  Jugendgeschichte,  Bonn  1878,  112  f.  Muncker  236,  270  f.,  316.  KL 
Schmidt  I  127  ff.,  183.  Schmidlin  I  136  f.  Lappenberg  464  ebenda  s.  50  ein  brief 
Eahns  an  Kl.  —  J.  Baechtold,  Gesch.  d.  deutsch,  lit.  in  der  Schweiz,  Frauenfeld 
1892,  anm.  s.  184. 

Friedensburg,  den  Uten  May  1751 

Liebster  Schmidt, 

Wie  ist  es  Ihnen  möglich,  nur  einen  Augenblick  den  Gedanken 
zu  denken,  dass  es  etwas  anders,  als  die  Notwendigkeit,  bald  in 
Kopp[enhagen].  zu  seyn,  gewesen  sein  könnte,  dass  ich  nicht  zu  Ihnen 
gekommen  bin.  Wie  könnte  ich  aufhören,  Sie  zu  lieben!  Wie  wäre 
das  mir  möglich!  Wenn  Sie  wüssten,  was  ich  empfunden  habe,  da 
ich  reisen  musste.  Es  würde  Sie  gewiss  sehr  rühren.  Wie  oft,  und 
wie  bey  vielen  Gelegenheiten  ist  es  mir  schon  so  gegangen,  das* 
man  mein  Herz  nicht  ganz  gekannt  hat.  Eh  ich  Zürch  verliess  .  .  ► 
doch  diese  Sachen  lassen  sich  allein  einer  Unterredung  anvertrauen. 
Das  können  sie  sich  vorstellen,  was  allein  die  Ursach  seyn  konnte^ 
warum  ich  meinen  Plan  veränderte.  Jetzt  ist  es  mir  zwar  sehr  lieb, 
dass  beide  Plane  haben  können  vereinigt  werden.  Wie  viel  Umstände 
aber  mussten  zusammen  kommen,  dass  dieses  geschah.  Welche  sorg- 
fältige Behutsamkeit  gehörte  dazu,  das  so  zu  machen.  Und  wieviel 
Gefahr  war  dabey,  den  einen  fahren  lassen  zu  müssen.  Doch  ich 
will  in  dieser  dunkeln  Schreibart  nicht  weiter  fortfahren  .  .  .  Aber, 
mein  liebster  Schmidt,  was  sind  es  doch  eigentlich  für  Ursachen,  das» 


BRIEFE   VON   KLOPSTOCK   UND    GLEIM  415 

Sie  geheimnisvoll  gegen  mich  seyn  müssen.  Ich  hätte  dawieder  gar 
nichts  zu  sagen,  wenn  Sie  mich  nicht  kennten  und  wenn  Sie  nicht 
wüssten,  dass  Sie  mir  alles  sagen  könnten.  Mein  •  liebster  Schmidt, 
ich  habe  es  lange  um  Ihr  Herz  verdient,  dass  Sie  mir  mehr  schreiben, 
als  dass  Sie  mich  nur  dem  Glück  überlassen. 

Ich  hätte  hier  viel  Anlässe,  vergnügt  zu  seyn,  wenn  ich  nicht 
seit  drey  Jahren  wie  unfähig  dazu  geworden  wäre.  Der  König  ist 
ungemein  liebenswürdig;  u.  Moltke  u.  Bernstorf  sind,  nicht  nach  der 
gewöhnlichen  Art  der  Minister,  meine  Freunde.  Es  ist  an  Leuten 
von  Stande  besonders  schätzbar,  wenn  Sie  mehr  thun,  als  sie  ver- 
sprochen haben ;  u.  wenn  sie,  was  sie  thun,  ohne  Geräusch  und  mit 
Delicatesse  thun.  Der  König  hat  mir  100  Dukaten  für  meine  Herreise 
gegeben ;  u.  itzt  lebe  ich  auf  seine  Kosten  auf  dem  Lande. 

Es  ist  hier  von  keiner  geringen  Bedeutung  um  Moltke  u.  Bern- 
storf zu  seyn.  Ich  bin  aber  über  das,  was  gewissen  Leuten  hierbey 
so  sehr  in  die  Augen  fällt,  weg.  Mir  ist  dabey  nichts  grösser  u. 
würdiger,  als  dass  sie  beide  rechtschafne  Männer  sind. 

Die  Post  eilt.     Ich  werde  niemals  aufhören  zu  seyn 

Ihr 

Klopstock 

Die  Post  ist  schon  fort.  Und  nun  kann  ich  die  Briefe  erst  den 
14ten  schicken.  Nun  kann  ich  auch  noch  an  unsern  lieben  Gleim 
schreiben. 

Gleim  an  Fanny.  Halberstadt  7.  Juny  1750. 

Mademoiselle, 

Wie  viel  denn  bin  ich  dero  Frau  Mama,  und  Ihnen  nicht  schuldig, 
dass  Sie  mir  den  Herrn  Bruder  auf  einige  Zeit  haben  gönnen  wollen  ? 
Wie  glücklich  bin  ich  in  dieser  kurtzen  Zeit  gewesen!  Was  für  ein 
schöner  Periode  meines  Lebens,  der  sich  anfing,  als  ich  das  zufällige 
Glück  hatte  den  besten  Bruder  bey  der  liebenswürdigsten  Schwester, 
und  der  artigsten  kleinen  Muhme  zugleich  mit  so  viel  guten  Menschen 
kennen  zu  lernen.  Und  was  für  eine  schöne  Folge  davon  ist  die 
Freundschaft  des  fürtrefflichen  Klopstocks,  den  ich  bisher  nur  als 
Dichter  hochgeschätzt,  und  den  ich  nun  auch  als  einen  Freund  lieben 
muß!  Denn  wer  könnte  ihn  kennen,  ohne  ihn  zu  lieben,  ihn,  der  so 
menschenfreundlich  ist,  als  sein  freund  Schmied,  und  so  zärtlich  wie 
.  .  .  Ich  habe  an  ihm  alles  das  gefunden,  was  ich  Sie,  Mademoiselle, 


416  VIETOR 

und  das  Mührachen,  das  wir  Lalagc  nennen,  ausgefragt  habe.  Er  ist 
in  der  Tliat  ein  so  guter  Geselliger  und  Freund,  als  großer  Dichter. 
Ich  werde  die  Zeit  über,  da  er  mir  so  nahe  seyn  wird  recht  glücklich 
seyn.  Denn  ich  werde  so  oft  zu  ihm  fliegen,  als  es  mir  unerträglich 
seyn  wird,  ohne  ihn  lange  zu  seyn.  Möchte  er  sich  nur  nie  weiter 
von  mir  entfernen!  Könnte  ich  zu  dem  H.  Bruder,  den  ich  so  sehr 
den  ich  von  ganzem  Herzen  liebe,  doch  auch  so  bald  kommen!  Oder, 
wäre  er  doch  erst  auf  immer  bey  mir.  Wenn  der  Himmel  mir  diese 
Wünsche,  und  dann  nur  noch  einen,  einen  einzigen  nur  noch  gewährte,, 
alsdann  wüßte  ich  nichts  mehr  zu  wünschen. 

Sie  haben  mir  es  erlaubt,  Mademoiselle,  Ihnen  die  kleinen 
moralischen  Lieder  zu  schicken,  in  welchen  ich  versucht  habe,  ob  es 
möglich  sey,  den  leichten  ungeputzten  Ausdruck  der  anakreontischen 
Muse  nützlicher  anzuwenden.  Ich  bitte  mir  darüber  ihr  Urtheil  aus, 
und  sie  müssen  es  mir  ja  nicht  abschlagen.  Denn  ich  weiß  schon, 
daß  sie  Beurtheilerin  des  Messias  sind.  Ein  solch  kleines  Lied  ist 
dagegen  ein  unendlich  kleines  Ding.  Sie  würden  mir  also  eine  allzu 
kleine  Bitte,  (die  jedoch  in  Absicht  auf  mich  allzu  groß  ist)  abschlagen. 
Wenn  sie  finden,  daß  ein  ernsthafterer  Inhalt  diesen  leichten  Ausdruck, 
den  sie  so  gut  kennen,  vertragen  kann,  so  will  ich  dann  nicht  ferner 
zu  faul,  oder  vielleicht  nicht  mehr  so  unfähig  seyn  noch  einige  solche 
Kleinigkeiten  zu  machen. 

Ich  möchte  noch  gar  zu  gern  von  der  dritten  Hand  verstehen,  ob 
mich  mein  Schmied  auch  wirklich  so  liebt,  als  er  mir  es  versichert. 
Aber  kau  ich  wohl  daran  zweifeln?  Er  hat  ja  eine  so  edle  Schwester, 
die  mit  einem  Blick  seine  Verstellung  tödten  würde.  Und  wenn  er 
an  meinel"  Zärtlichkeit  zweifelte,  wie  viel  Unrecht  würde  er  mir  tun? 

Empfehlen  Sie  mich  dero  verehrtester  Frau  Mama!  Vielleicht 
bin  ich  einmal  so  glücklich,  diese  Mutter  meines  Schmieds  u.  seiner 
edlen  Schwester  persönlich  kennen  zu  lernen.  Denn,  die  Triebe  der 
Freundschaft,  die  hej  mir  meistens  unwiderstehlich  sind,  werden  mir 
ganz  gewiß  einmal  Flügel  ansetzen,  mit  denen  ich  nach  Langensalza 
werde  fliegen  müssen.  Wie  soll  mich  der  liebe  Klopstock  alsdann 
beneiden,  wenn  er  bey  Bodmer  ist,  und  dann  weiß,  daß  ich  bei  Schmied 
bin  u,  von  ihm  mit  seiner  liebenswürdigsten  Schwester  sprechen  darf. 

Mademoiselle  Weiss  mache  ich  ein  recht  großes  u.  vielbedeutendes 
Compliment,  ich  würde  noch  dreister  seyn,  u.  gar  an  sie  schreiben, 
wenn  ich  dem  lieben  losen  Schmid  trauen  dürfte,  der  mir  .  .  .  der 
mir  für  gewiß  gesagt  hat,  daß  Sie  mir  noch  alle  gut  wären. 

Mein   langes   Schreiben  mag   dieser  lose   Schmid   entschuldigen. 


BRIEFE   VON   KLOPSTOCK   UND    GLEIM  41T 

Er   kennt   mich,    und  weiß  warum  ich  nicht  aufhören  kann.     Ich  bin. 
mit  vollkommenster  Hochachtung, 
Mademoiselle, 

Dero 

gehorsamster  D[iene]r 

Gleim. 

In  der  zweiten  hälfte  mai  1750  war  Kl.  aus  seiner  Hauslehrerstelle  in  Langen- 
salza nach  Quedlinburg  zurückgekehrt.  Er  kannte  damals  Gleim  noch  nicht.  Der 
brieflichen  anknüpfung  (17.  mai  1750,  Schmidlin  nr.  13;  folgte  nun  —  gemeinsam 
mit  Schmidt,  der  Gleim  schon  länger  kannte  —  ein  achttägiger  besuch  in  Halber- 
stadt (25.  mai  bis  1.  juni) ;  Muncker  229,  Lappenberg  459,  Vf.  Litgesch.  4,  47  f., 
Ewald  V.  Kleists  werke,  herausgegeben  von  A.  Sauer,  III  117  f. 

'Lalage'  war  der  poetische  name  von  Fannys  cousine,  Marie  Weiss ;  vgl» 
Kl.  Schmidt  I  4,  171,  213.     Erich  Schmidt  28. 

Eine  Sammlung  unter  dem  titel  'Mqralische  lieder'  hat  Gleim  nicht  heraus- 
gegeben. Es  wird  sich  um  einzelne  gedichte  gehandelt  haben,  die  er  dem  briefe 
beilegte. 

Gleim  an  Schmidt.  d.  21.  Dez.  1750. 

...  0  wie  gern,  mein  liebster  Schmid,  möchte  ich  von  dieser 
Sache,  ich  meine  von  Kl[opstocks].  Uneinigkeit  mit  Bodmer,  ausführlich 
mit  ihnen  sprechen  können.  Woher  dieselbe  eigentlich  entstanden, 
das  weiss  ich  selbst  nicht.  Denn  Klopstock  hat  mir  nur  mit  wenigen, 
aber  vielsagenden  Worten  davon  geschrieben.  Und  Sulzer  hat  mir 
bei  seiner  Durchreise  nur  merken  lassen,  daß  Bodmer  mit  Kl.  eben 
nicht  allzu  [zu]frieden  sey,  indem  dieser  andere  Gesellschaften  der 
seinigen,  allezeit  vorsätzlich  vorzöge.  Nachher  aber  hat  er  mir  in 
Briefen  ganz  deutlich  gesagt,  daß  es  mit  der  Freundschaft  zwischen 
Bodmer  und  Klopst.  ganz  u.  gar  aus  sey,  wobey  er  unserm  Klopst» 
allein  die  Schuld  gab.  Sie  können  leicht  denken,  mein  liebster  Schmid,^ 
daß  ich  dazu  habe  nicht  still  schweigen  können!  Denn  warharftig 
ich  müßte  meinen  Klopstock,  ich  müßte  seinen  und  meinen  Schmid, 
nur  mit  ganz  gewöhnlicher  Liebe  lieben,  ich  müßte  kein  so  aufrichtiger 
wahrhafter  Freund  von  ihnen  seyn,  wenn  ich  es  nur  anhören  könnte, 
daß  man  von  ihm  nicht  mit  gehöriger  Achtung  spricht,  wenn  die  Be- 
leidigung seiner  Ehre,  nicht  meine  eigene  Sache  wäre.  In  einigen 
Briefen  hatte  ich  Sulzern  meine  Meinung  gesagt.  Hierauf  kam  ich 
nach  Magdeburg.  Wie  empfand  ich  eine  lebhafte  Scheu,  als  ich 
merkte,  wie  sehr  die  Hochachtung  gegen  unsern  Freund,  bey  den 
dortigen  Freunden  gefallen  sey;  u.  als  ich  so  vielerlei  Dinge  hören 
mußte,  deren  Unwarheit  ich  mit  meinem  Tode  bekräftigen  wollte. 
Denn    sollte  es  wohl   möglich  seyn,   mein   liebster  Schmid,  daß  unse- 


418  VIETOR,   BUIEFE   VON   KLOPSTOCK   UND    GLEIM 

Klopstock  Fehler  hätte,  die  ihn  bey  irgend  einem  ehrlichen  Manne 
verhaßt  machen  konnten,  sollte  sein  Herz  wohl  minder  ehrlich  und 
gut  seyn  können,  als  groß  seyn  Geist  ist?  sollte  er  fähig  seyn  .  .  . 
Doch  mein  liebster  Schmid,  ich  müßte  ihnen  alle  kleinen  Umstände, 
ich  müßte  ihnen  einen  sehr  langen  Brief  schreiben,  wenn  ich  alle 
einzelne  Dinge,  alle  Beschuldigungen,  wieder  welche  ich  unsern  Kl. 
Labe  vertheidigen  müssen,  hersetzen  wollte;  was  würde  es  auch  helfen. 
Sie  haben  doch  keine  solche  Gelegenheit  wie  ich,  dem  Geist  der 
Lästerung  dorten  zu  wehren.  Ich  habe  bey  meinem  Dortseyn  gethan, 
was  meine  Pflicht  war;  ich  habe  bei  meiner  Abreise  .  .  .  bestellt, 
daß  er,  wenn  man  mit  Beschuldigungen  fortführe,  dagegen  einige  ge- 
gelinde Vorstellungen  thun,  und  nur  bitten  solle,  daß  man  mit  gänz- 
licher Verdammung  nur  noch  so  lange  anstehen  möge,  biss  man  von 
der  eigentlichen  Beschaffenheit  der  Uneinigkeit  besser  unterrichtet  sey. 
Vielleicht  sey  sie  nur  ein  Missverständniss,  welches  zwischen  zween 
so  vernünftigen  u.  guten  Menschen,  als  die  Sänger  des  Messias  u. 
Noah  wären,  nicht  lange  bestehen  könne*,  es  sey  unverantwortlich, 
daß  man  so  wenig  schwürig  sey,  ohne  die  genaueste  Untersuchung, 
eine  Parthey  zu  nehmen.  .  .  .  Ich  wollte  an  Beyde  schreiben,  an 
Bodmern  u.  Klopstocken,  und  sie  zu  vereinigen  suchen.  Als  ich  von 
Magdeburg  zu  Hause  kam,  fand  ich  einen  Brief  von  Sulzern,  worin 
er  mir  von  Bodmern  wiedersagte,  was  ich  ihm  durch  Ramlern  hatte 
sagen  lassen,  daß  er  Klopstocken  nicht  verdammen  möchte,  weil  die 
Schuld  der  Uneinigkeit  wohl  auf  Bodmer  fallen  konnte;  mit  dem 
Unterschiede,  daß  er  mit  Gewißheit  Klopstock  die  Schuld  nochmahls 
ganz  allein  gab,  und  sich  dabey  sehr  hart  ausdrückte. 

Zuletzt  wird  doch  ein  Schwachheitsfehler  daran  Schuld  seyn, 
den  einer  dem  andern  hätte  übersehen  sollen.  Gewisse  witzige  Köpfe 
verlangen,  sehr  wiederrechtlich,  ein  dritter  witziger  Kopf  solle  just  in 
allen  Stücken  so  sein,  als  sie.  Sulzer  hätte  Klopstocken  nicht  für 
den  Dichter  des  Messias,  sondern  für  den  Messias  selbst  gehalten, 
wenn  er  die  Gesellschaft  der  Mädchen  verachtet  u.  sich  mit  ihm  hin- 
gesetzt, und  von  der  Erlösung  des  Teufels  Abadonna,  mit  ihm  sich 
beratschlagt  hätte.  So  mag  Bodmer  auch  einen  Antheil  an  seines 
Schülers  Gaben  haben  wollen.  Es  ist  aber  Klopst.  Sache  gar  nicht, 
dünkt  mich,  viel  von  seiner  poetischen  Begeisterung  zu  sprechen  .  .  . 
Und  so  mag  Klopst.  Bodmern  missfallen  haben,  der  gern  als  ein 
Kunstrichter  mit  seinen  Freunden  mag  sjjrechen  wollen.  Uns,  m. 
liebster  Schmied,  gefällt  gewiß  unser  Kl.  dadurch  sehr,  daß  er  nichts 
weniger  ist,  als  ein  Pedant  .  .  .' 


FUCHS,   DIE    KOMPOSITION   DER   GEUCHMAT   THOMAS   MURNERS  419 

Über  das  für  die  damalige  kulturelle  läge  und  die  besondere  literarische 
Situation  charakteristische  Zerwürfnis  zwischen  Kl.  und  Bodmer  vgl. :  1.  Quellen : 
Leonhard  Meister,  Über  Bodmern,  Zürich  1783,  38 f.;  Briefe  der  Schweizer,  Zürich 
1804,  153 ;  Sulzer,  Lebensbeschreibung,  Berlin  1809,  28  f  ;  Kl.  an  Gleim,  Schmidlin 
96  f.  und  später;  Ewald  v.  Kleists  werke,  herausgegeben  von  A.  Sauer,  II  2(i5,  211, 
213;  Biiefwechsel  Gleim-Ramler,  herausgegeben  von  Schüddekopf,  I  279  f,  288  f., 
290  f.  2.  Darstellungen :  Grubers  Biographie  vor  seiner  ausgäbe  von  Kl.s  Oden, 
Leipzig  1831,  I  50f. ;  Dav.  Fr.  Strauss,  Kl.s  Jugendgeschichte  114  ff.;  Muncker  235  ff.; 
J.  Baechtold,  Kl.  Schriften,  Frauenfeld  1899,  128  ff. ;  derselbe,  Geschichte  der  deut- 
schen literatur  in  der  Schweiz  593  f.  und  anm.  183  f.;  Albert  Köster,  Kl.  und  die 
Schweiz,  Leipzig  1923,  15  ff. 

Sulzer  war  über  die  Vernachlässigung  durch  Kl.  in  Zürich  nicht  weniger  ge- 
kränkt, als  Bodmer,  und  hetzte  anfangs  brieflich :  'Bodmer  und  ich  sind  von  seinen 
meisten  gesellschaften  ausgeschlossen,  wir  sind  ihm  zu  alt  und  können  nicht  wein 
trinken'  Vf.  Litgesch.  4,  62  f.  Im  august  war  Sulzer  nach  Deutschland  zurückgereist 
und  erzählte  von  Kl.s  verhalten  in  Zürich, 

GIESSEN.  K.  VIETOR. 


MISZELLEN 

Die  komposition  der  Geuclimat  Thomas  Murners 

Im  urteil  über  die  komposition  der  Geuchmat  (GM)  Thomas  Murners  ist  sich 
die  heutige  murnerforschung  einig.  Sie  behauptet,  dass  diese  satire  in  ihrem  auf  bau 
M.s  flüchtigste  und  zerfahrenste  dichtung  sei. 

Der  letzte  herausgeber  der  GM,  Wilhelm  Uhl  (Teubner  189G),  spricht  nur 
eine  allgemein  verbreitete  ansieht  aus,  wenn  er  auf  s.  4  der  einleitung  sagt:  'Über 
die  grossen  mängel  der  dichtung  ist  sich  der  herausgeber  am  wenigsten  im  un- 
klaren. Vor  allem  ist  die  idee  nicht  einheitlich  durchgeführt;  aber  wann  hätte  das 
M.  jemals  getan  ?  Dass  er  uns  ferner  die  von  ihm  beschworenen  narren,  die  wir 
uns  bereits  in  zweiter  aufläge  als  zünftige  schelme  gefallen  lassen  mussten,  jetzt 
zum  teil  wieder  als  vereidigte  gäuche  vorsetzt,  beweist  aufs  neue  seine  geringe 
erfiadungsgabe.  Frische  und  lebhaftigkeit  der  darstellung  ist  kaum  zu  finden ; 
höchstens  in  der  auch  sonst  recht  gelungenen  partie  v,  3260  ff.  Dagegen  treffen 
wir  bei  dem  gänzlichen  mangel  einer  konsequent  eingehaltenen  disposition  häufig 
auf  ermüdende  Weitschweifigkeiten  und  Wiederholungen',  Wie  sich  Uhl  M.s  arbeits- 
weise  denkt,  beleuchten  folgende  sätze  auf  s.  7  der  einleitung:  'Der  einheitlichkeit 
und  des  schnelleren  findens  wegen  war  mir  für  die  einteilung  in  abschnitte  das 
von  M.  selbst  (?)  vorangesetzte  register  massgebend,  obwohl  dasselbe  an  nachlässig- 
keit  nichts  zu  wünschen  übrig  lässt '.  Der  dichter  hat  nämlich  entweder  vergessen, 
einige  kapitelüberschriften  in  das  nachträglich  angefertigte  register  einzutragen, 
oder  aber,  was  mir  beinahe  noch  wahrscheinlicher  ist:  er  hat  zweimal  einen  grösseren 
abschnitt  mit  mehreren  Unterabteilungen   beginnen  wollen,    ist  dann  aber  in  beiden 

1)  Der  böse  zufall  wollte  es,  dass  G,  Bebermeyer  in  Beitr,  44  (1920)  nr.  59 
anm.  1  nachweisen  konnte,  dass  auch  Uhls  register  unvollständig  ist.  Es  fehlt  die 
Überschrift  des  1.  Unterabschnitts  zu  kap.  47  De7t  (nicht  dem^  wie  B,  schreibt;  vgl. 
GM  4114!)  gouch  zinsz  richten.     Ausserdem  fehlt  Eijn  rorred ! 

ZEITSCHRIFT  F.  DEUTSCHE  PHILOLOGIE.    BD.  L.  29 


420 


FUCHS 


fällen  bald  wieder  von  diesem  plane  abgewichen.  So  kommt  es,  dass  im  texte  die 
abschnitte:  [XLVII]  'der  adelichest  gouch  vff  erden'  und  [XL VIII]  'der  geuch 
wescher'  mehrere  kleine  kapitel  mit  verschiedenem  Inhalte  und  besonderen  Über- 
schriften zusammenfassen.  Wieder  ein  zeichen  für  die  Zerfahrenheit  M.s,  der  selbst 
eine  o-ute  idee  —  denn  in  dem  'adelichsten  gouch'  liegt  eine  solche !  — nicht  konse- 
quent durchzuführen  vermochte,  sondern,  wie  immer,  so  auch  hier  schnell  wieder 
aus  der  rolle  fiel'. 

Dass  Uhl  trotz  der  lauten  anpreisung  seines  Verständnisses  für  die  mängel 
der  GM  von  der  komposition  dieser  dichtung  nicht  die  leiseste  ahnung  hat,  zeigt 
er  in  den  anmerkungen  s.  230  zu  v.  3778,  wo  M.  den  zwölfköpfigen  gauchrat  er- 
wähnt: 'Gemeint  kann  wohl  nur  das  XXXII.  kapitel  der  GM  sein:  'Summa  sum- 
marura  aller  geuch'  (2552  ff.),  wo  jedoch  bei  aufzählung  der  törichten  raänner  die 
zwölfzahl  weit  überschritten  ist.  Vom  'gäuchrat',  der  erst  4075  wieder  erwähnt 
wird,  war  bisher  überhaupt  noch  nicht  die  rede.  Vielleicht  hat  der  dichter  diese 
ursprünglich  geplante  idee  später  fallen  lassen,  ohne  sich  ihrer  nachher  noch  zu 
entsinnen.     Man  sieht,  wie  nachlässig  M.  zu  arbeiten  pflegte'. 

In  den  besprechungen  der  Uhlschen  GM(-ausgabe)  haben  sich  Spanier*  und 
K.  V.  Bahder  ^  nicht  weiter  mit  der  komposition  der  satire  beschäftigt.  Nur  V.  Michels  " 
widmete  dieser  frage  einige  aufmerksamkeit  und  wies  bereits  Uhls  bemerkung  zu 
V.  377S  als  'unwahrscheinlich'  zurück*.  Michels  'betont,  dass  die  kapitel  (19)20—31 
und  38—45  zu  einer  leidlich  einheitlich  werdenden  dichtung  gehören  können'.  Da- 
gegen 'enthalten  kap.  7—18  {den  gondi  locken,  —  falten,  —  berupffen,  —  verhouffen' 
usw.),  kap.  34  ('rfe>n  goucli  die  pfyn  besehen'),  kap.  50—54  {'den  gouch  lere7i  essen', 
ein  gouch  im  pfeffer  essen',  'ein  gouch  reuchen',  'den  gouch  leren  go7i',  'den  gouch 
rösten'')  reihen  ganz  andrer  art,  die  sich  freilich  keineswegs  fest  zusammenschliessen,. 
sondern  verschiedenartige  ansätze  erkennen  lassen.  Es  sind  hier  nicht  personen, 
sondern  handlungen  auf  die  schnür  gezogen'.  'Ob  der  kanzler,  der  Zunftmeister, 
der  gäucbwäscher  und  was  sonst  zur  einkleidung  gehört,  dieser  zweiten  arbeits- 
periode  angehört  oder  einer  dritten,  altes  und  neues  rasch  äusserlich  zusammen- 
schweissenden,  will  ich  nicht  entscheiden'.  Wie  kapitel  33  'und  das  folgende  aus 
der  handlungsreihe  stammende  kapitel,  so  mag  auch  noch  anderer  bauschutt  in  die 
lücke  zwischen  die  beiden  abteilungen  der  personenreihe  [kap.  (19)  20—31  und 
33—45]  gestopft  sein.  Sorgfältige  philologische  Untersuchung  würde  wohl  weiter 
führen'. 

Zuletzt  hat  sich  G.  Bebermeyer  ^  mit  der  komposition  der  GM  beschäftigt. 
Er  ist  durchaus  von  V.  Michels  abhängig,  wenn  er  sagt:  'Das  gerüst  der  kompo- 
sition, die  allegorische  ausdeutung  der  Verrichtungen  eines  Vogelstellers  und  -Züchters, 
wird  durch  das  wahllose  hineinspielen  von  neuen  fremdartigen  motiven  mit  unglaub- 
licher leichtfertigkeit  immer  wieder  eingerissen,  so  dass  der  fertige  bau  den  eindruck 
einer  wirren,  grotesken  uneinheitlichkeit  hervorrufen  muss  und  soll' ".  Neu  ist  bei 
B.,  dass  die  'zahlen  7  und  12  den  aufbau  der  satire,  so  lose  und  regellos  er  an  sich 
gehalten   ist,   äusserlich   bestimmt  [haben],   indem   nämlich  je  7  oder  12  abschnitte 

1)  Zeitschr.  29  (1897)  s.  417  ff. 

2)  Alemannia  25  (1898)  s.  184  ff. 

3)  Afda.  '26  (1900)  s.  53  ff. 
4^   A    *i   o    fi    ^Hf 

5)  Beitr.  44(192*0)  s.  53-77:  Zu  M.s  GM  und  MS. 

6)  A.  a.  0.  s.  58  aiim.  1. 


DIE    KOMPOSITION   DER   GEUCHMAT   THOxMAS   MURNERS  421 

ZU  einer  wenn  auch  lockeren  eiuheit  zusammengefasst  sind' '.  Um  diese  einheiten 
zusammenzubekommen,  zählt  B.  zu  den  kapiteln  1—6  die  1.  vorrede  hinzu,  über- 
springt das  kapitel  19  und  reisst  kapitel  38  aus  dem  logischen  Zusammenhang  der 
kapitel  39—45.  Damit  dürfte  wohl  diese  seltsame  zahlenmystik  erledigt  sein.  Sie 
hilft  auch  zum  Verständnis  der  GM  und  ihrer  kompositiou  gar  nichts. 

Nur  der  Vollständigkeit  halber  führe  ich  zwei  stellen  aus  Th.  von  Liebenaus 
werk  'Der  franziskaner  dr.  Thomas  Murner'  (Freiburg  i.  Br.  1913)  an.  Von  Liebenan, 
der  allzusehr  im  banne  der  älteren  forschung  steht,  in  diesem  punkte  ein  selb- 
ständiges urteil  zu  erwarten,  wäre  zu  viel  verlangt.  Auf  s.  86  spricht  er  von  der 
GM  als  'einer  gut  angelegten,  aber  nicht  durchgearbeiteten  satire  über  die  weiber- 
diener'.  Von  M.s  gvdichten  im  allgemeinen  und  der  GM  im  besonderen  sagt  L. 
s.  103:  'Vielleicht  hat  M.  gerade  wegen  der  beständigen  rücksichtnahme  auf  das 
volk  es  unterlassen,  seine  gedichte  nach  den  anforderungen,  die  wir  an  ein  kunst- 
werk  zu  stellen  gewohnt  sind,  einzurichten.  Nicht  e  i  n  streng  durchdachter  plan 
lässt  sich  auch  nur  in  einem  grösseren  gedichte  M.s  nachweisen;  wir  treffen  nur 
eine  reihe  witziger  einfalle  über  einen  bestimmten  gegenständ,  die  in  ungefeilten 
reimen  aneinandergereiht  werden.  Im  verlaufe  der  zeit  hat  M.,  wie  es  scheint, 
einige  male  den  versuch  gemacht,  einzelne  stellen  in  seinen  gedichten  umzugestalten; 
allein  er  hat  bei  der  drucklegung  die  erste  und  zweite  redaktion,  nur  durch  ein- 
zelne dazwischengeschobene  blätter  auseinandergehalten,  nebeneinander  stehen  lassen. 
Dazu  hat  er  einzelne  abschnitte  seiner  gedichte  überhaupt  niemals  ausgearbeitet, 
sondern  den  in  prosa  entworfenen  plan  des  gedichtes  statt  der  ausarbeitung  in  der 
ihm  eigenen  eile  im  druck  erscheinen  lassen;  so  namentlich  in  der  GM'. 

Oberflächlichere  urteile  als  sie  L.  hier  autstellt,  sind  kaum  denkbar.  Ich 
habe  bereits  in  den  Beitr.  48  (1923)  s.  90  gezeigt,  mit  wie  wenig  Verständnis  die 
viermal  gedruckte  GM  bisher  gelesen  und  herausgegeben  worden  ist'.  Eingehendes 
Studium  der  GM  hat  mich  davon  überzeugt,  dass  auch  die  komposition  dieser  satire 
von  anderen  gesichtspunkten  aus  erklärt  werden  muss  als  von  dem  der  Zerfahren- 
heit, hast  und  leichtfertigkeit  des  dichter s. 

Will  man  den  aiifbau  der  GM  überhaupt  verstehen,  so  niuss  man  begreifen, 
dass  sie,  abgesehen  von  den  beiden  vorreden  und  dem  beschluss  wie  die  BF  und 
die  MS  aus  zwei  deutlich  geschiedenen  teilen  (kap.  2—45  und  46—57)  besteht,  und 
zweitens,  dass  der  ausgangs-  und  mittelpunkt  des  ganzen  gedichtes  'Die  geschwornen 
artickel'  des  fünften  kapitels  sind.  Um  diese  gruppieren  sich  die  reden  und  hand- 
lungen  der  auftretenden  personen.  Mit  kapitel  45  könnte  die  GM  schliessen.  M.  hat 
ja  nicht  nur  sein  thema,  ^ie  gäuche  ordentlich  zu  setzen,  erschöpft,  sondern  auch 
den  zwanzigköpfigen  gauchrat,  an  dessen  spitze  der  Zunftmeister  steht,  geschaffen. 
Trotzdem  folgen  noch  ausser  dem  'beschluss  der  geuchmatten'  zwölf  kapitel.  Sieht 
man  sich  den  Inhalt  dieser  abschnitte  an,  so  entdeckt  man  ganz  bestimmte  be- 
ziehungen  zum  ersten  teile,  besonders  zum  fünften  kapitel.  M.  benutzt  einen 
kniff  der  spiel  mau  npoesie.  Ein  charakteristisches  kennzeichen  ist,  dass 
die   haudlung   durch   steigerndes   wiederholen  der  bisherigen  erzählung  fortgeführt 

1)  S.  58. 

2)  Auf  die  unglaublichen  und  bisher  nirgends  gerügten  anmerkungen  Uhls 
zu  GM  H4J6  ('Sie  versprach  ihm  das  mittels  handschlags'  statt,  'sie  wusch  es  ihm 
mit  eigener  band')  und  zu  vers  4845,  wo  ein  druckfehler  vorliegt  {perinria  statt 
peuuria),  der  nach  Ovids  Ars  amandi  1,  633  zu  verbessern  ist,  weise  ich  nur  bei- 
läufig hin. 

29* 


422  ixCHS 

wird  (wie  im  König  ßother,  in  Salman  und  Morolf,  im  Orendel).  So  sind  kapitel 
47,  48  und  49  nichts  weiter  als  eine  steigernde  Wiederholung  der  im  5.  kapitel 
verlesenen  artikel.  Der  artikel  10  ist  gewissermassen  die  knospe,  aus  der  sich 
fieser  zweite  teil  der  GM  als  frucht  entwickelt  hat.  In  diesem  bestehen  beziehungen 
ia  allen  artikeln  mit  ausnähme  des  16.  und  19.— 22.,  weil  diese  nicht  mehr  über- 
trumpft werden  können.  Die  Übertreibungen  lassen  das  ganze  in  einem  völlig  neuen 
lichte  ersclieinen:  wir  lernen  'den  ad  liebsten  gauch  und  den  doppelgauch 
(v.  4430)  kennen.  Die  Überschriften  der  kapitel  50—54  deuten  gegenüber  denen 
der  kapitel  7—18  auf  den  letzten  schliff  bei  der  abrichtung  des  gauches  und  seine 
erlesenere  Zubereitung  in  der  feineren  küche  hin,  während  ihr  Inhalt  schärfer  und 
derber  ist. 

Ich  glaube  den  aufbau  der  satire  und  den  Zusammenhang  der  einzelnen  teile 
untereinander  nicht  besser  vorführen  zu  können  als  durch  eine  kurze  erläuternde 
darstellung  des  inhalts. 

Die  Satire  wird  eingeleitet  durch  die  Vorred  der  geucJimatten.  Sie  ist  milder 
als  das  etwas  schroffe  Vorwort,  das  E//n  vorred  überschrieben  ist.  In  der  'Vorred 
der  geuchmatten'  tritt  Murner  selbst  auf  und  erzählt  den  anlass  zur  abfassung  der 
GM  (bis  V.  134),  seine  bedenken  (bis  v.  146)  und  ihre  Überwindung  (147—154; 
163—168),  die  behandlung  des  themas  (155—162)  und  seine  hoffnung  auf  Verständnis 
bei  den  guten  frauen  (169—187);  nicht  alle  Schlechtigkeit  der  weiber  will  der 
dichter  zur  schau  stellen,  sondern  nur  ihre  listen  und  künste,  mit  denen  sie  die 
männer  in  der  liebe  betrügen  (188—204);  wahrscheinlich  in  anlehnung  an  einen 
alten  spruch  bestimmt  M.  in  scherzhafter  weise  den  begriff  der  liebe  (205—12), 
spuckt  in  die  bände,  um  bei  der  schweren  arbeit  keine  Schwielen  zu  bekommen, 
und  beginnt  sein  werk  213  f.;  sollte  er  nicht  immer  ins  schwarze  treffen,  so  weiss 
er  sich  doch  jedem  tadel  gegenüber  sicher.  Er  hat  sich  nicht  aus  ehrgeiz  vor- 
gedrängt, sondern  ist  von  anderen  aufgefordert  worden,  die  GM  zu  schreiben 
(215-217). 

Der  1.  teil  der  Geuchmat. 

Im  2.  kapitel  übernimmt  M.  das  amt  des  kanzlers.  Es  folgt  eine  klage  der 
personifizierten  schäm  im  3.  kapitel.  Frau  Scham  nimmt  abschied  von  dem  ent- 
arteten geschlecht.  Frau  Venus  tritt  die  herrschaft  an  (kap.  4).  Sie  gibt  dem 
kanzler  den  auftrag,  die  Verfassung  der  Geuchmat,  'Die  geschwornen  artikel',  zu 
verlesen.  Darin  werden  alle  torheiten  der  buhlenden  männer  in  der  form  ironisch 
gemeinter  befehle  der  lächerlichkeit  preisgegeben  (kap.  5).  Auf  diese  artikel  leisten 
die  gäuche  im  folgenden  kapitel  6  einen  eid,  dass  sie  sti/ff  behalten  tvellen,  Jo 
styffer  denn  ein  gesdiworne  ee  Disz  artickel  vnd  noch  v  il  nie,  Det  es  schon  lyh 
vnd  seien  ive  (v.  064  ff.)-  Denen,  die  sie  von  ihrer  gäucherei  abbringen  wollen, 
schwören  sie  feindschaft  (v.  667—678).  Daran  schliesst  sich  in  lol  versen  ein 
ironisches  lob  jener  weiber,  die  den  gäucben  gefällig  sind  (679—779).  Nachdem 
das  thema  auf  diese  weise  theoretisch  erschöpft  ist,  wird  uns  in  kapitel  7—18  an 
der  band  von  j-edensarten,  wie  Dem  gouch  locken  (kap.  7),  Den  gouch  fohen  (kap.  8), 
Den  gouch  herwpffen  (kap.  9)  die  Verwirklichung  der  22  artikel  vorgeführt. 

Kapitel  19  (^Venus  lere  vnd  ermannng  zu  allem  wijpplichen  gschlecht)  bildet 
die  Überleitung  zu  jener  galerie  historischer  oder  erdichteter  gauchsbilder,  die  die 
kapitel  20—32  füllen.  Schon  in  den  versen  1295  ff.  hatte  M.  auf  den  Inhalt  dieses 
kapitels,   das   eine   Übersetzung    des  3.  buches   der  Ars  awandl  des   Ovid  ist,  hin- 


DIE    KOMPOSITION   DER   GEUCHMAT   THOMAS   MURNERS  423 

gedeutet.  Die  lehren,  die  frau  Venus  ihren  'töchtern'  (2086)  gibt,  sollten  sie  be- 
fähigen, die  männer  einzufangen  und  auf  die  gäuchmatte  zu  bringen :  M7>/»  lere, 
syhe  ich,  verfasset  hatt,  Wetin  ir  vil  bringt  vff  disz  geuchmat  (2U92  f.).  So  werden 
auch  von  den  12  gäuchen,  die  den  gauchrat  bilden  sollen  (3778),  6  durch  die  weiber, 
die  sie  verführt  haben,  vorgestellt.  In  kapitel  21—26  spricht  die  frau  die  ersten 
4  verse,  durch  die  sie  nach  art  der  fastnachtspiele  sich  und  ihren  gauch  einführt; 
darauf  erzählt  der  mann  seine  gauchtat  mit  ihren  abschreckenden  folgen.  In 
kapitel  24  (v.  2280-2285)  und  25  (v.  2318-2323)  spricht  M.  selbst  ein  kurzes 
Schlusswort,  das  im  ersten  falle  die  ironische  aufforderung  enthält,  ebenso  wie  Samson 
seine  heimlichkeit  auszuschwatzen,  im  2.  falle  die  komische  Verwunderung,  dass  der 
gauch  auch  im  paradies  gesungen  habe. 

Nach  dem  satze  variatio  delectat  erzählt  in  den  kapiteln  27—29  der  gaucli- 
kanzler  selbst  die  liebesgeschichten  des  Aeneas  und  der  Dido,  des  reichskanzlers 
Kaspar  Schlick  mit  einer  dame  aus  Alta  Siena  und  das  abenteuer  des  Moses  mit 
der  Prinzessin  Tharbis  von  Aethiopien. 

Ebenso  wie  der  papst  Johannes,  der  sich  dann  als  'päpstin'  entpuppt  (kap.  29), 
führen  sich  auch  Ninus  (kap.  30)  und  Holofernes  (kap,  38)  selber  ein.  Da  Holofernes 
ohne  köpf  nicht  so  viel  reden  kann,  muss  auch  hier  der  kanzler  Holofernes'  dumm- 
heit  und  Judiths  meuchelmord  berichten. 

Die    auswahl    der   gäuche    ist    unter    zwei  gesichtspunkten  erfolgt,  nämlich : 

1.  nach  ständen:  papst  (kap.  20),  köuige  (21.  22.  23.  26.  30),  fürsten  (27.  31), 
herren  (28),  prophet  (29);  2.  nach  eigenschafteu :  der  frömmste  (21),  der  weiseste 
(23),  der  stärkste  (24),  der  erste  mensch  (25). 

Die  verse  2542—2551  leiten  zum  folgenden  kapitel  32  über:  (Summa  summarum 
aller  geuch).  Um  nicht  langweilig  zu  werden,  tut  M.  die  übrigen  gäuche  alter  und 
neuer  zeit  (v.  2883—2886)  in  396  versen  kurz  ab.  Es  ist  eine  wahrhaft  internationale 
gesellschaft,  die  er  hier  versammelt  hat.  In  diesem  kapitel  werden  von  den  mit- 
gliedern  des  gauchrates  8  noch  einmal  erwähnt,  nämlich  David  (2611  ff.),  Alexander 
(2735  ff.),  Salomon  (2618  ff.),  Samson  (2611  ff.  und  2651),  Adam  (2568  ff.),  Aeneas 
(2670  ff.),  Ninus  (2578  ff.),  Holofernes  (2656).  Dagegen  fehlen  die  päpstin  Johanna, 
Herodes,  Kaspar  Schlick  und  Moses. 

Die  kapitel  33—37  bilden  ein  zusammenhängendes  ganzes,  gewissermassen 
eine  komödie  für  sich.  Das  thema  ist  die  erwerbung  eines  Zunftmeisters  für  die 
Geuchmat.  Dazu  sind  kapitel  33  {Die  syhen  frijen  künst  frouiv  Veneris)  und  kapitel  34 
{Dem  gouch  die  pfgu  besehen)  das  Vorspiel.  In  kapitel  33  schildert  M.  die  künste 
der  buhlerin  noch  einmal  im  Zusammenhang.  Man  muss  dem  dichter  das  zeugnis 
ausstellen,  dass  er  sich  redliche  mühe  gibt,  jene  weiber  recht  abschreckend  zu 
malen.  Wenn  die  Geuchmat  nicht  bessernd  gewirkt  hat,  so  war  es  wahrlich  nicht 
seine  schuld.  Im  kapitel  6  versuchte  er  durch  Ironie  dem  leser  die  äugen  zu 
öffnen,  hier  wendet  er  ernst  an.  Als  die  7  freien  künste  der  frau  Venus  zählt 
Murner  auf:  1.  Das  weibsbild  betrügt  ihren  gauch  mit  einem  anderen  mann  (3007—10). 

2.  Sie  verlangt  eines  mannes  unwürdige  dienste  von  ihrem  liebhaber  (3011).  3.  Sie 
kann  ihn  in  zorn  versetzen  (3012).  4.  Sie  veranlasst  ihn  zu  nachtständchen  (3013). 
5.  Sie  saugt  den  mann  aus  (8014).  6.  Sie  bringt  ihn  in  angst  und  unruhe  (3015  f.). 
7.  Damit  sie  alle  bequemlichkeit  habe,  muss  er  sich  abmühen  (3017).  Das  sindt 
die  sgben  frijen  künst,  Die  du  bg  den  geiichin  findtst  (3018  f.). 

Mangel  an  wahrer  liebe  befähigt  die  gäuchin  zu  diesen  fertigkeiten,  die  in 
den  versen  3020—3037  durch  einzelhciten  noch  näher  beleuchtet  werden.  3038-3051 


424  FUCHS 

wendet  sich  M.  gegen  die  gutgläubigkeit  der  männer,  denen  er  mi,t  gewalt  die 
äugen  öffnen  möchte.  Darum  zeigt  er  ihnen  auch  in  den  folgenden  versen,  wo  er 
sich  wieder  mit  den  weiblichen  Verführungskünsten  befasst,  die  buhlerinnen  ohne 
jene  reizenden  hüllen,  mit  denen  sie  über  die  dahingeschwundene  jugendfrische 
hinwegzutäuschen  versuchen  (3131—47). 

Das  kapitel  34  knüpft  mit  seinen  einleitungsversen  an  kapitel  14  au;  dass 
jedermann  leugnet,  ein  gauch  zu  sein,  ist  der  gemeinsame  gedanke.  Im  kapitel  14 
wird  er  durch  den  spiege)  überführt,  den  ihm  die  weiber  vorhalten.  Im  kapitel  34 
herrscht  eine  für  den  charakter  unserer  satirc  fast  zu  ernste  Stimmung,  Nachdem 
zuerst  eine  körperliche  Untersuchung  des  gauches  geschildert  worden  ist  (,3196  bis 
3209),  geht  M.  zur  allegorischeu  erklärung  des  Vorgangs  über:  Das  sich  ein  ganch 
muss  bsehen  Ion,  Das  solt  ir  vff  den  sijnn  verston  (32101).  V.  3212  ff.  werden 
dem  bescher  in  allerdings  etwas  drastischer  Aveise'  die  mittel  angegeben,  wie  er 
den  gauch  überführen  könne.  Zwei  mittel  nennt  Murner:  1.  hinführung  zur  demut 
(3212—21) ;  2.  erkenntnis  und  bekenntnis  seiner  taten  (3222—34).  Zum  schluss 
(3235—55)  wird  der  ganze  Vorgang  des  phynbesehens  auf  die  beichte  übertragen. 
Der  priester  soll  den  sünder  1.  in  angst  versetzen  (3235—41) ;  ihn  dadurch  2.  zum 
reden  zwingen  (3242—46);  3.  auf  wahre  reue  sehen,  ohne  die  alles  vergeblich  wäre 
(3247-3255). 

Was  M.  in  kapitel  33  und  84  mehr  theoretisch  und  für  den  privaten  gebrauch 
vorgetragen  hat,  das  wird  jetzt  im  rahmen  einer  öffentlichen  gerichtsverhandlung 
praktisch  vorgeführt. 

Der  kanzler  der  GM  schlägt  den  gäuchen  einen  mann  vor,  den  sie  zum 
Zunftmeister  wählen  sollen.  Seine  geeignetheit  erweist  er  durch  Verlesung  seiner 
in  12  artikel  zusammengefassten  gauchtaten  (kap.  34). 

Selbstverständlich  leugnet  der  gauch  zunächst  alles  ab.  Erst  als  er  auf  der 
folter  peinlich  gefragt  wird,  gesteht  er  nicht  nur  das,  was  ihm  vorgeworfen  worden 
ist,  sondern  auch,  wie  ihn  die  gäuchin  um  sein  ganzes  vermögen  brachte  und  den 
zum  bettler  gewordenen  von  sich  trieb.  Aber  es  stellt  sich  heraus,  dass  der  gauch 
durch  seine  erlebnisse  noch  nicht  von  seiner  krankheit  geheilt  ist.  Er  glaubt  immer 
noch  an  das  gute  herz  jener  buhlerin,  die  ihm  gewiss  aus  seiner  not  helfen  werde. 
Der  kanzler  verspricht  dem  zum  Zunftmeister  ausersehenen,  er  wolle  ihn  freilassen, 
wenn  die  gäuchiu  die  erwartungen  erfülle,  die  er  in  sie  gesetzt  habe.  Damit  ist 
die  Überleitung  gegeben  zu  jenem  zeugenverhör,  in  das  sich  der  gauch  hineinmischt, 
und  das  auf  diese  weise  zu  einem  Zwiegespräch  zwischen  gauch  und  gäuchin  wird. 
Dieser  abschnitt  ist  vielleicht  das  beste  stück  von  Muniers  Satiren  überhaupt,  gewiss 
aber  der  höhepunkt  der  GM  (reinste  ausgestaltung  satirischer  laune). 

Die  gäuchin  bestreitet  natürlich,  jenen  mann  zu  kennen,  obwohl  sie  sich 
3750  ff.  verrät.  Als  der  enttäuschte,  aber  immer  noch  verliebte  gauch  sie  um  ein 
kränzlein  zum  andenken  und  den  zollpfennig  bittet,  schlägt  sie  ihm  das  geld  aus; 
das  kränzlein  will  sie  binden,  wenn  ihr  der  gauch  die  blumen  dazu  bringe.  Damit 
ist  der  gauch  unterlegen;  die  gäuchmatte  hat  ihren  Zunftmeister. 

Dieser  narr  von  Zunftmeister,  den  seine  gäuchin  verschmäht  und  von  sich 
getrieben   hat,   braucht   einen   neuen  gegenständ  seiner  Verehrung.    M.  schafft  ihm 

1)  Quelle:  Hermann  v.  Sachsenheims  spiegel  (Lit.  verein  Stuttgart,  bd.  21 
8.  121  V.  19-25). 


DIE   KOMPOSITION   DER   GEUCHMAT   THOMAS    MURNERS  425 

■diesen  in  den  sieben  bösen  weibern  {'Die  mit  dem  sunfft  meister  alle  sacken  Vff  der 
matten  sollendt  machen  v.  3775  f.).  Diese  sieben  bösen  weiber  sollen  auch  den 
gauchrat,  der  bisher  nur  aus  zwölf  männern,  nämlich  dem  Zunftmeister  und  den 
gäuchen  aus  den  kapiteln  21—31  bestand,  verstärken.  (Denn  worlichen,  der  (jenche 
dandt  Allein  die  nyher  dichtet  handt  8781  f.). 

Nach  dem  einleitenden  kapitel  38  führen  sich  die  sieben  bösen  weiber  in 
jener  weise,  die  wir  bei  der  Vorstellung  des  gauchrats  kennen  gelernt  haben,  selber 
€in  (kap.  39-45). 

Der  2.  teil  der  GM 

Das  kapitel  46  nimmt  ein  motiv  aus  der  SZ  (vorr.  1,  v.  14:  '■und  schreib  der 
Schelmen  nammen  an)  auf:  die  gäuclie  sollen  ihre  namen  und  taten  in  eine  liste 
■eintragen  lassen.  Die  anknüpfung  an  die  artikel  des  5.  kapitels  ist  deutlich  genug: 
Ir  handt  die  artickel  ivol  gehört,  Die  ein  jeder  gouch  hie  schivert,  ivie  sij  üch  sindt 
cor  gelesen.  Ist  yemans  dt/nn  geflissen  gewesen,  Der  selbig  krim  vnd  sag  sich  an. 
Was  er  für  geuchs  dadt  hab  gethan.    Man  setzt  üch  nit  all  vornan  dran  (4066—72). 

Auf  diese  aufforderung  erscheint  in  kapitel  47  der  adelichcst  gouch  vff  erden. 
Er  hat  'Die  geschwornen  artikel'  nicht  nur  erfüllt,  sondern  noch  weit  übertroffen, 
•er  ist  der  Superlativ  eines  gauchs.  In  sieben  kleinen  abschnitten,  die  als  Unter- 
abteilungen des  kapitels  47  erscheinen,  erzählt  teils  der  adelichste  gauch,  teils 
llurner  selber  die  gäuchischsten  taten.  —  Der  abschnitt  Den  gouch  zinsz  richten 
schildert  die  überbietung  dessen,  was  in  artikel  2,  7,  17  und  18  des  5.  kapitels  ge- 
fordert worden  ist.  Zunächst  berichtet  der  adlichste  gauch,  wie  er  sich  von  seiner 
gäuchin  hat  aussaugen  lassen,  und  verlangt  auf  grund  der  erzählten  gäuchereien 
•einen  platz  auf  der  gäuchmatte.  Darauf  erklärt  der  kanzler,  er  wolle  lieber  seinen 
platz  abtreten,  ehe  man  einen  solchen  gauch  ausschlage  (v.  4168  ff.),  gibt  aber  in 
scherzhafter  weise  auf  grund  seiner  juristischen  kenntnisse  einen  rat,  wie  man  den 
zins  ablösen  könne. 

Im  2.  abschnitt  {Den  gouch  nit  lassen  meister  syn)  berichtet  der  Übergauch, 
wie  er  unter  den  pantoffel  seiner  gäuchin  geraten  sei.  Der  artikel  4  des  5.  kapitels 
enthält  den  grundgedanken  dieses  Stückes.  Die  belehrungen,  die  sich  die  weiber 
gegenseitig  geben,  um  ihrer  männer  herr  zu  werden  (v.  4187—4236),  sind  der  Super- 
lativ zu  kapitel  19. 

Der  dritte  abschnitt  ist  überschrieben:  Der  geuch  kouffmanschatz  und  bietet 
■eine  weiterfübruug  des  artikels  5.  Die  v.  4237—78  spricht  der  gauch ;  v.  4279  bis 
4310  müssen  M.  in  den  mund  gelegt  werden. 

In  dem  4.  abschnitt  {Kriegen  von  der  geucJi  wegen)  erzählt  M.  eine  geschichte, 
die  in  drastischer  weise  den  6.  und  11.  artikel  illustriert. 

Die  ersten  vier  verse  des  5.  abschnitts,  der  mit  artikel  9  korrespondiert, 
spricht  der  gauch,  die  übrigen  M.,  der  von  v.  4393  ab  nach  Josephus  ^  einen  terapel- 
skandal  erzählt. 

Die  beiden  letzten  abschnitte  dieses  kapitels  trägt  M.  selbst  vor.  Auf  vier 
einleitende  verse  folgt  ein  stück  prosa  im  tone  der  artikel  des  5.  kapitels.  Daran 
schliessen  sich  wieder  verse,  das  erstemal  40,  das  zweitemal  47.     Es  erscheint  mir 

1)  Vgl.  E.  Fuchs,  Die  herkunft  der  geschichten  und  beispiele  in  Thomas 
Murners  Geuchmat.    Euphorion  24  (1923)  s.  754  nr.  87. 


426  FUCHS 

zweifellos,  dass  M.  diese  abwechslungen  im  Tortrage  gesucht  hat,  um  eine  ermüdende 
eiutönigkeit  zu  vermeiden,  und  weil  er,  wie  in  kapitel  5,  48  und  57  die  äussere 
form  von  gesetzen  und  Verordnungen  nachahmen  wollte.  Nach  GM  6315—20  wäre 
CS  ihm  ein  leichtes  gewesen,  diese  stücke  in  reime  zu  bringen  (Liebenaus  oben 
angeführte  ansieht  ist  deshalb  als  unbegründet  abzulehnen). 

Der  6.  abschnitt  schliesst  an  den  IL,  der  7.  an  den  12.  artikel  an. 

Das  kapitel  48  ist  eine  crgänzung  der  artikel  13-15  des  5.  kapitels  durch 
12  lehren.  M.  sagt  uns  das  selbst:  Es  findt  sich  in  den  geschwortien  artikeln  der 
(/euchmatten,  das  ein  t/eder  gotich  sol  süberlichs  mit  hembderen  vor  den  iryhen  ge- 
zieret  gon.  Disser  artickel  [13]  han  aber  nit  wol  gehalten  werden,  denn  man  die 
hembder  mit  andrer  kleydimg  verdecket;  das  aber  solche  zerte  der  hembder  gesehen 
trerde,  gib  ich  zivelff  leren  vsz  der  geuchmatten. 

An  diese  12  lehren  in  prosa  schliesst  sich  noch  ein  gereimter  abschnitt 
{Guten  glouben  halten)  an,  der  zu  artikel  3  und  5  des  5.  kapitels  in  beziehung  steht. 
Er  ist  gewissermassen  das  pendant  zu  den  12  lehren.  In  diesen  wird  berichtet, 
was  die  doppelgäuche  zu  Murners  zeit  alles  taten,  um  ihren  geliebten  zu  gefallen. 
Der  gereimte  teil  des  kapitels  (v.  4522—71)  warnt  die  männer  davor,  sich  in  die 
botmässigkeit  der  weiber  zu  begeben.  Flucht  ist  das  beste  mittel,  sich  vor  schaden 
zu  bewahren.     Man   hüte   sich   davor,   ihnen  glouben  (d.  h.  vertrauen)  zu  schenken. 

In  kapitel  49  {Rechten  bescheid  H\//sse>i)  sind  die  artikel  1  und  3  des  5.  kapitels 
miteinander  verbunden.  Es  wird  hier  in  überaus  kräftiger  weise  den  gäuchen  ein- 
geschärft, dass  sie  sich  ja  nichts  auf  ihre  kenntnisse  des  weiblichen  herzens  ein- 
bilden mögen.  Als  warnende  beispiele  werden  David  (4608—22),  könig  Xerxes  I. 
(4623-30)  und  Vergil  (4642-54)  angeführt. 

In  ähnlicher  weise  wie  im  ersteu  teile  kapitel  7—18  werden  in  den  kapiteln 
50—54  fünf  weitere  behandlungsarten  des  gauchs  erörtert.  Aber  es  ist  eine  kulti- 
vierendere  und  kultiviertere  behaudlung,  die  den  gäuchen  hier  zu  teil  wird.  In 
kapitel  50  {Den  gouch  leren  esse7i),  das  schon  in  der  Überschrift  eine  Verwandtschaft 
mit  kap.  13  {Den  gouch  etzen)  zeigt,  handelt  es  sich  nicht  mehr  um  das  Avas  des 
essens,  sondern  um  das  wie.  Das  gezierte  tun  beim  essen  wird  verspottet.  In' 
kapitel  53  lernt  der  gauch  von  der  gäuchin  gehen,  im  eigentlichen  und  übertragenen 
sinne.  V.  4820—24  erinnern  an  den  8.  artikel.  Die  kapitel  51  {Ein  gouch  im 
2\feffer  essen),  52  {Eiti  gouch  reuchen)  *  und  54  {Den  gouch  roesten)  ^  sind  zubereituugs- 
arteu  der  feineren  küche.  Kapitel  52  übertreibt  den  21.  artikel  des  5.  kapitels. 
Der  artikel  21  schildert  einen  alten  gauch,  der  sich  seiner  Schandtaten  rühmt,  die 
er  in  der  Jugend  begangen  hat;  jener  alte  buhler,  der  geräuchert  werden  soll, 
sündigt  trotz  seines  alters  noch  weiter. 

Zwar  ist  der  strafen  für  die  gäucherei  und  der  folgen  der  sünden  gegen  das 
sechste  gebot  immer  wieder  in  der  eatire  gedacht  worden.  Aber  M.  will  zum 
schluss  nochmals  eindringlich  warnen.  So  widmet  er  den  zeitlichen  und  ewigen 
strafen  noch  zwei  kapitel.  In  kapitel  45  {Egn  gansz  geben)  werden  die  strafen  der 
männer,  in  kapitel  56  {Frouu-  Venus  berg)  die  der  frauen  besprochen  (v.  5114—18). 
Da  M.,  wie  er  ja  auch  im  titel  sagt,  durch  die  GM  vor  allem  die  männer  bessern 
will,   so   hat  kapitel  56  nur  96  verse,   während  dem  kapitel  55  zum  doppelten  um- 

1)  In  der  Mühle  von  Schwindelsheim  (v.  535—40)  hielt  Miirner  diese  behaud- 
lung der  gäuche  noch  nicht  für  möglich. 


DIE   KOMPOSITION   DER    GEUCHMAT   THOMAS   MURXEKS  427 

fang  nur  zehn  verse  fehlen.  Abgesehen  von  den  vier  vestalinnen,  deren  strafen  M. 
den  klosterfrauen  warnend  vorhält,  sind  im  kapitel  56  absichtlich  (v.  5170  tf.)  weitere 
beispiele  weggelassen. 

Die  beiden  kapitel  55  und  56  forderten  notwendig  das  kapitel  57  (Der  geuch 
frijheit).  M.  hatte  ja  jene  unbelehrbarkeit  der  gäuche  bereits  im  6.  kapitel  v.  667—71 
hervorgehoben,  indem  er  sie  sagen  Hess:  wir  schwören  ^Dass  tvir  vnsz  dran  nit 
wellen  keren,  wo  man  vns  geuchery  wil  weren,  Vnd  wellendt  syn  den  selben  findt,. 
Die  vnsz  zu  straffen  geneigt  sindt.  All  straffen  wein  wir  lassen  ston.  V.  8230  ff. 
sagt  der  dichter  selber:  'Doch  Jiandt  die  geuch  ein  solche  art,  Das  sy  den  mundt 
beschliessen  hart  Vnd  klagent  gott  nit  ire  sünd,  Bisz  das  ich  sy  im  dodt  bett  find, 
Oder  oiich  das  jn  sunst  geschwindt.'  V.  4269  sagt  der  adlichste  gauch:  'Wir  geuch 
wein  vngehunden  syn'  und  v.  2357  ff.  M. :  'Welcher  solchen  argwon  dreyt,  Dem  ist 
der  Cantzler  hie  bereyt,  Die  fryheit  wol  versiglet  gehen,  Das  sy  jn  wyderumb  ntusz 
lieben    Vnd  furdtbasz  nümnier  betrieben. 

Was  lag  näher,  als  dass  der  dichter  der  GM  diese  dickköpfigkeit  der  narren 
am  ende  seiner  satire  nach  Vorhaltung  der  strafen,  die  ihrer  warten,  noch  einmal 
so  recht  lächerlich  machte?  Wenn  man  die  besten  stücke  der  GM  bezeichnen 
will,  so  wird  mau  diese  8  artikel  der  geuch  fryheit  nicht  vergessen  dürfen.  M.s^ 
satirische  laune  leuchtet  noch  einmal  auf. 

In  dem  Beschluss  der  geiichmatten,  der  von  Uhl  in  seiner  ausgäbe  als  58.  kapitel 
gezählt  ist,  haben  wir  ein  ausserordentlich  klar  disponiertes  nachwort  des  dichters 
vor  uns.    Ich  gebe  den  gedankengang  kurz  an: 

I.  Murners  absieht  mit  seiner  GM  (5197—5219). 

II.  Die  weit  will  sich  nicht  tadeln  lassen  (5220—34). 

III.  So  muss  er  denn  den  ernst  seines  tadeis  durch  scherz  mildern  (5235—73)^ 

IV.  Rechtfertigung  seiner  schriftstellertätigkeit  (5274— 5344) : 

a)  Fünfzig  ernste  bücher  mit  geistlichem  Inhalt  hat  M.  verfasst  und  ins 
reine  geschrieben';  aber  sie  werden  nicht  gedruckt,  weil  sie  dem 
geschmack  der  zeit  nicht  entsprechen  (5274—89); 

b)  schreibt  er  aber  nach  dem  geschmack  der  zeit,  so  tadeln  seine  kritiker,^ 
dass   er  nicht  lateinisch    schreibe,   sondern  in    deutschen  reimen.     M^ 
erklärt,   dass   er  seine   deutschen  werke   auch   lateinisch  abfasse.     Da* 
aber    die    drucker   nur   auf   ihren   gewinn  sehen,  so  haben  sie  an  der 
drucklegung  seiner  lateinischen  werke  kein  Interesse  (5290—5314); 

c)  auf  die  äussere  form  seiner  gedichte,  ob  reime  oder  nicht,  komme  es 
wenig  an.     Die  hauptsache  ist,  die  leute  verstehen  ihn  (5315—24); 

d)  allen  kann  es  freilicli  niemand  recht  machen  (5325—44). 

V.  Eigene   bedenken   bezüglich  der  GM  und  deren  abfertigung  (5315—5409): 

a)  Er  fürchtet  neue  kritik,  weil  er  gegen  die  weiber  zu  ungeschminkt 
und  gröber,  als  sich  für  einen  gebildeten  manu  geistlichen  Standes 
zieme,  geschrieben  habe  (5345—50); 

b)  etwaige  angriffe  dieser  art  glaubt  er  durch  den  hinweis  darauf  ab- 
wehren zu  können, 

1.  dass  er  sein  wissen  über  die  weiber  aus  büchern  geschöpft  (5351—54); 

1)  Uhls  bemerkung  zu  v.  5279  gehört  zu  den  'einfallen,  die  die  drucker- 
schwärze  wahrlich  nicht  verdienen'  (Spanier,  Zeitschr.  29  (1897)  s.  419). 


428  FUCHS,   DIE   KOMI'OSITION   DER    GEUCHMAT   THOMAS   MURNERS 

2.  dass  er  das,  was  er  dort  hundertmal  gröber  vorfand,  nach  möglich- 
keit  behobelt  habe  (5355-58); 

3.  einige  Ungezogenheiten  hat  das  eifrige  lesen  weltlicher  bücher  ver- 
schuldet (5359-63); 

4.  diese  belesenheit  hat  aber  der  GM  auch  wieder  genützt;  ihr  ver- 
dankt er  die  grosse  menge  geschichten.  Diese  beweisen  seinen 
fleiss  und  seine  kenntnisse  (5364:— 77); 

5.  er  wisse  freilich  recht  gut,  dass  er  sich  um  Sachen  kümmere  und 
über  zustände  ereifere,  die  ihm  gleichgiltig  sein  könnten  (5378—80) ; 

6.  er  bitte  um  Verzeihung 

a)  jeden  menschen,  den  er  etwa  verletzt  habe  (5381—85); 
ß)  besonders  die  frauen,  wenn  er  über  sie  etwas  ungehöriges  gesagt 
habe.     Er  ziele   aber  nur  auf  die  bösen,  die  nicht  scharf  genug 
gestraft  werden  könnten  (5386—5409). 

VI.  Widmung  des  gedichtes  (5410—19). 

Durch  diese  Inhaltsangabe  glaube  ich  gezeigt  zu  haben,  dass  M.  bei  der  ab- 
fassung  der  GM  einen  bestimmten  plan  im  köpfe  hatte  und  folgerichtig  durchführte. 

Die  Schwierigkeiten,  die  V.  Michels  in  dem  erscheinen  der  päpstin  Johanna 
unter  den  elf  männern  des  gauchrats  findet,  kann  ich  lösen.  Der  zwölfte  mann  im 
gauchrat  ist  der  Zunftmeister.  Die  päpstin,  die  als  Standesperson  in  kapitel  20 
gehörte,  ist  im  gauchrat  zu  den  sieben  bösen  weibern  zu  stellen,  so  dass  sich  die 
zahlen  12  und  8  ergeben.  Warum  M.s  gauchrat  gerade  20  personen  umfasst,  zwölf 
männliche  (David,  Alexander,  Salomo,  Samson,  Adam,  Herodes,  Aeneas,  Eurialus, 
Moses,  Ninus,  Holofemes  und  den  Zunftmeister)  und  acht  weibliche  (die  päpstin 
Johanna  und  die  sieben  bösen  weiber)  erklären  uns  drei  stellen  aus  Augustinus' 
De  civitate  dei.  Dass  M.  dieses  buch  genau  kannte,  beweisen  ausser  gelegentlichen 
Zitaten  in  den  Satiren  besonders  seine  randglossen  zur  BF.  In  De  civ.  dei  7,  2 
heisst  es:  'Als  solche  auserlesene  götter,  denen  Varro  ein  eigenes  buch  ge- 
widmet hat,  preist  er  an  .  .  .  (folgt  die  aufzählung)  .  .  . ;  im  ganzen  zwanzig  götter, 
darunter  zwölf  männliche,  acht  weibliche'.  4,  23,  3  sagt  Augustinus: 
,denn  wer  sollte  es  erträglich  finden,  dass  die  Felicitas  weder  unter  die  dii  consentes, 
(die  zwölf  obersten  götter),  die,  wie  sie  sagen,  den  rat  des  Jupiter  bilden', 
noch  unter  die  sogenannten  dii  selecti  gerechnet  wird  ?'  Mit  bezug  auf  die  dii 
consentes  heisst  es  7,  33:  'die  gleichsam  in  den  götter  rat  auserlesen  wurden'. 
Was  bisher  erklärern  und  kritikern  ^  als  persönliche  laune  oder  gar  flüchtigkeit  M.s 
erschien  und  unverständlich  blieb,  das  wird  aus  dem  zeitgeiste  unschwer  begriffen. 
Auch  für  diesen  punkt  hat  man  also  die  annähme  einer  hastigen,  nachträglichen 
Umgestaltung  der  satire  keineswegs  nötig. 

Dass  die  GM,  wie  sie  uns  heute  vorliegt,  spuren  der  Überarbeitung  zeigt,  ist 
offensichtlich.  Schon  der  v.  3122,  der  in  der  gleichlautenden  stelle  der  MS  fehlt, 
beweist  dies.  Erweiterungen,  die  während  der  korrektur  gedichtet  worden  sind, 
habe  ich   Beitr.  48  (1923)  s.  90-92   nachgewiesen.     Auch  GM  1-63  ist  'ein  zusatz 

1)  GM  3777:  Ich  habs  im  anfang  n-ol  betracht,  Das  ich  zivelff  man  in  gouch- 
radt  macht. 

2)  Uhl  zu  GM  3778;  V.  Michels  s.  53  ff . ;  Th.  v.  Liebenau  s.  86;  Bebermeyer, 
Beitr.  44  (1920)  s.  58. 


ENGLERT,   ÜBERTRAGUNGEN   LAT.    GEDICHTE  TLEIVUNGS  429 

der  Basler  redaction'  und  vielleicht  'im  februar  1519  geschrieben' '.  Dass  die 
späteren  zudichtungen  den  plan  des  gedichtes  stellenweise  verdunkelt  haben  und 
den  Zusammenhang  des  ursprünglichen  textes  stören,  war  eins  der  kriterien  für 
ihre  auf  findung-. 

BEUTEN    O.  S.  EDUARD   FUCHS. 


Übertragungen  bekannter  und  unbekannter  lateinischer  gedichte 
Paul  Flemings 

Obwohl  auf  die  starke  beeinflussung  David  Schirmers  durch  Paul  Fleming 
schon  längst  hingewiesen  wurde,  blieb  es  bisher  unbeachtet,  dass  sich  unter  den 
zwölf  'Madrigalen'  in  Schirmers  Poetischen  rosengepüschen,  Dresden,  Andr,  Löfler, 
]  657,  s.  475  ff.  Verdeutschungen  von  sieben  uns  bekannten  lateinischen  Epigrammen 
Flemings  befinden,  nämlich  1.  An  das  Leiptzigsche  Rosenthal,  s.  475;  2.  Über 
Anemonens  Armband,  s.  477;  3  Über  seine  Verse,  s.  479;  4.  Über  die  abfallenden 
Blätter  s.  479;  5.  Über  die  ertrunckene  Mücke,  s.  480;  6.  über  ein  Hündlein  Perle, 
s.  481;  7.  Der  gemahlte  Cupido,  s.  483. 

Bei  Fleming  lauten  die  titel:  1.  Vcdedicit  Coisu  fltimini  XVI.  Maji  (1638); 
s.  Paul  Flemings  Lateinische  gedichte,  herausgegeben  von  J.  M.  Lappenberg, 
Stuttgart  18t)3  =  Bibl.  d.  lit.  ver.  in  Stuttgart,  bd.  73,  s.  466  (Ep.  11,  29);  2.  Ar- 
millae  Anemones,  ebd.  s.  466  (Ep.  11,  31);  3.  Vinum  an  poetarnm  equns,  ebd.  s.  433 
(Ep.  9,  47);  4.  Super  defluvio  folionim  ex  arboribus,  ebd.  s.  460  (Ep.  11,  11); 
5.  Epitaphmm  Culicis,  alacanthino  vino  perempti,  ebd.  s.  474  (Ep.  12,  11) ;  6.  Fala- 
nidi  .  .  .  feliciter  puerperae,  deliciis  Olearii,  ebd.  s.  473  (Ep.  12,  9) ;  7.  Super  Cupi- 
dinis  effigle,  ebd.  s.  461    (Ep.  11,  12). 

Die  Schirmerschen  Verdeutschungen,  die  der  Übersetzer  nicht  als  solche  kenn- 
zeichnet, sind  fast  durchaus  plump  und  schleppend.  Flickwörter,  ganze  flickverse, 
zerdehnungen  und  Wiederholungen  müssen  vielfach  herhalten  um  reime  zu  gewinnen. 
Im  übrigen  lehnen  sich  die  Übersetzungen  ziemlich  genau  an  den  sinn  und  gedanken- 
gang  der  urtexte  an.  Nur  in  der  ersten  hat  Schirmer  das  original  etwas  umgestaltet. 
Während  in  diesem  Fleming  selbst  vom  Koisu  abschied  nimmt  in  der  hoftnung 
nach  Holstein  zurückzugelangen,  verabschiedet  sich  in  der  Übertragung  Schirmer, 
an  Flemings  stelle  tretend,  von  der  Pleisse  und  dem  auch  von  Fleming  wiederholt 
besungenen  Leipziger  Rosenthal,  um  zu  seiner  geliebten  —  auch  dies  ist  eine  zutat 
des  Übersetzers  —  nach  Dresden  zurückzukehren. 

Für  die  fünf  übrigen  Madrigale  lassen  sich  in  den  uns  überlieferten  latei- 
nischen gedichten  von  Fleming  keine  Vorbilder  nachweisen,  doch  ist  es  höchst  wahr- 
scheinlich, dass  auch  sie  auf  lateinische  epigramme  desselben  dichters  zurückgehen. 
Es  steht  ja  fest,  dass  eine  grosse  anzahl  Flemingscher  gedichte,  lateinischer  sowohl 
wie  deutscher,  verlorengegangen  ist  (vgl.  zu  den  ersteren  Lappenberg  a.  a.  o.  s.  477  ff.), 
und  so  mögen  uns  in  den  genannten  madrigalen  recht  gut  Übertragungen  von  ver- 
schollenen lateinischen  epigrammen  vorliegen.  Dass  Schirmer  manches  ungedruckte 
gedieht  seines  hochgeschätzten  landsmanns  zu  gesiebt  bekommen  mochte,  ist  bei 
seineu   beziehungen    zu    Leipzig   sehr   leicht   denkbar.     Er  bezog  1613  die  dortige 

1)  Bebermej'er,  Beitr.  44  s.  76  und  77  anm.  1. 

2)  Beitr.  48  s.  91. 


430  ENGLERT,    ÜBERTRAGUNGEN   LAT.  GEDICHTE   FLEMINGS 

nniversität  und  fand  bald  eingang  in  die  Leipziger  literarischen  kreise.  Wie  mit 
Tiiuotheus  Kitzsch,  vermutlich  einem  verwandten  des  Leipziger  buchdruckers  Gre- 
gorins  Ritzsch,  der  zwischen  ]G31  und  1633  mehrere  Schriften  von  Fleming  druckte, 
und  der  auch  selbst  dichtete*,  befreundete  er  sich  wohl  auch  mit  anderen  Jugend- 
genossen Flemings  und  dürfte  so  manches  jener  handschriftlichen  gedichte  kennen- 
gelernt haben,  die  Fleming,  ohne  sich  selbst  eine  abschrift  davon  zu  machen,  an 
freunde  verschenkte,  und  die  zum  grossen  teil  nicht  wieder  zum  Vorschein  kamen '-. 
Dass  den  fünf  genannten  Madrigalen  verschollene  gedichte  Flemings  zugrunde 
liegen,  ist  nicht  nur  deshalb  sehr  wahrscheinlich,  weil  sie  mit  den  sieben  anderen, 
nachweislich  auf  Fleming  zurückgehenden,  dieselbe  metrische  form  gemein  haben 
und  mit  diesen  zu  einer  gruppe  vereinigt  sind,  sondern  es  spricht  auch  der  umstand 
dafür,  dass  sie,  von  kleineren  zerdehnungen  und  ähnlichen  mangeln  abgesehen, 
ebensowenig  Avie  die  sieben  anderen  Madrigale  an  der  den  Schirmerschen  dichtungen 
eigenen  breite  und  Weitschweifigkeit  leiden.  Auch  stofflich  passen  sie  recht  wohl 
in  den  rahmen  der  Flemingschen  gedichte.  Die  beiden  Madrigale  'Über  den  Neid' 
s.  482  f.  sind  vielleicht  Flemings  trostgedichten  an  Olearius",  Lat.  gedichte  s.  374, 
Ep,  5,  72  und  73,  anzureihen.  Die  gedichte  'An  die  Elbe'  s.  477  und  'Über  die 
aufmachende  Anemone'  s.  478  handeln  beide  von  einer  geliebten,  die  den  von 
Fleming  seiner  braut  Elsabe  Niehusen  *  beigelegten  namen  'Anemone'  trägt.  In 
ersterem  lässt  Schirmer  freilich  das  mädchen  in  der  Elbe  baden,  was  für  die  in 
Reval  befindliche  Elsabe  nicht  zutreffen  würde,  doch  mag  er  sich  hier  eine  ähnliche 
änderung  der  örtlichkeit  erlaubt  haben  wie  in  dem  gedichte  'An  das  Leiptzigsche 
Rosenthal',  und  dasselbe  mag  auch  bei  dem  madrigal  'An  die  Dryaden.  Als  er 
wieder  vom  Hause  reisete'  s.  476  der  fall  sein,  welches  an  die  uympheu  von  Schirmers 
heimat  gerichtet  ist.  Das  schönste  von  den  fünf  gedichten  ist  das  'Über  die  auf- 
machende Anemone'.  Ich  kann  mir  nicht  denken,  dass  ein  so  reizendes  und  in  so 
knappen  strichen  gezeichnetes  bildchen  eine  selbständige  dichtung  Schirmers  sein 
sollte.    Ich  lasse  hier  einen  abdruck  der  verse  folgen: 

Der  Abend  war  ankommen. 

Ich  hatte  meinen  Weg  bereit  zu  jhr  genommen, 

Zu  Ihr,  zu  meiner  Anemonen. 

Ich  klopfet  an. 

Bald  ward  mir  aufgethan. 

Die  rechte  Hand  trug  Ihr  das  Licht. 

Die  Lincke  deckt  jhr  Angesicht. 

So  balde  ward  das  tiefst  in  meinem  Hertzen 

Verletzt  von  jhren  göldnen  Kertzen. 

Wo  kam  ich  hin?     Sah  ich  denn  in  die  Ferne? 

Das  kan  ich  itzund  nicht  aussprechen. 

1)  Vgl.  Paul  Flemings  Deutsche  gedichte,  I  u.  II,  Stuttgart  1865  =  Bibl.  d. 
lit.  ver.  in  Stuttgart,  bd.  82  und  83,  s.  822  f.  und  704  nr.  17  nebst  den  hier  ange- 
führten Dummern  der  bibliographie. 

2)  Vgl.  die  bei  Lappenberg  abgedruckten  einschlägigen  bemerkungeu  des 
dichters  und  die  titelverzeichnisse  der  von  diesem  vermissten  gedichte  am  Schlüsse 
der  bücher  1-5  und  7-12  der  lateinischen  epigramme. 

3)  Vgl.  über  ihn  ADB  bd.  24,  s.  269  ff.  und  Goedekes  Grundriss,  bd.  3,  s.  64. 

4)  Näheres  über  sie  in  Lappenbergs  ausgäbe  der  Deutschen  gedichte  Faul 
Flemings,  s.  882. 


LEITZMANX,   MATTHISSOMANA  431 

Jedoch  die  mir  das  Licht  getragen, 
Die  war  die  Venus  ohne  Tagen 
Selbselbst  mit  jhrem  Abend-Sterne. 

MC^'CHEN.  ANTON   ENGLERT. 


Matthissoniana 


1. 

Ein  tagebuch  aus  Matthissons  Jugend,  das  er  während  der  Schulzeit  iu 
Kiosterbergen  vom  januar  bis  april  1777  geführt  hat,  hat  Helm  in  den  Neuen 
Heidelberger  Jahrbüchern  10,  81  veröffentlicht  und  mit  den  notwendigsten  erläute- 
rungen  versehen.  Zu  der  sprachlichen  form  dieser  aufzeichnungen  macht  er  (s.  84) 
einige  bemerkungen,  die  mir  nicht  in  allen  punkten  das  richtige  zu  treffen  scheinen. 
Er  hebt  hervor,  dass  Matthisson  'mir'  und  'mich'  verwechselt,  was  bekanntlich  eine 
charakteristische  eigenheit  des  hochdeutschen  solcher  schriftsteiler  ist,  die  ursprüng- 
lich niederdeutsch  gesprochen  haben  und  daher  kein  sicheres  Sprachgefühl  für  eine 
strenge  Unterscheidung  dieser  kasus  mitbringen,  die  es  in  ihrer  angestammten 
mundart  nicht  gibt.  Die  gleiche  eigenheit  bei  dem  dichter  des  Altonaer  Joseph  ist 
ja  bekanntlich,  wie  ich  (Germanisch-romanische  monatsschrift  9,  86)  nachgewiesen 
habe  und  woran  auch  Berendsohns  Widerspruch  (dessen  sprachliche  kompetenz  ich 
eider  genau  so  beurteilen  muss,  wie  es  Behaghel  im  Literaturblatt  für  germanische 
und  romanische  philologie  19'22  s.  368  getan  hat)  nichts  ändern  kann,  einer  der 
unumstösslichen  beweise,  die  seine  Identifizierung  mit  Goethe  unmöglich  machen. 
In  Zusammenhang  mit  dieser  Unsicherheit  der  pronominalen  kasus,  besonders  nach 
Präpositionen,  will  Helm  in  den  kasusdifferenzen  überhaupt  'eine  art  hyperhoch- 
deutsch' des  geborenen  Niedersachsen  sehen  und  führt  dazu  für  die  Magdeburger 
gegeud  beispiele  aus  Firmenichs  Völkerstimmen  an.  Diese  beispiele  sind  richtig, 
wie  ich  als  geborener  Magdeburger  bezeugen  kann,  aber  die  beurteilung  muss  teil- 
weise eine  andere  sein.  In  der  hochdeutschen  Umgangssprache  ist  auf  weite  strecken 
hin  auslautendes  m  zu  n  g'eworden.  Bei  maskulinen  nominalformen  fallen  daher 
dativ  und  akkusativ  in  eine  «-form  zusammen;  beweisend  aber  ist  das  neutrum, 
denn  es  heisst  nun  'in  den  buche'  und  'mit  seinen  kinde'  genau  so  wie  'mit  meinen 
vater'.  In  Sachsen  und  Thüringen  ist  das  eine  allbekannte  erscheinung:  dem  lite- 
raturforscher, der  Lotte  Lengefelds  briefe  liest,  tritt  sie  auf  jeder  seite  mehrfach 
entgegen  (ich  zitiere  aufs  geratewohl  Schiller  und  Lotte  1,  253  'mit  ihren  kinde', 
t'zu  seinen  vorteil';  2,  85  'in  den  käfig'  als  dativ,  'aus  den  anblick',  'in  ihren  sinn' 
als  dativ;  8,  125  'für  den  gedanken'  als  singulardativ).  Dasselbe  gilt  für  die 
Magdeburger  gegend,  und  dementsprechend  schreibt  Matthisson  s.  88  'an  den  gestrigen 
age',  'mit  meinen  fleiss',  'in  allen',  'seit  jenen  schönen  nachmittag' ;  s.  91  'zu  diesen 
wichtigen  vorhaben' ;  s.  92  'unter  seinen  süssen  vaterschutz'  als  dativ ;  s.  104  'zwischen 
guten  und  bösen'  als  singulardativ;  s.  112  'in  diesen  gedanken'  als  singulardativ. 
Es  kumuliert  sich  also  hier  eine  rein  lautliche  erscheinung  mit  dem  nichtvorhanden- 
sein  des  Sprachgefühls  für  die  kasusdifferenz  in  der  gleichen  tendenz  auf  eine  totale 
Unsicherheit  der  Scheidung  von  dativ-  und  akkusativformen  hin.  Von  den  von  Helm 
s.  84  anm.  1  als  rektionsfehler  angeführten  beispielen  sind  ausserdem  die  beiden 
ersten   zu   streichen:    'lass   mir   bald   empfinden'   und   'er  wird  mir  noch  empfinden 


432  LEiTZJrAxx 

lassen'  stehen  auf  einer  gänzlich  andern  linie  als  etwa  'du  kannst  mich  kraft  geben* 
oder  'noch  kleben  mich  meine  vergehungen  an';  auch  'hat  mir  die  tugend  gelelirt' 
ist  etwas  ganz  anderes.  Über  den  dativ  bei  'lassen'  in  Verbindung  mit  andern 
infiuitiven  vgl.  Deutsches  Wörterbuch  6,  232  und  Paul,  Deutsche  grammatik  3,  394, 
über  de»  dativ  bei  'lehren'  Deutsches  Wörterbuch  6,  565.  Soviel  zur  beurteilung 
der  sprachlichen  nachlässigkeiten. 

Was  den  inhalt  des  tagebuchs  angeht,  so  sind  Helm,  der  einige  der  von 
Matthisson  eingeflochtenen  verszitate  mit  gutem  finderglück  bei  Sturm  und  Miller 
aufgestöbert  hat,  zwei  wichtigere  zitate  in  ihrer  eigenschaft  als  solche  entgangen, 
von  denen  das  zweite  besonders  bedeutungsvoll  ist.  In  den  versen  s.  92  ist  'tugend 
nur,  0  hoher  name,  silberton  dem  ohr!'  Klopstocks  ode  'Das  neue  Jahrhundert'  vers  9 
'o  freiheit,  silberton  dem  obre!'  (Oden  1,  1^8  Muncker-Pawel)  abgeborgt.  —  Der 
cintrag  vom  80.  Januar  beginnt  (s.  94) :  'Mitten  im  getümmel  mancher  freuden, 
mancher  angst  und  mancher  herzensnot  entfloh  mir  dieser  tag'.  Hier  zitiert 
Matthisson  fast  wörtlich  den  eiugang  von  Goethes  gedieht  'An  Lottchen' :  'Mitten 
im  getümmel  mancher  freuden,  mancher  sorgen,  mancher  herzensnot',  das  unter 
dem  titel  'Brief  an  Lottchen'  in  Wielands  3Ierkur  vom  januar  177G  an  der  spitze 
des  betreffenden  heftes  erschienen  war.  Im  gleichen  Jahrgang  dieser  monatschrift 
finden  sich  auch  Heinses  Düsseldorfer  gemäldebriefe,  von  deren  begeisternder  lektüre 
Matthisson  in  seiner  Selbstbiographie  erzählt  (Literarischer  nachlass  1,  253). 


Wichtiger  ist  ein  späteres,  umfänglicheres  tagebuch  Matthissons,  schon  weil 
es  auf  grosse  strecken  hin  die  nahezu  wörtliche  quelle  zu  seinen  'erinnerungeu' 
geworden  ist:  nach  einer  auszüglichen  Veröffentlichung  von  Hosaeus  (Mitteilungen 
des  Vereins  für  anhaltische  geschichte  und  laudeskunde  5,  348)  hat  es  erst  Bölsing 
in  seiner  kritischen  gesamtausgabe  von  Matthissons  gedichten  2,  193  vollständig 
abgedruckt.     Auf  diesen  abdruck  beziehen  sich  die  folgenden  bemerkungen. 

S.  201  heisst  es  bei  der  beschreibung  der  jungen  mädchen  in  dem  töchter- 
pensionat  in  Frankenthal  bei  Mannheim:  'I  was  alicaijs  an  admirer  of  happu  human 
faces.'  Der  englische  satz  mitten  in  dem  deutschen  kontext  deutet  ein  zitat  an, 
wie  man  ja  auf  solche  fremden  gasten  abgeborgten  bluten  und  blätter  bei  dem 
zeitlebens  reichlich  zitatlustigen  und  zitatfesten  dichter  mit  oder  ohne  angäbe  der 
Vaterschaft  stets  gefasst  sein  muss.  Der  satz  entstammt  dem  ersten,  selbstschil- 
dernden kapitel  von  Goldsmiths  ''Vicar  of  Wakefield'.  In  den  Schriften  2,  11  (ich 
zitiere  stets  die  ausgäbe  letzter  band,  Zürich  1825—29)  heisst  es  bei  Schilderung 
des  besuchs  in  Frankenthal  in  deutscher  fassung:  'Ich  erkläre  mich  wie  der  gute 
dorfprediger  von  Wakefield  stets  für  einen  grösseren  bewuuderer  von  glücklichen 
raenschengcsichtem  als  von  raren  Schneckenhäusern  und  Schmetterlingen.' 

S.  '203.  Das  trappistenkloster  bei  Düsseldorf  hat  eine  gewisse  literarische 
berühmtheit:  Fritz  Jacobi  pflegte  befreundete  besucher  gern  dorthin  zu  führen,  eine 
gewohnheit,  der  wir  die  expektoration  Forsters  in  den  'ansichten  vom  Niederrhein' 
(Sämtliche  Schriften  3,  40)  und  die  kürzere  erwähnung  im  tagebuch  Wilhelm  von 
Humboldts  (Gesammelte  Schriften  14,  59)  verdanken. 

S.  229.  Matthisson  berichtet  von  seiner  lektüre  am  1.  februar  1788:  'Abends 
den  beschluss  von  Merlans  korrespondenz,  hierauf  den  Liärin'.  Im  namenregister 
bucht  Bölsing  (s.  390)  diesen  Lutrin  wie  eine  persönlichkeit,  gesteht  allerdings  durch 
ein    fragezeichen,    dass    er   diese   nicht   zu    identifizieren   vermag.     Er  durfte  wolil 


MATTHISSONIANA  433 

wissen,  dass  'Le  lutrin'  (das   chorpult)  der  titel  einer  satirischen  dichtung  Boileaus 
ist,  zumal  der  dichter  auch  in  den  Schriften  4,  156  darauf  anspielt. 

Ebenda.  Die  worte  'xä  xaXä  £7ii  -coTj  äya^-oT;',  die  Matthisson  auch  seiner 
'Polydora'  als  motto  vorgesetzt  hat  (Schriften  8,  163),  finden  sich  als  gehet  der 
Lacedämonier  (.  ,  .  xobg  9-eoüs  StSövat  xeXeuovcsg')  in  Piatons  zweitem  Alkibiades 
s.  14:8c.  In  seinen  gedichten  kehren  sie  mit  vorliehe  immer  wieder:  'Gieb  mir  als 
Jüngling  und  als  greis  am  väterlichen  herd,  o  Zeus,  das  schöne  zu  dem  guten' 
opferlied  (1,  137  Bölsing,  den  ich  stets  zitiere);  'Fleh'  um  das  gute  zum  schönen' 
Rousseaus  grotte  hei  Lyon  (1,  214);  'Wo  mit  bundestreue  dem  schönen  sich  das 
gute  fromm  vermählt'  regenteuspiegel  (2,  84);  'Das  gute  zum  schönen  dir  ewig 
und  ewig'  huldigung  der  feen  (2,  164).  Das  'opferlied'  machte,  wie  überhaupt 
Matthissons  gedichte,  nicht  nur  die  weltbekannte  'Adelaide',  einen  so  tiefen  ein- 
druck  auf  Beethoven,  dass  er  es  mehrfach  komponiert  hat,  zum  erstenmal  schon 
1794,  zuletzt  1823,  gedruckt  als  op.  121  h  (vgl.  Nottebohm,  Thematisches  Verzeichnis 
der  im  druck  erschienenen  werke  vou  Ludwig  van  Beethoven  -  s.  116.  178;  Beet- 
hoveniana  s.  5(J;  Thayer-Eiemann,  Ludwig  van  Beethovens  leben  2,  26,  4,  260). 
Nottebohm  sagt  sehr  richtig  (Beethoveniana  s.  51) :  'Es  muss  ihn  dauernd  interessiert 
haben  und  es  scheint  für  ihn  ein  gebet  zu  allen  zeiten  gewesen  zu  sein.'  Speziell 
unsere  worte  'Das  schöne  zu  dem  guten'  hat  er  noch  zweimal  als  kanon  bearbeitet 
(Thayer  4,  467.  5,  2u9).  Beethovens  komposition  seiner  'Adelaide'  erwähnt  Matthis- 
son auch  Schriften  8,  46,  indem  er  sie  eine  'zauberei'  nennt. 

S.  236.  Über  frau  von  der  Luhe  vgl.  jetzt  Humboldts  Gesammelte  Schriften 
14,  229. 

S.  271.  Der  possierliche  Göttinger  hibliothekar,  der  Heyne  so  gelungen  zu 
kopieren  verstand,  hiess  nicht  Dornedder,  sondern  Dornedden  (vgl.  Pütter,  Versuch 
einer  akademischen  gelehrtengeschichte  von  der  Geoig-Augustus-universität  zu 
Göttingen  3,  415). 

3. 

Einen  kommentar  zu  Matthissons  gedichten,  der  vielfach  recht  nötig  ist,  hat 
Bölsing  im  rahmen  seiner  ausgäbe  weder  geben  können  noch  wollen.  Einen  gewissen 
ersatz,  wenigstens  soweit  es  sieh  um  persönlichkeiten  der  geschichte,  sage  und 
mythologie  handelt,  kann  das  ausführliche  register  bieten,  das  er  beigegeben  hat. 
Leider  ist  dieses  aber  recht  lückenhaft:  so  fehlt,  um  nur  einiges  wenige  als  beispiel 
herauszugreifen,  hei  Claude  Lorraiu  1,  140,  bei  Cook  2,  57,  bei  Goldsmith  2,  201, 
bei  Goethe  2,  242,  hei  Herkules  2,  34.  37.  48.  63,  bei  Hölty  1,  229,  bei  Homer  2, 
315,  bei  Horaz  2,  56.  152,  bei  Kant  2,  174,  bei  Knebel  2,  175,  bei  Lavater  1,262, 
bei  Linne  2,  52.  55.  169,  bei  Loreto  1,  242,  hei  Lucian  2,  62,  bei  Johannes  Müller 
1,  264,  bei  Ossian  1,  126,  bei  Petrarca  2,  20i,  bei  Pope  2,  64,  bei  Raffael  2,  48, 
bei  Richardson  2,  57,  bei  Sappho  1,  171,  bei  Schiller  1,  271,  bei  Shakespeare  1, 
277.  2,  47.  284,  bei  Veronese  2,  61,  bei  Wieland  1,  91.  2,  57.  Manche  namen 
fehlen  überhaupt  ganz:  ich  nenne  hier  nur  Ariost  (1,  91.  2,  93),  Böttiger  (2,  14), 
Hoileau  (2,  229),  Colonna  (2,  60),  Gries  (2,  175;  die  lösungen  der  charaden  berück- 
sichtigt das  register  prinzipiell  nicht),*  Griesbach  (2,  175),  Hauy  (2,  272),  Kämpfer 
(2,  51),  Klinger  (2,  51),  Laokoon  (2,  34),  Memnon  (2,  44),  Menander  (2,  195), 
Mendrisio  (2,  7),  Mozart  (2,  64),  Paracelsus  (2,  62),  Pontoppidan  (2,  52),  Pyrrhon 
(2,  63),  Schmolck  (2,  64),  Sisyphus  (2,  51),  Swift  (2,  63),  Weinbrenner  (2,  174). 


434r  LEirZMANiV 

Matthissons  iioten  zu  seinem  gedieht  'Alins  abeateuer'  (2,  47)  enthalten  eine 
menge  literarischer  aaspielungen,  über  die  wie  über  das  ganze  machwerk  August 
Wilhelm  Schlegel  nicht  mit  unrecht  die  schale  seines  Spottes  ausgegossen  hat 
(Sämmtliche  werke  12,  59).  S.  57  werden  zwei  titel  von  romanen  'im  gesegneten 
zeichen  des  Wassermanns'  genannt,  'Die  zwölf  schlafenden  Jungfrauen'  und  'Der 
alte  überall  und  nirgends',  von  denen  der  erstgenannte  auch  in  einem  distichon  des 
Karlsbader  zyklus  (2,  89)  wieder  erwähnt  wird.  Bölsing  hat  sie  nicht  nachgewiesen : 
beide  sind  von  dem  berüchtigten  Christian  Heinrich  Spiess  (vgl.  Goedekes  grundriss  - 
ö,  507).     Ähnlich   wäre   noch  mancherlei  zur  erläuterung  der  gedichte  beizutragen. 

4. 

Im  Goethejahrbuch  28,  173  hat  Daniel  Jacoby  eine  abhandlung  über  'Goethes 
und  Schillers  Verhältnis  zu  Matthisson'  veröffentlicht,  die  die  persönlichen  und 
literarischen  beziehungen  unseres  dichters  zu  den  beiden  Weimarer  klassikern  sowie 
die  urteile  und  Wirkungen  herüber  und  hinüber  so  darstellt,  dass  man  sie  für  ab- 
schliessend halten  könnte.  Sie  gilt  daher  auch  sozusagen  für  kanonisch,  obwohl 
sich  mancherlei  begründete  einwände  dagegen  vorbringen  lassen,  von  denen  ich  heute 
nur  auf  zweie  eingehen  will. 

S.  178  spricht  Jacoby  von  den  zitaten  aus  Goethes  werken  bei  Matthisson 
und  seinen  urteilen  über  solche  und  führt  dann,  wie  er  ausdrücklich  sagt,  'nur 
einige,  aber  aus  verschiedenen  zelten'  wörtlich  an.  Demgegenüber  sagt  Krebs 
(Friedrich  von  Matthisson  s.  180  anm.  1),  Jacoby  habe  'überpeinlich  jedes  zitat  aus 
Goethe  in  Matthissons  werken'  angeführt,  was  wie  ein  schwerer  Vorwurf  klingt. 
Ich  gebe  zur  berichtigung  von  Krebs  im  folgenden  eine  vollständige  liste  derartiger 
anführungen,  wobei  ich  diejenigen,  die  schon  bei  Jacoby  sich  finden,  mit  einem 
Sternchen  auszeichne.     Matthisson  zitiert  von  Goethe: 

Dichtung  und  Wahrheit:  Schriften*  7,  122.  8,  98; 
Erwin  und  Elmire:  Schriften*  5,  361; 

Faust:  Schriften  2,  119.  4,  71.  227.  5,  172.  6,  S02.  7,  359.  8,  19.  *113.  145; 
gedichte  2,  58; 

Gedichte:  An  den  moud:  Literarischer  nachlass  1,  220; 
An  Lottchen:  vgl.  oben  s.  432; 
Der  könig  in  Thule:  Schriften  4,  119; 
Der  Wanderer:  Schriften*  4,  263.  5,  31.  47.  7,  227.  358; 
Harzreise  im  winter:  Schriften*  6,  192; 
Meine  göttin:  Schriften*  2,  9; 
Mignon:  Schriften  2,  6.  7,  321; 
Philomcle:  Schriften*  3,  294; 
Prometheus:  Schriften*  6,  178; 

Venezianische  epigramme:   Schriften  5.  180.  *195.  *C,  31.".  7,  .340; 
Wonne  der  webmut:  Gedichte  2,  212; 
Iphigenie:  Schriften  3,  340  (vgl.  auch  Jacoby  s.  175); 
Künstlers  erdewallen:  Schriften  5,  275; 
St.  Rochusfest  zu  Bingen:  Schriften  8,  57; 
Werthers  leiden :  Schriften  7,  169 ; 
Wilhelm  Meisters  lehrjahre:  Schriften  5,  40; 
Xenien:  Schriften  8,  122. 


MATTHISSOXIANA  435 

Eine  stelle,  die  sowohl  Jacoby  wie  überhaupt  der  literarischen  forschung- 
bisher  entgangen  ist,  obwohl  sie  sehr  grosse  Wichtigkeit  hat,  verdient  noch  ganz 
besondere  hervorhebung ;  in  seiner  excerptensammlung  'Polydora'  hat  Matthisson 
ohne  quellenangabe  folgende  sätze  aufgezeichnet  (Literarischer  nachlass  1,  201): 
'Shakespeare.  Es  sind  keine  gedichte.  Man  glaubt  vor  den  aufgeschlagenen  un- 
geheuren büchern  des  Schicksals  zu  stehen,  in  denen  der  Sturmwind  des  bewegtesten 
lebeiis  saust  und  sie  rasch  hin  und  wieder  blättert'.  Wir  stehen  hier  auf  wohl- 
bekanntem boden:  es  sind  wörtlich  Wilhelm  Meisters  worte  zu  Jarno  in  den  lehr- 
jahren  3,  11  (Werke  20,  309),  die  ohne  änderung  aus  der  Theatralischen  Sendung 
5,  10  (ebenda  52,  160)  übernommen  sind.  Damit  vergleiche  man  nun  eine  andere 
stelle  aus  Matthissons  zur  ostermesse  1795,  also  vor  Goethes  roman  erschienenen 
briefen  (1,  64):  'Shakespeare  ist  geschichte  der  menschheit  in  anschauen  gebracht; 
alle  seine  Szenen  sind  einzelne  wehende  blätter  aus  dem  grossen  buche  der  Vor- 
sehung und  in  diesem  betrachte  ist  alles  an  ihm  merkwürdig.'  Diese  sätze  (die 
Matthisson  übrigens  wörtlich  auch  in  den  Schriften  3,  159  wie  ein  im  eigenen 
garten  erzeugtes  gewächs  innerhalb  eines  rtiseberichts  aufpflanzt)  sind  dem  schluss- 
absatz  jenes  merkwürdigen  fragments  'eines  aufsatzes  über  die  beste  leitung  eines 
jungen  genies  zu  den  schätzen  der  dichtkunst  .  .  .,  welches  ich  der  gute  eines 
freundes  verdanke  und  dessen  Verfasser  Sie  selbst  an  seinem  geiste  und  gepräge  er- 
kennen mögen'  (s.  57),  entnommen.  Ist  dieser  aufsatz,  wie  ich  iu  Übereinstimmung  mit 
Fres-euius  Suphan  Steig  nicht  zweifle  (vgl.  Herders  Sämuitliche  werke  9,  XVII.  544), 
von  Herder,  so  haben  wir  damit  in  diesem  aus  der  zweiten  hälfte  der  siebziger 
jähre  stammenden  aufsatz  die  quelle,  aus  der  Goethe  das  grandiose  gleichnis  von 
den  wehenden  blättern  des  schicksalsbuches  geschöpft  hat.  Das  bild  selbst  hat 
Herder  übrigens  schon  in  den  verschiedenen  fassungen  seines  grossen  älteren  auf- 
satzes über  Shakespeare,  wo  die  entsprechenden  stellen  in  chronologischer  abfolge 
so  lauten:  'Ausgerissene,  wehende  blätter  aus  dem  grossen  buch  der  vorseliung! 
Im  Sturm  d  r  zelten  und  begebenheiten  dahingeworfen,  wehen  sie  daher  und 
schweben  vors  äuge'  (Sämmtliche  werke  5,  239);  'Ausgerissene,  zerrissene  blätter 
aus  d' m  grossen  buch  der  Vorsehung!  Im  stürm  der  zeiten  und  begebenheiten 
wehen  sie  daher,  rücken  vors  äuge  und  verschwinden'  (ebenda);  'Lauter  einzelne, 
im  Sturm  der  zeiten  w-ehende  blätter  aus  dem  buch  der  begebenheiten,  der  Vor- 
sehung, der  weit!'  (ebenda  s.  21-|).  Auch  eine  dieser  älteren  fassungen  könnte 
Goethe  gelesen  haben  und  ihm  daraus  das  gleichnis  haften  geblieben  sein:  mir 
scheint  jedoc'i  die  grössere  Wahrscheinlichkeit  für  jene  späteste  form  als  anknüpfungs- 
punkt  zu  sprechen.  Matthisson  muss  di»^  Verwandtschaft  der  worte  Herders  und 
Goethes  selbst  aufgefallen  sein  und  daraus  erklärt  sich  wohl  am  ehesten  die  auf- 
nähme der  Goetheschen  sätze  in  seine  'Poiydora'. 

5. 

Der  zweite  punkt  in  Jacobys  abhandlung,  der  einer  berichtigenden  besprechut'g 
bedarf,  betrifft  die  gestalt  der  Goe  hesciien  gedichte,  die  Matthisson  seiner  'Lyrischen 
anthologic'  einverleibt  hat.  Er  führt  eine  grosse  zahl  solcher  Varianten  der  antho- 
logie  gegenüber  dem  vulgattext  Goethes  auf,  die  teilweise  allerdings  tief  ein- 
schn.  idende  Veränderungen  darstellen,  und  geht  mit  dem  anthologisten  entsprechend 
scharf  ins  gericht,  dass  er  es  'sich  einfallen  liess',  im  'geiste  des  besserungssüchtigen 
Ramb  r'  auch  vor  eingriffen  in  Goethes  Schöpfungen  nicht  zurückzuschrecken  (s.  179). 
Ich  habe  schon  vor  jähren  gelegentlich  (Euphonon  15,  778  aum.)  darauf  hingewiesen, 
ZEITSCHKIFT  F.  DEUTSCHE  PHILOLOGIE.    BD.  L.  30 


43G  I.EITZMANN 

das8  Jacoby  hier  Matthisson  schweres  unrecht  getan  hat  und  dass  ihm  'leider  das 
missgeschick  begegnet'  ist,  'dass  er  die  ältesten  drucke  jener  gediohte,  die  dem 
anthologisteu  allein  vorlagen,  nicht  nachgesehen  und  so  die  früheren,  sich  dort 
lindenden  Goetheschen  lesarten,  die  in  den  späteren  fassungen  verbessert  sind,  für 
Produkte  Matthissons  gehalten  hat'.  Diese  notiz  ist  aber  leider  ganz  unbeachtet 
geblieben  und  Krebs  hat  Jacobys  veimeintliches  resultat  neuerdings  in  seinem 
buche  über  unsern  dichter  (s.  170)  unbesehen  übernommen  und  teilweise,  worauf 
ich  nachher  komme,  mit  ähnlichem  misserfolge  seine  tendenz  und  methode  auch 
auf  die  Schillerschen  gedichte  der  anthologie  ausgedehnt.  Die  frage  ist  wichtig 
genug,  um  sie  einmal  endgiltig  zu  erledigen  und  die  Verfehlungen  Matthissons  in 
bezug  auf  existenz  oder  nichtexistenz  und  im  ersteren  falle  auf  motive  und  ten- 
denzen  einwandfrei  festzustellen.  Sonderbarerweise  hat  sich  Jacoby  nicht  an  die 
lesarten  der  Weimarischen  ausgäbe,  sondern  an  den  sehr  lückenhaften  varianteu- 
apparat  in  Loepers  letzter  ausgäbe  der  gedichte  gehalten:  da  dieser^aber  z.  b.  die 
textgeschichte  der  venezianischen  epigramme  ganz  unrichtig  darstellt,  indem  er  die 
unterschiede  zwischen  den  Neuen  Schriften,  dem  musenalmauach  und  den  späteren 
Cottaschen  ausgaben  ignoriert  (1,  438),  so  konnte  hieraus  die  fraue  der  quellen 
Matthissons  nicht  gelöst  werden.  Ich  gebrauche  der  kürze  wegen  im  folgenden  die 
siglen  der  Weimarischen  ausgäbe :  5"  ist  der  achte  band  der  Schriften  von  1789 
(Göschen),  N  der  siebente  band  der  Neuen  Schriften  von  1800  (Unger),  J  der  be- 
treffende, den  ersten  druck  enthaltende  musenalmauach.  Es  versteht  sich,  dass  auch 
die  auswahl,  die  Matthisson  unter  Goethes  gedichteu  getroffen  hat,  an  sich  beachtung 
verdient:  man  bemerkt  leicht,  dass  alle  oben  als  quellen  von  zitaten  bei  Matthisson 
nachgewiesenen  gedichte  (mit  einziger  ausnähme  von  'An  Lottchen')  auch  hier 
wiederkehren.  Im  elften  bände  der  anthologie  (Zürich  1805)  finden  sich  zunächst 
20  gedichte  Goethes,  denen  unter  der  Überschrift  'Hesperische  blumen',  die  natürlich 
Matthisson  gehört  (er  liebt  den  namen  Hesperien  für  Italien :  vgl.  Gedichte  2,  386), 
14  von  den  venezianischen  epigrammen  und  G  gedichte  aus  'Antiker  form  sich 
nähernd'  folgen.  Dann  enthält  der  zwanzigste  band  der  Sammlung  (Zürich  1807), 
der  allerhand  nachtrage  zu  früheren  bänden  bringt,  nochmals  10  gedichte  Goethes 
und  das  glaubensbekenntnis  aus  dem  Faust. 

Ich  beginne  mit  den  stücken  des  elften  bandes  (s.  145—244). 

'Die  braut  von  Korinth' :  zugrunde  liegt  N.  Abweichungen :  25  'dass  er  sich 
aufs  bett  gekleidet  legt']  'dass  er  angekleidet  sich  aufs  bette  legt'  K  Die  vier 
ersten  verse  der  Strophe  dieser  beilade  haben  durchgängig  fünf  hebungen  mit  ein- 
ziger ausnähme  unserer  zeile,  wo  dem  dichter,  sicher  ganz  unabsichtlich,  ein  sechs- 
füssler  entschlüpft  ist,  der  auch  bei  allen  späteren  redaktionen  des  textes  unbemerkt 
geblieben  ist.  Matthisson,  der  selber  ein  höchst  korrekter  metriker  war,  hat  hier 
einen  kleinen  makel,  der  ihm  empfindlicher  war  als  dem  Verfasser,  wegzuwischen 
gewagt:  die  beurteilung  dieses  Wagnisses  dürfte  verschieden  ausfallen.  Goethe 
wollte  zwar  die  bekannte  siebenfüssige  bestie  in  'Hermann  und  Dorothea'  als  Wahr- 
zeichen stehen  lassen  (vgl.  Riemer,  Mitteilungen  über  Goethe  2,  586  anm.)  und 
hätte  vielleicht  auch,  wenn  Riemer  oder  Göttling  ihn  auf  unsern  lapsus  aufmerksam 
gemacht  hätten,  was  nicht  geschah,  sich  seiner  neigung  nach  als  latitudiuarier  und 
Verteidiger  der  'grata  neglegentki'  bewährt:  trotzdem  hat  er  die  massenhaften 
falschen  und  holprigen  pentameter  seiner  ältesten  distichischen  gedichte  nicht 
stehen  lassen  wollen.  —  158  'nun]  'nur'  N.     Druckfehler. 

'Meine  göttin':  zugrunde  liegt  &    Abweichung:  7 'seltsamsten']  'seltsamen' Ä 


MATTHISSONIANA  437 

Die  gleiche  lesart  wie  Matthisson  zeigen  seltsamerweise  die  handschrifüichen 
fassungen  und  Jas  Tiefurter  Journal,  die  ihm  nicht  bekannt  gewes-en  sein  können. 
Das  Tiefurter  Journal  lernte  er  erst  1827  durch  den  erbgrossh erzog  Karl  Friedrich 
kennen,  der  für  ihn  eine  abschrift  anfertigen  Hess,  die  in  von  der  Hellens  ausgäbe 
nicht  erwähnt  wird  (vgl.  Schriften  8,  128). 

'Harzreise  im  winter' :  zugrunde  liegt  5.  Abweichungen :  22  'reiher']  'reichen'  S. 
Der  gleiche  druckfehler  kam  dann  auch  in  die  Cottaschen  ausgaben  A  und  B  hinein 
und  rief  Goethes  spottende  abwehr  (Werkeil,  1,  833)  hervor.  — -i 2 'ungenügender'] 
'ung'nügender'  S.  Pedantische  normalisierung.  —  49  'dürstenden']  'durstenden'  S. 
—  81  'ahndende]  'ahnende'  S.  Matthisson  war  'ahnden'  geläufiger,  wie  sich  aus 
vielen  stellen  ergiebt. 

'Prometheus':  zugrunde  liegt  5'.  Abweichungen:  22  'noch  aus  noch  ein']  'wo 
aus  noch  ein'  5".  Druckfehler?  —  43  'mächtige']  'allmächtige'  .S".  Hier  scheint 
rhythmische  glättung  beabsichtigt  zu  sein,  indem  nun  sechs  daktylen  sich  unmittelbar 
hintereinander  ergeben. 

'Amor  ein  landschaftsmaler' :  zugrunde  liegt  S.     Keine  abweichungen. 

'Der  Wanderer':  zugrunde  liegt  .s\  Abweichung:  122  'ackermann']  'ackers- 
mann'  S.  Individuelle  änderung  nach  Matthissons  Sprachgebrauch,  kaum  druck- 
fehler.    Auch  bei  Goethe  konkurrieren  sonst  beide  formen  (vgl.  Werke  2,  324). 

'Alexis  und  Dora':  zugrunde  liegt  X.  Abweichung:  92  'umschwang']  'um- 
schlang' N.     Druckfehler. 

'Amjntas':  zugrunde  liegt  N.  Abvveichungeu :  32  'saugt  sie  die']  'sauget  die'  ^V. 
Matthisson  führt  strengen  parallelismus  des  satzbaus  ein.  —  40  'sterbende']  'stre- 
bende' iV.     Druckfehler. 

'Der  gott  und  die  bajadere':  zugrunde  liegt  N.  Abweichung:  34  'fodert'] 
'fordert'  K.  Da  sonst  Matthisson  die  altertümliche  form  durch  die  modernere  zu 
ersetzen  pflegt,  dürfte  hier  ein  druckfehler  vorliegen. 

'Der  Zauberlehrling' :  zugrunde  liegt  N.     Keine  abweichungen. 

'Das  blümlein  wunderschön':  zugrunde  liegt  JSf.  abweichung:  82  'auch  fast 
das  herz  mir']  'mir  fast  das  herze'  X.  Jacoby  nennt  (s.  181))  die  änderung  'gegen 
sinn  und  Wohlklang  frevelnd':  das  geht  entschieden  zu  weit,  denn  der  sinn  bleibt 
unberührt  und  der  Wohlklang  ist  undiskutabel.  Matthisson  wollte  die  altertümliche 
substantivform  'herze'  beseitigen. 

'An  die  erwählte':  zugrunde  liegt  X.  abweichung:  12  'den']  'dem'  X. 
Druckfehler  ? 

'Jagers  abendlied':  zugrunde  liegt  5.  Keine  abweichungen.  Was  Jacoby 
(s.  180)  als  solche  aus  vers  6  anführt,  steht  wörtlich  in  S;  der  vulgattext  trat  erst 
in  A  ein,  das  nach  der  anthologie  erschien ;  auch  Loeper  verzeichnet  die  betreffende 
Variante, 

'An  den  mond':  zugrunde  liegt  S.    Keine  abweichungen. 

'An  Lyda' :  zugrunde  liegt  .S^.  Keine  abweichungen  ausser  der  namensform 
des  titeis  (bei  Goethe  'Lida'). 

'Gesang  der  geister  über  den  wassern':  zugrunde  liegt  S.  Abweichnng:  35 
'winde']  'wind'  S.     Druckfehler? 

'Grenzen  der  menschheit':  zugrunde   liegt   S.     Keine  abweichungen. 

'Das  göttliche':  zugrunde  liegt  S.  Abweichungen:  9  'ahnden']  'ahnen'  S 
60  'geahndeten']  'geahneten'  .S'.     Vgl.  oben  zur  'Harzreise  im  winter'. 

30* 


438  LEITZMANN 

'Seefahrt':  zugrunde  liegt  S.    Keine  abweichungen. 

'Die  erste  Walpurgisnacht':  zugrunde  liegt  N.  abweichung:  38  'schichtet'] 
'sclilichtet'  N.  Wie  Matthisson  liest  auch  der  vulgattext  seit  B,  während  noch  A 
die  lesart  von  N  hat:  Düntzer  erklärt  jene  (Zeitschr.  23,  296)  für  einen  druckfehler, 
schwerlich  mit  recht.  Es  liegt  hier  eine  Verschiedenheit  des  ober-  und  nieder- 
deutschen Sprachgebrauchs  vor  (vgl.  Deutsches  Wörterbuch  8,  2640.  9  670).  Goethe 
hat  auch  sonst  stets  'schichten'  in  diesem  sinne  und  Matthisson  hat  eine  richtige 
konjektur  angebracht. 

'Hesperische  blumen'.  Unter  diesem  Sammeltitel  vereinigt  Matthisson  folgende 
gedichte,  die  er  mit  laufenden  nummern  versehen  hat:  1  =  Venzeianische  epigramme 
2,  2  -  5,  3  =  8,  4  =  11,  5-7  =  13-15,  8  =  2(>,  9  =  21,  10  =  56,  11  =  81,  12  =  82, 
13  =  96,  14  =  '.Anakreons  grab',  15  =  'Zeitmass',  16  =  'Warnung',  17  =  'Einsamkeit', 
18  =  'Philomele',  19  =  'Süsse  sorgen',  20  =  Venezianische  epigramme  1.  Zugrunde 
liegt  für  die  epigramme  N,  für  die  andern  distichischen  gedichte  S. 

Die  venezianischen  epigramme  fasse  ich  zusammen.  Matthisson  folgt  genau 
wörtlich  dem  text  von  N  mit  folgenden  ausnahmen:  '20  6  'Überall  schnurrt  er'] 
'schnurrt  übeiall'  N  und  56,  4  'Wer  den  probierstein  nicht  hat']  'Wem  der  probier- 
stein  fehlt'  N  folgen  ausnahmsweise  dort  lesarten  von  J,  d.  h.  dem  almanach  von 
1796.  Sechs  änderungen  sind  eigenmächtig:  8,  3  'Also  schwanken  und  schweben 
wir  zwischen  der  wieg'  und  dem  sarge']  'Recht  so!  zwischen  der  wieg'  und  dem 
sarg  wir  schwanken  und  schweben'  N  ('der  schulmässigen  korrektheit  zu  liebe'  sagt 
Jacoby  s.  180  richtig);  1^^,  1  'duftenden']  'sprossenden'  N;  21,  2  'vollbracht']  'getan'  N; 
96.  6  'mich  heim']  'zurück'  N  (Matthisson  vermisste  nicht  ganz  grundlos  eine  er- 
wähnung  des  dichterischen  Subjekts);  1,  1  'Grieche']  'beide'  N;  1,  3  'ziegenfüssige 
satyr']  'ziegengefüssete  pausback'  N  (hier  war  der  absonderliche  ausdruck  der  stein 
des  anstosses).  Ich  bemerke  ausdrücklich,  dass  sich  alle  andern  lesungen  Matthissons, 
die  Jacoby  anführt   (5,  1.  8,  4.  13,  4.  21,  5.  81,  1.  82,  1.  3),  genau  mit  N  decken. 

Auch  die  verse  'Antiker  form  sich  nähernd'  will  ich  zusammenfassen.  'Ana- 
kreons  grab':  1  'rosen  hier  blühn']  'rose  hier  blüht'  S  (Matthisson  uniformiert  den 
numerus  der  sätze,  was  Jacoby  nicht  hervorhebt);  4  'schon'  ist  kein  druckfehler 
für  'schön'  (vgl.  die  Varianten  der  Weimarischen  ausgäbe).  —  'Zeitmass':  die  beiden 
erflten  verse,  die  Jacoby  s.  181  'verstümpert'  nennt,  sind  wörtlich  S  entsprechend; 
4  'grausam  ^die  zweite  mit  eil']  'eilig  die  zweite  herab'  S  (Jacoby  ergänzt  falsch 
'stunde'  statt  'sanduhr').  —  'Warnung':  1  'wecke  den  Amor  nicht  auf]  'wecke  nicht 
den  Amor'  S  (dem  mangelhaften  rhythmus  der  ersten  hexameterhälfte  haben  Mat- 
thisson und  später  Goethe  selbst  auf  die  gleiche  weise  abgeholfen ;  läge  die  besse- 
rung  nicht  so  nahe,  könnte  man  denken,  Goethe  sei  Matthissons  anthologie  dafür 
verpflichtet);  der  dritte  vers,  den  Jacoby  beanstandet,  stimmt  genau  zu  S.  ~  Die 
gedichte  'Einsamkeit'  und  'Philomele'  geben  wörtlich  die  texte  von  S  und  Jacobys 
angriff  auf  Matthisson  wegen  des  letzteren,  das  er  sonst  so  rühme  und  hier  ver- 
schlimmbessere, ist  unberechtigt.  —  'Süsse  sorgen':  2  'lässt  ja']  'lasset'  5  (Matthisson 
beseitigt  die  altertümliche  verbalform). 

Ich  gehe  über  zu  den  gedichten  des  zwanzigsten  bandes  (s.  177—202). 

'Stanzen'  (=  'Zueignung'):  zugrunde  liegt  S.  Abweichungen:  23  'ward'] 
'war'  Ä  —  31  'schönres']  'schöner'  S.  —  75  'nicht']  'mich'  S.  Druckfehler.  — 
87  'nun']  'nur'  S.  Druckfehler.  —  92  'längst']  'lang"  S.  Matthisson  nahm  anstoss 
an  der  einsilbigeu  adverbialform,  da  ihm  als  Norddeutschen  die  zweisilbige  geläufig 
war.  —  97  'wenn  dich,  wenn  deine  freunde  dumpf  die  schwüle  des  mittags  drückt'] 


MATTHISSONIANA  439 

'und  wenn  es  dir  und  deinen  freunden  schwüle  am  mittag  wird'  S.  Auch  hier  liegt 
das  motiv  der  änderung  im  reinsprachlichen,  in  der  zweisilbigen  adjektivform,  die 
Matthisson  zu  vulgär  klang. 

'Wonne  der  webmut' :  zugrunde  liegt  S.    Keine  abweichungen. 

'Wanderers  nachtlied':  zugrunde  liegt  S.  Abweichungen:  2  'kummer,  leid'] 
'alles  leid'  5".  Matthisson  nahm  hier  anstoss  an  dem  zeugma,  dem  ja  eine  gewisse 
härte  innewohnt.  —  5  'umtriebs']  'treibens'  S.  —  iy  'banger  schmerzen,  wilder  lust'] 
'was  soll  all  der  schmerz  und  lust?'  S.  Hier  gilt  das  gleiche  wie  beim  zweiten 
verse.  An  keinem  beispiel  kann  man  klarer  den  unterschied  von  genialer  sprach- 
gewalt  und  korrekter  mittelmässigkeit  sehen. 

'Gott'  (=  Faust  3432—3458) :  zugrunde  liegt  S.  Abweichungen ;  3445  'hier 
auf]  'herauf'  S.  —  3457  'nam']  'name'  5.      Der  hiatus  wird  beseitigt. 

'Mahomets  gesang':  zugrunde  liegt  S.  Abweichungen:  8  'jiinglingsfrisch'] 
'jünglingfrisch'  S.  —  39  'unsrer']  'unser'  S.  —  51  'geschlecht']  'geschlechte'  S.  Be- 
seitigung der  altertümlichen  substantivform. 

'Erlkönig':  zugrunde  liegt  S  oder  X.  Abweichung:  2  'ein']  'der'  SN.  Hier 
muss  man  Jacobys  zensur  'töricht'  (s.  182)  unterschreiben. 

'Der  fischer' :  zugrunde  liegt  S  oder  N.     Keine  abweichungen. 

'Das  Veilchen':  zugrunde  liegt  S  oder  ^".  Abweichung:  18  'sinkt  und  stirbt'] 
'sank  und  starb'  5'X  iMatthisson  uniformiert  wieder  die  tempora  des  satzes,  da  er 
damit  die  synkope  des  präteritalen  'freut'  zugleich  beseitigt. 

'Der  Sänger':  zugrunde  liegt  X.  Abweichung:  9  'mir']  'ihr'  X.  Auch  hier 
uniformiert  Matthisson  den  tenor  der  beiden  sätze.  Den  Wortlaut  von  vers  19,  den 
Jacoby  Matthisson  zuschiebt,  hat  dieser  genau  aus  j\"  entnommen. 

'Der  könig  in  Tule' :  zugrunde  liegt  X.  Abweichung:  15  'im  hohen']  'auf 
hohem'  X.  Den  besserer  leitet  die  etwas  pedantische  erwägung,  dass  man  nicht 
auf,  sondern  im  saale  sitzt. 

'Legende':  zugrunde  liegt  J,  d.  h.  der  almanach  von  1798.    Keine  abweichungen. 

Zusammenfassend  darf  man  von  diesen  eingriffen  Matthissons  in  die  originalen 
Goetheschen  texte,  soweit  solche  überhaupt  nach  abzug  der  von  Jacoby  irrtümlicher- 
weise beanstandeten  stellen  wirklich  zu  konstatieren  sind,  folgendes  sagen.  Sie 
haben  eine  klar  erkennbare  und  ziemlich  konsequent  durchgeführte  tendenz:  sie 
bestreben  sich,  kleine  metrische  Inkorrektheiten  und  sprachliche  absonderlichkeiten, 
besonders  ungebräuchlich  gewordene  altertümlichkeiteo  und  inkonzinnitäten  des 
satzbaus,  der  Wortfolge,  der  tempora  uniformierend,  glättend,  modernisierend  zu 
beseitigen.  Von  seinem  individuellen  Standpunkt  aus,  von  dem  er  sprachliche  und 
metrische  korrektheit  und  gleichschwebende  normalität  der  rede  höher  schätzte  als 
genialen,  subjektiven,  leidenschaftlichen  Überschwang  und  idiotismus,  glaubte  Mat- 
thisson sicherlich  durch  seine  vorsichtigen  änderungen  ein  verdienstliches  Averk  an 
Goethes  versen  getan  zu  haben.  Sein  vorgehen  war  kein  sakrileg,  wie  wir  heute 
wohl  gern  geneigt  sind  es  aufzufassen:  er  ordnete  vielmehr  die  individuelle  Schöpfung 
des  einzelneu,  auch  bedeutendsten  dichters,  wie  Ramler,  Voss  und  andere  literarische 
führer  des  Jahrhunderts  der  aufklärung,  einem  allgemeinen,  für  alle  als  norm  giltigen 
dichtungsideal  unter  und  glaubte,  dass  zur  erreichung  dieses  für  alle  bindenden 
Ideals  bei  momentanem  subjektivem  irren  oder  Unvermögen  ein  sänger  dem  andern 
zur  hilfe  eilen  dürfe  und  solle.  Goethe  selbst  spricht  (Werke  42,  2,  421)  von  der 
'freilich  mit  beschränktem  geiste  und  verengtem  herzen  redigierten  lyrischen  Samm- 
lung' Matthissons. 


440  I.EITZMANN 

6. 

Ich  schliesse  die  gleiche  Untersuchung  für  Schillers  in  die  'Lyrische  antho- 
logie'  von  Matthisson  aufgenommene  gedichte  an.  Wenn  wir  auch  hier  wieder 
aus  den  zitaten  und  erwähnungen  auf  die  lieblinge  des  anthologisten  unter  den 
Schöpfungen  Schillers  schliessen  wollen,  so  stellt  sich  uns  das  material  bei  weitem 
geringer  an  umfang  dar  als  bei  Goethe.  Es  finden  sich  nur  folgende  zitate: 
Braut  von  Messina:  Schriften  2,  207.  8,  179; 
Gedichte:  An  die  freude;  Schriften  7,  166.  8,  34,  105; 

Das  reich  der  formen:  Schriften  5,  253.  8,  160; 
Der  taucher:  Schriften  5,  116; 
Die  götter  Griechenlands:  Schriften  5.  268; 
Die  kraniche  des  Ibykus:  Schriften  5,  327; 
Kassandra:  Schriften  8,  232; 
Geisterseher:  Schriften  5,  180; 
Wilhelm  Teil:  Schriften  7,  174.  265. 

Der  unmittelbar  nach  Schillers  tode  (Zürich  18Ü5)  erschienene  14.  band  der 
Anthologie  enthält  (s.  3—156)  21  gedichte  Schillers.  Den  texten  liegt  durchweg 
die  bei  Crusius,  Leipzig  1800—3  erschienene  Originalausgabe  zugrunde,  die  ich  im 
folgenden  mit  G  bezeichne.  Von  abweichungen,  unter  denen  die  mit  einem  Sternchen 
bezeichneten  schon  von  Krebs  (s.  170)  zusammengestellt  worden  sind,  finden  sich 
folgende : 

'Klage  der  Ceres':  70  'färbe']  'färben'  G.     Druckfehler? 

'Die  ideale':   keine  abweichungen. 

'Der  Spaziergang' :  15  'biene']  'bien'  G.  Sprachliche  und  metrische  glättung. 
-  16  'rötlichen']  'rötlichten'  G.  -  *25  'laubiges']  'laubigtes'  G.  -  32  'grünlichen'] 
'grünlichten'  G.  -  46  'flüsse']  'flösse'  G.  Druckfehler.  -  *50  'jäh']  'gäh'  G.  - 
58  'tagwerk'J  'tagewerk'  G.  Druckfehler?  -  *68  'felsigen']  'felsigten'  (?.  -  *78  'ge- 
heiligter staub']  'verehrtes  gebein'  G.  Hier  wirkt  wohl  subjektives  Sprachgefühl 
Matthissons,  das  ihm  das  wort  'gebein'  unedel  und  unpoetisch  erscheinen  Hess:  das 
kann  zuweilen,  wie  bei  Hebbels  bekannter  abneigung  gegen  das  wort  'rippe',  sich 
bis  zur  Idiosynkrasie  steigern.  —  *102  'bläuliche']  'bläulichte'  G.  —  *108  'nervigen'] 
'nervigten'  G.  —  *175  'blieb']  'bleibt'  G.     Pedantische  änderung. 

'Ritter  Toggenburg':  *3  'fordert  niemals  andre  triebe']  'fordert  keine  andre 
liebe'  G.  Der  rührende  reim  schien  Matthisson  ein  bässlicher  flecken.  —  *  54  'zum 
abendschein']  'zu  abends  schein'  G.  Hier  störte  ihn  der  ungewöhnliche,  vom  nor- 
malen stark  abweichende  ausdruck. 

'Das  eleusische  fest' :  108  'ernstem']  'erstem'  G.  Druckfehler.  —  109  'blutigen'] 
'blutige'  G.  Wohl  gleichfalls  Druckfehler.  -  118  'grenzen']  'grenze'  G.  -  124  'erz'] 
'erzt'  G.     Beseitigung  eines  archaismus  (vgl.  Deutsches  Wörterbuch  3,  1100). 

'Die  kraniche  des  Ibykus' :  *  16  'graulichem']  'graulichtem'  G.  -  *  87  'weiten 
...geschweiften']  'weiter  ...  geschweiftem'  G.  Druckfehler?  -  *  95  'horchten'] 
'horchen'  G.    Uniformierung  der  tempora.  —  *159  'schwärzlichem']  'schwärzlichtem'  G. 

'Die.erwartung':  8  'macht']  'nacht'  G.     Druckfehler. 

'Das  reich  der  formen' :  keine  abweichungen.  Wenn  Krebs  (s.  173)  in  vers  112 
Matthisson  die  änderung  von  'Laokoon'  in  'dort  Priams  söhn'  zuschiebt,  so  konnte 
ihm,  der  allerdings  nur  den  Hesseschen  text  von  Schillers  gedichten  zitiert  und 
sich  wohl  nicht  weiter   umgesehen  hat,  ein  flüchtiger  blick  in  Goedekes  Varianten- 


MATTHISSOXIANA  441 

appärat  (11,  59)  zeigen,  dass  der  dichter  selbst  die  letztere  lesart  der  horenfassung, 
trotzdem  er  sie  auf  Humboldts  mahnung  (briefwechsel  ^  s.  185)  in  einem  späteren 
hefte  verbessert  hatte,  doch  wieder  in  G  aufgenommen  hat,  woher  sie  Matthisson 
unbedenklich  entnahm. 

'Kassandra':  *  38  'ahndiingsvollen']  'ahnungsvollen' 6'. 

'Die  götter  Griechenlands':  *1  'regiertet']  'regieret'  G.  Matthisson  folgt  hier 
und  in  der  reimenden  zeile  'der  Satzkorrektheit  zuliebe'  (Krebs  s.  173),  die  tempora 
uniformierend,  der  älteren,  gleichfalls  in  G  'für  die  freunde  der  ersten  ausgäbe' 
wieder  abgedruckten  urfassung.  —  *  8  'sanft  noch  führtet']  'noch  geführet'  G.  — 
28  'Philomelens']  'Philomelas'  G.  Auch  hier  geht  Matthissons  mit  der  urfassung. 
-  80  'Waffen']  'pfeile'  G.  Der  gleiche  fall.  -  *  96  'bleibt']  'blieb'  G.  Wieder  uni- 
iormierung  der  tempora. 

'Der  tanz':  keine  abweichungen.  Wenn  Krebs  (s.  172)  in  vers  10  Matthisson 
eine  änderung  von  'mutiges'  in  'holdes'  aufbürdet,  so  übersieht  er  auch  hier  wieder, 
■gestützt  auf  den  Hesseschen  text,  die  textgeschichte  nicht:  Goedekes  Varianten 
(11,  41)  lehren,  dass  G,  Matthissons  direkte  vorläge,  'holdes'  hat  und  dass  der 
•dichter  erst  in  der  zweiten  aufläge  der  'Gedichte'  die  besserung  'mutiges'  ein- 
geführt hat. 

'Das  lied  von  der  glocke' :  45  'vom']  'von'  G.  Druckfehler.  —  *  53.  34  fehlen 
bei  Matthisson,  wofür  ich  kein  motiv  anzugeben  wüsste  ausser  dem  unreinen,  für 
den  Norddeutschen  Matthisson,  der  gewöhnt  war,  intervokalisches  s  mit  stimmtou 
zu  sprechen,  sehr  empfindlichen  und  störenden  reim  'zeitenschosse :  lose'  (vgl.  über 
ähnliche  differenzen  zwischen  ober-  und  niederdeutschem  reimgefühl  Wieland,  Aus- 
gewählte briefe  2,  339.  3,  33;  Böttiger,  Literarische  zustände  und  Zeitgenossen  1,  252; 
Planer  und  Eeissmann,  Johann  Gottfried  Seume  s.  273.  391;  Matthisson,  Literarischer 
nachlass  3,  63).  Da  sich  eine  oberflächliche  und  den  sinn  nicht  berührende  besserung 
des  reimes  nicht  ermöglichen  Hess,  wie  sie  Matthisson  in  zwei  andern,  nachher 
aufzuführenden  fällen  gelang,  wagte  er  es  eher,  zwei  weltbekannte,  sprichwörtlich 
gewordene  zeileu  aus  Schillers  populärstem  gedichte  wegzustreichen  als  sie  gegen 
sein  ideal  metrischer  korrektheit  stehen  zu  lassen :  so  sehr  gieng  ihm  sein  ideal 
über  die  ehrfurcht  vor  dem  dichterwort.  «Krebs  (s.  173)  hat  die  genesis  dieser 
Streichung  ni(jht  geahnt.  —  *78  'grünend']  'grünen'  G,  Pedantische  korrektur.  — 
*130  'schneeigen']  'schneeigten'  G.  —  272  ist  'pursch'  nicht  änderung  Matthissons, 
wie  Krebs  (s.  171)  meint,  sondern  'bursch'  modernisierung  bei  Hesse.  —  *  276  'heimats- 
hütte']  'heimathütte'  G.  —  *374  'leun']  'leu'  G.  Der  akkusativ  bekommt  die  ihm 
zustehende  kasusendung.  —  385  'schlägt']  'schält'  G.    Druckfehler. 

'Pompeji  und  Herkulanura':  *22  'schaudrige']  'schaudrigte'  G. 

'Resignation':  *75  'fordre']  'fodre'  G. 

'Hero  und  Leander':  *94  'schwärzlich']  'schwärzlicht'  G.  -  96  'Thetis'] 
'Thetys'  G.  Hier  glaubte  der  anthologist  bessere  kenntnis  der  griechischen  mytho- 
logie  zu  haben  als  Schiller:  aber  bekanntlich  ist  die  sache  sehr  zweifelhaft.  — 
*  214  'grausen :  bei  sturmwindsbrausen']  'öden :  in  sturmesnöten'  G.  Der  unreine 
reim  von  stimmhaftem  verschlusslaut  auf  stimmlose  aspirata  war  Matthisson  un- 
erträglich. —  *225  'spiegelglätte']  'spiegelsgiätte'  G. 

'Die  vier  weltalter':  17  'kein  hüttchen']  'keine  hütte'  G.  Der  daktylus  wird 
beseitigt.  —  23  'vom']  'des'  G.  So  wird  der  endungslose  genetiv  'des  all'  als  in- 
korrekt vermieden. 


442  LEITZMANN,   MATTHI8S0NIANA 

•An  die  freunde' :  *  1  'wohl,  ihr  freunde,  gab  es']  'liehen  freunde,  es  gab'  G. 
Der  altertümliche  und  seltene  gebrauch  der  schwachen  vokativform  des  adjektivs 
o'ab  den  anstoss.  —  "^32  'Tiber  borden']  'engelspforten'  G.  So  verschwindet  der 
für  Matthissoa  unerträgliche  reim  'norden:  engelspforten'. 

'Würde  der  frauen':  keine  Veränderungen. 

'An  die  freiide' :  *4:7  'lauft,  o']  'laufet'  G.  -  ♦  61-72  fehlen  bei  Matthisson. 
Den  gruud  dürften  auch  hier  Schillers  unreine  reime  'vergelten :  melden'  und  'sein : 
erfreun'  gebildet  haben,  die  nicht  leicht  zu  ersetzen  waren :  daher  musste  die  ganze 
zwölfzeilige  atrophe  unter  den  tisch  fallen.  Krebs  (s.  173)  hat  wieder  das  motiv 
der  Streichung  nicht  geahnt. 

'Der  handschuh':  in  vers  43  soll  nach  Krebs  (s.  172)  Matthisson  'lagern'  in 
'lagern  sich'  geändert  haben,  aber  alle  texte  haben  'lagern  sich'  und  Hesses  text^ 
auf  den  er  sich  beruft,  steht  ganz  allein  und  ohne  quellengewähr.  -  *65  'der  ritter 
sich  tief  verbeugend  spricht']  *er  wirft  ihr  den  handschuh  ins  gesiebt'  G.  Matthisson 
folgt  hier  der  lesart  des  almanachs  von  1798.  Seiner  quelle  Saint-Foix  folgend 
(vgl.  meine  Quellen  von  Schillers  und  Goethes  bailaden  s.  6).  hatte  Schiller  zuerst 
die  derbere  lesart  in  seinem  text,  die  er  aber  dann  auf  frau  von  Steins  Vorhaltung 
hin  durch  die  höfischere  ersetzte  (vgl.  Schillers  briefe  5,  221.  275;  briefwechsel 
zwischen  Schiller  und  Körner  4,  56).  So  erschien  der  vers  im  almanach;  in  G 
kehrte  er  aber  doch  zu  seiner  ursprünglichen  lesart  zurück.  Matthissons  freund, 
August  von  Rode,  der  den  Sachverhalt  nicht  kannte,  schrieb  die  Verbesserung  diesem 
zu  und  schrieb  ihm  am  31.  dezember  1805  (Literarischer  nachlass  2,  248):  'Eine 
herrliche  Veränderung  haben  Sie  in  Schillers  'Handschuh'  angebracht  ...  die  Ver- 
änderung ist  Ihres  Zartgefühls  würdig  und  Schiller  muss  Ihnen  dafür  selbst  im 
Elysium  dankbar  sein'. 

'Die  künstler':  119  'im  harmon'schen']  'in  harmon'schem'  G.  —  204  'zu']  'zur'  G. 
—  *332  'uns  lust  und  anmut  strahlen']  'mit  anmut  uns  bedienen'  G.  Krebs  (s.  173) 
nennt  diese  änderung  'nicht  ungeschickt':  einen  zwingenden  grund  dazu  sehe  ich 
allerdings  nicht.  —  333  'entzückt :  schmückt']  'entzücket :  schmücket'  G.  —  346  'schauer- 
volles'] 'schauervollen'  G.  —  415  'weichern']  'reichern'  G.  Druckfehler.  —  425  'im 
verborgnen']  'in  verborgnem'  G. 

Aus  welchen  tendenzen  Matthissons  änderungen  sich  ihm  fast  zwangsläufig 
ergaben,  ist  bei  den  einzelnen  stellen  erörtert  worden :  im  allgemeinen  wäre  zu 
wiederholen,  was  ich  oben  bei  gelegenheit  Goethes  ausgeführt  habe.  Wenn  Krebs 
(8.  170)  meint,  die  änderungen  seien  bei  Schiller  'nicht  so  tiefgreifend  und  be- 
deutend' als  bei  Goethe,  so  ist  das  nicht  richtig,  weil  Krebs  sich  kritiklos  an  Jacoby 
angelehnt  hat.  Matthisson  behandelt  vielmehr  Schiller  noch  strenger  als  Goethe : 
das  ergibt  sich  vor  allem  aus  den  mehreren  eingriffen  in  den  versbestand  und  in 
die  reime.  Bei  Schiller  merzt  Matthisson  den  für  ihn  unreinen  reim  von  stimm- 
haftem auf  stimmloses  s  aus,  in  Goethes  'Zueignung'  vers  9  lässt  er  die  gleiche 
bindung  unangetastet;  reime  von  inlautenden  d  auf  ^,  die  auch  Goethe  sonst 
massenhaft  braucht,  kommen  zufällig  in  den  in  die  Anthologie  aufgenommenen 
stücken  nicht  vor. 

7. 
Zum   schluss    gebe    ich    noch   eine    unerwartete    gedaukenparallele    zwischen 
Matthisson  und  —  Detlef  von   Liliencron,   die   ich   als   wirklichen   historischen   Zu- 
sammenhang  zu   deuten   doch   nicht  wage,   wenn   auch  die  möglichkeit  dazu  nicht 


PAPPENHEIM,   ÜBER   AJllRA,   DIE    GERMANISCHEN   TODESSTRAFEN  44S 

ausgeschlossen  ist.  Eins  von  Liliencron  vollendetsten  gedichten,  'Auf  dem  kirchhof  ^ 
dem  Brahras  (op.  105,  4)  die  erschütternde  macht  seiner  töne  geschenkt  hat,  schliesst 
mit  den  worten :  'Auf  allen  gräbern  taute  still :  genesen.'  In  seiner  'Polydora', 
einer  Sammlung  von  allerhand  exzerpten  und  notizen,  notiert  Matthisson  im  an- 
schluss  an  Pfeffels  grahschrift  für  eines  seiner  kinder,  die  dann  von  dessen  gattin 
ihm  selbst  gewidmet  wurde,  den  gedanken  (Schriften  8,  222) :  'Eine  allgemeine 
grahschrift,  passend  für  jedes  totendeukmal,  gleichviel  ob  von  holz  oder  marmor,. 
wäre  das  wort:  genesen'.  Hat  Liliencron  zufällig  diese  stelle  gekannt?  Spiero^ 
der  in  seiner  biographie  des  dichters  (Detlef  von  Liliencron  s.  120)  das  gedieht 
eingehend  bespricht  und  ältere  fassungen  mitteilt,  gibt  keinen  anhält;  im  Personen- 
register kommt  Matthissons  name  überhaupt  nicht  vor. 

JENA.  ALBERT   LEITZMANN. 


LITERATUR. 

Karl  vou  Amira,  Die  germanischen  todesstrafen.  Untersuchungen  zur 
rechts-  und  religionsgeschichte.  (Abhandlungen  der  Bayerischen  akademie  der 
Wissenschaften,  philosophisch-philologische  und  historische  klasse,  XXXL  band, 
3.  abhandlung.)  Gr.  4"  VI  und  415  s.  München  1922.  Verlag  der  Bayer^ 
akad.  d.  Wissenschaften. 

In  der  dritten  aufläge  seines  grundrisses  des  germanischen  rechts  (s.  240  f. 
anm.  1)  hatte  K.  von  Amira  das  demnächstige  erscheinen  einer  abhandlung  in 
aussieht  gestellt,  in  der  er  s^ine  ansichten  über  Charakter  und  alter  der  germanischen 
todesstrafen  gegenüber  dem  von  einigen  selten  erhobenen  Widerspruch  ausführlich 
zu  begründen  gedachte.  Die  erfüUung  seines  Versprechens  ist  durch  hindernisse 
verschiedener  art  verzögert  worden,  die  nicht  ihm  selbst  zur  last  fallen.  Beim 
erscheinen  des  nunmehr  vorliegenden  werkes  über  'Die  germanischen  todesstrafen*^ 
waren  fast  7  Jahre  verstrichen,  seit  dessen  letzter  teil  der  Münchner  akademie 
vorgelegt  worden  war.  Inzwischen  hatten  sich  die  äusseren  Schwierigkeiten  un- 
ablässig gesteigert,  die  allmählich  zu  ihrem  teile  die  wissenschaftlich-literarische 
Produktion  Deutschlands  zu  erdrosseln  drohten.  Die  ganze  grosse  dieser  gefahr  ist 
daran  zu  ermessen,  dass  auch  ein  werk  vom  ränge  des  uns  beschäftigenden  ihr  nur 
mit  mühe  hat  entgehen  können.  Mit  um  so  grösserer  freude  dürfen  wir  es  be- 
grüssen,  dass  die  hemmungen  schliesslich  überwunden  worden  sind,  und  so  der 
Wissenschaft  eine  schwere  Schädigung  erspart  geblieben  ist. 

Wir  sind  es  gewöhnt,  aus  K.  von  Amiras  band  nur  meisterwerke  hervor- 
gehen zu  sehen.  Aber  auch  unter  ihnen  nimmt  seine  neueste  arbeit  eine  hervor- 
ragende stelle  ein.  Die  methode  rechtsgeschichtlicher  forschurg,  für  die  der  Ver- 
fasser von  jeher  mit  wort  und  tat  eingetreten  ist,  hat  er  in  dieser  seiner  jüngsten 
Schrift  in  besonders  eindrucksvoller  und  erfolgreicher  art  angewendet.  Ein  komplex 
von  fragen,  die  für  die  erkenntnis  altgermanischer  zustände  von  massgebender  be- 
deutung  sind,  ist  hier  auf  grund  eines  für  sich  allein  schon  fast  unübersehbaren 
literarischen  quellenmaterials  aus  dem  gesamtbereiche  der  germanischen  rechts- 
geschichte  zur  erörterung  gelangt.  Dieses  material  ist  aber  bei  einem  gegenstände, 
wie   dem   vorliegenden,   aus   naheliegenden   gründen  in  besonders  hohem  gi'ade  der 


444  PAPPENHEIM 

■ergänzung  bedürftig  und  fähig,  die  für  die  erkenntnis  zumal  ursprünglicher  rechts- 
iinschauungen.  aus  der  betrachtung  der  sonstigen  mit  ihnen  auf  das  engste  ver- 
bundenen äusserungen  des  volksgeistes  gewonnen  werden  können.  'Es  handelt  sich 
darum,  aus  dem  gesamten  geschichtlich  gegebenen  stoff  aller  germanischeu  rechte 
und  ihrer  tochterrechte  eine  möglichst  breite  grundlage  für  rückschlüsse  auf  den 
frühesten  zustand  zu  gewinnen  und  diese  durch  ausblicke  auf  die  übrigen  rechte 
•der  europäischen  Arier  zu  kontrollieren  .  .  .  Dabei  darf  die  Stoffsammlung  nicht  etwa 
bei  den  schriftlichen  Überlieferungen  stehenbleiben;  sie  wird  zu  deren  ergänzung 
auch  die  archäologie  zu  hilfe  rufen  müssen.  Und  sie  darf  nicht  stehenbleiben 
bei  den  Überlieferungen  von  spezifisch  rechtlichem  Inhalt;  sie  wird  diese,  je  weniger 
sie  für  sich  allein  schlüssig  sind,  um  so  mehr  auch  im  lichte  der  Volkskunde 
und  der  religionsge  seh  ichte  zu  betrachten  haben'  (s.  5).  Die  Wissenschaften, 
deren  Unterstützung  die  Jurisprudenz  hier  in  anspruch  nimmt,  sind  dabei  natürlich 
nicht  allein  die  gebenden.  Insbesondere  mit  der  religionsgeschichte  verbinden  so 
■enge  beziehungen  den  gegenständ  der  arbeit,  dass  der  vei fasser  seine  Untersuchungen 
von   vornherein   als   solche   'zur  rechts-   und  religionsgeschichte'  bezeichnen  durfte. 

Nur  die  öffentliche  todesstrafe,  d.  h.  die  von  der  staatlich  organisierten  ge- 
sellschaft  selbst  im  dienste  ihrer  rechtsordnung  gehandhabte  todesstrafe  bildet  den 
■eigentlichen  gegenständ  der  Untersuchung  von  Amiras.  'Es  gab  todesstrafen  nach 
privatstrafrecht,  d.  h.  strafen,  die  nur  im  Privatinteresse,  sei  es  eines  ein- 
zelneu, sei  es  einer  sondergruppe  innerhalb  der  gesellschaft  verhängt  wurden'  (s.  7). 
Wie  His  (Strafrecht  der  Friesen  s.  170)  bemerkt,  müssen  die  privatstrafen  einmal 
■einen  sehr  grossen  räum  eingenommen  haben.  Vielfach  gelegentlich  erwähnt,  ist 
das  altgermanische  privatstrafrecht  zuerst  von  Amira  in  der  3.  aufläge  seines  grund- 
risses  des  germanischen  rechts  (§  82  a)  zusammenfassend  charakterisiert  worden. 
Die  todesstrafe  nach  privatstrafrecht  konnte  dabei  nicht  unerwähnt  bleiben,  aber 
auch  nicht  des  näheren  behandelt  werden.  Jetzt  dagegen  bietet  sie  den  beherr- 
schenden gesichtspunkt,  unter  dem  das  privatstrafrecht  eine  eingehendere  darstellung 
erfährt  (s.  7—22).  Dies  geschieht  freilich  nur,  um  dem  Verfasser  'die  bahn  zur 
analyse  der  staatlichen  todesstrafen  frei  zu  machen'  (s.  7).  Wir  erhalten  jedoch 
hier  zum  ersten  male  einen  überblick  über  das  verstreute  material  betreffend  strafen 
nach  sippenrecht,  nach  eherecht  und  nach  racherecht  und  einen  einblick  in  die 
Schwierigkeiten,  die  sich  von  verschiedenen  selten  her  der  wissenschaftlichen  aus- 
beutung  dieses  materials  in  den  weg  stellen.  Zu  einem  teile  ergeben  sie  sich  aus 
xler  beeinflussung,  welche  die  todesstrafe  des  privatstrafrechts  von  der  öffentlichen 
todesstrafe  erfahren  und  auf  sie  ausgeübt  hat.  Mit  der  sonderung  der  beiden  Ver- 
wendungen der  todesstrafe  geht  demgemäss  bei  dem  Verfasser  die  aufzeigung  ihrer 
heziehungen  zu  einander  band  in  hand. 

Eine  Untersuchung  der  öffentlichen  todesstrafe  aber  hat  für  das  altgermanische 
recht  gegenwärtig  ihren  ausgangspunkt  weiter  zurückzustecken,  als  dies  bis  vor 
kurzem  nötig  war.  Sie  muss  sich  zunächst  der  frage  zuwenden,  ob  denn  überhaupt 
die  öffentliche  todesstrafe  dem  germanischen  recht  der  geschichtlich  erschliessbareu 
frühzeit  angehört  hat.  Bekanntlich  hat  Mogk  (Abhl.  d.  philol.-hist.  kl.  d.  kgl. 
sädis.  ges.  d.  w.  XXVII  643)  die  ansieht  vertreten,  dass  wenigstens  ein  grosser 
teil  germanischer  stamme  die  todesstrafe  von  haus  aus  sicher  nicht  gekannt  habe, 
und  dass  es  erneuter  Untersuchung  bedürfe,  ob  sie  den  Germanen  überhaupt  be- 
kannt  gewesen   ist.      Binding    (Die   entstehung    der    öffentlichen    strafe    im    ger- 


ÜBER   AMIRA,   DIE    GERMANISCHEN   TODESSTRAFEN  445 

manisch-deutschen  recht,  Leipziger  rektoratsrede  1908  s.  10  ff.)  hat  dann  diese 
Untersuchung  kurzerhand  angestellt  und  der  germanischen  zeit  die  existenz  von 
öffentlichen  strafen  an  leib  und  leben  allgemein  abgesprochen.  Demgegenüber  stellt 
von  Amira  an  den  eingang  seiner  sich  der  öffentlichen  todesstrafe  im  allgemeinen 
zuwendenden  betrachtung  (s,  23)  den  satz :  'Bei  allen  germanischen  stammen,  soweit 
wir  ihre  geschichte  zurück  verfolgen  können,  finden  wir  rechtssätze,  die  wegen  be- 
stimmter luissetaten  die  tötung  der  missetäter  verlangen.'  Den  beweis 
hierfür  erbringt  der  Verfasser,  indem  er  die  einschlägigen  rechtssätze  ostgermanischer 
und  deutscher  quellen  in  bisher  nicht  erreichter,  eindrucksvoller  menge  dem  leser 
vorführt.  Dem  von  ihm  beigebrachten  material  gegenüber  bricht  die  auffassung 
in  sich  zusammen,  es  handle  sich  hier  überall  um  erzeugnisse  einer  jüngeren  rechts- 
entwicklung,  und  die  prägnante  Schilderung  des  Tacitus  (Germania  c.  12)  erfahre 
nicht  aus  den  rechtsquellen  bestätiguog,  sondern  beruhe  ihrerseits  lediglich  auf 
missverständnis.  Die  todesstrafe  als  bestandteil  eines  öffentlichen  germanischen 
Strafrechts  ist  für  die  älteste,  der  geschichtlichen  forschung  unmittelbar  zugängliche 
zeit  ausser  zweifei  gerückt. 

Von  hier  aus  wendet  sich  der  Verfasser  zur  näheren  bestimraung  des  an- 
wenduugsbereichs  der  germanischen  todesstrafe.  Zu  den  'todeswürdigen  missetaten 
im  öffentlichen  strafrecht'  (s.  44  ff.)  gehörten  zuvörderst  der  mord,  der  in  ver- 
schiedener art  (s.  57  ff.)  qualifizierte  diebstahl  und  Avabrscheinlich  (s.  61  ff.)  auch 
die  notzucht,  drei  verbrechen,  die  bis  an  das  ende  des  mittelalters  in  bayerisch- 
österreichischen quellen  als  'die  drei  saclien,  die  zu  dem  tod  ziehen'  usw.  oder  als 
'die  dreierlei  sachen',  wenn  auch  nicht  ganz  unverändert,  wiederkehren  (s.  441). 
Die  'formelhafte  dreizahl'  selbst  begegnet  auch  in  anderen  wichtigen  rechtsquellen; 
nur  selten  wird  dabei  eines  der  drei  verbrechen  durch  ein  anderes  ersetzt  (s.  46 
anra.  6  und  text  dazu)  K  Anderwärts  finden  sich  vier-,  fünf-  und  sechsgliedrige 
reihen  von  todeswürdigen  friedensbrüchen,  die  aber  meist  ohne  weiteres  als  nach- 
trägliche erweiterungen  der  bezeichneten  gruppe  erkennbar  sind  (s.  46  ff.).  Diese 
selbst  aber  ist  ungeachtet  ihres  frühzeitigen  Vorkommens  und  der  Zähigkeit,  mit  der 
an  ihr  festgehalten  wurde,  nicht  dahin  zu  verstehen,  dass  ursprünglich  nur  die  ihr 
angehörigen  missetaten  mit  der  todesstrafe  bedroht  gewesen  wären.  Sie  stellen 
sich  vielmehr  'nur  als  typen  oder  paradigmen  dar,  nach  deren  muster  andere  tat- 
bestände  behandelt  wurden'  (s.  68).  Nicht  nur  werden  ihnen  von  jeher  gewisse 
mehr  oder  weniger  verwandte  taten  gleichgestellt  —  dem  morde  andere  tötungs- 
verbrechen,  die  als  ausfluss  einer  besonders  niedrigen  gesinnung  erscheinen  (s.  69  f.), 
dem  diebstahl  namentlich  die  hehlerei  und  das  verrücken  von  grenzsteinen  (s.  70  f.)  — , 
sondern  es  sind  auch  ausserdem  gerade  für  die  älteste  zeit  bereits  landesverrat 
(s.  73  f.),  Päderastie  (s.  74  f.),  Schadenszufügung  durch  hexerei  (s.  75  f.)  und  endlich 
kultverbrechen  (s.  77  f.)  als  todeswürdige  missetaten  nachweisbar. 

Die  mit  todesstrafen  bedrohten  taten  —  die  todessachen  oder  todeswerke 
nordischer,   todesschulden   angelsächsischer   quellen,  mortalia   oder  capitalia  crimina 

1)  Das  'incerraraentum  domorum',  das  nach  dem  fuero  von  Daroca  mit  homi- 
cidium  und  vis  illata  mulieribus  der  ausschliesslichen  Zuständigkeit  des  königsgerichts 
unterliegt  (s.  46  anm.  5,  415)  ist  nicht  gleich  incendium  (incendimentum)  zu  setzen. 
Es  gehört  vielmehr  zu  inserare  (sub  sera  claudere  —  du  Gange  ^  IV  378  —  vgl. 
serare  ebd.  VII  434  f.,  dazu  Diez,  Etym.  wb.  d  rom.  sprachen^  s.  293,  neuspan. 
encerrar)  und  mag  etwa  dem  'manu  coUecta  hostiliter  domum  alterius  circuradare' 
einiger  volksrechte  (Brunner,  Rechtsgesch.  II  652)  entsprechen. 


446  PAPPENHEIM 

der  leges  barbarorum  (s.  44)  —  stellen  innerhalb  der  friedensbrüche  zugleich  die 
engere  gruppe  der  neidingswerke  oder  'untaten'  dar  (s.  64  f.).  Als  solche  galten 
gewiss  auch  die  kultverbrechen  (s.  77;  anders  Grundriss  des  germ.  rechts'  s.  240). 
Daes  die  todesstrafe  in  heidnischer  zeit  nur  die  'regelmässige'  strafe  (Brunner  I'^ 
246)  oder  die  'normale'  strafe  (Schröder  —  v.  Künssberg,  Rechtsgesch.  ®  s.  83)  für 
neidingswerke  gewesen  wäre,  ist  unwahrscheinlich.  Andererseits  zog  nur  eine  von 
schändlicher  gesinnung  zeugende  tat  die  todesstrafe  nach  sich. 

Nicht  allein  für  die  richtige  Würdigung  der  todesstrafe  selbst,  sondern  weit 
darüber  hinaus  für  die  gesamte  auffassung  des  altgermanischen  strafrechts  ist  die 
frage  von  grösster  bedeutung,  wie  die  todesstrafe  vollzogen  wurde.  Dass  auch  den 
Germanen  mcnscbenopfer  wohlbekannt  waren,  ist  nicht  mehr  streitig  und  hätte 
niemals  in  abrede  gestellt  werden  sollen.  Wenn  nun  andererseits  kraft  rechtens 
Verbrecher  zur  strafe  getötet  werden,  erhebt  sich  insbesondere  die  frage,  ob  diese 
tötuDg  als  Opferung  zu  verstehen,  ob  also  die  strafe  des  todes  strafe  des  opfertodes 
gewesen  ist.  Die  antwort  kann  nur  aus  genauester  Untersuchung  der  vollzugsarten 
der  germanischen  todesstrafe  gewonnen  werden  (s.  86).  Den  grund  für  sie  legt  der 
Verfasser  durch  eine  eingehende  'beschreibung  des  öffentlichen  Strafvollzugs'  (abschn. 
V  und  VI).  Sie  'will  weiter  nichts  als  blosse  beschreibung  sein  —  erklärung  oder 
analyse  darf  sich  hier  noch  nicht  einmischen'.  Unter  13  nummern  werden  die 
einzelnen  arten  der  todesstrafe  behandelt,  die  nach  dem  zweck  der  Untersuchung 
für  diese  in  betracht  kommen.  Ausgeschlossen  bleiben  deshalb  (s.  164)  diejenigen, 
die  nicht  alt  genug  sind,  um  rückschlüsse  auf  das  wesen  der  altgermanischen 
todesstrafe  zu  gestatten,  und  diejenigen,  die  'rein  sagenhaft'  sind.  Gleichwohl 
übertrifft  die  so  gesichtete  beschreibung  an  umfang  um  ein  vielfaches  ihre  bisher 
einzige  wirkliche  Vorgängerin  in  Grimms  Rechtsaltertümern  (4.  aufl.  II  256—287, 
342  f.),  der  übrigens  Amira  als  einer  für  ihre  zeit  bewunderungswürdigen  leistung 
volle  gerechtigkeit  widerfahren  lässt  (s.  86).  Innerhalb  des  von  ihm  neu  bei- 
gebrachten materials  ist  eben  hier  das  archäologische  von  besonderer  bedeutung 
(s.  6;  vgl.  z.  b.  s.  126  über  das  abstossen  des  kopfes  mit  der  diele).  Die  dem 
Verfasser  bekannt  gewordenen  bildlichen  darstellungeu  von  Strafvollzugsakten  hat  er 
in  einem  anhang  (s.  236—415)  unter  mehr  als  1450  nummern  aufgezählt  und  be- 
schrieben. Gemälde  und  miniaturen,  holzschnitte  und  stiche,  federzeich nungen  und 
radierungen,  siege!  und  Spielkarten  haben  ihre  beitrage  geliefert.  Die  beigefügten 
beschreibuugen  sind  durch  genauigkeit,  anschaulichkeit  und  knappheit  gleicher- 
massen  ausgezeichnet.  Das  ganze  ein  meisterhaftes  regestenwerk  zur  rechtsarchäo- 
logie  der  germanischen  todesstrafe ! 

Für  den  gang  der  'beschreibung'  im  einzelnen  muss  der  leser  naturgemäss 
auf  die  darstellung  selbst  verwiesen  werden ;  eine  verlässliche  wegweisung  findet 
er  in  der  Inhaltsübersicht  (s.  III  fp.  Von  dem  reichtum  des  Stoffes  und  der  art 
seiner  behandlung  mag  jedoch  ein  überblick  über  den  Inhalt  des  die  strafe  des 
hängens  schildernden  ersten  teils  des  abschnitts  V  (s.  87-105)  hier  ein  beispiel 
geben.  Den  eingang  bildet  die  feststellung  der  terminologie.  Ihr  folgt  die  erörte- 
rung  der  frage,  woran  der  Verbrecher  gehängt  wird.  Ursprünglich  geschieht  dies 
an  einem  baumast.  'Die  art  des  baumes  war  nicht  von  jeher  gleichgiltig;  noch  in 
späten  zelten  bevorzugen  gewisse  rechte  die  eiche  als  hängebaum'  (s.  89).  Als 
ersatz  des  baumes  hat  sich  der  galgen  entwickelt,  dessen  älteste  form  daher  wohl 
der  knie-  oder  schnabelgalgen  darstellt  (s.  90).    Die  erinnerung  an  seinen  Ursprung 


ÜBER  AMIRA,   DIE    GERMANISCHEN   TODESSTRAFEN  447 

liat  sich  in  der  art  und  in  der  behandlung  des  verwendeten  holzes  noch  lange  er- 
halten (s.  91  ff.)'  Das  hängen  selbst  war  in  ältester  zeit  stets  und  im  mittelalter 
sowie  in  der  ueuzeit  wenigstens  noch  regelmässig  eine  form  des  'erdrosseln s' 
(s.  94).  Der  sträng  musste  nach  altem  recht  aus  zweigen  und  zwar  vorzugsweise 
aus  eichenzweigen  zusammengedreht  sein  —  das  richten  'mit  der  wide'  ist  nicht 
von  vornherein  vom  weidenstrang  zu  verstehen  (s.  95  anm.  11).  Die  erdrosselung 
fand  durch  emporziehen  oder  herabstossen  statt  (s.  97  f.).  Der  delinquent  war  in 
älterer  zeit  entkleidet,  später  meist  unvollkommen  bekleidet;  die  äugen  wurden  ihm 
verhüllt,  die  bände  —  meist  über  dem  rücken  —  zusammengebunden  (s.  99).  Der 
gehängte  musste  'am  bäum  oder  galgen  hängen  bleiben,  bis  sein  leichnam  von  wind 
und  Wetter  zerstört  oder  von  den  raben  weggefressen  war'  (s.  100).  Er  soll 
dem  winde  preisgegeben  bleiben,  am  galgen  'reiten',  d.  h.  sich  schwingend  be- 
wegen, woraus  dann  später  missverständlich  ein  reiten  des  galgens  geworden  ist 
(s.  100).  Deshalb  wird  der  galgen  regelmässig  an  einer  dem  winde  freien  zugang 
gewährenden  stelle,  namentlich  auf  einer  anhöbe  ('galgenberg')  oder  auch  am  offenen 
strande,  errichtet  (s.  101  ff'.).  Kommt  der  gehängte  —  z.  b.  infolge  brechens  des 
astes  oder  reissens  des  Stranges  —  mit  dem  leben  davon,  so  ist  er  gerettet  (s.  1U3). 
Erst  eine  jüngere  anschauung  legt  entscheidendes  gewicht  darauf,  dass  der  gehängte 
sein  leben  verlieren  muss,  und  führt  nicht  nur  zu  besonderen  hierfür  sorgenden 
Vorschriften  und  Veranstaltungen,  sondern  trägt  auch  kein  bedenken,  gegebenenfalls 
dem  alten  rechtssprichwort  'mau  henkt  keinen  zweimal'  zuwiderzuhandeln  (s.  104). 
Mit  einer  kurzen  betrachtung  des  verbreiteten  hängens  von  hunden  neben  dem 
Verbrecher  und  der  ablehnung  einer  besonderen  germanischen  todesstrafe  des  er- 
würgens  schliesst  die  der  strafe  des  hängens  gewidmete  Schilderung.  Diejenige 
der  anderen  todesstrafen  passt  sich  ihr  in  der  anordnung  nach  möglichkeit  an,  wird 
aber  natürlich  wesentlich  durch  das  nach  art  und  umfang  sehr  ungleiche  material 
bestimmt.  Nehmen  doch  die  drei  im  abschnitt  V  beschriebenen  strafen  des  hängens, 
räderns  und  enthauptens  mehr  räum  für  sich  in  anspruch,  als  im  abschnitt  VI  auf 
die  übrigen  zehn  todesstrafen  insgesamt  verwendet  werden  musste! 

Von  der  beschreibung  der  einzelnen  todesstrafen  wendet  sich  die  darstellung 
von  Amiras  den  unter  ihnen  festzustellenden  gruppen  zu,  die  sich  unter  verschiedenen 
gesichtspunkten  ergeben  (abschn.  Vil  und  \'III,  s.  164—198).  Die  'anwendung  der 
öffentlichen  todesstrafen'  iässt  solche  gruppen  nach  räumlichen,  zeitlichen  und  sach- 
lichen unterschieden  erkennen.  Nur  eine  anzahl  der  verschiedenen  arten  der  todes- 
strafen Iässt  sich  b.  i  allen  germanischen  Völkern  nachweisen.  Dabei  ist  einerseits 
zu  berücksichtigen,  dass  sich  aus  der  nichterwähnung  die  ungebräuchlichkeit  nicht 
ohne  weiteres  entnehmen  Iässt,  andererseits,  dass  zu  todesstrafen,  die  nur  für  teile 
der  Germanen  bezeugt  sind,  wie  zu  solchen,  die  bei  allen  Germanenvölkern  be- 
gegnen, zahlreiche,  sehr  beachtenswerte  seitenstücke  in  anderen,  zumal  indoeuro- 
päischen, rechten  vorhanden  sind  (s.  165  ff ).  Von  hier  aus  ergeben  sich  wichtige 
anhaltspunkte  für  das  alter  wenijjstens  der  in  den  hauptgruppen  des  germanischen 
rechts  vertretenen  vollzugsarten  der  todesstrafe  (s.  170).  Für  einige  von  ihnen 
lassen  sich  aus  der  art  ihrer  Vollziehung  weiterführende  Schlüsse  hinsichtlich  der 
entstehungszeit  ziehen  (s.  172  ff.).  So  kann  die  enthauptung  mittels  des  heiles  im 
hinblick  auf  die  beschaffenheit  der  auf  uns  gelangten  Steinbeile  nicht  vor  der  älteren 
brouzezeit  (ersten  hälfte  des  zweiten  Jahrtausends  vor  Chr.)  aufgekommen  sein.  Die 
rolle,  welche  die  eiche  als  hängebaum,  dann  für  den  galgenbau  und  für  die  her- 
stellung   des   Stranges   spielt,   weist   darauf  hin,   dass   das  ursprüngliche  ritual  des 


448  PAPPENHEIM 

häno-ens  und  damit  das  hängen  selbst  nicht  nach  der  frühen  bronzezeit  gebräuchlich 
geworden  ist.  Nicht  minder  ansprechend  ist  die  geistvolle  erwägung,  durch  die 
der  Verfasser  dazu  gelangt,  als  terminus  ad  quem  für  das  aufkommen  des  verbrennens 
die  zeit  des  allgemeinen  Übergangs  von  der  bestattung  unverbrannter  leichen  zum 
leichenbrand,  also  die  jüngere  bronzezeit,  zu  bestimmen:  das  verbrennen  des  misse- 
täters  wolle  mit  seinem  körper  auch  die  seele  durch  Vernichtung  unschädlich 
machen;  es  müsse  deshalb  eingeführt  und  verbreitet  worden  sein,  bevor  der  in  dem 
leichenbrand  zutage  tretende  glaube  zur  herrschaft  gelangte,  dass  die  seele  auch 
nach  völliger  Vernichtung  des  leibes  fortlebe. 

Die  rechtsgeschichtlich  bedeutsamste  Unterscheidung  innerhalb  der  ger- 
manischen todesstrafen  ist  aber  die  nach  dem  tatbestande  des  Verbrechens  sich 
ergebende.  Der  ihrer  betrachtung  gewidmete  abschnitt  (s.  174  ff.)  trägt  bei  Amira 
mit  fug  als  Überschrift  das  taciteische  'distiuctio  poenarum  ex  delicto'.  Die  Unter- 
scheidung ist  jedoch  eine  zwiefache,  nämlich  nach  der  art  des  täters  (der  Verfasser 
spricht  hier  nicht  glücklich  von  dem  'subjektiven  tatbestande')  und  nach  der  art 
der  tat.  In  ersterer  beziehung  ist  vor  allem  die  ungleiche  behandlung  wichtig, 
welche  die  beiden  geschlechter  in  ansehung  der  todesstrafe  vielfach  erfahren,  sei 
es,  dass  dieser  nur  männer  unterliegen,  oder  dass  sie  an  männern  und  an  weibern 
auf  verschiedene  art  vollzogen  wird.  Auf  grund  eines  ungemein  reichen  quellen- 
raaterials  erachtet  der  Verfasser  (s.  179)  für  wahrscheinlich,  dass  es  im  ältesten 
Strafensystem  der  einzelnen  rechte  ordentlicherweise  überhaupt  nur  eine  einzige 
todesstrafe  für  weiber  gab,  während  die  anderen  den  männern  vorbehalten  waren. 
Eine  derartige  grundsätzliche  Unterscheidung  würde  gerade  auch  zu  dem  sakralen 
Charakter  der  ältesten  todesstrafe  aufs  beste  stimmen.  Bis  auf  den  heutigen  tag 
greift  mit  bezug  auf  religiöse  oder  von  solchen  beeinflusste  akte  bei  naturvölkern 
eine  weitgehende  sonderung  der  beiden  geschlechter  platz,  die  bekanntlich  teilweise 
sogar  zur  entstehung  einer  verschiedenen  männer-  und  weibersprache  geführt  hat. 
Dass  weiterhin  ursprünglich  einmal  weiber  der  todesstrafe  grundsätzlich  überhaupt 
nicht  unterlagen,  wird  sich  für  das  germanische  recht  im  hinblick  auf  das  hohe 
alter  der  von  jeher  todeswürdigen  hexerei  höchstens  vermuten  lassen. 

Die  schon  von  Tacitus  mit  beispielen  belegte  Unterscheidung  der  todesstrafen 
nach  der  art  der  verbrechen  hat  von  jeher  die  beachtung  der  Wissenschaft  gefunden. 
Wiederum  aber  hält  von  Amira  hier  keineswegs  nur  eine  nachlese.  Freilich,  dass 
der  dieb  an  den  galgen,  der  mörder  auf  das  rad  gehört,  rauss  nach  wie  vor  den 
festen  ausgangspunkt  bilden,  der  nur  einem  ungemein  reicheren  quellenmaterial 
entnommen  werden  konnte  (s.  182  ff.).  Darüber  hinaus  Hess  sich  die  entbauptung 
als  ursprüngliche  strafe  für  notzucht  einerseits  und  grenzfrevel  andererseits  nach- 
weisen (s.  189),  und  dann  auch  für  die  übrigen  Vollziehungsarten  der  todesstrafe  die 
ursprüngliche  Zugehörigkeit  je  zu  bestimmten  neidingswerken  oder  eng  begrenzten 
gruppen  von  einander  verwandten  neidingswerken  durch  'vergleichende  sichtung 
des  überlieferten'  dartun  (s.  191  ff.).  Das  ergebnis,  dass  der  grundsatz  von  der 
'distinctio  poenarum  ex  delicto'  die  vörteilung  der  todesstrafen  vollständig  beherrschte, 
erfährt  durch  parallele  erscheinungen  im  ältesten  strafrecht  anderer  indoeuropäischer 
Völker,  insbesondere  der  Römer,  weitere  bestätigung  (s.  198). 

Durch  die  'beschreibung  des  öffentlichen  Strafvollzugs'  und  die  Untersuchung 
der  'anwendung  der  öffentlichen  todesstrafen'  hat  der  Verfasser  den  grund  gelegt 
für   den   in   den   beiden   letzteo   abschnitten  (s.  198—232)   angetretenen  beweis  des 


ÜBER  AMIRA,   DIE    GERMANISCHEN   TODESSTRAFEN  449" 

sakralen  Charakters  der  öffentlichen  todesstrafe.  Für  das  ergebnis  seiner  beweis- 
führung  nimmt  von  Amira  sicherlich  nicht  zu  viel  in  anspruch,  wenn  er  meint,. 
(s.  232).  dass  durch  sie  .auch  in  den  äugen  skeptischer  leser  die  gründe  für  den 
ursprünglichen  opfercharakter  der  öffentlichen  todesstrafen  um  ein  erhebliches  zahl- 
reicher und  triftiger  geworden  sein  dürften,  als  man  noch  vor  kurzem  annahm. 
Eher  könnte  man  glauben,  dass  dem  gewicht  der  gegnerischen  auffassung  hiermit 
etwas  zuviel  ehre  zuteil  geworden  sei.  Wie  dem  aber  auch  sein  mag,  so  kann 
jedesfalls  daran  kein  zweifei  bestehen,  dass  die  betrachtung  der  altgermanischen 
todesstrafe  als  einer  Opferung  des  Verbrechers  durch  Amiras  werk  zumal  vermöge 
der  fülle  der  nachgewiesenen,  in  betracht  kommenden  erscheinungen  an  Sicherheit 
der  grundlagen  ausserordentlich  gewonnen  hat.  Kein  leser  wird  ohne  lebhaftes 
Interesse  und  ohne  mannigfache  belehrung  und  anregung  den  ausführungen  folgen, 
in  denen  der  Verfasser  die  im  eingang  seines  buches  (s.  3  f.)  aufgeworfene  frage 
mit  hilfe  des  alsdann  beschafften  materials  beantwortet.  Seinen  ausgang  nimmt 
er  von  der  einzigen  quellenstelle,  die  noch  aus  heidnischer  zeit  für  ein  bestimmtes- 
stammesrecht  und  für  ein  bestimmtes  verbrechen  von  der  Opferung  als  einer  todes- 
strafe Zeugnis  ablegt,  dem  tit.  XI  der  'additio  sapientum'  zur  lex  F'risionum.  Dass 
diesem  zeugnis  ähnlich  wie  dem  des  c.  12  der  Germania  für  sich  allein  nur  eine 
engumgreuzte  bedeutung  zukäme,  hatte  der  Verfasser  im  vorhinein  festgestellt 
(s.  5),  zugleich  aber  betont,  dass  die  beiden  quellenstellen  in  Verbindung  mit  anderen, 
sei  es  auch  jüngeren,  Zeugnissen  den  höchsten  wert  erlangen  könnten.  Die  probe 
hierauf  wird  auf  grund  der  vorausgegangenen  Untersuchungen  eben  in  den  beiden 
letzten  abschnitten  des  werkes  gemacht.  So  reiht  sich  zuvörderst  an  die  mitteilung 
der  friesischen  rechtsaufzeichnung  bestätigend  und  erläuternd  an,  was  sonst  hin- 
sichtlich des  ertränkens  als  eines  den  wasserdämonen  dargebrachten  menschenopfers 
aus  germanischen  und  sonstigen  indoeuropäischen  quellen  bekannt  ist.  Die  schon 
hier  zutage  tretende  Übereinstimmung  des  rituals  der  todesstrafe  und  der  nicht  zu 
strafzwecken  erfolgenden  Opferung  erweist  sodann  ihre  durchschlagende  beweiskraft 
auch  für  die  übrigen  hinrichtungsarten,  die  nicht  schon  quellenmässig  als  Opferung 
bezeichnet  werden.  Natürlich  ist  die  ergiebigkeit  des  materials  für  die  verschiedenen 
arten  von  todesstrafen  sehr  ungleich.  Nicht  überall  wird  füglich  ebensoviel  und 
ebenso  sichere  auskauft  zu  erwarten  sein,  wie  aus  den  zahlreichen  nachrichten,  die 
sich  auf  das  hängen  einerseits  als  Vollziehung  der  todesstrafe,  andererseits  als  nicht 
der  Strafvollstreckung  dienende  opferhandlung  beziehen.  Es  muss  aber  stets  das 
gesamte  material  im  äuge  behalten  werden,  weil  eines  das  andere  stützt,  und  zu- 
weilen gerade  auch  von  seltener  angewendeten  und  erwähnten  Vollziehungsarten 
her  auf  allgemeine  erscheinungen  licht  fällt.  Die  '  durchmusterung  der  einzelneu 
todesstrafen  lässt  nur  wenige  übrig,  deren  sakraler  Charakter  nicht  wahrscheinlich 
gemacht  wäre.  Bei  ihnen  aber  ist  zweifelhaft,  ob  sie  überhaupt  wirkliche  bestand- 
teile  des  altgermanischen  strafrechts  gebildet  haben  (s.  221  f.).  Das  sonst  aus  der 
betrachtuug  der  einzelnen  Straftaten  gewonnene  ergebnis  wird  dann  noch  erhärtet 
durch  die  feststellung  von  'gewissen  zügen  .  .  .,  die  den  alten  öffentlichen  todes- 
strafen gemeinsam  sind  und  sich  am  besten  unter  religiösen  gesichtspunkten  er- 
klären' (s.  222).  In  diesem  sinne  behandelt  der  Verfasser  die  Verwendung  der  sog. 
zufallstrafen,  die  in  wahrlieit  nur  die  befragung  der  gottheit  über  die  annähme  des 
dargebotenen  opfers  in  die  form  seiner  darbringung  selbst  aufnehmen,  ferner  die 
anknüpfung  von  zaubervorstellungen  an  die  Vollziehung  der  todesstrafe,  die  sich 
im  aberglauben   der  gegenwart  noch   sehr  lebendig   erhalten   hat  und  zu  manchen 


450  PAPPENHEIM 

skandalösen  Vorkommnissen  führt,  und  schliesslich  das  erfordernis  der  anwesenheit, 
teilweise  auch  der  mitwirkung,  der  dingpflichtigen  bei  der  hinrichtung.  Auf  das 
tabu  das  auf  dem  die  strafe  vollziehenden  Volksgenossen  und  dem  dann  an  seine 
stelle  getretenen  voUstreckungsheamten  ruhte,  führt  der  Verfasser  (s.  229  f.)  sehr 
glücklich  die  spätere  'Unehrlichkeit'  des  nachrichters  zurück. 

In  der  Verschiedenheit  der  todesstrafe  je  nach  der  art  des  Verbrechens  gelangt 
mit  dem  Charakter  der  strafe  als  eines  opfers  zugleich  die  Verschiedenheit  der 
gottheit  zum  ausdruck,  die  durch  das  verbrechen  zunächst  gekränkt  ist,  und  der 
deshalb  der  täter  als  opfer  dargebracht  werden  muss.  Diese  enge  beziehung,  in 
der  die  einzelne  gottheit  zu  der  einzelnen  missetat  und  damit  auch  zu  der  art 
ihrer  sühnuug  steht,  ist  besonders  deutlich  erkennbar  (s,  '202  f.)  und  daher  auch  am 
frühesten  erkannt  worden  für  den  'gehängtengott',  den  windgott  und  totenführer 
Wodan  (Ööin).  Sie  ist  darüber  hinaus  auch  für  die  übrigen  todesstrafeu  vom  Ver- 
fasser 80  wahrscheinlich  gemacht  worden,  wie  dies  bei  der  ungleichen  beschaffenheit 
des  materials  nur  möglieh  war  —  daher  naturgemäss  für  die  einzelnen  vollziehungs- 
arten  mit  erheblichen  unterschieden  betreffs  der  zu  erreichenden  genauigkeit  und 
Wahrscheinlichkeit.  Die  weitere  frage  nach  den  gründen,  auf  die  jene  beziehung 
der  einzelnen  gottheiten  je  zu  den  verschiedenen  missetaten  zurückzuführen  ist, 
wird  vom  Verfasser  am  Schlüsse  seiner  Untersuchung  (s.  235)  aufgeworfen.  Ihre 
beantwortung  würde  *in  die  letzte  tiefe  des  doch  unbestreitbaren  Zusammenhanges 
zwischen  dem  einzelnen  neidingswerk  und  der  zugehörigen  strafart'  hineinleuchten. 
Sie  kann  aber  vorerst  nur  für  wenige  fälle  erfolgen,  mit  einiger  Sicherheit  nur 
für  den  baumfrevel,  bei  dem  die  gedärme  des  täters  dem  baumgott  für  die  ab- 
geschälte rinde  als  ersatz  dienen  müssen,  und  für  den  markfrevel,  bei  dem  der 
leib  des  Verbrechers  dem  grenzgott  für  seinen  zerstörten  wohnsitz  hingegeben 
wird  (8.  213). 

Das  Verständnis  des  allgemeinen  Zweckes,  den  die  öffentlichen  todesstrafeu 
der  Germanen  gehabt  haben,  eröffnet  sich  nach  von  Amira  (s.  67)  von  der  betrach- 
tung  der  mit  diesen  strafen  belegten  missetaten  her:  nur  neidingswerke  waren 
ursprünglich  todeswerke.  Das  neidingswerk  aber  wurde  als  die  tat  eines  entarteten, 
als  entartungszeichen  betrachtet,  und  'durch  die  öffentliche  todesstrafe  wollte  die 
gesell>chaft  so  energisch  als  möglich  ausmerzen,  was  aus  ihrer  art  ge- 
schlagen war'.  Mit  Vergeltung,  abschreckung  oder  sonst  irgendeinem  der  zwecke, 
die  moderne  philosopheme  der  öffentlichen  strafe  unterlegen,  habe  die  öffentliche 
todesstrafe  der  Germanen  nichts  zu  schaffen.  Sie  sei  vielmehr  dem  trieb  zur 
reinerhaltung  der  rasse  entsprungen,  'einem  trieb,  der  auch  im  privatstrafreclit  der 
sippe  zur  todesstrafe  wegen  geschlechtsschimpfes  geführt  hat  und  nicht  nur  in  der 
menschenweit,  sondern  bekanntlich  auch  in  tieferen  regiouen  der  tierweit  verbreitet 
ist'.  Mit  diesem  triebe  vereinige  sich  die  forderung  der  gottheit,  dass  die  von  ihr 
stammende  rasse  reingehalten  werde.  Der  götter  zorn  'würde  über  das  volk 
kommen,  welches  teil  hat  an  der  entartung,  die  man  an  der  missetat  erkennt. 
Darum  muss  zur  abwendung  des  götterzornes  von  sich  die  rechtsgenossenschaft 
den  entarteten  an  die  gottheit  ausliefern.  Dadurch  legt  sie  an  den  tag,  dass  sie 
ihn  ebenso  verabscheut  wie  der  gott'  (s.  233). 

Ich  kann  dem  Verfasser  zwar  auch  hier  ein  gutes  stück'  des  von  ihm  einge- 
schlagenen weges,  aber  nicht  bis  zu  dessen  ende  folgen.  Und  zwar  scheint  mir, 
dass  dem  gedanken  der  entartung  des  missetäters  nicht  die  besondere  und  weitgehende 
bedeutung   zukommt,   die  ihm   von  Amira  für  daa  Verständnis  der  altgermanischen 


ÜBER   AMIRA,   DIE    GERMANISCHEN   TODESSTRAFEN  451 

todesstrafen  beirnisst.  Gewiss  wird  den  Germauen  die  neidingstat  als  werk  eines 
entarteten  gegolten  haben,  und  haben  tüchtige  söhne  ein  verhalten  gescheut,  das 
sie  als  ihres  vaters  unwürdig  hätte  erscheinen  lassen  (s.  65  anm.  9).  Gewiss  fand 
man  ferner  die  kennzeichen  verächtlicher  gesinnung  auch  in  der  körperlichen  er- 
scheinung  des  mit  ihr  behafteten  wieder,  und  glaubte  man,  dass  seine  seele  sich 
auch  noch  nach  ihrer  trennung  vom  leibe  als  entartet  erweise  (s.  66  f.).  Aus  alledem 
ist  aber  noch  nicht  zu  entnehmen,  dass  eben  um  seiner  entartung  willen  der  misse- 
täter  durch  die  hinrichtung  ausgemerzt  werden  sollte.  Ein  greifbareres  argument 
gewinnt  der  Verfasser  aus  nordgermanischen  rechtssätzen,  nach  denen  weiber,  aus- 
länder und  söhne  von  ausländem  der  todesstrafe  nicht  verfallen;  dies  habe  seinen 
grund  darin,  dass  man  in  der  vorzeit  die  entartung  gewöhnlich  nur  an  der  norm 
des  selbständigen  stammesgenossen  habe  abschätzen  können  (s.  67).  Indessen  be- 
zieht sich  der  betreifs  der  ausländer  allein  in  betracht  kommende  altnorwegische 
rechtssatz  nur  auf  den  fall  des  diebstahls,  und  eben  bei  diesem  bedurfte  es  nicht 
der  anlegung  eines  von  den  stammesgenossen  entlehnten  massstabes,  um  den  misse- 
täter  als  einen  entarteten  erscheinen  zu  lassen.  Ferner  haben  zu  den  ältesten,  mit 
dem  tode  bestraften  missetaten  vermutlich  die  kultverbrechen  gezählt,  und  bei  ihnen 
kamen  naturgemäss  stammesfremde  häufig  als  täter  in  frage,  vor  denen  begreiflicher- 
weise nicht  nur  die  volksjustiz  (s.  77),  sondern  gewiss  auch  das  au  deren  stelle 
getretene,  öffentliche  strafrecht  nicht  halt  gemacht  hat.  Und  was  die  in  den  west- 
götischen  rechtsbüchern  enthaltene  ausschliessung  der  weiber  von  der  todesstrafe 
angeht,  so  stand  freilich  wohl  'am  anfang  der  germanischen  strafrechtsgeschichte 
die  regel,  dass  die  todesstrafe  nur  für  männer  bestimmt  sei'  (s.  176).  Aber  die 
ausnähme  betreffs  der  hexerei  gehört  jedesfalls  bereits  dem  ältesten  rechte  an 
(s.  28,  180),  und  es  ist  zum  mindesten  von  vornherein  nicht  wahrscheinlich,  dass 
gerade  der  grundgedanke  der  öffentlichen  todesstrafe  schon  so  früh  eine  solche 
durchbrechung  geduldet  hätte. 

Es  fehlt  indessen  auch  nicht  an  gründen,  die  positiv  gegen  Amiras  entartungs- 
theorie  sprechen.  Wenn  die  todesstrafe  auf  den  trieb  zur  reinhaltung  -der  rasse 
zurückzuführen  wäre,  hätte  sich  die  ausmerzung  füglich  auch  auf  die  abkömmlinge 
des  missetäters  erstrecken  müssen,  in  denen  sich  doch  seine  art  fortsetzen  Avürde. 
Hiervon  findet  sich  aber,  soweit  ersichtlich,  in  germanischen  quellen  (s.  dagegen 
s.  234  anm.  5  a.  e.)  keine  spur.  Wichtiger  noch  ist,  dass  sich  von  der  betrachtung 
des  Verbrechers  als  eines  entarteten  her  zwar  die  todesstrafe,  aber  nicht  auch  ihre 
Vollziehung  eben  durch  Opferung  erklären  lässt.  Der  trieb  des  Volkes  zur  rein- 
haltung seiner  rasse  und  die  forderung  der  gottheit,  dass  die  von  ihr  stammende 
rasse  reingehalten  werde,  fänden  gleichermassen  befriedigung,  wenn  der  Verbrecher 
überhaupt  getötet  würde.  Die  ausmerzung  des  entarteten  gliedes  der  gesellschaft 
wäre  um  nichts  energischer  erfolgt,  wenn  sie  durch  Opferung,  als  wenn  sie  durch 
eine  andere  beliebige  art  der  tötung  stattgefunden  hätte.  Vielmehr  Avurde  mit  der 
rechtsnotwendigkeit  der  Opferung  die  tötung  des  missetäters  von  der  geneigtheit 
der  gottheit  zur  annähme  des  opfers  abhängig  gemacht  und  dadurch  unter  um- 
ständen vereitelt.  Endlich  spricht  auch  die  Verwendung  des  opfers  als  form  der 
hinrichtung  gegen  die  annähme,  dass  durch  die  tötung  des  Verbrechers  dem  gemein- 
samen interesse  von  volk  und  gottheit  an  der  reinhaltung  der  rasse  genüge  geschehen 
solle.  Mit  dem  opfer  naht  sich  das  volk  bittend  der  gottheit  (vgl.  von  Amira, 
Nordgerm.  oblr.  II  631).  Die  missetat  hat  den  zorn  der  gottheit  erweckt,  der  sich 
gegen   das  volk   selbst  wenden  würde,  wenn  es  sich  von  dem  schuldigen  nicht  los- 

ZEITSCHRIFT  F.  DEUTSCHE  PHILOLOGIE.    BD.  L.  31 


4ö2  PAPPENHEIM 

sagte  (e.  233).  Es  tut  dies,  indem  es  den  Verbrecher  der  gottheit  ausliefert,  und 
es  erhofft  als  Vergeltung  der  gäbe,  dass  die  versöhnte  gottheit  sich  an  dem  opfer 
genügen  lassen  werde.  Die  anschauung,  es  sei  hierfür  eben  die  auslieferung  des 
schuldigen  das  geeignete  mittel,  dürfte  auf  denselben  gründen  beruhen,  die  innerhalb 
des  privatstrafrechts  zur  auslieferung  des  Verbrechers  an  den  verletzten  geführt 
haben  (s.  20  f.). 

Während  durch  von  Amiras  werk  die  in  gestalt  der  Opferung  vollzogene 
todesstrafe  für  das  altgermuniscbe  recht  sicherer  denn  je  erwiesen  worden  ist,  kann 
damit  der  meinungsstreit  über  die  Stellung,  die  der  todesstrafe  innerhalb  des  ger- 
manischen Strafrechts  zukam,  noch  nicht  als  erledigt  gelten  (vgl.  Stutz,  Savigny- 
Zeitschr.  germ.  abt.  43,  342  f.).  Bisher  war  man  sich  wenigstens  insofern  einig, 
als  man  in  dem  verbrechen  einen  bruch  des  gemeinen  friedens  erblickte  und  erst 
jenseits  der  dadurch  gezogenen  grenze  den  kämpf  auch  um  die  rechtliche  bedeutung 
der  todesstrafe  beginnen  Hess.  In  jüngster  zeit  ist  aber  auch  dieser  grenze  die 
anerkennung  versagt  worden.  Nach  der  ansieht  von  Febr  (Deutsche  rechts- 
geschichte  s.  21)  kann  die  öö'entliche  strafe  nicht  aus  dem  bruche  eines  gemeiu- 
friedens  abgeleitet  werden,  weil  ein  solcher  geraeinfrieden  der  germanischen  zeit 
unbekannt  gewesen  und  erst  später  von  königtum  und  Christentum  geschaffen 
worden  sei.  Die  römischen  Schriftsteller  wüssten  nichts  von  einer  allgemeinen  fried- 
losigkeit;  Tacitus  (Germ.  c.  40)  deute  darauf  hin,  dass  bei  den  Langobarden  ein 
allgemeiner  friede  nur  am  feste  der  göttin  Nerthus  bekannt  war  und  geschätzt 
wurde,  und  er  berichte  (c.  6),  dass  die  grösste  schände,  die  zurücklassung  des 
Schildes,  nicht  mit  ausstossung  aus  der  rechtsgemeinschaft,  sondern  nur  mit  dem 
verböte  bestraft  wurde,  dem  götterdienste  beizuwohnen  und  die  Volksversammlung 
zu  besuchen. 

Fehrs  beweisgründe  vermögen  die  auf  sie  gestützte  behauptung  nicht  zu 
tragen.  Das  schweigen  der  römischen  schriftsteiler  von  einer  allgemeinen  fried- 
losigkeit  würde  in  einer  frage  von  der  vorliegenden  art  von  vornherein  wenig  be- 
deuten. Es  wäre  um  unsere  Wissenschaft  sclilimm  bestellt,  wenn  sie  glauben 
müsste,  sich  dabei  beruhigen  zu  dürfen.  In  Wahrheit  steht  nicht  einmal  das  ausser 
zweifei,  dass  Tacitus  unter  der  ausscliliessung  von  Opfergemeinschaft  und  Volks- 
versammlung etwas  anderes  als  die  friedloslegung  verstanden  hätte  (vgl.  Waitz, 
Deutsche  Verfassungsgeschichte  I"  s.  428  anm.  1).  Arg  missverstanden  aber  ist 
von  Fehr,  Avas  Tacitus  über  den  Nerthusfrieden  der  Langobarden  berichtet;  denn 
eben  hier  handelt  es  sich  nicht  um  den  gemeinen,  sondern  um  einen  besonderen 
und  zwar  einen  festfrieden  (s.  Wilda,  Strafrecht  s.  23:^,  Müllenhoff,  Deutsche 
altertumskunde  IV  472).  Nur  als  folge  des  bruches  eines  Sonderfriedens  lässt  Fehr 
selbst  die  friedlosigkeit  eingetreten  sein ;  solcher  friedensbruch  habe  den  zorn  der 
götter  herausgefordert,  der  nur  durch  den  opfertod  des  täters  vom  volke  abgewendet 
werden  konnte.  'Der  friedlose  musste  daher  im  Interesse  der  gemeinschaft  ge- 
tötet werden'.  Es  kann  hier  nicht  unsere  aufgäbe  sein,  der  Schilderung,  die  Fehr 
von  dem  altgermanischen  strafrecht  gibt,  weiter  nachzugeben  und  die  ihr  anhaftenden  . 
mängel  darzulegen.  Wir  müssen  uns  mit  dem  hinweis  darauf  begnügen,  dass  Fehr 
seiner  behauptung,  die  germanische  zeit  habe  einen  dauernden  gemeinfrieden  und 
somit  auch  den  bruch  eines  solchen  nicht  gekannt,  unwillkürlich  selbst  widerspricht. 
Er  nennt  den,  der  einen  Sonderfrieden  gebrochen  hat,  wiederholt  einen  friedlosen, 
geht  also  davon  aus,  dass  der  täter  durch  den  bruch  dos  Sonderfriedens  seinerseits 
den   frieden   verwirkt  habe.     Dieser   friede   aber,   den  der  Verbrecher  bis  zu  seiner 


ÜBER   AMIRA,   DIE    GERMANISCHEN   TODESSTRAFEN  453 

tat  genossen  hat,  und  dessen  er  durch  die  Verletzung  eines  jeden  der  verschiedenen 
Sonderfrieden  gleichermassen  verlustig  geht,  muss  augenscheinlich  als  ein  diesen 
Sonderfrieden  gegenüberstehender  allgemeiner  frieden  gedacht  werden,  in  dem  der 
Verbrecher  bis  dahin  gestanden  hat,  und  dessen  verwirkpng  eben  ihn  friedlos 
werden  lässt.  Somit  ist  auch  Fehr  in  Wahrheit  den  forschem  beizuzählen,  welche 
die  altgermanische  todesstrafe  auf  die  Vollstreckung  der  aus  dem  bruch  des 
gemeinfriedens  erwachsenen  friedlosigkeit  des  Verbrechers  zurückführen.  Die  frage, 
ob  mit  solcher  zurückführung  die  bedeutung  der  todesstrafe  richtig  gekennzeichnet 
ist,  oder  ob  dieser  eine  selbständige  Stellung  neben  der  friedlosigkeit  zuerkannt 
werden  muss,  steht  nach  wie  vor  am  ein  gang  der  geschichte  des  altgermanischeu 
Strafrechts. 

Naturgemäss  steht  diese  frage  in  engstem  zusammenhange  mit  derjenigen 
nach  dem  wesen  der  friedlosigkeit  selbst.  Zwar,  wenn  vermöge  der  letzteren  die 
Schädigung  des  missetäters  an  leib  und  leben  seinen  bisherigen  rechtsgenossen  zur 
pflicht  gemacht  wäre,  brauchte  sich  darum  die  bedeutung  der  todesstrafe  noch 
keineswegs  in  der  'Vollstreckung  der  friedlosigkeit'  zu  erschöpfen.  Wohl  aber 
findet  die  'unbedingt  und  vorbehaltlos  angedrohte'  todesstrafe  (s.  12)  keinen  platz 
innerhalb  eines  strafrechtssystems,  in  dem  die  friedlosigkeit  nur  negativ  den  wegfall 
des  friedens  und  des  durch  letzteren  gewährleisteten  rechtsschutzes  bedeutet.  Seit 
jeher  ist  von  Amira  für  die  Zurechnung  der  germanischen  friedlosigkeit  zu  einem 
negativen  straf  rech  tssystem  (vgl.  H.  Matzen  an  der  s.  35  anm.  7  angeführten 
stelle)  eingetreten.  Er  unterzieht  die  frage  jetzt  in  der  beschränkung  auf  das 
'Verhältnis  der  Verbrechertötung  zur  friedlosigkeit'  (s.  7)  einer  erneuten  prüfuug 
(s.  27  ff.)  und  setzt  sich  dabei  (s.  43f.)  insbesondere  auch  mit  den  gründen  nochmals 
auseinander,  die  Brunner  (Deutsche  rechtsgeschichte  I*  248  ff.)  für  seine  auf- 
fassung  der  ältesten  todesstrafe  als  einer  blossen  Vollstreckung  der  friedlosigkeit 
beigebracht  hat.  Hier  scheinen  mir  allerdings  die  schwierigki-iten,  die  das  um- 
strittene c.  48  der  ewa  Chamavorum  der  auslegung  bereitet,  auch  durch  des  Ver- 
fassers neueste  bemerkungeu  noch  nicht  gehoben  zu  sein.  Die  beweiskraft  aber, 
die  Brunner  auf  grund  seiner  deutung  der  stelle  zuschreibt,  ist  jedesfalls  zu  weit 
bemessen,  und  keineswegs  findet  seine  auffassung,  wie  Amira  mit  recht  betont,  in 
den  sogenannten  zufallsstrafen  eine  stütze. 

Der  sakrale  charakter  der  'dem  juristischen  rahmen  der  friedlosigkeit  ein- 
gefügten todesstrafe'  äusserte  sich  aber  auch  nach  Brunners  meinung  darin,  'dass 
nicht  eine  beliebige,  sondern  eine  genau  bestimmte  art  der  todesstrafe  stattfand, 
die  mit  rücksicht  auf  die  religiösen  anschauungen  des  volkes  bei  den  verschiedenen 
todeswürdigen  verbrechen  eine  verschiedene  war'  (Grundzüge  der  deutschen  rechts- 
geschichte'  s.  19  f.).  Die  besonderheit  des  sakralen  Strafrechts  erschöpft  sich  somit 
nicht  darin,  dass  hier  'die  Vollstreckung  der  friedlosigkeit  aus  religiösen  gründen 
den  priestern  vorbehalten  war'  (Eechtsgeschichte  I^  s.  2-.8).  Vielmehr  hat  nicht 
nur  die  Vollstreckung  einzig  und  allein  durch  tötung  zu  erfolgen,  sondern  diese 
muss  auch  im  wege  der  Opferung  und  ferner  auf  verschiedene  weise  je  nach  der 
art  der  zu  sühnenden  tat  vollzogen  werden.  Durch  das  verbrechen  selbst,  um  dessent- 
willen  die  friedloslegung  erfolgte,  war  somit  die  art  ihrer  Vollstreckung  mit  einer 
auch  die  vollziehenden  priester  verbindenden  kraft  bis  in  die  einzelheiten  hinein 
genau  bestimmt.  Rechtssätze  und  urteile  der  frühzeit,  die  ein  bestimmtes  neidings- 
werk    zum    gegenstände    hahen,    besagen   daher   der   sache  nach  nicht  weniger,  als 

31* 


454  PAPPEXHEIM,   ÜBER  AJIIRA,   DIE    GERMANISCHEN   TODESSTRAFEN 

reclitsätze,  die  für  ein  bestimmtes  verbrechen  eine  der  art  nach  genau  bezeichnete 
todesstrafe  androhen,  oder  urteile,  die  sie  aussprechen. 

Als  nicht  durchgreifend  erweist  sich  schon  hiernach  der  von  Stutz  (a.  a.  o. 
s.  339)  gegen  von  Amira  erhobene  einwand,  es  handle  sich  bei  den  die  todes- 
strafe  ausdrücklich  nach  ihrer  art  bezeichnenden  todesurteilen  vor  allem,  ja  eigent- 
lich nur  um  nordische,  d.  h.  im  vergleich  mit  den  volksrechteu  erheblich  jüngere 
rechtsbücher  und  aus  Deutschland  lediglich  um  spätmittelalterüche  Urteilsformeln. 
i'ber  die  wertung  der  nordischen  rechtsbücher  braucht  hier  kein  wort  verloren  zu 
werden.  Wenn  aber  nur  ihnen  ausdrückliche  Zeugnisse  für  die  in  rede  stehende 
fassung  der  urteile  zu  entnehmen  sind,  darf  daraus  selbstverständlich  nicht  gefolgert 
werden,  dass  die  auf  grund  übereinstimmender  westgermanischer  Satzungen  (von 
Amira  s.  37  {.)  ergangenen  urteile  von  der  art  der  verhängten  todesstrafe  geschwiegen 
hätten,  oder  auch  nur,  dass  ihrem  etwaigen  schweigen  gegenüber  der  materiell- 
rechtlichen bestimmtheit  der  todesart  irgendwelche  bedeutung  zukäme.  Diese,  wie 
von  Tacitus,  so  von  den  ältesten  west-  und  ostgermanischen  rechtsbüchern  gleicher- 
massen  bezeugte  'distinctio  poenarum  ex  delicto'  aber  lässt  sich  schlechterdings 
nicht  darauf  zurückführen,  dass  das  herkommen  sich  etwa  'auch  des  Vollzugs  be- 
mächtigt und  bei  der  abspaltung,  vielleicht  zunächst  bei  den  kultdelikten,  dann  bei 
den  drei  haupttaten  und  ihren  verwandten,  schliesslich  auch  darüber  hinaus,  be- 
stimmte arten  des  Vollzugs  immer  wieder  bevorzugt  und  damit  ausschliesslich 
gemacht  haben'  könne  (so  Stutz  a.  a.  o.  s.  340).  Die  Unterstellung  einer  derartigen 
entwicklung  widerstreitet  durchaus  dem  quellenmässigen  befunde  und  ist  zumal 
mit  der  tatsache  nicht  verträglich,  dass  ein  innerer  Zusammenhang  zwischen  der 
art  der  todesstrafe  und  der  durch  sie  zu  sühnenden  tat  hinsichtlich  einiger  ver- 
brechen erwiesen,  darüber  hinaus  zum  mindesten  wahrscheinlich  gemacht  ist. 

Unter  den  argumenten,  die  nicht  nur  die  gegnerische  beweisführung  zu  ent- 
kräften, sondern  positiv  dem  nachweis  eines  selbständig  dem  system  der  friedlosig- 
keit  gegenüberstehenden  sakralen  strafrechts  dienen  sollen,  wird  nach  wie  vor  das 
gewicntigste  dem  wesen  der  friedlosigkeit  als  einer  nur  'negativen'  verbrechens- 
folge  entnommen  werden.  Dass  die  friedlosigkeit  in  diesem  sinne  zu  verstehen  ist, 
halte  ich  mit  Amira  für  gewiss.  Mit  rücksicht  auf  die  Wichtigkeit  der  frage  sei 
aber  hier  noch  auf  ein  für  ihre  beantwortung  erhebliches  moment  hingewiesen,  das 
sich  gerade  auch  aus  dem  sonst  spröderen  westgermanischen  quellenraaterial  ge- 
winnen lässt. 

Mit  recht  bemerkt  von  Amira  (s.  36),  dass  das  in  ächtungsformeln  wie  in 
rechtssätzen  ausgesprochene  verbot,  dem  friedlosen  menschen  unterstand  oder  nahrung 
zu  geben  oder  ihm  fortzuhelfen,  sich  mit  dem  'negativen'  Charakter  der  friedlos- 
legung  sehr  wohl  verträgt,  weil  diese  tatbestände  unter  den  gesichtspunkt  der 
strafbaren  begünstigung  des  friedensbrechers  fielen.  Man  wird  indessen  hierüber 
hinausgehen  und  jenen  verboten  ein  argument  gegen  die  annähme  eines  'positiven' 
Charakters  der  friedlosigkeit  entnehmen  können.  Brunuer  (Forschungen  s.  445) 
erachtet  für  wahrscheinlich,  dass  die  mit  dieser  annähme  unterstellte  Verpflichtung 
der  rechtsgenossen,  den  friedlosen  zu  verfolgen  und  zu  töten,  vom  ältesten  rechte 
nicht  durch  androhung  von  busse  oder  strafe  gesichert  war.  Er  meint,  es  habe 
dessen  im  hinblick  auf  das  starke  gemeingefühl  der  Volksgenossen  nicht  bedurft. 
Wenn  dem  so  war,  muss  hierin  schon  eine  änderung  eingetreten  gewesen  sein,  als 
man  die  (zum  teil  bereits  aus  dem  5.  Jahrhundert  üborlieferten)  Strafandrohungen 
gegen  das  hausen  und  hofen   friedloser  für  nötig  hielt.     Dann  aber  wäre  zu  er- 


NAUMANN   ÜBER   HOFFMANN,   DER   MITTELALTERLICHE   MENSCH  455 

•warten,  dass  neben  dem  verböte,  den  friedlosen  zu  begünstigen,  mindestens  ebenso 
sehr  das  gebot,  ihn  zu  verfolgen  und  zu  töten,  der  Sicherung  durch  Strafandrohung 
bedurft  hätte.  Von  hierauf  abzielenden  rechtssätzen  ist  aber  nichts  zu  bemerken. 
Denn  was  in  dieser  beziehung  angeführt  wird,  hat,  wie  Amira  (s.  .86)  zutreffend 
ausführt,  seineu  grund  in  der  allgemeinen  genossenpflicht  zur  rechtshilfe  und  ist 
unabhängig  davon,  ob  der  verfolgte  wirklich  friedlos  ist,  wie  es  andererseits  in  der 
regel  voraussetzt,  dass  diese  rechtshilfe  —  insbesondere  mittels  des  gerüftes  —  im 
einzelfalle  in  anspruch  genommen  worden  ist.  Die  etwaige  abschwächung  des 
gemeingefühls  hätte  aber  gewiss  früher  zur  Unterlassung  der  Verfolgung  und  tötung 
des  friedlosen,  als  zu  seiner  positiven  Unterstützung  geführt.  Es  ist  daher  aus- 
geschlossen, dass  nur  diese  mit  strafe  bedroht  worden  wäre,  wenn  eine  verfolgungs- 
und  tötungspflicht  bestanden  hätte.  War  letzteres  dagegen  nicht  der  fall,  so 
musste  ein  recht,  das  sich  mit  der  negativen  Wirkung  der  friedlosigkeit  nicht  mehr 
begnügen  wollte,  naturgemäss  zunächst  der  positiven  Unterstützung  des  friedlosen 
entgegentreten,  bevor  es  daran  denken  konnte,  die  blosse  Schonung  seines  lebens 
unter  strafe  zu  stellen. 

Wir  können  jedoch  von  hier  aus  noch  einen  schritt  weiter  tun.  Schon  nach 
den  beiden  stellen  der  lex  Salica,  die  das  verbot  der  speisung  und  beherbergung 
des  friedlosen  enthalten,  gilt  dieses  verbot'auch  für  die  nächsten  verwandten  und 
die  ehefrau  des  missetäters.  Die  nachdrücklichkeit,  mit  der  dies  betont  wird,  scheint 
auf  einen  älteren  rechtszustand  hinzuweisen,  welcher  nahen  angehörigen  des  fried- 
losen dessen  Unterstützung  wenigstens  innerhalb  gewisser  grenzen  freigab.  Für 
nordgermanische  rechte  ist  ein  solcher  rechtszustaud  und  sein  allmähliches  ver- 
schwinden quellenmässig  nachweisbar  (Wilda,  Strafrecht  der  Germanen  s.  287 ; 
Pappenheim,  Die  altdänischen  schutzgilden  s.  397  f.).  Wiederum  hören  Avir  aber 
nichts  davon,  dass  die  angehörigen  des  friedlosen  zunächst  einmal  von  der  Ver- 
pflichtung befreit  gewesen  wären,  ihn  zu  verfolgen  und  zu  töten  —  ein  weiterer 
grund  gegen  die  annähme,  dass  eine  solche  Verpflichtung  durch  die  friedloslegung 
den  Volksgenossen  erwachsen  wäre. 

KIEL,  Januar  1924.  max  pappenheim. 


Dr.  Paul  TU.  Uoifmanii,  Der  mittelalterliche  mensch.  Gesehen  aus  weit 
und  umweit  Notkers  des  Deutschen.  Verlag  Friedr.  Andr.  Perthes  a.-g.  Gotha.  1922. 
Der  Verfasser  sagt  von  sich  ausdrücklich,  er  habe  dieses  werk  als  Germanist 
geschrieben  und  wünsche  von  hier  aus  gewürdigt  zu  werden ;  aber  wenn  er  nun 
zu  Notkers  'Boethius'  s.  196  bemerkt:  'Die  erläuterungen  entstammen  einem  kom- 
mentar,  den  wir  nicht  kennen',  so  müssen  wir  hinter  den  'Germanisten',  der  über 
ein  thema  schreibt,  ohne  die  einschlägige  literatur  und  ihre  ergebnisse  zu  kennen, 
ein  fragezeichen  setzen.  Denn  seit  10  jähren  wissen  wir,  dass  dieser  kommentar 
im  wesentlichen  der  des  Remigius  von  Äuxerre  war:  Eemigius  in  der  hauptsache 
war  das  medium,  durch  welches  Notker  den  BoSthius  erhielt,  so  etwa  wie  Boethius 
selbst  das  medium  war,  durch  welches  Notker  den  Aristoteles  erhielt.  Manches 
also,  'was  Notker  sagt',  erscheint  in  einem  andern  lichte,  weil  es  bereits  bei  Remigius 
steht,  z.  b.  auch  die  stelle  Piper  I,  338,  2  über  die  Verzückung  des  Benedikt 
(Hoffmann  s.  332),  und  manches  von  dem,  was  H.  sagt,  hätte  wohl  ein  anderes 
aussehen  bekommen,  wenn  er  sich  auch  über  Kögel  und  Kelle  hinaus  um  die  Notker- 


4.5G  PANZER 

literatur  bekümmert  hätte.  Auch  angesichts  der  zahlreichen  artikel,  die  allenthalben 
zu  Notkers  lOOOjährigem  todestag  am  29.  juni  d.  j,  erschienen,  habe  ich  mich  ge- 
fragt, wozu  man  eigentlich  arbeitet,  wenn  die  erzielten  ergebnisse  so  wenig  Wirkung 
tun  und  unentwegt  die  alten  Irrtümer  breit  getreten  werden.  Zu  vorliegendem 
buche  mu.ss  ich  also  leider  bemerken,  dass  zu  dem  einen  ziele,  welches  H.  sich 
ausdrücklich  steckt,  nämlich  den  engeren  fachkreiseu  eine  umfassende  monographie 
über  Notker  zu  schreiben,  schon  die  notwendigsten  unterlagen  fehlen.  H.  weiss 
nicht,  dass  zu  einer  'grossen  Zusammenfassung'  die  ersten  linien  bereits  vor  längerer 
zeit  gezogen  waren.  Aber  H.  will  'geistesgeschichte  bringen'  und  sieht  sein 
grösseres  ziel  in  einer  Charakteristik  des  mittelalterlichen  menschen  überhaupt. 
Nach  der  Diltheyschen  methode  verfasst,  erhebt  sein  buch  die  ansprüche,  für  Notker 
etwa  das  zu  sein,  was  Gundolfs  und  Bertrams  bücher  für  Goethe,  George  und 
Nietzsche  sind.  Nun  ist  aber  der  'mittelalterliche  mensch'  als  solcher  eine  ab- 
straktion,  die  sich  verflüchtigt,  wenn  man  schärfer  zufasst,  denn  von  Jahrhundert 
zu  Jahrhundert  ist  auch  im  mittelalter  der  mensch  durchaus  verschieden.  Was  H. 
zeichnet,  ist,  genauer  formuliert,  der  klösterliche  mensch  der  humanistisch  ange- 
hauchten benediktinerkultur  vom  ausgang  der  ahd.  zeit,  der  zeit  vor  den  grossen 
kirchenreformen,  ist  also  nur  ein  bruchteil  des  mittelalterlichen  menschen.  H.  ist 
sich  dieses  übrigens  naheliegenden  einwands  durchaus  bewusst.  Was  fehlt,  ist  vor 
allen  dingen  neben  dem  mönchisch-mittelalterlichen  mensch  der  ritterlich-mittel- 
alterliche mensch.  Aber  es  ist  eben  unmöglich,  den  höfischen  ritter  des  13.  Jahr- 
hunderts mit  dem  humanistischen  mönch  vom  jähre  1000  unter  die  eine  formel 
'mittelalterlicher  mensch'  zu  bringen,  und  die  unzulänglich  kühne  konstruktiou,  die 
H.  zuletzt  von  Notker  zum  Parzival  und  zum  Tristan  ausführt  und  aufbaut,  wird 
uns  nur  noch  mehr  davon  überzeugen.  Im  gründe  ist  dies  buch  aus  dem  roman- 
tischen zuge  unserer  zeit  geboren.  Immerhin  ist  der  versuch  einer  synthese  wenig- 
stens des  römisch-mittelalterlichen  menschen,  gesehen  aus  Avelt  und  umweit  Notkers, 
ganz  an  sich  natürlich  zu  begrüssen.  Es  werden  in  unsern  tagen  gewiss  noch 
mehr  derartige  bücher  geschrieben  werden,  und  sie  werden  uns  erwünschte  ergän- 
zungen  zu  den  analytischen  werken  der  älteren  forscher  sein.  Wie  anders  als  es 
Schönbach  1894  «chrieb,  würde  und  müsste  z.  b.  ein  buch  über  Hartmann  heute 
ausfallen  und  wie  willkommen  wäre  uns  diese  ergänzung!  Der  romantische  gruudzug 
kommt  dem  buche  übrigens  zustatten.  Diese  mit  liebe,  fleiss,  Versenkung  und 
geschmack  erfolgte  darstellung  der  Sankt-Gallischen  kultur  spricht  den  leser  an 
wie  ein  tief  vergeistigter  Soheffelscher  'Ekkehard',  und  die  Charakteristiken  Salo- 
mons  in.,  des  Balbulus,  des  Tuotilo,  die  kapitel  'Sauctus  Benedictus',  'Die  menschen 
der  Cella  Sancti  Galli',  'Die  knaben  im  kloster'  wird  man  nicht  ohne  wirkliche 
freude  lesen. 

FRANKFURT   A.  M.    1922.  H.  NAUMANN. 


Nibelungensage  und  Nibelungenlied.  Die  stoffgeschichte  des  deutschen 
heldenepos,  dargestellt  von  Andreas  Heusler.  Dortmund,  Fr.  Wilh.  Ruhfus, 
1921.     235  s. 

Es   mag  für  den   Verfasser   eine   lust  gewesen  sein,  dies  buch  zu  schreiben. 
Seit  20  Jahren  hat   er   in   einer   langen   reihe   von   abhandlungen  sich  um  die  auf- 


ÜBER   HEüSLER,   NIBELUNGENSAGE   UND    NIBELUNGENLIED  457 

liellung  der  Nibelungensage  bemüht.  Hier  zieht  er  die  summe,  indem  er  von  der 
glänzendsten  formung  der  sage,  dem  Nibelungenliede,  aus  das  erreichte  betrachtet. 
Was  er  vorlegt,  darf  teilnähme  über  den  kreis  der  fachwissenschaft  hinaus  fordern. 

In  synthetischem  verfahren  baut  seine  schrift  die  Vorgeschichte  des  liedes 
vor  dem  leser  auf.  Zwei  ursprünglich  getrennte  ströme,  Brünhild-  und  Burgunden- 
sage,  sind  in  seiner  erzählung  zusammengeronnen. 

In  einem  fränkischen  liede  des  5.,  6.  jahrunderts  hat  die  Brünhildsage  zuerst 
gestalt  gewonnen.  Der  Inhalt  dieser  verlorenen  dichtung  wird  aus  den  Eddaliedern 
deutlich,  dem  alten  Sigurdliede  vor  allem,  in  dem  ihr  grundriss  sich  unverändert 
behauptet.  Sie  erzählte,  wie  Sigfried,  Sigmunds  söhn,  nach  Worms  zu  den 
Gibichungen  kommt,  mit  Kriemhild  sich  vermählt  und  ihrem  bruder  Günther  Brün- 
hild erwerben  hilft,  die  auf  einer  insel  im  fernen  norden  hinter  einem  flaramenwalle 
sich  geborgen,  nur  demjenigen  sich  hinzugeben  bereit,  der  das  feuer  durchreitet. 
Siegfried  durchdringt  die  flammen  in  Günthers  gestalt,  ruht  drei  nachte  keusch 
neben  Brünhild  und  behält  ihren  ring  auch  nachdem  die  getäuschte  sich  mit  Günther 
vermählt  hat.  Beim  bade  geraten  die  frauen  in  streit,  mit  dem  ringe  erhärtet 
Kriemhild  ihre  schelte,  dass  Brünhild  ihres  mannes  kebse  sei.  Brünhild  fordert 
Siegfrieds  tod.  Hagen,  Günthers  wallenmeister,  mordet  ihn  auf  der  jagd,  da  er 
seine  verwundbare  stelle  kennt.  Die  leiche  wird  Kriemhild  ins  bett  geworfen, 
Brünhild  tötet  sich  selbst. 

Dies  kurze  stabreimende  lied  —  es  war  in  einer  Viertelstunde  anzuhören  — 
hat  späterhin  die  form  des  endreimenden  verses  angenommen,  ohne  sich  in  seinem 
Inhalt  wesentlich  zu  ändern.  Gegen  ausgang  des  12.  Jahrhunderts  aber  verfiel  es 
der  eingreifenden  bearbeitung  eines  spielmanns.  Er  beseitigte  flammenritt  und 
gestaltentausch  und  führte  an  ihrer  stelle  die  kampfspiele  mit  der  tarnkappe  ein; 
aus  dem  keuschen  beilager  machte  er  die  bezwingung  der  Brünhild,  aus  dem  zank 
im  bade  einen  auftritt  in  der  halle.  Brünhilds  tod  ward  fallen  gelassen,  ihre  ge- 
stalt trat  überhaupt  hinter  Kriemhild  zurück.  Schon  werden  romanische  Vorbilder 
deutlich:  auf  die  erzählung  von  der  jagd  übte  der  provenzalische  roman  von  Daurel 
und  Beton  einfluss.  Kriemhilds  träum  verrät  einwirkung  des  Minnesangs.  Das 
lied  hatte  etwa  200  Strophen  vou  je  2  langzeilen.  Der  name  Burgonden,  der  hier 
die  Gibichungen  ersetzte,  erweist  entstehung  in  den  Eheinlanden.  Der  Inhalt  der 
verlorenen   dichtung  wird  aus   der  nacherzählung  in  der  J*iörekssaga  erschliessbar. 

Von  einem  fränkischen  heldenliede  —  es  mag  drei  bis  vier  geschlechter  älter 
gewesen  sein,  als  das  Brünhildenlied  —  nahm  auch  die  Burgundensage  ihren  aus- 
gang.  Wieder  fangen  wir  diese  älteste  gestalt  der  sage  im  spiegel  nordischer 
dichtung  auf;  die  Atlakviöa  hat  den  grundriss  im  wesentlichen  bewahrt.  Auf  dem 
geschichtlichen  gründe  der  ereignisse  von  437  und  453  erwachsen,  erscheint  die 
sage  bereits  in  äusseren  Zusammenhang  mit  dem  Brünhildenstoffe  gebracht.  Etzel, 
Kriemhilds  zweiter  gatte,  wünscht  den  hört  zu  erwerben,  den  seine  schwäger  und 
ihr  halbbruder  Hagen,  der  Eibensohn,  nach  Siegfrieds  ermordung  im  Rheine  ge- 
borgen haben.  Sie  folgen  seiner  einladung  ^trotz  der  warnung  ihrer  Schwester. 
Etzel  lässt  seine  gaste  beim  gelage  überfallen.  Günther  und  Hagen  werden  nach 
tapferer  gegenwehr  gefesselt,  Hagen  wird  das  herz  ausgeschnitten,  Günther  in  den 
schlangenhof  geworfen.  Kriemhild  rächt  die  brüder,  mordet  ihre  und  Etzels  söhne, 
setzt  sie  dem  gatten  als  ekle  speise  vor,  tötet  Etzel  und  verbrennt  sich  selbst  mit 
<ler  halle. 


458  PANZEU 

Das  fränkische  lied  wanderte  im  8.  jahrliundert  nach  Baiern.  Hier  aber  lebte» 
ostgotisches  erbe,  als  beliebtester  stoff  von  lange  her  die  Dietrichsage.  Sie  zeigte 
Etzel  in  ganz  anderem  lichte ;  das  gab  den  anlass  zu  einer  wesentlichen  Umgestaltung 
der  Burgundensage  auf  bairischem  boden.  Etzel  wurde  entlastet,  Kriemhild  der 
verrat  zugeschoben,  den  goldgier  und  gattenrache  nun  zwiefach  begründen.  Tötung 
der  knaben,  saalbrand,  tod  der  königin  blieben  mit  Wandlungen,  die  wesentlich 
durch  das  hereinziehen  Dietrichs  von  Bern  bedingt  waren.  Als  herkömmlich  ersten 
beiden  am  hunnischen  hofe  Avar  in  Baiern  seine  mitwirkung  am  untergange  der 
Gibichungen  unerlässlich,  ja  als  bezwinger  Hagens  (der  hier  hauptheld  geworden 
ist  an  stelle  Günthers)  und  sein  rächer  darf  er  die  rolle  des  richters  spielen. 

Diese  eingreifende  Umgestaltung  war  die  persönliche  tat  eines  einzelneu 
dichters.  Sie  hat  die  beiden  sagen  von  Brünhild  und  deu  Burgunden  innerlich 
verbunden.  Äusserlich,  in  ihrer  literarischen  ausgestaltung,  blieben  sie  trotzdem 
getrennt  und  zwar  auch  dann  noch,  als  bald  nach  1160  ein  spielmanu  in  Österreich 
das  Burgnndenlied,  das  inzwischen  endreimende  form  angenommen  hatte,  ohne 
seinen  Inhalt  zu  ändern,  zu  einem  epos  vom  sechs-  bis  achtfachen  umfange  aus- 
weitete. Den  anreiz  zu  solchem  unternehmen  boten  die  seit  einem  menschenalter 
aufgekommenen  epen  nach  romanischen  Vorbildern,  die  vorher  schon  ein  epos  vom 
könig  Rother  und  ein  verlorenes  von  Dietrichs  flucht  hervorgelockt  hatten.  Als 
form  wählte  der  spielmann  für  sein  epos  nicht  die  allzu  kurzatmigen  reimpaare 
des  könig  Eother,  sondern  eine  Strophe,  die  sein  landsmann,  der  Kürenberger,  so- 
eben für  den  minnesang  erfunden  hatte;  sah  die  doch  aus  wie  eine  stattlichere 
Schwester  jener  langzeilenpaare,  in  denen  das  Burgundenlied  abgefasst  war.  Seine 
dichtung  war  freilich  trotz  dieser  Strophe  ein  uusangbares  buchwerk.  Es  wandte 
sich  schon  an  höfische  kreise,  redete  aber  noch  eine  einfachere  spräche  als  das 
spätere  Nibelungenlied  und  trug  im  ganzen  noch  mehr  das  alte  heldische  als  ein 
höfisch  ritterliches  gepräge.  Blieb  die  fabel  in  ihren  grundzügen  schier  unver- 
ändert bestehen,  so  änderte  sich  doch  die  erzählungsweise:  den  springenden  sparsamen 
liedstil  ersetzte  eine  ausführlichere  giiederreiche  darstellung.  Sie  ward  erreicht 
nicht  bloss  durch  sprachliches  anschwellen  und  verweilendes  schildern.  Innerhalb 
der  gegebenen  fabel  setzt  nun  doch  ein  starkes  neubildeu  und  erfinden  ein:  die 
zahl  der  personen  wird  nahezu  verdoppelt  (10  zu  16  bis  20),  die  zahl  der  auftritte 
etwa  verachtfacht  (7—8  zu  mehr  als  60) ;  mehrfach  erscheinen  die  neuen  auftritte 
eben  auf  die  neugeschaffenen  gestalten  gestützt.  Und  nicht  nur  nebenpersonen  wie 
Uote,  der  Ferge,  die  Donauweiber,  markgräfin  Gotlind  und  ihre  tochter  sind  neu- 
geschaffen und  in  den  gesinden  massen  in  bewegung  gesetzt,  auch  heldenrolleu 
werden  neu  erfunden.  Französische  anregungen  reizten  zur  einführung  des  heldischen 
spielmanns  Volker,  Hildebrand  und  Iring  wurden  aus  bereitliegenden  sagen  genommen, 
vor  allem  aber  Rüdeger  aus  dem  österreichischen  Dietrichsepos  herbeigeholt,  dessen 
dichter  diese  gestalt  kurz  vorher  als  verklärtes  gegenbild  der  Babenherger  mark- 
grafen  geschaffen  hatte,  als  huldigung  vermutlich  für  Heinrich  Jasomirgott  f  1177, 
in  dem  wir  den  auftraggeber  dieser  ältesten  schreibenden  heldendichter  vermuten 
dürfen. 

Dies  ältere  Burgundenepos  ist  uns,  trotzdem  es  aufgeschrieben  wurde,  nicht 
erhalten,  weil  es  alsbald  durchs  Nibelungenlied  verdrängt  ward.  Seinen  Inhalt  aber 
finden  wir  recht  gut  in  der  darstellung  der  fiörekssaga  bewahrt,  deren  erzählung 
vom  Burgundenuntergange  auf  ihm  beruht. 


ÜBER   HEUSLER,   NIBELUNGENSAGE   UND   NIBELUNGENLIED  459" 

So  weit  war  die  sage  entwickelt,  als  dann  ein  raensclienalter  nach  diesem 
österreichischen  epiker  der  dichter  des  Nibelungenliedes  auf  den  plan  trat. 

Landsmann  und  Standesgenosse  seines  Vorgängers,  aber  aufgewachsen  in- 
anschauung  der  ritterlichen  epik,  die  in  den  seither  verflossenen  zwei  Jahrzehnten; 
erblüht  war,  wünschte  er  eine  ritterliche  Verklärung  der  alten  heldenweit  zu  geben; 
lag  sie  ihm,  dem  Österreicher,  doch  immer  noch  näher  als  jene  welschen  ritter- 
mären, an  die  seine  westlichen  altersgenossen,  ein  Hartmaun,  Wolfram,  Gottfried 
sich  verloren.  Er  griff  das  Burgundenepos  des  älteren  landsmannes  auf  und  suchte 
es  auf  die  höhe  der  neuen  kunst  zu  heben.  Indem  er  die  äussere  form  der  Nibe- 
lungenstrophe beibehielt,  sicherte  er  sich  eine  bequeme  möglichkeit,  breite  stücke 
der  vorläge  zu  übernehmen.  Diese  strophenform  musste  sich  nun  aber  auch 
das  rheinische  Brünhildenlied  gefallen  lassen,  das  er,  wie  es  stofflich  ja  längst  mit 
der  Burgundensage  in  beziehung  getreten  war,  dieser  nun  auch  äusserlich  als  Vor- 
geschichte verband.  Dies  verfahren  machte  eine  innere  ausgleichung  der  beiden 
Stoffe  notwendig.  Es  galt,  sachliche  Widersprüche  mannigfacher  art  nach  möglich- 
keit zu  tilgen,  bisher  nur  in  einem  der  beiden  teile  auftretende  personen  in  beiden 
zu  beschäftigen,  endlich  auch  ein  gewisses  äusseres  gleichgewicht  herzustellen,  was 
ein  starkes  auffüllen  der  mageren  ersten  hälfte  bewirkte.  Die  stärkste  Verkettung 
ergab  der  neue  gedanke,  Kriemhild  zur  beherrschenden  gestalt  der  ganzen  dichtung 
zu  erheben;  es  war  natürlich,  dass  Brünhild  dadurch  noch  stärker  in  den  hinter- 
grund  gedrängt  wurde. 

Des  weiteren  galt  es  nun,  den  ganzen  stoff  zeitgerecht  aufzuarbeiten.  Das 
altfränkische  wurde  abgestossen,  die  neue  ritterliche  umweit  in  breiten  Schilderungen 
hereingezogen,  die  den  ersten  teil  bequem  füllen  halfen.  Denken,  reden  und 
handeln  der  gestalten  formte  sich  aus  feinerem,  wählerischem  geiste;  freilich  blieb 
dazwischen  manches  überlebsei  des  alten.  Nicht  minder  ward  spräche  und  vers 
der  neuen  kunst  augenähert  und  die  darstellung  so  breit  und  reich  entwickelt,  dass 
die  vorläge  im  zweiten  teile  auf  das  zweieinhalbfache,  im  ersten  gar  aufs  zehnfache 
angeschwellt  wurde.  Rein  sprachliche  ausweitung,  beredtere  Seelenschilderung  und 
einführung  neuer  gestalten  führten  zu  diesem  ergebnis.  Dankwart,  Sigmund, 
Alberich,  Pilgrim,  Else  und  Gelpfrat  wurden  neu  erfunden  und  ganze  Zwischenspiele- 
wie  der  Sachsenkrieg,  Siegfrieds  besuch  bei  Alberich,  der  verrat  des  geheimnisses 
durch  Kriemhild,  Sigmunds  heimkehr  und  die  einbringung  des  hortes  im  ersten 
teil,  im  zweiten  die  beiden  grossen  Dankwartszenen,  der  kämpf  der  Burgunden  mit 
den  mannen  Dietrichs,  vorher  das  massenturnier  und  der  wunderbare  auftritt  'Wie 
er  niht  gen  ir  ufstnont'  sind  neuschöpfungen  dieses  dichters.  Sind  diese  Zwischen- 
spiele nach  ihrem  grundriss  freischweifender  einbildungskraft  entsprungene  ausbauten 
epischen  stiles,  so  werden  für  manches  einzelne  nebenquellen  deutlich:  aus  heldischer 
und  höfischer  dichtung,  chronik  und  Zeitgeschichte  liess  dies  und  jenes  sich  schöpfen. 
In  eingehenden  erwägungen  sucht  der  Verfasser  darzutun,  was  von  den  älteren 
stufen,  die  in  den  nordischen  quellen  fassbar  werden,  noch  in  der  letzten  dichtung 
sich  erhalten,  was  und  wie  ihr  Schöpfer,  der  ein  dichter  war,  kein  blosser  bearbeiter^ 
umgestaltet  und  zugefügt  hat. 

Seine  Verdienste  werden  zusammenfassend  gewürdigt,  allgemeinere  betracht- 
ungen  haben  dazwischen  erläutert,  welche  grundsätzlichen  Vorgänge  bei  der  epen- 
entwicklung  zu  beobachten  sind.  An  vier  abschnitten  des  Nibelungenliedes  wird 
zum   Schlüsse   gezeigt,   Avie   das   vorgetragene   nun  in  umkehr  zur  analyse  sich  an- 


460  PANZBE 

wenden  lässt,  um  im  überlieferten  texte  die  drei,  vier  schichten  zu  erkennen,  die 
allenthalben  übereinander  lagern. 

1816  bis  36  erschienen  Lachmanns  forschungen  über  das  Nibelungenlied  und 
seine  Vorgeschichte,  hundert  jähre  später  dies  buch:  welch  ein  abstand!  Und  vor 
;illem  dies:  von  Lachraanus  Untersuchungen  fuhrt  kein  weg,  keine  organische  ent- 
wicklung  zu  den  ergebnissen  Heuslers.  Es  bedurfte  eines  vollständigen  verlassens 
der  von  Lachmann  eingeschlagenen  bahnen,  um  zu  ihnen  vorzudringen. 

Es  war  das  unbegreifliche  an  Lachmanns  Nibelungenforschung,  dass  er,  ge- 
blendet vom  homerischen  licht,  das  Nibelungenlied  aus  seinen  lebendigen  beziehuugen 
gerissen  und  in  eine  künstliche  Vereinzelung  gestellt  hatte,  wie  sie  bei  den 
Homerischen  gedichten  beklagenswerte  tatsache  ist.  Heuslers  Untersuchung  aber 
ist  ganz  und  gar  auf  vergleichung  gestellt;  nur  das  dauernde  herbeiziehen  der 
vielgestaltigen  nordischen  Überlieferung  und  alles  sonstigen,  was  sich  aus  unserem 
stoffkreise  anbietet,  hat  ihn  in  den  stand  gesetzt,  seine  bedeutsamen  ergebnisse  zu 
erringen. 

Enge  damit  zusammen  hängt  ein  zweites:  das  buch  hat  in  strengstem  sinne 
ernst  gemacht  mit  der  einsieht,  dass  heldensagc  dichtuug  sei.  Eine  'sage'  ausser- 
halb der  dichtung  gibt  es  nicht;  heldensage  und  volkssage  sind  nach  wesen  und 
lebensbedingungen  gänzlich  verschieden.  Es  werden  die  äussersten  folgerungen  aus 
dieser  einsiebt  gezogen.  Die  verschiedenen  stufen  der  sage  bedeuten  für  unseren 
Verfasser  nichts  anderes  als  eben  so  viele  dichterische  persönlichkeiten,  die  in 
freier  künstlerischer  tätigkeit  diese  stufen  geschaffen  haben.  Im  gründe  ist  die 
ganze  geschichte  des  Nibelungenliedes  dasein  und  ablösung  von  6  dichtem,  die 
nacheinander  den  stoff  formten.  Das  volk,  die  gemeinschaft  hat  daran  keinerlei 
anteil.  Der  Verfasser  spricht, 'recht  aufklärerisch  eingestellt,  vom  Volke  nicht  eben 
mit  Verehrung:  die  heldensage  vom  Burgundenuntergang  ist  ihm  nichts  weniger 
als  'vom  volhsmund  zerschwatzte  geschichte'.  Es  entbehrt  nicht  des  pikanten  reizes, 
dass  ein  so  hocharistokratisches  buch  eben  in  unseren  tagen  und  ausgerechnet  von 
einem  Schweizer  —  einem  Basler  freilich  —  geschrieben  werden  konnte. 

Der  Verfasser  hat  seiner  arbeit  den  Untertitel  gegeben :  'Die  Stoffgeschichte 
^es  deutschen  heldenepos'.  Die  bezeichnung  könnte  irreführen.  Wir  wären  geneigt. 
das  buch  eher  die  geschichte  der  form  unserer  Überlieferung  zu  nennen,  das  wort 
in  jenem  weiteren  und  tieferen  sinne  genommen,  der  die  innere  formung  mit  be- 
greift. Sie  ist  in  Wahrheit  das  eigentliche  augenmerk  des  Verfassers,  für  die  ge- 
schichte des  Stoffes  ausserhalb  seiner  dichterischen  formung  zeigt  er  sogar  auffallend 
geringen  anteil.  Über  manche  stofflichen  Voraussetzungen  der  von  ihm  aufgestellten 
lieder  wird  mit  bemerkungen  hinweggegangen,  deren  flüchtigkeit  in  seltsamem 
gegensatze   steht   zu   der  tiefbohrenden  art,  die  sonst  die  darstellung  kennzeichnet. 

Wir  hätten  zu  dem  buche  im  ganzen  und  einzelnen  mancherlei  auf  dem 
herzen.  Wir  bemerken,  dass  wir,  romantischer  gestimmt  als  der  Verfasser,  nicht 
imstande  wären,  die  geschichte  unserer  heldensage  derart  in  klar  bestimmte  künstler- 
geschichte  aufzulösen,  einer  eng  und  genau  bestimmten  zahl  von  dichtem  zu  über- 
schreiben ;  wir  bekennen,  dass  manches,  was  Heusler  von  der  freiheit  und  selbst- 
herrlichkeit dieser  dichter  und  ihrer  erfindungeu  sagt,  uns  der  gesicherten  erfahrung 
zu  widersprechen  scheint,  die  man  sonst  an  mittelalterlicher  Überlieferung  machen 
kann.  Wir  gestehen,  dass  die  hehauptete  entwicklung  der  Brünhildsage  mit  ihren 
zwei  stufen  uns   unglaubhaft   dünkt,  wir  empfinden  die  Schrift  öfter  als  das  buch 


ÜBER  HEU.SLER,  NIBELUXGENSAÜE  UND  NIBELUNGENLIED         461 

eines  Skandinavisten,  der  seiue  massstäbe  sich  ganz  aus  nordischer  Überlieferung 
gebildet  und  in  der  kühle  da  droben  ein  wenig  vergessen  hat,  dass  im  süden 
weichere  winde  wehen. 

Aber  alle  einwendungeu,  die  wir  machen  könnten,  verstummen  vor  der 
freudigen  anerkennung  des  geleisteten.  Wir  stehen  nicht  an,  dies  buch  als  das 
beste  und  folgenreichste  zu  bezeichnen,  das  bisher  über  das  Nibelungenlied  ge- 
schrieben wurde.  Es  bedeutet  in  Wahrheit  einen  markstein  in  der  geschichte  der 
forschung,  und  es  ist  mit  Zuversicht  zu  erwarten,  dass  vieles  von  dem,  was  der 
Verfasser  darlegt,  sich  als  dauernder  gewinn  behaupten  wird. 

"Wir  danken  dem  Verfasser  auch  für  die  form,  in  der  er  seine  forschungen 
dargeboten  hat.  Sein  buch  wendet  sich  an  weite  kreise  und  er  hat  in  vorbildlicher 
weise  verstanden,  wissenschaftliche  gründlichkeit  und  gemeinverständlichkeit  zu 
verbinden.  Feinfühlig  geht  er  allen  absichten  der  alten  dichter  nach,  scharf  und 
klar  gestaltet  er  mit  immer  bildhaft  schmiegsamem  ausdruck  das  geschaute.  Zu- 
gleich erweist  sein  buch,  im  reinsten  deutsch  geschrieben,  dass  es  möglich  ist,  die 
feinsten  künstlerischen  regungen  zu  schildern,  ohne  in  jenes  kauderwelsch  zu 
geraten,  in  dem  unsere  Ästheten  von  heute  sich  gefallen,  mit  dem  sie  oft  sich  und 
andere  darüber  hinwegzutäuschen  suchen,  dass  sie  in  Wahrheit  nichts  zu  sagen 
haben.  Als  Schweizer  scheut  der  Verfasser  sich  auch  nicht,  gelegentlich  ein 
'urchiges'  wort  seiner  heimat  in  seine  rede  zu  mischen. 

Heusler  hat  mit  seinem  buche  wieder  gut  gemacht,  was  die  germanistische 
Wissenschaft  am  Nibelungenliede  verbrochen  hat.  Am  beginne  des  vergangenen 
Jahrhunderts  war  altdeutscher  dichtung  und  dem  Nibelungenliede  im  besonderen 
schon  einmal  die  teilnähme  der  ganzen  nation  geschenkt.  Die  Wissenschaft  hat 
rasch  verstanden  sie  zu  ersticken,  indem  sie  die  Überlieferung  mit  einem  stachel- 
draht  hochmütiger  gelehrsamkeit  umzäunte  und  hundert  schilder  in  die  runde  stellte, 
die  unbefugten,  d.  h.  allen,  die  kein  reimwörterbuch  und  keine  grammatik  studiert 
hatten,  den  zutritt  wehrten.  Und  das  arme  Nibelungenlied  sah  sich  in  solcher 
pflege  bald  derart  vom  geifer  ineinander  verbissener  philologen  überschäumt,  dass 
kein  gebildeter  es  mehr  anrühren  mochte.  Langsam  sind  die  lüfte  über  der  dichtung 
reiner  geworden.  Zu  Heuslers  buch  ist  nun  jeder  geladen.  Es  bedarf  keiner  ge- 
lehrsamkeit es  zu  lesen,  und  wer  es  aufgenommen  hat,  wird  mit  tieferem  Verständnis 
und  reinerem  genusse  zur  dichtung  selbst  sich  zurückwenden.  Das  ist  die  schönste 
frucht,  die  es  tragen  kann. 

Für  seine  wissenschaftliche  lebensbahu  möchten  mir  dem  buche  schliesslich 
noch  eines  wünschen.  Der  Verfasser  tritt  mit  gewicht  auf,  abweichende  meinungen 
werden,  wo  sie  hindernd  auf  seinen  bahnen  stehen,  mit  höflicher  bestimmtheit  aus 
dem  wege  gewiesen.  Möchte  dem  buche  erspart  bleiben,  dass  eine  geschäftige 
anhängerschaft  seine  ergebnisse  alsbald  kanonisiere,  wie  es  einst  mit  Lachmanns 
meinungen  geschah.  Dann  wird  ihm  ein  fruchtbares  fortwirken  und  dauerndes  leben 
beschieden  sein. 

HEIDELBERG.  FRIEDRICH   PANZER. 


462  STRAUCH 

Bibliotheque  de  la  faculte  de  philosophie  et  lettres  de  1 'uni ver- 
8it6  de  Li6ge.  Fase.  XXXIII:  Sermons  de  J.  Tauler  et  autres  ecrits 
mystiques.  1.  Le  codex  Vindobonensis  2744,  edite  pour  la  premiere  fois,  avec 
les  variantes  des  6ditions  de  Vetter  (1910),  de  Leipzig  (1498),  d'Augsbourg 
(1508)  et  de  Cologne  (1543),  precede  d'une  introduction  et  annote  par  A.  L.  Corin, 
Charge  de  cours  ä  l'universite  de  Liege.  Liege  et  Paris  1924.  XXXI  et 
328  p.  8«. 

Mit  den  beiden,  von  der  forschung  bisher  wenig  berücksichtigten  Wiener 
Taulerhandschriften  2739  und  2744  hat  sich  neuerdings  L.  Naumann  in  dieser  Zeit- 
schrift 46,  269  (vgl.  dazu  Beiträge  44,  16)  näher  befasst,  indem  er  ihren  Inhalt, 
genauer  als  Hoffmann  von  Fallersleben  es  getan,  verzeichnete,  auch  von  beiden 
Codices  je  eine  predigt  (Ausgew.  pred.  J.  Taulers,  1914,  s.  5  nr.  1 ;  diese  Zeitschrift 
46,  280  ff.)  abdruckte.  Der  hier  zur  besprechung  stehende  band  bildet  den  ersten 
eines  auf  drei  teile  berechneten  Werkes  und  gibt  einen  vollständigen  abdruck  der 
Wiener  hs.  2744  mit  gegenüberstellung  der  entsprechenden  stücke  des  Augsburger 
druckes  von  1508  (A),  an  zwei  stellen  (nr.  13.  14)  auch  des  Kölner  druckes  von 
1543  (C).  Der  apparat  verzeichnet  die  lesungen  bei  Vetter  sowie  die  lesarten  von 
LAC.  Im  zweiten  band  soll  dem  umfangreicheren ',  interessanteren  cod.  2739  der 
Leipziger  druck  von  1498  (L)  an  die  seite  gestellt,  gleichzeitig  auch  hier  C  ergän- 
zend herangezogen  werden.  Der  dritte  teil  wird  sich  mit  der  spräche  der  manu- 
skripte  und  der  Taulerischen  terminologie  zu  befassen  haben.  Der  herausgeber  hat 
bereits  in  einigen  kleineren  beitragen  sprachlicher  und  textkritischer  art  sein  Interesse 
für  Tauler  bekundet,  s.  Neophilologus  6,  161.  8,  30;  Leuvensche  bijdragen  15  (1923), 
56 ;  weiteres  verheisst  er  für  demnächst  im  Bulletin  bibliogr.  du  Musee  Beige  und 
in  der  Revue  Beige  de  phil.  et  d'histoire.  Bei  aller  anerkennung  der  bei  der 
materialsammlung  aufgewandten  umsieht  kann  nicht  verschwiegen  werden,  dass  der 
erste  band  des  breit  angelegten  Werkes  der  Taulerkritik  nur  bedingt  zugute  kommt, 
insofern  der  Taulertext  durch  den  vollständigen  abdruck  der  ganzen  Wiener  hs. 
nicht  allzuviel  gewinnt.  Corin  verfolgt  noch  einen  weiteren,  rein  sprachlichen 
zweck :  es  ist  ihm  um  eine  übersichtliche  wiedergäbe  dialektisch  verschiedener  text- 
gestaltungen  zu  tun.  Es  besteht  nicht  etwa  ein  näheres  Verhältnis  zwischen  Wien 
2744  und  A,  oder  Wien  2739  und  L,  sondern  den  ripuarischen  Wiener  texten 
werden  in  A  ein  oberdeutscher,  in  L  ein  mitteldeutscher  text  gegenübergestellt,  zu 
denen  vereinzelt  sich  der  Kölner  text  C  gesellt.  Lohnt  aber,  um  diese  in  allen 
färben  schillernden  texte  überschauen  zu  können,  —  sie  sollen  im  dritten  teile  ge- 
würdigt werden  —  die  dafür  aufgewandte  mühe  und  Sorgfalt?  ich  glaube  nicht, 
denn  wenn  auch  Wien  2744  vereinzelt  —  Corin  spricht  s.  IX  übertreibend  von 
'nombreuses  variantes'  —  den  Vetterschen  text  zu  bessern  vermag,  wenn  es  auch 
■willkommen  ist,  die  lesarten  der  drucke  LAC  (Basel  1521  wird  nur  für  nr.  14, 
nicht  12,  wie  es  s.  XII  heisst,  herangezogen)  bequem  zur  hand  zu  haben,  so  wird 
letzten  grades  unsere  erkenntnis  doch  nur  darin  gefördert,  dass  wir  sehen,  wie 
auch  die  Überlieferung  der  Wiener  hss.  nach  Köln  führt,  wo  Tauler  1339  und  1346 
verweilte,  wohin  der  Kölner  druck  C  und  auch  die  textgestalt  weist,  aus  der  die 
oberdeutschen  EFS  hervorgegangen  sind,  ein  ergebnis,  das  wir  gewiss  nicht  unter- 

1)  Bei  Naumann  sind  Zeitschr.  46,  270  z.  20.  21  die  Signaturen  der  beiden 
Wiener  hss.  umzustellen:  2744  (nicht  2739)  enthält  16  nummern,  von  denen  die 
beiden  letzten  für  Tauler  ausscheiden ;  2739  mit  66  stücken  stellt  wichtigere  probleme. 


ÜBER   TAULER,    BIBLIOTHEQUE   DE   LA   FACULTE   DE   PHILOSOPHIE   ET   LETTRES     463 

schätzen  wollen,  denn  es  bestätigt  die  tatsache,  dass  wir  bisher  wie  der  mittel- 
niederdeutschen so  auch  der  rheinisch-niederfränkischen  Überlieferung  mystischer 
texte  nicht  genügend  beachtung  geschenkt  haben.  Wien  2744  gehört  zu  den  ältesten 
zeugen  der  Taulerüberlieferung,  dass  sie  gerade  die  älteste  hs.  sein  miisste,  wäre 
aber  doch  zu  viel  behauptet,  s.  s.  IX.  XXVII. 

Die  einleitung  gibt  eine  sehr  gründliche  Charakteristik  der  Wiener  hs. : 
einband,  Zusammensetzung,  Ursprung  (sie  gehörte  zeitweise  zur  büchersamralung 
von  Goethes  grossoheim  J.  M.  von  Loen),  datierung,  schrift,  predigtenfolge  werden 
besprochen  ;  für  den  abdruck  hat  sich  Corin  an  die  Vettersche  Zählung  angeschlossen, 
es  sind  die  nr.  36-38.  40.  45.  57.  60  a  b  e  f  g.  63.  Auf  nr.  13  und  14  wird  noch 
zurückzukommen  sein;  die  kleinen  stücke  nr.  15  und  16  kommen  für  Tauler  wohl 
nicht  in  betracht,  anderswo  sind  sie  noch  nicht  nachgewiesen.  S.  XIII— XXIV  geben 
auskunft  über  die  drei  drucke  L'AC ;  A  hätte  Corin  nicht  schlechtweg  als  'bavarois' 
bezeichnen  sollen,  über  Job.  Rynmann  von  Öhringen  (nicht  Erringen,  s.  XVI  anra.  2) 
s.  AUg.  deutsche  biographie  53,  657.  —  S.  XXIV— XXVI  äussert  sich  der  heraus- 
geber  über  das  bei  wiedergäbe  der  texte  befolgte  verfahren ;  nicht  einverstanden 
bin  ich  mit  der  systematischen  Verwendung  von  apostroph  {sagen's  hoirten's,  weir't, 
macliH,  ts't)  bei  enklise  einsilbiger  schwacher  wortformen  an  das  vorangehende  wort 
und  von  verbindungsstrich  bei  uneigentlicher  komposition  {umbe-gangen,  af-vallen) 
und  sonst  {altzo-male,  da-niit,  hey-vürmails,  hin-af),  wo  doch  die  handschriftliche 
Überlieferung  dafür  keinen  anhaltspunkt  gibt.  Bei  den  zahlreichen  anmerkungen 
zu  einzelnen  stellen  wäre  schärfere  kritik  am  platze  gewesen ;  es  fördert  nicht, 
sondern  verwirrt  nur,  wenn  man  in  zweifelhaften  fällen  zu  vielen  möglichkeiten  der 
auffassung  oder  besserung  räum  gibt,  vollends  wenn  dabei  noch  sprachliche  Irrtümer 
unterlaufen ;  weniger  wäre  hier  mehr  gewesen.  Dankenswert  und  im  ganzen  ein- 
leuchtend ist  der  s.  XXVII— XXXI  gemachte  versuch,  das  abhängigkeitsverhältnis 
der  behandelten  hss.  und  drucke  durch  einen  Stammbaum  zu  veranschaulichen.  Dass 
es  zu  St.  Gertrauden  in  Köln  mehrere  manuskripte  Taulerscher  predigten  gab,  ist 
sicher;  auch  W  gehört  jedesfalls  dieser  Kölner  gruppe  an,  F  stimmt  in  manchen 
lesarten  mit  VV  überein,  E  setzt,  soweit  ein  vergleich  möglich  ist,  bei  Vetter  les- 
arten  aus  F  zur  Verfügung  stehen,  einen  F  ähnlichen  text  voraus,  hat  dann  aber 
öfter  nach  S  korrigiert.  Schmidts  abschriften  der  drei  Strassburger  hss.  bieten 
leider  kein  absolut  zuverlässiges  material.  Zur  beurteilung  von  L  verlohnte  es 
vielleicht  doch,  einmal  genauere  einsieht  in  die  hs.  L  559  zu  nehmen. 

Mit  nr.  13,  die  in  W  an  erster,  in  E  an  letzter  stelle  steht,  während  sie  FS 
abgeht,  hat  es  eine  eigenartige  bewandnis,  insofern  sich  W  nahe  mit  C  berührt, 
dessen  text  Corin  deshalb  vollständig  zum  abdruck  bringt,  um  zugleich  mit  hilfe 
lateinischer  und  griechischer  buchstabenverweise  und  durch  randstriche  zu  zeigen, 
in  welcher  weise  C  zwei  vom  gleichen  testwort  ausgehende  rezensionen:  Wund  V 
(nr.  71)  LA  (vgl.  auch  B  161 »)  zusammengearbeitet  hat.  Cofin  hätte  noch  hinzu- 
fügen können,  dass  nr.  13  der  Hildsheimer  hs.  einen  paralleltext  zu  W  bietet,  viel- 
leicht auch  Brüssel  1959.  S.  Beiträge  44,  9.  20;  Zeitschr.  41,  20.  -  Nr.  14  (in 
der  Überlieferung  in  W  an  sechster  stelle)  begegnet  nur  im  Basler  und  Kölner 
druck.  Auch  hier  ist  C  als  paralleldruck  neben  W  gestellt  unter  berücksichtigung 
von  B.     Ich   füge   hinzu,   dass   ebenfalls   zu  nr.  14  aus  der  Hildesheimer  hs.  unter 

1)  Im  titel  von  L  (s.  XIII,  dazu  a.  XV  anm.  2)  ist  doch  wohl  zu  verbinden : 
durch  nberschtvebenden  st/n  unvoracht  'unverächtlich,  tadellos'. 


464  STRAUCH 

nr.  38  ein  paralleltext  kommt,  während  Brüssel  14  688  da  einsetzt,  wo  WC  ab- 
brechen.   S.  Beiträge  44,  10.  21;  Zeitschr.  36,  71  nr.  9. 

In  der  Zusammenstellung  der  in  W  überlieferten  14  predigten  lässt  sich,  so 
viel  ich  sehe,  ein  anordnendes  prinzip  nicht  erkennen.  —  Die  sich  hier  anschliessende 
besprechung  einzelner  stellen  —  sie  gibt  nur  eine  auswahl  dessen,  was  ich-  mir  bei 
wiederholter  lektüre  angemerkt  habe  —  verfolgt  den  nebenzweck,  für  den  Vetter- 
schen  Taulertext  aus  W  gewinn  zu  ziehen. 

9,  15  lies  mit  VLAC  gnaden.  10,  3  die  anmerkung  gibt  kein  anschauliches 
bild  der  eigenartigen  Überlieferung  {ane  ain  aue) ;  hier  darauf  einzugehen,  würde 
zu  weit  führen.  13  bilde  'gestalt',  'vorbild'  in  VW  verdient  doch  Avohl  den  Vorzug, 
s.  die  lesa.  und  das  glossar  bei  Vetter.  15  gegen  die  anm.  wird  an  spiin  festzu- 
halten sein:  'spielerisch',  d.  h.  'unnütz',  'zwecklos'.  19,  3U  vgl.  V  141,  7:  hiess 
es  ursprünglich  van  diesme  lambe?  schaife  war  vielleicht  randglosse.  22  anm,  8: 
im  Basler  druck  sontag.  29  anm.:  der  erste  erklärungsversuch  ist  sicher  abzulehnen, 
lies  [maich-]schaffen,  vgl.  V  144,  2").  31  anm.  1  vgl.  mnd.  schorvetich,  Schiller- 
Lübben  4,  122»;  Lübben-Walther,  Mnd.  handwb.  s.  333  a.  31^  ig  und  anm.  auf 
s.  32:  horecht  =  hovereht  Lexer  1,  1366.  35,  6  vgl.  V  146,  18  nach  alleyne  wird 
mit  den  drucken  gebildet  einzufügen  sein.  30,  16  und  anm.  tritt  Corin  für  unlide- 
licJi   gegenüber    V  146,  34  nnnützlich   ein.      39,  4  f.    hain    ich   gesprochen,   dagegen 

V  147,  26  sprach  ich  gester,  LAB  hab  ich  noch  mit  gespr.,  vgl.  auch  C.  h.  i.  mehe 
gespr.!  S.  unten  bei  nr.  4  s.  61  f.  42,  1  und  anm.:  aus  zertcerfen  in  E  (V  148,  30) 
gegenüber  zo  werpen  in  W  möchte  Corin  auf  eine  niederrheinische  vorläge  für  E 
schliessen.  8  (vgl.  V  148,  33)  ist  mit  Corin  beiden  in  W  der  vorzug  vor  bieten  E 
zu  geben,  lies  beiten.  44,  11  und  anm.  vgl.  V  149,  21  lesa.  Die  ursprüngliche 
Schreibung  lieben  in  E  findet  durch  letden  W  ihre  erklärung:  Hess  letten,  vgl.  lieterde, 
Lexer  1,  1890,  46,  24  f.  mit  W  und  Corin  ist  V  150,  12  zu  bessern:  Tring  dich 
in  dich  selber,  mit  inbegin  denne  usw.  47,  3—48,  13  geht  AB  ein  grösserer  passus 
ab,  L  dagegen  zeigt  allein  einen  grösseren  zusatz,  s.  s.  47  lesa.  54,  8  bessert  V 
152,  12:  gelüsten  statt  gelüchten.  55,  14  keltere  statt  kelre  ES  wurde  schon  von 
Vetter  (152,  25)  gebessert.  58  anm.  2,  71  anm.  2  werden  in  den  nachtragen  s.  326 
modifiziert:  gericht  —  gerichtet.  60,  5  vgl.  V  154,  1:  die  lesa.  von  W  in  den  norden 
gegenüber  hinder  einen  berg  verdient  angemerkt  zu  werden.  S.  61  f.  anm.  Dem 
versuch  nr.  4  zeitlich  zu  bestimmen,  kann  ich,  so  vorsichtig  sich  der  Verfasser  auch 
ausdrückt,  nicht  beipflichten.  Auch  hier  mahnt  die  Überlieferung  bei  rückverweisen 
zu  grösster  vorsieht.  In  der  3.  und  4.  predigt  fehlt  in  W  39,  5  und  61,  13  der 
rückverweis  auf  einen  gedanken,  den  der  prediger  bereits  gesterti  berührt  habe,  wie 
ihn  V  147,  26.  162,  30  (dort  zweimal)  bietet.  In  ersterem  falle  besagen  LAB  das 
gegenteil :  von  disen  sinnen  hab  ich  noch  nit  gesprochen,  während  C  statt  gestern  : 
mehe  setzt.  Auch  an  der  zweiten  stelle  geht  W  die  zweimalige  rückbeziehung  ab, 
die  EL  (AB  und  wohl  auch  C,  wenigstens  einmal)  aufweisen.  Dass  der  ausdruck 
gestern  zudem  nicht  auf  den  vorhergehenden  tag  beschränkt  sein  muss,  vielmehr 
eine  gewisse  dehnbarkeit  zulässt,  hebt  Corin  selbst  hervor.  Sodann:  des  Verfassers 
bemühen,    eine   gedankenverbindung  herzustellen    zwischen   37,  7—10.  61,  10—13  = 

V  135,  11—20.  147,  26—28  sowie  zwischen  den  zwei  arten  Igdungen  (62,  1  ff.  =  V 
163,  1  ff.)  und  ausführungen  in  der  ersten  predigt  (V  nr.  36,  s.  die  anm.  3  auf 
s.  61)  ist  doch  nur  ein  notbehelf,  der  nicht  befriedigen  kann.  Auch  Naumann 
hatte  in  seiner  dissertation  s.  2  bedauert,  die  rückverweise  in  nr.  70  des  Leipziger 
drucks   (unsere  nr.  4)  nicht   auffinden   zu   können.     So  heisst  es  also  zunächst  sich 


ÜBER   TAULER,   BIBLIOTHEQUE   DE    LA   FACULTE   DE   PHILOSOPHIE   ET   LETTRES     46^ 

bescheiden.  Corin  hat  bei  seiner  Zeitbestimmung  gleichfalls  übersehen,  dass  der 
text  der  dritten  predigt  (V  nr.  38)  für  den  vierten  sonntag  nach  Trin.,  nicht  für 
den  dritten  in  frage  kommt.  65,  13.  16.  26  suchten  'seufzen'  berichtigt  das  falsche 
suchen  V  161,  2.  4.  9.  68,  3  dat  ivotrde{\)  nut/n  mainde,  das  nur  W  bietet,  gab- 
wohl  anlass  zu  der  wendung  das  wort  Zacharias  V  164,  33.  68,  4 :  V  164,  33. 
166,  19.  167,  2  weisen  die  rasuren  bei  hetiitet  auf  ein  Int  [lüyt  W)  einer  nieder- 
rheinischen  vorläge  von  E?  71  anm.  3  sülchen  kann  nicht  kontraktion  von  sumeliche 
(ndl.  sommige)  sein.  72,  3,  7  f.  ein  vergleich  der  lesart  W  mit  E  (V  166,  10.  12) 
führt  auf  eine  gemeinsame  vorläge.  75  anm.  2.  85,  16.  88,  22  die  formen  sie  sint, 
si/nt;  tvir  sin  (von  sehen)  stehen  gleichberechtigt  neben  ir  seyt,  sie  seynt ;  übrigens 
liest  Naumann  88,  11.  22  seynt,  sein  (diese  Zeitschrift  46,  281  [letzte  textzeile]. 
282  z.  2),  nicht  sint,  sin  wie  bei  Corin  steht.  88,  12-17.  89,  12-17.  98,  1-5  fehlen  W. 
W  kann  also  nicht  vorläge  für  E  gewesen  sein,  wie  der  Verfasser  anzunehmen  ge- 
neigt ist.  89  die  zeilenverweise  15  und  17  sind  im  apparat  versehentlich  aus- 
gefallen. 90,  24  qäanzäs  vgl.  Lübben-Walther  s.  288.  92,  12  unmoigelich  'unver- 
mögend, wertlos'?  vgl.  V  198,  1.  93,  4  sich  getraesten  'sich  entschlagen',  Lehmann 
1,  208  'aufe  spiel  gesetzt';  die  aninerkung  ist  unnötig.  98,  10  lesa.  W  geht  hier 
eigene  Avege  gegenüber  der  sonstigen  Überlieferung,  vgl.  auch  V  199,  31.  108  an- 
merkung  1:  der  sinn  verlangt  aber  doch  affirmation,  nicht  negation.  110,  4  in  dem 
fehlenden  stoinde  berührt  sich  W  mit  EF  (V  268,  11  lesa.).  111,  18  die  lieäer 
'desto  lieber',  vgl.  F  die  lieben  (V  268,  28  lesa.).  113,  4  ff.  anm.:  ich  nehme  an  der 
Überlieferung  in  V  (269,  10  ff.)  keinen  anstoss,  vgl.  Naumanns  Übertragung  {Insel- 
verlag 1923)  s.  184,  Lehmann  2,  73.  14  vgl.  V  269,  14  lesa.  W  =  F;  genime  geben 
auch  sonst  bei  Tauler.  s.  das  Wortverzeichnis  bei  Vetter.  114,  12  und  anmerkung: 
vgl.  192,  15:  dem  dieger  (mnd.  deger)  in  W  steht  in  der  oberdeutschen  Überlieferung 
dicke  (V  269,  22.  310,  1)  gegenüber;  da  sonst  dicke  W  nicht  fremd  ist,  wird  man 
mit  dem  herausgeber  an  unsern  stellen  W  die  priorität  zusprechen  dürfen  und 
damit  eine  niederrheinische  vorläge  für  V  anerkennen.  117,  1  und  anm.  1  (V  Ü70,  19) 
s.  meine  Vermutung  Beitr.  44,  24.  Das  zitat  in  Corins  anmerkung  stimmt  nicht. 
7  und  anm.  bessert  dankenswert  den  Schnitzer  im  glossar  bei  Vetter  493  c  'torment' 
27(*,  22 :  dormitorium  (nicht  tormentum !).  21  lies  sij  solde  ire  tzäch  (=  zuckt  dat.) 
harde  sere  by  sin,  vgl.  121,  2.  134,  6  (vgl.  V  280,  16)  lies  reysen  'reitzen'.  136 
anm.  2  lies  'Michael'.  138,  7  inaicht  (vgl.  V  281,  2ü)  bestätigt  meine  Vermutung 
Beitr.  44,  24.  139,  6  die  wyse  maede  sprachen  verdient  den  Vorzug  vor  V  281^ 
HO  f.  der  ivise  man  sprach;  SLÄB  fehlen.  12:  lies  V  '281,  b2  f.  steinest,  und  sin 
och  kl.  kiselsteine.  140,  5  lies  V  282,  7  enlossent.  140  anm.  1  ist  zu  streichen. 
141,  1  und  auch  in  E  (V  282,  14).  13  lies  hoirnt.  144,  14  ervairen:  lies  V  283, 
7  f.  vervceren,  wie  auch  V  67,  6.  8  (Corin,  Neophilologus  8,  34).  146,  8—14  und 
anm.  4,  vgl.  V  283,  23—25:  unter  berücksichtigung  des  vorhergehenden  scheinen 
zwei  gedankenreihen  nicht  einwandfrei  zum  ausdruck  gebracht:  1.  niemand  von 
denen,  die  zu  des  herren  tische  gehen,  glaube,  die  das  nicht  tun,  seien  schlechter; 
sie  übersehen,  dass  letztere  es  aus  demut  nicht  wagen.  2.  das  abendmahl  nehmen 
an  sich  tut  es  nicht:  die,  die  es  aus  demut  nicht  nehmen,  sind  die  besseren. 
15  lesa.  steine  kann  nur  Substantiv  sein,  vgl.  147,  3  noch  ander  steyne;  unde  (15) 
ist  zu  streichen,  16  urde(i)lungen  zu  lesen.  146,  16.  147,  1  lies  mit  scheltworden 
und  so  auch  wohl  V  283,  27  statt  mit  siechten  worten.  153,  2  f.  lesa.  teilt  W  eine 
lesart  allein  mit  C;  ob  ihre  eigenart  auf  ursprünglichkeit  schliessen  lässt  (153  anm.)? 
154,  15  smechlich  verdient    den    vorzug  vor  V  286,    13   sinneclich,    vielleicht   auch 


466      STKAUCH    ÜBER   TAULER,    BIBLIOTIIEQUE   DE   LA   FACULTE    DE   PHILOSOPHIE 

155,  3  iinsuieggier  (durch  konjektur  =  unsmeclich)  vor  V  286,  18  unsinneclich ;  smeclich 
MTxd  unsmeclich  begegnen  auch  Bonst  bei  Tauler,  s.  das  Wortverzeichnis.  155,  10  ver- 
unbildet  stand  ursprünglich  auch  in  E  (V  286,  22  lesa.),  s.  105  anm.  2;  Tauler 
kennt  auch  rernnkiuschen,  verunliutern.  1(57  anm.  1:  der  kommentar  zu  h&nsscJiett 
wi/n  bietet  in  seiner  zweiten  hälfte  manches  anfechtbare.  168,  18  f.  22  und  anm. 
einlitze:  V  29Ü,  23  ff.  lies  einzige  'einzeln'  statt  emzige.  S.  173  pred.  nr.  9  auch  bei 
Naumann,  Ausgewählte  predigten  1914  s.  26  if.  nr.  4  nach  einer  Berliner  hs.  170,  13 
schraf  auch  in  S  =  scharf  (V  3U5,  13  lesa.)  177,  14  ff.  mit  der  anm.,  vgl.  auch 
die  textgestalt  bei  Naumann  a.  a.  o.  28,  20  ff.  V  305,  27  ff.  lies:  sol  win  drin,  so 
inäs  das  wasser  us,  tvan  zwei  niaterieliche  ding  enuuigent  nüt  in  einer  stat  gesin 
[sol  (dar)  win  in,  so  niüs  das  wasser  von  not  us\  wan  si  sint  widerivertig.  sol 
yot  in,  so  müs  von  not  die  creature  us;  —  das  viir  (V  305,  28)  verlesen  für  rfrtr  mn. 
180,  22  mit  der  anm.:  lies  des  verleidens?  182  anm.  1  ist  zu  streichen,  es  ist  mit 
VLAO  (V  307,  8)  zu  lesen.  182,  22  und  aum.  bestoinde  scheint  den  andern  lesarten 
gegenüber  (V  307,  13)  auch  mir  beachtenswert.  1S5  anm.  1  ist  zu  streichen.  185, 16 
naiUve  verdient  den  Vorzug  vor  der  lesart  V  308,  4  und  das  twhi,  17  und  anm.  3, 
dazu  s.  327 :  an-lagt  sicher  =  an  leit  von  legett.  188,  8  f.  an  tcirkene  (V  308,  29) : 
verderbte  Überlieferung,  der  die  anm.  nicht  abhilft.  194  anm.  2:  wie  gesucht! 
195,  10  vgl.  V  310,  21:  vielleicht  ist  doch  griint  in  FSW  ursprünglich,  wenn  auch 
zu  smackent  besser  geist  passte;  LABC  lesen  g{eist),  s.  die  lesa.  199,  23—200,  4 
(vgl.  V  311,  31  ff.):  W  zeigt  verwirrte  Überlieferung,  die  erwähnung  Kölns  200,  2 
hat  auch  der  Kölner  druck  C.  201,  6  und  anm.  dan  'denn'.  202,  13:  V  312,  21 
lies  mit  FW  und  den  drucken  missetrost.  206,  J4f. :  V  313,  13  f.  lies:  die  die 
heilige  kirche  also  sere  verwazet.  216,  11:  wie  F  (V  s.  437  zu  315,  8)  erwähnt  auch 
W  Trier,  das  noch  ein  zweites  mal  (V  329,  9)  zitiert  ist.  219,  8  f.  usloysiingen  wird 
durch  F  (Vetter  s.  437  zu  315,  24)  und  einige  drucke  gestützt  und  verdient  vor 
iizldffimge  den  Vorzug;  BC  lesen  uflosung.  225,  2of. :  statt  besitzet  ist  V  317,  12 
mit  WLA  enbizet  zu  lesen.  226  anm.  ist  abzulehnen.  227,  20  mit  der  anm.:  eyn 
bedroifde  snede  kann  nur  heissen  'beträufelte  schnitte',  s.  Zfda.  6,  269  und  Lexer 
1,  241  unter  betroffen:  'ihm  wird  bis  zu  seinem  ende  niemals  auch  nur  ein  kleiner 
bissen  aus  der  Wirtschaft':  ein  trophe  der  Wirtschaft  V  318,  2,  vgl.  317,  23  ein 
klein  brosemlin.  229,  10  f.  mit  der  anm. :  vielmehr  'die  Sünden  von  tausend  weiten' 
(gen.  pl.).  24  teilt  W  einen  dummen  fehler  mit  E:  tot  {doyt)  für  got  (V  318,  25). 
257,  16  f.  mit  der  anm.:  EVV  weisen  die  gleiche  lücke  auf  (V  345,  10  lesa.). 
265  anm.  2  ist  zu  streichen.  278,  7  f.  279,  5  gesättiget,  gesettigt  war  nicht  zu  bean- 
standen, streiche  die  anm,  2  auf  s.  279.  278,  13  f.  moigelich  'mühsam,  beschwerlich', 
die  anm.  3  auf  s.  279  ist  zu  streichen.  278,  '^3  lies  vürste.  280,5.  6  lesa.  281,  2: 
mau  vermisst  in  der  tat  ungern  in  E  (V  386,  17)  den  plussatz  der  drucke:  er  sei/ 
dein  (noch)  vil  begirlicher.  282,  9.  28B,  8  volfüren  in  den  drucken  ABC  verdient 
den  Vorzug  vor  E  (V  386,  31)  L  Mchten,  vgl,  Ps.  36,  (>;  gleich  darauf  freilich  ist 
lachten  die  allgemeine  lesart  282,  19.  283,  20.  V  386,  35;  Corins  anmerkungen 
8,  283  helfen  nicht  weiter.  290,  26  lies  seinem  aigen  nicht?  305,  7  lies  gemeinit. 
322,  15  geroicheit  —  geruo(we)cheit.  21  was  heisst  beäoliche?.  326  zu  p.  43:  der 
Vorschlag  V  262,  10  lat.  mens  für  mensche  zu  lesen,  verdient  beachtung. 

HALLE   A.  S.  PHILIPP   STRAUCH. 


LEITZMAXN    ÜBER   SCHUEIKER,    WOLFRAM  VON    E.SCHENIJACH  467 

Albert  Schreiber,  Neue  bausteine  zu  einerlebensgeschichte  Wolframs 
von  Eschenbach.  Frankfurt,  Diesterweg  1922.  IX  und  233  selten.  (Panzers 
und  Petersens  Deutsche  forschungeu  7.) 

Der  Verfasser  des  vorliegenden  buches  hat  seinem  kritiker  seine  aufgäbe 
wesentlich  erschwert,  indem  er  ihm  in  der  vorrede  durch  die  liebenswürdige  captatio 
benevolentiae,  die  schwächen  seiner  arbeit  kenne  er  selbst  am  besten,  und  durch 
die  Zitierung  von  Wolframs  eigenen  Worten  im  Willeh.  4,  20  sozusagen  allen  wind 
aus  den  segeln  nimmt.  Trotzdem  muss  ich  offen  aussprechen,  was  ich  bei  der 
lektüre  des  aus  tiefer  hegeisterung  für  seinen  beiden  und  seinen  stoff  geborenen, 
aber  völlig  unkritischen  und  beispiellos  naiven  buches  empfunden  habe;  Man  glaubt 
sich  in  die  gläubig  harmlosen  zelten  der  anfange  unserer  Wissenschaft  zurückver- 
setzt, wo  männer  wie  von  der  Hagen,  Zeune  und  San  Marte  die  träume  ihrer 
Phantasie  auf  den  markt  der  Wissenschaft  brachten  und  sich  von  der  strengen 
polizei  Lachmanns  und  Haupts  ungefüge,  wenn  auch  oft  durchaus  berechtigte 
Zurechtweisungen  gefallen  lassen  mussteu.  Heute  gibt  sich  der  dilettantismus 
allerdings  etwas  anders  als  vor  hundert  jähren,  aber  sein  wesen  hat  er  nicht  ge- 
ändert. Es  ist  geradezu  unglaublich,  was  Schreiber  alles  von  Wolframs  leben  und 
schaffen  weiss  oder  zu  wissen  glaubt,  woran  noch  niemand  gedacht  hat:  das  aller- 
wenigste davon  dürfte,  wenn  mich  nicht  alles  täuscht,  die  Wissenschaft  ihrem  festen 
bestände  einordnen.  'Auch  Wolfram  hatte  der  dichtung  schleler  aus  der  band  der 
Wahrheit  empfangen'  (s.  66) :  von  diesem  boden  aus  glaubt  er  sich  ermächtigt,  zu 
wiederholen,  was  in  der  Goethephilologie  allmählich ,  als  Irrweg  erkannt  worden  ist, 
auf  die  modelljagd  auszugehen  (vgl.  s.  30.  54.  66.  68.  71.  212):  da  wir  von  den 
personen  der  damaligen  zeit  nur  sehr  viel  weniger  als  von  denen  aus  Goethes  Um- 
gebung wissen,  kann  man  sich  vorstellen,  mit  welchem  erfolge.  Dabei  gesteht  er 
in  einer  seiner  auseinandersetzungen  selber  einmal  (s.  108) :  'Genau  genommen  ent- 
halten Wolframs  werte  davon  nichts'  und  tadelt  an  andern  forschem,  dass  sie 
'Wolframs  worte  geradezu  auf  die  goldwage  gelegt'  haben  (s.  196).  Sein  gram- 
matisches Verständnis  des  mhd.  Ist  durchaus  nicht  so  einwandfrei,  wie  man  erwarten 
dürfte  (vgl.  s.  80.  100.  101.  138.  198.  200.  221).  Seine  subjektive  raethode  erlaubt 
ihm  alles :  wenn  der  dichter  nach  seiner  meinung  sich  wiederholt,  so  ist  dadurch 
ein  einschub  aus  späterer  zeit  nachgewiesen  (s.  125.  143;  die  an  der  ersteren  stelle 
geäusserte  Vermutung  von  doppelfassungen  verfänglicher  stellen  für  einen  derberen 
oder  zarteren  geschmack  verschiedener  hörerkreise  ist  zwar  sehr  geistreich,  aber 
durchaus  unwahrscheinlich  und  unbeweisbar,  wenn  die  entstehung  unserer  textgestalt 
erörtert  werden  soll);  wenn  man  versreiheu  überschlagen  kann,  ohne  dass  der  Zu- 
sammenhang gestört  wird,  so  ist  auch  dann  ein  jüngeres  stück  als  solches  erkannt 
(s.  186).  Wehe  dem  dichter,  der  sich  einen  solchen  massstab  muss  anlegen  lassen ! 
Man  lese  auch,  wie  erzprosaisch  der  herrliche  Titurel  als  'blosse  wiederkäuerei'  der 
Slgunenstellen  im  Parzlval  beurteilt  wird  (s.  187).  Da  Schreiber  an  Wolframs 
analphabetismus  glaubt,  spielen  hörfehler  natürlich  eine  grosse  rolle  (s.  86.  126j. 
In  vielen  fällen  hört  er  direkt  das  gras  wachsen:  Amor  begegnet  im  Parzlval,  um 
mit  dem  namen  Amorbach  scherz  zu  treiben  (s.  55),  das  Kitzinger  furnier  war  eine 
tauffeierllchkelt  (s.  70),  Wilhelm  von  Baux,  fürst  von  Orange,  bestellte  nach  des 
landgrafen  Hermanus  tode  bei  Wolfram  die  Vollendung  des  Willehalm  (s.  156),  in 
religiöser  hinsieht  wusste  sich  Wolfram  'mit  zunehmendem  alter  mehr  und  mehr 
von  den  fesseln  einer  engherzigen,  einseitigen  bekeuntnisstrengo  zu  lösen  und  zu 
den  freieren  höhen  einer  fast  neuzeitlichen  duldsamkeit  emporzuschwingen'  (s.  221). 

ZEITSCHRIFT  F.  DEUTSCHE  PHILOLOGIE.    BD.  L.  32 


468  LEITZMANN 

AVolfram  erscheint  (s.  98)  wieder  fröhlich  als  gatte  und  vater,  eine  naive  schluss- 
folgerung,  die  icli  Zeitschr.  86,  429  endgiltig  begraben  zu  haben  glaubte,  hat 
sogar  seine  liebe  haustrau  im  Parz.  827,  29  ungenannt  apostrophiert.  Wenn 
Wolfram  Elisabet  von  Vohburg,  die  niarkgräfin  vom  Heitstein,  im  Parz.  403,  26 
so  schwer  beleidigt  hatte,  dass  sie  samt  ihren  verwandten  von  bitterem  hass  gegen 
ihn  erfüllt  wurde  (man  lese  das  genauere  s.  209  nach),  wie  konnte  dann  Elisabets 
Schwager,  der  landgraf  Hermann,  in  so  freundlichen  beziehungen  zu  dem  dichter 
bleiben,  wie  der  Willehalm  und  Titurel  sie  voraussetzen?  W^olframs  'glücklicher 
nebenbuhler'  in  Elisabets  gunst  war  Walther  von  der  Vogelweide  (s.  213)!  Positives 
bleibt  wenig  von  dem,  was  Schreiber  bringt,  der  natürlich  zu  den  Kyotlingen  gehört: 
dankenswert  sind  die  Zusammenstellungen  über  die  bairischen  und  fränkischen 
adelsgeschlechter,  richtig  die  Interpretation  von  Parz.  227,  13  (s.  84),  brauchbar 
die  bemerkungen  zu  der  an  sich  nicht  neuen  hypothese,  dass  die  ersten  zwei 
bücher  des  Parzival  in  die  zeit  des  Schlusses  des  Willehalra  und  in  die  des  Titurel 
gehören  (s.  161  ff.).  An  dem  textgeschichtlichen  problem  der  in  D  fehlenden  verse 
des.  Parzival  streift  die  Untersuchung  nur  eben  in  einer  anmerkung  vorbei  (s.  83 
anm,  6).  R.  M.  Meyer  hat  einmal  scherzweise  (Goethejalirbuch  28,  234)  'Goethes 
leben  aus  seinen  gedichten'  zusammengestellt:  nun  haben  wir  ein  ernstgemeintes 
gegeustüok  dazu. 

JENA.  ■  AI.BERT   I.EITZMANN. 


Karl  Lachiuaun,  Die  gedieh  te  Walthers  von  der  Vogelweide.  Achte 
ausgäbe,  besorgt  von  Karl  von  Kraus.  Berlin  und  Leipzig,  Walther  de 
Gruytor  u.  co.,  1923. 
Seit  der  siebenten  aufläge  von  1907  besorgt  Kraus  Lachmanus  Waltheraus- 
gabe, die  vor  nahezu  hundert  Jahren  zuerst  die  gestalt  des  sängers  in  reiner  herr- 
lichkeit  geniesseuden  und  forschenden  enthüllt  hat  und  noch  heute  als  eine  seiner 
glänzendsten  kritischen  leistungen  dasteht.  Was  der  neue  herausgeber  für  die 
siebente  ausgäbe  getan  hat,  hat  Wilmauns  (Afda.  33,  237)  mit  nüchterner  ruhe 
abgewogen.  Auch  in  der  vorliegenden  achten  ist  Lachmanns  text,  wie  sich  das 
von  selbst  verstehen  sollte,  bis  auf  ein  paar  geringfügige  versehen  unverändert 
geblieben.  In  der  vorrede  hat  Kraus  neuere  literatur  zu  den  einzelnen  handschriften 
nachgetragen  und  (s.  XXV)  die  neuen  lieder  und  spräche,  die  inzwischen  aus 
Berliner,  Jlünchener  und  Wolfenbütteler  handschriften  hervorgetreten  und  den  fach- 
genossen schon  in  zeitschriftenaufsätzen  bekannt  geworden  waren,  zum  abdruck 
gebracht.  Leider  lesen  wir  hier  das  sicher  unechte,  übrigens  auch  in  der  Wolfen- 
bütteler handschrift  namenlose  und  nicht  etwa  Walther  beigelegte  lied  von  dem 
weih  am  Rheine  und  dem  vöglein,  das  Kraus  schon  Zfda.  59,  315  unbegreiflicher- 
weise ohne  bedenken  Walther  zugeschrieben  hat,  wiederum  mit  der  beraerkung 
'ohne  namen  uuter  liedern  Walthers,  wohl  mit  recht'.  Wilhelm  Grimm  rühmte 
Lachmann  als  herausgeber  Walthers  nach  (Klein,  sehr.  2,  387) :  'Der  Verfasser  liebt 
es,  von  seinen  entdeckuugen  oft  nur  die  segelspitze  zu  zeigen,  und  zumal,  wer  am 
ufer  steht,  muss  genau  acht  geben  und  scharf  sehen':  im  vorliegenden  falle  sieht 
schon  ein  unbewaffnetes  äuge,  dass  Lachmanns  nachfolger  eine  fata  morgana  für 
Wirklichkeit  gehalten  hat.  Ich  benutze  die  gelegenheit,  meine  abweichende  auf- 
fassung   des   gedichts   in  steter  rücksicht  auf  Kraus'  zitierten  aufsatz  im  folgenden 


ÜBER   LACHMANX,   DIE    GEDICHTE   WALI'HERS   VON    DER   VOGELWEIDE  469 

ZU  begründen.  Manchem  unter  den  fachgenossen  dürften,  hoffe  ich,  starke  zweifei 
an  der  richtigkeit  seiner  anscbauung  erregt  werden:  dass  es  mir  gelingt,  ihn  selbst 
von  ihrer  irrigkeit  zu  überzeugen,  darf  ich  mir  wohl  kaum  schmeicheln '). 

Ich  beginne  mit  der  textgestalt  bei  Kraus.  Da  das  blatt,  auf  dem  das  ge- 
dieht steht,  traurigerweise  stark  verstümmelt  nur  vorliegt,  so  machen  sich  allerhand 
ergänzungen  notwendig,  die  natürlich  von  der  gesamtauffassung  abhängig  sind, 
die  man  sich  vom  sinn  und  Zusammenhang  der  geistreichen  kleinen  dichtung  ge- 
macht hat.  Ich  glaube,  dass  man  sich  da  radikal  von  Kraus  entfernen  niuss  und 
bei  der  erwägung  meiner  neuen  vorschlage  vor  allem  darauf  zu  sehen  hat,  die  sug- 
gestive kraft  der  gedruckten  ergänzungen  seines  textes  einmal  völlig  auszuschalten, 
am  besten  indem  man  sich  die  faktische  Überlieferung  mit  allen  lücken  wiederholt 
geschrieben  vor  äugen  führt  (leider  hat  auch  sein  rohdruck  der  handschrift  s.  313 
schon  alle  seine  konjekturen).  Strophe  1  dürfte  im  wesentlichen  in  Ordnung  sein: 
ob  etwa  4  statt  soll  im  sagen,  wie  Kraus  will,  solt  in  meinen  oder  etwas  ähnliches 
gestanden  bat,  macht  keinen  unterschied  im  gedanken  und  kann  natürlich  nicht 
ausgemacht  werden.  —  Mehr  ist  zu  Strophe  2  zu  sagen.  1.  2  ist  nur  überliefert 
iinse")-  .  .  .  a  suochent  cremde  geste.  Mit  dem  a  weiss  Kraus  'nichts  anzufangen, 
denn  weder  da,  sd  noch  ja  noch  nd(h)  noch  ein  ausruf  ä  oder  auf  -d  passen' 
(s.  317):  er  ändert  deshalb  a  in  ie  und  liest  unser  alten  veste  die  suochent  vremde 
geste.  Da  snochen  keinen  objektsakkusativ  bei  sich  zu  haben  braucht,  alten  ausser- 
dem die  versmelodie  stören  würde,  schlage  ich  vor :  imser  guotiu  reste,  da  s.  vr.  g., 
•unsere  gute  bürg,  da  (=  der)  machen  fremde  gaste  ihren  besuch'.  4  und  5  vor- 
bindet Kraus  durch  ein  ergänztes  %ind:  ich  lese  statt  dessen  si,  denn  ich  halte  zwar 
stigen  für  den  konjunktiv,  slichen  dagegen  für  den  Indikativ ;  ferner  ergänze  ich 
ziio  mir,  nicht  wie  Kraus  zuo  sir.  Der  sinn  ist:  'wenn  ich  nicht  so  klug  wäre,  so 
würden  sie  nachts  zu  mir  einsteigen;  sie  sind  schon  zu  einer  Öffnung  geschlichen'. 
Wie  der  letztgenannte  weitgehende  Verstoss  hat  geschehen  können,  wird  in  der 
Schlusszeile  begründet,  die  leider  nur  in  kümmerlichsten  resten  erhalten  ist:  die  bei 
(Kraus  druckt  bei,  obwohl  er  selbst  zugibt,  dass  der  eine  strich  nicht  notwendig 
ein  i  ist,  sondern  auch  ein  anderer  buchstabe,  etwa  m,  n,  u  sein  kann)  .  .  .  rucken. 
Kraus  erwägt  (s.  317)  alle  möglichen  ergänzungen  für  beide  wortreste,  erscheint 
aber  ganz  hilflos,  da  er  von  dem  sinn  des  fehlenden  zu  keiner  klaren  Vorstellung 
gelangt  ist.  Da  trucken  am  ende  wohl  ganz  sicher  ist,  so  lese  ich  die  beche  die 
sint  (oder  sint  vil  oder  sint  gar)  trucken,  d.  h.  die  burggräben  (zu  denen  man,  wenn 
es  möglich  war,  lebendige  bachläufe  benutzt  haben  wird,  wie  es  nach  Schultz,  Das 
höf.  leben  1,  16  mit  flussläufen  geschab)  sind  ohne  wasser,  so  dass  man  bequem  zu 
Öffnungen  als  ciubruchslückeu  gelangen  kann.  —  Strophe  3  ergänze  ich  ganz  wesent- 
lich abweichend  von  Kraus.     Ich  stelle  beide  fassungen  zunächst  nebeneiander : 

K. :  Ich  hän  gegen  ir  manigen]  L. :  Ich  hän  gegen  ir  man[gen] 

[niht  schermes]  vor  gehangen,  [den  schilt  niht]  vor  gehangen, 

wan  einen  [igel]  rüit  [ich  hin  vürje,  wan  einen  rilit[en  si  hin  vürje, 

1)  Seit  der  ablieferung  dieser  rezension  an  die  redaktion  ist  Michels'  neue 
bearbeitung  von  "Wilmanns'  Waltherausgabe  erschienen,  wo  (s.  456)  unser  gedieht 
auch  abgedruckt  und  besprochen  wird.  Trotzdem  ihm  allerhand  bedenken  ge- 
kommen sind,  geht  Michels  mit  ausnähme  der  schlusszeile  doch  im  wesentlichen 
mit  Kraus.  Was  er  seinerseits  gegen  diesen  zur  deutung  des  inhalts  beibringt, 
leuchtet  mir  nicht  ein;  die  echtheit  des  gedichts  ist  auch  ihm  zweifelhaft.  Sonst 
hat  sich,  soweit  ich  sehe,  inzwischen  niemand  zur  sache  geäussert.    [Korrekturnote.] 

32* 


470     I.KirZMANN  ÜHEH  LACH.MANX,  DIE  GEDTCllTE  WALTHICKS  VON  DKK  VOCiELWEIUE 

ilcr  snellet   raste  ni)z  an  die  t[iire].  {kr   snellet  vaste  uns  an  die  tfürej. 

[waz]  vrmnte  ich  alters  eine':'  [ivaz]  vrumte  ich  alters  eine? 

rr  irirfet  [rint/e  stc/inr.  er  irirfet  [groze   oder  sircpre  stejine. 

Kraus  nimmt  als  die  dieser  Strophe  zugrunde  liegende  Situation  folgendes  an 
(s.  317) :  gegen  die  geschosse  der  feindlichen  mangen  hat  die  bedrängte  burgherrin 
nicht,  wie  mau  zu  tun  pflegte,  schützende  gegenstände  zur  abwehr  (für  die  der 
o-ewählte  ausdruck  scherm  sonst  übrigens  nicht  belegt  ist)  an  den  mauern  aufgehängt, 
vielmehr  nur  ein  gegengeschütz,  einen  igel  aufgestellt,  der,  weil  er  von  ihr  allein 
bedient  werden  rauss,  nur  leichte  steine  zu  schleudern  imstande  sei.  Ich  kann  mir 
diese  ganze  deutung  der  Situation  nicht  zu  eigen  machen.  Ich  denke  vielmehr  an 
eine  andere  sitte  des  mittelalterlichen  rittertums:  'das  heraushängen  der  schildc 
vor  die  zinuen  der  bürg  bedeutete,  dass  die  besatzung  zur  äusscrsten  gegenwehr 
entschlossen  sei'  (Schultz  '^  2,  97).  igel  3  hat  Kraus  nicht,  wie  eigens  zu  bemerken 
ist,  in  eine  lücke  der  handschrift  eingesetzt,  sondern  es  'hat  nie  dagestanden' 
(s.  313) :  abgesehen  davon,  dass  diese  ergänzung  wieder  die  versmelodie  vernichtet, 
ist  sie  unnötig;  ich  verstehe  unter  einen  den  bediener  der  feindlichen  mange,  der 
die  burgmauer  mit  dicken,  schweren  steinen  bearbeitet,  rihten  mit  akkusativ  der 
person  ist  nicht  ungewöhnlich :  einen  von  hinnen  rihten  belegt  das  Mhd.  Wörterbuch 
2,  1,  636  b;  vgl.  auch  boten  rihten  Elis.  475.  550.  Auch  ringe  übrigens  steht  mit 
der  versmelodie  in  Widerspruch.  —  Strophe  4  ist  in  Ordnung  mit  ausnähme  der 
Schlusszeile,  avo  ich  wiederum  Kraus'  'pointe'  des  ganzen  gedichts  mir  in  keiner 
hinsieht  zu  eigen  machen  kann,  wenn  er  das  tadellos  überlieferte  grabest  in  ein 
die  versmelodie  zerstörendes  kragen  ändert  und  einen  durchaus  matten  sinn  kon- 
struiert, der  nach  meinem  gefühle  nichts  weniger  als  eine  pointe  darstellt  (s.  318. 
319).  Die  überlieferte  Wendung  (vgl.  auch,  den  buregraben  vüllen,  verwerfen 
Kaiserchr.  14105.  15  285),  bei  der  natürlich  nicht  mit  Kraus  an  ein  füllen  mit 
Wasser  gedacht  werden  darf,  gibt  demgegenüber  eine  pointe  der  geistreichsten  art : 
das  vöglein  rät  der  dame,  statt  widerstand  zu  leisten,  vielmehr  den  burgweg  frei 
zu  machen,  indem  sie  den  graben  zuschüttet  und  einebnet. 

Den  sinn  des  ganzen  gedichts  fasse  ich  folgendermassen  auf:  das  bis  in 
höchst  plastische  einzelheiten  hinein  durchgeführte  bild  von  der  belagerten  bürg 
ist  nur  ein  bild  für  eine  erotisch-galante  Situation.  Die  frau  des  burgherrn,  der 
mit  dem  kaiserlichen  beere  im  südlichen  Italien  weilt,  wird  von  einem  galanten 
anbeter  bedrängt,  der  sich  günstige  gelegenheiten,  die  sich  ihm  zufällig  bieten,  zu 
nutze  zu  machen  weiss  (das  austrocknen  der  bäche  im  burggraben)  und  ordentlich 
scharf  ins  zeug  geht  (die  wurfra aschine,  die  von  einem  tüchtigen  ingenieur  bedient 
wird),  so  dass  der  Widerstandswille  der  bedrängten  danie,  der  von  anfang  an  nicht 
gross  war  (das  nichtheraushängen  der  schilde),  in  die  brüche  zu  gehen  droht.  Das 
vöglein,  das  dem  herrn  und  gebieter  von  der  gefahr  meidung  erstatten  soll,  zögert 
und  gibt,  als  es  zur  abreise  gemahnt  wird,  der  dame  den  guten  rat,  sich  die 
galanten  annäherungen  lieber  ruhig  gefallen  zu  lassen,  den  fernen,  ahnungslosen 
galten  nicht  zu  inkommodieren  und  vielmehr  das  ihr  in  den  schoss  fallende  ver- 
gnügen dankbar  und  verschwiegen  zu  geniessen.  Der  narae  des  gatten,  Isengrin, 
verführt  Kraus  dazu  (s.  319),  fast  eine  volle  seite  ohne  jeden  erfolg  motive  aus 
dem  tierepos  zu  besprechen,  die  ganz  entfernte  Verwandtschaft  mit  unserer  be- 
lagerungssituation  zeigen  sollen,  obwohl  er  seine  darlegungen  mit  der  unbezweifclt 
richtigen  erkenntnis  schon  einleitet:  'Ich  habe  nichts  gefunden,  was  an  die  im  sprach 


KLAPl'ER  ÜBER  NORUBOM,  DAS  GOTHAER  MND.  ARZXEIBCCH  471 

geschilderte  Situation  erinuerte'.  Am  schluss  zitiert  er  dann  aus  einem  briefe 
Jeliineks,  was  seine  ganze  erörterung  überflüssig  erscheinen  liisst  (s.  321):  'Der 
Isengriu  wird  ein  adliger  sein.  Entweder  hiess  er  wirklich  so  oder  er  hatte  einen 
namen  mit  wolf  als  bestandteil  oder  er  hatte  eigenschaften,  die  ihm  den  Spitznamen 
Isengrin  eintragen  konnten'.  Ich  stimme  ihm  bei;  auch  mit  an  die  dritte  dieser 
müglichkeiten  darf  man  denken,  wenn  man  sich  erinnert,  wessen  frau  Hersant  ge- 
ziehen wird.  'Auch  der  historische  gehalt  des  Spruches  bleibt  dunkel',  sagt  Kraus 
(s.  320):  wie  er  auf  die  annähme  der  uotwendigkeit  oder  auch  nur  Wahrscheinlich- 
keit eines  solchen  kommt,  begreife  ich  nicht.  Das  einzige,  was  historisch  auszu- 
deuten ist,  hat  er  nicht  gesehen:  er  verzeichnet  zwar  (s.  317),  welche  minnesänger 
Fülle  nennen,  und  bemerkt  (s.  319) :  'bei  Walther  kehrt  der  name  Pülle,  der  ander- 
wärts nicht  häufig  begegnet,  wieder',  übersieht  aber,  dass  der  name  nur  in  den 
Jahren  seine  stelle  in  dem  gedichte  finden  konnte,  wo  fast  ständig  kaiserliche  beere 
in  Apulien  lagen,  d.  h.  während  der  regierungszeit  Heinrichs  VI.  (1190—97). 

Dass  diese  pikante  frivolität  mit  Walther  von  der  Vogelweide  nichts  zu 
schaffen  haben  kann,  dem  sie  übrigens,  wie  ich  nochmals  betone,  auch  die  hand- 
schriftliche Überlieferung  nicht  zuschreibt,  dürfte  ohne  weiteres  einleuchten.  Gegen 
Walther  spricht  auch  die  schallanalytische  Untersuchung,  die  ein  tieferes,  moll- 
gefärbtes organ  ergibt,  das  von  Walthers  hellerer  durstimme  erheblich  abweicht. 
Kraus  bekennt  allerdings  (s.  818):  'Ich  finde  nichts,  was  dagegen  spräche'.  Was 
er  dafür  anführt  (der  'sonst  nicht  häufige'  gebrauch  der  flektierten  formen  von 
rogelhi,  das  wort  Fülle,  die  'pointe'  am  schluss  und  zwar  Kraus'  unmögliche  und 
matte  schlimmbesserung  kragen  für  graben^  'waltherisch  ...  im  einfall  nicht  nur, 
sondern  selbst  im  ausdruck'),  ist  freilich  hinfällig.  Ich  darf  hoffen,  dass  es  mir 
gelungen  ist,  einen  unvoreingenommenen  betrachter  der  Sachlage  von  der  richtig- 
keit  meiner  auffassung  zu  überzeugen.  Im  übrigen :  'vaticinari  neriue  didici  neque 
cupio',  wie  Lachmann  einmal  im  Lucrez  sagt. 

JEXA.  ALBERT   LEITZJJANN. 


Sveu  Xorrbom,  Das  Gothaer  mnd.  arzneibuch  und  seine  sippe.  [ilnd. 
arzneibücher,  herausgegeben  von  C.  B  o  r  c  hl  i n g  I.]  Hamburg  1921.  VI,  210  s.  1 ". 
Der  plan  Borchlings,  die  von  ihm  in  den  Mitt.  z.  gesch.  d.  med.  und  der 
naturw.  (1902  nr.  2  s.  66  ft'.)  zusammengestellten  hss.  zur  mnd.  medizin  durch  den 
druck  der  forschung  zu  erschliessen,  wird  mit  der  Veröffentlichung  der  Gothaer  hs. 
ausgeführt.  Die  hs.  hat  längst  in  Käsers  Gesch.  d.  med.  ihren  platz  gefunden  und 
ist  auch  inhaltlich  durch  mehrere  aufsätze  in  umfangreichen  auszügen  von  K.  Regel 
fprogr.  d.  gymn.  Ernestinum  in  Gotha  1872  und  73,  Niederd.  Jahrh.  2  (1876)  122  ff., 
5  (1878)  5  ff.,  6  (1879)  61  ff.]  bekanntgemacht  worden.  Der  text,  dessen  original 
ins  14.  Jahrhundert  gehört,  liegt  noch  in  zwei  Kopenhagener  und  einer  Rostocker 
lis.  vor.  Der  herausgeber  hat  sich  mit  recht  für  den  Gothaer  text  entschieden,  der 
zwar  von  einem  wenig  verständigen  abschreiber  stammt,  aber  die  älteste  -Überliefe- 
rung (um  1400)  bietet;  die  mundart  ist  nordniedersächsisch  mit  sichtlicher  färbung 
nach  der  mnd.  Schriftsprache  hin.  Der  inhalt  des  werkes  ist  nicht  einheitlich;  an 
eine  nach  den  körperteilen  geordnete  rezeptsammlung  von  ISl  kapiteln  schliesst 
sich  der  pseudoaristotelische  brief  an  Alexander,  eine  abhandlung  über  die  be- 
ziehungeu  der  Jahreszeiten,  monate  und  tage  zu  der  gesundheit  und  dem  wesen 
des  menschen,  ein  aderlasstraktat,  die  zeichen  des  todes,  ein  kapitel  über  herzleiden 


472  KLAPPER 

und  ein  rezept  für  eine  vvuudsalbe.  Bis  hierhin  reicht  der  als  Düdesche  Arstethe 
bezeichnete  teil;  daran  schliesst  sich  eine  nd.  Übersetzung  der  Practica  des  Bartholo- 
»laei'.s  in  72  kapiteln,  die  schon  1894  von  F.  v.  Oefele  in  einem  privatdrucke  ver- 
öffentlicht worden  ist;  den  schluss  bilden  rezepte,  die  ieilweiae  dem  Macer  Florians 
entnommen  sind;  von  diesen  rezepten  enthält  die  ausgäbe  nur  eine  vergleichende 
tafel,  die  die  engere  Verwandtschaft  mit  dem  mnd.  Utrechter  arzneibuche  erweist, 
das  J.  H.  Gallee  im  Nd.  jahrb.  15  (1889)  105  ff.  abgedruckt  hat.  Im  übrigen  lässt 
sich  über  quellen  und  Verwandtschaft  des  Gothaer  arzneibuches  nur  allgemein  sagen, 
dass  beziehungen  zu  hochdeutschen  vorlagen  sicher  sind.  Die  Arsfedie  war  für 
weite  kreise,  der  Bartholomaeus  nur  für  arzneikundige  bestimmt. 

Die  textgestaltung  ist  sorgfältig  mit  reichem  lesartenapparat  durchgeführt; 
die  erklärung,  der  vornehmlich  das  glossar  dient,  geht  aber  nicht  so  in  die  tiefe, 
wie  es  die  vorhandene  literatur  ermöglicht  und  das  werk  verdient.  Die  folgenden 
bemerkungen  sollen  einige  ergänzungen  in  dieser  hinsieht  bieten.  S.  37 :  die  ver- 
gleichung  des  geburtssegens  beweist  für  die  entstehung  der  Arstedie  nichts,  da  er 
recht  häufig  ist;  die  hier  und  s.  122,  15  gegen  die  Überlieferung  der  Gothaer  hs. 
vorgenommene  ändeiung  des  exinanite  zu  ex  matrice  ist  falsch;  vgl.  die  leiche 
literatur  bei  Ad.  Franz,  Die  kirchlichen  benediktioncn  im  mittelalter,  Freiburg  i.  Br. 
1909,  II  200  und  202  anm.  6.  —  S.  44:  als  hauptverdienst  des  Verfassers  der  Arstedie 
wird  die  sj'stematische  Ordnung  des  werkes  hingestellt;  mit  unrecht;  der  heraus- 
geber  zieht  leider  nirgends  das  umfänglichste  und  reichste  der  deutschen  arznei- 
bücher  zu  rate,  das  von  C.  Külz  und  E.  Külz-Trosse  unter  meiner  mitarbeit  1908 
(Dresden,  druck  von  Fr.  Marschner)  als  privatdruck  herausgegebene  Breslauer 
arzneibuch  E  291  der  stadtbibliothek,  das  um  1300  entstanden  ist.  Dieses  werk 
zeigt  nicht  nur  die  entsprechende  feste  gliederung  in  der  anorduuug  der  krank- 
heiten;  es  hätte  auch  besonders  in  seinem  wesentlich  auf  Macer  fussenden  teile  über 
die  simplicia  und  electuaria  für  das  glossar  der  Gothaer  hs.  bedeutende  dienste 
leisten  können;  die  gliederung  der  rezepte  nach  den  krankheiten  der  körperteile 
kommt  natürlich  jedem  guten  arzneibuche  des  mittelalters  zu.  —  S.  76:  die  schon 
in  Germania  32,  452  ff.  abgedruckte  wertvolle  Sammlung  von  augensegen,  die  im 
kapitel  VII  überliefert  ist,  bedarf  genauester  erklärung ;  vor  allem  war  hierzu  Franz, 
Benediktionen  I  493  ff.  zu  vergleichen;  zu  76,  31  Nicasius  sind  die  parallelen 
Zfda.  27,  308  (Wien  14.  Jahrhundert)  und  Mitt.  d.  schles.  ges.  f.  Volkskunde  bd.  9 
(1907)  heft  2,  13  aus  Breslau  15.  Jahrhundert  zu  beachten;  zu  Thecla,  Nasarenus, 
Aqnilinns  (11.  9  ff.)  vgl.  Franz  II  497;  zu  77,  27  a(ßa,  das  ein  magisches  acrostichon 
darstellt,  Franz  II  65  und  Mitt.  d.  sohl.  g.  f.  Vk.  19  (1917)  263,  wo  es  als  aus 
dem  jüdischen  morgengebete  entnommen  nachgewiesen  wird.  —  S.  77,  37:  Intum 
fecit  etc.  ist  in  seiner  geschichte  behandelt  Mitt.  d.  schl.  g.  f.  Vk.  21  (1919)  97  ff'., 
vgl.  Franz  II  431  und  495.  —  S.  89,  6:  das  reimgebet  zu  ApoUonia  mit  der  an- 
schliessenden an  tiphon  ist  in  prosa  deutsch  aus  der  spätmittelalterlichen  gebets- 
literatur  noch  im  18.  Jahrhundert  nachzuweisen,  z.  b.  im  himmlischen  Jerusalem 
des  Zisterziensers  Friedrich  Mibes,  Prag  1717,  s.  870  f.  -  S.  93,  1 :  anrufuug  des 
hl.  Blasius  in  halskrankheiten,  vgl.  Franz  I  272.  —  S.  149,  5:  'Christ  ist  geboren', 
vgl.  den  Segen  bei  Franz  II  199  (12.  Jahrhundert);  dieser  verstümmelte  segen  der 
Arstedie  findet  sich  mitteldeutsch  vollständig  mit  grossenteils  wörtlicher  Überein- 
stimmung in  der  Breslauer  hs.  III  Q  7  (15.  Jahrhundert),  von  mir  abgedruckt 
Mitt.  d.  schl.  g.  f.  Vk.  9  (1907)  2,  23.  -  S.  165,  11  imd  169,  2  und  glossar:  mann- 
slachtiff  heisst  nicht  'männliches  geschlecht',  sondern  'menschentötend'  trotz  169,  11: 


ÜBER   NORRBOM,   DAS    GOTHAER   MND.    ARZNEIBUCH  473 

rrouwelik.  —  S.  172,  24  if. :  die  sipia  mortis  et  vite  decken  sich  inhaltlicli  mit  denen 
des  Breslauer  arzneibuclis  s.  134  f.  —  S.  199,  10  Jobsegen;  dazu  die  literatur  bei 
Franz  II  415.  —  S.  199,  26:  homines  et  jumenta  vgl.  Franz  I  171. 

Glossar:  es  ist  wesentlicher  für  die  geschichte  der  heilkunst  in  Deutsch- 
land, wenn  die  älteren  deutschen  pflanzennamen  mit  den  mittelalterlichen  lateinischen 
oder  latinisierten  griechischen  identifiziert  werden,  etwa  an  der  band  der  Macer- 
übersetzungen,  als  wenn  man  sich  mit  den  doch  oft  unsicheren  Linneeschen  be- 
zeichnungen  begnügt.  Die  folgenden  hinweise  sind  dem  Breslauer  arzneibuch  (Ba) 
entnommen: 

athanasia  magna  ist  nicht  die  pflanze,  sondern  ein  opiat;  seine  Verwendung 
Ba  103;  ebenfalls  opiat  ist  anrea  allexandrina  Ba  102;  affrodille  affodillus  golda 
amarusca  Ba  143;  bete  kresse  Ba  176  und  180;  bemvelle  cousolida  maior  beinwelle 
Ba  144;  billensat  jusquiamus  cassilago  caniculata  Ba  146;  blota  bleta  beizkol  Ba  143; 
di/acalatnentum  ist  ein  lectuarium  Ba  107;  di/acnminum  dyaciminum  ist  ein  electuarie 
Ba  106;  di/apninus  diaprunis  Ba  94;  ertbere  fragula  ertperkrut  Ba  146;  gerale- 
godion  geralogodion  memphicum  Ba  101,  wo  auch  die  Zusammensetzung  steht; 
godesrorgeten  marrubiura  album  wiz  au  dorn  Ba  147,  gotesuergezze  Ba  147,  prassicum 
gotesuergezze  Ba  148;  grensing  portentilla  Ba  148,  aber  148  ist  auch  portentilla 
baldrian  und  147  ninfea  grensinc:  hasenJior  hasenhor  didinna,  womit  Ba  145  ein 
kraut  gemeint  ist;  hedderick  rapistrum  hederich  Ba  148,  was  wohl  dem  aus  dem 
Boek  d.  Arst  zitierten  napi  agrestis  entspricht;  heide  mirica  beide,  genesta  idem 
Ba  147;  hnslok  barba  iouis  huslouch  Ba  143;  capühis  veneris  widertan  Ba  144,  also 
mauerraute;  karde  herba  fuUonum  karte  Ba  146;  cassia  fi'stnla  hochhorn  Ba  144; 
keniele  cerefolium  kerbele  Ba  162,  serima  wilde  kerbele  Ba  149;  kol:  Ba  unter- 
scheidet in  dieser  ungeklärten  gruppe:  kole  11,  capuz  (sommerkohl)  11,  romisch 
kol  brassica  143,  spinat  11,  di2)tannus  romisch  kresse  145,  cardamns  wilder  kresse 
144,  calasticnm  wilde  kresse  145,  strntion  burne  kresse  (brunnenkresse)  168,  nastur- 
cium  gartkresse  168,  caulis  romana  mangolt  145,  beta  kresse  180;  —  konel  saturea 
seterich  Ba  149;  kretelinore  pastinake  kritzelmorhen  Ba  148;  crucewort  cardus  bene- 
dictus  crucewurtz  Ba  144;  lacrisse  liquiritia  lakeritie  Ba  180;  lingwa  passerina 
lingua  auis  uogelzunge  Ba  147;  lusecrut  stophisagria  lusewurz  Ba  149,  herba  pedi- 
culorum  luswurtz  .146;  malna  malua  agrestis  ybesche  Ba  147,  malua  pappel  174; 
minte  menta  minze  Ba  155,  nepta  wilde  miuze  147;  muschate  macis  muschaten- 
blume  Ba  147;  nachtschade  morella  solatrum  nachtschate  Ba  147;  poyvis  vcssa 
lupina  boumvist  Ba  174,  altea  ybische  oder  wilde  päppele  165;  redik  raphanus 
merretich  Ba  180 ;  ringele  Calendula  ringele  Ba  145,  solsequium  sponsa  solis  ringel  149, 
antusa  ringele  143;  schorftcortel  scabinosa  grintwurtz  Ba  149;  senncp  sinape  senf 
Ba  161,  eruca  Avis  senif  169;  seuenhoem  sauia  samboum  Ba  176;  si/neckel  sauicula 
sauekel  Ba  149,  während  ebenda  senetion  mit  cardus  benedictus  gleichgesetzt  ist; 
steynbreke  filipendula  gros  steinbreche  Ba  146;  stcgnpeper  crassia  vermicularis  stein- 
pfeffer  Ba  145;  srire  acidula  surampher  Ba  147;  swerdele  accarus  Ba  143,  eration  145, 
gladiola  146;  tormentilla  vicwurtz  Ba  149;  veltkomel  serpillum  quenleyn  Ba  149, 
veltkumel  162;  vennecol  maratrum  venchel  Ba  147;  vifblade  pentafilos  funfbleter 
Ba  177;  wegebrede  wird  Ba  153  in  maior  groze  und  minor  minner  geschieden; 
wypperiue  basiliscus  naterwurtz  Ba  143;  wyrok  thus  wirouch  Ba  179,  olibauum  wiz 
Avirouch  148;  tcytwort  elleborum  wizwurz  Ba  171,  sigillmn  sancte  Marie  149  mit 
gleicher  Verwendung. 

BRESLAU.  J.    KLAPPER. 


474  \  KKZKICIINIS    J)KK    MriAUHEIl'EK    IN    HD.    XU  — 1.    DI-:H    ZEIT.SCIIH. 

VERZEICHNIS  DER  MITARBEITER  UND  IHRER  BEITRÄGE 
IN  BAND  XLI— L  DER  ZEITSCHRIFT. 

Baeseckc,  Geory-  (Halle  a.  S.):  Anzeige  von:  Franz  Saran,  Deutsche  Verslehre 
XLI,  93.  —  Hans  Eichen  topf,  Theodor  Storms  erzählungskunst  XLI,  ry20. 

—  Carl  Meyer,  Die  technik  der  gestaltendarstellung  in  den  novellen 
Th.  8torms  XLI,  531,  —  Otto  Runge,  Die  metamorphosenverdeutschung- 
Albrechts  von  Halberstadt  XLII,  453.  —  Kudrun,  hrg.  von  B.  Sijmons  XLVIII, 
134.  —  J.  Linde  mann.  Die  alliteration  als  kuüstform  im  volks-  und  spiel- 
mannsepos  L,  117. 

»Clin,  Siefirfried  (Bonn) :  Anzeige  von:  Leonh.  Hettich,  Der  fünffüssige  jambus 

in  den  dramen  Goethes  XLVI,  312. 
licrendsoiiii,    W.    A.    (Hamburg):    Anzeige    von    K.  Schreiner,    Die    sage    von 

Hengist  und  Hoisa  L,  284. 
Biese,  Alfred  (Frankfurt  a.  M.):  Anzeige  von:  Ed.  Bereud,  Jean  Pauls  ästhetik 

XLII,  496.    —   Ernst  Elster,   Prinzipien  der  literaturwissenschaft  XLV,  71. 

—  H.  Leise  au,  L'evolutiou  morale  de  Goethe  XLV,  345.  —  W  il  h.  Ganzen- 
111  Uli  er.  Das  naturgefühl  im  mittelalter  XLVII,  400. 

Binz,  Oustav  (Basel):  Anzeige  von:  Gast.  Trilsb  ach ,  Die  lautlehre  der  spät- 
westsächs.  evangeliea;  J.  Wilkes,  Lautlehre  zu  Älfrics  Heptateuch  und  buch 
Hiob  XLII,  .880.  —  Fr.  Seiler,  Die  entwicklung  der  deutschen  kultur  im 
Spiegel  des  lehnworts  XLIII,  242.   XLIV,  486.  XLV,  521.    XLVI,  292.     L,  2S5. 

—  W.  Ho d  1er,  XLVI  Beiträge  zur  Wortbildung  und  Wortbedeutung  im 
Berndeutschen;  Manfred  Szadrowsky,  Nomina  agentis  des  schweizer- 
deutschen in  ihrer  bedeutungsentfaltung  XLIX,  289. 

Bley,  A.  (Gent):    Zur    erklärung    der   ausdrücke   iKesfa   hrmöt-u,   annarra    hi-fföra, 

pridja  brceöra  XLII,  417. 
Boer,  R.  C.  (Amsterdam):   Anzeige   von:   Bruno  Crome,   Das  Markuskreuz  vom 

Göttinger   Leinebusch    XLII,    112.    —    L.   Polak,    Untersuchungen    über    die 

Siegfridsagen  XLIV,  346. 
Bolinenberger,    K.    (Tübingen):    Anzeige    von:    Beiträge    zur    schv/eizerdcutschen 

gramraatik,  hrg,  von  A.  Bach  mann  1.  2.  4.  5.  XLV,  361. 
Bolte,  Joli.  (Berlin):  Anzeige  von  A  Kost  er.  Die  meistersingerbühue  des  10.  Jahih. 

L,  292. 

de  Boor,   Helmut   (Greifswald):   Das   schwert   Msering  XLV,   292.     Die   nordische 
und  deutsche  Hildebrandsage  XLIX,  149.  L,  175.  Anzeige  von:  Jan  de  Vries, 
Studien  over  fseraische  bailaden  XLIX,  104. 
Boroliardt,    Hans    Heitir.    (München)    und   Neumaiiu,   Friedr.  (Leipzig):  Bericht 
über  die  Sitzungen  der  germ.  Sektion  der  53.  Versammlung  deutscher  philologen 
und  schulm<änner  in  Jena  XLIX,  243. 
Borinski,  Karl  (München  f):  Einmalige  ausdrücke  bei  Opitz  XLIV,  218. 
Krieg  ist  das  losungswort!  XLVIII,  125. 

Anzeige  von:  Kuno  Fraucke,  Die  kulturwerte  der  deutschen  liteiatur  des 
mittelalters  XLIV,  371.  —  S.  Singer,  Mittelalter  und  renaissance;  Die 
Wiedergeburt  des  epos  und  die  entstehung  des  neueren  romans  XLIV,  375.  — 
Hugo  Souvageol,  Petrarca  in  der  deutschen  lyrik  des  17.  Jahrhunderts 
XLV,  86.  —  Paul   Lehmann,   Vom   mittelalter  und  von  der  lat.  literatur 


VEUZEICHXI.S   DKR   MITARBElTEIl    IX   IJD.    XLI— L    DER   ZEITSCIIR.  475 

des  mittelalters  XLVII,  272.  —  Hans  Sperber,  Über  den  aifekt  als  Ursache 
der  sprachveränderuug  XLVII,  421.  —  K.  Burdach,  Rienzo  und  die 
geistige  Wandlung  seiner  zeit  XL VIII,  459.  —  T.  L.  van  Stockum, 
Spinoza-Jacobi-Lessing  XLVIII,  475.  —  K.  Burdach,  Vom  mittelalter  zur 
refonuation  XLIX,  96.  —  Histoire  du  Cid.,  hrg.  von  Alb.  Leitzmann 
L,  104.  —  H.  H.  Borcherdt,  Augustus  Buchner  und  seine  bedeutung  für 
die  deutsche  literatur  des  17.  Jahrhunderts  L,  105.  —  Haus  Sperber, 
.  Motiv  und  wort  bei  (üustav  Meyrink;  Leo  Spitzer,  Die  groteske  gestaltungs- 
und  sprachkuüst  Chr.  Morgensterns  L,  107. 

Brecht,  Walther  (Wien):  Bericht  über  die  Verhandlungen  der  gcrm.  Sektion  der 
51.  Versammlung  deutscher  philologen  und  Schulmänner  in  Posen  XLIII,  449. 

Brieskorn,  Roland  (Gotenburg):  Anzeige  von:  Axel  Kock,  Svensk  Ijudhistoria 
XLI,  3S9. 

Brodführer,  E.  (Harzburg):  Der  Wernigeröder  Lapidarius  XLVI,  255. 

Brückner,  Wilh.  (Basel):  Anzeige  von:  Fr.  v.  d.  Leyen,  Einführung  in  das  gotische 
XLI,  228.  —  Selma  Colliander,  Der  parallelismus  im  Heliand  XLVI,  96. 

Buergel-Goodwiu,  H.  (üpsala) :  Anzeige  von  :  AdolfNoreen,  Vart  sprak  XLI,  118. 

Bugge,  Alexander  (Christiaiiia-Oslo) :  Anzeige  von:  Axel  Olrik,  Nordisk  aandsliv 
i  vikingetid  og  tidlig  middelalder  XLI,  372. 

Castle,  Ediiaid  (Wien):  Anzeige  von:  Rud.  Pajer  v.  Tliurn,  Giillparzcrs 
ahnen  XLVIII,  152. 

Colliander,  Elof  (L^psala):  Anzeige  von:  Job.  Flensburg,  Die  mnd.  predigten 
des  Jordanes  von  Quedlinburg  in  auswahl  XLIV,  377. 

Conseutius,  Ernst  (Berlin) :  Aus  Heinr.  Christ.  Boies  nachlass.  Textgeschichtl. 
mitteilungen  zu  Klopstock,  Lessing,  Herder,  Gerstenberg,  Voss  u.  a.  XLVIII, 
389.     XLIX,  57.  195.     Briefe  von  Klopstock  XLIX,  232. 

Corves,  Carl  (Kiel):  Studien  über  die  Nibelungenhandschrift  A  XLI,  271.  437. 
XLII,  61. 

Cruse,  Paul  (Kiel):  Zum  'Henuo'  des  Hans  Sachs  XLII,  344. 

Daherkow,  .W.  (Königsberg):   Adhramire   und  die  germanische  framea  XLIX,  229. 

Datjen,  Werner  (Hannover) :  Neue  Heinefunde  XLIV,  478. 

Devrient,  Haus  (Weimar):  Anzeige  von:  Hans  Kundsen,  Heinrich  Beck  ein 
Schauspieler  aus  der  blütezeit  des  Mannheimer  theaters  im  18.  Jahrhundert 
XLVI,  135.  —  Wilh.  Hochgreve,  Die  technik  der  aktschlüsse  im  deutschen 
drama  XLVII,  285.  —  Fried r.  Michael,  Die  anfange  der  theaterkritik  in 
Deutschland  L,  97.  —  J.  Günther,  Der  theaterkritiker  H.  Th.  Rötscher  L,  318. 

Dietrich,  G.  (Kiel):  Anzeige  von:  Albert  Daur,  Das  alte  deutche  Volkslied  nach 
seinen  festen  ausdrucksformen  betrachtet  XLII,  467. 

Edert  E.  (Kiel):  Anzeige  von:  Helene  Henze,  Die  allegorie  bei  Haus  Sachs 
XLV,  325, 

Ehrismann,  Gustav  (Greifswald):  Anzeige  von:  Job.  Rothes  passion,  hrg.  von 
Alfr.  Heinrich  XLI,  75.  —  Friedr.  Wilhelm,  Deutsche  legenden  und 
legendäre  XLII,  257.  —  Rieh.  Brill,  Die  schule  Neidharts  XLII,  357.  — 
Emil  Dickhoff,  Das  zweigliedrige  wort-asyndeton  in  der  älteren  deutschen 
spräche  XLII,  358.  —  Rud.  Sokolowsky,  Der  altdeutsche  minnesang  im 
Zeitalter  der  deutschen  klassiker  und  romantiker  XLII,  361.  —  G.  M.  Priest, 
Ebernant  von  Erfurt  XLII,  361.  —  31  ax  Leopold,  Die  vorsilbe  ver-  und 
ihre  geschieh te  XLII,  362.    —    Frie  dr.  Wen  z  1  au  ,  Zwei-    und    dreigliedrig- 


476  vKRZEiciixrs  der  Mitarbeiter  in  bd.  xli— l  dici!  zeitschr. 

keit  in  der  deutschen  prosa  dos  14.  und  15.  jhs.  XLII,  488.  —  Helwigs 
inäre  vom  heil,  kienz,  hrg-i  von  Paul  Heymann  XLV,  305.  —  Emil 
Pflug,  Suchensinn  und  seine  dichtungen  XLV,  307.  —  Die  grosse  Heidel- 
bergerliederhandschrift, hrg.  von  Fr.  Pfaff  XLV,  309.  —  Gertrud  Stock- 
mayer, Über  naturgefühl  in  Deutschland  im  10.  und  11.  Jahrhundert  XLV, 
311.  —  Friedr.  Ranke,  Sprache  und  stil  im  Wälschen  gast  des  Thomasin 
von  Circlaria  XLV,  312. 

Eiorniann,    Walter    (Kiel):    Caspar    Stieler   als   dichter    der    geharnschten   Venus 
XLII,  447. 
Anzeige   von:   Paul  Weiglin,   Gutzkows   und  Laubes  literaturdramen,  XLV. 

355.  —   Fritz    Mittelmann,    Alb.  Emil    Brachvogel    und    seine    dramen 

XLV,  357. 

Ellingor,  (feor^  (Berlin):  Anzeige  von :  Adrianus  Roulerius,  Stuarta  tragoedia,  hrg. 
von  E.  Woerner;  Petrus  Mosellanus,  Paedologia  hrg.  von  Herrn.  Michel 
XLIII,  480.  —  Joh.  Chrysostomus  Schulte,  P.  Martin  von  Cochem. 
Sein  leben  und  seine  Schriften  XLVIII,  140.  —  Das  Volksbuch  vom  doktor 
Faust,  hrg.  von  Jos.  Fritz  XLVIII,  315.  —  Nikod.  Frischlinus,  Julius  redivivus 
hrg.  von  Walther  Janell  XLVHI,  320.  —  H.  Schauer,  Chr.  Weises 
biblische  dramen  L,  296.  —  H.  Müll  er,  Lebensansichten  des  katers  Murr  L,  299. 

Elster,  Ernst  (Marburg):  Anzeige  von:  Heinr.  Heines  briefwechsel,  hrg.  von  Friedr. 
Hirth  XLVI,  319. 

Enders,  Karl  (Bonn) :  Neue  arbeiten  zu  Gottfried  Kinkels  entvvicklung  XLVH,  257. 
Anzeige  von:  Friedr.  Hölderlins  sämtl.  werke,  hrg.  von  Franz  Zinkerna  gel 
XLVI,  488.  —  Rud.  Haym,  Die  romantische  schule ^  bes.  von  0.  Walzel 
XLVI,  489.  —  Max  Fischer,  Heinr.  v.  Kleist,  der  dichter  des  preussentums ; 
Herm.  Schneider,  Studien  zu  Heinr.  v.  Kleist  XLVIII,  330.  —  Th.  Birt, 
Schiller  der  politiker  XLVIII,  312.  —  AI  fr.  Kuhn,  Die  Faustillustrationen 
des  Peter  Cornelins  XLIX,  279.  —  Joh.  Peter  Eckermann,  Gespräche  mit 
Goethe.    Komment.-ausgabe  vou  Ed.  Castle  XLIX,  280. 

Englert,  Anton  (München):  Übertragungen  .  .  .  P.  Flemings  L,  429. 

Enss,  Fritz  (Hamburg):  Anzeige  von:  Friedr.  Hirth,  Aus  Friedr.  Hebbels 
korrespondenz  XLVI,  159.  —  Clara  Price  Newport,  Woman  in  thc  thought 
and  work  of  Friedr.  Hebbel  XLVI,  161.  —  AI  b.  Gubelmann,  Studies  in  the 
lyric  poems  of  Friedr.  Hebbel  XLVI,  163. 

Ermann,  Konrad  Bessel  (Bonn  -[):  Beziehungen  zwischen  Stellung  und  funktion 
der  nebensätze  mehrfacher  Unterordnung  im  ahd.  XLV,  1.  153,  426. 

Euling,  Karl  (Wiesbaden) :  Zu  band  XI,  3  des  Grimmschen  Wörterbuchs  XLVI,  450. 
Anzeige  von:  Karl  Reu  sc  hei.  Die  deutschen  weltgerichtsspiele  des  mittel- 
alters  und  der  reformationszeit  XLIII,  245.  —  Karl  Schroeder,  Der  deutsche 
Facetus  XLVI,  459.  -  Wilhelm  Uhl,  Winiliod  XLVI,- 459.  —  Heinrich 
Lütcke,  Studien  zur  philosophie  der  meistersänger  XLVII,  403. 

Felise,  Wilh.  (Burg  bei  Magdeburg):  Das  totentanzproblem  XLII,  262. 

Feist,  Sigmund  (Berlin):  Thüringische  runeufunde  XLV,  117.  Zur  deutung  der 
deutschen  runenspangen  XLVII,  1.  Die  runeninschrift  der  grösseren  Norden- 
dorfer  Spange  XLIX,  1. 

Fischer,  Herm.  v.  (Tübingen  f):  Anzeige  von:  Aug.  Kubier,  Die  deutschen 
berg-,  fluss-  und  Ortsnamen  des  alpinen  Hier-,  Lech-  und  Sannengebietes  XLH,  503. 


VERZEICHNIS   DER   MITARBEITEll.  IN   BD.   XLI— L   DER   ZEITSCHK.  477 

Frauck,  Johannes  (Bonn  f):  Wilhelm  Wilmanns  XLIII,  435. 

Anzeige  von:  J.  Verdam,  Middelnederlandsch  handwoordenboek  XLV,  316. 
Franke,  Carl,  Zu  Luthers  Schriftsprache  XLVIII,  450. 
Frederking,  Arthur  (Worms):  Zu  Goethes  Faust  XLII,  833. 
Frings,  Theodor  (Bonn):  Christ  und  Satan  XLV,  216. 

Fuchs,  Eduard  (Beuten):  Die  komposition  der  Geuchmat  Th.  Murners  L,  419. 
(Jaebeler,  Kurt  (Plön):  Die  griechischen  bestandteile  der  gotischen  bibel  XLLII,  1. 
Oebhardt,     August     (Erlangen    l):     Zu    Ambrosius      Österreichers      Schwerttanz 
XLH,  97. 

Anzeige  von:  Frank  Fischer,  Die  lehn  Wörter  des  altwest  nordischen  XLII, 
448.  —  Maäl  og  minne  utg.  ved  Magnus  Olsen  XLIII,  479.  —  Hans 
Tschinkel,  Grammatik  der  Gottscheer  mundart  XLIV,  117.  —  Emil 
Gerbet,  Grammatik  der  mundart  des  Vogtlandes  XLIV,  120.  —  Bengt 
Hesselmann,  De  korta  vokalerna  /  och  y  i  svenskan  XLIV,  124.  —  ßöm- 
verjasaga,  hrg.  von  Rud.  Meissner  XLIV,  859.  —  Konr.  Hentrich, 
Wörterbuch  der  nordwestthüringischen  mundart  des  Eichsfeldes  XLV,  1(J8.  — 
Heinr.  Schäfer,  Waifenstudien  zur  Thidrekssaga  XLVI,  119.  —  Jakob 
W.  Hart  mann,  The  Ggngu-Hrölfssaga  XLVI,  121. 
Gering,  Hugo  (Kiel  f):  Altnordisch  v  XLII,  233. 

Neuere  sehrifteu  zur  runenkunde  (Ludv.  F.  A.  Wimmer,  De  danske  rune- 
miudesmserker  I,  1.  IV,  2;  Magnus  Olsen  og  Haakon  Schetelig,  En 
indskrift  med  teldre  runer  fra  Floksand  i  Nordhoröland ;  Magnus  Olsen, 
Tryllerunerne  paa  et  vaevspjeld  fra  Lund  i  Skaane ;  0.  v.  Friesen  och 
Hans  Hansson,  Kylfverstenen)  XLII,  236. 
Zur  Lieder-Edda  III.  XLHI,  132. 
Die  episode  von  Engnvaldr  und  Ermingerör  in  der  Orkneyingasaga  XLIH,  42S. 

XLVI,  1. 
Beiträge  zur  kritik  und  erklärung  skaldischer  dichtungen  XLIV,  133. 
Zu  Zeitschr.  XLIV,  489  ff   XLV,  68. 
Njarar  XLVEI,  1. 
Ludwig  Wiramer  XLVIII,  5U0. 
Zur  Eddametrik  L,  127. 

Anzeige  von:  Finnur  Jönsson,  Den  uorsk-islandske  skjaldedigtning  XLI, 
281.  —  Die  geschichte  vom  skalden  Egil,  übertr.  von  F.  Niedner  XLIV, 
489.  —  Edda,  hrg.  von  G.  Neckel  XLVI,  466.  —  H.  F.  Feilberg,  Bidrag 
til  en  ordbog  over  jyske  almuesmäl  XLVIII,  291.  —  Die  Eddalieder  klang- 
lich untersucht  und  hrg.  von  Ed.  Sie  v  er  s  L,  93.  —  Abwehr  (gegen 
E.  Sievers)  L,  826. 
(Kessler,  Albert  (Basel):  Zu  Schillers  'Kampf  mit  dem  dracheu'  XLIV,  220. 
Ooltlier,  Wolfgang  (Rostock):  Anzeige  von:  Wilh.  Linde  mann,  Geschiclite  der 

deutscheu  literatur  XLVII,  296. 
(liötze,  Alfred  (Freibnrg  i.  B.):  Anzeige  von:  Adolf  Hauffen,  Xeue  Fischart- 
studien XLI,  536.  —  V.  Moser,  Histor.-gramat.  einführung  in  die  frühnhd. 
.Schriftdialekte  XLII,  251.  —  Fried r.  Weidling,  Schaidenreissers  Odyssea 
XLV,  508.  —  Ludw.  Zopf,  Zwei  neue  Schriften  Murners  XLV,  511.  —  Willo 
Uhl,  Der  Franckforter  XLV,  515.  —  Bruno  Strauss,  Der  Übersetzer  Nico- 
laus von  Wyle  XLV,  516.  —  Julius  Zupitza,  Einführung  in  das  Studium 
des  mhd."  (bes.  von  Franz  Nobiling)  XLVIII,  131.  —  Martin  Luthers 


478  \t:u/EUii\i.s  i>i.;i;  .MirAKiuaiKU  ix  iii>.  xi,i— l  uek  zeit.schr. 

werke.      Krit.    gesaiiitausgabe.      Tischreden    1.    2.      XLIX,    114.  —  Fried r. 
Kluge,  Etyinol.  Wörterbuch  der  deutschen  spräche''*  XLIX,  282. 
G(>et/e,    Edmund    (Loschwitz    bei    Dresden) :    Zu   den   schwanken   des  Haus  Sachs 

XL  VI,  83. 
(»raber,    G.    (Klagen fürt) :    Heinricli    von    dem    Turlin    und   die   spracliform    seiner 

Krone  XLII,  154.  287. 
(irioiibersrer,  Theodor  t.  (Wien) :  Drei  westgermanlsclie  ruueninschiiften  XLI,  419. 
Zwei  runeninschriften  aus  Norwegen  und  Friesland  XLII,  38'i, 
Erörterungen  zu  den  deutschen  runenspangcn  XLIII,  289.  XLV,  133. 
Zwei  altenglische  runeninschriften  XLIII,  377. 
The  Thames  fittiug  XLV,  47. 
Runensachen  L,  274. 

Anzeige  von:  Friedr.  Kluge,  Deutsche  uamenkunde  L  118. 
(»ra>newald,  C.  F.  (Groningen):  Der  zweite  Trierer  Zauberspruch  XLVII,  872. 
Gülzow,  K.  (Greifswald):  Der  schreiberanhaug  der  Krone  XLV,  62. 
Ountcnnj^nu,  K.  (Kiel):  Ahd.  ärunti,  mhd.  ernde  XLII,  397. 

Anzeige  von:   G.  Grau,   Quellen   und  Verwandtschaften    der    älteren   german. 
darstellungen   des  jüngsten  gerichts  XLI,  401.  —  Heinr.  Schröder,  Ab- 
lautstudien XLIV,  485.  —  0.  Gröger,  Die  ahd.  und  alts.  kompositionsfugc 
XLV,  83. 
Gürtler,  Hans  (Düsseldorf):   Zum  gebrauch  der  konkurrierenden  abstraktbildungen 

im  gotischen  XLIX,  82. 
(ilusinde,  Konrad  (Breslau  f) :  Bericht  über  die  Verhandlungen  der  german.  Sektion 
der  52.  Versammlung  deutscher  philologen  und  Schulmänner  in  Marburg  XLV,  485. 
Anzeige   von:    Wolf  v.  Unwerth,    Die    schlesische    mundart   XLII,  504.  — 
Emil  Bohu,  Die  nationalhymnen  der  europäischen  Völker  XLIII,  278. 
Hagen,   Paul   (Lübeck):   Anzeige   von:   W.  Golther,    Die   gralsage  bei  Wolfram 
von  Eschenbach  XLII,  461.  —  Viktor  Jung,  Gralsage  und  graldichtiing  des 
mittelalters  XLVI,  109. 
Haishagen,  J.  (Bonn):  Anzeige  von:  Hans  Gille,  Die  historischen  und  politischen 

gedichte  Michel  Becheims  XLV,  327. 
Hasse,  H.  (Bonn):  Beiträge  zur  Stilanalyse  der  mhd.  predigt  XLIV,  1.  169. 
Hauff eu,  Adolf  (Prag) :  Sebastian  Franck  als  Verfasser  freichristlicher  reimdichtungeu 
XLV,  3^9. 

Anzeige  von:  W.  Hinze,  Moscherosch  und  seine  deutschen  Vorbilder  in  der 
Satire;  Joh.  Beinert,  Deutsche  quellen  und  Vorbilder  zu  Moscheroschs 
Gesichte  Philanders  von  Sittewald  XLII,  345.  —  Maximilian  Pfeifer, 
Amadisstudien  XLII,  470.  —  Alf r.  Schauerhammer,  Mundart  undheimat 
Kaspar  Scheits  XLIV,  94.  —  Paul  Weidmann,  Johann  Faust  XLV,  328. 
—  Alfr.  Geyer,  Die  starke  konjugatiou  bei  Joh.  Fischart  XLVIII,  454.  — 
Eugen  Wolff,  Faust  und  Luther  XLVIII,  454. 
Heinrich,  Alfred  (Berlin-Terapelhof):   Aus  Johannes  Rothes  ungedrucktem  gedieht 

von  der  keuschheit  XLVIII,  269. 

Helm,  Karl  (Marburg):  Genealogisches  zu  Luder  von  Braunschweig  XLVI,  445. 

Anzeige  von:  W.  Ziesemer,   Nicolaus   von  Jeroschiu   und  seine  quelle  XLI 

72.  —  J.  Wright,   Grammar   of  the  gothic  language  XLIII,  381.  —  Paul 

Hoffmann,  Die  mischprosa  Notkers  des  deutschen  XLIV,  3ü5.  —  L.  Armi- 

tage,  An  introduction  to  the  study  of  old  high  german  XLV,  73.  —  Paul 


VERZEICHNIS   DER   JIITARBEITER   IN    BD.    XLI— L   DER   ZEIT.SC'IIR.  479 

Claus s,  Ehytlimik  und  metrik  in  Seb.  Brauts  Narreuscliiff  XLV,  324.  — 
Joh.  Steyrer,  Der  Ursprung  und  das  Wachstum  der  spräche  indogermanischer 
Europäer  XLV,  384.  —  Karl  Wesle,  Die  ahd.  glossen  des  Schlettstadter 
coilex  XLVI,  455.  —  Die  Warnung,  hrg.  von  Leop.  Weber  XL  VI,  472.  — 
Gerh.  Reissmann,  Tilos  von  Culm,  gedieht  von  siben  ingesigelen ;  Arthur 
Hüb n er,  Daniel,  eine  deutschordensdichtung ;  Die  poetische  bearbeitung  des 
buches  Daniel  aus  der  Stuttgarter  hs.,  hrg.  von  A.  Hübner  XLVI,  476.  — 
Hans  Naumann,  Notkers  Boethius  XLVII,  391.  —  Jos.  Welz,  Die 
eigennamen  im  cod.  Laureshamensis  XLVII,  394.  —  Das  Marienburger  Ämter- 
buch, hrg.  von  W.  Ziesemer  XLIX,  95.  —  Georges  Duriez,  La  theo- 
logie  dans  le  draiue  religieux  en  Allemagne  au  moyen  äge;  ders.,  Les  apo- 
cryphes  dans  le  drame  religieux  en  Allemagne  au  moyen  age  XLIX,  260.  — 
W.  Ziesemer,  Das  grosse  ämterbuch  des  deutschen  ordens  L,  291. 
Helteii,  A,  Vau  (Groningen):  Noch  einmal  zur  etymologie  von  hrant  XLII,  446. 
Heyer,  €urt  (Kiel  f):  Stilgeschichtliche  Studien  über  Heiur.  Seuses  büchlein  der 
ewigen  Weisheit  XLVI,  175.  393. 

Anzeige   von:    Bruno    Engelberg,    Zur    ^^tilistik    der   adjectiva  in  Otfrieds 
evangelienbuch  und  im  Heliand  XLVI,  465. 
Hirsch.  Friedr.  E.  (Wien):    Anzeige   von:    Curt    HiUe,    Die   deutsche   komödie 

unter  der  einwirkung  des  Aristophanes  XLH,  491. 
Holthausen,  Ferd.  (Kiel):  Zwei  altenglischc  ruueninschrifteu  XLII,  331. 
Erwiderung  XLIII,  378. 

Gotica  (got.  hags,  hin',  astaj),  hairahagms)  XLVIII,  26S. 

Anzeige  von:  Beowulf,  hrg.  von  M.  Heyne'",  bearb.  von  Levin  L.  Schücking 
XLVIII,  127. 
Jäger,  Paul  (Borsdorf  bei  Leipzig):  Der  artikelgebrauch  im  ahd.  Isidor  XLVII,  305. 
Jahu,  Kurt  (Halle  a.  S.  i):   Anzeige  von:  Eugen  Wolff,  Mignon;  Hans  Beh- 
rendt,   Goethes    Wilhelm    Meister  XLV,    338.  —  Gust.   Kettner,    Goethes 
drania :  Die  natürliche  tochter  XLVI,  139. 
Jautzeu,  Herniauu,  Konrad  Gusinde  XLVI,  443. 

JeHiueli,    Max    Herrn.    (Wien):    Anzeige    von:    Paul    Glaue    und  Karl  Helm, 
Das   gotisch-lateinische    bibelfragment    der    universitäts-bibliothek   zn    Giessen 
XLIII,  379.  —  Karl  Schulte,  Das  Verhältnis  von  Notkers  Nuptiae  philologiae 
et   Mercurii   zum    kommeutar   des    Eemigius    Antissiodorensis  XLVII,   101.  — 
Hans  Körnchen,  Zesens  romane  XLVII,  126. 
Johanuson,  Amid  (Didsbury,  Manchester):  Zur  abwehr  XLI,  129. 
Jöusson,    Finuur   (Kopenhagen):    Anzeige   von:    G.  Necke  1,   Beiträge  zur  Edda- 
forschung  XLI,    381.    —    C.   F.   Hofker,    De    Föstbroeörasaga   XLI,    388.  — 
Halfdanar  saga  Eysteinssonar,  hrg.  von  F.  R.  Schröder  XLIX,  262.  —  Vatns- 
d(da  saga,  hrg.  von  W.  H.  Vogt  XLIX,  264. 
Jordan,  Leo  (München):  Anzeige  von:  Max  Deutschbeiu,  Studien  zur  sagen- 

geschichte  Englands  XLI,  81. 
Jost,    Karl    (Basel):    Anzeige    von:    A.  B.  Öberg,    Über   die    hfTchdeutsche  passiv- 

umschreibung  mit  sein  und  werden  XLI,  241. 
Jürgensen,   Wilhelm   (Flensburg):    Anzeige   von:   K.  Wehrlian,  Kinderlied  und 

kinderspiel  XLII,  250. 
Kahle,   Beruhard   (Heidelberg  -1-):   Anzeige  von:  Cläri  saga,  hrg.  von  G.  Ceder- 
schiöld  XLI,  77.    —   Brennu-Njäls  saga,  hrg.  von  Finnur  Jönsson  XLII, 


480  VEKZEICIINIS    1>KU    MITABBEITER   IN   IJI).    XLl— I.   DER   ZEITSCHU. 

368.  —  F.  F.  K 0 h  1 ,  Die  tiroler  bauernhoclizeit  XLIII,  279.  —  Friedr  Panzer, 

Beowulf    XLIII,    383.  —  E.  Wilken,   Altnordische   erzählungen   XLIV,   358. 
Kninniol,  Wilibald  (Wien):  Über  die  Stellung  des  gattungsnamens  beim  eigennamen 

in  den  werken  Hartnianus  von  Aue  XLI,  1. 
Knppo,    Rudolf   (Kiel):    Hiatus    und    synaloephe    bei    Otfrid   XLI,    1S7.    320.   470. 

XLII,  15.  189. 

Deutsche  synaloephen  in  den  Otfridhandschriften  XLII,  407. 
Kauft'mniiii,  Friedrich  (Kiel);  Braut  und  gemahl  XLIJ,  129. 

Zur  textgeschichte  der  gotischen  bibel  XLIII,  118. 

Beiträge  zur  Quellenkritik  der  gotischen  bibelübersetzung  XLIII,  401. 

Eifel  XLV,  292. 

Das  Problem  der  liochdeutschen  lautverschiebuug  XL  VI,  833. 

Vom  dorn  umzingelt  XLVII,  10. 

Aus  dem  Wortschatz  der  rechtssprache  XIjVII,  153. 

Der  Stil  der  gotischen  bibel  XL VIII,  7.  165.  349.  XLIX,  11. 

Hugo  Gering  L,  339.     Über  den  schicksalsglauben  der  Germanen  L,  361. 

Anzeige  von:  Herrn.  Fischer,  Grundzüge  der  deutschen  altertumskunde  XLI, 
224.  —  Karl  Wehrhan,  Die  sage  XLI,  226.  —  Otto  Böckel,  Psycho- 
logie der  Volksdichtung  XLI,  227.  —  Wörter  und  sachen,  hrg.  von  R.  Me- 
ringer  u.  a  ;  A.  Fick,  Vergleichendes  Wörterbuch  der  indogermanischen 
sprachen*  III  (bearb.  von  Hj.  Falk  und  A.  Torp);  S.  Feist,  Etymol. 
Wörterbuch  der  gotischen  spräche;  Fr.  L,  K.  Weigant,  Deutsches  Wörter- 
buch^, hrg.  von  H.  Hirt;  Beiträge  zum  Wörterbuch  der  deutschen  rechts- 
sprache (Eich.  Schröder  gewidmet)  XLI,  234,  —  Albr.  Haupt,  Die  älteste 
kunst,  insbes.  die  baukunst  der  Germanen  von  der  Völkerwanderung  bis  zu 
Karl  d.  g.  XLI,  359.  —  Wilh.  Wundt,  Völkerpsychologie  II  (Mythus  und 
religion)  XLI,  361.  —  Alb.  Waag,  Bedeutungsentwicklung  unseres  Wort- 
schatzes XLI,  544.  —  Aug.  Gebhardt,  Grammatik  der  Nürnberger  mund- 
art  XLH,  126.  —  Paul  Habermann,  Die  metrik  der  kleineren  ahd.  reim- 
gedichte  XLII,  36t.  —  E.  Petzet  und  0.  Glauning,  Deutsche  schrift- 
tafeln des  9.— 16.  Jahrhunderts  aus  Müncheuer  haudschriften  XLIII,  239.  — 
,T.  H.  Gallee,  Altsächs.  grammatik-  (bearb.  von  J.  Lochner)  XLIII,  239. 
—  Eberh.  frhr.  v.  Künssberg,  Acht  XLIII,  241.  —  Rieh.  Kühnau, 
Schlesische  sagen  XLIII,  502.  —  L.  Schmidt,  Geschichte  der  deutschen 
Stämme  bis  zum  ausgange  der  Völkerwanderung  XLIV,  223.  —  G.  F.Mut  h, 
Stilprinzipien  der  primitiven  tierornamentik  bei  Chinesen  und  Germanen 
XLIV,  22G.  —  W.  Jahr,  Quellenlesebuch  zur  kulturgeschiclite  des  früheren 
deutschen  mittelalters  XLIV,  226.  —  Friedr.  Ranke,  Der  erlöser  in  der 
wiege  XLIV,  383.  —  Dahlmann-Waitz,  Quellenkunde  der  deutschen 
geschichte ",  hrg.  von  Paul  Herre  XLV,  302.  —  S e b.  Brant,  Das  narren- 
schiff, faksimileausg.  von  Fr.  Schultz  XLV,  323.  —  Conr.  Müller,  Alt- 
germanische  meeresherrschaft  XLVI,  95.  —  Sigm.  Feist,  Kultur,  aus- 
breitung  und  herkunft  der  Indogermanen ;  ders.,  Indogermanen  und  Germanen 
XLVI,  452.  XLVin,  500. 
Kaufluiaun,  Hans  (Berlin):   Anzeige  von:    Flugblätter  des  Seb.  Brant,  hrg.  von 

Paul  Heitz  XLVII,  273 
Kettner,  (iustav  (Weimar  f) :    Anzeige  von:   W.  Kühlborn,   J.  A.  Leisewitzens 

Julius  von  Tarent  XLV,   349,  —  Schillers   Don   Carlos  ed.  by  Frederick 


VERZEICHNIS    DER   MITARBEITER   IN   BD,   XLI— L    DER   ZEITSCHR.  481 

Lieder   XLV,  H50.   —    Alb.  Leitzmann,    Die    quellen    von    Schillers    Teil 

XLV,  351.   —  Des   kardinals   von  Retz  Histoire  de  la  conjuratiou  du  comte 

Jean  Louis  de  Fiesque,  hrg.  von  Alb.  Leitzmann  XLVI,  138. 
Klapper,  Jos.  (Breslau) :  Mitteldeutsche  texte  aus  Breslauer  handschriften  XLVII,  83. 

Der  Ursprung  der  lateinischen  osterferien  L,  46. 

Anzeige  von:  K.  Gusin  de,  Eine  vergessene  deutsche  Sprachinsel  (die  mundart 
von  Schöuwald  bei  Gleiwitz)  XLIV,  388.  —  K.Gusinde,  Schönwald  XLV, 

530.  —  8.  Norrbom,  Gothaer  lund.  arzneibuch  L,  471. 
Klin^hardt,  Herin.  (Kötzschenbroda  bei  Dresden):  Antwort  XLI,  131. 
König',  Hans  (Lübeck  f):  Zu  Geugenbach  XLIII,  457. 

Anzeige  von:  Franz  Stütz,  Die  technik  der  kurzen  reimpaare  des  Pamphilus 
Gengenbach  XLVI,  308. 
Kopp,  Arthnr  (Marburg  f):  Die  frühesten  schwedischen  liederhandschriften  XLIV,  199. 

Grünwald-lieder  XLVH,  210.  XLVm,  114. 

Anzeige  von:  A.  Kalla,  Über  die  Haager  liederhandschrift  nr.  721  XLIT,  462. 
—  E.  K.  Blümini,  Zwei  Leipziger  liederhandschriften  des  17.  jahrliuuderts 
XLIV,  230.  —   H.  F.  Wirth,   Der   Untergang   des   niederländischen   Volks- 
liedes XLIV,  378.  —  G.  Jungbaner,  Bibliographie  des  deutschen  Volksliedes 
in    Böhmen    XLVII,    128.    —    Wolfram   Suchier,  Gottscheds  korrespon- 
denten  XLVIII,  150. 
Körner,  Jos.  (Wien):    Anzeige    von:    Ludw.   Achim    v.  Arnim,    Ariels    Offen- 
barungen, hi'g.  von  Jakob   Minor  XLVI,  148.  —  AI  fr.  Kloss,  Die  Heidel- 
bergischen Jahrbücher  der  literatur  in  den  jähren  1808—1816  XLIX,  119. 
Ki'auip,  Leo  (Elberfeld) :  Die  verfasserfrage  im  ahd.  Tatian  XLVII,  322. 
Krauss,   Rudolf  (Stuttgart):    Anzeige  von:    Herrn.    Fischer,    Die    schwäbische 

literatur   im  18.  und  19.  jahrhuudert  XLV,  91.  —  Adalb.  Depiny.    Ludwig 

Bauer  XLV,  94. 
Krumin,     Hermann    (Kiel    f):    Anzeige    von:    R.    M.    Werner,    Hebbel;    Carl 

Behrens,  Fr.  Hebbel,  harw  liv  og  digtuiug  XLIII,  266. 
Kutscher,    Artur   (München):   Anzeige  von:    Eugen  Wolff,    Der  junge   Goethe 

XLI,  87.  —  Otto  Nieten,   Chr.  D.  Grabbe  XLIV,  363.  —  Paul  Ulrich, 

G.  Freytags    romantechnik;    Otto    Mayrhofer,    G.  Freytag    und    das   Junge 

Deutschland  XLIV,   363.   —   Alb.  Malte  Wagner,  Das  drama  Fr.  Hebbels 

XLV,  360. 
Lehinanu,  Karl  (Göttiugen  f) :  Grabhügel  und  königshügel  in  nordischer  heidenzeit 

XLII,  1.  XLIV,  78. 

Ebbe  Hertzberg  XLV,  55. 

Anzeige  von:  Andr.  Hensler,   Das  strafrecht  der  Isländersagas;  ders.,  Zum 
isländischen  fehdewesen  in  der  Surlungenzeit  XLV,  75. 
Leitzniauu,  Alb.  (Jena):  Zu  Rudolf  von  Ems  XLIII,  cOl. 

Zu  Hebbels  Judith  XLIV,  80. 

Zur  entstehungsgeschichte  des  'Julius  von  Tarent'  XLV,  298. 

Die  Kitzinger  bruchstücke  der  Schlacht  von  Alischanz  XLVIII,  96. 

Zu  den  briefen  der  frau  Rat  XLIX,  89. 

Auszüge  aus  briefen  der  brüder  Grimm  an  Sal.  Hirzel  L,  58.  241. 

Liscows  Zitate  L,  79. 

Magister  Ardelio  L,  92. 

Matthissonia  L,  431. 


482  VKK/EIl'UNIS    DER    MITAKBEI  l'ER    IN    111).    XM  — L    DER   ZEriSCHl;. 

Anzeig-e  von:  Ludwig  Pohnert,  Kritik  und  metrik  von  Wolframs  Titurel 
XLI,  535.  —  W.  Schwartzkopff,  Rede  und  redeszene  in  der  deutschen 
erzälilung  bis  Wolfram  v.  Escheubach  XLIII,  474.  —  W.  Michael,  Über- 
lieferung und  reihenfolge  der  gedichte  Höltys  XLIV,  104.  —  W.  Wacker- 
nagel,  Der  arme  Heinrich  Hartmanns  v.  Aue,  neu  hrg.  von  E.  Stadlei 
XLIV,  309.  —Susan  A.  Bacon,  The  source  of  Wolframs  Willehalm  XLV, 
303.  —  Erich  Mai,  Das  mbd.  gedieht  vom  möuch  Felix  XLVII,  113.  — 
P.  Riese nfeld,  Heinr.  v.  Ofterdingen  in  der  deutschen  literatur  XLVII, 
114.  —  K.  Ludwig.  Untersuchungen  zur  Chronologie  Albrechts  v.  Halber- 
stadt XLVII,  897.  —  Briefwechsel  J.  K.  Bluntschlis  mit  Savigny,  Niebuhr, 
L.  Eanke,  J.  Grimm  und  Ferd.  Meyer,  hrg.  von  W.  Öchsli  XLVIII,  159.  — 
A.  Schreiber,  Bausteine  zu  einer  lebensgeschichte  W.  v.  Eschenbach  L,  467. 
—  K.  Lach  mann,  Gedichte  Walters  von  der  Vogelweide  (8.  ausg.)  L,  468. 
Leyen,  Friedr.  v.  d.  (München) :  Anzeige  von :  W  o  I  f  v.  IJ  n  w  e  r  t  h ,  Untersuchungen 
über  totenkult  und  Oöinnverehrung  bei  Nordgermanen  und  Lappen  XLIV,  481. 
Lidsbnrski,    Mark    (Göttingen):    Anzeige    von:    Herm.    Möller,    Semitisch    und 

indogermanisch  XLII,  120. 
Lundius,     Bernh.     (Altona-Ottensen):    Anzeige    von:    Hrotswithae    opera    ed. 
Caro  US   Strecker  XLI,  61.   —  J.  W.  Beck,   Ekkehards  Waltharius,  ein 
kommentar  XLIII,    471.    —    Elisa b.  Haakh,    Die   naturbetr.Tchtuug  bei  den 
mild,  lyrikern  XLIV,  85.  —  Jos.  Sturm,  Der  Ligurinus  XLVI,  101. 
Matthias,    Theodor    (Plauen    i.  V.):  Anzeige  von:    Paul    Cauer,  Von  deutscher 

Spracherziehung  L,  119. 
Maus,  Th.  (Marburg):  Anzeige  von:  Th.  v.  Li  eben  au,  Der  Franziskaner  Thomas 

Murner  XLVI,  484. 
Maync,    Harry    (Bern):    Anzeige   von:   P.  Wüst,  Gottfr.  Keller  und  C.  F.  Meyer 

XLV,  107. 
Meier,  John  (Freiburg  i.  B.):   Anzeige  von:  Ferd.  Rieser,  'Des  knaben  wunder- 
horn'  und  seine  quellen;  K.  Bode,  Die  bearbeitung  der  vorlagen  in  'Des  knaben 
wunderhorn'  XLIII,  482. —  Ernst  H.H.John,  Volkslieder  und  volkstümliche 
lieder  aus  dem  sächsischen  Erzgebirge  XLIII,  501. 
Meissner,  Rudolf  (Bonn):  Zur  lausavisa  des  Jjorvaldr  veili  XLVIII,  439. 
Mensing,  Otto  (Kiel):  Anzeige  von:  Herm.  Wunderlich,  Der  deutsche  satzbau 

XLL  106. 
Meyer,  Carl  (Danzig):  Anzeige  von:  H.  E.  Fischer,  Kants  stil  in  der  kritik  der 
reinen  Vernunft  XLI,  243.  —  Rud.  Ideler,  Zur  spräche  Wielands  XLI,  247. 
—  J.  H.  Senger,  Der  bildliche  ausdruck  in  den  werken  Heinr.  v.  Kleists 
XLII,  498.  —  E.  F.  Kossmann,  Der  deutsche  musenalmanach  1833—39  XLIII, 
261.  —  Käte  Friedmann,  Die  rolle  des  erzählers  in  der  epik  XLIV,  246. — 
Hans  Bracher,  Rahmenerzählung  und  verwandtes  bei  G.  Keller,  C.  F.  Meyer 
und  Th.  Storni  XLIV,  255.  —  Walt  her  Herr  mann,  Th.  Storms  lyrik 
XLV,  95.  —  Ferd.  Vetter,  J.  Gotthelf  und  K.  R.  Hagenbach  XLV,  358.  — 
Aug.  Weidemann,  Die  religiöse  lyrik  des  deutschen  katholizismus  in  der 
ersten  hälfte  des  19.  Jahrhunderts  XLVI,  151.  —  0.  Lu  terb  acher ,  Die 
landschaft  in  G.  Kellers  prosawerken;  W.  Reitz,  Die  landschaft  in  Th.  Storms 
novellen  XLVI,  491.  —  Franz  Beyel,  Zum  stil  des  Grünen  Heinrich;  Frida 
Jaiggi,  G.  Keller  und  Jean  Paul  XLVII,  289.  —  Th.  Storms  Sämtliche 
werke  IX  (nachtragsband),   hrg.   von  Fritz  Böhme  XLVII,  294.  —  Woifg. 


VERZEICHNIS   DER   MITARBEITER   IN    r,D.  XLI— L   DER   ZEITSCHR.  483 

Seyffert,  Schillers  Musenalmanache  XLVII,  412.  —  Hans  Rhyn,  Die 
balladendichtung  Th.  Fontanes  XLVII,  414.  —  Emil  Ermatinger,  Gottfr. 
Kellers  leben,  briefe  und  tagebücher  I.  XLVIII,  482. 

Meyer,  Richard  M.  (Berlin  f):  Anzeige  von:  R.  Brill,  Die  schule  Neidharts  XLI, 
70.  —  E.  Ermatinger,  Die  Weltanschauung  des  jungen  Wieland  XLI,  85. 
—  Immermanns  werke,  hrg.  von  H.  Maync  XLI,  91.  —  Isolde  Kurz, 
Herrn.  Kurz  XLI,  92.  —  Paul  Merker,  Studien  zur  nhd.  legendendichtuug 
XLI,  93.  —  Herrn.  B.  G.  Speck,  Catilina  im  drama  der  Weltliteratur  XLI, 
127.  —  H.  Hamann,  Die  literarischen  vorlagen  der  kinder- und  hausmärchen 
und  ihre  bearbeitung  durch  die  briider  Grimm  XLI,  128.  —  W.  Hofstaetter, 
Das  deutsche  museum  (1776 — 88)  und  das  Xeue  deutsche  museum  (1789 — 91) 
XLI,  128.  —  J.  Erdmann,  Eichendorlis  historische  trauerspiele  XLI,  250. — 
Saladiu  Schmitt,  Hebbels  dramatechuik  XLI,  250.  —  Heinrich  Laubes 
ausgewählte  werke,  hrg.  von  H,  H.  Ho  üben  XLI,  251.  —  F.  Marlow 
(L.  M.  Wolfram),  Faust,  hrg.  von  0.  Neurath  XLI,  252.  —  0.  Draeger, 
Th.  Mundt  und  seine  beziehungen  zum  Jungen  Deutschland  XLII,  254.  — 
E.  Zimmermann,  Goethes  Egmont  XLII,  493.  —  W.  Bode,  Charlotte 
v.  Stein  XLII,  494.  —  R.  Kyrieleis,  Thümmels  roman  'Reise  in  die  mit- 
täglichen Provinzen  von  Frankreich'  XLIII,  257.  —  H.  Röhl,  Die  ältere 
romantik  und  die  kunst  des  jungen  Goethe  XLIH,  257.  —  Andr.  Aubert, 
Runge  und  die  romantik  XLIII,  258.  —  Erich  Eckertz,  Heine  und  sein 
witz  XLin,  259.  —  W.  Siebert,  Heines  beziehungen  zu  E.  T.  A.  Hoffmann 
XLIH,  260.  —  Max  Preitz,  G.  Kellers  dramatische  bestrebungen  XLIII, 
276.  -  0.  F.  Volkmann,  Wilh.  Busch  der  poet  XLIII,  277.  —  Rud. 
Nicolai,  Benjamin  Schmolck  XLIII,  482.  —  Walter  C.  Haupt,  Die  poe- 
tische form  von  Goethes  Faust  XLIH,  503.  —  Otmar  Schis  sei  v.  Fleschen- 
berg,  Novellenkomposition  in  E.  T.  A.  Hotfmanns  Elixieren  des  teufeis  XLIII, 
505.  —  Fritz  Winther,  Wilh.  Busch  als  dichter,  künstler,  psychologe  und 
Philosoph  XLIII,  506.  —  Wilh.  Busch,  Ut  61er  weit  XLIV,  365. 

Meyer,  Theodor  A.  (Stuttgart):  Anzeige  von:  Rud.  Lehmann,  Deutsche  poetik 
XLI,  105.  —  Manfred  Schenker,  Charles  Eatteux  und  seine  nachahmungs- 
theorie  in  Deutschland  XLII,  487. 

Michael,    Friedr.    (Leipzig):    Schulkomudie    in    Konstanz,    Biel    und   Augsburg  im 
10.  Jahrhundert  XLVII,  98. 
Zu  Erich  Schidts  'Charakteristik  der  Bremer  beiträger  im  Jüngling'  XLVIII,  115. 

Michael,  Wilh.  (Torgau) :  Zu  den  Hölty-handschriften  XLI,  5.  Zu  Zeitschr.  44, 
104  XLIV,  476. 

Michels,  Victor  (Jena):  'Welche  dies  land  gebar' XLIX,  94.  Anzeige  von:  Georg 
Rausch,  Goethe  und  die  deutsche  spräche  XLIII,  504.  —  Jos.  Mansion, 
Ahd.  lesebuch  für  anfäuger  XLVII,  ICO.  —  Alb.  Bach  mann,  Mhd.  lesebuch 
mit  grammatik  und  Wörterbuch  XLVII,  111. 

Minor,  Jakob  (Wien  j):  Anzeige  von:  Briefe  an  Wolfg.  Menzel,  hrg.  von 
Hein  r.  Meissner  und  Erich  Schmidt  XLIV,  87.  —  W  ilh.  Müller, 
Gedichte,  hrg.  von  James  Taft  Hatfield  XLIV,  92. 

Modick,  Otto  (Jena):   Zu  den  Frankfurter  gelehrten-anzeigen  von  1772  XLV,  330. 

Moser   Virgil   (München) :   Zu   Zeitschr.  40,  356  ff.  XLI,  267.     Zur  frühnhd.  gram- 
matik XLIV,  37. 
Das  ä  bei  Seb.  Brant  XLIV,  331. 

ZEITSCHRIFT  F.  DEUTSCHE  PHILOLOGIE.    BD.  L.  33 


484  VEU;5EICHNIS   DKK    MlTARüEITER    IN    P.D.    XLI— L    DEK    ZEITSCHR. 

Beitrüge  zur  lautlehre  Spees  XLVI,  17. 
Bibliographisches  zu  Aegidius  Albertinus  XLVIII,  443. 

Anzeige  von:  Aug.  Well  er,  Die  spräche  in  den  ältesten  deutschen  Urkunden 
des  deutschen  ordeus  XLIV,  494.  —  E.  Dornfeld,  Untersuchungen  zu 
Gottfr.  Hagens  Reimchronik  der  Stadt  Köln  XLV,  317.  —  John  Stare k, 
Studien  zur  geschichte  des  rüfckumlauts  XLV,  319.  —  Ad.  Becker,  Die 
spräche  Friedrichs  von  Spee  XLYI,  129.  —  F.  Bulthaupt,  Milstäter  Genesis 
und  Exodus  XLVI,  294.  —  Alb.  W.  Aron,  Die  progressiven  formen  im  luhd. 
und  frühnhd.  XLVI,  481.  —  M.  H.  Jell  inek,  Geschichte  der  nhd,  gram- 
matik  XLVII,  115.  265.  -  C.  Franke,  Grundzüge  der  Schriftsprache  Luthers 
XLVII,  121.266.  —  Th.  Lindem  an  n ,  Versuch  einer  formlehre  des  Hürnen 
Seyfrid  XLVII,  268.  —  Dora  Ulm,  Joh.  Hartliebs  buch  aller  verbotenen 
kunst  XLVII,  270.  —  Hans  Schulz,  Abriss  der  deutschen  grammatik 
XLVII,  296.  —  Ad.  Hausenblas,  Grammatik  der  nordwestböhmischen 
raundart  XLVII,  418.  —  John  Holmberg,  Zur  geschichte  der  periphrast. 
Verbindung  des  verbum  subst.  mit  dem  part.  praes.  im  kontinental  germanischen 
XLIX,  137.  —  G.  Einar  Töruvall,  Die  beiden  ältesten  drucke  von 
Grimmeishausens  Simplizissimus  XLIX,  267. — Wolf  v.  UnAverth,  Proben 
deutschrussischer  mundarten  aus  den  Wolgakolonien  und  dem  gouvernement 
Cherson  L,  115.  —  H.  Dell'mour,  Altdeutsche  Sprachlehre  L,  286. 
Müller,    Auguste   (Hannover):    Anzeige    von:    Ourt  Eotter,   Der  schnaderhüpfl- 

rhythmus  XLVI,  324. 
Xnumaun,  Hans  (Frankfurt):  Zu  Hartmanns  Erec  XLVI,  360. 
Zu  'Ludwigs  kreuzfahrt'  XLIX,  78. 
Zu  den  'Nachtwachen  von  Bonaventura'  XLIX,  240. 
Anzeige  von  P.  Hoff  mann.  Der  mittelalterliche  mensch  L,  455. 
Nanmanu,  Leop.  (Berlin-Wilmersdorf):  Die  Wiener  Tauler-handschriften  2739  und 

2744  XLVI,  269. 
Neumaun    Carl    (Heidelberg) :    Anzeige    von :    Ernst    Dessauer,    Wackenroders 
'Herzensergiessungen    eines    kunstliebenden   klosterbruders'  in   ihrem  Verhältnis 
zu  Vasari  XLI,  90. 
Neumanu,  Friedr.  (Leipzig),  s.  Bor  eher  dt. 
Nordal,    Siguröur    (Reykjavik):    Anzeige   von:    Die   pros.  Edda   irn  auszug  nebst 

VQlsungasaga  und  Nornagestsl)ättr,  hrg.  von  E.  Wilken  XLVII,  105. 
Xutzhorn,  Cr.  (Oldenburg) :  Murbach  als  heimat  der  ahd.  Isidorübersetzung  und  der 

verwandten  stücke  XLIV,  265.  430. 
Oessenicli,    Maria    (Brühl  Köln) :    Die    Elisabethlegende    im    gereimten    Passional 

XLIX,  181. 
Olbricl»,  K.  (Breslau):  Anzeige  von  Herm.  Reichert,  Die  deutscheu  familien- 
namen  nach  Breslauer  quellen  des  13.  und  14.  Jahrhunderts  XLH,  115.  —  Erich 
Jäschke,  Lateinisch-romanisches  fremdwörterbuch  der  schlesischen  mundart 
XLH,  117. 
Olsen,  Björn  Maguiisson  (Reykjavik  f ) :  Zu  den  gedichten  von  Sighvatr  J'öröarson 
XLV,  56. 

Zu  Zeitschr.  44,  133  ff.  XLV,  60. 
Anzeige  von:  A.  Bley,  Eiglastudien  XLII,  255. 
Ortner,  M.  (Klagenfurt):  Zu  Heinrich  von  dem  Türlin  XLIV,  215. 
Panzer,   Friedr.  (Heidelberg):   Anzeige   von:   Rieh.  v.  Muth,   Einleitung  in  das 


VERZEICHNIS   DER   MITARBEITER   IX    BD.   XLI— L    DER   ZKl  TSi  HR.  405 

Nibelungenlied-  (bes.  von  J.  W.  Nagl)  XLII,  452.  —  Die  gedichte  Walthers 
von  der  Vogel  weide,  hrg.  von  K.  Lachmann'  (bes.  von  C.  v.  Kraus) 
XLII,  505.  -^  Franz  Lettegast,  Quellenstudien  zur  galloromanischen  epik 
XLIII,  242.  —  Rudolfs  von  Ems  Willehalm  von  Orlens,  hrg.  aus  dem 
Wasserburger  (Donaueschinger)  codex  von  Viktor  Junk;  Johannes  von 
Würzburg  Wilhelm  von  Österreich  aus  der  Gothaer  hs.,  hrg.  von  E.  Eegel; 
Heinr.  von  Hesler,  Apokalypse  aus  der  Danziger  hs..  hrg.  von  K.  Helm; 
Tilos  von  Kulm,  gedieht  von  siben  ingesigeln  aus  der  Königsberger  hs., 
hrg.  von  K.  Kochendörfer;  Der  grosse  Alexander  aus  der  Wernige- 
roder  hs.  hrg.  von  Gust.  Guth;  Kleinere  mhd.  erzählungen,  fabeln  und  lehr- 
gedichte  II.  Die  Wolfeubütter  hs.  hrg.  von  K.  Euling  XLIII,  47G.  —  John 
Meier,  Kunstlied  und  Volkslied  in  Deutschland;  ders.,  Kunstlieder  im  volks- 
munde  XLIV,  499. — A.  Heusler,  Nibelungensage  und  Nibelungenlied  L,  456. 

Pappenheim,  Max  (Kiel):  Anzeige  von:  Karl  von  Amira,  Die  germanischen 
todesstrafen  L,  443. 

Pauls,  V.  (Kiel):  Anzeige  von:  C.  Borchliug,  Die  niederdeutsclien  rechtsquellen 
Ostfrieslands  XLII,  119. 

Petsch,  Kol).  (Hamburg):  Anzeige  von:  Eich.  Wossidlo,  Mecklenburgische 
Volksüberlieferungen  XLI,  259. —  Marie  Joachimi-Dege,  Deutsche  Shake- 
speareprobleme im  18.  Jahrhundert  und  zur  zeit  der  romautik  XLII,  501.  — 
.J.  P rieb  seh,  Bruder  Rausch  L,  293. 

Petzet,  Erich  (München):  Zu  Tandareis  und  Flordibel  von  dem  Pleier  XLHI,  455. 

Pfeifl'or,  Rud.  (München):  Ergänzungen  zu  Schaideureiscers  leben  und  Schriften 
XLVI,  285. 

Pirkcr,  3Iax  (München):  Anzeige  von:  F.  E.  Merkel,  Der  naturpliilosoph  Gotthilf 
Heinr.  v.  Schubert  und  die  deutsche  romantik  XLVI,  314. 

Pniower,  Otto  (Berlin) :  Anzeige  von :  K  a  z  i  m  i  r  B  e  i  k ,  Zur  entstehungsgeschichte 
von  Goethes  Torquato  Tasso  L,  108. 

Polak,  Leon  (Haarlem):  Anzeige  von:  R.  C.  Boer,  Methodologische  bemerkuugen 
über  die  Untersuchung  der  heldensage  XLV,  522. 

Polheim  Karl  (Graz):  Bericht  über  die  verhandlungeu  der  germau.  Sektion  der 
50.  Versammlung  deutscher  philologen  und  Schulmänner  in  Graz  XLI,  508. 

Prahl,  K.  (Prenzlau) :  Anzeige  von:  Georg  Heeger  und  W  i  i  h.  Wüst,  Volks- 
lieder aus  der  Rheinpfalz  XLIV,  361. 

Rabeier,  Th.  H.  F.  (Kiel):  Niederdeutscher  lautstand  im  kreise  Bleckede  XLIII, 
141.  320. 

Ranke,  Friedr.  (Königsberg):  Anzeige  von:  Rieh.  M.  Meyer,  Altgermauische 
religionsgeschichte  XLIV,  114.  —  Rud.  Wust  mann,  Walther  von  der  Vogel- 
weide XLVI,  114.  — Franz  Kondziella,  Volkstümliche  sitten  und  brauche 
im  mhd.  volksepos  XL VIII,  137. 

Reis,  Hans  (Mainz):  Neue  beitrage  zur  ahd.  wortfolge  XLI,  208.  Anzeige  von: 
Jak.  Berger,  Die  laute  der  mundarten  des  St.  Galler  Rheintals  und  der 
angrenzenden  vorarlbergischen  gebiete;  K.  B  oh  neuberger ,  Die  mundart  der 
deutschen  Walliser  XLVIII,  494. 

Reuschel,  Karl  (Dresden):  Anzeige  von :  E  Bethe,  Mythus,  sage,  mUrchen; 
Friedr.  Panzer,-  Märchen,  sage  und  dichtung  XLI,  539.  —  Wilh.  Jür- 
geusen  ,  Martinslieder  XLIV,  233.  —  Rud.  Thietz,  Die  balladeu  vom  grafen 
und    der   magd  XLVH,  131.  —  Fritz   Günther,   Die   schlesische   volkslied- 

88* 


486  vERZRitirxis  dku  Mitarbeiter  in  bd.  xli— l  di:k  zeitschk. 

forschung:    XLIX,    142.     —     Gertrud     Schoepperle,     Tristan     and     Isolt 
XLLX,  '258. 

RofTgrc  Christian  (Neustettin):  Zu  Goethes  'Sprache'  (1774)  XLIX,  243. 

Rosoiihagcii,  (Just.  (Hamburg-):  Anzeige  von:  Ernst  Schmidt,  Zur  entstehungs- 
geschichte  und  verfasserfrage  der  Virginal  XLI,  67.  —  Fried  r.  Pfaff,  Der 
minnesang  im  lande  Baden  XLIII,  395.  —  C.  v.  Kraus,  Der  heil.  Georg 
Reinbots  von  Durne  XLV,  496. 

Saraii,  Franz  (Erlangen) :  Zu  Paul  Pleming  XLIV,  79.  ' 

Schatz,  J.  (Lemberg) :  Anzeige  von  :  L  u  d  w.  A  u  1  a  n  Birö,  Lautlehre  der  heanzischen 
mundart  von  Neckenmarkt  XLIV,  237, 

Scheel,  Otto  (Kiel):  Anzeige  von:  Luthers  werke  iu  ausvvahl,  hrg.  von  Otto 
Giemen  und  All».  Leitzmann  XLVI,  122. 

Scheidweiler,  Felix  (Neuwied):  Zu  den  Eddaliedern  der  lücke  XLIV,  320. 

Schlösser,  Rud.  (Weimar  f):  Anzeige  von:  Friedr.  Röbbeling,  Kleists  Kätchen 
von  Heilbronn  XLVII,  142.  —  Moritz  graf  Strachwitz,  Lieder  und 
balladen,  hrg.  von  Hanns  Martin  Elster  XLVIII,  339.  —  Heinr.  Leut- 
hold.  Gesammelte  dichtungen,  hrg.  von  Gottfr.  Bohnenblust  XLVIII, 
486.  —  Jeremias  Gotthelf,  Sämtliche  werke,  hrg.  von  Eud.  Hunziker, 
Hans  Bloesch  und  Gottfr.  Bohnenblust  XLIX,  132. 

Schmedes,  J.  (Frankfurt  a.  M.):  Anzeige  von:  Deutsche  dichter  des  19.  jabrhunderts, 
hrg.  von  Otto  Lyon  u.  a.  XLI,  255. 

Schoepperle,  Gertrude  (Paris):  Isolde  weisshand  am  Sterbebette  Tristans  XLIII,  453. 

Schölte,  J.  H.  (Amsterdam) :  Grimmeishausen :  Hybspinthal  XLIII,  234. 

Schnlhoff,  Hilda(Prag):  Die  textgeschichte  von  Eichendorffs  gedichten  XLVII,  22. 
Anzeige  von:  M.  Krass,  Bilder  aus  Annette  von  Drostes  leben  und  dichtungen 
XLVIII,  336.  —  Ernst  Lemke,  Die  hauptrichtungen  im  deutschen  geistes- 
leben  der  letzten  Jahrzehnte  und  ihr  Spiegelbild  in  der  dichtung  XLVIII,  337. 

Schnlz,  Paul  A.  (Ulm):  Anzeige  von:  Her m.  Glockner,  Fr.  Th.  Vischers  ästhetik 
in  ihrem  Verhältnis  zu  Hegels  Phänomenologie  des  geistes  L,  114. 

Schumacher,  Karl  (Düsseldorf):  Das  sogenannte  'Liederbuch  der  herzogin  Amalia 
von  Cleve-Jülich-Berg'  XLV,  493. 

Schivietering,  Julius  (Leipzig):  Anzeige  von:  V.  S.  Mansikka,  Über  russische 
Zauberformeln  mit  berücksichtigung  der  blut-  und  verrenkungssegen ;  Reidar 
Th.  Christiansen,  Die  finnischen  und  nordischen  Varianten  des  2.  Merse- 
burger Spruches  XLIX,  253. 

Seiler,  Friedr.  (Wittstock):   Deutsclie   Sprichwörter  in  mittelalterlicher  lateinischer 
fassung  XLV,  2:^6. 
Die  kleineren   deutschen   sprichwörtersammlungen   der  vorreformatorischen  zeit 

und  ihre  quellen  XLVII,  241.  380.  XLVIII,  81. 
Anzeige  von:   Emil   Henrici,  Sprachmischung  in  älterer  dichtung  Deutsch- 
lands XLVII,  106. 

Siebs,  Theodor  (Breslau):  Zur  geschichte  der  germanistischen  Studien  in  Breslau 
XLIII,  202. 

Sijmons,  Barend  (Groningen):  Anzeige  von:  Deutsches  Sagenbuch  I  (Friedrich 
V.  d.  Leyen,  Die  gi)tter  und  göttersagen  der  Germanen) ;  IV  (Friedr.  Ranke. 
Die  deutschen  volkssagen)  XLIII,  465.  —  Kudrun  (textabdruck)^  hrg.  von 
Ernst  Martin  (bes.  von  E  d  w.  S  c  h  ö  d  e  r)  XLVI,  469. 


VERZEICHNIS    DER   MITARBEITER    IN    BD.    XI.I— L    DER   ZEITSCHR.  487 

'»inion,  Otto  (Göttingen):  Anzeige  von:  Der  sogen.  St.  Georgener  prediger,  hrg. 

von  Karl  Rieder  XLII,  356. 
Miits,   Hans  (Greifswald):   Anzeige   von:  Rud.  Buch  mann,  Helden  und  mächte 

des  romantischen  kunstmärchens  XLVI,  144. 
>okoIowskj',    Rnd.    (Altona):    Anzeige    von:    Hans    Gerh.  Graef,   Goethe  über 

.seine    dichtungen   XLI,   85.    XLH,    124.   XLVI,   141.  XLAIII,  480.  —  Georg 

Grempler,  Goethes   Clavigo  XLYI,  142.  —  Harry  Maync,  Geschichte  der 

deutschen    Goethe-biographie    XLVII,    140.    —    Oskar   Kanehl,    Der  junge 

Goethe  im   urteile   des  Jungen   Deutschlands   XLVII,  140.  —  Otto  Mo  dick, 

Goethes  beitrage  zu  den  Frankfurter  gelehrten  anzeigen  von  1772  XL VIII,  478. 
>panril»erg',  Paul  (Eisleben) :  Die  mundartlichen  szenen  in  den  dramen  des  Johannes 

Bertesius  XLIV,  393 

Zu  Dähnhardts  'Natuesagen'  XLV,  66. 

Zu  Steinhöwels  13.  extravagante  XLVI,  80. 
<tähelin,  Felix  (Basel):  Erdapfel  XLVI,  292. 
•»taiumler,  Wolfg.  (Greifswald):  August  graf  von  Platens  vater  XLIII,  237. 

Zu  Bürgers  'Xachtfeier  der  Venus'  XLVI,  291. 

Herders  mitarbeit  am  'Wandsbecker  bothen'  XLVIII,  286.  433. 

Anzeige  von:    Guido    Kisch,   Leipziger  schöffenspruchsammlung  XLIX,  273. 
■»teisr,    Reinhold    (Berlin-Friedenau  f) :    Anzeige    von:    Alb.    Fries,    Stilistische 

und   vergleichende   forschungen   zu    Heinr.  v.  Xleist   XLIV,  113.   —   Friedr. 

Schinemann,   L.  Achim   von   Arnims  geistige  entwicklung  an  seinem  drama 

'Halle  und  Jerusalem';  Wilh.  Fr  eis,  Bettina  v.  Arnims  Königsbuch  XLV,  352. 
!>tiefel,   Arthur   Ludw.   (München    j) :   Hans   Sachsens    drama  'Der  marschalk  mit 

seinem  söhn'  und  seine  quellen  XLII,  428. 

Zu  Hans  Sachsens  fastuachtsspiel  'Der  krämerkorb'  XLIV,  329. 

Anzeige  von:  Die  dramat.  werke  von  Peter  Probst  (1553—56),  hrg.  von 
Emil  Kreisler  XLII,  483.  —  Erich  Ricklinger,  Studien  zur  tierfabel 
von  H.  Sachs  XLIII,  253  —  Konr.  Vollert,  Zur  geschichte  der  lat. 
fazetiensammlungen  des  15.  und  16.  Jahrhunderts  XLV,  5U4.  —  Jul.  Hart- 
mann, Das  Verhältnis  von  Hans  Sachs  zur  sogen.  Steinhöwelschen  Deca- 
meron-übersetzung  XLV,  517. 
^tolzenburg,    Hans   (Hamburg):    Anzeige    von:    Paul   Di  eis,    Die  Stellung   des 

verbums  in  der   älteren   ahd.  prosa  XLII,  109.  —  Die  gotische  bibel,  hrg.  von 

Wilh.  Streitberg  XLII,  366. 
storck,  Willy  F.  (Heidelberg):  Das  'Vado  mori'  XLII,  422.  , 

<»traucli,    Phil.    (Halle  a.  S.):    Zur    Gottesfreundfrage.  IL     Zu    Merswins    Banner- 
büchlein XLI,  18. 

Kurt  .lahn  XLVH,  233. 

Der  Engelberger  prediger  L,  1.  210. 

Anzeige   von:    Ad.  Spam  er,    Texte    aus    der    deutschen    niystik  des  14.  und 

15.  Jahrhunderts  XLIV,  492.  —  M.  Pahneke,  Eckehartstudien  XLVI,  482.  — 

Fritz   Brüggemann,    Utopie   und   robinsonade   XLVIII,   146.  —  Werner 

31  ah  r  holz,  Deutsche  Selbstbekenntnisse  L,  101.  -    A.  Cor  in,  Tauler  L,  462. 
Strich,  Fritz  (München):  Anzeige  von:  Jos.  Körner,  Nibelungenforschungen  der 

deutschen  romantik  XLIV,  384.  —  Georg  Büttner,  Rob.  Prutz  XLVI,  318. 

—  AI  fr.  Weise,  Die  entwicklung  des  fühlens  und  denkens  der  romantik  auf 

grund  der  romantischen  Zeitschriften  XLVI,  323. 


488  VERZEICHNIS   DER   MITARBEITER   IN    BD.  XLI— L    DER   ZEITSCHR. 

Stricker,  Eug-en  (Stuttgart):  Floovant  und  Nibelungeiisage  XLI,  31. 

Suchier,    Waltlier,   (Göttingen):   Anzeige  von:   Jak.  Kelemina,  Untersuchungen 

zur  Tristansage  XLIV,  228. 
Sudhoif,  Karl  (Leipzig):   Anzeige  von:   Agnes  Bartscherer,  Paracelsus,  Para. 

celsisten  und  Goethes  Faust  XL  VI,  126.  —  Franz  Willecke,  Das  arzneibuch 

des  Arnoldus  Doneldey  XL  VI,  127. 
Thode,  0.  (Kiel):   Anzeige   von:    Klaus    Groths   briefe  an  seine  braut  Doris  Finke, 

hrg.  von  Herrn.  Krumm  XLIV,  114. 
Tiiumb,  Alb.  (Strassburg) :  Anzeige  von:  R.  Meringer,  Aus  dem  leben  der  spräche 

XLII,  499. 
Unger,   Rudolf  (Göttiugen) :    Anzeige    von:   A.  Dreyer,   Karl  Stieler,    der   bay- 
rische hochlandsdichter  XLI,  255.  —  Robert  F.  Arnold,  Allgemeine  büclier- 

kunde  zur  neueren  deutscheu  literaturgeschichte  XLV.  88. 
Unwerth,    Wolf  t.  (Greifswald  f):    Zu    Christ.    Weises    dramen    'Regnerus"    und 

'Ulvilda'  XLVII,  376. 

Anzeige  von:  Otto  Kürsteu  und  Otto  Bremer,  Lautlehre  der  mundart 
von  Buttelstedt  bei  Weimar  XLIV,  386.  —  Herrn.  Schneider,  Die  ge- 
dichte  und  die  sage  von  Wolf  Dietrich  XL  VI,  115.  —  Theodor  Schön- 
born, Das  pronomen  in  der  schlesischen  mundart  XAVI,  166.  —  Gustav 
Necke  1,  Walhall  XLVII,  102.  —  Lothar  Hanke,  Die  Wortstellung  im 
schlesischen  XLVII,  137.  —  L.  Simons,  Waltharius  en  de  Walthersage 
XLVIII,  451. 
Vietor,  Karl  (Giessen)  Briefe  von  Klopstock  und  Gleim  L,  408. 
Vogt,  Wallher  H.  (Kiel):    Anzeige   von:   Adeline   Ritters  haus.  Altnordische 

frauen  L  97. 
Vossler,  Karl  (München) :  Anzeige  von  E.  Sulger-Gebing,  Goethe  und  Dante  XLI^ 

88.  —  Ja c.  van  Ginneken,  Principes  de  linguistique  psychologique  XLII,  122. 
Waag,  Alb.  (Heidelberg) :  Anzeige  von :  Hans  Tschinkel,  Der  bedeutungswandel 

im  deutschen  XLVII,  418. 
Walzel,   Oskar   (Bonn):   Anzeige  von:  Paul  Zincke,  Georg  Forster  nach  seinen 

originalbriefeu ;    Georg    Forsters    briefe    an    Chr.  Friedr.  Voss,    hrg.  von  Paul 

Zincke  XLVIII,  324. 
Weidemanu,  Carla  (Kiel):  Stephan  Roth  als  korrekter  XLVIII,  235. 
Weiss-Bass,  F.  (Basel):  Anzeige  von  L.  Brun,  Hebbel  L,  322. 
Wels,  K.  H.  (Berlin):  Opitzens  politische  dichtungen  in  Heidelberg  XLVI.  87. 

Anzeige  von:  Geschichtliche  lieder  und  Sprüche  Württembergs,  hrg.  von  Karl 

Steiff  und  Gebh.  Mehring  XLVL  299. 
Wesle,  Karl  (Jena):  Über  die  Katharina  von  Siena  von  J.  M.  R.  Lenz  XLVI,  229. 
Wilhelm,    Friedr.    (Freiburg):    Anzeige   von:   Harry   Maync,   Die   altdeutschen 

fragmente  von  könig  Tirol  und  Fridebrant  XLIII,  472. 
Witkowski,  Georg  (Leipzig):  Anzeige  von:  Wiener  haupt- und  Staatsaktionen,  hrg. 

von  Rud.  Payer  von  Thurn  XLII,  485. 
Wülflng,  E.  (Bonn) :  Anzeige  von :  Karl  Jost,  Beon  und  wesan  XLIV,  870. 
Wunderlich,    Herrn.    (Frohnau    bei    Berlin  f ) :    Anzeige  von:    Aug.    Engelien, 

Grammatik    der    nhd.    spräche    XLI,    210.  —    Ri  eh.  M.  Meyer,    Vierhundert 

Schlagworte  XLI,  250.  —  W.  Wilmanus,  Deutsche  gramraatik  XLII,  373.  — 

Herm.  Paul,  Deutsches  Wörterbuch  XLVI,  327.   —   Th.  Matthias,  Sprach- 
leben und  Sprachschäden  XLVII,  134. 


Nachrichten  489 

Zinkoruagel,  Franz  (Basel):  Auzeige  von:  Friedr.  Ausfeld,  Die  deutsche  aua- 
kreontische  dichtuug  des  18.  Jahrhunderts  XLI,  245.  —  Karl  Freye,  Jean 
Pauls  Flegeljahre  XLI,  248.  —  S.  Nestriepke,  «chubart  als  dichter  XLIV,  109. 
—  Rieh.  Meszleny,  Friedr.  Hebbels  Genoveva  XLIV,  HO.  —  Alb.  Malte 
Wagner,  Goethe,  Kleist,  Hebbel  und  das  religiöse  problem  ihrer  dramat. 
dichtung  XLIV,  237.  —  Otto  Ludwig,  Sämtliche  werke,  hrg.  von.  Paul 
Merk  er  XLVII,  145.  —  Elise  Dosen  heimer,  Hebbels  auffassung  vom 
Staat  und  sein  trauerspiel  'Agnes  Bernauer'  XLVII,  147. —  Karl  Vietor,  Die 
lyrik  Hölderlins;  ders.,  Die  briefe  der  Diotima :  ders.,  Hölderlin  und  Diotima  L,  111 . 


NACHRICHTEN. 


Am  2.  februar  1925  verstarb  der  mitherausgeber  dieser  Zeitschrift,  der  pro- 
fessor  der  nordischen  philologie  an  der  Universität  Kiel  dr.  Hugo  Gering 
(o.  s.  339  ff.) ;  mit  abschluss  des  50.  bandes  wird  die  herausgäbe  der  Zeitschrift 
für  deutsche  philologie  in  die  bände  von  prof.  dr.  P.  Merker  und  W.  Stammler 
(Greifswald)  übergehen. 

Am  16.  mai  1925  verstarb  zu  Münster  der  emeritierte  professor  der  deutschen 
philologie  dr.  Franz  .Jostes,  am  13.  juni  in  Stockholm  der  emeritierte  professor 
der  nordischen  philologie  dr.  Adolf  Xoreen,  am  19.  aiigust  in  Leipzig  der  pro- 
fessor der  vergleichenden  Sprachwissenschaft  dr.  Wilhelm  Streitberg,  am 
7.  Oktober  in  Berlin  der  anglist  professor  dr.  Felix  L  i  e  b  e  r  m  a  u  u ,  vor  ablauf 
des  Jahres  in  Dresden  prof.  .dr.  K.  Reuschel. 

Zum  1.  Oktober  1925  ist  prof.  dr.  Ferdinand  Holthauseu  in  den  rnhe- 
stand  getreten,  sein  nachfolger  in  der  Vertretung  der  englischen  philologie  an  der 
Universität  Kiel  wurde   der   bisherige  a.  o.  prof.  dr.  Karl  Wildhagen  (Leipzig). 

Der  professor  für  neuere  deutsche  literaturgeschichte  dr.  Kor  ff  ist  als  nach- 
folger A.  Kösters  nach  Leipzig  übergesiedelt,  in  Giessen  bat  ihn  der  Frankfurter 
Privatdozent  Dr.  Vietor  ersetzt;  prof.  dr.  Unger  ist  von  Breslau  nach  Göttingen 
berufen  worden,  iu  Königsberg  ist  prof.  dr.  Nadler,  in  Breslau  prof.  dr.  Brecht 
(Wien)  an  seine  stelle  getreten,  nach  Freiburg  i.  Schw.  der  bisherige  Göttinger 
privatdozent  dr.  Müller  als  a.  o.  professor  berufen  worden.  Prof.  dr.  Kluckhohn 
bat  einen  ruf  an  die  technische  hochschule  zu  Danzig.  prof.  dr.  Wörner  an  die 
Universität  Würzburg  als  Vertreter  der  neueren  deutschen  literaturgeschichte  an- 
genommen. 

Als  a.  0.  professor  der  deutschen  philologie  ist  dr.  Seh  wieteri  ng  (direkter 
des  museums  in  Bremen)  nach  Leipzig,  als  o.  professor  dr.  Schrö  de  r  (privatdozent 
in  Heidelberg)  nach  Würzburg,  als  nachfolger  von  0.  Behaghel  prof.  dr.  Götze 
nach  Giessen  berufen  worden. 

Die  bisherigen  privatdozenten  dr.  B  e  b  e  rm  ey  er  in  Tübingen  und  dr.  W  agn  e  r 
in  ^larburg  sind  zu  a.  o.  professoren  befördert  worden. 

Habilitiert  haben  sich  dr.  Bach  (Wiesbaden)  in  Darmstadt,  dr.  II.  Brink- 
mann in  Jena,  dr.  E.  Beutler  in  Hamburg,  dr.  J.  van  Dam  in  Amsterdam. 


\V.  Kohlluuiimer,  Yerlai^,  Stuttgart 


Die  philosophische  Bedeutung  der 
mediumistischen  Phänomene 

Von  Traugott  Konst.  Oesterreich, 

Professor  an  der  Universität  Tübingen 
8».     VII  u.  54  S.     Broschiert  Rm.  2.  - 

Besprechung  aus:  Unsere  Welt  vom  2.  IL  1925.  .  .  .  Das  Schriftchen 
stellt  die  erweiterte  Fassung  eines  auf  dem  zweiten  Internationalen  Kon- 
gress  für  parapsychologische  Forschung  in  Warschau  im  Herbst  1923  ver- 
lesenen Vortrages  dar.  Der  bekannte  Vorkämpfer  des  wissenschaftlichen 
Okkultismus  will  hier,  ausgehend  von  der  als  wahr  und  echt  unterstellten 
Realität  der  verschiedenen  okkulten  Phänomene  wie  Telepathie,  Hellsehen, 
Telekinesie,  Materialisation  usw.,  untersuchen,  welche  Folgerungen  sich 
daraus  in  Hinsicht  auf  Erkenntnistheorie,  Metaphysik  und  Weltanschau- 
ung ergeben.  Es  ist  rückhaltlos  anzuerkennen,  dass  die  von  Oe.  hier  auf- 
gestellten Forderungen  durchaus  im  Geiste  echter  Wissenschaft  gehalten 
sind.  Diese  kann  nicht  mit  dem  blossen  Dass  zufrieden  sein,  sondern 
muss  nun  vor  allem  die  Frage  des  Wie  und  wodurch  in  Angriff  nehmen. 
Wie  viele  neue  Probleme  da  auftauchen,  das  möge  man  in  dem  lesens- 
werten Schriftchen  selber  nachlesen,  das  ich  gern  empfehle,  obwohl  ich, 
wie  schon  augedeutet,  in  Hinsicht  auf  die  Tatsachenfrage  anderer  Mei- 
nung bin  als  der  Verfasser. 

Besprechung  aus:  Magdeburger  Amtsblatt  vom  21.  II.  25.  .  .  .  Uuer- 
lässlich  hierfür  ist  die  von  Oesterreich  aufgestellte  Forderung,  dass  man 
sich  nicht  darauf  beschränken  dürfe,  die  Tatsächlichkeit  dieser  Erschei- 
nungen festzustellen,  sondern  dass  eine  feinere  Analyse  der  hellsehe- 
rischen, prophetischen,  telekinetischen  usw.  Akte  einsetzen  müsse.  .  .  , 

Dr.  ^^atieö  %,  ©ümoob 

3ut  ©cneuetung  bec  Dleligion 

©efcttfc^aftöfunbtic^e  Sletcac^tungcn 

©ebun&en  Dtm.  .'i. — 

^liiö  bem  '^n\)alt : 
Sie  religipfe  llmroiil^ung  :--:  Die  gcfeIJ)d)att[iif)c  Bedeutung  £>cr  didi- 
gion  :--:  Sic  lojiale  25c£>cutung  ^eö  Gbriftcntumö  :=:  Unfcrc  f>a[bhei£'= 
ni)cf)c  3iPiIi(ation  :=:  ^Vfitipcö  ßbriftcntum  :=:  Da£i  li^cfcn  einer  fo^ia-- 
Jen  Dtcligion  :=:  Dteligion  un&  ^omilie  :=:  D'leligipn  imt»  2Birtfrf)aft  :-: 
Dteligion  un^  ^olitif  :=:  LKeligion  uni>  gefeUft^nj^tlidje  25ergnLigiingen 

(Sine  ber  größten  9Tptrt>en&igfeitcn  unfcrer  ^eh  ift  eine  Den  25ei>ürfnif('en  ö^s 
ßebenö  angepaßte  unö  mit  ^er  mo^ernen  2lMffcn|cf)att  übcreinftiinmenbe  3icligipn. 
Der  23erfa)jcr  ^CE(  ?3iiif)e£(,  Prof.  Dr.  (S■IltfPP^,  Präfibenf  ^cr  amerifanifd)eii 
)P5ioIpgiftf)en  öc)'ell)d)flft,  gebt  in  bieleni  21>erf  vmi  ^em  C^^eöanfen  aud,  .feaf? 
eine  fp[tf)e  3ie[igipn  eine  niiffcn|cf)i-iftlid)  unanfeif)tbüre  WrunMage  über  Die  rpirt; 
ft^aftlic^cn  i.'ebcn£(be£)ingi'ngeti  tln^  ;}lrbcit£tperbii[tniffe  baben  mu|^.  C5ic  mu^ 
fid)  aller  Unmoral  un&  llngererfitigfeitcn  entgegenfteUen,  bie  unferen  2Birtftf)affö 
fi^ftemen  anhaften,  roeil  biefe  überall  bie  fittlicf)e  (fbtimftcrbilbung  uni?  eine  t>e= 
friebigeiibe  Wefellfc^aftpprbnnng  nnmpglirf)  marfnni  nnb  auf  bie  L'ebcndtübrung 
ungünftig  gurücfmirfen 

Durch  alle  Buchhaiidlniigen  zu  bezieheu 


REGISTER  ZU  BAND  49  UXD  50 

VON  0.  SCHARBOU. 

I.  SACHREGISTER. 


A  b  w  ehr,  Gerings  ab  wehr  der  Sieverschen 
Kritik  (iu  den  beitragen  von  Paul  und 
Braune  48,  329  ff.)  50,  326  ff. 

Alliteration,  Über  die  alliteration  als 
kiinstformim  volks-  und  spielmannsepos 
50,  117  f. 

Ä  ui  t  e  r  b  u  c  h  ,  Das  grosse  ämterbuch  des 
deutschen  Ordens  50,  2M  f. 
Das  Marienburger  ämterbuch  49,  95  f. 

A  r  d  e  1  i  0  ,     Magister  Ardelio  50,  92  f. 

Arnold,  Gottfried,    siehe   mystiker. 

Arzneibuch,  Das  Gothaer  mnd.arzuei- 
biich  und  seine  sippe  öO,  471  ff. 

A  1 1  a  k  V  i  J)  a   siehe  Edda. 

Atlam()l  siehe  Edda. 

Balladen,  Studien  overfteroiskeballaden 
4P,  104  ff. 
Unterschied  derfolkeviser  von  sonstigen 

literarischen  quellen  49,  105  ff. 
1  Bewertung  der  formel  und  "ihres  gel- 
tungsbereichs  in   der    viser-diehtung 
49,  106  ff. 
fieroische  tanzballaden  49,  165  ff. 

Berlinische  geschichten.  Zwölf  Berli- 
nische geschichten  aus  den  jähren  1551 
bis  1816: -50,  SOI  f. 

Bibliographie,  Die  zukunft  der  biblio- 
graphischen Unternehmungen  auf  dem 
gebiete  der  germanischen  philologie  49, 
246  f. 

Boio,    Heinrich     Cliristian.      Aus 
seinem     nachlass,    fortsetzung;     erste 
hälfte  49,  57  ff. ;  zweite  hälfte  49,  195  ff. 
Boies  drittes  Sammelbuch  49,  57  ff. 
Die  Darmstädter  Ausgabe  von  Klopstocks 

öden  und  elegien  1771:  49,  63  ff. 
Bemerkungen  über  die  reste  des  dritten 
sammelbuches  49;  195  f. 

Zeitschrift  f.  Deutsche  Philologie.    B'l.  L. 


Klopstockische  gedichte  49,  196  f. 
Luise  Mejers  sannuelbuch  49,  214  ff. 
Notizbuch  des  n.  n.  49,  217. 
Vossiana  49,  217  ff. 
Aus  Boies  briefen  an  Nicolai  49,  219  ff. 

Bonaventura,  Zu  den  'Nachtwachen 
von  Bonaventura'  49,  240  ff. 

Briefe  siehe  Boie;  Briefe  von  Klopstock 
49,  232  ff. 
Briefe    von    Klopstock   und  Gleim  50, 

408  ff. 
Zu  den  briefen   der  frau  rat  49,  89  ff. 
Auszüge  aus  briefen  der  brüder  Grimm 
an  Salomon  Hirzel  50,  58  ff.,  241  ff. 

Bu  ebner,  August  Buchner  und  seine 
bedeutung  für  die  deutsche  literatur 
des  17.  Jahrhunderts  50,  105  f. 

Cid,  Histoire  du  Cid  (nr.  7  der  quellen- 
schriften  zur  neueren  deutschen  lite- 
ratur) 50,  104. 

Czepko,    Der  junge  Czepko  50,  310  ff. 

Diotima,  Diebriefe  der Diotima  50, 113. 

Drama,  La  theologie  daus  le  drame 
religieux  en  Alltiuagne  au  moyen  äge 
49,  261.  Les  apocryphes  dnns  le  drame 
religieux  en  .AUemagne  au  moyen  äge 
49,  262. 

Eck  er  mann,  Johann  Peter  Ecker- 
mann, gespräche  mit  Goethe  in  den 
letzten  jähren  seines  lebens  49,  280  ff. 

Edda,    Die  Eddalieder,  klanglich  unter- 
sucht .5(1,  93  ff. 
Zur  Eddametrik  .50,    127  ff. 
Härbarljsljöl)  50,  127  ff.    Kritisch  her- 
gestellter  text  50,  128  ff.     Versbau 
und  Strophenbau  50,  185  ff.     Allite- 
ration und  reim  50,  143  f. 
Sigrdrifomi'jl  50,  144  ff. 

84 


492 


KECJI.STEll   ZU    BAND   49    UND    50. 


Atlakvilia  50,  U6  ff.  FornyrlHslag  50, 
146  ff.  Versbau  50,  146  ff. ;  Allite- 
ration und  reim  50,  148  f.  Mälahättr 
und  Schwellverse  50,  149  ff.  Vers- 
bau 50,  149  ff.;  Alliteration  und 
reim  50,  154  f. 
Atlamöl  50,  155  ff.  Versbau  50,  156  ff.; 

Alliteration  und  reim  50,  164  ff. 
HamljesmOl   50,    166  ff.     Fornyrljislag 
und  dreisilbler  50, 167  ff. ;  Alliteration 
und   reim   50,  170;    Mälahättr   und 
Schwellverse  50,  171  ff.;  Versbau 50, 
171  ff. ;    Alliteration    und    reim    50, 
173  ff. 
Engelbergerp  rediger  50, 1  ff.  210  ff. 
Beschreibung   der   hs.  50,  1  ff.      Auf- 
zählung   der    predigten  50,  4  f.      An- 
fang und  schluss  der  predigten  50,  5. 
Ein    Verfasser    aller   predigten    50,  5. 
Schweizer  Ursprung  50,  6.    Inhaltsana- 
lyse der  predigten  50,  6  ff.  Fehlerhafte 
flexion  in  fremdworten  und  eigennamen 
50,  210  f.    Zeit  der  entstehung  50,  211. 
Vorbildliche  rolle  der  Maria  Magdalena 
in   den   predigten   .50,  212  f.      Bezug- 
nahme auf  den  hl.  Franziskus  50,  213. 
Berufung  auf  die  kirchenväter  50,  2141 
Friiiiide    gottes    als    bezeichnung    für 
die  verschiedenen   gewährsmänner  -50, 

215  f.    Eingehen  auf  lehrmeinungen  50, 

2 16  f.    Erfüllung   der   seelsorgerischen 
aufgäbe  durch  die  predigten  50,  217  ff. 

Epische  d  i  c  h  t  u  n  g ,  Zur  entstehungs- 
weise altgermanischer  epischer  dich- 
tungen  49,  244  ff.  "^ 

Etymologie,  Bemerkungen  zu  Kluges 
etymologischem  Wörterbuch  der  deut- 
schen spräche  49,  282  ff.  Adhramire 
und  die  germanische  framea  49,  229  ff. 

Faust,  Die  Faustillustrationen  des  Peter 
Cornelius  in  ihrer  beziehung  zur  deut- 
schen uationalbewegung  der  romaotik 
49,  279  f. 

Fleming,  Übertragungen  bekannter 
und  unbekannter  lateinischer  gedichte 
Paul  Flemings  50,  429  ff. 

Folkeviser  siehe  balladen. 

Frau,  Altnordische  frauen  50,  97. 


Gerhardt,  Paul  50,  303  ff. 

Gering,    Hugo:     Gedächtnisrede    5(», 

339  ff.    Publikationen  50,  354  ff. 
Gl  eim  s.  briefe. 
Goethe,     Zu    Goethes    'Sprache'    1774 

49,    243.      'Welche    dies    land    gebar' 

49,  94  f. 

Gotisch,  Der  stil  der  gotischen  bibel. 
(Fortsetzung)  49,  11  ff.  Genus  Wechsel 
11  f.  Berücksichtigung  des  gefiihls- 
und  stinimungswertes  für  den  bedeu- 
tuugswandel  der  Wörter  49,  12.  Spiri- 
tualisieruug  49,  12  ff,  Sakramentali- 
sierung  49,  '20  ff.  Nationalisierung  der 
kultsprache  49,  34  ff.  Zum  gebrauch 
der  konkurrierenden  abstraktbildungen 
im  gotischen  49,  82  ff.  -  ei:  -  düps  49, 
83  ff.  -  ei:  -  ißa  49,  84  ff. 

Gotthelf,  Jeremias.  Käthi  49,  134. 
Jakobs  Wanderungen  49,  136  f. 

Grimm  siehe  briefe. 

Grimmeishausen  siehe  'Simplicissi- 
mus'. 

Ham^esraOl  siehe  Edda. 

Härbar}]  slj  ö  t)  siehe  Edda. 

Hebbel,  sa  personalite  et  son  oeuvre 
lyrique  50,  322  ff. 

Hengist  und  Hors  50,  284  f. 

Hildebrandsage,  Die  nordische  und 
die  deutsche  Hildebrandsage  49,  149  ff. 

50,  175  ff.    Die  drei  nordischen  quellen 

49,  149  f.  Das  Verhältnis  von  Saxo 
und  saga  49,  15U  ff.  Die  fa^roische 
tradition  49,  165  ff.  Äsmundarsaga 
und  Hervararsaga  5ö,  175  ff.  Die 
gotischen  wurzeln  der  sage  50,  186  ff'. 
Die  deutsche  entwicklung  der  sage  50, 
199  ff. 

Hölderlin,    lyrik    50,  111  ff.    Diotima 

50,  113  ff. 

Jahrbücher,  Heidelberger  in  den 
Jahren  1808—1816 :  49, 119  ff.  Gründung 
der  Jahrbücher  49,  l'2t).  Geschichte  der 
Jahrbücher  49,  120  ff. 

K  a  t  e  r  M  u  r  r ,  Lebensansichten  50, 299  if. 

Kl  op  stock  siehe  briefe.  Die  Darm- 
stätter  ausgäbe  von  Klopstocks  öden 
und   elegien   1771:    49,    63  ff.      Klop- 


REGISTER    ZU    HAND    49    LXl)    50. 


498 


stockisclie  ged^hte  im  deutschen  saiu- 
melbach  Boies  49,  196  ff. 

Lehnwort,  Die  entwicklung  der  deut- 
schen kultur  50,  285  f. 

L  i  s  c  0  w  50,  79  if . 

Literaturgeschichte,  Bildnisse  zur 
deutschen  literaturgeschichte  aus  La- 
vaters  physiognomischem  kabinett  49, 
252. 

i.iidwigs  kreuz  fahrt  49,  78  ff. 

Luther,  Werke  49,  114  ff.  Kritische 
bemerkungen  zum  texte  49,  117  ff. 

Lyrik,  Über  rhythmisch-melodische 
grundgestalten  des  lyrischen  Schaffens 
49,  251  f.  Die  deutschen  lyriker  von 
Luther  bis  Nietzsche  50,  316  ff. 

Marien  bürg  siehe  Ämterbuch. 

Matthisson  .50,  431  ff. 

Mejer,  Luise:  sammelbuch  49,  214  ff. 

Meistersinger bühne  50,  292  f. 

Meyrink,  Motiv  und  wort  50,  107  f. 

M  i  1 1  e  1  a  1 1  e  r ,  Der  mittelalterliche  mensch 
.50, -455  f.  Vom  mittelalter  zur  refor- 
mation  :  Briefwechsel  des  Cola  di  Rienzo 

49,  96  ff. 

Morgenstern,  gestaltungs-  und  sprach- 
kuGst  50,  107  f. 

Mundarten,  Beiträge  zur  Wortbildung 
und  Wortbedeutung  im  Berndeutschen 
4!»,  289  ff.  Nomina  agentis  des  Schwei- 
zerdeutschen in  ihrer  bedeutungsent- 
faltung  49,  302  ff.  Proben  deutsch- 
russischer mundarten  aus  den  Wolga- 
kolonieu  und  dem  gouvernement  Cherson 

50,  115  ff. 

Müuziu  s  chrif  t  eu  ,  Zu  den  angel- 
sächsischen  münzinschriften  50,  279  f. 

Murner,  Thomas:  Geuchmatt 50, 419 ff. 

Mystiker  50,  462 ff.  101  ff: ;  des  17.  Jahr- 
hunderts:   Gottfried  Arnold   50,  313  f. 

Namenkunde  50,  118f. 

Nibelungen  50,  456  ff. 

Nietzsche,  Friedrich :  Nietzsche-preis 
für  1923.     49,  305. 

Novalis,  Zur  datierung  und  inneren 
entstehungsgeschichte  der  hymnen  an 
die  nacht  49,  250  f. 


Oster  feiern.  Der  Ursprung  der  latei- 
nischen osterfeiern  50,  46  ff.  Text  der 
frauenengelszene  50,  46.  Ursprung  des 
grundtextes  50,  47  ff.  original  aus  dem 
12.  Jahrhundert  50,  48.  Wechselwirkung 
der  abendländischen  und  Jerusalemer 
liturgie  50,  50  ff.  auferstehungsliturgie 
des  Jerusalemer  ordo  50,  52.  consue- 
tudo  antiqua  50,  50  f.  liturgie  der 
matutin  .50,  53.  prozessionsliturgie 
50,54.  Variante  cod.  biblior.  Hubertianus 
und  cod.  bibl.  Theodulfianus  iesum  na- 
zarenum  50,  55.  römischer  breviertext 
50,  55.  liturgie  der  grabeskirche  50, 
56.  peregrinatio  50,  57.  einfübrung 
der  Prozession  in  Frankreich  und 
Deutschland  50,  58. 

P  a  s  s  i  0  n  a  1 ,  Die  Elisabethlegende  im 
gereimten  passional  49,  181  ff.  Die 
Elisabethlegende  des  Jacobus  a  Vora- 
gine   49,    ISl  ff. 

Passionsspiel,  Bühnenplan  des  Frank- 
furter passionsspiels  49,  247. 

Periphrastische  Verbindung  des 
verbum  substantivum  mit  dem  parti- 
cipium  praesentis  im  kontinentalger- 
manischen 49,  1.37  ff. 

Rausch,  Bruder :  ältester  druck  5( ),  293  ff. 

Reuter,  Christian,  werke  50,  297  f. 

Rienzo,  Cola  d  i  49,  96  ff'. 

Rolands lied  49,  245. 

Rot  seh  er,  Theodor  50,  318  ff. 

Runen:  Nordendorfer  spange  49,  1  ff. 
Zu  Arkiv  14,  101—136.  50,  274  f.  Der 
brakteat  von  Vadstena  50,  275  f.  Die 
abkunft  der  ing-rune  50,  277  ff.  Zu  den 
angelsächsischen    münzinschriften    50, 

279  f.      Ein  runisches  Monogramm  50, 

280  f.    Zu  den  runischen  exsecrationen 
50,  282  f. 

Saga.  Hälfdanarsaga  Eysteinssonar  49, 
262  ff.  Vatnsdcelasaga  49,  264  ff. ;  siehe 
Hildebrandsage. 

Schererstiftung  50,  122. 

Schicksalsglaube  50,  361  ff;  reli- 
gionsgeschichtliches Problem  50,  361. 
im  mittelalterlichen  Europa  50,  362  ff. 


494 


REGISTER   ZU    BAND    49    INI)   50 


in  der  frühchristlicheu  dichtimg  der 
Westgenuanen  50,  368  f.  Scliicksals- 
fügungen  50,  369  tf.  Schicksalsmächte 
50, 385  ff.  Schicksalsgestalten  50,  397  ff. 

Schöffenspruchs  am  mlung,  Leip- 
ziger 49,  273  ff. 

SigrdrifomQ  l  siehe  Edda. 

Sprachlehre,  Von  deutscher  sprach- 
erziehung  50,  119  ff.  Altdeutsche  für 
anfanget  50,  286  ff. 

Steinmar,  im  Strassburger  Münster 
49,  284  f. 

Syntax  auf  grund  von  sprachmelodik 
49,  245  f. 

T  a  u  1  e  r ,  J.  50,  462  ff. 

Teersteegen,  Die  dichterische  per- 
sönlichkeit 50,  314  ff. 

Theaterkritik,  Die anfängein Deutsch- 
land 50,  97  ff. 

Todesstrafen,  Die  germanischen  50, 
443  ff'. 


Torquato   Tasso,     Zur  entstehungs- 

•  geschichte  von  Goethes  Torquato  Tasso 
50,  108  ff. 

Totentanz  des  mittelalters  49,  247  f. 

Tristan  und  Isolt  49,  258  ff. 

Tscherning,  Andreas  50,  307  ff. 

Vi  sc  her,  Friedrich  Theodor  (ästlietik 
in  ihrem  Verhältnis  zu  Hegels  phäno- 
minologie   des   geistes)  50,  114  f. 

Volkslied,  Die  scblesische  volkslied- 
forschuDg  49,  142  f.  Früheste  mittei- 
lungen  49,  142. 

Voss,  Joh.  H. :  Vossiana  49,  217  ff. 

Walt  her  von  der  Vogelweide  50 
468  ff. 

Weise,  Chr.  biblische  dramen  50, 296  f. 

AV  0 1  f  r  a  m  v  o  n  E  s  c  h  e  n  b  a  c  h ,  lebens- 
geschichte  50,  467  f, 

Zaubersprüche,  Über  russische  Zau- 
berformeln 49,  253  f.  Die  finnischen 
und  nordischen  Varianten  des  zweiten 
merseburger  Spruches  49,  254  ff. 


IL  WOETEEGISTER. 


G  0  tis  eh. 
ahma  49,  42  f. 
ansts  49,  83. 
audags  49,  33. 
awiliudon  49,  23. 
bidjan  49,  31. 
blot)  49,  24, 
blotinassus  49,  56. 
brusts  49,  12  f. 
drigkan  49,  24. 
fairhvus  49,  36  fg. 
fastan  49,  32. 
galaubjan  49,  15fg.- 
galaufs  49,  14  fg. 
gaskafts  49,  36. 
gatimreins  49,  19  f. 
gatimrjan  49,  19  f. 
gut)  49,  11. 
hairto  49,  12  f. 
hairljra  49,  12  f. 
himins  49,  45  f. 
hlaifs  49,  24. 
luuisl  49,  55  f. 


idreiga  49,  53  f. 
leik  49,  24  fg. 
liufs  49,  15. 
,  manasel)s  49,  36  ff. 
matjan  49,  24. 
nasjan  49,  21  f. 
nasjands  49,  21  f. 
ragin  49,  48. 
runa  49,  49  ff. 
spill  49,  52  f. 
stafs  49,  41. 
stikls  49,  24. 
timreins  49,  19  f. 
timrjan  49,  19  f. 
ufdaupjan  49,  30. 
uuhullio  49,  42. 
wairljs  49,  14. 
weihs  49,  54  f. 
wult)us  49,  46  f. 
iHudangardi  49,  44  f. 
t)iudinassus  49,  44  f. 

Lateinisch, 
adhramire  49,  229. 


•^Q  Lirr  oFü  1  5  'im 


^V   .,|^H'^    ^^* 


PF 
3003 
Z35 
Bd./,9-50 


Zeitschrift  für  deutsche 
Philologie 


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