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ZEITSCHRIFT
FÜR
DEUTSCHES ALTERTUM
UND
DEUTSCHE LITTERATUR
HERAUSGEGEBEN
VON
EDWARD SCHROEDER und GUSTAV ROETHE
ZWEIUNDFÜNFZIGSTER BAND
DER NEUEN FOLGE VIERZIGSTER BAND
BERLIN 1910
WEIDMANNSCHE BUCHHANDLUNG
SW. ZIMMERSTRASSE 94
?F
ßOOS
'hol' .S2,
INHALT.
Seito
Heym, Bruchstück eines geistlichen Schauspiels von Marien himmelfahrt 1
Schröder, 'Diu Mäze' 56
Nolte, Zu Gottfrieds Tristan. Marke der tugenderiche 61
Meissner, Leudus 84
Meissner, Duißere 90
Heusler, Heldennamen in mehrfacher lautgestalt 97
Gottschick, Der anfang und der schluss von Boners Edelstein . . . 107
Lunzer, Die Virginal A und Wolframs Willehalm 113
KInckhohn, Ministerialität und ritterdichtung 135
Patzig, Zu Zs. 51, 255. • 'De Servando medico' 168
Roth und Schröder, Althochdeutsches aus Trier (vgl. 396) 169
Jellinek, Studien zu den altem deutschen grammatikern
3. Zu Sebastian Helbers Syllabierbüchlein 182
Schröder, CoUation und kritik von Albers Tundalus 190
Droege, Nibelungenlied und Waltharius 193
Gottschick, Über einige beispiele Boners und ihre latein, vorlagen . 231
Bernt, Zur Heidelberger hs. cod. pal. germ. 341 245
Pestalozzi, Siegmunds schwert 259
Christ, Münsterische bruchstücke der niederdeutschen Apokalypse . . 269
Stange, Hadlaub 276
Leitzmann, Zu Berthold von Regensburg 279
Franek, Zur Überlieferung und composition des Reinaert 285
Hoflfa, Antike elemente bei Gottfried von Strafsburg 339
Strfluch, Fragmente aus Wolframs Willehalm und Rudolfs Barlaam . . 351
Schneiderwlrth, Fragmente des Nibelungenliedes aus Dülmen . . . 356
Schröder, Zur datierung des Herbort von Fritzlar 360
Jttlicher, Die griechische vorläge der gotischen Bibel 365
Leitzmann, Zum Trierer Silvester 387
Grüters, Zu Spervogel 388
R. M. Meyer, Trier und Merseburg 390
Sehröder, Zu den Trierer Zaubersprüchen 396
BRUCHSTÜCK EINES GEISTLICHEN
SCHAUSPIELS
VON MARIEN HIMMELFAHRT.
I.
Im jähre 1896 wurden hei der Ordnung des fürstl. Leiningi-
schen archivs in Amorbach von h. archivar dr Krebs von dem
rücken eines actensammelbandes 2 kleine fragmente beschriebenen
Pergaments abgelöst, wie eine vorläufige prüfung ergab, gehörten
die beiden stücke einer und derselben handschrift an und enthielten
lateinische stellen, z. t. mit neumen versehen, iind verse in nihd.
spräche, sie wurden mir zur näheren Untersuchung überlassen,
dabei ergab sich, dass die beiden stücke sich zu einem vollständigen
blatte ergänzten,, das in der mitte gebrochen war, und dass sie
auch das mittelste blatt einer läge gebildet haben müssen, es findet
sich nämlich am ende der seile 2 die eine zeile eines reimpaares,
die zweite oben auf seile 3; ferner ist etwas was auf seite 3 aus-
gelassen ivorden war, auf seite 2 am unteren rande nachgetragen.
Das bruchstück stammt aus einem geistlichen Schauspiel, das
halb lateinisch, halb deutsch die himmelfahrt Mariae behandelte.
Es hat durch seine Verwendung zum einbinden sehr gelitten;
nicht nur, dass es durch den leim so angegriffen wurde, dass teil-
weise die Schrift bei der entfernung des leimes mitverschwunden
ist, es hat auch an den besonders der reibung ausgesetzten stellen
mehrere löcher erhalten.
Die hs. hatte ein sehr kleines formal, das sich von dem
der übrigen uns erhaltenen schauspielhandschriften auffällig unter-
scheidet, die höhe beträgt 130 mm, die breite des ganzen
Mattes 171 mm, die columnenhöhe 102 mm, die zeilenlänge
12 mm. Seite 1 enthält 28 oder 29 Zeilen, s. 2: 36, s. 3: 37 und
seile 4: 34 zeilen. die spielanw eisungen sind zuweilen nicht fort-
laufend in die zeilen des textes eingefügt, sondern bilden neben
diesen, die dann kürzer sind als sonst, besondere zeilen. der
obere teil zeigt auf der einen seite einen größeren riss, der untere
ist mehr beschädigt, da er auf beiden seilen einrisse und auch in
der mitte 2 größere (längliche) und 5 kleinere (runde) löcher hat.
Z. F. D. A. LH. N. F. XL. 1
2 HEYM
Das fragnient ist in fortlaufen deji Zeilen geschrieben; in den
deutschen teilen sind die einzelnen verse meist durch puncte und
kleine gekrümmte über der zeile stehnde striche unterschieden, die
anfangsbuchstaben der einzelnen reden sind rot übermalt, in den
lateinischen teilen stehn die Zeilen weiter auseinander, um für
darübergeschriebene neumen platz zu schaffen; auch sind manch-
mal die einzelnen silben der Wörter durch mehr oder minder
große Zwischenräume voneinander getrennt, icenn die melodie es
erforderte, die neumen sind erst später eingeschrieben; auf der
ersten seile finden sich z. b. die größeren abstände der zeilen und
die zicischenräume zwischen den silben, aber die notenzeichen fehlen,
so hat das fragment etwas unfertiges an sich.
Die Schrift ist die niinuskel; sie ist sehr klein, abkürzungen
sind häufig, namentlich im lat. ordo, selten in den gesungenen
partien. im deutschen text finden sich dreierlei abkürzungen:
1) der wagerechte strich über der zeile zur bezeichnung von m
und n, sowie bei vn; 2) ^= er; 3) < = as oder az. , schrift
und neumen gehören ihrem Charakter nach etwa dem ausgehenden
13, höchstem dem beginnenden 14 jh. an.
Zwei verschiedene hände haben das was uns vorligt ge-
schrieben, schon der äußere eindruck der beiden Schriften ist
ein ganz verschiedener, der erste Schreiber hat eine ivenig gleich-
mäßige Schrift; weder die höhe der, buchstaben noch die richtung
ihrer verticalen striche ist gleich, manche buchstaben erscheinen
etwas nach links geneigt, die meisten stehn senkrecht, die schrift
gewinnt dadurch ein krauses aussehen, der zrveite Schreiber da-
gegen schreibt gleichmäßig, sauber und deutlich, auch einzelne
buchstaben weisen charakteristische Verschiedenheiten auf. bei dem
ersten Schreiber ist der rechte grundstrich des a über die linke
schleife auficärts verlängert und oben nach links umgebogen, beim
ztveiten sind beide meist gleich hoch. in dem w des ersten
Schreibers erhebt sich der mittlere strich über die beiden andern
und die zwei vordem sind stark nach links geneigt; auch stehn
sie eng aneinander, beim zweiten Schreiber ist auch hier die höhe
der einzelnen striche gleichmäßiger, ebenso die abstände des ersten,
zweiten und dritten Striches, der zweite grundstrich des h hat
beim ersten Schreiber die form eines nach links geöffneten bogens,
beim zweiten die einer leichten' Wellenlinie, beim f macht nur der
erste den oberen querstrich oft so, dass seine spitze halb rechts
MARIEN HIMMELFAHRT 3
nach unten zeigt, auch ist hei ihm der querstrich länger ah heim
zweiten, hei dem e des ersten Schreibers ist die schleife meist
rund und so groß, dass innerhalh ein fleck von tinte frei hleiht;
beim zweiten ist die schleife gehrochen und zuweilen nicht ganz
ausgeführt, so dass das e einem c ähnlich wird; manchmal ist
sie auch so klein, dass die striche einander berühren und im
innen kein fleck frei von tinte bleibt.
Ferner unterscheiden sich die beiden auch in der Orthographie
voneinander, so schreibt der erste den harten gutturalen oder
palatalen Spiranten im auslaut stets ch ^ der zweite Schreiber hat
nur die beiden ersten male ch, sonst stets h^.
Dem ersten Schreiber gehören auf der ersten seile die obersten
2V2 Zeilen, dann setzt der zweite ein mit den worten: quam
pulchra es und schreibt bis auf die ztoeite zeile der dritten seile;
mit den ivorten: hie vö in dine minen beginnt der erste wider
und schreibt bis etwas über die mitte der seile; die letzten worte
die ihm gehören sind: vn mich och gehuldete dir. danach hat
der zweite Schreiber ivider angefangen, aber er hat etwas aus-
gelassen, denn er trägt am untern rande, durch ein kleines kreuz
bezeichnet, 5 verszeilen nach, von hier an gehört alles folgende
dem zweiten Schreiber.
Wir haben also augenscheinlich nicht das original der
dichtung vor uns, sondern eine abschrift.
Ich lasse nun den text des fragments folgen; hiehei hah ich
die deutschen stellen mit römischen Ziffern, die lateinischen mit
huchstaben bezeichnet, nicht deutlich lesbare buchstaben sind durch
daruntergesetzte puncte kenntlich gemacht, durch conjedur ergänzte
in eckige klammern eingeschlossen, die enden der Zeilen in der
hs. sind durch senkrechte striche bezeichnet.
' I 3 ich, mich, 4 dich; VI 6 ich, 12 rieh, 13 mich, 15 mich, 16 dich;
VII 1 dich, 2 sich, 6 dich, 8 nach, 10 vluch, 12 ich, 13 ich (?), 14 mich,
15 mich, och; ebenso die tat. formen michi in C u. F; eine ausnähme
würde nur VII 2 ah bilden, das aber nicht genau lesbar ist.
2 II, 5 sich, 7 dich; HI 11 ih, 17 mih, 18 sprah dih ih, 20 ih, 27 ih,
31 mih, 32 mih; IV 2 ih, 10 ih; V 3 rih, miöeclih, 4 lobelih, 5 sih, 7 ih,
nah, 8 gab, 9 ih, 10 dih, 12 ih dih, 14 sih dih; VI 4 dih; VII 19 ih;
IX 4 ih, 5 ih, 7 mih, 8 dih, 9 dih, 11 ih, 12 dih. 15 mih; X 3 dih. 4 ih,
5 dih, 15 solih, 19 dih, 20 ih, himelrih; XI 5 sih, 6 nah, 7 noh, 9 ih,
10 mih; XII 9 ih, 10 mih, 11 ih.
1*
4 HEYM
I. 1. Ift vn!^ hvf gemaket wql.
d< an ende w^n fol
ze dim h'^zü [wil] ich | legen mich,
vnd vf din arn wä ich dvr dich.
5. ze tode bereit \ w< ze alP zit.
Mit vro e ane wid^Itrit.
dfif arCvin^ es | fp' ulna ' z amp | efi dicef.
A. Qnn pulchra ef ora | cariffima mea
in deliciif tuif ftat . . . tua alimilata | elt palme et odo . ori .
tai ficut ma lorü granato . . | guttur tuu ficut vi nn Optimum
Ms I
B. Sicut m 36
... I int' filiol fub umbra illiuf . . . defidera bam fedi et |
nox illiuf dulciX gutturi meo in troduxit me . . . in | cellam
vinariu ordinauit in me caritat? fulcite me | floribur ütipate me
malil quia a more langueo | leua eiul fub capite meo et dex-
tera illiuf am | plexa bitur me.
Eecl'ia de dfio. |
C. Cum effet rex i acubitu fuo narduf mea dedit o dorem | fuü
I. in der lacke haben zwei worte qestanden.
A. die spielanweisunfj vor A steht in 3 seilen neben seile 3 ?/. 4
des textes.
A. = Canticum canticorum VII 6, 7 und 9 {teilweise), nach pulchra ef
sind 2 oder 3 silben geschtoärst, dann vielleicht jq, nachher eine lücke
dadurch entstanden, dass die oberste haut des pergaments ein Stückchen
abgestreift ist; dann folgt ora.
granatorum steht nicht im oulgatatext ; weggelassen ist hier dagegen
der schluss ton r. 9: dignum dilecto meo ad potandum. vinariiTjrr/iVm-
lich statt vinariam.
B. = Cant. cant. n 3— 6. im vulgatatext steht an stelle von uox
vielmehr fructus. uox ist hier anscheinend irrtümlich gesetzt, denn die
deutsche paraphrase hat an der entspreclienden stelle (Ul 13^; sin
fruet sam honegis süzekeit . . .
Sicut malus inter ligna — inter filios findet sich ots antiphone der
assumptionsfeier in einem antiphonale des 13 oder li Jhs. (German. Mus.
no. 4984;.
Fulcite me floribus — • langueo: responsorinm in nativitate in clm.
23083 f. 97, clm. 23046.
C. Cum esset rex . . . = C. c. I 12 u. 13, (es findet sich auch
als antiphone in einem Bamberger nntiphonar, ausc. lit. 30, XVjr/i. pghs.)
C ist links aus der seile herausgerückt, rex über der seile eingefügt.
II. Was in der spiel an uieisung dthnico hev^sen soll, darüber nur eine
MAEIEN HIMMELFAHRT 5
falciculul mirre dilectuX meul michi I t^ vbera mea com mo-
rabi tur
Dnf Me äplexe adhnc | dthnico . . . . |
n. 1. Wie hübfch du bift ein vrindin min.
Maria magt vn min | vierweltü brut.
wie fchon dv bist i den vrode din.
Min I liebv mvt^ vn mini h^zen trut.
5. Din gefchaft gelikit lieh |
D^ palme fund^like.
Inf hat du kraft d' tugenden dich |
[ejrhöhit wnderlike.
din tuginde nieman gezellen mak |
10. alfam ein granat ilt din fmak
Din kele ift aK d' beste win. |
dv lolt mir lin.
. . ."" . . . ff . . .
III. 1
5
I
ein wruht der er hat.
Vermutung, man könnte an dicit hymnico (modo) denken, die folgende
deutsche stelle ist die einzige in form, einer strophe gebaute, das toort
hymnicus fehlt allerdings bei Du Gange; dagegen finde ich dort s. v
'hymnidicus', folgende stelle angegeben: 'Placidi Diaconi Supplem. vi-
rorum illustr. Cassin. cap. 8; Extant quoque libri duo, in quibus celeber-
rima nonnulla Sanctorum et Sanctarum sacra vario describuntur metro
eorumque gesta Hymnidicis proferuntur modulis'.
II 2, vn über der seile eingefügt (hs.)
II 3, L\Toden[der nasalstrich über dem e scheint nur verwischt. E.S.]
n 8, e durch einen kleinen klex verdeckt.
II 12, mir sin halb durch ein loch zerstört.
in. der ordo vor III ist fast unlesbar, ebenso die folgenden 3 seilen
des textes, die jedesfalls 6 deutsche verse enthalten haben, hiemit
endet die erste seite des fragments. am unteren rande sind noch spuren
roter schrift sichtbar.
m 6. vielleicht ist doch vruht zu lesen; der erste strich des w
scheint mir jetzt nur eine falte des pergaments zu sein.
) HEYM
dar vnd^ vil d^ raeren g-at.
In gelik^ | wif gezieret ist.
10. wr alle fvnerain ilif krift.
an ßne | Tchate. ih gefaz.
nah im min girde w< nit 1«.
Sin fruct | fam honegil fvzekeit.
w< [mir] in mine munde bereit.
15. Do kam d^ künig falomon.
vf finem hovbete w< dy krö.
In fin win zellun vürtte er mih.
er fprah nv wil ih leren j dih.
tr^ye minne folt du han.
20. Ih bin dir liep vur alle man. |
Dar[um]be ir tqht'e von fyon.
liget wol den fvzen don.
vii I en mine thron.
Mit apheln vh mit blvmen | Ichon.
25. So wirt y fundUike Ion.
d' iem^ w4 vf citaron. |
wand ih von minni v^wvndit bin.
lin minne kren | klt mir den fin.
Sin hant vf rekit d< hobit min.
30. vh tvt I mir finer helfe fchin.
Sin zefewe mih al vmbevat.
in 15, vor kunig ein, klex; der Schreiber scheint einen irrtümlich
fjeschriebenen wortanfang getilgt zu haben; denn der Zwischenraum
zwischen dem klex und den beiden worten auf beiden Seiten ist gleich
den sonstigen Zwischenräumen der einzelnen worte.
ni 19, über dem w von trwe sind spuren eines i sichtbar.
in 23, hinter min ein loch, darüber aber der nasalstrich sichtbar.
ni 26, die beiden ersten buchstaben con citaron sind nicht deutlich
lesbar, vielleicht ligt hier eine reminiscenz an eine Tristanstelle cor
D. 4804 ff: wie si ir sanc wandelieret!
(ich meine ab in dem döne
daher von Zitherone,
da diu gotinne Minne
gebiutet üf und inne),
wo übrigens die Florentiner hs. Cytarone hat.
III 28. nach minne hat der Schreiber fälschlich mih geschrieben und
dann ausgestrichen.
MARIEN HIMMELFAHRT 7
In I vovden er mih iemer hat.
EecPia de dno c eet rex expoiüt. |
IV. 1. Do d^ künig in fin^ wonuge w<.
Ih y . . lik ZV im gefaz.
Min I I . . . gab ir f\^zen Imak.
d< ift d^ lynagoga ein Hak.
5. vnz I vnlern beiden torn.
D . . w< V . . llclie gar verkorn. |
S_zen fmak gab min [r]och
V
rechte lofe mirren vu wieroch. |
.... wern . . nd' . einbvrchellin
10. bin ih ben liebe | min.
vü [zwujlchen mine bruften.
wo . . t er der gelulten. |
w< dilv rede betiite.
Def willen nit tumbe Ivte.
dnl* äplec;tit eccl'iam maria diniiffa.
Eccl'ia refpüdet. ]
D. Wlneralti cor meü foror mea fponla wlneralti cor meu. |
E. In carita te perpetua dilexilti me ideo atraxifti nie | mi Ter
tuf mei.
DiiC ecerie
V. 1. frowe min trut frun | dine.
fweft^ vu kyniginne.
So leiden rih fo mineklih.
So I fchon lo gvt lo lobelih.
rV. c eet rex ist der anfang von C, dessen inhalt IV in deutscher
Sprache widergibt.
IV2. im anfange des sweiten wortes konnte auch w gestunden haben.
3. vielleicht salbe?
6. vielleicht da was velsche gar verkorn.
D. hinter äplectit ein undeutliches abldlrzungsseichen. vor Eccl'ia
respondet .stehn 2 dünne schräge striche, die sich vor dem anfang von
E widerholen; sie deuten an, dass diese worte als spielaniceisung vor
E gehören, dass mit den worten in caritate eine neue rede beginnt,
seigt auch der um^stand, dass der anfangsbuchstabe I rot geschrieben
ist. I ist links aus der seile herausgerückt .
D = C. c. IV 9; dort folgt nach cor meum noch in uno oculorum
tuorum et in uno crine colli tui.
E ist für die liturgie umgestaltet aus Jerern. 31,3, wo es statt
dilexisti me u/irf attraxisti me heis.'^t: dilexi te und attraxi te; am schluss
tui statt mei.
i HEYM
5. Sih von din^ niine.
v'wundit fint | mine i'inne
ih han dir vil geftrikin nah.
mir w< her nah | dir l'o gah.
D< ih mit erbeit zeliken litten.
10. vil kumb'f han | dur dih erlitten.
Dv folt el w[ol] lehen an.
wie gar ih dih ge|[m]init han.
Ih wil dur di [24]
I de fih dur dih.
15. Dv lolt wizzen d< min tot.
[dih] lofte von d' | helle not.
Dv lolt mit mir erbe r[i]n.
Minel rikel dohter | min,
Ecclia de dno.
VI. 1. herre d[u bi]rt milt vü gnade ri[kej |
Dv erkandelt gettelike.
Min geben vü min gir.
vü gebe | dih ze erkenenne mir.
5. hie vö in dine minen.
begvd ich lere | brTnen.
Dv tete an mir gnade Xchin.
Dv Tantelt an d< h^ze ml. |
Dinef heilige geiftel gvte.
10. da vö Wirt min gemvte.
vö tu|gende alle gemeit.
vü rieh mit fo mäg^ felikeit.
D< dv mich | woldeft mTnen.
Mit dine gotliche finne.
15. alle halt dv mich ge | wüne dir.
Dv lolt dich lelbe gebe mir.
Ecc' erigit fe et venit fynag^ | sid pedefdni flexi fgrenib'.
V 11. die Worte wol sehen an sind nur in ihrem oberen teile lesbar.
V 16. möglicherweise hat über o in loste ein e gestanden, schwache
''puren sind sichtbar.
VI 1. am ende des cerses ist die oberste schickt des pergaments
abgerissen, daher der schluss von rike unlesbar.
m,it VI 1 schliesst die 2 seite; unten am rande ist mit roter
Schrift die spielanwei-ning nachgetr-agen, welche, wie das dort widerholte
auslassungszeichen andeutet, zu IX gehört und daher von mir an
dieser stelle in den text eingesetzt ist. (Jud'i veniet etc.).
MARIEN HIMMELFAHRT 9
F. Quil michi det te fratrem lugente | ubera matril niee : ut
ofculer te ne quifquam me dei'piciat.
DiiC äplectit« fynag-og-: de tibi |
G. Ortuf ocluluf ef Xoror mea fponl'a | ortuf ocluruf fonl lignat^
hirge ppera amica mea
VII. 1. herre alle gefchaft luln dich loben.
vnd dir ze dienfte gebe | lieh,
wä dv bift ir fchephere.
Dv got ananegfenjge ie were. |
5. hVe dv folt gemät fin.
wie dich erete dv mvt^ min.
. . . . I ir e dv jvdefcheit.
Nach din^ gelezede rechtekeit.
.... I foldif ab^ fvge ir brvit.
10. vlvch d' krifteheit akvit.
. . . yget . . I din' mefcheheit.
Ich zewifel and^ irrekeit.
ah mech . . . ch einen | vrynt gewIne.
D^ mich d^ warheit brechte Tnen.
15. vn mich | och gehvldete dir.
F. die erste seile der Spielanweisung steht neben VI 16, die zweite
neben den ersten Worten Don F. F'^ Cant. cant. VIII 1. nach C Marbach
Carmina scripturanim 6 Resp. sept. dolorum B. V. M. me defpiciat
durch ein loch beschädir/t.
G. die SU G gehörende Spielanweisung steht rechts von den ersten
Worten von G, in der Spielanweisung ist bei sibi vom letzten i nur der
i-strich sichtbar.
ortus — signatus aus Cant. cant. IV 12; surge — mea = C. c. II 10,
ebenso II 13. im assumptionsofficium des clm. 23083 (\2 Jh.) findet
sich die antiphone: 'Ortus conclusus es dei genitrix ortus conclusus fons
signatus surge propera amica mea et ueni.' bis signatus auch im Antipho-
nale des Germ, rnuseums nr 4984.
ferner in Bamberg (msc. Ut. nr 24. antiphonar d. 12 Jhs.)
VII 1; lis „loben dich."
h in herre ist nicht rot ausgefüllt.
VII 6 min; Don i ist der i-strich sichtbar.
7 über e scheint ein zweites e zu stehn ; dahinter ein punct.
15. mit V. 15 bricht der erste Schreiber ab; es folgt dann von der
hand des zweiten die nächste Spielanweisung Dns marie mit einem drei-
teiligen zeichen am schluss; die beiden ersten elemente des Zeichens stehn
auch vor dem texte K u. M. ich kann sie nicht deuten; auf eine aus-
10 HEYM
D< du genedeg wurdeft [mir]
vfi mir dif kuffef fvzekeit. |
Gebeft mit def vr[v]del edelkeit
h're ih gar v'fmakt bin. |
20. d< wer danne alle! dahin.
Dnf marie'22C
VIII. 1. Mvt' fw< du haft gegert. |
Del l'olt tu iem^ fin gewH.
poCt h- M fur!?ef nccip^ drini ad inan^ z exibt öf plone pt' fyn-
agogrn maria caiiete. |
H. Egredimini lilie i'yon et yitete regem lalomone in diadema|te
quo corouauit eun mater lua in die defpöfacionil illiuf | i in
die leticie cor dif vrT.
pot't h' maria recnb. | i g^mio dni : cätablt.
I. In pace inidipfü.
quo finito | ocenb; 2 mouetn f fet"» ponet«
oibuf cätfitibnt' | :?,
K. felix nanq ef T^ ora prp ppulo in . t^ v.
9 V v-fn poCtea 1
deportabitur. öf pfone |
L. In exitu ilrahel ex egypto.
qO iportabit" I monaft^n . . | :?
M. Salue nobilil virga Yelle 9f^ v^
lassung aber -oder eine störuntj der richtigen Ordnung scheinen sie mir
nicht hinsuioeüsen, da sie nicht vor dem ordo stehn und der text in der
überlieferten form einen guten sinn gibt, übrigens hab ich in einem
graduale s. XI/XII. aus Andechs (dm. 3008^ fol. 59 ein ganz ähnliches
seichen hinter dem rot geschriebenen dominica u. vor dem text gefunden,
es scheint also eine bedeutung für die liturgie su haben. — am ende
des aerses 15 steht ein kleines schwarzes kreus. mit demselben zeichen
sind die letzten 5 verse am untern rande vom 2 Schreiber nachgetragen.
VIII 1. halt über der seile eingefügt.
H. = Cant. cant. III 11. E links aus der seile herausgerückt.
corouauit verschrieben für coronauit, ebenso eun statt eum. der culgata-
text hat statt vestri; sui oder eius.
I. = ps. 4, 9; im vulgatatext fehlt id.
K. ein responsorium,, an Marienfesten gebraucht; text s. B. bei
Jod. Clichtoveus Elucidatorium ecclesiasticum fol. 94.
L. = ps. 113,1- (nach der Zählung der vulgata.)
M. die letzten buch.-<taben von monasterium sind beschädigt. M ent'
weder anfang der sequens, deren text wir bei Kehrein Lat. sequ. d. m-a.,
nr 320 finden, oder wahrscheinlicher ein responsorium der assumptions'
MAEIEN HIMMELFAHRT U
N Cime
9felTorib9 i cipietib » . : Iti |
Ind'i veuiet ad f'etrn z tu» exeif wlt dic'e corp» M cai ad h-ebit
man 9 f-et» ipe ant pet' dic^
IX. 1. Pete, [lieb^h^jre [mi]n
[tv] mir din^ gnaden fchin
, . . m[ir] I ef Itat [a]n der not.
Aid ih mvf leid^ geligen tot.
5. ih weif d« | du tuft zeiken groz.
du bilt vf erde angelikin genoz.
Dv folt mih def genizen lan.
do dih die luden vahten an.
vü I Dih weiden vahen.
10. mit dime meift' hahen.
D< ih dir do heljfe bot
V di h lölte vö d' not.
alle löle och mir min hant.
äd' I bare vn make mir ze hant
15. min hant gelüt y e mih |
. . . ini . . ilt
dnf fynag Heb'
X. 1. Liebv doht' yü | Iweft' [z]ar[t]
.... 9 ... . mine gart . .
ob du dih wilt bekere. |
Ih wil din [ere] meren
feier. so kenn ich es aus einem Bamberr/er antiphonar d. 12 jhs.
(msc. lit. 24:) und einem ebensolchen des 11 Jhs. (msc. lit. 23^.
IX. eonfessoribus incipientibos durch einen riss beschädigt, neben
den leisten seilen der seite ist am rechten rande rote schrift sichtbar
doch ist nur wenig zu entziffern: . . . h' p . . .
mit ü. 6 schliesst die seite. über die spielan Weisung Judei venient
etc. .9. zu Yl 1.
IX 13 ff. die ungeschickte häufung des wortes „hanP' lässt mir
die richtigkeit der lesung von v. 14 (letzte hälfte) verdächtig er-
scheinen.
IX 15. vielleicht: vn ledege mih, vgl. Konr. v. Heimesfurt v. 689.
16. vielleicht: wä einic ist mir heil dur dih.
Im anfang von X hat sich der Schreiber verschrieben, er hatte
wol noch den anfang der vorigen rede im, sinn, wo doch jedesfalls
petre, lieber herre min gestanden hat, nach X 5 einige Zeilen unlesbar,
sie werden etwa 6 verse enthalten haben.
p. 11 vielleicht: vn ein brunne ift dar inne.
12 HEYM
5. in minen garten [wil ihj dih wren. |
Den han {ca 30 buchst.)
aden mag. |
12 ndl . .
29
10. vfi
49 ne. I
von dem mugen dine linne
gewinnnen ewig vrode | groz.
bezeikit han del briinen vloz.
15. Solih dvgende der | brünne birt.
Iw^ dar inne getofit wirt.
D« d^ wirt gar rei | ne.
vri vor allem meine,
kum ze mir doht^ bekere dih. |
20. So gib ih dir d* himelrih.
tynagogra
0. Leua eiuX lub capite | meo et dextera illiuf amplexabitur me
dfif eccl'ie d' fynagg |
P. vi nea mea co ram me elt |
(jnagoga d' diio.
XL 1. Ir tohteran von ih'm.
ir mugent alle | nu wol len..
D< got ilt milt vii dabi gvt.
Sin gnaden tor er | vf tvt.
5. Sunden die lih im ergebent.
ob fv dar nah in recte | lebent.
Sin genade fint mir noh vnv^feit.
£in hant het er | mir vnd^ geleit.
vf genade bin ih zvzim gegangen.
Sin I zef''we hat mih vmbe vangen.
dfif eccl'ie d' fynagg |
XII. 1. Trowe ein mvt^ d^ kriltenheit.
X 17. d* über der seile nachgetragen.
0. = Cant. c. II 6 und VIII 3. hinter dextera steht in der hs
fälschlich mea, ist aber durchgeatrichetx.
P. = C. c. Vm 12.
XI 1. cor ih'm stehn 2 schräge striche und am rande mit demselben
zeichen irl'm, d. i. Jerusalem (denii ih'm ist abkürsung für Jhesum^.
XII. am linken rande steht neben den 3 letzten Zeilen von XI mit
roter schrift:
MARIEN HIMMELFAHRT 13
Iah dir d< nit wezen leit.
Min I wingarte komin ift ze mir.
d' mir gar leip w< vor dir. |
5. Nu begonde er ab' b'n win.
Der trüken makete d< volk | min.
San d< ef min nit erkennen wil.
fin' bitt'keit ift | alle vil.
Do ih in allererft getrank.
10. Def todef üaf mih | Hafen tvwank.
Da mit ih dinv kint erlofte.
von def | [alte vin]def rofte.
[d]' Jjnagoga kint ein mikil teil.
w' I 22
Eccl'ia dno
Q. lecte mi 18 | uor fuper mont
26 I
R. adiuro uos filie 26
post h'
i g*mio
. . 0 ob
V rowe ein rnvt . , . (den anfang con XIIJ
. . rmie
XII 6. volk aus wölk riebeasert.
Q. ist offenbar C. c. II 17 entnommen: revertere. similis esto,
dilecte mi. capreae hinnuloque cervorum super montes Bether, oder
"Vlil 14: fuge, dilecte mi.
hintervLoreinabkürsungsseichen, das Jedenfalls die silbe -um bedeutet.
feR. = C. c. II 7 und DI 5 und VIII 4, die fast denselben Wort-
laut haben, oder = c. c. Y 8.
c. c. V 8 findet sich auch als versus eines responsoriums im of-
ficium, zu Mariae geburt, clm, 23083, fol. 100 b.
am. linken rande neben den letzten 3 seilen:
nis . . it (üielleicht auch ie oder ir)
. . . sib.
. . . abus (vielleicht filiabur).
14 HEYÄT
II.
Woher stammt unser fragmentV das Amorbacher archiv enthält
verschiedenartige bestandteile • : zunächst die archivalien deshauses
Leiningen und seiner verschiedenen zweige aus der zeit ihrer
herschaft links des Rheines, dann diejenigen die sich auf die
1803 erworbenen gebiete rechts des Rheines beziehen, alle diese
soweit sie nicht verloren oder an andere regierungen ausgeliefert
sind; schliefslich ziemlich vollständig die archivalien der ehe-
maligen benedictinerabtei Amorbach, der actenband an dem sich
das fragment fand, gehört der ersten gruppe an; es war ent-
weder ein altes repertorium oder eine Falkenberger rechnung;
er mag im 1 7 jh. zusammengeheftet worden sein.
In der Pfalz, jedesfalls in der gegend von Dürkheim hat
sich demnach die hs. vor ihrer Zerstörung befunden; vielleicht
gehörte sie einstmals der bibliothek des benedictinerklosters
Limburg an, die kirche von kl. Limburg war der hl. Maria
geweiht (W. Manchot, Kloster Limburg a. d. Hardt, Mannheim
1892, s. 7 a. 2), u. 1130 wird von bischof Siegfried v. Speier
eine Mariencapelle, anstofsend an den chor, geweiht, die abt
Rupert erbaut hatte (Manchot s. 15). damit ist nun freilich
nicht gesagt, dass die dichtung selbst dort entstanden sei; sie
kann auch von einem andern oit, vielleicht ebenfalls einem kloster,
dorthin gebracht worden sein. entscheidend würde hiefür der
dialekt des fragments sein, wobei natürlich in erster linie der
reim zu beachten ist. zu diesem zwecke stehn uns aber nur 83
reimpaare zur Verfügung, von denen überdies noch 6 unsicher
sind, weil ein reimwort ganz oder teilweise ergänzt ist.
ä:a reimt in 3 fällen, m 19 hän : man, v 11 an: hau imi
IX 7 län : an. dass hän auf worte mit kurzen a reimt, finden
wir sogar bei HvAue, der dagegen län nur mit langem ä bindet.
Aulserdem reimt in unserm f ragm. x 1 9 dih : himelrih.
demnach dürfte wol auch v 3 minneklih : lohelih mit kurzem i
anzusetzen sein, das findet sich meist im alem. und rheinfrän-
kischen (s. Zwierzina Zs. 45, 81 ff), sonst ist die Quantität der
vocale beachtet, und auch qualitativ unreine reime fehlen: e:^
kommt nicht vor, freilich überhaupt kein umlauts-f im reime, und
altes e nur 2 mal (viu 1 u. xi 5 f j. s und z sind im allgemeinen im
* ß. Krebs Archivgeschichte des hauses Leiningen, Speier 1898 (auch
abgedruckt in den Mitteilg. des hist. ver. für die Pfalz li. XXII).
MARIEN HIMMELFAHRT t5
reime unterschieden, doch einmal reimt bereits icas (3 p. sg): gesaz
(iv 1); ferner finden wir einmal )ii : n gereimt in xi 1 Jerusalem: aen.
das ist besonders häufig im alem., der reim s : z widerspricht nicht.
Da die reime uns also nicht genügend auskunft geben,
können wir bei der dialektbestimmung auf den übrigen text nicht
verzichten, hiebei ergibt sich aber die frage: wie haben sich
die beiden abschreiber ihrer vorläge gegenüber verhalten? in
diesem ihrem verhalten können wir einige charaktei istische
unterschiede feststellen, wenn wir die zahl und ait der offen-
sichtlichen fehler vergleichen, die ihnen beim abschreiben unter-
gelaufen sind, so ergibt sich folgendes, der erste Schreiber
schrieb vn 1 dich loben statt loben dich, sonst können wir keinen
fehler feststellen, gröfser ist ihre zahl beim zweiten : B vinariü
statt vinariä, C rex ausgelassen und übergeschrieben; ii 2 vn
ausgelassen und übergeschrieben: in 15 scheint ein fälschlich
geschriebener wortanfang getilgt zu sein, iii 22 siget für siget;
in 28 mih fälschlich geschrieben und ausgestrichen; bei D und
E sind die Spielanweisungen zusammengeschrieben; von vii die
letzten 5 verse ausgelassen (jedesfalls noch mehr; vni 1 hast
ausgelassen und übergeschrieben ; H corouauit für coronauit, eun
für eum, vri für eius oder sui; vor ix ist ein teil der spielan-
weisung ausgelassen und auf der andern seite nachgetragen; vor
X ist der anfang des deutschen textes zuerst versehentlich
falsch geschrieben; x 15 hrünne also mit S n geschrieben;
X 17 (Z^ ausgelassen und übergeschrieben; 0. {dextera)mea 8ta,tt
illius, mea ist ausgestrichen und illius dahintergeschrieben, der
Schreiber hat also seinen fehler gleich gemerkt, xi 1 i'hm für
irl'm, XI 10 in zese^ve das mittlere e übergeschrieben (m 21
steht zesewe richtig); xn 6 zuerst ivolk statt volk, nachträglich
verbessert, vielleicht sind auch noch hieher zu ziehen vrindin
(u 1) und leip für liep (xn 4). aufserdem sind am rande neben
rx und xn spuren roter schrift sichtbar, die ebenfalls auf an-
fängliche auslassungen hindeuten.
Das wären also jedesfalls 20 fehler, die dem zweiten abschreiber
zur last fallen; dazu kämen vielleicht noch vier, da ihm nun
ungefähr sieben achtel des uns vorliegenden textes gehören, so
dürften wir bei gleicher genauigkeit der beiden abschreiber nur
etwa 7 fehler bei ihm erwarten, wir finden aber bedeutend
mehr, die freilich meist nachträglich, teilweise sofort, verbessert
16 HEYM
sind; es ergibt sich demnach, dass auch der zweite Schreiber genauig-
keit beim abschreiben erstrebte, dass er aber öfter, entweder
seiner vorläge vorauseilend oder eigner combination folgend, sich
versehen zu schulden kommen liefs, während der erste sich ängst-
licher an seine vorläge hielt.
Was nun die abweichungen in der Orthographie betrifft, so
sind vor allem zu beachten die Schreibung des harten gutturalen
Spiranten im auslaut und die anwendung des -i in nachsilben.
wie schon oben erwähnt, schreibt der erste Schreiber stets -ch,
der zweite am anfang zweimal -ch, sonst immer -h. charakte-
ristisch hiebei ist. dass er auch inih schreibt an der stelle, wo
er es fälschlich setzt und nachher wider ausstreicht (in 28); es
lag also vermutlich in seiner gewohnheit. diesen laut mit h zu
bezeichnen, da aber der erste Schreiber immer, der zweite
wenigstens zweimal am anfange, wo er seiner vorläge noch ge-
nauer folgte, ch setzt, so dürfen wir annehmen, dass ch in der
vorläge stand.
In den bildungssilben mit unbetontem e schreibt der erste
Schreiber immer e, nur einmal finden wir das enklitisch an sold{e)
angelehnte es mit i geschrieben, anders ist es beim zweiten
Schreiber, er hat zwar auch meist e; es finden sich aber mit i
folgende formen: minnin in 27, gesfrikin v 7, angelikin ix 6,
komin xn 3, dazu tuginde n 9 (dem stehn 49 -en gegenüber);
krenkint iii 28, hezeikint x 14 (4 mal -ent); konegis m 13
(5 mal -es); mikll xn 13 (Imal -el)] gelikit n 5, erhoehit
n 8, verwundit m 27, rekit ni 29, hovhit in 29, verwundit
V 6, geminnit v 12, gefovfif x 16 (2 mal -et), im ganzen
haben wir also 17 mal i; das ist ein bedeutend gröfserer procent-
satz als beim ersten Schreiber; besonders aber fällt die häufig-
keit von -i^ gegenüber -e^ auf. auch hier deuten die tatsachen da-
rauf hin, dass in der vorläge e in den unbetonten bildungssilben
stand, demgegenüber waren jedesfalls beide Schreiber gewohnt,
i abwechselnd mit e zu gebrauchen, der zweite hauptsächlich in
der Silbe -et. ebenso wie im oben behandelten falle folgte er
seiner schreibgewohnheit in solchen dingen, bei denen es auf die
form weniger ankam; der erste dagegen schrieb treuer ab.
Unter diesen umständen werden wir wol nicht fehl gehn,
wenn wir folgendes feststellen: der erste Schreiber war, wie schon
seine schrift zeigt, weniger gewant als der zweite, hielt sich aber
MARIEN HIMMELFAHRT 17
mit ziemlicher genauig-keit an seine vorlag-e. der zweite war ge-
wanter; er folgte in dingen die ihm unwichtig schienen, seiner
Schreibgewohnheit, übersprang anch öfter worte oder ganze sätze
indem seine gedanken seiner feder vorauseilten, war aber, wie
die zahlreichen Verbesserungen beweisen, bestrebt, ebenfalls das
original getreu widerzugeben, es ist also anzunehmen, dass in
den fällen in denen beide Schreiber übereinstimmen, die abschrift
der vorläge entspricht; wo sie abweichen, kommt dagegen dem
ersten Schreiber die gröfsere glaub Würdigkeit zu.
Der vocalismus weist nun in alemannisches Sprachgebiet,
einerseits sind i,n und iu nicht diphthongiert, anderseits sind ie
und uo als diphthonge erhalten, ebensowenig findet sich der um-
laut von uo als monophthong. statt iu erscheint freilich im nom.
sg. fem. oder n. acc. pl. ntr. disv rede rv 13, dinv kint xii 11,
aber dem gegenüber steht 7 mal v^ davon 2 mal beim ersten
Schreiber, anderseits treffen wir die form sv (n. pl. m.) xi 6 ;
vermutlich wüste der Schreiber mit der ihm fremden endung
nicht recht bescheid und machte deshalb beim abschreiben fehler;
in der vorläge wird wol meist iu anzunehmen sein, was eben-
falls nach Alemannien weisen würde, die Schreibung genizen
IX 7 neben zahlreichen ie dürfte wol auch eine entgleisung des
zweiten Schreibers sein, andernfalls würde sie nach Mitteldeutsch-
land weisen, umgekehrt schreibt derselbe iv 8 icierovch. als
parallele hiezu kauu ich aufser den bei Weinhold, AI. gr. § 63
102 und 135 angegebenen beispielen noch anführen: S. Trudperter
H-lied 40. z. 17 ivierovche, während s. 56, 21 weirouch u. sf
56, 26 wirouch steht.
Das w^ort "freund" erscheint beim ersten Schreiber als vrvn
(vii 1 3), ■ der zweite hat vn 18 den genetiv, doch ist gerade
hier nicht zu ermitteln, ob über dem v ein ' gestanden hat, da
der buchstabe stark verwischt ist, sonst finden wir bei ihm die
form frundinne (v 1 ) und vrindin n 1 ; wir können also auch
hier wider ein schwanken in der Schreibung feststellen, frun-
dinne ist die gewöhnlichste md. form, vrindin kann ein Schreib-
fehler sein, dann würde es vielleicht auf iu in der vorläge hin-
weisen, jedesfalls dürfen wir in der vorläge iu in diesem worte
voraussetzen.
Der Umlaut ist nicht ganz regelmäfsig graphisch ausgedrückt.
a ) e. beim ersten Schreiber finden sich nur die umgelauteten
Z. F. D. A. LH. N. F. XL. 2
18 HEYM
formen, der zweite hat auch meist den umlaut. unter andern auch
die nid. häutige form erbeit, daneben auch ein unumg:elautetes
beispiel, nämlich apheln (d. pl.). vielleicht hat hier ebenfalls e in der
vorläge gestanden, doch ist die form auch im alemannischen
immerhin möglich.
0 ) ö, der umlaut kommt nicht vor. es linden sich folgende
formen, die mhd. auch schon umgelautetes o haben: toläere ni2\,
tohteran xi 1. (jotUchen vi 14; davon gehören die beiden ersten
dem zweiten, die letzte dem ersten Schreiber, ein kriterium für
die herkunft des Stücks lässt sich jedoch hieraus nicht gewinnen.
u ) ü. der umlaut von u findet sich in unserm fragment
8 mal: huhsch n 1, ivr snne ni 10, hfinifi in 15. iv 1, käniginne
V 2, hüscheUin iv 9, jüdescheit vn 7. nicht umgelautete formen
sind die folgenden: vnr m 20, im selben stück steht mt, s. oben
wwrc?esf (2. p. s. conj. praet.), hrusfeu : gelüsten iv 11. auch hieraus
können wir nichts für den dialekt entnehmen.
ä ) ce. dieser umlaut ist vollständig durchgeführt, wird
aber nicht von dem umlaut des a unterschieden, sondern conse-
quent e geschrieben.
0 ) (B. wie die reime thron : schon und erloste : roste (d. sg.)
beweisen, gehört hier das fehlen des umlautes schon der vor-
läge an. aulserdem kommen noch 2 mal die formen schon vor
n 3, V 4, ferner loste v 16, während sonst n S erhöhit, ix
12 u. 13 löste und löse steht, der normale reim loste: röste kommt
auch bei Hartmann vor, Iw. 7871, loste überhaupt im reim
1 1 mal. auch schon ist häufig.
ü ) iu kommt nicht vor.
QU ) öu. das wort 'freude' finden w'ir 3 mal mit unum-
gelautetem vocal: n 3, m 32, x 13. das ist sowol alem. wie md.
möglich.
uo ) üe. HO wird regelmälsig durch v (») ausgedrückt ; nur
in vlnch vn 1 0 beim ersten Schreiber steht u mit einem zeichen,
das einem circumflex ähnelt, es sieht nicht aus, als ob etwa
der untere teil eines o ver-svischt und nur der obere übrig ge-
blieben sei. sollte es langes u bedeuten, so würde es wol ein
Irrtum des md. Schreibers sein, dier umlaut von v ist durch v
ausgedrückt in svzen, m 20, iv 2, iv 7 sv vn 17, eitzekda.-
gegen finden wir svzekeit m 11, wren x 5, vlrtte in, 15, alle
diese formen beim zweiten Schreiber, der erste bietet den reim
MARIEN HIMMELFAHRT 19
gi-tc: yemvte vi 9:10. der reim ist -sicher als reiu zu
betrachten, und es ligt bei dem einen reinnvorte ein Irrtum des
Schreibers vor. die ganze Sachlage zeigt, dass in der gewöhnung
der Schreiber der umlaut nicht scharf von dem unumgelauteten
vocal geschieden wurde, das ist vorwiegend md. eigentümlichkeit;
die vorläge enthielt jedenfalls den umlaut, und die unumgelauteten
formen sind auf rechnung der md. Schreiber zu setzen.
Auf dem gebiete des vocalismus mag noch folgendes er-
wähnt werden, es finden sich nur die formen sol und soJt, und
zwar bei beiden Schreibern, niemals sal und sali, wie das wort
in md. mundarten meist lautet.
Was die vocale der endsilben betrifft, so ist oben schon
hingewiesen auf die anwendung von i für tonloses e. besonders
häufig ist dies im md., wenn es auch im alemannischen durchaus
nicht fehlt, vgl. Weinhold AI. gr. § 22 u. 145. beim ersten
Schreiber finden wir nur einmal -is {-es in der enklise), der
zweite Schreiber hat 15 mal i; charakteristisch ist, dass er 2 mal
int schreibt, aber nicht in der zweiten pers. plur., die immer
ent lautet, das weist im verein mit dem verhalten des ersten
Schreibers darauf hin, dass in der vorläge e stand und dass i in
der Schreibgewohnheit der beiden md. Schreiber seine erklärung
findet.
Die formen zellun und toliteran sind ebd.. vgl. AI. gr.
§ 408 und 409.
Secundärvocale finden wir 4 mal: 2 mal zeseioe; davon ist
einmal das mittlere e ausgelassen und dann darübergeschrieben,
das zeigt deutlich, dass es in der vorläge gestanden hat. ferner
steht tvwank xii 10 und zewifel vii 12. (vielleicht käme noch
vuruht ni 7 in betracht, wenn es sich hier nicht um einen
schreib- oder lesefehler handelt.) die verhältnismäfsige häufig-
keit der secundärvocale weist auf Oberdeutschland hin.
Consonanten. auch hier geb ich nur das was nach
irgend einer richtung hin auffällt.
n am wortende statt m ist im alemannischen häufig (Whd.
Mhd. gr. § 215, AI. gr. § 172 und 203); in unserm fragment
begegnen wir dem reim Jerusalem : sen xi 1:2, ferner im text
arn i 4.
Das n der inf.-endung -en ist überall wol erhalten, während
es im md. (thür. ostfränk.) leicht verschwindet.
20 HEYM
vih ist erhalten und nicht wie im rad. in iiini übergegangen.
In der gutturalreihe fällt die Verwendung des k für ch (h)
auf. es finden sich folgende formen: gemaket i 1, gellkit ti 5,
sundedike : iciinderlike n 6 : S, geliker m 9, sunderlike in 25,
genirikin v 7, rlkes v 18, rike: getfelikevi,] : 2, versmakt \n 19,
zeiken ix 5, angelikin ix 6. make ix 14, hezeikint x 14, mnkefe
xn (5, wiä:j7 xn 13.
Dazu kommen fruct iii 13 und rec^e xi 6, in denen c an
stelle von k tritt, demgegenüber finden wir ch oder h in fol-
genden formen: tohtere iii 21, doJifer v 18, x 1, 19, tohferan
XI 1. rechte iv 8, rechtekeit vn 8, merjite vu 13, hrechf e vii 14.
vahten ix 8, t;r?</<f in G.
Da beide Schreiber dieses A' schreiben, so dürfte es der vor-
läge angehören, auch das ist eine vorwiegend alemannische
erscheinung; vgl. AI. gr. § 208. ebenso ist alemannisch das c
wie in fruct und rede, die allerdings nur bei dem zweiten
Schreiber vorkommen, interessant ist, dass dieses k auch in eine
silbe eingedrungen ist, in der es gar keine berechtigung hat
nämlich in erbeitzeliken, wo eigentlich g stehn müste. es ist
offenbar durch falsche analogie entstanden, ob es aber dei- vor-
läge oder dem zweiten Schreiber unseres fragments zur last zu
legen ist, lässt sich nicht mit Sicherheit entscheiden.
Über das auslautende ch und h ist schon oben gehandelt
worden, hier wäre nur die form Iah xn 2 (2 p. sg. imper.) nach-
zutragen, die nur alemannisch belegt ist; vgl. AI. gr. s. 191.
Whd. Mhd. gr.2 § 234.
Dentale, anlautend steht in unserm bruchstücke ent-
sprechend dem westgerm. d abwechselnd t und d: tode i 5, tot
V 65, todes xn 10, tot ix 4, tugenden n 7, tuginde u 9, du-
gende x 15, tohtere in 21, tohteran xi 1, dohter v 18, x 1 und
19, ii't in 30, XI 4, tvst ix, 5, tete vi 7 tor xi 4, tor7i iv 5,
tumbe IV 14, getovfit x 16, trunken xn 6, getrank xii 9, teit xn
13. ferner für germ. t in der Verbindung tr truwe m 19, trut
II 4, V 1. in dem lehnworte thron steht th (in 23) und in don
(m 22) d. statt des germ. p steht anlautend meist d, einige-
male jedoch auch t. hieher gehören die öfters widerkehrenden
formen dur, dir, dich, diu usav., der und die übrigen formen
dieses pronomens, dar, do, danne, disv, dagegen betüte iv 13,
tu VIII 2 und tü/vauk xn 10.
MARIEN HIMMELFAHRT 21
In bezug auf iulautendes t und d sind zu erwähnen die
formen santent vi G, waltest vi 13, gegenüber erkundest vi 2,
soldis VII 9 und wolden ix 9.
In der anwendung von t und d herscht also ziemliche Will-
kür, oberdeutsch ist wenigstens im anlaut d entsprechend dem
westgerm. d verhältnismäfsig selten; es würde also diese Will-
kür wider auf md. eigenart des Schreibers hinweisen, sie ist
aber nicht unbedingt beweisend, da auch obd. das gleiche sich
findet, s. AI. gr. § 179, 169 und 180.
germ. t: bei dem zur affricata verschobenen t ist im anlaut
nichts zu bemerken; bei dem im inlaut stehnden t ist nur ge-
sezede mit einfachem consonanteu zu erwähnen.
Das zum Spiranten verschobene germ. t muss im dialekt
des fragments dem germ. s schon sehr ähnlich geklungen haben,
das beweist der reim was (H. p. sg. praet.): gesaz iv 1:2, wäh-
rend sonst regelrecht gereimt wird gesaz: laz m 11:12, groz
: genoz ix 5:6, groz : vioz x 13:14. das zeichen < steht
unterschiedslos für as und az; 17 mal d!< für daz, 1 mal l<
für laz, 1 mal «■< für rvaz (acc. sg.), 7 mal w< für was (praet.)
auch sonst steht auslautend s öfter für z: us ii 2, des (acc. sgV
für daz) iv 14, es (acc. sg.) v 11, soldis (n. sg.?) vn 9, alles
(n. sg.) vn 20, muos ix 4, loeis ix 5, es (n. sg.) xii 7. im in-
laut finden wir meist z richtig verwant, nur einmal steht
ivissen mit ss, iv 1 4, während das wort in v 15 noch richtig
mit zz geschrieben ist. umgekehrt steht je einmal im anlaut
und im inlaut z für s: erheitzeliken v 9, wezen xii 2.
Die vertauschung von s und z gehört offenbar schon der
quelle an, gibt jedoch kein sicheres kriterium für die herkunft
des fragments. reime zwischen auslautendem z und s sind seit
mitte des 1-3 jhs. oberdeutsch zahlreich zu belegen, finden sich
aber auch im mitteldeutschen nicht selten (Whd. AI. gr. § 188;
Whd. Mhd. gr.2 § 204 u. 205).
Als dialektische form kommt in betracht die 2 p. pl. auf
-ent:sigent (imper.) ui 22 und mugent ix 2, als dialektisches
wort die conjuuction ald ix 4 (Whd. Mhd. gr.'-^ § 33 1). beides
weist W'ieder auf Aleraannien hin.
Man darf also das ergebnis dieser Untersuchung dahin zu-
sammenfassen, dass wichtige und entscheidende gründe dafür
sprechen, als den ursprünglichen dialekt der dramatischen dich-
22 HEYM
tung den alemannischen anzunehmen, dagegen können alle
mitteldeutschen eigentümlichkeiten des uns vorliegenden textes
als rückfälle mitteldeutscher Schreiber in ihre schreib-
gewohnheit erklärt werden, daneben verbleiben eine anzahl von
Schreibungen, die sowol obd. wie md. möglich sind, also für die
dialektbestimmung nicht verwendet werden können.
Zum reirageb rauch des vis möcht ich aufser dem schon
oben gesagten noch folgendes bemerken, den reim handhabt
der dichter mit leichtigkeit, wenn auch ohne besondere kunst.
was die häufigkeit der reimvocale betrifft, so fällt mir auf, dass
i weitaus am meisten im reim erscheint, für 86 reimpaare steht
der vocal der reim tragenden silbe fest; hie von haben 24 t, also
ca. 280/0, 12« (ca. 14 Wo), 12 a (ca. 14 0/o), 10 o (11, ßO/o),
9 ei (10, 4 "/o); auf diese 5 vocale entfallen also 78 "0 aller
reime, während der rest sich auf die übrigen verteilt, gar nicht
finden sich e, ie, ö, oe, öti, ü.
Wir haben hier also ein ganz anderes Verhältnis, als zb.
bei Hartm. v. Aue, bei dem die reime mit ä ungefähr doppelt so
häufig vorkommen wie die reime mit I. die häufigkeit des i in
nnserm fragment hat natürlich z. t. ihren grund darin, dass in
der wechselrede des dramas reime auf mir und mich, dir und dich
besonders nahe liegen, diese kommen denn auch im reime auf-
einander vor an folgenden stellen I 3 mich : dich, II 5 : 7 sich :
dich, III 17 mich : dich, VII 1 dich : sich, IX 15 mich : (dich)
VI 1 5 dir : mir, VI 3 mir : dir, VII 1 5 dir : mir, im reime
auf andere worte: X 19 dich : himelrich, VI 3 gir : mir, ferner
unsicher, auf welches wort V 14 .* dih. das sind also von
24 reimen 11 ; es bleiben aber noch immer mehr reime mit i übrig
als mit ä. auch die reime auf i betragen bei Hartm. nur etwas
über ein drittel der zahl derjenigen auf ä; in unserm fragment
sind sie ebenso zahlreich wie diese.
Hiebei ist bemerkenswert, dass das nachgestellte possessivum
mm und dhi ziemlich häufig im reime verwant wird, min 8 mal
(II 1, III 29, IV 10, IV 18, VI 8, VII 6, IX 1, XII 6), din 1 mal
(II 3); sin kommt nicht vor. es schliefsen also mehr als 5"/o
aller verse mit einem dieser worte, während bei den von Zwier-
zina verglichenen dichtem mit einer ausnähme (Rudolf) sich noch
nicht 10/0 findet; auch Rudolf hat nur 1,7 c'/n (s. Zs. 45, 258ff.).
in unserm fragment reimt sogar 1 mal min : din (II 1 : 3), das
MARIEN HIMMELFAHRT 23
ist eine bindung, die von den höfischen dichtem ebenfalls f?e-
mieden oder wenigstens nur zu bestimmten zwecken angewendet
wird, hier ist eine besondere künstlerische absieht nicht erkenn-
bar, anderseits wird die härte des reimes dadurch gemildert, dass
die beiden reimzeilen durch eine anders reimende getrennt werden.
Auch das des reimes wegen nachgestellte untlectierte adject.
findet sich in unserm fragment; es kommt 4 mal vor und zwar
niemals prädicativ gebraucht: zart X 1, schon III 24, groz IX 5
und X 13. wir sehen demnach, dass sich der dichter gerne formel-
hafter Wendungen für den reim bediente (auch äne iriderstnt
I 6 ist eine solche, vgl. Zs. 45, 263), um sich aus der Verlegen-
heit zu helfen, dazu kommt, dass auch der rührende reim recht
häufig verwendet wird: hant : haut IX 13, süezekeit : edelkelt VII 17,
minneklich : lohelich V 3, sunäerlike : wiinderlike II 6 : 8 •, ronch :
ivierouch IV 7. das sind also beinahe 6^/0 aller reime, und
dabei sind noch gar nicht mitgerechnet die reime Jüdcschcit :
rechfekeif VII 7 und menscheheit : irrekeit VII 11, die der dichter
jedesfalls gar nicht mehr als rührende empfand, die aber doch
sonst gemieden werden. Hartmann reimt z. b. ein wort mit der
endsilbe heit nie mit einem gleichartigen'-, sonst ist in den Hart-
maunschen epen das Verhältnis der rührenden reime zur gesamt-
zahl im Erec 1,14 Oq, im Gregor 0,55%, im a. H. 0,46'Vii, im
Iwein 0,37"/,,.
In den eben besprochenen eigentümlichkeiten berührt sich der
dichter unseres fiagments eher mit dem von Milchsack (P. Br.
Beitr. 5, 193) herausgegebenen gedieht 'Unser vrouwen klage'
und zwar hauptsächlich mit den von dem zweiten bearbeiter hin-
zugefügten teilen (hss. G, H, I, K, L u. M). während bei dem
ersten bearbeiter die reime mit ä 21,92 "/o betragen, machen sie
beim zweiten nur 10,84 o/^ aus. dafür sind bei diesem 16,260/o
reime mit l vorhanden und ebensoviel mit i, beim ersten be-
arbeiter nur 12,8 "^Vo und 10,88 0/0, immer noch verhältnismäfsig
viel, das umlauts-e kommt beim zweiten bearbeiter unter 203
verspaaren gar nicht vor, beim ersten allerdings auch selten, näm-
lich unter 828 reimpaaren nur 6 mal. reime mit ei finden sich
' hier scheint allerdings eine absieht vorzuliegen, da auch der erste
bestandteil der beiden worte mitreimt.
- vgl. die ausführungeu Zwierzinas über den rührenden reim,
Zs. 45, 286 ff.
24 HEYM
beim ersten bearbeiter 6,58 '\o) beim zweiten 9,36 »/o, solche mit
6 beim ersten 7,78 **/o, beim zweiten 7,98 "/o- <iie reime auf diese
5 vocale machen also beim ersten bearbeiter 59,96, beim zweiten
61,70% aller reime aus (im fragment 78%). reime auf ö und
iii( kommen bei keinem von beiden vor; der zweite hat ausserdem
keinen auf f. ü und üe; bei beiden bleiben die procentzahlen in
den reimen mit ce, ou, ce, fi, ü, iu und üe unter 1^' o- reime von
d : a kommen beim ersten bearbeiter 14 mal vor (2,24 ^/,j), beim
zweiten 6 mal (2,98 "/(j); nur beim ersten finden sich / ; i (2 mal)
e : q (2 mal), i : ie (1 mal), a : o (1 mal).
Das nachgestellte Personalpronomen min, din, sin findet sich
beim ersten bearbeiter 30 mal = 2,4 oj^, beim zweiten 6 mal. in
nahezu l,5f'/o aller verse. der erste bearbeiter hat 13 rührende
reime, davon 3 auf -keit, außerdem 2 mal -heit : -keif, die der
dichter vermutlich nicht mehr als rührende empfand, der procent-
satz der würklichen rührenden reime ist also 1,04, das sind nicht
überraälsig viele, und die reime auf -keit : -keif nehmen keine be-
vorzugte stelle ein. der zweite bearbeiter hat 6 rührende reime,
darunter 5 mal -keit : -keit, das sind beinahe 3 % aller reime,
dazu kommen noch vier reime von -keit : -heit.
Wir bemerken demnach, dass unser dichter mit dem zweiten
bearbeiter in der reimtechnik mancherlei ähnlichkeiten aufweist,
doch war er noch weniger sorgfältig als dieser; er bemüht sich
zwar, rein zu reimen, legt aber im übrigen kein groCses gewicht
auf abwechslung und auswahl der reime und begnügt sich sehr
oft mit dem nächstliegenden.
III.
Die kirchliche tradition berichtet über den tod und die
himmelfahrt Mariae in den hauptzügen folgendes ^:
Nach der himmelfahrt ihres sohnes lebt Maria in Jerusalem,
über die dauer ihres lebens schwanken die angaben, drei tage
vor ihrem tode erscheint ihr ein engel, der ihr einen palmen
zweig aus dem paradiese bringt und ihr bevorstehndes ende
verkündigt, am tage ihres todes werden alle apostel, die weit
in der weit zerstreut sind, plötzlich bei Maria versammelt;
Johannes erscheint zuerst. Maria bittet sie bei ihr zu wachen
' .s. Tischentlorf, Apocalypses apociyphae, Leipzig 1866.
MAEIEN HIMMELFAHRT 25
und mit ihr zu beten, zur vorher bestimmten zeit kommt Chri-
stus und nimmt die seele seiner mutter in den himniel. in
einigen bearbeitungen geht ein Zwiegespräch zwischen dem
Herrn und Maria voraus, die apostel tragen dann Maria zu
grabe in das tal Josaphat. unterwegs wird der zug von Juden
überfallen, die den leichnam der mutter Christi verbrennen
wollen, einer von ihnen will die bahre oder den leichnam
selbst zur erde werfen, aber er bleibt daran hängen, während
der übrige häufe mit blindheit geschlagen wird (so wenigstens in
der bekanntesten recension, bei Tischendorf: Transitus Mariae
[TM] B, cap. XII [XI cod. Yen.]), er bittet die apostel oder
Petrus allein (T M. B.) um hilfe, bekennt seinen glauben an
Christus und dessen jungfräuliche mutter und wird geheilt, auch
das erblindete volk wird wieder sehend, bis auf einige die im
Unglauben verharren (T M. B.). es erfolgt dann die beisetzung
der leiche. am dritten tage aber erscheint der Herr abermals
und nimmt auch den körper seiner mutter zu sich in den himmel.
Das Amorbacher bruchstück bietet uns die scenen beim tode
der Maria und bei ihrem begräbnis. es treten auf 1. Dominus,
2. Maria," 3. Judaei. 4. Petrus, der einmal angeredet wird, und
andere confessores (s. im ordo vor IX: confessoribus). das sind
dieselben die wir in sämtlichen bearbeitungen dieses gegen-
ständes finden, es kommen ferner hinzu die töchter Syon, die
zwar im ocdo, soweit er sicher lesbar ist, nirgend genannt, aber
im. text verschiedene male angeredet werden: III 21 Darumhe
ir tohtere von syon; H. Egr edimini filie Sion; XI 1 Ir tohte-
ran von Jherusalem. eingeführt sind sie, wenn sie überhaupt
würklich auftraten und die anrede an sie nicht blofs conventioneil
ist, offenbar im anschluss an das Hohelied; mit den 3 Jungfrauen,
die nach T M. A. bei der mutter des Herrn sind, möcht ich sie
nicht zusammenbringen.
Aufserdem aber treten hier ganz abweichend von den sonsti-
gen bearbeitungen noch auf Ecclesia und Synagoga.
In bezug auf den gang der handlung ist nicht alles klar,
da manche stellen des textes und namentlich der lateinische ordo
nicht überall lesbar sind, die handlung setzt ein mit den dem
tode der Maria vorausgehnden scenen. der gröfseren Übersicht-
lichkeit wegen, und weil meines erachtens in der hs. die an-
ordnung erheblich gestört ist, widerhol ich hier den text und
26 HEYM
zwar so, dass ich die entsprechenden lateinischen und deutschen
stellen neben einander setze.
1 . Das bruchstück beginnt mit 6 deutschen versen, zu denen
aber die spielanweisung fehlt, sie lauten:
I. Ist vnser hvs gemaket wol,
daz an ende loern sol,
ze dini herzen [ivil] ich legen mich
vnd vf din am, man ich dvr dich
5. zem tode bereit was ze aller zit
Mit [viell. : vrovden] ane widerstrit.
die Worte gehören offenbar Maria und sind an den Herrn ge-
richtet, denn dieser antw^ortet darauf mit einer anrede an Maria,
(vgl. ordo vor A und II). er hat ihr jedesfalls vorher seine
absieht verkündet, sie aus diesem leben abzurufen und in sein
himmlisches haus zu führen, wo sie nach der seit dem 1 1 jh.
gang und gäbe gewordenen anschauung mit ihm in liebe ver-
bunden als mächtige himmelbeherrscherin thronen soll (vgl. die
entsprechenden stellen in dem Innsbrucker Marienhimmelfahrts-
spiel: Mone Altteutsche Schauspiele nr 1 v. 1473 ff, ferner Konr
V. Heimesfurt v. 445 ff, MH. Zs. 5 v. llOlffu. ö.). Maria ant-
wortet darauf, dass sie bereit sei, ihrem himmlischen bräutigam
in sein haus zu folgen und den irdischen tod zu erleiden, die
Worte
ze dim herzen wil ich legen mich
vnd vf din am ....
beziehen sich m. e. nicht auf die Situation in ihrem zukünftigen
haus, sondern auf die Stellung, die sie zu ihrem abscheiden
einnehmen will; denn es heißt dann vor A^: Dominus assumit
eam super ulnas {iilnam?), und sie stirbt in gremio domini
(ordo vor J).
2. Es folgt dann eine aus A, B, C und II, III, IV
bestehnde scene. der ordo vor A lautet : Dominus assumit
eam super ulnas et amplectitur eam dicens, und vor II steht:
Dominus Marie amplexe adhuc dthnico der Herr
* Zu dem ausdruck .super ulnas vgl. Kelirein Lat. Sequenzeu
iir. 221, 3 n. Daniel Thesaur. hymnologicus V 240, 3:
Senex vero mdens lumen
Susceptum in ulnis Namen
Benedicens iubilat.
MARIEN HIMMELFAHRT 27
nimmt also Maria in seine arme und hält sie darin während
der reden B, C, II, III, IV bis zum anfang der nächsten scene.
vor D steht nämlich Maria dimissa. in seinen werten preist er
mit einer stelle des Hohenliedes die Schönheit seiner geliebten
und deutet in der entsprechenden deutschen stelle die körper-
lichen reize in sittliche Vorzüge um,
A,. Quam pulchra es [et quam II. Wie hübsch du bist,
dec\ora, carissima mea, ein vrindin min,
Maria magt vnd
min vserweltu brat;
in deliciis tuis. wie schon dv bist in den
vrovden dfn,
min liebv muter vnd
mins herzen trut.
stat[ura] tua asimilata est 5. Din geschaft gelikit sich
palme der palme sunderlike,
sus hat du kraß der
tugenden dich
erhöhit iciinderlike.
din tuginde nieman
gezellen mak,
et odo\r oris] tut sicut malo- \0. alsam ein granat
rum granato[rum] guttur tuuni ist din smak,
sicut vinuni optimum. din kele iM als der beste irin:
du solt [iemer bi\ mir sin.
Die deutsche paraphrase hält sich ziemlich eng an den
lat. Wortlaut, nur ist carissima mea weiter ausgeführt;
hinzugefügt sind die begründenden verse 7 und 8 und
V. 12, der, an sich ziemlich inhaltlos, den fehlenden reim-
vers bildet, die von mir vorgenommene ergänzung des letzten
verses ligt sehr nahe, und die zahl der eingefügten buchstaben
tenspricht ungefähr der große der lücke.
B. und III. Von der spielanweisung vor B ist nur lesbar:
M{aria) s . . . und bei III . . . s s . . . (sollte hier vielleicht
Maria filiabus sijon gestanden haben?), die worte sind offenbar
Maria zuzuweisen; nach dem Wortlaut von III sind sie an die
töchter Sion gerichtet; sie bilden aber indirect eine antwort auf
die rede des Herrn.
B. Sicut m\ahis inter ligna III. — — — — —
silvarum, — — — — —
28
HEYM
5.
Sic düectus meua] inter filios.
sub umhra Ulms, [quem] desi-
derabam, sedi: et vox (richtig:
fructus) ilUus dnlcis yutturi meo.
int[ro]duxit nie in cellam,
vinariam, ordinavit in me cari-
tateni.
fulcite me ftorihus, stipate me
malis,
quia amore langueo.
leva eins sub capite meo
et dextera illius amplexabitur
me.
ein vruht. der er hat,
darvndervil der meren{?)gat,
in geliker ivis gezieret ist,
10. vür alle svne min
ihesus krist.
an sinem schalen ih gesaz,
nah im min glrde
vas nit laz;
sin frud sam honegis
svezekeit
icas [mir] in minem
munde bereit.
Ib. do kam der kunig Salomon,
vf sinem hovbete n:as dv krön,
in sin icinzellun vvortte
er mih;
er sptrah: nv ivil ih leren dih,
trvive minne soll du han,
20. ih bin dir liep vur alle man.
dar[iim]be ir tohtere
von syon,
singent wol den svezen don
vnd [zieret d]en ininen thron
mit apheln vnd mit
blvomen schon:
25. so loii'-t V svnderlike Ion,
der iemer ivert uf citaron,
loand ih von minnin
verwvndit bin;
sin minne krenkint
mir den sin.
sin hant vf rekit daz
hovbit min
30. vnd tvot mir siner
helfe schin;
sin z-esetve mih al vmbevat,
in vrovden er mih iemer hat^.
Die deutschen worte schließen sich ebenfalls eng an die
lateinischen an. die ersten 6 verse sind verloren gegangen
' V. 30 ist ein formelhafter vers, der mit geringen Veränderungen
unserem dichter immer wider in die feder fliefst:
IX 2: tvo mir diiier gnaden schin
VI 7: Du tete an mir gnaden schin
auch sonst wird die weudung in der geistlichen dichtung häufig gebraucht.
MARIEN HIMMELFAHRT 29
und auch v. 7 und 8 sind mir nicht ganz verständlich, ordinnrlt
in nie caritatem ist hier in directer rede ausgeführt, hinzugefügt
ist die erwähnung des thrones, ferner v. 22 und v. 25 und 26,
eine Verheißung an die töchter Zion. v. 28, eine widerholung
des gedankens von v. 27, ist des reiraes wegen eingefügt,
ebenso v. 30 und 32.
Die rede Marias enthält einen preis des Herrn und eine
seligpreisung ihrer selbst, wobei sie die töchter Zion auffordert,
sie zum äußeren zeichen ihres glückes zu schmücken, eine selig-
preisung vor dem tode findet sich auch in dem Innsbrucker
Schauspiel von Marien himmelfahrt, bei Mone Altt. schausp. v.
15 12 ff. Maria stirbt nun aber nicht gleich, sondern an dieser
stelle ist ein gespräch zwischen Ecclesia, Synagoga und dem
Herrn eingeschoben, während das gespräch zwischen Maria und
ihrem söhn mit etwas anderem Inhalt auch im Trans. Mar. B,
in d. Vita rhythmica, bei Mone, Konr. v. Heimesfurt und Zs. f. d.
a. 5 sich findet, ist von einem dialog der zweiten art weder
in den quellen noch in den genannten bearbeitungen eine spur,
erst mit VIII wendet sich der Herr wider zu Maria und gewährt
ihr eine bitte, die allerdings in dem uns überlieferten texte fehlt.
C. und IV. Der ordo vor C sagt: ecclesia dielt domino.
vor IV steht die spielan Weisung: ecclesia dielt domino cum esset
rex exponit. hier ist also mit deutlichen werten gesagt, dass
die deutsche Übertragung bestimmt ist, die lateinischen stellen
zu erläutern, denn ^cum esset rex' ist der anfang des verses aus
dem Hohenlied, der unter C der Ecclesia in den mund gelegt
wird. Ecclesia spricht also zum Herrn:
C. Cum esset rex in acubltic IV. Do der kunig in siner
suo, nardus mea dedit odorem wonunge was,
suum. ih V . . Ilk zvo im gesaz,
min [salbe] gab ir
svezen smak,
daz ist der synagoga elnslak.
b.vnz[wmchen?] vnsern
beiden torn
d[a\ was v{elsch]e
gar verkorn.
svozen smak gab min \r]ovch
fasclcnlus mirre dilecfus mens rechte sose mlrreyi vnd
michi; irierovch.
. . Avernsimder . . . bvschellin
30 HEYM
inter nhera mea commorabitur. 10. hin ih . . . ben liebe min
vnd [zicii\schen minen bmsten
u'o . . t er des (jelusten.
loaz disv rede hetute,
des wissen nit tumbe lute.
Die einführung der Ecclesia wie nachher der Synagoga unter-
bricht die eigentliche handlung. was den Inhalt der rede
betriift, so rühmt sich Ecclesia ebenfalls ihrer vertrauten gemein-
schaft mit dem Herrn und preist ihn als ihren geliebten, in der
deutschen stelle nicht ohne höhnischen ausfall (v. 4) gegen die
vom Herrn verschmähte Synagoga. v. 1 u. 3 entsprechen dem
lateinischen, v. 2 ist ein eingeschobener vers, der die Situation
weiter ausmalt, v. 4 ist der oben erwähnte zusatz; ebenso
sind V. 5 u. 6 Zusätze, v. 7 — 12 entsprechen jedesfalls dem
lateinischen text, doch läßt sich wegen ihrer unvollständigen
erhaltung nichts genaueres sagen, v. 13 u. 14 bilden einen
merkwürdigen zusatz, in dem der Verfasser darauf hinweist
daß die ganze stelle als allegorie verstanden werden wolle,
wozu freilich nur leute mit theologischer bildung befähigt seien.
3. D. E. V. VI.
D u. E sind von dem Schreiber ohne Unterbrechung durch
eine spielanweisung geschrieben, doch ist der anfang von E
durch einen roten anfangsbuchstaben gekennzeichnet, auch die
beiden Spielanweisungen stehn ungetrennt vor D. vor der
zweiten finden sich ebenso wie vor der zweiten hälfte des textes
als zeichen der Zusammengehörigkeit zwei rote parallele schräge
striche. D u. V sind worte des Herrn, gerichtet an Ecclesia.
der ordo vor D ist ausführlicher: dominus amplectitur ecclesiam
Maria diniissa; im zweiten heißt es bloß: dominus ecclesiae
die gruppe schließt sich ganz eng an die vorhergehnde an; die
Worte des Herrn bilden eine antwort auf die letzte rede der
Ecclesia. er versichert sie seiner liebe, die deutsche Umschreibung
zeigt hier, wie nachher öfter, sehr die neigung auszumalen.
D. [vgl. nachher: soror mea V. frovwe, min trut frundinne,
sponsa.] swester vnde kvniginne,
so seiden rih, so minneklih,
so schon, so gvot, so lohelih,
Vulnerasti cor meum, soror 5. sih, von diner minne
mea sponsa, verwundit sint min sinne;
ih han dir vil gestrikin nah,
MARIEN HIMMELFAHRT
31
xmlnerasti cor meum.
mir icas her nah dir
so gah,
daz ih mit erbeit
zeliken sitten
10. vil kumhers han dur
dih erlitten,
dv solt es w[oI] sehen an,
wie gar ich dih
[ge)n\innit han.
. . . dur di . . . [24 buchst.]
. . . daz sih dur dih
15, dv solt lüizzen daz min tot
[dih] loste von der helle not.
dv solt mit mir erbe sin
mines rikes, dohter min.
In der deutsclien stelle ist also die anrede erweitert und
vorangestellt; vulnerasti cor meum ist frei widergegeben, hinzu-
gefügt ist die erwähnung der arbeit und der leiden, die der
Herr für die Ecclesia auf sich nehmen mußte, ferner sein tod
und dessen bedeutung für die christliche menschheit. E u. VI
gehören der Ecclesia; die worte sind an den Herrn gerichtet,
die Spielanweisung vor E heißt: ecclesia respondet, die vor VI:
ecclesia dielt domino.
E.
In caritate x)erpetua dilexisti
nie: ideo attraxisti me, misertus
mei.
VI. herre d[v b]ist milt
vnd gnaden ri[ke],
dv erkandest gettelike '
min geben vnd min gir
vnd gebe dih zu
erkennenne mir.
5. hie von in dinen minnen
begvnd ich sere brinnen.
du tete an mir gnaden schin;
du santest an daz herze min
dines heiligen geistes gute,
10. da von wirt min gemvete
von tugenden alse gemeit
vnd rieh mit so
manger selikeit,
daz dv mich woldest minnen
mit dinen gotlichen sinnen.
^ die form gettelike könnte immerhin für f/oteliche stehn, aber es
■wird sich hier doch um das bei Lexer i 943 und ausführlich im DWB.
IV, 1 a, 1490 s V. gütlich behandelte wort handeln.
32
HEYM
auch diese grnppe
F und VII sind
eccJesia erigit se
\b.ahe hast dv mich
gewunnen dir:
dv solt dich selben geben tnir.
Die übertrag'ung ins deutsche ist wider erweitert und sehr
frei. V. 1 — 4 sind hinzug-efügt {min geben und min gir = die
liebe, die ich dir gebe, meine hingäbe und meine Sehnsucht nach
dir), als beweis der liebe des Herrn für die Ecclesia wird
angeführt die sendung des heiligen geistes. v. 10 — 16 sind
ebenfalls hinzugefügt; Ecclesia preist die würkungen des heiligen
geistes und schließt mit der bitte um vollständige gemeinschaft
mit dem Herrn.
4. F. G. VII. VIII oder X.
Als neue person tritt die Synagoga auf.
schließt sich eng an die vorhergehnde an.
Worte der Synagoga ; der ordo vor F lautet :
et venit synagoga ad pedes domini flexis genibiis; vor VII steht
Synagoga. hatte vorher Ecclesia höhnisch über die Zurücksetzung
der Synagoga ihr gegenüber gesprochen, so kommt jetzt diese
und erinnert in klagendem tone an die alten Versprechungen
des Herrn.
F. VII. herre, alle geschaft
suhl loben dich
vnd dir ze dienste
geben sich,
wan du bist ir schephere;
du got an ane[ge]nge
ie icere.
5. herre, du solt gemant sin,
wie dich erete dv
jniUer min.
. . . ir e dv jvdescheit
nach diner gesezede
recMekeit
. . . soldis aber svgen
ir brvst
10. vluch der kristenheit akvst.
. . . gent . . diner
menscheheit
ich zewifel an der irrekeit,
ah mech\te i\ch einen
vrvnt gewinnen,
der mich der umrheit
brechte innen
Quis micki det te fratrem
sugentem ubera mafris mee,
MARIEN HIMMELFAHRT 33
15. V7id mich orch f/ehrJ'lete dir,
daz du genedeg
icurdest \mir\
et ut osculer te, vnd mir dins küssen
fiuzekeit
gebest ?nit des vr[v]ndes
edelkeit.
ne quisquam me despiciat. herre (viell. statt here)
ich gar versmakt hiv^
daz irer danne alles dahin.
Die Übertragung ist hier ganz frei und sehr erweitert, der
dichter hat eigentlich nur die begriffe sugere, uhera, mater,
osndari und despicere herausgegriffen und zueinander in
beziehung gesetzt. Synagoga verspricht zunächst dem Herrn
als dem schöpfer aller dinge lob und gehorsam ; dann mahnt sie
ihn an die alte e (hier sind verschiedene stellen des textes
unlesbar, und der sinn der verse 7 — 12 ist mir dunkel); sie
wirft der Christenheit akust vor. zuletzt betont sie, dass sie
ebenfalls nach der Wahrheit strebe und das wohlwollen des
Herrn widergewinnen wolle.
G. Der ordo vor G heißt: dominus amplectitur synagogam
et dicit sihi. die fassung der spielanweisung wie die folgende
lateinische stelle lassen meines erachtens nur die deutung zu, dass
der Herr geneigt ist, Synagoga seine gnade zu schenken ; er
erkennt ihr verhalten an (ortus occlusus es, fons signatus), nennt
sie mit zärtlichen namen {soror mea sponsa, amica mea) und
fordert sie auf, sich wider zu ihm zu wenden (siirge, propera,
amica mea).
Wo ist aber die entsprechende deutsche stelle? VIII, das
im texte des bruchstücks auf VII folgt und also eigentlich die
Übertragung von G darstellen müste, kann es nicht sein; denn
erstens steht darüber: dominus Mariae. und zweitens spricht,
selbst wenn man im ordo einen Irrtum des Schreibers annehmen
wollte, auch der Inhalt dagegen, die anrede •muoter' passt nicht
auf die Synagoga, wol aber auf Maria, ferner wäre hier
eine vollständige umkehrung des sonstigen Verhältnisses zwischen
deutschem und lateinischem text festzustellen: der deutsche, der
sonst dem in seinen beziehungen vielfach schwer verständlichen
lateinischen erst fleisch und blut gibt, wäre hier kürzer und
inhaltsleerer als dieser, wir müssen also annehmen, dass etwas
ausgefallen ist.
Z. F. D. A. LIII. N. F. XL. 3
34 HEYM
Mit V. 15 von VII bricht der erste Schreiber ab, der zweite
beginnt mit dem ordo zu VIII, hat aber dann die verse
in — 20 von VII am unteren raude nachgetragen, dass es sich
nicht um eine Interpolation handelt, sieht man daraus, dass oben
im fortlaufenden text der reimvers zu v. 15 fehlt, es war also
sicher etwas ausgelassen worden; und als der schreiber das
nachher merkte, hat er den n achtrag- am unteren rande der seite
gemacht; es fragt sich nur, ob er auch alles nachgetragen hat
was er ausgelassen hatte, oder ob er dies aus mangel an räum
nicht konnte, es ligt nahe, die auslassung auf folgende weise
zu erklären. die nächste Spielanweisung tieng jedesfalls mit
dominus an, da doch der Herr eine antwort auf die rede der
Synagoga geben muß und im lateinischen text auch gibt, die
Spielanweisung vor VIII beginnt aber ebenfalls mit dominus;
der Schreiber könnte also von der fehlenden zu dieser über
gesprungen sein, doch ist es möglich, dass die sache hier anders
zusammenhängt, die eben erwähnte erklärung würde voraus-
setzen, dass in der vorläge VIII in der nähe von VII gestanden
habe, es scheint aber nicht bloß eine rede zu fehlen, da
nämlich nicht anzunehmen ist, dass zweimal hintereinander
Worte des Herrn gestanden haben, und da außerdem die
gewährenden worte des Herrn in VIII bittende der Maria
voraussetzen, so müssen wir daraus schließen, dass außer
den 5 versen von VII noch mindestens 2 reden fehlen, von
denen die erste dem Herrn, die zweite Maria zuzuweisen sein
wird, haben sich, wie zu vermuten ist, auch hier lateinische
gesänge und deutsche reden entsprochen, so erhöht sich die zahl
auf mindestens 4. es will mir nun erscheinen, als ob das
fehlende auf seite 4 unseres fragmentes nachgetragen wäre,
allerdings ohne ein zeichen, so dass man es äußerlich nicht als
nachtrag anerkennen kann, dabei nimmt der nachtrag mindestens
die letzten 5 sechstel der seite ein und geht auch hier noch
nicht zu ende, denn es fehlt immer noch zum wenigsten eine
deutsche Umschreibung der mit Q u. R bezeichneten verse aus
dem Hohenlied und die vor VIII vorauszusetzenden bittenden
Worte der Maria, das ausgelassene stück würde dann erheblich
mehr als eine seite unseres bruchstücks betragen, da nun hier
auf einer seite recht viel zusammengedrängt ist, so ist es nicht
ausgeschlossen, dass es in der vorläge gerade 2 selten ausge-
MAFvIEN HIMMELFAHRT 35
macht hat, und dass die auslassung durch überschlagen dieser
2 Seiten zu ei'klären ist.
Die G entsprechende deutsche paraphrase scheint mir
nämlich in X zu suchen zu sein. X steht offenbar nicht au
seinem platz, während die vorhergehnde rede IX worte des
Juden enthält, der den angriff auf den leichnam der Gottesmutter
gemacht hat — er bittet den apostel Petrus um gnade — , so
antwortet in X nicht Petrus, wie man erwarten sollte, wenn der
Zusammenhang nicht gestört wäre, sondern der Herr, und die
rede hat weder beziehung auf den bittenden Juden — sie beginnt
vielmehr: Liebv dohter vnd sicester zart — noch auch auf den
inhalt seiner bitte, mit G aber stimmt X übereiu erstens darin,
dass es worte des Herrn sind, gerichtet an die Synagoga (der
ordo heißt: dominus sy7iag[ogae]); zweitens finden wir auch im
Wortlaut starke anklänge an den lateinischen gesang, und zwar
in ganz ähnlicher weise, wie bei F u. VII; es sind nämlich die
hauptbegriffe des lateinischen textes herausgegriffen und in
beziehung zueinander gesetzt, ohne dass diese beziehung dem
sinne des lateinischen Spruches genau entspräche, diese haupt-
begriffe sind 'soror mea\ 'ortus' (vermutlich auch 'occIusks', doch
sind hier die deutschen verse nur zum geringsten teile lesbar),
'/bns signatus' ; während 'surge, propera, amica mea' dem v. 1 9
genauer entspricht.
Wie es kam, dass VII u. X den lateinischen gesängen so
wenig entsprechen, ist leicht zu erklären; die stellen des Hohen-
liedes paßten eben schlecht auf die Synagoga und musten um-
gedeutet werden, was natürlich nicht ohne gezwungene Wendungen
abgehn konnte.
G. Ortiis oclusus es, soror X. Liebv dohter vnd
mea sponsa, swester zart,
[ih wil dih vüren
iti] niinen gart,
ob dv dih icilt bekeren,
ih wil din [ere] meren
ortiis oclusus, 5. in minen garten [wil ih]
dih vüren,
Den han . . .
. . [im niht (jesch]nden mag
.... ndl . . .
36 HEYM
10.
[vnd ein brunne ist
flar in\ne,
von dem mugen dine sinne
(jeicinncn ewig vrovde groz.
bezeikint han des
fons signatus, brunnen vloz;
\h.solik dvgende der
brunne birf
swer dar inne getovfit wirt
daz der tcirt gar reine,
vri vor allem meine,
kum ze mir, dohter,
surge, propera, amica mea. bekere dih,
20. 60 gib ih dir daz himelrih.
Die erste hälfte des lateinischen gesanges=C. c. iv 12 wird
sonst häutig auf Maria angewant, auf die der text im hinblick
auf ihre ewige jungfrauschaft auch gut paßt; hier auf die
Synagoga bezogen, erscheint er auffallend, die deutsche Über-
tragung deutet denn auch den lateinischen text um. in der
anrede stimmt zwar swester mit soror überein, dohter aber nicht
mit sponsa. dann ist hier nicht Synagoga der 'ortiis occlusus.
oder der ^fons signatus', sondern sie soll in den garten (das
himmelreich) geführt werden, falls sie sich bekehrt und sich im
brunnen der göttlichen gnade taufen läßt.
5. Es schließen sich dem sinne nach unmittelbar an 0, P,
XI und XII.
0 sind w'orte der S^magoga, ebenso XI; auch sie können
in keine beziehung zu den bittenden worten des Juden (in IX)
gesetzt werden ; die scene zwischen Dominus und Synagoga
wird vielmehr fortgesponuen.
Vor 0 steht nur Synagoga. an w'eu die werte gerichtet
sind, ist also nicht erkennbar; vor XI steht synagoga d' dno.
d' ist hier offenbar nicht abkürzung für dicit, sondern für de,
ebenso nachher vor P u. XII. denn die worte sind nicht an
den Kerrn gerichtet, sondern in 0 wird von ihm in der dritten
person geredet, und in XI werden die tohteran von Jerusalem
angeredet; sie handeln aber von dem Herrn, ebenso ist P u.
XII, wo beidemal die spielanweisung lautet: dns eccl'ie d' synagg.,
nicht an die Synagoga gerichtet, sondern an die Ecclesia, was
ja hier auch durch den dativ ecclesiae zum ausdruck gebracht
wird; die worte reden aber von der Synagoga.
MARIEN HIMMELFAHRT
37
Leua eins suh capite meo
et dcxtera illius amplexabitiir
me.
0. XI. Ir tohteran von ierusalem,
ir mngent alle nu wol sen,
(laz (jot ist milt vnd
dahi gvot;
sin gnailen tor er vf tvot
5. sundern die sih im ergebent,
ob SV dar nah in
rede lebent.
sin genade sint mir
noh vnverseit,
sin hant liet er mir
vndergeleit;
vf genade bin ih
zvozim gegangen,
10, si« zesetve hat niih
vmbevangen.
Auf die gewähriuig verheißende antwort des Herrn folgt
hier eine jubelnde danksagung der Synagoga. v. 1 — 7 sind im
deutschen frei hinzugefügt.
Nunmehr wendet sich der Herr an die Ecclesia, die bisher
schweigend das Zwiegespräch zwischen dem Herrn und der
Svnagoga mit angehört hat, und bittet sie gewissermaßen um
entschuldigung, dass er auch die Sj'nagoga wider zu gnaden
angenommen habe.
P. XII. Vrovive, ein nivoter
der kristenheit,
Iah dir daz nit irezen leit:
min wingarte komin
ist ze mir,
der mir gar leip
was vor dir.
5. nu begonde er aber bern ivin,
der trunken makete
daz volk min,
San daz es min
nit erkennen wil.
sin bitterkeit ist, alse vil,
da ih in allererst getrank,
10. des todes slaf mih
slafen twank,
da mit ih dinv kint erloste
von des [alte7i vin]des roste,
der sinagoga kint
ein mikel teil
wer ....
Vinea mea coram me est.
38 HEYM
Das deutsche ist also sehr erweitert; natürlich, denn es
muss doch das sonst in seiner beziehung unverständliche vi))ea
mea coram nie est verdeutlichen. gerade das was für den
Gedankengang des gespräches zwischen Dominus, Ecclesia und
Synagoga wichtig ist, muste im deutschen unabhängig vom-
lateinischen texte ausgesprochen werden, also namentlich v. l
u. 2. hinzugefügt ist eine begründung dafür, warum der Herr
seine gunst von der Synagoga abgewant habe ' .
6. Es folgen am unteren rande noch etwa 4 zeilen. die
aber so geschwärzt sind, dass außer der nächsten spielanweisung
nur ein paar bruchstücke lesbar bleiben, die spielanweisung vor
Q lautet: ecclesia domino. Q ist entweder Cant. cant. ii 17
entnommen, wo es nach der Vulgata heißt: revertere: similis
esto, dUerte mi, capreae hinulorum cervorum super montes
Bether, oder C. c. vni 14, wo statt revertere: fuge steht, es
ist demnach annzunehmen, dass wir hier die antwort der Ecclesia
auf die letzten worte des Herrn vor uns haben, sie fordert
diesen auf, zu ihr zurückzukehren oder vor der Synagoga zu
fliehen; sie will jedesfalls auch ferner seine liebe allein besitzen
und verspricht ihm für die gewährung ihrer bitte besondere ehre.
Dann ist weiter lesbar: adiuro vos filie. mit diesen worten
beginnen im Hohenlied mehrere verse:
1. C. c. n 7: Adiuro vos, filiae Jerusalem per capreas
et cervas camporum, ne suscitetis neque evigilare faciatis dilectam,
quo ad usque ipsa velit,
oder C. c. vui 4 mit demselben Wortlaut ; nur steht donec
statt quo ad usque.
2. C. c. V 8 : Adiuro vos, filiae Jertisalem, si inveneritis
dilecium nieum, ut nuncietis ei, quia amore langueo.
Es fragt sich, ob das eine fortsetzung der rede der Ecclesia
ist oder eine neue, ist es eine fortsetzung, so müste es der
unter 2 angeführten stelle des Hohenliedes entsprechen, dem
sinne nach würde es recht gut passen. Ecclesia würde dann
auch die töchter Jerusalems auffordern, ihr bei ihrem liebes-
werben um den Herrn beistand zu leisten, hat aber der
• zu V. 14. im reim auf teil hat vielleicht heil gestanden, u. der
Herr hat gesagt, dafs auch ein grofser teil der Juden ihrer seele heil finden
werden, im Transitus Mariae B werden ja nach dem angriff auf die leiche
und nach der sofortigen bestrafung die meisten Juden gläubig.
MARIEN HIMMELFAHRT 39
unter 1 erwähnte vers dagestanden, so können die worte nicht
der Ecclesia angehören, sondern nur dem Herrn, denn es ist
darin von einer "dilecta die rede, am linken rande der hs.
steht aber neben den 3 letzten zeilen mit roter schritt:
nis . . . it
. . . sib
. . . ah US (?)
man könnte daran denken, dass ahus die endung von pliahus sei.
dann würde der ordo gut zu C. c. ii 7 oder vm 4 stimmen,
in welchem sinne freilich dieser vers gedeutet worden sei, um
in den Zusammenhang zu passen, darüber wage ich keine Ver-
mutung, auch ist es nicht sicher, ob die mit roter tinte
geschriebenen bruchstücke von worten wirklich als spielanweisung
zu unserer stelle gehören; ferner ist der anfangsbuchstabe von
adiuro nicht rot, sondern schwarz geschrieben, so dass es mir
wahrscheinlich ist, dass die zuerst geäuJ3erte Vermutung den
Vorzug verdient.
Dies alles (von X bis R) und noch mehr ist also in die
lücke einzusetzen, die nach VII anzunehmen ist. wie weit die
scene noch ausgesponnen war, ist nicht mit Sicherheit festzustellen;
es läßt sieh aber annehmen, dass nicht all zu viel mehr fehlt
und dass das ende dieser scene eine bedingte einigung zwischen
dem Herrn, der Ecclesia und der Synagoga gewesen ist.
7. VIII. H. I. K. L. M. N. IX.
Wenden wir uns nun zurück zu VIII. mit der auf VIII
folgenden lateinischen antiphone H beginnt eine neue phase der
handlung, die uns nunmehr den tod und die bestattung Marias
vorführt, aber auch VIII steht damit im engen Zusammenhang;
schon diese worte sind an Maria gerichtet, zugleich geht aus
der auf VIII folgenden spielanweisung {post hoc Maria surgens
accipiet dominum ad manus et exibunt omnes personae ptraeter
sißiagogam Maria canente) hervor, dass VIII der schluss der
scene gewesen sein muss, in die das gespräch zwischen Dominus
und Synagoga eingeschoben war. während nun bisher jeder
lateinischen stelle — von I u. Q R seh ich hier ab — eine
deutsche entsprochen hat, so ist dies hier nicht der fall, nur
deutsch ist vorhanden VIII; doch kann in der lücke noch die
entsprechende lateinische stelle gestanden haben; dann folgen
nur lateinisch H, I, K, L, M u. N, sowie nur deutsch IX.
40 HEYM
Der ordo vor VIII heißt: dominus Mariae; die rede selbst
umfasst nur 2 verse und enthält die gewährun^ einer bitte, die
Maria an den Herrn gerichtet haben muss. welchen inhalt diese
bitte gehabt haben mag, kann man nur vermuten, im Transitus
Mariae B, c. viii (vii cod. Ven.) spricht Maria unmittelbar vor
ihrem tode ihrem söhn ebenfalls eine bitte aus; hier heißt es:
Tiinc Maria prostravit se in pavimento adorans deum et dixit:
'. . . memor igitur esto mei, rex gloriae . . . suscipe me itaqne
famulam tuam et libera me a potestate tenehrarum, ut nullus
Satanae impetus occurrat mihi nee videam tetros Spiritus
ohviantes viilii'. diese bitte wird allerdings nicht vollständig
gewälirt; Christus w^eist seine mutter darauf hin, dass ihm selbst
der anblick des fürsten der linsternis nicht erspart geblieben
sei; ebensowenig könne ihr dieser anblick erspart bleiben, aber
schaden werde sie nicht davon gewinnen, da er sie schützen
werde, ähnlich ist die sache bei Konr. v. Heimesf. v. 460 ff
und M. H. Zs. 5, v. 1057 ff, im mfr. legendär Zs. f. d. ph. 10,
v. 277 ff. im Innsbrucker spiel findet sich eine ähnliche bitte,
jedoch in einer früheren scene, nämlich in der zwischen dem
erzengel Gabriel und Maria (Mone Altt. schausp. I, v. 1055 ff),
hier ist die bitte an Gabriel gerichtet und tiudet auch nicht
völlige gewährung. dagegen wird in der Breslauer Marien-
himmelfahrt (Zs. 50, V. 172 ff) diese bitte mit den worten gewährt:
v. 25 du allirlipste mutter mein,
allis das du wilJt das sal seyn.
möglicherweise hat also eine solche bitte in der lücke gestanden.
Von hier an schreitet die handlung rasch vorwärts, die
nächste spielanweisung lautet: j^ost hoc Maria surgens accipit
dominum ad manus et exibunt onines personae praeter synagogam
maria canente: 'Egredimlni, fille syon, et \vi\dete regem salomonem
in diademate, quo coronavit eum mater sua in die despovsationis
illius et in die leticie cordis vestri\ diese stelle aus dem Hohen,
lied, von der kirche als antiphone verwant, enthält einen preis
der herlichkeit des Herrn. dann heißt es weiter: j;o.s/ hoc
maria recumhet in gremio domini et cantabit: (I) in pace in
' dieselbe autiphone findet sich auch in den Fragmenta Buraua
(\V. Meyer tafel XII u. XIII. p. 137, no 34). der vors wird ferner sehr
weitläufig commentiert in der 2. bear1)eitung 'Von unser vrouwen klage'.
MARIEN HIMMELFAHRT 41
id ipstim; dormiam et reffuiescam (ich habe den psalmvers
(IV 9) von dem, wie es in liturg-ischen hss. vielfach üblich ist.
nur die anfangsvvorte angegeben sind, vollständig hergesetzt),
sie legt sich also in den schoß des Herrn und will in frieden
schlafen und ausruhen, nach beendigung des gesanges stirbt
sie: quo finifo occumhit et mouetur in feretrum ponetur omnihus
cantantihus. der allgemeine gesang, der nun folgt, ist ein bei
mehreren Marienfesteu gebrauchtes responsorium, das 7 des noch
heute gebräuchlichen Marienofficiums. der vollständige text
lautet : felix namque es, Sacra virgo Maria : et omni laude
dignissima. quia ex te ortus est sol iustitiae, Christus deus
noster. Vers u s. Ora pro populo, interveni pro clero, inter-
cede pro devoto femineo sexu. sentiant omnes tuum iuvamen,
quicumque celehrant tuam sanctam festivitatem. (im Innsbrucker
spiel wird dieses resp. von den engein gesungen, als der Herr
bei Maria erscheint, um ihre seele zu sich zu nehmen.) nachdem
nach dem ordo bereits vor dem gesange des fe^ix namque die
Vorbereitungen zu der bestattung getroffen worden sind —
Maria wird auf die bahre gelegt — , wird sie jetzt herab-
getragen: postea deportahitur. dabei singen alle personen: in
exitu israhel ex egypto. es ist der anfang des 1 1 3 psalraes
(nach der Zählung der vulgata). dieser gesang findet sich bei
derselben gelegenheit bereits im Transitus Mariae B, cap. xi
(x cod. Ven.) und ist daraus in zahlreiche bearbeitungen der
legende übergegangen, i welchen hinweis die worte confer
versiim, die im ordo vor deportahitur stehn, geben sollen, ist
nicht recht zu erkennen, es folgt dann die spielanweisung:
quum importahitur in monasterium (seil, cantetur) : salve nohilis
virga Yesse, dann steht wieder confer versum, und von dem
folgenden text ist nur tunc oder cunc lesbai'. auch salve nohilis
ist jedesfalls ein responsorium, das allerdings heute nicht mehr
gebräuchlich ist. es findet sich aber in der feier in assumptione
s. Mariae in zwei Bamberger antiphonarien (msc. lit. 23, 1 1 jh.
u. msc. lit. 24, 12 jh.), während in den antiphonarien msc.
lit. 22 (12,13 Jh.), 25 (13 jh.) u. 26 (13 jh.) dieses respon-
sorium in der im übrigen ziemlich gleichlautenden assumptions-
' Mone Altt. schausp. vor v. 1624. Konr. v. Heimesfurt v. 578 ff.
Vita rhythmica v. 7342 ff.
42 HEYM
feier fehlt, der text lautet nach msc. lit. 24, bl. 75 a; Rm.
Salue nohilis uirga iesse. scclue fios campi maria. ex te ortum
est lyliiim conualliuw v. Odor tuus super cuncta preciosa
ungenta fauus distillans lahia tua mel et lac sub Ivu/ua tua.
Ex te ortum.
M u. N unseres fragmentes sind also gleich diesem respon-
sorium nebst dem dazugehörigen versus, die von N lesbaren
4 buchstaben werden wol das vierte wort des versus cuncta be-
gonnen haben.
Von der nächsten spielan Weisung ist lesbar: confessoribus
incipientibus et (räum für ca. 7 buchstaben) sii . . . vielleicht
hat dagestanden cätätib^ u'sü. dazu gehört dann ferner die
auf Seite 2 am unteren rande nachgetragene spielauweisung :
ludei venient ad feretrum et unus ex eis vult deicere corpus
Marie, cid adherebit manus feretro; ipse autem petro dicet
während also die bekenner Christi anfangen (vermutlich zu
singen), kommen die Juden, und einer von ihnen will den körper
der Maria herabwerfen, jedoch die band bleibt ihm an der bahre
haften, so dass er sich mit der bitte um hilfe an Petrus wendet:
Pete[r], [lieJjer herjre [mi[u,
[tvoj mir diner gnaden scliin,
[loanj mfirj es stat an der not,
ald ih muos leider geligen tot.
5. ih weis, daz du tuost zeiken groz,
du bist uf erde angelikin genoz;
du solt mih des genizen lan,
do dih die iuden vahten an
vnd dih loolden vahen,
10. mit dime meister hahen,
daz ih dir do helfe bot
vnd dih Iceste von der not,
also loese ovch mir min haut
an der bare vnd make mir ze hant
15. min hant gesunt [und ledege] mih,
[loän ejinifcj ist [mir heil dur dih].
Der sinn dieser stelle ist klar, die bitte ist wie im TM
B cap. XIII (xii cod. Ven.) au Petrus gerichtet, während sich
im TM. A der Jude au alle apostel wendet, auch die berufung
auf seine Verdienste um Petrus, als die magd an der türe des
MARIEN HIMMELFAHRT 43
praetoriums ihn als genossen Jesu bezeichnet hatte, findet sich
im Trans. B (nicht in A). hiemit bricht diese scene ab, die ant-
wort des apostels ist nicht erhalten, wenn die bearbeitung
weiter dem TM. B gefolgt ist, so muss der Jude nach annähme
des Christenglaubens Verzeihung und heilung gefunden haben,
dann wird das begräbnis seinen weitern verlauf genommen haben.
IV.
Man sieht, dass in dem fragment zwei verschiedene hand-
lungen miteinander verschmolzen sind:
1) die bekannte legende von der himmelfahrt Mariae und
2) eine art kampfgespräch zwischen Ecclesia und Syuagoga.
der ersten gehören an I, A, B II, III, VIII, H, J, K, L, M, N, IX, der
zweiten C, IV, D, E, V, VI, F, G, VII, X, 0, P, XI, XII und Q (R ?). hie-
bei fällt auf, dass bei der zweiten handlung ein regehnäßiger
Wechsel von gesungenen lateinischen und gesprochenen deutschen
stellen stattfindet, so dass einer lateinischen allemal eine deutsche
entspricht, nur bei Q läßt sich das nicht mit Sicherheit behaupten?
weil mit diesem gesange das bruchstück schließt, bei der ersten
findet sich allerdings im anfang i) (A, B, II, III) dasselbe Verhält-
nis, allein H, J, K, L, M, N werden nur lateinisch gesungen, und IX
ist ohne lateinische unterläge, woran ligt das? fand der
dichter keine bibelstelle, die er der bitte des Juden zu gründe
legen konnte? das erscheint nicht recht glaublich; eine bitte
um Gottes gnade oder um rettung würde sich doch sicher-
lich gefunden haben , die in ihrem gedanken so gut zu jener
gestimmt hätte, wie etwa F zu VII oder 0 zu XI. oder ist die
lateinische stelle ausgefallen? das würde bei dem zustande
unseres fragments durchaus nicht unmöglicii sein, oder hat aus
einem andern grund von anfang an kein lateinischer gesang an
dieser stelle gestanden? waren ferner H bis N ohne deutsche
Übersetzung? das zu entscheiden scheint mir eher möglich zu
sein, der ausfail dieser deutschen stellen würde nur erklärlich
sein, wenn sie nach N unmittelbar aufeinander gefolgt wären,
dann hätte aber dieganze, gerade hier rasch fortschreitende handlung
noch einmal widerholt werden müssen; Maria hätte noch einmal
sterben, auf die bahre gelegt und zu grabe geti-agen werden
' lu. VIII muss ichmangels der nötigen unterlagen hier bei seite lassen.
4 4 HEYJr
müssen, das ist unmijglich. sieht man schärfer zu, so bemerkt
man überhaupt unterschiede zwischen diesen nur lateinisch ge-
sungenen partieen und den übrigen teilen, abgesehen davon dass
sonst die deutsche Umschreibung einen großem räum einnimmt
als die lateinische grundlage, so entwickelt sicii hier die hand-
lung rasch, dort ist rede und gegenrede lang ausgesponnen, und
die handlung steht fast still; hier haben wir verschiedene demente
der liturgie vor uns, dort außer der Jeremiasstelle nur verse aus dem
Hohenlied; hier werden mit ausnähme von 'egredhnini' ^) nur die
anfangsworte der gesänge angegeben, dort die ganzen bibelstellen.
Ich möchte deshalb vermuten, dass wir es in unserm bruch-
stück mit der bearbeitung eines ursprünglich lateinischen spieles
zu tun haben, dieses lateinische spiel war der liturgie ent-
nommen, worauf ja schon die gesangsnoten hinweisen, und war
für den gottesdienst bestimmt, vielleicht für den in einer kloster-
kirche, vgl. den ausdruck monasterimn. es entsteht nun die
rage: gab es überhaupt solche in lateinischer spräche abgefassto
unmittelbar für den gottesdienst des 1 5 august bestimmte feiern?
eine solche dramatischen Charakters ist mir bisher nicht bekannt;
trotzdem ist die möglichkeit nicht abzuweisen, dass so etwas
existiert hat. das fest 'Mariae himmelfahrt' nimmt unter den
]\Iarienfesten einen hervorragenden platz ein, es heißt in vielen
gegenden der große Marientag. da konnte man leicht auf den
gedanken kommen, wie an den andern festen den gegenständ der
feier durch handlung den gläubigen laien nahe zu bringen, es
ergaben sich dann leicht 3 scenen , die dramatisch dargestellt
werden konnten: 1) das erscheinen der apostel und des Herrn
bei Maria, ihr tod und die auffahrt ihrer seele in den himmel,
2) die grabtragung und 3) die aufnähme auch des körpers in den
himmel. für die dramatische darstellung von scene 1 oder 3
kann ich ein modernes zeugnis beibringen, wie mir herr schul-
rat Eockstroh in Saalfeld mitteilt, hat er selbst in Niederdorf
oder Innichen im Pustertale am 15 august in der kirche eine
solche dramatische feier mit angesehen, bei der die seele der
' ähnlich ist es in der fortsetzung des spiels vou den 3 erscheiuungeu
Christi auf s. 12 u. 13 der Fragmenta Burana. auch hier ist der vers
'efjredimini' ganz augegeben, während von den folgenden antiphonen
aufser bei nr 35 nur die anfangsworte dastehn (W. Meyer, Fragm. Hurana
s. 137).
MARIEN HIMMELFAHRT 45
Gottesmutter sichtbar in den himmel schwebte, begrüßt von dem
chore der engel. es wird schwerlich anzunehmen sein, dass dieser
brauch erst in der neuesten zeit entstanden ist. vielmehr wird
er wol bis auf das mittelalter zurückgehn.
Scene 2 konnte sich sehr wol an eine procession anschließen,
wie sie innerhalb der kirche am assumptionstage hie und da
stattgefunden haben, für die existenz einer solchen procession haBe
ich ein zeugnis des 16 jh. s. nach dem Rituale et Processionale
monasterii s. Michaelis prope Bambergam o. s. Benedicti (Bamberg,
rase. lit. 124 und 126, beide pghss. 16 jh.) fand dort gelegent-
lich der assuniptionsfeier eine procession statt; von wo sie aus-
gieng, ist nicht gesagt, sie begann mit absingung des respon-
soriums: Beata es virgo Maria dei (jenitrix, dann heißt es: in
capella antipliona: virgo 2)ruäentissi}ua (mit einem versus), beim
verlassen der capella wird das responsorium gesungen {exeundo
de capella sequens canitur responsorium): vidi speciosam siciit
columham ascendentem desuper rivos aquarum, an das sich ohne
weiteres der hymnus : 0 gloriosa domina (Wackernagel Kirchenl. I,
nr 81 V. 6 — 8) anschließt, beim eintritt in den chor wird die
antiphone gesungen: Hodie Maria virgo celos ascendif. Auch
dieser kirchliche gebrauch wird älter sein als die hss. in denen
er überliefert ist, und wird sich auch in andern kirchen gefunden
haben, nicht bloß auf dem Michaefsberg in Bamberg '). er selbst
weist keine spur einer dramatischen darstellung auf.
In diesem Zusammenhang möcht ich nun auch einmal die
lateinischen gesänge des Innsbrucker spiels von Mai'ien
himmelfahrt (Mone Altt. schausp., nr I) betrachten, und zwar
nur die des teiles der den tod und die assumptio der Gottes-
1 in einem Graduale des 12 jhs. aus Regensburg (clm 131251
fol. 78 stellt eine kurze assumptionst'eier, übersciirieben : In ass. SCC. 3Iarie
ad processiouem R Vidi sperio~ etr.
Auch in Frankreich fanden, wie aus dem Graduel de l'^glise Cathddrale
deRoueu au Xlllesiecle (facsimileausgabe 1907) hervorgeht, zur assumptions-
feier solche processionen statt, in der vorausgeschickten einleitg. (Etüde
liistorique et liturgique sur le mauuscrit 904 du fouds latin de la biblio-
theque nationale par Henri Loriquet) heilst es bei besprechung der
assumptio: 'Procession apres vepres et apres laudes conime a la puri-
lication. a la messe, procession.de la chässe de Notre-Dame autour de
l'eglise, en sortant de la porte de la Calende. on v chante notamment
l'Inviolata'.
46 HEYM
miitter behandelt (v. 767 — 2513). dabei erkennt man zuerst,
dass diese lat. gesäng-e zumeist der liturgie und zwar dem assump-
tionsofticinm entstammen, ich vergleiche sie hier mit dem Bam-
berger, wie es sich in den früher erwähnten antiphonarien findet,
dabei ist zu bemerken, dass der text der feier in andern kirchen
und kirchensprengeln teilweise ein anderer war, sodass auch
stellen die nicht in dem Bamberger officium vorkommen, trotz-
dem dem Marienofticium entlehnt sein können.
1 . 11)0 rninc. woher das stammt, ist mir unbekannt. Mone
bemerkt dazu: /. n. bezieht sich nicht auf eine bibelstelle, sondern
ist vielleicht der anfang eines kirchentextes oder einer lateinischen
abfassung des Stückes.
2. Anima mea = 4 antiphone des Bamberger assumptions-
officiums (B. 0.)
3. Christi virgo; anfang eines hymnus auf die hl. Katharina;
das passt hier natürlich nicht, doch steht in einem graduale des
12jh. s. aus Eegensburg (clm. 13 125) fol. 22 bei der feier zu
Mariae Verkündigung: Iii clioriim. yoicti uirgo dilectissima
uirüUum operatrix magnifica opem fer miseris sulmeni domina
clamantilms ad te iiigiter. bei dem allgemeinen Inhalt des ge-
sangs könnte dieser auch in einer assumptionsfeier vorkommen.
4. Beati mortui = Apocal. 14, 13, ohne beziehung zur
Marienliturgie; es ist der text über den der apostel Johannes predigt,
als er von dem engel nach Jerusalem zu Maria entrückt wird,
das ist wol erst eingeschoben, als die ganze apostelscene vor
vers 767 an das assumptionsspiel angefügt wurde.
5. Congregaho Uli sanctos eins (nach ps. 49.5). ob eine
beziehung zur Marienliturgie vorhanden ist, weiß ich nicht; die
Veränderung des biblischen congregate mihi in congregaho Uli
weist auf ein responsorium oder eine antiphone hin.
6. Gaude Maria =12 antiphone B. 0.
7. Felix namque es = 3 responsorium des noch heute ge-
bräuchlichen Marienofficiums, in B. 0. nicht vorhanden.
8. Veni electa mea, nach C Marbach Carmina scripturarum :
Ant. 2. ad mat. S. Elisabeth, Reg. Portugalliae, Viduae. V. in R. 1.
Veni Sponsa Christi in Com. Virg. et Mart. (psalm. 44,12).
9. Beatam me dicent omnes == resp. 4ai) B. 0.
MAEIEN HIMMELFx\HRT 47
10. Veni elecfa mea, veni, coronaheris, s. nr 8.
1 1 . Beata es virgo Maria clei genürix = 5 responsorium B. 0.
12. Siirge virgo vel in exitu Israhel de Aegypto. das
erste ist mir unbekannt, das zweite = ps. 113,1.
13. Alma redemptoris, eine marianische antiphone, die zu
verschiedenen festen des kirchenjahres mit wecliselndera text
gesungen wird (Daniel Thes. bymnol. II, s. 318J.
14. Super salutem = 14 antiph. B. ()., oder = 10 resp. ebda.
15. Ornatum cum monililms {ornatum wol verschrieben für
ornatam) = 8 respons. B. 0. {ornatum in monUibiis).
16. Solem iustitiae, mir unbekannt.
17. Siirge propera amica mea = schluss der 5 antiphone
B. 0. und schluss der 3 1 . ant. B. 0.
18. Virgo prudentissima. in B. 0. unbezeichnet. (findet sich
übrigens in den erwähnten processionalien mon. S. Michaelis 0.
S. B. u. als antiphone in clm. 23083 bei der assumptionsfeier.
19. Vidi speciosani = 2 respons. B. 0. (ebenso in den beiden
processionalien).
20. Quae est ista quae processit sicut sol = 4 respons. B. 0.
2 1 . Ista est speciosa inter filias Jherusalem = 9 resp. B. 0.
(8 resp. in der kürzeren fassung.)
22. Quae est ista quae ascendit per desertum =^ versus zum
2 und 4 responsorium B. 0.
23. Quae est ista quae ascendit sicut aurora =21. ant. B. 0.
24. Ista est speciosa inter filias Jerusalem = nr 21.
25. Veni in liortum meuni = C. c. 5,1, in einem antiphonarium
des 13 jhs. (clm. 23083, herkunft unbekannt,) findet sich diese
antiphone beim officium zu Mariae himmelfahrt.
26. Ave regina coelorum. s. Daniel Thes. hymnol. II s. 319,
nr X. D. bemerkt dazu: cantatur post purificationem i. e. a fine
completorii illius diei II febr. incl. etiam quando transfertur
festum purificationis usque ad feriam V in coena domini eccl.
• In msc. lit. 24 nicht bezeichnet; da es aber einen versus hat, ist
es wol für ein responsorium zu halten.
48 HEYM
27. Transite ad me omnes = Ecclesiast. 24, 26, auch als
predigttext über Maria gebraucht (s. Mone Altt. 'seh. s. 182).
nach C Marbach Carmina scripturarum R. 2. immac. conceptionis
B. M. V.
28. Tota piilcra es amica mea = 5 antiphone B. 0.
29. Qiii sunt hi qui ut nubes volant. hymnus de apostolis
et evangelistis (Mone Lat. hymnen II 65, nr 668). dieser
hymnus ist ohne beziehung zur Marienliturgie, doch gilt von ihm
dasselbe was von nr 4 gesagt worden ist.
Von den 29 lat. gesängen sind also die meisten dem Marien-
officium entlehnt, und von diesen findet sich widerum die große
mehrzahl in einem im 12 jh. bei der feier von Mariae hiramel-
fahrt gebrauchten officium, von den stellen die ich aus der
liturgie nicht nachweisen kann, können ebenfalls dem Marien-
officium angehört haben nrr 5. 8 und 10. 12. 16. w^enig wahr-
scheinlich ist dies bei nrr 1. 4 und 29; mit diesen hat es jedoch
seine eigene bewantnis; sie gehörten wahrscheinlieh nicht zum
alten bestand.
Es entsteht nun die frage: würden diese lateinischen gesänge
genügen , um eine dramatische Vorführung der Vorgänge bei
Marien himmelfahrt zu begleiten? das ist sehr wol möglich.
Mai-ia besucht die Stationen der passion ihres sohnes und
singt dazu: iho nunc ... am Schlüsse klagt sie: anima mea
liquefada est, ut düedus locutus est; quesivi et non inveni
illum, uocavi et non respondit mihi, invenerunt me custodes ci-
vitatis, percusserunt me et vulneraverunt me; tulerunt palUum
meuni custodes murorum. filie Jerusalem, nuntiate dilecto, quia
amore langueo. das ist also ein ausdruck ihrer Sehnsucht nach
ihrem söhn und bräutigam. darauf erscheint der engel bei Maria
und begrüßt sie mit dem gesang: Christi virgo . . . dann ver-
sammeln sich die apostel bei. ihr, während der chor singt: con-
gregaho Uli sanctos ejus . . . die apostel begrüßen die Gottes-
mutter mit der antiphone: Gaude Maria uirgo, cunctas hereses
sola interemisti in uniuerso mundo, der Herr kommt vom
himmel mit den engein, und diese (oder der Herr selbst) singen:
felix namque es . . . der Herr ruft Maria: veni electa mea, und
nachdem diese mit einer seligpreisung geantwortet hat (beatam
me dicent omnes generationes , quia fecit michi dominus magna,
qtäa potens est et sanctum nomen eius), widerholt der Herr den
MARIEN HIMMELFAHRT 49
ruf: veni, electa mea, veni, coronaheris. Maria stirbt, der Herr
trägt ihre seele zum himmel und singt: heata virgo Maria dei
genitrix que credidisti domino. 2Jßrfecta sunt in te que dicta sunt
tibi, ecce exaltata es super choros angelorum. {intercede pro nobis
ad dominum ihesum christum.)
Der körper wird auf die bahre gelegt und zu grabe ge-
tragen; hiebei wird gesungen: surge virgo oder in exitu Israhel
de Aegypto, ferner alma redemptoris mater und schließlich super
salutem et omnem pulchritudinem dilecta es a domino. et regina
celorum uocari digna es; gaudent cJiori angelorum consortes et
conciues tui. darauf begräbt man den leichnam und singt dazu:
Ornatam cum monilibus filiam ierusalem dominus concupivit,
et videntes eam filie syon beatissimam predicaverunt dicentes
ungentum effusum nonwi tuum. dann erscheint der Herr beim
grabe und singt: solem justitiae . . . zum schluss heißt er den
körper seiner mutter aufstehn mit den worten: surge propera,
amica mea. Maria steht auf und wird zum himmel emporge-
tragen unter dem gesange der apostel: virgo prudentissima, quo
progredieris (in msc. lit. 124 und 126 que progrederis) quasi aurora
ualderutilans ; filia syon tota formosa et suauis est (124 u. 126: es),
pulcra ut luna, electa ut sol. im' himmel wird sie von den
Chören der engel mit wechselgesängen empfangen, es werden
nacheinander gesungen: 1. vidi speciosam sicut columbam
descendentem desuper riuos aquarum, cuius inestimabilis odor erat
nimis in uestimentis eius, et sicut dies uerni clrcumdabant eam flores
rosarum et lylia convallium. 2. que est ista que processit sicut
sol et formosa tamquam iherusalem; viderunt eam filie syon et
beatam dixerunt, et regine laudauerunt eam. 3. ista est speciosa
inter filias iherusalem, sicut uidistis eam plenam caritate et
dilectione in cubilibus et in ortis aromatum. 4. q^^e est ista que
ascendit per desertum sicut uirgula fumi ex aromatibus mirre et
thuris. 5. que est ista que ascendit sicut aurora consurgens
pulchra ut luna, electa ut sol, terribilis ut castrorum acies ordinata.
6. ista est speciosa = 3.
Darauf führt sie der Herr zu ihrem sitz im himmel mit den
Worten : veni in hortuni nieum, soror mea sponsa, messui mirram
meam cum aromatibus meis (clm. 23083.) dann singen die engel:
Ave regina coelorum, Maria selbst übernimmt ihr neues amt als
fürsprecherin der sünder mit dem gesange: transite ad me omnes,
Z. F. D. A. LH. N. F. XL. ^
50 HEYM
qui concupiscitis me, et a generationibus meis implemini. endlich
schließt der Herr mit der antiphone: tota pulchra es, amica niea,
et macula non est in te; fauus distillans labia tua, mel et lac
suh lingua tua, odor ungentorum tuorum super omnia aromata-
iam enim yenips transiit, imher ahiit et recessit, fiores afpa-
ruerunt: uinee florentes odorem dederunt et nox turturis audita est
in terra nostra. surije, proper a, amica mea, ueni de lybano,
ueni, coronaberis.
Man sieht, die lateinischen gesänge stellen ein vollständiges
spiel dar. das die 3 oben erwähnten scenen enthält, es fehlt
vollkommen der angriff der Juden auf die leiche Marias, er-
innern wir uns daran, daß auch im Amorbacher bruchstück kein
lateinischer gesang auf diesen angriff und seine weitern folgen
sich bezieht, so muss das immerhin auffallen, und es mag mit
als stütze für die Vermutung dienen, dass eben nur jene 3 scenen,
die sich leicht an gottesdienstliche gebrauche anschließen konnten,
sich auch würklich an sie angeschlossen haben.
Vielleicht haben wir noch eine spur eines lateinisch abge-
fassten Marienhiramelfahrtsspieles in den Fragmenta Burana
(Meyer A bei Wilhelm tafel XII und XIII, dazu s. 137.).
auf tafel XII und XIII steht ein aus lauter antiphonen zusammen-
gesetztes spiel von den 3 erscheinungen Christi, dessen schluss
aber gänzlich aus dem Zusammenhang herausfällt, nach der er-
scheinung Jesu vor Thomas heißt es nämlich:
32. Tunc apostoli sinml cantent ymmim : Jesu nostra redemptio etc.
33. Hoc finita producatur niater domini, cum ea duo angeli
portantes sceptra et cum ea Maria Jacobi et Maria Salome:
34. Egredimini et videte, filie syon, regem Salomonem in dija-
demate, quo coronavit cum mater sua in die desponsationis sue et
in die leticie cordis eins, alleluia alleluia.
35. Vox turturis audita est in turribus Jerusalem, veni, amica
mea. surge, aquilo; et veni, auster, perfia ortum meum et fluent
aromata illius.
36. Respondet Maria: Veniat dilectus.
Dominus Commedi.
Mar. Talis est dilectus.
Dominus Tota pulcra.
Dieses Stückchen gibt eine reihe von rätseln auf, zumal
da nrr 33 und 34 noch von derselben hand geschrieben sind, die
MAEIEN HIMMELFAHRT 51
das ganze spiel geschrieben hat, während nrr 35 und 36 von einer
andern, aber wol nicht viel spätem hand geschrieben sind (WMeyer
s, 138). WMeyer meint, das erscheinungsspiel schließe mit nr 32. ist
min nrr 33 — 36 eine unmittelbare fortsetzung des erscheinungs-
spieles? einen befriedigenden Zusammenhang zwischen beiden
kann ich nicht finden, auch der herausgeber hat dasselbe gefühlt
und spricht zuletzt und nur mit großen bedenken die Vermutung
aus, dass Christus hier vielleicht den s. 6(1 besprochenen besuch
bei seiner mutter mache, allerdings findet er, dass die liturgische
ausgestaltuug etwas überschwänglich wäre, wenn also nr 33 — 36
nicht zum erscheinungsspiel gehören, bilden sie dann eine einheit
oder nicht? dem sinne und Zusammenhang nach könnten sie
wol eine einheit bilden. W Meyer meint auch, daß die antiphonen
(nrr 35 und 36) am ehesten zu Marien himmelfahrt passen; sie
finden sich auch im St. Galler antiphonar Hartkers s. 309 und 310,
leider gibt M. nicht an, bei welcher feier, vermutlich aber doch
beim assumptionsofficium. tota puJcra ist außerdem == 5 antiph.
B. 0. und eoDunedi steht in der assumptionsfeier des antiph. Cister-
ciense (a. kl. Langheim) 15 jh. (Bamb. msc. lit. 30). außerdem
ist es eine autiphone im assumptionsofficium des antiphonariums
clm. 23083. (13 jh.). dass die himmelfahrt Mariae ganz außer
Zusammenhang mit dem erscheinungsspiel hier steht, erscheint
freilich sicher, dass sie aber auch nicht zu nr 33 passe, wie
Meyer wil, möcht ich nicht so ohne weiteres zugeben.
Nrr 34 und 35 stehn ohne angäbe der Sprecher, wenn
33 — 36 eine einheit bilden, so ist ganz gewis nr 34 Maria und
nr 35 dem Herrn zuzuweisen, für das erste spricht auch, daß
im Amorbacher bruchstück die antiphone egredimini ebenfalls von
Maria und zwar kurz vor ihrem abscheiden gesungen wird, dann
wäre es doch nicht unmöglich, daß nr 33 die spielanweisung
zu nrr 34 sein soll.
Könnte sich die handlung nicht so entwickelt haben? der
Herr kommt mit seinen engein, um Maria abzurufen, auch im
Innsbrucker spiel steht vor v. 1485: Et sie dominica persona
vadit cum angelis ad palatium Mariae et cantant: felix namque
es. et cum venerit ad palatium, Raphael dicit. . . .?
Zwei engel treten ihr zur seite, es folgen ihr beim auf-
treten die beiden Marien, sonst ist Maria wol von drei Jung-
frauen begleitet, an deren stelle hier die beiden Marien getreten
52 HEYM
sein könnten, die wir ja öfter in entscheidenden stunden ihres
lebens an Marias seite finden, diese singt die antiphone cfjre-
dimini zur begrüßung des Herrn, darauf folgt das liebesgespräch
zwischen Dominus und Maria, das der auffassung der liturgie
ganz entspricht, geschlossen könnte die scene damit haben, dass
der Herr die seele seiner mutter in empfang nimmt und sie
durch enge! in den himmel tragen läßt (vgl. Innsbr. sp. v. 1537 ff).
Hiegegen ist auch der umstand nicht von ausschlaggebender
bedeutung, dass nrr 35 und 36 von einer andern hand hinzugefügt
sind, als der die das vorhergehnde geschrieben hat. der sie
hinzufügte , muste doch \fo\ beabsichtigen , eine ergänzung zu
dem vorausgegangenen zu bieten, und wollte schwerlich nur ein
paar zusammenhangslose notizen machen, wir dürfen also hier
wol einen Zusammenhang annehmen.
Unter diesen umständen haben wir vielleicht sogar die
berechtigung, für unsere scene auch noch nr 32 in anspruch
zu nehmen, in der Sterbestunde Marias sind bekanntlich nach
der Überlieferung die apostel um sie versammelt, nr 32 könnte
ganz wol ein begrüßungsgesang der jünger an den niedersteigenden
Herrn sein, und hier haben wir vielleicht auch den Schlüssel
für die sonst unverständliche anfügung jener so ganz anders-
artigen stücke an das erscheinungsspiel. dieses konnte sehr wol
mit einem hymnus der apostel auf den auferstandenen Herrn
schließen (deshalb weist ja der herausgeber nr 32 noch dem
erscheinungsspiel zu), und der abschreiber irrte von dieser spiel-
anweisung ab auf eine andere, die in der vorläge einem anderen,
jedenfalls dem folgenden spiele angehörte, als er dann sein
versehen merkte, hörte er auf zu schreiben, ein anderer
Schreiber hat dann das angefangene stück entweder aus der
vorläge oder aus dem gedächtnis ergänzt.
Wir dürfen also annehmen, dass es seit dem 12 Jahrhundert
lateinische spiele zu Marien himmelfahrt gab. spuren davon
kennen wir bisher wenig, und auch deutsche bearbeitungen dieses
Stoffes sind selten, trotzdem dürften diese dramatischen dar-
stellungen eine größere Verbreitung gehabt haben, als man nach
dem umfang des erhaltenen anzunehmen geneigt ist '. es wäre
' Auch in Frankreich gab es spiele zu Marien himmelfahrt. den
inhalt eines solchen gibt Petit de JuUeville Les mysteres ii 470. in
Ronen bestand gleichfalls eine dramatische feier, wie aus folgender be-
MARIEN HIMMELFAHRT 53
wenigstens sonderbar, wenn eine so häutig von maierei und
plastik dargestellte legende (s. 0 Sinding Mariae tod und himmel-
fahrt; ein beitrag zur kenntnis der frühmittelalterlichen denk-
niäler. Christiania 1903) nicht auch häutiger dramatisch
bearbeitet worden wäre, dabei ist zu beachten, dass bis zum
beginn des 13 jh.s, so grenzt Sinding seine arbeit ab, am
häutigsten die erste und dritte der oben angeführten scenen
abgebildet werden; scene 2 findet sich nur einmal auf einem
glasgemälde-medaillon der kathedrale von Angers, wobei auch
das strafwunder mit dargestellt ist, und zwar nach dem griechi-
schen bericht, denn die bände des frevelnden Juden hängen nicht
bloß an dem feretrum fest, wie in den lateinischen bearbeitungen,
sondern sind von dem unsichtbaren erzengel abgeschlagen
(Sinding s. 90 f). von einer einwürkung dieses berichtes aber
auf die anschauung des abendlandes ist im allgemeinen wenig zu
spüren, obwol auch eine lat. Übersetzung des büchleins vorhanden ist.
Doch kehren wir zu unserem bruchstück zurück, ich bin
also der ansieht, dass ihm ein ursprüngliches lateinisches, sich
eng an die liturgie anschließendes, also wahrscheinlich unmittel-
bar für den gottesdienst bestimmtes spiel zu gründe gelegen
hat. dieses spiel hat vermutlich den angriff der Juden auf den
leichnam der Gottesmutter nicht enthalten, der bearbeiter der
die deutschen Umschreibungen hinzufügte, führte jedenfalls auch
Ecclesia und Synagoga in die handlung ein. dabei hatte er auch
das bedürfnis, neue lateinische gesänge einzulegen, und diese
entnahm er ebenfalls der liturgie, wie die ausstattung mit
neumen zeigt, sie gehören möglicherweise auch zur feier des
assumptionsfestes, denn sie passen auf das Verhältnis zwischen
Maria und dem Herrn; es will mir aber wenig wahrscheinlich
vorkommen, dass in dem zu gründe liegenden lateinischen spiele,
dessen handlung sonst rasch fortschreitet, ein so lang aus-
merkung bei Henri Loriquet (a. a. o. s. 128) hervorgeht: 'Dom Poinmeraye
Dous apprend que, le 21. aoüt 1460, ou supprima une procession
qu' organisaient les maitres de la confrerie de Notre-Dame , oii figuraient
les apotres assez singulierement costum^s, mais qu' on laissa subsister la
representation de 1' assomption de la Vierge, 'qu' ils faisoient voir daus la
chapelle dite Jardin , ä condition qu' eile se faisoit h une heure qui
n' empescheroit point le Service de 1' eglise et qu' 11 ne s' y commettroit
aucune indecence, tumulte ou taquelle qui fussent indigiies du Heu'.
54 HEYM
gesponnenes liebesg^espräch zwischen dem Herrn und Maria statt-
gefunden liaben sollte, außerdem können zweimal zwei aufein-
anderfolgende stellen, nämlich B und C, sowie E und F, nur
einer weiblichen person in den mund gelegt werden, da nun
Ecclesia und Synagoga sicher dem ursprünglichen spiel fremd
waren, so müssen auch einige von diesen lateinischen stellen
eingeschoben sein, welche das sind, ist allerdings schwer, w^enn
nicht unmöglich zu bestimmen, vielleicht gehört die Jeremias-
stelle und eine oder die andere stelle aus dem Hohenliede zum
alten bestand, und der bearbeiter hat dann die andern stellen
aus dem Hohenlied hinzugefügt, doch ist das nur eine höchst
unsichere Vermutung.
Wie kam aber der bearbeiter dazu, überhaupt die beiden
personen einzuführen? sie stören ganz entschieden den Zu-
sammenhang und sind hier noch weniger am platze als in den
übrigen spielen, in denen sie vorkommen, freilich war die
gegenüberstellung von Ecclesia und Synagoga im M.A. beliebt.
(P.Weber Geistl. Schauspiel und kirchliche kunst usw.)
Aber meist streiten beide um die richtigkeit ihrer lehre
und um ihre geltung und herschaft; das ende, das in der kirch-
lichen kunst häutig dargestellt wird, ist die niederlage der
Synagoga, die ihres herscherschmuckes beraubt und geblendet
wird, in den verschiedenen spielen wo die Synagoga auftritt,
hat sie eine ganz verschiedene bedeutung. im Innsbrucker
Marienhimmelfahrtsspiel heißt es einmal vor v. 573: Ad laudem
vel synagoga cantat. hier ist sie nur die gesamtheit der zum
gottesdienste versammelten Juden; in der Frankfurter dirigier-
rolle ist sie die führerin der gesamtheit der Juden, eine ähnliche
rolle spielt sie im Alsfelder passionsspiel. beide Schauspiele
enthalten ein kampfgespräch zwischen Ecclesia und Synagoga;
das des Frankfurter spiels schloss sich wenigstens in seinem
äußeren verlaufe an die gewöhnliche Vorstellung an; die spiel-
anweisung am Schlüsse heißt: Hie Synagoge cadat pallium de
humeris et Corona de capite; die disputation hat also den zweck,
den sieg der kirche über das Judentum darzustellen, im Als-
felder Passionsspiel hat das kampfgespräch einen andern zweck:
es soll vor dem großen frevel der Juden noch einmal deren
ganze Verstocktheit deutlich zeigen. Ecclesia sucht die Synagoga
zu bekehi'en, diese aber antwortet verstockt und abweisend, sie
MARIEN HIMMELFAHRT 55
wolle bei der alten ee bleiben, und Ecclesia gibt die absieht
zu erkennen, die aide ee zu verblynden (v. 4042). auch im
Tegernseer Ludus de Antichristo treten Synagoga und Ecclesia
auf^ daneben auch noch Gentilitas. diese drei gestalten sind
hier vollkommene personificationen des Judentums, Christentums
und heidentums. am anfange des Stückes lassen sie sich eben-
falls in ein kurzes kämpf gespräch ein; alle drei verteidigen ihre
lehren, am schluss dagegen spielt die Synagoga eine eigentüm-
liche rolle, sie ist nach dem erscheinen des Enoch und Elias
die erste die von dem Antichrist abfällt, und büßt dieses nach
einem glaubensmutigen bekenntnis mit dem tode; sie wird hin-
gerichtet, in diesem allerdings auch sonst ganz allein für sich
stehnden drama ist also der gegensatz zwischen Ecclesia und
Sj-'nagoga nicht so schroff wie in den obengenannten dramen.
Man sieht, es besteht ein bedeutender unterschied zwischen
jenen andern kampfgesprächen und dem Wettstreit zwischen
Ecclesia und Synagoga im Amorb. bruchstück. es handelt sich
hier nicht um einen meinungsstreit wegen der richtigkeit ihrer
lehren, sondern um den streit zweier liebenden frauen, deren
jede die gunst des gemeinsamen geliebten besitzen will, die
auffassung des Verhältnisses steht also ganz unter dem einfluß
mystischer anschauungsweise. der streit wird auch nicht bloß
zwischen den beiden ausgef ochten , sondern sie wenden sich an
den Herrn, damit er ihren streit entscheide, [und dieser zeigt
neigung, die vorher verschmähte Synagoga wieder zu gnaden
anzunehmen.
Anknüpfung um diese scene einzufügen bot einerseits das
Verhältnis zwischen dem Herrn und Maria, das hier wie das
zwischen Christus und seiner kirche unter dem einfluss der mystik
ganz als liebesverhältnis erscheint, anderseits die in der Über-
lieferung der legende vorgefundene tatsache, daß die Juden nach
dem versuchten frevel an dem leichnara der Gottesmutter wider
geheilt und bekehrt werden. damit ist ihnen also auch anteil
am himmelreich gegeben, das hat vermutlich auch den anlass
geboten, das verhalten des Herrn gegenüber der Synagoga so zu
gestalten, wie es hier ganz abweichend von den andern dramen
geschieht, nur im Tegernseer spiel konnte man eine entfernte
ähulichkeit finden, da auch hier am Schlüsse alles in den schoß
der Ecclesia zurückkehrt.
56 HEYM, MARIEN HIMMELFAHRT
Der dichter der deutschen paraphrase war offenbar ein geist-
licher, vielleich ein mönch, der sich auf seine theologische bildung
nicht wenig zu gut tat, der stark von der mystik beeinflußt war
und es liebte, sich mit den geheimnisvollen beziehungen zu be-
befassen, die zwischen dem Verhältnis Christi zur kirche und
dem Hohenlied bestanden, hieraus erklären sich die beiden auf-
fallenden verse am ende von IV unseres bruchstückes:
waz disv rede betute,
des ivissen nit tvmbe Inte.
Wenn ich in dieser arbeit über Inhalt, Zusammenhang und
entstehung des Amorbacher bruchstückes eine reihe von Ver-
mutungen geäufsert habe, so hoffe ich stütze oder Widerlegung
von weiterer durchsieht liturgischer handschriften. anderseits
wäre es auch nicht unmöglich, dass noch andere teile unseres
Spieles zum Vorschein kommen, im Amorbacher archiv allerdings
scheint nichts derartiges mehr vorhanden zu sein, teile des
alten Leining. archivs aber, die früheren besitzungen auf dem
linken Rheinufer betreffend, sind 1805, 1806 u. 1807 an die
generalpräfectur und das generalconsistorium zu Mainz und an
das departement der Meurthe zu Nancy abgegeben worden '.
auf dem rücken des einen oder andern sammelbandes dieser
archivalien könnten sich vielleicht noch streifen von blättern
unserer handschrift finden, vorläufig ist mir über das weitere
Schicksal dieser archivalien nichts bekannt.
Saalfeld a. S. Rudolf Herrn.
'DIU MAZE'.
Gustav Rosenhagen hat uns mit der ausgäbe der Heidel-
berger hs. 341 (Deutsche texte d. ma.s bd xvn) ein um so
wertvolleres geschenk gemacht, als er selbst in der einleitung
mit energischem einsetzen den ausblick auf mancherlei arbeit
eröffnet, welche der geschichte der altdeutschen litteratur und der
geschichte des mittelalterlichen buchwesens zu gute kommen wird,
ich habe gegenwärtig nicht die zeit und es war nicht meine
absieht, in die discussion über das Verhältnis der grofsen novellen-
handschriften, insbesondere der Heidelberger (P) und der Kalocsaer
' 11 Krebs Archivgeschichte des Hauses Leiningen s. 33 u. 34.
SCHEÖDER, DIU MAZE 57
(K) einzugreifen, ich wollte hier nur einspruch erheben gegen
eine bemerkung auf s. 103, wodurch das zuerst von Bartsch
(Germ. 8, 97 ff) als produet der frühzeit herausgehobene gedieht
von der *Mafse' als ein relativ spätes erzeugnis verdäclitigt wird
— denn unsere Überlieferung für das 1 2 jh. ist nicht reich genug,
und wir glaubten das stück seit Scherer (QF. 12, 89) zu gut
in den historischen Zusammenhang eingefügt zu haben, als dass
wir jetzt leichten kaufes darauf verzichten könnten, nun haben
sich mir aber wider erwarten bei der beschäftigung mit dem
kurzen gedieht auch neue gesichtspuncte für das Verhältnis von
P zu K ergeben, und zwar gründe ich diese auf eine text-
vergleichung der 'Mai'se', welche mir auf meine bitte der
erzbischöfliche bibliothekar in Kalocsa herr Paul Winkler
übermittelt hat; ich sage ihm für seine liebenswürdigkeit hier
verbindlichsten dank.
Aus herrn Winklers collation lass ich das rein orthogra-
phische, das sich beständig widerholt (i für ei, u für ou, ou für
au, ie für i: ht für cid: do für da, unde, umhe für unt, umh
u. ä.), fort, schalte wichtige Übereinstimmungen, auf die ;ich mich
nachher ausdrücklich beziehen will, in klammern ein und hebe
die bedeutsamen abweichungen durch Sperrdruck heraus: (3 so
(jenant) — 28 iverst du — 58 mecht] mohte — {gewerren den)
— 66 lebet — 67 beide — 69 zu lob\ ze lob wol — 70/71
geren: zu eren] gerne: zu erne — 80 sol niht liegen —
(85 ist liep) — (90 sinen sanfte haben) — 95 desn sol —
111 zallen — 121 desn — 127 minne] minnen — 135 ge-
haben] betragen — (153 selesere) — 159 riche — 170 siten —
177 izn darf — 192 gemechid zeiniale — 193 ane zemale —
202 im — 208 beidev.
Das gedieht gehört zu Rosenhagens IV gruppe und steht
in P wie K hinter dem "Borten' des Dietrich von Glatz und vor
Konrads von Würzburg "Weltlohn'. danach hat es den anscheiu,
als sei es schon in einer der kleineren sammelhss., welche den
beiden in der gleichen Schreibstube entstandenen Codices als
vorlagen dienten, zwischen diese zwei versnovellen aus der zweiten
hälfte des 13 jh.s eingekapselt gewesen, auch die vorläge von
K hatte die meisten Verderbnisse welche wir aus P kannten:
einmal im versinnern solche wie in 3. 85. 90; dann aber nament-
lich im versausgang: a) mechanische glättung des reimbildes, wie
58 SCHRÖDER
durch liinzufügung des -n in irewen v. 7 (1. trhace : germwen),
durch dessen fortlassung in Inntmanne v. 106 (1. dinen lant-
mannen : schände); weiter die ausgleichung gerne: gerveren v. 82 f
zu gern: geivem, und ferner gerne: eren v. 70 f, wo freilicli beide
hss. verschiedene wege gehn: P geren: zu eren, K gerne: zu
erne. — b) gewaltsame beseitigung der assonanz durch rohe
hinzufügung eines neuen reimwörtcheus : 58 gewerren den (ne):
erkennen, 153 lere: sele sere. — c) geschicktem ersatz des
reimwortes bietet v. 161 (ez zimet icol guoten wihen:) daz si
allen zorn vertriben, wo gewis ursprünglich vermiden stand',
eine Verderbnis vermut ich auch in v. 3f Maze ist so (\. si) genant:
da von sit gemant, wo das reimbild verdächtig und die versmelodie
gestört ist, es ist wol zu lesen: Mäze ist sie genennet, da von
(oder dar an) ir sie erkennet. — die Schlusszeilen v. 21 Bf sind
Schreiberzusatz, reimtechnisch unmöglich und obendrein widersinnig.
Nun zeigt sich aber in K die eigentümliche erscheinung,
dass es über diese änderungen der vorläge noch hinausgeht, und
zwar in genau der gleichen richtung: a) der rein mechanischen
änderung von PK 7 (trewen) entspricht die in K 127 [minnen):
b) die gleichen rohen anhängsei wie PK 58. 153 erlaubt sich
K 69. 193; schliefslich c) hat K einen guten reimausgleich ge-
funden V. 135 betragen {st. gehaben): sagen, diese vier lesarten
allein schon genügen, um K als vorläge für P auszuschliefsen,
ob K aus P abgeschrieben hat, würde eine confrontierung der
handschriften gewis entscheiden, die mir zur Verfügung stehnde
collation genügt dafür nicht, dass der Schreiber von K nicht
zugleich der Schreiber von P sein kann, beweist schon die Ortho-
graphie, da es nun immerhin unwahrscheinlich ist, dass zwei
verschiedene schreiber dieser zeit, K und dessen vorläge, einem
texte gegenüber so ganz das gleiche Verhältnis zeigen, so scheidet
zunächst die annähme aus, dass P, falls es die vorläge für K
bildete, die änderungen selbst vorgenommen habe, wir müssen
diese vielmehr in die vorläge zurückverlegen, und so drängt sich
uns die Vermutung auf, dass der schreiber von K (zunächst für
' einen weitem unreinen reim vermutet Roethe v. 138, wo über-
liefert ist ir zimet wol i/uot i/enende und auch ein r/tiot ende und er
vielmehr anegenge: ende vorschlägt, aber so sinnlos fjenende 'person'
(<i ganetnnida) wäre, so vortrefflich ist i/e/iende 'Unternehmung' ("< (janen-
dida), und darum möcht ich doch lieber bei der Überlieferung bleiben.
DIU MAZE 59
unser g-edicht) zugleich der Schreiber von *KP ist. das ist eine
möglichkeit die man bisher gar nicht erwogen hat, mit der man
aber durchaus rechneu muss, sobald man erst bei der tatsache
der gleichen Schreibstube angelangt ist. ich betone aber weiter:
diese annähme schliefst die möglichkeit keineswegs aus, dass K
aus P copiert ist: die hs. *KP konnte längst verkauft und
nur die abschrift P zurückgeblieben sein, als der schreiben
K einen neuen auftrag erhielt, für den ihm nun nicht mehr die
eigene ai^beit, sondern eine fremde abschrift als vorläge dienen muste.
Unter allen umständen ist K eine spätere stufe als P, und
diese hs. bleibt die grundlage für die recension des gedichtes. mit
den zurückhaltenden änderungen die ich oben an ihrem text
vorgenommen habe (Bartschs behandlung von v. 11 f lehn ich
mit Rosenhagen ab), erhalten wir von 109 reimpaaren (wovon
eines, v. 11, unvollständig ist) bei strenger beurteilung, d. h.
unter ausschaltung des unsichern mundartlichen moments, 41
unreine bindungen, also 37,5 ^h. das ist ein sehr hoher procent-
satz, denn Heinrich von Melk in der 'Erinnerung' hat nur 2 1 %,
Hartmann im 'Glauben' 24 ^jo; während freilich Wernhers
'Marienleben' in der ursprünglichen fassung noch bei 33 '/:i "^/o
stehn mag (QF. 44, 21) und man den gleichen procentsatz
wol auch dem 'Anegenge' zusprechen darf (ich berechnete aao. 20
nur 31 %), wenn man den einen und andern der von Bartsch
Beitr. 8, 494 ff gebotenen vorschlage acceptiert. die hohe zahl
der unreinen bindungen hängt natürlich zusammen mit dem starken
bruchteil welchen die klingenden reime darstellen: es sind 52,
d. h. 48 "/o, eine zahl die über das Anegenge (kaum 42 *'/o)
hinausgeht und nur von Wernhers Maria (58 o/o) bedeutend über-
troffen wird, die grofse zahl der klingenden reime, von denen
genau die hälfte (26) consonan tisch unrein sind, schliefst Jede
möglichkeit aus, das gedieht in die zeit des Verfalles zu setzen,
die typen dieser unreinen reime sind genau die gleichen, wie wir
sie in den obengenannten und andern gedichten des 12 jh.s
finden, nur fehlen bereits ganz die bindungen aus der zeit, wo
die endsilbe noch träger des reims war {guote: hetc, wäre: chöre,
handen : sunden) ; einen deutlichen Übergangsreim, der eben nur
im 12 jh. möglich ist, bietet aber v. 34 f zwäre: wcßre.
Gewis, das 14 jh. bringt auch wider gedichte mit unreinen
reimen, und es lohnte sich wol, einmal den unterschied der technik
60 SCHRÖDER, DIU MAZE
an charakteristischen producten aus der zeit des aufstiegs und des
Verfalls nachzuweisen; dazu aber ist die wenig umfangreiche
'Mal'se' nicht so geeignet wie 'Erinnerung' und Triesterleben',
deren alter man ja auch angefochten hat. dass unser kleines
lehrgedicht nur der frtihzeit angehören kann, ergibt aber auch
die Prüfung des Wortschatzes und der phraseologie. das hat schon
Scherer richtig herausgefühlt, als er (QF. 12, 89) die 'Mafse'
zwischen Meinloh v. Söflingen und ^Tougen minne' einerseits und
die 'Ratschläge für Liebende' anderseits stellte, ich will nur
eine beobachtung herausheben, die völlig ausreicht, dem gedieht
seinen platz in der zweiten hälfte des 12 jh.s anzuweisen,
widerholt werden mit nachdruck die erstrebenswerten prädicate
der vornehmen dame genannt, v. 178f=194f:
stvelch frouwe ditze tuot,
diu ist hiderhe unde guot.
diese ausdrücke finden wir von der frau nur in dichtungen der
mhd. frühzeit gebraucht: Kehr. 12097 f (Crescentia) Diu froic e
was hiderhe unde guot, harte kPske geniuot, erhaft und
milte: Dietmar v. Aist, MFr. 33, 34 (vgl. 33, 31) 'frouwe
hiderhe unde guot!'; Meinloh v. Söflingen, MFr. 15, If
Vil schoene und hiderhe darzuo edel unde guot, so iceiz ich
eine frouicen. später tritt die formel überhaupt zurück (vgl.
etwa noch Nib. 1287,3 manic riter edele hiderhe unde guot],
und der gebrauch von hiderhe schränkt sich mehr und mehr auf
die männer ein — wenn Hartmann einmal im Iwein 3860. (i2
sagt ein vrumer man . . . sin hiderhez wlp, so hat das seine ganz
bestimmte färbe, schon Walther kennt hiderhe nur als prädicat
von männern, auch die 6 — 7 fälle der Nibelungen und die
mindestens 18 belege der Kudrun (s. Martin zu 189, 4) gelten
ausschlief slich ihnen. Wolfram scheint das wort direct zu meiden,
der formel hiderhe unde guot aber hat sich, wie es scheint, über-
haupt kein höfischer dichter mehr bedient, und den gebrauch
welchen das 16 jh. von 'biderb' und 'frumb' machte, wird man
für die 'Mafse' gewis nicht ins feld führen wollen. E. S.
zu GOTTFRIEDS TRISTAN
Marke der tugendenche.
tugent s. 6] . — liöaesch s. 66. — rjiiot a. 69. — iirert s. 71. — edel s. 73 —
die Zusammensetzungen mit -rieh bei Hartmann und Gottfried s. 76. —
die Zusammensetzungen mit -beere bei Hartmann und Gottfried s. 78. —
Marke der tugendenche s. 80. — grenzen innerhalb des Tristan s. 81.
Der formelhaft charakterisierende vers Marke der higende-
ricJie findet sich im Tristan zuerst 4S3, ein zweites mal 33S1,
dann aber im ganzen weitern verlauf des umfangreichen werkes
nur noch einmal 13 189. auch Tristan der tugende-(^zvf.
tugent-)riche lesen wir zweimal 2226 und 5746, später nicht
wider, fügen wir noch hinzu 4527 Büal der tugende erkande
(: Tristande), so fallen von diesen sechs belegen in das erste
drittel des gedichts fünf, in die beiden übrigen drittel nur ein
einziger, ohne hinzusetzung des eigennamens steht der tugende-
riche von Marke 4019, von Tristan 3621, beidemal am vers-
ande, dazu kommt noch 226S der tugentriche jungelinc, der tvol
gezogene Tristan und 2043 diu tugentriche marschalkin (Floräte».
endlich steht tugenderich noch einmal 4082 (im stumpfen reim)
mit beziehung auf Enal, so dass also von insgesamt zehn belegen
für tugenderich dem ersten drittel des gedichtes neun, den beiden
letzten dritteln nur ein einziger angehören.
Neben tugenderkh ist im Tristan tugenthaft^ mit gleichfalls
zehn belegen vertreten, die Verteilung der belege zeigt zunächst
nichts auffallendes; indessen hat es doch mit den fünf letzten
belegen eine besondere bewantnis. ganz für sich steht der
letzte beleg 15 739 der vil tugenthafte Krist. die vier voran-
gehenden belege drängen sich in noch nicht tausend versen zu-
sammen und gehören auch sachlich zueinander: 14 538 diu ge-
triuwe Isöt, diu tugenthaftiu künigin, sind worte Melots im ge-
spräch mit Tristan, als er diesem eine falle zu stellen versucht;
und tugeniliaftiu künigin wird Isolde 15 433 auf dem concil zu
Lunders von dem wortführenden alten bischof angeredet, ebenso
aber auch von Tristan, als dieser bei dem verratenen und be-
lauschten Stelldichein Verstellung üben muss, 14809 tugenthaftiu
s. 77 anm
^ über tugentHch und tugenthaft bei Hartmann vgl. s 76 und
62 NOLTE
kiiniglnne und 14 903 vil tugenthaftiu kiinigin. diese vier
beispiele sind mithin belege eher für den Sprachgebrauch der
höflinge als des dichters. von den fünf belegen, die für die ver-
gleichung mit tngenderkhe bleiben, fallen wider vier in das erste
fünftel des gedichts: 455 will Eiwalin von Marke werden tugent-
haft; 513 der tugenthafte Rnvalin; 3264 als man dem tugent-
haften sol; 3287 er [Tristan] ist so tugenthaft; 10 777 sagt
Tristan von Kurvenal, daz disiu sunne nie heschein tugent-
hafter herze kein.
Dagegen gehört ein drittes adjectivum ganz dem ersten
fünftel (oder sechstel) des gedichtes an: tugentVich wird 2207,
3104, 3129 als beiwort zu dinc, muot, ÄiMi gefügt mit unmittel-
barer beziehung auf den wunderknaben Tristan, seinen erzieher
Kurvenal und seinen „vater'' Enal, auch der einzige beleg für
tugentsam steht 3277, wo diese eigenschaft an Tristan gerühmt
wird, von sechs belegen für das adverbium UigentHche(n) stehn
vier widerum im ersten fünftel des werkes 4S4, 2140, 3263,
33S2, der fünfte 7479, der sechste 1 1 639. im gleichen Zu-
sammenhang wie dieser letzte beleg findet sich mit beziehung
auf den truchsessen, der Isoldes band beansprucht hatte, der
einzige beleg für tugendelos 11631 und der eine der beiden be-
lege für untugent 11 633, das schon 2146 zum erstenmal gebraucht
wurde, auch ein verbum lugenden bildet Gottfried 175 intran-
sitiver, 17 975 in intransitiver bedeutung, und zu der ersteren
bedeutung 10 032 das participium getugendet. dass von den
drei belegen für diese bilduug einer in der vielfach gekünstelten
einleitung, die beiden andern erst in der zweiten hälfte des
Werkes stehn, wird leicht verständlich, fassen wir nun aber noch
das grundwort selber ins äuge, so kommen von 43 belegen für
das substantivura tugent auf die ersten 6000 verse allein 30,
auf die übrigen 13 500 verse nur 13; und wenn wir schliefslich
alles zusammennehmen, so zählen wir für tugent und seine sämt-
lichen ableitungen in den ersten 6000 versen 54, von da an
aber nur noch 26 belege. Gottfried braucht also tugent mit
seinen ableitungen in den letzten 13 500 versen vier- bis fünf-
mal seltener als in den ersten 6000 versen i.
' die sämtlichen 80 belegstellen für tiifient und seine ableitungen sind
der reihe nach 37. 175. 176. 180. 190. 192. 258. 294. 455. 483. 484. 497.
51S. 521. 638. 1032. 1146. 1150. 1681. 2043. 2140. 2145. 2146. 2188. 2226.
zu GOTTFRIEDS TRISTAN 63
Man könnte vermuten wollen, dass es sich hiei' um die ab-
stveifung eines aus der tradition übernommenen motivs handele,
das Gottfrieds besonderer art, zumal in ihrer späteren reineren
ausbildung- nicht mehr gemäis war. indessen, so zweifellos auch
gerade hier der Zusammenhang mit der tradition ist, so zweifel-
los ist es auch, dass wir es mit einem durchaus wesentlichen
und dauernd lebendigen bestandteil aus der weit Gottfriedischer
Vorstellungen zu tun haben, das ist nach der bedeutung von
tugent und nach Gottfrieds genugsam bekannter art ja beinahe
selbstverständlich, wird zudem durch die grofse zahl der belege
und mehr noch durch die ungewöhnlich grofse zahl verschieden-
artiger ableitungen bezeugt und ergibt sich auch u. a. einerseits
aus der stelle der einleitung 172 — 192 und dann wider ge-
legentlich der allegorischen ausdeutung der /"os.SMtre 16 947 — 66.
in der erzählung aber wird dies motiv gleich zu anfang kräftig
angeschlagen, wenn es von Riwalin heifst: an ime brast al
der tngende niht, der Jierre ^ haben solde. nun ist diese stelle
allerdings deutlich genug von Hartmann beeinflusst (aH. 'A2 — 35).
aber für die sache ist diese abhängigkeit bedeutungslos, höch-
stens ergibt sich dadurch eine kleine Unebenheit, wenn nun
tugent geradezu zum ersten bewegenden moment der ganzen er-
zählung gemacht wird. Riwalin hat (418 — 420) vil gehceret
sagen, wie hövesch und wie erbcere der junge künic [Marke] iccere
(wo die paarung hövesch und erbcere wol reminiscenz aus Iw.
1 1 6 ist) und möchtefnun von Marke werden tugenthaft und lernen
niuwe ritterschaft und ebenen sine site baz (455 — 457, vgl. auch
458 — 462). dieser wünsch ist es, der Riwalin an Markes hof
führt und somit alle weitere entwicklung erst möglich macht,
es ist also auch nicht zufall und nicht blofs formelhaft, wenn es
2264. 2267. 226S. 2276. 3072. 3104. 3125. 3129. 3263. 32ö4. 3277. 3287.
3381. 3382. 3621. 4019. 4039. 4055. 4082. 4089. 4420. 4508. 4527. 4531.
4538. 5004. 5256. 5746. 57S3. — 7479. 8460. 10032. 10778. 11164. 11631.
33. 39. 47. 131S9. 14539. 14801. 14809. 14903. 15433. 15621. 15739.
16397. 16947. 50. 59. 66. 17125. 17975. 18706. 18790. besondere hervor-
hebung verdient noch, dass die reimbindung Juijent: twjent (ju'jeiule:
tugende fehlt im Tristan) nach acht belegen 293. 1149. 2275. 3126.4040.
4419. 4507. 4537 in den letzten 15000 versen nicht ein einziges mal mehr
verwant wird.
^ vgl. herren tugent 294. 1150. 1681, das später nicht widerkehrt
{herren muot 4477).
64 NOLTE
von Riwalins aufnähme heiCst Marke der tugenderlche der
enpfienc in tugentlkhe (483 f, vgl. 3381 f); vielmehr wird gleich
hinterher von Riwalin selber bestätigt, dass er gefunden habe,
was er suchte: 497 swaz ich von Markes higenden ie gehörte
sagen, deist allez hie. dass der aufenthalt an Markes hofe den
gewünschten erfolg hat, soll wohl 518 — 521 ausgedrückt sein;
und solange Riwalin im Vordergründe der erzählung steht, bleibt
tugent vorzugsweise für ihn typisch.
Erst recht typisch wird dann (2140 usw.) tugent für
den wunderknaben Tristan, dessen tilgende freilich weder mit
dem mangel alles kindlichen oder knabenhaften wesens, noch mit
seiner Virtuosität im erfinden von lügengeschichten versöhnen
können, aber nicht nur bei Marke, Riwalin und Tristan, sondern
auch für jede andere hauptperson der Vorgeschichte wird uns
ihre tugent bez. tilgende mehr oder minder nachdrücklich bezeugt :
für Rual 3104, 4039 ff, 4527 ff, für Floräte 2043 und 5256,
für Kurvenal 2264 — 67. nur Blanschefiurs tilgende werden uns
mit einer gewissen feinheit 634—638 mehr angedeutet, als vor-
gerechnet, was der würkung dieser gestalt zu gute kommt.
Hat man die 54 belege für tugent aus den ersten 6000
Versen nicht nur gezählt, sondern auch einzeln verglichen und
gewogen, so tritt das entgegengesetzte verhalten der folgenden
grofsen hauptmasse des gedichts erst in voller schärfe hervor,
die nächsten 6000 verse bieten gerade neun belege, in diese
6000 verse fällt aber die einführung der Isolde, des weiblichen
gegenstücks zu dem wunderknaben Tristan, aber an keiner der
stellen, an denen uns Gottfried dies unglaublich seelenlose ge-
geschöpf als ein musterbild weiblicher Vollkommenheit aufreden
möchte, braucht er von ihr das wort tugent, obwohl die sache
und der begriff gerade nach des dichters auffassung in höchster
Vollendung voi-handen sind ^ und wie mit Isolde, so ist es von
nun an mit allen übrigen personen, mit den älteren nicht minder,
wie mit den neuauftretenden, weder die sache, noch der begriff,
noch auch das wort tugent verschwinden, es verschwindet nur
» man' vgl. zb. 3620 (von Tristan) tind alx ei ie se staten kam, f<6
lie der tugenderlche suoze unde wunnecliche sine srhamüne fliegen in.
er .sanc diu leichnotelin . . . so suoze mit dem munde, das . . . mit
8000 (von Isolde) ouch sanc diu sceldenriche [nicht diu tugenderiche]
suose unde lool von munde.
zu GOTTFRIEDS TRISTAN 65
die dem aiifang des werkes eigentümliche geflissentliche hervor-
kehrung gerade dieses begriffs von selten des dichters. be-
zeichnend hierfür ist, dass in den späteren partieen tugent über-
wiegend in den reden der auftretenden personen, und auch in
diesen nicht ohne würkliche sachliche, durch die haudluug ge-
gebene veranlassung erscheint. indessen ist die Veränderung
auch nicht lediglich als ein fortschritt zu einer weniger vor-
dringlichen und mehr objectiven haltung des erzählers zu be-
greifen. Gottfried übt in den späteren partieen noch darüber
hinaus eine unverkennbare enthaltsamkeit im gebrauche des wortes
tugent, die nur als reaction auf den etwas übertriebenen gebrauch
der ersten 6000 verse verständlich wird.
Dies an den einzelnen stellen zu zeigen, würde hier zu weit
führen, statt dessen mag noch auf einige mehr stilistische
Wandlungen hingewiesen werden, die doch auch das verschiedene
gewicht, welches tugent in den früheren und in den späteren
teilen des Tristan hat, erkennen lassen, warum gerade von den
zehn belegen für tugenderich neun den ersten 6000 versen an-
gehören, wird uns noch weiterhin beschäftigen, hier beachten
wir, dass die spielende widerholung desselben wortes oder wort-
stammes, worin Gottfried virtuos ist, sich für tugent nur aus den
ersten 4000 versen belegen lässt: 483 Marke der tugenderiche
der enphienc in tug entliche] 3381 Marke der tugenderiche der
gewarp vil tugentUche ^ ; 3262 die danketen dem kinde vil tu-
gentUchen unde tvol, ah man dem tugenthaften sol (vgl. 4097 f);
2145 des muot nhoan ze tugenden stät der alle untugende un-
mcere hat; 174 ez liebet liebe und edelet muot, ez stcetet triiiwe
und tugendet leben, ez kan wol lebene lügende geben ; vgl. auch
2267 f. anderseits zeigt das substantivum tugent in den
späteren partieen mehr als in den früheren die neigung, formel-
hafte Verbindungen mit anderen stammfremden abstracten ein-
zugehn, wobei es an selbständiger bedeutung verliert. die
paarung tugent und ere steht unter den dreifsig belegen der
ersten 6001) verse zweimal (190. 2l8S), unter den dreizehn be-
legen der übrigen 13 500 verse aber dreimal (14 801. 18 79U
und in dreigliederiger forrael 11647 guot unde tugent und ere).
' aber 13189 Marke der tu<ienderirhe der bat in. ojfenliche. vgl.
auch 5685 Tristan der sinneriche der kam eil sinnecliche sines loillen,
über ein; und 10855 f.
Z. F. D. A. LH. N. F. XL. 5
66 NOLTE
die paarung an fugenden unde an l/be steht 18 706 und in drei-
gliedriger formel 8460 an gehurt, an tugent, an Hbe. dazu
kommt noch 15 621 ze fugenden und ze hövescheit, sodass also
von den dreizehn beispielen, die die letzten 13 500 verse des
Tristan für das substantivum iugent bieten, fast die hälfte uns
tugent als glied einer innerhalb desselben verses enggeschiirzten
formel zeigen, dem lassen sich von den 30 belegen der ersten
6000 verse aufser den bereits angeführten beispielen (190. 2188)
unmittelbar nur noch vergleichen 5256 ir fugenden unde ir
fuogen und 4420 üf icer dekeif unde üf tugent; denn 638 wip
unde fugende gehört nicht eigentlich hierher, nur der Voll-
ständigkeit halber sei noch verwiesen auf 5003 f. 1680f und
zur vergleichung auf 3263. 74781 3276 f. im übrigen bringt
es der besondere gebrauch der ersten 6000 verse mit sich, dass
wir gerade hier tugent am häufigsten neben andern, teils ver-
wanten teils entgegengesetzten, begriffen genannt finden, und
dies führt uns zu einer erweiterung der bisherigen beobachtungen.
Mit tugent und seiner sippe berührt sich im Tristan nach
bedeutuug, gebrauch und Schicksalen am nächsten das adjectivum
hövesch und die davon abgeleiteteten oder verwanten bildungen.
hövesch selbst ist im Tristan mit 46 belegen vertreten'; davon
stehn in den ersten 6000 versen allein 28, von da bis 13 942
weitere 15, nachher nur noch 18 695. 18 742. 19 215. die ad-
jectiva höveschlkh (3727. 3917. 5904), hovelich {3051. 5745),
hovebcere (2285. 2732. 2866. 3978. 13 188), unhovebcere (4027)
und das adverbium hoveUche (2271. 4020. 4097) lassen sich aus
den letzten 13 500 versen mit nur einem einzigen von insgesamt
14 beispielen belegen, für das adverbium höveschliche (592.
2671. 3398. 3699. 4328. 5183. 5358. 5382. 10458. 10947.
14 817) stellen die ei'sten 6000 verse acht, der rest des ge-
dichtes nur noch drei belege, für die sämtlichen erwähnten ad-
jectiva und adverbia ist die zahl der belege in den ersten 6000
versen 49, von da bis 14 817 nur 19, später folgen überhaupt
nur noch die drei schon angeführten belege für hövesch. aber
die substantiva hövescheit (2260. 2967. 3344. 5748. 7566. 7709.
' Paul R. Pope, Die anwendung der epitheta im Tristan Gottfrieds
von Strafsburg, diss. Leipzig 1903 s. Ib. 65.
zu GOTTFEIEDS TRISTAN 67
7986. 8087. 13 161. 14816. 15556. 15621. 19 186=19338)
und unhövescheit (13 172. 13 614) gehn ihren eigenen weg.
Im einzelnen wäre zunächst hovehwre zu beachten, das
eich mit tilgend erich in parallele stellen lässt. dreimal heilst es
von Tristan 2732 Tristan der hovebcere, 2866 der hovehcere,
2285 der hövesche hovehcere. anderer art sind die beiden stellen
3978 und 4027 (unhovebcere). nach diesen fünf anwendungen,
die sich in noch nicht 2000 aufeinanderfolgenden versen zu-
sammendrängen, wird das wort ebenso wie tugenderich offen-
sichtlich gemieden bis auf die eine stelle, die gleichzeitig auch
den einzigen rückfall für tugenderich bringt 13 188 der küner.
der hovehcere, Marke der tugenderkhe. wie hovehcere wird ein-
einmal auch hoveUch gebraucht: 5745 Kurvenal der hoveliche
(: Tristan der tiigenderiche). da hövesch von der reimstellung
ausgeschlossen ist, so findet es sich mit dem artikel dem eigeu-
namen nachgestellt nur in der von Gottfried nach Hartmanns
Vorgang mit Vorliebe gebrauchten aneinanderreihung mehrerer
adjectiva: 625 Marke der guote, der hövesche höhgenmote (vgl.
499), 1164 sin Blanschefür diu reine, diu hövesche diu guote,
3981 Rüal der hövesche guote, 10 781 min frou Brangcene, diu
hövesche und diu tvol gesite. ohne beigefügten eigennamen
2285 der hövesche hovehcere (Tristan), 1075 diu hövesche guote
(Blanscheflur), 5235 diu, hövesche diu guote, diu guote gemuote,
diu werdeste diu beste (Floräte), 10 469 die höveschen süezen
(die beiden Isolden und Brangäne), dem eigennamen vorangestellt
der hövesche Eiualin 693. 751, Tristem 2791. 3425. 4551. 6362.
13942, Kurvenal 5267, Kdedin 18742, diu hövesche niarschal-
kin 1977.
Bei dem substantivum {un)hövescheit macht sich wie schon
oben (s. 65) bei tugent Gottfrieds wachsende neigung zu formel-
hafter wortpaarung bemerklich, das gespann ze tugenden und
ze hövescheit (15621) haben wir schon oben kennen gelernt, wie
5256 ir tugenden unde ir fuogen verbunden ist, so lesen wir
7564 ich was ein hövescher spilman und künde genuoge höve-
scheit unde fuoge: sprechen unde steigen, liren unde gigen, harphen
unde rotten, schimpfen unde spotten. 7709 an fuoge unde an
hövescheit hcjete er gewendet unde geleit dne tage und sine sinne.
7985 si [Isolde] künde e schcene fuoge und hövescheit genuoge
mit hanclen und mit munde. 13172 unhövescheit unde unfuoge
68 NOLTE
(vgl. 3916 f manege fuogo und mancge höveschUchiu fUnc und
2830 ff.), dazu kommt 8087 von scJicene und von hövescheif,
13159 er fragte in aller hande ran Hute und von lande, von
frouwen und von hövescheif. von den zwölf beispielen, welche
die letzten 13500 verse für (un)hövescheit bieten, waren nicht
weniger als sieben hier anzuführen, denen sich von den vier
beispielen der ersten 6000 verse nur eines vergleichen lasst, das
aber von formelhafter geschlossenheit weit entfernt bleibt: 2260
daz knappe nie von hövescheit und von edeles herzen art baz
noch schöner gedelt tvart.
Die entsprechung zwischen den beiden sippen tugent und
hÖvesch Heise sich im einzelnen noch weiter verfolgen, als hier
geschehen ist. doch dürfen die beiden darum nicht vorbehaltlos
durcheinandergeworfen werden, das beiwort hövesch erhält neben
den andern personen der Vorgeschichte auch Blanscheflur
(1075. 1165), und auch Isoldens hövescheit wird ausdrücklicher
als ihre lügende hervorgehoben (7986. 8087 vgl. 8460). in den
späteren partieen tritt tugent mit seinem anhang verhältnismäfsig
stärker zurück als hÖvesch und dessen sippe. mau könnte das
umgekehrte erw-arten, weil tugent doch wol das poetischere
wort ist. indessen könnte gerade dieser umstand wegen der
dem wort tugent aus der älteren epik anhängenden ideenassoci-
ationen die Ursache der Verschiedenheit sein, wenn ich das auch
nicht für sicher ausgeben möchte, auch in des dichters eigenem
gebrauche konnte sich das allgemeinere wort leichter abnutzen
als das speciellere. dafür hätte sich aber auch das allgemeine
wort tugent leichter und häufiger anbringen lassen, als das weit
speciellere wort hÖvesch. und so übertrifft denn auch tatsächlich
der rückgang bei tugent den rückgang von hövesch weit mehr,
als in den blofsen häufigkeitszahlen zum ausdruck kommt, der
rückgang von hövesch ist mehr als der von tugent eine folge
des wechselnden Inhalts, selbstverständlich ist es nicht meine
meinung, als müsten eigentlich die worte tugent und hövesch in
beliebigen 6000 aufeinanderfolgenden versen des Tristan
ebenso oft vorkommen wie in den ersten 6000 versen. vergleicht
man etwa die drei partieen 1—6000, 6000—12000, 12000—
18000, so liegen schon von selten des Inhalts die dinge keines-
wegs gleich, in der dritten partie hat der rückgang im gebrauch
der beiden sippen tugent und hövesch an sich nichts auffälliges.
zu GOTTFRIEDS TRISTAN 69
auch ein geringer rückgang schon in der zweiten partie könnte
nicht wunder nehmen, aber der rückgang vollzieht sich nicht
in einer solchen entsprechung mit dem inhalte; auch nicht so,
dass der dichter mit der zeit darauf verzichtete, die an ihrem
orte nach gebühr gerühmten und allmählich selbstverständlich
gewordenen tugenäe und hövescheit seiner personen immer von
neuem wider zu betonen. dieser letztere gesichtspunct würde
allenfalls den rückgang in der dritten partie erklären, nicht
aber den in der zweiten, der rückgang nach den ersten 6000
versen ist so stark, dass er nur als reaction auf den überwuchern-
den gebrauch der ersten 6000 verse erklärbar scheint '.
Neben hövesch erscheint besonders gern yaot, allerdings
fast nur in den ersten 6000 versen (vgl. die beispiele s. 67).
von den 214 belegen die Pope (Epitheta s. 63, vgl. s. 15 f) für
das adjectivum guot' verzeichnet, stelin in den ersten 5000
versen allein 82. dieses übergewicht ist fast lediglich die folge
' zu beachten ist noch, dass auch die fremdworte cürtois (2395.
3237. 3276. 3362. 3614) und cürtösie (2294) nur in der partie 2000—4000
vorkommen. — als ein interessantes gegenbeispiel aus dem gebiet der
formelhaften paarungen sei das gespann hof unde laut erwähnt, welches
immer in dieser reihenfolge, meist im reim und mit besonderer Vorliebe
in versfüllender Wendung gebraucht wird, das einfache hof unde laut
steht nur 16608 und 18957, dagegen schon 1145 in dem höre and in dem
(ende, aber dies ist auch in den ersten 7000 versen das einzige beispiel,
es folgt 7458 in den hof und in das lant.^ aber wiedr gehn fast
4000 verse vorbei, ehe sich das dritte beispiel findet: 11431 se hoce und
in dem. lande, ausnahmsweise nicht im reim, die nächsten 2000 verse
bleiben wider ohne beleg, dann kommen die beispiele reichlicher:
18 457 = 17664 :se hoce und in dem lande (aus vers 11431 wider-
holt, aber jetzt beidemal den vers füllend); 14090 = 14945 = 18 395
= 19077 übe/- hof und über laut; 15487 beide über- hof und über lant ;
15451 i'on hoce und von lande; 18 954 da ze kooe und da ze lande.
endlich ist noch zu vergleichen 14999 und läset in m.it eren von iuicerrn
hoce keren und von dem. lande scheiden, von insgesamt 15 belegstellen
bietet die erste hälfte des gedichts nur zwei (in Wendungen die sjjäter
nicht widerholt werden), die ersten zwei drittel des gedichts erst drei, die
hauptmasse von zwölf belegen drängt sich im letzten drittel des werkes
zusammen, man vergleiche auch hof und {/e.n/ide 8330 f. 14 065 {con
hoce und con rjesinde). 17 712.
- für wol hab ich aus Bechsteins text in allen seinen Verwendungen
insgesamt 599 belege (einschl. Tr. 13052) in der folgenden bemerkens-
werten Verteilung von 1000 zu 1000 versen der üblichen Zählung
70 NOLTE
der bis etwa 5500 ziemlich häufigen, nachher weit selteneren
anwendung dieses beiworts auf personeu. so führt Pope für
guot als epitheta von liutc und man je fünf stellen an, die
sämtlich dem ersten viertel des g-edichts angehören. hier
interessieren besonders diejenigen fälle, in denen guot als
schmückendes beiwort von den personen der erzählung gebraucht
wird, es kommen dafür die folgenden vierzig stellen in betracht
625. 719. 1075. 1165. 1679. 1702. 1903. 1929. 1953. 27S3.
3041. 3392. 3484. 3608. 3981. 3998. 4060. 4105. 4153. 4169.
4219. 4231. 4268. 4284. 4288. 4321. 4376. 522S. 5235. 6525.
— 10008. 10241. 10375. 10641. 10738. 12094. 12105. 15444.
15647. 15658. der unterschied zwischen dem ersten und den
übrigen dritteln des gedichts springt in die äugen und wird
noch auffallender, wenn wir auf die art des gebrauchs im ein-
zelnen achten, wir haben 025 Marke der guote, der hövesche
hdhgemuote: 719 Blanscheflür diu guote; 1679 Kanelengres
der guote; 3392 Tristan der guote; 3981 Rual der hövesche
guote; 4105. 4231. 4284 Rüal der guote; 4268 Rfial der guote
man; ferner 1164 sin Blanscheflür diu reine, diu hövesche,
diu guote; und ebenfalls von Bl. 1075 diu hövesche guote; 1902
diu scelige marschalkin, diu guote, diu stcete, diu reine Florcete;
und von derselben 5235 diu hövesche, diu guote, diu guote ge-
muote, diu u-erdeste, diu beste^; von Isolde 10008 diu schoene
guote; 10241 diu süeze, diu guote; 15658 diu wise, diu guote.
es schlief sen sich an 4288 der guote und der geiccere Marke;
4153. 4321 der guote Marke; 1702 der guote Biwalin; 2783.
3041. 3484 der guote Tristan; 4169 der guote Rüal; 15647 diu
guote künigin Isolt; 4219. 6525 der guote künic Marke; sodann
von Marke 3608. 4060 der guote künic; von Rual 3998 der
guote man; 4376 der guote marschalc ; von Floräte 1929. 1953.
52 28 diu guote marschalkinne (1953 -7n) von der älteren
36 31 48 45 50 26 49 41 26 25 36 24
160 166 Tu
24 24 28 27 16 20 16 7
103 59
ich hebe hervor, dass die allitterierende paarung icnf — loe (Eilh. Tristr.
4122. 7066. 7338. 8504. a.Heinr. 714) von Gottfried erst ganz am schluss
zweimal gebraucht wird (18993. 194841, und dass die zweite stelle zugleich
die erste und einzige ist, an der lool substantiviert erscheint.
' 13656 der getriuweste unde der lje.-ite, der einealte Marke.
zu GOTTFEIEDS TRISTAN 71
Isolde 10375. 10641. 10738 diu gitote kiinigm; endlich wird
Isolde von dem bischof angeredet 15444 sceligiu guotiu künigln,
und Brangäne von Tristan 12094 sceligiu guotiu, 12105 getriu-
wiu guotiu. diese beispiele sind nun unter sich keineswegs
gleichartig; die drei letzten sind überhaupt nur mit rücksicht
auf die häufung der epitheta hergesetzt, achtet man auf die
Verschiedenheit des gebrauchs im einzelnen, so wird man linden,
dass beispiele einer bestimmten art im allgemeinen um so früher
verschwinden, je mehr sie einen übeiiieferten oder formelhaften
Charakter haben, beispiele wie Tristan der guote (3302) felilen
den letzten 150i)0 versen ganz, aber auch in den ersten 4500
Versen sind die früheren beispiele ziemlich nichtssagend, während
dem mehrfach widerholten Enal der guote in seinem zusammen-
hange eine ungleich gröfsere charakterisierende kraft innewohnt,
der einwand dass Gottfried eben je länger je weniger veran-
lassung gefunden habe, den personen seiner erzählung das
epitheton giiot, sei es in unbestimmt lobendem sinne, sei es in
prägnanterer bedeutung, beizulegen, hat wol einige berechtigung,
erklärt aber im ganzen bei nicht blols oberflächlicher ver-
gleichung so wenig, dass er ohne allzu grofsen schaden vernach-
lässigt werden kann '.
Zu denjenigen adjectiven, die innerhalb des Tristan früh-
zeitig veralten, gehört ?vert, das ingesamt an den folgenden 23
stellen belegt ist: 17. 191. 451. (490 adv.) 510. 652. 654. 685.
1) wer der sache noch weiter nachgehn will, sei noch auf die voü
Kraus in der Festgabe für Heinzel s. 169 aufgereihten belege für den
reimtypus -uote verwiesen (vgl. auch Zs. 51, 137 f). die geschichte dieses
reims hat im Tristan zwei wendepuncte: den einen nach 6049, wo der
reimtypus -uote oder eigentlich die reimformel ijuote: muote oder miiote:
guote die gunst des dichters derart einbüfst, dass er nach 35 bezw. 32
belegen für die nächsten mehr als 3000 verse einfach verschwindet und es
später nur noch auf 24, die reimformel gar nur noch auf 13 belege bringt;
den andern schon etwa bei 4300, wo die folge </uute: muote die vorher-
schaft an die umgekehrte reihenfolge muote: ijuate abgeben muss. es sind
nämlich die zahlen für
-uote guote: muote muote: gunte
Tr. 141—4231 19 14 4
4441—6049 16 6 8
9453—18179 24 5 S
72 NOLTE
1133. 2180. 3793. 3914. 4329. 43S0. 4590. 4979. 500S. 5237.
6006. 6581. 9195. 9S41. 12777. 19207. also in den ersten
700 Versen sieben, in den ersten 7000 versen neunzehn, in der
ganzen zweiten hälfte nur zwei beispiele. in eigentlicher be-
deutung ist das adjectivum selten: Preisangaben verschmäht
Gottfried (man sehe die charakteristische stelle 657 7 — 81). mit
dem genetiv steht wert nnr 9841 (anklingend an Greg. 869).
häufiger ist wert in der bedeutung [geschätzt, schätzenswert in
Wendungen wie einen werden hän schätzen, einem wert sin ge-
schätzt werden {liejy imde wert 510. 19207. Erec 4950; tmr
unde wert 17). von hier aus führen in der bedeutungsent-
wickelung weiter die stellen 9194 ich hin gefrinnt unde geman,
so wert und so genceme . . . (meint der truchsess von sich);
4379 (Rual zu Tristan) ja bistu von der kilnfte mm werder
dan du wändest sin ; und die stelle aus der einleitung 191 so
manc wert leben, so liehe frumet, so vil so tugende von ir kvmet.
hieran schliefst sich nun durchaus organisch die Verwendung
von ivert im sinne eines lediglich schmückenden beiworts, die
bis 6006 elfmal, nachher nur noch einmal (12777) belegt ist:
654 der werde Marke; 1133 der werde Eiwalln; 3793 der
werde dan Rnalt; 6006 die werden Börne, ir frouwen; 12777
(von Brangäne) die getriiaren und die werden (:zer erden)]
685 Blanschefl'ur diu werde, ein tcunder nf der erde, was
4329 f wörtlich auf Eual übertragen wird; 652 die werdesten
und die besten (plur.) und dieselbe Verbindung der beiden epitheta
an der schon zweimal angeführten stelle 5237 von Floräte;
endlich noch von Tristan 4979 den werden man: 4590. 5008 der
werde hoiibetman. im Zusammenhang der ersten 6000 verse
des Tristan wird dieser letzte gebrauch kaum als altertümlich
empfunden; natürlich ist aber kein zweifei, dass sich Gottfrieds
spätere abneigung in erster linie gegen ihn, und — wenn über-
haupt — dann erst mittelbar gegen die sonstige Verwendung
des adjectivums tvert richtet, unter der gleichen abneigung hat
auch das abstractum werdekeit zu leiden, das sich bis 6579
im reimtypus -xiot schafft auiser dem stumpfen ausgang schon das reim-
wort tuut von vornherein andere bedingungen; doch wird auch hier die
reimformel muot: (juot (meist in dieser reihenfolge) nach 13013 sehr ent-
schieden zurückgedrängt.
zu GOTTFRIEDS TRISTAN 73
neunmal, nachher nur noch dreimal findet: 518. 1612. 1761.
4409. 4420. 5085. 5101. 5663. 6579. 8329. 15326. 18011 i.
Den sonderbarsten schicksalsvvechsel von gröster bevor-
zugung bis zu fast gänzlicher Vernachlässigung erfährt im
Tristan das wort edel, dieses adjectivum findet sich allein in
der einleitung neunmal, in den ersten 1000 versen der erzählung
(24 3 ff) achtmal, in den ersten 6000 versen des Werkes 36 mal,
dagegen in den letzten 6000 versen gerade zweimal, in den
ersten 9000 versen 54 mal, in den letzten 9000 versen 6 mal,
und überhaupt nach vers 9000 nur noch 9 mal. das Verhältnis
verschärft sich noch, wenn wir die ableitungen berücksichtigen:
edelich 2855. 4032. 6660. 15350; edelkeit 5025. 6051. 965 7;
edelen 174. 2262 ■^.
Im einzelnen zeigt sich mancherlei bemerkenswertes, für
die grundbedeutung ('aus edlem geschlecht') scheint der bürger-
liche dichter kein sehr lebendiges Verständnis zu besitzen, in
den ersten 5000 versen herscht die uneigentliche bedeutung
durchaus vor, erst von vers 6000 an macht sich die grundbe-
deutung mehr geltend, das bedeutet aber, dass der rückgang
im gebrauch des wortes in voller schärfe gerade die Gottfried
besonders eigentümliche übertragene bedeutung trifft, einmal
und zwar in der anrede übersetzt Gottfried durch edel das
französische gentil: 3353 gentil rois, edeler künec Kurnewalois!
so steht noch 16191 gentil Tristan! 13302 gentil schevaliers!
7 745 edeliu künigin! 8189 edeliu kiiniginne! und sogar 2228
und 2323 edelen koufman! jedesmal in der anrede, als formel-
' icin/e 5737. 8403. 8405. 15439. 1S745; icirdeit, werden 1650.
4468. 4995. 5031. 7802. 8401. 1S045. 18059. 18671; mit unwerde (:erde)
12345. ü; (iro:;em unwerde er ■<praih 13346. unwertdch er im nach (zun)
■•sprach 13414. 15984 (vgl. Erec 691). unwert (adj.) 1481. 12 294.
- die sämtlichen belege für edel und seine ableitungen sind der
reihe nach 47. 117. 121. 126. 141. 170. 174. 201. 216.233.458. 551.583.
642. 667. 1025. 1072. 1157. 1709. 2176. 2199. 2224. 2228. 2261. 2262.
2323. 2543. 2855. 3123. 3354. 4032. 4077. 4087. 4092. 4680. 4767. 499'..
5025. 5435. 5702. 5721. 6039. 6051. 6070. 6083. 6147. 6148. 6325. 6479.
6545. 6551. 6660. 6723. 6793. 7745. 7880. 7946. 8018. 8131. 8189. 8917.
9657. 10454. 10511. 10515 11914. 12616. 13111. 13466. 15350. 15805.
19205. zum , folgenden vergleiche man die Zusammenstellungen Popes,
Epitheta s. 59 (wo 2176 und 10454 fehlen).
74 NOLTE
liaft schinückeudes beiwort von personen kommt ccld kaum vor.
ein einziges mal lesen wir 2176 der edele Rüal, niemals Tristan
der edele man oder älmliclies. aucli 10515 ein ritt er edel und
HZ erkorn (von Marke) bleibt vereinzelt, überhaupt steht edel
besonders in der übertragenen oder in der dieser sich nähernden
bedeutung auffallend wenig mit bestimmter beziehung auf die
hauptpersonen der erzählung, verhältuismäfsig häutiger mit be-
ziehung auf die bei Gottfried meist doch recht schattenhaft
bleibenden Statisten und in noch allgemeinerer anwendung, in
der es dann besonders gern auf das publicum des werkes erstreckt
wird, dieser letzte gebrauch steht aber innerhalb des Tristan
nicht am ende, sondern am anfang der entwickeluug. die eigent-
liche bedeutung des wortes tritt dabei naturgemäfs ganz zurück,
und damit hängt es zusammen, dass in dem zu anfang fast
allein herschenden übertragenen gebrauch in der regel nicht
die leser oder allgemeiner die personen selbst das beiwort edel
erhalten, sondern ihr herze, nniot, zunge, ore, liant. ein lieblings-
ausdruck Gottfrieds ist das edele herze, das uns sofort in vers
47 fertig ausgebildet entgegentritt: edelen herzen zeiner hage
will Gottfried sein werk abfassen. 167 was aber min lesen dö
tocere von disem senenicere, daz lege ich nihier ivillekiir allen
edelen herzen viir . . . 232 ir [Tr. u, Is.] herzeliep, ir herzeleit
deist aller edelen herzen brot. aber Wolframs Parzival kann
edelen herzen nicht gefallen: 4679 ir rede ist niht also gevar,
daz edele herze iht lache dar, was Wolfram mit gutem humor
ertragen haben dürfte. 8012 moräliteit daz siieze lesen . . . ist
edelen herzen allen zeiner ammen gegeben, gelegentlich des
maifestes 549 bluomen gras lotip Wide bhiot und swaz dem ouge
sanfte tuot und edele herze erfröuiven sol, des was diu sumer-
ouive vol:, 578 diu scelige nahtegal^ daz liebe siieze vogelin . . .
daz kallete üz der blüete mit solher iibermüete^ daz da manc
edele herze van fröude und höhen muot geican; 639 diu scelege
ougemceide (Blanscheflur) diu machete üf der heide . . . manec
edel herze höhgemuot. Blanscheflur sinnt 1071 der siieze
herzesmerze, der vil manec edele herze quelt mit süezem smerzen,
der lit in minem herzen, hervorgehoben sei noch aus der für
Gottfrieds weichliche und oberflächliche art so ungemein be-
zeichnenden stelle 1702 ff. er ist tot der guote Biwalin . . .
man sol und muoz sich sin bewegen, und sol sin got von himele
zu GOTTFRIEDS TRISTAN 75
pflegen, der edeler herzen nie vergaz. im ganzen erscheint das
edele herze nicht weniger als 18 mal: allein 5 mal in der ein-
leituug, bis 4767 noch 10 mal, dann nur noch 8018. 8131.
11914, von da an bleibt es verschwunden, viel früher schon
verschwindet nach sechs belegen der edele muot (zuletzt 6723,
man sehe besonders 4993. 5702, vgl. auch 174). daneben haben
wir noch 6477 da rief an der stunde von herzen und von munde
manc edeliu zunge hin ze gote; 6791 hie wart sin llp und onch
sin leben von manegem munde gote ergehen, itn tcart von maneger
edelen hant manec süezer segen nach gesant; 7946 in edelen
ören Ifdet haz ein wort, daz schöne gezimt, dan daz man üz der
hiihsen nirnt. für edel als epitheton von herze, muot, zunge, öre,
hant zählen wir bis 8131 insgesamt 26 belege, nachher nur
noch einen einzigen (11914), die letzten 7500 verse des gedichts
kennen diesen gebrauch überhaupt nicht'.
Wir haben zu anfang gesehen, dass tugender'ich im Tristan
bis vers 5746 neunmal, in den übrigen mehr als 13000 versen
des gedichts nur noch einmal (13189) gebraucht wird, zur er-
klärung dieser erscheinung vermag nicht nur der erste, sondern
auch der zweite bestandteil des wortes einen beitrag zu liefern,
neben tugenderich finden sich im Tristan noch sieben andere
Zusammensetzungen mit -r'ich. schon in vers 925, aber auch
nur an dieser einen stelle erscheint fröuderich : den fröuderichen
östertac, der lachende in ir ougen lac (vgl. 17559 da der
österliche tac aller siner fröuden lac). zweimal findet sich das
ungewöhnlichere rederich-, das erste mal in der litterarischen
stelle: 4722 ir ist und ist genuoc gewesen vil sinnec und vil
^ erst nachdem das obige geschrieben war, kam mir Friedrich Vogts
rectoratsrede Der bedeutungswandel des wertes edel (Marburg 1909) zur
band, es wird dem leser nicht entgehn, dass ich das Gottfriedische edele
herze mit anderen äugen ansehe als Vogt s. 11 f. dass Gottfried auf dies
requisit mit der zeit immer mehr und schliefslich ganz verzichtet, scheint
Vogt entgangen zu sein, in der anmerkung zu s. 11 hätte Vogt den oben
zuletzt angeführten versen 7946 ff nicht wider die so unnötige wie un-
wahrscheinliche beziehungauf Wolfram geben sollen (Lachmann zu Iwein 4533 ;
Bechstein zu Tristan 7939, dem sich FPiquet, L'originalite de Gottfried
de Strasbourg, Lille 1905, s. 177 auschliesst).
2 will man 4834 ein rederuher man lesen, so ändert das für das
folgende aufser der zahl der belege nichts.
76 NOLTE
redench, und ein zweites mal von dem zwerg Melot: 14253
listic unde rederich. Tristans schwertleite bringt 4998 der
muotrlche der erengire Tristan: 5010 der muotr'iche. der voget
von Parmeme; womit verglichen werden mag 5676 er [Tristan]
sol an eren riehen und sügen an dem muote. in diesem letzten
Zusammenhang erhält Tristan zum ersten und einzigen male das
epitheton sinnerlch, das weiterhin viermal der älteren Isolde
beigelegt wird: 5685 Tristan der sinneriche der kam vil
sinnecliche sines willen über ein: 7188 diu sinnerIche, diu v1se
küniginne : 7303 diu sinnerIche künigin; 9470 diu sinnenche
Isöt; 10416 Isot diu sinneriche. in derselben partie erhält die
jüngere Isolde dreimal, an der dritten stelle zugleich mit ihrer
mutter und Brangäne das epitheton soeldenrich: 8000 ouch
sanc diu sceldenriche suoze unde icol von munde; 8090 die
schienen sceldenrichen ; 10856 die dri sceldenriche. zu den
bisher aufgezählten beispielen kommen in den übrigen 7500 versen
nur noch zwei: 16511 \ir gesihte] daz was so rehte minnecUch,
so süeze und also senerich, daz . . .; 16735 ester icher linden dri.
Auf grund der Verteilung der Zusammensetzungen mit -rieh
ergeben sich innerhalb des Tristan drei merkwürdig scharf ge-
schiedene teile, in den ersten 6000 versen (483 — 5746) haben
wir tugenderlch, fröuderlch. rederlch, muotrlch, sinnerich mit
9-f-l-|-l-|-2+l belegen ; in der folgenden partie und zwar
von 7188 — 10856 nur sinnerich und sceldenrUh, das erste als
epitheton der älteren, das zweite als epitheton der jüngeren
Isolde, mit 4 + 3 belegen; nach 10856, also in einer partie von
annähernd 8000 versen haben wir zwar vier verschiedene
Zusammensetzungen mit -i-lch {tugenderlch, reder'ich, senerich^
cstrrich) aber jede nur ein einziges mal (13189. 14253. 16512.
16735), mithin gegenüber den 14 belegen der ersten 6000,
bezw. gegenüber den 21 belegen der ersten 11000 verse nur
vier belege '.
Der eben dargelegte tatbestand gewinnt an interesse dadurch
dass Gottfried hier , eine eutwickeluug widerholt, die sich —
mit überraschenden Übereinstimmungen in den einzelheiten —
schon bei Hartmann von Aue feststellen lässt. Hartmann
braucht tugentrich nur im Erec: IS06 (do gedäht der tugentrlche
Erve vil ritterliche), 4629', 4S9S (Güirein der tugentriche gruozte
' vgl. Zs. 51, 135 anm. 1 über den reimtypus -('7/e im Tristan.
zu GOTTFRIEDS TRISTAN
77
in minnecltcJie), 5712 (der tugentriche Erec . . . snohte den wec).
5933 (von Erec), 6795 (von Enite), 8116 (von Erec). zwei
andere zusammenfüguugen sind Erec und Greg-, gemein: Er. 9793
ez wart nie man so freudennch ; Greg. 1971 daz er sich duhte
freudenrich; Er. 8562 und Greg. 2061 so ivirde (bin) ich eren
riche. sonst ist aus dem Erec noch zu vergleichen 10091 so er
sich des niuotes richet. nur im Greg, tinden sich sinnerlch (1178)
und scelde{7i)rich (1277 [zu vergleichen mit Er. 9793] und 324 l).
aH. und Iw. liefern keine beispiele.
Die Zusammensetzungen mit -rirh bei Hartmann und Gottfried
Erec
Greg.
Tristan
1806
4629^—8562—
8116 10091
483—
4082
4723-
5746
7188—
10856
13189—
16735
tugenderich
1
6
8
1
1
erenrich
1
1
(1)
fröudenrich
1
1
1
muot(es)ri.r,h
(1)
2
sinnerich
1
1
4
stelde(n)rich
2
3
rederich
1
1
senerich
1
esterich
1
Hartmann scheint sich die bildungen mit -rieh im fort-
schritt seiner arbeit am Erec als eine neue errungenschaft an-
geeignet zu haben ^j. denn es kann doch kaum zufall sein, dass
wir in den ersten 4629 versen des Erec nur den einen beleg
für tugentrich tinden (1806), und dann bis etwa 8500 tugentrich
mit sieben belegen die einzige bildung der art bleibt, erst
nachdem tugentrich bereits wider aus Hartmanns Wortschatz
verschwunden ist, erscheinen in den letzten 2000 versen des
Erec zwei neue bildungen (freudenrich, erenrich), die im Greg,
widerholt und durch sinnerich und sieldenrich vermehrt werden.
' dass insbesondere tuf/entrirli für Hartmann eine neuerwerbuug
bedeutete, scheint die vergleichung von tuf/e/ithaft zu bestätigen : Er. 961.
1695. 1749. 1890. 2784. 2811. 2876. 3798. 4056. 4443=4739 durch dinen
tugenthaften muot (dazu(I)B. 1499; sonst nur von personen). 4817. 5026.
5338. — 7242. von den 15 belegen des Erec stehn vor dem zweiten beleg
für tugentrich zehn, nach 5338 neben vier belegen für tugentrich nur
ein einziger, vgl. Zwierzina Zs. 45, 340 ff.
78 NOLTE
im aH. und im Iw. enthält sich Hartmann der bildungen mit
-nch gänzlich.
Wir haben also bei Hartmann wie bei Gottfried eine
doppelte entwickelung. zunächst ein schrittweises aneignen der
einzelnen bildungen; dann, während die aneignung noch fort-
dauert, ein widerfallenlassen, das bei Hartmann schon nach dem
Grregorius zur völligen meidung, bei Gottfried wenigstens zu
einer höchst sparsamen anwendung dieser bildungen führt, wie-
weit die Übereinstimmung zwischen Hartmann und Gottfried bei
den einzelnen bildungen geht, bringt die beigefügte tabelle zu
genauer darstellung. das wesentlichste ist, dass die ersten HOOO
verse des Tristan ungefähr auf dem standpunct des Erec, die
nächsten 6000 verse auf dem des Greg, stehen.
Eine nicht minder interessante beobachtung ergibt sich
wenn wir anknüpfend an hovebcere, das schon oben (s. 67) mit
tugenderich in parallele gestellt werden konnte, Gottfrieds ab-
leitungen auf -beere mit denjenigen Hartmanns vergleichen.
Hartmann verwendet an insgesamt 27 stellen die folgenden
adjectiva auf -beere, deuen ich sogleich die belege aus dem
Tristan hinzufüge:
freudebeere (I) B. 729; Er. 1379; Iw. 1144; — Tr. 622. 16387.
18093.
lobe(s)bcere Er. 1778. 1967; Greg. 1878; — Trist. 2136. 3234.
3630. 6577. 6626.
unklagebeere Er. 3169.
Magebeere Iw. 1566. 6909; — Tr. 167 5. 1713.
unJiOLebeere Er. 3636. 5064; — Tr. 4027.
hovebeere Tr. 2285. 2732. 2866. 3978. 13188.
unu-anelelbeere Er. 6791; aH. 42. 1172; Iw. 3252.
ivandelbcere Iw. 199; MFr. 206,3; — Tr. 10014.
sagehcßre Er. 7570. 8372; — Tr. 659. 4006. 5864. 6568.
ahtebcere Er. 6246; — Tr. 6077 (ahtbceren vb.)
genisbeere aH. 172. vribeere aH. 225 = 447.
erboere Iw. 116. 931. 4248; — Tr. 419. 4317.
lasterboere Iw. 2600; — Tr. 6267. 11320.
Hartmann verwendet diese bildungen verhältnismäfsig gerade
nicht selten, aber doch ohne besondere verliebe, aufser den
beiden nur im aH. vorkommenden genisbeßre und vribeere sind
zu GOTTFRIEDS TRISTAN 79
Hartmanns sämtliche adjectiva auf -beere auch im Tristan belegt,
und zwar im ganzen absolut und relativ häufiger; denn den
22 belegsteilen aus Hartmanns epischen werken stellt der
Tristan 26 belege gegenüber: 419. 622. 659. 1675. 1713. 2136.
2285. 2732. 2866. 3234. 3630. 3978. 4006. 4027. 4317. 5864.
6077. 6267. 6568. 6577. 6626. — 10014. 11320. 13188.
16387. 18093. von diesen 26 belegen stehn nun aber bis
Tr. 4317 allein 15, bis 6626 insgesamt 21, in den übrigen zwei
dritteln des gedichts nur noch 5. sonst finden sich im Tristan
vor 5963 noch die folgenden bildungen, für die ich sogleich
sämtliche belegstellen angebe:
einlmreUche'^ 911. 10194.
einhcere 2391. 5244. 6613. 100S7. 10988. 11734. 16969.
scJünbcereliche 932.^ scJünhcere 14344.
offenbeere 1496. 9698. 10997. 12993. 14285. 17715. 19280.
offenbare 15069. 15749. off'enbeerllche 18220.
offenbeeren 11917. 13640. 15293. 15737. 16784'.
nun sind aber die bisher erwähnten bildungen doch nicht die
einzigen deren sich Gottfried bedient, von 5963 anhaben wir:
(Jienestbeere 5963. knrbeere 6185.
sigebeere 6189. angestbcere 6438. 17453.
wd.rbeere 6880. wärbeeren 6471. 15545.
schimpfbeere 6755. simiebeere 7913.
Jönheere 12349. tragebeere 12412. 18444.
mreitbeere 12431. tötbeere 12864.
Ifdbeeren 13615.
irrebeere 15847. unsckadebeere 18949.
das sind 18 belege (5963. 6185. 6189. 6438. 6471. 6755.
1 für -lHiir(e)Urh(e) setzt prof. Schröder -bwre(U<-h(e) oder -bdrluh(e).
- Er. 7595 (Haupt: diu tier elementä stuonden schinlichen da)
gibt die hs. srliei/iperlichen. das adjectivum i^rhinlich steht Iw. 1526.
3 es fällt auf, dass vou den 15 belegen für off'enbcere und seine
ableitungeu vor 9698 nur ein einziger steht (1496). was keineswegs aus dem
inhalte verständlicli wird, man vergleiche dazu den mit zwölf belegen ganz
der zweiten hälfte des Tristan angehörenden reimtypus — ceret(e) (Zs. 51.140).
auch von den zwölf belegen für das adverbium qffenliche steht vor 8117
unreiner: 1626. 8117 = 11510=16349- 16557 qff'enliche und toucjen. 8119.
8123 lüte und oJfenUche. 10002. 13190. 15297. 16543. 18834. das adjec-
tivum offeidich steht 5975. 9580. 11370. 12994. 15447. 18841. — man
übersehe nicht, dass die auffällige ableitung mit -/ic7)e sich nur in der gruppe
einhcere, schinbKre, offenbeere findet.
so NOLTE
6880. 7913. 12349. 12412. 12431. 12864. 1301.3. 15545.
15847. 17453. 18444. 18949), deren Verteilung mm wider
bemerkenswert ist. lassen wir die schon erwähnten bildungen
einhcerc, schinbtere, offenbiire mit ihren ableitungen bei seite,
so zerfallen Gottfrieds adjectiva auf -Innre in zwei deutlich
geschiedene gruppen:
1) diejenigen die auch Hartmann kennt und fast allein
anwendet,
2) diejenigen die Hartmann und zugleich fast dem ganzen
ersten drittel des Tristan fremd sind, bis Tr. 4317 zählen wir
für die adjectiva der ersten (Hartmannschen) gruppe die hohe
zahl von 15 belegen, von 4318 — 5863 fehlen alle ableitungen
auf -h(ere (aufser einbcere 5244). von 5864 — 6S80 sind beide
gruppen mit 6 + 7, danach nur noch mit 5 -f- 11 belegen ver-
treten, von denen vor 12349 nur 24-1, von da an 3-f-lO stehn.
Das für uns wesentlichste dieses tatbestandes ist, dass die
Hartmannsche gruppe der adjectiva auf -beere es nach 2 1 belegen
der ersten 7000 verse nur noch auf fünf weitere belege bringt,
während gleichzeitig schon von 5693 an eine gröfsere anzahl
vorher nicht belegter adjectiva auf -beere erscheint, die zt.
sicherlich Grottfriedische neubildungen sind.
Wir kehren nochmals zu unserm ausgangspunct zurück,
apposition zum eigennamen nach dem muster von Marke der
tugenderiche oder Rual der (juote mcui findet sich im Tristan an
folgenden stellen: 475. 483. 625. 685. 719. 737. 1164. 1330.
1679.2226. 2330. 2481. 2732. 2841. 2919. 3260. 3381. 3392.
3459. 3512. 3561. 3585. 3981. 4105. 4231. 4268. 4284. 4329.
4527. 49301 49481 56S5. 5745. 5746. 5S77. 59541 7032.
7297. 7977. 8271. 8344. 10416. 107811 11437. 12055.
12877. 13189. 14663. 15145. 15190. 154731 16060. 161791
= 162151 16665. 18017. 18756. 18940. das sind 58 bei-
spiele, davon in den ersten 6000 versen allein 36. unter sich
zeigen die beispiele eine reiche mannigfaltigkeit von abstufungen
und Schattierungen, jedoch so, dass die früheren beispiele im
allgemeinen dem altern epischen stil näher stehen. Marke der
ingendcriche (483. 3381. 13 189)würkt, obwol tugenderiche eine
junge bildung zu sein scheint, an Gottfrieds stil gemessen noch
fast mit dem vollen Schwergewicht der altepischen formel, selbst
zu GOTTFRIEDS TRISTAN Sl
wenn folgt (484) der enpfienc in tugentJkhe oder (3382) der
geicarp vil tugentlidie. Tristan der ivgenderkhe (2226. 5746)
ist schon etwas anderes, und wider etwas anderes Tristan der
smnenc/ic (5685). m Brangonie diu reine (14 663. 16 665) scheint
der starre formelhafte Charakter durch den bau des verses auf-
gehoben zu werden. Morolt der listige man (7 032) ist ganz die
alte formel, die in Tristan der sorchafte man (7297), JJrgün der
schadehafte man (16060j, auch in Tristan der sigescelige man
(16 179 f. 162 1 5 f) individualisiert, und in Marke der verdähte
man (15145) beinahe schon parodiert wird, wie Gotfried die
alte formel umzubiegen weils, zeigt besonders hübsch 15 473f
Isot diu u-ol gesinne, diu gesinne küniginne. merkwürdig ist
das alleinstehnde lS0l7f mäze diu here diu heret l/p und ere :
vgl. Otfrid IV 29, 51 karitas thiu guata; V 23, 120 Caritas
thiii diura: H 129 viinna thiu diura {theist kar-itas in wara)\
Wir haben fast bei jeder einzelnen unserer beobachtungen
eine grölsere oder geringere Verschiedenheit zwischen den 611OO
ersten versen des Tristan und den übrigen 13 500 versen fest-
stellen können, genauere betrachtung besonders einiger neu auf-
tretender erscheinungen führt darauf, die grenze vor vers 5871
anzunehmen, also genau da, wo die erzählung mit der einführung
Morolds nun endlich zu einer handlung von würklich entschei-
dender bedeutung übergeht, der dichter scheint sich freilich der
Wichtigkeit des Überganges nicht sonderlich bewust zu sein: er
vollzieht ihn mit einem ungeschickten und nichtssagenden waz
lenge ich nu me hier an? und unterlässt es ganz und gar, das
ermattende Interesse des lesers auf das bevorstehnde neue und
wichtige zu spannen, auch eine arbeitspause ist an dieser stelle
nicht eben wahrscheinlich, denn der stilistische unterschied
zwischen dem was vorangeht und folgt, ist zwar vollkommen
' wer die oben zusammengestellten beispiele durchmustert und viel-
leicht auch eigene Zusammenstellungen vergleicht, möchte leicht finden, dass
die Sammlung zu viel oder auch zu wenig enthält, die abgrenzung des
würklich hierhergehörigen ist eben unsicher, nach dem ersten drittel des
Tristan werden gewisse arten der apposition häufig, die sich vorher kaum
belegen lassen und hier nicht zu berücksichtigen waren, z. 15. Marke der
swicehcre 14014. 17716 (vgl. auch 15269), was ebenso eine stilistische
neuerung ist wie der traroere Tristan 14502. 14917. 15790. 15854. 18649.
vgl. auch Zwierzina Zs. 45, 267 anm. 2.
Z. F. D. A. LH. N. F. XL. 6
S2 NOLTE
deutlich, aber wenigstens an der g:renze nicht so stark, dass er
nns zur annähme einer längeren Unterbrechung der arbeit nötigen
niüste. was der grenze vorangeht ist in sich so wenig gleich-
artig und einheitlich wie das was folgt, es ergibt sich ungefähr
1500 verse vor 5870 mit nicht geringerer deutlichkeit eine
zweite grenze, die ich nach vers 4330 ansetze, an dieser stelle
ist eine arbeitspause schon wahrscheinlicher.
Auch die partie l — 4330 ist, selbst wenn man von dem
einfluss des mannigfaltigen Inhalts absieht, keineswegs einheitlich,
doch kann sie für den äuge nbl ick allem folgenden gegenüber als
eine verhältnismäfsig homogene masse gelten, die oben zusammen-
gestellten den ersten 6000 versen eigentümlichen erscheinungen
treten zt. schon nach 4330 — und nicht etwa nur in der litte-
rarischen stelle — so weit zurück, dass ein deutlicher unterschied
fühlbar wird, anderseits begegnen alsbald nach vers 4330 die
ersteh aus der stetig wachsenden schar von erscheinungen, deren
fehlen oder Seltenheit in den früheren teilen des gedichts weder
als Zufall noch aus dem Inhalte, auch nicht etwa aus bewusster
künstlerischer enthaltsamkeit , sondern nur aus der stetigen
spontanen Wandlung des Vorrats an worten, reimen, formein usw.
sich erklären lässt. ^
' man sehe oben uamentlicli guot s. 69 und s. 71 anm. und
die tabelle s. 77. hier noch einige weitere beispiele. auf eine hierher-
gehörige besonders interessante tatsache aus Gottfrieds reimtechnik ist
Zs. 51, 140 ff hingewiesen, dass Gottfried den reimtyijus -ugent d. h. die
reimformel Jtige/it: tucjent nach achtmaliger anwendung (293 — 4537) in den
drei letzten vierteln des Tristan verschmäht, wurde oben s. (32 anm. be-
merkt, umgekehrt ist der 17 mal belegte reimtypus -ogen dem ersten
viertel des Werkes fremd: .5027. 5.575. 6665. 7049. 8753. 10199. 10377.
11591. 13421. 14931. 15263. 15403. 15665. 16157. 17109.17795.19401.—
üf legen ein charakteristischer lieblingsausdruck Gottfrieds (meist üf
r/eleit im reim) steht in den ersten 6000 versen nur einmal, vor 4561 über-
haupt nicht: 4561. 6016. 6243. 6633. 6655. 6767. 7038. 9179. 9280. 9658.
9S45. 9899. 11097. 11214. 11441. 11587. 13508. 13738. 13744. 13S59.
14171. (14654.) 14733. 15515. 15688. 15816. 15942. 16224. (16551.)
16582. 1S470. (vgl. Benecke und Lachmann zu Iwein 1190.) — die vers-
füllende formel sehant und an der .stunde braucht Gottfried 1126 = 3818
= 4196, nachher nicht wider, und auch nichts was sich direct vergleichen
liefse, obwohl sehant nicht etwa seltener, sondern häutiger wird (von 105
ereimbelegen für sehant stehn im ersten drittel des Tristan nur 23). es
ist auch nicht etwa die formel als solche die Gottfried meidet, in der
kleineren zweiten hälfte des Tristan findet sich in verschiedenen Variationen
neunmal die folgende versfüllende formel 11521 = 12415= 14486 dick
zu GOTTFRIEDS TRISTAN 83
Die beiden eben erwähnten grenzen sind nicht die einzigen
innerhalb des Tristan, wol aber nach meinen bisherigen beob-
achtungen die deutlichsten, in der folge dürfte die wichtigste
grenze ungefähr da anzusetzen sein, wo sich die tendenz zur
Vermehrung der klingenden reimpaare mit voller entschiedenheit
und nachhaltiger würkung durchsetzt, also bei vers 11371. die
festlegung solcher grenzen soll übrigens hier — wie ich zur
Vermeidung jeglichen misverständnisses ausdrücklich bemerke —
zunächst nur der klareren erfassung der im Tristan sich voll-
ziehenden entwicklungen dienen, darüber hinaus dürften diese
grenzen gerade für Gottfried kaum sonderliche bedentung ge-
winnen können, der Tristan ist aller Wahrscheinlichkeit nach
in nicht allzu langer zeit in ziemlich gleichmäfsig fortschreitender
arbeit entstanden, dass auch Gottfried nicht 20 000 verse schreiben
konnte ohne mancherlei abzustreifen oder einzuschränken, anderes
zu entwickeln, ist so selbstverständlich, dass das gegenteil des
beweises bedürfte, zwar ist der dichter des Tristan von anfang
an raeister, aber an seiner eigenen entwicklung gemessen könnte
er bis etwa 4330 noch ein w^enig anfänger heifsen, wenn auch
natürlich ganz und gar nicht in dem sinne, wie Hartmann in
den 3000 ersten versen des Erec. vergleicht man mit den
Versen 243 — 4330 die fast genau gleich grofse partie 7235 — 1 1370
so wird man den fortschritt nicht verkennen ; und still steht die
entwickhing auch nachher nicht ', wenn auch nicht alles was
neu ist, darum schon einen gewinn bedeutet.
und se manegem male, 139S8 dick' und se maneger stunde, 15079
dick' und z-e manegen ziten, 16485 ml dicke und se maneger Sit, 16501
oft' und ze manegen stunden, 18485 oft' und se maneger stunde,
1S859 vil ofte und ze manegem. tage, ebenfalls erst in der zweiten
hälfte des Tristan findet sich 11 758 (versfüllend) und 19209 (am versan-
ang) ofte unde dicke, 16492 vil ofte und alse dicke, 17119 dicke dar
und ofte dan, 13054 dicke und iegedihte, 19454 als ofte und alse eil,
womit aus dem früheren nur 362 f zu vergleichen ist. — ich erwähne noch,
dass sich das wörtchen et (in Bechsteins text, 3. aufläge) an folgenden
stellen findet: 302. 1290. 1552. 1741. 2414. 4385. 4469. 5476. 6064.6130.
6255. 7031. 8558. 10590. 10S18. 11074. 11752. 12106. 12S38. 13506.
14216. 14221. — 19527.
• meinen — minnen 1111. 13919 f 19150. minnen — meinen
11787. 19154. 19315. 19546. minne — meine (subst.) 17733. 19305. 19463.
meine — minne (subst.) 18066.
Kassel. Albert Ä'olte.
6*
LEÜDÜS
In dieser Zeitschrift bd. 49, 306 hat Jostes uninileodos als
'sicherheitsmannen' erklärt und Jeudos bei Venantius Fortunatus
mit 'mannen, vasallen" übersetzt, diese Übersetzung wird in dem
aufsatz durch Sounenburg verteidigt.
Die stelle aus dem an herzog Lupus gerichteten gedieht
lautet (7, 8, 62):
et qua quisque valet te prece voce sonet,
Bomanusqve lyra, plaudat tibi barharus harpa,
Graeciis Achilliaca, crotta Brittanna canat . . .
nos tibi versicidos, dent barbara carmina leudos ^).
hierzu bemerkt Sonnenburg: 'würde hier leudos lieder bedeuten,
so wäre es neben barbara carmina unverständlich, da nun aber
zum ersten gliede des verses aus dem zweiten ein demus (oder
damus) ergänzt werden muss, so ist offenbar ein gegensatz ge-
wollt zwischen versiculi, dh. versen classischer art, wie sie
Fortunatus widmet, und barbara carmina. dann aber muss im
zweiten gliede ein gegenstück vorhanden sein zu dem nos am
anfang des verses, dh. es muss gesagt sein, wer die barbara
carmina spenden soll, und dies ist der fall, wenn das letzte wort
das dann leudes zu schreiben wäre, eben bedeutet: die mannen
des germanischen Stammes'.
Neben carmina ist leudos nur so lange unverständlich, als
man es mit 'lieder' übersetzt, die alte bedeutung des wertes ist
aber unzweifelhaft 'strophe' (im musikalischen und metrischen
sinne), es entspricht als ein technisches wort den versiculi,
womit Fortunatus seine dichtung ihrer form nach charakterisiert:
suscipe versiculos, Anthimi pignus amantis. 3, 29, 1.
Nehmen wir das durch conjectur eingesetzte leudes als
subject, so ergibt sich zwar grammatisch ein tadelloser vers
(nos, leudes und versiculos, carmiwastehnsich gegenüber, aus dent ist
zu 710S ein demus zu ergänzen, wie app. 2, 67: vir Constantinum,
Helenam pia f'emina reddis, ein reddit zu vir) — aber leudes
' es ist zu beachten, dass der cod. S. Galli 196 (9 jh ) zu leiidoif
die glosse giebt: i. e uninileodos. dieser beleg ist, wie es scheint, über-
sehen -worden. auch Kögel (im Grundriss^ ^ 51) verzeichnet ihn nicht,
er scheint mir für die bedeutungsgeschichte des wortes nicht unwichtig
zu sein.
MEISSNER. LEUDUS 85
wäre ein schiefer ausdruck. wir würden ein wort verlangen,
das bestimmt den Franken gegenüber dem Romanus bezeichnet,
das ist barbarus an vielen stellen bei Fortunatus. leudus kann
es nicht sein, mir fehlen die kenntnisse, in den streit der
historiker einzugreifen, ich verweise nur auf Roth Gesch. des
beneficialwesens, bes. s. 115. 27S und s. 293. Waitz Verf.-
gesch.* II 273 ff. für unsere stelle genügt es, dass im reiche der
Merowinger unter leudes sowol alle freien, Römer wie Germanen,
verstanden werden, die den von Marculf (1, 40) leudesamio ge-
nannten eid schwuren ', als auch solche, die in näherer abhängig-
keit zum könige standen, besonders die proceres, optimates 2 seiner
Umgebung, das wort, das in karolingischer zeit verschwindet, hat
in der zeit des Fortunatus einen staatsrechtlichen sinn und ist
schon seiner Unbestimmtheit wegen durchaus ungeeignet, den
germanischen dichter gegenüber dem römischen zu bezeichnen.
Eine leichte incongruenz entsteht freilich dadurch, dass
grammatisch nos und barhara carmina sich entgegentreten,
person und sache; aber ein ähnlicher fall ligt in v. 64 vor:
Gr accus AcMlliaca, crotta Britanna canat.
carmina ist hier in freierer weise zu nehmen, fast persönlich; vgl.
carmina quin etiam divini p>ectoris eius
vociferantur et exponunt jJi'aec-lara reperta.
Lucr. 1, 731.
Die zweite stelle steht in der an Gr-egor gerichteten prae-
fatio. Fortunatus will sagen, dass man an seine unter den ver-
ständnislosen germanischen barbaren entstandenen gedichte keinen
hohen malsstab anlegen dürfe: iibi mihi tantundem valebat
raacum gemere quod cantare, apud quos nihil disparat aut
* es ist doch als sicher anzunehmen, dass unter den minores, in-
feriores, leudes, der untersten classe der freien im burgund. recht, sich
Römer befanden, wie es für die erste (optimates) bezeugt ist. — leudes
in dem sinne von homines, knechte ist an unserer stelle wegen des gegen-
satzes zu /<o* immöglich, die formel pro stabil itate re;ini vel [irn i-unctis
leudis nostns (MG. Diplom, fol. I 72, 52; Dipl. Karol. I 1. 10. 45 u. 6.)
deutet auf eine hergebrachte bezeichnung aller Untertanen des fränkischen
königs.
^ lex Sal. 41, 5; si quis rero Romano homine concira ref/e orciderit.
die stelle zeigt, dass sich Römer auch unter diesen leudes befanden.
anno 11. re'ini Teuderiri subro<iatti.< major domus Claudiu--< ijenere
Romanus. Fredegar 4, 28.
86 MEISSNER
Stridor anseris autcanor oloris,sola saepe bomhicansharharoslendos
arpa relidens; ut inter illos egomet non musicus poeta, sed muricus
deroso flore carminis 2)oema non canerem, sed garrirem quo residentes
aiiditores inter acernea pocula sahite bihentes insana Baccho iudice
dehaccharent
zu raucum geniere vgl.:
scabrida nunc resonat mea lingua rubigine verba
exit et incompte raucus ab ore fragor. 2, 9, 7.
uhi mihi tantundem valebat bis cantare heilst: 'wo mir künst-
lerische und unkünstlerische dichtung gleich hoch angerechnet
wurde'; dem entspricht dann, dass den Germanen das geschrei
der gans und der gesang des schwans ' gleichwertig ist. zu sola
bis relidens bemerkt Sonnenburg: 'sola saepe bombicans arpa
kann wol nur harfenspiel ohne text bedeuten; würde nun bar-
baros leudos relidens, wie man annimmt, heifsen: 'barbarische
lieder ertönen lassend', so wäre entweder mit leudos auch nur
'musikalischer Vortrag' bezeichnet, so dass bombicans und relidens
parallel stünden und ein verbindendes et fehlte, oder leudos be-
zeichnete eben text im gegensatz zur musik. ersteres ist
undenkbar, weil Jedesfalls seine sonstigen gedichte (dh. texte) in
gegensatz gestellt werden zu denen, die seine zuhörer gewohnt
sind . . ., und weil bei dieser auffassung die beiden participien
ganz in der luft schweben und der gedanke weder an das vor-
hergehnde noch an das folgende sich natürlich anschliefsen
würde; und letzteres scheint ausgeschlossen, weil dann ein gegen-
satz zwischen Instrumentalmusik {sola bombicans arpa) und
liedertexten {barbari leudi) vorläge, der doch irgendwie ausge-
drückt sein müsste. fasst man aber leudi in der bedeutung
'mannen', und relidens nicht in der für diese stelle besonders
angenommenen, sondern in der gewöhnlichen 'znrückstofsen', und
nimmt man an, dass die participien entsprechend dem fehlen
einiger (einer?) Verbindungspartikel im Verhältnis der unter- und
Überordnung stehn, so ergibt sich mit der unbedenklichen ergän-
zung von est der einfache sinn : 'wenn die harfe oft allein ertönt,
stöfst sie die barbarischen mannen ab, so dass trotz der vorher
angegebenen mängel ich als verschlechterter poet mein lied her-
leierte, um ihren beifall zu finden'.
' o/o/- und unser: hoc more tu et olorinis cantibus unseres racos
sociarens. Sidou. Apoll, ep. 9, 2, 2.
LEUDUS 87
Zunächst hat S. die grammatische construction verkannt,
das part. präs. ist hier wie oft bei Fortunatus (s. Leos index
s. 411") absolut gebraucht; eine verbindungspartikel zwischen
den beiden absoluten part. ist überflüssig, vgl. :
extollens (= sich erhebend) cervix domini iuga ferro recusam,
sie tumidis animis tiirget inane cutis. 5, 5, 21.
Leos beispiele zeigen, dass ein solcher participialsatz dem
regierenden satz vorausgehn oder folgen kann; der zweite
fall zb.:
mors et origo simul misero processit ab alvo,
extinctam generalis mater anhela inamim. 2, 16, 135.
warum sola homhicans arpa mstriMnentilyortrag bedeuten muss,
versteh ich nicht; nehmen wir sola in dem sinne von 'nur,
allein"', fügt sich der participialsatz dem vorhergehnden gedanken
ganz natürlich an: 'in dieser barbarischen Umgebung hör ich
nur immer wider den klang der arpa' — und niemals den der
dulce sonans lyra. die arpa ist ein barbarisches instrumenta,
bomhicans bezeichnet ihren rauhen, fremdartigen klang als eine
eigenschaft (klangfarbe). bei dieser auf fassung fällt die
djroQia, die durch relidens leudos für S. entsteht, fort, es
bleibt die ungewöhnliche anwendnng von rcJidere. zwar die be-
deutung die S. braucht (zurückstofsen), kann man nicht als die
'gewöhnliche' bezeichnen, das verbum ist überhaupt selten, keine
der bei Forcellini angeführten stellen, auch nicht die aus Au-
sonius — und ein anderes material scheint S. nicht im sinn zu
haben — zeigt reliderem dem übertragenen sinne 'zurück-
stofsen' = 'abneigung erwecken' (subject: eine sache, object: eine
person). Fortunatus braucht relidere einmal im sinne von
schlagen:
sed qiiia dulcedo pulsans quasi malleus instat,
et velut incudo cura relisa terit 2, 9, 12.
dann mit bezug auf seitenspiel:
per lyricos modulos et fila loquacia plectris,
qua (wenn) citharis Erato dulce relidit ebur. 6, 10, 4.
dulce heilst das plectrum, weil es den klang hervorruft : relidere
^ ein beispiel freier construction: <il((dii<qne firacatas ante tnanus
solas iussi portare catenas. Sidon. Apoll, carm. 7, 77.
- aus Sidon. Apoll, epist. 5, 5, 3 ergibt übrigens sich sieh, dafs die bur-
gundische harfe nur drei selten hatte.
S8 MEISSNER
heilst hier: ■tönend anschlagen lassen gegen', in dei- praefatio ist
relidens leitdos allerdings sehr frei gebraucht: die leudi sind das
beim anschlagen hervorgebrachte, rehdeiifi = tönend zurück-
werfend; doch ligt ein solcher bedeutungsübergang nicht allzu
fern; man vgl. folgende stelle:
iiicipiat (seil, imer) teneros ut dare voce sonos,
inperfecta rudis conlidens niurmura lingiiae. S, 3. 355.
der geblümten rede der praefatio ist eine solche Verwendung des
Wortes wol zuzutrauen.
Nehmen wir aber einmal relidens und Icudos in dem sinne
der von S. vorgeschlagenen Übersetzung, ich dächte, man müste
die unerträgliche sinnverrenkung die dann entsteht, sofort
empfinden. Fortunatus erklärt die Germanen erst für stumpf-
sinnige barbaren, denen jedes Verständnis für seine poesie fehlt;
er trägt ihnen aber doch seine gedichte vor, weil sie sich durch
den blofsen instrumentalvortrag abgestofsen fühlen, mit der
logik dieses gedankens im Zusammenhang der ganzen stelle mag
sich abfinden wer kann — ich frage nur: avo steht ein wort
davon, dass Fortunatus den beifall der barbaren erringen will?
den sinn 'um ihren beifall zu finden" kann S. nur aus dem satze
quo residentes auditores inter acernea pocula salute hlhentes insana
Bacclio iudice dehacharent herauslesen wollen, quo aber kann
hier, wie an zahlreichen andern stellen des Venautius Fortunatus,
nur 'wo' bedeuten, der sinn ist hier wie in den berühmten
versen inter eils goticum usw., dass in einer germanischen trink-
halle der römische dichter kein gehör findet; das wird dann
gleich weiter ausgeführt: quid ihi fahre dictum sit uhi quis
saniis vix creditur, nisi secum pariter insanitur, quo gratulari
magis est si vivere licet post hibere.
Wenn man auch bei Fortunatus meiner ansieht nach zur
alten auffassung von leudos zurückkehren muss, könnte doch
winileodos im capitulare Karls d. Gr. von Jostes richtig
erklärt sein.
Jostes veiwirft die bisherigen Übersetzungen der stelle aus
sachlichen und einem formalen gründe, er traut es Karl d. Gv.
nicht zu, dass er Verordnungen über so wunderliche einzelheiten
erlassen haben soll. — die Vorschrift über die 'bleiche gesichts-
farbe' der nonnen und den aderlass, die mit dem vorhergehnden
satze nicht das geringste zu tun hat, ist besonders durch Kelle
LEÜDÜS 89
(Wiener Sitzungsber. 161. nr 9, s. 15 ff.) völlig sichergestellt
und durch eine Vorschrift aus der regula sanctimonialiuni des
abtes Robertus von Arbrisello (gest. 1117) gestützt.
Bei dem satze et nullatenus ibi icinlleodof scrihere vel
mittere praesumant ist zu bedenken, dass den nonnanes vor allem
jeder verkehr mit der aufsenwelt abgeschnitten werden soll, wie
die vorhergehnden worte beweisen; damit erledigt sich Jostes
frage, warum das aufschreiben und zusenden (auf das mittere ist
gewicht zu legen), nicht das singen von icimUodi verboten
wird. Kelle hat vergeblich nach einer ähnlichen bestimmung in
andern Verordnungen, die sich auf nonnenklöster beziehen,
gesucht; wir haben es hier aber mit keiner ausgeführten Ver-
ordnung sondern einer Instruction für aufsichtsbeamte zu tun.
für diese Instructionen ist es charakteristisch, dass einzelheiten, auf
die durch irgend eine veranlassung die aufmerksamkeit gelenkt
wird, herausgegriffen werden, man darf nicht annehmen, dass
es sich hier um eine gewohnheitsraäfsige beschäftigung der
canonisch lebenden nonnen handelt, dem könige sind solche
fälle zu obren gekommen, ebenso wie er gehört hat, dass geist-
liche den psalter und das evangelium zum zauber benutzen
(dasselbe capitul. unter 20) oder zaubertafeln gegen hagel an
Stangen aufhängen (34), oder vgl. Cap. pag. 116, 12 de canibus qvi
in dextro anno tunsi sunt. — dass die uninlleodi lieder sind, wird
durch die glossen zu den canones (dazu tritt jetzt die glosse
aus dem St. Galler codex des Venantius Fortunatus) über allen
zweifei erhoben, denn Jostes erklärung, dass der erste glossator
die stelle des capitulars im sinne gehabt und raisverstanden habe,
enthält zwei annahmen die gleich willkürlich sind.
Ein wort noch über den formalen grund, der Jostes veran-
lasst hat, nach einer andern deutung von uninüeodi und leudus
bei Venantius Fortunatus zu suchen, "wer leodes oder leodos als
den acc. plur. von Jeod auffasst, geht über das schwere gramma-
tische bedenken, welches dabei das geschlecht des wortes bildet,
leicht hinweg', hier ist zu bemerken, dass die m. und n. der
zweiten lat. declination in der romanischen Volkssprache zusammen-
fallen musten, dass das n. überhaupt untergeht, sodass der
Sprachgebrauch des späten lateins nur unsicher zwischen m. und
n. scheidet, so braucht Venantius Fortunatus (s. Leos index)
Signum, ingenium, sepidchrum, cor gelegentlich als m. deutsche
90 MEISSNER
lelinwürter im späten latein behalten meist iliv gescblecht, aber
Schwankungen sind nichts ungewöhnliches, und besonders der
Übergang des n. zum m. ist sicher bezeugt; ich begnüge mich
auf mallus und weregihlm hinzuweisen: secl jproxhmis mallus
comitis ei concedatur. capit. 1, 2'J2, 16; weregiUhis eins äomwo
solvatur 1, 139, 32.
Königsberg. Rudolf Meissner.
DÜLGERE.
Das edictum Chilperici (Capitularia ed. Boretius 1, S) be-
stimmt für den fall, dass ein sclave einen freien getötet hat,
folgendes: quare condictione x>lamit atque convenit, ut si servus
h ominem ingenuum occiderit, tunc dominus servi cum vi. iuramento,
(erg. iuret) qiiodjJura sit conscimtia sua nee suum consilium factum
Sit nee vohmtatem eius, et serviim ipsum det ad vindictam. Et si
servum dare non potuerit, in ipso iuramento fide data donet, nee
ibi sit ubi eum sensit nee seit nee eum atingere possit, dulgat
servum hoc est de licentia parentibus cor am parentes qni hocci-
sus est et de ipso quod voluerint faciant, et ille sit exolutus. —
über den sinn des ganzen Zusammenhanges besteht kein zweifei:
eine haftung des herrn für einen von seinem sclaven begangenen
totschlag tritt nicht ein, wenn der herr durch den eid feststellt,
dass er nicht ein mitwisser der tat gewesen ist: nun werden
zwei fälle unterschieden; befindet der sclave sich in der gewalt,
seines herren, muss dieser ihn den verwanten des getöteten zu
willkürlicher räche übergeben, ist der sclave entflohen, so muss
der herr einen zweiten eid schwören, dass er nicht wisse, wo der
sclave sich aufhalte, und dass er ihn auch nicht erreichen könne,
dann soll er vor den verwanten des getöteten erklären, dass er
den sclaven preisgebe und es ihnen überlasse, mit dem sclaven
(ergänze: wenn sie ihn fassen) nach gutdünken zu verfahren.
Das edictum ist nur in einer Leidener hs. des 9 jh.s er-
halten, die einen schlechten text der lex Salica emendata über-
liefert (Lex Salica ed. Hesseis, einl. xviii). — die worte de
licentia parentibus coram j)arentes sind unsinnig. Kern schlägt
vor: det licentia: zweifellos wird durch das Iwc est ein verbum
erfordert, der sinn muss sein: dass er den angehörigen des ge-
töteten das recht erteilt, mit dem totschläger nach belieben zu
LEUDUS — DULGERE 9 1
verfahren; und ferner ist in dem satz ausgedrückt, dass diese
Übertragung von angesicht zu angesicht stattfindet, vielleicht
ist ])arentihus zu streichen {det licentiam coram parentes).
Der eigentümliche ausdruck dulgat ist der aufmerksamkeit
der herausgeber nicht entgangen. Boretius in der Ausgabe der
Lex Salica von Behrend (Berlin 1874, s. 106, 4) nimmt dulgere
im sinne von cessionem faccre und setzt zweifelnd indulqeat
dafür ein'; indulgat'^ ist von Geffcken (Lex Salica, Leipzig
1898, s. 84) in den text gestellt. Kern (Lex Salica ed. Hesseis,
London 1880, sp. 514) erklärt dulgere als ein latinisiertes ger-
manisches verbura: 'dnlgan = didigan = dulian, on. dyija, dan.
dölge, to conceal; to disavow'. den sinn der stelle gibt Kern
richtig wider: "the master of the slayer is obliged to give him
up, disown him; disavowing and disowning', sagt er, 'are uearly
allied notions, and are often expressed by one word; e. g. as.
wid^sacan, negare, renunciare, abdicare, repudiare; d. versahen
is not only e. ,to forsake', but also ,negare, inficiari'.' — Clement
(Forschungen über das recht der salischen Frauken, Berlin 1876,
s. 270) übersetzt den satz von dulgat ab so: "er darf den sclaven
töten, das heifst mit erlaubnis der verwanten in gegenwart der
verwanten des getöteten, und mit diesem (sclaven) dürfen sie
tun nach ihrem gutdünken'. auch er sieht dulgere für germa-
nisch an: 'bei dulgat servmn ist zu bemerken, dass das ostfris.
doljen prügeln, das nordfris. an dellang tracht schlage, das
altfris. dolg, dolch wunde und das altengl. tholigen töten, um-
bringen heifst' (s. 274).
Bei der schlechten Überlieferung wäre eine textverderbnis
dulgat für indulgat wol möglich; diese annähme fällt damit hin,
dass dulgere an andern orten sicher bezeugt ist. die bei
Ducange angeführten belege scheinen den herausgebern der Lex
Salica entgangen zu sein, während widerum bei Ducange die
stelle aus dem edictum Chilp. fehlt. die Lorscher annalen
bringen dulgere an drei stellen; die Überlieferung zeigt, dass
man bemüht war, das wort zu glossieren:
Annales Laurissenses majores (Annales regni Francorum) ed.
• ebenso MGLeg. II, 1, 8, 6; es ist nicht klar, ob Boretius an eine
verderbniss des textes denkt, oder ob er ein verbum dulgere = indulgere
annimmt.
- inf. pass. ii^dnhji z. 1). Jordanes cap. S.
92 MEISSNER
Kurze p. 14 (ad 756): dum reversus est Pippinus rex, cupieba^
supradictus Haistulfus nefandus rex meniiri, quae antea poUicitus
fuerat , obsides dulgere (var. : denegare, relinquere, indulgere),
sacramenta inrumpere; p. 44 (ad 776): nuntius veniens, qui
dicit Saxones reheUatos et omnes obsides suos dulgtos (var.:
tultos, dultos; Ademar von Chabannes Chron. 2,4: et obsidibus
mentitis) et sacramenta rnpta\ p. 4S (ad 777): secundum morem
lllorum oninem ingemtitatem et alodem manibus diilgtwn (var.:
dulgium, diiltum, indulgtum; Ademar von Chabannes Chron. 2,5:
omnem ingenuitatem illorum et alodem manibus giirpierunt)
fecerunt, si amplius inmutassent secundum malam consuetudinem
eorum; nisi conservarent in omnibus christianitatem vel fideli-
tatem supradicti domni Caroli regis et filiorum eins vel
Francormn. Ducange weist aufserdem noch auf eine Urkunde
von 804 hin (aus Martenius Amplissima collectio i 57); die
stelle lautet: ad die praesente trado dulgo aique conscribo; es
handelt sich um Schenkung an geistliche band, die Urkunde
gehört nach Prüm.
Ist dieses nun zweifellos festgestellte dulgere, für das sich
wohl noch andere belege finden werden, etwa eine rückbildung
aus indulgere? — in den romanischen sprachen ist, so viel ich
sehe, keine spur eines dulgere: indulgere findet sich nur im
italienischen (Diez Gr.^ 11 163). die aphärese des verbalen prä-
fixes in würde auf dem gebiete des französischen etwas durch-
aus ungewöhnliches sein, man kann sich für didgere nicht auf
die ganz vereinzelten fälle berufen, in denen sonst ein an-
lautendes in abgefallen ist: franz. trosque, tresque aus introusqueK
unter diesen umständen ist jedesfalls eine ableitung aus dem
germanischen vorzuziehen, schon das hoc est nach dulgat könnte
darauf hindeuten, dass ein technischer ausdruck der german.
rechtssprache erläutert werden soll (in duropullo hoc est in
limitare. Lex Sal. 58 ; si quis alterum herburgium clamaverü
hoc est strioporcium. 64, 1); und die glossierenden Varianten zu
den stellen der Ann. Laur. sprechen ebenfalls dafür, dass dulgere
nicht ein wort der lat. Volkssprache ist.
' Schultz-Gora verweist mich auf prov. rjenli neben engen h (m-
f/eniiim), prov. tro aus i/itrn und auf Toblers ableitung von Ju.'^t/tK' (en-
jusque) aus inde usque. — anders zu beurteilen (wegen des zusammen-
treffens von n und .s) ist strumentum MG dipl. I 62, 53. (35, 7 ; estronientum
74, 7 ; liiiedema instrumenta. 72, 37.
DULGERE 93
Boretius verweist auf den Pactus pro tenore pacis Childe-
berti et Clilotarii 12 : si servus ante admonitum domimun defuerit,
capitaJe dominus restituat et de servo faciat cessionem, iit cum
inve^üus fuerit detur vindictam. dass aber mit cessionem faciat
der eigentliclie sinn von duhjat nicht widergegeben wird, be-
weisen die stellen der Lorscher Annalen. die geiselu werden
nicht cediert, sondern preisg-eg-eben, zur willkürlichen räche
überlassen, sie werden verwürkt. sie verfallen, ebenso ist es im
edictum Chilperici mit dem totschläger. die würkung ist dieselbe
wie bei einer Übergabe, die rechtshandlung aber die durch
dulgerc ausgedrückt wird, ist eine andere, sie ist einseitig: der
besitzer des sclaven entäursert sich seines eigentums. es bleibt
nun den angehörigen des getüteten überlassen, den herrenlosen
totschläger in ihre gewalt zu bekommen und nach willkür die
räche zu vollziehen, die stelle ad a. 77 7. zeigt dulgtiim facere
in der bedeutung 'zum pfand setzen': aber das berührt sich
nahe mit dem eben festgesetzten sinn; freiheit und eigen soll
dem Franken verfallen sein, wenn diesmal die treue nicht ge-
halten wird; so umschreibt denn auch Mühlbacher (Deutsche
geschichte unter den Karolingern, Stuttg. 1896, s. 121) die stelle
wie von selbst in zwiefacher weise: 'mit ihren besten gütern,
freiheit und besitz hafteten sie jetzt', 'ihre persönliche freiheit
und ihr eigentum verwürkt zu haben', in der verblassten all-
gemeinen bedeutung von cessionem facere tritt dann das wort in
der Urkunde von 804 auf.
Dass Clements Übersetzung von didgat servum ('er darf den
knecht töten') unsinnig ist, ergiebt sich aus dem Zusammenhang
von selbst; mit seiner etymologie aber war er auf dem richtigen
wege. Kern will dulgere mit altn. dtjlja in Verbindung setzen,
der Übergang des ableitenden j zu g wäre ungewöhnlich, man
müste dulire oder duliare erwarten, vor allem aber ligt die
bedeutung 'verhüllen' sehr weit ab; Kerns versuch eine Verbin-
dung herzustellen, ist sehr künstlich, welche grundbedeutung
für dulgere anzunehmen ist, dafür gibt das gurpierunt bei
Ademar von Chabannes für dulgtum fecerunt in den Ann. Laur.
ad 777 einen deutlichen tingerzeig; wurf ist ja symbol für die
preisgäbe, zu unterscheiden ist das blofse werfen, wegwerfen,
und das zuwerfen, ersteres ist svrabol eines einseitigen
9 4 METPSXER
rechtsg-eschäfts ', beim zuwerfen ist noch ein zweiter beteiligt,
z. b. bei der laeso icerpitio (Grimm RA-' i 1G8), wo die festuca
einem anderen in den schols geworfen wird, beispiele iür lossag-
iiug- durch wurf der festuca ( irerpitio., exfestucatio ) stellt
v.Amira zusammen (Der stab in der german. rechtssymbolik,
München 1909, s. 145), für Verbindung von verzieht und Über-
tragung durch \\\\Yi, der dann der natur des Vorgangs entspre-
chend in ein legen, überreichen sich verwandelt s. 147. — ein
späteres zeugnis für den wurf als symbol des Verzichtes ent-
nehm ich einem Aufsatze J Gierkes (Zeitschr. f. rechtsgeschichte,
germ. abt. 28,315): eine witwe verzichtet auf den nachlass
ihres mannes, met eenen halin in hare Jiand, dien zij ivegiüierp,
ten teeken, dat zij ook alzoo haars mans nalatenschaj) liet dt'ijven.
vgl. franz. guerpir, deguerpir, 'verzieht leisten', dulgjan, werfen
kann ohne Schwierigkeit mit der wortgruppe verbunden werden,
die Ehrismann in der Beitr. 20, 60 behandelt hat: ags. dolg, n.
•wunde"; davon abgeleitet dolgian, 'verwunden'; altfries. dolg, dulg
mittelnd. dolk, 'wunde, schmarre'". bei Otfrid ist dolk m. (joh
tJmrtih sinan einan dolk wari al gihaltan ther folk. m 26, 29),
doch ist auch das n. sicher bezeugt, tolg glossiert vulnus, aber
auch livor (Graff V 4 20); dann für ulcus fulcus suo sponte nascltur
tolc. vulnus ferro fit et dicitur mmta. Steinmeyer-Sievers I,
2it5, 8; dagegen ulcus, uunta 349, 40; 354, 7). Ehrismaun
nimmt 'schlag' als gruudbedeutung von dolg; da aber die begriffe
w^erfen und schlagen in der spräche sich nahe berühren (vgl. z. b.
schnei fsen, engl, to smite, schlagen, treffen, töten, schmiss, schlag,
wunde), so ist die auffassung von dulgian = werfen damit
wol zu vereinigen.
' bezöge sich ftecundurn tnorern illorum in den Ann. Laur. ad 777
auf manibus, so könnte man in der stelle ein zeugnis dafür sehen, dass
bei den Sachsen die blofse handbewegung ein symbol der preisgäbe war,
während die Franken die festuca warfen (Grimm RA' i 192), die Wort-
stellung spricht freilich dagegen. — in der von Grimm ebda 170 aus
Ademar von Chabannes angeführten stelle {festucas inanibus projicientes)
steht manibus im sinne von e ma/iibds, wie es in einem andern von
Grimm a.a.O. angeführten beispiel halfst : stipulas de.etns in inanibus
teßientes, easque propriis e inanibus ejicientes. eine solche anwenduug
ist aber in Ann. Laur. ad 777 nicht möglich.
- JGrimm (Gesch. d. d. spr. - 433) benutzt dobj zur erklärung des
stammuamens Dulfiubiai (Tac. Germ. 34).
DULGESE 95
Bei der latinisierung wurde iluhjerc in der endung- an nilat.
indulgere (das doch avoI indnlr/erc zu betonen ist) ange-
schlossen, ebenso wie in den Annal. Lauriss. ad 75() ein sclireiber
indulgere für dnlgere eingesetzt hat, so mag das öfter geschehen
sein, wo uns die ursprüngliche fassung nicht mehr erhalten ist;
indessen ist zu beachten, dass indulgere im mittelalter allmählich
auch die bedeutung 'schenken, übergeben, abtreten' (mit sinn-
lichem object) annimmt, so dass es sich mit dulgere ganz nahe
berührt, dieser bewegung folgt auch indulgentia; das parti-
cipium perf. indultum, zunächst Svoltat. erlaubnis' (Archiv f. lat.
lex. S, 391), bekommt den sinn von 'abtretung, Schenkung' (quo-
circa me quoque volente posside indultum. Sidon. Apoll, epist. 9. 10):
dieser Übergang ist von Wendungen wie indulgere beneficia (so
öfters zb. bei Cassiodor) aus leicht zu verstehn; indulgentia im
sinne von Schenkung (freilich immer doch mit betonung der huld) ;
ut intulgentia nostra maximeat illos jjerveniat qui suis viribus pasci
minime potueruni. Cassiod. var. 10, 27; accipiat minus habens in
dulgentiam principalem. ib. 12, 27. einige beispiele für die
weitere entwicklung (vgl. Bonnet Le latin de Grog, de Tours
p. 296): rem ipsa volemus esse translatuin adque indultum (an
die kirche). Zeumer Formulae Merovingici et Karolingici aevi 20,
H5; vgl. 44, 9. 107, 22. 112, 8; quidquid inibi presenti tempore mea
videtur esse possessio, totum et ad integrum, a die presente tibi
volo esse concessum atque indultum. 147, 6. vgl. MG. Dipl. i
44, 5; .51, 46 u. ö. ; confirmatum atque indultum .55, 45. conser-
vatum atque indultum 75, 10. indulgere'^ bezeichnet hier durchaus
die Übertragung von eigentum oder rechten, wie dulgere in der oben
nach Ducange erwähnten Urkunde, nur dass bei dulgere ursprünglich
die Vorstellung der preisgäbe betont ist, aber beides, preisgäbe
und Übergabe, ist ja meist vereinigt, daher: necnon omnem iusti-
tiam et res proprietatis, quantum Uli aut filiis vel filiabus suis
in ducato Baioariorwm legitime pertinere debuerant, gurpivit
atque 2^^'oiecit et, in postmodum omni Ute calcanda, sine ulla
repetitione indulsit. Capit. 1,74, 9; gleich darauf in alter be-
deutung: et idcirco domnus noster, misericordia motus, praefato
Tassiloni gratuitu animo et culpa s perpetratas indulsit
et gratia pleniter concessit.
' 'ersetzen': et ipsi Magnoaldus üla fructa, hoc est cintta cel anno-
nas aut je/acs, quod exinde missi sui decastaverunt, ei indalgire
debirit. MG. Dipl. i 63, 8.
96 MEISSNER, DULGERE
Auch aufserhalb des westgermanischen hat duh/cre ver-
wante: altn. (hhj, n. kämpf, feindscbaft, chh/r, m. feind, dylgia,
f., kämpf, feindschaft und got. dulg oder diilgs in dulgis skida und
dnJgahaitja. — altn. dolg und doJgr sind Wörter der poetischen
spräche. Eilif Gudninarson nennt das herz dolgs akarn, 'eichel
der feindschaft' (Sn. Edda I 29G); aus kenningar wie dolghrandr,
-limir, -liös 'schwerf, dolglid, 'blut' könnte man an sich auf ein
nordisches doJg Svunde' schliefsen, doch ist doJg selbst in diesem
sinne nicht bezeugt, und eine ganze gruppe von kenningar ver-
langen die bedeutung 'kämpf für dolg. auch doJgr *feind" ist
zunächst durchaus poetisch uud erscheint in zahlreichen Verbin-
dungen, auch freier gewendet wie in ofdolgr Draujmis nidia
(Egil Arinb. kv. 22), 'goldspender', Umdolgr. "feuer. wie ßdndi
wird auch dolgr bezeichnung des teufeis. s^kudolgr ist 'feind
durch Verschuldung'. — dolg und dolgr weisen zunächst auf
würklichen kämpf, damit auf eine ursprünglich sinnliche bedeu-
tung des wortstammes, die sich mit den westgermanischen Zeug-
nissen wol vereinigen lässt. norweg. dolg, dolk bedeutet
^klumpen' ('klump, knude, tykkere punkt paa traad eller i toi'.
Aasen Norsk ordbog 1081); hier wäre vielleicht als ursprüng-
liche bedeutung 'beule die durch schlag entstanden ist' anzu-
setzen (anders Falk-Torp Etym. ordbok unter dolk II). —
Im gotischen sind zwei composita bezeugt, die als ersten
bestandteil dulg- enthalten, Luc. 7,41: ticai dulgis skulans
wesun dulgahaitjin sumamma {ovo yQEtocfei/.ercu r^oav öavsiGrf]
Tivi). man hat mit rücksicht auf die westgerman. Zeugnisse
angenommen, dass das wort zunächst 'bufse für eine Verwundung'
bedeutet habe (Feist Etym. wb. 1909). eiue einfachere er-
klärung wird durch den gebrauch von dulgere nahegelegt.
didgs oder dulg bezeichnet das pfand, das preisgegeben werden
muss, wenn die Verpflichtung niclit erfüllt wird {manihus dulc-
tum fecerunt). — es würde nun zu prüfen sein, in welchem Ver-
hältnis die germanische sippe zu den Wörtern steht, die man
mit got. dulgs zu vergleichen pflegt: altslav. ■dlUgu 'schuld";
cymr. dleu, dyleu, corn. dylly 'debere'; ir. dligim 'ich verdiene';
bret. die 'schuld', dleout 'Schuldigkeit' (Bezzenbergers Beiträge
16, 243; Mömoires de la sociöte de linguistique 7, 293).
Königsberg. Rudolf Meissner.
HELDENNAMEN
IN MEHRFACHER LAÜTGESTALT.
Für den meisterschniied Wieland hat mau die wgerm.
namensform Weland mit e- anzusetzen, in den aisl. quellen
heißt er Vglunär, nisl. Vöhoidur, und dies würde man nach ge-
wöhnlicher nordischer lautentwicklung nur auf ein ^Walund-
zurückführen, dazu stimmt auch der normannische Walander,
1 1 jahrh., und der französische Galand (Jiriczek Deutsche
heldensagen i 22 fj. also zwei, nach ablaut oder sonstigem
lautgesetz nicht vereinbare grundformen, H e^ und Wal-.
An dieser doppelheit nahm man anstols. man wollte sie
beseitigen, indem man für aisl. Vglundr ein ^Velundr einsetzte,
das aus *Wel-iind- hervorgegangen wäre entweder durch com-
binierten labialumlaut (vgl. -fradr < *-freJ)uR, systur < *swysttir
< *sivistur) oder durch würkung des -l- (vgl. halzti < helzti,
Holgi <: Helgi).
Die beobachtung, dass unser name in dem eddischen Wie-
landsliede mehrmals als -^ :i- gemessen wird, vermag jedoch dieses
^'Yelundf nicht zu stützen, sagt überhaupt von dem vocal der
ersten silbe gar nichts aus. denn ein Vqlundr konnte die be-
tonung und Silbentrennung eines compositums haben: Vgl-undr;
dann war es = -^ a. ebenso wird öfter der nauie Sig-iirdr ge-
messen, vgl. ok liiQr-imdud Sg. sk. 48, 3; at ban-or&i Hild.
1, 4. auch auf simplicia wie un-andi Sg. sk. 16, 5, kon-ungum
Gu. II 34, 2, kon-wigi Vik. 9, 10, kon-ungar Mann. 14, 3. 19, 7,
veg-gudum Gu. ii 4, 8, sce-ingu Gu. i 20, 2 ist diese Silbentrennung
angewandt worden und damit die rhythmisierung ^ ^^^ hier war
es gewis nur dichterische licenz, wie es sich auch auf jüngere
gedichte beschränkt.
Eine entwicklung * Welund- > * Velund- > Vglund- kann zwar
nicht widerlegt werden, da genau dieselbe lautreihe im nordischen
nicht widerkehrt und aufserdem bei einem lehnworte mit be-
sonderen Schicksalen zu rechnen wäre (in erbwörtern wäre v»-
zu e- geworden), aber mehr als ein postulat ist ^Vulundr jedes-
falls nicht.
Einen andern Vorschlag, Vplundr und Weland zu vereinigen,
machte Brate Zs. f. deutsche Wortforschung 10, 173 ff. auch er
Z, F. D. A. LH. X. F. XL. T
98 HEüSLFR
folgert irrigerweise aus jener raetrisclien messung von Vglundr
die vocalläuge in der ersten silbe. und zwar vermutet Brate
ein *V^l- <.*Wäl-. dieses *Wal- glaubt er mit wgerm. Wel-
zusammenbringen zu können — auf einem wege, der durch
analogieen nicht genügend befestigt ist, denn für nord. ä gegen
wgerm. e- bringt er nur die zwei gleichnngen bei: an. landa-
mceri 'grenze' : ahd. gi-mierit 'ans land gekommen" und an. kväda
'harz' : ahd. ken, klen : der erste fall aus begrifflichem, der zweite
aus lautlichem gründe zu bezweifeln, die grundform Wel- soll
dann weiterhin die Vorstufe von got. K-aiJa (wg. icela, ivel, nord.
vel) sein, und der gesamtuame, das compositum *Wela-handuz,
wäre schliefslich eine gotische Übersetzung des griechischen sv%siq,
das bei Sophokles ein beiwort des andern meisterschmiedes, Dai-
dalos, ist. hierüber wäre ja das eine und andre zu sagen I auch
wer einem zusammenhange zwischen der Daidalos- und der Wie-
landsage geneigt ist, wird doch nicht gern annehmen, dass die
classische tragüdie den unmittelbaren Zwischenträger bildete;
noch weniger, dass der germanische dichter einer heldensage
ein gelegentliches epitheton ornans seiner hohen quelle exact auf-
tieng und dem wahren eigenuamen unterschob, dass aber ein
wort wie svyjiQ in der schlichten griechischen erzählsprache der
Völkerwanderungszeit als beiname des Daidalos üblich gewesen
wäre, ist wol ausgeschlossen.
Doch ich will hier nicht nach dem Ursprung des Wieland-
namens forschen: das vorgebrachte sollte nur zeigen, welche an-
strengungen man machte, um eine von unsern quellen dargebotene
lautliche doublette auf regelrecht sprachgeschichtlichem, 'laut-
gesetzlichem' wege zu ihrem einheitlichen ausgangspuncte zurück-
zuführen, das folgende Verzeichnis doppelter, drei- und vierfacher
namensformen aus der germanischen heldensage, das dem kenner
keine Überraschungen bringt, erweist sich vielleicht nützlich, in-
dem es vor äugen stellt, in wie zahlreichen fällen heroische namen
lautgesetzwidrig vertreten sind, niemand denkt daran, ae. Wiht-
Iceg und adän. Viglek, ae. Hlidfe und aisl. Hlgdfr, ae. Heorrenda und
mhd. Hörant als lautliche gegenwerte zu retten, im blick auf
diese lange reihe wird man sich auch eher dazu verstehn, bei
der doppelheit Weland: *Wahind eine Spaltung, eine entgleisung
anzunehmen, die nicht unter die paragraphen der germanischen
lautgeschichte fällt.
HELDENNAMEN IN MEHRFACHER LAÜTGESTALT 9!»
Ich beschränke mich auf personell- und dynastieennamen;
die Ortsnamen der heldensage würden sehr geringe ausbeute ge-
währen, bloße Schreibfehler oder misverständnisse des einzelnen
Verfassers sind nach möglichkeit ausgeschieden, im besonderu die
vielen abweichenden Schreibungen bei Saxo und in der [jidreks-
saga, auch eine subjectiv Saxonische gleichung wie 'Gotricus
qui et Godefridus est appellatus' (s. 435). die Ordnung ist alpha-
betisch, vorangestellt ist die namensform, die in der ältesten
quelle begegnet oder aus Innern gründen als die ursprünglichere
vermutet wird, genauere angaben über das vorkommen der
einzelnen formen waren für unsere zwecke entbehrlich; näheres
findet man bei den citierten forschern. Müllenhoff ZE. meint
die Zeugnisse und excurse in dieser Zschr. band 12. priv. be-
deutet: nur als privatname, in keinem sagendenkmal belegt.
1) got. Attüa, ae. priv. Eila (Liber vitae), mhd. Etzel —
ae. Mtla (Wids., Waldere), an. Attl. vgl. Symons Grundr.
in-! 700.
2) ae. Bt'aw Stammtafel, n. 1., an. Binr, Biör Biarkarimur
s. 113. 118 (vgl. paare wie sidr: siör, mar: mör) — ae. Beö/ca
stammt., n. 1. — Beon-ulf: falls mit jenen zu verbinden, zuletzt
darüber Lawrence Publ. of the Mod. lang, assoc. 24, 245 ff;
Panzer Beowulf s. 395 ff.
3) ae. Becca Wids. 19. 115 — an. ßikki Edän u. ö., Bicco
Saxo.
4) ae. priv. Bkedia Liber vitae (Priscus ß/.i]dc(c) — mhd.
Bl(£del{in).
5) an. BuMi, Atlis vater — mhd. Botelunc.
6) ae. Eadfjils, der Schwedenkönig, Beowulf — an. Adils
Ynglingatal u. ö., Äthislus Lejrechronik, Saxo. vgl. Noreen Up-
salastudier s. 195; Levander Antikv. Tidskrift för Sverige
18, 3, 1.
7) an. Egill, der meisterschütze, Strophen des Eyvind skäl-
dasp. und Hallfred, Vkv. u. ö., ahd. priv. Egil — ahd. priv. Ei-
gll. Ae. ^(jili auf dem runenkästchen kann < *A:;il- oder
*Ai^il-. vgl. von Grienberger, Anglia 1904 s. 444.
8) ae. Emerca, der Harlung, Wids. 113, Embrica Quedl.
ann., ahd. priv. Ambricho, Emricho — Imbrecke Biterolf. vgl.
Kögel Litgesch. n 214.
100 HEUSLER
9) got. Ermanarints, ae. Eormanric. mhd. Ennennch —
an. I^rmun-rekkr : die kurzverse Igrnmnrekki Hamct. 19, 2.
Ghv. 5, 6 erheischen länge der pänultima; aber in dem alten
Hani(^iliede lautete es gewiß einst -riki.
10) ae. Frrkla, an. Froffi. mhd. Fruofe — mhd. Fruot, gen.
-es. vgl. Haupt Engelhard s. xf.
11) Godomaris Lex Burg. — an. Gofhonnr <:*God-J)ormr
( — mhd. Ger not).
12) an. Grimhüdr, hd. seit 8 jahrh. priv. Grtmhild — hd.
seit 8 jahrh. Crem-, ChriemhiU — auch hd. C(h)rimhiJt und
mit kürze Grim-, Krim-, vgl. MüUenhoff DAk. iv 676 note,
Bohnenberger Beitr. 24, 221 ff, Schütte Arkiv 24, 3.
13) fries. oder sächs. Gudrun — hd. seit 10 jahrh. Küdrün,
CMdrün. MüUenhoff ZE. nr 19.
14) ahd. Hadubrant — J3S. Alibrandr, jung. Hildebrands-
lied Alebrant. vgl. MüUenhoff ZE. nr 26.
15) Hammius, Jordanes Ammius, ahd. priv. Hammi, Hemmi,
ae. priv. Hemmi — an. Hamcfir < *IIama-pewaR, ahd. priv.
Hamadeo — Hemidus Quedl. ann. — ahd. Hamidiech Eckehart
von Aura, priv. Hamadeoch uä. vgl. Kögel Litgsch. n 2 1 8.
16) mhd. Hartnit von Riuzen, ]is. Hertmd in RolrngSirdf —
mhd. Ortnif, kaiser in Garte, vgl. MüUenhoff ZE. nr 24, Vo-
retzsch Epische Studien i 339 f.
17) ae. Headoric Wids. 116 — an. Hei&rekr in der Her-
varar saga. vgl. Binz Beitr. 20, 207 f, Much Zs. 46, 315,
Schütte Arkiv 21, 37. 41. 44.
18) ae. Heoden, an. Hedinn {<* Hedann wie Odinn<''W(j-
dann), ahd. priv. Hetan fauch Hetin) — mhd. Hetele. vgl.
Schatz Zs. 50, 341 ff, Baesecke Der Münchener Oswald s. 284.
19) ae. Heodeningas Deors Klage 36. au. Hiadningar —
mhd. Hegelinge. vgl. Martin Kudrun^ s. lvi.
20. ae. Heremöd Beowulf — aisl. Armö&r {Ar- ?) Fiat, i
354, Fas. m 406. vgl. SBugge Beitr. 12, 44.
21) an. Herkia Gu. in, mhd. Herche Rosengarten (Priscus
KQsy.a) — t»s. Erka — mhd. Helche. vgl. Holz Roseng.
s. CXI.
22) ahd. priv. Herrant, ae. Heorrenda Deors klage, an.
Hiarrandi — Hörant Kudrun. [Hiarno bei Saxo s. 258, falls
hierher gehörig, kann wol lautliche fortsetzung von Hiarrandi
HELDENNAMEN IN MEHRFACHER LAUTGESTALT 101
sein.) vgl. Kögel Litgesch. i 169f, Panzer Hilde -Gudrun
s. 309 f.
23) Hiorvardr Yltingr Ynglinga saga c. 37 — Hervardr
Ylfingr Fas. i 375. vgl. SBngge Home of the eddic poems
s. 142.
24) ae. Hlide Wids. 116 {<^*Hhjde, für fränk. Chlodio?)
— an. HlQ&y Hunnenschlacht. vgl. Heinzel Hervararsaga
s. 50 ff. 77.
25) ahd. priv. Hludowlg — an. Hlgdver Vkv., Gu. u (ein
Zusammenhang mit dem Franken Chlodowech braucht nicht zu
bestehu). vgl. Müllenhoff Zs. 23, 167.
26) ae. Hnedas, dichterischer name der Goten, Wids. 120
an. Hreidgotar Vafpr. 12, vgl. aschwed. Hraip-marR Rokstein
— ae. Hrtdyotan Wids. 57, Elene 20, Hrddia Jiere Elene 58 —
an. Reidgotar Herv. s., SnE., Yngl. s. vgl. Müllenhoff ZE. ur 4,
Heinzel Ostgotische Heldensage s. 2 6 ff.
27) ae. In(c)genpeoic Wids. 116, entstellt aus Ongenpeow
*Änganpewa i? s. u. nr 31 — an. AnganUjr, der gotische sieger
in der Hunnenschlacht, vgl. Heinzel Hervararsaga s. 80 f, Much
Zs. 46, 314.
2S) Xauäungr ])s. c. 369. 370 — mhd. Xuodunc Nl., Alph.7
Dietrichs Flucht. Rabenschlacht.
29) mhd. Xibelungfe), ahd. priv. Xihelung — an. Knifiungar
Ghv. 12,6 (der -ff-anlaut durch den stab erwiesen), vgl. HHu. i
48, 10; Hniflungr. Hognis Sohn, Am. 8S, 5.
30) an. Xi&udr Ykv. < *Xip-JiaJju- — ae. Xidhäd: Wald.
B. 8 der kurzvers XWhädes mmj, D.kl. Xidhäd — Jjs. Nldwigr.
vgl. Kluge Engl. stud. 21, 44^.
31) ae. Ongenpeow, Schwedenkönig, W'ids. 31, Beowulf (laut-
lich = ^n^antZeo, Dänenfürst bei Einhard ad a. 811, vgl. Anga-
theiis Lex Burg.) — an. fehlt der entsprechende name '*Angan-
pe'r, dafür in mehreren, auch schwedischen sagen Angantijr. vgl.
0. nr 27.
32) |)S. Osanctrix, latinisiertes nd. Osrik (Osantrlk ?) —
mhd. Oserich Biterolf 1962 und bair. urk. 12 jahrh. vgl.
MüUenhoff Zs. 10, 171 f, DAk. iv 668; Laistner Zs. 38. 133,
Schatz Zs. 43, 39 f.
33) Sarus Jordanes — an. Sp-li <.*Sarulo, as. priv. Sa-
rulo, ahd. priv. Sarah, Eckeh. v. Aura Sarelo — Serila QuedJ.
102 HEÜSLER
ann.. laugob, priv. Sarilo — ahd, priv. Saraleoz (Urk. 786 neben
Suanailta). vgl. Kög-el Litgesch. ii 217.
34) ae. Seafola Wids. 115, ahd. priv. Sahulo — rahd. Sa-
hene. vgl. MüUenhoff Zs. 6, 459.
35) mhd. Sigestap, ahd. priv. Sigistab — Sigestaj)ims rhein.
Ulk. 1191 (hd. *-staph), schwed. Jjs. Segistop. vgl. Müllenhoff
ZE. nr 26.
36^ hd. Sigifriä (seit 7 jahrh.), Slvrit, ae. priv. Slg{e)fre9,
-ferd — an. Sigurdr < *Sigvgrdr statt SigrBdr < *frepuli —
Säufritz in der unterfränkischen volkssage. vgl. Müllenhoff
ZE, nr 32, Sievers Arkiv v 195 f.
37) ahd. priv. SintarvizziJo — an. Sinfigtli, < *&'»- oder
*Sindr-fetulo (in erb Wörtern wäre sin- vor /' zu s(- geworden)
— ae. Fitela Beowulf, ahd. priv. Fizzilo. vgl. Müllenhoff ZE.
nr 14, Kugel Litgesch. i 173, Weyhe Beitr. 30, 97 f.
38) an. Siarkadr, Stgrkudr — ahd. priv. Starchant —
mhd. StarMn Dietr. fl., Rab. vgl. Müllenhoff ZE. nr 23. der
Zusammenhang des nordischen namens mit den deutschen ist frag-
würdig. SBugge deutete Starkadr als *Stark}iapu- (Home of
the eddic poems s. 165 ff), zur zeit unsrer quellen wurde es
sicher als einfaches nom. ag. empfunden.
39) Stuotfuhs Biterolf — Stütfuhs Dietr. fl., Rab., Stüden-
vtihs Alph., Roseng. A. vgl. Müllenhoff ZE. nr 44, Holz Roseng.
s. cv,
40) ae. Wcels Beowulf 898 — an. Vglsungr als name von
Sigmunds vater {Wcelsing Beowulf 878, ahd. priv. WeJisung
u. Wellsing). vgl. Müllenhoff ZE. nr 10.
41) ae. W(ermund, vater Offas, stammt, und priv., Ydr-
mundr enn vitri im Langfe^atal AM. 22 a fol. — aisl. Ver-
mundr enn vitri Hauksb. s. 504, Fiat, i 27, Vermundus Sven
Agesen, Saxo, Arngrim ( — Vt'mundr enn vitri Fiat, i 27 unt.
ist wol nur schreiberversehen) — Gdrnmnd Beovfuli 1963. vgl.
Müllenhoff Beowulf s. 72. 81, Olrik Arkiv 8, 369 f. Kögel Lit.
I, 159 f.
42) ae. Weland, ad. Wieland, — an. Vglundr <C*Walund-,
norm. Walander, afrz. Galand , s. o. s. 97.
43) got. Widigoia Jordanes, ahd. priv. TT7//-. Wita-, Witu-
gouuo, mhd. Witegouive Rab., Dietr, fl.. vorw. z. Hb. (unter-
HELDENNAMEN IN MEHRFACHER LAUTGESTALT 103
schieden von Witege) — mhJ. Witege — ae. Widia "Waldere —
ae. }Vudga Wids. vgl. ]\Iüllenhoff ZE. ur 3.
44) ae. Wihiheg^ vater AV?ernninds, stamnit. — adän. Viq-
lek (entstellt zu Vlgletus, Vifhlek u. a.). vgl. Müllenhoff Beowulf
s. 71f. 81.
Man sieht, die meisten sagen stellen ihren beitrag zu
der liste, es handelt sich bei diesen abweichungen imi sehr un-
gleichartige Vorgänge, zunächst kann man die äußerliche Unter-
scheidung vornehmen:
die Verschiebung betriöt das suftix: nrr 5. 10. 18. 33. 34.
37 (-fetulo: -fitilo). 40;
sie betrifft einen wurzelhaften teil, und zwar:
ein Simplex: nrr 3. 7. 8. 21. 22. 24. 2S. 29. 43 {WüUa:
Wudga) ;
(Wurzel + suflix weichen ab: nrr 2. 4. 19);
das erste glied eines compositums: nrr G. 12. J 3. 14. 16. 17
20. 23. 26. 32. 39. 41. 42:
das zweite glied eines compositums: nrr 9. 11. 15 {-diech).
30. 31. 35. 36. 38;
beide glieder eines compositums: nrr 25, 27. 36 {Säu-
fritz). 44;
ein Simplex steht einem compositum gegenüber: nrr 2. 15.
30. {XWungr). 33 {Saraleoz). 37. 3S. 43.
Ferner kann man fragen, ob die entgleisung bloXs lautlicher
art ist oder ob eine begriffliche umdeutung, ein lexikalischer oder
morphologischer austausch mitspielt, von eigentlicher Volksety-
mologie kann nur selten die rede sein: nr 22 Hörant zu hoeren^,
nr 26 ae. Hre'ögotan 'die ruhmreichen', an. Reidgotar zu rei9
'ritt' (oder 'wagen')? nr 36 Säufritz, dass nr 12 Kriemhilt
auf krimmen anspiele, ist unglaubhaft, und bei nr 4 Bioedel wird
die anknüpfung an hlosde durch die epische rolle nicht gerecht-
fertigt, sofern man Atli verband mit atall 'ferox' (H. Hi^rv. 15)^
adän. B.oe (== ae. Hrödgär) mit ro 'ruhe', hat dies doch nicht
die lautgestalt der naraen hervorgerufen.
Dagegen ist es allerdings das häufigere, dass entweder mit
der lautäuderung eine neue, der betr. spräche vertraute vocabel
siel) einstellt:
z. b. nr 24 HU^dr kommt als appellativum vor. 'prostrator'.
ur 19 Hegelinge lehnt sich an einen Ortsnamen an; nr 36 ''Sig-
104 HEUSLER
vgrd^r setzt ein neues, bekannteres namenwort ein; nr 42 '^Val-
undr hat mehrere n. pr. mit Val- zur seite (Valhigrn, - hrandr, -
als, - fjardr, - (jatitr, - gerör, - Jnöfr, vgl. valfg^r); nr 44 It'gh'k
frischt seine beiden bestaudteile auf, usw. —
oder dass die doppelformen auf zwei grammatische kategorieen
entfallen : schwacher stamm neben starkem nr 10; ableitung neben
grundwort nrr 4. 33, imbesondern patronj'mikon für den ein-
fachen namen: nrr 5. 40 (vgl. Berhter Eother: Berhtung Wolf-
dietrich); Simplex neben compositum s. o.
Eein lautliche, mechanische ausweichuug bleibt dann in fol-
genden K; fällen: nrr 1. 3. 4. 7. 8. 12. 13. 18. 21. 17 [Ingen-).
28. 29. 32. 34. 37 (im suffixi. 43 (Widia).
Endlich kann man noch eine Unterscheidung vornelimen.
wenn älteres Hrced- zu jüngerem KreS-gotan wurde, Herrant zu
Rörant, Herche zu HelcJie; wenn man Vglsungr statt *Vgls(i)
einsetzte, Hegelinge statt *Hetelmge, Angantyr statt ^\higanper
usw., so sind dies Vorgänge, die mit der Wanderung aus einer
mundart in die andere nicht zusammenhängen; die z. t. nach-
weislich innerhalb eines Sprachgebietes eingetreten sind, von dieser
art ist die mehrheit unsrer doppelformen, wenn dagegen *God-
marr durch * God^pormr ersetzt wurde, Sigfrßdr durch Sigvgrdr,
ae. Wihtlceg (an. *Vetttagr\) durch adän. Vlglekr, so hat sich
der name lexikalisch dem neuen dialekte angepaßt; die sprach-
liche änderung wäre oder ist innerhalb der heimischen tradition
unterblieben, hierher wol noch nrr 24. 25. 42; auch nr 0, wo-
fern Eadgils erst angleichung an die beliebten engl. ^fl/Z-namen
ist (die einsetzung von nord. Ad[al- für ^4?/^- wäre schwerer be-
greiflich), auch in nr 17 kann man an die priorität der nord.
form denken; jedenfalls war an. Heid- kein übliches erstes namens-
glied, während '*Hapu- vorkam in Hgdhroddr, vielleicht auch in
Hglfr, Hgvardr, Hgvarr, Hgrekr, Hgmundr.
Dazu treten die acht fälle, wo die Verpflanzung in eine
andre spräche zu einer rein lautlichen Störung, einer 'unorgani-
schen' form geführt hat. nr 1 Attila muste bei interner eut-
wicklung ae. Etla, an. *Etli, ergeben: die formen ^Etla, AfU
setzen eine Vorstufe voraus, die das -i- nach der langen Wurzel-
silbe umlautslos verloren hatte, also wohl ein nd. *Atlo. nr 28
Nuodunc, statt *Xdtunc. hat ein nd. Xödung falsch verhocli-
deutscht, nr 32 üsench hat die Umsetzung des nd. ös- in hd.
HELDENNAMEN IN MEHEF ACHER LAUTGESTALT 105
uas- unterlassen, nr 41 an. YermiuuJr setzt das •li'- von ae.
Wännund als -e- fort (wie in derselben Uffosag-e der schwertname
Skrep auf ae. *Scrcep fußt); denn dieses erste namensglied ist
das fem. alid. wura, ae. tcm-, an. var 'gelübde. treue", wo ein i-
umlaut nicht in rechnung' kommt, nr 43 Widia scheint ein
mechanisch übernommenes * TT'ü?<3:o (während Wudga lautgesetzlich
<.*Widngo oder angleichung an ae. tvudu). nr 30 Nldhäd hat
ein nd. -had an ae. häd statt an hceä angelehnt (vgl. die n. pr.
Beorn-, Beorht-, Ead-hceff u. aa.). schliefslich noch die beiden
vielgenannten nr 12 Kriemlidd und 13 Kudrun. während Kud-
den vocal der nd.-fries. grundform mechanisch beibehält, ist
das e > ie oder i in Kriemhild ein auffallender ersatz von -l- ;
man hat die dreiheit Frls-, Fr es-, Ins- verglichen, der beiden
namen gemeinsame wandel von g > ch, k könnte auf zwei ent-
gegengesetzte arten erklärt werden, die empfangende mundart,
die anl. g als verschlusslaut sprach, suchte den (stimmhaften)
reibelaut ;: der gebenden mundart durch ihr stimmloses ch nach-
nachzuahmen ; für dieses ch- konnte dann auch das etymologisch
gleichwertige Ä- eintreten, oder aber die gebende mundart sprach
anl. verschluss-^, die empfangende, der das reibelaut-^ geläutig
war, bildete jenen fremdklingenden anlaut durch die fortis k-
nach, wofür auch das gleichwertige ch- eintreten konnte, die
erste dieser erklärungen verdient hier den Vorzug- (gegen Boer
Nibelungensage n 108), da die ausbreitung der beiden sagen-
stoffe im grofsen und ganzen in nord-südlicher richtung geschah,
von friesischen, niedersächsischen, nieder- und mittelfränkischen
gegenden nach hochdeutschen, dass der blofse unterschied
stimmhafter und stimmloser lenis g- die entgleisung zu k-, ch-
herbeiführen konnte, ist undenkbar (vgl. Bohnenberger aao.):
eine mundart mit stimmhaften g d h gibt die stimmlosen g d h
des nachbars eben durch ihre g d b wider, und doch nicht dui-ch
die weitabliegenden aspiraten oder affricatenl auch eine sprach-
form mit ungehauchter fortis k- für g- im satzanlaut (Schatz
Altbair. gramra. § 70) würde das g- des nachbars nicht mit dem
gehauchten Ä- bezw. ch- zusammenwerfen. Schuttes gedanke,
die form Kriem-hild sei die ältere, der name sei aus KQev.a und
Hildikö addiert, hat die tatsache gegen sich, dass Kq€7m in der
germ. heldendichtung nur mit anl. h-. nicht mit k- weiterlebt:
0. nr 21. man müsste dann schon zu der annähme greifen, die
106 HEÜSLER
Franken, die scliöpfer der Kriemhildgestalt, hätten den namen von
Attilas hauptgeniahlin in anderer lantform gehört als die Ostgoten,
bei denen er als Ilerkia-Herche weiterlebte.
In den meisten der zuletzt besprochenen acht fälle kann
man von einem misverstehn der lautform reden: die aufnehmende
mundart besafs zwar das sprachmaterial, dem sich der entlehnte
heldenname formal anpassen konnte (man kannte namen oder doch
appellativa mit not-, gnnd-, fjrtm- usw.); aber die sprachliche
Zugehörigkeit des namens wurde nicht durchschaut, ähnliche
misverständnisse begegnen bei geschichtlichen eigennamen.
so haben die Norweger-Isländer der wikingzeit zwar die engl,
namensglieder cedfel, ned, geh-, stav, iveard etymologisch richtig
empfunden und durch ihre nordischen gegenwerte adal, radr
geirr, steinn. vanJr widergegeben, bei dem engl, ead- dagegen
versagte ihr Sprachgefühl; sie ersetzten es nicht durch ihr autJ-,
sondern mechanisch durch eadf- oder eat- oder iat-: latgeirr,
-mundr, -vardr. der Engländer Eadric streona (anf. 1 1 jahrh.)
erscheint in den isl. sagas als HeWrekr oder Heinrekr sfriöna.
das ae. ^^Ifgifu nahm man als Älfifa, statt ^'Alf-gir^f. auf. die
nordischen namen auf -piöfr erklärte SBugge aus umdeutung
des engl, -peow (Arkiv 6, 225). sieh ferner aus dem namen-
schatz der Heimskringla: Apal-hrikt statt -hiartr, Baldvini statt
-vinr, Emiindr (schwed.) statt JEy-, Gonnr (dän.) statt Gothormr;
GiiUini JJlfnadrs son für ae. Godwine Widfnöds siinu. Lözartiis
(Lothar) statt *Hlodarr, Maktüdr statt * Mdfthüdr, Ötta (Otto)
statt Auffi, Reinaldr statt Rggnvaldr, Rödhert statt * Hrödhiartr,
Rodgeirr statt Hrö&-, panghrandr statt * ßakk-, pyri (dän.) statt
pöra. noch zahlreicher sind die in englischer widergabe ent-
gleisten nordischen namen, worüber jetzt Köpkes dissertation
handelt, auffällig sind die misgriffe bei den isl. literaten des
13 jahrhs, die ohne eine stützende volkstümliche tradition zu
den namen der ae. Stammtafeln nordische gegenstücke aufsuchten:
Freodegär, er ver kgllum Fröffa; Getvis, er vir kgllum Gave u.dgl.
(verf., abh. der berl. ak. 1908 s. 68 ff), auch Snorri. Heims-
kringla I 20, hält AuJon für eine ableitung von Odinn.
Anders lag es bei den slavischen, keltischen, lappischen,
romanischen und hebräischen namen, bei denen die möglichkeit
einer sprachrichtigen acclimatisierung von vornherein wegtiel.
hier ist das streben nach lautähnlicher copie die entschiedene
HELDENNAMEN IN MEHRFACHER LAUTGESTALT 107
regel doch fehlt es nicht ganz an volksetymologischer oder
nur lautlicher angleichung an heimische vvortbilder (z b. EUi-sif
für EUsaheth, Vissi-vnJclr für russ. Vsevolod). so wie die
gelehrt getauften zwillingsgipfel der Monterosakette, Kastor und
Pollnx, im munde der Zermatter als Kaspar und Pollux erscheinen.
Berlin, märz 1910. Andreas Hcuslor.
DER ANFANG UND DER SCHLUSS
VON BONERS EDELSITJN.
Boner hat die vorrede zu seinem Edelstein ^von dem an-
vange diss hiioclies', wenigstens v. 30 — 53 und 64 — 76, erst
verfasst, als das buch fertig war, wie er selbst sagt v. 41 ich
hab mange bzschaff gemacht . . . ze tiutsch . . . von lat/ne, als
ich ez vanf geschriben. auch v. 64 — 66 diz büechlin mag der
edelstein wol heizen, icand ez in im treit bischaft manger kliiog-
keit usw., und besonders noch v. 74 als wol hie nach geschriben
stät setzen die Vollendung des werkes voraus, die abfassung
der einleitung fiele somit zeitlich mit der des nachwortes 'von
dem ende diss buoches' zusammen, das zuletzt gedichtet wurde:
V. 9 hundert bischaft hab ich geleit an diz buoch. damit wäre
durch Boners eigne w^orte Schönbachs annähme Anz vii 33 (1881),
dass die vorrede eine widmung an den noch lebenden herrn von
Ringgenberg enthalte, die vei'se des Schlusses aber erst nach
dessen tode gedichtet sein könnten, widerlegt, da nun aber
soeben Leitzmann PBBeitr. 35, 574 — 577 (1909) Schönbachs
ansieht wider aufgenommen und durch neue gründe zu stützen ge-
sucht hat, muss die frage, über die ich mich in dem programm
Über Boners fabeln, Charlottenburg 18S6, s. l. 2 u. 7 verbreitet
hatte, nochmals behandelt werden.
Aui'ser dem schon angeführten spricht für die gleichzeitige
abfassung des anfangs und sclilusses zunächst die benutzuug der
präfatio des Anonymus Neveleti und seines schlussdistichons für
beide abschnitte. Bon. anf. v. 4 9.50 ein icort, daz ich gelesen
hän: 'schade und schände ist müezig gän' entspricht An. praef.
V. 7 'ne mihi torpentem sopiret inhercia sensum;' anf. v. 65
ez in im treit, v. 71. 72 wer oben hin die bischaft sieht tind
inwendig erkennet nicht oj An. schL 'Fabula dat quod intus
habet'; anderseits B. schl. v. 2 der setz sich üf des endes zu.
108 GOTTSCHICK
der nutz Ut an dem ende (/ar der h'ischaf't oc An. schl. 'Fine
sui versus geraino quod cogitat omnis Fabula declarat"; schl. v.
15 ein dürre schal dik in ir treit ein kernen grözer süezekeit
CO An. präf. v. 12 'nucleura celat arida testa bonum'; schl. v. 17
ein kleiner garte dik gehirt die vrnclit '^w An. präf. v. 3 'Ortulus
iste parit fructum'.
Ein zweiter griind ist. die inhaltliche und teilweise wört-
liche Übereinstimmung von Bon. schluss v. 1 — 45 mit dem
anfang v. 39 — 74. beide preisen den wert der 'bischaft', schlichter,
ungekünstelter worte und den nutzen rechter erkenntnis und
wahren Verständnisses, im einzelnen entspricht schl. v. 8
duz unser werd des menschen muot co auf. v. 32 diu sterket
manges menschen muot ; schl. v. 1 1 mit kluogen icorten, v. 1 2
einvalt an allen orten co anf. v. 45 mit siechten worten, v. 46
einvalt an allen orten; schl. v. 14 kluoger sinnen hört rx. anf.
V. 66 , 67 b (Schaft manger kluogkeit, und gehirt ouch sinne
guot: schl. v. 23 , 24 tcem slechtiu wort niut nütze sivi, kein
nutz er von den krumhen nint r^j anf. v. 45 mit siechten icorten,
v. 7 3 vil kleinen nutz er da von hftt; auch schl. v. 1, 2 be-
deutet dasselbe wie anf. v. 71, 72. endlich gleichen die wid-
mungsverse schl. v. 35 — 45 denen des anf. v. 39 — 48. der
schluss ist eben nur eine Umschreibung der vorrede mit den not-
wendigen änderungen. drittens wäre es auch sehr sonderbar,
wenn Boner bei dieser gleichheit der gedanken und so mancher
ausdrücke des Schlusses und anfangs und trotz seiner ausdrück-
lichen Versicherung erst nach der einleitung seine 100 fabeln
gedichtet und nach deren Vollendung den schluss angefügt hätte.
Aber nach Leitzmann dürfte es bei Schönbachs anschauuug
sein bewenden haben, schl. v. 35 — 45 könnten nur von einem
toten gesagt sein, wenn er an meiner allzuwörtlichen Über-
setzung von iemer me mit "stets oder immer mehr anstols nimmt,
so heifst es allerdings, wie auch in Beneckes Wörterbuch zu
lesen ist, 'beständig, (für) immer', aber auch nicht ohne weiteres
'für ewige zeiten', wie niemer, niemer me verneinend, so könnte
man Bon. 10 , 20 iemer muoz ich (die erde durch die sonne)
verdorben sin, v. 23 verdorben iemer me. mit 'für ewig' wider-
geben, aber nicht B. 58 , 50 '51 doch er (der tote ehemann) in
ganzer minne stät mfs (der witwe) herzen, lehent iemer me, er
lebt beständig, für immer in ihr. d. h. wie v. 52 da von ich
ANFANG UND SCHLUSS VON BONERS EDELSTEIN 109
ma() nicht me zer e konien zeigt, solange sie auf erden weilt;
ebenso B. 64, 36 vliegens glust mich nienier me. auch v. 36/37
rcesen vrl vor allem unglUk, kann durchaus von einem lebenden
gesagt sein, wie anf. v. 20 vri vor allen Sünden s7n. ferner
müste man schl. v. 35 ez ze liehe si getickt das plusquam-
perfect erwarten, wenn der gönner nicht mehr lebte, weiter
scheint nach Leitzmann die ausdrückliche hervorhebung der
seele, die ewig von schmerzen befreit sein möge, im munde eines
geistlichen am natürlichsten in Schönbachs sinne verständlich
s/n sei V. 3S könnte freilich als die seele nach verlassen des
leibes gedacht werden, aber nötig ist es nicht, denn sehr häutig
erscheint bei B. der gegensatz von leib und seele bei lebenden :
9, 34 Wirt manig sei verlorn;
17, 28 lip tmd sei mit ivirt verlorn;
22, 14/15 verderben an der sei, 44 an der sei genesen, 52
der seien nütze; 54 nutz der sei, 60 der seien schedUch;
37, 52 sin sei mit Sünden ladet;
38, 28 der sei gezierde stüende baz denn dem Hb, 31 — 33
diu Sei den lip ivol zieren mag, der lip der sei tuot grözen
slag. icaz sol ein lip an sele?
57, 55 waz lip und sei erziugen mag;
85, 55/57 dur sin sei, ivunt an der sele:
92, 80 siner sele schaden tuot;
96, 57 lip, sei unde muot:
97, 38 sei und lip;
98, 39/40 mange sele hänt bevoln dem, 64 die sele)i werden
verlorn, 66 war diu sele var, 68 seien äne zal. nur in 74, 67
der armen seien pine, 90 der armen seien uyigemach, und 89, 3
er schichte siner sele ding, 13 diz selgeraet, handelt es sich um
Seelen von abgeschiedenen oder um die eines sterbenden, sonst,
so weit ich sehe, nirgend.
Sodann glaubt Leitzmann in v. 40 got müeze er iemer sin
bekant eine stütze für seine ansieht zu haben, da dieser vers
natürlich nicht bedeute 'Gott möge er immerdar bekannt sein',
sondern 'Gottes antlitz möge er immerdar schauen', wenn nun
auch Beuecke in seinem Wörterbuch verzeichnet: beke7inen=^sehei3.\
mir Wirt bekant = 'ich bekomme zu gesicht', mit anführung der
beiden von Leitzmann behandelten stellen in Bon. 3, und die
gleiche bedeutung von erkennen, erkant samt den ebenfalls
n 0 GOTTSCHICK
von Leitzraaun besprochenen versen, so haben diese beiden
Wörter die rein sinnliche bedeutung nicht immer, hekant freilich
kommt, so weit ich sehe, nur noch B. 98, 42 der itich ist hekant
bei Benecke nach C H B n vor, wofür Pfeiffer nach A hat: der
iu was erkant. doch zeigt diese stelle, dass Benecke auch den
jetzigen sinn des wortes bei Boner annahm: 'bekannt', ebenso
hat das zeitwort erkennen mit seinem particip erkant die jetzt
geläufige bedeutung bei Boner häufig: 1, 19. 35; 10, 4; 4U, 7;
41, 67; 43, 76; 67, 38. 60; 74, 10; 78, 54; 81, 50 die weg
sint alle mir erkant (dem kranich bekannt) was Leitzmann irr-
tümlich unter 'gesehen werden' zählt, 81, 73; 82, 42. 49: 83,
29; 86, 48; 88, 7. nur in den andern drei, auch von Leitzmann
angeführten, stellen herscht die rein sinnliche bedeutung des
gesehenwerdens.
Aber selbst wenn an unsrer stelle, schl. v. 40, hekant sin =
'gesehen werden' wäre, lautete die Übersetzung doch nur: 'er
möge von Gott immer gesehen werden, Gott möge ihn immer
sehen', jedoch nicht, wie Leitzmann mit vertauschung der subjecte
sagt: vE. möge stets Gott schauen, ein sinn, wie er freilich nach
Leitzmann 'der einzig brauchbare' ist, da hiermit Boner seinem
gönner das ewige anschauen Gottes, d. h. die ewige Seligkeit
wünscht, wie aber kann statt der passiven bedeutung 'gesehen
werden, zu gesicht kommen" (videri) die des activen auschauens
'videre (spectare)' eingesetzt werden? Leitzmann allerdings meint
nach seiner auseinandersetzung annehmen zu müssen, dass vR.
bei abfassung von Boners Epilog nicht mehr am leben war.
Dagegen sage ich: wenn würklich v. 35 — 40 nach Leitz-
manns auslegung zu übersetzen wären, was ich zu widerlegen
gesucht habe, so brauchte in ihnen trotzdem noch nicht der tod
vRinggenbergs zu önden zu sein, sondern nur, dass es ihm und
seiner seele künftig im himmel gut ergehn möge, nicht viel
anderes wünscht sich Boner selber im folgenden v. 41 ff: des
müez gedacht iemer ze guote werden in himel und nf erden, 'dass
der epilog des verstorbenen Johann von Rinkenberg gedenkt', ist
ebensowenig eine auch 'nur relative (?) tatsache'. wie 'dass es
sicher auch zu Boners zeit handschriften gab", die den Anonymus
und x\vian hinter einander enthielten, sondern nur eine annähme
Leitzmanns und ein erklärungsversuch von ihm.
Was übrigens durch diese 'erkenntnis' Leitzmanns gewonnen
ANFANG UND SCHLUSS VON BONERS EDELSTEIN 1 1 1
wird, sieht man nicht, denn seine ausführlichen angaben über
J. V. Ringgenbergs urkundliche erwähuung sind längst bekannt,
auch von mir (Boner u. s. lat. vorl., Charlottenburg 1901, s. 1)
nach Bcächtold in den hauptsachen abgedruckt worden, auch
Leitzmanns Schlussfolgerung, 'dass der abschluss von Boners werk
jedesfalls mindestens in den anfang des 6 Jahrzehnts des 14 Jahr-
hunderts fällt', ist zu bestreiten, da vR.s todesjahr nicht etwa, wie
Leitzmann schreibt, 'nicht genau", sondern überhaupt nicht be-
kannt ist, er 1350 (s. Bächtoldi möglicherweise nocli lebte, so
könnte Boner sein buch in dessen todesjahr, aber auch längere
zeit danach abgeschlossen haben — falls eben das schlusswort
des toten gedenkt: es bliebe nach 1349/50 ein unbestimmt langer
Spielraum übrig, hat Boner aber den schluss vor seines gönners
tode verfasst, dann kommen wir nach den vorliegenden urkund-
lichen angaben nicht über 1349/50 als den äufsersten zeitpunct
des abschlusses des Edelsteins hinaus.
Noch eins kommt hinzu was Leitzmann nicht erwähnt,
nämlich dass die verse v. 35 — 40, auf denen sich seine ganze
beweisführung gründet, in der Strafsburger hs. B fehlen: daher
und auch aus andern gründen hielt sie Benecke, dieser gründ-
liche kenner Boners, für spätem zusatz (s. 369 s. ausgäbe) und
hat sie ausgelassen, wir hätten an ihnen auch nichts verloren,
es müste denn die nachricht vom tode vRinggenbergs sein, denn
Boners gedanken über das Schicksal der menschlichen seele nach
dem tode darin zu sehen, wie Leitzmann es zu tun scheint, lassen
die einfachen worte kaum zu. wenigstens äufsert B. sonst in
dieser hinsieht nur den schlichten Volksglauben, b7, 34 der hüet
sich vor der helle not; schl. 47 vrist uns von der helle gluot;
74, 57 ivie mich ein engel schön vuorte hin vilr gottes trön, da
er sitzet ze himelrlch, 64 wie mich zer helle ein tiuvel, der
IV as ung estalt, vuorte, da ich manigvalt der armen seien pine sach;
86 einr was ze himelrich erkorn, da vuort in hin ein engel
guot. der ander in der helle gluot wart gevüeret, da er sach der
armen seien ungemach, 92 daz ieman st har wider kamen von
der helle oder von himelrich, der dar was komen.
Was dann noch Leitzmanns behauptung anlangt, die ent-
stehung der fabelsammlung im einzelnen läge in völligem dunkel,
die versuche, in dieses dunkel auf irgend einem wege hineinzu-
leuchten, seien gescheitert, so scheint er dabei die quellen Boners
112 GOTTSCHICK, ANFANG UND SCHLüSS VON BONER
nicht im sinne gehabt zu haben, vielmehr wol nur die Zeitfolge
in der abfassung der einzelnen stücke, indessen glaube ich
(Über Boners fabeln s. 25) wahrscheinlich gemacht zu
haben, dass B. zuerst die Anon^'mus-. darauf die Avian-
fabeln, inzwischen und zum teil nachher die übrigen dichtete,
von denen manche schon iliren Stoffen und den angeknüpften
betrachtungen nach sich als zuletzt verfasst darstellen, etwas
zeitlich genaues lässt sich der natur der sache nach über die
entstehung des werkes nicht erweisen, ebenso wenig wie Leitz-
manns behauptung: 'es kann sehr wol auch ununterbrochen, wenn
auch natürlich in langsamer, sich über jähre erstreckender arbeit
entstanden sein'.
In einer anmerkuug handelt Leitzmann noch von lesarten
zweier stellen Boners. mit Schönbach spricht er sich B. 41, 39
für die la. von AE hüfen statt hüse der andern hss. aus; der
Anonymustext, *ludo mersa cavis', sei geeignet, diese la. zu unter-
stützen, auch Benecke schreibt Jmff'en, Pfeiffer Inise. beide worte,
hüfen und fiüs, stehn freilich schon vorher v. 27. und v. 30, trotz-
dem erscheint hüfen v. 39 mehr am platze, doch nicht wegen
der worte des Anon. 37, 13 'ludo mersa cavis', wie Leitzmann
meint, vielmehr entsprechen sich B. 41, 39. 40 mh' (der anieise)
ist in vi'inem hüse haz denn dir (der fliege) in des künges palas
und Anon. 37, 15 'me letam videt (od. iubet) esse cavus (die
höhlung, das loch), te regia tristem'.
Aufserdem will Leitzmann mit Schönbach die nach B. 18, 32
in BCD überlieferten verse, den kres der vuchs az> äne brdt.
der rappe leit von hunger not, die weder Benecke noch Pfeiffer
aufgenommen haben, in den text einsetzen, wegen der worte des
Anon. 15, 7 'hoc fruitur vulpes'. aber B. 18, 29 — 32 in dem
gesange enpfiel im dö der kces; des warf der vuchs vil vrö.
des muost der rappe schäme enpfän, dar zuo muost er den
schaden hän, geben ja möglichst genau Anon. 1 5, 6 — 8
wider: 'Dum canit, ut placeat, caseus ore cadit. Hoc
fruitur vulpes, insurgunt tedia corvo. Asperat in medio dampna
dolore pudor'. die worte 'hoc fruitur vulpes' entsprechen des
wart der vuchs vil vrö, aber nicht den beiden versen in B C D,
die beim Anon. keine entsprechung haben und für unecht zu
halten sind.
Charlottenburg 3. ii. 1910. Reinhold Gottsehick.
DIE VIRGINAL A UND WOLFRAMS
WILLEHALM.
In seiner ergebnisreichen Untersuchung 'Virginal und
Dietrichs Ausfahrt' (Zs. 50, 1 ff) bespricht Carl vKraus (s. 111 ff)
auch das 'köstliche intermezzo', das 'dadurch hervorgerufen wird,
dass der zwerg Bibung sich in Unkenntnis hötischer sitte ge-
waffnet zu tisch setzt', der dichter sagt: slnes sivertes er vergaz
gebunden an der slten (Dietrichs Ausfahrt 353, 2 f in der von
Kraus widerhergestellten ursprünglichen gestalt). mit diesen
Versen vergleiche man Wolframs Willehalm 430, 14f: stns edeln
swertes er vergaz in der scheiden an der slten. aber nicht blofs
diese werte erinnern an das gedieht Wolframs: auch dort wird
erzählt : dö der {= Rennewart) nider was gesezzen {an der taveln
ort), er muoste gewäpent ezzen (312, 9f), also wie Bibung, der
da ze tische saz .... veru-dpent (353, 1.10). das schwert wird
dann in Dietrichs Ausfahrt noch 355, 5.358,. 13 und im Wille-
halm 312, 11 ft' ausdrücklich hervorgehoben, an die Schilderung
des mahles, dem Rennewart in so ungewöhnlichem aufzuge bei-
wohnt, gemahnt das "intermezzo' mehrmals:
Dietrichs Ausfahrt 352, 10 ff: Wh. 312, 5 ff
von im so icard gesessen. ieslicher saz an sine stat.
der icirt da von dem orte gie, Helmrich dö Rennewarten hat
er pat in sitzen an sein stat. . . . sitzen . . . an der taveln
ort.
Man vergleiche ferner D. A 336 (=Virg. 214), 2.3 swenne
ir ivehit, her Dieterich. so sülnt ir nemen ivazzer und Wh. 312,
2 den vürsten man daz wazzer truoc, die erwähnung der schnnen
vromven und der ritter'^ in D. A. 337 (= Virg. 215), 2.4
und der vrouwen tvol gevar und der ritter in Wh. 312, 3 f. und
das lob der bewirtung in D. A. 337 (= Virg. 215) und Virg.
216, Iff (die verse fehlen in der Hs. w2) und Wh. 312, 170',
in denen die worte wiri und guote 3) {hezzer) spise gehen in beiden
dichtungen begegnen. Rennewart wird dadurch ausgezeichnet,
dass er sich zer küneginne setzen muss (312, 7), zu Dietrich
setzt sich diu herzogin (D. A. 336 = Virg. 214, 7). der vers
* in w 337, 4 allerdings ersetzt durch gesfe.
■•' vgl. Kraus s. 5.
^ ebenda s. 48, z. 5.
Z. F. D. A. LH. N. F. XL. 8
1 1 4 LÜNZER
D. A. 358, 6 ez muoz mir missevallen steht genau so im Wh.,
wenn auch an ganz anderer stelle: 131, 16. Hildebrands worte
stüende ez mir also D. A. 355, 13 klingen an Wh. 460, 15 an:
iedoch stet ez mir also, daz wilde und daz zam wird wie in
Wh. 177, 3 (vgl. 448, 4) aufgetragen in D. A. 354, 7. Hilde-
brand ist in D. A. 355, 7 der der ie mit zühten wielt (w ie
hoher züchte tvilt^), wie es im Wh. 415, 24 von Rennewart
heilst: siis künde er zUhte walden. schliefslich lautet D. A.
361, 1 Unlange da (nit lang dar nach f w) gehifen wart ähn-
lich wie "Wh. 354, 6 da emvart so lange niht gebiten. — die
Schilderung des mahles stimmt also in kleinen einzelheiten, die
bei einer solchen höfischen Veranstaltung selbstverständlich sind,
und in dem, was dabei unerhört war, überein, und Wendungen
kehren wörtlich wider. jedoch ist die darstellung in dem
Dietrichsepos (D. A. 336 f, h 216, D. A. 338. 353 f) ausführ-
licher als die im Willehalm (312, 1 — 24), sie wird durch den
bericht von Bibuugs fahrt und ankunft unterbrochen und leitet
zu dem erwähnten Intermezzo über, sie verdient völlig das ihr
von Kraus gespendete lob. es fehlt ihr auch — trotz der vor-
geführten parallelen — keineswegs an Originalität: in Wolframs
legende ist der gewappnete gast der höfischer sitte wenig
kundige riesige Rennewart, hier der bis auf seine gröfse völlig
rittermälsige böte und vertraute einer köuigin, der kleine kurze
man, der zwerg Bibung, und die in ihtn verbundenen, gerade
jetzt doppelt würksamen gegensätze nutzt der dichter aufs
lustigste aus. bemerkenswert ist auch, dass die eingangs
citierten verse sins edeln swertes er vergaz in der scheiden an
der siten im Willehalm nicht der Schilderung des festmahles an-
gehören, sondern Rennewarts gebaren in der schlacht begrün-
den, also gleich mehreren später angeführten aus ganz anderem
zusammenhange hieher gerückt sind.
Der heidnische könig Aroffel von Persia ist von Willehalm
besiegt, und es wird daz houbet — ab im geswenket: noch
solden kristenlichiu wip klagen sinen ungetouften Itp Wh. 81,
16 ff. — Hildebrand fällt den beiden Virg. 66: daz houbet er
im abe stvanc. er sprach nu klagte ich den gemeiten
llp {der ungetoufte wird Orkise genannt 59, 8).- da hazzent dich
' vgl. auch der zühfe tcielt, Verbesserung von Kraus (s. 119,
anm. 3 zu s. 118) für w 383, 9.
VIRGINAL A U. WOLFRAMS WILLEHALM
115
megcl iinäe w7p. . . . des siiln dich rltter. me<idc, vrmven iemer
deste minner klagen, es sind wider älinliclikeiten im Wortlaut
und in der sache. der heidnische gegner ist in beiden dichtungen
glänzend gerüstet, ein streitbarer held, der schon viele kämpfe
siegreich bestanden hat. aber auch an Verschiedenheiten mangelt
es nicht: Aroffel hat seine taten im dienste der minne verrichtet,
Orkise ist ein erbarmungsloser Verfolger wehrloser frauen. da-
her trotz der gleichheit entscheidender ausdrücke der gegensatz
im inhalte der letzten verse. die aus der Virginal herbeige-
zogene versgruppe übertrifft abermals an umfang jene des
Willehalm, von der sie angeregt zu sein scheint.
Beziehungen bestehn auch zwischen Wh. 246, 29 ff und
Virg. 133 ff. wie Giburg nach dem entsatze von Oransche ihre
Jungfrauen auffordert, sich zum empfange der befreier festlich
zu schmücken, so mahnt die königin ihr Ingesinde, Hildebrand
und den Berner, die sie vor dem heidnischen bedränger gerettet
haben, in reichstem schmucke zu begrülsen.
Willehalm.
246, 29ffm/r u-as nü lange trüren hl:
da von bin ich ein teil nii vri.
al nüne juncvrouwen ichmane.
leget iuwer besten kleid er ane:
ir sult . . . vel und här so zieren,
daz ir minneclichen sit getan.
247, 19ff wan iuwer künfteclicher trost
hat u)is vintllcher not erlöst,
weit ir uns iuwer helfe tvern
so muge wir trürens wol enbern
248, 1 f diu ivipliche güete
Virginal.
133, 5 sU iutver sorge ein ende hat.
lOff
249, 6
git dem man höchgemüete
. . . die vroutven und der palas
wünneclich wären an ze sehen,
man muoste den vrouwen
allen jehen,
daz si triiogen guot getvanf.
si bejagete et al der herzen
gunst.
134,1
136.6
134,7
136, If
133, 11
138,
1
133,
9
136,
11
132,
1
138,
7
135,
4f
136, 13
3 Sivaz si des ingesindes (es
sind juncfrouwen) sach,
dö gebot si unde sprach
legt an iur besten kleider.
und zierent iurh nfz beste
daz ez die vürsten dunke guot.
S/t uns der Wiilßnge trost
hat von sorgen groz erlöst,
sit uns ir helfe hat ernert
vgl. 132, 6.
Ir jämersorge was da hin.
wir (= wlp) suhl dem
Berner vröude geben.
Süllen wir höchgemüete tragen,
diu tvunnecliche maget.
in einen wünnecUchen sal.
(die Jungfrauen) leiten ane
r'ich geivant,
swaz iegelichiu guotes vant.
länt herze wunsch (w: lust)
an in bejagen.
116 LUNZER
Wider stimmt vieles inhaltlich, nicht weniges auch formell
überein, wider ist die Virginal viel breiter (besonders der
wünsch, die Jungfrauen mögen vel und Mr zieren, hat den
jüngeren dichter zu eingehenderen angaben begeistert: 128, 9
mündel rosevar, 133, 7 oh rceselehten /vangen, 128, 10 f vil
schapel unde kröne zesamene vf reiden locken bran, 133, 6 ff
daz locke reide sweben gelich den goldes drceteyi, 135, 8 .
setz eben mir daz krenzel i), wider sind bei allen ähnlichkeiten
die umstände in beiden dichtungen verschieden: Giburg muss
ihre Jungfrauen mahnen, festlichen schmuck anzulegen, weil sie
bisher gekämpft haben: sie muss ir wdpenror. von ir legen, sie
und die mädchen daz harnasräni tuon von dem vel, Virginal
und ihre meide sind dagegen ganz unkriegerisch und haben
wehrlos ihre leiden ertragen: diese haben ihre rvengellv und
mundel rot dicke missevar gemacht. — bezeichnend für die art
der einwürkung (oder Verwertung) sind die oben neben einander
gestellten verse Wh. 247, 19f und Virg. 136, 1 f : das wort
tröst- hat an den zwei stellen ganz verschiedene bedeutung;
man hat es also trotz dem ähnlichen klänge der beiden vers-
paare keineswegs mit bequemer, geistloser entlehnung zu tun.
Ich möchte hier gleich Wh. 253, 8f und Virg. 59, 3,5
anreihen :
Wh. alze vruo er (= got) nun gedahte. Virg. daz got dar an gedcehte,
ich schür slner hantgetät. daz ich bin shi hantgetät.
Trotz dem ähnlichen klänge, zu dem hier innerhalb der
verspaare der reim gar keinen anlass bot, ist das syntaktische
gefüge und der sinn völlig verschieden.
In Wh. 99, 15 ff wird der verwundete markgraf von seiner
gattin aufgenommen, sie hilft ihm die rüstung ablegen und ver-
bindet ihn. — der junge Dietrich findet in Arone freundliche
aufnähme, frauenhände entledigen ihn seiner rüstung, und die
herzogin, die herrin der bürg, verbindet seine wunden.
Willehalm. Virginal.
99, 15 ff in ein kemenäten gienc 206, 2 ff dan vuorfen si den jungen
lip — — —
Giburc — — — uf in ein ivunnecUchen sal
* die von Kraus als jüngerer einschub nachgewiesene Strophe 119
bringt mit vers 7 ff noch einiges.
^ vgl. Kraus s. 48 anm.
VIRGINAL A U. WOLFRAMS WILLEHALM 117
Willelialm. Virginal.
da entiväpende in dm uise: sin harnesch wart enp fangen
si schouwete an den stunden, von maneger sckosnen vrou-
wen haut,
oh er hete deheine icimden, diu herzogln die wunden bant.
diu künegin mit ir blanken Jiant
— — — bant in. .
Angeboten hatte dasselbe die befreite Jungfrau Hildebrand
Virg. (57, 2ff: lierre, Udent ir iht not von keiner slahte ivunden,
die sullent ir mich läzen sehen und dieser hatte seinen herrn
aufgefordert 114. 1 fl so wol dan mit mir zuo den vroutven : ir
suhlt die wunden sehen län und st den schaden schouwen. auch
da sind berührungen mit dem Willehalm, die Stimmung ist aber
wider ganz verschieden: Hildebrand und Dietrich werden als
Sieger von der dankbaren herrin einer fremden bürg willkommen
geheifsen, Willehalm 'kommt als unglücklicher, schlachtmüder
mann, verzweifelt, zum tode erschöpft nach hause', wider ist
die erzählung Wolframs kürzer (obwohl die heilmittel angegeben
werden und eine anspielung auf die Gralsage eingeflochten ist,
reichen 17 verse aus), in dem anderen gedichte wird die sache
zweimal vorweg genommen, und als es dann würklich zur gast-
lichen aufnähme der beiden recken kommt, umgibt sie ein
menschengewiramel, und der dichter kann sich nicht genug tun
in der Schilderung all der freundlichkeiten die ihnen zu teil
werden, der scherz mit dem erschrecklichen eiiernen mann auf
der burgbrücke und über Dietrichs puppen erweitern seine er-
Zcählung. Kraus stellt aao. s. 56, anm. 1 von dem ältesten
teile des Dietrichsepos, den er Virginal A nennt, fest: 'eine be-
trächtliche anzahl Wörter führt in die Sphäre der
Wolframischen kunst.' er verweist zugleich auf Heinzel Kl.
sehr. s. 222, 'wo auch einiges an Wolfram gemahnende erwähnt
ist.' Heinzel bespricht dort die ausgäbe der Virginal im
Deutschen Heldenbuch und sagt: 'was den dichterischen stil
anbelangt, so scheint mir einfluss Wolframs einigemal nicht
abzuweisen. Zupitza vermutet ihn nur bei ein paar namen,
s. xxvu ['der name Orklse (im reime 83, 3) könnte
seine entstehung dem ländernamen in Wolframs Willehalm
Orkeis (zb. 395, 3. 447, 26) verdanken, wie vielleicht der fluss
118
LUNZER
Larmant oder Lonriant — daz rcazzer Larkant^ im
Willehalm ist, wie w 792 würklicli schreibt.'] aber auch die
gehäuften genetive — Virg. 312, 10. 325, 10, s. xxi von kindes
jugende Ursprünge sind wolframisch, Wh. 240, 3. 332, 4. 349,
11. 362, 18. 389, 14. 422, 17. 433, 28. 456, 25. Tit. 138,4;
oder kerne mit genetiven als auszeichnendes prädicat s, xx der
ere ein kerne = Fdivz. 429, 25.'^
Ich möchte nun auf die eingangs vorgelegten parallelen eine reihe
einzelner stellen folgen lassen, die gleichfalls darauf hindeuten, dass
die Virginal A unter dem einflusse von Wolframs Willehalm steht.
dabei zieh ich aus dem bestände der handschriftlichen Überlieferung
der Virginal nur verse heran, die sich auch nach den Untersuchungen
von ESchmidt (Prager Deutsche Studien, heft 2) und Kraus als echt
bewährt haben, die wenigen anderen werd ich hervorheben.
Willehalm.
70, 11 dierehtensträzeergarvermeit,
13 gein der muntäne er kerte
101, 16 nü lerne ich, des ich nie
heg an
195, 2 f si emvären da man noch
wihe kunt,
der doch die stimme hörte
59, 24 hl maneger steinwende
230, 30 wcere tal und herc der hei-
den vol
466, 25 vor dem möhte ich hie wol
genesen
Virginal.
19/ 2 ff die rehten sträze si vermiten
und Uten . . . gegen eim ge-
hirge.
2 1 , 7 f so lere (für lerne) ^ ich daz
ich niht enkan
und selten han hegunnen
22, 1 Ein stimme hörte er Hilte-
hrant
2 diu . , . ^ 5 was in beiden
gar unkunt
24, 10 hi dirre Steines ivende (ähn-
lich öfter)
25, 1 diz lant ist herren (= heiden,
so w) vol
30, 7 mac nieman vor in genesen
[vgl. w 83, 13.]
' zu dem namen Larkant bemerkt schon Franz Stark in seiner
ausgäbe von 'Dietrichs erster Ausfahrt' (Bibl. d. Litt, ver. in Stuttgart 52)
s. 345: 'in Wolframs Wh. sehr oft'.
- Heinzel hält in dieser (aus dem jähre 1870 stammenden) be-
sprechung mit Zupitza an der einheit der ganzen Virginal fest.
^ Virg. 1 — 18 sind nach Kraus a.a.O. s. 18 f, vgl. s. 98 f unecht.
* Heinzel s. 223.
^ Virg. 22, 2 diu was in heiden unbekant: 22, 2 und 5 können
wegen der widerholung nicht ursprünglich sein (Kraus s. 19) — ver-
mutlich ist es aber der eine der beiden verse.
VIRGINAL A U. WOLFRAMS WILLEHALM 119
Willehalm. Virginal.
216,2^1 got, der des alles hat gewalt
\93, lOädaz ich slner hei fehin verzaget 40, 1 f nu helfe mir der Krist,
und hän michs nfi gehabet der alles des geivaltec ist
an Krist,
dem du undertcenec bist. .
101, 15 die mir waren undertan ^^' ^ ^'^ "'^^ ^''■"^«« undertän^
157,21 da solt si min geniezen län 47,12 länt ir s% niU geniezen min-
423, 6 er mohte da kiesen wunder 52, 6 du möht man vunder schon-
wen vgl. 18S, 6. 219, 3.
413, 2 und tvaz da viurs üz helmen 52, 7f man sack mz herten helmen
spranc varen daz viur'
351,19 damaht dievindewmecsparn 52,9 emceder wolde den andern
sparen
418,23 hl dem schilt (des was doch 53, 2f daz vil lützel ganz beleip
wenec ganz) des schiltes
85,27 da witrden bürgen vür sin 54, 7 f wie vür daz leben der grimme
leben tot ir beder bürge wurde
150, 5 u. öfter überlesteclich 54, 10 überlestec
253, 8f s. oben 59, 3. 5 s. oben
58, 14 in sinem zorne er do sprach 61, 1 In zorne sprach her Hiltebrant
'ir . . . Sarrazin 4 '. . . ein . . . Sarrazin . . .'
219, 9 zuü dem hän ich kleinen tröst 64, 1 Ich hän uf iuch vil kleinen
{:erldsf) tröst (; erlöst)
131, \Si die vil gerne miner hant 64, 3f die dicke miner hende
etswenne durch mm gäbe nigen durch riche gäbe hänt genigen
424, 16 die heten schaden e genomen 65, 5 ir hänt den schaden von mir
399, 15 schaden von in nemen genomen
8 1 , 2 1 ff (klage um einen gefallenen 66 s. oben.
beiden) s. oben.
99, 19 f (eine frau verbindet die 67, 2 ff s. oben.
wunden) s. oben.
100, 18 f ich wcene, dö ninder swcere 70, 12f von scharfen siverten ivunden
tief,
den marcgräven schuz nochslac daz im darnächvil langesicirf
' Virg. 48, 12 f Krist und die im cd sint undertan führt Kraus auf
Virg. 40, 1. 45, 2 zurück.
^ vgl. Virg. 49, 2 f icelnt ir si . . . min niht geniezen läzen? (die
Strophe ist 'jünger'.)
^ vgl. w 18,5 das feür auß herten helmen glast, w 197, 12 f auß
seinem lichten heim das feür . . . hran, w 198, 5fat(/J Iren lichten helmen
flugen die flammen rot von feüre, w 207, 9 f auß seinem helme flugen die
lichten funken helle, w 434, 12 f die funken und die flammen rot auß
helmen . . . schoß, w 467, 11 f das feur da stob von heim.
120
LUNZER
Willehalm.
360, 29 inü lät Terrameren riten:
hoerf, wie die ersten striien
405, 8 icsUcher da hesunder reit 73, 2 f
3, 20 der den heim fifz houbet haut
455, \hivon icemst mich vf gerbet
daz ich bin sua verderbet
179, 1 als ander künege ie täten
(: beraten)
431, 10. 12 von . . . bluotes vloze daz
velt begunde roten
70, 15 iedoch vart er an gerant (\ 7
ir ivas et im ze vil)
242, 29 hat er den kummer mm ver-
nomen
40, 1 von maneger hurte stoze
50, 22 u. oft poinder
73, If s'tns sn-ertes, da mit er ma-
negen sicanc
tet, der durch künege hehne
erklanc
vgl. 4 13, 1 waz do s werte
erklanc, 380, 24 des wart
erklengetmanec swert, 4 1 i'>, 3(>
der üf helme . . . klanc
54, 24 sin sivert, der heiden hagel
(.• nagel)
12, Wimanegen werden Sarrazin
dem töde ergap ze zinse
Virginal.
72, 4 f mi läzen ivir sl riten hie
und sagen wiez dem Ber-
ncere ergie.
ir viere sunder durch den walt
f(f' starken rossen kamen '
Den heim üf der von Berne bant
wie hdstu mich verderbet
nun wirt dir doch mtns
erbes niht,
swie man mich hie ver-
derben siht '^.
als vor mir vürsten taten
{•.verraten)''
77, lOf daz sich begunde raden von
bluote sin . . . gewant
da komen zirelf dort her
gerant
und ist dir kunt, daz ez mir
kummerlichen (so B, angest-
lichen ausg.) stdt.
94, 1 des hurtes stoz
94, 4 poinder.
95, 6f vil von swertes sntden
üfsime starken helme erklanc'^
96, 1 Sin swert wart der heiden
hagel (.• nagel.)
96, 11 ff ma Hehrer [Sarrazin\ muoste
do sin leben
ze zinse vür den grimmen
tot . . , geben ^
74, 1
74, 3
T), 6
93, 4
93. 12
' vgl. 8! (interpoliert), 3 durch iraz rifent ir besiinder?
2 die brücke bildete wohl Wh. 455, 13 der ivas min herre und niht
min mäc : ich hin din herre tind niht din mnc ist der gedanke, der auch
Dietrichs worten 74, 2 flf zugrunde liegt.
3 vgl. 14, 10 als ie die besten täten (.- geraten).
* vgl. wl51, 2f und hieben auf die hehne dar, das sisolaut erelungen.
* vgl. w 445, 7 f sie {die heiden) miisten all ir . . . leben dem tode
da verzinse7i {: flinsen; Vfh, : flinse).
VIRGINAL A U. WOLFRAMS WILLEHALM
121
Willehalm.
72, 29 da zorse er käme vor in besaz
vgl. 388, 20 swer im da zorse vor gesaz
418, 18 sin ellenthaftiu mäht
57, 1 1 äf in ze vol(/e und engegen
59, 17 ez (daz ors) dreste undegrnzte.
s. oben zu Virg. 52, 7.
17 2, 30 hogen oder sicert als waffen
der beiden.
s. zu Virg. 95, 6 f.
213, G mit nrloube er dannen schiet
(.■geriet)
152, 5f da wart . . . manec Märe
hant gewunden
435, 12 die Christen stürmten vor so
der edel vorloufe,
1 5 swenne er gesvnmmet durch
den loäc
455, 17 waztoucmirnüvürstenname?
428, 1 9 f Pwrrels ors mit hurtein truoc 108, 7
dem siine ze helfe
32, 20 inz gedrenge
381, 15 ff manec stvertes ecke aldä
hegoz,
daz daz hluot über die
blicke vlöz:
si wurden almeistec rot gevar.
22, 1 dürkel wart do der heiden
schar
Virginal.
97, 12 daz er den heiden vor gesaz
(auf dem rosse) '
97, 13 sin ellenthaftiu kr äff ^
98, 4 vor ime, hinden unde eneben
98, 7 sin ras gräzte unde grein
9S, 9 dazviiir HZ hertenhelmen schein
98, 11 bogen unde swert als waffen
der heiden.
99, 2f von sinenhendend icke erklanc
ein swert fif helmen veste
102,^2 mit urlouhe er von dannen
schiet (: beriet)
102, 4 ir wizen hende si do vant*
105, 4 ff er (Dietrich) fuot (im kämpfe)
reht als ein edel hunt,
dem daz wazzer in den munt
gel, und er [dayme swimmet
106, 1 IVaz solte zeime herren er
4 und trüege er danne vürsten
namen (vgl. w 142, 3)
Lew (Hildebrands ross) in
gewillecUchen truoc
(seinem herrn zu hilfe; hilfe
in w 228, 12 = dem ver-
lorenen verse h 107. 12)
[vgl. w 112. 12 f]
108, 8 in daz gedrenge
108, 9 ff ftf starke helme er Vreisen
[== sin sicei't] sluoc,
daz vil der viures blicke
enzunten lichten helmes dach.
dar nach man manege brünje
wiz
mit bluote sich diirchgiezen
sach.
109, 2 daz dürkel wart der heiden
schar
' vgl. w 207, 5 der junge fürst in vor gesas (auf dem rosse).
- vgl. w 378, 7.
^ von den str. 101 und 102 urteilt Kraus: 'der Inhalt ist dürftig',
aber es 'lassen sich durchschlagende gründe gegen ihre echtheit nicht
anführen. . . . Weniger bedenklich [als 101] erscheint str. 102'.
' vgl. w 12, 10 sein hend hegund es tvinden und w. 61, 2f. 64, 6. 70, 'A.
122 LUNZER
Willehalm. Virginal.
240, 21frr helei]) da maneger vor im 109,7.9 er sluoc ir vier und ziven-
tot (vgl. 54. 18) zec tot
Glich muoste er von .in kamen die andern hräht sin herre
mit not in not.
346, 4ff unbe süeze . . .' 110, l2fsU iuicer hant so höhen pris
sol iucli Mute leren durchwerdiuwipervohtenhät
iuwern pris M vinden nieren
413, 15 altgrtse • 113, 3 altgrlse-
418, 18 ff (?oc/i icas sin eUenthaftiu 114, 4 f so vihte ich (sin ellenthaftiu
mäht kraft 'dl, 1 3) disen ganzen tac,
müede, wände er al den daz ich von müede niht
tac . . . des stritcs phlac enmac^
99, 19 f (eine frau verbindet die 114,7 — 10 s. oben (vgl. zu Virg.
wunden) s. oben. ö7, 2 ff)
244, 9 die soltü schöne emphdhen 119, 10 da wert ir schöne enpfangen
(vgl. 191, 8 u. w 491," 2)
66, 1 0 f waz koste ich dö die künegin ! 1 24, 5 ff er muoste haben keisers gelt . . .
des iccere den keisern gar ein kiinec wcer der kost ze
genuoc swach,
123, 8 mit so höher kost
10 sich möhtes ein heiser niht daz ers iht möhte erliden.*
erivern
385, 19 soldez ein keiser gelten
246, 29ff(frauen empfangen ihre be- 133.134 s. oben.
freier) s. oben.
340, 21 nemt alle mins gehotes ivar 135, 1 Der rede (134, 2 dö gehöt si)
namens alle war
418, 16 iHalzebier vor in . . . vaht 147, 1 Vor ime vaht her Hiltehrant
59, 24 147, 2 s. oben zu Virg. 24, 10.
428, 20 dem sune ze helfe 147, 8 ze helfe sinen kinden
388, 19 daz er der heiden hete haz 157, 13 tragent dem icilden wurme
haz vgl. w 116, 2. 153, 9.
372, \2ialrest nü donerf der walt 164, 9f sirie vil der dunderslege [in
vonlanzenkracheunddersper. würklichkeit sind es schwert-
hiebe | var,
da von der walt erhrinnet.
166, 3 f die siege . . . da von vlammet
sich der tv alt vgl. 143, 7 f.*
' vgl. w 28, 9 f schoti frau'en brachten in darzue mit irer süssen minne.
- vgl. Kraus s. 56.
■* vgl. w 470, 9. 11. ir grosses fechten al den tag . . . ir arme
wurden jniiede gar.
* vgl. w 458, 5 fl" ir kost kan niemant wider wegen, ican si was wol
die peste, die kunig noch kaiser nie gewan.
' vgl. w 148, 4 der schefte krach so laut erhal. recht als ein n-ilder
doyiderfal.
VIRGINAL A U. WOLFRAMS WILLEHALM 123
Willehalm. Virgin?,!.
54, 18 ir lac vil maneger vor im 167, 5 f ez lac vil maneger vor mir tot
tot vgl. 240, 21.
427, 2\iwie man in stürmen dienen in stürmen unde in striten^
miwz (=210. 10.236, 6 w 456, 8)
hohe minne und den iverden 167, 1 &. der minneclicher vrouwen
gruoz gruoz
mit dienste wil ern-erben,
den Up er sere ivägen muoz.
423, 14 si körnen alrest nn, da si 170, 1 Si körnen da der vürste
striten streit
I9\,\6igeret tvcere daz seihe wip. 110, 1 ftichgeloubenihtdazdekeinwip
diu in zer werlde brähte. ie tiurren helt .enpfienge,
oder geboren u-urde ein lip
162, 28 ff er möhte erbarmen, die 112, i.^ und lietez einlieiden an gesehen,
halt sint
— — — Heiden — sin not müest in erbarmen
422, 13 Willehalm sich muoste wem 173,4 da muoste ersetzen sich ze wer
59, 24 180, 5. 184, 10 vgl. zu Virg. 24, 10.
413, 15 186, 11 (der alte gr'ise) vgl. zu Virg.
113, 3.
304, 19 si nämen daz kriuze über al 205, 9 er hat daz kriuze üf mich
genomen 2
99, 15 ff (eine frau verbindet die 206 s. oben,
wunden) s. oben.
296,22.24 Eenneivart zen juncvrou- 207, 2 f vil schmier vrouwen umbe
tven saz, in saz,
si begunden kürzen im die zU. die kürzten ime die stunde.
312, 5ff (festmahl) s. oben. 214 ff s. oben.
423, 14 si körnen alrest nü, da si 218, 4f er kam . . . da der von
striten Berne hete gestriten.
423, 13 manec enger vurt, densiriten 220, 4.6 mangen pfat eng unde smal
muost er. . . rtten'^ vgl. 143, 4 f
171, 2 mirst vreude wilde und 226, 10 sorge wart im ivilde^
sorge zam
99, 5 ff daz so manec kosteboere gezelt 229, 3 ff ein rtchiu küneginne
— — — über al daz velt diu hat geslagen üf ein velt
so richltch würde üf geslagen . . . ein wwmeclich gezelt^
» = w 99, 10. 106, 3.
2 gegen Virg. 201 — 205 liegen allerdings 'verdachtsgründe' vor,
s. Kraus s. 28; ebenso gegen 220. die erste Strophengruppe wird aber
doch gestützt durch die Unmöglichkeit, von 200 auf 206 überzugehn. mit 220
müßte auch 221 fallen, die Strophen werden wol nur überarbeitet sein.
^ vgl. Kraus s. 49.
* vgl. die jüngere str. 123, 7 flf. (Kraus s. 26).
124
LUNZER
Willehalm.
171, 8 f ich enmüeze in mtnem herzen
tragen
leit, äaz mich immer tnnnget
228, 2Aivon slner kunft was in he-
nonien
vil angest, der si phlagen e.
Virginal.
231, 2 ff n-ir halten getragen manec jär
groz leit in unserm herzen,
da von hilnt ir uns genomen
und sint ouch her ze lande
komen vgl. 193, 11 ff.
Einen blick verdienen noch die 'wapenlieV. sie sind in der
fassung h* zweimal überliefert: Virg. 3— H und 31 — 37. gegen
beide Strophengruppen haben ESchmidt § 85 und § 89 und
Kraus s. 18 und s. 19 f bedenken erhoben, jedoch findet Kraus
'einzelheiten zu hübsch für den späteren bearbeiter' und kommt
zu dem Schlüsse : 'ursprünglich war das ganze wol in 2 oder 3
Strophen gesagt, und zwar nicht zweimal, sondern blofs einmal.'
auch diese Schilderung mag vom Willehalm angeregt sein:
Willehalm.
63, 30 (din schilt) der koste vünf
hundert marc
249, 9 edel steine drüf verwieret
22, 28 lüter als ein Spiegelglas ==
416, 20 ff — — manegen, der solh
harnasch triioc
sich mähte ein heiser wäpen
drin,
swä der in stürme sohle sin
Virginal.
3, 2f hezzer vil wan tüsent marc
so was sin harnesch vgl. 16,5.
31, 5.
4, 9 f daran lac jnanec edel stein ver-
wilrket vgl. 37, 7
4, 5. 37, 9.
5, 1 ff S%n brünje (harnesch 1, 12.
3, 3) . . .
einie keiser zceme
ze tragen rvolin sinre not, . . .
und obe ez also kceme
daz er in strite müeste stn.
Gerade die Strophe 5, aus der die längste dieser parallelen
stammt, nennt Kraus 'eine gute strophe'.
Im Willehalm verehren die beiden drei götter 17, 20 f
ApoUe und Tervigant und . . . Mahmete und rufen sie oft an.
in der Virg. 63 ruft der beide Mahemet, . . , Apollo und ouch
Trevtant an und fügt bei : der vierde ist Jupiter genant. ' (Tre-
viant ist schon 62, 12 genannt.) Kraus schwankt, ob die strophe
63 'stark überarbeitet oder überhaupt jung" ist. ich möchte das
' das gedieht scheint selbst zu sagen, daß dieser erst dazu gekommen
ist; vgl. w 93, 12 der ßrd der heissef. Jupiter, (einen vierten heidengott
erfinden auch h 91, 12 [Medelbolt] und w 440, 12 [Mercurius]).
VIRGINAL A U. WOLFRAMS WILLEHALM 12r.
erstere annehmen: die Strophen 62 und 64, die auch Kraus un-
echt hält, schliefsen nicht aneinander an. die heraustorderung,
die darin ligt, dass Hildebrand 62, 12 den gott Treviant mit
höhn nennt, mufste den heiden zu irgendeiner äufserung über
seine götter treiben, und die namen dieser götter gehüren dann
schon zum alten bestände des gedichtes. die Strophen Virg.
1 — 18 'gehören nach Kraus s. 98 t' 'dem dichter der Muterepisode
oder sind von ihm überarbeitet.' ich möchte eher das letztere
vermuten: mit Virg. 19, l Nu namens urlotip undc riten kann
natürlich das gedieht nie begonnen haben, und es ist immerhin
wahrscheinlicher, dass eine zweite band hier wie sonst vorge-
fundenes benutzt, als dass sie den ganzen alten anfang wegge-
lassen und durch neues ersetzt habe, ich lasse demnach hier
folgen, w'as mir in diesen Strophen aufgefallen ist, wobei ich von
den eben besprochenen wäpenliet str. 3 — 6 absehe:
Willehalm. Virginal.
183, 24 si habent iu frninde* vü he- 2, 4 er hei ir al ir vriunt betwmen
nomen
182, 24 weit ir nü Terramere 9, \Otuir Mn sin iemer schioide
ze wüesten staten iuwer laut, daz man (nämlich der beide)
des ivirt diu kristenheit ge- sus ivüestet nnser lant
schant
225, 9f er huop sich an die vart, 13, 12 vil snellecUche an dirre vart'
mit im sin vriunt Bennewart 14, 3 f her Dietertch von Herne,
mit ime sin meister Hiltehrant
12 innen des gienc üf der tac 15, 1 Eins morgens vrüeje da:
geschach
366, 15 af dem plane 16, 11 = 17, 13 iif den phhi
In den anderen von Kraus aus der partie 1 — 233 als jünger
herausgehobenen Strophen bez. versen finde ich, widerholungen
aus dem anerkannt echten abgerechnet '\ nur eine parallele : '
Willehalm. . Yirginal.
103, 2 der hat mich dicke uz 64, 7 si hänt mich dicke üz WKten
angest hräht bräht
' so Lachmann mit Km(n), Leitzmann diensfea mit lopt.
- vgl. w 41 (= h 13), 12 vii schnell si eilten auf die Ja rt.
^ diese habe ich oben in den anmerkungen angeführt.
* insbesondere die längere interpolation 79 — 92, die Kraus S. 9S
dem bearbeiter (nicht dem dichter) der Muterepisode zuweist, bietet,
80 viel ich sehe, nichts oder fast nichts, man könnte höchstens vergleichen
Wh. 430, 27 des leben miioste sin ein phant und Virg. 79, 5 ir müezent
pfant des Todes tcesen.
126 LÜNZER
Die einfachste annähme ist wol, dass wir es auch bei
diesen Übereinstimmungen, soweit sie beweiskräftig sind, mit dem
vf. des ursprünglichen gedichtes zu tun haben, dessen verse und
Worte hier aus der Überarbeitung hervorschimmern. '
Mit Str. h 239, bzw. w 36 f'' hört für die Virginal A die
möglichkeit des Vergleiches mehrerer älterer handschriften auf,
und damit vermindert sich die deutlichkeit des erkennens. was
in h weiter folgt rührt, wie die arbeiten von Wilmanns (Zs.
15, 294ff), mir (Zs. -13, 193 ff), Ernst Schmidt aao. und von
Kraus a.a.o. mit steigender Sicherheit erwiesen haben, nicht
von dem dichter der Virg. A her, sondern von zwei späteren
Verfassern (Schmidt s. 58ff, Kraus s. 44ffj. ich lasse diese
partieen aus dem spiel.
Die bisher vorgelegten parallelen sind gewis nicht alle
gleich überzeugend, werden aber in ihrer gesamtheit wol nicht
auf Zufall beruhen, sondern berechtigen, wie ich glaube, zu der
annähme, dass die Virg. A von Wolframs Willehalm beeinflusst
ist. jene geistesart ihres dichters, wie sie die gegenüberstellung
zusammenhangender versgruppen zu anfang meiner betrachtung
zeigte, ergeben auch die einzelnen verse, die vielfach in beiden
werken in ganz anderer Umgebung stehn, anders gemeint sind
und sich trotz ihrer ähnlichkeit wider mannigfaltig unterscheiden,
es liegen auch hier nicht geistlose entlehnungen eines plagiators,
sondern geschmackvoll verwertete erinuerungen eines dichters
vor, der sich zwar dem einflusse eines grofsen Vorbildes nicht
entzieht, < aber darüber seine Selbständigkeit und eigenart nicht
verliert, ich greife einige beispiele heraus:
' w 8 — 24 sind nur in w überliefert und entstammen dort, wenn
ich recht habe (Zs, 43, 210. 215), der mit h verwarnen vorläge des
Schreibers, ich schalte daher hier ein, was diese Strophen zum vergleiche
liefern :
Willehalm. Dietrichs Ausfahrt.
364, 2. 403,27 (/c/^ömrc/ vgl. 352, 13 u. oft. w 10, 6 f^oriret (vgl. 90, 6. 373, 10.)
430, 7äder künec lac unvcrsunnen. 18, 12idas manger sich da nit versan,
schiere kotn gerunnen daz pliit auß mund rtnd naß
US munde, üz 6ren unde nasen im schos (vgl. 394, 2 f. [473, 12.
476, 13.)
79, 8 des küneges wer wart dö kraue 19, 1 f Ic doch so was der risen wer
zu krank da gen des haiden her
188, 26 grdnät jächant 23, 8f zivcn Jachande und ein qranat
(vgl. 94, 8 f.)
■- Mit w 361, 5 endet f (hgg. v. Lexer, Zs. 13, 377 ff), über den wert
dieser hs. vgl. Kraus s. 111 ff.
VIRGINAL A U. WOLFRAMS AVILLEHALM 127
Was Willehalm und Rennewart miteinander sprechen, ver-
steht niemand, weil sie Kaldeis und heidensch reden, die verse
in denen Wolfram das auffallende hervorhebt, dass die zeugen
die stimme hören und doch diu u-orf nicht verstehn (195, 2 f),
kommen dem dichter der Virg. in den sinn, als er erzählt, wie
Hildebrand und Dietrich von ferne das Jammergeschrei der be-
drängten Jungfrau hören, ihre spräche verstehn sie, wie sich
zeigt, noch aber können sie nicht ausnehmen, ob die stimme
von menschen oder von eines tourmes nmnt kommt (Virg. 22).
die Situation, die gründe und der Zusammenhang sind also ganz
verschieden. — der vergleich mit dem edebi vorloiifen (Wh.
435, 12 ff) wird in die Virg. übernommen (105, 4 ff), der weid-
männische ausdruck vorloufe wird zwar durch das gewöhnlichere
wort hunt ersetzt ', aber edel, welches hier in beiden dichtungen
keineswegs inhaltsleer ist* — denn wenn der hund nicht edel
ist, stimmt der ganze vergleich nicht — bleibt, im Wh. werden
die siegreich und unaufhaltsam vordringenden Christen mit dem
Jagdhunde verglichen, und die ähnlichkeit besteht eben darin,
dass sie sich durch hindernisse ebensowenig von der Verfolgung
abbringen lassen, wie der hund durch das wasser von seiner
fährte, der von heidnischer Übermacht umringte Dietrich aber
kann mit dem hunde nur darin verglichen werden, dass er die
fähigkeit zeigt, unter geänderten umständen auch anders zu
handeln: wie der hund, wenn ihm das laufen nichts mehr nutzt,
schwimmt, so schwingt der junge Berner nun. da das frühge-
lernte Waffenspiel (vgl. Virg. 75)3 gar ernst geübt werden
muss — in mvten — , sein schwert mit grimmigem kampfeszorne.
der vergleich ist also ganz anders und originell gewendet \ —
Willehalm, der bei Alischanz sein ganzes wackeres beer ver-
loren hat und sich um die belagerte gattin sorgt, dünkt in
seinem leide den dichter so wert des allgemein menschlichen
mitgefühls, dass er meint: er möhte erbarmen die halt sint des
wären gelouben äne, Juden, heiden, puhlicdne (162, 28 ff). Diet-
rich ergeht es im kämpfe mit einem drachen so übel, dass sich
' für seine zwecke braucht der dichter auch gar nicht an einen
Jagdhund zu denken.
^ vgl. Kraus s. 45.
3 so wird die sache auch w 27, 7 ff im gegensatze zu 27, 2 ff aufgefasst.
'» vgl. Kosenhagen Zs. f. d. Ph. 41, 69.
128 LUNZER
dem erzähler ein ähnlicher gedanke aufdrängt, er lässt die
Juden und die publiciine weg, verstärkt aber dafür den eindruck,
dass beim anblicke des bedrängten beiden das unwahrschein-
lichste möglich geworden wäre, indem er von dem beiden voraus-
setzt, dass dem leit tvture von im geschehen (17 2, 5). — von
dem reichsheere, das Oransche entsetzt, berichtet Wolfram: si
nämen daz krhize äheral (304, 19), und das ist natürlich ernst
gemeint und ganz wörtlich zu nehmen; in der Virg. 205, 9
beschuldigt der junge Dietrich in komischer Verzweiflung seinen
strengen Waffenmeister: er hat daz krmze df mich genomen.
ich glaube, dass unsere achtung vor dem dichter, den Kraus aus
dem schütte der Überlieferung herausgegraben hat und dessen
'ungemein zierliches' werk er so warm charakterisiert (vgl. be-
sonders 8. 122), durch "meine beobachtuugen nicht gemindert
wird. Kraus findet: 'höfisch ist an diesem gedichte alles und
jedes bis auf die namen des Dietrich und Hildebrand', wie ist
nun aber dieser höfische dichter darauf verfallen, seineu beiden
namen aus der heimischen volkssage zu geben? Wolfram, der
ausgesprochen höfische epiker, behandelt ausländische Stoffe, aber
er kennt und schätzt die deutsche heldensage. auch in den
Willehalm bringt er beziehungen auf sie herein, er nennt ge-
rade meister Hildebyant (439, 16)'. er unternimmt es. ein hö-
fisches epos in strophischer form zu dichten, mag nicht eben
sein beispiel mafsgebend gewesen sein für den jüngeren dichter?
dessen Vorgang kann es ihm auch erleichtert haben, sich seinen
humoristischen einfallen hinzugeben, endlich ist auch ein wich-
tiger teil der handlung: kämpf gegen heidnische Übermacht,
rettung einer hart bedrängten trau '^, beiden dichtungen gemein-
sam, dem Schöpfer der Virginal A bleibt deswegen im ganzen
und im einzelnen eigenes genug, er wird nur in einen liUera-
rischen Zusammenhang gestellt, dessen er sich nicht zu schämen
brauchte. — gekannt hat er, wenn meine erörterungen beweisend
sind, den ganzen Willehalm: die ersten aus diesem benutzten
stellen sind 3. 20. 12, 14 f; die drei götter werden Wh. 17.
' die dort ebenfalls erwähnte Uote bringen spätere bearbeiter der
Virg. nach: s. die namenverzeichnisse von Stark und Zupitza.
- dass eine christin aitß Iicideiiischoi Imidrn stammt (wie im Wh.),
berichtet w 79, 3. gelehrig im aufsuchen derselben quelle zeigen sich die
bearbeiter auch sonst.
VIRGINAL A U. WOLFRAMS WILLEHALM 129
I
20 f genannt (allerdings auch sonst), die verse 22. 1 und 22. 2S
kehren in der Virg. wörtlich oder fast würtlich wider, die
letzten, zu denen ich belege gefunden habe, sind Wh. -135, 12.
15. 455, 15 f. 4 55, 17. 466, 25. mit 467, 23 bricht Wolframs
werk bekanntlich ab. allenthalben zwischen anfang und ende
verstreut liegen die anderen verse, die sich in der Vii;^-. wider-
spiegeln '. in dieser widerum ziehen sich die parallelen ziem-
lich ununterbrochen durch die echten Strophen.
Kraus findet die fortsetzung von Virg. A in w 353 — 372.
375—381. 383—393. 396f. 404—406. 408 ff. 2 aus dieser
partie stammen zuvörderst jene Übereinstimmungen, von denen
diese arbeit ihren ausgang genommen hat: w 353, 2 f ex. Wh.
430, 14 f; w 353, lOf^Wh. 312.10; w 354, 7 'x. Wh. 177,3.
448, 4; w 355, 7 cx) Wh. 415, 24: w 355, 13 ^ Wh. 460,
15; w 358, 6 «^ Wh. 131. 16; w 361, 1 ex; Wh. 354.6 (der
gewappnete tischgast).
Andere lassen sich anreihen:
312,
377,
70.
186,
186,
390,
70.
Willehalm.
27 ff die vürsten nrloiq) durch daz
nämen: si irolden vürhaz
keren
3 gogel f: antvogelj
14 als in dm angfst lerte
21 i der künec zu Munleun helelp,
unz er die zelien tage vertreip
29 er wart da suier wunden
heil (: geil)
22 man darf mich harte icenec
laben
19 iesUcher sin sper sancte
Dietrichs Ausfahrt,
w 362, 11 her Bihung der wolt Ur-
laub han
363, 3 ich muß hin wider keren.
37(1, 9 gogl (: foglj
37!, () dar von ich angsfe lerne
*372. If HerDiterichzuAronbleib,'
pis das er dreissig tag
vertraib
*37 2, 4 da wurden im sein tvunden
hail (." gail) ^
384, 9 man must den jungen herzog
labn
388, 7 iglicherneigetschonseinsper
vgl. 197,5 206,7. 392.12.
' Zupitza bemerkt zu Virg. 60, 5, dass der dichter 'das präsens des
reimes wegen' gebrauche, 'wo man das präteritum erwartet', auch dieser
gebrauch des 'histor.' präs. ist im Wh. vorgebildet, zb. 212, 26. 229, 4 f.
251, 4. 264, 26. 269, 12.
2 w 382 hat Kiaus als jünger erkannt, aus ihr merk ich an v.
10 das roß und man erkrachr ^ Wh. 429,27 Furrdlc erkrarhrten gar diu lit.
■' mit * bezeichne ich die nur in w (nicht auch in D( bezeugten
Strophen, vgl. Zs. 43, 247.
■* vgl. w 490, 10 f de7n wurden seine rcundcn . . . Iiail.
Z. F. D. A. LIL N. F. XL 9
130 LUNZER
Willelialm. Dietrichs Ausfahrt.
430. 8f schiere kom gerunnen 394^ 2f das plut im aus dem munde
f(z munde tviel,
7 und der künec lacunversunnen da lag er unversunnen
10 da/ machet al rot den griienen 391, 9f sm harnasch was von
wasen pJute rot,
v^l. 350,22 da von hegozzen wirt der cleezind auch der melme
der melm
356, 28 ir sntde was ein grtf'en kld 403, 13 dashornwas eines greifen da
197, 1 sus tcart bereitet Rennewart *405, 4f manch ritter da verwap-
net wart,
und manec ander gein der die mit in sollen auf die
hervart fart vgl. *494, 1 ff
Libertein heifst von Palerne w 376, 3. 390, 3. 437, 3.
dieser beiname erscheint im Wh. 205, 23 u. ö.
Den schluss von Virg. A erkennt Kraus (s. 99 — 110. 122)
in w 767 — S66, 'im einzelnen hundertfach entstellt, im grofsen
aber treu bewahrt', in diesem abschnitte habe ich nichts ge-
funden, was geradezu auf den Willehalm hinwiese, er ist üb-
rigens, wenn alles ausgeschieden wird, was sich mit dem dichter
von Virg. A nicht vereinen lässt (vgl. Kraus s. 102 ff), beträcht-
lich kürzer.
Der im früheren vornehmlich betrachtete anfang der Vir-
ginal — die partie bis str. h 233 — ligt in w in stark erwei-
terter fassung vor. die letzte mit h unmittelbar vergleichbare
Strophe ist w 352. es sind zwei schichten von erweiterungen
zu unterscheiden: die Strophen der älteren schichte sind auch
in der vorläge des auszuges d gestanden, den das Dresdener
heldenbuch enthält, die der jüngeren nicht. ' auch diese erwei-
ternden Strophen, uzw. solche beider gruppen, weisen berührungen
mit dem Willehalm auf. einige, die sie mit dem echten kerne
des gedichtes gemeinsam haben, die also aus diesem stammen
können und nicht unmittelbar aus Wolframs werk hergeleitet
werden müssen, sind schon in den anmerkungen namhaft ge-
macht, andere mögen nun folgen, die Strophen der jüngeren
schichte bezeichne ich wider mit *. (w 8 — 24, die anderer her-
kunft sind, hab ich schon besprochen.)
1 'Über Dietrichts erste Ausfahrt', Zs. 43, 247.
VIRGINAL A U. WOLFRAMS WILLEHALM i:hi
Wülehalm.
340, 3 üf die kristenheit durch räche
225, 8f halde wart im Volatin [==
sin ors] gezogen
46, 16 daz er dieschar mit hurte brach
171, \9f daz iesUch zäher den andern
dranc ^
445, 1. h. Rennewart den grözen scha-
den sach (: geschach)
. . ob im den jämer also groz
166, IM daz er (der Heiland) durch
uns göz
üf die erde üz sinen iminden
bluot
219, 1 0 f erlöst . . . von hellebanden
224, 6 f mirst min dinc na kamen also,
dazichbedarf{deheines zagen)
172, 22 also mit siverten rüeren
363, 26 wart vil gevellet uf daz gras
vgl. 409, S. 411, 201
419, lOf
426, 20 die enkunde niht geicinnen
376, 19 von den viiezen unz anz houbet
352, 1 1 iwie von golde und mit gesteine
lüter unde reine
188, 6f ^col sehs manne sterke
an sin eines Übe lac
22, 2^)ivon rubin ein kröne
üf stnem liehten helme was
367, 27 gap . . . solhez brehen
376, 30 sin heim, mit listen was geworht
Dietrichs Auslahrt.
2, 7f auf die crisfenheit, das er
sie solte töten .
42, 2 zivei schnelle roß zoch man
in nach vgl. 381, 11.
57, 5 prechen durch d er haiden schar
62, 12 ein zeher da den andern schlug
'69. 1 Da Hildebrant den Jamer
sach {: geschach)
'IS, 3 ü der ... vergos für uns sein
plut so rot (der Heiland),
erlost um von der helle not
* 80, 2 f mein ding das ist also gewant,
das ich nit darf (der weibe)
* 81, 7.9 das schwert . . . wo er die
held dar mit berürt
*81, 11 er feilt si nider in das gras
*82, 6f ir . . . kunt sein nit gewinnen
84,9 vom heim pis auff die f Hesse '^
*89, 3 von gold und von gesteine:
reine vgl. 85,12* 9U, 4.95,8. 9.
* 90, 11 das geit dem held zwelf
mannen kraft.
(vgl. 99, 7 zivelf roß sterk es . . . hat
und 106, 5.)
95, 1.2.5. Und oben auf des helmes
thron
fürt er von gold ein reiche
krön . . .
vonlicht gestein ist sienprant.-^
98, 8 si gend im lichtes pretwn *
* 1 03, I ff Nu merket den vil klugen list,
* vgl. auch w 24, 2 das ir manch lichter zahcr drang.
^ vgl. w 375, 5 vom fus bis auf den heim.
^ vgl. *w 374, 3 f ein heim so wol zimiret mit gold und auch mit
rubein rot.
* die Strophe steht auch in h als 32., aber v. 1—8 sind in w stark
verschieden.
132
LUNZER
Willebalm.
421, BOtmit guoter kirnst . . . geicorht
181,25 so vliuhe ich, e ich den
vient sehe
253, 6 ff fgotj der mich von nihte
ze dirre werkle brühte,
alze vriio er min gedähte
39, H überlast (auch sonst.)
61, 2 tot, nü nim din teil an mir
Dietrichs Ausfahrt.
icie der satel gexcurket ist
mit kilnsienreicheni sinne
Vgl. 101, 3. 8
getoorcht . . mit künsten-
r eicher hende.
115, 2 fJiich ich ein, den ich nie
gesach
117, 1 1 ff n-es hast du (= got) mich
zur weit gebracht?
vil pesser deucht mich sein
gewest,
und daz mein got nie het
gedacht.
124. 13 überlast
127, 11 kum Tot und nim daz
leben mein
93, 30 daz der tot sin jungez herze * 128, 5 ach, junges herz, itrich mir
brach
enzwet. '
351, 23 von spern manec lüter krach *148, 3f die sper si baid zerstachen,
vgl. 57, 10 diu sper mit krache
wären hei
350, 21 houwen durch vil Herten
heim (.• melm)
383, 4 ff da von wart harnasch ze-
tränt . . .
vil schilte . . . wurden da
zevüeret,
manec heim also genieret
74, 26 daz bluot in durch die
ringe vloz
439, 8f . . . manec ritter sere wunt,
verhouwen durch sin har-
nasch
245, 19 vreude gröz
83, 26 sin manheit in lerte
76, If ir ehte vluhen durch not,
siben aldä belägen tot
der schefte krach so laut
erhal
157, 1 Er schriet dem Heiden durch
den Helm {: melm)
157, 7f mir ward nie mer mein
heim zertrant,
mein schilt also zu drumet
vgl. 208, 1-2.
166, 7 f daz plut . . . floß dem Heiden
durch die ritige vgl. *2 1 0, 9. ^
168, 7 der Haiden der tvard ser
verwunt
durch sein prün'^
180, 7 freüden groß.
199, 3 sein manhait im das riete
199, 12f(?a lagen auch fünf hai-
den tot*
' vgl. w 62, 7 f mir tut mein junges herz-e icee, cor laid wil es
zubrechen.
^ vgl. auch h 171, 7 f der sweis im durch die rinfie ran c/everwet
rot m,it bluote.
3 Die Strophe entspricht h 62, wo aber die verse anders lauten.
* vgl. w 438, 3. 440, 5. 445, 12.
VIRGINAL A U. WOLFRAMS WILLEHALM
i:^3
Willehalm,
430.
26 sxvelher im da niht entran
414,
1 1 f äaz er . . . alrest der vhide
nceme war
206, 5
375,
6 ein poinder stach, der ander
208, 7
I
18,
40S.
■ '^,
102.
sluoc
vgl. 365, 4. 439, 22. 441, 24.
16 daz er die schar mit hurte
brach
2Qüdie heiden . . schriten alle
Tervigant.
daz was ein ir werder got
2Sf ... den künec sluoc
durch den heim anzüfdiezene
Dietrichs Ausfall rt.
der sechst entran im kaum
vgl. 201,9, 209, 12 f.
der junge helt ward ir (der
feinde) gewar.
der ein der schlug, der
ander stach
340,
208, 9 her Ditrich durch den häu-
fen (4 schar) brach.
vgl. 57, 5.
209, 2. 4 vil manqer [haiden] seinen
got an rief
Machmet, Apoll undTerfiant.
209, 7 f sein schivert durch herte
helme wut,
want auf den zenen wider.
1 Er enthielt dem orse und *210, 2 der Ferner hielt und sach
sach hin ivider im nach
29 f . . . gap der känegin guoten 258, 11 ff si gaben all ein ander trost
tröst und sagten all got lob und
und jach, si würde wol erlöst dank,
das ers aus sorgen het er lost.*
Von 259 bis 352 hat w nur 4 Plusstrophen (vgl. Zs. 43,
2 1 3 anm.).
Auf den vf. der eben betrachteten plusstrophen von (D) vv
1 — 352 führt Kraus (s, 119 ff) die partie w 41S — l'.tl zurück,
aus dieser bietet sich dar:
W^illehalm. Dietrichs Ausfahrt.
8 daz die dem töde wceren w 432, 11 pis er dem tode ward ge-
gegeben gebn vgl. 70, 7. 451, 11.
454, 12f h 115, 11.
436, If Dawasderhaidentiberkraft
458, 9f an der Überkraft
an stolzer . . . haidenschaft
306, 12 der tötltche val
389, 1 siicoldenvristen gerne ir leben
425, 21 ft halsberc, schilt und heim
aus eines ivurmes hiute
Die annähme, dass von den männern, die sich an der alten
grundlage unserer Virginai erweiternd und umgestaltend ver-
sucht haben, ein zweiter und ein dritter gleichfalls unter der
' die Strophe liegt auch iu h als 135. vor. aber mit anderem Schlüsse.
— Vgl. w 492,11 ff.
gar nahend t worden sigehaft
450, 5. 478,9 des todes fal
451, 5f die fursten . . . ir leben
künden fristen
462, 11 ein riese trägt eins icurmes
haut.
134 LUNZER, VIRGINAL UND WILLEHALM
einwürkuag' der legende Wolframs stehn, hat nichts unwahr-
scheinliches, sie war weithin verbreitet und bekannt, und wenn
uns heute im ältesten bestände anklänge an den Willehalm
auffallen, konnte sie ein bearbeiter der Virg. A natürlich auch
bemerken und für seine tätigkeit aus derselben quelle anregung
schöpfen, es fände bei dieser annähme ein ähnliches Verhältnis
späterer fassuugen der Virg. zum Wh. statt wie zum Lauriu A:
auch von diesem zeigen sich mehrere schichten der Virg. beein-
flusst (vgl. den Jahresbericht des Franz Josef-Gymn. in Wien
V. 19ul, s. l:ift). 1 ein geistesverwanter des grofsen höfischen
epikers ist deswegen im besonderen der vf. der Orteneck-episode
nicht gewiesen: wie in absichtlichem Widerspruche zu Wolframs
Stellungnahme den beiden gegenüber und namentlich zu den
ergreifenden Worten Giburgs (306, 12ffj, die weinend für sie
bittet und ihnen auch nicht jegliche hoffnung auf das ew'ige heil
abspricht: die heiden hin zer vlust sijü alle nicht benennet (307, 1 4fj,
entscheidet der jüngere kurz und hart: der helle si geporen sind
all heidenman und auch die iveip^. (Dietrichs Ausfahrt 450, 12fj.
Ich habe hiemit der Vollständigkeit wegen auch die nur von
w überlieferten partieen herangezogen, weil die Untersuchungen
von Kraus zu dem ergebnis geführt haben, dass auch in einigen von
diesen so manches auf den vf. der Virg. A hinweist, geringere zahl
und deutlichkeit der Übereinstimmungen war hier wegen der un-
günstigeren Überlieferung ^ im voraus zu erwarten und mag zum teil
auf deren rechnung kommen, wie es sich aber auch damit und mit
den späteren bearbeitern verhalte, das wichtigere und interessantere
wäre, wenn uns die betrachtung des in h usw. erhaltenen echten
bestandes zu der annähme berechtigt, dass dessen dichter, den
Kraus als einen 'guten schüler Konrads von Würzburg' erwiesen hat
(ss. 16, 92 ff), auch unter der einwürkung Wolframs gestanden ist.
' vgl. Kraus s, 122.
- vgl. Zs. 43, 251; vgl. Kraus s. 119 ff.
■' auch Ki'aus, der auf grund eingebndster prüfung vor der uiiter-
schätzung von w warnt und diese handscbrift selbst nach gebühr würdigt und
ausnutzt, stellt sie( auch in deu weniger überarbeiteten Strophenteilen inicht höher
als 'eine spätere, nicht besonders gute hs. eines beliebigen höfischen textes' (s. 1).
Graz. Jostus Lunzer.
MINISTERIALITÄT UND RITTERDICHTUNG.
I.
DIEXESTMAN UND EIGEX IN DER HÖFISCHEN
DICHTUNG, BESONDERS IM MINNESANG.
Eiu grofser teil der deutschen litteischaft gehörte dem stände
der ministerialeu an. ja diese waren in der blütezeit der hüti-
sehen cultur ihre bei weitem zahlreichsten Vertreter, in meiner
arbeit "Die rainisterialität in Südostdeutschland vom zehnten bis
zum ende des dreizehnten Jahrhunderts' (Quellen und Studien zur
Verfassungsgeschichte des deutschen reiches hg. v. Zeumer bd iv h. 1 )
hab ich die entwicklung dieses Standes ausführlich dargestellt,
seine entstehung aus der unfreien familia der bischofskircheu
und fürstenhöfe, bei der nicht sowol die hofämter als vielmehr
derkriegsdienstdas für die Standesneubildung entscheidende moment
waren, und die allmähliche annäherung der dienstmannen an die
freien ritter in ihrer wirtschaftlichen und politischen bedeutung,
das einströmen freier demente in den neuen stand, trotz dessen
sich momente seiner rechtlichen Unfreiheit bis zum ende des
dreizehnten jahrhundei-ts hielten, ich habe diese Untersuchung im
wesentlichen auf südostdeutsches gebiet beschränkt, eine be-
grenzung, die mir da geboten erscheint, avo locale Verschieden-
heiten eine nicht unbedeutende rolle bei der Standesneubildung
spielen '. für dieses gebiet hab ich dort auch kreuzfahrerlisten
zusammengestellt, aus denen sich ergab, dass das Verhältnis der
freien kreuzritter — die fürsten und grafen ungerechnet — zu
den unfreien in procenten ausgedrückt folgendes war;
^ Für Bayern und die Marken habe ich alles nur erreichbare material
auszuschöpfen gesucht, besonders auch dichtungeu. in der Verwendung
dieser als socialgeschichtlicher quellen ligt etwas methodisch neues, über
das ich in der einleitung jener arbeit ausführlich gesprochen habe, hier
sei besonders auf die Schlüsse hingewiesen, die sich aus der beobachtung
des gebiauchs des wertes 'dienstinan' — bei aufzähluug der stände, wo
es vielfach das 'nie' ganz verdrängt, und für sich allein, in letzter ent-
wicklung als bezeichuung des ritters überhaupt — für das vorhersehen der
ministerialeu innerhalb des ritterstandes ziehen lassen, ja auch für die da-
tierung oder localisieruug eines gedichtes können solche beobachtungeu
von wert sein.
136 KLUCKHOHN
in den jähren 1096—1146 freie 71 ('/» ministerialen 29 %
1147 — 1191 ,, 230/0 „ 770/0
1192—1250 „ 3 0/0 „ 970/0.
So wenig zuverlässig- diese zahlen an sich sind — wir ver-
danken sie der willkür unserer Überlieferung — , das was sie
hier zeigen sollen, das stetige zunehmen der ministerialen inner-
halb des ritterstandes, wird deutlich genug, daraus ergibt sich weitei-,
dass auch all die culturellen eintlüsse der kreuzzüge, die würkungen
der internationalen vergesellschaftlichung des ritterturas in erster
linie den ministerialen zu gute kommen musten, die danach auch
einen wesentlichen anteil an der herausbildung der hütischen
cultur in Deutschland gehabt haben werden, diese selbst aber
erscheint trotz der rechtlichen Verschiedenheiten ihrer ti'äger als
ein ganz einheitliches gebilde. freie und ministerialensöhne
machten dieselbe ritterliche erziehung unterschiedslos neben-
einander durch, empfiengen zusammen am festlichen tage den
rittergürtel, waren genossen im kämpf und genossen im leben
der gesellschaft, von demselben ideal des vollendeten ritters er-
füllt. — dies ideal jener zeit darf man freilich nicht einseitig
nach den sogenannten höfischen epen zeichnen, in der gleichen
zeit wie diese wurden der arme Heinrich und das Nibelungen-
lied, der Ortnit und die mancherlei Dietrichsepen von deutschen
dichtem geschaffen, die ideale die diese verschiedenen dichtungs-
arten repräsentieren, waren in ein und derselben zeit lebendig;
bieten sie contraste, so sind das Widersprüche, unter denen diese
zeit zu leiden hatte; ihr grundzug muss als ein einheitlicher
gefasst werden.
Doch das nur nebenbei, genug, der deutsche ritterstand
tritt uns in seiner culturellen erscheinungsweise ganz als eine
einheit entgegen, wie er sich auch durch Barbarossas reichs-
gesetze fest gegen jeden zutluss von unten abgeschlossen hatte
oder wenigstens abschliefsen wollte, bilden sich innerhalb der ritter-
schaft Unterscheidungen heraus, so sind das nicht die alten land-
ständischen nach frei oder unfrei, sondern die nach der lebeus-
weise, den materiellen lebensbedingungen und der culturstufe der
einzelnen, höfisch oder bäurisch.
Hier drängt sich uns nun die frage auf, ob diese in sich
einheitliche ritterliche cultur in Deutschland, deren zahlreichste
träger ministerialen waren, nicht vielleicht in ihrer gesamtheit
MINISTERIALITÄT UND RITTERDICHTUXG 137
Züge aufweist, die sie dem staudescliavakt^T eben diesen mini-
sterialen verdankt, und damit Iiängt die weitere frage zusammen
ob hierin nicht einer der entscheidenden unterschiede zwisclien
der deutschen und der romanischen hötischen cultur liegt.
Denn jene ist nicht einfache nachahmuug dieser, ihr nicht
gleich in ihren erscheinungsformen, so stark sie auch in vielem
unter ihrem einflusse stehn mag. dafür nur ein beispiel: die
ceremonie der ritterweihe war in Deutschland eine andere wie in
Frankreich, das bad des knappen, die nachtwache vor der feier,
der ritterschlag tinden sich in keiner deutschen quelle des drei-
zehnten Jahrhunderts erwähnt, die messe und das segnen des
Schwertes, die feierliche umgürtung des knappen, das sind die
einfachen momente der deutschen ritterweihe, erst im vier-
zehnten Jahrhundert tritt, zunächst in den grenzgebieten , der
ritterschlag bei uns auf, der das charakteristische moment der
romanischen feier bildet', daraus, dass alle deutschen epen ohne
ausnähme, auch solche, die sich eng an französische vorlagen
anschlielsen, wie der 'Willehalm von Oranse', nie die französische,
nur die deutsche form der schwertleite schildern, ist auf eine
relativ grofse Selbständigkeit der deutschen rittercultur sowol
wie der höfischen epen zu schlielsen.
Doch ein eingehender vergleich der beiden culturen kann
hier nicht gegeben werden, dazu fehlt es noch zu sehr an den
nötigen vorarbeiten, zumal die frage nach der französischen
ministerialität, nach den bezeichnungen und den eigentümlichkeiten
der unfreien ritter in Frankreich, ist noch zu wenig untersucht
worden", immerhin darf das als sicher gelten, dass es eine
ministerialität von der bedeutung der deutschen auf romanischem
boden nicht gab, dass das hauptcontingent der französischen
ritter freie vasalleu, nicht ministerialen waren.
Diese verschiedenen Standesverhältnisse scheinen nun auch
Verschiedenheiten in den ausdrucksformen der höfischen cultur in
Deutschland und in Frankreich bedingt zu haben, auf ein moment
' vgl. s. 140 anm. 2 meines oben genannten buches. ich denke an
anderer stelle diese frage ausführlicher zu untersuchen. - einen anfang
bedeutet die arbeit von Ganzenmüller, Die tiandrische ministerialität bis
zum ersten drittel des zwölften Jahrhunderts (Tübinger diss. 1907), die für
flandrisches gebiet manche der deutschen ministerialität analoge er-
schein uugen nachweist.
138 KLUCKHOHN
will ich hier näher hinweisen, auf die Verwendung des wortes
dienstman und des ihm correspondierendeu vigen in der conven-
tioneilen Standessprache des deutschen rittertums. man bedient
sich der ausdrücke ministerialischer abhängigkeit, um einen
andern seiner ergebenheit und dienstbereitschaft zu versichern,
als übertriebene höflichkeitsbezeugung, um das gefühl starker
dankbarkeit und Verpflichtung zum ausdruck zu bringen, so
nennt sich Iwein seines freundes Gawein (jeuissen diemtman\
Marke wird als Tristans 'freund und dienstmann' bezeichnet
(Tristan v. 6553), während an anderer stelle sich Tristan Markes
'dienstmann' nannte-, im 'Erec' heilst es: ^herre, in iuwer gwalt
suhl wir uns für eigen gehen: von iu so haben wir daz Jeheti'
(v. 5632 ff.), ähnlich sagt die königin Virginal zu Dietrich:
'des hin ich iuicer eigen'' (Virginal str. 974s, vgl. 1066 4). und
in Konrads vWürzburg Partonopier (v. 20090 f) bittet Walther
seinen gegner um schütz gegen sein heer: ''dar muhe daz ich
iemer wese für eigen iuwer dienestman/ dass eine solche er-
klärung meist nur als eine conventioneile ausdrucksform auf-
zufassen ist, wird ganz deutlich im Tandareis (v. 17 949 ff): ein
graf trägt einem boten auf, dem beiden zu sagen: Hch s'i viir
war s7n dienstman mit hin im dienstes iindertän.' der böte
richtet nur aus (v. 17956), der graf sei ihm 'mit triuwen dienstes
undertän.'
Mit ähnlichem übertragenem gebrauch des wortes werden
auch die beiden von ihren dichtem mehrfach Gottes oder einer
tugend dienstmann genannt 3.
^ Iwein V. 7477. die französische quelle hat nichts entsprechendes,
die bildliche meinuug wird aus v. 7528 f deutlich: 'ican da^ ich iuch
ere als iuicer liter und iuicer Iniehf. ^ Tristan v. 3373. 'iuicer jäger
und iuicer dieneslman das bin ich so ich be^:te Lern', ich glaube nicht,
dass sich Tristan hier tatsächlich in die ministerialität Markes begibt, es
wird sich nur um eine höflichkeitsform handeln, da das wort dienestman
als Standesbezeichnung bei Gottfried — und anderen höfischen epikern —
gar nicht vorkommt, nur einmal in coUectiver Verwendung (v. 5S12). damit
widerspreche ich den ausführungen von Kotzenberg, Man frouwe juncfrou-
we S. 35, gegen den auch meine oben citierte arbeit s. 12.127 zu vergleichen
ist. ^ so schon im Rolandslied 2, 2,2c. 26,2S. 2fc2,25. 155,3; dann auch in
höfischen epen: Tristan v. 6SS9, Wilhelm von Orleus v. 15593, Engelhard
V. 4122, Wolfdietrich B str. 902; vgl. auch Kourad von Würzburg Der
weit lohn v. 130. 15b.
MINISTERIALITÄT UND RITTERDICHTUNG 1311
Erklären sich besiegte als eigen des Siegers, so steht hier
das bild der ursi)rünglicheu bedeutimg noch am nächsten '.
Dieser übertragene gebrauch auf der einen, die zunehmende
zahl der ministerialen auf der andern seite lassen das wort
(Uenstman schliei'slich auch für freie ritter oder lehnsmannen
überhaupt verwant werden, ohne dass an ein specielles minis-
terialitätsverhältnis, tatsächliche eigenschaft dabei noch gedacht
würde -'. das ist die letzte entwicklung.
Eine besonders grofse rolle spielen die ministerialischen
abhängigkeitsverhältnisse in conventionellem bildlichem gebrauche
im deutschen minnesang. darauf will ich etwas näher eingehn,
da von hier aus auch die frage nach dem Ursprung und der
Selbständigkeit des deutschen minnesangs eine neue beleuchtung
erfährt.
Dass die deutsche höfische 13'rik sich zunächst aus selb-
ständiger Wurzel entwickelt habe, das scheinen mir entgegen
der auch heute noch litterarisch am stärksten vertretenen ansieht
von der nachahmung romanischer Vorbilder schon chronologische
erwägungen nahe zu liegen, nach dem zeugnis Heinrichs von
Melk (Erinnerung v. 607 ff) ist das preisen der frauen ein typi-
scher zug des deutschen rittertumes um 1160, das heifst zu einer
* Eolandslied 305,15 'ich löirde hie se stete diu man'; Alexanderlied
V. 1177 ff. 'da mit er (Darius) mir (Alexander) behaute da:- er f-iih mir
seinen icelle [/eben'; Eosengarten A str. 377 f, Dietrich sagt, nachdem er
Gibich besiegt hat:
'iuwer cater Gibeche mito; min eigen sin.
stete bürge Hute und ouch darsuo diu lant
muos er se lehen enpfähen oon unser frien hanf.
. . . also wart der bünec eigen und ouch cd sin guot. der Rosen-
garten D, die thüringische fassung, spricht (str. 566. 564. 573) nur von
sin undertan; se dienste brüht, zu lehen empfangen udgl. - vgl.
s. 128 meiner oben citierten arbeit. — in manchen der sogenannten volks-
epen erscheinen die dienstmannen als ausschliefsliche begleiter und kämpfer
ihres herrn. — der reimchronist Ottokar sagt von drei königen, die vom
könig von Ungarn lehnsabhängig sind: und dienent im als sin die/ist-
man (v. 41348). Partonopier redet seine fürsten an : 'nü Sit ir miue
dienestmcm (v. 18826, vgl. 18819). ähnlich sagt SOswald zu seinen Unter-
tanen: königen, herzogen, grafen: 'ir herren, ir .<i'lt mir triire erzeigen,
ican ir sit cd min eigen (ed. Ettmüller v. ;1494ff).und im Wolfdietrich
B (str. 763) eine königin von einem grafen: •nn icccs der e min eigen,
sol ich den hän se einem man?'
140 KLrCKHOHN
zeit, da die bedeutenderen und am weitesten würkenden Ver-
treter der provenzalischen minnelj'rik erst eben zu dichten be-
gannen, da ihr einfluss noch nicht nach Nordfrankreich gedrungen
war ', da auch in Italien die troubadours noch nicht zu singen
begonnen hatten'-.
Sodann glaub ich auch, dass sich das aufblicken zur frau,
die frauenverehrung — diese nmkehr des natürlichen erotischen
Verhältnisses, wie man sagt — in allmählicher entfaltung band
in band mit der entwicklung neuer ritterlicher lebensformen
unter ähnlichen bedingungen in Deutschland wie in Frankreich
herausgebildet hat. denn auch bei uns lässt sich eine allmähliche
annäherung an diese neue Stellung der frau beobachten: das
Waltharilied zeigt die alte form des brautwerbens; das mädchen
fügt sich als dienende dem manne, anders im 'Ruodlieb'. die
lierilis, die mit Ruodliebs neffen verlobt wird, verlangt von
diesem: ^serviat obnixe volo quo mihi nocte dieque' (xv 55). der
Zusammenhang, in dem diese äufserung steht, ist scherzhaft ge-
meint; allein nicht ganz; sie entspricht immerhin dem selb-
ständigen auftreten des mädchens und zeigt uns damit, dass schon
im elften Jahrhundert die Stellung der frau innerhalb der ritter-
lichen gesellschaft sich zu verschieben begann 3. die entwicklung
' Nach Jeanroy Les origines de la poesie lyrique en France au
moyen äge (Paris 1889 s. 306), kam die ritterliche provenzalische dichtung
kaum vor dem zweitletzten Jahrzehnt des zwölften Jahrhunderts nach
Nordfraukreich.
Jeanroys versuch, die abhängigkeit auch der ältesten deutschen lyrik
von romanischen mustern zu erweisen, hat mich nicht überzeugen können,
die parallelen, die er (s. 292 ff) anführt, sind entweder zu wenig ähnlich,
um dies beweisen zu können, oder können das schon deshalb nicht, weil
das deutsche gedieht wahrscheinlich ebenso alt, wenn nicht älter ist, als
das romanische, so hat der burggraf von Rietenburg nachweislich vor
11S4 gedichtet, Folquet von Marseille dagegen nach Diez-Bartsch IISO bis
1195, Peirol 1180 — 1225. — ich kann zu denen bei Jeanroy noch eine
weitere parallelstelle hinzufügen, bei der die beeinflussung des deutschen
ausdrucks durch den provenzalischen zeitlich wol weit eher möglich wäre;
doch können beide auch sehr wol selbständig sein:
Kürenberg Sl5. Bernhard v. Ventadour xi.\5
'J6 enwas ich niht ein her 'Ors ni leos non ets po.s (jes
wilde, so sprafh (hiz ici/i. que m aucisats s' a cos nii ren.
^ vgl. Casini in Gröbers Grundriss II s. 73 und Jeanroy aao. ^ auch
an andern stellen im ßuodlieb wird der frau mit grofser ehrerbietung l)e-
gegnet; vgl. zb. vii21.
\
MINISTEEIALITÄT UND RITTERDICHTUNG 141
schritt fort, das zeugnis Heinrichs von Melk erwähnte ich schon.
Wernhers Marienleben von 1172 ist von einer zarten, huldigenden
auffassung dem weiblichen wesen g:eg-enüber erfüllt, der dichter
lässt Joseph durch einen engel ermahnen: 'dine ur (Maria) immer
gerne mit vUze und mit eren, als du seist ir eigen, des evschaltn
nilit geweigern' ^ . und der fromme mann spricht denn auch von
Maria in ausdrücken dienender erg-ebenheit.
Dient hier Joseph seiner frau, wie wenn er ihr eigen wäre,
freilich auf grund einer göttlichen Sendung, entbietet weiter in der
etwas älteren Kaiserchronik ein söhn seiner mutter, der königin.
'dienest und minne' (v. 8345), so ist von da aus der Übergang
zur engen Verbindung der begriffe dienest und minne im engeren
sinne der geschlechtlichen liebe nicht mehr weit.
Drittens aber — und das ist das wesentlichste: in Deutsch-
land sind die conventionelleu bildlichen 'ausdrücke des minne-
dienstes andere wie in Frankreich und in der Provence.
Wechfsler" hat durch zahlreiche belege gezeigt, dass die
provenzalischen troubadours in der darstellung ihres frauen-
dienstes viele bilder der Sphäre des vasallitätsverhältnisses ent-
nahmen. Überaus häutig ist das vei'b servire in der proven-
zalischen lyrik, um das Verhältnis des dichters zu seiner danie
zu bezeichnen^, er nennt sich auch ihren servidor^ und servire'-;
häutiger noch hom^, litges' udgl., sie dagegen seinen senhor,
' Hartsch, Beiträge zur quelleakunde der altdeutschen literatur
s. 43. diese stelle steht nur in den Heidelberger bruchstiickcn
des 14. jh.s, die aber nach den Untersuchungen Bruiniers, Kritische
Studien zu Wernhers Marienleben (dissertation Greifswald lb90) dem
original näher stehn als die texte von Wien und Berlin, auch die
unreinen reime sprechen für das alter der oben citierten verse.
2 'Vasallität und fra uendienst' (Zs. f. franz. spr. u. litt, bd.24 [1902],s.l59ff).
ich drücke mich oben vorsichtiger als er aus. denn dass es sich um
eine bewuste, ja geforderte technik handle, das eigene liebeswerben sich
genau in den formen der einzelnen stufen des vasallitUtsdienstes abspielen
zu lassen, das scheint mir nicht erwiesen und auch nicht zu erweisen.
^ vgl. Wechssler a.a.O. s. 169 ff, 175 ff und dann G. de Cabestaiug iv
Str. 38 'Que tis cunes e us sertift'. — ich citiere die troubadours nach
der ausgäbe von Mahn Werke der troubadours. * Arnaut de Marueil
n. in, Pons de Capdoill n. x gel., E. de Toulouse xii str. 23, B. de Veutadour
(Wechfsler s. 167) ; Peire Vidal ed. Bartsch n. xiii 59 ff. * Peirol xxn 1 v,
^ ib. XIV 45, Peire Vidal n. 359,13,14, Pons de Capdoill x gel., Augler Novella
IV 1 (Mahn in s. 17S). ' Wilhelm von Saint Didier (Wechfsler s. 165).
142 KLUCKHOHN
senhoratge ' und ähnlich, alle diese ausdrücke sind der vasallitäts-
sphäre entnommen, in keinem ligt ein hinweis auf den stand
unfreier ritter, die den deutschen ministerialen entsprächen, auch
servidor und servire sind nicht so aufzufassen wie Weclifsler
(s. 167 21) das tut; sie können vielmehr auch den als vasall
dienenden bezeichnen-, entsprechend der bedeutung des lateini-
schen scrvitor im 13 jh., soweit sie nicht eine ganz allgemeine
bedeutung haben, ebenso werden die ausdrücke sich ergeben
{s'antrejar^, se rendre'') und 'der ihre sein" " sich auf vasallitäts-
verhältnisse beziehen, das beweist ein vers von Peirol 'a lieis
ni'aufrei litges deserenan''^, während ein anderer Augier Novellas
^Vostr hom suy ses tricharia E si us platz podetz m' auclre''
uns zeigt, dass sogar das vollkommen übersichverfügenlassen mit
dem bilde des vasalleuverhältnisses vereinbar ist. wir werden da-
nach auch bei versen wie ^sui seus per vendr'e per dar'^, ^Per
vos, dona, a cui mi sui donatz' ^, ^Per qu'ieu me sui del tot a
vos donatz' ^^, ^que vostr' om domenjatz sui cum sera compratr'^^
nicht an ein ministerialisches abhängigkeitsverhältnis denken
müssen, um so mehr als das bild des sichschenkens ja auch aus
einer ganz andern Sphäre stammen kann, der des haudels
etwa'", so werden wir auch den übrigens ziemlich seltenen aus-
' Wechfsler s. 167 u. a., 176. ^ vgl. die Verbindung hom e sercire
(Augier Novellav3, E.V.Toulouse iv 3 4, Pons de Capdoillxn 26), 'Midons soi
hom et amicäe e sercire' (Diez Poesie der troubadours s. 138), 'sercidor et
amic (Peire Vidal iv 12). ^ 'Quar rostres suy e per costre
m'autreV. Amaut de Marueil xi 5 4. vgl. Peirol bei Wechfsler s. 169.
* 'A cos mi ren per far costre coman Pons de Capdoill xii gel., vgl.
derselbe bei Wechrsler s. 177 und B. de Ventadour ib. 167. — 'De cor a cos
renduti G. de Cabestaing v 3s. ^ vgl. o. anm. 3. — 'Sieus sui e sieus
serai Jasse' Peirol i 6,7, 'per qu eu sui seus e serai tan quan vica Peire
Vidal 4335, 'Non die ieu tjes que totz temps sieus nofos' Pons de Capdoill
111 3l. *^ Wechfsler s. 168, vgl. auch ib. s. 165 die ersten verse.
■^ Mahn iii s. 178. '^ Peire Vidal xiii 41. " Pons de Cap-
doill XII 40. '" Amaut de Marueil xii str. 2. ^' R.V.Toulouse
XII 3; Wechfsler s. 172; vgl. ib. B. de Ventadour. ^'■^ Es ist oft mit
der möglichkeit zu rechnen, dass ein bildlicher ausdruck zwei ganz ver-
schiedenen lebenssphären entnommen sein kann, das deutsche undertän
z. b. wird sich meist auf rechtliche abhängigkeitsverhältnisse beziehen, aber
der dichter kann auch durch ein ganz anderes bild zu diesem ausdruck
kommen, wie Dietmar von Aist 3834: 'der bin ich icorrlen undertän ulx
daz schij' dem stiurem.an'.
MINISTERIALITÄT UND RITTERDICHTUNG 143
druck scr.s' nicht bestimmt auf einen unfreien ritter beziehen;
dies wort kann eben auch ein gar nicht der versallitätssphäre
entnommenes bild sein, um niederste Unterwürfigkeit zu bezeichnen,
wie in der Verbindung- ohedlent plus qne serf »l judeus'-.
Dass irgend ein bild der provenzalischen troubadours den
Verhältnissen unfreier ritter entnommen sei, ist meines erachtens
aus alledem nicht zu erweisen^.
Die französische minnelyrik übernimmt von den Provenzalen
die bilder des vasallitätsdienstes. Die ausdrücke servir\ Service '•y
Jwmmage^', lic/ement\ liges'^, hom^. signourage^^, vasselaje^*
u. ähnl. sind in ihr häutig, daneben kommen, seltener, andere
verwante bilder vor wie 'sui en vostre justice' '*, *a vostre de-
ri.9f''-, 'en sa vouerie'^^, *me seux donee'^^, ^suis vostre'^'^ und ähn-
liche, vereinzelt servaje. sergant, wobei aber entweder diese werte
mit vasselaje gleichstehn '", oder eine allgemeinere bedeutung
haben '^ im ganzen sind bei den Franzosen diese bilder aus dem
vasallitätsdienste viel einförmiger und starrer als bei den
Provenzalen; ministerialitätsverhältnisse scheinen mir auch hier
nicht vorzukommen.
Auch im deutschen minnesang ist das wort dienen sehr
häutig, das aber vorher schon übertragen gebraucht wurde und
* '.^tä costre sers (serf) leyalmeti Pods de Capdoill iv 4, Arnaut
de ^larueil xm 3; 'sui vostre.'' bendizens e sers obediens' Peire Vidal
(Wechfsler s. 171). ^ Folquet de Romans (Wechfsler s. 172). ^ um
ganz sicher zu gehn, müste man die gesamte provenzalische lyrik darauf-
hin [durchsehen, ich habe das noch nicht getan und kann darum hier
nur Vermutungen aussprechen. * ich habe die Sammlungen von
Mätzner, Altfranzösische lieder (Berlin 1863) und Wackernagel, Altfran-
zösische lieder und leiche (1846) und die älteren dichter bei Tarbe,
Chansonniers de la Champagne (Eeims 1850) daraufhin durchgesehen, dort
fand ich sercir: Mätzner n. i 43 (von der dame gesagt), v 7, ni 29, vni
34, IX 5. 18. 48; xm 10 u. ö., xiv 8. 16, xvii 30, xviii 25. 35, xx 7. 24;
XXI 11, XXII 1 {seif/nours sercir), xxiii 6. 29, xxiv 5. 27, xxv 20, xxvi 27.
Wackernagel n. x, xn, xrv, xxviii, xxxiii, xxxiv, xlvi; Tarbe s. 1. 2,
10. 11. 5 Mätzner i 7, 26, xiv 18, xvm 30, xx 26, xxv 27, xxix 6;
Wackernagel viii 13. " Mätzner viii 41, xm 34, xxxvii 2. ^ ib.
XV 19. * 'seux res lif/es kons sou{ifs'. Wackernagel n. xlvi str. 2.
ä Mätzner i 32 u. a., Wackemagel xxviii. '" Mätzner xm 37. " ih.
xm 18. '- ib. i 24. ^^ ib. i 19. " ib. xxvii 31. '^ Wacker-
nagel xxxm Str. 1 ib. ix str. 3: 'en cos ai mis'. '" Tarbe s. 2. Wacker-
nagel XXXIII str. 2 : 'rui sui et seuse et serai. '' Mätzner xin 20.
'•* ib XIV 38.
144 KLUCKHOHN
im minnesang selbst noch in bildein ganz anderer Sphäre ver-
want wird '. ja mehrfach nocli das Verhältnis der frau zum
manne bezeichnet"-, ob in den meisten fällen bei der Verwendung
dieses wortes an vasallitäts- oder ministerialitäts-dienst gedacht
sei, das ist aus ihm selbst nicht zu entnehmen, der Zusammen-
hang spricht vielfach für letzteren.
Der dienst wird geboten, d. h. dargebracht.^ es wird ein
lohn dafür erwartet', etwa ein kuss, der als leheu der miune
bezeichnet wird^, um 'genade' gebeten.* specialitäten des vasalli-
tätsverhältnisses , die im provenzalischen so häufig sind, fehlen
im deutschen fast ganz, nur einmal, von Burkart von Hohenvels,
wird das bild des lehnsmannes breit ausgesponnen', der um ein
lehen bittet, es in gewere zu haben und einen zins dafür zu
entrichten, der es empfängt, indem er nach mannes relü seine
bände faltet.
' Qote dienen MFr. 96ll,2rt. 1S1S,25, dem heiser und den
leihen 11622, der werlt 1647, den leuten 1695. - MFr. 3533.
38 12 (Dietmar), 1331 (Meinloh), 106 212 (Rugge) 'nu Jone aU ich gedienet
habe', 200 1t iReinmar) 'im z-e dienste, 2155 i Hartmann) 'Du solt im minen
dienest sa;/en'. ^ MFr. II4 (Meiuloh), IS23 (Eietenburg), 1223. 1423C
(Morungeu), MSH. i 45b (Neifen), 156a. 160a (Wintersteten) u. ä. häufig.
* 'Ich iril um ein lehen nu clehen vrouwen . . .' MSH. 11 321b
(K.v.Würzburg). — 'Minne, ich diene dir, du solt solt mir geben minnek-
lichen'. MSH. i 52 b (Neifen) und ähnlich. ^ MSH. i 20 b (könig
Wenzel von Böhmen), 24a (graf von Kilchberg). " Das ist überaus
häufig, z. b. 'nü nim mich in dine gendde' MFr. 372 (Dietmar);
'Vrouwe, habt genäde min MS. i 204 a (Hohenvels); 'unt icil
üf genade nige/i MSH. 11 72 a (Trostberg). solche und ähnliche
■Wendungen (vgl. auch MFr. 7722 Gutenburg) brauchen nicht immer der
Sphäre der lehnsverhältnisse entnommen zu sein, sind es aber meist, seltener
ist die Wendung, dass die frau genäde widerseit (MFr. 20616 Hartmann),
cerseit ir genäde (ib. 133 7 Morungen). '' MSH. i 209. vielleicht ist
auch das bild bei Morungen (MFr. 135 3S), zumal in Schönbachs lesung
(WSB. 141 s. 137): 'min hende ir calde ich und nige üf ir fuos' und
das verwante im Frauendienst 394 2G: 'min hende ich ralde mit triicen
algernde üf ir füese' der lehnssphäre entnommen; doch braucht das falten
der hände nicht ausschliefslich als zeichen eines vasallitischeu ergeben-
heitsverhältnisses aufgefasst zu werden, wie gewis nicht bei Veldeke (MFr.
58 15): 'dem wünsch ich' des paradises tinde ccdde im mine hende'. —
bei dem bilde des um Urlaub bittens (z. b. MSH. i 154 b Wintersteten) und
anderen ist es ebenfalls ganz unsiclier, ob sie der vasallitätssphäre ent-
nommen sind.
MINISTERIALITÄT UND EITTERDICHTUNG 1 I.3
Hier ist der dichter der »um seiner g-eliebten. dies wort
entspricht dem französischen Jiom. im gegensatz zu diesem aber
kommt es im deutschen minnesang so gut wie gar nicht vor; bei
Heinrich v. Morungen rührt die Verbindung '/>• vian und ir diensf
von Haupt her, wogegen schon Paul (PBB. 2, 549) und SchriJder
(Zs. 33, 105) protestierten; sonst nur beim Winli: ^als ir mir sit
vrouive, als hin ich in man''^. an diesen zwei oder drei stellen hat
das wort die bedeutung des lehnsmannes oder vielleicht auch des
dienstmannes. ein ander mal erscheint es als bezeichnung des
geliebten; 'daz ich der liehen vrotiwen min sohle heizen werder
man''', es mag sein, dass eben wegen dieser do'ppelten bedeutung:
lehnsmann und geliebter das wort man manchmal gemieden
wurde — auch jener vers des Winli könnte immerhin eine
doppelte Interpretation zulassen; ich glaube, dass es hier für
lehnsmann steht. — in den meisten fällen aber würde es aus
dem zusammenhange doch vollkommen klar geworden sein, in
welcher bedeutung das wort gemeint sei. in dieser doppeldeutig-
keit kann demnach nicht der einzige grund dafür liegen, dass
das wort )nan im deutschen minnesang sich nur in verschwindend
wenig fällen — ich zählte vier im ganzen — ündet.
Auch andere worte, die den vasalleu bezeichnen, werden
von deutschen minnesingern nie verwant, um ihr Verhältnis zu
ihrer dame auszudrücken, das wort ritter etwa, nur Ulrich von
Lichtenstein nennt sich einmal so, aber mit dem zusatz:
eigen: 'ir eigen ritter (Frauendienst 1 7 1:).
Dagegen bezeichnen die dichter sich häufig als V?ie«.sYmrt«' ihrer
dame 'S oder der minne", auch verstärkt als 'eigen dienstman'^ und,
' MFr. 130 20. der dienst für diener ist in Deutschland selten, vgl.
Kotzeuberg aao. s. 16. der ausdruck findet sich noch einmal bei Kein-
mar 17Gll, einmal im Wolfdietrich A str. 234. vgl. auch unten s. 147
anm. 4. 2 j^gH. 11 28 a. Mb. i 104 a (von Gliers). " Hartmann
I r.iichlein v. 1507; U.v.Lichtenstein, Frauendienst S21. 1007. 112l. 13322.
30S32. 47720. 4990. 51631. 5602. 5622(;, Frauenbuch 59415; Neidhart s. 16. 122;
MSH. 1 52b (Neifen), 104 (Gliers), 34Tb (Ehcnhein) 11 305a (Hadloub).
häufig findet sich das wort auch in epeh im gleichen sinne, so im Parzival
19911. 5S014. 6947. 7152'.i. 74021; Wigalois v. 9677; Tandareis v. 10076,
10472. 10587; Wilhelm von Orlens v. 8922. 15658; Stricker, Kleinere
gedichte (hg. v. Hahn) xu 402. * MSH. i 109b iTiufenl, 11 265a
(Rudolf der Schreiber), 300a (Hadloub), 317a (Komad v.Würzburg), 364b
(der wüde Alexander). ^ ;^jsh j 26b (graf v.Kilchbergi, 90b (Saxi.
Z..F. D. A. LH. N. F. XL. 10
146 KLUCKHOHN
ganz gleichbedeutend, ^eigen man ' ', ^elgen dienen oder einfach' 'eigen'^,
^eigenlichen'*. sie gehen'', nigen^, bieten', oier jehen'^ sich ihrer
dame oder der minne vür eigen, wollen ihr vür eigen leben^,
dienen ihr eigenlichen^'^, sind ihr gebunden gar mir eigen ^\ dienst-
lich gar din eigen ^^, geborn ze dienste ir werdekeit" usw.
In allen diesen ausdrücken ist die beziehung auf die
Sphäre des ministerialitätsdienstes unverkennbar, wenn Winter-
steten sich abwechselnd eigen diener und diener seiner geliebten
i MHS. I 113 a (Hamle), 282 b (Schwangau). - MHS. i 17 b
(herzog von Brabant), 150b. 151a (Wintersteten); ii 21a (Luppin),
ä MFr. 7125 (Gutenburg), 8234 (Fenis); Walther v.d. Vogelweide 11624.
2178; MSH. i 16a (herzog von Brabant), 29b (Botenlauben), 57b. 58b
(Neifen), 64 a (Hornberg), 66 b (Warte), 88 b (Rotenburg), 148 a. 156a.
167 b (Wintersteten), 282 b (Schwangau), 289 b (Singenberg), 305 a (Heinzen-
burg), II 23 a. 24 b (Wizense)^ 27 b (Dürink), 28 a (Winli). der dichter
sagt: ich bin nicht mehr min selbes eü/en^ (MSH. ii 30b Winli), sondern
'iiuoer (der dame) rri/es eif/e7i' (MSH. i 44b Neifen); 'nü bin ich din
ledig eigen, worden gcw' (MSH. ii 265 b Rudolf der Schreiber), die dame
sagt: 'wcBT- er miJi eigen den/ie, irh Uese in üri'. (MFr. 110 10 Rugge).
vgl. ferner Wilhelm von Orlens v. 6879, die 'Heidin' (Gesamtaben-
teuer n. 18) V. 7784 u. a. im Borten (ib. n. 20) v. 717 sagt ein mann
zu einem andern in bewuster copierung der ausdrücke des minnedienstes:
'ich teil iuicer eigen sin'. ^ MSH. i 78a (Rotenburg), 92b. 93a (Sax),
354b (Landegge). ^ MFr. 4021 (Dietmar), 18218 (Reinmar); MSH. i
19 a (Neuenburg), 203 a (Hohenvels); ii 130 b (Teschler), 160 b (Gresten),
226b (Obeniburg). 'do gab ich mich dir als eigenlichen, daz ich dir
die eigenschaft nie sit serbrach' MSH. i 296b (Singenberg). 'mich selben
hän ich dir gegeben' ib. ii 166 b (Gv.d.Forste). ähnlich, ohne cur eigen
MFr. 7122. 7732 (Gutenburg: 'ich ergibe mich unde enbar an ir gendde
gar). MSH. I 111b (Stretlingen), 288b (Singenberg). — vgl. auch Frauen-
dienst 98, Peter r.Staufenberg v. 417 ff, die Heidin v. 633 ff. 823. " MSH. i
202 a (Hohenvels), 345 b (zum Turne). " MSH. i 33 a (Hohenburg),
280b (Schwangau). ** MFr. 89lS (Johannsdorf), Walther v.d. Vogelweide
112211; MSH. ii83a (Tannhäuser), 'in418a ungenannt. — die frau im tagelied
dem ritter sich 'vür eigen jach' MSH. ii 67 a (Hornberg). '■• MSH. i
93b (Sax), 306b (Seven. 'ich was cii, nü hat min her:-e sich ergeben,
in der dienste ich muoz ersterbe/i, eines wlbes, der ich muos cur eigen
leben'), n 182b (Samen), ähnlich, ohne cur eigen: 'ich hän ir eil ma nie
jdr gelebt' MFr. 17211 (Reinmar), 'der ie min lip al einer lebt' MSH. i
29b (Botenlauben). >o MSH. i 53a. 61 b (Neifen). '» MSH. i 164a
(Wintersteten), ib. 133a (Limburg): 'in ir dienst bin ich gebunden, vgl.
'cur eigert ir gebunden' Partonopier v. 1591. 7240f. '- MSH. i 173b
(Wintersteten). '^ MSH. i 78 b (Rotenburg), ähnlich MFr. 15926
(Reinmar).
MINISTERIALITÄT UND RITTEEDICHTUNG 147
nennt ' , wenn der Düring sagt ^daz ich ir eigen luv und ir
gesinde'', Hohenburg sich als undertän seiner frau ze eigen
bietet^ und Walther sich seiner daine eigenUchen undertän
erklärt (12016), so werden wir annehmen dürfen, dass auch in
andern fällen, in denen die dichter sich diefner" , gesinde '' nnd
undertän'' ihrer dame nennen, sie ihre ergebenheit ihr gegenüber mit
den bildern dienstmännischer abhängigkeit bezeichnen wollen, ob-
wol diese worte an sich, ebenso wie das meist niedriger stehnde
knehf, auch andere abhängigkeitsverhältnisse ausdrücken könnten,
das gleiche werden wir sagen dürfen, wenn der sänger sich in der
gewalt seiner geliebten fühlt**, sie seiner gewaltic isf\
Mag man so in einzelnen fällen auch verschieden inter-
pretieren können, das dürfte aus der fülle der eben gegebenen
belege doch deutlich hervorgehn, dass im deutschen minne-
sang das ergebenheitsverhältnis des liebenden seiner dame gegen-
über vielfach mit dem bilde des ministerialenverhältnisses aus-
gedrückt wird, fast nie aber mit dem des vasallitätsverhältnisses.
Darin scheint mir der romanischen haük gegenüber etwas
neues zu liegen; und etwas das wir schon in die anfange des
^ eii/en dienev MSfl. i 150b. 151a; dwner 154b. 159a. 170a
im refrain. 2 mSH. ii 27 b. ^ MSH. i 33 a. * MSH. i
73b (Klingen), 11 307b (Hadloub), in 489b (ungenannt), vgl. Willehalm 268.
diener steht vielfach mit i/ieiistnuot synonym, wechselt /.b. mit diesem
Worte: Partonopier v. 20091. 20097, Tandareis 10387. 12486. •' MFr.
50 15 (Hausen), 'min herze ist ir i/t;/esinde'. dasselbe bild findet sich auch
sonst, in andern Verhältnissen, zb. 'so bin ich der weit f/esinde' MSH. 11
129b (Teschler), 'Jrimer liät mich gin'jefiindet' MSH. i 202a (Hohenvels).
«MFr. 402« (Dietmar), 435. 5124. 523C (Hausen), 633.". (Veldeke), 7129.
782 (Gutenburg), 1050 (Eugge), 148 IS (Adelnburg), 15930 (Reinmar) ;
MSH. I 17a (herzog von Brabant), 17b (Neifen), 74b. 76b. 82b (Rotenburg),
96a (Frauenberg), 139b. 143a. 154b. 161a. 167b {üf f/e/tfide, Wintersteten),
208b. 209b (Hohenvels), 296a (Singeuberg), 11 70b (Püller), 75b (Oukheiu),
m 331b Niune, 446b (ungenannt). — von der frau gesagt MFr. I62. —
die enge begriffliche Verbindung des wortes 'untertan' mit 'dienst' in
den meisten fällen geht auch aus herzog Ernst B. v. 2092 f 'd((r((tn icir
immer saht ■■^in dir mit dienert undertnrt , ähnlich ib. 2S91 ; aus Tandareis
V. 17949 verglichen mit 17956, aus Parzival 199 11 'dienstman die/ist-
lirher dienste undertän aus der Heidin v. S23f u. a. hervor, undertfenir
MSH. I 109 b (Tiufen). '^ MSH. i 76 b (Rotenburg), 132 a (Limburg),
347a (Ehenheim). einen hnelit MSH. i lUb (Stretlingen), 11 282b
(Hadloub). vgl. ferner Tandareis v. 11525, Heidin v. 924 u. a. » MSH. i
155 b Wiutersteten. '' MSH. i 132 a (Limburg), i57a (Wintersteten).
10*
148 KLUCKHOHN
deutschen miunesanges zurückverfolgen können, in einem der
lieder Dietmars von Aist findet sich der vers ril yar ir eigen
ist min Up\ ich glaube, man darf dies nicht neuhochdeutschem
empfinden entsprechend mit ich hin dtn - und ähnlichem in i)arallele
setzen — das eigen trägt mittelhochdeutsch einen starken ton — ,
sondern der vers beruht, worauf schon Paul gegenüber Scherer
hinwies, auf einer dem frauendienst mindestens verwanten an-
schauung oder empfindung. das beweisen die vielen oben an-
geführten beispiele. pointiert gesagt: es handelt sich um ein
bewust gebrauchtes bild, entnommen der Sphäre des mini-
sterialitätsdienstes"'. dies lied gehört aber zu den ältesten des
deutschen minnesanges. seine entstehungszeit ist freilich um-
stritten, nach Lehfeld"*, dem ich mich anschlief sen möchte, ge-
hört es in die zeit 1160 — 70; nach Scherer erst in den anfang
der achtziger Jahre, in eine zeit also, wo provenzalischer ein-
fluss eben zu würken beginnen mochte, doch auch bei dieser
datierung kann der frauendienst, dessen anfange dies gedieht
zeigt, nicht gut auf romanischen einfluss zurückgeführt werden,
denn wäre er in Deutschland etwas so unerhört neues gewesen,
so würde das doch zunächst mit möglichst getreuer nachahmung
der betreffenden Conventionellen ausdrücke übernommen worden
sein, statt dass man nur die anschauung entlehnte und einen
neuen bildlichen ausdruck dafür schuf, und dies gilt ganz all-
gemein, auch wenn man meine Interpretation jenes verses von
Dietmar nicht anerkennen mag.
Es ergibt sich hieraus die relative Selbständigkeit des
deutschen minnesanges und des deutschen frauendienstes, von der
ich oben sprach; und wir gewinnen die erkenntnis, dass trotz
der unzweifelhaft starken abhängigkeit des deutschen rittertums
vom französischen jenes doch so manches dem romanischen ver-
wante selbständig entwickelt oder, wenn auch beeinflusst von
der romanischen gesellschaf t , doch in ganz eigener form zum
* MFr. 33 15, vgl. 4021 'der ich den llp hdn gegeben cur evjen' .
ob dieses lied auch Dietmar zugehört, ist freilich sehr zweifelhaft.
-MFr. li; ähnlich 599; MSH. i 166a, ii 83a. ^ die beteuernden
Worte eil r/ar sprechen m. e. nicht gegen eine solche rechtliche Situ-
ation, denn das gar findet sich unter den oben angeführten belegen
mehrfach zu dem eigen hinzugesetzt, so MSH. i 29 b (Botenlauben),
1<>4 a. 173 b (Wintersteten), ii l32 b (Samen), 160 b (Gresten), 265 b
(Rudolf der Schreiber). * PBBeitr. 2, 371.
MINISTERIALITÄT UND EITTERDICHTÜNG 149
ausdruck gebracht hat: eigeueii lebensbediugungeu. dem mini-
sterialeucharakter der mehrzahl seiner Vertreter geraäfs'.
II.
DER STAND DER EINZELNEN SÜDOSTDEUTSCHEN
DICHTER DER HÖFISCHEN ZEIT.
1. Die lyrischen dichter.
Dem bisher dargelegten entspricht es, dass die überwiegende
mehrzahl der deutschen minnesänger dem stände der ministerialen
angehörte, das hat vor allem der aufsatz von Aloys Schulte,
■Standesverhältnisse der minuesinger' (Zs. 39) deutlich gezeigt.
Allein gerade Schulte gegenüber seh ich mich zu einigen
einschränkenden bemerkungen veranlasst, die die Schwierigkeit
der Standeszuweisung bei den einzelnen dichtem heraustreten
lassen sollen.
Die angaben der grofsen liederhandschriften sind ganz un-
zuverlässig, selbst wenn Schulte mit allen aufstellungen seiner
arbeit recht hätte, so hätte allein der recht beträchtliche umfang
der von ihm den Schreibern der grolsen Heidelberger handschrift
zugestandenen Irrtümer ihn davor bew^ahren sollen, die these
n. 5 aufzustellen: 'wir haben nach alledem recht, bei einem
seinen lebensumständen nach unbekannten minnesänger den
Charakter der gruppe auf ihn zu übertragen, mit um so gröfserer
' Schon Schönbach wies ( Bettelheims Biographische blätter 1.44) auf
einzelne züge in der ausbildung und gestaltung derselben motive hin, in
denen sich der dfeutsche minnesang vom romanischen unterscheidet, und be-
tonte auch die bedeutung der ministerialität in Deutschland als eventuell
wichtig für solche differenzen. wenn er dies aber dahin formuliert, 'dass
die deutschen sänger die frauenhuldigung sofort in die formen des lehens-
dieustes bringen, das rainnewesen feudalisieren' ('Die anfange des minnesangs'
s. 95), so wird er durch Wechfslers nachweise widerlegt, und keineswegs
ligt der hauptunterschied zwischen dem deutschen und französischen minne-
sang in einer gröl'seren ständischen differenzierung von dame und sänger in
Deutschland, in dem Sehnsuchtscharakter des liedes, der sich daraus ergeben
soll, denn erstens waren die troubadours vielfach niederen Standes (vgl.
Wechfsler s. 187); und zweitens überschätzt Schönbach die standesunter-
schiede zwischen freien und ministerialen innerhalb der höfischen gesell-
schaft, in Österreich zumal, war die besungene fürstlichen ranges, so stand
ein freier ritter ziemlich gleich weit unter ihr wie ein dieustmanu; war
sie das nicht, so kann sie ebensogut eine dame aus ministerialengeschlecht
wie aus freiem gewesen sein.
150 KLUCKHOHN
Wahrscheinlichkeit, je näher die heiniat an Zürich rückt.' das
ist methodisch verfehlt.
Und um so gefährlicher darum, weil die ergebnisse vonSchultes
Untersuchungen keineswegs so sicher sind, wie viele mit ihm
angenommen haben, meines wissens hat zuerst Wallner ('Herren
und spielleute im Heidelberger liedercodex,' PBBeitr. 33, 4S3ff)
naheliegende und schwerschwiegende bedenken gegen Schulte
ausgesprochen, danach ist der anteil der phantasie bei der
Zeichnung der wappen, noch mehr bei der der bilder. ein recht
beträchtlicher gewesen, was irgendwelche rückschlüsse aus diesen
verbietet, vor allem bei nicht alemannischen dichtem, die an-
ordnung Schultes ist dahin zu ändern, dass Mure und Morungen
schon zur gruppe der dienstmanuen gehören, womit die auch
sonst mehrfach durchbrochene Scheidung von reichsministerialen
und andern fortfällt, und dass Schultes vierte gruppe, ein con-
glomerat, in dem eine einheit kaum zu erkennen ist, nebst einem
rest der dritten von n. 7;^ ab überhaupt nicht zu der ursprüng-
lichen, ständisch geordneten Sammlung gehört, sondern einen un-
geordneten nachtrag darstellt, das hat "VVallner meines erachtens
einleuchtend bewiesen, sodann hat er auch darauf hingewiesen,
dass Schultes einteilung die niederen ritter gar nicht berück-
sichtigt, sondern mit den dienstmannen identiticiert. darin aber
ligt gerade wol die gröfste Schwierigkeit, zu unterscheiden
zwischen einem dienstmann oder freiherrn auf der einen und dem
ihm zugehörenden eigenritter auf der andern seite; da letzterer
das gleiche besitzprädicat führen kann , eine vielfach nicht mit
gewisheit durchzuführende Scheidung.
Daraus ergibt sich: aus den handschriften können wir über
den stand eines dichters keine sichere auskunft erhalten, ihn,
auch wenn wir seinen familiennamen kennen, mit urkundlich be-
legten personen des gleichen namens zu identiticieren , ist
schwierig, der eigenritter von seinem herren dabei kaum zu
trennen.
Aber auch die inneren kriterien geben uns nicht immer
sichere aufschlüsse. dafür nur ein drastisches beispiel: Friedrich
von Sonnenburg. Burdach spricht von der aristokratischen ge-
sinnung, von der dieser erfüllt sei; 'so scheidet er sich selbst-
bewust von der gewöhnlichen schar der fahrenden, durchaus
höfisch-weltlich sind seine tendenzen" usw. Schulte aber sagt:
MINISTEEIALITÄT UND RITTERDICHTUNG 151
'wer bei Friedrich von Sonnenburg geneigt sein könnte
ihn für adlich zu halten, der sehe sich einmal die treffliche
Charakteristik Sonneuburgs von Roethe an, der den dichter in
das richtige milieu setzt, danach kann es gar kein zweifei sein,
dass Sonneuburg ein fahrender lehrdichter bürgerlichen Standes war.'
Trotz all diesen Schwierigkeiten hat mühevolle einzelarbeit
für einen grofsen teil der deutschen liederdichter schon sicheren
boden gewonnen, wenn ich im folgenden die ergebnisse der bis-
herigen forschungen zusammenstelle und ergänze, so will ich
mich auf die dichter Südostdeutschlands beschränken, da mir das
quellenmaterial für diese gebiete vertrauter ist als für andere.
Unter den älteren, denen die in Minnesangs Frühling auf-
genommen sind, ist der burggraf von Regensburg, mit dem der
von Rietenburg doch wol identisch ist, unzweifelhaft ein freier.
Dietmar von Aist ist wahrscheinlich derselbe mit dem urkundlich
belegten, 1171 schon verstorbenen freiherren dieses namens'-
Scherer freilich setzt ihn später an; wir müssen mit der mög-
lichkeit rechnen, dass die unter seinem namen überlieferten lieder
von zwei verschiedenen dichtem herrühren, dass einer dieser
oder auch der dichter ein jüngerer ritter des freiherrn von
Aist war. Sicherheit über den stand des dichters haben wir
also nicht.
Dagegen möcht ich, im Widerspruch mit der grofsen Heidel-
berger und der Weingartener handschrift und mit der allgemeinen
ansieht Engelhart von Adelnburg mit bestimmtheit für einen
freien halten".
' zu deD quellenstellen in MFr. s. 248 ergänze Hauthaler Salzburger
urkundenbuch i s. 375 c. 1140 (früher abgedruckt Zs. 37, 420 von vGrien-
berger). - in allen von der bisherigen forschung gefundeneu zeugeu-
listen, in denen ein mann dieses namens vorkommt, steht er entweder
an erster stelle (so in einer Urkunde von 1202 im Bamberger archiv
Brenner Geschichte von Waldsassen s. 26) oder zwischen unzweifel-
haft freien und ministerialen in der mitte (Monumenta Wittelsbacensia
in. 12a 1224) oder inmitten freier, letzteres 'ist der fall in den Ur-
kunden ib. I n. 18 a. 1230 und Monumenta Boica ix 466 c. 1180. in der
letzteren folgen ihm Heinric de Biburc, der ib. vii 431 c 1190 als Tir
jio/nlis' bezeichnet wird und häufig in zeugenlisten als erster zwischen
freien erscheint (vgl. ib. xiii 324, xiv 194, vii 488f; xiii 5, 333, xiv 137,
IV 75, 258, VIII 466, 494), sodann ein Cunrat de Moseburc, der mit dem
gleichnamigen grafen identisch sein mag, und andere, von denen Uatoldus
152 KLÜCKHOHN
Albrecht von Johanusdorf und Hartwig von Raute waren
wol sicher ministerialen, letzerer wahrscheinlich dem grafen von
Wasserberg zugehörig', ersterer dem bistum Bamberg, eventuell
auch Passau ■. — Reinraar von Hagenau gehört seiner herkunft
nach nicht zu den Österreichern, wol aber nach seinem schaffen
und würken; er war wahrscheinlich einem dienstmannengeschlechte
entsprossen, kann aber auch ein eigenritter der reichministerialen
von Hagenau gewesen sein'*. — der Kürnberger war wahr-
scheinlich ein ministerial'. Meinloh von Sevelingen war dienst-
mann der grafen von Dillingen'', der bairischen grenze nicht
allzufern.
Unter den späteren lyrikern Südostdeutschlands ist keiner
mit Sicherheit als freier nachzuweisen, der von Suonegge mag
dem steirischen freiherrngeschlecht von Sanek angehört haben",
kann aber auch deren ritter gewesen sein.
Alle andern sänger waren entweder dienstmannen und
eigenritter oder spielleute. nicht bei jedem lässt es sich sicher
entscheiden, welcher dieser beiden classen er angehört, natürlich
genug, da zwischen armen rittersöhnen, die fern von haus sich
durch die weit schlugen, und den bessern dementen bürgerlicher
fahrender die grenzen sich leicht mögen verwischt haben, so
lassen sich bei Friedrich von Sonnenburg' und beim Tanu-
de Relnprestorf ib. vii 487 ausdrücklich unter freien genannt wird (vgl.
auch ib. xiii 155, aber auch 122, vii 487). ' vgl. Kummer Herrand
vou Wildonie s. 65f. "-^ vgl. MFr. s. 269f und Zs. 30, 171 ff. dort
sucht Wolfram den bischof von Bamberg als herrn zu erweisen, freilich
nicht 'mit überzeugenden gründen. MFr. und Bartsch-Golther, Lieder-
dichter s. xLi halten den Johannsdorf für einen Passauer miuisterialeu.
er erscheint in Passauer und Bamberger Urkunden. ^ vgl. Burdach
Reinmar der Alte und Walther von der Vogelweide s. 4. P>ur-
dachs ausdrucksweise ist hier irreführend. die reichsministerialen
gehörten nicht zum hohen adel. sie hatten ihrerseits auch keine dienst-
mannen. " MFr. s. 230. ^ MFr. s. 232, Bartsch-Golther
s. XXXVI. ^ vgl. ib. s. i.xxiv und die dort citierte litteratur. —
die hs. C rechnet ihn zu den unfreien rittern. " die handschrift C
nennt ihn 'mei.<ter'. es gab ein Tiroler geschlecht wahrscheinlich zur
abtei Sonnenburg im Pustertale gehöriger ritter, unter denen der name
Friedrich vorkommt, vgl. Zingerle in der einleitung seiner ausgäbe und
Strauch (Anz. IV 50ff) sowie Grimme (Germania 32, 34f): alle drei halten
ihn für einen angehörigen dieses geschlechts, jedenfalls für einen ritter.
anders Roethe in der ADB. (bd 37, 780 ff j und Golther (liederdichter s. Lxxv).
I
illNISTERIALITÄT UND RITTERDTCHTUNG IT. 3
liäiiser ' für die eine wie für die andere herkunft momente anfüliren,
ohne dass ich eine sichere entscheidung zu treffen vermöchte,
ganz mit recht hat Schulte darauf hingewiesen, dass so manche
ministerialensöhne, die der herr nicht in seinem dienst gebrauchte,
für die eigengut des vaters nicht ausreichend vorhanden war —
wie auch vom väterlichen erbe ausgeschlossene freie'' — auf gut
glück in die weit hinaus ziehen musten; und für die entwicklung
der höfischen cultur und litteratur fiel diesen eine nicht un-
bedeutende Vermittlerrolle zu. aber selbstverständlich ist daraus,
dass einzelne ritterliche dichter fahrende waren, nicht zu schliefsen,
dass alle wie spielleute umhergezogen seien, viele waren auf
ererbten gütern sitzende dienstmannen, die nur in mufsestunden
sich mit höfischer lyrik befafsten, wie Ulrich von Lichtenstein
und Herrand von Wildonie, die eine so bedeutende rolle im
politischen leben der Steiermark gespielt haben.
manche seiner Sprüche lassen in der tat auf ritterlichen stand schliefsen
— vgl. auch o. s. 150 — ; andere widersprechen dem, eine sichere entschei-
dung ist hier nicht zu treffen, jedesfalls war der dichter, auch wenn
ritterhürtig, ein fahrender und gehrender. — ein geschlecht von Sonnenburg
gab es auch in Osterreich; es zählte dort zu den landesministerialen (vgl.
Monumenta Boica xxxi* s. 438, xxix'» s. 244 f). auch in ihm ist der name
Friedrich bezeugt (vgl. Fontes rerum Austriacarum abt. ii bd. 18 n. 291).
' dass er zu dem Salzburger • ministerialengeschlecht von Tannhausen
gehört, wie noch Bartsch und Golther s. lxviii und RJOIeyer in der ADB.
annehmen, ist nicht wahrscheinlich, er wird von einem der mehrfach
belegten orte Tannhausen stammen, so heifst zb. ein dem kloster Neustift
gehöriger hof (Mairhofer TTrkunden von Neustift n. 340. 341). C rechnet
ihn nach Schulte zu den dienstmannen, in seinen gedichten selbst aber
erscheint er nur als 'der Tanhüsicre' (MSH. it 82b. 90b). an einzelnen
stellen scheint er sich gegen die herren zu contrastieren: 'Da:- ich :-e
herreii niht eiurait, das müese got erbarmen' (95b und) 92b, wo er
tausend speere verstechen unter den unmöglichen, naturwidrigen taten auf-
zählt, die seine dame von ihm verlange, sicheres ist aus diesen stellen
aber nicht zu schliefsen. er ist arm, scheint früher reicher gewesen zu
sein (96 a), lebt ganz von anderer gaben, spielt bei der dorflinde zum
tanze auf und macht bäurischen dirnen sinnlich deutlich den hof. er ver-
spottet höfisches minnewerben und überrascht zugleich durch die kenntnis
f ranzösich - höfischei-, ja auch antiker sagen (85). auf grund letzterer
möchten ihn Scherer in seiner Litteraturgeschichte s. 214 und Kück (Anz.
XVII 208) zu den vagierenden clerikern rechnen, dagegen hat Siebert
(Tannhäuser, Berlin 1894) einige beachtenswerte gründe vorgebracht, ohne
dass seine beweisführung für ritterliehen stand völlig zu überzeugen ver-
möchte. - vgl. Wolframs "Willehalm 243 10 ff.
1 54 KLUCKHOHN
Für bürgerliche (oder bäurische) fahrende halte ich folgende:
Geltar ', Dietmar den Setzer, Kol von Neunzen, den Litschauer"",
Kelin^, Pfeffel ', bruder Wernher^, Friedrich den Knecht'', un-
sicher scheint mir auch der stand von dem von Obernburg ", von
Kunz von Rosenheim*' und von Niuniu'', wenn dies nicht gar
blols ein sammlername ist.
Alle andern späteren sänger Südostdeutschlands waren
höchstwahrscheinlich unfreie ritter, minist er iales oder milites.
nämlich: Eeinmar von Brennberg'", Rapoto von Falkenberg",
Zachäus von Himelberg ^'-, Ulrich von Lichtenstein *^, der burggraf
' vgl. Bartsch-Golther s. i.xxni, Burdach s. 131. dass ur ein fahrender
ist, geht aus seinen gedichten uuzweifelliaft hervor. C gibt ihm das prädicat
her in grujjpe i\- nach Schulte. - vgl. über diese Kummer Herrand von
Wildonie s. 62 f. ^ ygj j^, g_ gg_ i q führt ihn mit dem prädicat her in
gruppe iii am ende vor. '•> vgl. EMMej'er ADB. 42, 470 ff und die aus-
führlichen erläuterungen Schönbachs WÖB. bd. 148,150. ^ C nennt
ihn he/, der inhalt seiner lieder lässt auf einen fahrenden spielmaun
schlielsen. vgl. auch Burdach s. 133. er selbst nennt sich 'der hueht' .
es gab familien des namens /»/e/*. vgl. Ried, codex diplomaticus episcoi^atus
Ratisponensis, index; Necrologia Germauiae ii 519 (13 u. l.ö jh.). aus dem
15 Jahrhundert ist eine nonue 'kuechtlin' bezeugt. (WSB. xiu 110, fragment
eines liber dativus). " Kummer s. 68. vielleicht gehört er zu der
steirischen Stadt Oberuburg, vielleicht zu der in den Monumenta Boica in
473. 512. v 364 erscheinenden ritterfamilie. ^ aus den drei Strophen
in MSH. ist über seinen stand nichts zu entnehmen, mehrere milites de
Rosenheiin, aber mit andern vornamen, sind in den Monumenta Boica
bezeugt. die bürg ßosenheim gehörte den grafen 'von Wasserberg,
'^ die handschrift gibt ihm das prädicat hei' in gruppe in. aus der er-
wähnung des vil liehen herren min (MSH. Iii 331b) muss man nicht un-
bedingt auf den stand eines unfreien ritters schliefsen. *° ein Regens-
burger ministerialengeschlecht. ob Reinmar ii (1238 bezeugt) oder Rein-
mar iii (1271 — 76) der dichter war, ist umstritten, vgl. Bartsch-Golther
s. XLVI und Liese (progr. Posen 1S97); Schröder GGA. 1910, 320f. " vgl.
Seifrid Helbling xiii 42 und Seemüllers aumerkung dazu. ^- vgl.
Frauendienst 199 12. 2Ü4l4ff. er zeugt zwischen steiriscii-kärntischen
ministerialen (Steiermärkisches urkundenbuch hg. v. Zahn ll n. 377 a.
1239). '3 jig meisten urkundlichen erwähnungen Ulrichs sind zu-
sammengestellt bei Falke Geschichte des hauses Lichtensteiu; vollständiger
von Schöubach Zs. 26, 307 — 326; seitdem sind neu gedruckt im Steiermärki-
schen Urkb. iii n. 33. 70 ff. 265. 396. über das Verhältnis des geschicht-
lichen Ulrich von Lichtenstein zu den erzählungen seines Frauendieustes vgl.
Schönbach in Bettelheims Biographischen blättern ii. dort finden sich
auch gute bemerkungen über die litterarisch-höfische cultur der Steiermark
im 13 Jahrhundert.
MINISTERIALITÄT UND RITTERDICHTUNG 155
von Lüenz\ Walther von Metze", Heinrich von der Mure',
Neidhart von Reuental' und Rubin", der von Sachsendorf', der
von Scharf enberg-', Liutold von Seven', der von Stadeck"
Hartmann von Starkenberg "", von Wildonie", Reinmar vonZweter"!
' zu den belegeu bei Kummer s. 71 bietet Grimme (Germania
32) ergänzungen; man füge dazu noch die zeugenliste Monumenta Boica
xxxi" 573: 'Heinricus burchgraHus de luen<'. - es gab ein
Tiroler rittergeschlecht de Mets, in dem der name "Walther aber nicht
bezeugt ist. vgl. Mairhofer Urkunden von Neustift n. 204. 2ltj, Fontes
rerum Austriacarum abt. II bd. 1, 77. USf; bd. 5 das register. •' die
handschrift rechnet ihn nach Schulte zu den freien, nach Wallner,
dem ich mich hier anschliefse, als ersten zu den ministerialen. ein
bairisches dienstmannengeschlecht von der Mur, auch ein Heinrich am
ende des 13 Jahrhunderts ist nachgewiesen, vgl. Grimme (Alemannia 22,
38—40) und Monumenta Boica xxxi» 52Sa 1227 und zahlreiche Urkunden
bei Lefflad Regesten der Bischöfe von Eichstätt. — es gab auch ein
steirisches miuisterialengeschlecht de Mflre. vgl. Steiermärkisches urkunden-
buch III n. 242 a 1258; auch n. 227 c. 1145 (Heinrich de Mora).
* vgl. die ausgäbe seiner gedichte von Keinz uud die weitere litte-
ratur. '•' Wallner aao. hält diesen namen für einen spielmanns-
namen, entsprechend dem französischen rorin. die handschrift C rechnet
ihn zu den dienstmannen, nennt ihn mit dem prädicat her neben den
Tirolern Sehen und Metz, auch Zeitgenossen nennen ihn nur Rubin, aber
zusammen mit andern, z. t. gewis ritterlichen dichtem, die auch ohne
hei- und nur bei nachuamen genannt werden, die betreffenden stellen sind
bei Bartsch-Golther s. lxxi angegeben, zu den urkundlichen erwähnungen
dort ergänze Fontes rerum Austriacarum abt. ll bd 1 s. 49. 179. vielleicht
gehört der dichter nicht zu diesem Tiroler dienstmannengeschlecht 'de Kuvin',
sondern ist ein vorfahr des c. 1270 — SO in den Traditionen von Brixen
(hg. V. Redlich) n. 588. 611. 615. 630. 634. 635. 641. 642 erscheinenden
Riibelinus, der ein unritterlicher officialis war. " Bartsch-Golther
s. Lxii. vgl. Urkundenbuch des Landes ob der Enns. bd II n. 304, Monu-
menta Boica XXIX " 232 = xxxi" 386. — Schulte nennt ihn einen dienst-
mann der Kuenringer. das ist nicht erwiesen, doch möcht ich den
Sahsendorf nach seiner Stellung in der zeugenliste der ersten Urkunde
den niederen rittern zuzählen. " ein steirisches miuisterialengeschlecht;
vgl. Kummer s. 77. weitere belege: Jaksch Gurker geschichtsquellen n. 600,
Steiermäikisches urkundenbuch bd II u, III (vgl. das register l. * Brixener
ministerialen 'de Säben' erscheinen häufig in den Traditionen vou Brixen
uud Neustift. ein Liutold ist nicht darunter. '•* ein steirisches
ministerialengeschlecht, das im Steiermärkischen urkundenbuch häufig auf-
tritt, die belege von Grimme (Germania 32, 426) liel'sen sich leicht ver-
mehren. '" ein niederöstreichisches ministerialengeschlecht dieses
namens ist häufig bezeugt (Gundacher 1227. 1236. 1241. 1243. 1275. u. ö.;
Frauendienst 67 13; Babenberger regesten 15639. 157 4ip. 16993. 177 I2t;,
156 KLÜCKHOHN
Zu diesen gehurt auch Wa 1 1 h e r von d e r Vo g e 1 \v e i d e , über
dessen stand ich etwas ausführlicher sprechen muss, da diese
frage durch AWallner (PBBeiträge bd. 33) aufs neue in fluss
gebracht ist. Dieser sieht den dichter als einen spielmann an,
während die bisherige forschung sich wenigstens über seine
ritterliche herkunft einig war und nur zweifelte, ob sie ihn den
freien, den ministerialen oder den niederen rittern zuzählen solle.
Die erwähnungen bei gleichzeitigen oder späteren kunst-
genossen» tragen nur wenig zur lösung dieser frage bei. einige
nennen ihn 'meist er', was sich nur auf seine kunst bezieht-;
etwa die hälfte gibt ihm das prädicat 'Äer'. dieses kann auch
nichtrittern beigelegt werden, allein das geschieht doch nur
ausnahmsweise, der schluss auf ritterlichen stand lässt sich
immerhin mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit daraus ziehen,
besonders aus der erwähnung im Renner (ed. Ehrismann v. 1 187 ff),
wo her Walter von der Vogelweide zwischen ritterlichen dichtem
genannt wird, die in ihrer gesamtheit als edel herren bezeichnet
werden, später folgen der Manier und meister Cunrat. in den
liederhandschriften freilich ist der titel her ebenso bedeutungslos
wie die wappen, soweit es sich nicht um den Schreibern nahe
wohnende geschlechter handelt, das hat Wallner überzeugend
nachgewiesen.
Mehr gewicht als wie das bisher geschah, möcht ich auf
die erwähnung Walthers bei Thomasin von Zircläre legen;
'■guoter kneht' ist eine formelhafte Verbindung, die auch im
dreizehnten Jahrhundert noch ausschliefslich von ritterbürtigen
gebraucht wird^
Wolfram spricht mehrmals von Walther. aus dem gegensatz
Fontes rerum Austriacarum abt. Ii bd 33 n. 76 u. ö. ; im zwölften Jahr-
hundert Düring und Ulrich, für ein Tiroler geschlecht von 6tarkenberg
giebt V. d. Hagen zahlreiche belege; vgl. ferner Mairhofer Urkunden von
Neustift n. 248. 466. " vgl. Kummer a.a.o '"- nach Eoethe (vgl.
die einleitung seiner ausgäbe) ein niederer ritter aus dem rheinischen
Zeutern, der in Österreich lebte, doch ist die herkunft nicht sicher erwiesen.
• sie sind zusammengestellt von Burdach in der A.Ü.H. 41, 37;
hinzuzufügen wäre Wilhelm von Orlens v. 4466 f:
als uns maister Walther seit ron der Vof/elicaide.
^ vgl. Marner (hg. v. Strauch) s. 113: mi/i nteister her Walther. •' vgl.
die ausreichende Zusammenstellung in meiner oben citierten arbeit s. 139
anm. 5.
MINISTERIALITÄT UND RITTERDICHTUNG 157
des standesstolzen ritters zu dem genossen, der seinem beruf,
seiner neigung und seinem leben nach mehr sänger als dichter
war, den sein stand nicht abhielt, nach art der fahrenden zu
singen, vielleicht auch aus persönlichen gründen noch, die wir
nicht kennen, wären die spöttischen worte im Parzival (294 23 ff)
zu erklären, die ohne namensnennung vielleicht auf Walthers verse
4026 bezug nehmen und nach Burdach dessen überschwänglich-
keit im minnedienst ironisieren, den dichter mit dem wort (/ehfire
abweisen, wenn man schon eine anspielung auf den stand Walthers
in diesem worte sehen wollte, müste man ihn für einen bauernsohn,
nicht für einen nicht ritter gewordenen söhn ritterlicher eitern
halten, wie Burdach das tut, der gerade in dieser frage von solchen
inconsequenzen und Widersprüchen nicht frei ist. ich möchte es
ablehnen, aus diesen in kämpf esstiramung gefallenen worten
überhaupt Schlüsse zu ziehen, auch die erwähnung im Willehahn
2S619, die über liebeswerben, stn frouwe, scherzt, kann uns nicht
weiter führen, wie übrigens hier 'her VogehceUV, so nennt
Wolfram den dichter an der andern stelle, wo er ihn namentlich
einführt (Parz. 297 24) 'her Walther' — und in seinem munde
ist dies prädicat nicht gleichgiltig!
Die einzige urkundliche erwähnung Walthers, die in den reise-
rechnungen bischof W^olfgers von Passau besagt, dass dieser
WaJthero cantori de Vogehceide ein geschenk machte. rnUes
wird er nicht genannt, allerdings; aber das wort cantor er-
scheint sonst nicht in diesen reiserechnungen — . nur einmal de-
cnntatores des papstes — , die sehr viele gaben an fahrendes volk
aufzählen, dies aber immer anders: mit Joculatores, mimi und der-
gleichen bezeichnen, das wort cantor scheint höher zu stehn, war
es doch auch die bezeichnung einer kirchlichen würde, des domcantors!
die gäbe Walthers entspricht manchen andern der reiserechnungen,
die an einzelne milites gegeben w^erdeu, an niedere umherziehende
ritter. Walther könnte danach recht vvol zu diesen gehören.
Ganz sicheren aufschluss gewinnen wir aus alledem nicht,
immerhin sprechen sehr viel mehr momente für ritterlichen stand
als für den eines spielmanns. etwas weiter führt uns Walthers
dichtung selbst, zwar in der Verwendung von einzelstellen und
einzelinterpretationen muss man m. e. sehr vorsichtig sein, un-
zweifelhaft hat Wallner für einzelne verse durch seine spielmanns-
theorie einleuchtende Interpretationen gefunden, so für fi I •'^i 1t
1 58 KLUCKHOHN
besonders', allein alle diese stellen lassen sich auch anders verstehen,
der ausdruck sirie nider ich sl (6637) zb. ist auch in dem munde
eines niederen ritters und im gegensatz zum tatendeu ritter möglich
— zumal mit dem folgenden der werden ein — , würde zu einem an-
gesehenen ministerialen oder gar einem freien allerdings kaum passen.
Nach ^Vallner rechnet sich Walther (25 28) zum fahrenden
Volke, das scheint mir falsch, gerade das dur ere contrastiei-t
ihn und seine genossen von den spielleuten, die guot für vre
nehmen, wie auch die art der gaben: silber, reiche gewänder
und pferde besser zu rittern passt^. solche gaben teilt Walther
auch selbst einmal aus (24 33 ff); und an anderer stelle (84 IS)
rechnet er sich ausdrücklich nicht zum fahrenden volke.
Wallner legt wert auf den ausdruck lät mich an ebne
Stabe yän, der mir hier (6633) bildlich gebraucht zu sein scheint, aus
der resignation eines alten ijiannes zu erklären, worauf das von
kinde (d. h. wie in meiner kindheit) hinweist. Wallners Inter-
pretation wird durch mehrere stellen Walthers widerlegt, aus
denen hervorgeht, dass er beritten war (2430. 53 IS. 82 11. 1047).
und zwar erwähnt er das beiläufig, nicht mit jener betonung
des bürgerlichen meisters Sigeher (MSH. II s. 361):
60 rtte ich hin ze walde, daz ist ein herren site an mir.
Aus 8212 geht auch hervor, dass der dichter einen knappen
hatte, der selbst beritten war und ihn mit 'herre "anredet^
• dass diese Strophe sich nicht auf ein einzelnes gedieht, sondern auf
sein bisheriges dichten überhaupt bezieht, ist sehr wol möglich : doch wird
der ihm verbotene teil dann eher die spruehdichtung als der minnesang
sein. V. 36. 37 scheinen mir darauf hinzudeuten. ^ zwar Veldekes
'Eneide' (v. 13)84 ff) erzählt, dass auch spielleute solche gaben erhielten;
allein, das ist entweder dichterische ausschmückung oder doch nur ein aus-
nahmefall. vgl. auch Walther 633 f/etrof/e/ie weit ich tue fieiran und
dazu den von Buwenberg (MSH. II 263 b): sioer fietragener kleiden
(jert, der ist niht rninriesant/es wert. ^ auf Wallners versuch, diese
stellen und alle zeitgenössischen erwähnungen mit diesem priidicate als
ironisch hin- zustellen, braucht man wol nicht im ernste eiuzugehu. —
die auffassung Wallners, dass 'von der Vogelweide' ein fingierter spielmanns-
uame sei, wird ausführlich zurückgewiesen von O. v. Zingerle Über un-
bekannte Vogel weidhöfe in Tirol (Innsbruck 1909) s. 17 ff. dieser bringt
zahlreiche urkundliche belege für das tatsüchliclie vorkommen vieler namen,
die als spielmannsnamen angesehen wurden, und für die nennung 'her' mit
besitzprädicat ohne 'von' — der Wolframschen erwähnung 'her Vogelweid'
entsprechend, die trotz Zingerle noch unsichere heimatfrage gehört nicht
in unseren Zusammenhang.
MINISTERIALITÄT UND RITTEEDICHTUNG ir)9
Walther nennt sich selbst so (186. 11) und lässt in einem andern
gedieht seine dame von sich als einem 'ritter' sprechen (11333).
das kann man freilich mit Burdach als conventioneile fiction
auffassen; Walther hätte sie dann von Eeinmar gelernt, aber
wie kam dieser dazu, einen jungen spielmann, einen strafsen-
gesellen, seiner intimen lehre zu würdigen?
Walther spricht mehrfach von seiner ehre (fil 24) und würde
(2436. 4312. 4931), nennt sich 'biderher man' (3 5 2oj und ähnlich,
duldet als 'hUheschcr man' 'mange nnfuoge' (62 7 1, was alles besser
einem ritter als einem spielraann ansteht.
Walther erhält ein lehen vom reiche (283.1936.277). nicht-
ritter erhielten ein solches nur in ganz seltenen fällen.
Alle diese stellen scheinen doch auf ritterlichen stand zu
deuten, dass aber Walther nicht zu den österreichischen raini-
sterialen gehörte — auch seine armut, seine Wanderschaft sprechen
dagegen — , scheint mir 36 7 deutlich gesagt zu sein, zu den
'hehle üz Osterriche' rechnet er sich nicht, auch nicht zu den
kreuzfahrern in seiner elegie. hier redet er die ausziehenden
ritter an, bleibt selbst zurück, allerdings, aber dies wird genug
erklärt durch seine armut (vgl. 10 7. 28 2. 125 5 u. a.) auf der
einen, sein alter (vgl. 6633] auf der andern seite.
Genug der einzelstellen. wesentlicher zur beantwortung
unserer frage scheint mir der gesamtcharakter von Walthers
dichtung. unzweifelhaft zeigt diese manche züge, die sich in
den Versen fahrender widerfinden. Walther bittet wie diese
(20 31 ff. 1(15 33 ff. 106 3 ff.), er preist die freigebigkeit mancher
herren oder ermahnt zu solcher, ja schilt selbst die kargen'
und will sogar das lob, für das er nicht gelohnt wurde, lier
wider nemen ze hove und an der stmzen (lObSG). allein das tun
andere wie der Archipoeta noch derber und häufiger, und dieser
war nach eigenem zeugnis unzweifelhaft ritterlicher herkunft:
ortus ex militihus (gedieht IV), freilich ein cleriker.
' Wallher 1630. 19l7. Sil uö.; s. die Zusammenstellung bei Wilmanns
s. 44. vgl. auch das in der Jenaer handschrift dem Rubin zugeschriebene
gedieht (Zupitza Rubin s. viii) ' Walther . . . (fii liefe owh herren i/uit.it'.
doch, braucht man den Rubin nicht mit Wallner für einen fahrenden zu
halten, so kann man auch nach diesen versen Walther nicht jenem stände
zuzählen, ^ver dai'auf angewiesen war, durch sein singen seinen lebens-
unterhalt zu verdienen, für den war 'herrengunst' etwas sehr wesentliches.
lüü KLUCKHOHN
Walther fühlt sich im dieiiste der hütischeu gesellschaft
stehend, die ihm zu siugen gebietet (7 231Ö'. 6übl. 110 33) und
seine lieder zu schätzen weifs (114 34. 69 2üj, für deren freuden und
schmerzen er töne findet (481 ff. 9111. 11735) und die dafür an
den seinen teilnimmt, allein alle diese momente gehören zum
hütischen niinnesang und lassen sich bei diesem durch zahlreiche
parallelstellen belegen, das hat die sonst wenig ergiebige arbeit
Schillers, Der minnesang als gesellschaftspoesie (diss. Bonn 19U7)
mit voller klarheit gezeigt, und auch die mancherlei klagen
über Verleumder und neider (5830. 6133. 4125. 32 7ff.) kehren
bei höfischen dichtem immer und immer wider (Schiller s. 40 ff)
und brauchen keineswegs durch das einzigartige Verhältnis eines
spielmanns zur Wiener hof gesellschaft erklärt zu werden'.
Walther fühlt sich durchaus als Vertreter höfischen lebens,
höfischer zucht, sitte und ehre (24 3ff. 4736 u. ö.); er scheidet
sein singen als höfisches von den weisen niederer sänger (3l3üff.
32 3. 11. 80 34. 4125. 64 31. 8034. 15089), von denen er verächtlich
als von bäurischen spricht (6531).
Sicher und selbstbewust steht er inmitten der höfischen
gesellschaft, ein berater der grofsen, lehrmeister ihrer Jugend,
von ihren idealen erfüllt, diesen dienend im streiten und singen.
Freilich Walther ragt hinaus über die höfische gesellschaft
und ihre zeit als ein wahrhaft grofser dichter, und seine aus-
nahmestellung wird sich nie in irgend eine Schablone festlegen
lassen, etwas unerhörtes war es, wenn ein mann ritterlichen
Standes töne des fahrenden Volkes aufgriff, wie dieses in
malmenden Sprüchen .zu seiner zeit zu reden, er war der
erste, der das wagte, aber nicht, wie Wallner behauptet, der
einzige. Reinmar von Zweier und andere sind ihm darin gefolgt,
so steht er nicht allein, wie er auch als gehrender rittersohn
die gesellschaft des freilich in geistlichem gewand einherziehenden
Archipoeta findet.
' Wallner zählt sehr viele stellen auf, an denen Walther über die
höfische gesellschaft klage, an manchen dieser beschwert er sich über
feinde und neider; an andern klagt er über uuhöfische (243 ff. 31 33 ff.
32'. 15090). ISl ist ein kampfs2)ruch, dessen aulass uns unbekannt ist,
in dem aber die höfische gesellschaft gar nicht vorkoujuit. auch 2S3"
*i7ll. 104? beziehen sich gar nicht auf diese.
MINISTERIALITÄT UND RITTERDirHTT'Xa K.i
2. Die epischen dichter.
Den stand der minnesänger und spruchdichter küniR-n wir
in den meisten fällen doch mit annähernder gewisheit bestimmen,
weit schAvieriger wird das für die epiker jener zeit, da viele
epen. gerade aus Südostdeutschland, uns anonj-m überliefert
wurden, sind wir vielfach ganz auf innere kriterien angewiesen.
Die epischen dichter des zwölften Jahrhunderts waren
entweder geistliche wie die pfaffen Konrad und Lamprecht,
oder spielleute wie die Verfasser des 'König Rother' und 'Herzog
Ernst', dass Reinbot von Durne etwa wie der in höfischem
Stil geistliche Stoffe behandelnde Konrad v. Heimesfurt zu den
geistlichen gehöre, wie mau früher annahm, ist mehr als un-
sicher, wir werden über seinen stand nichts bestimmtes aus-
sprechen dürfen, solange man noch zweifelt, ob der heilige Georg
überhaupt in Baiern oder in Schwaben entstanden ist', die
fahrenden dichter fanden nachfolger im Stricker, wol auch im
dichter des 'Helmbrecht', vielleicht in dem des 'Wigamur'" und
in den Verfassern einiger der jüngeren sogenannten volksepen.
darüber später.
Das hauptcontingent epischer dichter aber stellten seit dem
ende des zwölften Jahrhunderts die ritter, überall in Deutschland,
die zunächst Stoffe französischer erzähler bearbeiteten, so im
bairisch-fränkischen grenzlande Wolfram von Eschenbach, ein
ministerial, und Wirnt von Gravenberg, wahrscheinlich auch ein
dienstmann ^; im eigentlichen Baiern der dichter von 'Mai und
Beaflor', dessen namen wir nicht kennen, Albrecht, der dichter
' vgl. V. Kraus (s. 256 seiner ausgäbe); Helm (.\nz. x.xxii "278 ff);
FWilhelm Beitr. 35, 360 f. aus vers 56 könnte man auf ein ministerialitäts-
verhältnis zum hei'zog von Bayern sehliefsen. — die identitication mit dem
'notarius' Ileinbot ist jetzt wol allgemein aufgegeben. ^ dafür bringt
Sarrazin QF. 85 beachtenswerte momente bei, ohne dass er mich voll-
kommen zu überzeugen vermöchte, zudem stützt er sich nur auf eine
späte und schlechte Überlieferung. eine eingehende Untersuchung der
bearbeitungsvveise dieser Wolfenbütteler handschrift ist von Maufser zu
erwarten (vgl. dessen Münchener dissertation 1006, Reimstudien zu Wiga-
mur). 3 2war Konrad von Würzburg (Weltlohn v. 234) hält ihn für
einen freien; doch kennen wir nur ritter von Gravinberge die ministeri-
alen sind. vgl. die zeugenlisten in der Urkunde der Monumenta Boica
11 334 von c. 1160 und der bei Roth Kleine Beiträge l 208 leider ohne
angäbe der quelle angeführten Urkunde.
Z. F. D. A LH. X. F. XL. 11
162 KLUCKHOHN
des jüngeren Titurel, und später der fortsetzer des 'Lohengrin' i —
ob diese freie oder unfreie ritter waren, das entzieht sich ganz
unserer kenntnis; immerhin erscheint das letztere wahrschein-
licher — ; weiter südöstlich der Pleier, dessen dichtungen mehrere
momente, nicht sprachliche allein, in die gegend Salzburg-Steier-
mark weisen"-, er mag ein niederer ritter gewesen sein, ge-
tr'mwer diencere eines herru Wimar. eine Salzburger familie
seines namens ist uns bekannt', aus Ktäriiten stammt der dichter
der 'Krone', Heinrich von dem Türlin, ein ritterbürtiger bürger-»;
vielleicht aus dem gleichen geschlecht der in Böhmen dichtende
Ulriche steirischer ministerial war der schon oben erwähnte
Ulrich von Lichtenstein.
Ein ritter war auch der dichter der 'Kindheit Jesu', Konrad
von Fussesbrunnen, wahrscheinlich identisch mit dem öster-
reichischen ministerialen gleichen namens''.
Zahlreicher als französische vorwürfe wurden in Südost-
deutschland deutsche sagenstoffe seit dem ende des zwölften
Jahrhunderts bearbeitet, fast ausschliefslich in Österreich und
der Steiermark, zwei momente machen das einigermafseu ver-
ständlich, einmal die greise entfernung der östlichen Alpen-
länder von Frankreich, wol mochten Oberitalien und Friaul die
einflüsse romanischen rittertums nach dort vermitteln, aber
schwerlich die der specitisch französischen litteratur, der epen
aus dem kreise der Artussagen, die die Westdeutschen un-
mittelbar aus erster band bekamen und wol erst in ihren eigenen
' vgl. Panzer, Loheugrinstudien s. 54 ff. - so das fast vollständige
verschwinden des wertes r/ie bei aufzählungen der ritterlichen stände und
die grofse rolle die das arat des marschalls spielt, worüber ich a.a.O.
s. 123. 162 gesprochen habe, sodann auch der umstand, dass sich Garel
'f/eborri von Stire nennt (v. 4191, vgl. 11715. IböfiSf) und dies die einzige
deutsche örtlichkeit ist, die in diesen gedichten erwähnt wird. ^ vgl,
Monumenta Boica lil 569 a. 1305 'her Chan rat der PUiyer. der name
'Pleyer' ist auf Salzburger grabdenkmälern späterer zeit häufig; vgl. Walz
in der einleitung seiner ausgäbe des Garel; dazu auch Necrol. Germ.
II 223 (10/4 Heinricus Pleiser occisus saec. xiiil. — die neue arbeit von Otto
Seidl, Der schwan von der Salzach (1909) war mir nicht zugänglich. * vgl.
Schönbach PBBeitr. 33, 351 ff uud soeben Graber Zs. f. d. phil. 42, U6ff.
•'' vgl, Singer in der einleitung seiner ausgäbe des Willehalm. <» vgl. die
auch von Diemer (Kleine beitrüge xv, Wiener Sitzungsberichte xviii 1855
s. 269) angeführten Urkunden: Fontes rerum austriacaruni. abt. ii bd iv n.
344. 3S2. 550, die jedoch nicht genau zu datieren sind.
MINISTERIALITÄT UND RITTERDICHTUNG lti3
formuü^en nach osten weitergaben, diese deutseben bötischen
epen aus dem westen waren in Österreich und der Steiermark
freilich wol bekannt'.
Sodann scheint sich im Südosten der ritterstand inuner in
etwas näherer berührung mit dem volksmäfsigen gehalten zu
haben als in andern gegenden, ein freilich schwer zu be-
rechnendes moment, das durch den volksliedmälsigen Charakter
der älteren h'rik, die bessere Stellung der spielleute an bairischen
und österreichischen höfen seit dem ende des zwölften Jahr-
hunderts' und anderes gestützt wird, das vielleicht auch damit
zusammenhängt, dass die ministerialen, die mit den unteren
kreisen immerhin ursprünglich mehr fühlung hatten, ja zum teil
aus bäurischen hintersassen hervorgegangen waren, dort inner-
halb des ritterstaudes einen besonders hohen procentsatz aus-
machten '.
Wie dem auch sei, die mehrzahl dieser epen ist meiner
meinung nach von ritteru gedichtet, ich widerspreche damit
der vorhersehenden anschauung, die diese Volksepen' zu denen
nach romanischen Vorbildern, den 'höfischen', in contrast setzt und
fahrende spielleute für ihre dichter hält, allein diese anschauung
ist nicht bewiesen ; sie bewegt sich vielfach in einem cirkel *
oder stützt sich auf unbedeutende einzelheiten, aus denen sich
nichts schlielsen lässt''. an eindringenden Untersuchungen fehlt
es hier noch ganz.
' vgl. Nagel und Zeidler Deutschösterreichische litteraturgescliichte
s. 200 und Schönbach Die anfange des minnesanges s. 83 ff. - vgl.
Zappert, Wiener Sitzungsberichte xil s. 15Sff; Kettner Die oesterreichische
Nibelungendichtung s. 2S7. ^ auf diese momente hat zum teil schon
Panzer in seinem vortrage Das altdeutsche volksepos hingewiesen (s. 27 ff),
dass freilich die ministerialen weniger bodenständig gewesen seien als die
freien, nicht selten den dienstherren gewechselt hätten, das scheint mir
für jene zeit allgemein nicht zuzutreffen. '^ so Jänicke in seiner ein-
leitung zum Biterolf s. XXIX, der einen bürgerlichen für den Verfasser dieses
epos hält mit der begründung: 'ein ritterlicher dichter ist nicht wahr-
scheinlich, weil sich für den aiifang des dreizehnten Jahrhunderts die
dichterische teilnähme der ritter am deutschen volksepos nicht nachweisen
lässt'. '■> Martin sagt, der Verfasser von 'Dietrichs Flucht' sei 'ohne
zweifei ein fahrender sänger', da er freigebigkeit gegen rorende diet preise.
als ob das nicht auch in gedichten unzweifelhaft ritterlicher autoren ge-
schähe, weil es eben zum bilde eines festes gehörte, vgl. zb. Guter
Gerhard 6409 f, Veldekes Eneideu. a.
11 •'
164 KLUCKHOHN
Zwei inomente scheinen mir wesentlich, um auf den stand
der dichter dieser epen rückschlüsse zu erlauben, einmal der
geist dieser dichtungen, das — ich finde kein besseres
■wort — ethische moment, die gefühle mit denen der dichter
seinen beiden gegenübersteht, was er an ihnen bewundert, die
heldendarstellung des Nibelungenliedes , des Wolfdietrich und
anderer epen ist ganz von ritterlichem geiste getragen, man
vergleiche damit einmal Strickers 'Daniel', um zu sehen, was ein
fahrender, ein ergötzer des Volkes, an seinen beiden liebt: die
Schlauheit die über die stärke siegt '.
Sodann der stil. das ist nun gerade der punct. an dem
die allgemeine anschauung einsetzte, unzw^eifelhaft, die so-
genannten volksepen sind in ihrem stile ganz verschieden von
den höfischen, allein der stil dieser — das hat Panzer gezeigt —
ist zum grolsen teile durch ihren stoff bedingt, deutsche helden-
sage, die die dichter vielfach oder meistens schon in bestimmter
formung vorgefunden haben werden, in einer formung, die
einmal dem alten charakter des Vorwurfs entsprach, auf der
andern seite der art der spielleute. denn Stoffe der heldensage
gehörten freilich stark zu deren repertoire, doch nicht aus-
schliesslich 2. hier müsten nun einzeluntersuchungen einsetzen,
um zu zeigen, wie weit ein teil der sogenannten volksepen,
vielleicht auch die meisten, sich in ihrem stile doch von werken
der spielleute unterscheiden, besonders deutlich gerade in der
verschiedenen anwendung verwanter oder gleicher Stilmittel -^
' vgl. besonders v. 74S7ff: aice/- iht i/uoter lü~te kan, den solde
wip Uli de man gerne eren dester bas. ein man tuot m-it liste das
das tüsent niht enüeten swie r/röser kraft si hceten ^ vgl. den
Mamer (hg. v. Strauch) der s. 125 vielerlei Stoffe der heldensage als zu
seinem repertoire gehörig aufzählt, s. 127 aber auch die Gralsage nennt.
•* WVogt, Die wortwiderholung ein stihnittel im Ortnit, Wolfdietrich A
und den spielmaunsepen Orendel, Oswald, Salman und Morolf (Germanisti-
sche abhandlungen h. 20, Breslau 1902) weist nach, dass der gebrauch der
Variationen^ formein und wortwiderholungen in den spielmaunsepen ein
mafsloser ist, im Ortnit und Wolfdietrich aber sich in den grenzen bewuster
Stilmittel hält. LWolf, Der groteske und hyperbolische stil des mhd
volksepos (Palaestra h. 25, 1903) will die volksepen in drei stilgruppen
sondern, zu deren erster, den höfisch stark beeinflussten epen, er Nibl.,
Kudrun, Biterolf u. a., zu deren letzter, den spielmännisch gefärbten er
grade Ortnit und Wolfdietrich rechnet, freilich ohne die grenzen scharf zu
MINISTERIALITÄT UND RITTERDICHTUNG 165
Es mag- sein, dass die dicliter der jüngeren volksepeu
fahrende spielleute waren, erst solche genauen stiluutersucliungen
würden das erweisen können, aus den beiden einzigen nanien von
dichtem, die wir kennen — 'Heinrich der Vogela-re' nennt
sich der Verfasser von 'Dietrichs Flucht' (v. 8000), Albrecht von
Kemenaten der des 'Goldemar' ' — ist nichts zu schlieL'sen. die
dichter der älteren epen, wie Ortnit, Wolfdietrich, Kudrun,
Biterolf u. a. halte ich für ritter.
Auch den dichter des Nibelungenliedes, schon EKettner
aao. machte dessen ritterlichen stand wahrscheinlich und wies
auf die zahlreichen Schilderungen höfischen lebens hin, durch die
er die alte dichtuug erweiterte habe-, darauf gestützt suchte Zal-
linger-^ einen engen Zusammenhang zwischen dem problera und der
darstellungsart, den bezeichnungen der beiden im Nibelungenliede
einerseits und der eutwicklung der ministerialität in Österreich
anderseits nachzuweisen, und zog weiter den schluss, dass
grolse partieen der dichtung nicht vor beginn des dreizehnten
Jahrhunderts entstanden sein könnten, ja dass die Stellung
Rumolts als küchenmeister einen terminus ante quem non für
die abfassung des gedichtes gebe, das erst nach der einrichtung
des reichsküchenmeisteramtes (1202) entstanden sein könne.
Zallinger setzt sich damit zu allen ergebnissen germanistischer
forschung in Widerspruch, ohne seinerseits überzeugen zu können.
es ist unmöglich, in einer dichtung, zumal wenn sie eine so lange
entstehungsgeschichte hat wie aller Wahrscheinlichkeit nach das
Nibelungenlied, jede tigur ganz scharf einem bestimmten land-
rechtlichen Stande zuweisen zu wollend und was das küchen-
zieheu. einen vergleich mit den höfischen epen gibt Wolf nicht : aber auch
diese, zumal die jüngeren, verwenden manche dieser 'grotesken' Stilmittel.
1 ob dieser mit dem von Rudolf von Ems genannten dichter identisch ist
und ob er zu einer der schwäbischen ministerialen familien von Kemenaten
gehört, das ist ganz unsicher. - auf eine Scheidung zwischen einem
mittleren und einem jüngeren dichter und auf die annähme, drei selbständige
liederbücher hätten die vorläge des ersten gebildet, brauch ich hier nicht
einzugehen. ^ 'Die rechtsgeschichte des ritterstandes und das Nibe-
lungenlied' (Jahrbuch der Leogesellschaft, Wien 1S99). " darin dass
Hagen Kriemhildens antrag, sie als heiin;ie-<inde an Etzels hof zu begleiten,
ablehnt mit der begründung, er müsse bei Günther bleiben, sieht Zallinger
eine analogie zur Scheidung zwischen reichsdienstmannen und solchen des
königlichen hauses. danach hätte Hagen also zu den letzteren, den un-
zweifelhaft niedrigeren gehört, das ist absurd.
166 KLÜCKHOHN
lueisteraiiit betrifft, so ist ein solches schon vor der Schaffung
des reichsamtes an fürstlichen höfen nachzuweisen, g-erade in
Österreich '. die rolle Euniolts im Nibelungenliede war freilich
auch schon den Zeitgenossen auffällig. Wolfram spottet darüber-.
Kotzenberg aao. weist die zu weitgehenden folgeruugen
Zallingers mit recht zurück, doch seinen eigenen aufstellungen
vermag ich ebenso wenig beizustimmen, die Unstimmigkeiten
und Widersprüche in den Standesbezeichnungen des liedes, vor
allem das absolute fehlen des Wortes dieneabnan will er durch
den spielmannscharakter des dichters erklären, dieser habe
einerseits als spielmann mit den ministerialen nähere berührung
gehabt als mit andern gliedern der hötischen gesellschaft —
eine unbewiesene behauptung — , sie darum auch eine grofse
rolle spielen lassen, anderseits aber, um sie auszuzeichnen, sie
den freien herren ganz gleichgesetzt, ihnen das prädicat wm«
verliehen, mir scheint diese erklärung gewunden; dass man
im Nibelungenliede noch ausschlieslich in der bedeütung vasall ge-
braucht wurde, wird nicht bewiesen und ist sehr wol zu bestreiten,
und wenn die spielleute das wort dienestman w'ürklich darum ver-
mieden, weil sie ihre beiden mit möglichst auszeichnenden namen
nennen wollten, warum sind es dann gerade der Wolfdietrich und
andere sogenannte spielmannsepen, die zuerst und am schroffsten
auch freie und fürsten als dienestman bezeichnen?^
Meines erachtens ist aus dem vollkommenen fehlen dieses
Wortes im Nibelungenliede nichts sicheres zu schlieisen. es lässt
sich durch den typisierenden stil der dichtung erklären, durch
ihren alten Stoff, dem ministerialität fremd war; vielleicht auch
' ein inrajister coquine von Österreich wird c. 1195 erwähnt (traditiouen
von Formbach u. 221 im Urkundeubuch des Landes ob der Enns l); von
Steiermark 118S. 1195. 1200 (Steiermärkisches urkiindenbuch i n. 691. il
n. 13 s. 35; Urkundenbuch des Landes ob der Enns ii n. 329); von Salz-
burg gegen 1200 (Monumenta Boica iii 218). - Parzival 42025 ff;
vgl. Biterolf 120 14 ff. 12698 ff. •'' so werden im Wolfdietrich A (str.
:i44. 371. 382. 437. 445. 454. 487.) und B (str. 126. 286. 307. 539. 540.
631. 858) der herzog Berhtung von Merau und seine söhne Dietrichs einlif
dienstman genannt,- ja auch ei'/p/i (B str. 278. 303). vgl. auch Wolf-
dietrich \i Str. 319 ff. — ebenso nennt der dichter des jüngeren Eosen-
garten Dietrichs zwölf recken, zu denen gleichfalls herzöge gehören, seine
(lipjistmaii'. fstr. 12. 189. 223. 343. 345).
MINISTERIALITÄT UND RITTERDICHTUNG 167
damit, dass der dichter etwas von fraiizüsiseber epik wüste
und deren beispiel folgend einen einlieitliclien ausdruck zur be-
zeicbnung- des dort einheitlichen ritterstandes verwante, ent-
sprechend den deutschen nachahniern franzijsischer epen. dem
dichter selbst freilicli, der mit den äugen seiner zeit seinen stoff
ansah, waren die mannen dienstmannen ihrer hejren. so stellte
er sie sich vor, auch wenn er diese bezeichnung- vermied,
einzelne züge seiner vorläge aber waren nicht damit in einklang
zu bringen, auf die er doch in der composition des ganzen nicht
verzichten konnte, so kamen Unstimmigkeiten in den Standes-
verhältnissen der beiden in sein werk.
Hagen und sein bruder Dankwart erscheinen darum gleich-
zeitig als verwante des königlichen hauses und als seine '»m»' mit
ausgesprochen dienstmännischem Charakter. Dankwart bekleidet
zugleich ein hofamt, wie auch andere besonders gerühmte recken,
und zwar handelt es sich dabei nicht um ehren- oder erzämter,
sondern wir sehen sie verschiedentlich ihren amtspflichten nach-
kommen', das passt auffallend zu der ganz siugulären ent-
wicklung der hofämter in Österreich"'^, dort gab es keine erz-
ämter, aber die erbbeamten, die sich um 1200 noch nicht ganz
von ihren amtsfunctionen gelöst hatten, gehörten zu den be-
deutendsten männern des landes. es ist wol möglich , dass
diese Verhältnisse den dichter in der ausgestaltung einiger einzel-
heiten bestimmt haben, das wäre ein neues moment für die
österreichische heimat des Nibelungenliedes, doch ich möchte
das nicht urgieren.
Gerade auf Österreich weist ja auch die Verwendung des
Wortes vtan für vasallen und dienstleute, das ineiuanderaufgehn
dieser beiden begriffe in der einen gemeinsamen bezeichnung,
bei der doch der gedanke an die ministerialen überwog, so
kann Brunhild die erklärung Siegfrieds, er sei Günthers man
dahin verstehn, dass sie ihn für eigen hält, die frage, wie
weit es dabei bewuste absieht des dichters war, dass 'Sieg-
fried den unfreien stand eines königlichen ministerialen
tingiert' (Zallinger), wie weit er überhaupt diese ausdrücke
1 Dankwart als niarschall str. 15S5. 1674. 1S08. 183Sf; sein neffe
Ortwin als truchsess str. 719. 122S; Rumolt als küchenmeister str. 720.
1228. 1405: Siudolt als schenke 720. ^ vgl. Kluckhohn aao. 209.
lOS KLUCKHOHN, MINISTERIALITÄT U. RITTERDICHTG
begrifflich ganz scharf fasste ', wird sich schwer mit Sicherheit
beantworten lassen.
Und auch die frage nicht, ob der dichter ein freier ritter,
eiii ministerial oder ein miles war. der geringe procentsatz der
freien innerhalb der ritterschaft Österreichs freilich macht den
unfreien stand des dichters wahrscheinlich.
Das gleiche lässt sich für die Verfasser anderer und viel-
leicht der meisten sogenannten volksepen vermuten.
' dass der dichter das wort eii/e/i schon in der späteren verblassten
bedeutung verwaut hätte, das ist mir für seine zeit nicht wahrscheinlich.
Göttingen. Paul Kluckhohn.
ZU ZS. 51,255. DE SERVANDO MEDICO.
Vielleicht ist Auth. lat. i ' 204 doch ohne annähme wanda-
lischer bestandteile auszukommen, ich schlage vor:
Servande in parte misera ! anabrasta nosesis:
Vi tibi alasve almam vitam, icl vis? tandem ahi tritani!
Copiates gihhatus enim transire volehat.
'Reserviert must du werden am jammerort! wie spreu
geschüttelt wirst du pein leiden {dvüßQaOTU voo))ösiq). oder
willst du mit gewalt dein wertes leben fristen, willst du das?
dann mach dich endlich fort auf den gewohnten weg!' ein buck-
liger totengräber wollte nämlich gerade vorbeigehn.
V. 1 wäre medentem oder monstrumqiie modernum nicht aus-
geschlossen; mit V. 3 beginnt der neue satz, misus ist absolut
gebraucht gleich 'dreist'; für terrq rtpetam ist wol terrae repe-
titae (oder terra repetita) zu lesen, 'als er mitten auf der
widergewonnenen erde stand', die messungen alu und copjates
stimmen zu den metrischen schwächen des gedichts, und das
zweimal für h gesetzte u entspricht der gewohuheit des Salma-
sianus, die beiden laute zu verwechseln (vgl. superua).
H. Pal zig.
ALTHOCHDEUTSCHES AUS TRIER.
MITGETEILT vox F. W. E. ROTH.
Die handschrift nr 40 {num. loc. 1018) der Trierer stadt-
hibliothek ist von MKeuffer in seinem Beschreibenden Verzeichnis
der hss. d. Tr. sthihl. i (1888) 41 nur einer sehr knappen In-
haltsangabe geKürdiyt worden, aus der kein germanist ihren
wert ahnen mochte, es ist ein pergamentcodex des 10 jh.s^ in sog.
qnartformat (133x177 mm), 132 blätter (13x8+1x12+2x8)
nmfassend, in altem einband vollständig und fast unbeschädigt
erhalten, als provenienz gibt Keuffer zweifelnd das Augustiner-
stift an. eine eintragung des \bjh.s auf bl. i'^ {tvo aufserdem eine
erklärung des hebräischen alphabets steht)weist auf das aus Cäsarius
von Heisterbach bekannte cistercienserkloster Himmerod {Hemmen-
rode) bei Manderscheid in der Ei fei: Liber mouachorü fce marie
T hymerode ord. cift. Treuerü. dyoc. den hauptinhalt des codex
bilden glossensammlungen resp. glossare: i. bl. \^ ( — 33'') ein
b ib elgl ossär (Glosae dyvinorum librorum) beginnend mit De
prologo libri Genesis und schliefsend mit der Apokalypse : —
u. bl. ii3^ { — 41^) lucipiunt glosse hebreoriim nominum,
beginnend: Aaron Mons fortitudinis. Abrä Pat excelfus —
schliefknd mit Zorobabel. ipfe magifter de babilone; vgl. CGL.
n p. xi.iv {cod. Cantabrigiensis); — m. bl. 41'' ( — 53'') Incipiuiit
glosse grecorum verborum {anfang: Ablida. lucida), das
glossar welches im Corpus Glossariorum Latinorum {CGL.) in
487 — 506 aus dem cod. Bern. 688 saec. xm abgedruckt ist: —
IV. bl. 53'' ( — 132'') lucipiunt glosse latinorum nominum
{anfang: Abactus abactu remotus), offenbar dasselbe glossar
welches auch in dem Bernensis QS8 unmittelbar auf ui folgt, vgl.
CGL. ni j). XXIX, wo noch andere Codices nachgewiesen sind,
darunter der Cantabrigiensis, der auch ii enthält.
Dieser hauptinhalt der handschrift birgt gewis nichts was
nicht auch anderwärts überliefert wäre, dürfte aber schon durch
sein alter für die herausgeber des CGL. von interesse sein, von
gröster bedeutung aber sind die eint ragungen, mit icelchen
' diei^er dcctienui;/ Keuffer^ stimm ich unbedenklich su, nach-
dem auch W Meyer dasselbe urteil gefällt hat; Roth war geneigt die
hs. höher hiriaufsurücken.
170 ROTH UND SCHRÖDER
tcenig jüngere hände, die aber ganz geivis auch nocli dem \0 jh.
angehören \ die unfern r ein der des codex bis bl. 64* bedeckt
haben, es handelt sich um eine niedicinische com^yHation, die
dem Schreiber, n-ie ich vermute, in einer handschrift vorlag, dort
aber aus verschiedenen quellen, die uns zum teil anderweitig be-
kannt sind, zusammengetragen tcar: krank heitsnamen, diätetische
Vorschriften, recepte mit eingestreuten deutsch en zauber-
S2)rüchen christlicher einkleidung, kräuterlisten (u'ider mit ein-
zelnen krankheitsnamenund körpert eilen) mit deutsch en glossen
ustv. die gröfseren abschnitte haben meist und die einzelnen
recepte vielfach Überschriften, die bald in majuskeln (unten Ver-
salien), bald in rtdrritm (unten fetterere typien) gegeben sind'^, z. tl
aber sich garnicht besonders abheben, mit bewahrung dieser in-
consequenz haben die drei (?) copisten, die sich hier ablösten,
offenbar die vorläge wid ergegeben, icelche ihrerseits ivol all-
mählich zustande gekommen irar.
Den nicht nur cidturgeschichtlich, sondern auch sprachlich
wichtigen altdeutschen Inhalt der handschrift hat F. W. E.Roth
zuerst erkannt und mir in einer sehr sorgfältigen abschrift zur
Verfügung gestellt, zu der ich nur tcenig nachzutragen fand,
nachdem mir die direction der Stadtbibliothek den codex, der fortan
eines ihrer wertvollsten besitztiimer bilden wird, nach Göttingen
gesant hatte, bin ich bemüht gewesen, Roths abschrift in der ireise
zu ergänzen, dass auch die Umgebung, in der sich die deutsch-
sprachlichen stücke finden, den Usern ersichtlich wird, ich bin
aber nicht der meinung, diese marginalien ganz ausgeschöpft zu
haben, wenn sich einmal unter den germanisten der midige arbeiter
findet, der das gewaltige material der medicinischen Überlieferung
des frühen mittelalters sichtet, dann wird er unsere beschreibung
nur als eine abschlagszahlung hinnehmen dürfen.
[Zusatz, erst bei der correctur entdeckte ich, dass auch
in den eintragungen der obern r an d er deidsche glossen stecken:
ich tverde sie hinten (s. 180 ff) nachtragen. E. S.]
Zunächst bl. 1 — *:)% anfangs schwer leserlich, ein Verzeichnis
griechischer krankheitsn amen mit erklärung, ans dem ich
hier ein paar proben gebe: Apostoma-^ coUectioiie nome/? accepit.
• auch darin stlmmX mir W Meyer bei. - der .•sperrdriul.
der deutuvhen Wörter und ab.«-hnitte ist natürlich nur für die ausi/ahe
angeordnet. ^ di. apostema.
ALTHOCHDEUTSCHES AUS TRIER 171
Nam collectiones greci apostoma uocant. — Epaticus morbus e
iecoris passione iiomc» accepit. greci -H-epaton iecur iiocaut. —
Lyenosis a splene uocabulu)» su»/pfit. greci euim spien lien uocant.
— sodann heginnen hl. 9" (llätefische mafsrajeln, reccjjte,
segen und zaiiherformeln, mit iihcrschriften in ruJmim,
majuskeln oder gewölmlicher sckrift eingeleitet, zunächst hl. 9'' /f.
Ilec oft cei-ti(Tiiiia salus corporis — A«l capitis purffalioiioiii A<l
lacriiiioTos oculos — Ad raucitudiiiem — Itcin — Ad deiitiuiii
dolorem. — hl. 12" ISTI iii DIES PERICVLOSSIMI SL-ATIN ANNO.
— 6/. 1 2 '• AD VEEMES TOLLENDOS CAUUEN. {zauherworte und
kreuze dazicischen). — />/. 13"'' AD TORTIONES VENTRIS —
AD PVLICES — AD NARES STAGNANDAS. Pone manum super Caput
et die. Vnde venis tu iordane sanguis et aqua. Pe/iuro te iu
nomine dei patris et tilii et Ipiritus kmcti, ut redeas et ultra now
exeas de naribws istlus hominis trihus uicib?<.v. — hl. 14'' AD APES
CONFIRMANDAS. Vos estis ancille dei. uos facitis . . . (leider
weggeschnitteii). — hl. 15'"' GARGARISSLMV3/ ' AD FLECMA P7?0-
ICIENDA. — hl. 16' AD LYBRICOS TOLLENDO-S. — Potio ad pa-
ralysin. — hl. IG'' Ad ueutris dolore///. — Ad calculu/zt in uesica.
— hl. 17' Ad morsum serpentis. — hl. 17''. 18' Si quis pc/'cussus
fuerit de sagitta. — Ut capilli non canescant. — Ad sanguincm
de naribus sistendu///. — hl. IS''. IQ' Ad difficultate/// pariendi res
p/obatissima. Elisabet peperit prccursore/// Sancts. Maria genuit
saluatore///. Adiuro te per chri/'tum ut sine tu es puer siue puella.
exeas foras q//ia saluator te uoeat. Omnes sancti dd intercedant
-p/o ista femina. Item in alia me///bi'anula scribat et swper pect//.s
eins ponat. Lazare ueni foras. — hl. 1 9'' Ad Candida?// facie///
agenda///. Eadice/;/ lubestici bullies in aqua rf inde facie/// laua.
\A\ Ad catarrum die. Cr ist uuarth giuund tho uuarth he
helgi'^ ok gifund. that bluod forftuond^ fo duo thu
bluod. amen ter. Pate/- nofter ter. — hl. 20' Qne///cu///que
fpina uel stips punxerit et in manu ue\ pede manserit. Sumat radice/«
polipodii ac cnm axungia terat ueteri. et altera parte raan»* seu
pedis econtra mittat, et mox pe/' uulnus regreditur sine dubio.
— hl. 21" weitere recepte. — hl. 21 '' — 24" De iuquisitione fleoto-
mie. Inq^isitiones uenaru/// s/n/t multe etc.
Nun folgen hl. 24'' — 27 ''?<//(/, nach einer ahermal igen unter-
' (/i. gargaiisiiia ''lurfieliffcis.-^er. - rersrhiieben. ^ /• forl'tuod
(: bluod).
172 ROTH UND SCHRÖDER
hrechiing durch recepte, hl. 34" — 36'' zivei listen officineller kräuter
mit vielen deutschen glossen. wir geben alles deutsch glossierte
und ivas für den Zusammenhang ivichtig scheint, und deuten die
auslassiingen durch puncte an. die deutschen und anscheinend
angedeutschten Wörter sind gesperrt gesetzt und numeriert, um
sie citieren zu können, die wenigen anmerkungen sollen nur den
zweck haben, hemmungen zu beseitigen, iveJche beim aufschlagen
der bekannten, für das Verständnis lateinischer [und griechischer)
pfianzennamen usw. unentbehrlichen hilfsmittel entsteht könnten:
neben Ähd.gll.m, Pritzel-Jessen Pflanzennamen undvFischer-Benzon
Altdeutsche gartenflora kommt jetzt vor allem in betracht Goetz
TJiesaurus glossarum emendatarum in CGL. vol. vi. vn.
bl. 24" NO-MIXA OLEßVJ/. Ypericum. hardenhoi (1).
Plantago. Wegebreida ("2). Tanaceta. Reniuano (3).
Febrifugium. materna (4). Abrotamux. afreta (r>). Sature-
gia 1 serpillum. Connela (6). Alteia, iuifca (7). Seneciou.
Rotlacha (8). [bl. 25'] Millefoliiu». garauua (9). Poten-
tilla. grell fing (10). Acero. gundraua (11). Balsamita.
Silumbra (12). Origanum. thofto (13). Cerafolium 1 sar-
minia. kieruila (14). Marubium. andor (15). Rafanu»t.
meredich (16). Celidonia. Sceluurz (17). [6^.25'] Arte-
misia. biuoz (18). LupiniDH. ficbona (19). Lacteridia.
ipriucuurz (20). Cocouidiuj». zuilinberi (21). Gentiana.
heraera(22). Colocasia. wildiminza (23). Coniua. haiiup
(24). Peftinaca. Morha (25). Lapatium. latucha (26).
Cicuta. coniza 1 kanna. Scierlinc (27). Tiibura. erthnuz
(28). Fungnsi. luam (29). Kalcatrippa. karda (30).
[?>' 26] Bladonia. uuillina (31). Acitula. amphara (32).
lusqiiiamui». bilina'^ (33). Musica. basilisca. Yulgago 1 asero.
haialuurz (34). Xepeta. liminca (35). Elleboru)» albuw.
optarmiciDU. hnioluurt (36). Ellebonuu uigru>». fiteruurz
(37). Dipta»ipnum. uuizuurz (38). Elua. Alant (39).
[fcZ. 26''] Sanguinaria. umbitreida (40). Ebuliu». aduk (41).
Filix. fan (42). Polpodiiuu. ftenfarn (^3). Septeneruia.
Arnoglossa. Wegirihc (44). Lupesticum. lubbiCtechcho (45).
Maratru»i. feiiiculuiu. fenucal (46). Rumicedo^ branlof (47).
' aus Flangus corrigiert. ^ l. bilisa. ^ Alid. ;ill. Ill 438, 17
Rumicedo bramlob und Steinmeyers anmerlainn.
ALTHOCHDEUTSCHES AUS TRIER 173
Acalissa. Urtica maior. Arciotidas. bacas iuuiperi. Moi-a.
dufberi (48). Bolbu/u .i. radix l caput. [hl. 27'] Ancura
1 solseqz/ia. hringilla (49). Acorus, fuuerdnla (50). Maura.
trol'uurz (51 j. Alosautcr \ absinthiu»/. uuermoda (52). Italioa.
luioluualTepa (53). Didimo. auricula leporis. Hulserida'.
uuahfhollendar (54). Verruca, uuarta (55). Stantin?<&.
Groztharm (56). [bl. 27''J symphoniaca. bilina- (57),
Sifter. Meu. Raphanu/u. uuildecreCfo 1 uuilderadich (59).
Ang-ina. Keleluth (60). NOCOC i. lang-uor. Bralfica. roma-
uus caulis. Lelisfagus. feluia"* (61). Bricius. t'ragilis. Malag-ma.
eraplastruw. Timbra. i. latureia. [bl. 28*] Scirosis i. duricia.
Clister i. potio subterior. Suabalum. l'terc^s durum. Ad
Caput purganduwi 1 uoce>» exclaranda»« liue glandulas reprime»-
das folgen recepte bis bl. 29'' unten.
hl. 3n' HE INI'ENTIONES ATQUE PRECEPTA HYPOCEA-
TIS MEDICE H3'pocras ad precauendas imbecillitates ita
dicit. Itaq?^' exordiu»< iucipiam^^s a solsticio ab \ui kh ianuarii,
ex qua die humor corporib^^^v crescit . . . reicht bis bl.Si' — hl. 34"
. . . NOM/TA HERBAKV3/. Unctolenta dicitur herba cito sa-
nans uulnera. Aspaltu/H i. bitume». Acantu»i i'eme« urtice.
Agallis i. loliu»t 1 zizania. Agaric«.s' i. fuug»« albus \ spongi-
ola. Brasicia. uuirz (62). [f. 34''] Alumen. calTalder \
Icilt Ctein (63). Pastillus. cuochilo (64). Polipodiura. hane-
foz (65j. Glicon2<.5 .i. Pulegium. Glaucia .i. celidonia. Gleu-
con .i. mustu>u. Melilotuju. fenogrecuwi agreste. Ozimu»; .i.
herba basilisca. Pegauu»i .i. ruta. SarcocoUa ' agrimouia.
Galatida i. telimula. Vrtica greganica. heidarnezela (66 1.
Psylatrum. lleipha (67). [hl. 35 'J timus. feltconila (68'.
Epithim?<s i. flos thimi. Michones .i. papanera. Glauca .i. uiola.
Omoptoi«6' ■'• qui sauguinem spuit. Agacia " .i. sncus rose sil-
uestris. Iris iliricws .i. uuatuurz (69). Sanguinaria. Ipuri-
gras (70). Diogredium^ Sca;umonia. Sprintilla. hnieluurtz
(71). Coli passio. ilium dolor. Strugn^s ^ .i. nua lupina.
[/'/. 35'"] Scotomatici .i. qwi uertigine paciuntur. Apostoma ".
' .f Ahd. ßU.ul 520,28 Husorida wachalter, 521,-11 Vberida lief-
wurtz and Steinmeyers anmerkunf/ ;u 505, 16 Nulserida balisicr.
2 /. bilifa. 3 oder feliua? "* au.< Salcocolla roi-r/'/icrt. ■' 1. Eniop-
toius di. haemoptoicus. ^ di. Acacia. ' di. diaffridiuiu n'^ia-^^v^ior
— SuxovSior). ** arovyvui. '^ l. Aposteiua.
174 ROTH UND SCHRÖDER
collectio puris(!j. Sagapiniuu. genus resine. Myrra stacten .i.
myrra in lexiua lauata et inde renouata. qu/a stacten iicitur
cerus de foco. Stactis aute/u ilcifur gutta de mirra. Ideoqwe
differt inter stacten et stactis. Agra .i. canabis. lianuf (72).
BdelliuJ/i .i. folliculus qui in foliis ulmi nascitnr et intro iacef
similis myrre perlucidum. Vinum stipticu»i .i. rubeu»«. [hl. 36']
Actix 1. h oll ander (73). Meactix"'^. athuc (74). Animonis. rosa
agrestis. Ampellus. uitis alba. Bratens, lauina \ Lexiua .i.
longa (75). Politricon .i. coriandrum. Rartilia .i. turuell(a).
Calame«tis. .i. nepeta. Tellis '^ .1'. fenogrecum. Conidion agrion.
papauer agrestis. Brionia .i. Cucurbita siluatica. Brittannica. beta
agrestis. Brasion .i. marubium. [1)1. 36''] Concordia 1 raaior raercu-
rialis .i. heimuurz t cvouurz (76). Bletus pastenaca. Cissus
liedera. Cromion'' agrion .i. cepa canina. Centauria. erth-
galla" (77). daran schliefst sich unmittelbar (auf hl. 36''
unten) das hei iveitem wichtigste stück der handschrift, das ich
hier unter beihehalfting aller ahkürzungen und Schreibfehler gebe.
[B\ INCANTACIO CONTRA EQVORV EGRITYDIXE QA^\ NOS DICDI'
SPVRIALZ.
Quam krilt endi Ice Itpelian zi ther^ bürg, zi la-
n _ h
lonlu . thar uuarth [hl. 37'| Ict* Ttephanel' rol" entphan-
gan. So so krilt gibuozta themo Ice Itephaü | hrofl'e
thaz entphangana. lo gibuozi ihc it mid kriltes ful-
lel'ti thelTemo hronj Paternr. üuala krilt thu ge-
uuertho gibuozian thuruch thina ginatha ^" [/>/. 37''| the-
Temo hrol'fe thaz antphangana. atba tliaz l'purialza.
lofe thu themo I fce Ttphanel' rolle gibuoztol' zithero
bürg faloniu". am.
In derselben zeile \bl. 37" rinten\ geht es dann mit andrer
hand wider mit lateinischen recepten iveiter: Accipe cerebrum
usic. — es kommt nun überhaupt nichts deutsches mehr, aus dem
folgenden heb ich nur noch heraus [hl. 41'']: AD ÜERMEM QVI
DICITC/E TALPA TOLLENDUM. Si quls homo uel equus uei aliud
* unbekannt. - L meatrix. •' icef/en des fehlenden umJauts
icol noch als lateinisch anzusehen. * h ausradiert. * rij/.fi.
•^ y.QÖfiuvor. ' r nachnetragen. ^ so! ° es kann allenfalls
noch ein buchstabe dagestanden haben; am seilenschluss hat der
Schreiber das wort anscheinend abgebrochen. ^° oder gnatha.?
\
ALTHOCHDEUTSCHES AUS TRIER 175
peciis habt'^ illui/i uermey;< qui dicit«;- talpa. accipe iWnm ac conuerte
in orientale/M plag-a^u. in decrescente luna. | hl. 42 "| tun/»que dextnim
pedem pone super illius dextruw pede»t. et die in eins aureni sub-
scriptajH sententiam cum dommica oratione, et pnst semel dictuMi.
gira ewn pe>- dextram parte»*, ac die iterum sicut prius feceras.
[hl 42''] iteruwque gira. sicq?<e facias tercia uice usn\ usn:
Auf hl. 44* beginnt dann eine abschrift des iveitverbreiteten
bächleins von den kräften der betonica, dem iihnlich wie
in der hs. der Prager Universitätsbibliothek vii G. 25 (13./Ä.)
die plantagorecepte angefügt sind (s. Ahd. Gll. iv 606, 12/f).
beginn: Prfcatio retoiiice Iierbe. Herba betonica que prima
inuenta e.v ab esculapio his precib«.« adesto. Feto magna her-
baruwi dowiina per liunc qui te creavit. ut cum xl** vii tuis uir-
tutib?/.9 ades.se [hl. 44 "] uelis. Legis eas ante solis ortu^j. Jlense
?ii\gusto cum radicib?<.s ac foliis. Prima cum eius ad capitis frac-
turawi. es folgen nun mit roten Überschriften die (47 ?j betonica-
recepte, anfangs {bis xxxiu, aber nicht genau) numeriert — bis
hl. 59'' unten, hier schliefsen sich recepte zur verioertung von
Plantago sine arnoglossa an, beginnend mit Prima cura eii*.«
ad capitis dolorem: ich zähle 23, den schluss bildet bl. 64'
die üherschrift Ad morsum caiiis rabiosi, mit der dieser text ab-
bricht und die beschreihung des untern randes üherhaiqyt aiifhört.
die eintragungen gleichen schrifttyps aber andern inhalts auf dem
obern rande der blätter reichen noch von bl. 64'^ bis bl. 76'.
irgend etwas deutsches enthalten sie nicht mehr.
Ich füge nun einige bemerkungen zu den deutschsprachlichen
bestandteilen der hs. hinzu, wobei ich bemerke, dass mit A der
gereimte, mit B der ungereimte Zauberspruch gemeint ist und von
den glossen nrr 1 — 61 zu den 'Nomina Olerum' (NO), nrr 62
his 77 zu den 'Nomina Herbarum' (NH) gehören.
Herr Roth hatte richtig erkannt, dass die deutschen bestand-
teile sehr viel älter seien, als die handschrift nach Keuffers
(zweifellos richtiger) datierung. es genügt vollständig, hier auf
die erhaltung des anlautenden h vor n und r hinzmveisen (hl
und hw kommen nicht vor): NO hnioluurt ' (36). hringilla (49);
' die beiden bele'je für 'nieswur;' .<ind, soriel ich sehe, die ersten
icestgenn. seunen für den h-ardaut des cerbum-^ 'niesen , der /«
freilich auch durch an. hnjösa gesichert war.
176 ROTH UND SCHRÖDER
XH hniel'uurtz (71); dazu in B ror\ lirolTe, hro-, hrolTe, rolle;
diese erscheinung weist unbedingt auf das erste viertel des 9 Jh.s
als spätestes datuni der vorläge hin, denn schon der Tatian kennt
das h nicht mehr (s. zuletzt Franck AUfränk. gramm. s. 139).
die festigkeit des lautes, der noch in der ahschrift überall be-
wahrt ist, dürfte vielleicht gar die datierung 'um 800' empfehlen,
ich habe dafür freilich nur noch zivei vereinzelte anhaltspuncte:
einmal das einmalige antphangana neben zweimaligem entphan-
gan(a) B, und dann ebenfalls in B den merkwürdig altertümlichen,
bisher fränkisch und für das 9jh. nicht mehr bezeugten Inf sie.
V. I cl. gibuozian, über dessen lesung kein zweifei besteht, diesen
gesicherten altertümlichkeiten der vorläge gegenüber kommt alles
was auf eine jüngere sjprachperiode hinweist, auf das conto des
abschreibers, dessen zeit vielleicht 150 Jahre später fällt.
JJyiter den vier deutschen partieen sind die 'Nomina Olermn'
alte bekannte: unsere hs. stellt nämlich nur eine ältere schtvester
dar zu den drei hss., aus welchen Steinmeyer ni 5 1 2 /f die
pflanzennamen unter nr mxv ediert hat: a) =^ clm. 14584
{s. xiv), b) = cod. SGalli 292 ^;. 196 (s. x) und c) == cod.
Bonn. 218 /'. 84''i (i. xi). in dem SGaller codex führt die liste
auch die gleiche Überschrift 'Nomina holerum', und die beiden
hss. bc bewahren {s. 513,57 la) im lateinischen lemma denselben
fehler Flangus, den die Bonner dann ganz wie die unsrige in
Fungus gebessert hat! auch sonst stehn bc der Trierer hs. recht
nahe {man vgl. z. b. nr 21 mit 513,41), b tcol noch näher als
c {vgl. die anmm. zu 513,24. 53 tisiv.), nur dass es früher
abbricht und auch c nicht bis zum ende reicht, aber niemals
würde ich auf griind der drei bisher vorliegenden hss. darauf
verfallen sein, das urglossar bis in den anfang des 9 jh.s hin-
aufzurücken, tvie es jetzt schon für die directe vorläge von Trier
feststeht, und dabei hat diese vorläge schon merkwürdige Schick-
sale hinter sich : ihr e Vorstufe ist nämlich durch die hände eines
niederdeutschen Schreibers gegangen, der 1) einige ausgesprochen
niederdeutsche lautgebungen in gemeinsamen glossen verschuldet :
so hanup (24), aduk (41), Itenfarn (43), fenucal (46), (uaoluualj
fepa (53), uuarta (55); 2) in Zusätzen, d. i. in glossen welche
' über dies z-eicheii \ das in. B uucli noch in. der überi^chrift
SPUEIALZ, in NH 74 :!ur einsrhaltung eines h ui atuc rencendet t.^t,
cf/l. W'attenbach Latein, /jaläographie^ s. 51
ALTHOCHDEUTSCHES AUS TRIER 177
ahc fehlen, ausgesprochen niederdeutsche formen bietet: so afreta'
(5), 100 nur b übergeschrieben eine (abweichende!) glosse {zu abro-
tdknnm) bringt: stabeuurz; und an folgenden stellen ivo die andern
hss. weder lemmn noch glosse bieten: hnioCuurt'' (36), branlof
(47), dufberi (48), imermoda (52).
Die glosscn XO sind aber auch die einzige deutsche partie,
welche niederdeutsche elemente aufweist, und es geht darum nicht
an, das altertümliche h- vor cons. aus dem niederdeutschen zu
erklären und so die vorläge etwa um ein oder zicei menschen-
alter herabzudrücken, denn zb. hr- ist ja auch in hringilla (49),
einer alten glosse {vgl. 514,34), gesichert und kehrt in den hros
von B mehrfach wider, und der glosse Elleborum album. optar-
micum. hniofuurt (36) von NO steht die davon gänzlich unab-
hängige glosse Sprintilla. hnieliiurtz (71) in NH gegenüber, —
Für die glossen KH, welche die lautverschiebung in allen
fällen vollzogen zeigen und in denen nichts aus dem oberfrän-
kischen gebiet hinausiceist, hab ich irgend ein näheres verwantschafts-
Verhältnis nicht ermittelt und verzichte darauf, für die bekannten
unter den glossen nachweise zu geben, das hohe alter auch dieser
kleinen gruppe icird insbesondere durch cuochilo (64) erwiesen:
bekanntlich sind derartige geschlechtliche deminutivbildungen nur
bis in den an fang des 9 jh.s nachweisbar (s. Wilmnnns DGr. ii
27U), spjäter tritt überall das neutrale -lin ein: so auch Ahd. Gll.
lu 253, 18 Pastillus cuochelin.
Die beiden Zaubersprüche zeigen mittelfränkische laut-
gebung: es ist sehr wol möglich, dass sie in der vorläge unserer
hs. zum ersten male zur niederschrift gelangten. aus den
mangeln der aufzeichnung gewinn ich entschieden den eindruck,
dass schon der alte Schreiber, der den z. tl doch recht schwierigen
glossen gegenüber sich leidlich sattelfest zeigt, hier vor einer andern
aufgäbe stand: er schaltete diese stücke eben aus dem köpfe ein.
für ein paar tveitere fehler darf man auch den Schreiber unserer
Trierer handsclirift selbst v er antrv ortlich machen, von den beiden
stücken, die man ivol künftig als erste n und zweiten Tr iere r
Zauberspruch bezeichnen wird, geb ich A noch einmal mit
abgesetzten reimzeilen und mit den kleinen schon olien ange-
deuteten Verbesserungen.
' hochdeutsch ist ebereiza uä. bezeuQt, :-. h. 521, 23. 523, 16.
533, 10. 547, 5. ^ ^f,,. einzige heispiel für -uurt neben ßinalinen -iiurz
Z. F. D. A. LIT. N. F. XL. 12
178 ROTH UND SCHRÖDER
Ad catarrum die:
Crist uuarth giuuud.
tho uuarth he hei ok gisund,
that bluod forstuod:
so duo tliu bluod!
Amen ter. ' Pater nolter ter.
Die la. helgi {oder hei gi) erklär ich mir aus einem irrigen
vorausnehmen des gi von gilund; den reim forstuod : bluod hat
u'ol erst der zweite Schreiber durch einfügung seiner hochdeutschen
form getrübt; die nasallose form kommt im 9 jh. noch allen frän-
kischen dialekten zu, vgl. Franck s. 238. bemerkenswert ist das
constante uo, ivo ivir in beiden glossengruppen u. zio. in ver-
schobenen ivörtern festes o finden: NO biuoz (18), trol'uurz (51).
XH hanefoz (65), denen kein uo gegenübersteht : aber anderseits
hei für heil, ok für ouch. die Glieder deutsche {niederfränkische)
herkunft des Spruches muss jedesfalls als möglich gelten, dem
niederfränkischen würde dann auch das später besonders bei
hessischen autoren belegte adj. giuund zuzuschreiben sein.
Da catarrus auch im ma. nichts anderes bedeutet, als tvas
wir heute unter 'katarrh' verstehn, nämlich 'reumaticus humor
in pectore' {CGL. in 598, 41), 'tussis humida' (ib. 599, 16), so
ergibt sich, dass der segen oder Zauberspruch, icas bei derartigen
aufzeichnungen bekanntlich nicht selten ist. eine ungenaue Überschrift
trägt: es handelt sich um ein mittel gegen blutfluss irgend welcher
art, am ehesten wol bluthusten oder 'blutsturz'.
Von irgend einer Verwundung des Heilands bei lebzeiten^),
bei der das blut zum stehn gebracht sei, weifs iveder die Bibel
noch die litterarische legende etivas; wir blicken hier hhiein in
eine merkunlrdige anschauungssfhäre, wie wir sie wol eher der
niedern religion ganz junger Zeiten zugetraut hätten — und dabei
stehn tvir eben erst am ausgang der missionsperiode !
Der Spruch selbst enthält sprachlich nichts ivas über die
zeit unserer handschrift hinausdeutete, aber er steckt fest drin
in einem handschriftlichen complex, den wir der zeit um 800 zu-
' über die rolle von Christi todeswunden in den russischen sauber-
sprüchen handelt jetst anziehend VJMansikka Über russische sauber-
formeln mit berücksichtir/iing der blut- oder verrenkungssegen (diss.
Helsingfors 1909; .«'. 260 flf.
ALTHOCHDEUTSCHES AUS TRIER 179
schreiben musten. wird dies nicht bestritten, dann haben 7vir in
ihm das früheste document für den deutschen reim: für
den reim in vulgärer dichtung!
Der ziveite Trierer Zauberspruch [B) ist in prosa über-
liefert, und keine spur von reim oder allitteration weist darauf
hin, dass er Jemals wesentlich anders ausgesehen habe, schon das
ist bemerkenswert: für die frühe zeit um 800, der wir die vorläge
unserer hs., vielleicht die erste niederschrift zuzuschreiben haben.
Nun aber der inhalt! Christus kam einst mit dem heiligen
Stephan^ nach der stadt Salonium'^. (beide waren beritten.) dort'^
zog sich SStephans ross eine entzündtmg (im fufsgelenk) zu*.
(Christus heilte diese krankheit.) so wie Christus dem rosse des hl.
Stephan die ent Zündung vertrieb, so möge Jesus es mit Christi
hilfe diesem rosse gutmachen, nun folgt das paternoster, dann
eine nochmalige anrufung, in der neben thaz antphang-ana
als ein zweites mögliches pferdeleiden thaz spuri(h)alza gestellt
wird, und zum Schlüsse 'A men' !
Was unr oben bei dem ersten Spruche bemerkten, trifft bei
dem zweiten in erhöhtem mafse zu: wäre er irgendwo im hinter-
land unter einfältigen bauern im 19 jh. aufgezeichnet — oder
meinetivegen aucli schon in dem protokoll einer kirchenvisitation
des secfizehnten^ , so 7vilrden wir ihn Jiinnehmen, als einen späten
entarteten sprössling des zweiten Merseburger Zauberspruches,
wie ähnlich so viele ans licht getreten seien, aber nicht nur dass unsere
Trierer handschrift selbst reichlich so alt ist wie die Merseburger
— ihre schriftliclie vorläge liaben tcir oben mit grofser bestimmt-
heit bis um 800 hinaufgerückt ! wir besitzen also, da die hand-
schrift selbst getrost mit der vorläge identificiert werden darf^
nunmehr einen 'christlicfien Zauberspruch' in litter arischer auf-
* dem protomartyr, der erst Acta ap. c 6 auftritt. '^ der
name dieser unbiblischen Stadt klingt gelehrt: ein Salonia lau
in Bithynien, ein anderes in Illyrien. ^ man erwartet: auf
dem icege dorthin, aber e« steht quam . . zi Salonium. thar . . .
'* ich vermag dies uuarth entphangan, dem nachher die ureimalifie he-
seichnung des leidens als thaz ent-, antphangana entspricht, corläuflg
nicht anders ^r< übersetzen; die analogieen int DWB. iii 422 i«. c.
empfangen, empfengen liegen freilich eticas weit ab; Cf/l. noch HöfJer
Krankheitsnamenbuch s. 117. '- also die rerren/.unfjsformel, die
mit diesem epischen eingang untrennbar verknüpft schien, hier fehlt ."ie!
* nicht alhuweit von der mutmafslichen heimat der Trierer cersion (in
der !j raf Schaft Sponheim) ist Iblb die fassum/ Zs. 21, 211 aufnezeichnet.
12*
180 ROTH UND SCHRÖDER
Zeichnung, der äUer ist als alle heidnischen stücke unserer Über-
lieferung^ und der sich inhaltlich mit dem unstreitig nichtigsten
dieser heidnischen deckt, zum mindesten das zeitliche neheneinander
heidnischer und christlicher Zaubersprüche des gleichen typus
ist erwiesen, die Sphäre in der dieser Spruch entstanden ist
lernten wir schon beim ersten kennen : es gab in sehr früher
zeit eine populäre Überlieferung oder fortbildung der heiligen
geschichte, die den erlöser in allerlei der Bibel und auch den
apokryphen unbekannte Situationen hineinführte ; gelehrte remi-
niscenzen und die vorstellungsweise des volkes, bibelschrvache
cleriker und phantasievolle laien wilrkten dabei zusammen
- und schliefslich konnte es wol gar dazu kommen, dass der
heiland in zicei persönlichkeiten gespalten wurde, dass Jesus
angerufen ward, 'mit Kril'tes fulleJ'ti' ein krankes pferd zu curieren.
Ob das geschichtchen von der heilung des kranken p)ferdefufses
zuerst von Wodan und Balder oder von Christus und SStephan
erzählt worden ist? ob man früher den heidengott oder den
menschgewordenen gott der Christen in solcher form angeru,' ifh c.i?
vor einigen jähren hätte man diese frage für überflüssig, reo nicht
für töricht gehalten — hat es doch ernsthafte gelehrte gegeben,
die den Vorgang welchen der ziveite Mersebiirger Zauberspruch
erzählt, für einen 'mythus' hielten! ich habe darin nie etwas
anderes als eine 'götteranekdote' erblicken können, und ich gesteh,
dass ich mich jetzt der auffassung KKrohns zuzuneigen beginne,
wonach alle heidnischen Zaubersprüche des europäischen nordens
erst Umformungen frühchristlicher Vorbilder oder Substrate sind,
die discussion über diese rvichtige frage, zu der neuerdings
die arbeiten von Krohns Schülern Brummer und Mansikka höchst
wertvolles material beigesteuert haben, hat in Deutschland kaum
erst begonrien. jetzt wo die Trierer Zaubersprüche vorliegen
darf sie nicht länger aufgeschoben werden.
Göttingen. E. S.
NACHTRAG. An den oberen rändern finden sich von
bl. 2' an eintragungen: grofsenteils von derselben hand welche
die meisten abschnitte unten geschrieben hat. der umstand dass
zufällig diese deutschen elemente etiva da ihr ende erreichen, wo
die auf dem untern rande aufzutauchen beginnm, hatte sie an-
fangs unserer aufmerksamkeit entzogen, ich bin auch jetzt in
ALTHOCHDEUTSCHES AUS TRIER 181
der eile nicht in der läge, die z. tl schwer lesbaren, weil stark
verblassten glossen {nur um solche handelt sichs) volhtiindig zu
entziffern, und muss die volle ausbeute andern überlassen, der
anfang ist völlig erloschen; es sind zunächst griechAatein. glossen,
aus denen ich das erste lesbare heraushebe: Pastoforia cellule
circuitus templi. Poliandrum. multorum mortuorum sepnlcrum usw.
bl. 2" GENERA NUMERORLW IN SENSIBT-S' SECVNDV3f
AVGVSTINVil/ etc. etc. — bl. 4» fischnamen : Mulliuii .i.
fturio. Esox. .?. falmo. Mugil .i ? . .Squilla .i. forna. Allebros
.i. gubio. inde e.s'^. Ne queras mullu»i cwn sit . . . unleserlich.
Ypodemata .i. calceamenta. Chiroteca .i. digitales. Crotta .i. liar-
pha. Ceuto .i. opertorium tiltri. Trige .i. feces uini 1 inipedimenta
equorum. Supparum. curtebaldum'. Aspidopia .i. pictura scuti.
[bl. 4''] Agatos. bonus usw.
bl. 5 '' Rubisca genus auicule que rubicunda eft sub pectore.
Figulina. ars tiguli. Anabolarium .i. amictum. Hec suut uudecira
nomiua que faciunt accusatiuum casum in im usw. — abermals
lateinische und griechisch-lateinische glossen, — bl. 6'' beginnt
dann ein kurzes alphabetisches glossar, das sotvol im latein
wie in den anfangs spärlich, nachher zahlreicher auftretenden
deutschen Wörtern mancherlei bemerkensioertes aufweist \ ich no-
tiere als mehr oder weniger sichere lesungen: [bl. 1 ''] Aucipula
fugelclouo. Ära . . . porcorum . inde areola . Itiga. . . . Amites
.i. rethueres. Andeda .i. Brantreide. [6/. 7"] Aurifodina. Golt-
grüua. Arpago. Cruuil . . . . Acinmu. hintbere. Ascia. lul-
acvs. Artem(o?2). legal. Allabrox (?). ursus. Bouellum. faled.
Bailena, huual. Bibliopola etc. Bruncus etc. Berna. higara.
Bumaste. genus uue. Bucularius. osnere. [bl. 8'J Categita .i.
magistra etc. Calmetum. mefc. Citropoda. CroV . . . . i. Iura.
Coclea. uuindell'tein. Camillum efc. Cincindula. uuacco.
Caricius. quecbom. Calciculum. cuokar. Carpella. Tadel böge
Crater. bulla. Carceria. summitas mali. Carpepo. grunzun_
Compluuia. drupia. Cranie(?). cruowil. Cauteriola. cantere
Deliquium etc. Degenies etc. Delenificus e/c. [/v/. S''] Eudemos.
nobiles. Epitome. breuiarium etc. etc. Galmum. molken, far.
amer. Sigalus. rocke (?) e^r. Manula (V). hantfane. Gabalum.
galge. ... Lucanica. Mara. Ludaris. ftir. Lodix. Lode. [/^/. 9"]
' di. kurzebolt.
182 ROTH U. SCHRÖDER, AHD. AUS TRIER
zunächst unleserUch. filcina. kesekorf. Catapulta. Sper. Semi-
l'pata. rec.V. Panica. bekker. Gigarte ' .i. trapen. Mulio .i.
i'tuodere. Poledrus. fola. Glis gliris. ratta. Glis glitis
Clette. Glis glissis. Gleba. Goftrux (?), bina iiuiso. Ci-
cendula. cleno. Caradrio. leuuerca. Fringilla. i. vvinco.
Loaticus et merops. GroenCpecht. Merula. amfla. [hl 9']
.... Turdella. TroTla. uuefpa (?) damit scheinen diese
deutschen ylossen zu schliefsen. trotz manchen jungen formen be-
steht kein zweifei darüber, dass auch sie aus einer hs. des zei-
tigen 9 jh.s abgeschrieben sind: dafür genügt schon ein tcort
wie huual ('balaena'). neben einigen unzweifelhaft angelsäch-
sischen Wörtern finden sich auch in der Zusammensetzung des ganzen
und im latein allerlei anzeichen, welche auf insularen Ursprung
oder doch Zusammenhang himveisen. E. S.
STUDIEN ZU DEN ÄLTEREN DEUTSCHEN
GRAMMATIKERN^
3.
ZU SEBASTIAN HELBERS SYLLABIEEBÜCHLEIN.
Sebastian Helber würkte, soviel man weifs, auf alemannischem
gebiet als sclmlmeister: zuerst in Altdorf in Schwaben, dann in
Freiburg im Breisgau; vgl. Roethes einleitung zu seiner ausgäbe
des Syllabierbüchleins s. vi. ist er aber auch von geburt ein
Alemanne? ich habe gründe diese frage zu verneinen, und
wenn ich meine argumente auch nicht für unbedingt beweisend
halte, so scheinen sie mir doch stark genug, um ihre Veröffent-
lichung zu rechtfertigen.
S. 15, 19 — 21 der ausgäbe von Roethe bemerkt Helber,
dass Wörter Avie hoblen, übles, fiebrische, übrige 'ein lindes b'
enthalten, 'welliches nie in eim Teütschd Wort (wie im Benignus,
rhabarbara, etc.) der erste Bflchstab ist', nach 5, 23 f lautet
das 'Mittel B' (d. h. b im inlaut) 'vast so lind als der jene
Bnchstab den man das doppel v heilst, nemlich das W. hält
man beide stellen zusammen, so ergibt sich, dass Helber
lateinisches b auch im anlaut (vgl. benignus) wie w ge-
sprochen hat.
Das ist aber altbairische ausspräche des latein. auf diese
hat meines wissens zuerst Lessiak aufmerksam gemacht, er ver-
weist PBBeitr 28, 125 auf die bairisch-österreichische ersetzung
' yiya^ros.
2 s. Zs. 48, 227 ff. 3 13 ff.
JELLINEK, SEBASTIAN HELBER 183
des b durch iv in personennamen wie Benedikt uud auf die
heutig-e praxis des lateinsprechens in Kärnten.
Für das 17 jh. kann ich das zeug-nis des Oberpfälzers
Scioppius (1576 — 1649) beibringen. in seiner Granimatica
philosophica (editio Petri Scavenii, Amstelodami 1664, p. 1S7)
wendet er sich gegen die behauptung, dass die Deutschen lat.
h wie p sprechen: ^Hanc jjronunciandi raiionem qui Gernianis
hodie in usu esse praedicat, quos ille Germanos dicat nescio.
Ego quidem numquam ejus nationis quemquam audire memini,
qui Ponum pro Bono eff'eii-et. Sed plerosque scio i)ro B efferre
digamma sive V consonantem quam dicunt, sed sine adspiratione
ulla \ nt in Bene perinde sonet atque V in Quaene. sive W,
quomodo ipsi scrihunt. Maxime vero omnium in eo sunt ridiculi
qui Bavarica diaJecto utuntur. Wacchus enim dicunt pro
Bacchus. Wuacca i>ro Bacca. Wonus pro Bonus, sicut ü in
Quoniam' -.
Nun wäre freilich zu zeigen, dass die »--ausspräche des
anlautenden lat. h auf Baiern und Österreich beschränkt war.
aus den worten des Scioppius scheint auf den ersten blick das
gegenteil zu folgen, aber sie halten einer scharfen Interpretation
nicht stand, wenn unter den plerique die h in bene wie n-
sprechen, auch Nichtbaiern sind, inwiefern sind dann gerade die
Baiern ntaxime ridiculif soll das vielleicht heifsen, dass alle
v/-sprecher lächerlich würken und der Vorrang der Baiern darin
besteht, dass bei ihnen diese ausspräche allgemein ist, während
sie aulserhalb Baierns seltner vorkommt?
Wie dem auch sei, das eine kann ich zeigen, dass man
im 16 jh, in Schwaben einen andern ausweg fand, um den
unterschied zwischen lat. b und p sinnfällig zu machen, nämlich
die gehauchte ausspräche des p. Hieronymus Wolf sagt in
seiner abhandlung *De orthographia Germanica ac potius Suevica
nostrate' im anhang seiner ßivius-ausgabe von 1578 s. 607:
'Ph in uocabulis non semper siue uocali, siue consonante sequente
jnonunciamus, Sueuice quidem, ut plei, prassen, post, peter, pastei.
Bhenenses dicunt Pheter, Phetersam- Latinas tarnen uoces
sequente uocali pierunqne aspiramus. Phater, Phetrus, phanum
dicentes'. zwischen anlautendem b und pj, wie auch d und t, sei
in deutschen Wörtern der unterschied gering, und dann s. 611:
' dh. ohne r nach romanischer art spirantisch oder wie f zu sprechen.
diese letztere ausspräche des im freien anlaut stehenden r war in Deutsch-
land allgemein, deshalb vergleicht Scioppius den postconsonantischeu laut
in quae/ie und qtionünn.
'^ ebenso wie Helber die linde ausspräche des inlautenden h mit dem
hinweis auf das lateinische h erleutert , so im IS jh. der Österreicher
Antesperg, der in seiner deutschen grammatik (s. 319 der 2. aufläge von
17491 lehrt, da^s h zuweilen (d. h. im etymologischen anlauti hart zn
sprechen sei, z. b. in Bett, aufbetten, Gebet, sonst leicht' wie im lat. bunus
z. h. in haben.
1S4 JELLINEK
'P promoicianua (ut ante dtxi) in Latino sennonc aan aspira-
tione: quod ne in uernaculo quidem f'acimiis, n^ phater ^f^ro pater,
suher past, uinculum pand' '.
Dass Helber eine lebendige kenntnis des bairischeu dialekts,
nicht blols der bairischen drucksprache besals, ist sicher, es
beweist dies die angäbe der Wörter, in denen die 'gemeinen
Donawischen', d. h. Schwaben und Baiern, cii wie oi oder ui
aussprechen-, ferner der ansatz von ei für bairisch fleisch, geisf,
Jieilig, auf den Helber schwerlich durch bloise philologische
Untersuchung der bairischen drucke geführt worden wäre, ebenso
dürfte ihm die orthographische Unterscheidung des Zahlworts und
des artikels ein (s. 25, 26 ff) in der Jugend eingeprägt worden sein.
S. 31, 5. 32, 25 nennt Helber vntau/jJic//. teiigJich unter den
Wörtern, die höchstrheinisch mit it. bez. /; gedruckt werden,
dass es mit diesen u, ii eine andere bewantnis hat als mit den
sonstigen höchstrheinischen entsprechungeu von donauischen cm,
eüy darauf wäre Helber doch vielleicht aufmerksam geworden,
wenn er ein Schwabe gewesen wäre und in taugen das au mit
dem lautwert der sonstigen abkömmlinge von mhd. ou gesprochen
hätte, vgl. Kauffmann Geschichte der schwäb. mundart s. 93
unten, war er aber ein Baier, so sprach er in diesem wort den
laut, der in der mehrzahl der fälle aus mhd. f( hervorgegangen
war. zu den Wörtern die höchstrheinisch ü haben stellt
Helber 32, 22 fälschlich erseüffen. nach Schmeller, Bair. wb. ir
231 scheint das wort nicht dem eigentlichen dialekt anzugehören,
das eu der schriftform konnte aber nur als umlaut zu dem au
von sauffen aufgefasst und muste dann mit dem laut gesprochen
werden, der sonst höchstrheinisch durch ü ausgedrückt wurde.
' ebenso wie p wurde auch t behandelt, vgl. s. 613. • 'T pri/icipio
uoca/mli in Latino sermone fere aspirnmas, secus qttäw in uernaculo,
thua, thibia, pro tua, tibia, proniinciatites. item vnderthenig . . . scH-
bimus, cum pro/auiciemu-'^ vudertenig. Sic. . . tun vnd lassen pronun-
ciamtcs, mni pileiiqne fcril/unt thun'.
'^ einige fehler des Verzeichnisses 32, 7 ff. lassen sich leicht erklären
der Setzer setzte mechanisch vor jedem neuen anfangsbuchstaben ein kolon.
daher die falschen kola nach <_'reü~-, eüterlein, (jehreüset, meüs, Preüi<sen,
(lnr<-h<iet eütteii und der Verbindung er streüsst .sich cor 30rn. kolon
und virgel sind vertauscht hinter den nachbarwörtern .^^teüdlein wnA spreüer
für das letztere wort gibt zwar Schmeller Bair. wh. II 695 die ausspräche.
Sprdid an, aber wie nach neu, ijetreü wäre auch hier kolon zu erwarten,
im schwäbischen hat das wort den laut des nicht umgelauteten iit, vgl.
Fischer Geographie der schwäb. mundart s. 42. Eck schreibt .-^ju-uir, vgl.
Keferstein Der lautstand in den Bibelübersetzungen von Emser und Eck
§ 37. richtig ist das kolon nach .<eiaii'in, vgl. Schmeller Bair. wb. II
322, Schatz Mundart von Imst s. 65.
^ die bemerkung über Mnnthr/v--' 30, 17 kann nicht eigentlich als
fehler bezeichnet werden. denn durch sein 'vileicht' gibt ja Helber zu er-
kennen, dass er das wort in höchstrheinischer form nicht kennt, sehr begreif-
lich, da es eben ein bair.-österr. wort ist, ebenso war sein 'vileicht' bei dem
bair.-österr. Auf 31, S gerechtfertigt, dass Helbers zweifelnde Zuweisung
SEBASTIAN HELBER 185
Mit liilfe meiner annähme lassen sich auch Helbers angaben
über die c-laute gut verstehn. er war da vor eine besonders
schwierige aufgäbe gestellt, da innerhalb der einzelnen dialekte
die laute den drei zeichen e, ä, ö nicht eindeutig zugeordnet
waren, die dialekte in der Verteilung ihrer e-laute auf den
Sprachschatz von einander abwichen und auch bei gleicher Ver-
teilung die absoluten qualitäten der laute nicht identisch waren.
S. 22, 26 ff heilst es: 'A]'J oder (? wird in etlichen Landen
auf seine besondere weis ausgesprochen mit einfachen getün: in
andern Landen aber wie ein (langgezogenes) e, so wol im Druck
als in der Aussprach', es folgt eine stattliche anzahl von
Wörtern, beinahe durchweg mit etymologischem ce oder ä. an-
ordnung nach grammatischen gruppen ist angestrebt ', dann die
bemerkung 23, I5f: 'Dise vnd andere jhnen gleicher formierung
seiud Baierländisch : sunst aber find ich auch' — und nun folgen
IS Wörter, von denen 4 umlauts-c, eines ce, die andern e ent-
halten, die Scheidung zwischen den bairischen Wörtern und den
andern ist auffällig, auf den ersten blick sieht es so aus. als
ob Helber die Wörter der ersten liste für nur bairisch erklären
wollte, das kann er natürlich nicht gemeint haben, er wollte
nur sagen, dass die ä der zweiten liste unbairisch seien, so hat
unsere stelle schon vBahder Grundlagen des nhd. lautsystems
s. 123 interpretiert, abei' er nimmt an, dass 'Baierländisch'
hier so viel besagen solle, wie sonst 'donauisch', dazu be-
rechtigt uns aber gar nichts, so bleibt es dabei, dass Helber,
unbekümmert um die Verhältnisse in den andern dialekten, alle
ii in bairische und unbairische teilt, sehr begreiflich, wenn er
ein Baier war. mit den bairischen ä verband sich für ihn die
Vorstellung eines bestimmten lautes, des hellen a; die andern
(i, die er sich aus drucken notiert hatte, sind für ihn eine unter-
schiedslose fremdartige masse. er sprach in diesen Wörtern ja
teils geschlossenes, teils offeneres (mittleres) e; nxeger, das einzige
wort mit mhd. ce, war ihm ungeläuüg.
Die Wörter mit 6, das nach 23, 21f 'bei etlichen mit seinem
besonderen hall, vnd bei andern in vilen Worten wie ein e' ge-
sprochen wird, zerfallen in drei gruppen, die durch schlusspunct
von einander geschieden sind, die dritte gruppe enthält- lauter
Wörter, in denen für Helber eine e-artige ausspräche nur durch
die Schrift vermittelt war. zu pförtner bemerkt er selbst 24, 5
von MatiT zu den ow-wörtern vom historischen standpunct unriclitig, die
von Auf zu den H-wörtern richtig ist, tut natürlich nichts zur sache. —
autor 30, 21 meint nicht das lateinische wort, sondern ist druclifehler
für auter.
' das letzte Wort ilni/l. das von den vorhergehnden, lauter deminu-
tiven, nicht durch ein kolon getrennt ist, ist verdruckt für /'mel, 'grofs-
mutter'. die meisten deminutiva setzt Helber in die schriftsprachliche
form auf feix um; bei dem femininum änel war dies ebenso unmöglich
wie bei dem masculinum Han.^el.
186 JELLINEK
'sonst portner', die andern Wörter trökencn. Körnherg, Mönch,
vermögUdi, können gehören zu denen, die man nach 2^, 24 'auch
mit ü geredt vnd gedruckt" tindet. Helber sprach hier /. die
erste gruppe wird gebildet durch fünf Wörter mit Ö: Oel, knöpf,
köpf, kodier, vögel, fünf mit c: verdorben, wollen, schröcken,
gedörret, löschen und das fremdwort Höroldsstah. von den 25
Wörtern der zweiten gruppe enthalten 14 mhd. <m; mhd. ö steht
in hönig, mörder, örter, embörung, dazu kommt das fremdwort
Föfel und der name Cölen; mhd. e steht in gewönen, ent>rönen;
mhd. ce in n-öncn, argn-önig. endlich wird noch aufgeführt der
name Böheim.
Diese gruppierung ist höchst charakteristisch, im baii'.-
österreichischen sind ö und ce im allgemeinen getrennt, aber in
der Stellung vor r fallen sie, wenn auch nicht auf dem ganzen
gebiet, zusammen, u. zw. hat dann ö den (offenen) laut des «• und
ist getrennt von e. mit dem es sonst gleichlautet, vgl. Schmeller
Die mundarten Bayerns § 349; Schwäbl Die altbayerische
mundart s. 29 f; Schatz Die mundart von Imst §§ 46. 48,
Die tirolische mundart s. 30f; Lessiak, PBBeitr. 28, 73 f. 87. nun
erscheint in Helbers erster gruppe wol e aber nicht ö vor r,
in der zweiten ist es gerade umgekehrt, ferner ist auf bair.-
österr. gebiete weit verbreitet der zusammenfall der e- und ö'-laute
vor nasal, vgl. Schwäbl § 11 in Verbindung mit § 14,2;
Luick, PBBeitr. 14, 137. man beachte nun, dass e und ö vor
nasal nur in der zweiten gruppe erscheinen. u-Önen empfindet
Helber als fremdartig, er erklärt es 24, 3: "das ist achten oder
meinen', er sprach hier nicht den laut, der sonst mhd. te ent-
spricht, sondern einfach nach der schrift. war ihm aber vor
n nur ein e-laut geläufig, so muste er eben diesen einsetzen,
die absolute qualität des e vor n ist freilich schwankend:
Schwäbl gibt dafür geschlossenes e an, den laut der sonst um-
laut-e entspricht, Luick einen mittellaut zwischen dem geschlossenen
und dem offenem e seiner mundart, in Nagls mundart steht ein
diphthong. zu beachten ist auch, dass in der von Lessiak be-
schriebenen mundart, wo ce aufser vor r l diphthongiert ist.
also nicht direct verglichen werden kann, v vor nasalen dieselbe
entsprechung hat wie ö und ce vor r: vgl. PBBeitr. 28, 87. ich
glaube, dass Helber in den Wörtern seiner zweiten gruppe einen
offenem laut gesprochen hat als in den Wörtern der ersten,
kleinere untei-schiede mögen dabei immerhin innerhalb der
zweiten gruppe bestanden haben. Schwierigkeit macht nur das
fremdwort Pöfcl, da nach Schmeller Bair. wb. i 384 dieses
wort geschlossenes e enthält. Böheim ist in der Ordnung; vgl.
Schmeller Bair. wb. i 188.
Die drei gruppen der ö-wörter sind, wie wir jetzt erkennen,
23, 21 — 24 angekündigt, es heilst ja dort, ö sei 'bei etlichen
mit seinem besonderen hall, vnd bei andern in vilen Worten wie
SEBASTIAN HELBER 1S7
ein e'. etliche Wörter tinde man statt mit ö auch mit ;V 'geredt
vnd g-edruckt'. man beachte nun wol: auch die 'andern' z. 22
sprechen nicht überall <* statt ö, sondern nur 'in vilen Worten',
mit dem 'besondern hall' meint Halber das geschlossene e, mit
dem e das etliche in vielen Wörtern sprechen, das offenere, der
sinn der stelle ist, dass etliche das ö überall geschlossen
sprechen, andre in vielen (aber nicht allen) Wörtern offeneres e
dafür setzen, die erste gruppe enthcält nun Wörter, in denen ö
bei allen, auch den 'andern', seinen besondern hall. d. h. ge-
schlossene ausspräche hat, die zweite gruppe umfasst die vielen
Wörter, in denen die 'andern' ö wie e dh. offen sprechen, die dritte
gruppe endlich die Wörter, in denen statt Ö auch ü gesprochen
und geschrieben wird, und reste (pförtuer).
Ich verweise noch auf die abweichungen der aussage über
das ä. dieses wird "in etlichen Landen auf seine besondere weis
ausgesprochen mit einfachen getön: in andern Landen aber wie
ein (langgezogenes) e', dh. gewisse länder sprechen es immer,
nicht nur in vielen Wörtern, wie ein e, und dieses e ist nicht
schlechtweg ein e, sondern ein 'langgezogenes' e.
Nun können wir eine Interpretation der bemerkungen
Helbers über den lautwert des buchstabens e versuchen, s. IS, l'2:
'E finde ich in dreien weisen ausgesprochen', die zweite betrifft
unbetontes e und geht uns hier nichts an. für die erste weise,
nach der e 'in vih^ Worten starck vnd völlig gepronunciert'
wird, gibt Helber beispiele in satzform, ich hebe die t'-würter
durch Sperrdruck hervor: Der Herrn ernst zu- enden vnd
enden, Send vnd lend daher die bh enden, Mit fremdem
t'tind sie zu blenden. also e vor r, e vor nasal, etj^mologisches
e nur in Herrn.
S. 18, 27 ff: 'die Dritte, ist etwas dicker vnd langsamer dan
die Erste Weise, vnd ündt sich in denen AVörtern, w-elliche von
andern Worten herkomen, die an stat des e ein a gehabt,
welliches e in etlichen Landen mit irem ae geredt vnd ge-
schriben, oder wie ir oe ausgesprochen wirdt. Dises vom d
vnd 6 sag ich delswegen, dieweil auch die jenigen, welliche das
ä schreiben vnd reden, vnd das o in etlichen Worten pronun-
eieren, in etlichen sollichö, das e nach der Ersten weis aus-
sprechen', folgen beispiele dafür: hend, tempfig, genns, erlengert,
meiigel, lietie.
Das 'defswegen' 19,3 ist nicht recht logisch, aber der sinn
der stelle ist klar, wir erfahren 1. dass in einigen Wörtern
der Umlaut des a als e geschrieben, aber wie ö (d. h. geschlossen)
gesprochen wird; 2. dass auch die Ö- (und ä-) Sprecher in ge-
wissen Wörtern das umlauts- e nach der ersten weise aussprechen;
3. dass für das ä und ö anderwärts ein eigentümlicher c-laut
eintritt. Die ausspräche dieses e ist 'dicker vud langsamer" als
die erste weise; das erinnert an das langgezogene c 22, 2S.
1 88 JELLIXEK
Die Wörter, in denen die (V-ö-sprecher das e der ersten weise
sprechen, haben alle mit ausnähme von hefte hinter dem e einen
nasal, daraus schlielst vBahder a.a.O. s. 124, fulsnote l, dass
Helber an solche (alemannische) dialekte gedacht habe, die vor
nasalen einen sowol von ä als ö (= geschlossenem e) unterschie-
denen, aber mit (' zusammenfallenden laut sprachen, diese dialekte
müsten zu Heuslers i Germania 34, 125) dritter gruppe gehören.
vBahders ansieht ist sehr bestechend, aber wenn Helber eine so
intime kenntnis der Schweizer mundarten gehabt hat. ist es da
nicht sehr auffällig, dass er die richtige und eigentliche ausspräche
des H 'als ein mittelding zwischen dem u und dem i' 19, 30
(vgl. auch 21, 5 ff.) den 'Mitteren Teütschen' zuschreibt? und dass
er von der gerundeten ausspräche des ö überhaupt nichts sagt?
denn der 'besondere hall' des ö kann nichts anderes meinen als
das geschlossene e, das beweist die liste 19, 1 5 ff '.
Ich glaube vielmehr, dass Helber mit dem e der ersten weise
sein offeneres e meint,, das bair.-öst. ja immer für c und e vor r
steht, und das er, wie ich oben angenommen habe, auch für e
vor nasal sprach, auch hette kommt bair.-öst. dieser laut zu.
Die liste der Wörter mit e statt ä enthält nichts interessantes,
wol aber die liste der beispiele für das 'ausgesprochene oe' 19, 15 ff.
die meisten enthalten umlaut-c'-, enregen ist zweideutig, unbedingt
fehlerhaft ist dcsselbigen: es passt gar nicht in das Verzeichnis,
das nur solche wörtei' enthalten soll, die verwante formen mit
a zur seite haben*, dagegen sind abgemessen und fressen unan-
fechtbar; vgl. maß, fraß, diese Wörter haben aber e und ihre
ausspräche mit geschlossenem e ist widerum für das bairische
charakteristisch.
An stelle des gesprochenen und geschriebeneu ä und des ge-
sprocheneu (aber e geschriebenen) ö etlicher lande gebrauchen
andere das dritte, langsamer und dicker gesprochene c. schon
vBahder a.a.O. s. 124 hat hier eine ungenauigkeit Helbers ange-
nommen ; er bezieht seine äufserung auf mitteldeutsche mundarten.
eine kritik dieser ansieht unterlass ich der kürze wegen und
gebe meine auffassung, indem ich das bisher gesagte zusammen-
fasse und ergänze.
Helbers darstellung ist durchaus an seiner bairischen aus-
spräche der e-laute orientiert, der lautwert des ä, die 'besondere
weis' auf die es ausgesprochen wird, ist für ihn das bairische
helle a, der eigentliche laut des buchstabens e das offenere e seines
dialekts, der eigentliche lautwert des Ö, sein 'besonderer hall',
geschlossenes e. Helber weifs aber, dass auch in bairischen
' vBahder ist in der auffassung unsicher, vgl. s. 176 f.
2 an o-umlaut (vgl. vHahder s. 177 1 braucht man bei keinem einzigen
wort zu denken.
* da>> wort stammt vielleicht aus einer Sammlung für das suffix-j//;
das folgende wort ist imsihle'jige.
SEBASTIAN HELBER 1S9
drucken e und ö nicht immer den ihnen eigentlich zukommenden
wert haben, dass e in einer reihe von Wörtern wie ö, d. h. ge-
schlossen, gesprochen wird : beispiele dafür gibt er 19, 15—18
— und dass anderseits ö in vielen wüitern wie c, d. h. offen,
klingt : belege dafür gibt die zweite efruppe der ö-wörter
23,26-24,4.
Verglich Helber seine heimatliche ausspräche mit der anderer
gegenden. so fand er bezüglich seines offenen, mit einfachem e ge-
schriebenen (' keine wesentlichen unterschiede, in einer grofsen
anzahl von Wörtern, wo er es sprach, nämlich in Worten mit e
vor nasal und e vor r (wir dürfen getrost hinzufügen, auch vor
l und h) hörte er ungefähr denselben laut, daher betrachtete er
die erste weise der ausspräche des e als allgemein deutsch, anders
lagen freilich die dinge bezüglich des alten e. dem aufserhalb
Baierns vorwiegend der geschlossene laut zukam, aber er nennt
das einzige wort Herrn, in dem vielfach das früh verkürzte e
mit e zusammengefallen war.
Helbers geschlossenes e hatte zwei zeichen, Ö und e. so-
weit ö geschrieben wurde, herschte die geschlossene ausspräche
auch aufserhalb Baierns; wurde doch da sogar entgegen dem
bairischen gebrauch ö viel consequenter mit dem ihm eigent-
lich zukommenden laut gesprochen — daher die bemerkung
23, 21 f. schwanken herschte dagegen bezüglich der mit e ge-
schriebenen Wörter, in einigen wurde auch aulserhalb Baierns
geschlossenes e gesprochen, in andern — namentlich dort wo e
zu gründe liegt — offenes.
Dieses offene e war auch der Vertreter des bairischen liellen
a, des eigentlichen lautes von ä. diese unbairischen offenen
e meint Helber mit der dicken und langsamen weise, mit dem
langgezogenen e. er denkt nicht an die quantität des lautes,
sondern gibt nur, so gut er kann, den eindruck wider, den ihm
die fremdartige e-qualität macht, er vergleichi ferner diese
offenen e nur mit den bairischen entsprechungen in denselben
Wörtern, dem hellen a und dem geschlossenen e. von denen sie
weit abstanden; ob sie nicht im gründe dem gemeindeutschen
e, dem e der ersten weise, ähnlich oder gleich waren, darüber
macht er sich keine gedanken. nur die relative, nicht die ab-
solute qualität berücksichtigt er; bairisch oder nichtbairisch. das
ist für ihn hier ebenso der einzige gesichtspunct. wie in seinen
auslassungen über den buchstaben ä s. 23, 15 ff'.
Zu den Schwierigkeiten, die die lautverhältnisse bereiteten,
kamen noch orthographische, in Oberdeutschland wurde auch
aufserhalb Baierns das zeichen ä, wenn auch mit anderem laut-
wert, gebraucht, zum grol'sen Teil in denselben w;>rtern wie in
Baiern.- in Mitteldeutschland herschte die Schreibung c. dieser
Schwierigkeiten ist der sonst im ausdruck so klare Helber nicht
herr geworden, er hat es nicht deutlich zu machen verstanden,
190 JELLINEK, SEBASTIAN HELBER
dass hinter der gleichen Schreibung ü sich eine verschiedene
ausspräche verbirgt, angedeutet hat er es freilich 2;-i, 15 ff. er,
der sonst so scharf die drei Varietäten des hochdeutschen unter-
scheidet, spricht in den bemerkungen über die e-laute unbestimmt
von 'etlichen landen', 'etlichen', 'andern'.
Seine behandlung der tj-laute ist auch nicht erschöpfend, wie
steht es z.b. mit mhd. e, abgesehen von Herrn, mit Wörtern wie
ere mer, sc u.a., die keine verwanten a-formen neben sich haben?
bair.-öst. haben sie zwar das e der ersten weise, aber in anderen
dialekten nicht, so namentlich nicht in den alem. dialekteu, auf
die vBahder die bemerkung über dieses erste e beziehen wollte,
für diese Wörter ist in Helbers kategorieen kein platz.
Wien, 12. märz 1910. M. H. Jellinek.
COLLATION UND KRITIK VON
ALBERS TUNDALUS.
Die textabdrücke von K. A. Hahn sind als zuverlässig bekannt,
und so hat denn Albr. Wagner geglaubt, für den Tuudalus auf
eine vergleichung der einzigen hs. verzichten zu können, nach-
dem die collatiou des Anegenge durch Jos. Seemüller kurz zuvor
so sehr wenig ergeben hatte (QF. 44, 92). immerhin haben
Kochendörffer und ich, als wir im märz 1894 den cod. vindob.
2696 in Marburg studieren durften (Zs. 45. 217 ff), die leichte
mühe einer vergleichung nicht für überflüssig gehalten, ihre
geringfügigen ergebnisse leg ich hier vor, nachdem ich letzthin
die lis. noch einmal revidiert habe, und ich füge eine reihe von
bemerkungen hinzu, besonders über stellen, wo ich die (auch
Wagner bekannte ) Überlieferung gegen eingriffe des herausgebers,
resp. älterer kritiker denen er gefolgt ist, verteidigen möchte.
eine gründliche revision der Überlieferung stellt dieser lücken-
büfser nicht dar, eine solche ist nur auf grund einer Untersuchung
von Abers metrik möglich.
Ich lege Hahns abdruck (Gedichte des xii. und xiii. jh.s,
Quedlinburg 1840) zu gründe und gebe die Zählung Wagners in
klammern.
41, 43 (44) hs. mvnich — 41, 55 (56) ze/räre (hs. zicare)
gebunden mit niumcere ist reim der Übergangszeit und nicht in
zewcere zu ändern. — das reimpaar 42, 17 f (89 f)
österhalp Schotten, Britanje,
norder Engellant, wester Hispanje
darf im hinblick auf die quelle (6, 9f) wol in seinem Wortlaut
bezweifelt, in seinem bestände aber nicht angetastet werden; der
SCHRÖDER, KRITIK DES TüNDALUS 191
Schreiber mag sich in den himnielsrichtungeii versehen haben,
hinzugefügt hat er diese bestimiuung-en gewis niclit. — 42, 58
Sprengers änderung von //aj-feCvocabulo") in cirarfc ist absolut sinn-
los; die anspräche geht ja von dem heiligen an den könig! — 42,
87 (159)h s. bitten, das dem reimbild s)intte : bitte 53. 50 f (1(I71 f)
entspricht. — 44, 1 (240) hs. yc^pizet — 44, 30 (275) hs.
biyiiffen — 45, 82 (412) das lisl. euch ist beizubehalten. - •
46. 4(t (458) ze dem engel desgl. - 46, 41 (459) das hsl. hf-re
(: «''i-e) durfte nicht in herre umgedeutet werden. — 47, 60
( 64) die Wortstellung bleibt! — 47, 61 (565) hs. bitfe —
48, 11 (601) von rncche unt von hitze(n) war beizubehalten
(Wagner unterdrückt sogar die hsl. lesartj; ahd. raclii Cfumus'-
rui-hi im sog. Raban. glossar R, Ahd. gll. i 147, S), mhd. rucke,
rücke ist eine von Schmeller-Fr. ii 48 gewürdigte, auch Helmbr.
1250 gerettete, bairische ablautsform zu rouch. — 48, 37 (627)
den wie Hahn bietet! — 49, 79 (7 56) ich lese deutlich (fein vnde,
freilich ohne t-strich. — 50, 45 (809) hs. geborn — 51, 41
(890) von der manicvalten sere darf nicht mit Sprenger in
dem geändert werden, denn das stfem. diu sere ist gerade im
Tund. bezeugt: 46, 42 (460) yroz sint mine sere, 50, 84 (848)
Xu hete der engel here yeheUet ir sere, 57, 71 (1436) diu un-
mcezUche sere-, demnach w^ar vielmehr v. 42 (891) daz in diu
zu ändern. — 51,60 (909) hs. fliefeyit — 51, 66 (915) das über-
lieferte die bicherten (: merten) mit Heinzel z. Erg. 2 7 in be-
scherten zu ändern geht nicht an: die dreiteilung lelen, pfaff'en,
bicherten ist doch ganz deutlich 'laici, clerici, conversi*. —
52,76 (1011) hs. munde — 54,10 (1117) die form lAiespeJiye
wird durch die bindung plaspaliyen : allenthalben 56,41 (1319f)
corrigiert: 1. blüsbalye. — der vers 54,65 (1172) sä bi dem
warte, der wörtlich 47,7 (511) und leicht variiert auch 43,76
(235) vorkommt [vgl. noch 65,63 (2117), durfte nicht geän-
dert werden! — 57,52 (1417) hs. reichent corrigiert aus
rechent - 58, 43 f (1495 f) die Wortfolge der hs. ist beizube-
halten. — 58,58 (1511) die initiale /fehlt. — 58,66 (1519)
h s. (nu muyet ir vernemen hie) von schonhmt ir u n d e r
IC un der ; dies doppelte tvunder, das Hahn übersah, ist so recht
in der art des dichters, der dies sein lieblingswort gern häuft:
h-aiider unde rounder 49, 43 (720). 63, 6 (1888). — 59, 14 (1553)
hs. gidayte — 59, 40 (1579) Mit vrlivges neides l'pil ist
gewis nur eine entgleisung des Schreibers für mit urliuges nit-
spll. — 62,28 (1825) lis liehte — 62,63 (18()U) dife das e
ist ausradiert. — 63,7 (1889) hs. Si sach — 64,48 (2016)
das hsl. (/^ in der den sceliyen nimmer zerinnet durfte keines-
falls in diu geändert werden. — 64, 58 r2026) die hsl. Über-
lieferung ist beizubehalten. — 66, 12 (2152) 1. der manic guot
(werc) beyut. — 66, 31 (2171) hs. Die werlde e (nicht ic) ver-
lazze. —
192 SCHRÖDER, KRITIK DES TUNDALUS
Der Schreiber der handschrift hat keinerlei bewuste tendeiiz die
form zu glätten, aber er gleicht mechanisch gewisse reimgruppen
aus, wie die mit überschüssigem -n. weder Hahns abdruck iii)ch
die ausgäbe von Wagner lassen diese freiheit archaischer technik
so hervortreten, wie sie der dichter übte, wol hat Wagner
richtig geändert b6, 25 (2125) der gert an in allen {alle hs.):
gevalle, aber selbstverständlich muss anderseits auch 47, 24 (528;
eticennen (: brennen) sowie 58, 56 (1508) enhorlangen (: begangen)
das n einbülsen, und der dat. sg. samenungen (: muinenj 41, 46
(47) darf ebensowenig die schwache flexion behalten, wie 64,17
(1!)85) der dat. sg. mandungen (: Idungen). wenn 48,11 (601)
richtig geändert wird (von roiiche [resp. rucke] und) von hitze
(: sn-ltzenj, so darf der herausgeber 54, 12(1119) vor der ändernng
von mit vil nianigen liitzen f: sivitzenj in m. v. maniger hitze selbst-
verständlich nicht zurückschrecken.
Bei vorsichtiger Zählung stell ich 1 7 klingende reimpaare
mit überschiefsendem -n fest, ob aber einem dichter der diese
freiheit so ungeniert benutzt, die doppelformen inne— innen,
hinne — hinnen, danne — dannen und gar vorne— vornen zuzutrauen
sind, wird man mit grund bezweifeln.
Die vorläge scheint bereits die neuen diphthonge gehabt zu
haben: darauf weist die nachträgliche correctur von rechent in
reirhent (mhd. richenf) 57, 52 (1417) und wol auch die (deutliche)
trennung von ginunde in gein vnde 49, 79 (756) hin. die Sorg-
falt des copisten tritt mehrfach zu tage: so etwa, wenn er ein
in der vorläge offenbar eng zusammengedrängtes buchez (di.
buche ez) nachträglich doppelt verdeutlicht, indem er das apo-
kopierte e zunächst klein dazwischen und dann noch einmal dar-
über schreibt. — die vorläge hatte gewis noch das h-ähnliche
z mit langer hasta: 47, 49 (553) hat der copist zuerst zet ge-
schrieben und dies in het umgeändert, dass sie in unabgesetzten
Versen geschrieben war, möcht ich glauben: 51, 52 scheint der
abschreiber zunächst über den versschluss hinausgeschrieben
und diesen überschuss dann wegradiert zu haben, auch die
lücken, deren drei nachweisbar sind, lassen sich so erklären,
eine volle reimzeile (schwerlich mehr) fehlt nach 58,57 (I5ü9), zu-
gleich aber auch die initiale /des nächsten absatzes (1511),
die einzige die wir vermissen, zweimal bricht der Schreiber
in der zeile ab: 56, 8 (1286) ob einen und 62, 63
(1860) der iß dife — (wobei das e ausradiert ist); in
diesen beiden fällen hat er die lücke durch ein zeichen am
rande markiert. mau hat beidemal den eindruck, dass der
Schreiber mitten im copieren die Verstümmelung des textes
in seiner vorläge gewahr wurde. E. S.
NIBELUNGENLIED UND WALTHAHIUS.
Als Vorstufe unseres Nibelungenliedes hab ich Za. 51, 177 ff
ein spielmannsepos zu erweisen gesucht, das vermutlich im Zeit-
alter des letzten salischen kaisers, etwa um 1115 — 1120, ent-
standen sei. zeitgeschichtliche auspielungen auf die Sachseukriege
Heinrichs IV und Heinrichs V, auf die zeit nach dem ersten
kreuzzuge, auf die bestattung- Heinrichs IV u. a. waren anlass
für diese Vermutung, sie schien bestätigt zu werden durch
spuren einer altern Nibelungendichtuug, die bis über 1200 hinaus
verfolgt werden konnten; auch wurde wahrscheinlich am ende
des 12 jh.s die Nibelungendichtung in Soest localisiert. dieses
ältere Nibelungenepos, das wol schon in kurzer fassung den ersten
teil unseres liedes enthielt, wurde erst um 1200, namentlich im
ersten teil, durch umfangreiche Schilderung von höfischen fest-
lichkeiten erweitert, im zweiten durch manche schöne scene ver-
mehrt, in manchen einzelheiten geändert und so zu unserm Ni-
belungenliede umgedichtet (vgl. Zs. 48, 471 ff), in jenem älteren
epos finden sich aber auch anzeichen, die auf eine noch ältere
fassung hinweisen, so scheint der saalbrand früher eine wichtigere
rolle gespielt zu haben, als selbst in der Thidrekssaga, die
Eckewart-episode wies früher noch keine Vermischung mit der
gestalt des grafen Eckewart auf, denn dass Hagen in der Ths. den
an der grenze schlafenden mann durch einen fufstritt weckt und auch
im Nl. des Schwertes beraubt, entspricht keineswegs der Stellung
des edlen grafen, wie er etwa um 1000 an den Wormser hof ein-
geführt sein mag. überhaupt sind es die geschichtlichen beiden
&ero und Eckewart, sowie der bischof Pilgrim und vielleicht auch
Rüdiger, die uns zunächst veranlassen, auf eine ältere stufe
zur zeit der Ottonen zu schliefsen, welche eben wegen dieser
eingeführten, ausschmückenden nebenpersonen wol schon ausge-
sprochen epischen Charakter hatte, auch manche einzelheiten
wurden früher anders erzählt, so ist die fährmann-episode wol
erst in das epos der Salierzeit aufgenommen, die erzählung der
Ths. scheint, wie Wilmanns' bemerkt hat, erweitert zu sein,
denn ursprünglich fanden die Nibelungen ein kleines führerloses
' Untergang der Nibelunge s. 31.
Z. F. D. A. LH. N. F. XL. 13
194 DROEGE
boot, auf dem sie die überfahil versuchten, wir werden demnach
geneigt sein, vor dem Nl. der Stauferzeit und vor dem altern
epos der Salierzeit auch in der zeit der sächsischen kaiser schon
ein episches gedieht kürzeren umfangs, aber doch mit manchen
nebengestalten bereichert, zu vermuten.
I
Dass der Waltharius in erheblichem grade die eutwick-
lung der Nibelungendichtung beeinflusst hat , sucht Roethe i
zu erweisen, er sieht als grundlage unseres liedes die 'Nibe-
lungias' meister Konrads in einer deutschen Übertragung an.
an einer lateinischen Nibelungendichtung wird mau besonders
nach den gründlichen erörterungen Eoethes kaum mehr zweifeln,
schwerlich aber düi-fte die bedeutung des Waltharius für
unser nationales epos so grofs sein, wie Roethe annimmt. —
wie WMeyer und KStrecker gezeigt haben, hat Ekkehard
mit frei gehaudhabter epischer technik, die an Vergil geschult
wurde, seine dichtung gestaltet, namentlich die einzelkämpfe
der von ihm eingeführten personen selbständig geschildert,
wobei die dichterkraft des jugendlichen klosterschülers oft in
sichtbarer Übertreibung sich gefiel, so führt er uns Etzel als
einen äufserst gutmütigen herrscher vor und schildert ihn v. 362 ff
als hilflos unselbständig, in der Ths. erscheint Etzel dagegen
längst nicht so schwach wie in unserm Nl., er hat Kriemhild
gegenüber seinen eignen willen, er ruft die seinen zum kämpfe
auf und befehligt sie vom castell mit kräftigem anruf (c. 379.
380). den grundzug des zurückhaltenden Hunnenkönigs bot
aber schon die Nibelungensage, in der die rachsüchtige Kriemhild
an die stelle des goldgierigeu Etzel getreten und dieser mehr
im hintergrund verschwunden war. — auch Günther ist noch in
unserm liede zu zeiten tapfer und königlich, vor allem aber in
der Ths. selbstbewust und entschlossen, wenn er gegen Hagens
rat den zug ins Hunnenland befiehlt und am ende mutig um sein
leben streitet, die grundlage der schwächlichen gestalt fand
Ekkehard auch nicht in seiner vorläge, wie ja die Waldere-
bruchstücke Günther prahlerisch und tatkräftig zeigen, der an-
lass zu der ungünstigen Charakteristik im Waltharius ligt in
der Wormser sage, die Günther so schwach im vergleich mit
' Sitzungsberichte d. preufs. akad. 1909 s. Gß5, vgl. Zs. 51, 20Sff. 200 f.
NIBELUNGENLIED UND WALTHARIUS 1!)5
Siegfried erscheinen lässt, wenn auch im 10 jh. der kämpf in
der kamnier wol noch nicht vorlianden war. so liat EkkeharJ
die in der sag-enüberlieferung gefundenen grundzüge übertrieben
und unnatürlich gesteigert. die Hunnen sind bei Ekkehard
so feige, dass sie nicht einmal in scharen dem flüchtling, den
nur eine Jungfrau begleitet, nachzusetzen wagen, während sie in
der Ths. nicht so tapfer kämpfen wie die Nibelunge, aber doch
nicht ohne eifer und erfolg sich in den streit stürzen.
In anderer art ist bei dem verhalten Hageus gesteigert; er,
der sich in der Nibelungendichtung nur schwer entschliefst gegen
die freunde zu kämpfen, weigert im Waltharius offen seinem
herrn den beistand, und während er im Nl. seinen herrn warnt,
dann aber begleitet, sitzt er bei Ekkehard nach vielfaclier
Warnung abseits und sieht in fast knabenhaftem eigensinn
dem kämpfe zu. in den Waldere-bruchstücken scheint Ilagen
sich auch zurückzuhalten, aber in der anscheinend altern sagen-
form der Ths. (c. 244) schreitet er nachts zu hinterlistigem an-
griff und wird schmachvoll mit dem eberknochen verwundet und
zurückgetrieben, und ganz ist ja die tücke Hagens auch aus
dem Waltharius nicht geschwunden (v. 1 1 1 G ff), daher ist es
anderseits seltsam gesucht, wenn gerade Hagen, dem der Nibe-
lungenhort so sehr am herzen ligt, v. 857 ff über die verdei'b-
liche goldgier predigen muss. bis zur unwahrscheinlichkeit über-
treibt Ekkehard aber die wunden, namentlich bei Günther, dem
das bein abgehauen wird, auch die abstufung des band-, augen-
und beinverlustes scheint künstlich geschaffen.
An andern stellen des Waltharius scheint eine absichtliche
änderung im vergleich mit der Nibelungensage vorzuliegen, in
der Ths. {c. 361) wirft in offenbar altem zusammenhange Günther
Hagen das verhalten seines vaters vor: 'diesen rat gibst du mir,
wie dein vater meiner mutter riet', da jedesmal der folgende
schlimmer war als der vorhergehende', offenbar ist die stelle
verwant mit Walth. 629 ff, wo Günther den vater Hagens als
feigling schilt :
' so ist mit hs. A zu lesen (ßi/)/> fadir rjaj ininni mcBäir), s. Roethe
aao. 671; die mutter, die vielleicht ursprünglich die albin' gewesen ist,
passt nicht in den Zusammenhang, dann ist aber auch gegen ende des
cap, ''vater' zu lesen,
13*
196 DROEGE
üt Video, genitorem imitaris Hagathien ipse.
Hie qnoque perpavidam gelido siih peciore mentem
Gesserat et multis fastidit proelia verhis.
vgl. V. 10671 wider erkennen wir bei Ekkehard die unwahr-
scheinliche Steigerung, aus dem schlechten rat ist feigheit ge-
worden; hat Günther grund den vater des tapfersten helden feige
zu nennen? eine höchst auffallende erfindung Ekkehards ist
ferner Hagens neffe Patavrid, dessen name an den gleichfalls
später eingeführten Ekivrid anklingt. Ilagen steht sonst als
finstrer albensohn allein, ist auch im Waltharius nicht in die
familie der Eurgundenkönige eingereiht, und nun hat er einen
neffen, von dem wir sonst niemals hören; der tod dieses neffen
trifft ihn aufs schmerzlichste, sodass er zum kämpfe geneigt ist
und den bitten seines königs endlich folgt, weit mehr begründet
ist ein ähnlicher fall in der altern Xibelungendichtung. Wolf-
hart, Hildebrands neffe und Dietrichs verwanter, fällt und wird
von Dietrich aufs lebhafteste beklagt, und bevor Eüdiger ein-
geführt wurde, scheint der Berner sich Wolfharts wegen zum
kämpfe entschlossen zu haben. Patavrid und Wolfhart sind aber
einander sehr ähnlich, beide stürmen jugendlich unbedacht in den
kämpf und schelten den feind, Patavrid scheint ein abbild und
eine nachahmung Wolfharts zu sein.
Ein bewuster gegensatz gegen die folgen von Wolfharts
fall scheint aber in den worten Hagens zu liegen, mit denen er
ablehnt, wegen des Verlustes seines eigenen verwanten den
kämpf aufzunehmen; für ihn soll der entscheidende grund die
ehre seines königs sein, v. 1112ff:
Naiu propter carum fateor iihi domne nepoiem
Promissam fidei normam corrumpere nollem.
Ecce in non duhium pro te, rex, iho periclum.
vgl. auch llOOf:
Compatior p r op r i iisque dolor succ u m hit honor i
Regis: et ecce viam conor reperire sahitis , , .
im weitern verlauf der handlung fällt auf, dass Hagen sich mit
ungerechtem tadel gegen Walther wendet, er habe zuerst gewalt
gebraucht und den frieden gebrochen, 1266 ff:
Vim prius exerces, Walthari, postque sopliaris.
Tute fidem ahscideras, cum memet adesse vidercs.
Et tot stravisses socios immoque propinquos.
NIBELUNGENLIED UND WALTHARIUS 197
g-aiiz niibeg-ründet und ung-erecht ist hier der Vorwurf, weil doch
der einzelne Walther sich gegen die augril'te der zahlreichen,
immer neu heranstürmenden feinde wehren muss und Hageus
netten nicht schonen kann, und der dichter scheint selbst etwas
ähnliches zu empfinden, wenn er nachdrücklich hervorhebt, Walther
habe keine entschuldigung, v. 12 69 ff:
Excusare nequis, quin me tunc afjf'orc /(uwt-.v.
Cuius si fades lafuit, tarnen arma videbas.
Nota satis' hahltuque uiruiii rescire valehas.
Anders liegt die sache in der Nibelungendichtung, wo auf
beiden selten eine groCse anzahl kämpft und Hagen nach dem
fall von freunden und verwanten beider parteien zu Dietrich
sprechen kann (Ths. c. ;^91): 'nun scheint es mir, als ob hier
unsere freundsciiaft sich scheiden wird, so grofs sie auch gewesen
ist', das lied bietet das richtige und natürliche, Ekkehard hat
wider verstärkt und übertrieben', auch bei dem lob der milden
Hunnenkönigin findet sich eine ähnlichkeit. von Helche wird
im Nl. gerühmt, sie habe des gesindes sich freundlich ange-
genommen, was nun Kriemhilde zufalle, 1379, 3, 4:
Daz Heichen ingesinde, des e diu vrouwe pflac,
Gelehte bi Kriemhilde sit manigen vroelichen tac.
Von Ospirin wird grofse gute gegen Hildegunde gerühmt,
aber wider übertreibt der dichter erheblich, sie sei so von
der königin gehalten, dass sie beinahe selbst regiert habe.
I13ff:
Postremum custos thesaiiris provida ciinctis
Eff'icitur, modicumque deest, quin regnet et ipsa:
Nam quidquid voluit de rebus fent et actis.
Auch bei der Schilderung von Walthers tapferkeit werden
stärkere färben aufgetragen, er kämpft gegen die ganze reihe
der feinde und besiegt einen nach dem andern, und wenn im Nl.
Dietrich den verwundeten und matten Hagen und bald darauf
den ermüdeten Günther überwältigt, so ist Walther doch ein
gröfserer held, da er selbst schon lange schwer bedrängt gegen
die beiden frischen Streiter Hagen und Günther gleichzeitig mit
erfolg ankämpft, so erscheint uns auch Walther bei Ekkehard
' dass der träum Hagens wahrscheinlich den träumen der ängstlichen
frauen nachgebildet ist, hab ich schon Zs. 51, 20S vermutet.
198 DROEGE
in seinem wesen erheblich gesteigert, während er in den Waldere-
bruchstücken einer ermutigenden zurede bedarf.
Haben wir nun als Ekkehards art der dichtung mehrfach
Steigerung und Übertreibung einzelner züge erkannt, so künnte
man vielleicht auch im schluss des Waltharius, wo wir die drei
beiden trotz schwerster Verwundung in etwas unnatürlichem
humor scherzen und trinken sehen, eine Übertreibung des jugend-
lichen dichters finden, dem tragischen schluss der Nibelungen-
dichtung, die den tod der letzten beiden beiden erzählt, steht
ein heiteres abbild gegenüber, alle kämpfer sind am leben, und
ihnen naht statt der rachsüchtigen Kriemhild mit dem feuer-
brand (Ths. c. 392) ' nunmehr als milde pflegerin Hildegunde mit
dem tröstenden becher.
Der planmäfsige aufbau in beiden dichtungen, der gewis
auf bewuste epische technik schlielsen lässt, ist aber keineswegs
so ähnlich, dass, wie Roethe meint ■^, 'das Vorbild des^\Yaltharius
macht über Konrads künstlerseele gewann' und 'soweit es der
gröfsere Stoff erlaubte, der äuisere rahmen Ekkehards dichtung
angepasst wurde', schon der 'dreiheldenkampf ist nicht so stark
zu betonen, denn in der vorläge unseres liedes ist keine dreizahl
von kämpfern am ende tätig, sondern Günther ist schon früher
durch Osid gefangen, dass die reihe der kämpfe sich erst all-
mählich in der entwicklung der dichtung zusammenfügt und um-
gestaltet, indem sich immer neue beiden zu den alten Nibelungen-
streitern gesellen, werden wir später genauer sehen, die pausen
und retardationen aber ergeben sich naturgemäfs aus dem be-
dürfnis der kämpfer nach ruhe, zumal wo eine minderzahl oder
gar ein einzelner gegen die Übermacht sich verteidigen muss;
auch in der Ilias und in der Äneis wird die nächtliche ruhe den
beiden nicht versagt, auch die notwendigkeit eines Schutzes er-
gibt sich für die Nibelunge und für Waltharius aus den Ver-
hältnissen, der saal in der Nibelungendichtung ist aber uralt,
während der felsenspalt im Wasgau erst in der phantasie
Ekkehards entstanden zu sein scheint '^, der ja auch die gröCsere
zahl der kämpfer einführte, nach Roethe (s. 674) ist Konrads
strategischer plan im ganzen festgehalten, aber einmal dem
spätem dichter eine entgleisung begegnet, da zuerst der saal
• vgl. Wihiianus aao. s. 10. ^ Zs. 51, 290 f u. aao. 680 f. ^ ^gl.
Strecker Neue jahrbb. 3 (1899), 63S.
NIBELUNGENLIED UND WALTHARIUS 199
als Schutzstätte dient, nachher aber Gernot (str. 2097 ff. 2033 ff L.)
die befreiung aus dem sichern saale verlangt. aber dieser
wandel erklärt sich aus der vergrülserung der kämpferzahl, die
beiden wünschen einen freien kampfplatz, um den streit schneller
zu entscheiden, während ursprünglich von einem offenen kämpfe
der wenigen Nibelungen gar nicht die rede sein konnte, auch
au andern stellen nimmt Roethe eine deutliche einwirkung Ekke-
bards auf die Nibelungendichtung an, wo sich eine einfachere
erklärung bietet, so soll die anwendung des Sängers in der
düstern nachtscene durch den Waltharius angeregt sein (s. 67ß f),
aber diese scene ist schwerlich im 10 jh. vorhanden gewesen,
auch ist der Vorgang in den dichtungen ganz verschieden: llilde-
gunde singt, um nicht einzuschlafen, der Sänger Volker, der wol
erst später eingeführt wurde, singt nachts den müden beiden ein
Schlummerlied, und wir haben hier die gerade bei unseren
Nibelungenliede häutig beobachtete Verdoppelung des motives ' —
früher hatte er der gattin Rüdigers ein abschiedslied gesungen
— , offenbar späte züge der dichtung aus dem Zeitalter des
minnesanges.
Einen einfluss des Waltharius auf den dichter unseres
liedes um 1200 hab ich Zs. 51, 209 angenommen, vielleicht hat
aber doch die vielgelesene dichtung Ekkehards schon früher auf
die entwicklung des Nibelungenliedes eingewürkt, und so ist denn
'die compliciertere möglichkeit' zu erwägen, von der Roethe
Zs. 51, 290 spricht, ob etwa im laufe der zeit die beiden
dichtungen sich wechselseitig beeinflusst haben, von vornherein
wird man geneigt sein, einen einfluss des vollendeten epos
Ekkehards auf die offenbar noch im fluss betindliche Nibelungen-
dichtung anzunehmen, zumal da der Waltharius nachweislich
bald nach Mainz übertragen und damit in den kern des reiches
und in die gegend eingeführt wurde, wo die Nibelungensage
ihren eigentlichen sitz und mittelpunct hatte"-. so halt ich
es für möglich, dass der seelenkampf Hagens zwischen lehns-
und freuudestreue auf die gestaltung der Persönlichkeit Rüdigers
(wol um 1000) eingewirkt hat, wenngleich die jetzige form der
' Zs. 48, 461 f. - auf Worms als sitz der Nibelungensage weist
besonders nachdrücklich hin GMatthaei Beiträge zur gesch. der Siegfried-
sage, progr. Grofs-Lichterfelde 1905 s. 33.
200 DROEGE
episode das gepräg-e der Stauferzeit trägt. die rolle des
Zauderers spielte vor 1000 wahrscheinlich Dietrich, der sich aller-
dings selbständiger entscheidet.
Vor allem mag die epische dichtung Ekkehards auf die ver-
gröfserung des Nl. eingewirkt haben, als es galt, den ersten
teil, die Wormser ereignisse mit den vergangen im Hunnenlaude
in einem epos zu vereinigen; hatte doch umgekehrt Ekkehard
den kämpfen im Frankenlande die Vorgeschichte an Etzels hofe
und deren Ursache in ausführlicher darstellung vorausgeschickt,
so mag auch Ortwin von Metz damals ein neffe Hagens ge-
worden sein, seitdem der finstere mann bereits in Patavrid einen
neffen gefunden hatte, auf einer noch spätem stufe ist dann
um 1200 sogar ein leiblicher bruder hinzugefügt, auch kann
Hagen, der allerdings in 'der Nibelunge not' schon früh als
freund und helfer und viel anziehender als in der Siegfried-
dichtung erschien, unter dem eindruck der trefflichen tigur im
"Waltharius noch günstiger charakterisiert sein, namentlich in
der treuen sorge für die seinen, wenn er auch die äufseren züge
alter grausamkeit beibehielt.
Vielleicht hat auch das Vorbild Ekkehards auf die
Schilderung der Verhältnisse eingewürkt, namentlich soweit sie
"Worms betreffen, in beiden dichtungen ist Worms nebst seinen
nachbarstädten besonders berücksichtigt, die Stadt V^^orms wird
im "Waltharius als königssitz genannt, fast als wenn ein Zeitgenosse
und augenzeuge spräche v. 431 ff:
Venerat ad fluvium iam vespere tum mediante,
Scilicet ad Rliemmi, qua cursus tendit ad iirheiii
Nomine Wormatiani regali sede nitentem.
vielleicht denkt Ekkehard an den hoftag 926 '. Gerwitus er-
scheint als einer der grafen von Worms oder im Wormsgau, wie
sie damals eine besondere rolle spielen, v. 940:
Ideni Wo7'matlae campis comes exstitit ante.
von Metz erscheint v. 581 ff Camalo als stadtpräfect, der geschenke
gebracht hat:
Praeclpit ire vlntm cognomlne rex Camalonem
Inclita Mettensi, quem Francia miserat urhi
Praefectum, qui dona ferens devenerat illo
Anteriore die quam princeps noverat ista.
' Strecker aao. 5S1.
NIBELUNGENLIED UND WALTHAEIUS 201
so kommt auch 1009 f ein lield aus Stralsburg und ein anderer
aus Speyer:
Argentina qnicJem decimum dant opjyida Trocjum,
Exiulit undecinmm pollens urhs Spira Tanasfum.
In ähnlicher weise rückt im ersten teil des Nl. Woi-ms in
den Vordergrund und, wie wir später sehen werden, gerade in
dem Zeitalter der sächsischen kaisei-, unter denen auch der
AValtharius gedichtet wurde, wir tinden einen grafen in Worms
als besonderen freund der königin, Eckewart, und die nachbar-
stadt Spej'-er entsendet an den Wormser hof merkwürdigerweise
ihren bischof str. 1508. auch werden die Verhältnisse der
Wormser Verwaltung auffallend eingehend geschildert Ths. c. 342,
worauf wir unten zurückkommen, die rangverhältnisse bei hofe
werden in beiden dichtungen eingehend berührt und damit die
Ottonenzeit gekennzeichnet, wir tinden den 'marcgraven Gere'
und den 'gräven Eckewart', der nur einmal marcgrave genannt
wird, bischöfe und des königs hofcaplan und die reihe der könig-
lichen hofbeamten. im Waltharius kommen die deutschen Standes-
verhältnisse sogar am Hunnenhof zur geltung. als kein gefolgs-
mann des königs Attila zur Verfolgung der flüchtlinge bereit ist,
da heilst es v. 408f :
Sed nullus fuit in tanta regione tyranmis
Vel dtix sive comes seu miles sive ministe)-.
vielleicht hat bei der einführung der fürsten an den Wormser
hof der Waltharius die Nibelungendichtung beeinflusst. wie
Günther den grafen Gerwitus bei sich hat und den flüchtigen
Sachsen Ekivrid aufnahm, so kamen an den Wormser hof des
Nibelungenliedes Gero und Eckewart. Roethe meint zwar ', Gero,
der jetzt nur im ersten teile des liedes sein 'röllchen spiele',
habe in der lateinischen Nibelungendichtung 'jedesfalls zu der
gruppe der markgrafen der Ostmark gehört und sich bei Attila
aufgehalten', aber tatsächlich kommt er jetzt ausschliefslich am
Wormser hof vor, und es ist auch kaum denkbar, dass man in
einer den Ungarn gegenüber so sieges- und selbstbewusten zeit
— Hunnen und Ungarn werden ja immer gleich gerechnet —
den glänzenden Zeitgenossen und Vorkämpfer für deutsches wesen
als flüchtling oder vasall au den liof des Hunnenkönigs gesetzt
^ aao. G5tl.
202 DROEGE
habe. Rüdiger steht insofern doch anders, als er selbständig
eine mark verwaltet, die recht äulserlich Etzels herschaft be-
nachbart oder angegliedert erscheint, die übrigen fürsten an
Etzels hofe sind aber durchaus sagenhaft, vielleicht ist nun
nach dem Vorbild der alten fürsten an Etzels hofe Ekivrid als
flüchtling an den Wormser hof gebracht, jedesfalls ist Ekivrid
als verbannter jünger als die bei Etzel im 'elend' lebenden Dietrich
und Irnfried, und ein nach Ekkehard arbeitender dichter des
Nibelungenepos hat widerum neue persönlichkeiten an den hof
Günthers geholt.
Ob sich unter den namen der beiden des Waltharius, die
Ekkehard zusammenstellte, zeitgeschichtliche namen verbergen,
lässt sich nicht ergründen, doch lässt das auftreten des Sachsen
Ekivrid, der in eigentümlicher mundart spricht, auf persönliche
beobachtung schliefsen'. der markgraf Gero und der graf Ecke-
wart führen uns aber geradezu in die zeit des ausgehenden
10 jh.s, denn mit recht hat schon Neufert- betont, es sei
nicht anzunehmen, dass der rühm Eckards 'noch lange nach
seinem tode (1002) einen dichter hcätte zu seiner Verherrlichung
begeistern können', wenngleich sein tragischer tod seine ein-
führung veranlasst haben mag. an den geschichtlichen Gero
scheinen im Nl. noch einige züge zu erinnern, er dient freund-
lich nach Siegfrieds tode der köuigin Kriemhild, zu deren ver-
wanten er gemacht wird, wie der geschichtliche Gero sich gütig
der witwe seines sohnes annimmt, der ja auch Siegfried heifst,
und bei dem andern freunde der königin Kriemhild, dem grafen
Eckewart, der am Wormser hofe lebt (str. llOl) und erst später
mit dem mythischen Eckewart au der grenze verschmilzt ^, ligt
eine beziehung auf den bekannten Eckard, söhn des grafen
Günther, nahe, denn gerade jener angesehenste mann in den
sächsisch-thüringischen gegenden, in dem etwas von der art Geros
lebte, hielt treu zu Theophano, der kaiserin-witwe und empfing
als lohn seiner treue nicht allein die markgrafschaft seines vaters
zurück, sondern die thüringische mark in ihrem ganzen umfange i
beide, Gero und Eckewart, werden auch einmal zusammen ge-
' Strecker aao. 5S0f. - Der weg der Nibelungen, progr. Char-
lottenburg 1892, s. 29. ^ auch bei Rüdiger und Iring scheinen ge-
schichtliche und mythische personen verschmolzen zu sein, ^ Giese-
brecht Gesch. d. deutschen kaiserzeit I^, G35.
NIBELUNGENLIED UND WALTHARIUS 203
nannt. str. 1227, 2. 3: die zwene marcgraven nah tiuut vor ir
stän, Eckewart unt Geren, die edeln recken guot, als Rüdiger
bei der Werbung Etzels empfangen wird, die bearbeitung C*
weils mit diesem ehrendienst bei der königin nichts rechtes an-
zufangen und ändert: sack man vor in stän. Gern und Ecke-
warten: daz schuof diu künigin, aber gerade das nähere Ver-
hältnis zur königin scheint beiden eigentümlich zu sein; wenn
dagegen in einer geschichtlichen quelle einmal 'Ekkihardus ac
Gero marchioues' zusammen genannt werden ', so ist zwar der
bekannte markgraf Eckard, aber ein jüngerer Gero (y 1015)
gemeint.
Führen so spuren in die zeit des letzten sächsischen kaisers,
so weisen andere beziehungen auf die nächsten Jahrzehnte, näm-
lich berührungspuucte der Nibeluugendichtung mit dem Ruodlieb,
von welchem sich ja fäden zur deutschen heldensage zurück-
spinnen, auch im Ruodlieb spielt das höfische beamtentum, be-
sonders auch bischöfe und capläne eine rolle -, auch die zeitsitte
erinnert an alte züge der Nibelungendichtung, so die Weisung,
dass bei hofe die waffen nicht getragen werden dürfen, vgl. Ths.
c. 3 77 u. Nl. Str. 1745: man sol deheiniu icäfen tragen in den
sal und Ruodlieb (ed. Seiler) i 81: Dum venit ad curtem,
quis munera, quis gerit enseni? das neigen und nament-
lich das aufstehn vor den frauen wird schon oft erwähnt und
schreibt sich wol aus der strengen ottonischen hofetikette her.
auffallend ist, dass in unser m liede zwar auch das küssen eine
grofse rolle spielt, aber nicht zwischen männeru vorkommt,
während in der Vorstufe der Ths. und im Ruodlieb auch männer
sich küssen, als Hagen und Dietrich sich als freunde linden,
heifst es Ths. c. 358: 'könig Gunnar ritt vor könig Attila und
begrüfste ihn und sein bruder Högni vor könig Thidrek, und sie
küssten sich und trafen sich nun als die besten
freunde', fast wörtlich stimmt damit eine stelle des Ruodlieb
überein, i 120:
Oscula dando sibi firmi statuuntur amici.
der Vorliebe für die jagd im Ruodlieb entspricht manches aus
der schon in der altern Nibelungendichtung vorhandenen Schil-
derung der jagd Siegfrieds, die hunde werden wiederholt schon
1 Thietmari Merseb. ohron. iv 52 (a. 10()2). ^ vgl. Seiler zum
Ruodlieb s. 83.
204 DROEGE
Ths. 347 erwähnt, und aus der allerdings erweiterten beschreibung
unseres liedes weist bemerkenswerte ähnlichkeit die stelle über
den Spürhund auf {investigntor im Euodlieb) i 44 ff:
Pr^slUt Imnc post mox canis in cursu bene velox
luvest l(/ator. quo non melior fuit alter,
Prq quo hestiola vel granäis sive minuta
Xon abscondere quit se, quin lianc mox reperiret.
vgl. XI. 933 ff:
Do nam ein alter jäger einen guoten spürehunt:
er brühte den lierre n i n einer k u r z e n s t u n t ,
da sie vil tiere funden . . .
Swaz ir der brache ersprancte, diu sluoc mit smer hant
Sifrit der i'il küene. —
II
Wenn auch eine so eindringliche würkung des "Waltharius
auf das Nibelungenepos, wie Eoethe vermutet, nicht nachzuweisen
ist, so führen doch manche spuren auf eine erhebliche tätigkeit
an der Nibelungendichtung um die wende des 1 0 und 1 1 jh.s.
eine lateinische bearbeitung in den kreisen des bischofs Pilgrim
von Passau mit so zahlreichen beziehungen zur Donaugegend,
wie sie namentlich Neufert gezeigt hat, ist kaum zu bezweifeln,
es wäre jedoch wunderbar, wenn sich die entwickelung der
dichtung auf jerjes Gebiet beschränkt hätte und auch um 1200
das lied widerum von einem österreichischen dichter umgestaltet
wäre auf grund jener dichtung Konrads oder ihrer Übertragung,
ohne dass der eigentliche mittelpunct der sage und des reiches
an der ausgestaltuug beteiligt wäre, schon Gero und Eckewart
führten auf Worms; andere beziehungen auf Worms und die
andern grofsen städte der oberrheinischen ebene schienen sich
für die Vorstufe unseres Nl. um 1115 zu ergeben, vgl. Zs. 51,
179 ff. 184 f, und werden uns auch für die zeit um 1000 noch be-
gegnen, daher ist von vornherein eine gewisse Wahrscheinlichkeit
vorhanden, dass die in Passau geförderte dichtung in Worms,
dem häutigen sitz der hofhaltung unter den sächsischen kaisern,
weiter gepflegt wurde, es mögen lateinische bearbeitungen der
wichtigsten nationalen dichtung nach dem vorgange des Passauer
dichters auch in den grofsen rheinischen bischofssitzen versucht
NIBELUNGENLIED UND WALTHARIÜS 2(i5
sein, zumal da auch der Waltliarius in den letzten Jahrzehnten
des 10 jh.s nach Mainz gelangte und Avahrscheinlicli von
dieser zeit an in abschriften durch Deutschland verbreitet wurde • ;
eine so lebenskräftige dichtung- wie das Nl. wird aber nicht auf
die fremde spräche beschränkt gewesen sein, mit i-echt sagt
FPanzer-': 'der litterarische hunger blieb auch in den breiteren
schichten der laien stets rege; er konnte aber nur mit dem
brote der heimischen dichtung g-estillt werden, nicht mit dem
golde einer lateinischen poesie'.
Gerade um die wende des 10 und 11 jh.s bestanden rege
beziehungen zwischen Baiern und Franken, sächsische herzöge
waren nach Baiern gekommen, und ein bairischer herzog war
deutscher könig geworden, die Babenberger markgrafen der Ost-
mark hatten reiche besitzungen in Franken, mannigfacher ver-
kehr aber knüpfte sich zwischen den bistümern und geistlichen
schulen, sodass sicherlich die kenntnis der lateinischen Nibelungen-
dichtung meister Konrads, mit der wir jetzt sicherer rechnen,
in Worms angenommen werden darf, zu verwundern war es,
wenn die epische gestaltung des teils der Nibelungensage der
im Donaugebiet spielt, nicht auch für das Eheingebiet mit seinem
eigentlichen kern der sage dichterische tätigkeit angeregt hätte,
auf eine solche gestaltung des ersten teiles der dichtung nach
dem Vorbild eines epos von 'der Nibelunge not' führen auch
innere gründe, dass man, wie es im Waltharius der fall war,
auch für dieses epos eine Vorgeschichte wünschte, ligt nahe,
und wenn die 'Not' die grofsen feste am hofe Etzels aufwies, so
musten auch die Burgundenkönige ihre hof feste haben; so wurde
denn die hochzeitsfeier Etzels und Kriemhilds durch die doppel-
liochzeit in "Worms überboten, statt des einen bischofs in- Passau
wurden in Worms zwei bischöfe verwendet, um die künigin zu
hofe zu führen, und so ergeben sich auch andere auffallende
parallelen. Eüdiger ist vermutlich von Konrad an Etzels hof
gebracht -^ mag man nun in ihm eine beziehuug auf den mark-
grafen Burkhard^ oder auf Liutpold I, den Babenberger^ linden.
' vgl. Strecker aao. 576. - Das altdeutsche 'volksepos (Halle
1903) s 7. vgl. Wilmanns aao.24. Zs. 51, 20Sf. ^ vgl. Eoethe aao. 6S3.
^ Vancsa Geschichte Nieder- uud Oberösterreichs (Gotha 1905) i 196.
^ Neufert aao. 30.
20G DROEGE
am hofe Günthers sind zwei solcher hohen gaste vorhanden,
die sicherlich zeitg-enüssische fürsten sind. Hagen hatte in der
alten dichtung einen treuen freund am Hunnenhofe, Dietrich,
dem er an mehreren stellen des liedes in hei-zlicher freundschaft
beigesellt ist. nun bekommt er auch einen Wormser freund in
dem offenbar von rheinischen dichtem eingeführten Volker von
Alzei. die ähnlichkeit der freundschaft geht so weit, dass in
der Ths. sowohl Dietrich wie Volker mit Hagen zusammen gehen,
indem sie deu arm um des freundes schulter legen (c. 373 und
375). auch Hagen könnte zu gleicher zeit wie Volker im gebiet
der Wormser könige localisiert sein. — die erweiterung des
epos durch eine Vorgeschichte ist sehr begreiflich, vor 'der räche
Kriemhilds will man die" schuld Hagens genau erzählt haben,
vor Kriemhilds und ihrer brüder ende auch Siegfrieds tod im
epos lesen, daher ist es sicherlich, nachdem einmal ein episches
gedieht von dem untergange der Nibelunge vorhanden war, eine
frage nicht langer zeit gewesen, auch von den freuden und festen
in Worms mit dem nachfolgenden leid, dem geschick Siegfrieds,
ein ausführliches epos oder eine erweiterte Vorgeschichte zu der
vorhandenen Nibeluugendichtung zu schaffen, so wird auch in
der Vorstufe unseres liedes (Ths. c. 342) mit bemerkenswerter
ausführlichkeit von der glänzenden regierung der Burgunden-
könige in Worms erzählt: 'und vou dem an, dass Sigurd Grim-
hild zur ehe erhalten hatte, stand dieses reich in grolser herr-
lichkeit auf alle weise (. . sto& pefta riki med inikilJt pry&l a
alla lund . .), zuvörderst dadurch, dass so manche häuptlinge
auch dort herschten, sich doch keine ebenso streitbare und
mächtige fanden, und alle ihre feinde vor ihnen in furcht
waren . . .'
Gerade um die wende des 10 und 11 jh.s erlebte Worms
einen glänzenden aufschwnng, der die blütezeit Passaus unter
Pilgrim bei weitem übertraf, damals regierte in Worms der von
den Zeitgenossen vielgerühmte bischof Burchard (lOOO — 1025),
unter dessen herschaft, vielleicht auch einfluss, das epos von
den Wormser königen sich neu belebt und gestaltet haben wird,
als freund könig Heinrichs II, der widerholt selbst in Worms
erschien, trat Burchard in aufserordentlicher würksamkeit hervor ',
' HGrosch Burchard I, bischof von Worms, Leipziger diss. Jena 1890.
Ilauck Kirchengeschichte Deutschlands lll (Leipzig 1896) s. 435 ff.
NIBELUNGENLIED UNI) WALTIIARIUS 207
der mächtige fränkische graf Konrad. der sich herzog- von
Worms genannt hatte, muste ihm weichen, und die alte Stamm-
burg der Konradiner in der Stadt, von denen einer, Schwieger-
sohn des königs Otto I, auf dem Lechfelde gegen die Ungarn
955 gefallen und in Worms unter grofser teilnähme der be-
völkerung beigesetzt war, wurde vom könige Burchard über-
geben, der sie zu der stattlichen Paulskirche mit der vielge-
priesenen Inschrift oh lihertatcm civitati'^ umbaute '. mag auch
der Verfasser seiner vita, der ihn persönlich gekannt hatte,
vielfach übertreiben, jedesfalls gilt Burchard den Zeitgenossen
als der neugründer der vollständig durch die Ungarnzüge und
manche misstände zerrütteten Stadt, er wird der gerechte herscher
genannt und bewährt sich als kundiger begründer des rechts
und eifriger förderer des landfriedens, von Heinrich 11 durch
eingreifende Verordnungen unterstützt''. schon 979 hatte
Otto II dem Wormser bischof das erste richterliche privileg ge-
geben, die volle gerichtsbarkeit erhielt Burchard IUI 4 bestätigt,
die gegend von AVorms vfar in jenen zelten bekannt geworden
durch blutige familienfehden unter den eingeborenen geschlechtern
die sich nach alter grausamer sitte mit todschlag, meineid und
blutigen greueln bekämpften, sodass, wie^Nitzsch^ meinte, durch
solche taten jenen kreisen die Nibelungendichtung "vollständig
verständlich' war. wir können sogar vermuten, dass durch die
mächtigen laiengewalten, die vögte und grundherren, gegen deren
übergriffe Burchard in seinem hofrecht ^ und in seiner vei-
waltuugstätigkeit ankämpft, jene rätselhaften häuptlinge ihre
erkläruug finden, die den Wormser Königen zu schaffen machen.
(Ths. c. 342). Burchard bändigte die hof genossen in kirchlicher
zucht, ordnete die guter und suchte an stelle der blutrache die
geldbufse einzuführen ^. so galt er durch seine tatkraft als der
' Vita Burchardi c. 9 (MG. SS. iv 830 ff.) '^ Hauck aao. s. 392.
ADB 3, 56.3. ^ Deutsche geschichte ii 34. " vgl. Gengier Das
hofrecht des bischofs Burchard v. Worms, (Erlangen 1859) s. 5. Burchard
spricht im vorwort von den crehrae insidiae multorum qui inore
canino fainiliam S. Petri dilacerabant . . . iiijirmiores suis iudiciis oji-
primentes . . . vgl, auch Vita Burch. 7: Castello itaque conflrmutu
et constructo inimioorum audadter /actis fortiter resistebat et s/iein
suis augebat, plerurnque etiam ipsos hostes di(;ti--< etfaitis
entrepidus terrebat. ^ Nitzsch Minlsterialität u. bürgertuni
(Leipzig 1859), 131.
20S DROEGE
tüchtig-ste regent und richter im lande und durch die auf-
zeichung des Wormser hofrechts, für welches er auf alte volks-
rechtliche Satzungen zurückgriff, sowie durch seine Sammlung
von decretalen, die auf umfassenden quellenstudien beruhte, als
der rechtskundigste und gelehrteste mann seiner zeit, bischof
Thietmar von Merseburg, 'dessen chronik uns am lebendigsten
in die ganze atraosphäre der zeit einführt' ', wird durch Burchards
persönlichkeit zu begeisterten versen angeregt"-:
Ui'hs Wormacensis gaudet temp oribus istis
Libertate sua, cuius manebat in umbra
Hactenus, atgue ducnm fuerat sub lege suoram.
Bnrchard antistes laetatiir et inter heriles
ex anirno jiroceres, qnod non timet amplius host es
nunc ex contiguo, longe semotiis ab illo.
Aula ducis doniini domus est iam praeclua Christi,
et iudices varios clenis nunc deprimit illos.
Ein solcher mann wird sicherlich durch seine Persönlichkeit
und durch seine Studien des alten rechts auch den sinn für die
geschichte und sage der Stadt Worms belebt haben, vielleicht
liefs seine glänzende regierung die alte zeit burgundischer herr-
lichkeit gerade so wider lebendig werden, wie die hofhaltung
des erzbischofs Philipp von Köln 1177 — USO in Soest eifrige
beschäftigung mit der Nibeiungendichtuug, vielleicht sogar deren
localisierung veranlasst haben wird^.
Sogar in unserm Nl. scheint noch eine spur vorhanden zu
sein, die ein abbild jener zeit in der friedevollen und gesegneten
regierung der königlichen brüder und ihres Schwagers Siegfried
erkennen lässt.
In der Ths. c. 342 fällt auf, dass Siegfried nicht nur wegen
seiner stärke und tüchtigkeit, sondern vor allem wegen seines
edelmuts, seiner Weisheit und umsieht gepriesen wird {hugprySti
ok spnjeki oc framvisi). im Nl. ist die erzählung von Siegfrieds
regierung in Xanten eine änderung des stauöschen dichters, der
die herschaft Siegfrieds in dessen erbland verlegt hat, das lob
ist urspi'ünglich auf seine tätigkeit in Worms gerichtet, be-
merkenswert ist auch hier die starke betonung des gerichts
V. 7 14 ff:
* Nitzsch Deutsche geschichte ii 36S. ^ prolog zu buch vi.
3 Zs. 51, 213f.
NIBELUNGENLIED UND WALTHARIUS 209
Er bevalch im sine kröne, gerihte nnde lant,
Sit waser ir aller meister. die er ze rehte vant
unt dar er rihten solde, daz wart also getan
daz man sSre vorhte der seinen Kriemhilde man.
In disen grozen eren lebet er, daz ist war,
und rihte ouk under kröne unz an daz zehende jär.
dass in den folgenden Strophen zugleich von Günthers regierung
die rede ist, beweist, wie die beziehung ursprünglicli eine andere
war, nach der art unseres Nibelungendichters aber geändert
wurde, das ursprüngliche findet sich eben in der Ths. c. 342,
wo die herrlichkeit des Wormser reiches gepriesen wird.
In die zeit um 1000 fügen sich auch passend der graf
Eckewart und der "herzog Gero': so wird nämlich Gere einmal
genannt und zwar in altem Zusammenhang, während C* in marc-
gräve ändert (str. 582, 1). von Wormser grafen und herzögen
wurde aber in der zeit Burchards in erinnerung an die Konra-
diner noch oft gesprochen, und so dürfte denn auch aus der alten
dichtung jener rätselhafte bischof von Speyer seine erklärung
finden, der so plötzlich am Wormser hofe erscheint und den aus-
ziehenden Burgunden seinen segen wünscht str. 1508:
Do truoc man diu gereite ze Wormez über den ho f.
dö sprach da von Splre ein alter bischof
zuo der schcenen Uoten 'unser friunde tcellent varn
gegen der höhgeztte: got müeze ir ere da beivarn".
der alte bischof scheint doch eine ganz besondere person zu
sein, weil er so unvermittelt in den gang der erzählung tritt und
wie ein rest älterer zeit ja auch bezeichnet wird, bischof Burchards
langjähriger freund und treuer helfer bei abfassung seiner kirchen-
rechtlichen Sammlung war aber Walther von Speyer, der seinen
freund oft in seiner 'cella' vor der Stadt besuchte, ein gelehrter
und seit frühster Jugend in lateinischer dichtkunst geübter bischof '.
und nun erklärt sich auch wol jene andere bemerkenswerte stelle,
wo am Wormser hofe zwei bischöfe erwähnt werden, str. 658:
Von rossen unt von Hüten gerümet ivart der hof.
der vrouwen iesliche fuorte ein bischof,
dö si vor den künegen ze tische solden gän.
1 Vita ßurchardi c. 10 . . . domino Walterio Spirensi episcopo
adiucante . . . canoiies in unum corpus collegit. vgl. Hauck Kirchen-
geschichte III 325f. 437.
Z. F. D. A. LIII. N. F. XL. 14
21(1 DROEGE
die erklärung ergibt sich, wenn wir an Burchard und seineu
freund Walther von Spej-er denken und erwägen, dass im zweiten
teil der dichtung bereits bischof Pilgrim und zwar ausdrücklich
mit namen ebenfalls als geleiter der königin eingeführt war.
um 1000 stehn auch die bischöfe in engem Verhältnis zum könig,
sie sind ihm vertrauter als weltliche fürsten und 'wandeln ganz
auf den pfaden des hoflebens' •. der hof Heinrichs II aber, der
häutig in Worms residierte, war der kirchlichste Europas, und
die Zeitgenossen wie Thietniar werden nicht müde, die bischöfe
in ihrer treue als diener des königs dem laienadel gegenüber-
zustellen.
Auch andere zeitgeschichtliche beziehungen scheinen auf die
Wormser Verhältnisse um 1000 zu weisen, die streitscene vor
dem Wormser münster gehört zwar erst dem dichter um 1200
an, aber wahrscheinlich ist in der alten dichtung schon von
Siegfrieds bestattung die rede, und so wird damals auch schon
der dom hineingebracht sein, er als durch Burchard grofsartig
erbaut und von dem kaiser Heinrich persönlich auf seinen aus-
ausdrücklicheu wünsch unter grofsem gepränge geweiht wurde'-,
ob auch das haus bei der Stadt, das sich Burchard erbauen lief?,
um sich zum gebet und zur arbeit an seiner kirchenrechtlichen
Sammlung zurückzuziehen, an jene wohnung Kriemhilds uns er-
innern darf, in der sie einsam ihrem schmerz sich hingeben
konnte? vgl. Vita Burch. 10 . . . cellam egreglam con-
struxit. Illuc se post concUia regiaque colloqiäa . . . diver-
sosque mundi strepitus receperat und Nl. str. 1102. ze Wormez
hl dem münster ein gezimber man ir slöz, wit unt vil
michel, rieh unde gröz, da si mit ir gesinde sit dne
vreude saz. — jedesfalls aber wurde in Worms zu jener zeit
viel vom Odenwalde gesprochen, der, wie ich Zs. 51, 208 aus-
geführt habe, wahrscheinlich erst um 1200 aus der kenntnis des
Waltharius in den Wasgenwald verwandelt wurde, bald nach
* Nitzsch Deutsche gesch. i 368. Laniprecbt Deutsche gesch. Ii214.
^ Vita Burchardi 14: Eodem tempore quippe Heini-icus impe/alnr
lUtn exercitw in Burijun'diain ire disposuit et eo itinere Wo/--
mutiam cenit. Cum autem egregium illud monaster ium
cidisset, episcopum ut se praesente consecraretur, assiduis rogationibus
peticit . . . imperatore praesente et iubente cum magnis laudibus et
maicimo cleri plebisque tripudio midtis episfopis praesentdjus Deo dii-utd
est haec domus.
NIBELUNGENLIED UND WALTHARIUS 211
1000 spielen streitig-keiten zwischen Worms und Lorscli um die
grofsen wald- und Jagdbezirke des Odenwaldes. im Jahre 10(i2
schenkte Heinrich II den königlichen wildbann in dem grol'sen
reichsforste zwischen Bergstralse, Rhein und Neckar, der sich
also an den Odenwald anschloss, an Worms, trotzdem der gröste
teil von grund und boden innerhalb desselben zu Lorsch ge-
gehörte; im jähre 1012 aber wurde nach langen Verhandlungen
und einem durch eidliche aussagen begründeten verfahren von
könig Heinrich II selbst eine Urkunde ausgestellt, welche den
wüldbanu im Odenwald zwischen Worms und Lorsch teilte '. wie
nah lag es während solcher erörterungen und Streitigkeiten in
Worms, die königliche Jagd, an der die alten burgündischen
könige und der herrliche Siegfried teilnahmen, in jenen von den
Wormser herren beanspruchten forst zu verlegen, vielleicht um
das recht der Stadt Worms zu bekräftigen, in derselben zeit
taucht auch die wichtige burgundische frage auf, Heinrich zieht
von Worms aus nach Basel, um aus der später ihm zufallenden
burgündischen erbschaft bereits jene wichtige stadt zu besetzen '-.
in unserm liede weist vielleicht noch eine stelle auf jene zeit
hin, wo man von Worms aus nach jener gegend jenseits des
Wasgenwaldes blickte, in der am eingang des Burgundenlandes
Basel lag. bei den rüstuugen zur fahrt ins Hunnenland, die
auch in der vorläge unseres Nl. schon ausführlich beschrieben
wurden (vgl. Ths. c. 30 1), heilst es str. 1522:
Die snellen Burgonden sich üz Imohen.
do wart in dem lande ei)} michel nohen.
h e i d enth a Ijj d er he r g e wein de uip un d m a n .
üirie dort ir volc f/eftefe, si fuoren vr(£l7che dan.
unter den bergen kann nicht gut etwas anderes verstanden
werden als der Wasgau, es wird also die gegend um Worms
einerseits und anderseits um Basel geraeint sein, die bearbeitung
C* weii's mit den bergen nichts anzufangen und ändert in hei-
denthalp des Rines.
Durch die burgundische frage, die um 1000 so lebhaft auf-
taucht, möchte auch die tatsache ihre erklärung finden, dass,
während im Waltharius die Wormser immer Franken heifsen,
' FKieser Beiträge zur geschichte des Klosters Lorsch i, progr.
Bensheim 1908, s. 43. - Ann. Einsidl. 1006: Ueiiirirus rex in re;j-
num Burnundio/ium ceniens Ba^xlearn licitateni re<ino suo adi^ricit.
14»
212 DRODGE
dass Nibelungenlied mit grolser bebarrlichkeit regelmäfsig den
alten Biirgundennamen festgehalten hat. in jener zeit nun, wo
aller herzen im kern des reiches, der oberrheinischen ebene,
durch die burgundische frage bewegt wurden, wo Burchard von
Worms die alten rechte der Burgunden für sein hofrecht durch-
forschte, das ein mittelglied wurde zwischen den alten volks-
rechten und den spätem mittelalterlichen Satzungen, in jener
zeit erregte das alte burgundische königshaus das lebhafteste
Interesse, damals konnte in der tat geschehen, was schon früher
vermutet ist^ dass die namen der Burgundenkönige Gernot und
Giselher durch 'den einfluss gelehrter Überlieferung' in die Nibe-
lungendichtung kamen', ich glaube allerdings, dass Gernot sich
neben Günther als alte person der sage gehalten hat, aber
Giselher ist, wie wir später beobachten werden, offenbar so
äufserlich in den Zusammenhang eingefügt, dass sein eindringen
um 1000 wahrscheinlich wird, und was Heusler- gegen Wilmanns.
der den einfluss meister Konrads annimmt, mit recht vorbringt,
es sei 'unwahrscheinlich, dass ein dichter, und wäre es auch der
latinist meister Konrad, seinen historischen Spürsinn bis auf das
burgundische gesetzbuch ausgedehnt hätte', dieser einwand wird
hinfällig, wenn wir nicht Konrad als tiuder jeuer namen ver-
muten, sondern einen Wormser dichter aus der zeit und Um-
gebung Burchards, der die burgundischen rechtsquellen nach-
weislich studierte und als freund des königs der burgundischen
erbschaftsfrage und der Burgundengeschichte besondere teilnähme
entgegenbrachte.
Noch eine andere tigur, die ebenso unvermittelt erscheint,
wie die zwei bischöfe und der alte bischof von Speyer, dürfte
schon in der Ottonenzeit in die dichtung eingeführt sein, eine
ganz besondere rolle spielen in Worms und im reiche unter
Heinrich II die königlichen capläne. Burchard selbst war wie
sein bruder und Vorgänger Franko königlicher caplan gewesen •*,
wie überhaupt zu jener zeit fast alle bischofstühle des reiches
mit hofcaplänen besetzt wurden^, nach Frankos frühem tode
wurden nacheinander die capläne Erpo und Eazo als bischöfe
' Wilmanns aao. 2:$. '^ Geschichtliches und mythisches in der
germanischeu heldensage, (Sitzungsberichte der preufs. akad. 1909) s. 932,
anm. 1. ^ Grosch aao. s. 7. ^ Giesebrecht il 82. Hauck
kirchengesch. iii 404.
NIBELUNGENLIED UND WALTHARIUS 213
von Worms in aussieht genommen, aber der eine starb schon
am dritten tage, der andere in demselben Jahre, keinem wurde
die würde zu teil ', dann wurde Burchard bischof. gewis wurden
diese Vorgänge um das jähr 1000 in dem kreise Burchards
viel besprochen, und der königliche caplan mag auf derartige
anregung in die dichtung gekommen sein, noch in unserem
liede heilst er mehrfach ganz ofticiell (1542, 3. 1574, 4.) des
kiineges kapelän, die bearbeitung C* findet jedoch die plötzliche
einführung des caplans befremdlich und sucht die stelle vorzu-
bereiten durch den zusatz 1523, 5f:
in den seihen ziien was der gelouhe kranc.
doch frumtens einen k ajjelan, der in messe sanc.
allerdings scheint das unchristliche vorgehn Hagens gegen des
königs caplan ertindung des spielmannsepos um 1115 zu sein
(vgl. Zs. 51, 191), in dem die Vorgänge an der Donau erweitert
Avurden, die persönlichkeit des caplans aber kann vorhanden ge-
wesen sein, mag er nun früher umgekehrt oder beim kentern
des kleinen bootes (Ths. c. 3G6) unter den 'wenigen männern'
ans linke ufer gerettet sein.
Noch andere geschichtliche beziehungen weisen auf die zeit
der Sachsenkaiser, so ist zu jener zeit der eigentümliche ge-
danke Etzels nicht unwahrscheinlich (Ths. c. 360), das Hunnen-
reich für den unmündigen söhn von den Burgundenkünigen
regieren und den kleinen Ortlieb am Rhein erziehen zu lassen
(Nl. 1915f). unter dem eindruck der deutschen erfolge nach
der grofsen Ungarnschlacht und der bekehrung der Ungarn zum
Christentum konnte eine solche absieht leichter aufkommen, als
zu einer spätem zeit, in der die Ungarn sich mehr und mehr
vom reiche entfernten, schon zur zeit Geisas 2, der sich dem
chi'istentum geneigt zeigte, giengen gesantschaften hin und her,
und später erhob Waik, der den christliehen namen Stephan
annahm und sich mit Gisela, Schwester des Baiernherzogs, spätem
königs Heinrich II vermählte, das Christentum zur Staatsreligion'*
und trat in enge beziehung zum deutschen könig. — anderseits
ist die bekriegung der Dänen, die sich noch in unserm Nl. merk-
' Thietmar iir G2 : Yoluit iinpendor capellanos saunet . . . epi.<-
coprdi fira</u subliinare . . . uterqae sine sr.icerdotali unrtione discessit.
- Riezler Geschichte Baierns (Gotha 1878) l 393f. ^ Vancsa aao. s. 202
2 1 4 DROEGE
würdig gegenüber den Sachsen in den Vordergrund schieben
(str. 167 ff), wol verständlicli gerade zur zeit der Sachsenkaiser,
einmal weil am ende des 10 jh.s die Dänenzüge wieder eine
rolle spielen, so hat namentlich Otto II die Dänen tief gedemütigt,
und dann, weil die alten Sachsenkriege, von denen man seit
Karl dem grofsen sang, doch nicht gut gepriesen werden konnten,
wenn ein sächsischer kaiser auf dem throne sal's. die Sachsen-
kriege werden erst unter den Saliern Heinrich IV und Heinrich V
durch geschichtliche ereignisse auch in der Nibelungendichtung
von neuem belebt.
So fallen manche beziehungen auf die zeit um lOdO an der
Donau und am Rhein, unter Pilgrim und Burchard, auffallend
zusammen, gewis sind nicht alle puncte sicher und greifbar,
und das ist auch bei einer doppelten umdichtung, um 1115 und
um 1200, nicht zu verwundern, aber sie genügen, um Jedesfalls
eine erhebliche einwirkung auf die dichtung auch der umgegend
von Worms zuzuschreiben, die annähme einer dichtung meister
Konrads und einer Umarbeitung durch einen österreichischen
dichter reicht nicht aus, die vielfachen anklänge an die Ver-
hältnisse im kern des reiches um Worms zu erklären, auch
die berechtigte frage, die schon Neufert (aao. 29) stellte, findet
so ihre einfache antwort, wie 'gerade die beiden sächsischen
markgrafen den meister Konrad für sich erwärmt haben sollten,
dass er sie von den vielen heldengestalten der Ottonenzeit her-
ausgriff und neben seinem bischof verherrlichte', der grund
dass sie in ihrem Charakter 'mit Pilgrim in mancher beziehung
wahlverwant' seien, ist nicht stichhaltig; bei der annähme eines
Wormser dichters zur zeit des letzten Sachsenkaisers erklärt
sich die einführung einfacher: sie finden ihren platz in Worms,
wo die sächsischen kaiser vielfach residieren, als gegenstnck zu
den vielen fürsten des barbarenhofes, dem nunmehr der Bur-
gundenhof in reicherer ausgestaltung gegenübergestellt wird'.
III
Wie für Ekkehard das bestreben, Walthers gefalir und
rühm zu steigern, anlass gab, die gruppe der kämpfer zu ver-
' auf der andern seile ist vielleicht gerade in diesem Zeitalter der
sächsische Iring an den hof Etzels gebraclit, wie Ekkehard den Sachsen
Ekivrid eingeführt hatte. Irnfried scheint der dichtung sclion früher
anzugehören.
NIBELUNGENLIED UND WALTHARIUS 2ir,
mehren, ueue namen und kampfarten bis xur wunderlichsten, der
anwendung- des seiles ', zu erfinden, so sind auch in der Nibe-
lungendichtung- besonders die kämpfe mannigfach erweitert und
verändert worden, g-erade in diesem teil der dichtung-, der zur
mehrung und Verstärkung- am meisten lockte, der auch in den
einzelheiten schwerer im gedächtnis zu behalten war und viel-
leicht deshalb auch schon in den liedern häufiger verändert
wurde, lässt sich die allmähliche entwicklung beobachten, schon
bemerkt wurde, dass Giselher vermutlich erst später eingeführt
ist, in der nordischen sage fehlt er ganz, und in der Ths. lässt
sich sein äufserliches einwachsen noch erkennen. nachdem
Rüdiger — vielleicht von Konrad — eingeführt und besonders
seine milde gastlichkeit mit bemerkenswerter wärme geschildert
war, sucht der dichter, welcher der burgundischen königsfamilie
seine teilnähme zuwendet, die freundschaft zwischen Rüdiger
und den königlichen brüdern enger zu knüpfen, und gibt dem
jungen königssohn, dessen name um 1000 der lex Burgundionum
entnommen sein mochte, die junge markgräfin zur braut, diese
Verlobung und ihre folgen bilden den eigentlichen kern von
Giselhers handlung. sonst wird er immer nur im anschluss
an Gernot genannt, c. 360 grüfst ihn Attila mit den andern
brüdern, mit denen er c. 361 auch zur Unterredung kommt,
c. 362 hat Ute vergeblich die söhne gewarnt und ist von Hagen
abgewiesen, in einem zusatz, der von unserm Nl. einfach weg-
gelassen werden konnte"^, fleht sie, ihr w'enigstens den jüngsten
söhn zu lassen, der aber will vor den brüdern nicht zurück-
bleiben, und so will er — eine widerholung des motivs — auch
später im kämpfe, als Hagen c. 390 für ihn bittet, nichts vor
den brüdern voraushaben, sonst ist er bis auf die freundliche
begrüfsung durch Kriemhild (c. 373) nur eine ergänzung zu Gernot.
wie Gernot hat er einen roten schild mit goldenem Habicht
(c. 363), 374 sitzt er neben Gernot an der königstafel, 377 wird
er ausnahmsweise neben Günther gestellt, sonst folgt er Gernot,
382. 384. 385, bis er sein eigentliches werk vollzieht, um
dessen willen er eingeführt wurde, er erschlägt den vater
seiner braut mit dem geschenkten Schwerte, ihn aber tötet, wie
auch den bruder Gernot, der alte Hildebrand, der nun durch
den kämpf mit den beiden tapfern königssöhnen auffallend reich-
^ Walth. V. 9S2 ff. - vgl. Wilmanns aao. 20.
216 DROEGE
lieh belastet erscheint, bei der gestaltung der Persönlichkeit
Giselhers hat vielleicht der im Waltharius bei Etzels einfall
noch ganz zarte Günther anregung geboten v. 29f . . . Guntharius
nonihüu pisrvenit ad aevum. ut sine matre qucnt vita^n re-
tiner e tenellam, vgl. Ths. 390, wo Giselher sagt: 'ich war
fünf winter alt und lag im bett meiner miitter.
Auch sonst ist in der Vorstufe unseres liedes, wie wir sie
im wesentlichen in der Ths. zu finden meinen, bei der Schilderung
der kämpfe nicht alles ursprünglich, es fällt zb. auf, dass
Dietrich nach dem falle Eüdigers zu den waffen ruft und mit
seinen mannen vordringt, aber die Nibelunge erschlagen ihm
seine Amelungenrecken, im erneuten kämpfe erschlägt Dietrich
Volker, Hildebrand wird auf Geruot und Giselher abgelenkt,
und schlieCslich erklärt Hagen Dietrich, ihre freuudschaft müsse
nunmehr geschieden sein, zwischen Hagen und Dietrich kommt
es zu einem laugen und schweren' kämpfe, sie ermüden und
verwunden sich gegenseitig, dann folgt die scheltscene zwischen
beiden beiden und endlich die Überwältigung Hagens durch
Dietrich, zunächst kommt Volker im letzten kämpfe etwas un-
gelegen dazwischen, er trat wol erst später an dieser stelle
ein, wie ja seine person als Hagens freund jünger zu sein
scheint; ferner versetzt Hildebrand erst Gernot und bald darauf
ebenfalls Giselher die todeswunde. Wir hätten als ein-
facheren aufbau: Dietrich zürnt wegen Rüdigers fall und ent-
sendet seine mannen: als ihm diese erschlagen sind, stürzt er
sich auf Gernot und Giselher, für welche dann Hagen auftritt;
und auf einer noch früheren stufe, als Rüdiger und Giselher
fehlten, würde als einfaches motiv genügen, dass der tod der
Amelungen einerseits und Gernots anderseits Hagen und Dietrich
zum letzten kämpf zusammenführt, dass wie in der Ths., so
auch in der dichtung des lü jh.s herzog Osid den küuig Günther
erschlug, schliel'se ich daraus, dass es als eine wolerwogene
und passende ähnlichkeit erscheint, wenn der verwante Attilas
den bruder Günthers erschlägt und Günthers bruder Gernot den
bruder des Hunnenkünigs Bloedelin; der name Osid ist aber
offenbar dem auch schon im 10 jh. vorkommenden namen Ospirin
verwant.
In der Ths. scheint gerade am schluss die vorläge erheblich
gekürzt zu sein, und so sind wol namentlich bei der kurzen be-
NIBELUNGENLIED UND WALTHARIUS 217
merknag in c. 389, dass die Nibelunge die mannen Dietrichs
fällten, einige einzelheiten ausgefallen, dass hier auch AVolfhart,
der vervvante Dietrichs und Hildebrands neft'e, eine gröfsere
rolle gespielt habe, dürfen wir mit grund vermuten, in unserm
Nl. und auch wol schon in der altern dichtuug wird er be-
sonders geehrt, er allein, der edle Jüngling aus dem geschlecht
der "Wöltinge, wird auf den königssitz Attilas gezogen und
später gewürdigt, von dem königssohn Giselher erschlagen zu
werden und auch ihn zu fällen, so wird er auch in der altern
dichtung seine rolle gespielt haben, aber in anderer weise, denn
dass sich Giselher und Wolfhart ebenso gegenseitig erschlagen,
wie Rüdiger und Gernot, ist sicherlich nicht die alte Über-
lieferung, in der schönen scene unseres liedes, die Wolfharts
tod behandelt, fällt es sehr auf, das Wolfhart von Volker nur
zum 'straucheln' oder zum 'stieben' gebracht wird (str. 2277:
(Ja sluog er Wolfharten, daz er stieben hegan A B, strachen C).
offenbar soll er für den kämpf mit Giselher aufgespart werden,
kurz vor seinem tode aber warnt er, von Giselher schwer ge-
troffen, den meister Hildebrand 2301: 'mi hü et et iiich vor
Hagenen: ja dtinket ez mich guot. er treit in sinem herzen
einen grimmigen inuot'. der alte Zusammenhang wird gewesen
sein, dass Hagen Wolfhart den todesstreich versetzt und dadurch
vor allem Dietrichs grimm erregt, in unserm liede wird jetzt
höchst wunderlich Hagen durch Hildebrand abgelenkt. in
Str. 2274 stürmt Wolfhart vor, ohne sich von Hildebrand halten
zu lassen, in str. 2275 heilst es darauf: I)o gespranc zuo Hagenen
meister Hildehrant und schon in der folgenden Strophe: zehant
dö wände Hildehrant von Hagenen wider dan: dö lief der
starke Wolfhart den küenen Volkeren an, sodass an die stelle
Hagens erst Volker, dann Giselher getreten zu sein scheint,
an denselben personen lässt sich auch sonst die entwicklung der
dichtung erkennen, sobald Hildebrand die tötung Gernots und
Giselhers abgegeben hat, Avird er frei für den kämpf mit Volker,
den er in unserm liede str. 2287 erschlägt; Ths. c. 389 erschlägt
ihn Dietrich selbst, überhaupt scheint der letzte dichter nicht
mehr so grofses gewicht auf die auswahl der sieger zu legen,
wird doch der vielgerühmte Dancwart von dem unbedeutenden
Statisten Helferich gefällt, von einer 'grundanlage der kämpfe'
(Roethe aao. G73) kann bei der allmählichen ausgestaltung des
218 DEOEGE
epos kaum die rede sein, ebenso wenig von einem 'dreimänner-
kampf am schluss, wenn wir an Osid als besieger Gunthers
festhalten nnd Günther schon frülior ans dem kämpfe aus-
scheiden lassen.
Wenn wir nun vor unserm XL zwei stufen bemeikenswerter
entfaltung wahrgenommen haben, so ist damit nicht ausdrücklich
ausgeschlossen, dass nicht schon früher ausätze zum epos gemacht
sein mögen, wie auch nach der entstehung des epos noch
einzellieder weiter gesungen werden konnten, wenn ein junger
klosterschüler sich um 930 einer sage zuwante. die längst nicht
so gewaltig und berühmt war, wie die Nibelungensage, so ist
es nicht unwahrscheinlich, dass sich schon früher epische tätig-
keit mit der gröfsten und herrlichsten sage beschäftigte, zumal
da schon in dem Zeitalter karolingischer renaissance Stoffe aus
dem alten germanischen sagenschatz in reicher ausführung zb.
von Paulus Diaconus zusammengefasst wurden, anderseits schon
in der ersten hälfte des 9 jh.s ein geistlicher stoff in volks-
tümlich epische form sich kleidete.
Während Eoethe die dichtung Konrads mit der einladung
Etzels und dem aufbruch von Worms beginnen lässt, möcht ich
als anfang des altern epos vor der Wormser erweiterung die
Werbung Etzels annehmen, wie ja die Ths. und unser Nl. an
dieser stelle einen scharfen einschnitt erkennen lassen, wir
haben dann in der Ths. etwa ein Verhältnis beider teile wie 1 : 2,
während in unserm liede beide teile nahezu gleich gemacht sind,
es kommen jetzt auf den ersten teil str. 1 — 1142 und auf den
zweiten str. 1143 — 2379, also 1236 Strophen; bis auf 94 Strophen,
die der zweite teil mehr enthält, sind also beide hälften aus-
geglichen, das ist sicher kein zufall, sondern eine beabsichtigte
planmäfsige auffüllung des ersten teiles, und schon der alte
dichter wird jene beiden hälften unterschieden haben, dass die
Vorstufe unseres liedes schon die Siegfriedsage enthielt, betonte
ich Zs. 51, 177f, und allem anschein nach ist die Siegfried be-
handelnde Vorgeschichte in Worms um 1000 hinzugefügt.
Die ursprünglich getrennte dichtung des ersten und zweiten
teils, ein episch erweitertes lied von Siegfrieds tod und das epos
von 'der Nibelunge not', würkte auf die ausgestaltung der
Charaktere in verschiedener richtung ein : der Günther des
ersten teils ist der grundstock des Gunthers im Waltharius, der
NIBELUNGENLIED UND WALTHARIUS 219
Günther des zweiten teils ist viel edler und feuriger und mit
dem tückischen und feigen kämpfer, der mit seinen gefäiirten
am seile den schild des matten gegners niederziehen will, nicht
zu vergleichen, die anfügung des Siegfriedepos wird aber den
Charakter Günthers im Nl. gedrückt haben, da nun der Sieg-
fried so sehr nachstehnde könig auch im zweiten teile der
dichtung zurücktritt, Günther hat keine eigentliche heldentat
verrichtet, nur im massenkampf zeigt er sich tapfer. Hagen ist
der eigentliche held des gesamtepos, aber auch er zeigt zwei-
fache Charakterzüge, die sich zum teil aus der zusammenfngung
der epen ergeben, der mürder Siegfrieds und der trost der
Nibelunge waren auszugleichen. — ob für Konrad oder allge-
meiner für das epos um 1000 die dichtung noch 'das epos vom
kämpf um den Nibelungenhort" war', ist zweifelhaft, gewis
spielte das alte schatzmotiv noch eine gröfsere rolle, aber in der
Ths. ist Etzel nicht mehr der habsüchtige, in c. 359 ist die
bemerkung: 'Etzel war der habsüchtigste aller männer . . .' ein
fremder zusatz (vgl. Zs. 51, 189.); auch c. 376 will er auf
gold und Silber kein gewicht legen, in der werbungsage, die in
gegensatz zu der alten hortsage trat, ist das schatzmotiv zurück-
gedrängt-, und in der Thidrekssaga scheint Kriemhild vor allem
auf ihr eigentum, das sie durch Siegfried bekommen hat,
hinzuweisen, c. 373 sagt sie: 'hast du mir der Niflunge schätz
mitgebracht, den jung Siegfried hatte?" und c. 359: 'meine
brüder wollen mir nicht einen pfennig davon gönnen', in
unserm liede wird der schätz ausdrücklich als persönliches
eigentum Kriemhilds aufgefasst, er ist ihre morgengabe, str. 1116,
4 und 1118. 4, und 1741 betont sie:
^hort der Nibelunge, war habet ir den getan:'
der was doch min eigen, daz ist iu wol bekanf ;
auch 2367 wird ihr anrecht hervorgehoben, vielleicht geht
diese Wendung nach der privatrechtlichen seile in das 10/11 jh.
zurück, im Wormser hofrecht wird über das besitztum der
frau nach dem tode des mannes gehandelt, und in der lex Bur-
gundionum war die morgengabe mit besonderm nachdruck er-
• Roethe aao. s. 6S5, vgl. s. 672. ^ ygi L^on Polak Untersuchungen
über die Sigfridsagen (Berliner diss. 1910) s. 62.
220 DROEGE
wähnt, während sie in andern rechten zb, in der Lex Salica
früh in der 'dos' verschwand •.
Auch andere änderungen scheinen über die Ths. hinaus in
die zeit der Sachsenkaiser zurückzuweisen. so verniut ich.
dass die streitscene der beiden königinnen, in der Krierahild
nicht vor Brunhild aufsteht, auf die strenge hütische etikette
der Ottonenzeit zurückführt, das derbere spielmannsgedicht,
das der Ths. zu gründe liegt, hätte kaum so hötisch geändert;
auch im Ruodlieb ist das aufstehen vor einem höheren besonders
stark betont '-. als die scene später in einen streit um den vor-
tritt verwandelt wurde, ist von dem stautischen dichter nach
seiner art das motiv nicht ganz fallen gelassen, sondern in einer
andern scene in av. 29 'Wie er niht gen ir üf stuont' verwertet
worden.
Ebenso setz ich eine ausführlichere Schilderung der jagd schon
in die Wormser dichtung, da auch im Ruodlieb. wie schon erwähnt,
mit Vorliebe von jagd, Jägern und Spürhunden gesprochen wird;
die Ths. erwähnt mehrfach die hunde. auch die Umwandlung des
gestaltentausches in die Verwendung der tarnkappe möcht ich
in dieselbe zeit setzen, schon in dem letzten an die heldensage
anklingenden teil des Ruodlieb (xviii, Iff) kommt die fesselung
eines zwerges vor, der durch seine worte (v. 4 ff) au Alberich
erinnert (Nl. str. 497 f) und wol derselbe ist, weil auch in der
Ths. ein Alfrikr mit Rozeleif zusammengebracht wird-, mit
diesem zwerge besonders ist aber die tarnkappe verbunden, und
so wird auch in jener zeit schon von der tarnkappe im epos
gefabelt sein, wie denn ein unsichtbar machender heim oder
mantel von dem 'helithhelm' des Heliand bis zum 'unsichtigen
rock' bei Hans Sachs in Deutschland bekannt war ■*. gerade in
den Wormser kreisen, die von Burchard beeinflusst wurden, ist
der ersatz des alten aberglaubens vom gestaltentausch durch
eine immerhin wunderbare, aber nicht so stark heidnische an-
schauung deshalb wahrscheinlich, weil Burchard in seinem verbot
» Gengier Hofrecht c. i. Lex Burg. XLII (MG. LL. in 549): de
morgenr/eha vero, quod jiriori lege statutum eft, permaneliit. - Seiler
zu Ruodlieb s. 87. '-' AVGrimm HS^ 63. ' vgl. JGrimm Myth.^
1 383. Hans Sachs Fabeln u. schwanke ed. Got-tze (Hallische neudrucke
110/17) I 447.
NIBELUNGENLIED UND WALTHARIUS 2 21
des heidnischen Unwesens vor dem glauben an einen gestalten-
tausch in jeder form warnt '.
Wenn Hagen im epos Konrads als eine freundliche tigur er-
scheint, so mag das zum teil durch den auffallend günstig ge-
schilderten Charakter Hagens im Waltharius veranlasst sein, aber
die anläge zu dieser günstigeren auffassung war schon in der
Stellung des beiden im zweiten teil des Nl. begründet; wie grau-
sam anderseits Hagen auch später noch ist, hebt die Thidreks-
saga noch recht getlissentlich bei der tütung des fährmanns hervor,
und auch unser lied betont deutlich den gegensatz in seinem
Charakter, str. 219S:
Sivie grimme Hagene wcere laul swie herte gemuot,
ja erbarmet im diu gäbe die der helt guot
bi s'men lesten ziien so nähen hete getan,
vil manic riifer edele mit im truren hegan.
von einer absichtlichen 'schmälerung der Sympathie für Hagen' ■^
durch den stautischen Dichter des Nl. kann daher nicht die
rede sein, gewis wird Dancwart auf seine kosten hervorgehoben
und Volker als Verre sterker' gerühmt, aber Hagen bleibt doch
der 'trost der Nibelunge' und übertrifft str. 1843 Volker an
einsieht, auch Siegfried hat nicht immer den vollen rühm; als
Lüdiger ihn bedrängt, wird er von den andern beiden unter-
stützt fstr. 211), und Dancwart muss es sich gefallen lassen, von
dem unbedeutenden Helferich erschlagen zu werden, so bleibt
Hagen die mit besonderer Vorliebe ausgeführte gestalt des dichters,
gerade in der staufischen zeit ist grol'se Sorgfalt auf die feinere
behandlung seines gefühlslebens verwendet, wie uns lebhaft die
empfindungen Rüdigers geschildert werden, so zeigt sich auch
Hagen empfindungsreicher und weicher, er ist es ja wuuder-
barerweise, der die Verlobung Giselhers mit der markgrafentochter,
die in der Ths. einfach von den eitern dem königssohne gegeben
wird, 'harte güetlichen' begünstigt, 1677 f:
des aniiciirie Hagene vil harte güetlichen dO:
'Nu sol min herre Giselher nemen doch ein idj)-'
ez ist so höher mdge der marcgrävinne llp,
' Burchards decret bei Grimm aao. in* 449, wo bei gelegenlieit das
aberglaubens vom werwolf auch von transformari in aliain alK/tiaiii fl-
(jurain die rede ist. * ßoethe aao. 689.
222 DROEGE
daz icir ir gerne dienden, ich and sine man,
und Soldes under kröne da zen Burgqnden yän\
und Str. 1679 heilst es wieder:
Diu rede Rüedeyeren dulde harte guot.
dasselbe motiv wird auch str. 531 f benutzt, wo Hagen Siegfried
mit Kriemhild zusamnieiiführeu will, die rührende scene aber,
zu der Hagen schon in der Ths. anlass gab, indem er beim
abschied den schild Nuodungs sich ausbittet, wird in würksamer
weise abgeschlossen, indem Volker vor Gotelinde tritt str. 1705:
er videlte süeze doene und sanc ir siniu liet:
da mite nam er urloup, dö er von Bechelären seiet.
Hagen und Volker spielen in den meisten Zusätzen der
staufischen dichters die hauptrolle, namentlich in av. 29 und in
einer stelle von 30, in der Hagen seine freundschaft mit Volker
aufs innigste empfindet, str. 1831:
'yCi lone iu got von himele, vil lieber Volker.
zallen niinen sorgen son gerte ich niemen mir,
niivan iuch aleine, stvä ich hete not
ich sol ez icol verdienen^ mich enwendes der töf.
Werden uns so die Charaktere gefühlvoller geschildert, so tritt
auch das bestreben des dichters deutlich hervor, die Charaktere
zu veredeln und zu vertiefen, indem ihrem wesen weniger ange-
messene handlungen andern personen übertragen werden, und
da sollte dieser dichter so minderwertig sein, dass er, wie Roethe
(s. 672) meint, 'nicht freien und unfreien adel sondern kann',
die behandlung von Siegfrieds abhängigkeitsverhältnis scheint ge-
rade die auffassung des ausgehuden 12 jh.s wiederzuspiegeln.
wenn Siegfried bei der begegnung in Iseustein von Günther sagt
Str. 420:
'ican der ist nun herre',
so denkt er an den könig als lehnsheri-n und will sich als freien
lehnsträger bezeichnen, damit verschmilzt aber in der auffassung
Brunhilds den Zeitverhältnissen entsprechend der begriff des
ministerialen. sie trauert deshalb schon str. 620:
yich mac wol halde weinen', sprach diu scoene meit.
'umhe dtne sioester ist mir von herzen leit.
die sihe ich sitzen nähen dem eigenholden dtn:
daz muoz ich immer weinen, sol si also verderbet sin\
sie hält Siegfried, der doch Günther als eine art von reise-
NIBELUNGENLIED UND WALTHARIUS 223
marschall begleitet hat und später eiu auswärtiges land wie ein
reichsministeriale verwaltet, für nicht ebenbürtig, und sie kann
es glauben, weil in der Stauferzeit reichsministeralen die höchsten
ämter und ehren bekleiden und doch für unfrei gelten, selbst in
den höchsten hof- und reichsämtern, obwol ihr einfluss den fürst-
lichen überflügelt und die glänzendsten Vertreter unter ilinen
zu markgräflichen und herzoglichen würden gelangen, selbst
mänuer wie Markward von Anweiler und Werner von Bolauden,
die fast eine herscherstellung bekleiden, haben noch den makel
der Unfreiheit, und dieser trifft besonders auch die gemahlin;
noch am ende der 13 jh.s hält die rechtstheorie an der Un-
freiheit der ministerialen fest '. — In solchen erwägungen kann
die stolze Brunhild den glänzenden und gefeierten Siegfried aller-
dings wiegen der mangelnden freiheit als nicht ebenbürtig an-
sehen, und dieser puuct ist der gegenständ des Streites vor dem
münster. in dieselben anschauungen über die rangverhältnisse
dieser stauüschen zeit, in der kein grol'ses hoffest ohne die ge-
hässigsten rangstreitigkeiteu verlief-, führt uns der streit der
köuiginnen. der dichter konnte ein lebendiges Vorbild gerade
aus jenen jähren vor äugen haben, denn auf dem berühmten
reichsfest zu Mainz, ptingsten 11S4, das auch sonst seinen ab-
glanz im Nibelungenliede zeigt, kam es mitten in der begeisterten
festfreude zu einem vielbesprochenen rangstreit zwischen dem
erzbischof von Köln und dem abt von Fulda'^. in der kirche er-
eignete sich vor den versammelten grofsen eine erregte scene in
gegenwart des kaisers, da der abt nicht vor dem erzbischof zu-
rücktreten wollte; der erzbischof drohte mit abreise, aber der
junge könig fiel ihm um den hals, um ihn zu versöhnen, aucli
der im verlaufe von aventiure 14 von Siegfried angebotene eid,
den Günther ablehnt, hat in der Mainzer begebenheit ein eigen-
tümliches gegenstück. Friedrich erbietet sich, seine Unschuld an
der herabsetzung des erzbischofs durch einen eid zu erweisen
aber der erzbischof erklärt, die worte genügten, Arnold, Chron,
Slav. HI, y erzählt: Imperator dixit: Innocentlam quidcnt.
no-^tram )>uper hac impositione verb is pr aetendim us,
sed sc adhuc diffiditis, iuramento nos in praesenti expurgare non
' Nitzsch DGesch. ii 274. Heusler Deutsche Verfassungsgescbichte
(Leipzig 1905), 165. vgl. ADB. i 499f; in 95 f. - vgl. lleusler aao. s. 187.
■* vgl. Giesebreclit vi hg. v. bimson s. 65 f.
224 DROEGE
dubitefis . . . et extendit manum, quasi iam super reliqnias
positnrus. Ad haec verba requievit Spiritus archiepiscopi et dixit:
Suf ficit , quid verba vestra pro iuramento mihi
sunt.
Vgl. dazu Nl. Str. S60:
Sifrit der vil kiiene zem ei de bot die ha'nt.
do sprach der künic r'iche ^mir ist so tvol bekant
iuver groz unschulde: ich wil iuch ledec Idn,
des iuch mm swester zViet, daz ir des niene habet getan'.
Solche vermuteten spuren zeitgeschichtlicher Vorgänge sind
ja keineswegs bestimmt erkennbar, indes dürften sie im Zu-
sammenhang mit den oben besprochenen sicherern beziehungen,
soweit überhaupt bei den dürftigen geschichtlichen anklängen im
epos dieser ausdruck gebracht werden darf, einige beweiskraft be-
sitzen, besonders deutlich lässt sich die stufenweise entwicklung
des epos an den örtlichkeiten im Donaugebiet beobachten, wo der
einfluss der Passauer dichtung und die tätigkeit des dritten, öster-
reichischen dichter bemerkbar sein wird, in unserm Hede str. 1332
scheint noch die Traisen grenze des Hunnenreiches zu gein:
Bt der Treisem hete der künic von Hinnen lant
eine pure vil riche, diu rvas n-ol bekant,
geheizen Treisenmüre: vrou Helche saz da e
unt pflac so grözer lügende^ daz wcetlich nimmer mer erge . .
dort bleibt Kriemhilde drei tage, könig Etzel kommt ihr bald
darauf in Tulln entgegen, es hat indes noch in unserm Hede den
anschein (vgl. str. 1334), als ob die begegnung früher in Treisen-
müre stattgefunden habe, das ursprüngliche war die einholung
der braut durch Etzel von Worms aus, an der grenze werden
ihm seine mannen begegnet sein, vgl. Zs. 48. 480. in der wei-
tern Schilderung fällt auf, dass grofse feierlichkeiten in Tulln
veranstaltet werden, dann die reise weiter geht und noch grölsere
feste in Wien gefeiert^werden (str. 1361 ff), wo auch die eigent-
liche hochzeit ist; darauf erst geht die fahrt nach der residenz
Etzelburg. so ist eine stufenreihe von Traismauer über Tulhi
nach Wien erkennbar, die grenze, die zuerst angenommen wird,
ist aber die historische grenze von 970 i, die bald nach dieser
' OKämmel Die besiedlung des deutschen Südostens vom anf. des
10 bis ende des 11 jh.s (progr. des Nikolaigymnasiums, Leipzig 1909)
s, 7 anm. 3.
NIBELUNGENLIED UND. WALTHARIUS 225
zeit in das lied hineingekommen sein muss. Tulln ist den
Deutschen besonders nahe gerückt seit dem heereszuge Heinrichs V
im jähre 11 OS, vgl. Zs. 51, 183 f, auch scheint der ort erst im
laufe des 1 1 jh.s zu gröfserer bedeutung gelangt zu sein, seit
Leopold II sich hauptsächlich dort aufhielt, endlich tritt Wien
hervor und zwar erst in der Stauferzeit, 1172 bezeichnet Arnold
von Lübeck die stsiit als metropoUta7ia, 1189 als quae maior est
in terra, erst ganz am ende des 12 jh.s ist sie die bedeutende
handelsstadt ', wie sie im liede erscheint', daher wird die her-
vorhebung Wiens bei Etzels hochzeit offenbar unserm letzten
dichter verdankt; es ist keineswegs nötig mit Neufert- 'eine
spätere Interpolation' anzunehmen. — auf der mittleren stufe
werden die in str. 1376f zusammen genannten Städte Heim-
burg und Wieselburg mit besonderem nachdruck betont sein, da
sie durch wichtige ereignisse den Deutschen im gedächtnis waren,
wie ja auch Tulln für die Deutschen durch eine heerfahrt wichtig
wurde, in Heimburg hatten 1050 deutsche scharen drei tage
lang den brandgeschossen der Ungarn widerstanden, und bei
Wieselburg hatte 1060 das deutsche heergefolge des flüchtenden
Ungarnkönigs Andreas unter markgraf AVilhelm von Sachsen und
graf Poto, söhn des pfalzgrafen Hartwich von Regensburg, den
nachdringenden Ungarn tag und naclit widerstand geleistet, bis
beide von hunger und durst überwältigt sich ergaben^, gewis
haben gerade diese kämpfe des salischen Zeitalters die dichter
zu neuer begeisterung für die alten mären angeregt, wie über-
haupt in jener zeit das deutsche nationalgefühl den Magyaren
gegenüber auf das lebhafteste gesteigert war. Poto erschien den
Zeitgenossen wie ein recke der alten zeit, und der annalist von
Nieder-Altaich, der Zeitgenosse und geschichtsschreiber jener kämpfe,
meint, dass alle heldentaten der vorzeit durch diese ereignisse ver-
dunkelt würden-l. in demselben Zeitalter erzählte ein deutscher
Chronist vom Schwerte Attilas, das Otto von Nordheim, herzog von
Baiern, von der königin-witwe Anastasia, der mutter Salomos, als
* Vancsa aao. 342 f 399 f. ^ s. 32. ^ vgl. Kämmel aao. 1).
"* Ann. Altah. 1060: ut ea, quae pridem de fortissimis quibusque
admiratu digna hahehantur, modo in comparatione istorum parva
cideantur. Ann. Saxo 1104: Pannonia . . . talem illum . . . (Botonem)
ac tantum $e fatetur aliquando sensisse, ut w cere de gif/antibus an-
tiquis apud illos fuisse rredatur.
Z. F. D. A. LH. N. F. XL. 15
226 i>KOEGE
dank für seine Hilfe g"egen Bela empfing-. Lampert. Hersf. 1071 K
keineswegs branchen wir mit Neufert anzunehmen, dass die be-
zeichnung Heimburgs als einer hunnischen Stadt in die zeit Pil-
grims führen müsse^, da der ort seit 1042 dau'ernd in deutschem
besitz gewesen sei ; halten doch die späteren dichter auch an der
abhängigkeit der mark Eüdigers A'on Etzels reiche fest, dass
Heimburg, str. 1376 'die alte' genannt wird, scheint unsere Ver-
mutung zu bestätigen, der stautische dichter fand die Stadt in
seiner vorläge und nannte sie 'die alte', weil sie zu seiner zeit
wider viel besprochen wurde, das lösegeld von Richard Löwen-
herz wurde nämlich nach 1193 zum teil zu einer neubefestigung
von Heimburg verwant'', und so konnte die in der dichtung ge-
nannte Stadt von dem umdichter ebenso als 'die alte' bezeichnet
werden, wie derselbe dichter den 'alten' bischof von Speyer, den
er in seiner vorläge fand, so zubenannt hat.
Auf weitere beziehungen des liedes zum Zeitalter Friedrich
Barbarossas und seines nachfolgers, namentlich auch auf die zeit
des dritten kreuzzuges hab ich schon Zs. 48, 486 hingewiesen-
hier spielt die Stadt Gran eine rolle, die aber nicht mit Neufert
s. 5 anm. 5 als die hauptstadt Etzels anzunehmen, sondern der
residenz Etzelburg (Ofen) gegenüber zu stellen ist. in str. 1497
heifst es von Wärbel und Swäramel:
Gallen mit den mceren sah man die spileman.
Etzeln si fanden in der stat ze Gran.
die Worte wollen offenbar sagen, dass Etzel damals gerade in
Gran gewesen sei, und dem entspricht auch ein Vorgang aus der
Zeitgeschichte, bei Gran kam auf dem dritten kreuzzuge der
könig von Ungarn dem kaiser Friedrich Rotbart mit grofsem ge-
folge feierlich und freundlich entgegen, vgl. Arn. Lub. iv 8:
Cum autem domnus Imperator in civitatem. venisset, quae Grane
dicitur, rex ei in propria persona cum mille militum comitatu
soUempniter occurrit. später wird der kaiser von dem könige
von Gran nach der Etzelburg bei Ofen geleitet-*, so ist auch im
' ungefähr um dieselbe zeit las bischof Günther von Bamberg,
(f 1065) lieber von Etzel und Amalung und andern heidnischen beiden als
vom hl, Gregorius und Augustinus, vgl. Giesebrecht lll^ 60, Bresslau
ADB 10, 189. '■^ s. 21. ^ Vancsa aao., 397f. * iiide domiiU'<
Imperator a rege deductus est in xirhem Adtile dictam, uhi
domnus imperator quatuor diebtis cenationi operam dedit.
NIBELUNGENLIED UND WALTHAKIÜS 227
liede Gran von Etzelburg; zu unterscheiden. — zu den be Zie-
hungen auf das Zeitalter Heinrichs IV und Heinrich V, auf das
ich Zs. 51. 17Sff vor allem wegen der Sachsenkriege geschlossen
habe, füg ich zur ergänzung nach, dass es auffällt, wie Lüdeger
und Lüdegast sogar das siegesfest in Worms mitmachen und der
Dänenkünig sich harmlos und friedlich über das Verhältnis Sieg-
frieds zu Kriemhild äufsert str. 298 ;
Der künec von TenemarJce der sprach sd zestunt
'diss vil hohen griiozes lit maneger ungesitnf,
des ich vil wol empfinde, von Sivrides haut,
got enläze in nimmer mere komen in mtniu künges lanf.'
Diese bemerkung. besonders aber die milde behandlung der über-
mütigen feinde lässt sich erklären, wenn wir an die geschichtliche
Unterwerfung und Versöhnung des Sachsenherzogs in Mainz
unter Heinrich V denken, die dem dichter als Vorbild diente (Zs.
51, ISOf).
Nach solcher Umwandlung der dichtung in drei zeitaltein
wird sich von dem einfluss des Waltharius schwerlich viel er-
kennen lassen, wenn sich aber einige beziehungen ganz deutlich
herausheben, so ist von vornherein wahrscheinlich, dass sie sich
schwerlich durch den waudel des epos von der zeit um 1000 her
werden erhalten haben, sondern um 1200 sich neu eindrängten,
und das ist auch durchaus nicht mit Roethe (s. 6 SO) so schroff
abzulehnen, denn unser nicht unbedeutender dichter (vgl. Zs. 51,
210) konnte um 12(iO den Waltharius, der bis in jene zeit oft
abgesclirieben und gelesen wurde, noch kennen und benutzen,
so enthält eine offenbare anspielung auf den Waltharius sti-.
2344:
Des anticurte Hildehrant 'zwiu verwizet ir mir daz:
nu teer icas der üfme Schilde vor dem IVaskensteine saz,
dö im V071 Spanje Walther so vil der frinnde shioc?
ouch habt ir noch ze zeigen an in selben genuoc'.
ohne frage wird auf die scene bei Ekkehard, der den Wasgen-
stein und das eigentümliche verhalten Hagens in die dichtung
einführte, bezug genommen, aber in Nl. ist die stelle eine ganz
junge, denn noch in der Ths. steht für den streit zwischen
Hagen und Hildebrand die altertümliche scheltrede Hagens und
Dietrichs (c. 391). diese scheltrede ist aber nicht eine copie
(Roethe 677, anm. I) der in der handlung gar nicht begründeten
15*
228 DROEGE
bezeichnung Walthers als 'faunus' (v. 763), denn wenn auch nur
die Ths. Hagen einen albensohn nennt, so ist doch Hagen der
eigentliche Nibelung und in ältester sage wunderbarer abkunft,
besonders wol mütterlicherseits'. — auch die erinnerung an
Hagens aufenthalt bei Etzel stammt aus dem Waltharius, sie
findet sich in dem jungen abenteuer 29, das wol ganz auch dem
Stoffe nach unserm dichter gehört, vgl. str. 1797, wo ein Hunne
über Hagen und Walther spricht:
Er unt der von Späne die träten manigen stic,
dö si hie hl Etzeln vähten manigen wie,
zen eren dem künege: des ist vil geschehen.
dar unihe muoz man Hagenen der eren pilliche jehen.
die Worte erinnern lebhaft an die verse 106 ff des Waltharius:
Militiae primos tunc Attila f'ecerat illoSy
Sed haud immerito, qiioniam, si quando moveret
Bella, per insignes isti micuere tritimphos;
Idcircoque nimis in'inceps dilexerat ambos.
vgl. auch die worte Hagens 1109 f:
Compatior propriusque dolor siiccumbit honori
Regis.
die andere stelle entspricht der darstellung der Ths. und ist dem
Stoffe nach älter. Etzel fragt nach dem fremden recken und auf
die antwort, es sei Hagen, sagt er str. 1755 f:
Wol erkande ich Aldriänen: der was min man.
lob und michel ere er hie bt mir gewan.
ich machet in ze ritter und gap im min galt.
Reiche diu getriuwe was im inneclichen holt.
Da von ich wol erkenyie allez Hagenen sint.
ez wurden mtne gisel zwei wcetltchiu kint,
er und von Späne Walther; die ivuohsen hie ze man.
Hagenen sande ich widere: Walther mit Hiltegunde entran.
Vgl. Ths. H75: Attila fragte, wer dort mit könig Gunnar und
könig Thidrek ginge, da antwortete herzog Blodlin: 'es wird
Högni und Volker sein', da antwortete der könig: Svol möchte
' auch das auffallend häufige köpfen der helden (Eoethe 674 f) ist
im Nl. keine uachahmung des Waltharius, denn im XI. ist das kopfab-
schlagen als eine art strafe bei manchen personen wol begründet, während
gerade bei Ekkehard dies motiv durch das wiederanfügen der köpfe an die
rümpfe eine wunderliche Steigerung erfährt.
NIBELUNGENLIED UND WALTHARIUS 229
ich Högni erkennen, denn er war einige zeit bei mir, und ich
und königin Erka schlug ihn zum ritter, und fürwahr war er
da unser guter freund', auch hier ligt kenntnis des Waltharius
vor, wenigstens der sage, ob bei Konrad oder dem salischen
dichter lässt sich nicht ausmachen, beides ist möglich, aber unser
Staufischer dichter hat nach seiner art ohne bedenken die sage ge-
ändert, indem er dem Zusammenhang des liedes entsprechend die
eigenmächtige flucht Hagens in eine freundliche entlassung durch
Etzel änderte, er hat auch aus eigener genauer kenntnis der
sage die stelle erweitert, indem er von Hagens vater etwas hin-
zufügte.
Eine weitere bekanntschaft unseres dichters mit dem Wal-
tharius kann auch aus anderen stellen erschlossen werden, so
wäre es möglich, dafs Dietrich Günther und Hagen besiegt, wie
Walther sich gegen Günther und Hagen wehren muss, während in
der alten dichtung Osid Günther gefangen nahm, der neue krieg
gegen die eben besiegten Sachsen, den Hagen, um Siegfried ins
feld zu bringen, vorschützt, könnte durch Walth. v. 170 if an-
geregt sein:
Venerat interea satrapae certissima fama
Quandam, quae miper super ata, resistere (f entern.
ferner erkennt Hagen ebenso schnell Siegfried bei seiner ankunft
in Worms, wie Hagen im Waltharius gleich von der ankunft
Walthers überzeugt ist (Nl. str. S6 u. Walth. v. 464 ff), auch
möcht ich den vergleich Dancwarts mit dem zum walde eilenden
eber (str. 1947) lieber aus dem Waltharius v. 1337 ff her-
leiten, als mit Roethe (s. 679) aus Vergil Aen. x 707 ff, da
hier das hervorbrechen des aufgescheuchten wildes aus dem ver-
steck den vergleich bildet, während im Waltharius und Nl. der
vergleich auf dem umdrängen der hunde und dem zurückgehen
des tieres beruht. — vielleicht mag auch der Hagen, welcher im
Waltharius Hildegunde so freundlich zuredet, zuerst für ihren
verlobten zu sorgen (v. 1418 f: ^Defer alt 'prius Alpharidi
sponso ac seniori, Virgo. tito' . . .), dem dichter die anregung ge-
geben haben, Hagen 'harte güetlichen' zureden zu lassen, Giselher
möge sich mit Rüdegers tochter verloben.
Sprachliclie spuren der älteren dichtung haben sich bei der
mehrfachen Umarbeitung des epos in unserm liede kaum erhalten
können. Roethe. der unsern dichter im zweiten teile des liedes
230 DROEGE
uuiiiittelbar auf die Übertragung des Konradschen epos sich stützeu
lässt, glaubt den Wortschatz dieser quelle trotz der bearbeitung
durch den Nibeluiigendichter noch durchschimmern zu sehn (s.
ö65 u. 055), und in der tat sind unterschiede in Wortwahl und
wortgebrauch in beiden teilen des liedes nicht zu verkennen, so
viele unterschiede möcht ich zwar nicht annehmen, mehr auch
als Roethe aus dem behandelten Stoffe, erklären, so wird zb.
die von Roethe besonders . betonte Vorliebe des ei'sten teils für
den Superlativ sich doch wol aus den vielen übertreibenden lob-
preisungen der festlichen pracht und des königlichen reichtums,
der ritter und frauen ergeben, auch ist es eine häufige erschei-
nung, dass ein liebliugswort des dichters streckenweise besonders
oft widei'kehrt, wie das wort minne und minnecUch in den Strophen
281 — 294. die vielfache Umschreibung mit Uj) mag sich daraus
erklären, dass sie meist auf wij) reimt und von den königlichen
frauen besonders oft im ersten teil die rede ist. dass Hagene :
degene im letzten drittel so sehr tiberwiegt, mag mit dem haupt-
helden jenes teües zusammenhängen, vor allem wird sich aus
der geringeren handlung und der umfassenderen Schilderung von
festlichkeiten herschreiben, dass sich im ersten teil die vierte
zeile oft als schleppender füllvers findet und erst im zweiten
eine kräftigere rolle bekommt, daher werden sich die unterschiede
beider teile nicht so sehr aus der vorläge erklären lassen als
aus der andern aufgäbe, im zweiten teil war eine rüstig
fortschreitende handlung darzustellen, im ersten galt es, durch
oft einförmige und unbedeutende Schilderung von höfischen fest-
lichkeiten und zurüstungen die zahl der Strophen zu mehren, um
der ersten hälfte des liedes den gleichen umfang zu schaffen.
Die drei stufen des Nl. fallen in drei Zeitalter der mittel-
alterlichen kaiserzeit, und zwar in den ausgang der herscher-
geschlechter der Sachsen, dei' Salier und der deutschen Staufer, die
zeit jedes geschlechtes hat also ihren anteil an der entwicklung
des nationalepos, in dem sich die Verhältnisse jener drei Zeitalter
spiegeln, das erste epos baut sich auf einer grundlage auf,
welche ein Passauer dichter förderte, dieser wurde wahrschein-
lich angeregt durch Ekkehards Waltharius, ebenso wirkte aber
auch der Waltharius auf die in Worms weiter gepflegte dich-
tung. Ekkehard anderseits benutzte bereits für sein gedieht
eine ausführliche Nibelungendichtung, wol nicht nur liedei'. son-
NIBELUNGENLIED UND WALTHARIUS 231
deru auch epische Vorstufen, die blütezeit bischöflicher politik,
die strenge ottonische hofetikette und die verhältuisse der Stadt
Worms haben in dem epos der sächsischen kaiserzeit spuren
hinterlassen, das salische epos führt etwa 1 00 jähre später auch
auf den nördlichen teil der oberrheinischen tief ebene, den kern
des mittelalterlichen reiches, und weist erinnerungen an die
Sachsenkriege Heinrichs IV und Heinrichs V und andere heer-
fahrten jener zeit auf; durch ihren derberen ton kennzeichnet
sich die dichtung als spielniaunsepos. der dichter der Staufer-
zeit hat um 1200 unserem Hede schöne scenen zugefügt, sich
aber auch in kleinlichen änderungen gefallen und uns üde
Schilderungen nicht erspart, die zeit Friedrich Rotbarts, nament-
lich des dritten kreuzzuges spielt in die dichtung hinein, der
dichter kennt das Donaugebiet, namentlich die blühende handels-
stadt Wien; er betont mehr das gefühlsleben der handelnden
personen, namentlich Hagens, der neben der in Vordergrund ge-
stellten Kriemhild doch der lieblingsheld des dichters geblie-
ben ist.
Dass diese ergebnisse meiner drei aufsätze über das Nl.
sicher sind, glaub ich nicht, hoffe jedoch nicht ohne gründe
in zusammenhängender hypothese gezeigt zu haben, wie sich die
entwicklung der dichtung erklären lässt. für unsere drei er-
kennbaren dichter oder umdichter bestätigt sich, was Heusler
aao. s. 94;^ sagt; 'die heldendichter schöpften aus der geschichte,
dem Privatleben, eigener ertindung und" vorhandenem erzählgute
— auch mythus und märchen — , und zwar sowol die ersten
Schöpfer einer heldensage, wie die späteren umdichter: ein grund-
sätzlicher unterschied zwischen beiden besteht nicht'.
Wilhelmshaven. Karl Üroege.
ÜBER EINIGE BEISPIELE BONERS
UND IHRE LATEINISCHEN VORLAGEN.
Zs. 46, 341 — 359 stellt ChrWaas die ergebnisse zusammen,
die er für die quellen einer reihe von fabeln und erzählungen
Ulrich Boners aus haudschrifteu der Pariser Nationalbibliothek
gewonnen hat. besonders wertvoll ist die entdeckung einer vor-
läge von Bon. 89 'Von einem esel und drin bruodern' ('asinus
232 GOTTSCHICK
trium'), da für diese geschichte bisher weder quelle noch parallele
aus der zeit vor Boner bekannt war, in den 3 hss. des Alpha-
betum narrationum Etiennes de Besanron hat "Waas sie gefunden,
die übrigens auch im Münchener pergamentcodex 14752 steht,
wie ESchröder aao. s. 353 n. 1 angibt, die Übereinstimmung
zmschen B. und EdeBesangon ist unbestreitbar, im einzelnen
entspricht sich: B. v. 1 ein man: 'quidam'; v. 5 hat drt säne,
V. 7 den gab er einen esel, 'tribus filiis suis legavit unum asinum';
V. 10/11 wer den esel vuorte kein, des tages sölt er im splsc geben,
'unus uno die, alius alio uteretur et eum sustentaret, quilibet die
suo'; V. 17 erbeit er den langen tag, 'eum multum laborare';
V. 19 muost an ezzen sin, 'nichil ei pro pabulo dedit'; v. 20
gedächt, 'cogitabat'; v. 21 sptst in morne irol, 'in crastino satis
ei daref; v. 27/28 in hmte wol gespiset, "illum bene paverat';
V. 29 wand er was rieh, 'eo ditior'; v. 43 der esel starp, 'asinus
mortuus est'; v. 60 si des erbes wurden blöz, 'legatum amittitur'
(Überschrift).
Wichtig ist ferner die auf findung eines B o n. 49 'Von einem habke
und einer kraejen' ähnlichen lateinischen abschuit tes aus der hs. 1 6 5 1 5
des Liber de abundantia exemplorum i unter 'Exempla varia' fol.
157: 'Item pica fovit ovum accipitris, ut haberet defensorem
contra aves rapaces, et pullus accipitris, quando crevit, comedit
picam cum pullis suis', also fremde eier werden ausgebrütet
zum eignen schütz, doch in würklichkeit zum eignen verderben,
dass dieser gedanke der Bonerschen fabel näher steht als der
Aom kuckuck und der grasmücke, wo eier ausgebrütet werden,
die • ein fremder vogel ins nest gelegt hat, ist zuzugeben, wenn
Waas aber meinen hinweis auf die fabel Odos (Boner u. s. lat.
vorlagen, Charlottenburg 1901, s. 20) mit den w^orten abzutun
glaubt, diese fabel habe mit B. 49 gar nichts zu tun, weil sie
die alte geschichte vom kuckucksei sei, so hat zwar bei Bon.
der habicht seine eier nicht in das krähennest gelegt, aber er
weifs um das brüten der krähe, wie der kuckuck um das der
* in meiner oben angefülirten arbeit s. 29. 30. 36 hatte ich den
Liber d. ab. ex. nach dem titel des von mir benutzten druckes mit Albertus
Magnus bezeichnet, dies rügt Waas, Litbl. f. germ. u. rom. ph. 22 nr 10
s. 822/323. freilich hatte schon ESchröder Zs. 44, 425 ausgeführt, das
werk würde recht verkehrt dem Alb. Magnus zugeschrieben und stelle
eine nachahniung und gründliche ausschöpfung Etiennes de Bourbon dar
QUELLEN EINIGER BEISPIELE BONERS 233
grasmücke, und lässt es in derselben absieht geschehen, auch
bleibt im 2 teil in beiden fabeln der gleiche grundgedanke :
Undank, übler lohn für aufgewante mühe und schliefslicher
Untergang statt gewünschter erhöhung. anderseits sind auch
Verschiedenheiten zwischen dem neuentdeckten stück und Bon.
vorhanden: dass *nur statt der krähe die noch diebischere elster
eingesetzt' ist. wie "Waas schreibt, ist nicht das einzige ab-
weichende, "die Pflegemutter stiehlt selber die eier des grölseren
Vogels, um kräftigere jungen zu erziehen' hatte AVaas Die quellen
der beispiele Boners s. 47 als Inhalt von B. 49 angegeben,
doch in dem lat. stück steht einmal nichts vom stehlen der eier,
und dann wird als besonderer zweck des brütens schütz vor
raubvögeln angeführt, wenn Waas nun abweichend von seiner
früheren angäbe hier als zweck des brütens bei Bon. 49 be-
zeichnet 'um einen mächtigen beschützer zu erhalten', so lässt
sich das bei B. nicht nachweisen, von den w'orten des lat.
Stücks finden sich nur 'fovit ovum accipitris': v. 35 si stal dem hahk
sin eiger dd; v. 43 die krä saz uf den eigern dö, wider, wobei
auch noch der numerus abweicht; denn 'quando crevif, v. 65
ir gevider ivart bereit; 'pullus comedit picam', v. 6S des muoste
si verliern. ir leben, v. 82 sus starp diu arme brüeierhi, ist nur
inhaltlich, nicht dem ausdruck nach ähnlich, überhaupt ist bei
Bon. manches anders: die krähe ist garnicht von raubvögeln be-
droht, sondern v. 9/10 diti krä lud not und erbeit um sicache
spis, V. 23 kein vogel kunnen wir gevän, v. 27 daz unser nest
icirt spise vol; und edle, kraftvolle, stets satte kinder wünscht
sie; V. 31 so iverdent edel unser kint und vrech (= stark), v. 33
und Wirt unser gesiechte gröz, und werden niemer spiselös.
darauf geht auch der anfang der nutzanwendung, v. 84 wer er-
hcehen wil sin gesiecht über daz daz es sol n-csen. vom stehlen
der eier, von der Schadenfreude des habichts, der es bemerkt hat,
aber schlauer weise die krähe beim brüten nicht stört, sondern
noch dazu zum stillsitzen ermahnt, da er das ende voraussieht,
hat das lat. stück nichts, dagegen bringt es, 'picam cum pullis
suis', die jungen der krähe hinein, deren tod bei Bon. nicht vor-
kommt, die Schlussfolgerung des lat. Stücks handelt von dem
eigennutz der zum schütz fremden besitzes in sold genommenen
advocati, während Bon. nur die überhebung geiselt und den
schaden beklagt, den der hoifärtige sich selbst zufügt; v. 91/92
234 GOTTSCHICK
ez vichtet manger wnb daz gHot, daz im vil grözen schaden
tuot; V. 93 es h nietet manrjer sinen tot, v. 'J9 iccr im selber
schaden tuot von hochvart. bedenken wir, wie wörtlich g-euau
Bon., bei aller freien beliandlung seiner vorlagen, diese benutzt,
so können wir nur zu dem schluss kommen, dass die von Waas
mitgeteilte fabel, die nicht einmal inlialtlich B. 49 genau ent-
spricht, in dieser form die quelle nicht gewesen ist, höchstens
ein kurzer, gedrängter auszug einer parallele, die Bon. nicht
vorgelegen hat.
Von andern bisher unbekannten quellen Boners hat Waas
seiner eigenen darlegung nach n u r für Bon. 94 eine solche in
den Pariser hss. gefunden, die übrigen Bon. ähnlichen stücke
lehnt er entweder selbst als quellen ab, oder sie sind schon von
ESchröder Zs. 44, 420 f bei Etienne de Besangou nachgewiesen
worden.
Die parallele zu B o n. 2 aus Etienne de Bourbon entspricht
fast wörtlich der von mir Zs. f. d. ph. 11, 329 (IS79) aus Vin-
cejitius Bellovacensis abgedruckten und kommt auch nach Waas
für B. nicht in betracht.
Zu Bon. 4 teilt Waas aus der von Hervieux für Avian
benutzten hs. aufser den sclion früher abgedruckten 4 ersten
Versen eines gedichts nun auch noch die nächsten (5 mit, die zum
lernen auffordern, eh es zu spät ist und der tod naht, die an-
klänge an die moralisation bei B. sind auch nach Waas nicht
der art, dass die verse als B.s quelle gelten können, allerdings
die Sätze 'mors instat, etas matura negabit vires, quas iuveni
grata iuventa dabit' decken sich nicht mit B. v. 43 ff n-er släft
in siner jugent, noch eren gert, noch kunst noch tugent von träg-
keit nicht erwirhet, wel not, üb der verdirbst an kunst und an
wisheit gar? v. 50 so der wirt alt, ez v)irt im leit.
Dagegen führt Waas auch hier widerum das Sprichwort
'radicis amaritudinem dulcedo fructuum compensat' an, aus dem
er Bon. 4' herzuleiten gesucht habe, ebenso widerholt er Lii-
bl. f. germ. u. rom. ph. 22 nr 10 (s. o.), dass B. das Sprichwort in
ii'gend einer form benutzt habe, könne keinem zweifei unter-
liegen, wenn ich mich, wie Waas aao. sagt, 'weitläufig in
den Zusammenhang' der stelle bei Hieronymus eingelassen habe,
dadurch dass ich sie abdruckte und möglichst kurz erläuterte, so
schien mir dies nötig dem leser gegenüber, damit er sich ein
QUELLEN EINIGER BEISPIELE BONERS 2:^5
urteil bilde, au beiden orten sucht Waas seine ansieht durch
deu hinweis darauf zu stützen, dass 'tatsächlich aus sprich-
würtern oder sprichwörtlichen Sentenzen, aus einem apophthecrina
fabelartige erzähluugen herausgespounen worden siiuV. und führt
zum beweise dafür an beiden orten Hausrath Das problem der
äsopischen fabel für die griechische literatur an. demgegen-
über sag ich: für Boner ist sonst dergleichen nirgends erwiesen,
daher abzulehnen, im übrigen verweis ich auf meine ausführungen,
Boner u. s. lat. vorlagen 1 7- — ! 9. von denen durch Wuas nichts
widerlegt ist.
Für Bon. 43 hat Waas in einer hs. vom j. 1322 eine
parallele gefunden, von der früher nur der anfang bekannt war ;
obwol sie in mancher beziehung Bon. nähei" steht als die bisher
in ermangelung einer andern quelle geltende Appendixfabel des
Anon. vet. ined. bei Robert u. Hervieux, bleibt Waas doch bei
seiner früheren annähme, ein hauptunterschied von B.s dar-
stellung ist nach Waas die aufforderung der alten maus, das
nest zu verlassen: indessen in der Appeud. heifst es auch: 'cum
procul exieris foramine nostro', freilich "lusura' oder 'lu.strura',
nicht wie in dem neuen stück, 'ut quererent sibi pascua"; auch
in der zweimaligen widerkehr der mutter braucht man nicht mit
Waas etwas besonders unterscheidendes zu sehen, ebenso wäre
es nicht mehr nötig, eine Umsetzung der lehre seiner vorläge
in die handlung seitens Bon., über die sich Waas, D. quellen d. beisp.
Boners s. 18 f so weit verbreitet hatte, anzunehmen, für diese
Weiterbildung einer fabel hatte ich, B. u. s. 1. vorl. s. 5, eine
reihe von belegen angeführt, von denen Waas, Litbl. f. g. u.
r. ph. 22, 10 s. 322, die in B. 1. 75 u. Sl für zu geringfügig
hält, indes wenn B. 1 auch nur einen vers hinzufügt, so er-
zählt er doch etwas neues, ebenso B. 75 v. 39/40, nur dass hier
Avian 1 10, 10 'distulit admota calliditate iocum' schon die fol-
' dass ich Avian in das 2 oder 3 jahrh. versetzt habe, rügt Waas
aao. die bezeichuung Avians als 'eines fabeldichters aus dem 2 oder
3 jh.' hatte ich von meiner ersten arbeit von 1875 heriibergenomnien
Lachmann De aetate Flavi Aviani wies ihn noch ins 2 Jh., in l'auly-
"Wissowas Realencyklopädie htifst es: 'A. miiss nach der mitte des 3 jh.
und wird e. 4 anf. 5 gelebt haben'; in Teuffels Gesch. d. r. litt. (1890):
'ungefähr aus d. 4 od. 5 jahrh. sind wol die 42 fabelö Av.'. hiernach
herscht Unsicherheit, am richtigsten setzt man den A. wol mit Teuflei-
Schwabe ins 4 od. 5 jahrh.
236 GOTTSCHICK
gende handhing enthalten sein könnte, sowie B. 81, 54/55, wo
wenn auch nur in 2 versen, doch folgerung- aus der rede, also
erweiterung der quelle vorliegt, im einzelnen tinden sich auch
manche Übereinstimmungen zwischen Bon. 43 und der lat. prosa-
fabel: v. 22 dö kam ein harte in daz Ms, 'in media domo
gallum"; v. 24/25 smes kambes sciün, sin sporn, v. 59 ein
krventer her mit sinen sporn, 'habentem in tibiis (Schienbeinen)
suis aculeos et in capite quasi galeam'; v. 40/41 dö lag ein
kaize hi der gluot vil senftekUchen, v. 44/45 dö tvas vil geistUch
getan ir geh(?rd, v. 67/68/69 bldem viure ein tierli, was gehiure
(angenehm, freundlich), e:; häte gar geisUchen scMn, 'iuxta
ignem cattum ita humiliter iacentem, quasi esset sanctus homo,
sauctus heremita'; v. 62/63 neinä! er tiiot niut, *noli timere quod
numquam mali faciet tibi', demnach würde man in diesem stück
B. s vorläge sehen können, läge nicht die Appendixfabel vor, die
auch entsprechendes bietet, jedenfalls ist die entscheidung
fraglich geworden.
Für Bon, 48 hat Waas in hs. 15913 Etiennes de Besannen
einen mit dem text des Jacques de Vitry bis auf unbedeutende
Varianten genau übereinstimmenden gefunden, sodass er die ent-
scheidung offen lässt. die nutzanwendung JdeVitrys, wie sie
Job. Junior überliefert : 'qui plures delicias habent, . . frequentius
intirmantur', entspricht indessen Bon. v. 149/150: üherig gemach
gesunde Hute machet sn-ach genauer als die Etiennes: 'delicati
frequentius intirmantur. doch dürfte es nicht genügen, um
Etienne als quelle zu verwerfen.
Zu Bon. 52 hat Waas nichts neues bringen können, da die
stelle Etiennes de Bes. schon von P.Meyer, Nicole Bozon s. 2S5
mitgeteilt worden war. es bleibt also auch hier die entscheidung
zwischen Jacques de V. und Etienne de Bes. unbestimmt, s.
ESchröder aao. s. 423 und meine arbeit B. u. s. 1. vorl. s. 21.
wenn ich dort bei P.Meyer und Waas ein versehen hinsichtlich
der angäbe der reihenfolge, in der vater und söhn sich mit dem
esel abfinden, zu sehen glaubte, so bezog ich mich dabei auf die
lat. Übersetzung Bozons, während Waas das altfranzösische
original im äuge hatte, in welchem, wie W. richtig schreibt,
3 und 4 bei Bon. umgestellt ist, beide zuerst zu fufs gehn und dann
reiten, während sie bei Bon. zuerst beide auf dem esel reiten '.
* zugleich berichtige ich hier einen Irrtum meinerseits, Bon. u. s. 1.
QUELLEN EINIGER BEISPIELE BONERS 237
Für Bon. 58 teilt Waas die autwort der dritten witwe. die
ESchröder auch in den 2 Müuchener hss. Etiennes de Bes. fand,
aus der Pariser hs. 15913 mit mit dem bemerken: hier hat also
Bon. aus ergiebigerer quelle geschöpft, worin dies liegt, ist
nicht zu erkennen, da bei Jac. de Cessolis und Hieronj'mus das-
selbe zu lesen ist. ja bei ersterm steht etwas am schluss was
Bon. vor sich gehabt haben muss: 'castitatem servare', v. 78
ivil ein kiusche!; leben hau, worauf ich nochmals hinweise (s. Bon.
u. s. 1. vorl. s. 23). danach bliebe es bei meinem frühereu
ergebnis.
Ebenso wenig bringt Waas für Bon. 71 neues.
Für Bon. 71 hat er zwar eine parallele in der hs. Etiennes
de Bourbon fol. 189 gefunden, doch lehnt er selbst sie als vor-
läge ab, obschon gerade die anfangsworte 'de duobus sapientibus
et tercio siraplici' bei B. v. 11 ff widergegeben zu sein schienen:
zwen wären an den sinnen kluog, und da bi schalkhaft
ouch genuog ; der dritte was ein einvalt man, wofür
sich bei Petrus Alfonsi, der bisher als quelle galt, nichts
entsprechendes fände, doch bei ihm heilst es ja ebenfalls: 'de
duobus burgensibus et rustico', und später : 'haec artiticiose dice-
bant, quia siraplicem rusticum ad hujusmodi öctitia putabant',
dann 'rusticus percepta eorum astutia'. da Waas nun auch, wie
ESchröder in den 2 Münchener hss., ein von der Disciplina
clericalis wenig abweichendes stück Etiennes de Bes. in der
Pariser hs. 15193 gefunden hat, so hält er eine entscheidung
zwischen beiden für unmöglich, während nach ESchröder eine
unmittelbare benutzung der Disc. der. ' wahrscheinlich ist, da
B. v. S/9 Tvallende ivolten si dö yän mit einander in ein lant
die Worte 'causa orationis Meccam adeuntibus' voraussetzten, die
Worte Etiennes de B. 'simul ibant in peregrinatiouem' ent-
sprechen m. e. allerdings weniger denen Boners. doch dürfte
dies zur quellenbestimmung nicht genügen, daher schreibt auch
vorl. s, 8, wo ich Bozon als etwas älter als 1350 bezeichnet hatte, während
er nach Meyer, introduction II, nicht viel später als 1320 seine erzählungen
geschrieben hat.
1 die parallelen oder vorlagen der D. cl. für B. 71. 72. 74. 76. 92
findet man jetzt auch bei Ulrich Proben d. lat. novellistik d. ma., Leipzig
1906, ebenda die aus Jacques de Vitiy für B. 82. 92, aus Etienne de
Bourbon für B. 100, aus d. Gesta Rom. für B. 71. 92. 97. 100.
23b GOTTSCHICK
EScbröder. aao. s. 422: für iir 74 ist eine entscheidiing uii-
müglich.
Die beiden parallelen, die Waas für B o n. 7G in der lis.
Etiennes de Bourbon g-efunden hat. siebt er selbst nicht als seine
vorlagen an, wol aber die Etiennes de Besan^on, hs. 15193 fol.
27, die Schröder schon in den 2 Münchener hss. entdeckt hatte,
die Pariser hss., die zn anfang die lesart 'civitatis' haben, kann
Bon. nicht benutzt haben, da er, wie Schröder nachgewiesen hat,
statt dessen 'comitis' las, was die Münchener hs. A, 7995, bietet,
er machte nun den 'janitor zum zolner, den 'comes' zu einem
gräven. den er v. II der Jierre nennt, und liefs den 'rex' ('donum
habebat a rege') ganz fort, dies liegt m. e. näher, als dass er
nach Schröders annähme den 'comes und rex' zu einer person
dem gräven. gemacht hätte, hiervon abgesehen dürfte Etienne
de Bes. auch deshalb den Vorzug verdienen, weil er die um-
ständliche einleitung des Petr. Alf. fortgelassen hat und dann
die unabhängige form der rede Avie Bon. anwendet gegenüber
der erzählenden der Diso. der. v. 27 gip har zwen plienninge!
'duos debes'; v. 30 gip drie har! 'nunc mihi tres debes'; v. 32
nu gip har vier phenninge! 'modo quattuor mihi debes'; v. 36
gip har vünf phenning dne kip (Widersetzlichkeit) ! 'certe mihi
debes quinque denarios'; ferner entspricht v. 24 geriet wider
streben 'quo recusaute'; v. 33 er geriet sich teeren 'luctantibus
jllis'. Etienne de Bes. dürfte daher als quelle zu gelten haben,
da hier nichts bei Bon. die benutzuug der Disc. der., trotz
seiner bekanntschaft mit diesem werke, voraussetzt.
Die Bon. 82 entsprechende erzählung Etiennes de Besan(,'on
hat Waas in den Pariser hss. nicht linden können, daher bietet
er dessen text nach den 2 Münchener hss. in denen Schröder
ihn gefunden hatte. die abweichung von Jacques de Vitr}- ist
sehr gering, wegen der Überschrift des catalanischen Recull
'Cantus pomposus usw.' und anderer stellen glaubte ich bisher,
in der vorläge des catalanischen Eecull müsse die quelle Boners
gesehen w^erden. indessen könnte Bon. bei seiner Überschrift
Von iippekeit der stimme auch das 'presumptuosi' des Jacques de
Vitry vor sich gehabt haben, die Übereinstimmungen des Recull
mit Bon. aber würden noch eine andere fassung Etiennes d. Bes.
voraussetzen als die der Münchener hss. jedenfalls lässt sicli
eine entscheidung zwischen Jac. d. V. und Etienne nicht treffen.
QUELLEN EINIGER BEISPIELE BONERS 2a<>
In der exempelhs. d. Bibl. nat. 151)71 hat Waas eine
B 0 n. 85 entsprechende geschichte gefunden in einer fassung
des Jac. d. Vitry und in hs. 15193 fol. 74 Etiennes de Bes. ein
stück, das den von Schröder in den 2 Münchener hss. nachge-
Aviesenen entspricht, beide geben der fassnng Etiennes den
Vorzug, für diese soll sprechen, dass sich wie bei Bon. nur der
abt ohne die mönche an der Züchtigung des laienbruders beteil ist.
indes bei Et. heilst es ja auch: 'accusavit eum in capitulo'. und
nachher: "quibus ille dixit'. hinsichtlich der verse B. v. 36 — 39,
die nach Schröder fast wie eine wörtliche Übersetzung Etiennes
aussehen, sei darauf hingewiesen, dass in Waas hs. nur steht
"et depilantur' ohne das "ita" in der mitte, also noch weniger
entsprechend als des J. de V. 'et ideo'. dagegen stimmt anderes
bei Bon. mit J. de V, überein: v. 8 icöJfl varn in yelstlich leben,
"ut in pace et humilitate deo serviret'; v. 25 dd er hin ze margfe
kan, 'cum autem ad forum pervenisset' (fassung v. Wright); v. 43
vuor er icider hehi, 'cum ad claustrum fuisset reversus"; alles
dies fehlt bei Etienne. ferner entspricht v. 52 liegen mag mir nicht
gevromen 'nolui mentiri' besser als 'veni huc, non ut mentirer'
bei Et., sowie v. 56/57 icerde mint an der sele, 'ledere animam
meam' besser als 'salutarem a. m.' bei Et., und das was Waas
zu gunsten Etiennes anführt, v. 14 wand er e was ein niser man,
Et. "virum sapieutem', spricht gerade für J. de V., *quod fuisset
industrius in seculo': e vertritt das plusquamperfectum, 'industrius
in seculo' fasste B. auf als einen in der weit tätigen und ge-
wanten mann und gab daher zu anfang die ausführliche Schilde-
rung V. 1 — 3 ein ritter icas an sinnen kluog und hat
ouch alles des genuog, so man zer weite haben sol. demnach
lässt sich eine benutzung J. de V.s durch Bon. schwei-
licli bestreiten, mag er auch Etienne aufserdem vor sich gehabt
haben, worauf dessen catalanische Übersetzung, besonders mit
den Worten 'mantenir Verität', v. 53 an der n-ärheit gestnn,
allerdings hindeutet.
Bei Bon. 87 schwankt Waas zwischen Etienne de Besan<;on,
dessen erzählung er in der Pariser hs. 15913 fol. 58 gefunden
hat, und der schon bekannten stelle des Liber de abund. exempl.:
durcli textvergleichung allein liefse sich nichts feststellen.
Schröder jedoch, der aus den 2 Münchener hss. die stelle
Etiennes kennt, schliefst aus B. v. 25 26 als bald diu houbet
240 GOTTSCHICK
wirt bedacht mit erde, im vergleich mit Et. de Bes. 'posito
super vos pulvere in morte' uud Lib. d. ab. e. 'positus in pul-
vere', dass die Version Etiennes Bon. entschieden näher stehe,
aber im Lib. d. ab. heilst es ja ebenfalls 'posito vero pulvere
super lapidem', B. v. 11 ivenn er bedacht mit eschen wart, und
für B. V. 25/26 sind die beiden lat. fassungen keine wörtliche
Übersetzung, 'positus in pulvere' entspricht m. e. insofern mehr
B.s Worten, als es auch den tod nur mittelbar bezeichnet ohne
seine ausdrückliche erwähnung.
Die beiden andern stellen, die Waas aus Pariser hss.
Etiennes de Bourbon und der Exempla varia abdruckt, sieht er
selbst nicht als quellen B.s au. der text E. de Bourbons ent-
spricht genau dem Martins von Troppau. nun finden sich aber
in diesen 2 stellen, die mit Bon. genau übereinstimmen: 'coopertus
pulvere', v. 1 1 bedacht mit eschen ; 'vivus' und noch genauer
^quamdiu viveret' in d. Ex. var. (16515 fol. 213j, v. 19 die wil
du macht daz leben hän. wo Et. de Besanron und der Liber de ab.
nur 'nunc' bieten, auch der catalanische Recull hat übrigens
'que ara mentre s o t s v i u'. hiernach erscheint trotz Waas'
entdeckungen eine sichere entscheidung zwischen den 3 vorlagen
nicht angängig '.
Für Bon. 92 hat Waas die von Schröder nachgewiesene
erzählung Etiennes de Besan(;on auch in der Pariser hs. 15913
fol. 22 gefunden und tritt Schröders ansieht, dass diese Bon.s
vorläge gewesen sei, bei. nur hebt er hervor, dass auch hier
die reihenfolge der 3 lehren mit der Bouerschen nicht überein-
stimme, indessen schien Bon. wol durch vertauschung der ersten
und dritten eine begrifflich richtigere Stufenfolge zu entstehn,
ein hinaufsteigen vom denken zum handeln, unglaublich, unwider-
1 in m. Programm B. u. s. lat. vorl. s. 29, hatte ich bezüglich
Waas bemerkung in seinem Schlussverzeichnis (Die quellen d. beisp. Bon.
8. 74) Et. de Bourbon sei vielleicht auch noch für B. 87 die quelle, gesagt:
'B. 87 ist hier wol nur ein versehen statt B. 85', da er in seinem text
Et. de Bourbon für B. 87 nicht erwähnte und nachher den Lib. d. ab. ex.
als quelle angibt ohne hinzufügung v. Et. de Bourb., diesen aber unter
B. 85 nennt, wenn er auch schliel'slich dort Jac. de V. als unmittelbare
quelle bezeichnet. Waas erklärt Lit.bl. f. g. u. r. ph. 22, 10 dies nun
dahin, dass der Lib. d. ab. nur eine bearbeitung d. 1 buches v. Et. de
Bourb. sei. indessen liegen ja gerade für B. 87 verschiedene fassungen
dieser beiden werke vor.
EINIGE BEISPIELE BONERS 241
bringlich, unerreichbar, zugleich ein beweis für seine freie,
selbständige, nicht urteilslos nachahmende benutzung der quellen.
Aber wenn auch Boners eingangsverse aus Et. d. Besanyon
stammen, wie Schröder aao. s. 424 darlegt, so muss ich doch,
nachdem nunmehr der ganze text Etiennes vorliegt, die aus-
schal tung des Jacques de Vitry anfechten, da für ihn manches
bei Bon. spricht, v. 35/37 du hast tüvoiaUch gar getan, daz
du mich, tdre, hast geldn vUegen, hat J. de V.: 'o miser, quid
fecisti, quia nie dimittere voluisti', während Et. de Bes. 've tibi,
quam malum consilium hodie habuisti' bietet, ohne etwas ent-
sprechendes für V. 35, obwol anderseits 'malum consilium' und
uninslich sich ähnlich sehn. v. 3S ich trag in dem l'ihe mhi
entspricht J. de V. 'h a b e o in visceribus meis', Et. : est enira
i. V. m.'; V. 48 er ic a r t betrüebt als umb sin leben, J.
d. V. "contristatus est valde' (wie auch im Barlaam
und Josaphat und bei Odo de Ceritona, Hervieux ii 595), was
bei Et. fehlt; v. 50 wart gevlizzen ser fif daz, wie er den vogel
möcht gevdn, J. d. V. 'eam apprehendere conabatur', während
Et. mit den worten 'eam arte et promissis capere attemptaret'
mehr zu entsprechen scheint; v. 54 niut hästu der lere
m.l n behebt, J. de V. 'doctrina mea nihil pro-
fecisti' (wie auch in Bari. u. Jos. 'nulluni ex his proticuuni
assecutus es', bei Odo 'fructum habuisti'), was wider bei Et. fehlt '
V. 59/61 leit und smerzen hästu in dinem herzen, daz du mich,
tore, hast verlorn, J. de V. 'doles de re perdita, quam recuperare
non potes'. wo Et. nur 'dolens' bietet. demnach, und zwar be-
sonders wegen der zwei stellen v. 48 und 54, für die Et. de
Bes. nichts entsprechendes hat, muss Boner hier auch Jacques
de Yitiy benutzt haben.
Für Bon. 94 hat Waas die entsprechende erzählung
Etiennes de Bourbon in der Pariser hs. fol. 154 gefunden, sie
stimmt genau mit der von mir, Bon. u. s. lat. vorl. s. 30, aus
Martin v. Troppau abgedruckten, nur steht dort 'constantinopoli-
tanura' statt 'Constantinopolis' bei Mart. und 'unam' statt 'aliquara'.
dieser lat. text muss Bon. vorgelegen haben, da Et. de Besan^on
nach Schröder für v. 23 ff nichts entsprechendes hat. Waas hat
hier das betreffende stück aus der Pariser hs. 15913 nicht mit-
geteilt, weil es wie das des Liber de ab. exempl. hier nicht in
betracht käme, indes findet sich in ihm zu anfang eine stelle
Z. F. D. A. LH. N. F. XL. 16
242 GOTTSCHICK
'miilta promittebat ei se daturum cum f o r e t d i v e s', die
Et. de Bourbon nicht hat, Bon. aber mit v. 19 alles des mich he-
rietc got widergegeben haben dürfte, ferner entspricht die lat.
Überschrift des catal. Recull 'Amici falsi multa promittunt usw.',
die sich in den andern vorlagen nicht findet, der Bon.s 'Von be-
trogener vriuntschaft', worauf ich, Avie auf die weiteren an-
klänge im ßec, von neuem hinweise. meine Vermutungen
erledigen sich also nicht, wie Waas meint, Bon. könnte Et. de
Bourb. ja noch in einer andern fassung als der von ihm mitge-
teilten benutzt haben, hierüber äufsert auch A.Borgeld seine
ansieht, Tijdschr. v. nederl. taal-en letterk. xxvi, 10 s. 23/24,
'Don Torribio en de deken van Badajoz', wo er diese erzählung
durch die literatur hindurch verfolgt bis zu Rückerts gedieht
'Die Freundschaftsprobe'. hinsichtlich der stellen des Recull
schreibt er: 'de overeenstemmingen zullen zeker ewel toevallig
moeten zijn ; zoo bijzonder groot kernen ze mij trouwens ook
niet voor'.
Die vorläge für Bon. 95 hat Waas auch in der Pariser
hs. 15913 fol. 13 Etiennes de Besanrou gefunden, nachdem sie
von Schröder in den 2 Müuchener hss. nachgewiesen worden war.
hier entspricht B. v. 30 ein schmie kuo 'pulchram vaccam'
genauer als bei Job. Junior 'v. pinguem', ebenso v. 39—43 dur
m'inen iriUen hilf dem man, daz er sin suche miig behau und
ouch shi (juot; des hit ich dich! der bette nicht entere mich! der
herre lobt der vrouwen daz, 'que (uxor) tam institit apud
ballivum, quod ipse promisit se facturum, quod ipsa petebat', was
bei J.Jun. fehlt; ferner v. 55 der herre sprach, mit dem nicht
der streitende gemeint sein kann, welcher immer nur als man
bezeichnet wird, sondern der richter, der widerholt als herre
auftritt, bei Et. 'ballivus respondit', während bei J. J. 'respondit
adversarius' zu lesen ist. anderseits scheint v. 50/51 red ochse!
wiltu nicht reden? es ist zit, und v. 57/58 diu kuo den munt
heslozzen hat dem ochsen, eher die worte des Joh. Jun. *bos meus
quando loquetur?' und 'vacca mea eins gulam stringit' voraus-
zusetzen als die Etiennes 'bos loquere! vacca non perraittit'.
jedoch könnten diese auch als ausreichende vorläge für B. gelten,
zumal da der catal. Recull, den ich B. u. s. lat. vorl. s. 31 ver-
glichen habe, ihnen meist genau entspricht, danach bliebe es
bei Schröders ergebnis.
EINIGE BEISPIELE BONERS 243
Zu B 0 11. 90 bringt Waas aus der Pariser lis. 1 (i 1 5 der
Exempla varia den satz bei: 'item catus discurrendo aniittit
pellem et excoriatur sepe; qui fuisset domi. vixisset': auf eine
Bon. älinliche geschichte bezw. das ihr zu gründe liegende
Sprichwort werde darin angespielt, aber weder von einem um-
herlaufen, noch einem Verluste des felis oder einer abhäutung, no'h
von einem schlielslichen sterben der katze enthält B. Ü6 etwas,
sondern, wie Waas selbst sagt, ein versengen des felis zum
schütze vor den nachstellungen des nachbarn. da liegt ja des
Jacques de V i t r y stück (2p9 bei Crane, s. m. arb., B.
u. s. 1. vorl. s. 31j noch näher.
Für. Bon. 97 lehnt Waas selbst den text Etiennes de
Besancon, den er in den Pariser hss. gefunden hat, wie er auch
von Schröder in den Müuehener hss. nachgewiesen wird, als vor-
läge ab. Etienne müsse hier unbedingt ausscheiden, es bleibt
also bei meinem ergebnis, B. u. s. lat. vorl. s. 34, dass Jacobus
de Cessolis oder die lat. vorläge des Libro de los enxemplos die
quelle war, wie dies letztere werk für B. 72 neben Valerins
Maximus und Joh. Junior Boner vorgelegen hat.
Zu B 0 u. 100 druckt Waas das bereits von Schröder in
den Münchener hss. nachgewiesene stück Etiennes de Besangon
aus der Pariser hs. 15913 fol. 19, wo er es gefunden hat, ab,
mit der lesart *iu tualia, cum qua solebat radi', die die Münchener
hs. B abweichend von A bietet, es stimmt sonst im wesent-
lichen mit dem des Liber de ab. ex. überein, das ich aao. s. 36
abgedruckt hatte, da Waas einen neuen fund nicht gemacht
hat, verweise ich nur auf meine ausführlichen früheren ausein-
andersetzungen. aber Waas kommt trotz Schröders klaren
darlegungen über den Dialogus creaturarum nicht hinweg, und
doch hatte er in seiner dissertation s. 41 gesagt: auszuschliefsen
von der vergleichung mit Bon. ist die erzählung im Dialogus
creat., da . . . dieses werk wahrscheinlich erst 1355 abgefasst
ist; ebenso s. 52: nun kann aber Bon. den Dial. creat. aus
chronologischen gründen nicht mehr benutzt haben; und s. 63:
aus chronologischen gründen sind auszuschliefsen der Dial. creat
und Bromyard, für Bon. 100 aber erscheint ihm im Wortlaut
des Dial. er. mit nicht allzu grofsen Varianten der text einer
gemeinsamen vorläge vorzuliegen, da Bon. und der Dial., die
direct mit einander nichts zu tun haben, im gegensatz zur
Ifi*
244 GOTTSCHICK, EINIGE BEISPIELE BONERS
sonstigen Überlieferung so übereinstimmend erzählen, das wäre
freilich kein andres ergebnis, als wenn man auf Bromj'ard oder
die Gesta Romanorum als mittelbare quellen zurückginge, wo
diese geraeinsame quelle zu suchen sei, ist nach Waas schwer
zu sagen, allerdings müste man dann für B. 100 eine ganz
neue quellenschrift annehmen, nach meinen ausführungen aao.
s. 3 7/38 wäre es die lat. vorläge des catal. Recull. der nach
Schröder aao. 428 den Etienne de Besauyon recht wol ersetzen
kann, also Etienne de Besan§on selbst; Etienne de Bourbon
und der Liber de abundantia exemplorum kommen aufserdem in
betracht.
Gerade die benutzung der vorlagen für beispiel 100
durch Boner ist m. e. bezeichnend und zugleich lehrreich für
seine art zu dichten, während Waas auf seine annähme einer
exempelsammlung in der band Boners (Die quellen d. beisp. Boners
s. 75) nicht wider zurückgekommen ist, sondern für die einzelne
fabel eine einzige bestimmte quelle zu ermitteln sucht, so
komme ich nach allem was nunmehr vorligt zu dem schluss,
dass B 0 n e r , der doch die sämtlichen lat. exempla der ver-
schiedenen Verfasser kannte, auch für seine einzelnen
beispiele öfter zugleich mehrere vorlagen,
wenigstens niqjit immer eine allein, benutzt hat, vielleicht
in der weise, dass er zunächst eine zu gründe legte und sie
nachher hier und da aus einer andern ergänzte, nur eben für
B. 100 setzt Waas, so weit ich sehe, derartiges voraus, hier
äufsert er auch, aao. 358, Boner könne in 'der erinnerung an
früher gelesenes hie und da von der darstellung seiner quelle
abgewichen sein, eine Vermutung, die gegenüber dem streng an
seine Überlieferung sich haltenden dichter zu weit gehn dürfte.
auch E.Schröder, aao. 428, nimmt für Bon. 76 eine con-
tamination aus Petrus Alphonsi und Etienne de. BesanQon
an, wie auch für B. 100 zwei vorlagen, eine Verwertung nicht
einer quelle allein seitens Boners wäre also überall da anzu-
nehmen, wo eine entscheidung zwischen den vorlagen nicht zu
treffen war, nach diesen meinen Untersuchungen bei B. 43. 48.
52. 58. 72. 74. 82. 85. 87. 92. 94. 97. loO.
Charlottenburg, 7 october 1909. Reinhold Gottselüek.
ZUR HE1DELBP:RGER HANDSCHRIFT
COD. PAL. GERM. 341.
Rosenhagen hat in seiner ausgäbe eines teiles der Heidel-
berger hs. 341 in den DTexten des ma. XVII. eine so treffliche
Untersuchung zur äufseren kenntnis der hs. und ihrer localisierung
geliefert und aufserdem so viel licht über die heute leider fast
unbenutzbare Caloczaer hs. verbreitet, dass seine arbeit der aus-
gangspunct für weitere ergebnisse sein wird, ein erster schritt
soll der vorliegende beitrag sein, wenn ich mich im folgenden
häutig selbst eitlere, so ist das eben durch die frage bedingt, die
auf dem boden spielt wo ich heimisch bin.
Ich muss zuerst in eigener sache ein wort verlieren. Rosen-
hagen hat in der einleitung p. vii in der besprechung der Über-
lieferung gegen mich einen ungerechtfertigten Vorwurf erhoben,
er sagt: 'der letzte teil der hs. bestand also aus vier lageu zu
6 blättern, dies hat vdHagen bereits richtig erkannt, ist aber
neuerdings unrichtig dargestellt worden von Berni (HvFreiberg
s. 20 f.).' wer meine darstellung liest, findet kein wort einer
erwähnuug von den lagen der hs. oder auch nur der letzten
läge, welche das Schrätel und die' Ritterfahrt enthält, ich gebe
blofs die selten und spalten an, auf denen sie stehn, und zwar
genau so wie Rosenhagen, ich habe schon vor 1 5 jähren selbst
die Sachlage betreffs der einfügung des heutigen halbblattes 370
mit dem Schlüsse des Schrätel richtig vermutet — was übrigens
nicht schwer war — indem ich ohne weitere auslassung sagte:
'es liegt nahe, zwischen dem manco hier und dort einen Zu-
sammenhang anzunehmen.' in der erklärung die Rosenhagen
zur anordnung der Ritterfahrt an den schluss des codex gibt,
bleibt der eine punct ungeklärt, warum der abschreiber zwischen
dem schluss des Schrätels (bl. 370^, das als inneres lagenblatfc
nach bl. 372 einzuschalten ist) und dem beginn der Ritterfahrt
6-'/4 spalten leer gelassen habe, um dann die 10 vv. (mit der
Überschrift 12), die heute fehlen, in die 7 spalte unten derart ein-
zusetzen, dass mit den folgenden 2 bll. das gedieht beendet und
das pergament bis zur letzten zeile ausgenützt wurde, denn
das ist der grund den Rosenhagen angibt: 'der freie platz wurde
246 BERNT
so benutzt, duss die Ritterfahrt, für welche der nötige räum
sich leicht berechnen Hess, genau bis ans ende reichte', dafür
fehlen in dei- praxis die analogieen, wenigstens dafür dass ein
Schreiber 12 zeileu vor schluss eines sonst leeren bhittes ein
neues gedieht beginnt, wenn er nicht mit niiuiatui'en und bilder-
initialen zu rechnen hat. die Ritterfahrt stand schon bl. 90*^,
z. 3 5 ff. und wurde dort ausradiert, um einem andern gedichte
platz zu machen; sie wurde am schluss eingefügt und ist dort
heute ohne anfang erhalten. Rosenhagen erwähnt meine Ver-
mutung nicht, dass vielleicht die ersten 10 vv. des gedichtes
etwas enthielten, was entweder dem abschreiber, oder der per-
sönlichkeit für die der codex hergestellt wurde, in irgend einer
richtung anstöfsig erschien, diese Vermutung ist denn doch
nicht mit stillschweigen zu übergehn, zumal wenn sie
durch keine wahrscheinlichere ersetzt wird, auch hätte der
liebhaber des schönen pergaments vielleicht den schluss des
Schrätels auf dem erhaltenen halbblatte ebensowenig verschont
wie den anfang der Ritterfahrt, denn dass er den anfang der
Ritterfahrt 'übersehen' habe, ist avoI ausgeschlossen, die sache
ist mit unsern mittein nicht zu entscheiden ^.
Meine oben citierte Vermutung wegen des abschreibers, oder
der persönlichkeit für die der codex hergestellt wurde, hat mir
schon längst die frage nach der localisierung der hs. nahe-
gelegt, und ich freue mich, dass Rosenhagen die sache auf
einem andern wege verfolgt hat: die anzeichen weisen nach
Böhmen und sind durch sprachliche und litterargeschichtliche
Untersuchungen zu erhärten, ich kann heute meine abhandlung
zu den im Heidelberger codex Jüberlieferten deutschböhmischen
gedichten nicht vorlegen, obwol ich schon in meinem HvFreiberg
s. 199 einen für die mhd. litteraturgeschichte interessanten bei-
trag versprach, ich gebe hier nur einige ausschnitte, die das
buch von Rosenhagen ergänzen sollen: den nachweis der bürg
Dewin in der Wiener Mervart, um den sich ohne rechten erfolg
ESchröder Zs. 29. 355 ff. bemühte, als er zuerst das gedieht
der böhmischen literatur zusprach; eine darstellung der ortho-
' meine ansieht, dass die rückseite des halbblattes 370 ausgeschabt
sei, widerlegt Rosenhagen, ich hatte jedenfalls vor 15 jähren diesen
eindruck und nehme die berichtigung gern zur kenutuis. die spalte ist
also blofs leer.
COD. PAL. GERM. 341 247
graphie von vier sicherlich deutschböhmischen gedichten und ihr
ergebnis für die herkunft der hs., sowie gründe für die ent-
stehung- des gedichtes vom 'Bergmann' auf dem boden des Iglauer
bergrechtes.
Die bürg Dewin der Wiener Mervart (v. 32 von Dewiti
Jnirgräve Heniian), die 'Maideburg', liegt am Hammerteiche süd-
lich des Lausitzer gebirges, an der alten heerstrafse die von
Prag über Jungbunzlau im tale der Iser nach norden und einer-
seits an den bürgen der Wartenberger vorbei ins Lausitzerge-
birge und von da nach Zittau führt, anderseits über Turnau zu
den Strassen über das Iser- und Riesengebirge nach Schlesien
gieng. im besitze der bürg war in der ersten hälfte des 1 3 jh.s
das geschlecht der Michelsberge, docli verloren sie ihn unter
könig Premysl Ottokar II, die bürg wurde königlich und von
einem burggrafen verwaltet; so wird 1260 Heinricus hurgravius
de Dewin genannt (Emier Regesta Bohemiae n p. 99, vgl.
Hohenfurter urk.buch p. 9) '. erst Johann von Michelsberg,
derselbe dessen Ritterfahrt nach Paris von Heinrich von Frei-
berg besungen wurde, erhielt über Verwendung seiner freunde
von könig Wenzel am 2b august 1283 (Emier ii 56u) castra
Weleschin (in Südböhmen), Schar fenstain et Dewin cum civitatibns
et villis pertinentH)us ad eadem; ^vgl. meinen HvFreiberg einl.
s. 188. um 1310, wahrscheinlich aber schon seit dem tode
Johannes vor 1306, ist die den Michelsbergen verwante linie
der Wartenberge im besitz des Dewin, während erstere nunmehr
ihren hauptsitz in Südböhmen auf der bürg Weleschin haben,
wo nach Johannes tode dessen söhn Benesch residierte, ein
tapferer und einfiussreicher herr, der zwischen 1322 und 1327
gestorben ist und als haupt des geschlechts seinen nicht minder
bedeutenden söhn Johann II hinterliels (vgl. Klimesch, Mitteil,
des Ver. f. gesch. d. Deutschen in Böhm. 22, 185 ff.), in der
mitte des 14 jh.s spielt der Dewin eine bedeutende rolle in den
f eh den der Wartenberge gegen Zittau, ebenso in der Hussiten-
' er ist auch unter den rittern die sich bei Laa in Niederösterreich
zum kämpfe mit Bela von Ungarn versammeln, Palacky II 1, 176. also
hat auch dieser burggraf von Dewin damals Wien gesehen, die dichtung
nennt aber einen späteren burggrafen Hermann, vielleicht war er 121(3
unter den zahlreichen böhmischen edlen im gefolge könig Wenzels
und seiner gemahlin in Wien, wo sie 12 tage in fröhlichen festen
zubrachten.
248 BERNT
zeit, wo er 1441 von den Laiisitzeni vergeblich belagert wurde,
über den Dewin und seine geschlchte vgl. WFeistner Die bürg
Dewin (Mitteil, des Nordböhm, excursionsclubs 187b. 41 — 51);
auch Schaller Topogr. des k. Böhmen iv 2 ."'.9; Sommer Das
königreich Böhmen u 253. vorstehendes wird hinreichen, um
die entstehung der WMervart ohne Zuhilfenahme innerer gründe
in Böhmen wahrscheinlich zu machen, dafür sprechen auch
andere namen des gedichts, so die Zusammenstellung von Akers
mit Prag (v. 136) und die Preufsenfahrt (v. 147), wie sie von
Böhmen aus 1254 und 1268 mit so grolsem erfolge unternommen
wurde, mir ist auch der name Brandeiz (v. 360) entscheidend,
dass Brindisi gemeint ist, liegt auf der hand; und doch scheint
die anspielung nach einer andern seite berechnet. Brandeis a. d.
Elbe ist bürg und Stadt auf der eben erwähnten alten heerstrasse
von Prag nach dem norden, und dieses Brandeis war, ebenso
wie der Dewin, im besitz der Michelsberge, und zwar bis zur
hussitenzeit (über Brandeis vgl. Heber Böhmens bürgen vi 24^ ff.).
zwischen dem Dewin und Brandeis ligt bei Jungbunzlau die noch
heute imposante ruine der bürg Michelsberg (abbildung und ab-
handlung bei Heber i 35 ff). —
Ich gebe im folgenden eine auf eigenen abschriften aus
dem codex beruhende darstellung der Orthographie der vier
deutschböhmischen gedichte Wiener Mervart, Rädleiu, Schrätel,
Ritterfahrt, wozu ich als ergänzung für den Schreiber ,j gelegent-
lich den leich RvZweters heranziehe, das vorgebrachte statistische
niaterial wird Rosenhagens aufstellung willkommen ergänzen
und hat als hauptzweck den nachweis. dass wir es mit ostmd.
und zwar böhmischer Orthographie des 14 jh.s zu tun haben,
die spräche der dichter, soweit sie in den reimen zutage tritt,
bleibt ausdrücklich unberücksichtigt.
Zuerst das wichtige capitel der nhd. zerdehnung: WMervart
t als '/, ausgenommen 2 sei (682.696)' und ht (378), das nach
dem diakritischen zeichen hieher zu setzen ist 2. — h erhalten
' hs. F des HvFreibg., um 1300 in Böhmen geschrieben (ein), p. 3
und 11), die teine zerdehnung > ei aufweist, abgesehen von kleineu
stücken der nebenhand, schreibt gern .<ie, sies (und hie), was immerhin
der erwähnuug wert ist. - ich geb die diakritischen zeichen, die als
e, als V, als halbbogen, als zwei einem flüchtigen e ähnliche puncte er-
scheinen, aus typographischen gründen als e wieder.
COD. PAL. GERM. 341 219
als V, selten ii, in 24 fällen, wozu noch die 15 lalle von rf
kommen, die ausnahmslos ohne zerdehnung überliefert sind, ent-
sprechend dem in Böhmen g-eläufigen vff'\ dem stehn jaregenüber
V 398 f; av 11 G. 17(1. 424. 625. Ü3 7; an- 626; avir 642; ov 4b5f.
488. 553. 585, also 14 fälle, ausschliefslich auf die Wörter
gerfiDiet, versümet, käme, sure, nakehüre verteilt, also vor m und
>• (s. u.). — iu ) et', eic, ew in 15 fällen (2. 15 f. 24. 48. 164.
218. 356. 373. 406. 407. 568. 661. 670. 704), dazu prvzzen
(147) und die Schreibung ür, die hier als Verlegenheitsschreibung
gelten kann, in triwe, getriwe (38. 285. 551). das wort vriunt
bedarf besonderer behandlung. der reim vrvnden : svnden (40 f.)
sichert und überliefert auch hsl. die md. form, dazu kommt
vrvnde : svnde (131); daneben aber im verse vrvnt 564. vrint
252; aber urevnt 281. 606. vrevnde bbb. 592. die Überlieferung
erweist, dass dem Schreiber neben der durchgängigen zerdehnung
) ev die böhmisch im 14 und 15 jh. ganz allgemein geltende
form fnnf, f runde bekannt war; über ihre weite Verbreitung in
unserem gebiete vgl. Jelinek Die spräche der Wenzelsbibel
(Görz 1899) s. 45 f. — nicht zerdehnt öndet sich noch die form
rvicet 352. wir sehen also ein ganz klares Verhältnis zur neuen
diphthougieruug.
Im Eädlein, von der band des Schreibers y, ergibt sich fol-
gendes: i als i erhalten, ü als v erhalten (29. 71. 77. 12S. 136.
168. 169. 178. 194. 210. 233. 268. 329. 357. 393. 448. 454.
466. 492) in 19 fällen, wozu die 17 fälle von r/treten, dazu
kommt als Verlegenheitsschreibung trvren 124. gebrvchte : ge-
dvcJite 91 und die zwei fälle von zerdehnung dovhte 128. davcJite
445. — iu in regelraäfsiger zerdehnung ) ev (193. 197. 223.
236. 298. 327. 339. 3r.O. 364. 393. 477.); der Schreiber y ist
also in dieser zerdehnung weitergegangen als ß. eine ausnahrae-
stellung verlangt bei ihm das pronom. iiich. erscheint schon
iiocer in verlegeuheitsschreibung itcer (s. ob.) 80. 81. 185. 302.
498 neben einem iiiver 184, so ist vch in alter erhaltuug (81.
83. 172. 294. 299. 301. 508) neben einem einzigen ecch 79.
wenn Rosenhagen (einl. xxiv) sich damit durch die bemerkung
abfindet 'regelmäfsig eiy'ch, auch vch geschrieben', so will ich un
einem parallelfalle, ohne weitere deutschböhmische quellen heran-
zuziehen, die Sache beleuchten, der cgm. 579, den ich in der
einleitung zum 'Ackermann aus Böhmen' in Böhmen localisiere,
250 BERNT
überliefert für diese diclitung bei sonst völliger diphthongierung
(aul'ser dem md. rff' imd vereinzelten frunt) neben 10 euch 38
vch. im Rädlein steht ein evcli (79) neben 7 vch. das wort
dürfte sonach als merkwort neben vf und frvnt rücken, ander-
seits will ich nicht verschweigen, dass in nordböhraischen und
schlesischen quellen gerade euch als eines der ersten Wörter mit
der neuen zerdehnung vorkommt; so find ich es in der nach
Schlesien gehörigen Krummauer deutschen Bibelübersetzung
(Mitt. des Vereins f. g. d. Deutschen i. B. 38, 38 li, und in dem
von mir bekannt gemachten reste des deutschen Weichbildrechtes
von Leitmeritz (Mitteil, des Vereins 42, 199) finden sich neben
der völligen erhaltung von fi und In (als u) 5 zerdehnte euch.
vielleicht dass sich südliches und nördliches Böhmen darin ver-
schieden verhalten, denn ebenda ist T durchaus ei geworden,
während im Heidelberger cod. 341 ei nur ganz sporadisch auf-
tritt, die glatte entscheidung, ob hier landschaftliche und sprach-
liche factoren malsgebend gewesen, oder ob zufall und schreiber-
gewohnheit den ausschlag gaben, will ich seinerzeit bringen,
ich will hier nur noch das von Rosenhagen (einl. ix) heraus-
gehobene hehevten = hehileten berühren, ich habe bei bekannt-
machuug eines in Böhmen ('in Prag oder nördlich davon') ge-
schriebenen deutschen Psalters (Mitteil, des Vereins 39, 23 ff.)
neben der verglßichsweisen darstellung deutschböhraischer kenn-
zeichen s. 42 auch ein ausnahmsweises ich han gehevtet ('custo-
divi') verzeichnet; die parallelen aus deutschböhmischem Schrift-
tum lassen sich aber mehren, auch im Rädlein steht ein ganz
merkwürdiges hivte = hüete (363), dessen normale entwicklung
ein hevte gäbe, wenn ich noch in Pietsch, Trebn. Psalm., einl.
XLVii die form beheute ('custodi') und irhJeide ('refloruit') finde,
so kann die erscheinung als ostmd. erwiesen gelten.
Im Schrätel zeigt sich folgendes Verhältnis zur neuen zer-
dehnung : i als i erhalten, ü als v erhalten in 25 fällen, worin
die Schreibung mvl 227. svste : prvste 22 If einbezogen ist;
dazu kommen die 18 fälle vf. die zerdehnung erfolgte in sovmte
35. kovme 187. rovmen 207. hovman 319. 324. 346. 348. ge-
boirer : sower 55 f. son-ev 160, also vor m und r wie beim
Schreiber ß. man bemerkt, dass der Schreiber y seit der nieder-
schrift des Rädleins der eindringenden diphthongierung weniger
standgehalten hat und sich dem verhalten von ß nähert, zu
COD. PAL. GEEM. 341 251
der zerdehniing- vor iit notiere ich, dass gerade kocme auch in
schlesischen denkmälerii frühzeitig auftritt, so lind ich es in
der oben erwähnten Bibelübersetzung (Mitt. des Vereins 3S, 3S3)
neben durchgängigem it und einzelnen n. — tu steht im Schrätel
in der zerdehnung ev, ew (3. 4. 70. 92. 138. 144. 170. 181.
188. 201. 334.). ebenso zu betrachten ist die Schreibung v
((i9f. 97j und l/c (195 f.). dazu tritt nun das schon oben ge-
sondert betrachtete iicer (67. 83. 86.) neben lacer (134. 135.)
und als ausnähme wie oben vch (16. 64. 84. luS. 121. 111.
146. 150.), also kein evch, und das als erhaltung anzusprechende
e
vrvnt 66.
Der Schreiber d, der die Eitterfahrt anfügte, hat n in den
Wörtern vz (9 fälle) und Ivte (229) erhalten und nur die zer-
dehnung travren (79), also vor r. dazu kommen die 13 fälle
von vf. dieser conservativen haltung entgegen findet sich eine
zerdehnung des ? in enheizzen : vleizzen (65 f). die in sind
diesmal ausnahmslos zerdehnt, die bei ß und ;/ gewöhnliche
Schreibung ev ist aber seltener (55. 108. IT.'. 150. 199; hieher
auch creatüre '■ f'evre 197f); gewöhnlicher ist eiv, auch ew (2S.
85. 117. 185. 273. 287); auffällig und für ö' charakteristisch ist
vvw (136. 143. 1(14. 178) und ebenso die zerdehnung ev = /;/t7/ 61.
Die zerdehnung der alten monophthonge zeigt also in den
behandelten gedichteu ein für die zeit der niederschrift der hs.
rüstiges vorschreiten der neuen Schreibung, wie es nachweislich
nicht in dem nördlichen Deutschböhmen der fall war. es zwingt
das zu dem Schlüsse, dass der Schreiber, wenn er im nördlichen
Böhmen geschrieben hat, mit dem südböhmischeu und mährischen
schriftgebrauche vertraut war oder aus dieser gegend stammte,
die um 1300 geschriebene hs. F des Tristan HvFreibergs weist
nur in kleinen stücken der nebenhand solche zerdehnungen auf
(eiul. p. 2), hat aber sonst eine etwas schärfere md. färbe in
den ver ) vor^ vur ) vor, ze ) zu, die in der Heidelberger hs.
nur in mehr oder minder starken ausätzen voi-handen sind, denn
ver ) vor kennen die hier behandelten stücke überhaupt nicht.
vur > vor nur Eädl. 9, Schrat. 129, 166, Eitt. 180; daneben
aber vur Merv. 103. 415. 641. fv^haz 430; Eädl. (aufser den
reimbelegen) v. 390. fvrhaz, vurbaz 83. 142. im Schrat, aufser
den reimbelegen v. 112. 152. 219. Eitt. 44. 235'. umgekehrt
' rerioar in Merv. 356. 476. 5 IS. 564. 644.
252 BERNT
wird vor ) fvr Merv. 319, neben cor 355. 422. — die angäbe
Rosenhagens (einl. xxiv; "die Vorsilbe zer- ist immer zii- ist
ungenau; ich notiere aus der Mervart zehrochen 448 neben zv-
hrochen 567. zvhrach 420; Rädl. zetriben 414 ist falsche Über-
lieferung, aus dem Schrat, aber zestoret, zervttet 130. zekratzt
300. 315. zehizzen 315. zerirzen 316 neben zvzerren 240. 316.
— das Verhältnis der präpos. zu (md.) zu ze (bayr. öst.) ist in
Merv. 35 : 10, in Eädl. 13 : 17, im Schrat. 3 : 14, in Ritt. 14 : 4.
wollen wir verallgemeinern, so sehen wir, dass die bemerkung
Rosenhagens (xxiv) nur für p' und ö passt, für ;' nicht; aber
auch in ,? weist zb. der leich RvZwet. zu : ze ein Verhältnis
4 : 10 auf. — als monophthongierung sind die von uo ) v ge-
setz, die von ie ) i ausnähme, nämlich vom standpunct der
Orthographie, und zwar in Merv. schlre in allen 3 fällen (59.
17 7. 487) 1 und si in 56 fällen — auch in RvZweters leich
stehn 10 si desselben Schreibers — beim Schreiber y im Rädlein
ist es schire 20S und imant 892" (neben niemnnt 432. 453.). im
Schrätel findet sich nur idoch 321 und der reim zieh : vidi 121
(darüber HvFreib., einl. 97). in der Ritterfahrt, also beim
Schreiber Ö, steht neben 5 si (96. 166. 246. 254. 256) und
doch 318 noch geziret 202, gehijsiret 220 (neben gezieret
219. 271). wir haben einen ähnlichen bestand wie in hs. F
des HvFreiberg.
Im folgenden seien nun kennzeichnende md. und auch für
böhmische herkunft beweisende formen angeführt, das ist md.
iz, so in der Merv. in 18 fällen, dem nur 2 ez (196. 357) ent-
gegenstehn; im Rädl. 11 iz neben l ez (192. 221. 222. 305);
im Schrat, (also bei demselben Schreiber wie im Rädl.) aber nur
e in iz (234) gegenüber 44 ez ; in der Ritterf. (dem Schreiber J)
nur iz (70. 158. 160). — beweisend ist weiter qvam, quam'-:
Merv. 6()5. 637 — ebenso RvZweter leich 71 — Rädl. 103.
511, Schrat. 43. 275. 280. 285. 346; plur qvamen, quamen
Merv. 497. 584, Schrat. 28. 31; conj quem{e) Rädl. 159. Ritt.
69. daneben aber kom Merv. 268, Ritt. 54. 221. 267; plur.
komen Merv. 494, Ritt. 254 ; dazu auch eine conj. -form kom
Merv. 196. — nicht minder bekannt aus hss. des mittleren und
nördlichen Böhmens ist die form nakehur, die in der Merv. in
' ein hier. : mter Merv. 381 f. ist durch deu reim erzwungen,
nordböbmisch noch heute ha' quam.
COD. PAL. GEEM. 341 253
der Schreibung nakehavr 176. nakehvr 335. nak(/ehvr 398. nah-
gehaicr 62(i. nachtgehvr 4U5i. nachgehavr 117 überliefert ist.
— dass sich die kennzeichnende nordbühmische form kcf/cii, kein
nicht findet, soll nicht unerwähnt bleiben; es steht (jC(jen in der
Merv. in S fällen; im Eädl. v. 386; Eitterf. 248. '274. 31".
engegen 267; und gein im Schrat. 20. 38. 188. 272. belege für
kegen für unser gebiet bei Jelinek Wenzelsbibel s. 68. — hier
mag auch die form vude, die in Böhmen md. von obd. ein-
tragungen zu scheiden pflegt, erwähnt werden, allerdings tritt
vnde auch in Böhmen nur in wenigen Urkunden und Schrift-
werken ausschliefslich auf, vnd und vFi stehn gewöhnlich dabei,
die untersuchten gedichte bieten folgendes Verhältnis: Merv. (■])
33 vnde, 56 vvd, 17 rii-: Eädlein {-/) li vnde, 30 vnd, \i vn;
Schrätel (/) 23 V7ide, 48 vnd, 17 r«; Eitterf. (d) 11 vnde, 12
md, kein vii. während also die Schreiber ,j' und y ziemlich den-
selben gebrauch aufweisen, tritt bei d in der Eitterf. vnde mehr
in den Vordergrund, während vü fehlt, demnach ist also die
bemerkung Eosenbagens (einl. x vgl. auch ix unten), 'dass ;'
meist vnde, nie vn schrieb' unrichtig, ebenso wie seine bemerkung
über d mit berufung auf meine notiz zu z. 14 der Eittei-f.
dort habe ich die 1 1 belege von vnde genau angeführt, mi hr
nicht! dass weitere 12 vnd in dem gedichte stehn. erweist
ein blick ; sie in den laa aufzuführen, war kein grund vor-
handen, für alle Schreiber kann also vnde als zeichen md. Ortho-
graphie in anspruch genommen werden. — für charakteristisch •'■
halt ich auch die form 6i-/r/< Merv. 262. 422. 529. 67^, Schiät.
16S. über die Verbreitung von suIcJi in unserem gebiet vgl.
Jelinek s. 32. noch mehr bezeichnend für böhmische denkmäler.
besonders in Prag und dem südlichen und südöstlichen Böhmen
entstandene, sind die bair.-österr. Schreibungen schuUen neben
snllen. sie sind nicht nur eine Schreibeigentümlichkeit von ^^
(Eosenhagen.p. xxv) und haben eine gröfsere beweiskraft eben
wegen ihres gemischten auftretens. wir linden sie allenthalben
' nachtgepaicer, naehtpaicer kennt, auch die Wenzelsbibel, vgl.
Jeliuek s. 39. ^ in EvZweters leicli steht aber von demselben Schreiber
fast aus nahmslos rn, nur einmal (v. 40) cnd und einmal (v. 55) r/'/fe.
^ die form neu, die auch Eädl. 465 steht, nennt Mourek Zum Prager
deutsch des 14 jh. p. 43 'eigentümlich pragerisch'; sie ist aber überhaupt
ostmd., belege bei Jeliuek aao. s. 38.
254 BERNT
in böhmischen und mährisi-hen, auch schlesischeu quellen, zumeist
neben stillen, sollen, hier zeigt Merv. 57S scJtvlle wir (neben
sollen, svlt 172. 506); Rädl. ir schilt 497. scholt (impf.) 358.
schulde 70. 135. 291. 427. 490 (neben svlt, svl 81 f. 172. 282.
300. sohle 242. 257). auch sonst sind die für spräche und
Orthographie entscheidenden verbalformen in der Heidelb. hs.
dieselben wie sie in böhmischen Urkunden auftreten, so nur
gen, sten in allen untersuchten gedichten, die belege sind zahl-
reich, die a-form in den reimen wie Schrat. 53. 147. 20 1.
Ritt. 249 sind eben litterarische reime, die auch die Schreiber
nicht beseitigen konnten, litterarisch scheinen überhaupt diese
rt-formen bei HvFreiberg zu sein, wenn er auch nur vereinzelte
conj. e-formen reimt. — dazu koncle (nur Ritt. 256 kvncle), he-
(jonde, sohle, ivolde, torste, mochte, dorfte, iceste (die im ostmd.
auch bekannte form woste ist grob mundartlich) in hinreichenden
belegen, schrei ist von den Schreibern im versinnern überliefert
Merv. 445, Rädl. 168, Schrat. 243; auch im reim Merv. 45(i;
schre : u-e nur im Schrat. 235, sie ist bei HvFreib. (einl. 110)
als litterarisch angesprochen. — die prät.-form von fiän ist im
indic. het Mery. 474, Rädl. 35. 102, Schrat. 190. 192. 290,
Ritt. 106. 288; hete Merv. 484. 486, Ritt. 202. 219; plur. heten
Merv. 102. 215. 242. 245.' 250. 527. 562. 604, Ritt. 238. es
werden alle diese formen das von mir (HvFreibg einl. 1 05) aus-
führlich besprochene hete (hcete) meinen, dass beim Schreiber /
auch hat und zwar im Rädl. 29. 50. 66. 98. 318. 470; hatte
(hsl. harte) 61; plur hatten 26. 95. 466 vorkommt, wird mit
der beschaffenheit der vorläge zusammenhängen, den einfiuss
der vorläge auf die Schreiber zu untersuchen, Aväre ja von in-
teresse, gewis aber wird das ergebnis nicht sehr viel eindeutiges
material liefern. denn wir haben es bei den von Rosen-
hagen nachgewiesenen schreiberhändeu mit einer im ganzen
recht gefestigten und einheitlichen Orthographie zu tun. wichtiger
ist die frage, ob die Heidelb. und Caloczaer hss. originalarbeiteu
nach demselben plane oder abschriften sind, ich bin bei allen
beobachtungen zur Überzeugung gekommen, dass wir es mit ab-
schriften zu tun haben, die eine ziemliche reihe von jähren
nach der anläge des Originals entstanden sind, die Heidelberger
hs. weist soviel jüngere sprachliche erscheinungen auf, dass sie
vor 1320 — 1330 kaum geschrieben sein kann, eine genaue
COD. PAL. GERM. 3-11 255
iintersuchuug der ortliogiaphie aiicli der Colaczaer hs. würde
durch den geg-enseitig-en vergleich und durch die Zusammen-
stellung mit dem reichen, wenn auch weit auseinanderliegenden
materiale in Böhmen unanfechtbare ergebnisse bringen, und eine
solche Untersuchung wäre im Interesse der litterarisch und
culturgeschichtlich inerkwüi'digen frage lebhaft zu wünschen.
Anhangsweise will ich noch auf einige orthographisch-sprach-
liche kennzeichen aus der vorliegenden hs. aufmerksam machen,
dass s und z nicht selten permiscue gebraucht erscheint, betont
Roseuhagen. die beispiele treffen besonders z für s; so hab ich
aus der Mervart allein 13 iraz = was notier.t. — den bair. an-
laut ch für k beleg ich ganz vereinzelt: cbavkeit Merv. 689. —
auch ij für / tritt selten auf. ich bemerke, dass die Schreibung
mit ij vornehmlich Nordböhmen und noch mehr Schlesien charak-
terisiert, in unsern gedichten gerne zwischen vocalen. Rädl.
mei/en : zweyen 467, eya 1S7; Schrat, eyer 156; sonst neyi/e
Schrat. 2, ysenin 193. tyer Ritt. 155, gyres 129. 133, banyr
150, tyiist 214. 236, geleysiret 220, tvrneys 306 und mehrere
eigennamen. — das bair. cd, das besonders in der ersten hälfte
des 14 jh. in Böhmen neben ei, ey auftritt, zeigt sich in den
untersuchten gedichten nur auf wenige worte beschränkt. Rädl,
maidelin (Überschrift), maitin 49, maytin 55, maytvm 252. 258.
277, mayi 5ul. malt 3S8. 485 : verzait 169 : gesait 507. Ritt. 37.
Schrat, er mite 161. 169; Ritt, gesait 300, sait 324, also nur
in Wörtern, die die kontraktion aus -age erkennen lassen '. da-
neben megetin Rädl. 357, gescit Ritt. 190. sonst tindet sich
nur schaitel Rädl. 59. rait Ritt. 178. — auch die rundung des
a ist ganz vereinzelt: Rädl. 139. 209 er moJet, 268 gemolt :
Ritt. 167 nohen. 310 hegoliet. diese verdurapfungen treten in
Böhmen gewöhnlich in mit dar- und icar- zusammengesetzten
adverb. und sonst nur häutig gegen das schlesische Sprachgebiet
hin auf. — die Mervart überliefert durch H und C v. 561
ir krenket im sin ere. die von Hagen und Lambel gebrachte
conjectur ez (iz) krenket ist unnötig; wir haben crkrenken vor
uns und zwar in md. Orthographie irkrenket, um die es mir hier
zu tun ist. — unorganisches -e (s. Rosenhagen, einl. xxv) in
Merv. 339 läge, 420 zvhrache, 575 ivire (-= /rir); Ritt. 118.
125 gäbe, 221 kome. — von der Schreibung oe für ö bietet
' im leiche KeimvZwet. meide 56. 68, maf/tcm 80, maf/et 117. 163.
256 BERNT
Merv. hoese 21. 200. 421. 590. G97. — auslautend </ erscheint
in Merv. als ch, k nnd ck, selten als c; im Eädl. als c, selten
als k und ch; im Schrat, als c, selten als k; in der Ritt, als
k, selten als c und ,7, wozu noch 4 fälle der Schreibung kvnich
kommen. über die entsprechungen in unserem gebiete im
späteren 14 jh. vgl. Jelinek Wenzelsbibel p. 6 7 ff. — die Schreibung
]it statt des späteren cht scheint mir einer der gründe, dass
wir es mit der abschrift einer älteren vorläge zu tun haben \
so in niht Rädl. 25 fälle, Merv. 21 fälle, Schrat. 10 fälle; da-
neben Schreibungen Merv. mohte 160. 239, moht 409, iht 503.
576 (neben icht 675), liht 119. 475, hinaht 508, nehten 566,
vehten b9S, reht 197. 287. 482. 573. 577. 655. 681, des naht es
222. 481, mäht : naht 267, trehtin 388, niht : schiht 296 : geriht
255 u.ö,; Rädl. iht, mohte, lieht, dovhte. nehten u. a.; Schrat.
Uhte, lieht, dähte, gdhte; 'Ritt, zvht, wobei ich von se//f u. ähnl.
absehe, nur die Ritterf. hat nicht in 7 fällen, icht v. 12, licht
118. 125; dafür aber merkwürdig ovh 224. 296. 326. in Merv.
steht übrigens auch darnah 475, nah (= nach) 681. wenn
man dann noch reimbilder sieht wie naht : gewacht Merv. 500;
sieht : recht Rädl. 129, brachte : hedahte 3S7, envachte : gedahte
107; und dann wieder fälle, wo das c über der zeile eingefügt
wurde, wie dalite : hralite Rädl. 245, übrigens auch v. 68 hra'ht,
so muss das den gedanken einer in älterer Orthographie ge-
schriebenen vorläge nahelegen.
Da Rosenhagen sich die entstehung des gedichtes vom
'Bergmann' in Böhmen denkt, Avas auch schon der erste
herausgeber Pfeiffer (Germ. 1, 353) vermutete, will ich im fol-
genden notizen beisteuern, die diese annähme stützen kimnen,
indem ich aus dem in Böhmen geltenden Iglauer bergrecht zu-
sammenstelle, was der erklärung dienen kann, ohne Pfeiffers
erklärung und belege zu widerholen, einige stellen werden be-
weisen, dass das gedieht aus der genauen kenntnis des Iglauer
bergrechts heraus entstanden ist. ich beziehe mich dabei auf
Zycha Das böhm. bergrecht des raa., vor allem auf die im 11 bde
' auch Verschiedenheiten im gebrauche desselben Schreibers bei ver-
schiedenen gedichten wie f/egen und i/ehi (s.o.), eö und ?> (s.o.), liefe nnd
hat, harte (s. 0.), auch dass im leich RvZweters, der nach Rosenhagen von
demselben Schreiber wie die Mervart gesclirieben ist, fast nur rn steht,
könnten auf differenzen in den vorlagen zurückgehen.
COD. PAL. GERM. 341 257
niedergelegten textquellen; auch konnte ich in einer reihe von
bogen schon Jelineks im erscheinen begriffenes Wörterbuch be-
nutzen. — V. 15 eine)ii ausläuten heilst in Böhmen auch heute
'jem. zum begräbnis läuten'. — v. 39 ff sicher ist bei dieser
wol schon in der vorläge verderbten stelle, dass grüner su-eif
eine bestimmte färbung des minerals bedeutet, die auf das auf-
treten von Silber schlief sen lässt, vgl. hleiscluceif bei Göpfert
(Zs. f. d. wortf., III beiheft). 'schweif hat dabei immer die
bedeutung 'ende, ausläufer", von dem die hauptsache, der köpf,
nicht weit ist. gemeinsamer fehler ist v. 42 guUUn, das die
Schreiber für das anspruchlosere silber gesetzt haben, um das
es sich im gedichte handelt, vielleicht ebenso v. 468. als ein
glas kann wol richtig sein; es bedeutet eben 'glaserz' = 'silber-
glanz', eines der wichtigsten erze für die Silbergewinnung, vgl.
V. 472. alsani ein gras wird dann, wie Rosenhagen vermutet,
nur der formelhafte mhd. vergleich sein zur Verdeutlichung des
grünen gesteins. — v. 46 einen gang bestechen ist der terminus
für die prüfung auf den erzgehalt; im Igl. bergrecht allent-
halben. — V. 47 eines lachters lanc; mindestens eine klafter
lang muss ein neuer stellen erz aufweisen. Igl. bergr. § 13, 3
das ercz sal czum minsten eins lochters lang sin; man bemerke
die wörtliche Übernahme des ausdrucks. — v. 48 vnvorschroten ;
Vgl. ebd. § 5 findet er ahir ercz an gengen, di vor vnvor-
schroten vnde vnvorhawen sin. auch in Mathesius Sarepta Id,
447 unverschrotten gang. — v. 49 gevilde in den Iglauer ober-
hofentscheidungen nr 1, 7 terminus für den zu untersuchenden
bergbereich. — v. 55 das ligende == gesteiu unter dem gang,
vgl. Igl. Urkunde A § 2 u. B § 2. obeihofentscheidungen nr 3.
— V. 66 ztcene schepfen, vgl. zum folg. vers. — v. 67 lener ist
der Verleiher des abbaurechtes, vgl. Igl. bergr. § 13. Newe genge
habin das recht, das man si emphfahen sal von nimande wenne
alleine von dem liher. Von rechte gibt er im nicht mer denne
ein czweiunddrisigteil. Vnde dem finder sal man heissen rumen
ein Wien. Der darnach ist, is sie der andir, der dritte adir
der virde, hat dasselbe recht. Findet er ercz, do er der masse
czu gert, di schepphin sullen sinen gang hamcen czu minsten
czwene. Das ercz sal czum minsten eins lochters lang sin czu
fusse in siner sale. Gibet das einen firdimg silbers obir alle
sine hutiekoste und das die schepphin begrifen mit irem eide, ap
Z. F. D. A. LH. N. F. XL. 17
25S BERXT, COD. PAL. GEEM. 341
si (jefraget tcerden von dem urharer, so ist is der maße wert.
diese stelle erklärt auch die gauze Situation unseres gediclites;
vgl. auch V. 97 und 26Gf. wer bergverleiher sein kann, bestimmt
das DIgl. bergrecht § 17. — v. 72 sin teil = V32 mitbaurecht
fiel auf den Verleiher. — v. 97 die kost = hergkost, der von
jedem teilhaber zu leistende beitrag für den aufwand beim bau,
der wöchentlich zu zahlen war (vgl. v. 131. 184. 307 f. 421), auch
wenn noch nichts gefördert wurde. — v. 141 kratze, in deutsch-
böhmischen mdaa. ganz gewöhnlich, auch in urk. B des Igl.
bergr. § 19 belegt. — v. 142 kaurce 'schachthäuschen'. auch dem
Iglauer bergr. geläufig. — v. 166 swartz sam ein bli: die böh-
mischen Silberbergwerke um Iglau förderten hauptsächlich blei-
gianz. — V. 226. über die vorschriftsmäfsige ausbeute Igl.
urk. B. § 8 vnd daz ez (= ercz) auch also versuecM si, daz sin
ein liicz czu dem ministen einen vierdunc uher die hutenkost gebe,
hier also auch die bedeutung der hitz (v. 229) als schmelz-
process; vgl. DIgl. bergr. § 13, 3. — v. 255 u. 339 richtschacht,
terminus auch im Igl. bergrecht. — v. 319 wird man wol dar
nach lesen wie v. 316. — v. 348 wer von den gewerken seiner
Verpflichtung gegen den betrieb nicht nachkommt, dessen anteil
verfällt nach dreimaliger Versäumnis. DIgl. bergr. § 28 Ist das
iemant tail hat an eim gepirge und aiizerhalb landes ist, ver-
säumet sein hesteUer oder sein pfleger drei gedinge, daz er seiner
cost dar czu nicht geit, er verleust sein tail mit rechte. — v. 362
beweist wol auch, dass wir auf deutschem neuland stehn. im
Osten, wo meifsnische und fränkische colonisten sich betätigten ;
dasselbe geht aus v. 60 f hervor, der wol freibergische ent-
stehung ausschliefst. — v. 4 02 ff bulgen auch in Wenzels Con-
stitution des bergrechts, Zycha I 7, 16 das man furpas nimande
Ionen noch begaben sol mit ercze, ausgeniimen di di bulgen
machen vnd pessern. v. 404 f wird erst durch diese bestimmung
des bergrechts verständlich, da nur diese arbeiter (und noch
zwei gattungen fachleute) statt gemünzten geldes mit erz ent-
lohnt werden durften, redet sich der Schwindler über die fehlende
föi'derung leicht aus. — v. 442 kVuft im gestein ist in der
bergsprache dem gehauenen gang (v. 443) entgegengesetzt, 'leiten'
ist in Böhmen nur der glänzende, undurchlässige tonmergel,
nicht lehm. bei Mathesius Sarepta 5, 222 heifst es zeher Letten
oder pichichter Leim. — v. 472 pli linden (auch in K) ist kaum
SIEGMUNDS SCHWERT 259
etwas anderes als hühlinde = 'bleiblende, bleiglanz": vgl. zn
V. 166. — V. 492 grelle 'gabel" steht in der Wenzelsbibel;
Grell ensmid ist ein eigennarae in den Iglauer oberhofent-
scheidungen nr. 36.
Das im vorstehenden gesagte, besonders bei v. 47: 67 u.
402, beweist den engen Zusammenhang, ja die wörtliche kenntnis
und benütznng der bestimnuingen des Iglauer bergrechts. so
dürfte der Wortschatz allein die entstehung des gedichtes in
Böhmen sichern.
Leitmeritz. im februar 1910. Alois Bornt.
SIEGMUNDS SCHWERT.
In seinem vortrefflichen abriss der deutschen heldensage in
der Sammlung Göschen ^ klagt Jiriczek s. 80 über den mangel
an Zusammenhang in der von der Vf^lsungasaga erzählten Sieg-
mundsage: "das siegschwert, das Siggeirs gier erweckt und das
ganze drama von verrat und räche einleitet, spielt weiter keine
rolle darin. Siggeir kümmert sich nicht um seinen verbleib und
wird nicht mit dem Schwerte gefällt', weiter heilst es s. 81 :
'das siegschwert muss in der alten Siegmundsage eine entschei-
dendere bedeutung gehabt haben, als die Überlieferung erkennen
lässt'. und s. 82: 'die sage verliert den festen motivreif, der sie
umschliefst, wenn man das irotiv des Wodansschwertes beseitigt' ;
denn wie sie mit der Verleihung des Schwertes durch Wodan
anhebt, so endigt sie mit der Zertrümmerung der waffe durch
den gott. — versuchen wir, die berechtigung der von Jiriczek
ausgesprochenen Vermutung prüfend, uns vorzustellen, wie etwa
das Schwert früher in der sagenhandlung mitwürkte, so kann es
zb. in der schlacht der Volsungen gegen Siggeir wol eine rolle
gHspielt haben, dass sein träger in die gefangenschaft geriet,
ist dann vielleicht nicht denkbar; aber es scheint sehr wol
möglich, dass Siegmunds Überwältigung secundär ist. dass er in
der alten sage dem feinde dank seinem Schwerte entrann,
während der vater und die brüder. falls der held schon solche
hatte, dem verderben anheimfielen, eine derartige reconstruction
der ursprünglichen sagenform muss selbstverständlich als gewagt
bezeichnet werden, direct unhaltbar aber wird man sie nicht
nennen, dagegen, kann das schwert Siegmunds jemals bei der
17*
260 PESTALOZZI
Vollendung der räche an Siggeir in action gebraclit worden sein?
dass eine solche annähme unzulässig ist, kann zur evidenz er-
wiesen werden, vielleicht ist es kein primärer zug, dass Siguy
die eigenen kinder opfert; jedenfalls aber erzählte die sage von
allem anfang au, wie sich Signy mit ihrem bruder verband, da
nun die räche vollbracht ist, besteht für Signj' keine andere
müglichkeit aufser der die sie selbst nennt: 'soviel habe ich
getan, die räche auszuführen, dass es mir nicht erlaubt ist, länger
zu leben', so erscheint es als unumgängliche psychologische
notwendigkeit, dass Signy mit ihrem gemahl in den tod geht,
für den gemeinsamen tod des paares ist aber offenbar der mord-
brand die einzige in betracht kommende form, das siegschwert
wurde mithin bei der katastrophe nicht geschwungen, ist aber
die göttliche waffe von jeher dem ziel der handlung des Sigu}'-
dramas fern geblieben, so kann der zweifei nicht unterdrückt
werden, ob denn das siegschwert überhaupt zur rachesage gehörte,
nimmt man mit Jiriczek und allen andern auCser Boer an, dass die
schlusscene, in welcher Odin seinem liebling das schwert zer-
bricht, zur alten sage gehöre, dann allerdings bleibt dem gesagten
zum trotz kaum eine andere auffassung übrig als die, dass die
inneren glieder der schwertmotivkette ausgewittert seien, dass
aber jene eindrucksvolle scene verhältnismäXsig jung ist, dürfte
sich aus folgendem ergeben, die Siegmundsage ist verbunden
worden mit der Siegfriedsage, zu den alten dementen der Sieg-
friedsage gehört das motiv,' dass dem jungen beiden von einem
schmiede ein unübertreffliches schwert geschmiedet wird, am reinsten
ist der zug erhalten in Reginsm^l und Skälda : das schwert wird
für den drachenkampf geschmiedet und in 2 proben geprüft,
durch die zerschneidung der wollflocke und durch die Spaltung
des ambos. die V^lsungasaga compliciert die erzählung dadurch,
dass der schmied zuerst 2 mal gewöhnliches eisen nimmt ; erst als
Sigurd die daraus verfertigten Schwerter nacheinander zerschlägt,
werden, nun mit vollem erfolg, die trümmer des Schwertes Siegmunds
verwendet, die Thidrekssaga hat vergessen, dass das schwert
ausdrücklich für Sigurd geschmiedet w^rd, der schmied schenkt
dem beiden das beste schwert aus seinem Vorrat, im Siegfrieds-
lied endlich ist blofs noch die ruinierung des ambos durch Sieg-
fried erhalten, die ursprünglich eine schwertprobe bedeutete, hier
aber Siegfrieds unbändige kraft illustrieren muss. dass das
SIEGMUNDS SCHWERT 261
Nibelungenlied den schmied nicht kennt und die erwerbung des
Schwertes zur erwerbung- des hortes gerückt hat, ist bekannt.
— die verschiedenen Zeugnisse beweisen die echtheit des niotivs,
das, wie Boer Untersuchungen i 98 mit recht sagt, offenbar ein
alter zusatz zum drachenkampf war, eine einleitung zu diesem
abenteuer, bestimmt, über die bei der tötung des Ungeheuers ver-
wendete waffe einige auskunft zu gewähren. — da nun die
sage von Siegmund, der ein göttliches schwert besitzt, mit der
sage von Siegfried verknüpft wurde, trat die notwendigkeit ein.
die beiden Schwerter, das des sohnes und das des vaters. in eine
beziehung zu bringen, die Schwerter einfach zu identiücieren
und Siegraunds schwert geradeswegs als erbstück an Siegfi-ied
übergehu zu lassen, war nicht möglich; dagegen protestierte der
zug, dass dem jungen drachentöter ein schwert geschmiedet
wird, so entschloss man sich denn zu dem compromiss: Sieg-
niunds schwert wird in stücke gebrochen, aus diesen stücken mag
dann der schmied dem söhne das drachendurchbohrende scliwert
schmieden, jetzt mündet die Siegmundsage glatt in die Sieg-
friedsage ein. — es fragt sich, ob Odins auftreten und der
schwertbruch schon vor der V^lsungasaga erzählt wurden, oder
ob die scene ei'st vom Schreiber der Saga erfunden ist, wofür
verschiedene umstände sprechen, der Sagaschreiber hat nach-
gewiesenermafsen Odinserscheinungen erdichtet; dass mindestens
ein teil der rede, in welcher der sterbende Siegmund im beisein
seiner gattin sein testament macht, von ihm herrührt, ist schon
früh erkannt worden, hier in der Saga wird extra hervor-
gehoben, dass Siegfrieds schwert aus jenen bruchstücken gemacht
wird, es könnte also scheinen, als ob die beiden partieen mit
und für einander geschrieben wären. dass überhaupt kein
anderer ein so grofses Interesse an einer gutgefügten Verbindung
der beiden biographieen hatte wie der Sagaschreiber, ligt auf
der band, endlich haben wir neben der erzählung von Sieg-
munds fall, capp. 11 und 12, noch zwei andere berichte, cap. 25
und das Eddastück Frä dauj^a Sinfj^tla: in beiden erscheint
Odin nicht; das kann eine einfache folge der kürze sein, mit
welcher die sage hier resümiert wird, oder ligt hier eine ältere
odinlose sagenform vor? — was uns hindert, die Odinscene dem
Sagaverfasser zuzusprechen, ist die tatsache, dass im Sinfjotli-
prosastück Odin den unbedeutendei-en der beiden beiden Imlt.
262 PESTALOZZI
dass zuerst diese scene, nachher die action Odins bei Siegmunds
tode entstanden sei. scheint recht unwahrscheinlich. SinfJQtlis
entrückung ist doch wol in anlehnung an die erscheinung des
gottes in Siegmunds letzter Schlacht erfunden worden, es ergibt
sich also, dass die Saga die Zertrümmerung des Schwertes durch
Odin aus dem liede herübergenommen hat, dessen existenz aus
der dichterischen ausdrucksweise der capp. 1 1 und 1 2 er-
schlossen ist.
Wenn Boer Untersuchungen in 93 meint, der dichter, der
die traditionen von Siegmund und Siegfried aneinander geleimt
habe, habe auch das zerbrochene schwert wider zusammengeflickt,
so fasst er also den hergang verkehrt auf. die früheren sagen-
kritiker haben die scene für alt gehalten, weil sie schön ist;
oder geschah es, weil Odin darin auftritt? aber für das alter
kann die erscheinung Odins natürlich nichts beweisen, dem
dichter, der Siegmunds schwert in trümmern an den söhn über-
gehen lassen wollte, blieb nichts übrig, als den gott herzube-
mühen; nur dieser vermag die von ihm geschenkte waffe zu
zertrümmern, sie auf andere weise zerstören zu lassen, gieng
nicht an. — dass die scene so lange unbesehen und unberedet
für alt gelten konnte, verdankt sie wol auch ihrer verhältnis-
mäCsig guten structur. man könnte einwenden, es sei unglaub-
lich, dass Siegmund gegen den gott das schwert erhebe, schon
daran, dass Odin im costüm des Wanderers durch das Schlacht-
gewühl schreite, sollte der held den übernatürlichen erkennen
und vor ihm zurückschrecken, wie Diomedes vor dem gotte, den
er in Glaukos wittert, und weiter, der tag an dem Siegmund
alle andern beiden überstrahlend in seines vaters halle das
schwert aus dem stamme riss, war doch wol der schönste seines
lebens. sollte ihm nicht der geheimnisvolle fremdling, der ihm
damals die waffe und den triumph bescherte, in unauslöschlicher
erinnerung geblieben sein? ist es zu glauben, dass er nun den
im selben gewand daherkommenden einäugigen nicht wider er-
kennt? diesen einwürfen ist aber dadurch vorgebeugt, dass
Siegmund im getümrael keine zeit zu betrachtungen hat, er
handelt in notwehr, wenn er das schwert zückt, man könnte
anderseits tadeln, dass der gott den speer schwingt, ohne den
stofs zu ende zu führen, das heifst ohne den gegner zu ver-
nichten, die halbe action stehe dem gott übel an; allein auch
SIEGMUNDS SCHWERT 263
hier ist die Schwierigkeit behoben, diesmal durch unbestimmte
ausdrucksweise: Oäinn hrä ^ipp {/eirinum f'{frir hoyium, also nicht
direct 'gegen ihn', die darstellung ist also zwischen der Sc^'lla
eines freiwilligen angrilt'es des menschen auf den gott und der
Charybdis eines würklichen aber nicht vollführten angrift'es des
gottes auf den menschen, so gut es gieng, hindurchgeglitten, der
abgang Odins ist allerdings bei weitem nicht so natürlich wie
in der scene in V^lsungs halle, dort behält der gott seine an-
genommene gestalt bei, solange menschliche äugen ihn verfolgen;
erst draufsen hinter der hallentür verschwindet er. hier ist von
ihm plötzlich einfach nicht mehr die rede; wie er abgeht, wird
nicht gesagt, tilgt man nun die scene, in der Odin Siegmunds
Schwert zertrümmert, aus der alten sage, so bleibt der eigent-
lichen handlung von schwertscenen nur noch die Verleihung der
waö'e durch Odin, schon Wilhelm Grimm hat Altdeutsche
Wälder I 212 auf die ähnlichkeit dieser partie mit der bei
Jordanes mitgeteilten gotischen sage vom schwert des Mars, das
in Attilas bände kommt, hingewiesen, wir dürfen wol die beiden
sagen als parallelen auffassen; auch darin stimmen sie tibereiu,
dass die sage zu ende ist, sobald das schwert dem bestimmten
beiden gehört, weder verrichtet Attila besondere taten mit dem
Schwerte, noch zieht sich die schwertsage in die erzählung vom
Untergang Vnlsungs und der räche an Siggeir hinein, so er-
kennen wir denn zwei heterogene sagen in der Sieg-
mundsage, die schwertsage und die rachesage, über die
alte form der selbständigen schwertsage etwas festzustellen, ist
schwierig, fand der held, allein durch den wald schweifend, das
schwert in einem eichenstamra, oder war schon ein Wettstreit
dabei, sodass durch das erfolglose bemühen mindestens eines
concurrenten der erfolg des siegers erst ins rechte licht gerückt
wurde? ziemlich sicher scheint, nach dem Zeugnis der gotischen
sage, dass der gott nicht persönlich auftrat, er blieb wol hinter
den coulissen. wie die urform der schwertsage ungewis bleiben
muss, so ist auch die veranlassung zu der combination mit der
rachesage nicht deutlich, dürfte mau die episode vom mis-
glückten racheversuch für sehr alt halten, so konnte man an-
nehmen, dass das schwert, mit dessen hilfe die beiden be-
grabenen sich retten, einen dichter auf die schwertsage hinge-
wiesen habe, allein die episode ist sicher jünger, erfunden von
204 PESTALOZZI
einem der die bereits mit der racliesage verbundene sclnvert-
sage ausbeuten, das güttliclie schwert irgendwie in die handlung
einfügen wollte, als einzige Wahrscheinlichkeit bleibt vorläufig,
dass die schwertsage eingesetzt wurde, um den streit zwischen
den VQlsungen und Siggeir zu motivieren, eine begründung der
verhängnisvollen fehde kann schon in der alten sage nicht ge-
fehlt haben, aber der streit um das göttliche schwert schien sich
als glänzender eingang zu empfehlen. — wie sich die rache-
sage der innerlichen Vereinigung mit dem fremden gebilde wider-
setzte, wurde gezeigt; doch als die Siegfriedsage antrat, da
wurde die frage nach dem verbleib des göttlichen Schwertes ge-
stellt, welche beantwortung sie fand, ist besprochen.
Der damit gewonnene standpiinct erlaubt einen neuen aus-
blick auf die umstrittene frage nach der rolle Odins oder
Wodans in der alten Siegmundsage, von den in der V^lsunga-
saga erzählten handlungen des gottes scheiden ohne weiteres
diejenigen aus, die in der erfundenen Vorgeschichte stehn.
Aveiter die Sendung des heilkräftigen blattes im capitel vom
werwolfsleben, vgl. Boer iii 85. als junge erfindung ist vorhin
das auftreten des gottes in Siegmunds letzter schlacht erkannt
worden; so bleiben die heimholung des Sinfjotli und die er-
scheinung in V^lsungs halle, die entrückung des Sinfjytli braucht
nicht sehr alt zu sein, vgl. die notiz bei Rassmann i 9 1 ; dass
wir in ihr wol ein pendant zur 'abberufung' Siegmunds zu sehen
haben, wurde vorhin bemerkt.
So erkennt man denn: der gott gehört ausschliefs-
lich zur schwertsage, in der rachesage hatte er keinen
platz; ist es doch eine durchaus menschliche sage, die der götter
nicht bedarf, erst durch die Verbindung mit der schwertsage
kam der gott in die Siegmundsage hinein, vielleicht war es
ursprünglich übrigens eine andere gottheit, die in der schwert-
sage genannt war, als Odin ; des gewittergottes leibwaffe ist ja der
Speer, und hinter dem Mars des Jordanes ist schwerlich Odin
verborgen, das schwert ist wol die waffe des vom himmelsgott
zum kriegsgott gewordenen Tiwaz gewesen, wenn nun Odin
als Spender der waffe erscheint, so kann man schwanken, ob das
nordische neuerung ist, oder ob schon bei den Franken die waffe
dem untergeordneten gotte aus der band genommen und dem
höchstverehrten übergeben worden ist. darin aber möcht ich
SIEGMUNDS SCHWERT 265
das werk eines nordischen dichters sehen, dass der schwertver-
leihende gott nicht nur beim nanien genannt wird, sondern dass
er selbst hervortritt, sein schwert vor den äugen der menschen
in die eiche sticht und in kurzer rede sein tun erklärt, eines
der schönsten bilder ist damit entstanden, ein bild in dem alles
überzeugend würkt; dass die schwerteiche in der mitte der
künigshalle steht, nicht mehr im einsamen walde, kann kein
Widerspruch gegen die altgermanische baukunst sein, die scene
gehört zu den würkungsvollsten in welchen die nordische poesie
das erscheinen des fürstengottes besungen hat.
Ist die möglichkeit zuzugeben, dass erst die skandinavische
dichtung Odin zum herrn des siegschwertes gemacht habe, so
scheint auch nicht ausgeschlossen, dass die schwertsage erst im
norden mit der rachesage combiniert wurde, in diesem falle
würde sich als zweck der Verbindung die beziehung der Sieg-
muudsage auf Odin herausstellen, es lässt sich aber vielleicht
doch dartun, dass schon in Deutschland und schon in sehr früher
zeit die beiden sagen sich vereinigten. Siegmunds vater heilst
Walis 'der auserwählte". wie kommt er zu diesem aus-
zeichnenden nameu? seine taten geben ihm kein recht darauf,
mit denen ist es nicht weit her. sehen wir von dem ab was er in
seiner trotzrede von sich erzählt, so bleiben als wesentliche tat-
sachen nur, dass er tüchtige kinder erzeugt und in tapferem kämpfe
gegen eine Übermacht fällt, der name sticht auch merkwürdig
ab von den. andern namen der sage, die alle zusammengesetzt
und zwar mit ausnähme des sohnes der blutschande mit Sieg -
zusammengesetzt sind, gibt es doch eine erklärung für Walis ?
die schwertsage erzählt von einem göttlichen schwert, das einem
auserwählten beiden zufällt, der gedanke lässt sich nicht ab-
weisen, der auserwählte habe Walis geheiCsen. wer sich zu
dieser ansieht entschliefst, kann ohne bedenken annehmen: der
hauptheld der rachesage behielt seinen alten namen Siegmund,
auch als er mit dem schwerthelden identillciert wurde, der alte
name war gestützt durch die namen des gegenspielers und des
weibes der sage, der name Walis aber wurde nicht fallen ge-
lassen, man gab ihn dem vater, der seinen ursprünglichen namen
verlor. — wäre der schwertname Weisung nicht erst durch den
Biterolf, sondern aus früheren Jahrhunderten überliefert, so würde
er die vorgelegte theorie bestätigen, dass personennamen zu
266 PESTALOZZI
schwertnamen werden, kommt sonst nicht vor. man könnte sich
also geneigt fühlen, den männernamen der Urkunden von dem
schwertnamen zu trennen und, diesen als erinnerung an die
Welssage erklärend, annehmen, hier liege die Vorstellung zu
gründe, dass ein Wels ein gutes schwert besessen habe,
dabei möchte der Irrtum untergelaufen sein, dass man Wels als
den Schmied der wat'fe betrachtete, wie Mime der verfertiger des
Miniing war. in anbetracht des umstandes, dass erst das mhd.
volksepos den schwertnamen überliefert, ist aber diese folgerung
doch schwerlich erlaubt, dass die uralte schwertsage noch so
lange selbständig fortexistiert habe, obwol sie in die rachesage
eingetreten war, ist kaum glaublich, und so wird man den
uamen der waffe wol oder übel auf Siegmund den W^elsung
zurückleiten müssen.
Die sceue welche die Zertrümmerung des Siegmundschwertes
durch Odin darstellt, ist als hauptzeugnis dafür verwendet
worden, dass die alte Siegmundsage mit dem tode ihres beiden
schloss. nachdem wir sie ausgeschieden haben, fragt es sicli,
ob andere gründe für die altertüralichkeit der 'nachgeschichte'
sprechen, die geschichte von Siegmunds (zweiter) heirat zeigt
lauter nordische namen; was vom tode des Sinfjotli erzählt
wird, ist wie bemerkt nicht dazu angetan, irgend welche aus-
kunft über das alter der fortsetzung der rachesage zu geben,
wurde in deutschland nur die rachesage gesungen, und ist viel-
leicht eine fortsetzung erst im norden hinzugefügt worden? das
seheint möglich, die alte sage war eine frauensage, in der achse
der handlung stand Siginiu. mit ihrer Vermählung, der sie sich
ahnungsvoll widersetzt, beginnt das Verhängnis, sie sucht vater
und brüder zu retten, sie rettet zweimal ihrem bruder Siegraund
das leben, sie opfert ihre eigenen kinder, sie begeht um der
räche willen den incest und verschafft dem bruder den helfer,
sie stirbt, als die räche vollendet ist. wie viel von diesen
motiven die deutsche sage schon hatte, ist schwer zu sagen;
ganz sicher gehört der incest zum grundstock. in dieser Über-
zeugung geh ich einig mit John Becker Die Atlilieder s. S7, dessen
radicale skepsis mir aber übertrieben scheint; diese Überzeugung
zwingt mich im verein mit andern momenten, Boers theorie über
die Sieg mundsage abzulehnen, wie unglaublich ist seine ansieht
von der entstehung des incestmotivs! die Siginiusage geht
SIEGMUNDS SCHWERT 207
zweifellos auf würkliche ereignisse zurück, unter diesen war die
unerhörte tat eines weibes, das um die räche für den erschlagenen
vater zu ermöglichen, vor der blutschänderischen Verbindung mit
dem bruder nicht zurückschreckte. sobald wir Siginiu als
centraltigur erkennen, so stellt sich die einfachheit und ge-
schlossenheit der alten sage dar. was aus den beiden über-
lebenden beiden wurde, diese frage beschäftigte die der Siginiu
zugewante aufmerksamkeit zunächst sicher nicht, die inhaltlich
einheitliche sage von Siginiu hat wol auch in einer formalen
einheit ihre existenz geführt, in einer bailade, die wir das
Siginiulied nennen könnten, ob nun bereits in Deutschland diese
grundsage schon erweitert worden ist bis zum tod der beiilen
beiden? dass Siegmund und sein schwestersohn schon auf
deutschem boden das Interesse des publicums auch füi- ihre
eigenen personen gewonnen hatten, bezeugt der Beowulfbericlit
von ihren fahrten und riesenkämpfen. er geht wol auf ein lied
zurück, dessen Inhalt die zeit ausfüllen sollte, bis der knabe
Fitela zum mann herangewachsen war, mit dem zusammen Sieg-
mund den feind zu vernichten hoffen durfte, die ballade ist
nach England verschlagen worden und hat dem Beowulfdichter
direct oder indirect zu seiner unsicheren Weisheit verholfen.
ti'eten uns die beiden gefährten hier als beiden eines selbständigen
liedes entgegen, so wird sich die phantasie der sagenpfleger auch
mit ihren späteren geschicken beschäftigt haben, ob auch mit
ihrem ausgang, bleibt dunkel, in der einzigen, der nordischen
Überlieferung erscheint Siegmunds tod als folge der Verbindung
mit Siegfrieds mutter, die an die Siegmundsage angeschlossene
Siegfriedsage also hat dem ende des beiden die form gegeben,
ist das die älteste fassung der sage von Siegraunds tod, ist das
überhaupt alt? gab es in Deutschland eine sage, in der Sieg-
frieds mutter Sieglinde im Vordergrund stand und wo erzählt
war, wie Siegmund Siegfrieds vater wurde? während die Über-
lieferungen der nordischen dichtung und der Thidrekssaga durch
ihre gänzliche Verschiedenheit, sowie durch die weitgehende be-
nützung fremder sagenniotive verblüffen, wird im Nibelungenlied
und im Siegfriedslied die ehe von Siegfrieds eitern einfach vor-
ausgesetzt, diese tatsache wird gewöhnlich so ausgelegt, dass die
frühere heiratssage abgewelkt sei; warum soll aber die statisteu-
rolle des elternpaares nicht alt. nicht das ursprüngliche seia?
268 PESTALOZZI
es wäre sicher verfehlt zu glaiibeu, dass die beziehung Sieg-
frieds auf Siegniund erst zu der zeit erfolgte, wo von diesem
nichts mehr übrig war, als der glänzende uame und die frän-
kische herkunft. so jung ist Siegmunds Vaterschaft nicht; zur
zeit ihrer entstehung hat die Siginiusage noch in vollem flor
gestanden, dennoch zweifei ich, ob die beiden sagen durch eine
zu diesem zwecke erfundene erzählung von Siegmunds heirat zu-
sammengefügt wurden, es sei hier auf die combination der
Siegmundsage mit der Helgisage hingewiesen, die Volsungakvi|:»a
en forua constatiert einfach: 'könig Siegmund, der söhn Vf^lsungs,
hatte Borghild von Brälund zur frau, sie nannten ihren söhn
Helgi'. ebenso V^lsungasaga cap. 8: 'Siegmund hatte die frau,
welche Borghild hiels, sie hatten zwei söhne, Helgi und Hämund'.
die Verbindung der beiden sagen ist also hier einfach so her-
gestellt, dass der eine held mit der mutter des andern vermählt
ist, eine besondere sage ist nicht vorhanden, ähnlich liegen die
dinge bei der Verknüpfung von Nibelungensage und Ermenrich-
sage, Gu|)rünarhvot und Yf)lsungasaga 39: Jünak heiratete
Gu|)riin, ihre Söhne waren Sorli und Erp und Hampi, auch
hier von einer heiratsgeschichte keine rede, nur muste natürlich
die translocation der heldin erklärt werden: es geschah durch
die geschichte von der fortführung GuJ)rüns durch die meeres-
wogen. analog diesen fällen von sagenverknüpfung denk ich
mir die ursprüngliche Verbindung von Siegmundsage und Sieg-
friedsage, die alten Siegfriedsballaden hoben so an wie das lied
vom hürnen Seyfrid. — man muss sagen, es war eine seltsame
procedur, den elternlosen märchen- oder mythenhelden zum söhne
Siegmunds zu machen, ihn aber auch weiterhin seine Jugend als
findelkind verleben zu lassen. hier war die literarische mode,
die familienverhältnisse der sagenhelden durch Zuweisung eines
vaters zu regeln, ganz und gar nicht am platz, vielleicht hat
die vorsl eilung von Siegfrieds elternlosigkeit, die in seiner
fränkischen heimat fest eingewurzelt Avar, beigetragen, die ent-
stehung einer eiternsage hintan zu halten, durch welches motiv
übrigens der königsohn zum waldleben kam, ist unmöglich aus-
zumachen; auf keinen fall glaube ich, dass der narae Hjalprek-
Chilperich genannt wurde; wozu noch ein weiterer könig, wenn
es sich darum handelte, den prinzen zum schmiedelehrling umzu-
costumieren? — zu der ansieht, dass Siegmunds name nur in ganz
SIEGMUNDS SCHWERT 269
äulserlicher weise au den anfang- der Siegfriedsage gesetzt
wurde, stimmt, dass keine deutsche quelle von seinem tode etwas
M^eiCs. wäre die kindheit Siegfrieds im walde durch deu hin-
schied des Vaters motiviert gewesen, so würde man nicht be-
greifen, wie diese durch ilire einfachheit überzeugende erkläruiig
so radical vergessen werden konnte, es scheint darum sehr
wahrscheinlich, dass erst die nordische poesie Siegmunds tod
erfand, oder, falls das motiv in Deutschland in anderem Zu-
sammenhang schon erzählt wurde, dasselbe mit der Siegfriedsage
verknüpfte. ob schwertbruch und tod von demselben dichter
stammen, oder ob der schwertbruch in eine ältere Überlieferung
von Siegmunds tod eingesetzt wurde, bleibt unentschieden, wer
gegen letztere mögiichkeit einwendet, Siegmunds tod sei über-
haupt nur denkbar gewesen unter der Voraussetzung, dass der
held von seiner waffe im stich gelassen wurde, schätzt das be-
dürfnis der sage nach logischer consequenz zu hoch ein; auch
in der Siginiusage wird ja der besitzer des gütterschwertes über-
wältigt, gerade so wie seine mit gewöhnlichen waffen fechtenden
brüder. —
Zürich im Januar 1910. Rudolf Pestalozzi.
MUNSTERISCHE BRUCHSTÜCKE DER
NIEDERDEUTSCHEN APOKALYPSE.
Psilanders verdienstvolle, auf heranziehiing aller bekannten
handschriften beruhende ausgaben der nd. Apokahjpse {TJpsnla
universitets ärsskrift 1901 und 1904) haben erneut die auf-
merksamkeit auf dieses alte, aber durch eine gröstenteils trihnnwr-
hafte und junge Überlieferung sprachlich und textlich vielfach
entstellte denkmal nd. dichtung gelenkt, einen willkommenen zu-
tvachs des besonders gegen das ende des gedichts dürftigen hand-
schriftlichen Materials bieten die einem codex des 14 Jahrhunderts
entstammenden nd. bruchstücke, welche die Universitätsbibliothek
zu Münster in ihrer Sammlung von handschriftenlAättern be-
wahrt, ihre kenntnis verdank ich einem freundlichen hinneis
von Professor Bömer, der bei seinen inventarisierungsarbeiten
für die Deutsche commission auf sie aufmerksam wurde, erhalten
ist das pergamentdoppelblatt einer läge, das unter beibehaltung
der tirsprünglichen faltung später als Umschlag diente, wie die
stärkere abnutzung der aufsenseiten beweist, die höhe des ge-
falteten blattes beträgt 20,8 cm, die breite 14 cm, die höhe des
Schriftfeldes 15,7 cm, die breite 11,5 cm. der obere rand des
270 CHRIST
stark gebräunten pergaments ist zerfetzt: es sind hier lilchen ent-
standen, die bis in die oberste zeile hineinreichen, sonst ist die
erhaltung eine gute, die kräftige, grofse bvchschrift, einer hand
der 2 häJfte des 1 4 jh.s angehörend, ist von tvenigen stellen ab-
gesehen gut lesbar, der text endet mit der ersten spalte der
letzten seile, den noch frei bleibenden räum haben spätere hände
zu lateinischen sehr eibühun gen verivandt; solche finden sich auch
am rande der rückseite des ersten blaues, eine spätere hand
hat auch auf der ersten und letzten seite verblasste bnchstaben
nachgezogen, die verse sind fortlaufend geschrieben, aber in üb-
licher iveise durch puncte getrennt und beginnen meist mit rubri-
cierten majuskeln. die anfange gröfserer abschnitte, ein stück
der Apokalypse oder die folgende auslegung umfassend, tcerden
durch alinea und rote initialen hervorgehoben, von abkürzungen
kommt nur der wagrechte strich, meist als Vertreter des nasals,
vor. Das y erhält immer zwei striche, das i einen und nur da,
ICO es die deutlichkeit erfordert, die liicke zicischen beiden
teilen beträgt nach Psilanders letzter ausgäbe {].204)^ 319 ferse
oder 2 doppclblütter.
Die spräche der bruchstücke, die ich fortan als M bezeichnen
werde, weist nach dem westen des nd. Sprachgebiets, von md.
einflüssen, die der ganzen nd. Überlieferimg der Apokalypse eigen-
tümlich sind, ist auch sie nicht frei.
Erhalten sind die verse 2117 &w 2214 und der schluss
von V. 2534 ab. für diese teile des gedichts legte Psilander
bei der herstellung seines textes die dem ende des 15 Jh.s ange-
hörende Trierer hs. T zu gründe, die einzige vollständige hs.
neben der etwa gleichzeitigen, aber frei umdichtenden Wie^ier
hs. W. bis V. 214 4 reichen ferner die an T sich eng an-
schliefsenden Trierer fragmente Tf, bis v. 2390 die im Britischen
museum befindliche hs. ß. alle diese hss. gehören dem 1 5 jh. an,
die älteste, Tf, ist um 1400 geschrieben, die spräche von Tf
und ß ist nd., die von W rein md., T zeigt bei md. grundlage
starke nd. einflüsse. M übertrifft also alle anderen hss. an
alter, und für v. 2 öS 4 /f. ist es die einzige hs. die uns die
spräche des alten gedichts bewahrt hat. entspricht auch der text
nicht allen erwartungen — besonders gegen schluss häufen sich
nachlässigkeiten und misverständnisse — , so bietet er doch eine
reihe von lesarten, die zur textbesserung zu verwerten sind
{zb. 2141, 42. 2147. 2148. 2150. 2541. 2558. 2582. 26u;i. 2606),
und zum teil werden conjectiiren Psilanders handschriftlich ge-
stützt {so 2133. 2135. 2150. 2152, 53. 2190. 2200. 2589. 2600).
Da M auch eine reihe von schlechteren lesarten aufweist,
die nur ihm eigen sind (zb. 2211. 2549. 2563. 2576, auch 2163,
wo es offenbar glättet) und ferner die schlussverse 2618 — 19
sich sonst nicht finden, so kann es keiner der anderen hss. als
' die i<h aitch iceiterhin allein benutze.
ND. APOKALYPSE 27 1
vorläge gedient, haben, am nächsten steht M der IitsUii hs. T
und dem dieser eng folgenden fragment Tf. T und M haben ge-
meinsame fehler {zb. '2212, i:^. 2586) und setzen so eine gemein-
same vorläge voraus, die indessen noch nicht die von Fsilander
für T und Tf angesetzte hs. *T ist, sondern eine frühere sein
)iiuss. das zeigt in v. 2130 die T und Tf gemeinsame Ver-
schlechterung dyre, n-ährend M und ß die richtige lesart cleider
zeigen, auch sonst zeigt M eine reihe von Übereinstimmungen in
besseren laa. mit der sonst minderivertigen hs. ß (zb. 2166. 2169.
220ti. 2208, ick für he 2157. 2198), sodass den Münsterer brurh-
sfücken eine selbständigere stelle innerhalb der handschriftengruppe
zukommt.
Ein vollständiger abdruck erscheint schon des nd. sjjrach-
charakters ivegen erwünscht, ich gestalte ihn. abgesehen von der
einführung der interptinction, der i-puncte und der trennung der
verse, in engem anschluss an die hs. unter hinzufügung der vers-
zählung Psilanders. ergänzungen sind in klammern eingeschlossen;
aufser den blattan fangen {v. 2117. 2-'S34), dem nur teiltveise
lesbaren ghedaen (f. 2141) und wante he [v. 2142) betreffen
sie buchstaben, die durch risse im pergament verloren ge-
gangen sind. rote initialen sind durch fetten druck wider-
gegeben.
bl. 1 ra. 2117 [He fach] de hemel porten ope[»/if]aen vile wide
vnde fach vp einen blanken rolle einen man
De was truwe vü warachtich, [riden.
2 1 20 eme ue was neniä ghelyc.
He vacht mit rechte in deme lande
weder sine viande.
Sine oughen waren tiammen ghelyc,
he droch eine crone herlyc,
2125 Cleider wit vnde goede;
vnde was b[e]rprenget mit deme bloede.
He was herlic vnde vronie,
he was gheheteu godes föne.
AI hemelche here volghede hera to hant;
2130 ere ros vn ere cleider waren blanc.
He ret bevore eü to allen Itnnden;
ein fwert fcarp ginc vte finen munde.
Dat ne was nicht vermeten,
vppe finen cleide was ghefcreuö,
2135 Dat he conig bouen alle conige were
vnde here bouen allen heren.
272 CHRIST
Got feine betekenet den de dar reet,
dat blanke ros de criltenheit,
Dar got fachte vppe ridet,
2140 also he des felighen herte bestridet.
hl. Irl». Sin oughen w[arjen na einer flammen g[/«e(7a]en',
wan[^e he] unfen danken mit den werken fut an.
AI hemelfche here volgbede eme mit witte cleiden,
dar he de lieuen fceidet vnde de leiden,
2145 In der ftat to iofaphat,
alfe he feinen ghelouet hat.
Dat fine cleider vau bloede fin roet,
dat is dat he wart ghemarteloet.
De felue verfcheu wonden
2150 toghet he daer to ftunden.
Dat fnert dat vte fine munde ghet,
dat is dat ordeel dar he mede flet
Aller manlike na finen werken;
dat moghet gi .vol merken!
2155 He is ein coning gheher
vnde is dan daer ein recht richtere.
Hir na fach ich einen engel ftaen in der fünen,
de riep mit groter ftemme.
He ladede de voghele dat fe quamen,
2160 dar fe wertfcaf vernamen.
Dar folden fi eten beide ros vnde man,
wante fe weder got hadden ghedan.
hl. Iva Do qua daer ein dier vte de | mere
2165 mit [eijnen michelen here.
Se wolden ftriden weder godes holden
de de wertfcap befitten folden.
Dat dier wart fegheloes alto haut,
wo uafte men do dat dier bant
2170 Vnde fine feilen.
men fände fe dar men fe folde quellen
An den vure vnde an den fueuele
vnde an maniger hande ouele.
Somelike worde fe doet ghefleghen;
* cgi. p. 883 — 84; auch nach anwendung oon gallustinctur blieben
die eingeklammerten bwhstaben in i\ 2141 — 42 unlesbar, he fehlt wahr-
scheinlich mit T Tf.
ND. APOKALYPSE 273
2175 l'e verloren dat h'f alle bofe faghe.
De engel de in der Tfinen fteit,
dat is de pdlket van der gotheit
Vri de vns ladet vlitelike
to fine hemelrike,
2180 Beide dach vnde nacht
to den [!] lamraes wertfcap,
De dar comet na de leften daghe,
alfo vns de fcrift laghet.
De hemelii'chen voghele lin de l'elig?,
2185 de mit eren goeden werken na gode vleghet,
Dar fi de vrowede i'olen befittö.
dat fe ros vnde man folen eten,
Dat is de wrake de le lolen lien,
do godes viande Tai bel'cen.
bl. Ivb. 2190 Godes torn fal fe | verll[w/t]en; >
le ne moeten der vrowede nicht ghebriiken.
Dat is iv ghefaghet oc er:
antixpc is dat dier,
De fich weder got ghefettet in den leften ftunden;
2195 de wert gheuägen vnde ghebunden
Van gode vnlen heren
vnde wert mit finer fellefcaf verdoraet, iummer
[mere.
Hir na fach ich comen eine engel alto hant;
de verde den flutel des afgrundes in der hant
2200 Vnde eine rekenten de was groet.
de nam den alden drakeu oc
Vnde bant ten in der feiner ftunt
in der diepen hellen grünt
Vnde befloet ene dar dufet iaer,
2205 dat he dat volc ne verledede nicht meer.
Vnde alfe de fun vergangen,
fo loft men en doch nicht lange.
Dar na fach ich fitten vppe ftoelen de tuelf holde,
de al mancunne ordelen folten,
» lacke im perr/ament, sodass von den in klammern stehenden
buchstaben nur noch teile vorhanden sind, die jedoch nur ron u ynd
k herrühren können.
Z. F. D. A. LH. N. F. XL. 1''
274 CHRIST
2210 Vnde al de martelere
de duruen dor god vnfen heren,
De anderes waren doch '
de waren al i'under
hJ. 2'-a.
[Ere //reiten fin van roden golde
2535 vnde fin nianich volde.
Se iin Intter alfo ein glas.
negliein bedehus dar inne was;
Got is i'elue dat bedehus,
iohan faghet uns aldus.
2540 Dar ne leinet noch de ITine noch de mane;
god is Telue dat licht fcone.
De conige vh de heren
brenget in de l'tat al ere.
De porten Itaet open;
2545 £e ne werdet nunimer beüoten.
It ne wert dar nummer nacht;
it is dar iummer clare dach.
De l'tat is van dogheden wlle vrome,
dar ne mach nicht rechtes 2 inne comen.
2550 Doe fente iohannes hadde ghefen delle wnne,
doe fach he vleten einen lütteren brunne
In der wonlicher ftat,
al daer dat lamp uppe fat.
An beiden haluen der vlot,
2555 ftunt dat holt oc.
Vrucht gaf dat aKo ghedane.
de £e at, he wart forghen ane;
Noch he ne mochte ghefteruen,
noch he ne mochte verderuen-*.
25^0 De bome waren clare;
le gauen tuelf warue in deme iare.
Er loef to aller ftüt
wart^ dar manighe ghefunt.
hl. 2i-»^>. In der Itat lolen le g[od]e len,
* doch statt doet, das reirmcnrt icnr noet. -' varechtes T, keü
vnrecht W. ^ Psilander Pi-iiän:!: voiwcrdeii; njl. c. 21,22. 1646,47.
173S, 39. 'S makede 7\\ .
ND. APOKALYPSE 275
2565 de nu to eine willet vlen
Vnde linen nameii in den vorhouede draghet,
dat i'i iv war ghei'aghet.
Deffe betekenige is vrome:
dat lamp is godes föne,
25 70 De brunne is de dope vnde Tun bloet;
de holpc vns beide vter noet.
De bome de des plaglien,
dat le gode vrucht gauen,
Beteikenet dat heilige cruce dar got ani'tunt;
2575 he felue is de vrucht lo goet.
De ene nemet ' mit rechten finne,
de mach dat dar mede ghew^innen,
Dat he nicht ne vervverdet
noch des ewigen dodes iteruet.
25S0 In der Itat is alfo grote wunne;
were alle de werelt eine tunge,
Se ne eundent nicht vorebringen:
dar is Ifider ende
Got vnfe here
2585 vnde vrowede iummer mere.
De engel fprac do muenlike'-:
dele wort lin war werlike.
Du falt Xe fcriuen openbare
vnde doen Te widemare.
2590 Got heuet di laten ghefen
al de dinc de folen ghefcen,
Dat lieue vnde dat leide;
bl. 2va. ich lal nu | van di [/cj beiden.
Do wart bedrouet fere
2595 iohannes de here.
He vel neder vnde wolde den engel anbededen [/|;
des ne wolde he eme nicht fteden,
He fprac : iohan leue man,
ich ne dunke di nie fo wol ghedaen,
2600 Du bift wol min ghenot
vn myn rechte hus ghenoet
' anebedet T. - do Dienliche T zu myr endelich W do mer ende-
liche Psilander.
IS*
27 G CHRIST, XD. APOKALYPSE
In der henielelcheu ienüalem;
des M ich di dur rechte ghen.
Got is vnfer beider here.
2605 de engel begonde denen keren
Vnde vor to heraelrike an richte '
to iohannes ouchfichte.
Vnde iohannes dede alfo eme de engel boet
vnde fcreef apokaliprim dat boec.
2610 Dar an Iteit allet dat he hadde ghelen,
dat in der werelde folde ghefchen
Bit an deine leiten Itunden^
got dar line vjf wonde
Helpe vns to den belten
2615 vn moet viis lo lange verlten
Hir in ertrike,
dat wi verdinen dat hemelrike.
Des gheunne vns got de henielche vader.
nu leget amen alle gader. Amen Amen.
AMEN
Münster i. W. K. Christ.
HADLAUB.
Über Johannes Hadlaub, den Zürcher minnesänger,
musten wir uns bisjetzt mit den beiden urkundlichen notizen
begnügen, dass er am 4 jan. 1 302 in Zürich im Neumarkt-
quartier ein haus kaufte und an einem 16 märz vor 1340
gestorben ist. auch die jüngste arbeit, KBertrams quellenstudie
zu GKellers 'Hadlaub' (Leipz. lOOii) verzichtet auf weitere forschung.
I. Schon bekannt und bereits gedruckt l ist die Ur-
kunde (Zürcher Staatsarchiv nr. 85), in der der Zürcher
rat anzeigt, dass Nikiaus Oclis und seine frau ihr haus
im Neumarktquartier an Johannes Hadlaub verkaufen: 4 Januar
1302 . . . dasselbe hus gab Nidaus Ochse ze koufenne vür
ledig eigen Johannese Hadeloube iimb sechs und fünfzig
2jfunt und vier Schillinge mit allem rehte so derzü gehöret und
sunderliche mit dem rehte das demselben huse du gesicht hin-
denan niend. v'slagen sol tverden von deni höuelin 2 Josebeiles se-
* Psilander hat al gerichte; rgl. r. 248. 1128. ^ Vor ftunden
ist mit rotem strich f/eti/i/t ende.
' vgl. Escber und Schweizer Urkiindeubuch der stadt und landschaft
Zürich bd vii (1297— 1;!03), Zürich 1908, s. 221, ur. 2628 - auch
heute uoch liegt im Neuiiiarkt(iuartier, Froschaugasse nr 3 (wahrschein-
STANGE, HADLAUß 277
ligen des Juden . . — . . und hat Xiclai<s Ochse gelobt und bin-
det ouch dar zu sin erben desselben huses mit dem vor ge-
schribene und mit allem rehte teer ze sinne Johäses Hadeloubes
und siner erben für ledig eigen. — . . so geben wir Johanse
Hadeloube disen brief besigelt mit unscrre bürg' ingesigcl.
Bei einer durchsieht der Urkunden und urbare in Zürich '
fand ich einige notizen. die bisher noch nicht bekannt waren;
in der einen wird die gattin des Johannes Hadlaub erwähnt.
II. urbar-rolle propstei nr. 2 a. Staatsarchiv Zürich (un-
gedruckt): if uxor Jolns Hadelöp i. q. t. [item uxor Johanni.s
Hadeloup 1 quartale tritici]. zeit: anfang des 14jh.s, da propst
Johannes vorkommt, ferner ein kauf von 1293 erwähnt wird.
III. das haus des Johannes Hadlaub wird erwähnt: cN'er-
zeichnui'sen umb das ynnemen der Abbtey Frauwenmünster ab
anno 1318 ad annum 146S'; Stadtarchiv Zürich iii 1. fol. 4)
ungedruckt: item P. Hadelöb l /'[er/oj cere de domo Jo[hannis]
qnondam Biberli. die zeit ergibt sich aus fol 3: anno dni
m"cccfxxn [1322] corrigiert aus xv.
IV. tod des Johannes Hadlaub (MG. hist. Necr. Germ, I
559), original Stadtbibliothek Zürich niscr. c. 10: xvii Kai.
(Martins 16) Johannes dicfns Hadloiip ob. zeit: die eintragungen
ins anniversar fallen vor 13-10.
V. Johannes Hadlaubs haus wird noch erwähnt (ebda s. 557):
Februarius 23. vn Kai. Riiedgerus filius C. dicti Fhentzi ca-
merarii accolitus est. (anm): Fr. de dimidia parte domns patrü
eius ad Novum Forum quae qnondam fuit Johannis dicti Hadloup.
Dieses sind sämtliche urkundliche nachrichten, die sich über
Johannes Hadlaub ermitteln liefsen. von seiner Jugendzeit er-
fahren wir nichts, erst 1302 wird er als käufer eines hauses
erwähnt; er hängt sein bürgersiegel an die Urkunde, das ge-
kaufte haus lag zwischen 'Jacob Brunen huse und Wernhers
Finken huse', den vornehmen bürgern, die im kreise der Manesse
verkehrten, möglicherweise hat auch Hadlaub durch sie dort
eingang gefunden. eine wichtige perspective eröffnet die
uotiz, in der die gattin des Johannes Hadlaub erwähnt
wird: die leiden und freuden eines familienvaters, die uns H. in
seinen gedichten so anschaulich schildert, sind also nicht fingiert,
sondern würklichkeit. über sein weiteres leben erzählen uns
die Urkunden nichts; zweimal wii'd noch sein haus erwähnt,
nur den todestag ( 1 ti märz) meldet uns noch das anniversar.
Aufser Johannes Hadlaub wird noch in einigen Urkunden
Peter Hadlaub und seine familie erwähnt, dass beide ver-
lieh Hadlaubs haus) gegenüber der einzige kleine freihof, heute Burghof,
Froschaugasse nr. 4. * für bereitwillige erlaubiiis die originale be-
nutzen zu dürfen dank ich auch an dieser stelle den directionen des
Staats- und des Stadtarchivs, der üniversitäts- und der Stadtbibliothek
zu Zürich besonders herrn archivar dr Hegi.
27 S STANGE
wantschaftliche bezielmngen hatten, lässt sich wol annehmen,
da der familienname so selten vorkommt, beide als hausbesitzer
im Neumarktquartier erwähnt werden und Peter abgaben für das
haus des Johannes entrichtet.
I. Der Stellvertreter des propstes von Zürich verleiht von
Peter Hadlaub und seiner gattin Adelheid hiezu aui'gegebne
guter am Schmelzberg dem kloster Selnau. 13Ü8, 7 februar,
Zürich K Noverint quos nosse fuerint oportunum, qiiod Petrus
dictus Hadelöp et Adelh. uxor sua coram nohis constituti in Thu-
rego vineam unius iugeris sifam an Snelsberch '^, que quondam
fuit converse de Wien . . .
IL Peter Hadlaub als Zeuge (abtei Urkunde 99 anno 1310
IX 14) ungedruckt, zeugen bei einem güterverkauf des Heinrich
von Freinstein an die abtei. Acta sunt hoc in choro monasterii
predicti p)resentihus domino Chünrado de Sancto Gallo, capellano
altaris sanctorum Jacobi apostoU et Leodgarii martirum (?),
Johanne nobili de Frienstien, R. de Limkhuft milite, H. ab dem
Wasen, Petro Hadlob . . .
in. tod der frau Adelheid Hadlaub (Necr. Germ, i 55ß)
vxi Kai. (14 februar las) Adelh. uxor Petri Hadloup ob. (anm):
Pr. de quarta parte domus dictorum Vischer sita ad Novum
Forum iuxta donium praedicti Petri, quae quideni quarta pars
pertinet Buod. Vischer.
IV. frau Anna, Peter Hadlaubs [zweite] frau. (spital-ur-
kunde nr 150. a. 1315. ni. 26, ungedruckt:) . . . unt hat mich
iu Wien der erberen frowen frou Aminen, Peters Hadelöbes Sucher
wirtin ze rechtem erbe . . — ... och sol man tvissen, daz dieselbe
fro Anne mit miner haut willen und gunst den vorgenanden acker
Peter Hadelöbe, ir elichen wirte gemachet het ze lipgedinge.
V. Peter Hadlaub zahlt abgaben (Staatsarchiv Zürich 3. G I.
135 (22) urbarbuch des kelleramtes pag. 3: n. f. k. un ein
hanen vö den gutem der vö loien einr beginen git pet. hadlob.
[zwei viertel kernen und einen hahn von den gütern der von
Wien einer laienschwester gibt P. H.]
VI. Peter Hadlaub zahlt abgaben. 'Verzeichuufsen umb das
ynnemen der Abbtey Frauwenmünster ab anno lolSadannum 1468'
(Stadtarchiv Zürich ui. 1); ungedruckt fol. 3. anno dni m^ccc xxn
corrigiert aus xv. de possessionibus, areis, domibus, vineis, et arvis
census cere in hunc modum est solutus, fol. 4 item P. Hadelöb 1
f[erto\ cere de domo Jo[hannis\ quondum Biberli. fol. 12, anno dni
m ccc xvm . . . Petrus Hadelöb di\midi]iün [librum] cere de domo
et II d[enarios\. fol. 21. Anno dni m^ccc xlii .... fol. 22 item
* Urkundenbuch vni 185, nr. 2907. - diesen weinberg hatte
Rudolf V. Ottikon 1300 an die laienschwester Elisabeth von Wiea ver-
kauft. (Urkb. VII nr 2561), diese verkaufte ihr erblehnrecht an das kloster
Selnau (ürkb. vii nr 272H). prof. Schweizer möchte annehmen, dass die
Hadlaub mit Elisabeth verwant waren.
HADLAUB 279
Haälöp C/a) f'\ertonem] cere et j dlenarhonl de domo sua; für das
icachs sint pfen[inge] genommen, fol 24 : anno dni m"^ccc xmi . . .
fol27: item Hadlöp d[enarmm] et (V2) f{ertonem] cere de domo
und j d[€narlum] de vineis.
VII, tod des Peter Hadlaub (Necr. Germ. i. s. 51)2) Mains.
14. II id. ob. Petrus dictus lladlotih.
Urkundlich ist also Peter Hadlaub zunächst 13üS nachge-
wiesen; er ist verheiratet mit Adelheid und besitzt einen Wein-
garten am Schmelzberg; Adelheid scheint jedoch bald gestorben
zu sein, ihr todestag ist urkundlich ein 14 februar. 13 LS wird
Anna als frau des Peter Hadlaub erwähnt, da nach 1343 Peter
Hadlaub im abgabenregister nicht mehr erwähnt wird, ist damit
wol sein todesjahr gegeben. — zur form und bedeutung des
namens 'Hadlaub', den Keller so nett umgedeutet hat, weist mich
prof. Schröder darauf hin, dass er in würklichkeit ein frauenuame
ist, der aus Hnthu-Jouy erst spät in Hathu-loub umgedeutet
ist. die familie ist also raetronym benannt.
Erwähnen will ich noch, dass der name Hadlanb, der sonst
nur in Zürich und der Ostschweiz (ürkb. d. abtei SGallen) vor-
kommt, sich noch findet im notizblatt zum Archiv für künde
österreichischer geschichtsquellen 18.t6 s. 19. Omnibus notum
sit. quod quidam vir. N. Wezil ancillam suam. X. Hadaloup
et eins filium TJuoJfram pro quingue denariis dedit ad altare
sancti Petripro anima nidelicet sua. et uxoris sue Wezele. Si autem
per tres annos neglexerint et in qicarto non emendaverint. mo-
nachoruni servituti subdantur. Engilsalch. Eizo. Megingoz. Richarth.
Oze. Lixitolt. et eius filius Oze. Suitker. cod. Salisb. lib I. anno
1004. pag. 3. nr 12.
Königsberg, im juni 1910. Erich Stange.
ZU BERTHOLU VON REGENSBURG.
1.
Die predigt von den rufenden sünden, die sechste der Heidel-
berger handschrift, an die sich Pfeiffer anschliefst, ist für die
neuere forschung besonders wichtig geworden, denn sie enthält
die historische anspielung, die nach Schönbachs überzeugenden
darlegungen (Stud. z. gesch. d. ad. predigt 6, 92j erst nach Bertholds
tode in den text hineingekommen sein kann: die stelle von den
fünf kriegen, die frühestens 1278 oder 1279 verfasst ist. in der-
selben predigt ist noch eine weitere sehr auffällige stelle ent-
halten, die der wissenschaftlichen beachtung bisher völlig ent-
gangen zu sein scheint, obwol sie für die deutsche verfassungs-
geschichte von der grösten bedeutung ist.
Berthold sagt von den vier rufenden sünden, die in der
predigt behandelt werden (I 88, 3 ; es liegt nur die eine Heidel-
•280 LEITZMANN
berg-er Überlieferung vurj: mtde relii ze gelivhtr ir ine als da vier
hohe vürsten sinf, die vor einem roemeschen kiinege stent, die
gar gröziu dinc ze klagen hceten, und als man die vier vürsten
vor dem kiinege miieste hceren vor aller dief, so sie mit lüter
stimme da ruoften, also ruofent die vier silnde vor dem almehtigen
gote ze aller zit tac unde naht mit lüter stimme über sinen lip
und über sine sele, siver in der selben vier sünder einer ist.
auf welche rechtliche Institution wird hier angespielt? mein
College Keutgen, der sich seit langem mit Verfassungsgeschichte
des Deutschen reichs eingehend beschäftigt, belehrt mich, dass
es sich hier wol um eine ähnliche einrichtung handeln müsse,
wie sie der Sachsenspiegel angibt: nach den bestimmungen dieses
rechtsbuches sind vier pfalzgrafen. für jeden der deutschen haupt-
stärame einer, die pfleger des königsgerichts, wie es der pfalz-
graf schon in karolingischen zeiten gewesen war (vgl. Sachsen-
spiegel landrecht m 52, :). 53, 1). die historische bedeutsarakeit
dieser stelle, die unsre geringe kenntnis von der einrichtung
und function des pfalzgrafeugerichts und der pfalzgrafenwürde
selbst um ein weniges zu erweitern imstande ist, wird Keutgen
selbst demnächst in einem artikel beleuchten.
Falls ein directer Zusammenhang der stelle Bertholds und
der des Sachsenspiegels angenommen werden müste, eine mög-
lichkeit, die für diejenigen nahe läge, die in jener stelle über
die competenzen der pfalzgrafen keinen factischen rechtszustand,
sondern eher eine juristische construction sehen möchten, so darf
daran erinnert werden, dass Schönbach (Studien 7, 13) einen
Studienaufenthalt Bertholds auf der für die minoriten der deutschen
Ordensprovinz eigens gegründeten lehranstalt Magdeburg äufserst
wahrscheinlich gemacht hat. wenn B. sich dort in der ersten
hälfte des vierten Jahrzehnts des 13 Jahrhunderts aufhielt, so
war das dieselbe zeit, in der Eike von Reppichau sein werk
abgeschlossen hatte, die räumliche nähe Magdeburgs und An-
halts dürfte man dann wol als erleichterndes raoment einer be-
rührung ins feld führen (vgl. auch Schönbach Studien 6, 97).
Eine weitere stelle aus der sich chronologische Schlüsse
ziehen, ja genaue zeitliche bestimmungen entnehmen lassen,
findet sich in der 25 predigt, wo von drei Sonnenfinsternissen
die rede ist. schon Jacob Grimm hat in seiner berühmten be-
sprechung von Klings ausgäbe der predigten Bertholds in den
Wien. Jahrb. d. litt. 1825 (Kl. sehr, iv 304) ausfülirlich über sie
gehandelt, aber seine ausflihruugen bedürfen der correctur, die
mit unsern heutigen astronomischen hilfsmitteln nicht schwer zu
gewinnen ist. da Schönbach auf die stelle nicht näher eingegangen
ist, so gebe ich hier, was sich aus Oppolzers für solche fragen
zu BERTHOLD VON REGENSBURG 281
unentbehrlichem Kanon der tinsternisse (WienlSST) zur feststellnng:
der dort augeführten himmelsereignisse ergibt.
Die Worte lauten (i 400,88; ich folge \videi' der Heidel-
berger Überlieferung): tcan so verre ist u»s duz icol kioü, daz
eteweune der mäne dem sunnen s'inen schvi nnderyet, daz uir des
sunnen diu zwei teil küiite gesehen, alse verveiit an sant Osicaldes
tage (dö hete der mäne daz vierdege teil icol verdecket, daz man
sin niht gesehen mohte) nnd ouch eins andern mäles an der mitte-
Wochen in den krivzetagen vor den phingesten. und da vor eins,
dö hete er den sunnen vil nahe ve) decket, des da lanc ist, nnde
wanden die ungelerten Hute, diu u-erlt u-olte zergen. die BiüsseltM-
Überlieferung, die Strobl in den lesarten des ii bandes zum ver-
gleich heranzieht, tilgt diese genauen anspielungen als für das
erbauliche bedürfnis der zeit störend und belanglos: sie schreibt
statt evrneut einfach eticenne und lässt den ganzen passus von
dem ersten dö hete an ganz fort, während sie das datum des
Oswaldstages unversehrt lässt. in bezug auf die auffassmig der
Verschiedenheiten beider piedigtredactionen im ganzen stimme
ich ganz dem bei, was Schünbach im Anzeiger vii 872 und
Studien ü. 74 ausgeführt hat.
Drei tinsternisse werden erwähnt. 1. am Oswaldstage des
vorigen Jahres, bereits Grimm konnte feststellen, dass hiermit
nur der ö august 1263 gemeint sein kann, da 1244 schon des-
halb nicht in betracht kommt, weil da nur ein ganz kleiner
teil der sonne vei-tinstert war. diese finsternis war ringförmig,
und die centralcurve ihrer Sichtbarkeit verlief nach der dem
werke von Oppolzer beigegebenen karte quer durch Russland
etwa von Odessa nach den Ostseeprovinzen, sie war also zweifel-
los in Deutschland zu sehen und wird auch von historikern der
zeit hie und da erwähnt: eine stelle hat schon Grimm (s. 80())
angeführt, drei weitere bringt Schultz (Höf. Leben i'^ 188) bei.
die betreffenden worte müssen also im jähre nach der tinsternis,
d. h. 1264 aufgezeichnet sein (Grimm s. 305).
2. an einem mittwoch in den krenztagen vor ptingsten,
d. h. an einem mittwoch vor himmelfahrt. nach Grimm, der die
stillschweigende annähme macht, als müsse diese zweite tinster-
nis zeitlich vor der ersten liegen, die allerdings für den not-
wendig ist, der in den deutschen texten Bertholds wörtlich so
gehaltene oder vom Verfasser selbst niedergeschriebene predigten
vor sich zu haben glaubt, wäre die tinsternis vom 8 mai I2öü
gemeint: er selbst gibt allerdings zu, dass die rechnung nicht
genau stimmt, da ostern in * diesem jähre auf den 27 märz
fiel, der von Berthold bezeichnete kreuzmittwoch also dei- 4 mai
war. eine differenz, die er glaubt übersehen zu dürfen, diese
annalime ist schon deshalb ganz ausgeschlossen, weil nach
Oppolzers karte diese finsternis nur im südlichen Africa und
im indischen ocean zu sehen war. es lässt sich nun aber in
282 LEITZMANN
der ganzen in betracht kommenden zeit nur eine einzige tinsternis
belegen, die sowol dem verlauf ihrer centralcurve nach in
Deutschland gesehen werden konnte als auch Bertholds angäbe
vom kreuzmittwoch ganz genau und ohne abweichung auch nur
eines tages entspricht: die totale vom 2i> mai l'ifiß (ostern tiel
in diesem jähre auf den 1 7 april), deren centralcurve durch
Sicilien, Griechenland und das nördliche Kleinasien geht, ein
historisclies zeiignis gibt Grimm (s. 306).
Es ist nun aber ohne weiteres deutlich, dass derjenige dem
die tinsternis von 12(13 ein ereignis von vcrnent war, nicht un-
mittelbar anschliefsend von einer tinsternis von 1267 be-
richten konnte, dass also die erwähnung der zweiten tinsternis
erst später eingesetzt worden sein kann und in der vorhergehnden
redaction dieser predigt nicht enthalten war. damit ist ein neuer
anhält für Schönbachs auffassung gewonnen, dass die vorliegenden
deutschen texte Bertholds nicht authentische und intact über-
lieferte, würklich so gehaltene predigten sein können, so gut wie
bei der stelle von den fünf kriegen hat hier eine jüngere band
eine actuellere auspielung eingesetzt.
3. gedenkt Berthold einer offenbar länger zurückliegenden
sonnentinsternis, für die er eine genauere angäbe des tages
leider nicht beifügt. Grimm ist auf sie niclit näher eingegangen:
nach Oppolzers karten kann nur entweder die tinsternis vom
6 october 1241 oder die vom 3 juui 1231) gemeint sein, die
beide auch von historikern erwähnt werden (Schultz i'^136).
die centralcurve der ersten verlief durch Norddeutschland, speciell
durch die gegend von Magdeburg, die der zweiten durch die drei
südlichen halbinseln Europas, ist, was gröfsere Wahrscheinlich-
keit für sich hat, die erste gemeint, so kommen wir widerum auf
die zeit von Bertholds wahrscheinlichem Magdeburger aufenthalt.
Nach Schönbachs tabelle (Studien 6, 66) besitzen wir die
unsrer predigt entsprechende lateinische fassung als ersten der
Sermones speciales, auf meine bitte hat Sievers durch einen
seiner schüler die Leipziger handschrift nr 4 96 (vgl. Schönbach,
Studien 5, 60) einsehen lassen: wie ich nach Schönbachs dar-
legungen über das gegenseitige Verhältnis der lateinischen und
der deutschen Bertholdtexte schon vorher vermutete, hat sich
dabei herausgestellt, dass die lateinische predigt specielle andeu-
tungen über sonuentinsternisse überhaupt nicht enthält.
Mit recht hat Schönbach (Studien 6, 7S) die vermeintlichen
anleihen, die Berthold nach Strobls darlegungen in der einleitung
zum zweiten bände (s. xxiv) bei dem dichter des jüngeren
Titurel gemacht haben soll, bis auf die eine bekannte stelle vom
lobe Gottes in der creatur (i 157. I3j als irrig bestritten und
zu BERTHOLD VON REGEXSBURG 2h;^
aucli jene einzige anführung- 'unbedenklich dem bearbeiter des
deutschen textes, nicht Berthold selbst' zugewiesen, es gibt noch
eine zweite, weder von Strobl noch von Schönbach bemerkte
stelle, wo ein bearbeiter eine reminiscenz an den Titurel nicht
hat unterdrücken können, in der predigt von den sieben siegeln
di^r beichte heilst es von Gott, der die menschen mit milde und
treundlichkeit zu sich ruft (i 566, 23): da sprichet unser lierre
. . . und ladet uns mit dein zarte, daz nie vater shieni kinde so
mit minnecllchem zarte yeböt. im jüngeren Titurel (761, 1; die
haupthandschriften der von Zarncke aufgezeigten verschiedenen
redactionen. die ich verglichen habe, stimmen hier völlig zusammen)
spricht Herzeloide zu Sigune:
Got lone dir sielden rlche: swes muoter ie ir kinde
mit zarte ininnecUche erbot, die seilten triutre ich andirvinde.
schon bei Wolfram steht die stelle und lautet dort so (115, 1):
Got sol dir Ionen: swaz ie muoter ir kinde
mit m innerlichem zarte erbot, die selben triutre ich hie rinde
diese fassung des älteren dichters mit dem vorangestellten ad-
jectiv min)iecl7ch klingt noch genauer in Bertholds prosa wieder
als die veränderte bei Albrecht, worauf man aber wol kaum
einen sicheren schluss bauen kann, dass nicht diese, sondern
jene dem bearbeiter der predigt bekannt war und in die feder
kam. der paralleltext der Brüsseler handschrift (der beiläufig
bemerkt 572, 16 die interessante Variante Zitel für ziten bietet)
hat die anspielung nicht, sondern schreibt (ii 551): er ladet uns
so vriuntltchen. daz kein rater sin kint so vriuntllchen nie (feluot.
Ich schliefse mit drei kleinen sprachlichen bemei'kungen.
In der predigt von den zwei wegen der niarter und bavm-
herzigkeit ist vergleichsweise von den zwei arten von wegen die
rede, die zu hohen bürgen hinaufführen: die eine geht sanft und
gemächlich im kreise herum und dauert länger, die andei'e geht
gerade aus und rasch zur höhe und ist kürzer, von den pfaden
der letzteren art heilst es (i 171. 3): si sint aber sticket nnde
ireseht unde rüch unde gar steinec und dornec. das Mhd. wb.
(iii609a) erklärt iceseht zweifelnd durch "rauh' und knüpft es
ebenso zweifelnd an u-as 'scharf an; Lexer (in 79S) wiederholt
beide angaben, aber ohne fragezeichen. ich halte diese etynio-
logie für falsch, glaube vielmehr, dass weseht an wase anzu-
knüpfen ist und 'mit rasen bewachsen, grasig" bedeutet, eine
Vorstellung die auf solche bergpfade durchaus passt. den um-
laut haben die adjectiva auf -cht nicht nur im ags. zuweilen
{pyrncht, stceneht: Kluge Nominale stammbilduug'' § 218), auch
im deutschen kommt er vor {hü rieht, höckericht, töricht, schon
jnhd. schereht: vgl. Grimm ii38l. 382 und Wilmanns D. gramni.
II 469). das vom Mhd. wb. noch verglichene wesereht hat, wenn di.-
284 LEITZMANN, ZU BERTHOLD VON REGENSBURG
lesart überhaupt richtig- ist (im Liedersaal i Itil steht dafür
miteUrahsen), jedenfalls nichts mit iceseht zu tun.
Von der Jungfrau Maria heilst es in der predigt von der
messe (i 4 4!), 4): da von ho sidt ir si vluedichen an ruofhi,
daz si iurver erenhote si an nnsern Herren, daz er iu gencedec
■s%, daz er sich über itich erbarme, also daz uns sin geburt er-
loese Hon dem eivegen töde. was ist ein erenbote^ die Wörter-
bücher geben keinen weiteren beleg, die Heidelberger hs., auf
der Pfeiffers text beruht, hat crnboie (die Brüsseler setzt dafür
vorSprecherin) und so mit e, nicht mit r ist das wort anzusetzen,
das ich für identisch mit arnebote halte, für das wir zwei belege
haben, der eine findet sich in dem prosaischen Petrusgebet
der neuerdings wider aufgefundenen haudschrift von Muri (Wacker-
nagel Altdeutsche predigten und gebete 77, 29: Piper Nachträge
zur älteren deutschen litteratur s. 320); den andern hat Diemer
im Vorauer Himmlischen Jerusalem (371, 12) aus einem fehler
der handschrift zweifellos richtig gewonnen, ich lasse dahin-
gestellt, ob der Erenhote vom Rheine, den Roethe nach Wacker-
nagels Vorgang für identisch mit Reinmar von Zweter hält
(s. 166), nicht gleichfalls eigentlich ein Ernhote war, den man
früher oder später volksetjnnologisch umdeutete ; die versmelodie
in Regenbogens strophe (Meisterlieder der Kolmarer hs. S2, 3) lässt
sowol e als e zu, wenn auch ersteres besser passt.
In der predigt von den vier stricken wird die vision der
Apokalypse (9, 7) von den siniUitudines locustarum zitiert (ii 144,
12): ez sach saut Johannes in apocalipsi drüster, diu heten islne
halsberge an und heten skorpenzegele an und menschenantliitze und
leioenzene und vrowcenhär. nü seht, disiu drüster bezeichenent die g'\-
tegen, wan der gitege ist an der natüre ein heuweschrickel. was
sind drüster (zeile 21 trüster)? Lexer (Nachtr. s. 376) setzt
die bedeutung 'monstrum' an, die er wol ad hoc und ohne ein-
sieht der bibelstelle aus dem zusammenhange construiert hat.
ich sehe zwei möglichkeiten: entweder wir haben das wort mit
dem getn'iste der Strafsburger chionik ('schar, zug, gedränge'
Mhb. wb. iir I2lb) und weiter mit dem ahd. trust {^agmincC, wie
in unsrer stelle neutrum), einem «Vrai" '/.eyöuevov des Murbacher
glossars Ic (Ahd. gll. i 2, 4) zu verbinden, oder es liegt
ein sonst, soviel ich sehe, allerdings nicht nachweisbarer dialek-
tischer ausdruck vor, der direct 'heuschrecke' bedeutet, im
ersten falle hätten wir ein neutrum vor uns, dem analogisch
die pluralendung -ir angefügt wäre, die in dem ahd. beleg sich
noch nicht findet (managin trusi); gegen die zweite auffassung
brauchte es nicht zu sprechen, dass auch der gewöhnliche aus-
druck heuweschrickel daneben im texte vorkommt, eine ent-
scheidung vermag ich nicht zu treffen.
Jena, 30. november 1909. Albert Leitzmanu.
ZUR ÜBERLIEFERUNG UND COMPOSITION
DES REINAERT.
Die auffindung- und Veröffentlichung einer neuen handschrift
des älteren flämischen Eeinaert (Bein, i) durch Degering' hat
der Untersuchung der an dieses ausgezeichnete gedieht sich
knüpfenden fragen einen neuen anstols und teilweise auch eine
neue richtung gegeben ■•^.
I.
Zunächst ist die Dj-cker handschrift von der grüsten be-
deutung für die textkritik. diese war, von den 288 versen
abgesehen für die seit Martins Veröffentlichung 18S9 (QF. lxv)
die teilweise noch verstümmelten Darmstädter fragmente {e) vor-
liegen, auf die mittelbaren hilfsquellen, die lateinische Übersetzung
/ und die jüngere flämische bearbeitung (Rein, ii; nach der hs.
b) und deren weitere nachkommenschaft angewiesen, konnte hier
immerhin bei kritischen fragen der einwand erhoben werden,
dass es sich eben um bearbeitungen handle, und also mit ab-
sichtlichen änderungen gerechnet werden müsse, so liegt nunmehr
für den ganzen text dieser unmittelbare zeuge / vor, der weit
höher zu bewerten ist, als die früher in dieser eigenschaft
einzig vorhandene Comburger hs. a. auch ohne / waren eine
sehr grofse anzahl stellen der hs. a verbessert worden, würk-
lich verbessert; denn wir erleben die genugtuung, dass fast alle
conjecturen die weiteren beifall gefunden hatten, sich durch /
bestätigt finden, daneben aber werden von ihr noch sehr viele
' Van den vos Reynaerde, nach einer handschrift des xiv Jahrhunderts
im besitze des fürsten Salm-Reifferscheidt auf Dyck herausgegeben von
Hermann Degering. Münster (Westf.), Coppenrath 1910. - nur nicht
bei dem unverständlichen versuch von F. Buitenrust-Hettema, trotz allem
auch jetzt noch die sich immer mehr als minderwertig herausstellende
Comburger hs. als die älteste und womöglich ganz authentische Über-
lieferung durchzusetzen : im eben erschienenen ii teil (Inleiding. Aanteeke-
ningeu. Glossarium) der ausgäbe des 'Van den vos Reynaenl«-' in >\>-n
'Zwolsche herdrukken'.
Z. F. D. A. LH. N. F. XL. 19
286 FRANCK
andere Verbesserungen an die hand gegeben, ich habe den ein-
druck, dass wir uns nunmehr fast tiberall auf sicherem boden
bewegen, und ein zukünftiger herausgeber, der mit der ge-
nügenden sprachlichen und philologischen ausrüstung ans werk
geht, der das tatsächliche richtig zu beurteilen, dann aber auch
jede richtig bewertete tatsache über die im nebel neumodischen
dünkels auftlickernden ideen und ideechen zu stellen versteht, mit
einigen ausnahmen für den ganzen text zu sicheren ergebnissen
gelangen kann, eine frohe botschaft bei einem werk von so
hohem werte! der herausgeber wird freilich noch eingehende
Voruntersuchungen über den Charakter der einzelnen texte und
ihres Verhältnisses untereinander anzustellen haben, die über
die andeutungen die ich im folgenden zu geben beabsichtige,
hinauszugehn hätten.
Die wesentlichste frage dabei wäre für uns, ob die hss. a
und f in einer näheren beziehung zueinander stehn. sie scheinen
in der tat eine anzahl gemeinsamer fehler zuhaben. 23 If (ich
eitlere immer nach Martin) schreiben die ausgaben auf grund
der lesart von b Isengrine : ende hondert werven meere pine
während a statt meere pine liest wieer dan ic hu rime und des-
gleichen f meer dan ic v rime. es wäre nicht ganz ausge-
schlossen, dass die Verschiedenheit der lesarten an dieser
stelle in irgend einem Zusammenhang mit den laa. der un-
mittelbar vorhergehnden verse stünde (darüber s. unten
s. 292 f). doch ist dies so wenig wahrscheinlich, dass es
geboten sein dürfte, die stelle ohne rücksicht auf diese
möglichkeit zu prüfen. die cpnjectur ist wol hauptsächlich
wegen der assonanz gemacht worden, und dann weil der vers
in der überlieferten form für metrisch zu lang gelten würde,
der Wortlaut von /, v. 109f graviora hiis et maiora SustuUt
iUe lupo enthält auch wenigstens nichts dem dan ic u rime ent-
sprechendes, indessen genügen diese gründe nicht, um die
richtigkeit der conjectur über den zweifei zu erheben, und die
anscheinend gröCsere Übereinstimmung von / mit b besagt, genau
betrachtet, nicht viel, da das lat. zugleich auch v. 230 vertritt
und in dem meer wahrscheinlich der adjectivische comparativ,
maiora, zu verstehen ist. lassen sich reim und versbau recht-
fertigen, so ist gegen die ursprünglichkeit von dan ic u rime
nichts einzuwenden, die gleiche reimbindung an Isengrine : rime
REINAERT 287
— so ist zu lesen ; riine in einem anderen sinn, was natürlidi
hier gleichgiltig ist — kehrt 20!):^ wider, ist niitliin nicht zu
beanstanden, entweder ist die assonanz als zulässig- anzusehen,
oder, da die anderen assonanzen vor der textkritik wahrschein-
lich alle verschwinden werden', die dichter gebrauchten für den
namen des wolfes neben der franz. form auf }i auch die germ.
auf m. das ist nach dem von JWMuller De oudere en de jong-ere
bew^erking- van den Reinaert (Ojb.) s. 197f erörterten tatbestaud
wahrscheinlich genug-, in den verschiedenen hss. wechseln die
formen, die neue / hat immer die auf m, sogar gegen den reim,
der dichter von Rein, n scheint nur die form auf n gebraucht
zu haben, sie ist häufig bei ihm im reim bestätigt, diesen zahl-
reichen reimen in Rein, ii gegenüber fällt es sogai- auf, dass in
Rein, i die //-form nur dreimal im reim vorkommt (neben den
eben erörterten 2 reimen mit )u). und man könnte darnach sogar
vermuten, dass sie hier nur einigermafsen zaghaft gebraucht sei.
die franz. namensform der wöltin Hersant ist stets durch eine
eigene form auf -.sinf, oder -sent vertreten, und für den baren
werden Brune und Brunn nebeneinander gebraucht, was das
andere bedenken gegen den vers in af betrifft, so hat b nicht
Jiondert irerveii sondern tireeu-aerf', das lat. spricht auch eher
für einen milderen ausdruck, und mit den zahlen gehn die hss.
ja recht willkürlich um. zumal wenn sie mit Ziffern geschrieben
sind, ein vers Ende tn-eeiverven — oder mit einer anderen ein-
silbigen zahl; die form n-aerf mit höheren cardinalzahlen scheint
nicht dem älteren text gemäl's — meev (Jan Ic u rinie gienge
nicht über die Wahrscheinlichkeit hinaus, als gemeinsamkeit
von af würde also nur die Übertreibung giade mit honJert
übrig bleiben, die jedoch zu einem beweis nicht genügt, möglicher-
weise steckt auch in <" irerue(n) [tn-eewaerf) irgend ein anderei-,
in gleicher weise veränderter oder misverstandener ausdruck-^.
' ich glaulie sogar auch die reime mit überschüssigem //. - eine
wörtliche entsprechung von ijracvjm et maioirt in l, l'icaerre en ineerre,
würde graphisch dem C icaeruen meer nahe stehn. aber wenn ersteres
die echte lesart sein sollte, müsten a, / und b wol nuay»hängig von ein-
ander auf die ihre gekommen sein, das wäre unwahrscheinlioli. also wenn
die graphische ähnlichkeit mehr als zufall ist, würde sie dann eher
ein Zeugnis für die ursprünglichkeit von '' ireruen sein, das / in ««-inpr
vorläge misverstanden hätte.
19'
288 FRANCK
2041 haben beide hss. te hove hringhen für das unzweifelhaft
richtig durch conjectur hergestellte te hovede hr. (Martin s. li
nach Verwijs) und 2243 overdadich statt hoverdirh oder Jiovaer-
dich (ende fier: Verdam, Tijdschr. v. nl. taal- en letterkunde
1,21 f. und Mnl. Woordenb. v 2109) (auch / 1069 hat die
Synonyma superhus et elatus, b so fier, so hooch ghemoet). der
fehler liegt an beiden stellen sehr nah ; für die erste ist auch
noch das überaus häutige vorkommen von hof, te hove im ge-
dieht zu berücksichtigen, für die zweite die möglichkeit der
Schreibung overdich oder umgekehrt der lesuug hover- als over-.
auch 2265 haben beide hss. sduvels ghe>reU, wo ich als die
richtige lesart spenninx gheivelt vermutet habe (Ojb. 69), gegen
diese conjectur liefse sich der einwand ins feld führen, dass die
nun auch von / gebotene anaphorische und tautologische aus-
drucksweise hi sduvels cracht ende hi sduvels ghewelt gerade im
Stil des gedichtes liege, man hat sich mit dieser erscheinuug
schon öfter beschäftigt: Martin xlvi. Buitenrust-Hettema aao.
XXIX f., am ausführlichsten Jonckbloet Kein. xxiv. es läfst sich
ja bei diesen durch ende oder durch no oder in sonst einer weise
verbundenen ausdrücken schwer entscheiden, ob ein neuer begriff
oder blofse Verstärkung durch widerholung beabsichtigt ist. ich
würde das erstere annehmen zb. bei 405 bewachten no bescaermen,
1432 suchfic ende heve, 2313 verbeet ende verslant, 2635 smekedi
ende roemt, wol auch zb. bei 2158 of ghi n-eet von enegher moort
of enen viordeliken raet, 2291 daer ic was ende soe mi vant.
aber sehr reichlich sind auch die stellen, wo die tautologie nicht
zu bestreiten ist, zumal bei abstracten begriffen, so 230 u. 573
plne ende onghemac, 485 smeken ende lieghen, 668 onteert ende
ontervet, 743 met aerheide ende met pinen, 853 verdoemen ende
verivaten, 912 rouwe ende toren, 915 toren ende nijt, 933 siec
ende onghesont, 1046 [ebenso 2384 aber nur in a] sachi ende
vernani, 1048 u. ä. 2106 vro ende in hoghen, 1103 quedden ende
groeten. 1168 tornich ende gram, 1176 traghe no lat, 1548
vloecte ende swoer, 1591 bersen ende jaghen (s. unten), 1672
tüijs ende vroet, 1892 mercte ende verstoet, 2068 weisen ende
leren, 2089 fei ende loreet, 2184 die torment ende die pine,
2350 badic gode ende maende, 2367 henen trac ende henen liep,
2358 in diepen ghepeinse ende in groten, 2717 claghede ende
caermede, 3012 smeken ende losengieren, 3388 droeve ende
REINAERT 2S9
erre. man hat immer ang-enommen, dass die häutigkeit dieser
ausdrucksweise auf stilistischer absichtlichkeit, 'der vielleicht
ironischen lust des dichters am epischen pleonasmus' (Martin),
beruhe, die absichtlichkeit tritt noch mehr hervor, wenn die
Verbindungen weniger einfach sind: 183 verstaet, neemt miere
talen yoom, 484 f hi sal u smeken ende lieghen, mach hi,
hi sal u hedrieghen, 577 f die ic voor alle gherechten prine
ende voor alle gherechten minne, 1055 dit tekijn ende dit
ghemoet, 1273 dit vernoi ende dese scame, 1094f hets beter
raet ende het dinct mi het ghedaen. 1287 f laet sinken descn
routve ende laet hliven mven toren, 1526f ic maecte groot
gheluut int dorp ende groot gherochte, 2309 met groten ghecraie,
met groten ghehide, 1880f sine consten niet verdraghen, no sine
consten niet ghedoghen : in f: sine constent niet verdraghen, no
ghedulden, no ghedoghen. vgl. auch 3364 ff dese lettren dichte
ic hem, gaet te goede of te quade. dese lettren svjn In viinen
rade aldns ghemaecf ende ghescreven. zwei auffällige stellen
linden sich in der froschfabel : 2314 ff in allen landen, daer hise
vant hede in water ende in vell, daer hise vant in sine ghewelt
und 2318f het was te spade. het u-as te spade, ic secht u twi,
wo also ein satzteil wörtlich wieder aufgenommen wird, für
das unmittelbar darnaoli folgende doe droeghic sorghe voor ons
allen, dns hehhic gesorghet voor u ist wol die la. nach b 2354f
(und f 2294 f) zu gestalten, wobei die tautologie gemindert er-
scheint, bei 2361) ff n-acst hi nachte, tvaest hi daghe , ic was
emmer in die laghe ; waest hi daghe, tvaest hi nachte, ic was
emmer in die wachte ist die textkritik zu beachten; s. unten
s. 312. in manchen fällen dient die häufung zweifellos der
absieht, eine angeführte rede recht nachdrücklich zu gestalten,
wie der widerholte ausruf 2 150 ff o 7vi, Reinaert! o ici, Reinaert,
0 wi, 0 ici! owi, Reinaert, wat sechdi'^ o wi, lieve Reinaert. ic
meine u etc. (der Wortlaut nach hs. /). nach den vorangehnden
Zusammenstellungen kann die lesart daer quamen si hi sduvels
cracht ende hi sduvels gheu-elt sdlerdingH der tautologie wegen nicht an-
gezweifelt werden, aber b hat offenbar etwas anderes gelesen, von af
aus ist seine bearbeitung nicht zu verstehn, wol aber von sjienninx^
' belege für penniiic im sinn von 'geld' s. Mnl. AVoordenb. \ i 250 ;
ferner Heets Cato iv 4, 1; Sp. bist. 1«, 33, 31. 53, IG; 3^ 15, 72ff (m. an-
uierkung); Sp. der sonden 6051. G409 u. oft in diesem text
290 FRANCK
f/hen-elt aus, einem ausdruck den der bearbeiter dann zu ver-
deutlichen gesucht hätte: ende mines vaders fjheicelde, dien
dwanc mit sinen ghelde. die fassung- des relativsatzes ist mir
auffällig-; es ist mir nicht recht klar, wie der bearbeiter sich
vorgestellt haben soll, dass der alte fuchs den teufel mit seinem
geld gezwungen habe, verständlicher schiene mir diese dwanc
oder auch dien hi (der teufel) divanc. im letzteren fall würde
der schätz als vom teufel stammend hingestellt, aber der relativ-
satz nicht zur erklärung des begriffes der gheivelt dienen, in
/ sind die verse nicht übersetzt, doch darf vielleicht darauf hin-
gewiesen werden, dass diese bearbeitung von sich aus die macht
des geldes an zwei stellen in diesem Zusammenhang hervorhebt:
V. 1071 Es Uli (jHoniam corda tnmere facif und v. 1092f, im
anschluss an 227 4 ff des Originals, Nani imter hos censii remo-
veret, copia cuiiis magna patri fecit omnia posse fidem. ist nun
die conjectur richtig, so braucht der fehler doch kein engeres
Verhältnis von af zu beweisen, da die auffassung der Schreibung
d oder d' für penninc {denarius) als duvel natürlich vor der
band lag. — 2459 finde ich den ausdruck dit telde hi te speie,
der in a und / steht, etwas auffällig, und wenn man die la.
von b berücksichtigt dit telde hi die vier feile verrader sowie
die bezeichnung der mitverschworenen v. 2356 als ghespelen,
so könnte man wol auch 2459 an den ghespelen, also an einen
übereinstimmenden fehler in a und / denken. — auffällig ist die
Übereinstimmung 3375 f {nanien) die scaerpe van den halse
Bellijns, die hi der dompheit sijns, wo die ausgaben nach b
eingesetzt haben Beline : sine, man könnte ganz vereinzelte bei-
spiele für den gen. des personale statt des possessivums geltend
machen (Mnl. gr. § 214). aber es ist doch recht unwahrschein-
lich, dass unser dichter sich einer so ungewöhnlichen und aus
einem unsicheren Sprachgefühl hervorgehnden ausdrucksweise
bedient haben sollte, die auf b gegründete conjectur wird also
richtig sein, indessen lag der Irrtum den gen. Belijns statt des
dativs zu setzen wider vor der band, und da es in solchen
fällen ein ganz gewöhnliches auskunftsmittel dieser Schreiber ist,
ihren fehler zu vertuschen, indem sie einfach den reim ganz
äufserlich angleichen, so kann man auch auf diese stelle nicht
viel gewicht legen', ebensowenig auf 3425 f, wo dem zweifellos
' auffallend ist, das.s die gesamte Überlieferung hier auf einen vers
REINAERT 291
für imsern text uiimüglich ursprünglidien i'eim f/hdict : ccrriet
in / ein doppelter reim, mit viei- versen an stelle der beiden
von a, entspricht: beliet : gefief, rerricl : gcsclef, eine lesart. ilie
in ihrer lahmheit keiner für ursprünglich ansehen wird, ich
halte es immer noch für die einfachste und an sich überzeugende
annähme, dass ursprünglich heghiet : verriet stand, wie genau im
selben sinn und in derselben Verbindung 2U56 Reinaert hevet
selve heghiet. die beiden verba werden fortwährend miteinander
vertauscht, und es kann an unserer stelle schon in einer alten
hs. oder mehr als einmal geschehen sein, der jüngere, nach-
lässige und grade auch für die reinheit des reims wenig emprind-
liche Schreiber von a begnügte sich mit ghellet : verriet, während
der von / durch eine mislungene nachdichtung wenigstens den
reinen reim zu retten suchte, vielleicht ist ein ähnliches ver-
fahren des letzteren bei 1)59 f festzustellen, wie auch das bei
367 — 371 angewante zu vergleichen ist (s. unten); und noch
bequemer hat er es sich nach 1 146 = a 1158 gemacht, offenbar
hat er 1157 als abschnittsschluss genommen und muste nun
einen neuen abschnittsanfang haben, zu welchem zweck er die
vorhergehnden reime einfach widerholte, auf ähnliche weise
hat auch der Schreiber von a bei 105 aus einem reimpaar ein
doppeltes fabriciert. vgl. auch unten über 2369 ff. von geringerer
bedeutung ist 783, wo beide die een sloech lesen, das wird
allerdings falsch sein, da es gleichlautend im vers vorher
steht, aber ob Martins die een hieu die richtige fassung bietet,
ist darum nicht ausgemacht, noch eher würde ich an die een
scoot denken. — über 211 f. 959 f, 1900 und 32 17 s. unten
s. 300 ff. — 3l04f nimmt Leon. Willems. Ti.jdschr. v. nl. taal- en
letterkunde 27, 82 f sogar einen gemeinsamen fehler in a, e
und f an, da in b und / neben palster ende scaerpe auch die
scliuhe Keinaerts besonders erwähnt werden, und es unbegreiflich
wäre, dass sie nicht besonders genannt sein sollten, ein Ver-
hältnis a e f ist aber sonst nirgends erwiesen, und wir müssen
hinführt der zu kurz ist, wenn man nicht die form domiilwide einsetzen
darf, man möchte darum erwägen, ob nicht ursprünglich geschriei)en ge-
wesen sein könnte In der dompheit aelces ■•iijuf, und .-ielce--^ infolge der
ungewöhnlichkeit seiner Stellung von verschiedenen Schreibern ausgelassen
worden wäre, allein die Stellung f^elces si//h-i statt i<i/ns ■'<elres ist nicht
nur ungewöhnlich, sondern mir überhaupt sonst nicht bekannt, mit der ge-
wöhnlichen Stellung Ruysbr. i 21, 9 in beiden siden ans selres.
292 FRANCK
annebmen, entweder dass der dichter doch in der tat Eeinaerts
wundersame erscheinung in der erinnerung der leser durch
pnlster ende scaerpe als genügend gekennzeichnet ansali, und
die Verfasser von / und b, welche letzterer aus irgend welchen
anderen gründen an der stelle sowieso ändert, von sich aus
darauf kamen, auch die im Zusammenhang ja allerdings wichtigen
schuhe zu erwähnen, oder aber dass die drei texte unabhängig
voneinander etwas verloren haben, in dem falle würde ich aber
noch eher als an die von Willems vorgeschlagene lesart an einen
ausfall von scoen oder ende scoen in v. 3105 glauben (ende scoen,
palster ende scaerpe oder ende palster, scoen ende scaerpe oder
aber e. p. ende scoen ende scaerjje). natürlich könnte es sich
in diesem falle auch; und noch leichter, um ein zufälliges zusammen-
treffen von e und der vorläge von af handeln, wenn sonst ein
Verhältnis af als erwiesen zu gelten hat.
Recht auffällig scheinen sich einige beziehuugen zwischen
der lateinischen und der jüngeren flämischen bearbeitung vor-
zutun, die, wenn sie stich halten, entweder zu der annähme
zwingen, dass der Verfasser von Rein, ii auch die lat. Übersetzung
benutzt habe, oder dass früh in dem älteren text einige Verän-
derungen eingetreten waren, die in die vorlagen von / und b
übergiengen, oder aber dass a und / noch in einigen weiteren
fällen gemeinsame fehler enthalten, sie erfordern darum eine
sorgsame erwägung.
Gleich die erste stelle ist auch die auffälligste, und von
der entscheidung über diese hängt hauptsächlich die über die
ganze frage ab. bei 230 ff
vinc ende waerpene in sinen sac.
dese pine ende dit onghemac
hevet hi leden dor Isengrime
ende tweewerven meer dan ic u rime (s. oben 286 f)
hat /einen neuen gedanken : In sacco capitur; sicque retentus
erat; II le per ing eniiim licet evasit. graviora etc. den
gleichen gedanken flnden wir in b wider:
in enen sac
daer hi met groten anxt uut brac
ende was wel na op die doot.
dit misval ende desen noot etc.
ligt in a und / ein fehler vor, so könnten folgende erwägungen
REINAEKT 293
platz greifen, als ursprünglich Heise sich, in combination von
/ und b, eine textgestalt wie die folgende vermuten
sac;
ne wäre dat hiere ute brac
met siere list, hi wäre doot.
dese pine ende desen noot
das mittlere verspaar könnte verloren gegangen und der reim
durch einsetzung von onghemac für noot wiederhergestellt worden
sein, dann wären a und / nicht unabhängig voneinander, aber
es könnte sich auch um einen ursprünglichen vierreim handeln
(s. gleich zu 3 107 ff und weiter unten zu 1732f), auf dessen
ergänzung durch stac etwa das lat. retentus erat leiten könnte:
sac : (daer hl op die doot [oder inet groten anxte] in) stac : {ne
wäre hiere uut met liste) hrac : onghemac. dann brauclite man
aus der auslassung nicht notwendig auf eine abhängigkeit zu
schliefsen. wäre dagegen der neue gedanke unursprünglich, so
niüste er entweder durch eine nähere verwantschaft von bl in
dem oben angedeuteten sinne bedingt oder, was an und für sich
sehr viel unwahrscheinlicher ist, es müsten / und b unabhängig
voneinander auf ihn gekommen sein, weil sie es für notwendig
hielten, ausdrücklich zu sagen, dass R. aus einer so bedrängten
läge, nachdem er schon im sacke stak, doch noch entkommen
sei. merkwürdig ist, dass uns nachher ein zweiter fall be-
schäftigen wird, V. 2457 ff, wo sich bei einer genau entspredienden
Sachlage ein genau, in / auch wörtlich ziemlich genau, entsprechendes
plus findet, wird die annähme einer verwantschaft von bl durch
andere stellen einigermal'sen nachhaltig unterstützt, so wird man
sich natürlich für die ursprünglichkeit von af entscheiden.
Im anschluss an v. 733 list / 306 ff
Sicque ruunt vetule, que vix dentes habuere
Queque movere pedes vix valuere suos.
Sic fit, ut a vulgo solet assidue recitari.
Dum currus stat aque plurima verba sonant.
Quisque sibi caveat, dum danipna pericula servat
Sepe gravare magis nititur oninis eum;
Quod patet in Bruno, cui nmlti multa niinantur
Qui non auderent, si suus ipse foret.
Brunns stat dubius; licet ipse pericula, penas
Atque metus retinet, deteriora timet.
294 FRANCK
es bringt also nach 733 die Übersetzung' von 7Ü)J — 776 unseres
textes, und dann schliefst die Übersetzung von 736 ff an;
734 f voor hem allen quam f/heronnen Lanip-oit met ere scaerper
aex fehlt; er war schon vorher, in Übereinstimmung mit 699 f
erwähnt, desgleichen schliefst b die verse 766 — 768 unmittelbar
an 733 an, und 734 f gehn verloren; aber 769 — 776 bleiben
abweichend von / an ihrer alten stelle, hier handelt es sich
sicher um einen zufall, denn b lässt sich aus / durchaus nicht
erklären, in af ist die darstellung in der tat etwas breit, das
herannahen der bäuerlichen gesellschaft wird eigentlich zweimal
geschildert, und dieser umstand mag beide bearbeiter zur änderung
veranlasst haben, bei der sich die gleiche Umstellung von 766 — 768
zufällig ergab.
Für 840 ff ende ghlnghen daer die pape gheJ)Oot, hede met
strmghen ihs. / stocken) ende inet haken. die tvile dat si die
vrowve imt traken hat l (dbO) parentque moventis Indictis, do-
minant fltictihus eripiunt. Talihus intentos dum Brunus viderit
onines und b ende ghinghen daer die pape ghehoot. als Bruun
sacli dat die Heden altemale van hem scieden ende trecken
gingen over dat oude tvijf. beide stimmen also darin überein
dass sie die stringhen ende haken weglassen (die letzteren hat
/ jedoch schon vorher, v. 347, angebracht) und das verbum sien,
videre einfügen, aber das kann auch sehr gut zufall sein, der
anlass zur änderung für b war wol die form traken.
Kaum zu nennen ist 1107, wo dem herber ghet tavont j)iet
mi von a, ghi moet te nachte herhergen mit mi von f in l
ergo morare veni, in b daerom hlijft te nacht met mi
entspricht.
Nicht unwichtig ist die stelle 2255 ff, wo af lesen
ende quam in Waes, int soete lant,
daer hi minen vader vant.
mijn vader ontboot Grimbeert den wisen.
in / 1078 ff heilst es In Wasiam venit, a patre recepttis ibidem.
Eins in adventu gaudet et ipse pater. Grimbertumque vocant.
in b 2279 ff
(maecte hi hem te Viaenderen waert)
daer hi minen vader vant,
dien wel ontfenc. doe te hant
sende hi om Grimbeert den wisen.
REINAERT 295
der Verfasser des Rein, ii hat die ervvähnung von ll'aes wegge-
lassen und füllte das reimpaar mit dien wel ontfenc. <loe fe haut
an, während in l a patre recephis ibidem an stelle von darr hl
iniiien vader vant stehn kann, insofern ist also eine besondere
Übereinstimmung zwischen bl nicht vorhanden, doch würde bei
/ dann noch weiter v. 1079 auffallen, wenn kein anlass für
seinen Wortlaut in der vorläge gegeben gewesen wäre. es
scheint mir darum möglich, dass in a und / zwei verse
verloren gegangen sind des ungefähren inhalts und Wortlautes
(vgl. 3301)
diene harde wel onttinc
want hi was blide van dier dinc.
träfe der Wortlaut das richtige, so könnten ja unabhängig von-
einander zwei Schreiber von {va)nt auf {di)nc abgeirrt sein, in-
dessen stofs ich mich weiter ein wenig aucli am anfang von
2257 mijn vader onfhoof. ein ende onfhodrn würde / (zum teil
auch b) besser entsprechen, so dass hier doch vielleicht die
möglichkeit einer engeren berührung von af übrig bleiben
könnte.
Auf 2456 ff ist schon hingewiesen, a und f lesen
daer die jagheren na hem (/ iaghers an) reden
alle daghe met hären honden,
die hem vervaerden (/ diene verraden) te meneghen stonden
aber / 1 178 Ipswn nam canihus vendtores agitahant; Hos tarnen
evasit artihus ille suis und b 2474 ff
daer die jagher na hem reden
mit hären honden alle daghe,
so dat hi nau ontdroech die craghe.
Mau würde hier wol. wenn eine sichere entscheiduug nicht
möglich ist, an sich den Inhalt von Ib für das ursprüng-
lichere ansehen, und dann würde die stelle wider für eine mög-
liche beziehung zwischen af sprechen, wenigstens wenn, wie es
doch wahrscheinlich ist, verraden und vervaerden auf eine ge-
meinschaftliche lesart zurückgehn. sonst, wenn das letztere
nicht der fall wäre, könnte allerdings die Umstellung in 2457
auch wol zufällig übereinstimmen, und auf das auskunftsmittel
te menifjhen stonden auch zwei leute unabhängig voneinander
gekommen sein. ich glaube indessen, dass wir auch hier die
29G FRANCK
raöglichkeit einer zufälligen Übereinstimmung zwischen l und b
nicht für ganz ausgeschlossen anzusehen brauchen.
Für die stelle 3107 ff liegen die dinge klar genug, sie sind
aber auch lehrreich genug, um uns einen augenblick mit ihnen
zu beschäftigen, a und / haben, mit kleinen abweichungen
untereinander,
soe was blide ende sprac säen
'Reinaert, hoe sidi ontgaen?'
"ic bem worden peelgi'ijn".
b 3096 ff hat die beiden verse mehr in Reinaerts antwort
*ic was', sprac hi, 'int hof ghevaen,
mer die coninc liet mi gaen.
(ic moet werden pelgrijn)'
und / 1566 Captus, ait, fueram: me rex dimiserat ire, Deheo
nani fieri jam j^ere^Wwws ego. hier hat, nachdem einmal die
Vermutung ausgesprochen war, dass die verse die b mehr hat
dem original angehören, und ihr fehlen dadurch hervorgerufen
worden ist, dass das äuge des Schreibers von einem gaen auf
das andere abirrte, was natürlich auch mehr als einmal vor-
kommen konnte, niemand an diesem Sachverhalt gezweifelt, bis
auf B.-Hettema allerdings, der sich auch durch die hs. e nicht
irre machen liel's, die würklich die beiden verse aufweist, vier-
facher reim ist nicht selten, er ist aufserdem fürs original an-
zunehmen (230 ff? s. oben 292 f). 261 ff. 267ff. 367ff. 1301 ff.
1495ff. 1731ff, 2057ff. 2747ff. 2783ff.
Es sind aber noch mehrere andere stellen zu erörtern,
wegen 2656 — 2661 verweis ich auf die besprechung weiter
unten. Muller hat Ojb. 50 v. 1428 geltend gemacht, ich halte
das zusammentreffen hier für zufall. jedesfalls hat Muller selber
schlagend nachgewiesen, dass der bearbeiter in seiner nl. vor-
läge grade so wie a las. 1735f (Ojb. 55; Tijdschr. 27, 67 f) bleiben
unsicher, das reimwort in 1736 kann nach ö and fverstoort, aber
auch nach a verstorbeert gewesen, und die laa. von b und / können
durch das schwer zu erratende verbum in 1735 oder aber durch
ein wort veranlasst sein, woraus das (mine) herte von a und /
entstellt ist. dem sinn nach würde in letzterem falle ja das
germ., im mnl. nicht nachgewiesene wort, auf dem haest beruht,
von der grundform haist oder haiß sehr gut passen, jedesfalls
brauchen thiris verhis von / und overlopende n-oort von b, die
EEINAERT 297
g-anz verschieden construiert sind, keine nähere beziehuug' zu
einander zu haben, als dass sie gleicherweise durch die ursprüng-
liche, verlorene la. hervorgerufen sind, die Ojb. <)3 hervor-
gehobene Übereinstimmung zwischen b und / an der 1974 ent-
sprechenden stelle halte ich wider für belanglos. / hat die
vorhergehenden verse verkürzt und gleicht mit einem kleinen
Zusatz aus, und b ändert an der stelle wegen gaste, wegen
möglicher trugschlüsse sei auch auf die erörterung über 3247
weiter unten verwiesen, und selbst einer anscheinend so schla-
genden Übereinstimmung gegenüber wie bei 3418 0' (s. unten)
ist alle vorsieht geboten, schlagender scheint noch das zu-
sammentreffen bei V. 1295 (Ojb. 48), welches sicher einen Zu-
sammenhang beweisen würde, wenn nicht die möglichkeit bestünde,
dass eine so interessante erzählung auch aufserhalb der uns be-
kannten litteratur verbreitet gewesen wäre, und der Wortlaut
einer bestimmten fassung hier in unsere texte hineinspielen könnte,
oder aber dass die redensart 'es ist keine schände für die
capelle mit einer glocke zu läuten' auch spricliwörtlifh be-
standen habe, von dieser redensart abgesehen zeigt b keine
nähere bezeichnung zu / als zu af.
Was bei dieser erörterung als einigermal'sen gewichtiges
Zeugnis für eine besondere beziehuug zwischen b und der lat.
Übersetzung übrig bleibt, vor allem die zuerst besprochene stelle,
scheint mir eine zu schwache unterläge, um den schluss zu
tragen, der bearbeiter war ein gebildeter mann und könnte
natürlich das lat. gedieht gekannt haben, da ihm aber zweifel-
los genügend nl. texte zu geböte standen, so wäre es merkwürdig,
wenn er daneben auch einen lat. zu rate gezogen hätte, und
wenn das doch der fall gewesen, so hätte er ihm dann nur einen
recht vereinzelten und oberflächlichen einfluss auf seine arbeit
gestattet, und das müste einen an der annähme wider irre
machen, beide texte, / und b, sind eben bearbeitungen, und es
ist nur natürlich, dass ihre Veränderungen mehr oder weniger
auch nach derselben richtung liegen können, überhaupt muss bei
allen handschriftenuntersuchungen dieser möglichkeit mehr als
es häutig geschieht rechnung getragen werden.
Weniger wag ich eigentlich die möglichkeit irgend einer
verwantschaft zwischen a und / zu bestreiten, doch muss auch
dem gegenüber hervorgehoben werden, dass bei der überaus
298 FRANCK
grolsen anzahl der abweiclienden lesarten in unserer Überlieferung
sonst engere beziehungen zwischen den beiden liss. niclit zu ent-
decken sind, dass sich die etwaige verwantscliaft also nur auf
einen noch wenig von fehlem entstellten und in der zeit weit
zurück liegenden text beziehen könnte, und die beiden hss. mit-
hin in den allermeisten fällen doch als unabhängige zeugen zu
gelten hätten, da mir auch andere gruppieiungen bei stärkeren
textlichen abweichungen nicht aufgefallen sind', so liegen also
die dinge für die textkj'itik recht günstig, zumal eine genauere
vergleichung von a f und e auch für die entscheidung bei
den zahlreichen abweichungen der sprachformen und des aus-
drucks willkommene anhaltspuncte an die band gibt, am wenigsten
natürlich für rein mundartliche dinge, bei denen jeder Schreiber,
ohne den text stärker anzutasten, seiner neigung und seinen
bedürfnissen folgen konnte, in den bei e erhaltenen versen
habe ich mir 94 mal die Übereinstimmung von ef, 58 mal ae -
und 52 mal af angemerkt, und wenn natürlich die betreffenden
lesarten auch erst genauer auf ihre echtheit oder unechtheit zu
untersuchen wären, so erhellt doch auch ohne das schon der
Vorzug von ef gegenüber von a. in dieser partie ergibt sich
mir kaum eine beziehung von b zu / gegen ae ■', eher, aber
dann auch nur recht leise, eine solche von b zu e gegen af,
während eine solche von b zu a gegen ef^, auch in lesarten die
wol auf einen jüngeren sprachcharakter weisen, nicht zu ver-
kennen sein dürfte, die fragen wären für den übrigen text
weiter zu verfolgen und entsprechend bei der kritik zu verwerten,
eine bestätigung für die oben offen gelassene möglichkeit eines
engeren Verhältnisses af ist aus den eben genannten hl af
kaum zu gewinnen-^.
' Für al s. unten über (;22ft'. 812 f. 860. 2655. das ist natürlich zu
wenig und zu unsicher, um einen schluss darauf zu bauen. - darunter
nicht der fehler 330 fihema/,elil,e (s. unten), bei dem die Übereinstimmung
gewis Zufall ist. ^ s. unten zu 860. " vgl. unten zu 211 f. 3196f.
•' beide hss. stimmen auch 3164 mit hoenre, wo e vor lioenre an den tag brachte,
dies hat Verdam Tijdschr. 9, 23Sf überzeugend als iroerhoen gedeutet, was
zu meinem grösten bedauern bei der bearbeitung der lesestücke für die
2 ausgäbe meiner Mnl. gramm. meinem gedächtnis entfallen war. ein ver-
meintlicher eigener einfall, der in würklichkeit also nur eine unbewuste
erinnerung war, brachte mich erst wider darauf, und ich l^aun jetzt eine
REINAERT 299
Auch ohne die genauere vergleichung; ergibt sich aber sclion
aus den stärkeren textabweichuugen, dass, wie es auch der Her-
ausgeber hervorhebt. / dem original wesentlich näher geblirbeii
ist als a, jedoch auch seinerseits zahlreiche fehlei- enthält (von
denen auch e nicht frei ist), die änderungen in / sind aber im
allgemeinen weniger eingreifend, sie erklären sich vielfach als
Verlesungen und Tüchtigkeiten, während die von a den text
häutig weit stärker umgestaltet haben. nicht blol's in dem
jüngeren alter von a dürfte seine geringere Originalität begiündet
sein, sondern sie düi-fte auch darauf hinweisen, dass die hand-
schrift das glied eines stärkeren abschreibebetriebs ist. / mag
einer tradition angehören, die verhältnismäfsig früh aus dem
fläm. heimatsland lieraus gelangte und seltenere abschritten ei-
zeugte. man kann, glaub ich, nicht einmal sagen, dass in a
die tiära. sprachform so sehr viel besser gewählt sei als in /,
wie man es sonst von einer fläm. haudschrift einer aufserfläm.
gegenüber erwarten könnte.
Von den zahlreichen weniger wesentlichen Verschiedenheiten
abgesehen, verteilen sich die m. a. nach richtigen lesarten auf
beide hss. folgendermalsen'.
Vv. 1 — 6 wird wol eine combination von a und / not-
wendig sein, s. auch unten s. 321 ff. — 25 f nach a (und b).
— 32 nach a fund b). — 33 in a, 34 in /nach a (und b). —
37 f. kaum zu entscheiden. — 39 vielleicht nach /; vgl. b 41 ff.
— 55 — 57 nach f (und b; vgl. auch / 33 venu ad luccm invite.)
— 97 nach f. — Idö — 108 nach/. — 124 omheret nach/
längere begriindeude auiuerkung, die an dieser stelle stehn sollte, streichen,
übrigens wäre auch eine andere form statt irm'r denkbar, das ononiato-
poietisch ist oder doch so aufgefasst werden konnte.
' Ich geh nicht auf alle stellen ein, die schon früher, auch ohne
rücksicht auf / ni. a. nach richtig behandelt worden sind, noch weniger
werd ich die begründungen widerholen, die jetzt also vielfach durch f
eine weitere bestätigung erfahren. die litteratur in der die einzelnen
stellen früher behandelt sind, führe ich im allgemeinen nicht besonders
an. es kommen neben den verschiedenen ausgaben in betracht .IWMuller
De oudere en de jongere bewerking van den Reinaert; Tijdschrift voor
nederl. taal-en letterkunde 1,1 — 29 (Verdam); 5, 245 — 2(i4 (van Heltcn) ;
9, 236—243 (Verdam); 12, 1—24 (Buitenrust-Hettema); 19, 137—149
(Verdam); 27, 50 — 98 (Leon. Willems); JWMuller in Verslagen en nicdedpc-
lingen d. Kon. Vlaam.sche academie 190S, s. 109 — 188.
300 FRANCK
120 (und ö 132; / 66 desinat iude queri). übrigens könnte
auch die starke form omboren ursprünglich gestanden haben. —
135 ist die la. der hss. afb saghe {a verlesen Jacjlie) beizu-
behalten. — 163f nach/ 159f (und b I71f). — 175 nach
a noch, nach / 171 in (oder bin nach aV) derre; b 1S3. —
186—192 nach / 182—184 (und b 194—196); es ligt hier
eine starke Umarbeitung in a vor. — 198, / 190 und ähnlich
wie letzteres b 202, scheint mir nicht sicher zu entscheiden,
auch nicht nach / 97. — 203 f. die beiden verse fehlen in /
(nach 194), und man wird wol zunächst geneigt sein, das für
ein blolses versehen der handschrift zu halten, aber auch weder
in b noch in / findet sich etwas entsprechendes; im gegenteil
könnte man grade 211 von b als veranlasst ansehen durch
Reinaerts worte in hebbe daer an niet gheloghen, wenn diese
nicht durch Isengrijns frage hervorgerufen waren, ich glaube
also, dass wir von den beiden versen für den alten text absehen
müssen, wenn man sie auch ungern missen sollte, da der lebhafte
einwurf die lange rede Grimberts in nicht unwillkommener
weise unterbricht. — 2 1 1 f wird schwerlich zu entscheiden sein,
die Übereinstimmung von ab scheint auf uplaset zu führen, die
von a f und / (102 niminin satiiratus eras) im folgenden vers
auf versadet. aber die assonanz laset : versadet bleibt für das
alte gedieht wenig wahrscheinlich, und die conjectur äset oder
gheaset oder veraset (Tijdschr. 2, 206 ff) nach b wird sonst durch
die Überlieferung nicht gestützt, mechanisch am sichersten wäre
somit als ursprünglich nach / anzusetzen
ende ghi die goede {oder vette) pladise (up?) aet,
daer ghi u selven mede {oder ane) versaet {oder an hadt versaet?).
auf uplaset müsten a und b nach dem Zusammenhang selbständig
gekommen sein oder b es bereits in der vorläge gefunden haben,
vielleicht ist aber doch uplaset : veraset die echte lesart und a
und / kamen unabhängig voneinander auf versadet {l auf satu-
rafus). — 219 butseel nach/ 2U9 (und b 223). — 234 nach/
222 (und b 240; /Hl est mirandum). — 237 nach a (und b
243) gegen /'225; auch / 114 betont die beiderseitige liebe:
fervenfes . . . dedere fidem. — 242 ende of nach / 230 (und b
246; / 115 si). — 243 nach / 231 (und b 247). — 245 nach
a (und b 249; auch / 115 quod inde?}. — 258 nach / 246
(und b 270). — 273 stimmt / 261 mit b, indem beide hier
ßEINAERT 301
Reinaerts gewöhnliche bürg- Malpertuus nennen, sie könnten
dazu gekommen sein, weil sie vielleicht in dem namen Malcrois
Schwierigkeiten fanden, und sachlich eigentlich kein grund vor-
liegt, hier an eine andere als Reinaerts gewöhnliche wohnuiig
zu denken, bei diesem Sachverhalt muss man allerdings fragen,
wie kam der dichter dazu, hier nacli einem namen aus einer ganz
anderen branche zu greifen (Martin s. xvii)? rührt Malcrois
doch von einem Schreiber her? — 284 eher nach /272; b 'M2
dem sinne nach vom letzteren abweichend nederwaert ten dale)),
aber / 131 de valle. nedenvaerf war also vermutlich für •unten',
ohne den begriff der richtung gebraucht (vgl. Mnl. woordenb.
IV, 2291), wurde aber misverstanden. — 33S nach / 326 (und
b 366). — 351f nach/339f (und b 389f). — 358 nach/
346 (und b 386). — 364 nach a (und b 392) gegen/ 352,
aber vielleicht mit coyiincrike nacli / (und b). — 367 — 371
nach a (und b 395 — 399) gegen / 355—359. die beiden
letzten verse sind wol, z. teil nach / (und b), etwa zu lesen
ende hadde ghedaen sware
pinen {oder carinen?) vor die sonden sine {oder pine im reim?)
die Übereinstimmung von / das mit den reimen in Unordnung
geraten war, und b in penitencien kann zufällig sein. — 378
bestätigt / 336 die an sich zweifellose conjeetur. — 405 — 408
nach a (und b 433 f) gegen / 394. der anlass für die ein-
greifende änderung von / bestand vielleicht blos darin, dass es
versehentlich statt heivarhten no hescaermen geschrieben hatte
hescermen no beivachten. — 425 nach/ 411 (und b 453). —
451—455 nach/ 437— 441
doe leidemen Coppen in dat {oder een) gracht,
dat met sinne {oder engiene) was gewracht {eher als graf : glie-
onder die {oder een) linde in dat gras. [maect was)
een maerbersteen siecht alse glas
was die saerc die up haer {oder daer up) lach.
466 nach / {onthoot?) (und b 496). — 470 bestätigt /456 van
Heltens conjeetur. — 502 nach/ 488 (und b 528; l 215 per
opaca). — 508 nach / 494 (und ö 532; / 219 vicinus). —
530 nach / 516 (und b 554); vgl. auch / 226 ff. — über die
Stellung 557 f =/ 543 f wird sich schwerlich entscheiden lassen.
niewer von a (und b 614, / 238 novis cihis) neben vremder von /
(Rom. de Ren. 504 mervellos) ist wol ursprünglich. — 562 nach
Z. F. D. A. LH. N. F. XL. 20
302 FEANCK
/ 548 (und & 617; / 211). — 575 nach / 561 (und b 629;
vg-1. Rom. de Ren. 537 f 'nomine dame Crisfmn file' dit li ors
'por le cors sainf Gile'). — 608 nach / 594 (und h 660). —
6 1 5 nach a gegen / 60 1 , das helet mare beseitigt hat. wie 1072 (aber
nicht 3243) helet vri. dagegen ist im folgenden vers/zu folgen, das
mit b 607 und / 261 tibi tarn promptum foret omne, Brune, honum
stimmt, die la. von a wäre überhaupt dem sinne nach ganz falsch,
wenn wir nicht honich aus Reinaerts gesinnung heraus als bild-
lichen, ironischen ausdruck auffassen wollen. — 622 bleibt mir
einigermafsen zweifelhaft; / 264 ridet, vix quoque cessat ah hoc
stimmt eher mit a, dagegen & 671 eher mit ^ 608. die la.
des letzteren erinnert einigermafsen an eine spätere stelle, 2570,
— 624 nach a (und b 673) gegen / 610; vgl. / 265 si vim
tenet ars mea. — 650 nach / 636 (und b 702). — 658 f nach
/ 643f (und ö 709f). ob im folgenden vers das sacket von
/"richtig ist? vielleicht i-oeket? — 682 nach a, dessen smeken
in b 734 erhalten ist, gegen / 668. — 704 nach / 690 (und
/ 295 Gaude, manduca, my Brune). — 752 =/738 ist auch
nach b 804 nicht sicher zu entscheiden, besser gefällt mir
eigentlich die lesart von f, bei der hem bedenken entweder im
sinne von 'zu mute sein' oder auch 'verdruss, reue empfinden'
(Mnl, woordenb. bedenken iv 4 und iv B) oder von 'überlegen',
mit bezug auf die unentschlossenheit des baren, zu verstehn
wäre. — 766. die conjectur staf für stap in a wird durch staf
in y 752 noch nicht erwiesen, zumal ich die Verbindung te hären
staf nicht versteh, sie könnte fast vermuten lassen, dass irgend
ein verkanntes compositium von stap in der stelle stecke, so
würde sich auch begreifen, dass b 788 nichts entsprechendes
hat, während man die angäbe, wenn staf gestanden hätte, oder
auch, was ich bezw'eifle, stap 'krückstock' bedeuten könnte, in b
und / wol widerzufinden, erwarten könnte, vgl. Tijdschr. v. nl.
taal-en letterk. 17,277. — 777 nach / 763. — 786 recht-
fertigt f 112 die auf / 334 contum cornutum gegründete con-
jectur. — 805 — 816 muss das ursprüngliche, soweit es über-
haupt möglich ist, aus a und besonders aus f zusammengesucht
werden, ich geh von 812f aus, wo durch die Übereinstimmung
von f 19bf ghedichte gaen in sinen hals, entie coster als ende
als und b 84 If dicke gaen omtrent sinen hals, die coster
maecte hem coc seer mals f gegenüber a als ursprünglich er-
RETNAERT 303
■wiesen wird, daraus eigibt sich notwendig aber auch, dass zu-
gl(i(;li die vorangehnden und folgenden verse nach f zu ge-
stalten sind, wo gleichfalls grol'senteils wider die Übereinstimmung
von b hinzutritt, anderseits wird SOr)f von / 3M0 wörtlich be-
stätigt, wähi'end entsprechendes allerdings in b ebenso wie in
/ fehlt, am schwierigsten scheint 815, wo f das was a von
Lamfreit sagt einem andern angreifer. Otram, zuschn-ibt auch
h nennt an der stelle Lanüreit, sagt aber von ihm. was in a
an einer etwas frühern stelle, 796 ff, von einem anderen gesagt
war und teilt dann das von Otram erzählte einem brudei- Lam-
freits zu. auch / abei' nennt an der stelle, v. 336, Tjanfrciilus,
schreibt jedoch in unmittelbarem anschluss daran den angriff
mit dem bell einem Hatto zu. es ist also eine gewisse Über-
einstimmung zwischen a, / und b gegen f vorhanden, die sich
aber kaum weiter erstreckt, als darauf dass Lamfreit genannt
wird, sollte es nicht denkbar sein, dass alle drei von selbst
darauf verfallen wären, der hauptperson eine rolle beim angriff
zu geben, wobei a ihm einfach die einer anderen person über-
tragen hätte V grade ihm den beilliieb zuzuschreiben lag nach
G9üff und 734 f nah genug, wenn Lamfreit ursprünglich genannt
war, wird es sich nicht mehr feststellen lassen, was der dichter
von ihm gesagt hatte, ich erinnere noch einmal daran, wie
unsere erörterung auch früher schon, oben 293 f, ergeben
hat, dass diese stelle zu änderungen reizte, abgesehen nun von
der möglichen erwähnung Lamfreits könnte etwa der folgende
Wortlaut ursprünglich gewesen sein:
805 Ander w'ijf ende ander man,
meer dan ic ghenoemen can,
daden Brunen groot torment.
Brune sat ende sach omtrent
ende nam dat men hem gaf.
810 die pape liet den cruusstaf
ghedichte gaen in sinen hals,
entie coster als ende als
ghinkene nopen metter vane,
ende Otram warp hem sere ter bane,
815 diene sloech ter selver wile
met ere harde scaerper bile
so tusschen hals ende hovet etc.
20*
304 FRANCK
das so dat hem dhloet mit lac in a. von dem schon vorher
blutüberströmten baren gesagt, scheint auch etwas niülsig,
während man anderseits den wol der natur abgelauschten zug
in f Bntne sat ende such onitrent nicht gerne missen möchte,
man sieht freilich nicht, was für a der anlass zur Umgestaltung
gewesen sein könnte, oder blofs die verschreibung onghemac für
toDiient:' — 860 wol wider nach/ 844 (und b 898). zwar
verflucht in / 362 f wie in a der bär auch den Lamfreit; aber
die Übereinstimmung zwischen b und / wäre sonst schwer ver-
ständlich. / nennt neben Lamfreit ausdrücklich auch noch ver-
schiedene andere von der gesellschaft und könnte wol auch von
der lesart fb aus selbständig zu seiner darstellung gekommen
sein, während a möglicherweise blofs auf einem lesfehler beruht.
— Sl'6 =f Sbl ist unsicher, von a aus ist vielleicht das
enen in b 906 eher zu verstehn. — 9U2=/S86. die con-
jectur JWMullers Vv'ird durch / schön bestätigt, nur bleibt auch
rerslejjhen erhalten, nicht aber kann auch int oever von /richtig
sein, jedoch ist es auch fraglich, ob dies nun einfach nach a
durch thims zu ersetzen wäre, es hat wol ursprünglich etwas
anderes dagestanden, vielleicht ende tsinen hehoeve hadde gevleghen.
— 914 f nach / 898 f (und / 385). — 934 nach / 918 (und b
953, / 392 et vulnera multa g er entern). — 938 — 940 nach /
922—924 (und b 958—960). — 944 nach a (und b 97u)
gegen f 628. — 945 f ist wol nach a bei pri[h)ore : ore zu
bleiben gegen / 629 f. zwar hat auch b 972 oren, aber / 397
spricht von leva aure. für den nom. sing, jjriore wünschte man
allerdings noch eine bessere bestätigung als im Mnl. woorden-
boek. — 954 nach / 938 (und b 98ü), aber wol mit anderer
interpunction als bei Degering und mit hine für M. l 403 sed
aurdu preterit aure prohra gibt keine genügende handhabe. —
959 f. sowol / 944 wie b 985 haben hier ant ander lant, ent-
sprechend / 405 ad ripant nlterioris a^/ue. der begriff 'ans
andere ufer' muss also ursprünglich da gestanden haben, doch
auch der begriff des in b und / auffälliger weise fehlenden ende
ghinc ligghen up dat sunt muss nach der Übereinstimmung af
als ursprünglich angesehen werden, dass aber diesmal die vier
verse auf -ant von / als richtig anzusehen seien, scheint mir
ausgeschlossen, sie sehen in ihrer mangelhaften fügung und mit
dem wenig sagenden daer hijt alre naest vant f 946 zu sehr
REINAERT 305
darnach aus, als ob der Schreiber sich ans einer Verlegenheit
herausgeholfen habe; vgl. s. 291. man könnte nun denken, es
habe ursprünglich wie in a gelautet, nur mit xjjf (oder aut)
ander saut in 960. daraus künnte bei verschiedenen Schreibern
unabhängig voneinander ander laut entstanden sein. / hätte
aber auch dat sant nicht missen wollen und umgearbeitet, in-
dessen habe ich bedenken bei dat ander sant für 'das andere
ufer". das wort sant für 'ufer' ist noch häufig genug belegt,
aber wol nicht die Verbindung mit ander, vielleicht lautete 959
ursprünglich metten ströme driven ant ander lant, und das ist
aus versehen, oder um den längeren vers (mit zweisilbigem auf-
tact) zu kürzen umgeändert worden, wobei a und f zufällig
beide auf te hant (vgl. te Jiant : serjnnt 983 f) gekommen sein
können, das fi;elox in / 404 entspricht keineswegs dem te hant,
sondern ist durch sloech 955 hervorgerufen, a hätte sich bei
der änderung te hant begnügt, während f beizuarbeiten suchte.
— 969 f =f 954 f lässt sich wol wider nicht sicher entscheiden.
es ist möglich dass die ungenaue consecutio in a (s. Martins
anm.) nicht ursprünglich ist, aber auch dass / die genaue her-
stellen wollte, a hat die gewöhnlichere Wortstellung hoe hi die
vaert hestaet.
1023. da auch f mit der bisherigen Überlieferung ein-
stimmt, ist natürlich von einer weitergehnden conjectur abzu-
sehen, die schände für die sippe besteht darin, dass die dritte
ladung zur endgiltigen aburteilung des eines ehrenrührigen Ver-
brechens bezichtigten und, bei seinem nichterscheinen, zur fried-
loserklärung und Verurteilung in abwesenheit führt. I33S ver-
langt dann allerdings Grimbert die dritte ladung als Reinaerts
recht, in der tat ist sie ja das recht des bezichtigten, abei-
ihr Charakter als einer Verurteilung nahe stehend wird darum
nicht geschwächt, zudem muss Grimbert jenes recht betonen
gegenüber dem meneghen raet der durchweg feindlich gesinnten
mannen, die auch schon ohne die gerichtliche Untersuchung
Eeinaerts handlungsweise als overdaet oder als mordaef if)
stempeln, ter redenen bringhen 1331 kann wol schon wie unser
'zur Verantwortung bringen' denn sinn von *zur strafe bringen'
haben, obwol man nun auch den ausdruck mit der cardinalzahl,
den a 1023 und ebenso 1007. 133S hat, im selben sinne wie
den mit der Ordinalzahl verstehn kann, so ist doch die hs. a
306 FRANCK
nicht so zuverlässig-, dass man nicht die viel deutlichere ordinale
ausdrucksvveise, die die übrigen texte an allen drei stellen auf-
weisen, vorziehen dürfte. — 1060 nach ^ 1052 (und b 1094; /
459 ante })ortam). — 1072./" 105S stimmt mit b 1096 darin
dass es statt des helet vri von (t das pronomen {sid)i, gki im
reim hat. dagegen könnte das tu inichi dilectiis (neben ccdx)
von / 466 wol durch das helet vrl veranlasst sein, neve von a,
b und /, anderseits sere (recht) von f und b (Rom. de Renart
780 bien soiez venus hautement) dürften als ursprünglich anzu-
seheji sein, neve wäre aber in f nicht so leicht unterzubringen,
nur, mit zweisilbigem auftact, vor oder hinter Tibeert. f scheint
darum geändert zu haben, und so hat doch wol helet vri die
Wahrscheinlichkeit für sich echt zu sein, wie v. 3243 und wie
hdet niare 615 und vielleicht 34 69; s. unten s. 337. —
1075—1083 nach/ 1061 — 1071 (und b 1099—1108, / 467 —
471). in einzelnen ausdrücken mag a echter sein, so 1083
(jcuvi statt aulwi f 1070, wenn nicht etwa dort im folgenden
vers cjaen einzuschieben ist. dass in der sprichwörtlichen redens-
art 1079f Une als 'zeile' oder metonymisch 'vers. gedieht' zu ver-
stehn ist (vgl. Mnl. woordenb. iv, 654 und 656) erhellt jetzt
aus f\ vgl. auch noch Troyen 1010 eert S2)eel ten einäe wort
ghelesen. — 1092 ist al sonder luaen gegen f 1080 (und b
1116; auch / 480 ibo) nicht unverdächtig, doch ist dat sal ic
durch die Übereinstimmung von af gesichert^ und dazu gehört
dann notwendig auch viet u. wenn wir combinieren, so kämen
wir auf ein zeugma, etwa dat sal ic met u (so) sal ic gaen,
was nicht wahrscheinlich ist. vielleicht ist die echte lesart
beiderseits verloren gegangen. — 1110 nach/ 1098 (und b
1134). man kann hier an sich die lesart von a vorziehen, aber
auch / 483 hat nichts dem sorghic entsprechendes. — 1154
wird man U2) die ghelede erklären 'auf ein geleite unter dieser
bediugung', und das ist eigentlich verständlicher als ojj u ghe-
leide von f 1 142 und b 1178. doch auch dies kann verstanden
werden 'auf das geleite das du mir jetzt anbietest'; 1151 ic
lede u. — 1162 nach a (und / l^M paries terreiis; vgl. b 1186
steenre mure) gegen f 1152. — 1165 nachtes nach/ 1155 (uiid
b 1189; / 498 preterita nocte). — 1184 nach/ 1174 (und b
1208). — 1187 dem sinne nach nach a; doch ist wol 'vel nicht
das ursprüngliche wort, sondern eins, aus dem das merkwürdige
REINAERT 307
{o))se) heiach von f Uli verlesen sein kann ; b 1211 mit hViacap. —
1 IIU ist die echte lesart sehr zweifelhaft, hesteken ist in der
verlangten bedeutung- (/ atiemptare) nicht so recht bezeugt, he-
stoken ist etwas stark, ans bestoetse b = hestoedese würde sich
die Überlieferung auch gut erklären; / 1181 hat bestaese. —
1192 nach / 1182, ohne so, wie b 121G; vgl. / 509 aiidax esse
soles. — 1201 nach a (und b 1225) gegen/ 1191. — 1213ff.
die beiden ersten verse nach a (und b 1235f) gegeu / 12011
auch Jwvesch von a im folgenden vers ist riclitig; dagegen 1216
wider nach / (und b). — 1224 =/ 1212. mit letzterem stimmt
b 1247 insofern als hole darauf weist, dass in lach auch ein
verbum für eine schmerzensäulserung zu stecken scheint, und beide
dann zwei solcher verba nebst einem adverbium haben, trotzdem
ist mir die Sache hier zweifelhaft, die Schilderung des Originals
war hier wider einmal nicht ganz anstandslos, die erzählung von
1202 — 1205 wird mit 1224 nicht grade geschickt wider auf-
genommen, was für / auch der anlass gewesen sein mag, das
Zwischenstück zu übergehn. da wäre nun grade das veran-
schaulichende stont ende in er, das wir mit 'er stand noch immer
da und' widergeben dürfen, und wovon auch stat catus l 518
trotzdem es eigentlich an anderer stelle steht, ein nachklang
sein könnte (wie auch <lie niet enkan ontghaen von b?), be-
sonders passend, es scheint mir nicht unmöglich, dass / und b
zufällig zu der Übereinstimmung, soweit eine solche vorhanden
ist, gelangt sind. / kann auf stau durch Verlesung gekommen
sein und sein iamerlike aus (a) 1205 haben, und 0 muste
zur versfüllung einen zusatz machen, clamorem miserum pro-
tulit / 519 ist Übersetzung von a 1204f, nicht etwa von/ 1212
{a 1224). — 123S wahrscheinlich nach/ 1226 oder genauer nach
b 1262 mit upvaren: / 523 transvolat. — nach 1263 sind die
beiden verse / 1253f einzusetzen (nach b 12S4 — 1286 und/
531 f dentibiis, ungue fero Extrahit hie unum de testibiis). — 1365
nach/ 1355 (und Ö 1385). — 1416— 1419 nach/ 1406 — 1409
(und b 1460 — 1463; / 61 6f Sique bonum facis natis, si venero
sospes, Grates condignas reddere promptiis ero). ■ — 1433 f nach
/ 1423—1426 (und b 1477— 14S0, / 624f Jamque mori vereor,
contricio magna movet me De culpe fadis preteritisque malis).
— 1477—1480 nach / 1469—1472 (und b 1519-1522; /
646 f Ac Isengrinum plus quam tibi dicere possum Decepi tociens,
308 FRANCK
nee SUMS exsto nepos). — 1545f ist es unsicher, ob die reime
nicht nach / 1537 f hoodi und l-Jooc/i gewesen sind. — doch scheint
b 1584 das reimwort hooch aus seiner vorlag-e (= a) beibe-
halten zu haben, und dann dürfte a recht behalten. — 1591 wahr-
scheinlich nach / 1583 bersen und wol auch ende (ghinghene
nach a); l 733 Hortanturque canes, hunc ayitare Student. —
1610 nach/ 1G02 (und b 1624; l 683 ter quater). — 1633
nach/ 1625 hortene. — 1678 eher nach/ 1670 (und b 1704,
/ 762 tit pscdmos legat). doch liat l im folgenden vers auch
vigilet, also anscheinend dem u-akene a 1678 entsprechend, es
könnte sich wol ohne anlass in der vorläge neben jejunet ein-
gestellt haben — b hat nichts entsprechendes, ebensowenig wie
/ — . würde man es in a 1679 unterbringen wollen — etwa
te wakene, vastene ende te vierne — , so gienge die jetzt vor-
handene genaue Übereinstimmung von a 1679 und/ 1671 ver-
loren. — 1683 eher nach a gegen f 1675; vgl. l 764 f am-
modo vivat Contentus propriis. — 1686 wird die conjectur durch
/ 1678 bestätigt. — 1707 nach a (und b 1727) gegen/ 1699;
vgl. auch 1733. — 1730 nach a (und b 1750) gegen/ 1722.
— 1732f hat / hinter 1723 vergessen, das kam wol wider
durch die vier gleichen reime. — 1746 — 1748 nach/ 1736 —
1738 (und b 1766 — 176S); im letzteren verse jedoch mehr nach
a (und b) Jioe sere (oder so sere'^ vgl. 3208) bevede B.; auch
? 798 ff lässt Eeinaert hier nicht sprechen. — 1770 nach a
(und b 1790) gegen / 1760. möglicherweise könnte aus b
groot (ere) zu behalten sein; doch spricht l 809 Semper honor
tibi Sit nicht dafür. — 177 7 ist es wahrscheinlich, dass nochtan
von a und wanic von / 1767 an stelle eines anderen wortes
getreten sind; s. Ojb. 56. wenn es nicht dem fremde von l und
mit logen von b dem sinne nach entsprach, könnte man an
mocJdsi denken. — 1785 enthält vielleicht/ 1775 /«o«yV;//.sca/Ä:ers'
das ursprüngliche; l 823 hat falsus adiilator, und/ 1805 scheint
ein unbequemes wort entfernt zu haben. — 1786 steht/ 17 76
gleichfalls der echten lesart näher. — 1788 nach/ 17 78 (und
b 1808, l 823 habetque locum). auch der reim spricht hier mit;
s. Muller Tijdschr. 7, 29 ff. da auch loghe : lioglie 2659 sich
jetzt als unursprünglich ergibt, so hat Rein, in der tat keinen
einzigen reim von gedehntem zu langem o ausser vor r. —
1789f nach a (und b 1809 f). auch l 821 Qui bene noverunt
REINAERT 309
ledere fremde bonos dürfte für Cl und gegen ^ 1779f sprechen,
vgl. auch Rom. de Ren. 1231 eil qui sont serf par nature. —
ISOO— 1802 steht jedesfalls wider / 1790— 1792 dem echten
näher nach b 1820f und ? 831f Quod tibi gratus eram, quod
servieras tibi reddam Grates condignas. auch mit seinem Wort-
laut könnte / das richtige erhalten haben; es wäre zu inter-
pungieren danc hebt ! ghi hebbes icel verdient, nach l könnte
man wo! glauben, dass in dat wort u nu te rechte ghegouden
etwas ursprüngliches stecke; doch kann das tibi reddam grates
condignas auch schon durch dank hebt! ghi hebbes wel verdient
hervorgerufen sein, auch 1803 hat f das richtige vrede. —
nach 1820 sind die vier verse von f 1809 — 1812 einzusetzen
nach b 1841 — 1844, l 846 ff «S'i rapuit Brunus Lanfreidi rneUa,
quid ad me? Si Lanfreidus dedecus intulerif, Ex hoc vindictam
potuit sumpsisse p)riusquam Fugerat in fluvium, si foret ille
Valens und Rom. de Ren. 1244 ff se Bruns menja li miel Lan-
froi, et li vileins le ledenja, et ü por quoi ne s'en venja? ja
a il tex meins et tex pies, ci granz musteax et si grant giez. —
lS34f nach a (und b 1858 f); l 860f Justa licet fuerit mea
causa nimisve nocens sim, Sive gravare velis sive levare, potes.
doch steht die echte lesart {hoe goet of quaet'^) nicht fest; s. Ojb.
58 f. — 1840 wird die conjectur starc durch/ 1830 bestätigt.
— 1846 nach ii sine hie oder nach b 1870 sine ooie (l 866
uxor) gegen/ 1838. — auch für 1850 ff ist nach / 1842 ff
einiges zu ändern und zu ergänzen; vor allem darf Cuwaert
nicht fehlen, der auch in b , l und Rom. de Ren. genannt ist.
das ursprüngliche wird sich indes in vollem umfang nicht ge-
winnen lassen. — nach 1868 ist in a lS65f von /oder die
diesen entsprechenden ursprünglichen verse ausgelassen, auch
nach l 8S2f Si velleni cuncfas ex ordine pandere causas Hinc
illinc und b 1901 ff sowie offenbar aus der construction von a
1869 selbst geht der Sachverhalt hervor. — 1900 wird jetzt
durch/ 1898 vollkommen bestätigt, und der Übereinstimmung
von a, f und l 894 [rex] loquitnr Brunoque lupoqne catoqne
gegenüber ist die auffassung von b, welches die dem könig zu-
geschriebenen Worte vielmehr Tibert in den mund legt, in keiner
weise aufrecht zu erhalten. 1897 hier mach in lopen ander
raet bedeutet nicht 'hier könnte eine andere fmir gefährliche)
Überlegung sich einstellen", wie ? 897 es aufgefasst hat: hinc
310 FRANCK
posset forte venire malum. sondern 'hier dürfte (von meiner seite)
(vorteilhaft) eine andere überlegunj^ einfliefsen', (vgl. DWB iii
222 einlaufen 4 'mit einlaufen, mit unterlaufen'), wie b 192S
es versteht: doe (locht lii mit vroeden gronde, ^hier toe hoorde
wel ander raef, und in dieser voraussieht hält es auch der könig
für wünschenswert, dafür zu sorgen, dass zunächst Eeinaerts
hauptfeinde vom Schauplatz entfernt werden, um vielleicht ge-
legenheit für diesen 'anderen rat' zu gewinnen, gerade so wie
Reinaert ihre entfernung absichtlich betreibt, in v. 1 !»02 ist
aber a gegen die anderen texte unursprünglich. — 1 94 1 f nach
/ 1935 f. auch aus l 925 f und b 197Gf ergibt sich, dass a
1941 eine ganz willkürliche, vielleicht durch den verlust eines
Verses in der vorläge veranlasste Änderung ist. — 1957 f nach
a gegen/ l'J5If, das sich verschrieben hatte und willkürlich
einen neuen reim macht. — 1964 wird die auf l 9:^S quos non
Reynardiis ainavit und v. 1999 gegründete conjectur r/te i?. sere
hadde leet durch / 1958 bestätigt, das allerdings wider ver-
schrieben hat die Jx. hadden harde leit. — 1987 ist vielleicht
der satz nicht so eng mit dem vorangehenden zu verbinden und
ende mit/ 1981 wegzulassen; vgl. b 1995. —
Bei 2005 gibt/ 1998 Enne dar ?rel steruen enetvarf leider
ein neues kleines rätsei auf. ist eH«e nur verschrieben für e?i Je i'^
an die von dem Glossar. Bernense überlieferte fragepartikel ene
'numquid' (vgl. daselbst ie)ie und Inleid, xxvii) zu denken lässt
die fügung bei der sonstigen Übereinstimmung von /mit a nicht
zu. jedesfalls steht a, wenn es nicht ganz das echte ist, ihm
nahe, w-egen der bedeutung der stelle vgl. anmerk. zu i Mart.
948. — 2007 wird durch/ 2000 die conjectur sor^/jt'?i bestätigt.
— 2057 f ist nach/ 2042 (und l 981 innocuus) jedesfalls
onsculdeghen einzusetzen; vgl. auch b 2 084 enen anderen, dies
■ niet enbestaet. doch könnte nach b 2085 na desen tiden auch
namaels von a oder ein synonymes wort ursprünglich sein, das
in 2058 räum fände. — 2084 nach / 2069 (und b 2114). —
2093 nach / 2077 (und & 2123; Z 998 lupum invenio). s. oben
s. 287. — 2096 nach a (und l 999 patrmmi se tulit esse nieum)
gegen / 2081; auch ^2125f ist gewis Isengrim als subject zu
verstehn. möglicherweise hiess es auch im alten text tatsächlich,
mit ungenauer construction, Ende rekende, woraus sich das mis-
verständnis von / erklären würde. — gegen 2105 stimmen b
REINAERT 311
2135 und f 2U89 bis auf ao f. also b mit der zweifellos echten
lesung- überein. — 2148 hat jedesfalls a mehr gewähr als /
2132; vgl. l 1026 quod amkis dedecus esf>et. b hat nichts
entsprechendes, so dass es immerhin nicht ganz sichor ist, ob a
die ganz echte lesart bewahrt. — 2l53f nach / 2137 f (und b
2l74f; vgl. l 1028 ff). — 2168 steckt vielleicht in hief noch etwas
ursprüngliches gegen / 2152, aber das verbum (prät.) ist schwer-
lich richtig. — 21S2f jedesfalls weniger ursprünglich als/
2166f (und b 2202 f). vielleicht blofs inach lichte mi g/ievielc
in die helle daerom te sine, dagegen 2184 nach Cl (und b). —
2234 nach / 2200 kern einzufügen, das man aber wol besser
auf viande als auf den vater und Grimbert bezieht. — 2273 f
nach a (und b 2297 f; l 1089 regia sceptra geret). dagegen
könnte nach/ (/er er. /er/Aen stiinen ursprünglicher sein als dat weder
aegghen von a 2275. — 2279 stimmen a und b im präsens
ivetic, während/ 2245 >r ist i c Imt; l 1094 Omnia prenovi. wenn
aus ab auf die ursprünglichkeit von wetic zu schliei'sen ist, so
scheint mir ein merkwürdiges beispiel des präs. hist. vorzuliegen,
auch 2331 und 2336, wo das präsens für uns eher begreiflich
ist, hat a beidemal kenne, b 2357 ken, aber 2362 kende, f
2297 und 2302 kende, l 1118 und 1120 cognovi. — 2282
dürfte, trotz b 2306, in hoghen von/ 2248 (Jetum l 1095)
eher ursprünglich sein als dronken von a. — 2283 — 2285 nach
/ 2249— 2251 (und ö 2308). — 2287 wol nach «gegen/
2253. — 2300 würde die verbesserte lesart von/ 2266 ic ghe-
peinsde hoedane ndjs zu l 1106 Ranarnnique viemor stimmen,
während die abweichende lesart von a allerdings auf einen ähn-
lichen sinn wie 62328 hinausläuft, aber es könnte zufall sein,
dass die beiden letzteren auf das adj. icijs gekommen wären. —
2302f nach/ 2268 f (und b 2330f). — 2318 würde die lesart
nach / 2284 het u-are te spade gegen a und b 2344 liet iras
te spade die auffällige construction des wörtlich wiederholten het
was te spade beseitigen, aber die erklärung 'sie beklagten sich,
es wäre jetzt zu spät', nämlich 'sie könnten sich jetzt nicht mehr
an einen könig gewöhnen' kommt mir wenig wahrscheinlich vor.
— 2333f. die stelhmg nach / 2299 f (und b 2359f). — 2343
stimmt Jetzt / 230*J mit pensde zu a, während b 2369 pijnde
hat und auch l 1123 nur lahoro nimis. pensde ist wol beizu-
behalten; auch /hat an der 2300 entsprechenden stelle (s. vorher)
3 l 2 FRANCK
ghepijmle für ghepeinsde. allerdings war anderseits 10 verse
vor 2343 peinsde vorausgegangen. — 2345 f nach y 2311 f (und
b 2371 f). — 2359 nach a (und b 23S5) gegen/ 2323; im
folgenden vers vielleicht hevimlen statt vinden, was allerdings
gegen / wäre. — für 2369 — 237 2 hat / nur die beiden verse
2333 f, wörtlich gleich den beiden letzten von a, b gleichfalls
nur zwei verse 2393 f, wörtlich gleich den beiden ersten
von a. das sieht so aus, als ob von der tautologischen aus-
drucksweise von a die beiden Schreiber sich in weiser be-
schränkung je eine hälfte ausgesucht hätten, ich glaube aber
doch, dass die sache in würklichkeit anders liegt, dass f das ur-
sprüngliche enthält — auch l 1132 hat nnr sum ciistos — , dass
a zu der häufung kam entweder in absichtlicher Übertreibung,
oder weil es versehentlich waest bi nachte waest hi daghe ge-
schrieben hatte, dazu einen neuen reim schuf, aber auch das
ursprüngliche nicht missen wollte, dass a und b beide auf das
reimwort laghe gerieten, ist nicht auffällig, da dies wort auch
im original (= a 2370) stand, wachte mag b beseitigt haben,
weil es unmittelbar vorher und nachher das verbum icachten
gebrauchte. — 2373 f ist das ursprüngliche schwerlich mit Sicher-
heit widerzufinden. diurnare ist für unseren text nicht wahr-
scheinlich, noch weniger daernaren, und daerna von f 2335
durch den reim ausgeschlossen, was die satzfügung betrifft, so
müsten wir, wenn sonst nichts dagegen spricht, f den vorzug
geben und die ganze stelle etwa gestalten
tenen stouden dat ic (mi?)
(mi?) hadde bedect {oder decte) met groenen [oder groten) varen
ende lach ghestrect neven deerde, \ioder sing, vaerne?)
ende van den scatte dien ic begheerde
gherne iewet hadde vernomeu,
doe sach ic
l 1134 hat Äst intra philicem cum quondam, mane, iacerem
Fronus humi tectus meque latere volens. der letztere ausdruck
legt nun für das reimwort der ersten zeile das verbum daren{en)
'verborgen sein' oder 'sich verbergen' sehr nahe: dat ic (mi?) te
darene {:varene), oder dat icomme (oder dor) darev{en) (:varen{en)).
das verbum ist meines wissens bis jetzt nicht belegt (Kluge hat
in der ö und 7 aufläge neben mengl. auch mnl. daren: woher Vj,
I
REINAERT 313
da aber noch das adverb danienlike nachgewiesen ist (Tijdschr.
voor nl. taal- en letterk. 17, 274), kann es wol noch bestanden
haben. — 23S3— 2385 nach / 2345—2347 (und b 2405 —
2407). — 2394 nach / 2356 (und b 2416; l 1145 sujnaque
pedum). — 2404f nach/ 2364f (und b 2426f; l 1149 et
invenio, jam hene nosco locum). — 2419 könnte gleichfalls f
23S0 in dem allerdings verderbten manliken das ursprüngliche
beiwort gegenüber overgroten (b groten) erhalten haben; etwa
maerliken? ein mhd. magenlih, meinUh 'gewaltig' entsprechendes
wort ist im nl. nicht nachgewiesen. — 2420 staf statt gat nach
/ 23S1 (und b 2440; l 1156 Inqtie locum fidwn, j>»/^^s• notnm
(hs. notiim) plusque placeniem). das lat. bestätigt zugleich
das het a 2421 (und b). — 2439 f werden die Schwierigkeiten
wider durch f 24ü0f einfach gelöst, die genauere Überein-
stimmung von b 2460 vonden und l reperire gegen gewonnen
ist also zufällig, a hat hier durch seine änderung zu verdeut-
lichen gesucht, da das logische Verhältnis von vorder- und nach-
satz etwas eigenartig ist. — 2473 nach / 2434 (und b 2491)-
— 2492 nach a gegen / 2453 statet sivare, wo der sprich-
würtliche ausdruck ungeschickt beseitigt ist; auch b 2507 und
besonders ? 1 195 Postponor, jam. sinn vilis hahendus ego sprechen
für eine weniger blasse ausdrucksweise. — 2500 nach a und
b 2520 gegen / 2461; in l dürfte übrigens nach 120 0 ein vers
verloren gegangen sein, dieser fall, wo hanglien doet zu anxt
doet' geworden ist, sei nur als beispiel für häutigere fehler ähn-
licher art in / angeführt, die hier nicht weiter berücksichtigt
sind. — auch 25lSf stimmt b 2542 noch ganz wörtlich mit a,
während / 24 79, diesmal aus schwer erkennbarem grund, wider
abweicht, vielleicht war lieghen schon in seiner vorläge aus-
gelassen, und / hat dann das ende statt auf das subject aufs
prädicat bezogen. — 2525—2530 nach a (und b 2549 — 2554)
gegen / 24S6 — 2491 ; auch l 1219. aliis feris bestätigt in einer
einzelheit die lesart der ersteren. — 2531 f nach/ 2492 f (und
Ö2555f). — 2533 f ist vielleicht, mehr nach a als nach/ 2494 f,
zu schreiben
so ^cil ic (dan?) up u ghenent
dese vorwoorde ende dit covent
uj) Beinaerts trainve laten staen.
2556 — 2558 eher nach/ 2517 — 2519; dagegen ist 2561f die
:^14 FRANCK
Stellung von a vorzuziehen, über ende viiere frauireu a 2561,
hi iniere ircmn-en f bin ich zweifelhaft, jedesfalls steht das
erstere sonst nirgends, und auch das hi miere traiiwe a 2556,
das dort nach unserer annähme nicht ursprünglich ist, darf dabei
nicht übersehen werden. Eni es scaftes f 2523 ist wahrschein-
lich nur dadurch veranlasst, dass der schreiber 2521 (a 2560)
als vollständigen satz fasste. ic sei daerom denken ö 2578 stützt
einigerraai'sen die lesart / 2518 ic merke icel. — 2569 nach a
(und l 1243f ?(f .s/ Tocius hunc mnndi constituisset herum) gegen
y 2530. — 2580. ob dem tromphoem vonflhAl eine bedeutung
beizumessen ist (Muller, VI. acad. s. 38f), scheint mir doch
zweifelhaft, es ist ja an der hs. einer beteiligt, der trotz dem
namen Kriekepit, und trotzdem nachher von dem putte die rede
ist, würklich gemeint hat, es handle sich um einen bäum (v. 2549),
und der mag zur vermeintlichen Verbesserung een cromj) hoem
geschrieben haben, was, wenn wir an den ortsnamen Trompe
zu denken hätten, dann mit een tromphorne gemeint sein könnte,
wäre doch schwer zu sagen. — 2594 nach ^ und y^ 2555 elwaer.
— 2597 f nach / 2558 f und e (und b 2G(i9f); dagegen 2599 ff
nach a und e (und b 2611 ff) gegen / 2560 ff. — 2602 nach
e und / 2563. dass Ö 2614 ändert, erklärt sich auch leichter
aus ef als aus u. ~ 2648 nach / 2609 (und b 2660). — 2650
nach e f 2611 (und l 1294 irepjidatqne iiniore Cnardus). —
2655 nach e und/ 2616 (und b 2665) gegen a (und l 1299
monet); vgl. Anz. xv215. — 2656 — 2661. der von Jonckbloet
(und Martin) nach b (und l), mit bestechenden conjecturen, ge-
staltete text ist jetzt nach der ganz abweichenden lesart von e
und f 2617 — 2626 herzustellen', die Übereinstimmung von b
van des ic u vraglie mit l 1299 Tc de querendis dicere vera
monet muss zufällig sein, wenn man nicht eine benutzung von
l durch den bearbeiter zugibt. — 267 4 nach e und / 2639
sies, dem a selber mit ries näher steht als dem vries von b
2686. s. Muller, VI. acad. s. 39. auf eine kritik der namens-
form verzieht ich. jedesfalls stehn sich f Synion und b Simonet
verhältnismässig nahe und wol auch nicht so weit vom ursprüng-
lichen; SJmout':!'^. — 2683 f steht/ 2649 f dem ursprünglichen
näher: Ghi soid foghen (oder wol tughen) vor dese dier Met sconen
' vgl. schon Schröder.s Vorschlag DLZ 1889 sp. 970.
- Dass die dichtung mit den falscbmünzern hunde gemeint habe
REINAERT 315
rime. — 2700 f siet den raet nach e und a (und b 2712) gegen
f 2065 f. — 2702 wird die conjectur herke (nach b und l) durch
e sowie durch f 26G7 weitei' befestigt. — 2748. wie sclion Ojb.
79 richtig- gesehen ist. nach/ 27 IH (und l) 'hier für dat. —
2761 wäre, da andere beweise fehlen, nach f 2725 zu lesen. —
2765 (nicht in a). 2766—2774 nach / 27:^0—2734. von dem
kleinen gespräch zwischen R. und der königin weifs die sonstige
Überlieferung nichts, es mag einem Schreiber nötig erschienen
sein, dass der höflichkeit halber R. nicht stumm neben der fürstin
stehe, bemei'kenswert ist auch der gegensatz der nun zwischen
dieser stelle und 2832 ff entsteht, wo Isengrim sich mit ungestüm
an die königin herandrängt und rücksiclitlos in heftige worte
ausbricht, es entspricht aber auch gar nicht den tatsachen, dass
wie in a, der könig und die königin jetzt vor die tiere hin-
treten; sie stehn schon an ihrem platz, wer diesen zusatz
machte, mag dann bei den folgenden versen absichtlich etwas
gekürzt haben, ich will aber nicht sagen, dass hiermit die ent-
stehung der lesart von a völlig erklärt sei. ob gerade alles in
f echt ist, sei dahin gestellt, man könnte einigermafsen zweifeln
an heghinnen und ferner an conincUke, wo a rriendelikc und b
\die C07iinc] sonder gheJiJc hat. l hebt nur die nachdrücklichkeit
der königlichen rede hervor. — 2777 nach / 2737, da weitere
anhaltspunkte fehlen. — 2800 nach a (und b 27!»6) ende dnnen
comen nemmermee gegen f 2760. — 2S04 müssen wir allerdings
nach Verdams schöner erklärung (Tijdschr. 19. 149) annehmen.
dass a mit dnnen ganz allein das richtige bewahrt hat gegen
/ 2764 te.^, b 2S0O daer, l 1389 quo. — 2814 wol nach
a gegen f 2774. die übrigen texte geben keine entscheidung.
möglicherweise hat f den rührenden reim beseitigen wollen. —
2828 nach a (und b 2820) gegen / 27SS. — 2862 nach /
2822 (und b 2S52; l 1420 soleas f'ae anteriores. Aptas nempe
(Tijdschr. voor iil. taal- en letteik. 9, 242), wird mir schwer zu glauben,
natürlich konnte auch eiu mensch den beinamen sie.< tragen, und dann
auch der Übersetzer ihn mit catulu.'i bezeichnen, wenn er von dem falscii-
münzer sagt Et cum complicihus hominum consorria fwßt, so scheint er
mir nicht an tiere zu denken, wie weit auch Arnold die vermenschlichung
treibt, so würden mir doch hunde, die mit schmelztiegel und münzstempL'l
umgehn und um geld ihren lebensunterhalt erwerben, über die man si.-li
in einzelnen franz. erzählungcn allerdings nicht zu verwundern brauchte,
unter seinen Schöpfungen fremd vorkommen.
316 FRANCK
viichi, det lupus ipse duas). möglichei-weise hatte auch der alte
text wie h blosses doen im sinn von 'gewähren' (Mnl. woordenb.
II 247) oder 'leihen' wie im mnd. und nnd. — 2S70 nach/ 2830
{b 2860 und l 1423 Et de jure potest). — 2878—2881 nach/
2838—39 (und b 2868—2870). — 2925 hat Jonckbloet nach
a ne wäre beibehalten, und es scheint jetzt von / 2883 mare
bestätigt zu werden, aber es ist nicht zu leugnen, dass dies
adversativum, das sich nur auf sweech stille beziehen würde, zum
ganzen satze aber sonst nicht passt, zumal so allein und mit
enjambement in den verschluss gestellt, als störend empfunden
werden kann, l 1449 knüpft diesen satz sogar mit namque an;
Ö 2911 hat voor tvaer. das epithethon die mare scheint mir
in diesem Zusammenhang auch nicht recht passend; es wäre nur
als besonders starke Ironie zu verstehn. vielleicht war hier
Brune mit dem zusatz de hare gebraucht, wie vier verse weiter
Tiheert, die cater, 3o82 neve Belijn, de ram (letzteres bei der
anrede). — 2934 wol nach / 2892 te; vgl. Ojb. 84. — 2935f
wird die conjectur durch/ 2893 f vollauf bestätigt. — 2942
stimmen / 2900 und b 2928 mit bilden gegen soeten in a über-
ein, aber damit ist die sache nicht erledigt; 27 72 erwies sich
met enen hliden sinne nicht als original. — 2948 eher nach /
2906; vgl. b 2904 und l 1462 rex accersiri BelUnum precipit.
— 2966 nach/ 2924. — 2968 bestätigt / 2926 die conjectur
Ojb. 84. — 2989 mit/ 2947 een palsterUjn? b 2981 een dein
palsfer, aber / 1484 cum baculo. — 2995 f nach/ 2953f
(und b 2987 f; l 1492 f Nee dolor ullus erat, aut quod quos
deserat onines Non gravat).
3030 e gemakelike, a ghemakelijc , f 2988 gemeenlike
ö 3018 gJievensdelic. mir scheint dass hier die Überlieferung
zwingend auf ghemenlike oder ghemelike führt; s. Mnl. woordenb.
II 1347 f. zwar ist die bedeutung an die wir zunächst
hier denken würden, 'lustig, possierlich' im mnl. nicht belegt,
aber sie muss einmal vorhanden gewesen sein, und sonst
würde auch 'fremdartig, wunderlich' genügen, wie im vers
vorher wonderlike steht. — 3034 f nach e und / 2992 f
(und l 1515 Huncque peregrinum calceamenta docent). —
3047 f mit e und / 3005 gode (be)volen gegen a und b
3039; s. Anz. xv215; dagegen sonst nach a, e, b gegen/ —
3049 f nach e und/ 3U07f, an deren lesung nichts auszusetzen
REINAERT 317
ist. — 3069f nach e und/ 3ü27f (und h 3061 f; l 1538 Fdix
est vestra vita, giiia vivitis olim Sicut ego vixi). auch felix
'heilig' steht der lesart gheestelic 'fromm, gottesfürchtig', bei
Kiliaan 'religiosus pius". nahe genug. — 3157 bestätigt /" 31 16
abermals die Vermutung Ojb. 89, doch ist vielleicht die lesart
von e vorzuziehen; s. Tijdschr. 27, 84. — 3177f nach a gegen
/ 3135 — 3137 faber 3176 nach / .Ve). die verse in / zeigen
uns, wie die Schreiber oft verfahren, unserer hat in nemmennce
3177, wahrscheinlich bei einem ganz flüchtigen blick, geglaubt
mit Ermeline zu lesen, und nun brachte er auf die törichteste
weise, u. a. mit einem vers vom kaliber cd noch seide Ermelijn
)nee die stelle wieder in die reihe. — :U 96 f wahrscheinlich nach
y 3156f (und l 1624f Sic latitare magis michi quam proiJesseA
ahire, Kam non discedens ipse redire qiieam); vgl. Tijdschr. 27,
S8ff. die stelle beieitet insofern Schwierigkeit, als der gegensatz
an sich sowol auf die pilgerfahrt oder das bleiben im lande als
auch auf Eeinaerts Vorschlag, ihren wohnsitz in eine wilde gegend
zu verlegen, bezogen werden könnte, die letztere, m. a. nach
nicht zutreffende auffassung scheint bei a vorzuliegen, vielleicht
auch bei b. dieses hat hier eine längere auseinandersetzung
eingeflochten, worin Ermeline Reinaerts plan, den wohnsitz zu
wechseln, widerspricht und auf die vorteile von Malpertus, dessen
gelegenheiten ihnen bekannt sind, hinweist, das ist zweifelsohne
hauptsächlich mit rücksicht auf die fortsetzung des alten Eeinaert
geschehen, aber eine misverständliche auffassung von a 3 1 96 f mag
bei dem Wortlaut der ganzen stelle 3183 — 3220 doch auch im
spiele sein, in dem hliven b 3196 und 3211 könnte man den
gegensatz von hliven und varen 3196f in der fassung von a
widererkennen wollen, aber das zusammentreffen kann zufällig
sein, möglich aber auch dass der gegensatz seiden und varen
in der Überlieferung früh zu hliven und varen geworden
war. beides ist wahrscheinlicher als die annähme, hliven und
varen sei das ursprüngliche und f und / hätten das unab-
hängig voneinander in sculen (im lande bleiben und sich ver-
stecken) und varen und in latitare, ahire gesteigert. — 3202.
das dem ausdruck nach (trotz Mnl. woordenb. iv 2049 nr. 3)
auffallende und auch dem sinne nach wenig passende die na mijn
oom tcas scheint sich nach / 3162 in die na mi comen was
aufzulösen. freilich ist dieser an sich ja ganz klare ausdruck
Z. F. D. A. LH. N. F. XL. 21
318 FRANCK
hier aucli etwas unerwartet, wenn er nicht besagen soll 'der
sicli gleichfalls, er der erste baron des hofes, als böte um mich
bemüht hatte', das auf Grimbert bezügliche michi carus an der
entsprechenden stelle von l, v. 1626, hat wol mit dem in frage
stehnden ausdruck nichts zu tun. — 3240 nach / 32uO (und
b 3254) (Jat herie oder ähnlich statt teu eersten. — 3243 nach
/ 3203 (und b 3257); vgl. Tijdschr. 27, 93f. — 3247 wird die
lesart von u jedesfalls wider von f 3207 und der Überein-
stimmung der übrigen texte gebessert, man könnte sich aber
gegen die einfache Übernahme der lesung von f sträuben, mit
rücksicht darauf dass b 3261 Bellijn die niet iras fei auffällig
mit y^ 1650f Belinus ad Isin, Sicut erat slmplex, jani heue
credo, rcfert übereinstimme, so ergäbe sich entweder eine nähere
beziehung von b zu 1, oder aber von a zu f. letzteres in bezug
auf die Übereinstimmung ja ne waest el: ende niet el. sollte
das aber nicht ein trugschluss sein? sagt die niet was fei würk-
lich dasselbe wie sicut erat simplex, d. h. Mn seiner leicht-
gläubigkeit"? es wäre doch für den dichter des Reinaert ein
wenig glücklicher ausdruck. ich glaube vielmehr, dass jam bene
credo die Übersetzung von ja ne ivaest el und sicut erat
Simplex ein erläuternder zusatz ist. die lesart von b
wird durch verlesen aus der von / oder als ersatz für
diese entstanden sein, mit einem durch den leim nahegelegten
epitheton ornans des widders. — 3254 nach a (und / 326S)
gegen/ 3214. — 3300 nach / 3260 (und b 3314; / 16S2 f.
in altunt unius in spacium dimidiiqne pedis). — 3304 — 3307
nach/ 3264—3267 (und b 3316—3319; / 1684 ff Dominerpie
Rei/narde, scio quod me diligis, inquit, Extolli nnn me queris
honore magis: Sic per te cunctis regis venerahor in anla, Cum
scierint etc.). einige einzelheiten mögen in a echter sein. — 3314
stimmt zwar b 3326 mit a, doch dürfte trotzdem f 3214 (etwa
zu lesen n-als n lief:") zu berücksichtigen sein. / 1 692 f Mi/
domine! Ciiardus quid dicit? stimmt nicht genau zu ab. — 3336
ist wahrsclieinlich nach / 3296 das niciit unauffällige dese in
des (tes?) si zu verbessern. — 3339 nach / 3299 (und b 3337)?
die umständliclie Schilderung von / 1710 ff Ad mediam celi spa-
cium jam duxerat axem. Chirius ac umhras fecerat exiguas, Per-
que polum jam declivem descendere querens Versus ad occasum,
themo refiexus erat würde jedoch eher für a spreclien. — 33S2
REINAERT 3 1 9
ist die genaue füguiig nach / 3342 und b 3378 nicht zu er-
mitteln, das demonstrative dat in Martins text scheint mir am
wenigsten gewähr zu haben: entweder Botsaert ende saecht. hi
sprac, oder, mit zurückgreifendem dat (vgl. 3475; Mnl. wordenb.
II 83), i>. ende saecht (oder blois sach, also ganz nach a), dat
hi sprac. — 3395 f nach a (und b 3392; / 1739 f cuncte contre-
muere fere, Horrihllique sono percussa tbnore ferarum Stat ....
tnrlja.) — 3407 f nach / 3367 f (und b 3404). dagegen hat
3405 natürlich a recht gegen /. — 3414 f in näherem anscliluss
an / 33 74 (und b 3408) die (oder auch ohne die) heuet mi een
valsch peelgrijn doen veriverken so (oder also) sere. b stimmt wider
scheinbar zu a mit 3410 dat rouwet mi int herfe mijn [a 3415
dat (jact }nierc herten na so sere). aber der vers von b ent-
spricht vielmehr dem dat ics hem erre 3408 und dat ic recht
nii seJren hnfc 3410. — 3419 bestätigt ^^ 3380 widerum eine
glückliche conjectur. die Übereinstimmung von a und derhand-
schrif t b bereitet keine Schwierigkeit, da es nicht im mindesten
über die Wahrscheinlichkeit hinausgeht, dass beide Schreiber selb-
ständig auf doen comen geraten sind, aber die ganze stelle wirft
noch einmal schwere bedenken auf. Willems hat Tijdschr. 27, 9 7
bei 3418 eine lücke vermutet, indem er auf das zusammentreffen
von / 175Gf Ilanc, FyrapeUis aif, rex, praetermitte loqiielam,
Tu quia, cum sis rex, non querulosus eris und b 3420 wats dan
heer coninc? warts anders te rade! hinweist, er hätte noch her-
vorheben sollen, dass der anscheinend auffällige gedanke des
zweiten lat. verses, den man in a vergeblich sucht, sich auch in
b findet, 3402 f sidi niet heer van cd den lande:' is niet onder «
al dat hier es'^ dagegen beruht es auf einem Irrtum, dass/ verse
mehr enthalten solle, die dem in a vermissten irgendwie ent-
sprechen könnten, der von mir als auffällig bezeichnete ge-
danke steht nun in b und / nicht an gleicher stelle, in b folgt
er auf a 3405, in / auf a 3418, und ich glaube, dass er auch
nach dem Wortlaut, den wir als den echten vorauszusetzen haben,
doch nicht so sehr fern lag. auch er betont das ungebührliche
in Nobels betragen als künig; seine erregung brauchte nicht
grölser zu sein, wenn die königin tot wäre, es wäre nicht nur
H-el gehandelt sondern auch wijsheit groot, wenn er sich mäfsigte,
der lat. Übersetzer hat auch an der ersten der beiden stellen
dieser ansieht noch einen besonderen ausdruck verliehen, indem
21*
320 FRANCK
er den vers Xon pHlchnnn //ere rcfjihus esse reor hinzufüg-t. b liat
an der ersten stelle offenbar den ansdruck doet ireJ oule vijs-
lu'if (jroot entfernen wollen nnd konnte dadurch zu einem znsatz
kommen: ende grljpt enen nioet: hef is grool scande, und dann die
beiden vorher genannten verse sidi vi et etc. es bleibt aber auch
noch eine andere müg-liclikeit. statt a 3405 ende slaect vjven
rauwe een deel {: Fierapee.l) liest f ^2>^h ende mafet uiren sin ende
u seer. mit unrichtigem reim zu Fierapeel. es könnte darum
entweder, was mir weniger wahrscheinlich ist, ein verspaar ver-
loren gegangen sein, oder 3 105 ursprünglich einen anderen, dem
sinne nach mehr mit f und b sich berührenden Wortlaut gehabt
haben {niaet uwen sin ende u riveel?); een deel kommt hier in
a etwas häufig hintereinander vor. auch 3398 und 3434. 3407
bis 3409 sind dann offenbar wider nach / 3367—3369 (und b
8404) zu lesen; desgleichen 341 4f idi hevet mi) f 3374 f
(und b 3408), 3411 nach / vielleicht auch herte: miere lierten
a 3415 und int herte niijn 6 3410 mag dadurch veranlasst sein.
von leven 3417 in a und y^ findet sich nichts in b und /, deren
ausführungen eher an einen begriff für 'herschaft' (erve?) denken
lassen würden, es bleibt nun noch die anscheinende Überein-
stimmung zwischen b und / bei v. 3417. b hatte liier wider
einen zusatz gemacht über den verhängnisvollen einfluss der frau,
er war also untei' umständen infolgedessen genijtigt. dem vers
und reim zu lieb noch nach einem neuen gedanken zu suchen,
und die Übereinstimmung wats dem, heer coyiinc? n-arts anders
te rade! und ]uinr. rex. praetermitfe loquelani ist niclit so wijrt-
lich. es könnte sich also doch auch hier wider um einen zufall
handeln, wenn nicht etwa das echt von a und/", wie man wegen
des metrums fast vermuten könnte (es rindet sich auch gleich
darnach 3432 and/rorde .... echt), nicht das ursprüngliche, sondern
an die stelle einer interjection oder sonst eines kurzen ausdrucks
getreten ist, aus dem sich der Wortlaut von b und / erklären
würde, an sich könnte irat echt oder nrits echt denselben sinn
haben wie wat dan oder wats dem; doch ist die Verbindung m.
w. nicht nachgewissen '. — 3422—3424 nach/ 3382- 3384 (und
b 3424—3426).
' Vielleicht steckt ein alles, bis jetzt nicht genügend belegtes wort
auch in v. 21b8, wo statt des unwahrscheinlichen feile anticoorde von/
REINAERT 321
II.
Noch mehr beaclitung als die textkritische bedeutung' des
neuen textes hat eine angäbe über die Verfasserschaft
gefunden, die die haudschrift in ihrem eingang bringt, und die
eine noch vollständigere Überraschung gewesen wäre, wenn nicht
iin j. 1897 Leonard ^Villenls (Tijdschr. voor nl. taal- en letterkunde
16, 2bS ffl eine hypothese ausgesprochen hätte, die wenig beitall
fand, aber nun vollauf bestätigt wird, die hs. a enthält in ihrem
eingang angaben über den dicliter Willem und sein werk in
irgend einem Zusammenhang mit franz. Reinaertdichtungen, die
im überlieferten Wortlaut unverständlich sind, die lat. Übersetzung
enthält die angaben nicht, verständlich an sich ist was b aus
den Worten gemacht hat. aber das ursprüngliche kann seine
fassung nicht enthalten, die herausgeber vermochten, auch mit
einer gar nicht enthaltsamen kritik, nicht zu einer allgemein über-
zeugenden lösung zu gelangen, vor allem LWillems ist seinen
eigenen weg gegangen und hat die Vermutung ausgesprochen,
dass ursprünglich von dem werk eines namentlich genannten an-
dern dichters und dem Verhältnis von Willems arbeit zu der des
Vorgängers die rede und gesagt gewesen sei: 'Willem, der früher
den Madoc gedichtet hat, bedauerte sehr, dass die abenteuer
Reinaerts im flämischen unvollendet geblieben sind; darum hat
er die franz. brauches aufgesucht und sich an die arbeit be-
geben", in V. G war ursprünglich der name des Vorgängers ge-
nannt, der nicht alles gedichtet hatte. Willem selbst fügte den an-
fang bis etwa v. 1750 hinzu, und das was LWillems ver-
mutete steht nun tatsächlich und unverkennbar, mit einer kleinen
abweichung nur, in der neuen hs.
Willam, die Madocke makede,
Daer hi dicke omme wakede,
•2122 das noch weniger passende ■■selue anticoorde gebracht wird, uacli
den bearbeitungen wäre auch ein stärkerer ausdruck als siielle zu erwarten;
V. Tijdschr. 1, 2Ü. ein wort dass mir hier sehr passend schiene wäre das
mhd., Irühnhd. sriiel 'auffahrend, aufgeregt, rasch', s. schel, S'-helle<- bei
Lexer und siltell, fchelli;/ DWB. aber im mnl. ist das einfache wort liis
jetzt nicht gefunden, wol eine zugehörige merkwürdige bildung, in.«hel,
insrhellich. die anschliessenden worte der königin in der vorliegenden
Situation sind richtig 'schel'. jedesfalls scheint mir die echte lesart niclit
erhalten zu sein.
322 FRANCK
Hern vernoide so haerde,
Dat een avonture van Reinaerde
In dietsche was onvolmaket bleven,
Die Arnout niet en liadde bescreven,
Dat hi die vite dede soeken
Ende hise uten waischen boeken
In dietsche (dus nach a und b?) hevet begonnen.
Die lesart een v. 4 wird richtig sein, es wäre wenigstens
sonst unerfindlich^ wie so sie hätte in die hs. f liineingeraten
können, um so berechtigter erscheint sie, wenn wir berück-
sichtigen, dass die avonture um die es sich handelt, der einheit-
lichen franz. erzählung, dem Plaid, entspricht, zu lesen ist der
vers wol dat een avonture. indessen braucht een nicht notwendig
betont zu sein, so dass vielleicht auch zweisilbiger auftact an-
genommen werden könnte, onvolmaket könnte hier im Zusam-
menhang unmöglich etwas anderes bedeuten als 'unverfertigt'.
dass volmaken diese bedeutung haben könnte, zeigt eben unser
'fertigen, verfertigen', aber wahrscheinlicher ist mit hs. a onghc-
maket zu lesen, es war für die abschreiber schwer, den rich-
tigen Zusammenhang zu verstehen, und so mag einer zu onvol-
maket für onfjhcmaket gekommen sein, ähnlich wie im folg. vers
a, wie ich vermute, vulscreven für das ursprüngliche ghescreven
von f (und b ?) geschrieben hat.
Glänzender kann eine kühne hypothese nicht bestätigt wer-
den, als hier die von LWillems. Es ist begreiflich, dass sich noch
leise widerstände regen, wenn jetzt die Vorstellung, wie man sie
sich seit langem zurecht gelegt hatte, umgewertet werden und
der alte Reinaert nicht mehr für ein einheitliches werk gelten
soll, aber ich glaube, dass die widerstände schwinden werden,
der Sachverhalt ist aber wert, noch einen augenblick mit einer
allgemeinen bemerkung bei ihm zu verweilen, die tatsächlichen
angaben die der dichter Willem in den eingangsversen gemacht
hatte, waren in der bis dahin einzigen handschrift seines Werkes
heillos zerrüttet, eine ganze reihe namhafter forscher hatte sich,
auch mit Zuhilfenahme der Überlieferung in b, vergeblich um
den richtigen sinn bemüht, von den lesern zu geschweigen, die
sich durchweg bei den ansichten der herausgeber beruhigt haben
werden, der Verfasser von Rein, ii läfst die worte Wlllams, die
Madoc maecte ruhig als seine eigenen durchgehn, trotzdem sie
EEINAERT 323
auf seine eigene arbeit ebensowenig- passen, wie ilir der usur-
pierte Verfassername zukommt, und auch heute wissen wir noch
nicht genau, ob die verse 11 — 40 des prologs gleichfalls von
Willem herrühren, oder ob sie schon der ältere dichter Arnold
ähnlich seinem werk voraufgeschickt hatte. die gleiche er-
falirung machen wir aber fast jedesmal da, wo es sich in der
handschriftlich überlieferten litteratur um angaben über die
dichter, über ihr werk oder sonst um tatsächliches aus der Zeit-
geschichte handelt, also überall wo die sachkritik sich nicht so
leicht abweisen lässt wie in der erzählung, d. h.bei den Schöpfungen
der dichterischen phantasie. einen besseren beweis für das recht
und für die pflicht der textkritik kann es doch nicht geben,
dass nun ein Wortführer der gegner der textkritik, Buitenrust-
Hettema, auch heute noch grade diesen Reinaert sich auswählt,
um seinen antiphilologischen standpunct bis in die äufsersten
fol gerungen zu vertreten, das ist schwer begreiflich, der neuen
liandschrift gegenüber hat doch in diesem falle gerade die so-
genannte conservative richtung vollständig Schiffbruch gelitten.
Im j. 1894 hatte ich auf der Versammlung des Niederd.
Sprachvereins zu Köln einen Vortrag über die composition des
Eeinaert gehalten, der nicht veröffentlicht worden ist. ich hob da-
mals — was in dem bericht des Korrespondenzblattes 17, 4S ff
nicht zur geltung kommt — den starken unterschied hervor, der
innerhalb des alten Rein, inbezug auf die vermenschlichung der
tiere zu bemerken sei. ich brachte ihn in Verbindung mit der
bekannten tatsache, dass der erste teil der dichtung sich genau
an das franz. Plaid, die 1 brauche in Martins ausgäbe des Rom.
de Ren., anlehnt, die fortsetzung hingegen, von Reinaerts Ver-
urteilung an, im wesentlichen auf der eigenen erfindung des
flämischen dichters beruht, ich beruhigte mich also bei der an-
nähme, dass dieser dichter, soweit er eine vorläge hatte, ungefähr
bei dem grade der anthropomorphisierung den er vorfand, stehn
geblieben sei, hingegen da wo er freier gestalten muste, einen
weit höheren grad der vermenschlichung für gut befunden habe,
auf den, in Verbindung mit den angaben der eingangsverse von
a und b gar nicht so fern liegenden gedanken, dass wir es mit
zwei verschiedenen dichterindividualitäten zu tun hätten, war ich
nicht gekommen, obwol, von einem andern gesichtspunct aus,
dieser gedanke auch schon früher aufgetaucht war. der ange-
324 FEANCK
deutete unterschied ist nicht leicht zu verkennen, man erregt
zwar eine falsche Vorstellung, ^veun man im gegensatz zum zweiten
teil den ersten teil desReinaert als eine genaue Übersetzung des franz.
bezeichnet, auch hier bewegt sich der tläm. dichter frei und selb-
ständig genug, fortwährend wird die erzählung in einzelzügen
umgestaltet und ergänzt, und zwar geschieht das ganz besonders
auf grund einer vortrefflichen und überlegenen psychologischen
beobachtungsgabe, die in meisterhafter weise die figuren gegen-
einander bewegt und die geschehnisse aus ihren gesinnnngen
und Stimmungen entwickelt, so ist auch hier die vermensch-
lichung der tiere, die ja von anfang an ein grundpfeiler der
ganzen gattung, und in Frankreich aufs glücklichste weiter-
gebildet war, zu einem recht hohen grad gediehen, aber die
erzählung bleibt dabei doch meistens nahe bei dem was sich
aus der augenblicklichen Sachlage und den instincten der tiere
ergibt, oder bei den geläutigen schwanktheraata, wie der beichte
Eeinaerts vor Grimbert. am weitesten geht die einleitung des
Brunabenteuers, das ausdrücklich als die frucht einer Überlegung
Reinaerts, den feind te scherue zu driuen (v. 545) hingestellt
wird, wie denn auch v. 900 f ausdrücklich Reinaerts freudige
hoffnung, den hauptgegner am hof unschädlich gemacht zu haben,
betont wird, und wenn er 1218 ff wünscht, dass auch Isengrim
neben Tibert im strick säfse, so kaun auch dabei, neben dem
traditionellen hass, an die besorgnis wegen der hof Verhandlung
gedacht sein, aber eine so planvoll angelegte handlung wie die
entfernung der gegner vom hofe durch die weitblickende Über-
legung von könig und Reinaert, wie überhaupt die ganze schatz-
geschichte, die lüge vom bann, die berückung von Cuwaert und
Belijn, kurz wie im ganzen von anfang bis zu ende planvoll
ineinander gefügten zweiten teil würde man im ersten vergeblich
suchen, und die hauptlist hat Reinaert sich bereits in der nacht
vorher, d. h. nachdem er die untat an Tibert begangen, ausge-
dacht (2040 ff), auch darauf sei aufmerksam gemacht, wie Isen-
grim sich an den tod seiner brüder (1913 ff), und Reinaert an den
seines vaters erinnert (2006 f). daneben tritt bei Arnold eine
andere eigenart hervor, auch Willem hat zwar die natürlichen
eigenschaften der tiere ausgezeichnet beobachtet, wie das hühner-
volk sich im freien ergeht, die lienne den boden scharrt, Bi'un
über die erde rutscht und mit den lanken schlägt, Tibert in der
REINAERT 325
schlinge laut gellt usw. auch die eigenaitige haltung, die Bnin
V. 808 f einnimmt, meine ich bei einem tier das schwere prügel
empfängt, in der natur geschaut zu haben, aber während dieser
dichter mit den äul'serungen der tiere bei ihren natürlichen be-
weggründen bleibt, knüpft Arnold sie an mehr als tierische ge-
mütsstimmungen an. in dieser weise ist v. 2026 ff beim fuchs,
der seinen feinden gedankenvoll nachschaut, eine eigentümliche
art verwertet, in der z. b. hunde manchmal andern hunden beim
spielen zusehen, wenn bär und wolf auf die nachricht vom Um-
schwung am hofe ihre lede recken und in ungebührlicherweise vor
die königin (jhedronghen kommen, so tun sie es aus blinder angst
vor dem drohenden unheil. der alte fuchs taucht aus der höhle
auf und schaut sich vorsichtig um, um das versteck seines Schatzes
nicht zu verraten, der eigenartige hochsprung des widders mit
gleichen fülsen ist die äufserung seines glückes über die bevorstehn-
den ehren, am höchsten ist es dem dichter gehingen v. 2820 bis
2831. wir haben da das bekannte bild, wie ein kater auf hoher stelle
sitzt und in den abend hinein heult, wie wunderbar ist das mit
der Sachlage verflochten, in der Tibert das unheil, das er sich
mit dem bund gegen Reinaert heraufbeschworen hat, voraussieht,
und den tag verwünscht an dem er Reinaert kennen lernte! eigen-
artig scheint mir auch die naturanschauung zu sein, in der
Reinaert die wildnis, in die er sich mit seiner familie zurück-
ziehen will, und die noch schauerlichere, wo der schätz vergraben
sein soll, zu schildern versteht, mit dieser stiramungsmalerei hat
der dichter vielleicht etwas zu viel getan bei der ganzen Schil-
derung der Vorbereitungen zu Reinaerts hinrichtung, wo er
gradezu die emptindung eines hereinbrechenden schweren Ver-
hängnisses erzeugt.
Mit dem verschiedenen grad der vermenschlichung hängt es
wol zusammen, dass im 1 teil für die einzelnen mitspieler
häutig dier gebraucht wird, im zweiten aber nie: Eeinaeit, dat
feile dier 88. 85ö. 940 (hs. /). 956. 993. 1173, een clene dier
(Tibert) 1027, ßriiun, onsalichat alre diere 768, Cwvaert dat
hlode dier 1850 (der hs. /). daneben al es R. andren dieren
fei 1019, [tus.ichen R. ende dandre dier 1868] '; und allgemein
dier, sing., diere, dier plur., [alle diere 1839. 1866], und so
* bei den folgenden erörterungen sollen die verse von denen es nicht
sicher ist, zu welchem teile sie gehören in, [ ] gesetzt werden.
326 FRANCK
häutig- anch später 2244. 233S. 2527. 26S4. 2762. 2773. 3050.
3068. 3395. 3396. vgl. auch nie (die) feile creature (Reinaert)
1348. 1698; später nur allgemein creature die heret li/f 2590.
Über den anteil der beiden dichter lässt sich meiner ansieht
nach an L6on. Willems auffassung nicht zweifeln. Willem be-
dauerte, dass Arnold einen teil der erzählung von Reinaert — ich
drücke mich absichtlich nicht bestimmter aus — unausgeführt ge-
lassen hatte; er suchte die französische erzählung auf und über-
trug sie ins niederländische, da "wir nun im ersten teil die
nachfolge des franz. Plaid, im zweiten eine im ganzen freie dich-
tung haben, so ist doch das ältere werk Arnolds im späteren
teil, das jüngere Willems im früheren teil der vorliegenden
composition zu suchen. Degering erklärt allerdings (s. xx) grade
der entgegengesetzten ansieht zuzuneigen, dass der zweite teil
Willem gehöre, seine gründe verspricht er an einer andern
stelle darzulegen und hat vorläufig auf jede andeutung verzichtet,
bei der Verschmelzung der beiden teile durch Willem kann es
ganz ohne eingriffe nicht abgegangen sein ; ein etwaiger prolog
Arnolds muste beseitigt oder versetzt werden, mit Sicherheit
wird sich die naht nicht angeben lassen, die freiere dichtung
beginnt bei 1 883, wo auch ganz wol ein anfang sein könnte,
aber natürlich kann Arnold auch etwas früher eingesetzt haben,
so bei 1751 mit der ankunft Reinaerts am hof. gehört das wort
(coninc) Uoen, das 1831. 34ü0 u. 3466 begegnet, nur Arnold an,
so wäre letzteres die richtige annähme, unter den klägern rückt
1843 ff Belijn an die erste stelle (franz. 1315 f Isengrins et li
motons sire Beim), und es wird ihm noch seine dame Haud bei-
gesellt, also eine persönlichkeit, der in der fortsetzung eine be-
sondere rolle zugedacht ist, und unten ergibt sich für 1801 ff
ein gewichtiger grund für die annähme, dass diese verse schon
dem älteren dichter angehört haben, mithin wird auch in der
abgrenzung der beiden teile L^onAVillems schon das richtige ge-
troffen haben.
Bei erörterung der vorliegenden frage ist bereits die tatsache
ins feld geführt worden, dass in sprachlicher und stilistischer
hinsieht keine unterschiede zu entdecken seien, die für zwei ver-
schiedene dichter sprächen, der ausweg, dass der jüngere dichter
die verse seines Vorgängers zugleich stilistisch umgearbeitet habe,
kommt mir w^enig wahrscheinlich vor. beide männer waren, wie
REIXAERT 327
wir aunehmeu müssen, engere landesgenossen und müssen sich
zeitlich ganz nahe stehen; sie behandeln den gleichen stoft' und
im ganzen auch mit der gleiclien aulYassuug, und zwar einen
Stoff, der ohne zweifei in viellacher mündlicher erzählung schon
einen bestimmten stil ausgebildet gehabt haben muste. dabei
erweist sich Arnold durch seine ertindung als ein so geistvoller
köpf, dass wir doch kaum annehmen können, der nachfolger
werde an seiner einkleidung viel auszusetzen gehabt haben, dieser
wird wol das werk des Vorgängers, soweit die composition nicht
etwa eine änderung erforderte, wörtlich und höchstens mit gelegent-
lichen naclihilfen nach dem eigenen geschmack übernommen haben,
die vorauszusetzende gleichheit der bedingungen unter denen sie
schufen lässt es wol auch glaublich erscheinen, dass beide dichter
sich auch in bezug auf spräche und ausdruck in weitgehndem
mafse decken, zumal ja der nachfolger immerhin unter dem ein-
fluss des Vorgängers gestanden haben wird, dass trotzdem die
Übereinstimmung allerdings manchmal auffallend erscheinen kann,
will ich nicht leugnen, aber ich weii's nicht, wie man die son-
stigen gründe und die bestimmte angäbe umdeuten könnte, denn
die annähme, dass der dichter des zweiten teils nachträglich
selber den erst ausgelassenen anfang hinzugefügt und mit einem
angenommenen verfassernamen sich seinem publicum gegenüber
einen scherz erlaubt habe, scheint mir doch ihm ein seiner nicht
würdiges verfahren zuzuschreiben, eher würde ich an die mög-
lichkeit denken, dass beide männer sich auch persönlich nahe-
gestanden und Willem mit vorwissen und tätiger anteilnahme
Arnolds den anfang bearbeitet habe, zudem fehlen doch auch
wol die unterschiede nicht ganz, was ich in diesem sinne an-
zuführen habe, wigt freilich im einzelnen nicht schwer; manches
könnte sich auch sicherlich in dem werk eines und desselben
Verfassers, das nicht an einem tag entstanden ist, so darstellen,
und mehreremal zeigen die hier aufgegebenen stellen selber, wie
leicht der zufall es mit sich bringen kann, dass irgend eine
eigentümlichkeit für längere zeit einmal zurücktritt; aber alles
in allem dürften die Zusammenstellungen doch die Verschieden-
heit der Verfasser bestätigen helfen.
Der schon hervorgehobene unterschied im gebrauche von
(Her ist zwar mit dem unterschied in der anthropomorphisie-
rung verknüpft, aber schlielslich doch auch schon sache des
32S FRANCK
Stils, ebenso ist auf den gebrauch von liocn eben schon hin-
gewiesen. Degering hat auf t-iueu unterschied in den formen
des prät. von counen, gönnen und beghinnen aufmerksam gemacht.
II und / haben gonste : conste 3311 (auch b), ronste 2715 (auch
e: b conde), 3124 (auch e; b mocht), 3232 {b anders), 3358
[b fehlt), 3371 (b fehlt); hegonste 3393 (b hegonde); dagegen a
hegonste, f hegonde 64 {b hegonde), 142 {b hegonsfen), a conste,
f conde (b const) 342. 755 (b anders), 757 {b anders), ti68
{b 997 cond), 1029 (b romie); ferner a conde 202 (f dorste;
b conde),] a hegonden (auch b) 1707, f anders; dagegen a und
f conste 953 {b conde); ferner a hegonste 1317 (/und b hegan)
a conste (auch b) 1494. in / anders gewendet, das umgekehrte
Verhältnis a encondi, f en conste hl {b enmocht In) 1525. starke
formen von heginnen a, f 101 (reim). 538 (reim; auch ö), 2236
(reim; auch b). 693 (auch b). 972 fauch b). 1749 (auch b). 2097.
darnach ist es allerdings wahrscheinlich, dass conste, onste, he-
gonste (neben starken) die geläutigen formen für Arnold, dagegen
vonde, onde, hegonde (neben starken) für Willem waren, und es
ist interessant genug, dass Degering dies vei-hältnis noch in der
hs. /zu entdecken vermochte, aulserdem will Degeriug s. xviii ff.
noch einen unterschied im gebrauch von vroince bei enklise, näm-
lich als ver bei Arnold, vrauwe bei AVilhelm, sowie zwischen
sj'nkopierten und nichtsynkopierten verbalformen beobachtet haben,
schon Jonckbloet hatte von anderen erwägungen aus die möglich-
keit, dass wir es mit dem werk zweier dichter zu tun hätten, ins
äuge gefasst, um dann aber mit entschiedenheit die stilistische
einheit zu verteidigen, von einigen gründen die er s. xxiii für
das gegenteil angeführt hatte, sind mehrere in der tat zu be-
achten, altoos begegnet nur 2969 und 3008; erre 2836. 3378.
3388. 3408; hem errew 3210; iet als adverb 1946. 2211. 2583.
2633. 2699. 2733. 3255 (558 steht es substantivisch); indien dat
2185. 2470. 2509. 2827. ich füge weiteres hinzu, avonittre ht m
verschiedenen bedeutungen nach den glossaren in dem teil den
wir Willem zuschreiben (W.) 10 mal belegt — darunter auch
401 nach a und/ — , in dem vermutlich Arnold zugeliörigen (A.j
nur einmal in hi avontiiren 'zufällig', bei W. zähl ich 6 hestaen
'unternehmen' 553. 970. 1040. 1091. 1352. 1691, bei A. nur
2625 (ausserdem einmal htst. = 'vevwant sein';, auch verbal-
umschreibungen mit gaen 63. 1-14. 388. 522. 608. 682. 789.
REINAERT 320
S49. 95(1. 060. 1177. 1247. 1591. 1760. 1S62. 207 1.2758.
3048. 3134, mit doev 43. 144. 531. 552. 859. 995. 1464. 1484.
1497. 1500. 1515. 1518. 1614. 1864. 1942. 2689. 2745.2904.
2938. 2948. 2950. 3221 und heghinnen 146. 361. 693. 972.
1317. 1749. 2097. 2102. 2813. 3393 machen den eindnick in
W. beliebter zu sein als in A. dinken mit goet u. ä. W. 128.
148. 665. 1014. 1056. 1005. 1397, bei A. 2982; (Unken allein
im sinne von goet d. A. 2091. 2708. (sonst dinken uocli 233.
362. 499. 054. 1366; 2217. 2752. 3006. 3(»23. 3106).
verschiedene composita mit nies- sind nur in W. belegt: mes-
doen 'schlecht behandeln' 1452. mededen 20S, mesmaken 987.
mesprisen 168, mesprijs 1473. niesraken 496. 747. 1750, mesval
[401; s. s. 328] 1355 {niesvallen aber 3250), mesvoeren 74. auch
der gegensatz zu mesval, nämlich gheval erscheint nicht gleich-
mäfsig: 46. 617. 1059. 1396; 2217. overal findet sich 45.
[325 nur in/]. 612. 1411. 1636. [1787]. 2218; prenden nur
bei W. zweimal; aufserdem 1691 hs.fpranf, a aber nam] qnalic
258. 259. 550; 1802 wahrscheinlich nicht ursprünglich, s. oben;
rinnen 'laufen' 118. 734. 760. 1319; aul'serdem noch in / 344
[a und u ghinc). 756 (auch in b; a liep); sint xmd sint äat 78.
79. 217. 264. 356. 402. 1497. 1502. 1604; 3302, aufserdem
2741 causal nur in f {a und b na daf); spei bei W. gern ge-
braucht findet sich bei A. nur in dem nicht ganz unverdächtigen
fe speie 2459, s. oben; icatfan bei W. dreimal, bei A. einmal
wats dan\ (al) sonder nmen als bequemer ausdruck 90. 636. 900.
1092 (nur iw f und vielleicht unursprünglich, s. oben). 1381;
vgl. noch na ntlnen ivane 298. 1299; im späteren teil nur einmal
und mit mehr bedeutung sonder iraen 2536. der versinnlichende
Zusatz al daer Jii leghet 2515 hat doch etwas bedeutungsvolleres,
und daer hi stoef 3299 ist eher notwendiges relativum; sonst
kommen derartige zusätze vor 75. 171. 623. (1207 wol bedeutungs-
voller, vielleicht auch 1553). 1536. [1805 (in / und b)]. vgl.
etwa noch die ])lirasen wie nieer dan ic ghenoemen can Martin
s. XLV. ausrufsätze mit Aop finden sich 747. 753. 921. 923. 926.
1423; später nur einmal ai, //oe 3142 wie 1423. die erzählung
wird fortgesetzt durch nu mit präs. bist, oder perfectum, aber auch
mit prät. 61. 465. 495. 497. 518. 684. 1043. 16S6. 1689. 1602.
[1865. 1SS2]. 1963. 3019. 3337. ich will auch einmal anmerken iah'
107. 170. 183. 246. 283. 426. 539. 641. 909. 959. 1009 {tale
330 FRANCK
ende wedertale) 1075. [1867]. 2757. 2S03. 3092 und «v//c 180.
SOI. 1076. 1407; 3091. 3146. andere Wörter die sich nur in
W. ünden, ohne dass ihre Vereinzelung grade in der natur der
Sache läge, %\i\A noch ouiihemac, ccrlics. anegaen i\%l. 261. 814},
niemare (367. 157 1. 1597), recht adv. bei örtlichen und zeit-
lichen bestimniungen (282. 1301. 1613; aber auch 1844. wäh-
rend der gebrauch 3053 und 3410 wol nicht genau damit zu
vergleichen ist), schinen 'zum Unglück deutlich werden' (424.
773. 1250. 1263). anderes begegnet überwiegend oder ausschliefs-
lich im späteren teil: Jiedraghen in verschiedenen bedeutungen,
hejaghen (7 mal; allei'dings umgekehrt hejach 4 mal nur bei W.).
echt hat A. dreimal in Verbindung mit spreken und antiroorden,
bei W. kommt es nur einmal, und zwar in anderem sinne vor;
ghewelt zweimal (neben gheirout); goeder- und arghertiere nur
2337. 2528. 3067; openljare vor 1883 nur ghiughen openhare
staen 1862, sonst 2062. 2157. 2161. 2209. 2221. 2298. 2491.
2645; säen, imr im reim vorkommend, 64. 82. 398. (442 nur in
/gegen ab). 1236. (1434 nur in a gegen /Ö). 1590; 1941.
2625. 2838. 2947. 3107. 3126. 3132. 31S0. 3316. 3344; die
Verbindung von staen mit ende und einem anderen verbum hat
A. dreimal, W. einmal (Martin anm. zu i 1224); phrasen mit
stont, stonde 161. 282. (934 nur in a; s. oben s. 304). 1279; 2237.
2242. 2373. 2458. 2928. die einleitungsphrase nu hoort! be-
gegnet 877. 970. 1428. (1528 in der rede einer handelnden
person); 2162. 2236. 2268. 2766 (nach/; s. oben). 2806. 2848.
2856. 2906. 3056. 3324; dazu nu vernemet 2225. selbst wenn
man entsprechende phrasen in anderer sj'ntaktischer form dazu
nimmt, bleibt ein beträchtliches übergewicht für A. ; s. Martin xlv;
Buitenrust-Hettema, Ee^maert 2 s. xx. das umständlich eine er-
klärung einführende ic seclit ii tirl treffen wir 2382. 2911, ferner
2319 in der fabel von den f röschen, ic segglie u hoe 2279 (wo-
mit Martin noch Ic secht u 3159 vergleicht), die phrase icat
liolpe vele hier of ghesproken 2482, ähnlich 2923, findet sich
nicht ebenso bei W. ; 1869 ff. ist wesentlich anders, aufserdem
ist es nicht sicher, wem die stelle gehört.
Ein recht wesentlicher unterschied ergibt sich vielleicht noch
in bezug auf die relativsätze. relative fügung ist überhaupt im
ganzen gedieht sehr häutig, und im zweiten teil kaum weniger
als im ersten, aber der sogenannte 'anknüpfende relativsatz',
REINAERT 331
der gar niclit dazu dient den hauptsatz oder ein glied desselben
näher zu bestimmen, sondern eine neue behauptung als fortsetzung
der erzählung enthält, ist in W. stark ausgeprägt, während er
in A. sehr zurück tritt, die sache ist freilich nicht so einfach,
da man häutig über den Charakter des satzes verschiedener an-
sieht sein kann, ich führe folgende stellen an, wo das relativuni,
in der regel im anschluss an einen hauptsatz, ohne weiteres mit
■und' und dem demonstrativ übersetzt werden kann: 46. 153.
202 (bei einem nebensatz; f und h weichen übereinstimmend ab).
215. 296. 452. 652. 700. 1567; andere sind unsicherer : 330.331.
360. 643. 1044. 1695. die einzige stelle welche die gleiche
aulfassung nahe legt, die ich im späteren teil bemerkt habe, ist
2438, wo man jedoch den relativsatz enger auf den vorhergehen-
den satz beziehen kann : 'dass die diebe so gründlich über seinen
schätz gekommen waren, dass er keine drei pfennige davon
wiedergefunden hätte", aufserdem könnte das einem nebensatz sich
anschliefsende die 2449 mit 'und diese' übersetzt werden. Arnold
scheint in solchen fällen die demonstrative anknüpfung vorge-
zogen zu haben, wie 2096 und 3164 (die aber natürlich auch
bei Willem nicht fehlt, zb. 526). 2408 wäre diese darum nicht
mit rücksicht auf b und / in die relative zu ändern gewesen;
die neue hs. bestätigt jetzt gleichfalls die erstere. ich müchte
noch auf 1161 — 1167 aufmerkam machen, wo wir in einem
und demselben Satzgefüge drei oder, mit hinzunahme eines doe-
satzes, vier relativsätze haben, etwas, was bei Arnold nicht vor-
kommen dürfte:
eer si quamen tes papen scure,
die met ere erdinen mure
al orame ende omme was besloten,
da er Reinaert in was ghebroken
des ander daghes daer te voren,
doe die pape hadde verloren
enen haue, die hi hem nam.
Man kann solcher unterschiede vielleicht noch mehr tindeii,
aber es wird mühe machen sie aufzuspüren, und es wird ihnen
vielleicht nicht jeder die genügende beweiskraft zuerkennen '.
1 Fremdwörter sind in beiden teilen recht häufig, abgesehen von
einer anzahl die gemeinsam sind, ist ihr bestand freilich recht verschieden,
aber bei einer anzahl hätte die textkritik erst zu entscheiden, und aufser-
332 FRANCK
jedesfalls haben die früheren behandlungen dieser frage gezeigt,
dass im ganzen, auch bis in einzelheiten hinein, in dieser Reinaert-
dichtung auch in sprachliclier hinsieht Übereinstimmung herscht
bis zu einem grade, der bei zwei verschiedenen Verfassern über-
raschen niuss. das gleiche scheint vom metrum gesagt werden
zu müssen ich habe wol zu bemerken geglaubt, dass im ersten
teil ein ausgeprägterer monopodischer rhythmus hersche. aber
Prüfungen die ich über einschlägige einzelheiten anstellte, wie
über das enjambement und die Verwendung schwächer betonter
Wörter im reim, haben nichts greifbares ergeben, und solche
Untersuchungen werden auch besser gespart, bis einmal ein zu-
verlässiger text hergestellt sein wird, mag man sich wundern,
dass zwei verschiedene Individualitäten zu einem solchen einklang
untereinander gekommen sein sollen, mag man darin geradezu
ein phänomen erblicken, man gelangt damit über die bestimmte
nachricht nicht hinweg.
Dass das werk inhaltlich einheitlich geworden ist. ist
durch seine entstehung bedingt. Arnold setzte entweder das
franz Plaid oder diesem entsprechende mündlich umgehende er-
zählungen voraus', eine bearbeitung des Stoffes in nl. verseu
gab es nach Wilhelms zeugnis vorher nicht. W. selber schuf
eine solche, aber eben mit rücksicht auf Arnolds gedieht. Wider-
sprüche sind also von vornehein ebensowenig zu erwarten, wie
bei einem einheitlichen werk, wenn wir von der psj'^chologischen
Vertiefung der ganzen anläge absehen, so scheint W. jedoch auf
die fortsetzung nicht einmal besondere rücksicht genommen zu
haben in dem sinne, dass er seine erzählungen in noch engere
beziehungen zu den von A. gestalteten ereignissen gesetzt hätte,
allerdings mag er , wenn er v. 1 74 ff einen seiner vielen so
wirkungsvollen zusätze anbringt: 'wird das Eeinaert jetzt durch-
gelassen, so dürfte bald auch einer von ihm geschädigt werden,
dem ist es schwer, die richtige grenze zwischen eingebürgerten und weniger
eingebürgerten Wörtern zu finden, im ganzen aber ist der unterschied im
V)estand dui'ch die Situationen bedingt, und es wird sich von hier aus
kaum ein kriterium gewinnen lassen.
' Vielleicht hat er mit bedacht eine gewisse Zurückhaltung gegen-
über dem Verhältnis zwischen Eeinaert und Hersent, wie es in seiner quelle
stand, beobachtet, nur in den versen 1981 ff spielt er in malsvollem
ausdruck darauf an, während er sich 2897 ff, wo gleichfall.s gute gelegen-
heit gewesen wäre, dessen enthält.
REINAERT 333
der sich dessen nicht versieht', eine bemerkung, die in so ge-
schickter weise Isegrims absieht zu hetzen dient, auch insbeson-
dere daran gedacht haben, wie in Arnolds ertindung der könig
selber in kläglicher weise zum opfer von Reinaerts ranken wird,
aber ob es auch erlaubt wäre, die oft bemerkte Unterdrückung
einer sehr hübschen episode des franz. Originals aus der rück-
sicht auf die späteren ereignisse zu erklären? als die hühner-
familie mit der gemordeten henne am hof erscheint, brüllt der
löwe vor zorn so schrecklich, dass der hase aus angst das fieber
kriegt, nachher schläft er auf dem grab der henne ein und er-
wacht gesund, an diesem wunder erkennt man, dass die henne
eine heilige war, und Reinaerts untat erscheint in um so schlim-
merem lichte, diese reizvolle geschichte fehlt im niederländischen
ganzi. wenn man meint, W. habe sie weggelassen, weil sie doch
das religiöse gefühl mehr als er es sonst tut habe verletzen
können, so scheint mir das wenig glaublich, eher würde ich
schon einfach den rein episodischen Charakter der geschichte als
eine genügende erkläruug ihrer nichtbeachtung ansehen, früher
hatte ich freilich noch einen andern beweggrund vermutet, der
könig des nl. gedichtes nimmt Reinaerts untat viel gelassener
auf als im französischen (vgl. v. 425 ff.), erst als Reinaerts
streiche ihm selber an die ehre gehn, ihn persönlich schädigen,
lässt der dichter seinen zorn so hoch steigen, dass er alle tiere
durch sein gebrüll erbeben macht (3391 ffj. für diese auffassung
der dinge hätte also an der früheren stelle die Voraussetzung
für das fieber und die genesung gefehlt, unter den heutigen
umständen scheint mir ein zweifei gegen diese erklärung um so
berechtigter, aber sie darf trotzdem vielleicht einmal zur spräche
gebracht werden, bei der Schilderung von Reinaerts einwilligung,
mit Grimbert an den hof zu gehn, v. 1391 ff, ist seine hoff-
nung, seinem Schicksal doch noch zu entgehen sogar merklich
schwächer betont (1396 quame ic danen, het wäre gheval, 1398
ghenese, of ic mach ghenesen, 1417 f ic sali mi nemen harde
na, up dat ic mach, dat ic ontga) als man es mit rücksicht auf
' wenn hier der zum zeugnis über Kriekepit vor den könig ge-
rufene hase zittert, als ob er coude hätte (2650 ff), so dürfte das eine er-
innerung an diese episode sein, übrigens bedarf es kaum eines besonderen
beweises, dass sowol Arn. wie Wilh. jene franz. erzählung gekannt haben
werden.
Z. F. D. A. LH. N. F. XL. 22
334 FRANCK
die spätere erzählung, nach der er mit einem in der hauptsache
fertigen plan auszieht, erwarten könnte, so dass hier Wilhelms
darstellung eigentlich besser zu der des Plaid als zu der Arnolds
passt, und noch etwas mehr tritt das v. 1749 ff harde sere heefde
Reinaert, doe hi began den hove nahen, daer hi waende sere
mesraken, also unmittelbar vor dem anfang des zu ergänzenden
gedichts Arnolds hervor, die ziemlich genau den franz. versen
1192 ff entsprechen, aber auch wie Arn. sich die sache vorstellt,
ist der ausgang ja noch sehr ungewis, und aufserdem könnte
Wilh. sich absichtlich zurückgehalten haben, um die Überraschung
des Umschwungs nicht abzuschwächen, wenn er 1385 ff Grimbert
die Worte in den mund legt: 'es ist ungewis, wie die sache aus-
geht; du hast schon gröfseres unerwartetes glück gehabt als es
eins wäre, wenn du diesmal frei vom hof abziehen würdest', so
kann er dabei an Arnolds neue erfindung gedacht haben, doch
hätte er auch ohne das Grimbert diese tröstlichen werte gebrau-
chen lassen können, zumal ja auch im Plaid Reinaert frei kommt
und met des coninx orlove den hof verlässt. eine stelle wäre
hervorzuheben, wo die beziehung allerdings eine recht enge ist.
mit 1801 ff ist nach der echten lesart zweifellos der angriff auf
Cuwaert (136 ff) gemeint; es werden an dieser stelle die untaten
Reinaerts, die sich tatsächlich in unserer erzählung selber ab-
gespielt haben, der reihe nach aufgezählt, auf diese stelle, die
nicht etwa nach dem franz. gearbeitet ist, bezieht sich 3115 ff.
Wilh. müste also hier besonders aufmerksam auf das einstimmen
mit dem werk Arnolds hingearbeitet haben, aber eher dürfte
die einstimmung ein beweis dafür sein, dass hier bereits Arn.
selber am wort ist. ein schlagender beweis dafür, dass der Ver-
fasser des ersten teils mit besonderer rücksicht auf den zweiten
arbeitete, fehlt also, so viel ich sehe, wenn man nicht das über
die episode der heiligen henne gesagte gelten lässt. aber es
fehlen auch wtirkliche Widersprüche, so dass von hier aus nicht
einmal die annähme eines einzigen Verfassers für das ganze wider-
legt werden könnte.
Wilhelm setzt bei einzelnen erzählungen in Reinaerts beichte
vor Grimbert eine über seine andeutungen hinausgehnde bekannt-
schaft bei seinen hörern voraus, ebenso ist es im franz. Plaid,
nur dass der fläm. dichter im einzelnen geändert, auch ausge-
lassen und hinzugefügt hat, dem entsprechend was er eben bei
REINAERT 335
seinem publicum voraussetzen durfte, eine selbständige ausge-
staltung einzelner erzählungen durch den dichter ist dabei nicht
ausgeschlossen. Arnold redet andeutungsweise vom galgentod
der brüder Isengrims (1918 ff), eine übereinstimmende erzählung
ist uns nicht überliefert, aber ich glaube, dass wir unbedingt eine
solche voraussetzen müssen, die wol mit den Vorstellungen und
anspielungen im wallfartsabenteuer des Ysengrimus im Zusammen-
hang stand; vgl. auch Voigt Ecbasis captivi s. 36 f. ebenso ver-
hält es sich mit dem hund Eijn (2678 ff), der auch an ganz
anderen orten, merkwürdigerweise auch nur in für uns dunklen
anspielungen, erwähnt wird; s. Martin xxxvin, Muller Taal en
letteren 14, 490. eine grolse rolle spielt der hund Rhyn im
Henninck de Haan von Renner aus den 30er jähren des 18 jhs.
(hg. von Nie. Meyer, Bremen 1831). was hier von ihm erzählt
wird ist freie erfindung Renners, lässt jedoch vermuten, dass
auch damals noch den lesern von Ryn mehr bekannt war, als sie
hätten aus dem Reinke entnehmen können, der nicht mehr von
ihm sagt als auch unser Reinaert. was den tod von Reinaerts
eigenem vater am galgen betrifft, so könnte man ihn für eine
freche lüge Reinaerts ansehen, wenn nicht die anspielung schon
in den versen 2006 f es doch wahrscheinlich machte, dass auch
hiervon eine erzählung unter dem volk umlief.
Wenn nun Arnold das Plaid bei Reinaerts erscheinen am
hof oder bei seiner Verurteilung aufnahm, dessen letzte, wenig
geschickten züge fallen liefs und ihm, in freierer anlehnung an
franz. fuchsgeschichten oder an heimische dichtungen, wie viel-
leicht Karel ende Elegast (Muller Taal en letteren 14, heft 11),
aber überwiegend mit eigener ertindung, und zwar auf grund
eines in ganz unerhörter weise zielbewusten Vorgehens von Rei-
naert, eine fortsetzung gab, die in streng einheitlicher compo-
sition die geschehnisse zu ende führt, so müssen wir annehmen,
dass es ihm dabei auch, und zwar, wie ich glaube, ganz haupt-
sächlich um den abschluss der handlung zu tun war, um
das was ihr trotz aller glänzenden ertindung in der tat bisher
fehlte, versuche nach dieser richtung sind ja von früh an ge-
macht worden, aber die phantastische Verwertung einer fremden
geschichte beim Verfasser des Ysengrimus, die häufung unmoti-
vierter greuel bei Heinrich dem Glichezaere, die willkürlichen und
märchenhaften ertindungen franz. brauchen schufen wol einen
22*
336 FRANCK
schluss, aber keinen abschluss. in der natur des Stoffes lag hier
auch wirklich eine besondere Schwierigkeit, leben doch Eeinaert
und Isengrim und die andern, von denen die geschichten erzählen,
noch Stets und noch in den gleichen verhälthissen vor den äugen
der hörer! mit einer leisen und fast unmerklichen tiction rückt
Arnold die zeit der geschichten und die zeit der hürer auseinan-
der. Reinaert zieht sich mit seiner familie aus der alten wohii-
stätte in eine abgelegenere wildnis zurück, er hat ewige fehde
gegen bär und wolf zu bestehn, die dafür straflos bleiben, wie
sie straflos auch die schafe zerreiCsen dürfen, wo sie sie treffen,
die zustände wie sie vorher waren, unter denen der fuchs noch
etwas näher an den menschlichen wohuungen zu suchen ist, und
die gegenseitigen Schädigungen der tierweit untereinander, so sehr
sie an der tagesordnung waren, noch keine ausdrückliche könig-
liche bestätigung erfahren hatten, klingen durch den schluss der
ereignisse aus in diejenigen zustände, wie sie zur zeit des hörers
bestehn. die prachtvolle ertindung von der betörung des blöden
Belin liegt ganz im character Reinaerts; auch ganz im geiste
der dichtung, denn Belin empfängt nur seinen lohn dafür, dass
er sich mit lügen unverdiente ehren erschleichen will, aber in
ihrem ganzen wert erscheint sie doch erst, wenn wir erkennen,
dass sie eben zu dem zwecke des abschlusses gemacht ist, um
mit der preisgäbe des geschlechtes der schafe die schwer ge-
kränkten barone zu versöhnen.
Der schluss, wie er in der hs. a vorliegt, gehört also not-
wendig zu der genialen ertindung Arnolds, wie trefflich stimmt
es auch zu dessen sonstiger auffassung, w^euu der edle könig, der
todfroh ist, aus der schweren klemme herauszukommen und seine
barone, ohne dass es ihn einen pfenning kostet, zu versöhnen
doch die gelegenheit benutzt, um doch auch noch einen persön-
lichen vorteil heraus zu schlagen und sich vom hären und wolf
von neuem treue schwören zu lassen! der lat. Übersetzer hat den
schluss auch so verstanden wie ich ihn auffasse, und gar nicht
ungeschickt den gedanken noch weiter ausgesponnen: der fried-
lose Belijn unterstellt sich gegen jährlichen abstand seines vlieses
dem schütz der hirten und hunde, der kater, der verängstet auf
dem galgen sitzen geblieben war, kommt gleichfalls herbei und
erhält die wohnung im hause des menschen mit dem recht auf
die mause angewiesen, dann erzählt der Übersetzer noch, wie
I
REINAERT 337
der köiiig mit den seinen vor Malperlus zieht, natürlich das nest
ausgeflogen tindet, Reinaert für vogelfrei erklärt und die biirg
dem erdboden gleich macht, und wie der hof dann auseinander-
geht, das ist nur eine ausführung des beschlusses, der im original
342S ff erzählt wird, es ist nicht im mindesten notwendig an-
zunehmen, oder auch nur wahrscheinlich, dass der Übersetzer hier
irgend eine andre erzähluug mit einem dem seinen ähnlichen
schluss im äuge gehabt habe, anderseits entbehren wir nichts,
wenn diese dinge nicht ausdrücklich erzählt werden, wir wissen
ja, dass die Urteilsvollstrecker das nest ausgeflogen finden, und
auch die mitteilung, dass das leere schloss zerstört wird, durfte
uns Arnold ruhig vorenthalten, in der bearbeitung b fehlt der
ganze schluss, weil er zu der fortsetzung nicht passte.
Man hat aber die abweichung von / und b von a benutzt,
um allerlei zweifei gegen diesen schluss zu erheben und sogar
den ganzen teil von 3397 an als unursprünglich zu verdächtigen,
und auch Muller (VI. Academie s. 44 ff) hält die zweifei noch auf-
recht, die sogar jetzt eine neue nahrung erhalten, indem in hs. /
zwar nicht die letzten 80, aber doch die letzten 46 verse von
a fehlen, ohne dass die hs. eine lücke andeutete, das kann nur
ein zufälliges zusammentreffen sein; jedesfalls kann es die hypo-
thesen in keiner weise unterstützen, denn es fehlt nicht das was
man als unecht vermutet hatte, noch wird in sonst einer weise
das was hypothetisch verlangt war, bestätigt, verschiedene ein-
zelheiten die man zur Unterstützung der zweifei geltend gemacht
hatte, erledigen sich jetzt durch die neue hs. und die textkritik.
die nicht ganz gewohnte wortform vanghen wird durch f bestätigt,
wenn man eine ernste beschwerde daiin findet, könnte man, auch
gegen beide hss., den reim durch vaen : haen ersetzen, den reim
here (mit gedehntem e) : bere 3469 f halt ich in der tat nicht
für ursprünglich (Tijdschr. 7, 7 ff), aber die schlechte hs. a kann
sehr leicht wider einen fehler haben, und nahe genug liegt bare :
mare oder noch besser: Brunn, helet mare wie 615. auf keinen
fall könnte / den richtigen schluss enthalten, das mit v. 3430
aufhört:
ende daerna sullen wi alle lopen
na Eeinaerde ende sulne vanghen
ende sullen sine kele hanghen.
so kurz kann Arnold sein gedieht nicht abgebrochen haben, und
338 FRANCK, REINAERT
wenn man sich sonst schon daran stolsen wollte, dass ganz gegen
ende noch eine neue persönlichkeit, Fierapeel, in die handlang
eintrete, so würde das hier, wo nun noch viel weniger von
Fierapeel gesagt ist, noch anstölsiger. die fehlenden 46 verse
mögen auf der letzten seite der vorläge von / oder einer früheren
handschrift gestanden haben und unleserlich geworden oder aus
irgend einem andern gründe ausgelassen worden sein, ich meine,
wir sind nicht verpflichtet, die tatsache zu erklären, dass a in
der tat den echten schluss enthält, ergibt sich auch, was man
gewöhnlich übersehen hat, daraus, dass die in ihm erzählten
dinge bereits in den unverdächtigen versen 3376 ff angekün-
digt sind.
Die neue hs. enthält auch die froschfabel, die von den
verschiedensten selten mit gröCserer oder geringerer bestimmtheit
als ein unechtes und störendes einschiebsei betrachtet worden
ist, aber durch die Überlieferung einmütig bezeugt wird, man
behauptet, ein solches dement stimme nicht recht zu der ge-
schickten erzählungskunst und überlegenen Ironie des dichters.
man vergesse aber nicht, welche rolle die fabel im Schulunter-
richt, in der litteratur und vermutlich auch im leben spielte.
mir scheint es dem erzheuchler Reinaert ganz wol anzustehen,
wenn er, um seinen lügen Überzeugungskraft zu verleihen, sich
mit der miene des richtigen lehrmeisters auch dieses mittels be-
dient, einerlei, ob die fabel logisch so besonders passt oder nicht;
für seine Zuhörerschaft passt sie genügend, einige stilistische
bedenken erledigen sich wider durch die neue hs. oder bilden
eine frage der textkritik, und wenn die sonst in unserm text
nicht, aber anderorts wol bezeugte anaphorische tautologie liet
was te spade 2318f übrig bleibt (s. oben s. 31 1), so wäre es mög-
lich, dass der dichter sich an eine schon bestehnde nl. fassung
der fabel angeschlossen hätte, oder, was mir noch wahrscheinlicher
vorkommt, dass er hier den stil irgend eines bestimmten, ver-
mutlich lehrhaften gedichtes parodiert, man muss also mindestens
so vorsichtig sein wie Martin und Muller Ojb. s. 70 ff (gegen
Muller VI. acad. s. 31), und der herausgeber hat m. a. nach
keinesfalls das recht, diese stelle aus dem text zu beseitigen.
Bonn. J. Franck.
\
ANTIKE ELEMENTE BEI GOTTFRIED VON
STRASSBURG.
Dem Verhältnis Cxottfrieds von Strafsburg zum classischen
altertum hatten bereits Heinzel, Preufs und Bahnsch ^ einzelne
abschnitte ihrer Untersuchungen gewidmet, doch erst das starke
neue licht, das die Tristanforschungen von Bödier und Piquet^
über Gottfried und seine quelle verbreitet haben, ermöglicht es,
würklich scharf zu scheiden zwischen den antiken elementen aus
Gottfrieds eigenbesitz und denen, die er aus seiner französischen
quelle übernommen hat. ohne diese Scheidung aber ist nichts
für die erkenntnis von Gottfrieds bildungskreis zu gewinnen.
Einige anspieluugen auf antike sagen in Gottfrieds Tristan
und Isolde verraten sich ohne weiteres durch die mythologischen
namen. freilich der im v. 16695 genannte Corineus (Verg. Aen.
IX 571) entstammt nicht Gottfrieds eigner kenntnis; als epony-
men von Cornwallis hatte ihn vom Anglonormannen Wace be-
reits Thomas übernommen, und auf demselben wege sind die
merkwürdigen angaben über Rom und römische geschichte v. 5987,
5910, 18449 zu Gottfried gelangt 3; mit unrecht also flöfsen sie
Bahnsch (s. 7) mistrauen gegen Gottfrieds geschichtliche kennt-
nisse ein. nach Bediers ansieht (i 52 -) gehört auch die erwäh-
nung des leiches von Thisbe dem gedieht des Thomas an, den
Tristan v. 3614 zusammen mit dem leich von Gralant an Markes
hofe vorträgt, dieser leich von Gralant und ebenso des walli-
sischen harfners leich von Gurun sind von Bedier als franzö-
sische lais nachgewiesen und waren gewis von Thomas genannt,
indem nun Bedier an andere bretonische lais mit antiken Stoffen
erinnert, zählt er auch den von Thisbe zu diesen und fordert
ihn damit für Thomas, dem widerspricht folgendes: Tristan hat
nach V. 3625 und 3689 aufser bretonisch, wallisisch, französisch auch
lateinisch in den vorgetragenen liedern gesungen, und diesen
» Heinzel, Zs. f. österr. gymn. 1868, 539 [= Kl. sehr. s. 27] ; Preufs,
Stralsb. Studien I (1881) 67. Bahnsch Tristanstudien, progr. Danzig
1885. - Sedier Le roman de Tristan par Thomas, i, ii. Paris 1902,
1905, Piquet L'originalite de Gottfried de Strasbourg. Lille (Travaux et
m^moires de l'univ.) 1905. ^ Bedier i 236 * u. i 76'.
340 HOFFA
lateinischen Vortrag wird man naturgemäfs auf den Stoff von
Pyramus und Thisbe beziehen; damit fällt der zwang-, ihn der
französischen vorläge zuzuweisen; auch der ausdruck de la
curtoise Thispe beweist nichts, da G. solche französische Wen-
dungen oft eigenmächtig erfindet, weiterhin nun nennt Tristan
V. 3Ü77 als seine lehrer nur einen für wallisisch und einen für
bretonisch, vom lateinlehrer ist da auffallenderweise keine rede,
dadurch wird die möglichkeit, dass die lateinische sangeskunst
erst von G. hineingetragen und zwar an zwei stellen berück-
sichtigt, an einer dritten aber vergessen wurde, näher gerückt;
sie wird zur Wahrscheinlichkeit erhoben durch die tatsache, dass
G. in der aufzählung der musikalischen vortrage von Thomas ab-
gewichen ist: statt der drei lieder, welche die an. saga für Thomas
bezeugt, hat G. nur zwei, das von Gralant also hat er beibehalten,
die beiden andren hat er durch den einen leich von Thisbe
ersetzt.
Im V. 13351 fordert Gandin Tristan auf, mit dem leich von
Didöne die traurige Isolde zu trösten, in der saga cap. 50
wird der namen Didos nicht erwähnt, und die aufforderung lautet
dort allgemeiner: vinr, kvadf kann, gör nie'r nü aära skemfan
at hugga meSf Isond, frü mina, svä pü komir af henni harmi
simmi. hat nun Robert, der Verfasser der saga, den namen
Dido zwar bei Thomas vorgefunden, ihn aber unterdrückt, weil
er ihm oder seinen lesern unbekannt war? nein, denn er nennt
Dido cap. 4. erst Gottfried hat also die f orderung eines be-
liebigen trostliedes, die an sich dem sachlichen Zusammenhang
genügte, in die angäbe eines bestimmten themas verwandelt,
noch einmal erscheint Dido in Gottfrieds gedieht im v. 17193
zusammen mit Phyllis, Canace, Byblis ; es sind die heldinnen der
liebeslieder, aus denen Tristan und Isolde in der einsamkeit der
minnegrotte ihre herzen mit schmerzlich-seliger liebesstimmung
erfüllen, wie in v. 13351 wird auch hier nicht das stoffliche
der Didosage, sondern ein lied von Dido erwähnt, das mit seinem
erotisch-elegischen Inhalt das gefühl der liebe im hörer wecken
soll, diese gleichartige Verwendung des motivs spricht für ^inen
Verfasser, und dass wir in diesem bei der behaudlung des v. 13351
mit recht Gottfried erblickt haben, findet von andrer seite lier
eine bestätigung: in einem excurs v. 12187 — 12438, den Piquet
s. 232 überzeugend als gottfriedischen zusatz nachweist, spricht
ANTIKE ELEMENTE BEI GOTTFRIED 341
G. V. 12326 ff von der liebewerbenden kraft, die den historien
von wahrhafter liebe innewohnt
swaz ivir mit rede vür bringen
von den die wilent wären
vor manegen hundert jären,
daz tuot uns in dem herzen ol.w
gerade die tragischen liebesgeschichten haben diese starke see-
lische würkung, und so will G. sein ganzes gedieht verstanden
haben, denn
der edele senedcere
der minnet senediu nicere (v. 121).
ob aber G. die sagen von Thisbe. Dido, Phyllis, Byblis, Canace
aus Ovid selbst kannte, wage ich bei der grofsen Verbreitung
dieser Stoffe im mittelalter nicht zu entscheiden ; und dass Blickers
Umbehang als vermittelnde dichtung in betracht kommt, wie
Bahnsch will, lässt sich so wenig beweisen wie widerlegen.
Eine fülle mythologischer namen tritt von v. 4729 an auf
in dem berühmten abschnitt über die deutschen dichter, hier
braucht Gottfrieds Selbständigkeit nicht erst bewiesen zu werden,
das urteil über Heinrich von Veldeke lautet v. 4728.
ich wcene, er sine tvisheit
üz Fegases urspringe nam,
von dem diu wisheit elliu kam.
G. will Veldekes dichtkunst durch die wunderbare herkunft auf
eine besonders hohe stufe stellen, eine innere beziehung zwischen
Pegasus und dem antiken stoff der Eneide (Zs. 39, 308) soll
man darin nicht erblicken, sonst müste man auch für v. 4788
nach einer beziehung zwischen Orpheus und Reimar von Hage-
nau suchen. Ovid hat Met. v 262 die entstehuug der Hippo-
krene durch den hufschlag des Pegasus erzählt; dass G. grade
diese stelle vor äugen gehabt hat, lässt sich höchstens vermuten,
aber es wäre eine trügerische stütze dieser Vermutung, wollte
man aus demselben Metamorphosenbuch (5, 254) die gottfriedische
Schilderung des Helicon (v. 4860) herleiten:
nivie flehe und mine bete
die teil ich erste senden
mit herzen und mit henden
hin ivider ze Elicöne
ze dem niunvalten tröne,
342 HOFFA
von dem die hrunnen diezenf,
nz den die gäbe fliezent
der Worte und onch der sinne.
bei Ovid ist weder an dieser noch an irgend einer stelle von
den vielen bächen die rede, die dem Helicon entströmen. G.
aber hat nicht etwa in selbständiger ausschraücknng' die eine
Hippokrene des Ovid vervielfältigt, denn auch die Vorstellung
der zahlreichen quellen ist antik ; im ausgeführten bilde gibt sie
Statius Silv, ii 1, 36, für G. lag noch näher die Serviuserklärung
zu Verg. Ecl. 6, 64 Helicon mons est Boeotiae, quae et Aonia dicitur;
de hoc plurima cadunt flwnina, inter quae etiam Permessm.
wer im mittelalter Vergil las, las ihn mit dem commentar des
Servius, der in vielen handschriften verbreitet war, und auf
Gottfrieds Vergilkenntnis grade führt der ganze Zusammenhang
der beiden zuletzt behandelten stellen: G. ist sich bei der dar-
stellung fremder dichtergröfse der eignen Schwachheit recht be-
wust geworden (v. 4831), schon will er verzagen, da greift er
zum letzten unversuchten mittel; zum Helicon, zu den musen
und ihrem führer Apollo ^ richtet er sein gebet um erleuchtung.
genau so hatte Vergil die musen angerufen, ihm den Helicon
zu eröffnen, wenn er in der darstellung auf eine Schwierigkeit
stiefs, die nur mit besonderer dichterischer kraft überwunden
werden konnte, zwei mal in der Aeneis (vn 641 und x 163)
findet sich das gebet pandite nunc Helicona deae cantusque mo-
vete, öfters die allgemeine bitte an die musen um belehrung und
beistand in den nöten der kunst. Gottfried aber hat aus der
fast traditionellen epischen formel Vergils heraus in kraftvollen
färben vor seinem leser das bild des musenberges entwickelt,
dagegen treten die kleineren mythologischen Schnitzer, die Bahnsch
zu der ansieht gebracht hatten, die antike weit sei in G. über-
haupt nicht lebendig geworden, doch zurück ; so die gleichsetzung
der musen mit den Sirenen im v. 4869
Apollo und die Camenen
der ören niun Sirenen.
hier mag immerhin eine erinnerung an die antike tradition der
' es verdient beachtung, dass Apollo hier der echt antike musagetes
ist, nicht der Sarazenengötze, zu dem ihn und Jupiter das mittelalter oft
gestempelt hatte; vgl. Bartsch Albrecht v. |Halberstadt, einl. s. xlvi und
Cholevius Gesch. d. d. poesie nach ihren nntiken dementen i 184.
ANTIKE ELEMENTE BEI GOTTFRIED 343
abstammung der Sirenen von einer der neun musen, wie sie
Serv. zu Aen. v 864 Sirenes . . Acheloi flmninü et Calliopes
Musae f'iliae bietet, die an sich schon vorhandene ähnliclikeit
zwischen den wunderbar singenden musen und den wunderbar
singenden sirenen für G. noch gesteigert haben '. eine leise
mittelalterliche änderung wird an der gestalt des Sängers Orpheus
vorgenommen, v. 4788
ich u'cene Orphees zunge,
diu alle dcene künde,
diu dcenete üz ir munde.
die alten betonen stets die gewaltige würkung, die Orpheus
gesang auf natur und menschen ausübt, den mittelalterlichen
dichter interessiert die Vielseitigkeit des könnens; auch von
Tristan wird es gerühmt (v. 3624), dass er alle dcene beherrscht.
Kassandra tritt v. 4 930, 4948, 4970 im verein mit Vulcan auf
und wird als meisterin der webekunst genannt, Vulcan den
Waffenschmied hat G. aus der Eneide Veldekes, auf dessen schilde-
rungssucht er ironisch anspielt, die frage, wie aus der Seherin
Kassandra die Weberin geworden ist, müsten wir hier auf-
werfen, wenn es sich dabei um einen Irrtum oder eine änderung
Gottfrieds handelte; aber diese Umgestaltung war durch eine
allgemeine mittelalterliche Überlieferung, die ESchröder Zs. 4 3, 257
bis auf den frz. Aeneasroman verfolgt hat, für G. etwas ge-
gebenes, in den versen 4805 — 8
ich meine abr in dem döne
da her von Zitheröne,
da diu gotinne Minne
gehiutet üf und inne
sind sichtlich der musenberg Kithaeron und Kythere die insel
der Aphrodite verwechselt (Bahnsch s. 6). möglicherweise durch
Gottfrieds eigene schuld, denn belegt ist diese Verwechslung
aulser dieser stelle bisher noch nicht, aber der fall der weberin
Kassandra rät zur vorsieht in der Verwendung eines solchen argu-
mentum ex silentio; auch sie wurde, bis Schröder sie im Aeneas-
roman fand, für Gottfrieds eigentum ausgegeben, wir lassen
* von der Vereinigung der sirenen und musen, die im gelehrten ge-
spräch bei Plutarch Quaest. conviv. ix 14, 5 behandelt wird, führen keine
fäden zu Gottfried.
344 HOFFA
daher auch hier die müglichkeit offen, dass das zusammenwerfen
von Kythere und Kithaeron älter und allgemeiner war.
Der ganze abschnitt von der schwertleite und der damit
verbundenen dichterbesprechung ist in gehobenem stile gehalten
und wird durch eine fülle poetischer bilder charakterisiert; erst
gegen ende, von v. 4906 an. bricht die sclialkhafte Stimmung
der gegen Veldeke gerichteten Ironie durch', in diesem ab-
schnitte des gesteigerten tones nun linden sich bei weitem die
meisten antik-mythologischen anspielungen des ganzen gedichtes;
wir können daher an dieser ihrer Verwendung, mögen sie nun
aus der antiken quelle oder aus der mittelalterlichen Wasserleitung
geschöpft sein, die w^ertschätzung des classischen altertums durch
Gottfried ermessen: die gestalten der antike leben in seinem
geiste, um ihm dann ihre dienste zu leihen, wenn es gilt, über
das alltägliche hinaus in höherem schwunge die darstellung zu
führen.
Nur wenige mythologische anspielungen aus andern teilen
des gedichts sind noch übrig, v. 8091 und 8115 lässt G. die
Sirenen mit ihrem sänge auf dem ag est eine die schiffer zum
scheitern bringen, vielleicht kannte er wider aus Serv. zu Verg.
Aen. V 864 (vgl. s. 342) die felseninseln, an denen vom Sirenen-
gesang bezaubert die schiffer strandeten; sie wurden ihm unter
dem einfluss des orientalischen märchens zum magnetstein, als
originales erzeugnis Gottfrieds werden die verse 8080 — 8135
durch die von Piquet s. 179 vorgebrachten gründe sowie durch
das mehrfache reden in erster person (8089, S094) erwiesen,
und auch hier ist es ein stück gehobenen Stiles, die Schilderung
von Isoldens herrlicher sangeskunst, in das der dichter den ver-
gleich aus der antiken mythologie einfliefsen lässt. wenn
bald danach Tristan (v. 8256) die Schönheit Isoldens preist, so
hören wir die namen Aurora, Tyndaride^, Mykene, Griechenland
' Schröder Zwei altdeutsche rittermären, einl. s. xv.
2 die auffallende Form Tyndaiides (8271), das männliche patrony-
mikon statt der im lat. allein möglichen form Tyndaris nimmt eine Sonder-
stellung ein; die Verwechslung begieug G. wol, weil er die obliquen casus
aus Vergil und Ovid im ohr hatte, aber sonst meidet er überhaupt latei-
nisch anmutende formen in den eigennamen j oft sind die deutschen decli-
nationsendungen durch den reim gesichert (zb. 3615. 4806. 4863. 4895.
4930. 13351). dies verfahren ist für mhd. dichter keineswegs gesetz (s.
Kinzel, Festschr. f. Zacher [Halle 1880] s. 66) und zeigt daher Gottfrieds
ANTIKE ELEMENTE BEI GOTTFRIED 345
abermals im schwung der lobrede erschallen, wol enthielt auch
Thomas gedieht diese lobrede, aber einstimmig weisen Bddier i
104' und Piquet s. 181 auf grund der stilistischen eigentüm-
lichkeiten die ausschmückung im einzelnen Gottfried zu. als
vorläge hat bereits Bahnsch (s. 6) Verg. Aen. ir 589 ff erkannt,
eine unmittelbare benutzung Vergils durdi Gottfried anzunehmen,
ist nach dem oben gezeigten durchaus ohne Schwierigkeit; natür-
lich hat er sich nicht um des Vergleiches mit Helena willen in
ein genaueres Studium der Aeneis eingelassen, vielmehr war ihm
aus einer früheren lectüre das Selbstgespräch des Aeneas im ge-
dächtnis', und die gedächtnismäfsige widergabeliefs die Verwechslung
der Aurora mit Leda unterlaufen ^.
Auch wo der hinweis durch antike namen fehlt, vermögen
wir bisweilen zu zeigen, dass G. aus lateinischen dichtem poetische
motive, bilder und gedanken, entnommen hat. die verse Ovids
Remed. am. 441 ff hat Heinzel s. 539 widererkannt in Gottfrieds
werten v. 19436 — 51. hier ist einmal würklich das entsprechende
stück aus Thomas in dem fragment Sne3^d erhalten, v. 235ff B6d.
Zwar erzählt auch Thomas den plan Tristans, sich durch
eine neue liebe vom kummer der ersten zu befreien und zu
heilen, aber die erläuternden gleichnisse vom zerteilten fluss und
vom zerteilten feuer gehören G. allein, und sie stimmen wörtlich
zu den beiden ersten beispielen Ovids:
grandia per muUos tenuantur fltimina rivos
magnaque diducto stipite flamnia perit.
in G. tauchte also, als er in den versen des Thomas den ge-
danken von der heilenden kraft der zweiten liebe las, die
erinnerung an Ovids Remedia. amoris auf, wo er den gleichen
gedanken einst gelesen hatte; eine zweite gedankenverbindung
absichtj den einheitlichen stil seines deutschen gedichtes nicht durch
formen wie Pegasi oder Vulcanus zu stören, wodurch das hypothetische
akrostichon in latinisierter form GODE(FR>IDUS (vKraus Zs. ,50, 221)
etwas an Wahrscheinlichkeit einbiifst.
' der monolog war berühmt, er bildete schon den scholiasten (Serv,
zu II 56G) wegen der fraglichen echtheit ein problem und wurde in der
mittelalterlichen Vergilerklärung gewiss ebenso oft behandelt wie in der
modernen.
- Bahnsch irrt in der angäbe, Leda werde zur tochter, Helena zur
enkelin der Aurora gemacht, tohter unde ir kint ist in der form des
iv 8iA SvoTv gesagt, die G. liebt; vgl. Kottenkamp Germ. 26, 399.
346 HOFFA
trat helfend hinzu: wenige verse später, Remed. 475, tröstet sich
Agamemnon mit dem besitz der Briseis, die den platz der ihm
genommenen Chryseis einnehmen soll:
est, alt Atrides, illius proxima forma
et, si prima sinat syllaba, nomen idem.
also wie bei Thomas v. 249. 50** gibt auch bei Ovid die namens-
ähnlichkeit der neuen geliebten einen trostgrund ab, den alten
schmerz zu verwinden ; auch diese Übereinstimmung wies G. bei
der lectüre des Thomas auf Ovids Remedia hin. von dort holte
er sich seine beiden gleichnisse, aber was in der rhetorisch zu-
gespitzten und kunstvoll gearbeiteten spräche Ovids 6m distichon
füllt, nimmt im breit und behaglich flieisenden stil des mhd.
reimpaares 12 zeilen ein. G. liefs in feinsinniger bewertung
dieses stilunterschiedes die beiden folgenden gleichnisse Ovids
(447. 48)
non satis una tenet ceratas ancora pup2)es,
nee satis est liquidis unicus hamus aquis
in der widergabe fallen, das erste wol auch deshalb, weil er das
bild vom ankerlosen schiff schon einmal v. 8090 ausgeführt
hatte, durch die einsetzung des Rheins- statt des allgemeinen
'grofsen flusses' gewinnt Gottfrieds gleichnis vor dem des Ovid
an frische und lebendiger kraft.
Die rede von minnen, durch die v. 12187 — 12361 die er-
zählung vom liebesieben Tristans und Isoldens auf der fahrt
unterbrochen wird, fehlte wahrscheinlich im gedieht des Thomas,
da die saga und Sir Tristrem keine spuren von ihr zeigen;
jedenfalls gehört ihre persönliche und lebhafte ausführung Gott-
fried (vgl. Piquet s. 232); in v. 12236 ff spricht dieser von der
liebe unter dem bilde von saat und ernte:
wir miiezen daz her icider lesen,
daz da vor gewerket wirt,
und nemen daz uns der säme birt.
wir miiezen smden zinde mcen
daz selbe daz tvir dar gescen.
hiermit möchte ich die verse Ovids Ars amat. n 319 ff ver-
gleichen
' der gedanke ist nicht eigentuui des Thomas, sondern gehört auf
grund von Eilhart 5690 (vgl. Piquet s. 310*) schon dem Urtristan an.
ANTIKE ELEMENTE BEI GOTTFRIED 347
, . sed si male firma cuhabit
et Vitium caeli senserit aegra sui,
tunc amor et pietas tua sit manifesta puellae;
tum sere, quod plena postmodo falce metas.
den Zufall für diese Übereinstimmung verantwortlich zu machen,
geht nicht an ; denn noch eine andere stelle Gottfrieds aus dem-
selben Zusammenhang stimmt zusammen mit einer Ovids aus un-
mittelbarer nachbarschaft der genannten verse. beide dichter
klagen über den niedergang der zeiten und die feilheit der liebe
in ähnlichen Worten:
Gottfr. V. 12304 minne, aller herzen künigin,
diu frie, diu eine
diu ist umbe kouf gemeine
und Ovid Ars amat. n 277
aurea sunt vere nunc saecula, plurima auro
venit lionos; auro conciliatur amor.
in einem längeren, ihm eigenen lehrhaften excurs über die liebe
sagt G. V. 17 983 ff
swä so daz wlp ir wtpheit
unde ir herze von ir leit
17985 und herzet sich mit manne,
da honeget diu tanne,
da balsemet der scherlinc;
der nezzelen ursprinc
der röset oh der erden.
der gedanke lag so in der form des ddvvarov geprägt in einem
lateinischen Sprichwort MSD^ xxvn 2,90 == Floril. Gotting.
3 1 vor:
Immutando locum non mutant poma saporem
Non mutare valet innatuni femina morem.
die einzelausdrücke lieferten Vergil und Ovid: zu v. 17986 Verg.
ecl. 4, 30 (= Horaz Epod. 16, 47)
et durae quercus sudabunt roscida mella^
zu 17988. 89 Ovid Remed. 46 et urticae proxima saepe
rosa est.
Anklänge an lateinische Sprichwörter, auf die das letzte
1 bekanntlich die lieblingsecloge des mittelalters, vgl. E.Schröder
Zs. 43, 371 und ThCreizenacb, Aeneis, iv. Ecloge und Pbarsalia im ma,
progr. Frankf, 1864.
348 HOFFA
beispiel bereits hinwies, sind in Gottfrieds gedieht sehr zahlreich,
doch da, wo als seine muster lateinische verse solcher mittel-
alterlichen sprichwörtersammluugen wie MSD' xxvn 2 erscheinen,
ist es nicht auszumachen, ob er die Sprichwörter in der uns
überlieferten lateinischen form durch den Unterricht kannte, oder
ob sie seinem munde aus der eignen spräche zugewachsen waren;
dies gilt für die von Preufs s. 67 behandelten verse
Gottfr. 5460 = MSD3 xxvn 2, 139
10430= „ „ „ 237;
hierzu gesellt sich noch der zweifei an Gottfrieds Selbständig-
keit für V. 16477 =^MSD xxvn 2, 81 u. 82, da bereits Thomas
geschildert hatte, wie allmählich der argwöhn in Marke erwacht,
und daher die veranlassung zum argwöhn in der form des lat.
Sprichwortes ausdrücken konnte:
illic est oculus, qua res sunt quas adamamus,
est ibi nostra manus qua nos in parte dolemus.
hinzuzufügen ist dagegen, aus dem gleichen Gottfried eigenen
excurs wie die oben behandelten verse 17983 ff stammend, die
ausspinnung des lat, Sprichwortes MSD xxvn 2, 65 femina raro
bona, sed quae bona digna Corona in den versen 17975 — 82.
Mit gröl serer Sicherheit lässt sich von lateinischem
sprichwörtergut bei Gottfried da reden, wo verse des Publilius
Syrus in deutschem gewande in seinem gedieht erscheinen, über
die Zusammenstellungen von Preufs i hinaus habe ich für
Publilius sicheres nicht ermitteln können; zu v. 13899 ff möcht
ich folgendes bemerken: G. soll nach Preufs (s. 70) und Piquet
(s. 251) in den worten
wan an den frouwen allen
enist nie mere galten,
als man üz ir munde giht,
noch enhahent dekeiner trüge niht
noch aller valsche dekeinen,
toan daz si kunnen tveinen
äne meine unde äne muot,
als ofte so si dunket guot
1 sie betreffen die sprüche Gottfrieds und aus dem Tristan die verse
8409 (= PS. 315), 17895 (== PS. 53, also eine lesefrucht, sodass Kotten-
kamp Germ. 26, 400 falsch interpretiert), 17921 (= PS. 18), 18047 (= PS.
3401 und 13043 ( = PS. 37, der in Wahrheit ein Terenzvers ist, s. u.).
ANTIKE ELEMENTE BEI GOTTFRIED 349
den vers des Publilius 130 M(eyer) benutzt haben didicere flere
feminae in mendaciioii. aber G. ist in der ganzen Umgebung
dieser verse ein getreuer Übersetzer seiner vorläge, und bereits
diese vorläge enthielt Sprichwörter, so wird grade in nächster
nähe unsrer stelle das Sprichwort v. 13991
7nan sprichet von den frouwen, daz
si tragen ir manne friunden haz
durch seine genaue Übereinstimmung mit saga cap. 53 ' als eigen-
tum des Thomas erwiesen; dieser gibt in den betreffenden
Versen ein lateinisches Sprichwort wider, Disticha Catonis i 8
nil temere nxori de servis crede querenti,
semper enim muUer, quem coniunx dilü/it, odit.'^
und so hat Thomas auch ein anrecht auf das wort von den
trügerischen weiberträlmen in v. 13899 ff, um so mehr, da eine
viel mehr ins einzelne gelinde lateinische entsprechung als bei
Publilius sich widerum in den Disticha Catonis findet, die bereits
eben als Thomas quelle erschienen, aber sich nie in einem sicher
originalen stücke Gottfrieds nachweisen lassen; dist. Cat. iii 20
lautet:
coniugis iratae noli tu verba timere,
nam lacrimis struit insidias, cum feniina plorat.
völlig und ohne weiteres freilich erscheint der Zusammenhang
mit G. nicht; aber galle (v. 13900) passt gut zu irata, die zweite
zeile des distichons passt zu 13902 — 6. v. 13901 findet sich
im distichon nicht, und bei genauerem zusehen ist der gedanke
'der frauen zorn ist erloschen, sobald man ihnen nach dem munde
redet' im gottfriedischen Zusammenhang unberechtigt und störend,
vielleicht hat G. ungenau übersetzt und bei Thomas folgten die
gedanken so auf einander: Isolde weinte so, dass Marke ihre
trähnen für echt hielt; sie versuchte ihre absieht nicht durch
zorn zu erreichen, denn wirksamer als frauenzorn sind frauen-
' ßri at pat er opinberliga ordkvcedi, at fertigt kann cerda lun-
derni kvenna, at konur unna ekki frwndtim boenda sinna eda cilja
hafa ßa ncer rcedu sinni eda verkum ncetr sem daga.
2 so lautet der vers in den meisten hss, so wurde er also im raittel-
alter am meisten gelesen, so passt er auch am besten zu Gottfr. 13991,
und in dieser fassung steht er in einer der mhd. Übersetzungen : Zarneke,
Deutscher Cato s. 35, v. 141 — 4. Nemethy in der ausg. des Cato (Buda-
pest 1895) schreibt im anschluss an den Veronensis coniunw- sercum quem
dUiijit odit.
Z. F. D. A. Lir. N. F. XL. 23
350 HOFFA, ANTIKE ELEMENTE BEI GOTTFRIED
trähnen, die sie jederzeit zur Verfügung haben, so schliefst sich
Thomas eng an Cato an.
In den versen 13043—49 hat Preufs s. 71 Publ. Syr. 37
amantium irae amoris integratio est erkannt; in der tat ist das
ein vers des Terenz (Andria 555), den G. natürlich nur als Sen-
tenz, herausgebrochen aus seinem ursprünglichen zusammenhange,
kannte, genau so möchte ich Gottfrieds worte i v. 9890 be-
urteilen:
der iucli da )ril, desn ivelt ir nilü.
es ist das antitheton des Terenz über die frauen Eun. 812
nolunt tibi velis, tibi nolis cupiunt idtro.
die existenz als spruchvers, die für Andr. 555 durch den über-
tritt in die Publiliussammlung erwiesen ist, können wir mit
fug und recht von dort auf Eun. 812 übertragen; eine allge-
meine bestätigung bieten würklich vorhandene Sammlungen excer-
pierter Terenzverse, wie sie beispielsweise cod. lat. Monac. 17210
s. xni zusammen mit Publiliussprüchen und Sentenzen aus Sal-
lust und Cicero enthält-.
Die ausgiebige benutzung der lateinischen spruchverse be-
weist, dass G. auf einer gelehrten schule lätein gelernt hatte,
und man mag mit Bedier (i 31) eine etwas unbehagliche er-
innerung an den zwang dieser Schuljahre in der Schilderung von
Tristans ersten Studien (v. 2066 ff) erblicken; auch die theolo-
gische quisquilienfrage, welche frucht eigentlich die begierde
Evas gereizt habe (v. 17947), verrät nur allzu deutlich den
klösterlichen magister. doch jene sententiae, unpersönliche ex-
cerpte, an denen der schüler Gottfried grammatik, logik, moral
gelernt hatte, machen seine classische bildung nicht aus: der
dichter Gottfried hat die alten auctores selbst, Ovid besonders
und Vergil, gelesen; ihre gedanken und ausdrucksformen fügt er
mit sicherer künstlerhand dem eigenen werke ein, die gestalten
ihrer götterlehre sind in ihm lebendig, sind ihm mittel der ge-
steigerten dichterischen anschauung, schmuck der gehobenen rede,
wenn auch bisweilen dem antiken körper ein mittelalterliches
mäntelchen umgehängt ist.
* die Selbständigkeit der stilistischen ausschmückung erweist Piquet
8. 205. - WMeyer Die Sammlungen der spruchverse des Publilius
Syrus. s. 25.
Cassel. Wilhelm Iloffa.
FRAGMENTE VON WOLFRAMS WILLEHALM
UND RUDOLFS BARLAAM.
Herr hür germeist er Schrader in Schafstädt übersandte vor
einiger zeit herrn collegen Saran eine aufsen mit gepressfem leder
überzogene holzeinbanddecke, deren Innenseiten mit resten von be-
schriebenen pergamentblättern beklebt sind, zivecks deren näherer
bestimmung überliess mir College Saran freundlichst den einband,
über dessen herkunft herr bürgermeister Schrader mir folgendes
mitzuteilen die gute hafte. 'in dem fraglichen einbände befand
sich zu der zeit, als ich ihn erhielt, nur noch ein teil des
früheren inhalts: die psalterausgabe von Bugenhagen, Basel 1526.
die dem angegebenen vorgebunden geicesenen icerke waren heraus-
geschnitten, ericorben habe ich den band aus der antiquariats-
buchhandlimg von dr. Julius Determann, Heilbronn', der Inhalt
der von mir abgelösten hslichen fragmente war leicht festzu-
stellen: sie enthalten abschnitte aus Wolframs Willehalm und
Rudolfs Barlaam.
1. FRAGMENT AUS WOLFRAMS WILLEHALM.
Auf der innenseite des vorderen holzdeckels war vor seiner
ablöstmg in längsrichtnng ein pergamentstreifen, bis hart an den
Innern bandrücken reichend, aufgeklebt, der in seiner länge 1 6 cm,
in seiner ganzen breite 27, 4/5 cm mass. abgelöst, ergab sich als
ursprünglich ein zweispaltig beschriebenes doppelblatt mit 40 zeilen
auf der spalte, von dem jetzt das obere drittel (13/14 zeilen) fehlt,
von bl. 1 ist nur noch die erste und vierte spalte vorhanden, in
seinem jetzigen umfang 9,3 cm breit, tcährend bl. 2 in voll-
ständiger breite (18, 1/2 cm) vorliegt, von bl. 2"* sind oben auf
spalte a die eingänge weiterer 4 zeilen {Lachm. 270, 29 — 271, 2)
erhalten: das kleine pergamentstückchen war ursprünglich um
den rand des holzdeckels nach innen zu gebogen und hatte seinen
platz zwischen holz und leder. bl. 1^. 2°" waren sehr fest auf-
geklebt: durch die ablösung ist die schtvärze der schriftzüge
zumeist auf das holz übertragen worden, so dass es sich empfahl,
bei der lesung den Spiegel zur hilfe zu nehmen.
23*
352 STRAUCH
£"6" handelt sich um eine sorgfältig geschriebene Willehalmhs.
des \Ajh.s {u-ol aus der ersten hälfte) in 4** mit rot äurch-
strichener majuskel zu eingang jeder verszeile und einzelnen
gröfseren rot — einmal auch violett — ausgemalten initialen.
das nur fragmentarisch auf uns gekommene doppelblatt umschloss
früher zwei iceitere und umfafsfe mit diesen Willeh. 243, 27 bis
276, 6. davon standen 24 9^ 7 — 270, 20 auf den beiden in unser
doppelblatt eingelegten, dh. 614 = 4 x 160 zeilen -\- 4; das plus
von 4 Zeilen (nach Lachmanns Zählung) reduziert sich tvol in
Übereinstimmung mit der hss.grnppe opt durch den ausfall
von 252, 29 f. 264, 21 f. imser doppelblatt bot ursprünglich
243, 27—249, 6 und 270, 21—276, 6. davon ist folgendes
erhalten:
bl. V 244, 10—245, 6; es fehlen 243, 27—244, 9 sowie
bl. \^: 245, 7—246, 16; bl. V: 246, 17—247, 26;
bl. i^ 248, 10—249, 6; es fehlen 247, 27—248, 9;
bl. 2^ 270, 29—272, 2; es fehlen 2J0, 21—28;
bl. 2" 272, 17—273, 14; es fehlen 2T2, 3—16;
bl. 2' 273, 28—274, 26; es fehlen 273, 15—27;
bl. 2^ 275, 10—276, 6; es fehlen 274, 27—275, 9.
so viel ich sehe, kommt von den sonst vorhandenen bruchstücken
von gleicher anläge (s. Zs. 24, 84) keines für das neue in be-
tracht. der text, ivelchen unser fragment bietet, ist nicht frei
von misverständnissen ; er steht der gruppe lopt sehr nahe (271,
23. 273, 3. 274, 9f seien nur als besonders beiveisend angeführt)
und innerhalb dieser wieder It (271, 25f. 272, 19f. 273,6. 274,
13f); zu t stellen sich die lesarten 248, 12. 274, 24. 275, 24.
30, zu 1 275, 25. die spräche zeigt md. einflüsse: e = se; fnre
kure kunic; konde begonde kolter; neben ü vereinzelt u, aber
auch ü für ii: künst gimst künt dründer; ture; vereinzelt steht
ie für i: fliez; gesehen; craclie: lache (Inf); gehen = jehen;
wil = vil; vmbere = unmaire 273, 11; viant.
1^
Lachm. 244, 10 Vii hiez 1 1 ze allen (o(^/er allem?) site 12 Von
semftem plvmiten 13 [und] teppit vil da füre
14 [üf diu] Plumit kolter v. d. kvre 15 in ture
mvse 16 sie [liie] vf -rucke solte s. (!) 17
phellel gaben 1 8 [hin abe] zv dem 1 9 scheitis
FRAGMENT AUS WOLFRAMS WILLEHALM 353
21 ime gnvc 22 nenne 23 relite 25 od daz]
oder 28 al fehlt an deme 29 da fehlt ime
30 Die 245, 1 gröfsere rote initiale D marcgraue
zime 4 gesehen marcgrauj'n G lobte kvnic
Tandernas
1'
248, 11 (Wa)ren wunneclich zeselien 12 (D)es mvse
man d. frowen gehen 15 tepich vfi dar vnder
plvmit 16 (V)on koltern was och 18 (H)ei-
raerich geselle 19 der andern [gar] 20 vor-
dest 22 sehene 23 (D)ie 24 (0)ch 25
darliehe 26 (M)it phellel 27 beidiu fehlt 28
[also] gnnc 29 (H)ete ferifiez 30 (G)eben
nich kostlichen fliez 249, 1 (Mjochte vf dem bilde
2 mantel mvse offenre snvre phl. 4 wene daz
iemau konde 5 dan 6 beiagete aller herren(!)
271, 2 die do 3 gröfsere rote initiale A 5 Die
drungen den 7 ime sölhe] die selben 8 al sin]
Alyzen 9 al] dar zv 1 0 Sin blic erwarp 1 1
Der keine hazzen 1 2 sage lobes v. ime gnuc
13 Genaht dem] des! 14 und fehlt 15 Eines
dinges 17 durch den rost gap die m. 18 do
fehlt parzifal 19 vant] Wart (!) 20 Garnach
Garnanz 22 Seht Rennewarte 23 Der selben
schone der selben craft 25. 26 fehlen 27 kvne-
ginne heymerich 28 menlich 29 in fehlt
30 einer so] siner 272, 1 Kyburch, gröfsere rote
initiale K
272, 18 ouch fehlt 19. 20 fehlen 22 trurich 23
ich in 24 noch fr. od' 25 gesehen 26 ant-
litzes 27 etslich 29 ich si ime 30 gein mir
lihte 273, 1 gröfsere rote initiale R 3 Vil
schiere d. marcgrauen 4 da vor ime 6 gein
dir] durch zuht 7 Ganc 8 in] den 9 iiat]
hin (!) beidiu fehlt 10 sich lebelichez 11
354 STRAUCH
Er mir niht ist vmbere 13 Er erfluge d. cranich
würfe ich iu dar 14 Swie zegeliche er si g.
273, 30 viant gesiu 274, 2 Heymerich bat d. 3 bat
fehlt] 4 tepich tafeln 5 kvneginne 6 konde
in 7 Der knappe koni m. 8 Heymerich lide
9.10 fehlen 11 kvnegin 13.14 Sie mit guten
willen (ruckte). Rennewart sich nig(ens bückte)
15 die kvneginne ime 16 houbt was wil hoher
17 müste 18 Sie vn er ir beider 19 konde
20 beide 22 gahes drabe 23 daz] Ez, gröfsere
rote initiale E 24 were uv 1. wer sie 25 Man
kür wol fehlt 26 gelich beider
2'
275, 10 waren bi s. 11 Gestricket dem] daz 13
gröfsere violette initiale \ komen 15 han oder
1 6 Doch mohte ein starker wagen 1 7 crache
18 hegende lache 12 und] Er 20 sulich 22
Oder erzürne etliches 23 sie heben iwern
toten 24 Ich swere iv bi den zwelf b. 25 wont
einer 26 den] in 27 lazen sulich 28 Ez w.
etlichen 29 Jo zerte 30 mer d.] Baz denne
deine 276, 1 iwerme 2 [nu] Hvtet vnge-
limphe 4 Da endorfte nieman 5 tauein 6
Syropel.
2. FRAGMENT AUS RUDOLFS BARLAAM.
Auf der Innenseite des hinteren holzdeckels ivar vor seiner
ablösung in längsrichtung und zwar hart am rücken des handes
ein .pergamentstreifen aufgeklebt, 9, ö cm lang und in seiner
ganzen breite 25, 7 cm; dieser muss ursprünglich so ziemlich die
mitte des deckeis eingenommen haben und erst später bis an den
bandrücken vorgeschoben sein, nachdem ein tüeiterer pergament-
streifen, dessen schriftzüge sich im abdrnck auf dem holzdeckel
noch wol erkennen lassen, abgelöst war. dass dies wiirklich der
fall gewesen, beweist der umstand, dass in dem abdruck des
abhanden gekommenen Streifens gelegentlich auch reste solcher
FRAGMENT AUS RUDOLFS BARLAAM 355
verszeilen durchschimmern, die dem erhaltenen streifen angehören,
nach ablösung des letzteren ergab sich, dass es sich um den
oberen teil eines der quere nach durchschnittenen, ziveispaltig be-
schriebenen doppelblattes handelt, dessen zweites blatt 15, 4 cm
breit ist; vom ersten blatt (10, 3 cm breit) fehlen auf \^ die
ziveiten vershälften, auf V die versanfänge. das fragment ent-
stammt einer hs. von Rudolfs Barlaam aus dem 1 4 jh. 4" und
zeigt in schönen schriftzügen einen fast tvörtlich mit Pfeiffer
übereinstimmenden text. die erste zeile jedes reimpaares ist durch
eine mit rubrum geschmückte majuskel gekennzeichnet ; auch finden
sich reste gröfserer, blau oder rot gemalter initialen bei einzelnen
abschnitten, es standen ursprünglich 28 Zeilen in der spalte,
von denen die 13 ersten erhalten sind, auf bl. l^ und V,
wie schon bemerkt, mir in ihrem an fang resp. ende, ausserdem
lassen sich aber für bl. l*^** 2''' jedesmal noch 6 — 8 weitere verse
durch Spiegellesung des deckelabdriicks verhältnismässig leicht ge-
winnen, es ergibt sich, dass zwischen den blättern unseres
doppelblattes ein zweites lag und zii-ar die verse 151, 13 — 156, 34
umfassend; da dies nicht, tcie eigentlich zu erwarten wäre, 224
(8x28), sondern nur 222 verse sind, so dürften auch unserer
hs. wie ABCE die verse 155, 19. 20 gefehlt haben, das fragment
enthält :
bl. V 148, 21 — 33, es fehlen die folgenden 15 Zeilen;
hl. i^ 149, 9 — 21, 7iur die ersten vershälften sind erhalten; es
fehlen die folgenden 15 Zeilen;
bl. r 149, 37 — 150, 9, nur die zweiten vershälften sind er-
halten, durch Spiegellesung auch noch die versausgänge
von 150, 10—15;
bl. 1'' 150, 25 — 37, sowie durch spiegellesung 150, 38 — 151, 4;
bl. 2' 156, 35 — 157, 7 so^vie durch spiegellesung 157, 8 — 15;
bl. 2'' 157, 23 — 35, sowie durch spiegellesung 157, 36 — 158, 3;
bl. 2' 158, 11 — 23, es fehlen die folgenden 15 Zeilen;
bl. 2'^ 158, 39 — 159, 11, es fehlen die folgenden 15 Zeilen,
so viel ich sehe, steht das fragment mit keinem der sonst be-
kannten in näherer beziehung. zu besonderen textkritischen be-
merkungen findet sich kein anlass; erwähnt sei nur, dass der
Umlaut von u und 6 nicht bezeichnet, der von ä durch e wider-
gegeben, dass für iu : u geschrieben ist; bei der inversion sind
Schreibungen 7vie lobich, mvsich, woltich, dvlitin (150, 27j, kaner,
356 STRAUCH — SCHNEmERWIRTH
versinnich helieht; auch die Schreibungen nah. nob, durh dur,
armecheit, stetecheit seien angemerkt, von Varianten verdienen
allenfalls folgende aufzeichnung : 14S, 26 enpfahet 27 mvsich
37 Do blaue initiale 149, 17 zeinem 150, 6 (vurste)clich ?
27 lideliche 28 stette 31 lidelichem 33 Do rote initiale
37 demvtlichen 156, 40 sundeclichen 157, 24 dvs 28
vragest dv 32 vunve 34 inseien 158, 20 naher 159, 1
libes fehlt 5 wehseliche 10 zebrochen.
Halle aS., sept. 1910. Philipp Strauch.
FRAGMENTE DES NIBELUNGENLIEDES
AUS DÜLMEN.
Bei der inventarisierung der herzogl. Croyschen archive zu
Dülmen ' entdeckte herr prof. dr Schmitz- Kallenb er g aus Münster
unter dem einbandmaterial zu rechnungen aus dem 11 Jahrhundert
ztvei kleine fragmente einer handschrift des Nibelnngenliedes, die
er mir freundlichst zur Verfügung stellte, das gröfsere der beiden
pergamentblätter misst 16 cm in der höhe; die obere breite beträgt
6V2, die untere 7 cm; das kleinere ist 8 cm hoch und 7 cm breit,
jede Seite weist 2 columnen auf; von der ersten col. ist der anfang
der einzelnen Zeilen der scheere des biichbinders zum opfer ge-
fallen, von der zweiten col. der schluss, sodass nur der schluss
der ersten col. und der anfang der ziveiten auf beiden seilen er-
halten sind, die einzelnen Strophen sind nicht stichisch geschrieben,
sondern 5 zeileyi der handschrift bilden jedesmal eine Strophe,
deren anfang abwechselnd mit grofsen roten und blauen buch-
Stäben bezeichnet ivird. der schluss der einzelnen reimzeilen ist
durch einen punct kenntlich gemacht, beide fragmente haben ur-
sprünglich ein blatt der handschrift gebildet; rechnet man die
am obern rande und in der mitte tveggeschnittenen Zeilen zu den
erhaltenen einer col. hinzu, so ergibt sich, dass ivir es mit den
fragmenien einer 50 zeiligen handschrift des Nibelungenliedes zu
tun haben, nach dem Charakter der sehr säubern schrift {got.
' vrjl. Schmitt- Kall enberg Inrentare der nichtstantl. archire der
proüins Westfalen bd. I (Münster 1908). .<--. 870'.
FRAGMENTE DES NIBELUNGENLIEDES 357
minuskel.) zu urteUen, dürfte die ahfassung der hs. spätestens in
den beginn des 14 Jahrhunderts zu verlegen sein, ein vergleich
der fragmente mit den drei grofsen Nibelungencodices ergibt, dass
die bruchstücke einer handschrift angehört haben, die in ihrem
verwantschaftlichen Verhältnis B am nächsten steht, ich lasse einen
genauen abdruck der fragmente folgen, nur mit dem unterschiede,
dass zur besseren Übersicht die 5 Zeilen der hdschr. in die 4
reimzeilen der Nibelungenstrophe umgeschrieben sind, die Strophen-
zahlen gebe ich nach Lachmann.
2205. 1
2
3 daz kan ich niht gehei . . . annes mut
4 diu rede düht gesellen gut
220 6. 1 . . . , ht gelangen sprach aber . . .
2 . . rihte iu so die selten daz . . . vart
3 ritet gein rine daz sagen.
4 iwer über mute .... er niht vertragen.
2207. 1 . . . . videlaere swenne ir die ... .
2 . . . r irret guter done iwer
3 der muz vil trübe wer .... inen hant.
4 swie halt er burgunden lant,
220S. 1 . . . . uo im springen wan daz . . . ie
2 hiltebrant sin oheim gevie
3 ich wen du weitest . . dinen tümben zorn.
4 mi . . . hülde hetestu immer mer . . .
2209. 1 ewen meister grimme ist . .
2 . . ümt er mir zeuhanden . r der degen gut.
3 het er . . le mit siner hant erslagen
4 . . . daz erz widerspei nimer . . gesagen.
2210. 1 . . . . harte erzürnet der ber ....
2 den schilt den zuhte wolf . . nelle degen gut
3 alsam ein
2213. 1 . . . . gescheiden in des stur ....
2 . . aten die von berne als ir
3 zehant do wante hilte . . . gen wider dan
4 do lief . . Ifhart den chunen volke . . .
2214. 1 . . . delaere uf den heim gut.
3 kune ....
4 daz er
358 SCHNEIDER WIRTH
2215. 1 Des fiw
2 daz ir
3 die seh win
4 0 nimme
2216. 1 Günther
2 enphie lant
3 gi heim v . . .
4 von bl . . . . .
2217. 1 Dankw mich . .
2 getan
3 d wint
4 n aldrian . .
2218. 1 Rischart
2 die het sich ge . .
3 die gun
4 . . . . pranden
2219. 1 Do vaht
2 vil der haut
3 m ten in d . .
4 die rek
2220. l Do vaht
2222. 4 brent al
2223. 1 Owe lie ster hi . .
2 von Volke ....
3 langer n
4 chune vo
2224. 1 Do slük er bant
2 stü
2225. 1 ie dietri . . .
2 ringe verre
3 der swerte
4 z den heim
2226. 1 olkern tot.
2 sin meiste .
3 nen an mage . . .
4 e hagene
2227. 1 alte hüte . . .
2 en von des
FRAGMENTE DES NIBELUNGENLIEDES 359
3 . . . ergesellen
4 .... t rükter e dan.
222S. 1 varten sink.
2 11 was ez leit
3 11 in der star . . .
4 liandeii wol
2229. l
2 . . lez howende .... untheres man
3 nen in dem .
4 en mauik
2230. 1 olfharten
2 vinde ze
2233. l durch sine . . . .
2 von der wine
3 er wimte zu man
4 ez het en getan.
2234. 1 er wunden
2 . . . r Valien hoher
3 . . . starkez waffen
4 sluk.
2235. 1 Si heten bede ein an .... tot getan.
2 done leb der dietriches man.
3 . . . . alte wolfharten val
4 . . . vor sime tode im n
2236. 1 Nu warn gar erstorbe man
2 nnde ouch die d was gegan
3 da was nider in das . bluot
4 e armen den helt ch . . .
2237. 1 Er weit in uz dem s dan
2 er was ein teil ligen lan
3 do blik der rewende man
4 . . . . im gerne sin neve h . . .
2238. 1 Do sprach der tot wu min
2 ir muget an dis vruom gesin
3 nu hüte . . . ja dunket ez mich g
4 . . . . nem herzen einen g . . .
2239. 1 Unde ob mich min mage .... klagen
2 den nächsten ir von mir sagen
360 SCIINEIDERWIRTH, NIBELUNGENFRAGM.
3 da weinen wan ez ist a .
4 . . . cliuniges banden lige
2240. 1 Ich lian ouch hie im nen lip
2 daz ez wo
3
4
2243. 1 Der reke dietriches
2 uf den helt von tro sere sneit.
3 done chu den den gunthere . .
4 ... in hagene durch ei
2244. 1 Do der alte hiltebran enphaut.
2 do vorht .... von der hageneu h . .
Bonn {Kreuzhercj). V. M. Schneiderwirth.
0. F. M.
ZUR DATIERUNG DES HERBORT
VON FRITZLAR.
Im ersten teile des 'Liedes von Troja' schaut der trojanische
könig von der mauer herab auf die andrängenden feinde, da er-
blickt er (v. 1326 ff) als erstes unter dem beere
einen schilt von lasüre,
darinne einen lewen glizeu
1330 von röten und von wizen,
und eine baniere dämite
harte glich an dem snite
an dem zindäte
als der schilt in varwe bäte.
und er erkennt daraus berkunft und Zugehörigkeit der gegner;
es sind die Griechen des Hercules! die quelle, der Roman de
Troie des Beuoit (ed. Constans v. 2365ff) hat nichts entsprechen-
des, dass Herbort dem löwenbezwinger als wappen einen
löwen, das symbol der stärke gibt, ist verständlich, das ausge-
führte wappenbild aber, ein rot und weifs gestreifter löwe im
blauen felde, das ist eine charakteristische Schöpfung der damals
noch jungen heraldik, und Herbort, der Schützling landgraf
Hermanns, hat es aus seiner unmittelbaren nähe genommen: es
ist das thüringische wappen das er hier eingeführt hat!
Diese beobachtung ist nicht etwa neu: schon der herausgeber
Frommann hat sie gemacht (anm. zu 1328), dann hat Georg Landau
SCHRÖDER, HERBORT VON FRITZLAR 3r. 1
in der Zs. d. ver. f. hess. gesch. u. landeskde bd 3 (1843) s. 396
auf diese 'älteste beschreibuiig- des hessischen lijwen' hingewiesen,
und seitdem ist die stelle von den heraldikern widerholt in
diesem sinne angezogen worden: so auch von Seyler Geschichte
d. heraldik s. 179 und zuletzt noch von Posse Die Siegel der
Wettiner und der landgrafen von Thüringen tl n (1893) s. lOf
und von Küch, Zs. d. ver. f. hess. gesch. u. Ideskde bd 43 (1909)
s. 3; in der regel verknüpft man damit die 70-- SO jähre jüngere
blasonierung welche Konrad v. Würzburg im Turnei von Nantheiz
v. 479 von dem wappen des landgrafen [Albrecht] von Thüringen
gibt: . . . einen schilt von lasnr hlä, darin einen löuiven . . .:
rot unde wU stückehfe [\. strtfehte] was er von hermtn und von kein.
Dass Herbort von Fritzlar hier tatsächlich, mit bewustsein
und absieht, das wappen seines fürstlichen gönners eingeschmuggelt
hat, kann keinem zweifei unterliegen; es ist die einzige der-
artige beschreibung die er bietet, und es ist zugleich, wie immer
man Herborts werk datieren mag, die älteste heraldisch treue
Vorführung eines historischen wappens in unserer litteratur.
betont werden muss dabei, dass der enge Zusammenhang des
schildbildes mit dem vielfach altern fahnenbilde, wie ihn die
neuere Wissenschaft für die anfange der heraldik wider zugesteht,
bei Herbort deutlich hervortritt; die für den thüringisch-
hessischen löwen charakteristische rot-weifse streifung kann recht
wol in der wirktechnik des fahnentuches älter sein als in der
schildbemalung. erhalten ist uns ein solches wappen zufrühst
in dem Originalschild des 1240 gestorbeneu landgrafen Konrad
von Thüringen, des deutschordensmeisters, s. Warnecke [und
Bickell] Die mittelalterlichen heraldischen kampfschilde in der
St.Elisabethkirche zu Marburg (Berlin 1S84) s. 22 taf. l: 'er ist
von leuchtendem kobaltblau, und der löwe achtmal rot und weifs
schräg gestreift', von der Übernahme dieses wappenlüvven der
Ludowinger durch die prätendenten der thüringischen erbschaft
und speciell durch Sophie von Brabant (1248) und ihre nach-
kommen die hessischen landgrafen handelt eingehend Küch aao.
Es ist ein ungewöhnlicher glücksfall, dass wir in der kecken
maskerade des Herbort von Fritzlar die genaue farbengebung
eines deutschen fürstenwappens aus dem anfang des 13 jh.s
kennen lernen, denn die sphragistik und numismatik, die zumeist
allein über die schwelle dieses Jahrhunderts zurückführen, kennen
noch keine schraftierung, die uns hier aufscliluss geben könnte,
und es wäre daher für die heraldik ganz und gar nicht gleich-
giltig, wenn Baesecke mit seiner von mir (GGN. 1909, s. 92 ff)
bekämpften these über Herbort (Zs. 50, 377 ff) recht behielte,
und somit jene Wappenbeschreibung nicht in den ausgang, sondern
in die ersten jähre der regierungszeit landgraf Hermanns fiele:
wir kämen dann mit dieser form und färbe des thüringischen
Wappens noch um 20 — 25 jähre hinauf, fragen wir aber die
362 SCHRÖDER
sachkundigen, was sie über die anfange des thüringischen wappens
wissen, — so verweisen sie uns auf die beschreibung des Ilerbort
von Fritzlar, wo die streifen das löwen und überhaupt die
tincturen zum ersten male zu tage treten. Posse tl i sp. 7
betont, dass die anfange des wappenwesens bei den Ludowingern
nicht über Ludwig in (1172 — 1190), ja wahrscheinlich nicht
über 1 1 80 hinaufgehn. der älteste siegelstempel Ludwigs iii aus
d. j. 1174 ist noch ohne spur von wappen (taf. xi l); ein
solches, und zwar einen löwen, weist das nächste siegel fxi 2)
auf: zugleich mit dem titel als pfalzgraf von Sachsen (1180);
und mit diesem titel schwindet der löwe wider auf dem dritten
Siegel (xi 3), während er auf den siegeln seines bruders Hermann,
der an stelle Ludwigs 1181 die pf alzgrafschaft Sachsen erhielt,
constant erscheint (taf. xi 4 ff) und dann weiterhin von landgraf
Ludwig IV und dessen bruder Konrad, dem regenten von Hessen,
festgehalten wird (taf. xn. xiiii. wenn so Posse auf die Ver-
mutung gekommen ist. der löwe als Wappentier hänge mit der
erwerbnng der pf alzgrafschaft Sachsen zusammen, so ist das
doch nicht so zu verstehn, als ob er von ihr übernommen sei : das
Wappentier der pfalzgrafschaft ist vielmehr der adler des reiches
(Posse tl II sp. 7.; vgl. auch das wappen Friedrichs d. Frei-
digen taf. vii 3. 4); es handelt sich also um ein neues, freige-
wähltes hoheitszeichen.
Ähnliche aufschlüsse wie die sphragistik ergibt die numis-
matik. schlagen wir zb. in HBuchenaus schöner publication
Der bracteatenfund von Seega (Marburg 1905) die tafeln 13 — 15
auf, so finden wir auf den reiterbracteaten Ludwigs iii den schild
entweder ganz bildlos oder aber mit sternförmigem innenbeschlag
resp. den schildbuckel mit strahlen umgeben, dh. den vorheral-
dischen spangenschmuck des Schildes, ähnlich scheint es anfangs
bei den bracteaten Hermanns i zu sein, wenn die versuchsweise
chronologische anordnung bei Buchenau zutreffend ist: neben
anfangs wappenlosem schilde taucht einmal der löwe im felde
hinter dem reifer auf (nr. 261, taf. 14, 4), dann aber wird er
stehnde schildtigur: nrr 269—304 (taf. 14, 12 bis 15, 22). dass
dieser thüringische löwenschild der Ludowinger von dem kaum
altern meifsnischen löwen der Wettiner (schwarz in gold) und
dem alten, aber eben erst heraldisch gewordenen weifischen
löwen Heinrichs des Löwen (wahrscheinlich gold in schwarz) in
den tincturen abgewichen sei, ist so gut wie selbstverständlich.
aber um ihn von diesen zweien zu unterscheiden, genügte doch
die tingierung silber in blau, wann ist nun die hervorragend
charakteristische, nirgends anderweit widerkehrende rot-weifse
streifung des löwen üblich geworden ? mit Sicherheit kann man
nur sagen: unter landgraf Hermann i — die nähere zeit inner-
halb seiner die jähre 1190 — 1217 umspannenden regierung wird
sich kaum feststellen lassen, es ist nur wahrscheinlich, dass der
/
ZUR DATIERUNG DES HERBORT VON FRITZLAR 363
löwe sich eine Zeitlang ungestreift (silber in blau?) gehalten
habe, nachdem er erst 1 1 80 aufgekommen war.
Es gibt freilich eine theorie über das aufkommen des ge-
streiften löwen, die, wie mir CKnetsch freundlich nachweist, auf
Joh. George Estors Probe einer verbesserten heraldik an dem
hochfürstl. hessischen wappen (Giefsen 1728) s. 8f zurück-
geht, und sie wird, wie von Ströhl Deutsche wappenrolle (Stuttg.
1897) s. 38, so eben wider von dem bearbeiter der 'Heraldik'
in Meisters Grundriss der geschichtswissenschaft, EdGritzner (bd. i
s. 390), als tatsache und hier sogar als paradigma vorgetragen:
danach 'ist der bekannte quer rot- und weilsgestreifte thüringisch-
hessische gekrönte löwe im blauen schild so entstanden, dass auf
den ursprünglich weifsen löwen im blauen felde die roten quer-
balken des ungarischen Wappens seit der Vermählung der
ungarischen königstochter, der hl. Elisabeth, mit dem landgrafen
von Thüringen gelegt wurden', die Verheiratung der 14 jährigen
Elisabeth mit dem 21 jährigen Ludwig iv fand im j. 1221 statt,
vier jähre nach dem tode Hermanns, bei dessen lebzeiten unter
allen umständen das werk Herborts begonnen wurde, in der
obigen form ist also die these keinesfalls aufrecht zu erhalten,
an sich wäre sie nicht so wunderlich, wie sie dem laien wol
klingen mag: haben doch um dieselbe zeit die söhne und enkel
Heinrichs des Löwen statt des weifischen stammwappens die
leoparden der Mathilde von England und anderseits den blauen
löwen der Helene von Dänemark angenommen; HGrote in seiner
'Geschichte der weifischen Stammwappen' (Münzstudien iii [1863]
s. 3 1 2), der dafür den beweis erbracht hat, ist geneigt, auch
unsern fall ähnlich zu beurteilen, aber alle von Grote sonst
nachgewiesenen beispiele betreffen die annähme des mütterlichen
Wappens durch den söhn: wollten wir nun würklich auch für
Thüringen den fall zugestehn, dass der gatte, Ludwig iv, den
überkommenen Wappenschild durch tincturen aus dem wappen
seiner frau bereicherte, so bliebe es doch sonderbar, dass auch
der Schwager, Konrad, dies neue, so zu sagen monogrammatische
wappen führte, und vollends unbegreiflich, dass schon der
Schwiegervater, eben landgraf Hermann, die neuerung zu einer
zeit eingeführt haben müste, wo die zukünftige Schwiegertochter
nur eben als kindliche braut an seinem hofe weilte, ich' bin
also durchaus abgeneigt, diese hypothese von dem unionsAvappen
zu acceptieren, die, wäre sie in irgend einer form zutreffend,
freilich einen trefflichen terminus ante quem non für Heiborts
werk abgeben würde: denn die nähern beziehungen Thüringens
zu Ungarn beginnen erst mit der Überführung der kleinen Elisabeth
nach Eisenach im j. 1211.
Immerhin sollen diese etwas umständlichen erwägungen
für die frage der entstehungszeit des Trojaliedes nicht ganz
resultatlos bleiben, es steht zunächst fest, dass die ersten an-
364 SCHRÖDER, HERBORT VON FRITZLAR
fange der heraldik in Thüringen, wie ähnlich in Meilseu und
Niedersachsen, nicht übers jähr 1180 hinauf zu verfolgen sind.
es wird ferner von allen heraldikern die sich zu der sache ge-
äulsert haben, ohne weiteres angenommen, dass die streifung
des löwen erst ein zweites Stadium in der entwickeln ng des
thüringischen wappens darstelle, eine jener complicationen, wie
sie anderweit nicht vor dem anfang des 13 jh.s nachgewiesen
sind. Siebmacher-Hefner Wappenbuch bd. i (1856) s. 30 ver-
zeichnet neben der annähme, dass auf den löwen der Ludowinger
die balken des ungarisclien Wappenschildes übertragen seien, die
andere, dass die rot-weifse streifuug von den kriegsfahnen der
Thüringer herrühre ; ich möchte dieser annähme den Vorzug
geben vor der erstem, denn um ein eigentlich uniertes wappen
kann es sich doch bei laudgraf Hermann als dem präsumtiven
Schwiegervater einer ungarischen königstochter unmöglich
handeln, dagegen soll die möglichkeit eines einflusses oder Vor-
bildes von Ungarn her doch nicht ganz abgewiesen werden,
unter den ältesten beispielen für 'unierte wappen', w'elche Seyler
Geschichte der heraldik s. I78f vorführt, ist auch ein Siegel von
Elisabeths vater, könig Andreas ii von Ungarn (1205 — 1235»,
w'o die weifseu (silbernen) balken des ungarischen Wappenschildes
mit schreitenden löwen belegt sind, in welchen Seyler das haus-
w^appen des königs sehen möchte: also in Ungarn die balken
mit den löw^en, in Thüringen der löwe mit den balken'. es ist
nicht ausgeschlossen, dass landgraf Hei'mann die heraldische
neuschöpfung seines gegenschwähers nachgeahmt und contra-
stiert hat.
Was von unsern betrachtungen bestehn bleibt ist dieses:
der ausgebildete thüringische Wappenschild, wie ihn mit den
balken des löwen und der genauen angäbe der tincturen zuerst
Herbort von Fritzlar vorführt, hat in der heraldik des 12 jh.s
keine parallele, fügt sich aber sehr wol ein in die neuerungen,
denen wir seit dem anfang des 13 jh.s mehrfach begegnen; es
ist mindestens unwahrscheinlich, dass Herbort von Fritzlar um
1190 schon ein solches wappenbild zu gesiebt bekommen
konnte.
1 ein charakteristisches gegeustück zu dem thüringisch-hessischen
wappen bietet das luxembuigische: löwe rot in achtfach quergeteiltem feld
weifs-blau.
E. S.
DIE GRIECHISCHE VORLAGE DER
GOTISCHEN BIBEL.
An der widerherstellung des von Ultilas benutzten grie-
chischen Bibeltextes haben theolog-en, soweit sie textkritischen
Studien obliegen, und germanisten ein gleich grol'ses Interesse:
sonach werden beide für jeden versuch einer reconstruction der
Ultilas-vorlage dankbar sein. nach einigen vorarbeiten von
Kauffmann, Stolzenburg, Odefey und anderen, die ich bei den
lesern dieser Zeitschrift als bekannt voraussetzen darf, hat
WStreitberg in seiner Gotischen Bibel i (1908) zu allen noch
vorhandenen gotischen Bibelfragmenten den griechischen grund-
text beigefügt, er erklärt im vorwort, dass der Charakter des
griechischen Originals für Ultilas durch die forschungen de La-
gardes, Kauffmanns, und von Sodens in allen wesentlichen
Zügen bestimmt sei ; seine aufgäbe sei es gewesen, den glücklich
gefundenen pfad entschlossen zu ende zu^'gehn und durch eine
streng sj^stematische herstellung des griechischen textes die
sicherste probe auf die richtigkeit des exempels zu machen.
In den kreisen der germanisten scheint man vielfach anzu-
nehmen, dass die probe gelungen und die arbeit beendet sei ;
wenigstens gibt eine autorität wie WBraune im Lit.-bl. f. germ.
und roman. phil. 1908 s. 325 ihr urteil dahin ab, Streitbergs
text komme dem original des Ultilas so nahe, als es zur zeit
möglich erscheine; und ein sachkundiger theologe wie Burkitt im
Jouru. of theol. studies 11, 613 scheint wenigstens an dieser
'excellent edition" nichts auszusetzen, die neue ausgäbe Streit-
bergs ist in der tat sehr praktisch eingerichtet ; in dem doppelten
oder auch dreifachen apparat steckt viel gründliche und auch nütz-
liche arbeit, aber seine reconstruction des griechischen grund-
textes selber muss ich gegenüber der Bernhardtschen eher für
einen rückschritt als für einen fortschritt ansehen, und ich
glaube mit diesem urteil nicht allzulange zurückhalten zu
dürfen, damit sich nicht erst, weil kein Widerspruch erfolgt sei,
der Streitbergsche text der reconstruierten vorläge in die apparate
zu unsern Bibelausgaben als 'gotischer' einschleicht, die gefahr
ligt nahe, denn eine so luftige hypothese wie die von der
Z. F. D. A. LH. N. F. XL. 24
366 JÜLICHER
Sunnia-Fretela-recension der Ultilas- Übersetzung ist in einem
Jahrzehnt zu fast kanonischem ansehen gelangt: Odefey rechnet
mit ihr wie mit einer über allem zweifei stehnden tatsache,
und der theologe Glaue verwendet in der ausgäbe des gotisch-
lateinischen fragments von Arsinoe diese angebliche kritische
ausgäbe zur Zeitbestimmung für seinen pergament-fetzen. ich
muss als nichtkenner der gotischen spräche um nachsieht bitten,
wenn ich meine stimme erhebe: ich bringe nur ein wenig be-
kanntschaft mit der geschichte des Bibeltextes in der alten kirche
mit; als berater in bezug auf das gotisch-sprachliche hat mir
mein freund FWrede zur seite gestanden; aus einem langen
Verzeichnis von zweifelfragen, die sich ihm bei vergleichung des
Goten mit dem Streitbergschen Griechen aufdrängten, hab ich
die anregung zu diesem aufsatz empfangen und einen grofsen
teil des hier nur in knapper auswahl anzuführenden Stellen-
materials bezogen.
Die mängel des eklektischen Verfahrens, mit dem einst Bern-
hardt unter auffälliger bevorzugung des codex Alexandrinus (A)
die griechische vorläge des Ulfilas widerzugewinnen meinte, liegen
klar zu tage, dass Bernhardts griechischer text aber nicht
selten genauer zum gotischen stimmt als der Streitbergs, hat
auch Braune bemerkt; er will nur nicht zugeben, dass dies zu
einigem mistrauen gegen Streitberg reize, in dem nicht unerheb-
lichen abstand zwischen Streitbergs Goten und Griechen trete
eben der starke einfluss zu tage, den in den Jahrhunderten
zwischen Ulfilas und den uns erhaltenen gotischen handschriften
der altlateinische text (Itala) 'durch gotische kritiker' auf den
Ulfilas-text geübt habe, soll denn nun aber die von Jacob Grimm
als 'das förderlichste und unerlässlichste für das Verständnis der
gotischen arbeit' verlangte nebeneinanderstellung von vorläge
und text der Übersetzung blos dazu dienen, den process der Zer-
störung des Ulfilas-textes durch fremde zutaten zu veranschau-
lichen? Streitberg stimmt ausdrücklich Kauffmann zu, wenn der
erklärt, dass die gotischen sprachreste ohne die quellen unver-
ständlich seien, ist dem so, dann hat der germanist, der die
gotische bibel studiert, nichts so nötig, als dass ihm die unmittel-
bare vorläge des jetzt noch vorhandenen gotischen textes vor
die äugen gehalten wird, in der regel also ein griechischer, in
den ausnahmefällen, wo die Itala sich — was ich durchaus nicht
GRIECH. VORLAGE D. GOTISCHEN BIBEL 367
bestreite — eing-edrängt hat, ein lateinischer text. ihm nützt
es wenig-, zu wissen, was Ultilas in seiner vorläge gelesen haben
kann, wenn ihm nicht genau gesagt wird, welcher griechische
(oder lateinische) text dem gotisch überlieferten entspricht und
in den gotischen Überresten widergegeben werden will. ich
glaube, es würde für ihn das lehrreichste sein, genau und voll-
ständig die griechischen lesarten mitgeteilt zu erhalten, die,
handschriftlich bezeugt, dem Wortlaut des heutigen Goten ent-
sprechen: dass er zb. nicht blofs n'Lolu als griechische vorläge
list, wo auch nKOiäquc, nicht blofs oSv, wo auch 6i und yccQ,
nicht blofs iv odßßaoiv, wo auch oaßßaroig, nicht blofs
dQxi£Q€vs, wo auch icQevg nach klaren analogieen oder nach
anderen zeugen gestanden haben könnten.
Aber noch gefährlicher wird die benutzung der Streitberg-
schen Bibel für theologische textkritiker werden, wenn sie,
was bei Streitberg auf der griechischen seite gedruckt ist, auf
diese autorität hin als durch gotisches zeuguis gedeckt hinnehmen,
wer gröfsere Sammlungen veranstaltet, wird ja wol bald darauf
aufmerksam werden, dass unzähliche male das was in Tischendorfs
'octava' unter der marke 'go' läuft, sich bei Streitberg nicht
findet: es ist auch eine eigne fügung, dass die meisten der sonder-
lesarten des Goten, die von Soden noch mühsam erklärt, bei
Str. in der griechischen vorläge überhaupt nicht auftauchen,
bei gelegentlichem nachschlagen indessen muss eine einrichtung
schaden stiften, die vorläge und Übersetzung nebeneinander
druckt, ohne durch zeichen im text das übereinstimmende und
sichere von dem blofs angenommenen und differierenden zu unter-
scheiden, die fanmerkungen zählen längst nicht alle fälle auf
wo die correspondenz zwischen Goten und Griechen eine unbe-
friedigende ist, aber auch wenn sie es täten — und mau muss
sie schon immer aus den verschiedenen apparaten zusammen-
suchen — , so wird der nicht mit dem gotischen idiom vertraute
forscher manches mal zu einem falschen urteil verleitet werden,
sollte es nicht das zweckmäfsigere verfahren sein, im griechischen
text, meinetwegen eklektisch, immer die lesart aufzunehmen,
die dem Goten genau entspricht, und im apparat das material
mitzuteilen, das auf Umwandlung des echten Ulfilastextes
schliefsen lässt? in den fällen wo blofs Lateiner den vom Goten
gebotenen text bezeugen, wie in denen wo aufser allen Itala-
24*
368 JÜLICHER
zeugen andre zweifellos vom Lateiner unbeeinflusst gebliebene
Versionen mit dem Goten gehn, wie endlich auch in den wenigen
fällen wo der Gote ganz allein steht, könnte man das grie-
chische correspondens in klammern, mit kleineren typen oder
einem ähnlichen mittel aus dem gesicherten griechischen text
herausheben. Streitberg aber nimmt in mengen lesarten in
seinen Griechen auf, die er lediglich durch eine, allerdings syste-
matische, conjecturenarbeit zwar nicht überhaupt erfunden, aber
doch an diesen platz gebracht hat: ist das nun 'gute philo-
logische methode', solche conjecturen ohne jede auszeichuung
in den text einzuschieben ? der einwand ligt freilich nahe, dass
dieser Streitbergsche Grieche ja, wie jeder wisse, nicht etwas
handschriftlich überliefertes, sondern aus anderer Überlieferung
erschlossenes sei. indessen wird doch niemand bestreiten, dass
wir bei der textkritik, zumal der ungeheuer complicierten text-
kritik der Bibel, um jeden preis das arbeiten mit 'erschlossenen'
texten vermeiden müssen: die lesarten die ich in einem Varianten-
apparat mit 'go' als die von der gotischen bibelübersetzung gestützten
anführe, dürfen immer nur die in den gotischen Codices gebotenen
sein: nicht was Streitberg der vorläge der Ullilas zuschreibt,
sondern was in gotischen Urkunden aus dem 6 oder 7 jh. erhalten
ist, hat zeugniswert: wer wird den sinaitischen Syrer ('syr sin"),
die oberägyptische ('sah") und die armenische Version ('arm'), das
Speculum Pseudo-Augustini eitleren und unter solchen sigla einen
text geben, den er, wenn auch mit den besten gründen, nur für
den verlorenen archetyp jener Übersetzungen in anspruch nimmt?
wie hat es John Gwynn in seiner musterhaften reconstruction der
griechischen vorläge des philoxenianischen Syrers zu u Ptr. ii
III Joh. Jud. (Remnants of the later Syriac versions of the Bible,
London 1909) gehalten?
Und selbst dem Verständnis der geschichte der gotischen
Bibel und der Würdigung ihres litterarischen, vielleicht sogar
religiösen wertes könnte die methode der textreconstruction bei
Streitberg nur dann gute dienste leisten, wenn sie von ganz
sicheren prämissen ausginge, das gegenteil ist der fall, weder
Kauffmann noch de Lagarde noch von Soden haben ein fundament
zu legen vermocht, auf dem Streitberg seine külinen bauten ohne
bedenken aufrichten dürfte.
Gewis ist a priori wie durch vergleichung der gotischen
GRIECH. VORLAGE D. GOTISCHEN BIBEL 369
liandschriften auf den strecken, wo ihrer zwei den gleichen ab-
schnitt der Bibel überliefern, dass wir den Ulfilas-text nicht
mehr völlig unverändert besitzen; ei- hat wie alle andern grund-
und Übersetzungstexte in 2 Jahrhunderten mehrfache depravationen
erlitten, dass es aber nach Ulfilas noch eine neue recension
seiner Übersetzung gegeben hat, ist nicht erwiesen; auf die
legende von den gotischen kritikern werde ich unten genauer
eingehen, im gegenteil existieren wol von keiner Version, selbst
die sj'rische eingeschlossen, so wenige erhebliche Varianten
wie von der gotischen, freilich, seit man gotische Bibelbücher
neben einem lateinischen text abschrieb, hat hier wie bei andern
bilinguen der eine text auf den andern etwas abgefärbt; bei dem
codex Brixianus (f) soll ja nach der feinen Burkittschen h3'po-
these lediglich der Lateiner der leidende teil gewesen sein: in
sonstigen fällen darf man auch mit dem umgekehrten rechnen, und
darum bleibt überall, wo eine lesart des Goten nur noch durch
altlateinische zeugen unterstützt wird, die raöglichkeit, bisweilen
Wahrscheinlichkeit, bestehn, dass hier der erste Ulfilas-text
einem lateinischen einfluss erlegen ist. solche latinisierung der
gotischen Bibel wird man aber nicht früher als seit dem 5 Jh.,
wo die Goten ganz in die abendländische weit herübergerückt
sind, ansetzen ; um dieselbe zeit hört der connex der Goten
mit der griechischen Überlieferung auf; nach griechischen hand-
schriften vorgenommene emendationen im Ulfilas-text würden
nur in das erste Jahrhundert nach Ulfilas noch hineinpassen,
aber wer von der alleinherschaft der lucianischen Bibel in der
diöcese Konstantinopel so fest überzeugt ist wie die neueren
germanistischen bibeltextkritiker, müste doch erst ein motiv für die
correctoren aufw'eisen, den Ulfilas zu verbessern, wenn diese
lediglich die gleichen griechischen handschriften vor sich hatten
wie Ulfilas. factisch ligt aber an dieser stelle der verhängnis-
vollste Irrtum in den anschauungeu Streitbergs, die drei recen-
sionen der griechischen Bibel, die vSoden nachgewiesen haben
will, K, J und H, sind vorläufig noch nicht mehr als ein ver-
such, Ordnung in die vaiiantenraassen zu bringen: ob er sich
besser bewähren wird als ältere versuche gleicher art, zb. als der
von Westcott-Hort, der über 15 jähre in weiten kreisen fast
als infallibel galt, muss sich erst zeigen, dass es eine Lucian-
und eine Hesychius-recension vom Alten Testament gegeben hat,
370 JULICHER
dass die erste von Antiochien aus über Asien nach Konstan-
tinopel gedrungen ist und schliefslich mit Bj'zanz allein das feld
behalten hat, die zweite in Ägypten und seinen nachbarländeru
dominiert, dort aber mit dem griechischen Christentum ausstirbt,
steht allerdings aufser zweifel. viele eigentüralichkeiten Lucians
und des 'Hesychius' sind auch bei den neutestamentlichen texten
zu beobachten, und auch da weichen aulfällig schroff die ägyp-
tischen lesarten von den späteren konstantinopolitanischen ab.
vielleicht kommen wir noch einmal bis dicht heran an die Ur-
form von K (dh. die des späteren textus receptus = -/.OLvri) und
an die von H (dh. die des Ägypters), aber bisher sind die Ur-
formen noch nicht rein herausgeschält worden, der text, den
de Lagarde für die historischen bücher des Alten Testaments
als 'echten Lucian' ediert zu haben glaubte, ist, wie jeder
Septuaginta-forscher weifs, keineswegs der reine Lucian, noch
weniger stimmt der reine Lucian beim Alten oder Neuen
Testament mit dem uns wolbekannten typus des 'textus receptus'
überein; und die von den kirchenschriftstellern des 4 und 5 jh.s,
insbesondere auch von Chrysostomus, benutzten handschriften
bieten mischtexte, es wäre ein wunder, wenn dem Ulfilas in
seinem abgelegenen winkel bei Nikopolis ein musterexemplar der
vorläufig noch imaginären reinen K zur Verfügung gestanden
hätte; er wird in gutem glauben an die Zuverlässigkeit seiner
handschrift sich auch nicht viel um Varianten bekümmert haben,
woher nimmt man das recht, dem Ulfilas gerade einen neu-
testamentlichen text als vorläge zuzudictieren, der entweder mit
der handschriftengruppe KL bei den Paulusbriefen und EGH bei
den evangelien oder mit Chrysostomus, oder doch mit KU bei den
evangelien zusammenzutreffen hatV woher weifs man, dass speci-
fisch abendländische lesarten erst nachträglich in Ulfilas Bibel
hineingelangt sein können? kann denn nicht seine vorläge, eine
sonst nicht oder noch nicht weiter bemerkte classe des KoivrJ-
textes darstellen, die von lateinischer seite allerlei merkwürdig-
keiten aufgenommen hatte? wir finden Ulfilas in regem freund-
schaftlichen verkehr mit den arianischen bischöfen der Donau-
provinzen, deren gemeinden gröstenteils zweisprachig waren,
die jedenfalls lateinische und griechische bibeln nebeneinander
benutzten : das geistige leben war in den Donauprovinzen gerade
im 4 jh. äufserst frisch, wie später nie wider: pannonische,
GRIECH. VORLAGE D. GOTISCHEN BIBEL 371
mösische, dacische bischöfe gehören zu den führern der kirch-
lichen Parteien: welche provinz war geeigneter zur geburtsstätte
eines latinisierenden K-textes als das Mösien des 4 jh.s. aus dem
ülfilas doch wol sein bibelexemplar bezogen haben wird? ich
will damit durchaus nicht spätere eindringlinge lateinischer
herkunft in den Ultilas-text ableugnen, ich warne nur vor dem
Vorurteil von dem Streitberg sich beherscht zeigt, wonach eine
lesart des Goten, die nicht durch einen zweifellosen K-zeugen,
dagegen durch einen oder mehrere Lateiner bezeugt ist, sofort
dem verdacht nachulfilanischen Ursprungs verfällt, sehr häufig
handelt es sich dabei um lesarten von zweifellos nur latei-
nischem Ursprung — mit vSoden zu reden, sind es aus J oder
aus H geflossene — , warum sollen diese denn, wie sie ins abend-
land wanderten, nicht auch schon vor 360 in Ulfilas griechische
Bibel hineingelangt sein?
Wenn vollends der überlieferte Gote lesarten bringt, die zu
K nicht passen, dagegen in einer morgenländischen Über-
setzung, bei welcher Itala-einflüsse ausgeschlossen sind, beim
Armenier, bei den Syrern, Kopten, genaue parallelen finden, so
darf man diese keinesfalls als spätere lateinische eindringlinge
in den Ulfilas-text beseitigen, blos weil sie irgendwo auch ein
Lateiner unterstützt, wie die griechische Bibel des Ulfilas aus-
gesehen haben muss, wissen wir eben nicht, sondern werden
dem auch nach den forschungen von de Lagarde, Kauffmann
und vSoden weiter nachforschen müssen; und hoffnung das ziel
zu erreichen haben wir nur, wenn wir uns so streng wie
möglich an den gotischen text halten, nicht wenn wir diesen
nach einer vorgefassten meinung über die handschriftenclasse,
zu der des Ulfilas vorläge gehört haben müsse, meistern, an
einigen stellen verrät der überlieferte gotische text in der
structur sclavische] abhängigkeit von einem Lateiner: solche wird
mit recht dem Ulfilas nicht zugetraut. Str. hört sogar Störungen
der ursprünglichen satzmelodie in dem jetzt überlieferten goti-
schen text heraus — eine Sinneswahrnehmung, zu deren höhe
ich mich bei einer so auf wörtlichkeit bedachten Übersetzung
nicht aufzuschwingen vermag: doch darf man diese störungsfälle
aus der discussion herauslassen, wo aber kein mensch an eine
andere als eine griechische vorläge denken würde, sollten wir m. e.
eben jenen griechischen text 'reconstruieren', selbst wenn er bis-
372 JULICHER
her nicht griechisch, wol gar nur bei lateinischen zeugen nach-
gewiesen wäre, dass der so, allein oder doch ganz vorwiegend
auf grund der gotischen Überlieferung hergestellte text der
griechischen Ulfilas-vorlage keiner bisher bekannten handschrift
der Bibel und auch keiner 'classe' genau entspricht, dass er den
eindruck macht, durch eklektisches, soll heifsen willkürliches ver-
fahren construiert zu sein, gereicht ihm lediglich zur empfehluug.
durch Willkür waren ja die meisten Bibelhandschriften des 4 jh.s
das geworden was sie sind: warum soll gerade die von Ultilas
benutzte so correct einen t3'pus repräsentieren? zum min-
desten in der vorarbeitsperiode der biblischen textkritik in der
wir heute noch stehn, darf eine systematische 'reconstruction'
der griechischen vorläge überhaupt für keine Übersetzung unter-
nommen werden, weil kein 'system' sich fest genug begründen
lässt. damit wir später ein System gewinnen, müssen wir vor-
läufig von dem einzelnen statt vom ganzen ausgelm. die vor-
läge des Ulfilas ist durch möglichst getreue rückübersetzung
des gotischen ins griechische mit hilfe der griechischen Bibel-
ausgabe und ihres Variantenapparats zurückzuerobern, nicht
durch eine angleichung des Goten an einen in Wahrheit gar nicht
bestimmbaren K- oder Chrysostomus-text. doch halt ich es
für noch bedenklicher, wenn Streitberg die abweichungen der
gotischen handschriften von der griechischen vorläge fast ebenso
oft wie durch concessionen an die Itala durch beeinflussung von
parallelstellen her erklärt und bei Mc. in der griechischen vor-
läge des Goten fortlässt, was dieser aus der parallelstelle bei
Lucas widerrechtlich hinzugefügt haben soll. die profunde
bibelkenntnis, die damit vorausgesetzt wird, ist wahrlich leichter
den Griechen zuzutrauen, die u, a. auch Ulfilas vorläge ge-
schrieben haben, als den theologisch offenbar nicht gerade tief
gebildeten Halbgoten oder Goten: und wenn das streben nach
buchstäblicher treue dem Übersetzer Ultilas auf der stirn ge-
schrieben steht, soll e r nun gerade für alle möglichen confor-
mationen weit auseinanderliegender textstellen verantwortlich
sein, die doch vornehmlich die lieblingsbeschäftigung der grie-
chischen abschreiber bildeten? der gefahr des gedächtnismäfsigen
conformierens ähnlicher sätze unterligt der blofs mit der band
beschäftigte belesene abschreiber, nicht der arbeiter, der die
mühe des suchens nach treffender Übersetzung hat.
GRIECH. VORLAGE D. GOTISCHEN BIBEL. 373
Es handelt sich um mehrere huuderte, vielleicht über
1000 stellen, an denen nach den eben ausgeführten grundsiitzen
der griechische text Streitbergs, sofern er die vorläge des Ul-
filas darstellen soll und nicht das Idealbild einer Bibel aus der
Konstantinopler diöcese, ersetzt werden muss durch eine dem
gotischen Wortlaut genau entsprechende gestalt! ich begnüge
mich einige belegstellen anzuführen, kleinigkeiten der Wortstellung
gemischt mit sachlich bedeutsamen Varianten, wobei nebenher auch
die Unmöglichkeit für Streitberg bei seinem system consequent
zu verharren herausspringen wird.
Rom. 7, 4 Str.: ÜGve, dde'/.cpoi /iiov, y.ai vf.i£ig. nach go
wäre zu schreiben: wGze v.cd v^ietg, döelcpol /.lov. nicht blofs
cod. Sinait. und '2 Minuskeln", sondern der Armenier und Johannes
Damascenus haben mit dem Goten diesen text: den von Str. be-
vorzugten bieten sowol K als alle Lateiner, mithin versagt der
lateinische einfluss, um an dieser stelle die abweichung des Goten
von K zu erklären, aber eine H-Iesart — wie cod. Sin. sie bietet —
darf einfach dem Ulfilas nicht vorgelegen haben! — Luc. 15, 12
Str. ymI dul/.€v avroTg xöv ßiov. der Gote las töv ßiov avxov
{sices sein): Str. notiert die abweichung nicht einmal, die von
Tjateinern nur der africanische codex e vertritt, sonst aber Syrer
und Ägypter. — gerade so steht es um den singular eig rdv
dyQÖv avrov v. 15 statt des von Str. in den griechischen text
recipierten Tovg dyQOvg, wo aber auch noch einige Griechen den
Goten unterstützen: gehört nicht beidemal das genau dem Goten
entsprechende in die 'griechische vorläge'? — v. Soden hat
s. 1470 als einen der wenigen Fälle von 'Omissionen' im gotischen
bibeltext das bei Tischendorf nicht notierte fehlen von y.al in Mt.
8, 33 aufgeführt; Str. setzt in seiner griechischen vorläge ein-
fach jtdvra y.al rä twv 6af.ioyi^0f.üvwv und lässt uns über
den grund des verschwindens von y.ai trotz dem verweis auf Mc.
5, 16 im dunkeln. — Mt. 8, 32'' lautet sein Grieche näoa i) dye/.r]
Tö)' yoiQiov, sein Gote blols alla so hairda: laut App. in fehlt
Twv yoiQcor nach Lc. 8, 33 Mc. 5, 13 vgl. SinBC^M^ it vg. die
rechtfertigung dieser auslassung mit dem hinweis auf die synopti-
schen parallelen ist mir unbegreiflich ; ich dächte, wo in 3 Zeilen
dreimal wie im K-text von Mt. 8, 3 1 f. das breite ^ dye/.rj rCJv
XOiQiov sich lästig maclite, konnte selbst Ullilas es ohne einen
Blick auf Lc. und Mc. bei der letzten widerholung abkürzen : und
374 JÜLICHER
wenn auch cod. J in v. 32'' sich mit ^ d/£'/.j^ begnügt, ob-
gleich er 31 und 32" treulich K* inj) dyelt] tQv y^lgtov ge-
folgt war, möcht ich den gleichen mut schon der vorläge des
Ultilas zutrauen, bei einem so wenig zu 'Omissionen' neigen-
den textzeugen wie dem Goten ist Streitbergs entscheidung noch
besonders kühn; aber zb. Mc. 6, 25 setzt er ebenso unbedenk-
lich das von go fortgelassne iBavrfjg in die vorläge ein, ver-
weist wieder bloss im dritten apparat auf Mt. 14, 8 und c f (D) —
obwol er uns gelehrt hat, f als einen nach dem Goten corrigierten
Lateiner gar nicht mitzuzählen. — Job. 7, 46 hat vS. die Aus-
lassung eines ovrcog {ovölnore o^Twg i'/.a'/.rjOev ävd-qtOTtog cbg
o^tog 6 ävd-QWTtog) im Goten constatiert; bei Str. bietet die vor-
läge gleichwol ovTcog i'/Mlrjaev: eine anmerkung belehrt uns dann,
das ovriog sei nicht ausgedrückt, vgl. n Cor. 9, 5. aber ii Co. 9, 5
steht ovriog unmittelbar vor wg und konnte leicht untergehn;
mit der fortlassung in Joh. 7, 46 — der die Umstellung elälrjoev
ovTiog vorausging — hat der Gote den Armenier zur Seite.
Mt. 5, 19'^ druckt Str. y.ai didd§r], o-örog. der Gote bietet
jali laisjai stva, sah . . Str. notiert dazu, swa - sei zusatz nach stva^,
vgl. b c h m. was soll die doppelerklärung? wenn in 19'' su-a
aus 19' eingedrungen ist, so bedarf es doch der beruf ung auf
die Lateiner nicht, bei denen s/c an beiden stellen steht: und kann
diese conformation von 19'' nach 19 » nicht gleich gut in der grie-
chischen vorläge gestanden haben, zumal dort nicht wenige Grie-
chen ovTcog statt otrog lasen? — Mc. 16, 8 lautet Str.s Grieche
Y.ai s^el&ovGaL ecpvyov oltcö tov fivrjfxeiov; der Gote vertritt
mit seiner Stellung jah usgaggandeins af pamma hlaiwa gaplau-
hun sogar einen andern Sinn, der Af ricaner k schreibt auch:
cum exirent a monumento fiigenmt gegen vg.: exeuntes fugerunt
de monumento. sollte das keine Variante sein? und sollte sie in
den Goten nur durch lateinischen einfluss nachträglich eingedrungen
sein? — Joh. 10, 4 liest man im Griechen bei Str. rä i'dia Ttgößara,
im Goten po swesona (lamha): 'die ergänzung lamba entspricht
dem text der recension *K'! im ersten apparat hiefs es rä cöia
nQÖßaTa*Kigvg,Td löia'ftävTa Tecens\on*J ,rd löia Sin**^^ hätte
die ergänzung ngößata, wenn eine andere, nämlich Ttdvra, auch
im K-gebiet bezeugt ist und das blol'se rd i'öiu — hinter v. 3 doch
völlig ausreichend! — eine alte handschrift für sich hat, nicht
im griechischen text mindestens auch durch ein zeichen als frag-
GRIECH. VORLAGE D. GOTISCHEN BIBEL 375
lieh hingestellt werden müssen? vSoden ergänzt ja doch
Ttävzal —
Luc. L 10 schreibt Str. in der vorläge nQOö€v-/öi.ievov,
trotzdem der Gote beldandans bietet, "änderung nach v. 21' —
wo TtQOodoy.äv dem beidandans entspricht, nnn wissen wir durch
Gregory Textkritik in s. 10, 32, dass einer der besten Codices
der K-classe, Y, in Luc. I, 10 rtQOodexöiisvov hat; sollte nicht
in der vorläge des Goten v. 10 dasselbe gestanden haben?
Mc. 2. 4 heifst Jesus hinter örcov ^v bei Str. 'zusatz aus
einem lectionar': wenn Str. zugleich daran erinnert, dass beinahe
alle Lateiner das Jesus im text haben (ebenso übrigens syr^'^^
arm aeth. I), sollte man dann nicht lieber die Lateiner als ein
so uraltes 'lectionar' für die quelle dieser wahrlich naheliegenden
ergänzung halten, falls man sie der Ulfilasvorlage nun einmal
nicht zuweisen will? und empfähle es sich nicht den griechi-
schen text dann zu drucken öftov ^v[6 IrjOovg], wie in einem falle
sicherer Interpolation Mt. 27, 42 auch unzweideutig -/.araßärio vvv
unö xov oravQOv [tva i'öw/^iev?] y.al TtLarevGOjiiev avr<r) (nicht
irt avT(ß, trotz *K)? wenn an letzterem orte Str. TtLarevooiiiev
en cciJT(p druckt und unter dem text notiert, avrcp sei die lesung
von AD it vg, so scheint er zu glauben, der Gote habe dem
Lateiner zu liebe ein ursprüngliches £7r' gestrichen, ich gesteh
beim Goten die bewusten Omissionen überhaupt für äufserst un-
wahrscheinlich zu halten, diese aber für besonders wenig glaub-
haft — zumal es an rein orientalischen zeugen für das blofse
avTCü, auch von A abgesehen, nicht fehlt!
Statt indess eine bunte reihe von beispielen aufzuführen,
in denen mir die textconstitution Streitbergs auf der griechischen
Seite bedenklich erscheint, will ich lieber einen abschnitt heraus-
greifen, bei dem ich gegen seine entscheidungen verhältnismäfsig
selten etwas einzuwenden habe, an dem sich eben deshalb aber
vielleicht am ehesten demonstrieren lässt, dass nach Streitbergs
System nicht alle aufgaben, die er sich bei dieser Bibelausgabe
stellt, gelöst werden können, ich wähle die Überbleibsel von
I Cor. 6, 1 bis 7, 17 etwa eine seite griechischen texts 254.
256. 6, 1 schreibt Str. rokua rig v/.icöv rcgäyiia i'/cov nQÖg
xov iregov. nach dem Goten wäre zu schreiben: To'/.fiä xig
vuäjv TCQÖg xov ixEQOv Trgä'/fia exiov. wenn auf das Verhält-
nis von go zu den textclassen hingewiesen werden soll, so ver-
37G JULICHER
diente erwähnung, dass Tig v^iGJv die lesart von ■ H und DEFGit vg
ist, die wichtigsten *K-zeugen xig i'i vf.iojv bieten, das rör vor
dör/.iov (fram. inivindaim) ist fraglich, weil bei Theodoret, dem
kronzeugen für K, eni ddr/.wv und Int c'r/Uov überliefert ist. die
Stellung von Ttgäy/^ia ixcor vor ttqöq töv l'. ist allerdings die
von LP. zwei haupthandschriften der *K-gruppe, aber Chrys. und
Theodoret sprechen dagegen, und das töv döe'/.rföv avrov statt
TÖV S'zeQov bei Chrj's. verdiente doch auch erwähnung.
Str. nötigt dem leser den glauben auf, das gotische jtQÖg
TÖV €T€QOv 7tQ. Eitov Sei blofs willkürliche assimilation an den
abendländischen text der gruppe DEFG. hat denn die Zustim-
mung der koptischen Übersetzung und der minuskel 119, die selbst
in döehpöv statt etsqov mit Chrysostomus geht, zu der Wort-
stellung des Goten als einem ursprünglichen bestandteil der Ulfilas-
version keine bedeutung? — 7, 5 bezeugt der Gote die *K-inter-
polation T?y vrjOTeiq v.al zweifellos, aber Str. hätte nicht blols
mitteilen sollen, dass die drei werte bei P und Chr. fehlen —
das letztere ist nicht einmal richtig — sondern dass sie bei allen
Lateinern fehlen, also uns bestätigen, wie wenig im gotischen
text den Lateinern zuliebe gestrichen worden ist. und wenn der
Gote sagt: paproh pan samap gawandjaip, so darf man dem
nicht einfach das griechische y.al nd'/.iv inl tö avxö ovvegyjjod-e
gegenüberstellen, sondern sollte ovveQxeo^e (auch avvegxeaihcu)
als Variante notieren, erst recht aber aufser auf das — in der tat
ursprüngliche — r;r£ (so auch DEFG!) und auf die paar zeugen die
das verb ganz auslassen, darauf aufmerksam machen, dass Latei-
ner, Syrer und Armenier revertimini bieten, man hat also für
go zwischen dem *K-text und dem von Lateinern wie von orienta-
lischen Übersetzungen gebotenen zu wählen. — 7, 7 ist ^e'/.tt)
yäg statt go ip tviljau und d)g y.al ifiavTÖv statt go swe mik
silban sicher *K-text, ^e'/.to de und die auslassung von y.al haben
vor allen dingen bei Lateinern ihre Unterstützung, aber wenn
Str. doch im apparat in auf die analogie. von 7, 8 verweist,
wo offenbar der Übersetzer das pleonastische y.al der vorläge
{(bg y.dycb) wie auch sonst oft nicht übertragen habe, so hätte er
im apparat i für das fehlen von y.aL nicht erst halb die Latei-
ner verantwortlich zu machen brauchen. t9 «'/w 8 e statt yäg be-
gegnet übrigens in allen classen. entschieden vermisst hab ich
bei d)g y.al IfiavTÖv die notiz, dass Chrysostomus hier einen zu-
GRIECH. VORLAGE D. GOTISCHEN BIBEL 37 7
satz fv syy.Qareia vertritt, von dem sonst niemand zu wissen scheint:
9, 20 lesen wir beim Goten hinter ni luisand silba uf witoda einen
ähnlichen zusatz ak nf anstai (= nU.ä V7iö yäqn>). in seiner grie-
chischen abteilung nimmt Str. hiervon keine notiz, markiert nicht
einmal die stelle wo die Interpolation eingedrungen ist; im appa-
rat in verzeichnet er sie als zusatz aus Rom. 6, 1 4. 1 5. aber warum
dieser zusatz nicht gerade so gut schon (wie iv kyv.qctxEic^ 7, 7 bei
Chrys.) in der vorläge des ülfilas gestanden haben soll, verrät er uns
nicht, alle jene conformationszusätze werden weit leichter einem
griechischen bibelkundigen vor 360 zuzutrauen sein, als dem Über-
setzer, zumal einem so auf buchstäblichkeit und treue bedachten
wie es der Gote ist. wenn 7, 8 *K avroig iariv (P blofs
avTOiQ) der Gote aber ist im schreibt, als ob er ioriv airoig
in seiner vorläge läse, so glaubt ihm Str. das nicht, setzt einfach
avxoTg eoziv ein: est Ulis defg vg. glaubt er im ernst, dass
aufser bei anfertigung einer interlinearversion ein gotischer ab-
schreiber oder Übersetzer sich zu dieser Umstellung durch latei-
nisches Vorbild hätte verführen lassen? — 7, 11 schützt hoffent-
lich P mit ro) tdito dvögl den Goten vor dem verdacht, sein
seinamma hinter abin aus Vulg. bezogen zu haben, warum wird
aber nicht das gotische aft7"a gagaivairpjan beim Griechen durch
[/ra/.iv?] y.ata'/.layfivat widergegeben und notiert, dass das
rcd'/.ii' sonst unbezeugt sei? — auch 7, 12 würde ich ni afletai po
qen nicht dem f.irj drfiezco avxriv gleichsetzen, und qen als zusatz
nach ahan v. 13 (das seinerseits der Itala zu entstammen scheint)
verwerfen, diese ableitung ist bei der glänzenden Vertretung des
röv ävdoa v. 13 durch Griechen doch etwas zu kühn: und t^v
yvvcuY.a konnte geradesogut ein Grieche in v. 12 der gleich-
mäfsigkeit zuliebe einsetzen wie ein Gote. wenn in v. 13 vom
Goten {sa) otrog statt des *K- avTÖg wiedergegeben wird, so ge-
hört es in den griechischen text: der apparat darf nicht den
anschein erwecken, als stützten es nur P und die Lateiner: es ist
die aufser bei *K durchweg herschende und nicht einmal in *K
ganz durchgedrungene lesart. — 7, 14 druckt Str.: i)yLaoTai ydg.
der Gote hat blofs weihaida ist. sollte die fortlassung von yÜQ
sowohl in P wie in go nicht der berücksichtigung wert sein? die
Umstellung der glieder 14" und ii^ braucht auch nicht auf rech-
nung des Goten zu kommen, keinesfalls aber durfte in dem apparat
verschwiegen werden, dass die bei den Abendländern so beliebten
378 JÜLICH ER
Zusätze T^^ TtLOzf^ zu iv z?) ywar/d und to» tziotiC zu toT
ccvÖQi den Goten nicht zur nachahmung gereizt haben: sogar P
teilt die glänzend bezeugte lesart iv riü dÖ£?,cf(p statt ev t(^
dvögi reo TTiorcp: ist er vielleicht darum von Lateinern abhängig?
— 7, 16'' scheint bisher nochicein Grieche rrjv yvvaty.ä oov zu
bezeugen, aber wenn der Gote 16'' qen peina gegenüber blofsem
aban 16^ vor ^«was;;'ai.s setzt, wird er dazu wol durch seine vor-
läge veranlasst worden sein. — v. 17 setzt der Gote gup in
beiden Vordersätzen, während die übrigen zeugen in verschiedner
reihe mit ö ^sög und ö y.vQiog abwechseln : Str. setzt an zweiter
stelle trotz dem Goten 6 y.vQiog in den griechischen text und
scheint die corruption auf die schuld der Lateiner zu schieben:
könnte dann nicht eher noch eine dogmatische reflexion heran-
gezogen werden, die die 'beruf ung' der menschen laut Eöm. 8, 29 f.
gott dem vater vorbehalten zu sollen glaubte? — mit recht
schreibt Str. v. \7^ ovriog iv xaig i/,/.?j]oiaig näoaLg diazdo-
GOf^iai. aber er hätte mitteilen können, dass DEFG und die
Lateiner hier diddGy.to (doceo) bieten. — wenn Str. v. 18^
Tig iyJ.Ti^^t] dem gotischen galapoda ivarp liicas vorzieht, trotz-
dem auch die ägyptischen Versionen rig nachstellen, so hätte
er sich nicht auf Joh. 6, 46 berufen dürfen, wo die Stellung von
Tig genau so unsicher ist. — den schluss mag heut eine besonders
lehrreiche stelle aus i Cor. 9, 27 bilden, dort lautet der wahr-
scheinlich echte text VTtcoTtid^io /nov rd ocö(.ia y.al öovXayioyoi.
*K hat statt v7t(.07tiä'l(.o die lesung VTtonie'^io sich angeeignet
— auch Chrysostomus durchweg, trotzdem es nach Tischendorfs
apparat anders aussieht, die Lateiner raten an dem begriff
herum und sind zuletzt bei dem farblosen castigo hängen ge-
blieben, der Gote hat VTtiOTtidCio richtig verstanden {wlizjan
zu anda-iüleizn ^TtqöoioTtov' wie v/icoTtiÜLoi zu VTtcb/iia), war
also gut unterrichtet: ak leik mein wlizja (jah anapiioa), und
auch spätere gotische recensenten haben sich durch keinen La-
teiner irre machen lassen, nun kommt dasselbe verb noch ein-
mal vor Luc. 18, 5. wider schreibt *K VTtOTtieLjj /iie, wider
sind die Lateiner in vei'legenheit. diesmal heilst es beim Goten:
nsagljai mis. sollte da nicht der Gote einer deutung im sinne
der * K-lesart gefolgt sein? muste im apparat nicht min-
destens auf die Unsicherheit des griechischen textes und aufser-
dem bei Lc. 18, 5 auf i Cor. 9, 27 und umgekehrt hingewiesen
GRIECH. VORLAGE D. GOTISCHEN BIBEL. 379
werden? wäre dieser hinweis nicht ebenso nötig für den germa-
nisteu, der die bedeutung gotischer verba feststellen will, wie für
den textkritiker, der ohne das auf Streitbergs autorität hin an
beiden stellen den Goten unter die V7iw7iia^€iv-zeügen ein-
reihen wird?
Für mich unterligt es keinem zweifei, dass die
griechische vorläge des Ulfilas dem jetzt gotisch
überlieferten texte viel ähnlicher gesehen hat, als
sie es bei Streitberg tut. doch kann ich einen stricten
beweis für meine meinung so wenig beibringen, wie Str. einen für
die seinige. ich mache ihm auch nur den einen Vorwurf, dass
er zu rasche und sichere folgerungen aus hypothetischen Voraus-
setzungen gezogen hat. er will uns gebacknes brot vorsetzen,
statt das körn auf der tenne zum drusch auszubreiten: vorderhand
ist uns aber nur diese Vorarbeit gestattet, an dem gotischen text
sind recht wenig spätere emendationen und corruptionen nach-
weisbar: auffällig ist sein schwanken zwischen *K- und abend-
ländischen lesarten. aber weil er in nicht ganz wenigen fällen
auch einen weder von *K noch von den Lateinern stammenden text
vertritt, in einigen wenigen sogar ganz allein einen text der sehr
wol griechisch reconstruiert werden kann, fast niemals einen, bei dem
das geradezu ausgeschlossen wäre, da bei den Übereinstimmungen
zwischen ihm und den Lateinern gegen *K meist auch noch
andere Orientalen ihn unterstützen, so ist es vorläufig noch nicht
erlaubt, a priori nach einem kanon abzumessen, was der Gote
aus seiner ursprünglichen griechischen vorläge bezogen haben,
und was in seinen text später eingedrungen sein niuss. es wird
noch langer arbeit bedürfen, ehe wir solch einen kanon überhaupt
aufstellen können; zunächst scheint mir eine der nützlichsten
vorbereitenden arbeiten eine durchforschung der bilinguen
Bibelhandschriften — gleichviel, ob lateinisch-gotisch oder kop-
tisch-griechisch oder griechisch-lateinisch — , weil wir dadurch
bestimmtere mafsstäbe gewinnen werden für die einschätzung der
einflüsse, die bei dieser einrichtung von der einen seite auf
die andre ausgehen, namentlich auch für die entscheidung der
frage, welcher seite dabei die passive rolle zuzufallen pflegt,
nach der Streitbergischen construction hätte der Gote zugleich
— cod. f! — den Lateiner zu sich herabgedrückt, und ander-
seits — vorher — bei Lateinern die stärksten anleihen erhoben.
380 JÜLICHER
man muss sich erst einmal klar darüber werden, unter welchen
umständen allein dies letztere wahrscheinlich zu machen ist. bis
heut brauchen wir 'go' notwendigst als sigle für die gotisch
überlieferten, nicht für die von Streitberg reconstruierten
lesarten. und es ist sehr schade, dass die dringend erwünschte
ergänzung und revision des apparats bei Tischendorf, soweit es
den Ultilas angeht, durch diese sonst so fleifsige arbeit nicht
gefördert wird.
Etwas kritischer als den neuesten hypothesen über die text-
classen verhält sich Streitberg ja gegenüber der Sicherheit, mit
der andre nach namen für die eingebildeten Überarbeiter des
Ulfilas gesucht haben: gründlich aufgeräumt aber hat auch er
keineswegs mit dem traumbild der Sunnia-Fretela-
recension. vielleicht darf ich das hier nachholen, über die
beiden männer, die da als herausgeber eines verbesserten
gotischen bibeltextes gelten, wissen wir nichts aufser dem was
ein an sie adressierter brief des Hieronymus (ep. 106) erraten
lässt. FrKauffmann erklärte 1900, dass dieser brief bisher
gründlich misverstandeu sei. seine absieht, ihn an seinen wahren
geschichtlichen platz zu rücken, ist, wie die äufserungen seiner
Schüler Mühlau, Odefey, aber auch des ganz unbeteiligten theo-
logen Glaue bezeugen, glänzend erreicht worden: hier gilt es
fast als axiom, dass diese beiden gotischen presbyter eine revision
der Ulfilas-Bibel vorgenommen haben, und, dass ein namenloser
in cod. f überlieferter prolog zu einer gotisch-lateinischen evan-
'gelienausgabe das werk derselben beiden theologen ist, da im prolog
der gleiche Widerwille gegen die willkürlich freie Übersetzungs-
technik des Hieronymus zum ausdruck gelange, wie — nach der
antwort des angegriffenen Hieronymus zu schliefsen — einst in
ihrem briefe.
Was lehrt uns jeuer Hieronymus-brief in würklichkeit?
zunächst bleibt seine abfassungszeit ungewis. sie anfang der
90 er jähre anzusetzen, war ein arger fehler von Ohrloff, denn Hie-
ronymus — was auch Mühlau richtig erkennt — hat bei abfassung
des briefes seine drei psalterübersetzungen, also auch die aus dem
hebräischen längst hinter sich, leider hat man die abfassungs-
zeit dieses Psalterium iuxta Hebraeos noch nicht festgestellt,
Lagarde meinte 405, Grützmacher glaubt 392/93! das jähr 403
schlug Martianay für die abfassung von ep. 106 vor, weil den
GRIECH. VORLAGE D. GOTISCHEN BIBEL 3S1
brief der Goten an Hieronymus überbracht und die antwort
wider mitgenommen hat ein presbyter Firmus, 'frater noster', c. 2.
dieser selbe Firmus hat, jedenfalls um 405, einen brief von Hiero-
nymus an Augustin übermittelt; vor ep. lOtJ aber war er aus
Africa nach dem osten abgereist, ohne Augustin von seiner reise
benachrichtigt zu haben, stünde es fest, dass auf eben der reise,
wo Firmus ep. 115 des Hier, an Augustin zu bestellen über-
nahm, er auch die ep. 106 an die Goten mitgenommen hat, so
läge die zeit nahezu fest, aber der presbyter Firmus begegnet
uns in der correspondenz des Hieronymus öfter; er wird von ihm
zu allerlei botschafteu verwendet, muss ein durch kein festes amt
gebundener mann gewesen sein; und wenn er auch mehrmals
gerade in Africa auftaucht, so darf man doch nicht sicher be-
haupten, dass er dort heimisch war. ebensowenig wissen wir
dann, ob er seine reise vor ep. 1 1 5 direkt von Africa nach
Palästina gemacht und mit ep. 115 in der tasche den gleichen
rückweg gewählt hat; wäre es der fall, so dürften wir als Wohn-
sitz der beiden Goten ja nur eine Stadt in Africa vermuten,
aber Firmus kann über Rom, aucli über Konstantinopel vom
Westen nach Jerusalem gereist sein und ebenso seine rückreise,
weil er vielerlei geschäfte zugleich besorgte, in grofsem bogen
genommen haben, von hohem Interesse ist aber gewis die frage,
wo wir uns die gotischen briefschreiber zu denken haben,
weiter als der name des Firmus könnte uns ein vierter, den
ep. 106 enthält, führen, c. 2 vermerkt Hieron., die gleiche
hauptfrage wie die Goten habe schon mehrfach Avitus 'sanctus
tilius mens' an ihn gerichtet. Hier, fährt dann fort, da
Firmus zur bestellung eines briefs bereit sei, wolle er gleich
beiden schreiben und so gemeinsamen bescheid erteilen; ich
beziehe dies 'duohus' auf die Goten einer- und den Avitus
anderseits, aber auch wenn man diese deutung misbilligt, er-
fährt man aus c. 86, dass Avitus und die beiden Goten zu-
sammengehören: dieselben lexikalischen aufschlüsse wie sie hatte
er — widerum 'sanctus filius meus Avitus' — von Hier, erbeten,
wenn Hieron. nicht ein narr ist, notiert er das nur, um dadurch
auch die anfrage des Avitus als erledigt zu erklären: also be-
finden sich die drei an einem orte und stehn in guten beziehungen
zu einander, jenen Avitus nun glaub ich — um zweifelhafte com-
binationen aulser betracht zu lassen — widerzutinden in dem
Z. F. D. A. LH. N. F. XL. 25
38 2 JÜLICHER
brief des Hieron. 79, an Salvina, die witwe des Nebridius. tochter
des tyrannen Gildo. den brief (ungefähr 400 anzusetzen) bat
Hieron. laut c. 1 an die ihm persönlich unbekannte frau in der
aula reg-alis geschrieben vornehmlich auf das drängen des 'filius
nie US Avitus', der sonach zu hotischen kreisen beziehungen ge-
habt hat. Salvina aber hat 404 zu den intimsten Verehrerinnen
des Chrysostomus gehört, den wenigen von denen er sich vor
seiner zweiten Verbannung persönlich verabschiedete (s. Palladius
dial. de vita s. Job. Chrj-s., p. 90 der ed. princ): dadurch ist
Konstantinopel als ihr witwensitz wenigstens für die letzten
jähre des Chrysostomus erwiesen, ihr gemahl Nebridius ist auch
nur im Orient als beamter tätig gewesen, wenn wir also über-
haupt eine Stadt für Salvina — Avitus — Sunnia und Fretela
in Vorschlag bringen dürfen, so ist es Konstantinopel, dass dort
Goten in freundschaftlichem verkehr mit einem zu dem kreis
einer africanischen prinzessin gehörigen manne wie Avitus treten
konnten, wird niemanden wunder nehmen, der sich schon blos
an die Gainas-affäre von 400 erinnert, wes Standes mögen aber
unsre beiden Goten gewesen sein? man stempelt sie zu presbytern
mit ebenso viel recht wie einst Richard Simon sie für frauen hielt.
Hieron. deutet mit keiner silbe an, dass sie clerikalen rang be-
safsen: 'dilectissimis fratribus Sunniae et Fretelae et ceteris qui
vobiscum domino serviunt, Hieronyrmis% so lautet die Über-
schrift über ep. 106. dass der presbyter Hieronymus als ge-
liebte brüder nicht etwa nur amtsgenossen anredet, dass er bei
würklichen presbytern den titel sorgsam, und sogar unnötig oft
hinzufügt, und dass der zusatz ceteri qui vobiscum domino ser-
viunt auf eine zu frommem, dh. asketischem leben verbundene
gemeinschaft schliefsen lässt, nehme ich, bis sich dagegen Wider-
spruch erhebt, als zugestanden an. auch der ton den der verf.
im brief anschlägt, klingt dem ganz unähnlich, in dem sonst
Hieronymus selbst seinem ingrimm über höhere cleriker ausdruck
zu verleihen weifs. ein unbefangener kann aus ep. 106 nur
heraushören, dass unwissende, aber wegen ihrer weltlichen rang-
stellung nicht zu misachtende laien von einem 'meister abge-
fertigt werden, der an ihnen keine clerikale würde zu schonen
braucht, ebenso sicher oder noch sicherer scheint mir, dass
Hieron. nichts von ketzerischen neigungen der Interpellanten weis,
wenn Sunnia und Fretela Goten waren, die wie die hauptmasse
GRIECH. VORLAGE D. GOTISCHEN BIBEL 383
der damaligen Westg-oten dem arianisclien bekeuntnis aiihieugen,
so hätte sich erstlich — selbst trotz seinem 'söhne Avitus' —
Hieron. nie zu einer so eingehnden beantwortung ihrer fragen
herbeigelassen, erst recht aber hätte er es nimmermehr unter-
lassen, ihnen bei solcher gelegenheit ins gewissen zu reden, sowie
aus ihrem geliebten psalter feine gegengründe gegen ihre
arianischen Irrtümer aufzubringen, für einen so fanatischen
ketzerhasser wie Hieron. können arianische Goten — noch dazu
arianische presbyterü — gar nicht zu einem kreise von
'dienern des herrn' gehören.
Nun wissen wir aber durch die kirchengeschichte des
Sokrates und aus predigten des Chrysostomus, auf die auch
Mühlau aufmerksam geworden ist, von einer kirche in Konstan-
tinopel, in der orthodoxe Goten gottesdienst gehalten haben, in
ihrer eigenen und in griechischer spräche, eben in der zeit,
aus der unser brief 106 stammen muss. ob diese homousianischen
Goten es gewagt haben, die Übersetzung des ketzerhauptes Ulfilas
im gottesdienst zu verwenden? ob sie sich überhaupt um die-
selbe bekümmert haben? das erste ist höchst unwahrscheinlich;
und es wäre schon ein auffälliger ausnahmefall, wenn die ortho-
doxen goten Sunnia und Fretela sich etwa die aufgäbe gestellt
hätten, die Übersetzung des ketzers durch die sorgfältigste
prüfung am urtexte — und das hiefs für sie an der Septuaginta —
von allen teuflischen Irrtümern zu reinigen, lediglich dies wäre
als zweck einer von ihnen ins äuge gefassten ülfilas-revision zu
begreifen, aber das hätten sie zweifellos dem berühmten ge-
lehrten in Bethlehem auch verraten, schon um sein Interesse an
ihren Studien zu steigern; und wenn er das gewust hätte, stünde
recht deutliches darüber in seinem brief. statt dessen lässt der
aufserordentlich umfangi-eiche brief schlechthin nichts von
weitergehnden arbeitsplänen der fragesteiler merken, Avitus,^
sicher kein Gote, und schwerlich für Ulfilas interessiert, hat
genau die gleichen fragen wie sie gestellt; fragen, wie sie aus-
gezeichnet in den mund ungelehrter bibelleser passen, die haben
in ihren mufsestunden, aufmerksam gemacht auf die Unsicherheit
der bibeltexte, die bei den kirchlichen kämpfen oft peinlich zu
tage trat, ihre lateinische psalmenübersetzung — es war die
zweite von Hieronymus bearbeitete, das sog. Psalterium Gallicanum,
im wesentlichen der psalter der heutigen Vulgata — mit dem
384 JÜLICHER
ihnen zugänglichen griechischen texte verglichen, den sie naiv
genug für den unfehlbar richtigen text des göttlichen buchs
jialten; dabei ist ihnen eine reihe von differenzen aufgestofsen.
ihr freund Avitus, der selber nicht rat weifs, ermutigt sie, sich
an den verehrten Verfasser der lateinischen Version zu wenden
und ihn um die erklärung für so viel discrepanzen zu bitten,
so schicken sie denn an ihn ein langes register der von ihnen
wahrgenommenen Varianten ein. nicht weil sie für eine grolse
arbeit, wie die revision einer gotischen bibel es wäre, klare
entscheidung brauchten, sondern weil sie ihre frommen bedenken
los werden möchten. Mühlau zwar beruft sich auf eine phrase
am anfang des Hieron.-briefes zum beleg der these, dass von
einem gotischen text in irgend einer form in dem anschreiben
der Goten an Hieron. die rede gewesen sei: quis hoc crederef, ut
harhara Getarum Lingua Hehraicam quaereret veritatem. die
Wendung: dudum callosa tenendo capulum manus . . . ad
stilum calamumque mollescit setzt nach ihm bei Hieron. eine
kenntnis dessen voraus, dass die Goten sich schon seit lange
mit gelehrten Studien beschäftigen, und er nennt es sehr nahe-
liegend, diese worte auf das grolse Übersetzungswerk des Ultilas
zu beziehen, dabei ist das dudum jedenfalls falsch ausgedeutet,
es heisst bei Hieron. nicht 'sehr lange', sondern 'ehemals' und
gehört hier zu tenendo; st Uns und calanms sind nicht die in
ülfilas bänden, sondern die von Sunnia und Fretela gebrauchten,
die harhara lingua aber war durch das vorangehende schrift-
wort aus Rom. 10, 18 wahrhaftig nahegelegt; doch hätte auch
ohnedies Hieron. in erinnerung an die ptiugstgeschichte gern zu
dem wort gegriffen: dreifach nahe lag es hier, wo er über
differenzen zwischen der gleichen, aber in 3 sprachen (hebräisch,
griechisch, lateinisch) verschieden ausgedrückten offenbarungs-
wahrheit sein urteil fällen sollte: wer würde ohne besondere
wünsche aus cap. 1 etwas andres heraushören als die freude,
dass nun selbst die kriegerischsten barbaren sich schon so leb-
haft für Gottes wort interessieren, wie jene Goten mit ihrem,
in der form wol noch die barbarenzunge verratenden, frage-
register?
Völlig verfehlt erscheint mir denn auch alles was dem aus
Hieronymus zu reconstruierenden Gotenbrief an verteidigungs-
und anklagetendenz nachgesagt wird, selbstverständlich fühlt
GRIECH. VORLAGE D. GOTISCHEN BIBEL 385
sich Hieron da wo seine lateinische Übersetzung vom griechiscliea
abweicht, ohne dass ers mit dem hebräischen urtext rechtfertigen
kann, als angeklagter; der ganze brief der Goten wäre ja unge-
schrieben geblieben, wenn sie einen sinn für die höhere über-
setzungsmethode des Hieronymus besessen hätten, sie, die ihre
Jugend wol im waffenhandwerk zugebracht haben, unterscheiden
nicht wie er zwischen geist und buchstaben: sie kennen nur den
gegensatz von wahr und unwahr; ahnen nicht, dass eine Über-
setzung immer nur relativ wahr sein kann, und sind über ein
fehlendes v.ai und ein zugesetztes dorn in i ebenso beunruhigt, wie
wenn im griechischen durch die negation verneint war, was der
Lateiner behauptete, weil sie ihren Griechen, trotzdem sie vom
hebräischen urtext haben läuten hören, für den normaltext halten^
lauten ihre fragen natürlich zu Ungunsten des Lateiners, des
einzigen ihnen bekannten, dh. des Hieronymus: er soll ihnen
nun bescheid sagen, ob er seine abweichung vom normaltext
rechtfertigen kann, und empfindlich wie der eitle Hieronymus
ist, damals besonders gereizt durch den vielfachen, meist recht
törichten Widerspruch gegen seine Übersetzertätigkeit, wird er
bisweilen grätig, fast grob in der beantwortung dieser fragea
von leuten, die es wahrhaftig nicht böse gemeint hatten, aber
wenn er ihnen ^veritas' und ^mendacium' so gegenüberhält, dass
sie sich im besitz der lüge erkennen müssen, so ist das erstlich
in seinen äugen schon nicht ein so schwerer Vorwurf wie in den
unsern, vor allem aber meint er damit nicht eine von ihnen
beabsichtigte oder ihm untergeschobene fälschung; ^mendacwm*
heisst ihm jede objectiv falsche lesart, jede unrichtige wider-
gabe des wortes gottes. wer mit seinem ton in den späteren
Jahren vertraut ist, wer sich erinnert, wie schroff er aus ähn-
lichem anlass sogar gegen einen Augustin ausfällt, der wird sieht
über ein paar gallige passagen im brief 106 nicht wundern^
und daraus nicht folgern, dass die Goten ihm mit schlimmei»
grundsätzen der Übersetzungstechnik in den weg gerannt sind.
Um dieser g r u n d s ä t z e willen, die er im vorwort zum codex:
Brixianus widertindet, wagt aber Kauffmann jene Goten für
die Verfasser des Vorworts zu erklären, als ob die gleichen
bedenken, die in jenem prolog gegen zu freie Übersetzungen ge-
äufsert werden, nicht von der mehrheit aller Christen im 5 u. 6 jh.
geteilt worden wären! für die neugierde, die sich selbst bei diesem
386 JÜLICHER, VORLAGE D. GOT. BIBEL
kümmerlichen machwerk eines lateinisch stammelnden Schreibers den
verzieht auf das wissen um den namen des Verfassers nicht zumuten
mag, fehlt mir das Verständnis, ebensowenig- will mir in den
sinn, dass Sunnia und Fretela geeignete männer gewesen sein
sollten, um die dort beschriebenen vulpres zu dem gotischen text
der bi- (oder tri-) lingue anzubringen. Hieronymus brief 106
c. 68 lehrt uns, dass sie die griechischen Wörter, die Hieron. in
seinem Psalterium Gallicanum aus dem Lxx-text beibehalten hatte,
nicht verstanden und ihn um eine gute lateinische widergabe
baten: darunter so gewöhnliche wie neomenia, eremus, thronus.
die art wie Hieronymus sie instruiert, setzt bei den fragestellern
eine minimale kenntnis des griechischen voraus, darum haben sie
auch den Graecus so bewundert, den sie als urtext mit Hieronymus
Version collationierten, weil er ihrem begreifen so überaus ferne
stand, und diese männer sollten eine revision der Ultilas-bibel
geplant haben, die nach ihren 'grundsätzen' ja gerade nur eine
weitere annäherung an den griechischen text bezwecken konnte?
und sie leiten eine epoche von gotischen bibelrecensionen ein, bei
denen nach autoritäten der forschung wie Kauffmann und Streit-
berg das ergebnis vielmehr ein starkes hereinfluten latei-
nischer Sonderlesarten in den Gotentext gewesen ist? der
Brixianus, der das vermeintliche Snnnia-vorwort birgt, ist ja
unendlich viel reichlicher von Hieronymus als von Ulfilas ab-
hängig — gerade auch nach Burkitts hypothese: also hätten
die gotischen revisionisten in der theorie ihrer wut über
Hieronj'mus die zügel schiefsen lassen, in der praxis ihn aufs
erbärmlichste ausgeplündert?!
Man überlege auch noch, welch genaue kenntnis des grie-
chischen und welch respectable gelehrsamkeit Ullilas besessen
haben muss, um die Bibel, um auch nur Psalter, Nehemias und
das Neue Testament ins gotische zu übersetzen, man erinnere
sich, wie gut er bescheid weifs bei widergabe von technischen worten
wie y.fjvoog und rpÖQOC, sogar bei dem eyy.üDeroL Luc. 20, 20,
das keiner der alten Lateiner verstanden hat — und dessen
Bibel sollen jene beiden Goten einer correctur haben unterziehen
wollen, die die ersten fruchte ihrer dilettantischen mufse dem alten
in Bethlehem zur begutachtung vorgelegt hatten? wir haben
alle Ursache, das gründliche misverständnis von Hieron. ep. 106,
das seit 10 jähren als verstehen ausgegeben wird, abzulehnen
LEITZMANN, TRIERER SYLVESTER 387
und Sunnia und Fretela endgültig aus der geschichte des gotischen
bibeltextes auszuschalten: vor der hand wissen wir von ihm
nichts weiter, als dass er im 4 jh. von Ulfilas geschaffen
worden ist und wie er im 6 jh. ausgesehen hat, als die frag-
mentarischen handschriften, aus denen wir ihn kennen, geschrie-
ben wurden.
Marburg. A. Jülicher.
ZUM TRIERER SILVESTER.
Der text dieses gedichts, wie ihn Kraus in den MG. im
I bände der Deutschen Chroniken (Hannover 1895) mit pein-
lichster Sauberkeit und akribie hergestellt hat. lässt doch noch
an ein paar stellen begründete zweifei an der richtigkeit der
lesart, sei es einer handschriftlichen, sei es einer von ihm durch
conjectur hergestellten.
67 nianic Homere wart irstruhet sere, daz ir wenigen
kindelin al virJoren solden sin. schon Roediger (Zs. 22, 181)
glaubte das mhd. Wörterbuch durch er.sfrfiben 'in schrecken setzen'
bereichern zu können; Kraus (s. 136a) stimmt ihm bei. dieser
auffassung steht einmal entgegen, dass strfihen, dessen Zusammen-
setzung mit er- sonst nicht belegt ist, nur intransitiv ('starren,
rauh emporstehn. sich sträuben') gebraucht wird, niemals transitiv
("zum starren bringen'), wie es hier gefasst werden müste (Mhd.
wb. 11 2, 702 a); dann aber auch, dass ii nach der Orthographie
der fragmente überwiegend für uo und nur höchst selten für h
steht (Kraus s. 41). ich lese mit Streichung eines buchstaben
irtruohef. das je einmal im Nibelungenlied und der Krone belegt
ist (Lexer i 686) und mindestens so gut passt.
89 ich netveiz waz daz meinet, daz daz Hut so sere
klaget unde iceinet: ich nemac die vor niet getun. die letzte
zeile hat Bartsch (^Germ. 26, 58) zuerst gelesen, was Kraus aus-
drücklich bestätigt, ohne die differenz zwischen di bei ihm selbst
und die bei Bartsch zu besprechen und nach einer seite hin zu
entscheiden. Kraus setzt im text dit mort statt die vor ein,
Bartsch wollte vor zweifelnd als vuore fassen: beides befriedigt
nicht, zumal ersieres ist zu gewaltsam, ich schlage vor, die in
hie zu ändern und vor unangetastet zu lassen, und erkläre: 'ich
kann vor diesem klagen und weinen nichts unternehmen', will
man vorziehen statt vor -vür zu schreiben, so gäbe auch das einen
guten sinn: 'ich kann nichts dagegen machen.'
299 dö her die kristenheit intvieno, die hüt ime gare intviel:
line ivart al der lip sin als ein niave gehören kindeUn. Roe-
digers besserung des verderbten line in ime (Zs. 22, 154), die
Kraus in seinen text aufgenommen hat, befriedigt mich nicht
388 LEITZMANN, TRIERER SILVESTER
obwol sie nahe zur Kaiserchron. 7946 jti wart im der Up sin
stimmt; das würde nach den eigenen Zusammenstellungen des
Herausgebers (s. 30) nicht ausschlaggebend sein, das pronomen
ist in keiner weise betont und steht daher auch in der Kaiser-
chronik enklitisch in der Senkung des inneren verses: im eingang
des verses in erster hebung hat wol ein prägnanteres wort ge-
standen, ich vermute linde, was eine passende bezeichnung so-
wol für die neue haut des vom aussatz geheilten als für die des
neugeborenen kindes ist.
4 78 wen ein dinc hän ich küme ertragen, so bessert Kraus
nach dem vorgange von Bartsch (Germ. 26, 59) den hsl. fehler
ertagen. das ist aber unmöglich, denn ertragen ist gar kein mhd.
wort; die Avörterbücher haben nicht einen einzigen beleg, aufser-
dem heilst das präfix in unserm denkmal nie anders als ir-
(Kraus s. 41). es muss vertragen gelesen werden, was Roediger
(Zs. 22, 159) fälschlich in der hs. selbst zu lesen glaubte.
S23 an der selben stunt wart ime [Abraham bei den engein
im hain Mamre] sin besmerunge kunt. Bartsch (Germ. 26, 63)
hat die stelle zuerst gelesen und vermutlich auch richtig aufge-
fasst, da er keine änderung macht. Kraus setzt statt besmerunge
bescherunge in den text, das er (s. 134b) als 'schicksal' erläutert.
es ist aber alles in der Überlieferung in Ordnung: besmerunge
ist das ahd. bismarunga (Graff vi 834), das im Tatian viermal
(54,5. 62,8. 84,9. 191,2) als Übersetzung von 'blasphemia'
erscheint, was gemeint ist, zeigt die Genesis 17, 17: 'cecidit
Abraham in faciem suam et risit, dicens in corde suo: putasne
centenario nascetur filius? et Sara nouageuaria pariet?' aus dem-
selben capitel der Genesis (24) stammt ja auch die angäbe über
Abrahams alter, die unser dichter kurz vorher (821) verwertet
hat. da das wort besmerunge, für das wir hier den ersten und
einzigen mhd. beleg erhalten, auch im ahd. nur bei Tatian be-
gegnet, so hätten wir hier doch wol ein sicheres häkchen, an
dem sich eine heimatsbestimmung des Silvester, an der Kraus
(s. 43) verzweifelt, befestigen liefse: wir würden nach Hessen ge-
wiesen und das constante dit des Schreibers könnte doch viel-
leicht schon dem dichter gehören.
Jena, 10. juni 1910. Albert Leitzniaun.
ZU SPERVOGEL.
Die heiniat des Spruches MFr. 22,:i3 sucht Scherer DStud.
I'^ 15 f am Rhein, etwa am Mittelrhein, und Roethe schliefst sich
ihm ADB. xxxv s. 142 unter 'Spervogel' mit vorsichtigen worten
an. Öchönbach Beitr. z. erklärung altdeutscher dichtwerke i 1 7
neigt dazu, den Rhein blofs 'typisch' für ström zu nehmen: er
berücksichtigt nicht, dass die bestimmungen hie vor (23, i) und
GRUTERS, ZU SPERVOGEL 3Sy
nCi (23,3) voraussetzen, dass fahrender und Zuhörerschaft den
ström vor äugen hatten, aber auch Scherers und Roethes an-
nähme ist nur dann zu halten, wenn man die worte 23,:i i:
nü ist er worden also groz daz in nieman mac gerlten als
eine starke Übertreibung ansieht: denn am ganzen Mittel- und
Niederrhein gibt es keine stelle, wo der ström wegen seiner breite
nicht mit dem pferde zu durchschwimmen wäre. (23,3 groz steht
im gegensatz zu 23, 1 enge und ist daher gleich 'breit'.) von den
ältesten zeiten bis zur gegenwart haben hier berittene den ström
durchschwömmen; vgl. Müllenhoff DA. iv 334 und unter den
stellen auf die hier verwiesen wird, bes. Tacitus Hist. iv 66.
wie allgemein es im ma. bekannt war, dass man zu pferde durch
den Rhein kommen könne, lehrt des altfranz. dichters Jehan
Bodel (anfang des 13 jh.s) Chanson des Saisnes, wo einzelne
beiden und ganze scharen unterhalb Köln die fluten durchreiten,
auch heute noch durchschwimmt deutsche cavallerie den ström
an den breitesten stellen seines mittleren und unteren lautes,
am Mittelrhein könnte der spruch also nur gedichtet sein, wenn
die worte 23,3.4 so viel hiefsen, als dass es schwer sei, hier zu
pferde durch den ström zu kommen, da es aber allen zuhörern
selbstverständlich war. dass man den Rhein wol durchreiten
könne, wäre solch eine Übertreibung mit der stark betonten Ver-
neinung nieman am Schlüsse des gedichtes so ungeschickt wie
möglich gewesen, da sie den Widerspruch geradezu herausge-
fordert und damit den eindruck vernichtet hätte, wir werden
daher Spervogels behauptung lieber wörtlich verstehn und dann
als die stelle, wo der Rhein zu breit ist um durchritten zu wer-
den, den Bodensee ansehen müssen, hier muste der vergleich
22,30 f würken; nur wenn man es sich hier vorgetragen denkt, wird
aus einem matten gedichte, das wenig lob verdiente, ein hoff-
nungsfreudiger , fast schalkhafter spruch mit witzig geprägtem
abschluss. nicht nur schmaler und breiter ström, nein, flüsschen
und see stehn sich eindrucksvoll gegenüber, dem armen schlucker
winkt in der zukunft ein meer des reichtums, wie jenes daraus
er nach MFr. 23,i3f so gern geschöpft hätte.
Bestätigt wird diese deutung dadurch, dass, wenn sie zu-
trifft, das gedieht in ein altdeutsches Sprichwort ausläuft, um
ein unterfangen als unmöglich hinzustellen, pflegte man ehemals
zu sagen, es sei vergebliche mühe, das meer zu durchreiten:
als Morolf seine beiden anfeuern will, hält er ihnen vor, Salm,
u. Mor. 486,1 : uns sint die fürte gar zuo dief, wir mögen daz
niere nit herzten, ganz ähnlich sagt Freidank 132, 20: daz mer
mac nieman üherwaien. (zu erinnern ist auch daran, dass der
Bodensee 'Schwäbisches meer' hiefs.) durch einen merkwürdigen
Zufall trifft es sich, dass uns gerade in beziehung auf den Boden-
see aus späterer zeit eine scherzhafte anspielung auf jenes Sprich-
wort erhalten ist: in einem spottlied auf Ludwig iv von Bayern,
390 GRÜTERS, ZU SPERVOGEL
Lassberg liedersaal iii 12.'> (ur 187, S2): Si iechent der Bin
sy ze groz, Mag nieman für Breyentz kamen. Bregenz ligt ja
nun gar nicht am Rhein, sondern ein gutes ende davon entfernt
am Bodensee : so wird denn wenigstens zu kaiser Ludwigs zeiten
in der Umgebung des Bodensees der scherz im schwänge gewesen
sein, den Rhein hier für zu breit zu erklären, um hinüberzu-
reiten I. ob Spervogel erst diesen witz erfunden hat, oder ob er
gerade so wie der Verfasser des spottliedes nur auf ein gäng und
gäbes Sprichwort zurückgreift, lässt sich wol nicht entscheiden.
Düsseldorf, den 27 august 1910. Otto (xrüters.
TRIER UND MERSEBURG.
'Ich gesteh, dass ich mich jetzt der auffassung KKrohns
zuzuneigen beginne, wonach alle heidnischen Zaubersprüche des
europcäischen nordens erst Umformungen frühchristlicher Vorbilder
oder Substrate sind, die discussion über diese wichtige frage, zu
der neuerdings die arbeiten von Krohns schülern Brummer und
Mansikka höchst wertvolles material beigesteuert haben, hat in
Deutschland kaum erst begonnen, jetzt wo die Trierer Zauber-
sprüche vorligen darf sie nicht länger aufgeschoben werden'.
Mit diesen werten schliefst Edward Schröder (Zs. f.d. Alt. 52,
1 80) seine einführung von FWERoths höchst wertvollem fund (oben
s. 169). der verehrte freund darf es mir nicht übel deuten, wenn
ich mir diese aufforderung in eigenem sinne auslege, wenn ein
kenner und forscher wie er sich jenen anschauungen zuzuneigen
beginnt, in denen ich wenigstens nur die periodische widerkehr
einer verhängnisvollen mythologischen krankheit zu sehen ver-
mag; wenn er gerade in diesem fund für die nachträgliche
Christianisierung des allerheidnischsten einen anhaltspunct erblickt
— dann darf der widersprach nicht länger aufgeschoben werden,
und um ihn gleich erheben zu können, wag ich ihn in bücher-
ferner emplindungsfrische zu erheben.
Schröder scheint eine allgemeine erörterung der frage für
möglich zu halten, ob 'alle heidnischen Zaubersprüche des euro-
päischen nordens' einem bestimmten Ursprung verdankt werden,
ich halte eine solche Untersuchung nur in dem sinn für denkbar,
dass eben für all diese sprüche in eine specielle prüfung einge-
^ Lassberg m 119 erläutert die stelle anders; Inhalt und stil des
gedachtes sprechen gegen ihn.
MEYER, TRIER UND MERSEBURG 391
treten wird, natürlich ohne eine irreführende Isolierung, aber
doch zunächst mit principiellem absehen von analogieen'. ich
möchte an litterarische fragen erinnern wie die der deutscheu
Strophen in den Carmina Burana. mit recht hat der letzte
sorgfältige beobachter hervorgehoben, dass die discussion frucht-
bar erst wurde, als man sich von dem Vorurteil frei machte,
alle deutschen Strophen müsten entweder originale oder nach-
bildungen sein, auch bei den Zaubersprüchen einerseits heid-
nischen anderseits christlichen Charakters handelt es sich doch
nicht um einen zweisprachigen text, der im ganzen aus dei-
einen spräche in die andere übersetzt ist. vielmehr enthält der
radicalismus, der überall sei es heidnischen sei es christlichen
Ursprung postuliert, die gleiche fehlerquelle, wie etwa die an-
schauung, im minnesang' müsse jeder ton, jeder gedanke entweder
altheimisch sein oder entlehnt, ich vermag nicht einzusehen, wie
eins von beiden auch nur denkbar wäre.
Aber wir wollen Schröders wort gewis nicht pressen, so
sicher es allerdings den anschauungen Krohns entspricht, ich
kann nicht leugnen, dass dessen gewis höchst dankenswerte
Untersuchungen für mich wenig Überzeugungskraft haben, ich
sehe keinen einzigen fall, der annähernd so sicher wäre, wie zb.
umgekehrt die Christianisierung des Beowulf.
Aber will man sich auch nicht mit KKrohn auf den boden
des 'alles oder nichts!' stellen, so kann man doch Schröder sicher
soweit entgegenkommen, dass man eine principielle erörterung
darüber zulässt, ob im allgemeinen die eine oder die andere
lierleitung eine gröfsere Wahrscheinlichkeit für sich habe,
dieser erörterung wollen wir keineswegs ausweichen; am besten
aber gehn wir auch hierfür von dem einzelfall aus.
*0b das geschichtchen von der heilung des kranken pferde-
fufses zuerst von Wodan und Balder oder von Christus und
SStephan erzählt ist?' (aao. s. 180). ich gesteh, dass ich, mindestens
• Schröder glaubt, wie er mir unter der correctur schreibt, dass erst
jetzt mit dem grofsen werke von AFranz, Die kirchlichen benedictionen des
mittehilters (2 bde., Freiburg i. B. 1909) für derartige Untersuchungen die
wünschenswerten grundlagen geboten seien, und er möchte daher ohne
gründliches Studium dieses werkes vorläufig auf die fortsetzung der discussion
verzichten, den Trierer sprach hält er nicht für die vorläge des Älerse-
burgers, sondern für eine der vielen sprossfornien dieser chrisilichen
Vorstufe.
392 MEYER
bei der vergleichiing von Trier und Merseburg-, keinen aug-enblick
zweifle.
Von jenem methodischen gesichtspunct, dass die anorga-
nische form die abgeleitete sei, hat man gewis zuweilen ■ — etwa
in Iherings dilettantisch-geistreicher Vorgeschichte der Indo-
europäer — einen zu weitgreifenden gebrauch gemacht; und
selbst die berühmteste anwendung der regel, Benfeys schakal-
wolf in der tiersage, ist neuerdings nicht ohne anfechtung ge-
blieben, aber wenn auf der einen seite ein völlig klares orga-
nisches gebilde vorligt, auf der andern ein innerlich durchaus
haltloses — kann man dann würklich das conglomerat als muster
für den Organismus ansehen?
Ich darf hier auf die frage nicht eingehn, ob ich den
zweiten Merseburger Zauberspruch zu ernsthaft genommen habe,
als ich in meiner Altgermanischen religionsgeschichte ihn aller-
dings als vollwichtigen mythus auszudeuten suchte, mag er denn
für jetzt nur eine 'götteranekdote' (aao. s. 180) sein — worin
ich übrigens nur eine stilistische, aber keine inhaltliche Ver-
schiedenheit vom typus des mythus sehen würde, jedenfalls —
bei diesem Spruche ist alles in schönster Ordnung, dass Wodan
ze liolze fährt, stimmt mit seiner erscheinung, mag er nun von
anfang an oder erst spät der wilde Jäger sein; dass Balder, der
ritterliche gott, ihn begleitet, hat nichts irgend verwunderliches,
auf dieser jagd begegnet einem ross ein unfall — ein auf tau-
sendfältiger erfahrung- beruhender zug. man müht sich ihn zu
heilen, was erst dem heilgott gelingt, eine höchst einfache er-
zählung, die einem uralten, unzähliche mal belegten typus in
classischer strenge entspricht.
Nun die Trierer fassung. 'Christus kam einst mit dem heiligen
Stephan nach der Stadt Salonium' (aao. s. 179). dass beide be-
ritten waren, muss Schröder ergänzen: der Schreiber wagte es
nicht zu sagen, und wie käme Christus zu einem ross? und wie
gar der diakon Stephanus? wie kommen beide zusammen? ein
anachronismus, der auch der naivität ungelehrter cleriker nicht
zuzutrauen ist, geschweige der eines gelehrteren, und 'Salonium',
bemerkt Schröder selbst, 'klingt gelehrt'; ob es eine anlehnung
an salu zu dem 'dunkelen tann' der (meiner ansieht nach) alten
fassung sei, bleibe dahin gestellt, 'dort zog sich SStephans ross
eine entzündung zu' — was wider der herausgeber selbst wunder-
TRIER UND MERSEBURG 393
lieh tindet: 'man erwartet: auf dem wege dorthin", jedes
sätzchen eine inconcinnität, jede aussage eine willkür!
Wenn würklich christliche medicinmänner einen heilspruch
für eine Verletzung des fufsgelenkes bei einem reitpferd gesungen
hätten — fehlte es denn an reisigen heiligen? genoss doch
Michael genügende popularität. selbst an Paulus könnte eher
gedacht werden, der doch würklich einen reiterunfall erlitt, wie
Salomou Landolt, der landvogt von Greifensee, seinem lieblings-
apostel etwas spöttisch vorzuwerfen pflegte, aber zwischen
Stephanus und der erkrankung eines pferdes besteht dann
doch gar zu wenig Verbindung! und nimmt man Christus als
den arzt, der für alles rat weifs — wie seltsam bleibt die
gesellschaft des heiligen, der nur durch seinen tod zum rühm
eingieng!
Ferner: gesetzt dieser Trierer spruch wäre ursprünglich
— wie soll man sich seine Übersetzung ins heidnische vorstellen?
wie sollte die biu-g in den wald verwandelt werden? wie die
ganze Umgebung der göttinnen hinzuerdichtet sein?
Umgekehrt aber ist alles wider verständlich, den höchsten
gott ersetzt Christus; Balder, der durch Wurfgeschosse getötete
gott, wird zu Stephanus, dem gesteinigten, oft heilst es in der
Bibel, dass Christus zu einer Stadt kam; so muss auch hier der
im Neuen Testament fehlende wald fallen, und selbstverständ-
lich schwinden Frija, Volla, Sunna, Sinthgunt.
Mit dem ersten Trierer spruch steht es nicht ganz so schlimm,
aber wider hat Schröder selbst zu bemerken: 'von irgend einer
Verwundung des Heilands bei lebzeiten, bei der das blut zum stehn
gebracht sei, weifs weder die Bibel noch die litterarische legende
etwas' (s. 178 fj. freilich ist auch der Strafsburger blutsegen
nicht so klar wie der zweite Merseburger spruch.
Nun aber beachte man noch das: die Überschrift 'ad catar-
rum' ist, wie Schröder milde sagt, 'ungenau . die ''Überschrift
'contra equorum egritudinem quam, nos dicimus spurialz' {S. 179)
stimmt auch nicht; Schröder hilft sich (s. 179) mit der annähme,
dass neben thaz antphangana als ein zweites mögliches pferdeleiden
thaz spuri{h)alza gestellt werde, ligt die annähme nicht näher, dass
Überschriften einer Sammlung verwechselt wurden, deren eines stück
wie MSD IV 4 überschrieben war? denn dass die Trierer Sprüche
in der vorläge unserer hs. zum erstenmale zur niederschrift
394 MEYER
g-elangten (s. 177), stellt ja auch Schröder nur als 'sehr wol
möglich' dar. der abschreiber hätte dann sein atha thaz spuri-
alza beigefügt, um die Überschrift nachträglich zu rechtfertigen;
denn blutsprüche, die sich zweifelnd gegen ein oder das andere
übel richten, erwecken schwerlich zutrauen! in solchen fällen
unsicherer diagnostik werden viel eher mehrere verschiedene
incantationes versucht werden.
Und somit scheint mir bei einer vergleichung der von den
fernsten enden Deutschlands, aus dem keltoromanischen Trier und dem
slavogermanischen Merseburg zusammengetroffenen Zaubersprüche
alles für die originale fassung des heidnischen textes zu sprechen.
Und dieses specielle ergebnis möchte ich nun allerdings auch
durch eine allgemeinere betrachtung ergänzen.
Wie sollen wir uns denn nur jenen generellen christlichen Ur-
sprung heidnischer Zaubersprüche vorstellen ?
Niemand ist gegen die in der mythologie mode gewordene
Überschätzung des zaubers entschiedener aufgetreten als ich
selbst, aber schlielslich ist doch kein ergebnis der vergleichen-
den mythologie neueren Stils, der ethnologie, der folkloristik sicherer
als dies, dass bei allen primitiven der zauber und der Zauber-
spruch in mächtiger Verwendung standen und stehn. ich kann
mir nicht helfen: mir scheint alles dafür zu sprechen, dass ursprüng-
lich wort und werk untrennbar verbunden sind und aller stum-
mer zauber secundär ist. für die Indogermanen wenigstens sind
verchristliche Zeugnisse, wenn wir vom norden ganz absehen, bei
Indern, Hellenen, Römern doch wahrlich in genügender fülle
vorhanden, soll nun all dies beim einzug des Christentums spur-
los verschwunden sein, so dass der bedarf an heilsprttchen nur
mit christlichen subStraten zu befriedigen war? 'und dabei stehn
wir eben erst am ausgang der missionsperiode !' (s. 178).
Oder sollen wir annehmen, Germanen, Slaven, Finnen hätten
es zu der kunst des zaubergesangs damals noch nicht gebracht,
die wir doch bei den rohesten Völkern linden? während doch
desTacitusbericht über die runen allein schon das gegen teil verbürgt.
Und nun weiter, wie w^oUen wir uns die Umsetzungen der
christlichen vorläge ins heidnische psychologisch oder culturhisto-
risch erklären ? es ist durchaus verständlich, dass ein heidnischer
segen getauft wird, nachdem die, die ihn anzuwenden gewohnt
waren, Christen geworden waren : die materie blieb, aber statt
TRIER UND MERSEBURG 395
des Thor oder Balder wurde ein heiliger zum vorbeter. solche er-
setzung ist uns oft genug bezeugt, und Chlodwig bei Tolbiacum
ist das grofse beispiel. wie aber umgekehrt? die neubekehr-
ten glauben entweder heimlich doch noch auch an die alten
götter — auch dies ein begreiflicher und bezeugter zustand — ,
warum sollen sie dann diese nicht auch noch anrufen? oder sie
glauben nicht an sie — warum sollen sie dann in christliche
Sprüche verrufene namen einschmuggeln? die mission kann das
Versteckespiel heidnischer sprüche mit christlichen heiligen namen
bewürken; was aber die lästerliche umtaufe solcher namen in
'Phol enti Wodan'?
Die absolute Chronologie, so wichtig sie (s. 179) in litterar-
historischer hinsieht ist, beweist ja doch nichts gegen die relative ;
natürlich können geistliche einen segen in christlicher form auf-
gezeichnet haben, der noch Jahrzehnte lang auch in heidnischer
gestalt umlief, vor allem aber, können sie nicht selbst in be-
greiflicher scheu vor den 'laicorum cantus obscoeni', und doch
mit unsicherem glauben an die heilkraft, die neuen namen ein-
gesetzt haben? etwa wie der aufzeichner des Voluspa sich durch
christliche schlussverse salvierte? ist nicht auch diese annähme
einfacher als die jener 'merkwürdigen anschauungssphäre', die
Schröder (s. 178) voraussetzt? — man denke auch an zweifel-
haftere analogieen wie die der beiden hälften des Wessobrunner
gebets ! oder immer wider auch an die päpstliche Weisung an den
bekehrer der Angelsachsen.
Niemand wird bestreiten^ däss christlicher aberglaube reci-
piert werden konnte, immerhin, die missionsregeln wenden sich
gegen heidnischen, gegen dadsisas und anderes, was auf dem boden
primitiver Zauberkunst steht, eine anpassung heidnischer an
christliche art ist in zahlreichen fällen sichergestellt, bei den
Germanen und sonst; ich verweise nur etwa auf Saint Yves
'Les saints successeurs des dieux'. sie ligt im germanischen
norden in einigen beispielen mit aller deutlichkeit vor. eine
paganisierung christlicher gebrauche ist ebenfalls hin und wider
erwiesen, aber unendlich viel seltener, all diese erfahrungen
wendet Krohn ins gegenteil. wir wissen, dass die berühmte
Petrusstatue in San Pietro zu Rom eine heidnische culttigur war;
Usener hat uns — nach anderen — über den Ursprung der hl.
Pelagia dasselbe gelehrt, was man über die grundlagen zahl-
396 MEYER, TRIER UMD MERSEBURG
reicher ceremonien in der katholischen kirche schon längst wüste,
nnn wird vielleicht bald gelehrt weiden, die altgermanischen
culttiguren seien entstellte heiligenbilder . . .
Gewis haben wir unter dem eindruck von J. Grimms geni-
alen Irrtümern die Volkstümlichkeit, bodenständigkeit, altertüm-
lichkeit vieler mythologeme, sitten, formein überschätzt, ent-
entdeckungen wie die Schwieterings über 'singen und sagen' mah-
nen zur vorsieht, nun aber kommt als reaction ein romantischer
rationalismus auf, der aus furcht, zu viel für autochthon zu
halten, alles für entlehnt halten möchte, statt der hundert kleinen
mythen glaubt mau lieber den einen, dass die nordeuropäischen Völker
auf einmal aus dumpfem nichts in allmächtiges Christentum hinüber-
gewandert seien, diesen anschauungen kommen neubelebte roman-
tisch-mythologische ideen anderer art zu hilfe: Andrew Lang ver-
lieht wider die decadenztheorie, nach der alles heidentum ver-
derbter^ offenbarungsglaube wäre; Leopold vSchroeder lehrt einen
ursprünglichen monotheismus, wie ihu trotz mancher Überein-
stimmung selbst Ehrenreich ablehnen muss. all diese tendenzen
bedi'ohen die ruhige entwicklung einer Wissenschaft, die trotz
aller zweifei der Skeptiker in ruhig sicherem f ortschritt begriffen
ist; bedrohen sie von neuem, wie sie sie unter Creuzer uud
Kanne und wider unter Bang und Bugge bedroht haben.
Überall, im sprachlichen leben wie im litterarischeU; lernen
wir immer mehr erkennen, dass alle historische evolution im
wesentlichen anpassuug ist. wer glaubt noch an all die früher
postulierten katastrophen, ungeheuere Wanderungen, radicale ten-
denzen der Weltanschauung? es wird, ausnahmen gewis vor-
behalten, wol auch damit sein bewenden haben, dass das alt-
heidnische zauberwesen sich dem christlichen anpasste und die
uralten heilsprüche biblische namen aufzunehmen gezwungen wurden !
Berlin 21. S. 10. Richard M. Meyer.
ZU DEN TRIERER ZAUBERSPRÜCHEN. Aufs. 179 z.l3
V. 0. (vgl. 180 z. 14 V. 0.) ist mir ein lapsus passiert, der
den lesern des zweiten Zauberspruches auf s. 174 ganz unver-
ständlich erscheinen muss. hier list man /b gibiiozi ilic it mid
kriftes fuUefti, und das heifst natürlich 'so möge ich es mit
Christi hilfe heilen'! in der abschritt die ich in den druck gab
stand aber iTic, und das hab ich, als ich die correctur nach der
hs. las, mechanisch gebessert, ohne die consequenz zu ziehen, ich
habe mich jetzt nochmals überzeugt, dass würklich ihc dasteht.
F. Burg, dessen scharfem äuge der anstofs nicht entgangen war,
weist gleichzeitig darauf hin, dass s. 174 z. 1 v. o. coUectio puris
für ^Apostoma' in Ordnung ist: 'eiteransammlung'. E. S.
Druck von J. B. Hirschfeld in Leipzig.
ANZEIGER
FÜR
DEUTSCHES ALTERTUM
UMD
DEUTSCHE LITTERATUR
HERAUSGEGEBEN
VON
EDWARD SCHROEDER und GUSTAV ROETHE
VIERUNDDREISSIGSTER BAND
BERLIN 1910
WEIDMANNSCHE BUCHHANDLUNG
SW. ZIMMERSTRASSE 94
INHALT.
Seite
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Beck, Ekkehards Waltharius, von Baesecke 296
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Tiedt, Witziges und spitziges, von Meyer 118
pjüdlög, Islenzk, s. ßjarni porsteinsson
pjödtru ok pjüdsagnir, s. Oddur Björnssou ok Jonas Jönasson.
p('irsteinsson, s. Hjarni
vUnwerth, Die schlesische mundart in ihren lautverhältnissen, von
Lessiak 33
Voges, Aus der heidenzeit des braunschweigischen landes, von
Schröder 295
FVogt, Das königs- und kaiserideal des deutschen mittelalters,
von Schulze 113
WHVogt, Zur composition der Egilssaga cap. i — lxi, von Neckel . 297
Volkslieder, s. Hartmann
Wallberg, Hebbels stil in seinen ersten tragödien 'Judith' und 'Geno-
veva', von Freye 290
Walser, Die theorie des witzes und der novelle, nach dem 'de sermone'
des Jovianus Pontanus, von RMMeyer 117
'Waltharius', s. Beck
Walzel, Hebbelprobleme, von Freye 285
Warnecke, Goethe und Schiller, von RMMeyer . . 303
Wegner, Die 'Christliche warnung des treuen Eckarts', von BRing-
waldt, von Götze 114
Weston, The legend of Sir Perceval ii, von Biöte 242
Witkowski, Aus Schillers Werkstatt, von Kettner 278
Wrede, Die diminutiva im deutschen, von Schatz 9
Zincke, FHebbels philosophische jugendlyrik, von Freye .... 2SI
, Die entstehungsgeschichte von FHebbels 'Maria Magdalena'
von dems 283
Bresslau, Volker der spielmann 120
Leitzmann, Zum Vorauer Alexander 305
, Bemerkungen zur Mllstätter handschrift 122
Margadant und Brecht, Das geburtsjahr des Simon Lemnius . . 125
Neuber, Lyrische federproben 305
Schmidt, Heriman 191
Schröder, Biterolf 191
Personalnotizen 128 192 306
Register 307
ANZEIGER
FÜR
DEUTSCHES ALTERTUM UND DEUTSCHE LITTERATUR
XXXIV, 1, 2 mai 1910
Die deutschen vogelnamen. eine wortgeschichtliche Untersuchung
von Hugo Suolahti, doceut an der Universität Helsingfors. Strafs-
burg. Trübner 190!). xxxiii u. 540 ss. S". — 16 m.
Herr Suolahti hat vor 10 jähren unter seinem schwedischen
namen Palander "die althochdeutschen tiernamen" und zwar zu-
nächst 'die namen der Säugetiere' behandelt (Darmstadt 1899):
das war eine fleiisige doctordissertation , die aber bei der be-
schränktheit und Umgrenzung des materials wenig ergiebig schien
und gerade vor den interessantesten fragen halt machte. Palander-
Suolahti hat dann zunächst begonnen die versprochene fortsetzung
in derselben weise auszubauen: darauf weist die besonders ein-
gehnde und gewissenhafte prüfung des glossenmaterials der ahd.
(und frühmhd.) zeit hin. welche jedem einzelnen artikel voran-
gestellt ist, und deren ertrag nicht immer der mühe zu ent-
sprechen scheint die sie erfordert hat, und dem räume den sie
hier beansprucht, in der beurteilung und wertung dieses oft
recht zerrütteten lexikalischen Stoffes hat S. gegen früher grofse
fortschritte gemacht: es gelingt ihm nicht selten, aus dem Schutt-
haufen der Varianten wertvolle anzeichen der dialektischen und
landschaftlichen Spaltung eines namens zu ermitteln, welche die
spätere Überlieferung oder die heutige Volkssprache bestätigt,
so zb. unter 'Würger' s. 146 — 148 (vgl. s. vi); hier wo die
nomenclatur ganz besonders reich und mannigfaltig ist, kann ich
zu /vürf/elhdhe (s. 150 f) noch eine gesicherte Variante aus einem
eigennamen anführen : Marcliwardus w u rgel h a « e erscheint drei-
mal im Cod. trad. Garzensis um 1200 (Drei bayer. traditions-
bücher aus d. 12 jh. [München 1880] s. 59. 63. 7o). ein wahrer
meisterfund ist dem geduldigen Spürsinn des vf.s mit der aufdeckung
des altbairischen namens für den schwarzen storch gelungen:
utinswal , Uttenschicalb, was der gotländischen bezeichnung
odensvala genau entspricht (s. 372 f). dass ihr eine ältere form
*Wnotanes-siialwa (sical) vorausligt, leidet keinen zweifei: in ihr
ist, möglicherweise nach Verschiebung der silbengrenze {* Wicotanes-
walu-a), die dissimilatorische behandlung des anlauts eingetreten,
die ich in meiner abhandlung über 'Blachfeld' erläutert habe,
und für die auch das vorligende buch wider sehr hübsche be-
lege bietet: so zu tu rtel taube (s. 217) einerseits das bairisch-
A. F. D. A. XXXIV. 1
2 SCHRODKR ÜBEK
österreichische (/iirtel taube (schon beim Teichner) und ander-
seits das luxemburgische ürteldau /; dann zu d o rndräel {s.]Al f) :
aus Baiern do rnkr{iel und aus Österreich r/or«f/rez(e/, mit fort-
t'all des zweiten anlauts aber doarnraJe in Lienz usw.
Nicht überall freilich kann ich den angaben der alten glossen
und glossare den zeugniswert beimessen, den ihnen S. zubilligt:
so wenn er auf s. vi der einleitung (vgl s. 3 7 (5) die Übersetzungen
erdhuon und pirchJiven, welche Admonter hss. der Versus de
volucribus für "ibis' bieten, als echte (obwol sonst ganz unbe-
zeugte und höchst unpassende) namen jener ibis-art ('geronticus
eremita") besonders betont, von der der artikel 'Waldrabe' s. 373 ff
sehr anziehend nachweist, dass sie einst in den felsschluchten der
Schweiz wie Steiermarks nistete und hier wie dort auch einge-
fangen und gezähmt gehalten wurde, dass es sich dabei um
einen 4bis' handelte, hat zwar ein gelehrter ornithologe vom
j. 1591 schon richtig gesehen, aber die Admonter schreiberhaben
es doch gewis nicht gewust!
Es sind aber nicht eben viele fälle, in denen ich in der be-
wertung der glossen von dem Verfasser abweiche: im allgemeinen
operiert seine behandlung gerade dieses ältesten quellenstoffes mit
allen wünschenswerten cautelen: er reduciert eine scheinbare
Vielheit der Zeugnisse auf eines oder zwei, er deckt Verwechselungen
und misverständnisse auf, scheidet die glossen angelsächsischer
herkunft aus und nimmt überall rücksicht auf das alter und
womöglich auf die heimat der einzelnen handschriften. es gibt
bisher keine Wortuntersuchung, welche die grofse publication
Steinmeyers mit soviel vorsieht und mit so reichem nutzen ver-
wertet.
Aber würklich fruchtbar und historisch lebendig ist die arbeit
freilich erst geworden, indem S. sich entschloss, die weitere lit-
teratur, die er anfangs wol nur zu seiner eigenen Orientierung
mehr gelegentlich herangezogen hatte, in vollem umfang auszu-
beuten und die naraensgeschichte eines jeden deutschen oder in
Deutschland populär gewordenen vogels bis in die gegenwart
und über den ganzen umfang des deutschen Sprachgebiets zu
verfolgen, wobei dann das skandinavische, englische und nieder-
ländische durchgehends herangezogen werden, und für die grenz-
gebiete die volkstümliche nomenclatur der Franzosen, Italiener
und Slawen ausreichend berücksichtigt erscheint, unter den
deutschen quellen, die nunmehr einen erstaunlichen reichtum her-
gegeben haben, stehn zwei gruppen im Vordergründe, einmal
die ornithologische litteratur, die, nachdem Albertus Magnus recht
interessante beitrage, Konrad von Megenberg aber nur wenige
specimina geboten hat, im 1 6 jh. mit dem in Köln sesshaften
Engländer William Turner (1544j einsetzt und dann alsbald in
Konrad Gesners von Zürich Historia animalium (bd in 1555) ihre
erste classische höhe erreicht — ihm treten dann im 19 jh. die
SUOLAUTI DIE BEUTSCHEN VOOKLXAJIEN 3
beiden Naumann, vater und söhn, mit ihrer groi'sen Naturgeschichte
der Vögel Deutschlands gegenüber; rieben diesen hätte aber
Christian Ludwig Brehm (der vater) mit seinen Beiträgen zur
Vogelkunde (3 bde., Neustadt a. d. 0. 1821,22) nicht vergessen
werden sollen, es trifft sich für unser gebiet aufserordentlich
günstig, dass Gesner, der autor des "Mithridates", mit dem Inter-
esse an der naturgeschichte das an der s|n-achwissenschaft ver-
band, und zwar ein höchst intensives und zugleich praktisches
Interesse, das ihn bei der Schaffung einer wissenschaftlichen
nomenclatur leitete und ihn correspondenzen nach allen richt-
nngen anknüpfen liefs ; und dass anderseits der anhaltische bauer-
ornithologe Johann Adam Naumann mit seiner reichen kenntnis
der Volkssprache seinem söhne Johann Friedrich zur seite stand. —
die zweite hauptabteiluug sind die Idiotika, die S. in respectabler
zahl ausgebeutet hat: ich habe nur wenige Kicken bemerkt, die
auffälligste bedeutet das fehlen von WvGutzeits Wörterbuch der
deutschen spräche Livlands, wie überhaupt aller litteratur über
das baltische deutsch, mit der excerpierung dieser mundartlichen
Wörterbücher hat man nun freilich keineswegs die volkstümliche
vogelnomenclatur der betr. landesteile beisammen, wie ich das an
meinem eigenen hessischen besitz erprobt habe, denn die meisten
'Idiotika' verzeichnen nur das, was ihren Verfassern nicht als
Schriftsprache oder allgemein üblich erschienen ist. S. kennt alle
unsere hessischen Wörterbücher (Vilmar, vPtister, Saul, Crecelius),
gleichwol fehlt Hessen bei vielen bezeichnungen die aus andern
landschaften notiert werden, zb. heilst es unter 'Gimpel' (s. 138:)
'heute kommt hluetfinJc in der Schweiz und im Elsass vor, auch
in der Siegerländer mundart hlotfenke' — auch in Hessen ist
hlaifinke m. w. die aligemeine bezeiclinung, neben der das von den
Harzer vogelhändlern importierte dompf'affe namentlich für den
kätigvogel gilt. — ähnlich steht es bei feldhuhn für 'rebhuhn",
das keineswegs blofs in den Rheingegenden üblich ist (s. 257).
Mit unsern deutschen landschaften passieren dem ausländer hier
und da misverständnisse : 'Hessen-Nassau' (wofür Kehrein citiert
wird) ist ein ganz moderner politischer Sammelname, und mit
'preufsisch' darf man nicht die Neumark und noch weniger den
nach Berlin eingewanderten Oberpfälzer Job. Leonh. Frisch be-
zeichnen, würklich anstöisig aber ist der Irrtum, dass im register
zwischen 'Niederländisclr und 'Englisch' einen besondern platz
'Friesisch' erhalten hat: mit einer wortlese die zum größern teil
aus dem modernen plattdeutsch Ostfrieslands (ten Doornkaat
Koolman) stammt.
Auch abgesehen von den ornitholog. special werken und den
Idiotiken zählt das Verzeichnis der 'angeführten litteratur" (s. 527
bis 540) eine fülle von z. tl recht abgelegenen büchern auf und
liefert jedesfalls den beweis, dass der Helsingforser docent seine
ferienaufenthalte in Deutschland sehr gründlich und energisch
4 SCHKüDER UBKK
aiisg-eiuitzt hat. ein paar irrtümer laufen mit unter, der wunder-
lichste, weil sich beständig widerholend, ist : 'Tremsens plattdeutsche
gedichte hrsg. von Karl Eggers, Breslau 1S75' — gemeint sind
'Tremsen, plattdeutsche gedichte von Karl Eggers u. Fr. Eggers,
hrsg. von Karl Nehring' ! — vermisst hab ich JWintelers wich-
tiges Programm 'Naturlaute und spräche. ausführungen zu
WWackernagels Voces variae animantiura' (Aarau 1892). —
Nach einer einleitung (s. i — xxxiii), welche die quellen und
die wege der forschung bespricht und die wichtigsten ergebnisse
für alter, herkunft, geltungsbereich und geschichte der deutschen
vogelnamen an beispielen erläutert: wert und einfluss der orni-
thologischen litteratur, culturentlehnung aus der fremde, Import
durch vogelhändler (italienischer u. besonders slawischer nationali-
tät !), Jägersprache, anwachsen der onomatopoietischen synonyma,
Zeugnisse des Volksglaubens, scherzhafte und vertrauliche benennun-
gen, kurzformen und andere kosenamen usw. usw., folgen die einzel-
nen Vögel nach der üblichen zoologischen einteilung, wobei dann frei-
lich der fremde papagei den reigen führen und der ebenso fremde
nordische tord-alk ihn schliel'sen muss. regelmäl'sig stehn die
ertrage der ahd. glossen voran, es folgen die Zeugnisse für die
hauptnamen aus der poetischen und wissenschaftlichen litteratur,
und das oft sehr reiche und bunte material aus den dialekten
bildet den schluss. dies Schema wird aber ohne pedanterie be-
handelt und überall durchbrochen, wo es die darstellung wünschens-
wert erscheinen lässt. die einzelnen abhandlungen lesen sich
durchweg angenehm und vielfach interessant, dabei vermeidet
der Verfasser jede unnütze breite, und nur der unbehaglich hohe
preis des Werkes (es war zu 'ca. 8 m.' angekündigt und kostet
schlielslich das doppelte) legt uns die frage nahe, ob nicht hier und
da durch knappere aufreihung räum gespart werden konnte. —
die angehängten texte liefsen sich auch anderweit unterbringen.
Besonderes lob verdient die Zurückhaltung und der vornehme
tact des Verfassers in etyraologicis : so verfährt nur jemand der
mit vollster kenntnis der Wörter und sachen ein grofses gebiet
überblickt und darin würklich heimisch geworden ist. die ety-
mologen von beruf und die sportsmen auf diesem felde werden
oft genug durch den hinweis auf parallelerscheinungen oder auch
durch feststellung der sachlichen Unmöglichkeit widerlegt, aber
auch deutungen die sich bereits eines festen ansehens erfreuten,
werden gründlich abgetan und hier und da glücklich ersetzt:
wie die grasmücke, die uns schon lang als *gra-smucca gegolten
hat, nun höchst einleuchtend als ''grasa-smucca 'grasschmiegerin',
'grasschlüpf erin' durch schwedische, dänische, englische und
niederdeutsche parallelen erwiesen ist (s. 69). die Schwierigkeit
dieses gebietes der volkstümlichen nomenclatur tritt besonders
da zu tage, wo alte klangmalende bezeichnungen später etymo-
logisierend umgeformt sind (das bekannteste beispiel n-ituhopfa).
SUOLAHTI r>IK DEUTSCHEN VOGELNAMEN D
oder umgekehrt echte bildungen einer durchsichtigen verbalwurzel
später eine onomatopoietische Umgestaltung erfahren haben, wie
das in den dialekten hundertfach geschehen ist. in der kritik
fremder einfalle wird man S. fast durchgehend beistimmen müssen,
mit eigenen vorschlagen ist er so zurückhaltend, dass er sich
selten eine blöfse gibt, ein fall wo ich ihm nicht zu folgen ver-
mag, ist die behandlung der geschichte und etymologie des
falken (s. 327); ich geh darauf etwas näher ein, weil hier
principiell wichtige fragen hineinspielen.
GBaist hatte in einem gelehrten und anregenden artikel der
Zs. (27,60 ff) die erklärung des falkennamens aus einem bei Paulus
resp. Festus bezeugten latein. faico "einer der krumme zehen
liat' zurückgewiesen und unter hinweis auf den starken germa-
nischen einschlag der romanischen jagd- und falknerei-nomenclatur
die germanische herkunft des wertes behauptet, das er am liebsten
zu fallaii stellen wollte, diese etymologie bekämpft S. s. 329,
und ich glaube mit recht, aber wenn er meint, dass das gänz-
liche fehlen des germanischeu wertes in England und sein spätes
auftauchen im Norden (wo der Jagdfalke zunächst valr hiefs, wie
in England /reaJhhafoc) zur Widerlegung des germanischen Ur-
sprungs hinreiche, so zieht er einen voreiligen schluss. es unter-
ligt ja keinem zweifei, dass das wort seine weite Verbreitung
nicht etwa der Volkssprache, sondern ausschliefslich dem tech-
nischen Sprachgebrauch der beizjagd verdankt: deshalb kann es
sehr wol in Deutschland geographisch, sagen wir auf den süden oder
Südwesten, beschränkt und dort in die, wie S. selbst zeigt, aus ger-
manischen und romanischen dementen gemischte internationale
spräche der falkner aufgenommen sein ; in einer gegend mit der die
festländischen vorfahren der Angelsachsen keinen culturaustausch zu
haben brauchten, wenn falcJi, /aZAie heute noch im deutschen Südwesten
ein pferd (oder ein rind) von 'fahler färbe bezeichnet (vgl. zuletzt
Anz. XXXIII 1 19), so ist das doch gewis ebenso aufzufassen, wie ra})}}^
für ein schwarzes, helcJie u. bh'fsf>e, hlässchen (Suolahti s. 304) für
ein weilsstirniges pferd, spechf für einen gesprenkelten ochsen
(Much, Zs. f. d. wortf. 2, 284). damit ist zugleich der deutsche
Ursprung und die etymologie gegeben : die Übertragung vom vogel
auf das pferd hat möglicherweise schon zu einer zeit statt-
gefunden, wo man diese etymologie noch verstand oder fühlte —
notwendig (wie das Much aao. anzunehmen scheint) ist das aber
keineswegs, vgl. rappe !
Dem alten gemeinbesitz der Germanen — oder aucli nur
der Westgermanen — an vogelnamen gehört also fa^ko ganz
gewis nicht an, wie es denn auch heute noch der Volkssprache
weiter deutscher landschaften gänzlich unbekannt ist. diesen
gemeinbesitz festzustellen macht S. in der einleitung s. xvi einen
anspruchslosen versuch, ich glaube, man kann darin weiter-
kommen und zugleich einiges für die heimatsfrage der Germanen
b SCHRÖDER ÜBER
gewinnen oder zur bestätigung der anerkannten ergebnisse ver-
Avenden. hier eine probe. Suolahti stellt s. 292 ganz richtig
mnd. krbn, md. knion in dasselbe ablautsverhältnis zu germ. krana,
wie hon, liuon zu hana; er unterlässt aber die gleiche beob-
achtung s. 408 bei mnd. swon zu sicana. obwol nun krön und
sU'ön nur als masculina bezeugt sind, glaub ich, dass es sich
dabei um alte neutrale .s-stämme wie bei hm handelt, ich ver-
mute dass dies neutrum auch noch in den ahd. fraueunamen auf
-suon {Ewjihuon, Innansuon) steckt, danach besafsen die Ger-
manen drei vogelnamen. die sämtlich von der stimme benannt
waren, in doppelter form, für das männchen und für das weibchen:
hana m. — hm n.
swana m. — sivön n.
krana m — krön u.
diese doppelnamen müssen in derselben zeit aufgekommen sein,
und ihre Schaffung niuss Jägern zugeschrieben w^erden, welche den
wilden hahn (welchen V), den singschwan und den kranich jagten :
denn aufser haustieren haben nur die geläufigsten jagdtiere die
zwiefache benennuug aufzuweisen, dass eine der beiden bezeich-
nungen später vernachlässigt und dass die bezeichnung des Weib-
chens auch auf das männchen angewendet wird, erleben wir auch
bei andern jagdtieren, vgl. einmal den Untergang von wülpe und
hirin, und dann den gebrauch von vohe für fuhs.
Eine sehr interessante, urzeitliche Verhältnisse der Sema-
siologie und nomenclatur widerspiegelnde erscheinung ist die
gleiche benennung ganz verschiedener vügel, nicht etwa in ver-
schiedenen landschaf ten , sondern offenbar in derselben gegend.
unter denselben menschen, gegen Osthoffs bekannte herleitung
des hähers und des reihers aus derselben grundform hraiffr-,
hrigr- hab ich mich früher gesträubt; wie sie hier von S. wider-
holt ward (s. 198 ff. 378), ist gar kein zweifei mehr möglich:
die Vögel haben einmal beide mit derselben schallnachahraung
den namen 'schreihals' geführt, überzeugend sind vor allem die
parallelen, welche unser buch bietet, so ahd. creia für 'grus'
(s. 293), craia für 'coturnix' (s. 178f, wo übrigens die erörterung
dieser form unterblieben und ihr heutiges fortleben nicht er-
wähnt ist).
Dass bei einem umfangreichen werke wie diesem, das einen
Vorrat von über 6000 verschiedenen wortbildern oft der wunder-
lichsten gestalt aus allen arten von litteratur heranholt, hier und
da kleine versehen unterlaufen, ist entschuldbar; aufgefallen sind
mir besonders allerlei ungeschicktheiten in der citierung der
mhd. poetischen litteratur. aber es ist wol kaum etwas darunter,
was der Wissenschaft gefahr bringen oder sich als dauernder irr-
tum in unserer litteratur festsetzen könnte — wie das in der
ornithologischen namengebung nichts ganz seltenes zu sein
scheint, statt mit der aufzählung von irrigen citaten und druck-
SUOLAHTI DIE DEUTSCH KX VOGELNAMEN 7
fehlem will ich also lieber mit ein paar dieser alten und zäh-
lebigen wechselbälge schliefsen, die S. als solche entlarvt hat.
da hat ein schalk von Schweizer um 1540 dem Engländer
Turner den namen des 'Ziegenmelkers' als 'paphum. Id est saccr-
döteni angegeben, und obwol Turner selbst den verdacht aus-
spricht, dass ihn der mann zum besten gehabt habe, ist dieser
name jjßfl durch die ornithologische litteratur von vier Jahr-
hunderten gewandert (s. 19). noch schlimmer aber ergieng es
dem "Dickfurs* ('oedicnemus') : er heilst ot'ticiell in der gesamten wissen-
schaftlichen und populären litteratur triel — und sollte eigent-
lich griel heifsen, denn diese lautform allein ist (zb. in Holland)
nachweisbar (s. 268). schuld trägt, und zwar höchst unschuldiger
weise, Gesner, der in der Hist. avium s. 'J45 sagt: 'ea germa-
nice alicubi, ni fallor, Trlel uel GrieJ nominatur". von diesen
zwei zur nachprüfung hingestellten namen haben dann die spä-
teren gelehrten gerade den falschen gewählt, und die wissen
schaftliche nomenclatur hat ihn festgenagelt, schade dass ihn
noch keiner unserer berufsetyraologen etymologisiert hat!
Güttixigen. Edward Schröder.
Deutsche dialektgeographie. berichte und Studien über GWenkers
Sprachatlas des Deutschen reiches, herausgegeben von Ferdinand
Wrede. heft I:
Studien zur niederrheinischen dialektgeographie mit einer
karte und drei pausblätteru von Jacob Ramisch. Die diminu-
tiva im deutschen von Ferdinand Wrede. Marburg, Elwert
190S. XIII u. 144 SS. so. — 3,20 m.
Eamisch legt für seine Studien zur niederrheinischen dialekt-
geographie ein linksrheinisches gebiet mit dem hauptorte Krefeld
und etwa 70 Ortschaften zugrunde; er stützt sich dabei auf das
Studium der SA. -karten Wenkers, auf Wredes berichte darüber
und auf eigene, ort für ort lückenlose materialsammlung für einige
eigenheiten der mda. in lautlichen unterschieden, und es soll ge-
zeigt werden, wie der SA. von nutzen werden könne, wenn man
sich damit für die locale detailforschung orientiert. R. tindet
durch seine Specialuntersuchungen 'die wertvolle Zuverlässigkeit
des SA. aufs neue bestätigt'.
Nach erörterung der niederrhein. zweigipfligen silben-
betonung, die sich gegen das gebiet mit eingipfiiger nicht immer
scharf abgrenzen lasse, behandelt R. die grenze der hochd. laut-
verschiebung, der, so wichtig sie für das grofse Sprachgebiet auch
ist, zur abgrenzung des lautlichen Unterschiedes dieses linksrhein.
gebietes nur eine beschränkte Avichtigkeit zukomme, weil andere
Sprachgrenzen nicht damit stimmen, die hauptlinie der lautver-
schiebung verläuft südlich von dem behandelten gebiet, das von
der "Wenkerschen Ürdinger linie durchschnitten wird; R. bestimmt
die grenze zwischen k und ch in ich, auch genau von oit zu ort
8 SCHATZ ÜUEK
und bestätigt die karte Wenkers. was sich sonst an verschobenen
formen hier findet, ist entlehnung aus dem süden oder der Schrift-
sprache, wenn R. mit beruf ung auf Wenker angibt, dass die
Verschiebung in mich, dich, sich am weitesten nach norden reiche,
die unverschobenen formen (mik . . .) überliaupt nicht vorkommen,
so möchte mau wissen, wo vtich mit »ti (vgl. Maurmunn Gi'amm.
der mda. von Mülheim a. d. Ruhr ij 221) zusammentrifft, eine eigene
grenze hat Idk — ^9/, das suftix hd. -lieh, beide formen kommen
nijrdlich und südlich der Ürdinger linie vor und auch neben-
einander, die 'vocalisierung der spirans in der Verbindung chf
trifft den südlichen teil des gebietes, reit 'recht', lout 'luft', die
grenze reicht um einige Ortschaften weiter nördlich als die ik-ich-
linie. im norden ist t abgefallen, ch erhalten, der vocal meistens
gedehnt, es besteht nun ein Zusammenhang zwischen dieser ent-
wicklung und der Vertretung des germ. g, welches nördlich an-
und auslautend stimmloser, inlautend stimmhafter gutturaler reibe-
laut ist, südlich aber im anlaut stimmhafter palataler, im inlaut
stimmhafter gutturaler oder palataler, im auslaut stimmloser pala-
taler oder gutturaler spirant, je nach den vorausgehenden vocalen.
ein kleiner teil im Südwesten hat allgemein gutturalen reibelaut
und acht zu out gewandelt, während sonst dafür eit erscheint;
das erweist den Zusammenhang in der entsprechung für cht
und g. — mit dieser grenze deckt sich die 'gutturalisierung von
n 4- dental' nach kurzem vocal, zwei orte des c/j^gebietes haben
noch daran teil. germ. nd, np zu uk auslautend, u inlautend,
hd)jk 'hund', öv9r 'unter', rewk 'rind'; nördlich ist nd erhalten,
auslautend nt. die erscheinung hängt mit dem wandel von n. d
zu ij. g. k nach altem 7, «, iu zusammen, der aber nicht so weit
nördlich reicht, dass ihn R. noch behandeln könnte; doch macht
er auf einige iu für -in- aufmerksam, die auch hier vorkommen. —
vom 'ausfall des intervocalischen dentals" d, p wird dieses ganze
gebiet getroffen, im nordwesten ist dafür j vorhanden, nicht als
Vertreter des dentals, sondern hiatusdeckend, die grenze wird
genau bestimmt, die belege werden sorgfältig gesichtet bei-
gebracht. — - Svestgerm. sk im auslaut" wird im norden als .y ge-
sprochen, im Süden als s, fles — fles 'flasche'. im anlaut kommt
im nordwesten auch s -\- x vor wie im westfälischen, doch ist
die grenze gegenüber s- nicht deutlich zu bestimmen. — 'das
diminutivum ndl. -je' wird im nordwesten mit dem stimmhaften
palatalen reibelaut, sonst mit s gesprochen, die grenze deckt sich
zum gröfsten teil mit der von -s. -.s. — es werden im weitern noch
die grenzen für fälle der dehnung und kürzung, für die ent-
sprechung von westgerm. ö, ai, au, eo und e bestimmt und be-
urteilt, endlich noch die pluralfornien hd. wir, ihr, uns, euch, für
welche noch keine SA. -karte vorligt. icir, ihr sind einheitlich
vertreten, nördlich we/. jei {xei), südlich icer, er [ivi, gi — wir, ir).
uns lautet im nördlichsten teil 07is, sonst os: für iti hat der süden
EAMISCH XIKDKItUHEIXISC HE DIALEKniKOCRAPHl K 0
OY, der norden o<<. diese grenze deckt sich mit der der vocali-
sierung des ck in cht . es überrascht , dass also im Süden , wo
nacht als uout, neu vertreten ist, 0/ gesprochen wird, im norden,
wo die spirans erhalten ist, aber öu : einen Zusammenhang dürfte
man natürlicli nicht erwarten, weil die doppelheit. die in mhd.
iu — luch vorligt. die erklärung gibt, bei der besprechung der
grenze zwischen nördlichem i und südlichem e für westgerm. vo
und e wäre wol auch die kürzung dieses 1 in fiigg — 'fliegen' zu
berühren gewesen, die Wrede im Anz. xxi 287 zwischen Krefeld
und Geldern notiert; auf diese Notiz weist R. hin, ohne sich
weiter auszusprechen.
Der historisch -erklärende teil erörtert die geschichtlichen
unterlagen der Sprachgrenzen, sie sind zum grösten teile alt und
weisen auf das 14 jh. , dh. die damals vorhandenen territorial-
grenzen sind heute Scheidelinien für die mda. ; sie auf alte herzog-
tums- oder Stammesgrenzen zurückzuführen, lehnt R. ausdrück-
lich ab. nun hier, wo es sich um die grenze zwischen mittel- und
niederfränkisch handelt, kann man beim 14 jh. es nicht wol be-
wenden lassen, wenn auch von gesicherten Schlüssen auf Salier
und Ripuarier nicht die rede sein kann, dafür, dass die alten
stammesgrenzen in den mdaa. noch zu finden sind, haben wir doch
genügend sichere tatsachen. im gegensatz zu R. hab ich die
Überzeugung, wir dürfen nicht darauf 'verzichten, in unsern
dialektgrenzen uralte gau- und stammesgrenzen w'ieder zu erkennen',
gerade weil man festzustellen vermag, dass heutige Sprachgrenzen
sich mit politischen grenzen durch Jahrhunderte hindurch gedeckt
haben, muss man diese gemeinsamen grenzen im princip in die
älteste uns erreichbare zeit zurückverlegen, die ik-tch-grenze zb.
hat ein alter von etwa dreizehn Jahrhunderten und kann nur durch
eine Stammes- und politische grenze erklärt werden sie verläuft
heute linksrhein. zum guten teile isoliert von andern sprach- und
politischen grenzen, das ersieht man gut, wenn man die von R.
beigegebenen pausblätter auf seine kartenskizze legt, wie man
nun diese abweichung von ein paar orten sich auch zurecht legt,
das eine muss festbleiben, die Ursachen, nach welchen sich in
jüngerer, uns erreichbarer zeit Sprachgrenzen gebildet haben, haben
auch in der älteren, nur erschließbaren zeit dieselbe würkung gehabt.
Wredes arbeit über die diminutiva im deutschen s. 71 ff.
enthält im 1 teile einen bericht über sechs diminutivkarten des
Wenkerschen Sprachatlas des Deutschen reiches, ausführlicher als
die bekannten im Anz. xviiiff. erschienenen berichte, doch im
kerne von gleicher art. die SA.-karten haben bisher sieben von
den acht diminutiven der Wenkerschen sätze zur darstellung ge-
bracht, ÄpfcJfhcn steht noch aus, Äugenhlickclicn ist 'das am
wenigsten glückliche; es ist selten auch nur einigermalsen volks-
tümlich und seine dialektkarte deshalb nur verschwommen und
10 SCHATZ ÜBKR
nur von relativem wert" s. 79. die sechs diminutivkarten, denen
dei' bericht gilt, enthalten die singulare ein hisschen. kein Stückchen,
auf dem Mäuerchen und die plurale nom. Aiyfelhäumchen. Vögelchen,
acc. Schäfchen : der bericht darüber berücksichtigt nur die suflixe.
auf grund dieser sechs dirainutiva sucht W. ein bild von der
geographischen Verbreitung der diminutivsuftixe des Deutschen
reiches zu geben, ausdrücklich darauf hinweisend, dass damit
noch nicht 'die' dirainutivbildung des deutschen geboten werden
könne.
In die topographischen angaben, die von nordwest ausgehend
die drei gruppen niederdeutsch, mitteldeutsch, oberdeutsch aus-
sondern, sind erwägungen über die herkunft und Übertragung der
Suffixe eingeschoben, jene die sich nach des vf.s anleitung diese
sechs diminutivgestalten auf pausblättern umgrenzen, werden die
mischung von beschreibung und Untersuchung nicht störend em-
pfinden; andere aber haben mühe, sich über diese diminutive ein
klares bild zu machen, und würden es vielleicht lieber sehen,
dass beides getrennt wäre und die arten dieser sechs suffixe noch
besonders in einer Übersicht gruppiert.
Im niederdeutschen stellt der vf. als die ursprüngliche dimi-
nutivform -kin auf, aus welcher alle belege der SA.-karten ihre
erklärung finden; das pommersche -ing ist davon zu trennen,
hier mache sich nun die friesische (ingwäouische) palatalisierung
des k vor l geltend, durch welche die suffixformen -je, -tje. -in,
-tin. -ske. -sehe usw. im westlichen niederdeutschen ihre erklärung
fänden; dies palatalisierte -kJn sei also weit über jenes gebiet
hinaus verbreitet, in welchem alle /.■ vor palatalen vocalen mouilliert
worden sind, fürs mitteldeutsche (aufser dem östlichsten teile, der
bekanntlich -l- hat) ist -chen aus -chin, fürs oberdeutsche /-suffix
kennzeichnend, dass die sechs belege einen einblick in die art und
Verbreitung der deutschen diminutivbilduug (im Deutschen reiche)
geben, wird man zugestehn. jedoch ist es befremdlich, dass sich
der vf. so wenig mit der vorhandenen dialektliteratur beschäftigt,
aus dem niederdeutschen stehen mir hier nur Maurmanns Gram-
matik von Mülheim a. d. Ruhr, Holthausens Soester mda. und Teucherts
behandlung der neumärkischen mda. zur Verfügung. Maurmann
handelt in § 211 über die diminutivbilduug, die mit den Suf-
fixen -s9, -kd, -skd geschehe (der plural stets auf -s). W. führt
§ 1 3 aus, dass am Niederrhein westlich der ausgang der diminutiv-
endung im sing, -e sei, östlich des Rheins -en. dies reiche bis an
den Rhein, von Ürdingen bis Oi'sa}' noch aufs linke ufer; dem-
nach müste Mülheim und das Ruhrgebiet ausschliefslich -en haben,
wovon aber Maurmann nichts angibt, seine diminutivbeispiele
enthalten die Wenkerschen diminutiva nicht (doch hitss bisschen
§ 151, 1). sind nun diese in Mülheim mit -en vorhanden? oder
gilt Maurmanns angäbe für alle diminutiva seiner mda. ? oder hat
sich in ihr die diminutivbilduug in den zehn bis fünfzehn jähren
WREDE DIMIXUTIVA IM DEUTSCHEN 11
zwischen der beautwortung- der Wenkerschen fragebogen und der
abfassung dieser grammatik (die 1898 erschienen ist) geändert?
dass auch ans Mülheim eine Umschrift der Wenkerschen sätze
vorligt. ersieht man aus s. 86 scWusszeile. — bei Holthausen find
ich in § 380 die diminntivbildung -kn, -skn, plural -kjs. -sk9s,
also im sing, silbisches n, das die -ken. -sken. -.sehen bei W. nicht
erkennen lassen, ob sich aber -hi und -ke oder -ken und -ke
gegenüberstehn , ist doch nicht gleichgültig, zumal ja W. § 17
annimmt, dass der ursprüngliche sing, -e gehabt habe (mit ingwäo-
nischem «-abfall) und n durch niederd. einfluss restituiert sei.
— Teuchert gibt als diminutivsuflix im sing. k>j an (§§ 49. 226.
382 na. seiner abhandlung in der Zs. f. dtsch. mdaa. 1907 und 1908);
nach W. § 28 lauten die Singularparadigmen im niederdeutschen
östlich der Oder 'im allgemeinen auf -ke aus {-ke)i öfter in Pommern,
besonders im westen, tei*ner im Weichseldelta und in seiner nach-
barschaft bis Danzig und Elbing)'.
Bei der darstellung der oberdeutschen (obd. nach W.) dimi-
nntivbildung interessiert vor allem die eigenartige pluralbildung
auf -lieh, die heute in einem streifen im nordöstlichen Württem-
berg, im nordwestlichen Bayern nördlich von Schweinfurt und in
der bayrischen Eheinpfalz vorkommt; im Judeudeutsch ist sie weit
verbreitet, nach Fischer Geographie der schwäb. mda. s. 73 steht
im nördlichen schwäbisch dem sing, mit -h der plur.mit -li gegen-
über, die adjectiva auf mhd. -lieh haben hier ebenfalls -li, folg-
lich kann der unterschied zwischen sing, -b, plur. -li hier überall
so gedeutet werden, dass der plur. ursprünglich das collective
-lieh (ans -lahi) hatte. W. dehnt die annähme eines diminutiv-
plurals auf -lach, -lieh auf alle gebiete aus, in welchen der plur.
vom sing, verschieden ist, ausgenommen die plur. auf -ler. so dass
also der gröfsere teil des obd. Sprachgebietes diese pluralbildung
gekannt hätte, vgl. die Zusammenfassung in § 75.
Im norden des Bodensees und Badens gibt es plurale auf -lin,
-len, ebenso am rechten Lechufer bis zum Walchensee hin ; das -n
hält W. für eine junge nenbildung, ein ersatzmittel für das einstige
den plur. charakterisierende -eh. man vermisst es hier sehr,
dass W. über die diminutiva des deutschen handelt, ohne das
deutsch aufserhalb der reichsgrenze gehörig heranzuziehen ; wenn
schon die tatsache widerholt festgelegt wird, dass das süddeutsche
seit jeher diminutivreicher war als der norden, so muss bei der
erklärung der suffixarten doch auf den gesamten Sprachbereich
]"ücksicht genommen werden, aus Kärnten und Tirol kennen wir
zb. sing. nom. acc. liercße 'berglein', dat. und plur. perejlan oder
entsprechend j^e/Y/Z — perglan, -l hn , -Id lan, westtirol.
-li U. zugrunde ligt für den sing. nom. acc. -ili, für den dat.
-iline, für den plur. illt). -illnun: von der ahd. flexionsform ist
der nom. acc. plur. abgewichen, der aus den obliquen casus -n
angenommen hat. damit vgl. die schweizerischen Verhältnisse
12 SCHATZ ÜBER
(zb. bei Winteler Kerenzer nida. s. ISI und Odermatt Die dimi-
nutiva in der Nidwaldner mda. s. 15) mit -U im sing-, und nom.
acc. plur., mit -Jdna im dat. plur. hier ist also die ahd. art reiner
erhalten; dass -li (welches auf -ll und -liu zurückg-ehn kann)
und nicht etwa -Un anzusetzen ist, ergibt sich aus dem -li der
Brienzer mda., in w^ elcher die auslautenden -n alle erhalten sind,
der schwäbischen endung -Ic im sing, kann l'i zugrunde liegen;
wo im nordöstlichen schwäbisch der plur. -b dem sing, -le gegen-
übersteht, ist eine secundäro Umbildung von -Un (dat. Unim, llneH)
anzunehmen, vgl. auch Fischer aao. und etwa bei Kauffmann
§ 110, 4 hnexe, mhd. hnochhi, tiectiert buexdne. ich bin also nicht
damit einverstanden, dass für den sing, des diminutivs -Jui vor-
ausgesetzt wird, es kann für manche gebiete vorliegen, für den
gröfsern teil des oberdeutschen ist das alte -li ohne n geblieben,
mit Wilmanns Gramm.'- II § 247 nehm ich an, dass die bereits
im mhd. auftretenden formen auf -el {wengel, kindel) aus -ill
herzuleiten sind; vgl. -ele, -ile in den Windberger psalmen : über
chalh daz viiiwele 'super vitellum novellum' 68, 36, i^lur. zesaDiene-
chumftile 'conventicula' 15, 5, dagegen der chnappelin = der iunge-
linch 'adolescentulus' 67, 30, dazu in der 2 hälfte des 11 jh.s
Pezile aus Freising bei Meichelbeck nr 1248, im Salzburger ur-
kundenbuch zb. s. 288 Pezili und Pezile. Totile, Azile, s. 289
WisUe (s. 290 Oze. WaWiere, s. 291 Özl et Oze, s. 292 Tagine
= Tagani, im 12 jh. s. 408 Tagtno, ein beleg für den zus^immen-
fall von altem -7, -i und o, s. 43S Witige, s. 43 1 Witigo. der Schwund
des auslautenden vocals nach l und r ist bereits im 12 jh. zu
belegen, s. 450 Wezile, s. 462 Wezel, Alhero, s. 459 Wolfper,
s. auch unten note). wenn in der mhd. literatur auch auf bair.
gebiet die formen auf -Un verbreitet sind, kann das nur eine
bestätigung für die annähme von doppelformen -li und -Iin sein.
Im gröfsern teil des bair. ist heute der sing, auf -l gebildet,
für den plur. ergibt sich aus den angaben bei W. § 73, dass in
Niederbaiern die pluralcharakteristica fast ganz fehlen, vereinzelt
kommt -erln vor, in Oberbaiern findet sich öfters -In, dessen -n
ich aber nicht mit W. als jung ansehen kann, weil ja das süd-
bair. in Tirol und Kärnten es als ursprünglich erweist; über-
haupt sollte man endlich von ansichten abkommen, wie die von W.
§ 64 geäufserte, das* alle bair. apo- und synkopen im süden be-
gonnen hätten und nach norden fortgeschritten seien, man braucht
etwa nur an den in verschiedenen gegenden Tirols noch be-
stehenden unterschied der -er von 'vater, meister und 'krämer,
Schneider" zu denken, altbair. -er und -ari.
Das bild das W. von der art und Verbreitung der diminutiv-
formen im deutschen gibt, liätte sowol im beschreibenden wie im
erklärenden teile sich klarer gestalten lassen, wenn auf die mund-
artliche literatur mehr rücksicht genommen wäre.
Der 2 teil s. 127f handelt von der herkunft der diminu-
WKEDE DISIIXl'TIVA IM DEUTSCHEN 13
tiva im deutschen. AV. stellt zunächst fest, dass die altgenn. dia-
lekte nur sehr wenig dirainutiva kennen, dass im besondern das
hochdeutsche in Übersetzungen aus dem lateinischen sich gegen
diminutiva ablehnend verhält; erst im spätahd. mehren sich die
deutschen dirainutiva. Polzin hat diese erscheinung dadurch zu
erklären versucht, dass es der einfluss der diminutivreichen latei-
. nischen spräche gewesen sei, der die diminutivbildung im deutschen
in Schwung brachte (vgl. Wilmanns Anz. xxix 17Ht). W. will
im gegensatz dazu ansetzen, dass die appellativa dini. des deut-
schen ihren Ursprung bei den eigennamen, den personennamen
haben; sie seien von haus aus gar keine Verkleinerungswörter,
sondern ursprünglich verschärfte Individualisierungen, personi-
ticationen. nun ist zwar die ähnlichkeit zwischen kosenamen und
Verkleinerungen von sachwürteru zu allen zeiten zu beobachten,
doch ist die gegenseitige beziehung nicht derartig, dass jene den
ausgangspunct für diese gebildet haben müssen; wir linden näm-
lich im diminutivarmen altern ahd. das suftix -iU{n) bereits fest-
stehend bei sachnamen. dagegen bei personennamen gegenüber
andern koseformen nur vereinzelt im gebrauch, wie sich in dieser
hinsieht die namen aus alem. und fränk. gegenden verhalten,
kann ich nicht übersehen, ich empfinde es als mangel, dass W.
die diminutivformen der altdeutschen und germ. namen nicht
wenigstens skizzenhaft vorgelegt hat. Fürstemanns namenbuch
reicht für fragen der namenbildung nicht hin, aus dem was es
von namen auf -ili(n) enthält, scheint man schliefsen zu können,
dass sie im alem. und fränk. etwas häutiger sind wie im bair.
die ausgaben der SGaller, Weifsenburger und Fuldaer Urkunden
sind mir hier nicht zugänglich; so kann ich auch über die zeit
der niederdeutschen namen auf -ikin kein urteil gewinnen (vgl.
zu -chln. -kln Wilmanns Deutsche gramm."'^ II i^ 24S). Im lango-
bard. finden sich nach Brückners Verzeichnis Borgolinus, Gundo-
linus, Ottelinus, Azolinus, Bobulenus, Ägelenus, es ist nicht zweifel-
los, ob das suffix langobard. oder roman. ist. aus dem alt-
bair. kenn ich nur Pöpili um das jähr SOO, Mon. boica xxvmb
nr. 68. 53 (Populi nr 86), im jähre 784 im Salzburger vb. 76. 21;
hier auch ein Tatili 84. 26 um das jähr SOO K etwas öfter kommen
im altbair. personennamen auf -ill erst vom 1 1 jh. an vor. in
Salzburger Urkunden aus der 1 hälfte des 10 jh.s trifft man
Mazlli. Razili, Azili, Uuazili, Mannili, Uuoppili, aus der 2 hälfte
Azili. Razili. Pezili, Uuizili: denen sieht man es übers gewand
an, wie jung sie sind, und neben ihnen stehn Äzo, Mazo, Razo,
Manno. genannt sei noch aus Salzburg Ekkili, Gunzili. Rizili,
aus Brixen Frouuili. aus Freising Gozili. Liiizili. aus Passau
Izili, Chazili. aus dem Salzb. vb. Totili, Tizelinus, alle aus dem
11 jh. (Wiftilinespah . Witeleinespach bei Meichelbeck nr 1325.
* Ei y ill Mou. boica xxvmb nr 36 gehört zu Eiijil und Mahali zu
Mahal- (-g'ts, -hcriit); ob Situli das Suffix -li enthält, steht dahin.
14 SCHATZ ÜMHH WKKDIO DIMIXITTIVA IM PKUTSCHEX
1319, Vgl. Wittilo nr 1325); viel mehr solcher namen wird das
altbair. nicht gehabt haben. Aväre nun die fonnung von kose-
nanien auf -ilt alt. so müsten wir, wenn schon nicht mehr namen,
so doch bei den umlautfähigen den nmlaut erwarten, wie ihn die
alten bildungen auf -l und -ilo regelraäi'sig aufweisen, vgl. etwa
altbair. Mazii — Mezzi. Uuatfi — JJueUi oder Tassilo — Tessilo,
Azilo — Ezilo, Magilo — Meqüo, Amilo — Emilo aus dem 8jh. ;
ebenso alte formen wie Pirlitilo, Sintarfizzilo (Fizzilo in Salzburg
aus dem 10 jh. Siniarfezzil inßegensburg um das jähr 900 bei Ried
nr 79), Uuirclilo, LyJiila. Hulzllo. Uulfilo. diese suffixe welche
die koseuamen neben der consonantenverstärkung {Deoito, Isso,
Hucco ua.) beherschen, kommen bei sachnanien nur sehr selten
vor, vgl. etwa Ukaniilo 'corpusculum', scJiaUülo "servulus' in den
Murbacher hymnen, hurglla 'castellum' im Tatian, eimheri 'urna'
bei Notker und bair. scirpi 'testa'. im Tatian linden sich (nach
Polzin s. 25 f) gerhilin, skifilin, kindilin, Imoniclin, tubiclm und
das einzige dim. der Monseer bruchst. lautet sceffilin: ebenso
haben die ältesten glossen das dim. auf -iU . zb. hdiliili Pa,
spirilin gl. K, hlaufili E, ruchili Gx, uugilUi Em. demnach kann
die Verkleinerung mit -Hin nicht von den personennamen aus-
gegangen sein, eher kann man das gegenteil annehmen, dass
nämlich die sachdiminutiva auf -ill den anlass zur bildung von
Personennamen wie Pöpili gaben ; man darf nicht übersehen, dass
die namen auf -ilo wol alle aus einstämmigen formen hervor-
gegangen sind, die zum teil schon den Charakter von koseformen
tragen: Pöjjo — Pöpilo {weibl. Pö2nla), Pöso — Pösilo, Hntto —
Hettllo^, Zeizo — Zeizilo, Nando — Nendilo — Xenzüo. Dato —
Oazo — Oatilo — Oazilo (weibl. Uoia — TJotila), Enzilo, Cunzo.
Cunzi — weibl. Cunzila, Tozi — Tozzilo ua. so werden auch
namen wie Gerilo, Deotilo, Gundilo, Waltilo (weibl. Gundila,
Waltila) einstämmige formen Gero, Deoto usw. als grundlage
haben, wenngleich ger, deot, gund, ivalt in zusammengesetzten
namen sich häutig genug und seit frühester zeit linden, ich
stimme Wilmanns Anz. xxix 177 bei, wenn er dem suftix -illn
' Hcftilo in einer Freisinger Urkunde von 804 — 806 (Bitterauf nr 208),
bei Förstenaann i- 741, in Salzburg im 11 und 12 jh. (Mon. Germ. necr.
11 s. 616; vgl. auch i s. 499 -''/> Hcffcl, s. 500 "/s Hetfil 14 jh. aus Schaff-
hausen). FWilhelm hat Beitr. 33, 570 ['P>in wichtiges Regensburger Zeugnis
für die Hildesage im 12 jh.'] aus dem vorkommen des namens Mcttil in einer
zeugenreihe (abschrift des 14 jh.s) den schluss gezogen, dass die Hildesage
in Baiern im frühen 12 jh. schon den namen Hefin in der Form gekannt
hat, in der er in der Kudrun erscheint (doch Hctel, denn Heftel fällt der
Ambraser hs. zu) und damit auch die spätere mhd. sage in ihrem wesent-
lichen bestände, dieser schluss ist m. e. völlig haltlos, denn diese form
Heffil kann aus Hcttilo entstanden sein, wenn auch neben ihr Sarhilo
(sowie Baho) altes -o erhalten zeigt; übrigens kann Heftil auch echt und
alt oder aus Hettili hervorgegangen sein. vgl. im Salzburger vb. aus dem
12 jh. WüJiil s. 363, 44, 16: 395, 124, 26, WluiU s. 299 »/v, s. 149 -"p B,
Wulfilo s. 378 87, 4 oder Wesil, Wesili, ]Ve;:ilo, Esil, Hezil.
TEUCHEET IH. LEIIIEXER CKUNKNHKIUIKK ■\V]!. 15
eine selbständige, aus heimischem boden quellende lebenskraft
zuerkennt, und ich halte es für sicher, dass es sich an sachnanien
selbständig- gebildet hat.
Lemberg, S jänner 1909. J. Schatz.
Deutsche dialektgeographie herausgegeben v. Ferdhuiud Wrede
heft II und III:
II. Cronenberger Wörterbuch (mit ortsgeschichtlicher, gramma-
tischer und dialektgeographischer einleitung) von Erich Leihener.
mit einer karte. Marburg, Elwert IDOS. lxxxiv u. 142 ss. — 5 m.
Mit dieser Veröffentlichung ist das zweite heft der von Wrede
herausgegebenen berichte und Studien über Wenkers Sprachatlas
des Deutschen reiches erschienen, die in glücklicher weise dessen
frühere mitteilungen über den fortgang dieses großen werkes
fortsetzen und eine in wissenschaftlicher hinsieht ubschlielsende
bearbeitung der mundarten des behandelten gebietes darstellen,
vorliegende arbeit geht über den rahmen des Unternehmens noch
beträchtlich hinaus, indem sie den gesamten Wortschatz der mund-
art von Cronenberg vermittelt, es ist eine forderung der mund-
artenforschung, wie sie erst in der letzten zeit erhoben worden ist,
die hier wenn auch nicht zum ersten male verwirklicht wird, nicht
nur ein Idiotikon zu geben, sondern auch über alle aus der
Schriftsprache in die mundart eingedrungenen Wörter aufschlnss
zu gewähren, dass diese forderung allerdings aufs engste mit
der dialektgeographie zusammenhängt, ist ersichtlich, denn so
M'ird es allein gelingen, die Verbreitung eines wertes festzustellen
und etwa den grund seines fehlens in der Verdrängung durch
ein schriftsprachliches wort zu finden, so ist auch der dialekt-
geographie gedient, denn diese darf sich nicht auf die festlegung
von grenzen nach lautlichen oder flexionserscheinungen beschrän-
ken, sondern hat eine sehr wesentliche aufgäbe in der begren-
zung eines wortes auf landschaften und stamme zu sehen.
Der Cronenberger dialekt gehört wie alle in dem gebiet der
niederdeutsch-ripuarischen grenzmundarten gelegenen zu den
interessantesten die die rheinische mundartenforschung kennt.
es kam L. zu gute, dass bereits gute bearbeitungen der benach-
barten mundarten von Eonsdorf', Remscheid- und Wermelskir-
chen •* vorliegen, so konnte er sich darauf beschränken, eine
kurze lautlehre seines heimatdialektes zu geben und diesen zu-
gleich mit den nachbarmundarten zu vergleichen, dieser teil
bietet sich in tabellenform und beansprucht nur 14 seiten. zur
» Holthaus Zs. f. d. pb. 19, 339 ff u. 421 ff. ^ Holthausen PBrBeitr.
10, 403 ff u. 546 ff.
■' Hasenclever, Der dialekt der gemeinde Wermelskircheu, diss. Mar-
burg 1904.
16 TKUCHKKT ÜBER
selben zeit diente vf. so auch am besten den zwecken der
Wredescben saramlung.
Doch begnügt sich L. damit nicht, er hat sich die aufgäbe
gestellt, das Verhältnis des bezeichneten dialektbezirkes zu den
weiteren mundarten, die ihn im osten, norden und westen um-
geben, festzustellen, er hat das gebiet, welches im osten an die
westfälische Sprachgrenze {-dn: -dt im pl. ind. prs.) herantritt und
im norden durch 5 1 » 20 ', im westen 7 '» abgeschlossen wird, in
monatelangen Wanderungen durchforscht und dabei alle laut-
erscheinungen, für die ihm die Weukerschen karten richtlinien
boten, genau von ort zu ort untersucht, doch nicht genug damit :
er hat auch den wortbestand zu beiden seiten von fünf haupt-
linien des gebietes verglichen und dabei festgestellt, dass die
lautlichen grenzlinien auch lexikalische scheiden darstellen, [die
fünf Knien sind die Ürdinger oder Ik \ ich-lime von Sonnborn bis
Eonsdorf, dieselbe linie von Eonsdorf bis zur Eschbachquelle,
der Eschbach, der Wupperlauf von Burg bis Leysiefen, der
Wup perlauf von Sonnborn bis Burg.] es ist interessant zu sehen,
wie zahlreich die ausdrücke sind, die rechts und links einer
solchen grenze voneinander abweichen oder wofür auf der einen
Seite überhaupt kein wort vorhanden ist. so sagt man nördlich
der an erster stelle genannten Scheidelinie für 'kaufen' köp9n,
südlich davon g^ibn, d. i. gelten, nördlich heißt es wat, südlich
gqt für 'etwas", auch auf redensarten hat vf. geachtet, die ja
von landschaft zu landschaft erheblich wechseln, auf der seite
von Solingen-Gräfrath finden sich zb. 300 redewendungen, die
in Cronenberg und Eemscheid nicht vorkommen, für 9 Wörter
hat vf. auch für ein größeres gebiet die lexikalische grenze fest-
gelegt, für weinen, Schwester, pflanzen, kaulquappe, tolle launen,
panas — wofür besser ein nicht mundartliches wort gesetzt
worden wäre — , Stachelbeere, himbeere. heben.
Nach den erfahrungen des vf.s haben sich die karten des
Wenkerschen Sprachatlas als völlig zuverlässig gezeigt, ein ein-
ziger kleiner Irrtum verdient diesen nameu nicht, weil die für
den einen ort angegebene form neben der häufigeren auch vor-
kommt, dieses urteil ist recht willkommen, da es die mancherlei
angriffe die das bedeutende werk erfahren hat, für dieses ripu-
arisch-niederdeutsche grenzgebiet rechts des Eheins als hinfällig
erweist, immerhin dürfte doch für viele kenner des Sprachatlas
erst jetzt nach dem vorliegen der Leihenerschen Untersuchungen
die zeit gekommen sein, die dialektgeographische arbeit für diesen
teil Deutschlands als erledigt oder wenigstens gesichert anzu-
sehen.
Die methode mit der L. die ergebnisse seiner lautlichen
Vergleichungsarbeit zur darstellung bringt, genügt für ein solch
relativ nicht umfangreiches gebiet; ich ziehe seine karte der karte
Eamischs im ersten heft derselben Sammlung vor. 46 einzellinien
LETHENElt CROXENBERGEK AVÖRTERBUCH 17
hat er gezeichnet, durch deren addition erliält er grofse, das
ganze gebiet durchschneidende, so die Ürdinger linie als 1 + 2
4-3-1-4-1-5-4-6 4-7 + 8, und die Benrather setzt sich zu-
sammen aus li -\~ 154- 16-f- 17-1- 8. zugleich kann vf. leicht
kleinere oder gröfsere gebiete umschreiben, immerhin Avürde diese
primitive methode für ein grölseres arbeitsfeld versagen, aus
den teilstrecken setzen sich 19 gröfsere linieu zusammen, die wie
die westfälische und die Ürdinger in der hauptrichtung von sso
nach nnw verlaufen oder auch Verbindungen zwischen diesen her-
stellen, oder schliel'slich linien, die wie die Benrather von osten
nach Westen ziehen, indem L. die anzahl in der sich diese 19
linien als grenzen für die von ihm behandelten lauterscheinungen
finden, feststellt, ergibt sich, dass am häufigsten als Scheide-
linie die Ürdinger linie und sogar noch etwas öfter der lauf des
Eschbaches auftreten, und dann die Wupper von Burg bis Ley-
siefen. die erste erscheint als normallinie des ganzen gebietes.
die zweite, deren letzter teil mit der Benrather linie zusammen-
fällt, ist in ihrer gesanitheit wichtiger als die Benrather. sie
gibt die grenze für die Verschiebung der tenuis nach alter er-
haltener kürze an. an bedeutung überragen die übrigen linien
noch der Wupperlauf von Sonnborn bis Burg und das nördlich
Barmen gelegene stück der westfälischen grenzlinie.
Nun erhebt sich die frage, woher diese bedeutung der an-
geführten Sprachgrenzen komme, für das Eschbachtal und das
Wupperbett von Sonnborn bis Lej'siefen ergibt sich leicht als
grund der natürliche wert dieser wasserläufe als grenze, wenn
auch die Eschbachlinie nie eine rein politische grenze gewesen
ist. der Wupperlauf ist mit einer kurzen Unterbrechung auf der
strecke zwischen Sonnborn bis Burg zu anfang des 19 jh.s stets
politische und kirchliche grenze gewesen und eignet sich daher
als dialektscheide, interessanter gestalten sich die Verhältnisse
bei der Ürdinger linie. hier sind keine natürlichen grenz-
scheiden vorhanden, und politische grenze der gegenwart ist sie
nur — dabei auch nocli nicht ganz genau — auf einer kurzen
strecke, diese mundartengrenze verläuft zwischen Cronenberg
und Elberfeld. nun aber gehörte Cronenberg noch im jähre 1789
zum amt Elberfeld und hat vom anfang seiner geschichte an stets
in diesem abhängigkeitsverhältnis gestanden, doch wird es seit
1264 von Burg aus verwaltet, diese wirtschaftliche trennung
und, was nach L. wichtiger ist, die tatsache dass die Ürdinger
linie heute wie früher kirchspielgrenze gewesen ist, erheben diese
Sprachgrenze zu einer hauptgrenze des gebietes. für den teil
der Ürdinger linie zwischen Remscheid und Lennep ist kirchliche
trennung aller Wahrscheinlichkeit nach grund für die dialekt-
scheide, für den übrigen verlauf dieser wichtigen dialektgrenze
ist nicht sicheres auszumachen.
Der vom vf. für das alter der hauptsächlichen mundarten-
A. F. D. A. XXXIV. 2
18 TEUCHKRT ÜBEK
grenzen geführte nachweis ist sehr dankenswert und m. e. ein
beweis für das alter der heutigen dialekte selbst.
Zum wertvollsten in dem buche gehört das capitel über den
circumflectierten accent. diese reizende erscheinung im gebiete
der rheinischen mdaa. war allerdings durch die arbeiten früherer
in allen einzelheiten nachgewiesen und als ein ersatz für apokope
und Synkope eines a erklärt worden, jedoch hatte man sich zur
annähme des spontanen eintretens dieser betonuug bei einigen
langen vocalen und diphthongen genötigt gesehen. L. räumt
mit der Spontaneität auf, die er mit recht für das eingeständnis
mangelnder erklärung ansieht, nach ihm tritt der circnmliec-
tierte accent nur lautcombinatorisch auf. zunächst stellt er eine
Unterscheidung dieser betonung nach dem Verhältnis der exspira-
tionsdauer und des musikalischen intervalles der beiden accent-
gipfel auf. drei gruppen A, B und C ergeben sich hierbei, wo-
bei A die geringsten unterschiede aufweist, das musikalische
Intervall beträgt bei A höchstens eine terz, bei B mindestens
eine quinte und bei C die octave. nun zeigt sich, dass stufe C
nur bei synkope oder apokope eines d erscheint, also nur laut-
combinatorisch. aufserdem aber tritt sie mit vollem recht bei
allen alten diphthongen oder aus diesen contrahierten mono-
phthongen auf, also bei wgm. e, ö, ai (> ahd. e), au (> ahd. ö),
i'O; denn auch die entstandenen monophthonge sind, wie viele
deutsche, auch ndd. mdaa. beweisen, stets zweigipflig gewesen,
auch ahd. ou und ei haben circumflectierten ton, aber auf stufe
A, ein beweis dafür, dass der accent erst in der entwicklung
ist. noch weiter zurück befindet sich wgerm. ä, das erst in
wenigen Wörtern aus dem zustande der Überdehnung auf stufe A
angelangt ist. 1 und ü zeigen Überdehnung, doch schon mit den
anzeichen einer circumflectierung, diese ist in Wermelskirchen
bereits eingetreten.
So sehen wir den begriff des spontanen accentes verschwinden,
und dafür erhalten wir endlich die gewünschte Verbindung mit
dem accent mindestens der ahd. zeit, seit dieser zeit tritt die
circumflectierte betonung in neue gebiete ein, indem sie erstens
band in band geht mit der abschleifung der endungen, und zwei-
tens die immer weiter platz greifende diphthongierung langer
vocale begleitet.
Die circumflexion ist der ausdruck des gesetzes von der
erhaltung der kraft auf sprachlichem gebiete, man hatte sich
bisher begnügt, sie nach kürze, wenn ein d geschwunden war,
bei folgendem nasal oder liquida zu constatieren. L. zeigt nun,
dass sie immer eintritt, wenn ein d schwindet, oder w^enigstens
stellvertretende erscheinungen. bei folgendem sth. reibelaut er-
scheint zerdehnung des vocals, der stl. reibelaut wird gedehnt;
es ist ein unterschied zwischen dem nom. und dat. hri^t zu be-
merken.
LEIHENKR CRONENBEEGER WOKTKKKUCH 19
Auch die circumflectierte betonung- in fällen wie (ß'e.lt
gold, sH-o'm. schwamm erklärt sich aus lautcombinatorischer ver-
anlassung'. Ursache ist die zerdehnung- dei- liquida und nasale,
die in andern fällen, hier vor einer spirans, das svarabhakti-e
zeitigt {kaldf kalb: hTce.lt holz), das ö-element tritt im ersten
falle nur vor der ganzen consonantengruppe auf.
So gelingt es L., über dieses gebiet, das bisher so viel des
rätselhaften bot, licht zu verbreiten, Avenn auch noch einzelne
wenige erscheinungen sich der regel nicht fügen und gesonderte
wege einschlagen.
Es mag mit einem worte noch des umstandes gedacht werden,
der bisher eine crux der rheinischen mnndartenforschung war,
nämlich des nebeneinander von circumflectiertem accent und
diphthong in verschiedenen casus desselben wortes (nom. dl'e.l:
dat. de'i.l teil), dies erkfärt sich nach L. aus der annähme von
drei stufen des accentes, die ja die beobachtung bestätigt, wäh-
rend der nom. sich noch auf stufe B befindet, ist der dat., da
hier noch ein -c zu ersetzen war, bereits bis zu stufe C (neben
de'i.l hört man noch dr e.l in stufe C) oder über diese hinaus
zur diphthongierung gelaugt.
Man sieht^ welche prächtigen ergebnisse hier vorliegen, man
muss dem vf. glück wünschen und dem geschick dankbar sein,'
dass es ihm gerade diese mdaa. zur bearbeitung überwiesen hat.
Nun noch einiges über das Wörterbuch! dem titel nach ist
es die hauptsache am ganzen buche, das übrige gibt sich ja nur
als einleitungl es ist für manche menschen, zu denen ich ge-
höre, ein genuss, ein Wörterbuch durchzugehn, wenn es zuver-
lässig ist. und das ist hier der fall, der ganze wertschätz von
Cronenberg wird im geiste des lesers lebendig mit seinen redens-
arten und Sprichwörtern, 8140 Wörter zählt vf., darunter 4260
concreta, 2 1 0 abstracta, 770 adjectiva, 400 adverbia, 2080 verba.
diese zahlen stimmen allerdings kaum, da vf. viele syntaktische
Verbindungen als neue Wörter einführt, so kroianplaydn refl. sich
krumm lachen u. a., ferner zb. hemdUd a'u.sf für sich angibt,
auch halt ich die angäbe, dass sich 220 gallicismen in der mda.
finden, für nicht richtig. L. überschätzt den frz. einfluss. eine
anzahl von Wörtern, die er für frz. ausgibt, sind echtes germa-
nisches gut. wieviele mag er noch für frz. ansehen, bei denen
eine bemerkung fehlt! auf die etymologie geht vf. nicht ein;
nur gelegentlich treffen wir auf einige kurze angaben, hier
möchte ich fragen, Avoher L. mnd. gJijppe kellerloch (s. unter
gllpd), mnd. puve kissen (unter puf) und mnd. khingel fetzen,
zeug kennt: ich habe diese Wörter nicht finden können, es wäre
aber dankenswert gewesen, wenn er gelegentlich, wo er aus seiner
kenntnis der lautgesetze der mda. es leicht hätte tun können, dem
Verständnis eines wortes nachgeholfen hätte durch beifügung der
eigentlichen bedeutung, so zb. bei wa)jkrr)Z9ii sich vor wut wie
2*
20 TEUCHEET ÜBER
toll gebärden (eigentlich: [gegen die] wand rasen), wie dies bei
f^lydr 'fell-loher' geschehen ist.
Gegenseitige Verweisung wäre notwendig gewesen zwischen
verschiedenen formen desselben wortes, also zwischen fäddr und
fä:r vater, zan um^l zi' e.n sehen, die geschlechtsbezeichnung hätt
ich regelmäfsig gewünscht, der accent konnte in fällen wie
hehöudn, fdrklgpdv fehlen, dass L. auch vor den sogenannten
unanständigen ausdrücken nicht zurückschrickt, ist zu loben; nur
wäre eine etwas verhülltere ausdrucksweise angebracht gewesen,
etymologisch verschiedene Wörter hätten getrennt werden sollen
(s. knik 'genick', 'biegung am wege'; icl'e.kd f. "lampendocht',
'aufweichen'], wozu auch die gänsefülschen bei den bedeutungen?
Noch einiges wenige über die etymologie! s. 27 ündet sich
^i9rpä:l eierschale, 92 pä:l (vgl. frz. peler) schale junger kar-
toffeln, der bäume des eies und s. 93 pebn (vgl. frz. peler)
schälen (von eiern und jungen kartoffeln). nun kommt frz. peler
von lat. pUäre enthaaren, dagegen pebn nach malsgabe vieler
ndd. mdaa. von ndd. f^h f. schale der kartoffel (< lat. pellem). die
form pä.-l kann füglich nach den gesetzen der mda. nur auf eine
form '"pale zurückgehen, die ich indessen grofse bedenken trage
niederzuschreiben, denn sie stünde verwaist da. da kein an-
derer ansatz möglich ist, bleibt nur entlehnung dieser lautform
aus einer mda. übrig, die die form '^pale lautgesetzlich entwickelt
hatte. Mi hat palen entschoten, Richey paJde hülse, pahlen,
uthpahlen abschälen, bei beiden aber steht a für tonlanges o,
wie knake knoche, hase strumpf beweisen, pahle ist pgrßd zu
sprechen nnd ist mit nnd. pole zu pfden klauben zu stellen,
eine form mit a könnte nicht platz linden. — donndln leicht
schlafen ist nicht von frz. dormir abzuleiten, sondern mit schwäb.
diirmelig schwindlig, schläfrig (Fischer II 500), durmb taumeln,
leicht schlafen, dremdl, dronial Schwindel, taumel (II 423), neu-
märkisch drqmdln leise reden, murmeln (Zfdma. 1909, 70) zu ver-
binden; vgl. das von L. genannte dromdln duseln! — dßrpdl
türschwelle will vf. doch nicht ernstlich aus dem lat. herleiten?
— re.ddr euter entspricht mnd. ieder, wie das überlieferte jefZe»-
zu deuten ist, und bedeutet eine ablautsstufe zu as. üdar.
übrigens gehört hierzu nyddrn vom dickwerden des euters:
^eutern'. — louis links war schon aus Remscheid bekannt; es
setzt mnd. lucht links fort ; hierzu engl. left. — piif m. kugel-
rundes sofakissen mit mnd. pfi(ie (nicht pugel) zusammenzustellen,
ist doch völlig unmöglich. — rVe.pdln pl. masern ist wieder nicht
frz., sondern entspricht dem mnd. repel riffel. — wie soll dann
smüderlaydn hinterlistig lachen gleich mnd. smuserlaelien sein
können? — sßt Öffnung am ishm, durch welche das wasser auf
das rad stürzt, wird mit frz. clmte fall, stürz zusammengebracht!
es ist natürlich mnd. schütte f. schütze, hier hätte aber die
genusangabe nicht fehlen sollen. — spildr m. dünne Speiche von
LKIIJENKK CROXKXBKHGER WÖRTERBUCH 21
rand. spile dünner stabV! wenn doch die qiiantitätsverhältnisse
im Mnd. wtb. angegeben wären! es ist das mhd. spi-lter, spilter
scheit, Splitter. — warum soll tt^nts ortsbezeichnung bei Lennep
n. a. frz. fente sein? — tre.f weiblicher hund hat nach L. männ-
liches geschlecht; das ist auffallend, aber möglich, vgl. neumärk.
tel» (ndd. tcild) f. für jeden häfslichen hund. — ifl. schlanker
ton- oder emaillekrug mit henkel identificiere ich nicht mit yl.
eule, trotzdem diese krüge früher mit eulen bemalt gewesen sein
sollen, sondern mit dem rip. ül topf (< lat. oUa). — tseimpon
weinen bestätigt wie westf. Uimpdn Uhnpdfn weinen den von
Franck ausgesprochenen onomatopoetischen Ursprung des wertes
zimpferlich.
Zur vergleichenden laut- und flexionslehre von Cronenberg,
Remscheid, Ronsdorf und Wermelskirchen kann ich aus mangel
an räum nicht mehr alles augeben, was ich mir notiert hatte,
ich hätte vor allem gröfsere Sorgfalt im ansatz der historischen
laute und formen gewünscht, es berührt eigentümlich, in einer
Sammlung, die darauf ausgeht, 'alle dialektische localchronologie'
als 'problematisch' hinzustellen, Svie sie so gern und so oft
auch in neuester zeit versucht worden und in den kunstvollsten
und gelehrtesten tabellen und Stammbäumen construiert worden
ist', denn was ist es anders als peinlichste 'dialektische local-
chronologie', wenn ein mundartliches q in Qyi ach, Sngrkdn
schnarchen, o in ho'D. band, ö in gö : f gab auf wgerm. a zu-
rückgeführt oder auch nur noch wgerm. öht in zont suchte ge-
funden wird (vgl. übrigens richtig erklärt fdr-kaut verkauft)?
unt weifs wird doch sicher auf as. l zurückgehen, abs alles
ist bekanntlich ein genitiv.
Es sei noch des anhanges gedacht, der die vornamen und
Ortsbezeichnungen (besser flurnamen) bringt.
Trotz einiger mängel eine gute und ergebnisreiche arbeit,
die für das rheinische Wörterbuch eine dankenswerte Vorarbeit
und für die gesamte mundartenforschung einen fortschritt bedeutet.
III. Sprach- und gründungsgeschichte der pfälzischen
colonie am Xiederrhein von Emil Böhmer, mit einer karte.
Marburg, Elwert. Hi09. 91 ss. S«. — 2 m.
Vf. behandelt die siedelungsgeschichte und mundart der
pfälzischen colonie am Niederrhein, die aus den orten Pfalzdorf,
Louisendorf und Nenlouisendorf besteht und südlich von Cleve
auf der Gocher beide in den jähren 1741 — 43 angelegt worden
ist. ihr hd., von der niederfränkischen mda. der Umgebung ab-
weichender dialekt hat sich infolge des gegensatzes der confession
noch rein erhalten, ein vergleich mit den heimatmdaa. könnte
zur localisirung der colonisten in der gegend von Kusel in der
bairischen pfalz führen: denn damit stimmt die mda. der colonie
heute am meisten überein. die siedelungsgeschichte aber zeigt,
22 TEl'CKERT ÜB. BÖHMER PFALZ. COLONIK AM XIEDEHRIIEIX
dass die auswanderer aus den frühern pfälzischen oberämtern
Simmern und Kreuznach, und zwar in etwas gröfserer zahl aus
dem letztgenannten stammen, eine dialektgeschichtlich sehr inte-
ressante feststellung, aus der man die gröfste vorsieht in der
localisierung von colouiemdaa. zu entnehmen hat. die behandlung
der siedelungsgeschichte ist anziehend und geschickt, die dar-
stellung der lautlehre ist, abgesehen von einigen nicht vorsichtig
genug gegebenen etymologieen, einwandfrei, die vergleichung der
colonistenmda. mit der heimischen von S. und K. geschieht unter
benutzung der formulare des Sprachatlas, bisweilen unter anwen-
dung philologischer methode, wie sie ja Wrede für Wenkers und
sein werk für notwendig erklärt hat. wenn hier demnach auch
keine absolute gewähr für Sicherheit der dialektgeographischen
Statistik geboten ist, so genügen für den beabsichtigten zweck
immerhin annäherungswerte.
Eine interessante these Wredes lernen wir s. 87 kennen,
diese lautet: 'der grenzzusammenfall für dieselbe mundartliche
erscheinung bei verschiedenen paradigmen ist um so eher zu er-
warten, je geringeren accent diese im satzzusammenhange trägt,
daher zeigen die immer unbetonten endungen gröi'sere Überein-
stimmung als die betonten Stammsilben, und in letzteren wieder
die consonantischen teile gröi'sere als die den ictus repräsentieren-
den vocalischen'. mit dieser these wird sich die mundarten-
forschung auseinanderzusetzen haben.
Wertvoll ist noch die beobachtung, dass sich gewisse laut-
erscheinungen in der colonie länger erhalten haben als in der
heimat. im ganzen ist die neue ma. der colonie das product
aus der mischung zweier erheblich verschiedener dialekte mit dem
ergebnis des überwiegeus und des ausgleichs zu gunsten des
stärker vertretenen.
Eine interessante Studie, der andere und zwar compliciertere ,
nachfolgen mögen!
Berlin. H. Teuehert.
Der satzbau der Egerländer miiudart. von Josef Sehiepek.
II teil. [Beiträge zur keuutuis deutsch-böhmischer mundarten.
hrsgg. v. Haus Lambel I.] Prag, Oalve, 190S. S. 207 - 610. gr. S".
Mit diesem zweiten, über 400 selten starken bände hat Sehiepek
seine grofse dialektsyntax, deren i teil 1899 erschienen und
Anz. xxvn 238 fi" besprochen ist, zu glücklichem ende geführt, er
enthält die fortsetzung des iv capitels, Wortclassen: 2. Verbum C.
3. Substantivum. 4. Adjectivum. 5. Pronomina. G. Adverbium:
dann cap. v Congruenz; vi Verneinung; vii Wort- (und satz-)
Stellung; viir und ix Sparsamkeit und fülle des ausdrucks; ferner
ein Schlusswort, nachtrage und ein reichhaltiges wort- und Sach-
register zu beiden teilen: endlich ein ausführliches iuhaltsverzeich-
KIES ÜBER St'HIEPEK SATZBAU DER EGERLÄNDKK MDA. 23
iiis ZU teil II. da die seilen vom i teil durchgezählt sind, wird
man nun leider im zusammengebundeneu werk das Verzeichnis
der abkürzungen und des Inhalts an zwei verschiedenen stellen
aufzuschlagen haben: s. xv und xxi. und s. 565 und 597.
Dies buch anzuzeigen ist eine freude: es ist nicht nur, was
freilich die hauptsache ist, an sich eine vortreffliche und sehr
verdienstvolle leistung, durch die unsere syntaktische litteratur
die wertvollste bereicherung erfährt, sondern es bereitet auch
den referenten eine nicht gerade alltägliche genugtuung; denn
es zeigt, dass ihre nicht immer erfreuliche und oft wenig erfolg-
reiche arbeit mitunter auch gute früclite trägt und sichtbaren
nutzen stiftet, der vf. hat sich der berechtigung mehrerer der
ausstellungen und einwände nicht verschlossen, die in den
— übrigens durchaus anerkennenden — besprechungen des
I teils seines Werkes erhoben worden waren, und er ist mit er-
folg bestrebt gewesen, sie sich für den ii teil zunutze zu machen,
soweit davon die anordnung und stoffbegreuzung im ganzen be-
troffen wurde, waren diesen "bemühungen durch die im j teil ge-
zogenen grundlinien der arbeit natürlich enge grenzen gezogen'
(s. 539). aber nicht nur durch eine bessere anordnung im ein-
zelnen hat der ii teil gegenüber dem i gewonnen, vielmehr ver-
danken, wie der vf. selbst im Schlusswort hervorhebt, die meiner
ansieht nach wertvollsten abschnitte des vorliegenden bandes
teils ihre entstehung, teils doch ihre gestaltung anregungen, die
er aus den anzeigen des i teils und aus der früher noch unbe-
achtet gelassenen neueren syntaktischen litteratur, besonders
Behaghels Heliandsyntax geschöpft hat. dahin rechne ich die
capitel über congruenz und Wortstellung, vor allem aber die ab-
schnitte C über die 'Verbindungen" der einzelnen wortclassen, in
denen der vf. 'dem neuen gesichtspunct der wortgruppe gerecht
zu werden suchte" (s. 539). so ist durch die einfügung solcher
abschnitte, die im eigentlichen sinne sj'utaktische Stoffe behan-
deln, das Verhältnis dieser zu den capitel n, deren Inhalt meiner
auft'assung nach die syntax nur indirect oder gar nicht angeht,
im vorliegenden bände weit günstiger geworden als in teil i.
Die mitbehandlung von dingen die ich in die wort(bedeu-
tungsllehre verweisen würde, entschuldigt der vf. (s. 540) damit,
dass 'eine erschöpfende Satzlehre eigentlich eine erschöpfende
wortlehre als unterbau verlange, eine solche jedoch das Egerlän-
dische noch nicht besitze', dass solche begründung der altge-
wohnten stoft'verteilung zur zeit einer gewissen berechtigung
noch nicht entbehrt, hab ich mit ähnlichen Worten nicht nur
für einzelne dialekte, sondern ganz allgemein anerkannt (Anz.
xxix 2 1 ). bezweifeln möcht ich aber doch, ob sich auf diese
weise die hineinziehung alles dessen, was Schiepek hier aus dem
gebiet der wort(bedeutungs- und auch formen)lehre, ferner an
stilistischem und rein lexikalischem mitbehaudelt und mitten in
24 RIKS ÜBKR
die erörterung des syntaktischen eingeschoben hat. im rahmen
einer lehre vom 'satzbau' rechtfertigen lässt. wenn das ziel einer
sachgemäfsen gliederung der syntax jemals erreicht und die be-
handlung vor der gefahr bewahrt werden soll, die eigentlich
syntaktischen gesichtspuncte aus den äugen zu verlieren, wenn
überhaupt in systematischer und methodischer hinsieht entschie-
dene fortschritte gemacht werden sollen, muss doch an der tor-
derung festgehalten werden, dass sich die erörterung der aus den
andern gebieten der grammatik herbeigezogenen stoffe streng auf
das beschränke, was zum Verständnis der syntaktischen erschei-
nungen, zur begründung ihrer auffassung und erklärung würklich
erforderlich ist, und ferner, dass dies alles möglichst auch räumlich
abgesondert oder sonst durch typographische hilfsmittel als aufsen-
werk und Vorarbeit gekennzeichnet werde, unter diesem ge-
sichtspunct erweckt trotz der besseruug die Stoffbegrenzung und
-Verteilung auch im ii teil noch manches bedenken, im ganzen
und einzelnen, so ist auch in den die 'Verbindungen' behandeln-
den abschnitten trotz dieser Überschrift der gesichtspunct der
gruppe nicht immer festgehalten, vgl. zb. § 263 'erstarrte dative'.
an falscher stelle steht zb. der Inhalt des § 265, der unter
•genitiv bei verben' fälle behandelt, in denen die Schriftsprache
diesen casus setzt, die mundart aber nicht, wie kommen die^
4j§ 352 — 54 (formenunterschied von singular und plural) unter
die casus? aus dem lückenhaften zustand unserer syntaktischen
litteratur erklärt und entschuldigt sich zum teil die ausführlich-
keit, mit der vieles behandelt wird was nicht dem mundartlichen
Sprachgebrauch, geschweige dem egerländischen eigentümlich,
sondern gemeingut der Umgangssprache ist, nicht selten auch
der lebendigeren Schriftsprache angehört; vgl. zb. ijij 292. 294
über den bildlichen ausdruck (abgesehn davon, dass das meiste
davon in die Stilistik oder ins lexikon gehört).
Aber was in dieser hinsieht zu beanstanden wäre, tritt weit
hinter die vielen und grol'sen Vorzüge des werkes zurück, sein
reicher Inhalt und die durchweg gediegene, gründliche behaud-
lung verdienen gleich uneingeschränktes lob. es erfreut des
vf.s volle beherschung seiner mundart, die fülle scharfer beob-
achtungen über eigenheiten des mundartlichen Sprachgebrauchs
überhaupt, die feinsinnige aufspürung der zugrunde liegenden
auffassungen und die meist einleuchtenden erklärungen dieser
letztern aus dem besonderen wesen der mda. mit umsieht und
sicherem Sprachgefühl geht der vf. der entstehung von bedeu-
tungs- und gebrauchserweiterungen nach und leitet sie aus der
ursprünglichen bedeutung her, dabei zeigt sich gelegentlich, wie
die mda. durch die noch eingehalteneu grenzen solcher gebrauchs-
erweiterung erkennen lässt, dass in ihr das gefühl für die grund-
bedeutung bisweilen noch lebendig ist. wo es der Schriftsprache
schon verloren gegangen ist (vgl. zb. § ^S6). das besonders ge-
SCHIKI'KK TtF.I! SAr/l'.AU l>KR E(iKHI,.\N"Iii;i! MUNDAKT 2;>
lungeue capitel über die Wortstellung enthält manche gute ein-
zelbeobachtung und hübsche bemerkung; so ist zb. die originelle
i'assung 'kurzschluss des physisch-sprachlichen mechanismus der
mündlichen rede' an der stelle (s. 5 1 5) sehr treffend, interessant
war mir der wichtige naehweis is. 503), dass in der eg. mda.
der gebrauch der ungi'aden folge mit syntaktischer bedeutung
an stelle bei- oder unterordnender conjunction (vgl. QF -11, 25 ff;
Zs. -10, 273; Wortstellung im Beow. 4j 31) nicht unbekannt ist.
Auch in der auffassung der sprachlichen erscheinungen dürfte
der vf. meistens das richtige getroffen haben, abweichende an-
sohauung geltend zu machen seh ich wenig anlass; etwa § -162,4:
ich linde nicht, dass ^der beinahe zum artikel herabgedrückt ist,
wenn es ein Substantiv vertritt das ein präpositionalattribut bei
sich hat', das gegebene beispiel scheint mir im gegen teil deut-
lich zu zeigen, dass hier der rein determinativ und betont ist,
gleich derjenige, wofür auch die volle form de.) spricht, während
nach § 458 'der artikel die stark abgeschlift'ene form de)' hat.
auch die auffassung des § 419ia ist mir zweifelhaft.
Von principieller bedeutung ist wol nur folgendes, der auf
den ersten blick bestechenden ansieht, dass 'in : morgen ist Feier-
tag: zu dir ist )nir zu ireit das adverb die stelle des subjects
einnimmt', "als satzhauptteil dient' (s. 4G8) kann ich mich nicht
ohne weiteres anschliel'sen zunächst sind die beiden sätze nicht
gleichartig, im zweiten beispiel ligt einer der zumal in der
mündlichen rede häutigen fälle vor, wo ein (und zwar der all-
gemeinere) teil eines vorstellungscomplexes ohne sprachlichen
ausdruck geblieben ist, weil der speciellere, der auf den das
interesse sich richtet, allein zum Verständnis genügt, wenn wir
hier heute auch mit recht nicht mehr von eigentlicher ellipse
reden, nicht sagen, dass das wort gang, n:eg oder entfernung aus-
gefallen sei, weil eine bestimmte wortfassung eines derartigen
begriff's überhaupt nicht vorhanden gewesen zu sein braucht, so
bleibt anderseits doch immer die tatsache bestehn, dass hier die
präpositionalverbindung inhaltlich reicher ist als gewöhnlich, dass
sie allein sagt, was sonst durch ein Substantiv (oder einen In-
finitiv) mit derselben präpositionalverbindung gesagt wird, diese
stellt sich ein, wo — und kann sich eben nur deshalb ein-
stellen, weil eine, wenn auch ganz unbestimmte entfernungs-
oder bewegungs Vorstellung dem sprechenden vorschwebt: man
baut den satz correct nach dem grammatischen scheina. das
richtig functioniert, auch ohne dass sich die undeutlich bleibende
vorsteUuug in ein bestimmtes wort verdichtet, von dem die prä-
positionale weudung abhängen könnte, und von dem sie doch
auch tatsächlich abhängt, trotzdem weder der begriff noch sein
sprachlicher ausdruck zu vollem leben erwacht sind, so ist es
mindestens ungenau zu sagen, dass hier die präpositionalverbin-
dung als solche selber subject sei: sie ist nur der allein zum
26 RIES ÜBER
ausdruck gelangte teil einer unvollständig gebliebenen wortgruppe,
die das subject bildet, da es sich also nicht um eine besondere
'gebrauchsform des adverbs' handelt, gehört die ganze erschei-
nung nicht hiei'her, sondern in das gebiet 'ersparung', 'kürze des
ausdrucks' uä.
Durchaus anders ligt es in dem satz: morgen ist Feiertag,
für den ich nur unter starken vorbehalten und in beschränktem
umfang zugeben müchte, dass in ihm das adverb subject ist. oder
'dessen stelle einnimmt', möglich, dass der vf. auf diesen leisen
unterschied der fassung wert legt; aber sofern ich ihn richtig
versteh, heilst das doch immer: das adverb hat hier, da es 'als
satzhauptteil dient', die syntaktische function des subjects.
das kann zunächst jedesfalls nur im psychologischen, nicht im
grammatischen sinne gelten, man kann den begriff 'morgen' als
psychologisches subject bezeichnen in bestimmten zusammenhängen,
w^o aus dem vorausgehnden oder der Situation dieser begriff als
der bekannte und zu prädicierende vorschwebt, oder man kann
sagen: eine noch dunkele gesamtvorstellung klärt sich begrifflich,
indem sie sich in ihre teilvorstellungen (hier: morgen und Feier-
tag) gliedert, wie sie nacheinander in den blickpunct treten; und
man mag auch in vergleichender Übertragung der üblichen gram-
matischen termini diese beiden teilbegriffe als subject und prä-
dicat dieses psychischen processes bezeichnen, aber das bleibt
ein vergleich, und das Verständnis und die erklärung der sprach-
lichen form, in die sich der ausdruck dieses deukvorgangs kleidet,
wäre damit nur dann gefördert, wenn feststünde, dass jeder
sprachsatz das sich formal genau deckende abbild des ihm zu-
grunde liegenden denksatzes wäre, man kann vermuten, dass das
in den ersten anfangen schöpferischer Sprachtätigkeit der fall
gewesen sein wird, würde aber das Verhältnis des deukvorgangs
zum sprechen in einer der in vieltausendjähriger entwicklung und
Übung ausgebildeten cultursprachen schwer verkennen, wenn man
auch hier formale Übereinstimmung beider processe als allgemein-
giltig voraussetzen wollte.
Was ist also mit jenem vergleich gewonnen, da erst in
jedem einzelnen falle festgestellt werden muss, ob und inwieweit
sich die form des sprachsatzes der des denksatzes anschliefst?
zunächst ist nur für die sätze, in denen dies nicht der fall ist,
eine neue gefahr des verkennens ihrer grammatischen form
heraufbeschworen, indem die ganz unbegründete Vermutung nahe-
gelegt wird, dass jene formale Übereinstimmung würklich vor-
handen sei.
Bezieht man die angefochtene behauptung, das adverbium
nehme die stelle des subjects ein, ausschliefslich auf den denk-
vorgang, so bleibt davon die syntaktische form des sprachlichen
gefüges unberührt und somit unerklärt, wollte man aber (und
es scheint fast, als ob eine allermodernste richtung dahingeht)
SCHIEPKK PKR SATZBAU DEK KGKHLAXDKR MUXDAHT ll
die grammatischen kategorieeii einfach den psychologischen gleich-
setzen, d. h. also die syntaktischen termini subject und prädicat
rein psychologisch definieren und in der erklärung der psychi-
schen entstehung einer sprachäufserung auch die erkenntnis ihrer
syntaktischen form sehen, so wäre das ein gefährlicher Irrweg,
und sollte dies verfahren damit begründet werden, dass die etwa
abweichende ursprüngliche function der glieder eines gefüges nur
die historische Sprachforschung angehe, die beschreibnng und er-
klärung der gefüge der würklichen, der lebendigen spräche aber
allein die zugrunde liegenden seelischen und gedanklichen Vor-
gänge zu berücksichtigen habe, so wäre eben zu betonen, dass
sich das sprechen seit undenklichen zeiten nicht mehr blofs durch
neuschöpfung oder doch durch ein jedesmaliges neunachschaffen von
sprachformen vollzieht, sondern zu einem guten teil durch rein
mechanische Verwendung fertiger, fester, altgewohnter formen,
die zur aufnähme des gedankeninhalts bereit stehn und sich
automatisch einstellen, in die er hineingegossen wird, teils im
anschluss an den denkvorgang, teils aber auch von diesem unab-
hängig, bald ihm genau entsprechend, bald mehr oder minder von
ihm abweichend.
Würkliche gleichsetzung der ps3'chologischen und gramma-
tischen kategorieen würde in letzter linie auf eine völlige Ver-
wischung, ja auflösung der grammatischen grundbegriffe hinaus-
laufen, die freilich über manche klippe in der definition des satzes
und seiner hauptteile hinweghülfe, aber nicht, indem sie die vor-
handenen Schwierigkeiten löst, sondern indem sie diese verschleiert
und umgeht, es ist ja sehr bequem zu sagen, die zwei haupt-
begrift'sworte eines 'satz' genannten gefüges seien sein subject und
prädicat. dann müste aber als definition von subject (von der
des prädicats zu schweigen) gelten: sprachlicher ausdruck des
ersten der beiden wichtigsten begriffe eines satzes (wie immer
dessen definition laute), wobei dann über den grad der Wichtig-
keit wider nur vom ps^'chologischen standpunct entschieden
werden könnte, so dreht man sich im kreise und gelangt nie
zu einem erfassen der sprachlichen form, und mit dem hinzu-
treten jedes weitern begriffswortes entstehn sofort zahllose neue
Schwierigkeiten, die zeigen, dass der grammatische begriff
des subjects einerseits unentbehrlich ist, anderseits nicht mit
dem '^nur vergleichsweise so genannten) psychologischen subjects-
begriff zusammengeworfen werden darf, w'ie steht es in Sätzen
mit zwei adverbien? {heute ist in Neudorf Kilbe; morgen ist
hei uns frei, auf der Mädchenschule nicht), nimmt da die zeit-
oder die Ortsangabe die stelle des subjects ein? oder in: heute
friert mich, das adverb oder der accusativV und im vergleich
der Sätze: heut ist bei uns frei und: heut haben u-ir frei und:
wir haben heute frei, ist da im ersten satz heut oder bei uns
subject, da doch im zweiten, ganz gleichbedeutenden satz wir
28 RIES ÜBER
sicher grammatisches subject ist, und im dritten grammatisches
und psychologisches subject zugleich? alles fragen, die nur von
fall zu fall und jedesmal anders oder nach Willkür entschieden
werden könnten, auch der satzformunterschied der gleichbedeu-
tenden gefüge: ich friere und: mich friert lässt sich nicht mehr
fassen, wenn sowol ich, wie mich die stelle des subjectes ein-
nimmt, was wol psychologisch, aber nur psychologisch richtig ist.
aber auch psych ologie ist nicht grammatik, so wenig
wie logik und rhetorik es sind. Franz Kerns mahnung: 'nur
meine man nicht, dass man mit dieser beschäftigung [aufsuchen
des sogen, logischen subjects], die geflissentlich von der form
auf den Inhalt übergeht, noch grammatik treibe' — "rhetorische
Übungen vornehmen und grammatik treiben ist zweierlei' (Die
deutsche Satzlehre"^, 1888, s. 74. 146.) ist von neuem der be-
achtung eindringlich zu empfehlen, mit der besonders zeitgemäfsen
erweiterung auf die Übertreibungen und Irrwege der psycholo-
gischen behandlung. es ist von entscheidender Wichtig-
keit für die klarheit der begriff e und die richtigkeit
der auffassung, dass die psj^chologisch-genetische
erklärung einer sp rachäuf serung mit der gramma-
tischen analyse der bestimmten syntaktischen form,
in die sie sich kleidet, weder verwechselt noch ver-
mischt werde, (vgl. Wortstellg. im Beowulf s. 376.)
Es steht mit dem adverb morgen in: morgen ist Feiertag
grammatisch zunächst nicht anders als mit den adverbien in:
heute wird geschlachtet, hier wird gerollt, oben lolrd getanzt, in
denen gewis auch Schiepek bedenken tragen würde, heute, hier,
oben als subject(svertreter) anzusehen, was er consequenterweise
doch müste; nicht anders als in: gestern war mir übel: heute friert
mich, wo auch die psychologische betrachtung eher dem casus
obliquus des pronomens als dem adverb die rolle des subjects zu-
weisen würde, oder auch in: heut morgen hat es gefroren, jetzt
ist Tawvetter, wo zuerst unfraglich das begrifflich leere 'es' gram-
matisch heute die stelle des subjects einnimmt und die adverbia
heut morgen und jetzt functionell gleichstehn. denn es unterligt
für mich keinem zweifei, dass morgen ist Feiertag der form und
ursprünglichen bedeutung nach jener crux der syntaktiker, den
sogen, subjectlosen Sätzen, zuzurechnen ist, deren grammatische
form und entstehung aber weder richtiger beschrieben noch klarer
erkannt wird, wenn man eine adverbiale Zeitbestimmung der aus-
sage als ihr subject bezeichnet,
Dass ein adverb überhaupt die stelle des subjects einnehmen
könne, scheint mir eine grammatische Unmöglichkeit, selbst-
verständlich von der Substantivierung abgesehen (one to-day
is worth two to-morroirs: morgen ist du Adverb) oder von der
Verkürzung des ausdrucks, die zur Substantivierung hinführt
(siehe oben s. 25), wie wenn etwa morgen steht für der Tag
SCHIKPEK DER SATZBAU J)KH EGERLÄKDER MUNDART 29
morgen, der morgige Tag {morgen eignet sich nicht zu unserm
Ausflug).
Nun soll mit diesem Widerspruch gegen Schiepeks auffassung
(oder nur formulierung?) der wert der psychologischen analyse
weder im allgemeinen noch für ein vertieftes Verständnis gerade auch
der besprochenen fügung bestritten werden; sie ist im gegenteil
auch hier sehr fruchtbar, sie zeigt nicht nur an einem deut-
lichen beispiel die erwähnte Verwendung einer vielgebrauchten
syntaktischen form zum ausdruck auch eines anders geformten
denkvorgangs. sondern sie leitet auch zur erkenntnis der sonst
leicht übersehenen tatsache hin. dass so dieselbe satzform zwei,
zwar einander ähnliche, aber doch scharf unterscheidbare be-
deutungen hat. man braucht: morgen ist Feiertag l) der form
und bedeutung des 'subjectlosen' satzes genau entsprechend in
seinem ursprünglichen sinne einer antwort auf eine würklich ge-
stellte oder vorschwebende frage, wann das 'feiertagsein' statt-
hat, zb.: wann wirst du dich mal an einem Ausflug beteiligen können::'
wann habt ihr mal frei:' — morgen {ist frei, ist Feiertag).' und 2)
darüber hinaus mit der von Schiepek wol allein ins äuge gefassten
bedeutung, bei der 'Feiertag' von 'morgen' würklich prädiciert
wird, im sinne einer antwort auf die frage: was für ein tag
ist der morgige? denn die kürzere, natürlicher klingende, be-
quemere form schiebt sich an die stelle der grammatisch correc-
teren. aber steifern und umständlichem: {der Tag) morgen ist
ein Feiertag, zb.: kannst du mir das morgen beschaffen'':' — schwer-
lich^ morgen ist {ein) {israelitischer) Feiertag, da sind die(se) Ge-
schäfte geschlossen.
Die psychologische analyse lehrt so erkennen, wie die spräche,
indem sie sich gewisser gefüge auch zum ausdruck von etwas
anders gearteten denkinhalten bedient, die äufserlich gleichblei-
benden alten formen doch durch eine innere Umbildung neu be-
lebt, diese Umbildung, die Überführung aus der syntaktischen
function der adverbialen bestimmung der aussage in die des sub-
jects, kann sich aber nur einstellen — und daraus ergeben sich
die grenzen ihres auftretens — wo die form des gefüges gleich-
zeitig auch den Übergang seiner übrigen worte in die function
des prädicats ermöglicht und begünstigt: die den kürper des
ganzen, in sich vollständigen 'subjectlosen' satzes bildenden
worte: ist Feiertag, ist frei sind hier äufserlich der häufigen form
des prädicats ('copula' mit prädicatsnomen) gleich und deshalb in
diese verschiebbar, nur weil hier, und nur wo der subjectlose
satz diese form des prädicats vortäuscht und in dessen function
übertritt, wird auch das adverb in die stelle des subjects gerückt.
So ist zwar die behauptung des vf.s über die innere structur
solcher sätze für einen teil ihrer Verwendung und in der ent-
wickelten auffassung als richtig anzuerkennen, aber auch hier
handelt es sich um ein andres s^'ntaktisches problem, als der vf.
30 HIES ÜBKR
meint, niclit um eine besondere gebrauchsweise der wortclasse
des adverbs, sondern um eine functionsverschiebung der Satz-
glieder.
Aus ähnlichen erwägungen heraus erheb ich die entsprechen-
den einwände gegen einen teil der ausätze im absatz b) desselben
§ 503, wo mir verschieden geartete fälle zusammengeworfen
scheinen, dass von alters her im deutschen adverbien und ad-
verbiale präpositionalverbindungen prädicativ gebraucht werden,
ist kein zweifei; ich bestreite aber, dass jedes bei einer form des
verbums sein stehende adverb als prädicativ anzusehen sei.
würkliches prädicativum ist es in sätzen wie: das Theater ist
aus: die Tür ist zu; aber nicht in: das Theater ist auf dem
Neuen Markt: die Tür {zu seinem Ämtszimmer) ist am Ende des
Ganges rechts: also auch nicht, wie Schiepek will, in: er ist
oben; das war gestern, wo es vielmehr rein adverbiale orts- oder
Zeitbestimmung ist zu dem in prägnantem sinne von sich befinden,
statthahen, geschehen gebrauchten verbum. dagegen wider prä-
dicativ in: das ist oben, vorne uä. im sinne von: dies ist der
obere, vordere Teil, die äulserliche, aber doch nur scheinbare
formengleichheit des syntaktischen gefüges darf nicht zur ver-
kennung der verschiedenartigkeit der beziehung und damit der
syntaktischen function seiner glieder verführen, es wäre ein
misverständnis der von mir 'Was ist syntax'?" s. 13 ff. ver-
fochtenen ansieht, wenn man in obigen fällen aus der gleichheit
der wortformen und der wortart auf gleichheit der syntaktischen
form und function schlielsen zu müssen glaubte, mit der Ver-
schiedenheit der bedeutung desselben wortes hängt überaus häufig
eine verschiedene constructionsweise zusammen (w'obei es hierfür
gleichgiltig ist, welches das prius ist), und dass das verbum sein
verschiedener bedeutung fähig ist, dürft unbestritten sein, daraus
folgt ohne weiteres, dass das adverb bei einem vollverb mit der
bedeutung geschehen, oder sich befinden in andrer syntaktischer
function steht als bei dem reinen verbum substantivum, der
'copula' (vgl. ebenda s. 161 anm. 78 gegen Paul).
Noch ein paar einzelheiten : die s. 517 anm. 1 erwähnte
dnö y.oivov Stellung ist gewis nicht nur schlesisch, auch wol
überhaupt nicht blofs mundartlich, sondern aller affectisch beleb-
ten Vulgärsprache eigen, auch im englischen häufig. — nach-
§ 567 a) "hindert die durchwegs proklitische uatur der artikel-
formen jede einschiebung attributiver bestimmungen zwischen
artikel und Substantiv', das ist sicher ein versehen, weder die
behauptung selber kann in dieser allgemeinheit richtig sein, noch
ist es die begründung: die proklise würde durch das zwischen-
geschobene attribut nicht gehindert werden, vgl. die beispiele
s. ;]41: bdn helllöichtn Töch, bd dd stii9kfinz9n Nacht, d dumma
dalkdtd Gods, d dimmd Idsl: s. 343: dd gung Hös, zdn näid
Gaud, d glücksölle's ndis Gäud, d bairischd Herzog, dd prdissisch
SCHIEPEK DKR SATZBAU DEK E(;EHT.ÄXÜEI{ MUNDAHT 31
Könich usw. — wichtig" ist die angäbe über die Stellung' unbe-
tonter pronominalformeu ij 567, b. 1. Schiepeks fassung lässt die
annähme zu, dass in der Schriftsprache auch abweichende Stellung
correct sei; es finden sich ja leider beispiele genug- dafür, auch
bei guten Schriftstellern; sie beweisen aber nur, dass das feinere
gefühl für den rechten satzrhythmus vielfach verloren gegangen
ist. — zum selben § b. 1 — 3 vgl. Wortst. im Beow. § 81 und
s. 43. 54. 352. — s. 427 wird 'wegen der regelmätsigen vor-
anstellung- des genitivs' auf § 367 — 373 verwiesen; ich finde
dort nichts darüber gesagt; die gegebenen beispiele zeigen aller-
dings diese Stellung, bis auf Mutter Gottes, EInd Gottes in
ij 368. — die Sorgfalt des vf.s hat sich auch auf die druck-
berichtigung erstreckt; von den wenigen fehlem, die ich bemerkt
habe, ist nur s. 468: Erdmann-Mensing ii (lies: i) erwähnenswert.
Durch die fleifsige heranziehung der übrigen mundarten,
zumal der oberdeutschen und besonders regelmäi'sig der oster-
reichischen, und die gewissenhafte ausnützung der einschlägigen
litteratur hat sich Schiepeks buch in den umfänglichen und in-
haltreichen anmerkungen, zu denen auch der herausgeber
manche wertvolle beisteuer geliefert hat, zu einem wahren re-
pertorium der deutschen dialektkunde ausgewachsen, das weit
über das gebiet des satzbaus hinausgreifend auch reiche belehrung
über formenlehre. Wortbildung und wortgebrauch der deutschen
mundarten bietet.
Neben dem vf . gebührt dem herausgeb er L a m b e 1 und dem
drucklegenden Verein für geschichte der Deutschen in Böhmen
unser wärmster dank.
Strafsburg i. E., märz 1909. John Ries.
Wort und Brauch. Volkskundliche arbeiten namens der Schlesischen
gesellschaft für Volkskunde in zwanglosen heften hrg. von dr
Theodor Siebs und dr 3Iax Hippe. Breslau, M. & H. Marcus. 8 °.
2 heft. Lateinisch-romanisches fremd Wörterbuch der
schlesischen mundart von Erich Jäschke 16ö ss. — 5,60 m.
3 heft. Die schlesische mundart in ihren lautverhält-
nissen grammatisch und geographisch dargestellt von Woli" von
Unwerth. 94 ss. — 3,60 m.
Jäschkes arbeit bietet eine Zusammenstellung von fremd-
wörtern in der schlesischen mundart und kann als brauchbarer
beitrag zur deutschen lexikographie angesehen werden, fast
gänzlich vermiss ich allerdings den versuch zu ermitteln, auf
welchem wege die Wörter in die mundart gedrungen sind. Ich
glaube, dass man auf grund verschiedener lautlicher Ver-
änderungen (ob zb. fremdes h, ä durch h, d oder ^j, t vertreten
sind, ob fremdes a als ä oder ö erscheint usw.) zu mancherlei
Schlüssen gelangen kann; dasselbe gilt für die altersbestimmung
32 LESSIAK IHKK
(vgl. etwa afJcöfe neben atwökofe). freilich müste dann die aus-
wahl nicht so willkürlich erfolgen, sondern womöglich alles
niaterial verwertet werden, und gerade die älteren entlehnungen
wie Soldat, sellerie. anis, lavendel uaa. sollten nicht aufser
acht gelassen werden, da sie sicher von gröfserem Interesse sind
als etwa Wörter wie schneiderieren, schauderös ua. bedenken
hab ich gegen gewisse formen wie 'Moritz' für 'mores (lehren)'
n. ähnl., für die belege dem einen oder andern volksschriftsteller
entnommen sind; denn bekanntlich lieben es manche unserer
volkstümlichen humoristen. dergleichen verballhornungen selbst zu
construieren. auch die sogenannten volksetymologieen bestehn
zum teil nur auf dem papier, indem mit hilfe der Orthographie
solche vermeintliche umdeutungen künstlich gemacht werden, so
wenn viehsasclie für flsäze geschrieben wird, was sich dann
natürlich als lächerliche composition 'viehs-asche' repräsentiert,
tatsache ist, dass bei ungewohnten lautverbindungen häutig ersatz
durch geläufige lautfolgen vorgenommen wird, ferner auch, dass
bekannte, ähnlich klingende Wörter diese Umgestaltungen beein-
flussen, ja gelegentlich sogar eine bedeutungsverschiebuug ver-
anlassen, aber die Substitutionen und anlehnungen — ergeb-
nisse einer ungenauen reproduction — erfolgen in der regel
durchaus nicht bewust. und nicht selten handelt es sich nur um
ein zufälliges zusammentreffen einer in der mda. lautgesetzlich
entwickelten form mit irgend einem andern bekannten laut-
complex. auch der vf. überschätzt das etymologische denken im
Volke, so wenn er zb. s. 128 unter ^scliandärnC meint: 'man
zerlegt sich im volke dieses wort wohl in 'schände' und 'arm'
in entrüstung über die angeblich so schändlich tätigen 'arme'
dieses beamten'. kvxyprize erklärt J. als hervorgegangen durch
anlehnung an 'hupp' köpf. vergleicht man jedoch kuptäl,
kurakter, kustänie s. 8, auch kuppdral u. ähnl.. so scheint die
form vielmehr auf irgend einem mundartlichen wandel von vor-
tonigem a in guttui'aler Umgebung (über o) zu u zu beruhen.
jyangenett (bajonett) soll von 'bange' beeinflusst sein, abgesehen
davon, dass bange in Schlesien nicht pange lautet, warum er-
scheint das wort auch im süddeutschen, wo 'bange' gar nicht
volksläufig ist, mit vorweggenommener nasalierung? allzuoft
spricht J. von entstellung udgl. Latwerge, zb. nennt er eine
Verstümmelung des lat. electuarium, während es doch, vom a ab-
gesehen, eine ganz lautgesetzliche Umbildung des fremden wertes
ist (vgl. lattich, ferge; a kann rom. Ursprungs sein, ital. lattovaro).
das schlesische lakwerk beruht, worauf mich ESchröder aufmerk-
sam macht, auf dem mitteldeutschen Übergang von tw > ktv.
Bemerkenswert sind formen wie zimiätdr <^ signator, da sie
für einstige Verbreitung der roman. ausspräche v für lat. gn in
Deutschland zu sprechen scheinen; ebenso kann z in zmnäsium
auf romanischer ausspräche des g vor palatal beruhen, die in
LESSIAK ÜBER V. UNWERTH 8CHLESISCHE MINDAHT 33
fremdwörtern im westlichen Mitteldeutschland zt. nocli heute
üblich ist: zeografi, zlnDidsium, es wäre noch manches anzu-
merken, denn das lautliche ist nicht gerade die stärkste seite
des vf.s direct zu tadeln ist die anordnung der Wörter nach
einer beliebig herausgegriffenen dialektform; dass die brauchbar-
keit der arbeit als eines nachschlagt werk es sehr darunter leidet,
hätte sich der vf. doch denken sollen.
Bedeutender ist die zweite arbeit, der ich wünsche, dass sie
recht zahlreiche nachfolger auf andern dialektgebieten finden
möge. V. Unwerth gibt uns allerdings kein vollständiges bild
von den schlesischen dialektverhältnissen. wie in Schatzens
Tirol, niundart wird nur die lautliche seite behandelt, auch hat
der vf. abstand genommen von einer vergleichung mit aufser-
schlesischen mundarten und einer begründung seiner ansieht über
den lautlichen entwicklungsgang durch urkundliche belege, wie
sie etwa Weinhold in seiner schrift 'Über deutsche dialekt-
forschung' angestrebt hat. vU. hat es verstanden, das reiche
material bei aller gedrängtheit klar und übersichtlich zu gliedern;
freilich werden bei der gruppierung manche erscheinungen zu-
sammengefasst, die sich in ihrer tatsächlichen Verbreitung nicht
völlig decken, aber dem vf. war es ja in erster Knie nicht darum
zu tun grenzen festzustellen, als vielmehr einen überblick zu er-
möglichen, und man darf sagen, dass er bei der notwendigen
schematisierung die gebotenen grenzen im gi'ofsen und ganzen
nicht überschritten hat. dabei ist ihm der umstand zustatten
gekommen, dass das schlesische, obschon oder wol besser gerade
weil es eine colonialmda. ist, ein einheitlicheres gepräge aufweist
als die meisten stammesmdaa. nicht einverstanden bin ich Jedoch
mit seiner beschränkung auf Preufsisch-Schlesien. wol werden
auch die schlesischen mdaa. auf serhalb der reichsgrenze berück-
sichtigt, aber recht stiefmütterlich in einem anhange, der an Voll-
ständigkeit viel zu wünschen übrig lässt. es ist ein bedenken
principieller art, das ich hier ausspreche: denn nur dann kann
der sprachliche Werdegang innerhalb eines näher zusammenge-
hörigen dialektgebietes annähernd richtig beurteilt werden, wenn
zum mindesten sämtliche dazugehörigen dialekte gleichmälsig
herangezogen werden, und wenn aufserdem auch dem Übergangs-
gebiete die nötige beachtung geschenkt wird, leider scheint, seit
der Sprachatlas an der reichsgrenze halt machen muste, die
politische Scheidewand auch in der dialektologle eine gröfsere
rolle spielen zu wollen, ich zweifle, ob vU. bei seiner auf-
fassung der Chronologie der lautlichen entwicklung (§ 114) ge-
blieben wäre, wenn er sich näher mit den schlesischen mdaa.
aufserhalb der preufsischen provinz befasst hätte, jedenfalls
hätte er die entrundung schwerlich an erste stelle gesetzt, noch
heute wird unmittelbar an der reichsgrenze in Üsterr.-Schlesien
A. F. D. A. XXXIV. 3
34 LESSIAK ÜBKK
rahd. et! von (* geschieden (vgl. Seemüller Deutsche mdaa. n, s. 3 t).
da die gerundeten und ungerundeten parallellaute sich nur durch
Vorhandensein oder fehlen der lippenarticulation unterscheiden,
kann der zusaramenfall erst spät im sonderleben der einzelnen
nntermdaa. eingetreten sein, zweifelhaft erscheint es mir teruer,
ob e (te) bereits zu i geworden war, als i gedehnt wurde und
ob der zusammenfall von e mit gedehntem l überhaupt als ge-
meinschlesischer Vorgang aufzufassen ist. die eben genannte mda.
hat wol e <^ /. aber e «<^ e. auch der Schönhengster gau bietet
zwar ai für gelängtes i (ü), aber e, ue bleiben auf der z-stufe,
ein beweis, dass diese hier erst nach der dehnung des i erreicht
wurde. allein auch im preufsisch-schlesischen selbst scheint
manches dafür zu sprechen, dass der zusammenfall sich keines-
wegs so gleichmäfsig vollzog, so hat das glätzische wol mhd.
c, 0 vor r zu offenem e, ö gewandelt, nicht aber gelängtes /, u.
für einen teil der diphthongierungsmdaa. belegt vU. hair wir,
niair mir, während dieselbe entwicklung bei e [mj zu fehlen
scheint; es begegnen da vielmehr im süden ausweichungen nach
l hin {zir sehr, rivd röhre gegen sonstiges e) ^
Die beurteilung der Verhältnisse in den 'diphthongierungs-
mdaa.' bekundet eine treffliche sprachwissenschaftliche Schulung
des vf.s. dass er die top (topf), snetd (schnitte) auf diphthongische
Vorstufen zurückführt, ist sicher richtig, über die beziehung der
beiden niederschles. diphthongierungsgruppen zu einander habe ich
allerdings eine abweichende meinung, zu der mich die geographische
Verteilung der diphthongierungs- und mouophthongierungserschei-
nungen veranlasst, mit der ich aber aus mangel an genügendem
belegmaterial noch zurückhalten will, der ansieht, dass ein Zu-
sammenhang zwischen dem nördlichen (niederschles.) diphthon-
gierungsgebiet und dem südlichen (österr.-schles. und mährischenj
unwahrscheinlich ist, kann ich nur beipflichten, nur hätte sie vU.
mit einem andern hinweis begründen sollen als damit, dass auch
die Sprachinsel Schönwald bei Gleiwitz ähnliche züge aufweist
wie der österr.-schlesische süden. der umfang der diphthongierung
ist nämlich im süden ein wesentlich andrer: während im nieder-
schlesischen auch die mhd. e, <e. ä, o davon betroffen wurden,
bleiben sie im süden als einfache längen erhalten, umgekehrt er-
scheinen die mhd. ie, uo im norden als monophthonge, während
sie im süden als ei, ai, äi bzw. als ou, cm, au auftreten; nur
'j von principiellem standpunct möchte ich auch das transscriptious-
verfahren beanstanden, wiewol es vU. eigentlich nicht zur last gelegt
werden kann ; so die nichtbezeichnung der offenen laute, die widergabe
von bilabialem ir durch v, von labiodentalem durch iv. es ist bei dem
grofsen gewirr auf diesem gebiete zu beklagen, dass immer wider neue
Iransscriptionssysteme erfunden werden, welche die dialektvergleicliung
aufserordentlich erschweren und schliefslich doch gar keine nennenswerten
vorteile bieten.
V. rN'WKKTll SCHLESISCHE MUNDART 35
die (iiphthongieruug von mlid. /. ü, a deckt sich vollständig, nicht
völlig aber die monophthongierung von ei, ou (ai, au) <; mhd.
t, /'(. mit rücksicht auf die noch weitverbreitete ansieht, dass
diphthongierung mit apokope zusammenhängt, sei besonders
darauf hingewiesen, dass sich das gebiet der diphthongierung
keineswegs mit dem der apokopierung deckt, dass vielmehr der
weitaus gröfsere teil desselben die alten endungsvocale er-
lialten hat.
Von den eischeiuungen auf dem gebiete des vocalismus sei
noch hervorgehoben die besondere entwicklung des ei, öu in
Wörtern wie mhd. ei, hau, also im au^laut, wo es mit dem
dehnungsproduct von mhd. e zusammenfällt, ferner die eigenartige
gestaltung der coutractionsproducte aus mhd. aye, eye, (ige, äge,
oge, (ige (§ 106 ff), die licht zu werfen geeignet ist auf Verhält-
nisse in anderen mdaa. die erklärung der verschiedenen Ver-
tretung von mhd. i'ge scheint mir verfehlt, bei gegen, egede,
egesaui handelt es sich einfach um isolierte formen, in denen
früh die lautgesetzliche diphthongierung eintrat, bei treget usw.
wurde sie zunächst durch systemzwang verhindert, auf lautana-
logie beruht sicherlich der übeigang von s > 5, z nach öa <^
age (wie in zoa-z-a sag es ihnen), da es mit öa ■<] or zusammen-
fiel, es ist im gründe derselbe fall, wenn in niederösterreichischen
dialekten mda.?<3 <C uo nach analogie von lo <C ur unter umständen
zu nr umgebildet wird.
Von hohem Interesse ist der schlesische consonantismus des-
halb, weil er (wie auch der moselfrk. und ripuar.) von der
grofsen consonantenumwälzung, die das nordobd. und centralmd.
betroffen hat. verschont blieb (ein charakteristisches merkmal, das
vU. nicht genügend hervorhebt) und rückschlüsse auf die eh-
maligen Verhältnisse in den östlicheren mdaa. zu machen er-
laubt, mhd. 6, V haben den stimmton in sonorer Umgebung be-
wahrt, fortes und lenes werden im hauptgebiet noch genau ge-
schieden, in bezug auf die Verschiebung des d nach cons. steht
das schlesische insofern auf nordmd. stufe, als nur nach r die
fortis erscheint (görtn), dagegen d nach /, n (natürlich nicht in
'winter, munter'), die bemerkung s. 49 § 67 'altes (westgerm.J
d ist im iulaut nach r geschwunden' gilt nicht einmal für die
angeführten drei Wörter ('werden (!), ordentlich, pferd', vgl. ahd.
jjf'arif'rid). bemerkenswert ist. dass die nachträgliclie Verschiebung
von d'^ t im anlaut fast ganz mit dem obd. übereinstimmt, be-
sonders hinweisen möcht ich auch auf die Verteilung von rz und
rs für rs, die ganz mit der Anz. xxxn 133 gemachten be-
obachtung übereinstimmt, vor allem da vU. ihr keine aufmerk-
samkeit schenkt, es steht in den mdaa., die rs und rz scheiden,
nicht nur örs neben örze, auch kirsd kirsche, pgrs9 bursche neben
hirh, merzl ua. wenn daneben farsd ferse, kirSnä auftritt (vgl.
Michel, Mda. von Seifhennersdorf § 134, 135 u. § 23), so beruht
3*
36 LESSIAK ÜBER
das darauf, dass in dife.sen Wörtern s infolge synkope vor con-
sonanten zu stelin kommen konnte: fersana'^ fersne (daher
bair.-üsterr. auch fersfn wie kerstn neben ferzn, ßzn), kürsencere
]>■ kürsncere und weiterhin so behandelt wurde wie sn im an-
laut, d. h. stimmlos ward, daher Schriftdeutsch kürschner, dessen
erklärung ich aao. schuldig blieb.
An den urspr. Verhältnissen hat das schlesische auch inso-
fern festgehalten als es wenigstens zum teil die alten geminaten
noch bewahrt hat. wie vU. dazu kommt, die möglichkeit der
erhaltung alter doppelconsonanz abzulehnen f§ 105), ist mir in
anbetracht des sonstigen conservativen Verhaltens des schlesischen
gerade in bezug auf den consonantismus unverständlich, nur darin
stimmt es zum teil mit dem östl. md., einschliefslich des rhfrk. und
östl. obd. überein, als es auch den wandel von inl. ft, g zu reibelauten
mitgemacht hat. es muss aber nachdrücklich betont werden, dass
diese spirantische ausspräche nichts ursprüngliches ist (vU. spricht
§ 7S von alter spirans), dass im gesamten ostmd. (ostfrk.-thüring.)
und rhfrk. in ahd. periode verschlusslaut gesprochen wurde;
wie wären sonst die auslautenden j;, A-, die verschlusslaute vor
stimmlosen consonanten hßi alter synkope (vgl. gibt gegen mfrk.
gift) zu erklären? damit soll aber nicht gesagt sein, dass die
im schlesischen zum teil vorkommenden intersonoren h, g gerade
4\e ahd. verschlusslaute repräsentieren, es kann sehr wol neue
rückbildung aus der Zwischenstufe tr. ,^ vorliegen, eine weitere
neuerung des schlesischen ist der teilweise erfolgte Übergang von
mhd. Spirant, fortes nach erhaltener länge oder diphthong zu
lenes, für die weiterhin sogar stimmhafte laute eintraten, da-
gegen hat es, wie bei einer nicht 'erweichenden' und nicht
apokopierenden mda. zu erwarten ist, die mhd. auslautregel fast
in vollem umfange bewahrt (vgl. auch fälle wie Slunp — inlaut
slimd), und zwar herscht noch ganz der alte zustand: es wechselt
nicht nur rot mit rödA') sondern auch mit: a röd is ein rad
ist . . . auf analogie beruht es natürlich, wenn diese regel zum
teil auch auf urspr. fortes übertragen wird: top topf: iöh aus
(§ 62).
Die erscheinung der 'apokope im satzinlaut' d. i. im hiatus
(vgl. § 62, anm. 1 strimp aus für strimpe aus) hätte wol eine
besondere hervorhebung verdient, die tatsache, dass die mdaa.
mit erhaltenem endvocal (auch die südobd.) vor vocalischem an-
laut apokopieren, ist wichtig für die beurteilung der hiatuselision
im mhd.
Im übrigen vermiss ich noch folgendes: eine darstellung
der Umlautsverhältnisse: 1) Verbreitung des e-e und e'-ä
uml. (vor st -h er scheint das gemeinschles. den e - e uml.
aufser gestern nicht zu kennen, also swastdr, doch um Mährisch-
Trübau hier c nicht e! man beachte ferner das teilweise auf-
treten von offenem e-umlaut in kasl kessel, kafyi käfig, knrzs kerze,
V. UNWERTH SCHLESISCHJE MUNDAKT 37
mda. von Sebnitz. auch Schockau. {masv inesser dagegen weist
wie die alem. und auch die bair.-österr. mdaa. welche e und e
scheiden auf urspr. e). 2) Verteilung des ou - öu unil. (vgl. das
eigenartige verhalten der mdaa. in der Schnitzer gegend. wo das
land uml. hat in kaufen, raufen, taufen, erlauben, trimmen,
während ihn die Stadt nicht kennt. Meiche ^91). 3) Ver-
teilung des u - ü uml.
Zu berichtigen bezw. ergänzen wäre folgendes: § 9, 2: das
nebeneinander von ^ — a vor r -j- cons. beruht darauf, dass nament-
lich vor rn, rd frühzeitig dehnung eintrat, uzw. früher als in
offner silbe (vgl. dazu Zs. f. d. mdaa. 1909 s. 5). — § 16: u gilt in
den betr. Wörtern auch sonst im nordmd. ; fast die gleichen fälle
kehren zb. im moselfrk. wider. — § 79: weder (/uarh noch kalk
sind fürs altschlesische mit k anzusetzen, qtiark beruht auf
slaw. tvarog, kalk erscheint auch sonst im ostmd. mit ver-
schobenem k. sarg ist entweder lehnwort aus der schriftsp., es
kann aber auch analogische Umbildung nach hark: harjes vor-
liegen.— § 103: vor ht scheint die Verkürzung nicht allgemein
zu sein, vgl. österr.-schles. hröxfa, Seifhennersdorf cjvlaytn
(Michel § 25).
Zum Schlüsse sei noch ein wünsch ausgesprochen: wir wären
vU. sehr zu danke verpflichtet, wenn er seine arbeit ergänzte:
einerseits durch eine sprachkarte des schles. dialektgebiets
— die beiden beigefügten kärtchen sind doch gar zu unzu-
reichend, anderseits durch eine darstellung der geschichtlichen
entwicklung der mda.. wobei vor allem die slaw. Ortsnamen eine
reiche ausbeute versprechen, dabei müsten allerdings auch die
Verhältnisse in den südlichen und östlichen Sprachinseln (Galizien!)!
eingehend berücksichtigt werden, sowie auch das sprachlich sehr
interessante judendeutsch, das trotz seiner vielfachen Schattierung
wie das schlesische eine einheitliche grundlage voraussetzt und
das im consonantismu;- dem schlesischen sehr nahe kommt (doch
vgl. das altertümliche v für ss), dagegen im vocalismus sich frei-
lich stärker davon unterscheidet (gedehntes /, ü und c, oe ; a und
0; 0 und u sind nicht zusammengefallen), nach diesen vor-
arbeiten wird es auch möglich sein, die näheren zusammenhänge
des schles. mit den übrigen ostmd. mdaa. festzustellen, eine für
die sprach- und Siedlungsgeschichte höchst wichtige aufgäbe,
eine beträchtliche anzahl von entwicklungstendenzen hat ihre
parallele in den andern md. mdaa. sowie im nordbair. am auf-
fallendsten ist wol die doppelte Vertretung des uml. von mhd.
(/ durch a und e {käzj käse: tsej zähe) § 24, 25, die fast genau
in derselben Verteilung in Unterfranken, im östl. Thüringen und
' ich weise bei dieser gelegenheit liiii auf die wol wenig bekannte
Schrift von Llltj-nels 'Xarzecze wilamowickie (Wilheluisauer dialekt)', Tar-
now 1907, die eine reihe von Wilhelmsauer spraohproben bietet, allerdings
in einer sehr primitiven phonet. transscription (püln. 6 für d.ul)
3S LKSSIAK ÜJ5KK V. rNWr.KTIl S( 1 1 1.KMSfll K MIXDAHT
zum teil auch in Sachsen begegnet; vgl. etwa Schmidt, Zs. f.
hd. mda. 6, 332 {a : p: die ö'a des bonnländischen sind natürlich
als junge analogiebildung von der vergleichung auszuschalten),
Lang, Zschorlauer mda. s. 13 ua. im üstl. Thüringen entspricht
dem ä : c meist e (ä) : e. dass eine eingehndere kenntnis der
entwicklungsgeschichte des ostmd. die lösung des problems von
der entstehung der nhd. Schriftsprache fördern wird, steht aufser
frage.
Freiburg i. Ue.. d. 30. vi. 1909. p. Lessiak.
Wort uud Brauch, 4 heft. Die natioiialhj'muen der euro-
päischen Völker von prof. dr Emil Bohn. Breslau, M. & H.
Marcus 190S. 75 ss. — 2,40 m.
Der um die musikpflege in Breslau und um die musikbiblio-
graphie hochverdiente Verfasser ' gibt hier einen für den druck
weiter ausgestalteten Vortrag wider, den er im 112. historischen
concert des von ihm begründeten gesangvereins gehalten hat.
in diesen berühmten historischen concerten hat Bohn äufserst
glücklich seine eigenschaften als musikforscher und praktischer
musiker zu einem ziele zu verwenden gewust. gehn in unserm
falle auch die einzelnen beispiele nicht zu weit in die Vergangen-
heit zurück, so ist doch die Zusammenstellung in anderer weise
anziehend, denn abgesehen von der allen diesen gesängen ge-
meinsamen eigenschaft politischer richtung spielt bei ihnen auch
das volkstümliche wesen eine mehr oder minder große rolle, und
die erforschung volkstümlicher einrichtungen in kunst und leben
ist ja heute stark in den Vordergrund getreten, von dieser seite
ist denn auch der anstofs zur Veröffentlichung ausgegangen,
dabei konnte natürlich im rahmen eines Vortrages, der zunächst
die Vorführung der wichtigsten europäischen volkshymnen be-
zweckte und nur über entstehung von wort und weise das nötigste
hinzufügte, eine Untersuchung über den grad der Volkstümlich-
keit der einzelnen weisen, über die technischen Vorbedingungen
hierzu, über das Verhältnis der ursprünglichen und der zersungenen
fassungen usf. nicht platz linden, auch in dieser anzeige kann
nur auf einiges leicht hingewiesen werden, in einem puucte
müssen nationalhj'mnen mit Volksliedern übereinstimmen: sie
müssen, wenn schon nicht einstimmig erfunden, doch bei ein-
stimmiger widergabe (ohne simultanharmonische beigäbe 'be-
gleitung' wie man sagt) durchaus verständlich sein, dagegen
zeigt sich bei vielen dieser gesänge die eigentümlichkeit, dass
die dichtungen, wenn man diesen ausdruck übei'haupt gebrauchen
darf, weder volkstümlich sind noch künstlerischen wert besitzen,
und dass die tragfähigkeit ihrer melodie allein den ausschlag
' er ist iiizwischeu — am 5 juli 1909 — verschieden.
BIETSCH ÜBER BOHX XATIUXAI.H VMNKN 39
gibt, dadurch unterscheiden sie sich natürlicli von echten volks-
g-esängen, die auch aus der Volksseele heraus g-edichtet sind, in
einer folgeerscheinung berühren sie sich allerding-s wieder: auf
eine beliebte weise werden neue texte ang-ewendet. Carej's 'God
save the King' mit den vielen deutschen umdichtungen ist der
nächstliegende fall, andere fälle erinnern an eine erscheinung
in der geschieh te des kunstliedes vom 17 zum 18 Jahrhundert,
wie man damals etwa beliebten sarabandenmelodien texte unter-
gelegt hat, so werden hier beliebte spielweisen, insbesondere
märsche, zu nationalweisen erklärt, denen dann irgendein vater-
ländischer text zugesellt wird, manchmal ist es zu dieser nach-
träglichen textunterlegung gar nicht gekommen, und wir haben
dann gewissermafsen ein nationallied ohne worte (zb. die
'Marcha reale' in Spanien).
Endlich möcht ich noch erwähnen, dass wir bei diesen ge-
sängen aufser der auch hier würksamen volksmäfsigen abschlei-
fung von wort und weise (man vergleiche die hier gegebene
alte lesart des 'God save the King' mit der heute gebräuchlichen
weise) noch eine zweite kennen lernen, die amtliche änderung
und feststellung einer bestimmten lesart. ein beispiel bietet die
österreichische volkshymne, bei der vor einigen jähren durch
Weisung an alle militärcapellen und schulen die fassung derart
festgestellt wurde, dass der lange Vorschlag im viertletzten tacte
gänzlich zu entfallen habe, während er im nächsten tact beibe-
halten ist.
Bohn bietet 35 melodieen. von denen aber drei (aus Serbien
und Montenegro) nur mit den anfangstacten angegeben sind,
zweifach vertreten sind England, die drei nordischen Staaten, Nie-
derlande, Preufsen. Frankreich, Ungarn; Polen sogar dreifach,
unter Böhmen ist hier nicht die von Deutschen und Tschechen be-
wohnte österreichische provinz zu verstehen, sondern die tsche-
chische nation. bei der aber das von Bohn gebrachte sanfte Skroup-
sche lied gegenwärtig zugunsten schärferer gesänge allslawischer
richtung zurückgetreten ist.
Die älteste unter diesen weisen ist das holländische 'Wil-
helmus von Nassawe'. hier ist der Verfasser einen schritt weiter-
gegangen und bringt drei fassungen des liedes, übersichtlich unterein-
ander gestellt, darunter ist die bekannte lesart aus Valerius
'Gedenck-clanck' weitaus die beste, man möge es nicht als klein-
liche Verfassereitelkeit ansehen, wenn ich hier das bedauern aus-
spreche, dass sich Bohn der landläutigen tacteinteilung bedient,
deren falsche rhythmisierung ich in meiner Untersuchung über
'Die deutsche liedweise" (Wien 1904) s. 62 — 65 glaube nach-
gewiesen zu haben, es muss für moderne niederschrift mit tact-
strichen nach dem ersten ''/4 tact ein -ji tact und dann erst
der zweite ^/4 tact kommen, so im Stollen, ähnlich am schluss
des abgesanges.
40 RIETSCH ÜBER BOHN NATIONAJ^HYMNEN
Der Verfasser beschränkte sich auf die hymnen der euro-
päischen Staaten und Völker, vielleicht wäre zugunsten der drei
repräsentativg-esänge der amerikanischen Unionstaaten eine aus-
nähme willkommen gewesen, umsoniehr als zwei von iiinen
('Yankee doodle' und 'Star spangled banner') englischen Ursprungs
sind und die dritte ('Hail Columbia'J wahrscheinlich einen Deut-
scheu zum componisten hat. eine Studie über dieses lied hat
Sonneck in den sammelbänden der Internationalen musikgesell-
schaft (III 139) veröffentlicht', es ist merkwürdig und ein be-
leg mehr für die fast naturgeschichtliche erscheinung, dass
gewisse ideen in der luft liegen und zugleich an verschiedenen
orten gestalt gewinnen, wenn wir sehen, wie um das Jahr 1901
plötzlich den volkshymuen eine besondere aufmerksamkeit ge-
widmet wird. nachdem Abert in der Zeitschrift der Intern,
musikgesellschaft schon im november 1900 darüber eine Studie
veröffentlicht hatte, die eine Sammlung der hymnen in aussieht stellte,
erschienen im folgenden jähre auiser jener Studie von Sonneck
nicht weniger als vier Sammlungen von nationalgesängen; je eine
in englischer (Brown und Moffat), französischer (Rousseau und Mon-
torgueil), tschechischer spräche (Schimatschek ) und eine allerdings auf
die Staaten des Deutschen reiches beschränkte deutsche (Böhm).
Die reihenfolge der hymnen und ihres erklärenden textes,
w^obei aus technischen gründen die melodieen in einer gesonder-
ten notenbeilage erscheinen, ist nach Sprachengruppen geordnet
(Germanen, Romanen, Griechen, Osmanen, Madjaren, Slawen. Liv-
länder und Finnen), ein alphabetisches Verzeichnis erleichtert
das aufsuchen, den melodieen ist je die erste textstrophe in der
betreffenden spräche untergelegt, was nur gebilligt werden kann,
die Übersetzung dieser und jeweileu auch einer weiteren Strophe
ist im erklärenden text gegeben, ihre beigäbe zur melodie
unterhalb des Originaltextes wäre etwa ein wünsch für eine
zweite aufläge.
Prag im märz 1909. Heinrich Kietseh.
Brennu-Njälssaga, herausgegeben von Fiuiiur Jönsson. [Altnordische
sagabibliothek xiii] Halle a. S., Xiemeyer, 190S. xlvi u. 452 ss. —
12 m.
Eine neue Njälaausgabe ist ein frohes ereignis; die editionen
des Oldskrift-selskab leiden an äufseren und inneren mangeln,
die einen neuen text längst wünschenswert machten, man darf
sagen, dass die hoft'nungen, die mau au die ankündigung von
Finuur Jönssons neuer Njäla knüpfen muste, durch die vor-
liegende ausgäbe erfüllt werden, die Strophen erfahren die be-
' ein mittlerweile erschieneiie.s buch desselben Verfassers über diese
drei lieder und ein viertes ('America') [Washington 1909] habe ich noch
nicht einsehen können.
NECKEL ÜBEK FINNUR JONSSON BRKXNU-NJALSSAGA 41
handlung die schon Giulbrandur Vigfusson als richtig erkannte,
und die dann nanientlicli Lehmann-Sclinorr und Finnur selbst
des näheren begründet haben, das ist der am meisten in die
äugen springende fortschritt. zu den abweichungeu im einzelnen
bemerk ich nur folgendes wenige. s. 87, 13.14 ist e2)tir
Bry)ijölfi rösta beibehalten, aber der Olvir rösta der Ftb. (ii
436 uö.) zeigt, dass hiei' mit GJ röstii zu lesen ist. auch kann
man mit der Wortstellung näher bei den hss. bleiben: eptir Br.
fremd a sfnum, röstu. — 126,11 vermisst man den satz kann
spuröi at pingf'esti ok at heimüisf'angl (vgl. Aarboger 1904,
122 f. und zu 161,11). — 144,8 ist dagegen wol at henjum zu
streichen; die benjar dürften von fällen wie 124,24 übertragen
sein, aber nicht, wie Lehmann-Schnorr wollten, durch den verf.,
sondern durch einen gedankenlosen Schreiber; diese aus inneren
gründen sich am meisten empfehlende auffassung wird durch das
fehlen der beiden worte in der wichtigen hs. Gr unterstützt. —
155, 23. 24 ist die interpunction vor und hinter Mdeidarhväl
aus der älteren ausg. übernommen, die damit gegebene Inter-
pretation verträgt sich jedoch schwerlich mit 151,1. 152, 2 — 4.
Njäl führt an, Gunnar habe für den Möeidarhväl, auf den sein
bruder berechtigten anspruch erhoben hat, andere werte als
sonarhoeir geboten, was jenen anspruch des Kolskegg betrifft,
so versteht man ihn und den ganzen Zusammenhang, glaub ich,
erst recht bei der annähme, dass Gunnar und Kolskegg ver-
schiedene mütter hatten, wozu auch stimmt, dass die Laudnama
letzteren nicht kennt. Kolsk. hatte von seiner mutter den
Möeidarhväl geerbt, da aber die brüder zusammen wirtschafteten
(vgl. zb. 93,18. 115,8. 132,18), so konnte das Sondereigentum
des jüngeren wol einmal in Vergessenheit geraten.
Störend würken gewisse ungleichmäfsigkeiten der Orthographie,
man liest hefnä 96,20. 292,6. 398,5, sigWu 199,4, 405,15,
flfidl 199,16, hvüdi 303,17. 319,15, hjfldiz ?,n,1b; Aber hefnda
299,18, mannhefnäir 310,26, stefndi(u) 295,18. 301,22, slgndu
301,34, efldi 235,0. 237,3, sigldi 177,8. 181,5 und sogar skildu
152,14 uö. ein teil dieser formen ist in einem text des 13 jh.s
nicht zu rechtfertigen: wir müssen schreiben skildu, aber hvildi,
s. Geländer Arkiv 22,24 (über hefnd, sigldi ebd. 28. 33). — die
interpunction ist öfters etwas sorglos behandelt, teils fehlen die
anführungszeichen (79,9. 80,19. 103.29. 30. 304,25. 315,8.
337.14. 347,3. 355,13. 368,5), teils sind sie fälschlich und den
anfänger irreführend gesetzt (66,1. 315,2. 317,9. 328,4). ähn-
lich steht es mit fragezeichen und komma. (an sonstigen druck-
und Schreibfehlern hab ich notiert: 132,21 1. eigi. zu 175,5. 6 1.
seine mutter. zu 115,14 1. Hrafnkdl. 269,30 1. gllmn.
340,8 1. vldf. 3b9,H \. söknargggn. zu 386,24 1. ist statt,. 401
note r. zeile 5 1. tochter. 421,5 1. h'tti.) während die texte
der sagabibliothek und so auch der unsrige im allgem. mit absätzen
42 NKCKKL i'JiKH
sehr freigebig' sind, begegnet es hier sehr oft, dass ein wichtiger
Sinnesabschnitt sich niclit anders im drucke ausprägt als durch
die fette Ziffer.
Auch die aunierkungen machen hie und da den eindruck.
als hätten sie die allerletzte redaction entbehren müssen, wenn
der ausdruck reyndr, der schon 70,17 vorkommt, erst bei 71,17
erkläit wird, so ist das nur ein beispiel für mehrere, um nicht
zu sagen viele, derselben art. unpraktisch find ich noten wie
diese: ^Lwidi, ein haupthof des tales, das infolgedessen auch
Lundarreykjardah' heifst' (23,9); ^Bjarnarfirdfl, dieser fjord . . .'
(2ß,2i); 'BergpörslrvnU , dieser berühmte hof . . .' (4S,5);
^Rimmugygi, hier zum ersten male mit namen genannt . . .'
(212.5). der buchstäbliche anschluss an den Wortlaut im texte
mutet dem leser zu wenig zu, die verschweigung der grundform
aber vielleicht manchmal zu viel! ein nachdenklicher mag auch
wol fragen, wie denn jener hof im mittelalter eigentlich hiefs,
ob Lmulr, wie das register zur Landnämabok angibt (heute
Lundur), oder vielleicht cd Lundi? in der zweiten hälfte des
bnches ändert sich übrigens das verfahren. da wird auf
/ VeUaudkgtlu, frä Gjähakka bezug genommen mit ^VeUandkatln',
'Gjdbakki' (244,15, vgl. 293,1. 332,12).
Die Übersetzungen erfreuen häufig durch äufserst präcise
fassung des phrasensinnes. doch wäre eine erklärung an einigen
stellen förderlicher als die beste Übersetzung, bei einem begriff
wie hgffr gerzkr (70,11) ist letztere allein überflüssig, allzu
frei widergegeben ist 209,26 margir kjösa eigi or& n sik ('man
kann sich die scheltreden nicht immer aussuchen'), wenn Hrödny.
Niäls frühere f'rlUa, an das bett des ehepaares tritt mit den
Worten statt 'pi'i vpp ör hingiimm frä elju iiiiiDii . . .' (22 7,4).
so ist das für den commentar ein 'ungewöhnlicher gebrauch des
Wortes, das sonst nebenweib, kebse bezeichnet; es war also eher
Hrödn}' selbst, die eine elja BergJ)öras war', das wort bezeichnet
hier nichts anderes als sonst, das besondere ist nur die pointe
die die Sprecherin in ihre aufforderung legt, derselbe einwand
richtet sich gegen 13S. 23, wo die formulierung 'uneigentlicher
gebrauch' die sache wenig trifft. 252,10 handelt es sich um
keinen Widerspruch im texte, sondern einfach um eine lüge.
274,29: das mit dem 'unhistorischen ist gewis richtig, aber es
hätte dabei auch hervorgehoben werden müssen, dass die scharfe
antwort psychologisch sehr wol begründet ist; unheilsweissagung
grenzte an beleidigung. vgl. in der Njäla selbst I'örir 138,25,
Brödir 408,3; Asgrim kennt Skarphedins Stimmung (277, 3 — 4.
279,12). denselben übel angebrachten rationalismus — wenn
ich so sagen darf — find ich in der erklärung von .sr^r koihhir
29,13. der ausdruck, der auch (16,22 vorkommt, ist ni. e. über-
tragen aus haf kolhlätt (vgl. eddisch hUay unnir) und bezeichnet
einfach das tiefe meer oder den dickea wasserstrom. — spar-
FINNUR JONSSOX BREXXU-N.TALSSAGA 43
sam ist der commentar in syntaktischen erläuterung-en, auch da.
wo sie vielleicht manchem nützen könnten, so passieren die
nicht ganz seltenen anakoluthe des autors öfters ohne note
(50,8 — 10. 69,26); 38.2 ist eine durchsichtige contamination, wie
es scheint, nicht klar erkannt, dass ek vi! ißr heitt hafa (328.1)
nicht 'eine art fut. ex.' ist, zeigen schon die parallelstellen
358,27. 386,18. besser als das Schlagwort 'attraction' wäre bei
taka fari (vgl. fä fari), es unerkLärt zu lassen (388,9). — eine
erläuterung der namensform Ska)nkell (=Ketill hin skammi,
Gislason Nj. ii 261) wäre nicht überflüssig gewesen (106,2). zu
dem skarhand 70,11 hätte auch auf 336,12, auf Kormäks Sigur-
dardräpa und das Ingeldslied verwiesen werden können; bei
134,4. 5 auf Storni Arkiv 9,213; bei 220,8 auf adän. nueth od
oc mceth ceg; bei häkr 276,14 auf ordhnkr; bei sannasf ok
rettast ok heizt af Iggum 349,22 auf den formelhaften Charakter
dieser kette (Heusler Zwei Isl.-geschichten xlii); bei 37,5 auf
Heinzel Beschreibung 288 f. (vgl. auch Bärdar s. 17: kann var
i gram ktifU ok svardreip um sik). firn 145,3 würd «ch auf
das ausgraben der leichen beziehen; das sfef'na til nhelgi wurde
ja sonst anders gemacht (Austfird. sog. 156 f.). — dass Kol von
Gunnar 'geschlagen' worden sei (146,5. 6 uö., schon in der
abhandlung von 1904), beruht auf Verwechslung. — der satz
90,1 bezieht sich auf Njäls äufserung 87,9 — 11. — gö&r af
hestinum 132,26 kann m. e, nur heifsen 'freigebig mit dem
hengst', und dies allein passt in den Zusammenhang. — Orgum-
leiöi 188,10 kann mit fqgmmkinni offenbar nicht verglichen
werden, es ist == qrgtim leifJr, 'den bösen verhasst oder feind-
lich", also ein ironischer heldenname wie Gelrölfr gerpir. —
grau 207.23 dürfte eine beziehung zu grdlyndr usw. haben,
nicht einfach auf die 'natürliche' hautfarbe gehn. — strandar
val in der Strophe der Steinun 240 f. wird doch wol wörtlicher
zu nehmen sein, jedesfalls ist val gesagt in beziehung auf das
verbum rnku, also halbkenning wie die von Gudbrandur Vigf.
Bärd. 144 aufgeführten. — ofarUga klegja 359,21 zielt klärlich
auf das kopfkratzeu des sorgenvollen. — die skjnldhorg des
Brjän stellte der sagaschreiber sich etwa so vor, wie der Edda-
sammler und schon der dichter der Helreid sich den schildzaun
der walkyrje dachten (vgl. 410,4. 411,20 — 21), und insofern hat
FJ. Aarboger 1904, 163 und note zu 409,20 recht, dass diese
Vorstellung aber auf einem epigonenhaften misverständnis beruht,
zeigen unzweideutige stellen wie Egilss. (Kopenh. ausg.) 64 f.,
Hkr. 2,459. die echte schildburg bestand aus schildtragenden
kriegern, so noch bei Stiklastadir und später, von hier aus
fällt erst das rechte licht auf das Verhältnis der saga zu der
irischen Überlieferung. — ßanghrandv (231,15) 'entspricht' nicht
TJanchrant, sondern ist an aisl. pang {Jx^nguU) angelehnt {ng
bezeugt durch reim bei Steinun 2 11.7). — die erklärung von
44 NECKEL ÜBER
vmdrcedi 340,30 ist ein lapsus: den e-ablaut zu vandr repräsen-
tiert vielmehr vindr. das e erklärt sich durch einen ähnlichen
vorg'ang- wie das a von nakkvai-, wie dieses neben nekkvat zu
nekkverr gebildet wurde, so — umgekehrt — vendrwdi neben
vandrce(Ji zu candrädr, vandrdd'mn.
Zu dem münzkundlichen 'nachtrag' s. 422 sei bemerkt, dass
neuerdings \'altyr Gudmundsson in der festichrift für Wimmer
(= Tidsskr. f. til. in r., 1 7) eine ganz andere — m. e. die einzig
richtige auffassung geltend gemacht hat. aus der niQrk vaömäls
darf man nicht ohne weiteres auf die 'eile silbers' schliefsen.
diese bleibt unbegreiflich, während die Silbergewichtsangabe beim
i-admdl darauf beruhen wird, dass vor der Avikingzeit G eilen
vaömal wirklich 1 eyri silfrs galten; der h^geyrir ist ein vor-
geschichtlicher münzfuls. Valtys darlegung von der unzuver-
lässigkeit der Gragässtelle verträgt übrigens noch eine ergänzung.
die tendenz der stelle ist nämlich deutlich die eines laudator
temporis acti. von den Verhältnissen der eigenen zeit ausgehend,
construiert der verf. zaghaft ein ideales altertum. das in wichtigen
beziehungen noch weit hinter der historischen würklichkeit zu-
rückbleibt, der satz ok var pd alt eitf, talit ok regit besagt
nicht 'man wog die münze damals nur', sondern 'die gezählte
münze hatte immer das volle gewicht'.
Die einleitung bringt ua. eine chronologische Übersicht über
die in der saga erzählten ereignisse. diese an sich dankenswerte
tabelle beruht auf der Voraussetzung, dass die saga in ihren
factischen angaben wesentlich historisch sei, eine annähme, die
z. t. starken bedenken unterligt. FJ. hält selbst den quellen-
wert der Gunnargeschichte für gering, und doch setzt er für
Hnits Weissagung, seine reise nach Norwegen, ünns beide thing-
reisen udgl. bestimmte Jahreszahlen an. dass diesen zahlen
aller Wahrscheinlichkeit nach jegliche realität abgeht, darüber
muss sich der beuutzer des buches klar sein, dies hängt zu-
sammen mit der frage nach der entstehung der saga, nach dem
Verhältnis des Verfassers zu seinen quellen, der herausgeber hat
seine anschauungen hierüber etwas geändert — die Gunnarge-
schichte ist ihm jetzt 'ein fabricat von verhältnismäi'sig jungem
datum, zusammengestellt auf grund alter und verblichener er-
iunerungen und verderbter traditionen' — , aber er steht doch
methodisch noch auf dem früheren standpunct: er hält es für
ausgemacht, dass der überlieferte text durch flicken und inter-
polieren aus einem alten kern, der eigentlichen Njälssaga, ent-
standen sei, und erklärt infolgedessen eine Charakteristik des
vf.s für unmöglich, die beobachtungeu auf die sich diese auf-
fassung beruft, sind gewiss nicht alle belanglos: im gegenteil, es
bieten sich der textkritik sogar noch mehr handhaben als FJ.
angreift, aber teils aus diesem gründe, teils weil aus richtigen
Prämissen anfechtbare Schlüsse gezogen werden, kann ich die
FINNUR JOXSSOX imKXNU-NMALSSAGA 45
constructioü des herausgebers nicht gelten lassen, eine würkliche
auseinandersetzung mit ihr erfordert einen eigenen aufsatz. hier
darf ich mich mit einigen tatsachen begnügen, aus denen her-
vorgehn dürfte, dass wir es mit einem würklichen Verfasser
der Njäla so wie sie ist' zu tun haben.
1) Der Kristni{)ätt, der an unrichtiger chronologischer stelle
steht, spielt gleichwol die rolle, dass er das isländische leben
plötzlich mit bis dahin ganz unbekannten christlichen glaubens-
und cultuseleraenten durchsetzt: Ämundi 248 (hierauf hat schon
BSäth hingewiesen). Valgard 250, H(jskuld 255, Hildigunn 265,
fyrir guös sakir, kirkjugardr 285, tidir 294 usw. — mindestens
24 erwähnungen, der Schlussversöhnung zu geschweigen. 2) das
juristische in l*orgeirs erwägungen 246 erinnert an Njals
äulserung 155, 21. 3) ebenso das religionsgespräch zwischen
I*angbrand und Steinun 240 f. an das rechtsgespräch zwischen
Njal und M^rd 147 f. und den dialog Njäl-Skapti 220 f. 4) die
saga hat die auffallende ueigung. die directe rede durch ein in-
quit an stellen zu unterbrechen, au denen keinerlei natürliche
pause ligt. so zb. 146,4. 150,11. 153,29. 171,1. 175,16.
183,22. 387,19. und ebenso 239,3, im KristnilDätt. 5) ebenso
wie das charakteristische gespräch zwischen Njäl und seinen auf-
brechenden söhnen zweimal vorkommt (101. 210j, so auch eine
äufserung Njäls über seine söhne: mit 97, 15 — 18 vgl. 230,
6 — 8, eine stelle, die der Lyting-episode angehört. 6) H^skuld
Njälsson wird auf einsamem ritt überfallen, an diese möglichkeit
denkt sein bruder schon 102,4. 7) einer der auffallendsten und
eigenartigsten züge der saga ist ihr interesse für recht, rechts-
formen und rechtsformeln. in letzteren schwelgt sie geradezu,
je mehrfach begegnen lysi ek Igglysing, kved ek yör l(^gkv(^d,
haud kann Iggboäfi, einmal stefni ek Iggstefnu. nach diesem so-
mit ganz geläufigen typus bildet Skarphedin seinen scherz eggjar
mödir vär oss nü Iggeggjan (228, 4). das ist beim aufbruch zur
räche an Lyting. solche anspielungen liebt der vf. auch sonst,
vgl. at eigi skapi HaUgerdr per aldr 87, 2 (vgl. pessar meyjar
skapa mgnnum aldr, SnE, von den nornen). 8) in der Njäla
wie in andern sogur spielt die Steigerung eine grofse rolle,
wie im einzelnen, so im aufbau des ganzen, wie schon Heinzel
Beschreibung 284 bemerkt hat, stilisiert sie den verlauf der feind-
schaft zwischen Bergpöra und Hallgerd; die auslandreisen der
Isländer werden immer länger, ereignis- und personenreicher, sie
steigen zu kleinen und grofsen staatsactionen empor; ebenso be-
wegen sich die widerkehreuden processschilderungen von der skizze
zum ausgeführten colossalgemälde. 9 u. 10) die saga ist reich
an menschlichen Werturteilen, deren ethos überall dasselbe bleibt,
aber keineswegs überall mit dem ethos des Stoffes übereinstimmt, ihre
liebling-sbelden sind nicht blofs ehrlich und gerecht; ein hervor-
stechender zug bei Hrüt ist grofsmut, bei Gunnar und Njal
46 XECKEL ÜBEK FIXXUK JciNSSOX BitEXXU->'JAL,Si<;AÜA
friedfertigkeit, bei eisterem aufserdera wohvollen und Zartgefühl,
Kari würde ohne das gebot der blutrache vor der christlichen
moral glänzend dastehn, Hnskuld Hvitanessgodi vollends ist die
bescheidenheit und Sanftmut selbst und stirbt einen märtyrertod.
ein ähnlicher märtyrer ist Brjän, und das lob das ihm gespendet
wird, erinnert auch an Hfjskuld. Korml^d dagegen ist eine
Schwester der Hallgerd, ihre Charakteristik 402,1 — 3 passt
auch auf diese, und die sehr eigenartige wendung mit s/dif'rntt
kennen wir aus 19, 11, wie själf'rddr überhaupt ein lieblings-
ausdruck der Njdla ist (s. Fritzner iii 262). wer freilich für
die oft handgreiflich stilisierende Charakteristik in den sagas aus-
schliefslich die historische würklichkeit verantwortlich macht,
wird diese beobachtung leicht abtun wollen, wie schlecht be-
gründet aber jene ansieht ist, sieht man — um nur ein beispiel
zu nennen — an Käri, dessen wesen zum guten teil nur das
negativ, das vornehme widerspiel , zu dem seines genossen
Björn ist.
Würkliche Interpolationen tinde ich keine einzige, die un-
leugbaren schlechten nähte und Verschiedenheiten zwischen den
teilen der composition können zt. auf der Verarbeitung fertiger
schriftlicher quellen durch den autor beruhen (vgl. Heusler DLz.
1909, 735j, teils werden sie schon zwischen den einzelnen stücken
der tradition vorhanden gewesen sein, diese Verhältnisse im
einzelnen zu untersuchen — wozu uns^ wie ich meine, nicht alle
mittel fehlen — ist hier nicht der ort. — warum kann nicht
ein meisterwerk wie die Njäla noch am ausgange des 13 jh.s
geschaffen worden sein? zu diesem zeitpunct passt auch die
'mislungene nachbildung einer legende', die der hgb. in der er-
zählung von Amundis räche findet, eine sehr ähnliche religiöse
Verklärung erfährt die rachepflicht in der Hävardarsaga (c. xi).
Breslau, april 1909. Gustav Neekel.
(Nachtrag vom december 1909.) Die redaction gestattet
mir, hier Stellung zu nehmen zu einem kritischen angriff, den ich
soeben durch Finnur Jönsson erfahre (Zs. f. d. ph. 41, 381 — S8).
FJ. versteht so wenig die fragestellung und betrachtungsweise
meiner Beiträge zur Eddaforschung, dass er dem vf. meinungen
beilegt, die dieser nirgends ausgesprochen hat, mit entrüsteten
ausrufen und unklaren allgemeinheiten zu felde zieht und selbst da,
wo seine ausstellungen im kern berechtigt sind, durch wolfeiles
wirtschaften mit losgerissenen einzelheiten sich selbst ins unrecht
setzt, allerdings konnte ich von diesem beurteiler am wenigsten
erwarten, dass er versuchen würde etwas aus meinem buche zu
lernen, hat doch FJ. schon seit jähr und tag aus den arbeiten
seiner fachgenossen so gut wie nichts gelernt; und überdies
wandle ich auf wegen, die seinen geleisen nur selten parallel
gehn. am meisten verdrossen hat ihn, so scheint es, meine these
NECKEL GEGEN FINNUR JONSSON 17
Über das Ynglingatal. obgleich ich nicht der erste ketzer bin,
versteht FJ. noch immer nicht, wie man an der überlieferten
datieriing zweifeln kann, für ihn ist es einerlei, ob man ein
werk wie das Yt. der isländischen gelehi'samkeit des 12 jh.s oder
ein werk wie die Voluspä dem S;emund zuschreibt! so bleiben ihm
manche skrupel erspart, dass ich einen zwingenden beweis für meine
ansieht nicht führen könne, hatte ich von vornherein zugegeben,
ich bilde mir auch heute nicht ein, das problem des Yt. aus der
weit geschafft zu haben, doch auch FJ. kann dies verdienst nicht
für sich in anspruch nehmen, die anzeichen mehren sich, dass
der bequeme glaube au die Zuverlässigkeit der isl. traditiou
schlimmen Zeiten entgegengeht. — das Yt. ist das einzige der
von mir behandelten denkmäler, auf das der rec. näher eingeht,
er spricht 6 engbedruckte Seiten lang über Beiträge zur Edda-
forschung mit excursen zur heldensage (und zwar angeblich
über die hauptpuncte), ohne bei einem einzigen Eddaliede oder
einer einzigen frage der germanischen heldensage zu verweilen,
dagegen ergeht er sich etwas ausführlicher über meine Inter-
pretation einzelner stellen und auch über die beweiskraft der von
mir untersuchten bindungsverhältnisse. was jene betrifft, so tinde
ich FJ.s abweichende auft'assung (die er in die form einer dog-
matischen belehrung kleidet) nur in einem teil der fälle annehm-
bar oder doch erwägenswert, es steht keineswegs so, dass ich
nach neuen Interpretationen 'geradezu jage', vielmehr befestigt
sich bei mir immer mehr die Überzeugung, dass unter den her-
kömmlichen interpretationen der isl. gelehrten viele nieten sind,
manches, was mehr aus einer seichten, papierenen logik fliefst,
als aus dem lebendigen Sprachgefühl (das gegenüber den alten
texten eben manchmal versagt), geschweige aus einem hineindenken
in den Zusammenhang, einem einfühlen in stil und geist des
dichters. wie es gerade in dieser letzten hinsieht FJ. an sich
fehlen lässt, dafür hab ich oben und Zs. 51, llOf. ein paar be-
lege gegeben; weitere liefert er in seiner rec. und der iv band
der Heimskringla verdient es von dem benutzer daraufhin ge-
prüft zu werden, was sleglnn sess7neidum und andere stellen be-
trifft, bei deren beurteilung die Sprachgeschichte in betracht kommt,
so hat FJ, mich einfach nicht verstanden, 'die einzig richtige
auffassung ist die alte'; 'ich halte an meiner erklärung fest' —
wenn man solche sätze list, denkt man sie sich als motto über
FJ.s gesamter kritischer schriftstellerei. — und nun zu den bin-
dungen! ich muss hier zunächst feststellen, dass der rec. meine
äufserungen in wesentlichen puncten falsch widergibt, keineswegs
hab ich die 'gefährliche behauptung' aufgestellt, dass jede Über-
schreitung der helminggrenze von vornherein irgend eine 'an-
nähme begründe' (s. bei mir s. 22). ich habe nichts dergleichen
'beweisen' wollen, wie mir s. 384 untergeschoben wird, was mit
meiner eben dort erwähnten und verurteilten 'theorie' gemeint
48 NKCKEL GEGEN FINNüR JONSSON
ist, bleibt mir dunkel, von dieser gar nicht vorhandenen theorie
wird weiter gesagt, sie müsse an der form des Yt. 'scheitern',
und zwar nach meinen 'eigenen Worten", diese letzte Wendung
zielt auf s. 389 meines buches. dort ist nicht nur dem Wort-
laut nach etwas anderes gesagt, sondern FJ. presst auch den
Zusammenhang in einer weise die befremden muss, auch wenn
man berücksichtigt, dass er augenscheinlich für mein buch wenig
zeit übrig gehabt hat. skeptische beobachtungeu am Yt. (und
an der Ragnarsdräpa) haben sich mir schon aufgedrängt, eh ich
anf die bindungen aufmerksam wurde, und eh ich von den ar-
beiten Bugges und meiner andern Vorgänger wüste, ich consta-
tiere dies ausdrücklich, weil mein gegner es so hinstellt, als
könne man nur aus gründen die eigentlich aulserhalb der sache
liegen, oder um einer verzweifelten 'theorie" willen an der echt-
heit des Yt. irre werden. — in seinen 'erwägungen, deren be-
rechtigung nicht zweifelhaft sein kann', tind ich keinen bessern
sinn (sie sind offenbar sehr flüchtig hingeschrieben), als dass FJ.
meine beiden grundvoraussetzungen leugnet: die erkennbare würk-
samkeit einer tradition und eine erkennbare gleichartigkeit im
verfahren des einzelnen dichters. wer diese Voraussetzungen
leugnet, setzt sich in Widerspruch zu offenkundigen, zt. trivialen
tatsachen. muss ich wirklich an den wgerm. hakenstil erinnern,
an die erblichkeit des festen helmings im skald. kviduhätt, an
das zusammengehn skald. bindungen mit skald. habitus überhaupt
in gewissen Eddatexten, an das widerkehren ganz bestimmter
gliederungstypen (vgl. Anz. xxxii 269) V neben dem traditio-
nellen factor kann der individuelle hauptsächlich insofern zur
geltung kommen, als er aus einer etwa vorhandenen mannig-
faltigkeit von Vorbildern eine auswahl trifft, hieraus erklärt es
sich, dass dichter von verschiedenem formgefühl gleichzeitig sein
können. FJ. hält mir diese selbstvei'ständlichkeit entgegen, als
wenn sie mir ganz entgangen wäre, hat er mein buch würklich
ganz gelesen? was zweitens den einzelnen dichter betrifft, so
kann sich zwar das formgefühl im laufe eines lebens verschieben
(wir wissen derartiges, um eine nicht sehr fernliegende parallele
zu nennen, von Shakespeare), aber in so kurzen liedern wie den
eddischen dürfen wir eine weitgehnde gleichförmigkeit erwarten,
soweit sie von einer band herrühren, überall, wo wir diese
gleichförmigkeit finden, da spricht auch sonst alles für einheitlich-
keit des textes. wo hingegen die bindungen bunt durcheinander
gehn, da pflegen auch andere kriterien ungleichen alters nicht
zu fehlen, die fruchtbarkeit dieses gesichtspunctes mein ich an
mehr als einem beispiel erwiesen zu haben. — es seh eint aber
(klar ausgesprochen wird es nicht), als hätte der rec, wenn er
von meiner 'theorie' spricht, noch ein drittes im äuge: die an-
nähme ags. einflusses. diese annähme ist natürlich FJ. höchst
unsympathisch, ob er sie für die Hofudlausn bestreiten kann,
NECKEL GEGEN FINNUK JÖXSSON 49
weii's ich nicht, im übrigen muss ich hervorheben, dass ich mir
das aufliommen des festen helmings auch ohne jene annähme er-
klären könnte (s. s. 4M! meines buches). das letzte wort über
diese entwicklungsgeschichtlichen fragen ist noch nicht gesprochen,
aber selbst wenn man jenen bindnngstypus schon für das 9 jh.
ansetzen müste, so tiele, soweit ich sehe, keiner von dim Schlüssen
die ich aus den bindungsverhältnissen gezogen habe, sondern nur
jene annähme ags. einflusses. F.T. erregt seinen lesern den un-
klaren eindruck, als huldige ich einer willkürlichen und unge-
heuerlichen methode. in würklichkeit hab ich bei keinem denk-
mal das alter unmittelbar aus den bindungen ablesen wollen,
ich habe mich im gegenteil bemüht, möglichst viele und ver-
schiedenartige kriterien mobil zu machen, um über die entstehung
der überlieferten einheiten und ihre litterarhistorische Stellung
klarer zu werden, als man es bei der lectüre von FJ.s litteratur-
geschichte mit ihren kategorischen entscheidungen wird, dass
dies verfahren einen fortschritt bedeute, für die textkritik und
für die altersfragen , das hoffte ich anerkannt zu sehen, statt
dessen schlägt der autor der Lit. bist, blindlings los auf das
wichtigste der von mir verwerteten neuen kriterien. seine 'er-
wägungen' können mich in keiner weise davon überzeugen, dass
ich von den bindungen einen principiell unzulässigen gebrauch
gemacht hätte, nach wie vor behaupt ich, dass sie nicht blofs
für die beschreibung der Eddalieder, sondern für die eddische
litteraturgeschichte von bedeutung sind, gewis hätte ein meister
die aufgäbe sicherer angegriffen und besser gelöst als ich, das
empfind ich längst sehr lebhaft; aber FJ.s recension ist nicht
dazu angetan, mir die vollkommene leistung, die mir vorschwebt,
anschaulicher zu machen. G. N.
Floovent-studien. Untersuchungen zur altfranzösischen epik. von
«ustav Broekstedt. Kiel, Robert Cordes, 19üT. Vlli u. 164 ss.
8°. — 7 m.
Diese Flooventstudien bestehn aus zwei teilen, in beiden
zeigt der vf., dass er über hübsche kenntnisse verfügt, dass der
umfang seiner lectüre ein erfreulicher ist, dass er die gäbe be-
sitzt, seiner darstellung ein lebhaftes gepräge zu verleihen, aber
um sein combinationstalent und die handhabung der methode ist
es schlimm, sehr schlimm bestellt, allerdings treten diese mängel
in dem ersten teil, der als Kieler dissertation gedruckt ist, nicht
so sehr hervor, denn hier bewegt der vf. sich in einem engeren
kreise, hier gilt es nämlich den grad des Zusammenhanges zwischen
dem afrz. Floovent und den ital. Fioravante und Buovo festzu-
stellen, und so tragen die resultate dieses ersten teils im grofsen
und ganzen einen gesunden Charakter, aber der zweite teil, der
sich mit den quellen der genannten dichtungen beschäftigt! ich
A. F. D. A. XXXIV. 4
50 BLÖTE ÜBER
habe beim durchlesen manchmal nicht anders gedacht, als dass
in dem vf. eine humoristische ader stecke, und dass er die in der
Sagenforschung beliebte beweisführung mit weitentlegenen paral-
lelen einmal gehörig habe parodieren wollen, ich muste aber all-
mählich diesen gedanken aufgeben, nicht weil es an humoristischen
momenten irefehlt hätte (zb. Sigurds mutter als Pariser kauf-
mann; der nordische Gripir als Pariser bürger, als eremit, als
Eicliier, Floovents freund: Odin angedeutet als papst oder als
Alexander der Grofse; Krynhild als bezaubertes Ijronzenes bild
udgl.), aber das auf gebot der verschiedenartigsten sagen- und
märchenstoffe sah denn doch für eine parodie zu ernst aus.
Er. hat eine wahrhaft visionäre gäbe für sagenparallelen,
die aufserdem voneinander abhängig sein sollen, da er besonders
betont, dass der Flooventdichter, von dem übrigens auch der
Fioravante und die bearbeitung des Beuve de Hanstone zum Buovo
herrühren sollen, die nordische Sigurdsage für seine dichtungen
benutzt hat und infolgedessen aus diesen dichtungen wertvoller
aufschluss für den ursprünglichen Charakter der nordischen sage
zu erwarten ist, so greif ich aus den vielen sich auf diesen Zu-
sammenhang beziehenden . verzweifelten 'parallelen" eine einzige
zur Charakterisierung heraus, die ich nicht weiter zu commen-
tieren brauche, wenn im Buovo der bruder des künigs die könig-
lichen kleider und insignien anlegt, um den beiden (Buovo) ins
verderben zu locken (dieser soll einem sultan einen brief über-
bringen, der den befehl enthält, den Überbringer zu töten), so
heilst es bei Br.: 'die quelle dieser episode ist offenbar das ,,ge-
staltenaustauschmotiv der Sigurdsage, die geschichte der über-
listung Brynhilds durch Sigurd, der in Gunuars gestalt vor ihr
erscheint und sie dadurch zu einem entschluss bringt, den sie,
hätte sie gewust, wer vor ihr stand, nie gefasst hätte' (s. 130). —
auf diese weise gewinnt der vf. mehrere scheinresultate. ich nenne
einige: der ital. Fioravante. die ital. bearbeitung des Beuve de
Hanstone sind arbeiten des Flooventdichters (s. 65), oder wahr-
scheinlicher, die verschiedenen Versionen sind aus einer von ihm
inspirierten schule (s. 64) lauch der Hüon von Bordeaux [s. 159],'
das Coronement Loois, der Gormont et Isembart, das Moniage
Guillaume [s. 155] haben ihn — oder seine schule? — zum Ver-
fasser, der beweis wird allerdings erst in späteren Studien ge-
geben werden); der Flooventdichter hat den Floovent, den Fiora-
vante und den Buovo ua, aus motiven der Sigurdsage aufgebaut
bezw. durchsetzt; als der dichter seine Jugendarbeit — den Floo-
vent — im alter wider aufnahm, verarbeitete er auch noch
motive aus dem Nibelungenlied hinein; auch das Siegfriedlied —
entstanden aus concurrenz zum Nibelungenlied (s. 162) — gieng
aus seinem geiste hervor.
Bei der letzten behauptung — das lied vom gehörnten
Siegfried sei das werk des französischen Flooventdichters —
BROCKSTEDT FLOOVENT-STUDIEX 51
ninss ich noch einen augenblick verweilen, in der 1908 von
Br. veröffentlichten, gleich unten zu besprechenden Studie 'Das
altfranzösische Siegfridlied" ertönt nämlich s. ',\ in einer note
der jammerschrei: 'dass die kritik die folgenschweren deductionen
der selten 93 — 95 der Floovent-studien, die logisch durchaus un-
angreifbar sind, aber freilich von einem anfänger stammen, ent-
weder überhaupt keiner beachtung würdigte oder ohne prüfung
kühl und überlegen ablehnte, entspricht zu sehr dem gewöhnlichen
verhalten der menschen neuen erkenntnissen gegenüber, als dass
man sich groß darüber zu wundern brauchte", prüfen wir die
verkannten 'logisch durchaus unangreifbaren' 'folgenschweren
deductionen' der ss. 93 — 95 der Floovent-studien. das material
worauf Br. sie aufbaut, ist folgendes, im afrz. Floovent be-
schließt der von seinem vater verbannte held (Floovent) zu
könig Flore von Ausai zu gehn, der mit den Sarazenen krieg
führt. unterwegs jagt er drei sarazenischen räubern eine
Prinzessin ab. es ist die Florete, Flores tochter, die in die
bände dieser beiden gefallen ist, nachdem sie ohne hülfe irgend
eines beiden vier 'felons paiens' entflohen war, die sie entfuhrt
hatten. Floovent tötet zwei der Sarazenen, der dritte entkommt,
aber auch diesen ereilt sein geschick. denn der freund Floovents,
Eichier, macht ihn nieder, nachdem er erfahren hat, wo Floovent
sich befindet, darauf hat Floovent widerum einen kämpf zu
bestehn, diesmal mit dem riesen Fernagu, dem söhn des
Sarazenenfürsten Galien, der die Jungfrau für sich verlangt.
Floovent verwundet ihn, Fernagu bekommt aber hülfe von vier
Sarazenenfürsten, der Floovent hat hier eine lücke. nach dem
Fioravante unterligt Fl., wird aber von Richier gerettet. — das
deutsche Volksbuch vom gehörnten Siegfried (18 jh.j erzählt also:
Siegfried zieht mit dem zwecke aus, die Worraser königstochter
Florigunda aus der gewalt des drachen zu erlösen, nach be-
siegung des drachen begibt er sich mit Florigunda und dem
schätz vom drachenstein nach Worms, wird aber unterwegs von
13 räubern überfallen, die ihm schätz und Jungfrau nehmen
wollen, er tötet sie bis auf einen, der in einen morast läuft
und bis an den hals darin einsinkt. S. ruft diesem zu, dass,
wenn ihn jemand treffe, er sagen solle, der gehörnte S. habe
ihm das getan, der auch die anderen räuber getötet. — Br.
sieht nun in den beiden berichten trotz der differenz 'Überein-
stimmungen so schlagender natur, dass der Zusammenhang der
beiden dichtungen nicht geleugnet werden kann', zunächst darin,
dass in beiden die rettung der Jungfrau in zwei stufen statt-
findet, im Floovent befreiung von 4 felons paiens und 3 Sara-
zenen (ich zähle hier übrigens drei, sogar vier stufen, Br.
schweigt nämlich s. 93 — 95 von dem kämpfe mit Fernagu, und
Fioravante macht noch anderes durch), im Volksbuch von dem
drachen und den 13 stralsenräubern. dass im Floovent wie im
4*
ü2 lUiÖTE l'liKK HlJOCKSTEDT FLuOVKNT-STUPIKN U. ÜBER
Volksbuch der held einen räuber nicht tijtet. ist für Br. der
l<eiMipiuict für die j^leichheit der niotive. noch mehr: er foig'ei't
(lai'aus ohne weiteres die abhän^-is?keit der züg'e des Volksbuches
von denen der Flooventdichtun;^ odei-, was für ihn dasselbe ist.
die abhängigkeit des ui-sprünglichen Siegfriedliedes vom Floovent.
daran schliefst sich wider eine andere 'logisch durchaus unan-
greifbare, folgenschwere deduction': das motiv der einstweiligen
Schonung des einen räubers sei im Floovent vollständig ausge-
arbeitet, denn der räuber entkommt aus den bänden Floovents,
fällt aber durch Richier. das motiv im Volksbuch dagegen sei
nur ein 'torso'. das torsoartige sei aber gerade 'ein wichtiges
kriterium für die beurteilung des zwischen dem Siegfridlied
(sc. Volksbuch) bestehnden beziehungen'. in dem Floovent sei
nämlich die Schonung zu keinem andern zweck erfunden, als
um Richier warnen zu können, der dichter des Siegfriedliedes
aber habe das motiv aufgenommen und es nicht zu ende geführt,
weil eben im Siegfriedlied keine person vorkomme, die gewarnt
werden muss. der dichter des Siegfriedliedes — fährt Br. fort —
kannte also die natur dieses motivs, kannte außerdem den Sieg-
friedcharakter des Floovent, er wüste um den Zusammenhang
zwischen Floovent und dem nordischen Sigurd. infolgedessen . . .
es folgen jetzt eine anzahl rhetorische fragen, vermutlich damit 'die
neue erkeuntnis' den leser nicht ganz unvorbereitet treffe, und dann
blendet ihn (dh. den leser) mit einem schlage das grelle licht
der 'logisch durchaus unangreifbaren deduction": 'in der tat, das
Siegfrid-lied ist ein französisches werk , ein werk unseres
Floovent-dichters'. da aber Br. doch vorhersieht, dass ungläubige
Zweifler nicht von der strengen logik der Schlüsse überzeugt
werden, so bringt er s. 95 noch rasch zwei 'weitere entscheidende
belege': J. der name Florigunda gehört zu Florete, er 'führt uns
auf directestem wege in die Werkstatt des dichters"; 2. der titel
des Volksbuches (18 jh.) sagt 'aus dem Frantzösischen ins
Teutsche übersetzt' (kein geringerer als Jacob Grimm habe
schon 1851 die bedeutung dieses Zusatzes erkannt). — wer
nach 'mehrjähriger forscherarbeit' (Altfr. Siegfridlied, Program-
matisches vn) solche lose aneinander gereihten, mit dem zur
Verfügung stehnden material nicht zu beweisenden behauptungen
•logisch durchaus unangreifbare, folgenschwere deductionen'
nennt, sollte nachgerade das forschen einstellen oder wenigstens
andere leute nicht mit so törichtem zeug behelligen. — nicht
nur die ss. 93 — 95 der Flooventstudien sind wertlos, sondern
auch die sonstigen resultate des 2 ten teils, die darauf ver-
wante mühe hätte immerhin besseres verdient.
Tilburg. J. F. D. Blöte.
BROCKSTEDT I)A!> ALTFRAXZDSISCH K SI Kt; KHIDM HI) 53
Das altfranzösisch e Siegfridlied. eine rekonstruktion. mit einem
schlnsswort: zur geschichte der Siegfridsage. von (iiistav Brock-
stedt. Kiel, Robert Cordes, 1908. xri u. 178 ss . s". — S ni.
Auch in dieser sclirift des vf.s der Floovent-studieu rindet
sich ein reiches, zu gleichungen angeliäuftes, wider von helesen-
heit zeugendes niaterial. die zusaninienstellungen sind aber durch
die Willkür mit der Br. verfährt, für den beabsichtigten zweck
unbrauchbar; außerdem geben die folgerungen aus den unhalt-
baren parallelen trotz der redekünste des vf.s auch diesmal keine
liohe meinung von seiner Übung im denken und schließen, ich
greife auch hier ein beispiel heraus, nicht weil es das charakte-
ristischste wäre, sondern weil es neulich seine schatten sogar in
die spalten dieser zs. geworfen hat. s. 90 ff. soll bewiesen
werden, dass die Hvensche chronik, "diese seltsame und in ihrem
wesen niemals richtig verstandene Siegfridüberlieferung' 'zum
allergrösten teil die bearbeitung einer sonst nicht erhaltenen
Version des Siegfridliedes" ist. "der richtigen idee kamen die
jbisherigen] forscher [Br. nennt hier Grundtvig, Döring, Storra
und Boer, an anderer stelle noch andere] vor allen dingen des-
halb nicht auf die spur, weil sie keine Vorstellung vom ur-
sprünglichen Siegfridlied besaßen". Br. führt (> puncte an, die
weder einzeln noch in ihrer gesamtheit imstande sein werden,
die genannten forscher oder jemand anders davon zu überzeugen,
dass der chronik eine fassung des Siegfriedliedes zugrunde ge-
legen hat. der 6 te punct ist dieser: in der chronik ist von der
heldennatur Siegfrieds wenig übrig geblieben; da nun Hans
Sachs in seiner tragödie sagt, dass es Siegfried an feiner sitte
mangelte iBr. führt die stellen s. 9t) wörtlich an), so sollen
chronik und Sachs ihre auffassungen aus der gleichen (luelle be-
zogen haben. Br. sagt es zwar nicht wörtlich, aber es ligt iu
der beweisführung: 'vergleichbar ist der herab Würdigung Sieg-
frids in der Hvenschen chronik' 'allein die auffassung, die Hans
Sachs vom beiden hat". in der weise wird ein punct aus
Cyriacus Spangenbei-g zur vergleichung herangezogen, einer aus
dem Rosengarten, zwei aus dem erhaltenen Siegfriedlied und
einer aus dem Volksbuch des I S jh.s . und damit ist dann die
abhängigkeit der Hvenschen chronik von irgendeiner fassung
des Siegfriedliedes constatiert. man wundert sich nur, dass die
Charakterisierung der personen in der Hvenschen chronik, ihre bis
zur Unkenntlichkeit mit der Hagen-Volker-Siegfried-Kriemhild-
überlieferung schaltende handlung, ihre merkwürdigen moti-
vierungen des einzelnen Br. selbst nicht irremachen an der
richtigkeit oder nur berechtigung seiner methode. nach Br. soll
dennoch die Hvensche chronik mit als quelle zur widerherstellung
der ursprünglichen gestalt der rachesage des Siegfriedliedes
dienen können, und dazu lese man nun s. 289 f. des am 4 oct.
1909 ausgegebenen heftes dieser zs. da arbeitet Br. mit dem
54 BLUTK i'HKH
gedanken, dass die Hvensche chronik und Cyriacus Spangeuberg
(1594) dieselbe fassung des Siegfriedliedes l)enutzt haben sollen,
denn Spangenberg sagt 'Sigfried von Hörn' und die chronik
'Sigfred Hörn', und das weise auf eine fassung, die nach der hin-
richtung des niederländischen grafen von Hörn (1568) entstanden
sei ; und als ob kein sehr berechtigter zweifei an Br.'s aus-
führungen in seinem letzten buch möglich wäre, heißt es: dass
die Hvensche chronik 'eine fassung des Siegfridliedes widergibf,
'ist erst von mir [sc. Br.] auf s. 96 ff. meines Altfr. Siegfrid-
liedes dargetan worden'. —
Auch dieses werk — das altfr. Siegfridlied — zerfällt in
zwei partieen, wie schon im titel angegeben ist. s. 6 — 157 hat
die reconstruction des Inhaltes des ursprünglichen Siegfriedliedes
zum gegenständ, s. 158 — 178 hat als übei-schrift 'Zur geschichte
der Siegfridsage. ergebnisse und konsequenzen'. hätte Br. in
der ersten partie erwiesen was er erweisen wollte, so hätte das
ursprüngliche Siegfriedlied einen Stoff urafasst, der bei den eitern
des beiden antieng, sich dann verbreitete über Siegfrieds erleb-
nisse, seine erraordung, die räche der Kriemhild als gattin
Etzels, ferner über die rückkehr Dietrichs in sein land (ein-
schließlich den kämpf Hildebrands mit seinem söhn), Etzels tod,
Dietrichs tod, und das leben und die taten von Siegfrieds söhn
Löwhardus. Kriemhild hat nach ausweis des Volksbuches v. 1 8 jh.
im ursprünglichen Siegfriedlied Florigunda geheißen ; Günther Hagen
Gernot: Ehrenbertus, Hagenwald und Walbertus. — es ist mit den
resultaten, auch da wo einmal ein vernünftiger ansatz gemacht wird,
nichts anzufangen, die verschiedenen beweise sind sammelkästen
von rohmaterial, womit selbst die methodisch geübte band eines
meisters kein gebäude wird erricliten können, geschweige denn
Br. — • im zweiten teil — zur geschichte der Siegfridsage —
feiert die Willkür ein wahres bacchanal. nicht nur das ur-
sprüngliche Siegfriedlied sei vom französischen Flooventdichter
verfasst, sondern auch das Nibelungenlied. Br. führt drei gründe
an. ich schreibe den zweiten als den kürzesten aus. s. 166:
'nach Nibelungenlied str. 1296 ff [ed. Bartsch] ist das erste er-
lebnis der Kriemhild auf ihrer fahrt ins land Etzels ihr zu-
sammentreffen mit dem bischof Pilgrim von Passau, dem bruder
ilirer mutter, der ihr bis Mutaren das geleit ins Hunnenland
gibt (str. 1329 — 30). im zweiten teil des Fioravante :nian be-
denke, dass nach Br. auch der Fioravante vom Flooventdichter
herrührt] wird erzählt, wie der aus der heimat ins Sarazenen-
land eilende held zunächst zu einem eremiten kommt, der der
bruder seiner mutter ist und ihm den weg ins Sarazenenland
zeigt (bei Pio Rajna cap. 43 — 45; in den Eeali di Francia cap.
26 — 27). es leuchtet ein, dass wir es hier mit korrespondieren-
den berichten zu tun haben, wider aber ligt die priorität nicht
beim Nibelungenliede, sondern bei der Flooventüberlieferung.
BROCKSTKDT DAS ALTFKAXZ(i>.1m m; MK(iKKlL)l>l Kl> 55
denn wie die ss. 85 — SU der Floovent-studien des ntälieren dar-
tun, ist der ereniit des Fioravante, der dem beiden nicht nur
den weg ins Sarazenenland zeigt, sondern ihm auch den glück-
lichen ausgang seiner Unternehmung prophezeit, aus der mit der
Sehergabe ausgerüsteten Gripirgestalt der Sigurdsage (und also
nicht aus der Pilgrimgestalt des Nibelungenliedes, von deren
Sehergabe nichts verlautet) hervorgegangen. da nun aber
niemand anders als der mit den Siegfridqualitäten des Fiora-
vante vertraute Flooventdichter darauf verfallen konnte, diese
dichtung als Vorbild für ein Siegfridepos zu benutzen, so er-
gibt sich also auch aus der Pilgrimsage des Nibelungenliedes,
dass das epos ein werk des Flooventdichters ist'. — mit solcher
begründung empfehle ich den nachweis. dass Wolframs Kiot der
französische Flooventdichter ist, denn auch in den Gral- und
Perchevaldichtungen kommen torsoartige Flooventmotive vor, die
wol an irgendeiner stelle des Floovent usw. vollständig vorhanden
sein werden. — dieser Flooventdichter war übrigens der reinste
kosmopolitische Völkerbeglücker. das Nibelungenlied und das
ursprüngliche Siegfriedlied — er concipierte die beiden gleich
zeitig — sowie die Virginal (Deutsches Heldenbuch v) bestimmte
er 'von vornherein zur Verbreitung' in Deutschland (s. 172 f.),
wie er auch für Italien sorgte, indem er die vorlagen des Fiora-
vante und des Buovo ausarbeitete (s. 173); auch Spanien hat er
beschenkt mit einem epos — die Sieben Infanten von Lara — ,
das "bis jetzt ein jeder für ein spanisch-nationales gehalten'
habe (ebd.); außerdem gedachte er auch der Nordländer, denn
die vorläge der nordischen Moniageredaction hat 'kaum jemals
in Frankreich kurs gehabt' (ebd.). wer sich interessiert für das
was Br. über meister Konrad schreibt oder über die ungeheuren
leistungen Snorri Sturlusons, tindet bescheid aufs. 176 — 17S. —
es wäre möglich, dass der unsinn in der nächsten schrift als
'logisch durchaus unangreifbare folgenschwere deduction' hinge-
stellt würde, aber ich frage im ernst, ob die beiden werke Br.s
nicht beabsichtigte, allerdings etwas zu weit ausgesponnene, den
eigentlichen zweck zu wenig verratende und immerhin zu grobe
parodieen einer sagenhistorischen methode sind, die nur in dei'
festen band des umsichtigen forschers zu resultaten führen kann?
Tilburg. j. F. D. Blöte.
Speculum human ae salvationis. kritische Ausgabe. Über-
setzung von Jean Mielot (144S). die quellen des Specnlums und
seine bedentung in der Ikonographie, besonders in der elsäs-
sischen kuust des xiv. Jahrhunderts, mit der widergabe in licht-
druck (140 tafeln I der Schlettstädter haudschrift, ferner sämt-
licher alten Mülhauser glasmalereien, sowie einiger Scheiben aus
(jolmar, Weißenburg etc. von J. Lutz und P. Perdrizet. Mül-
hausen, buchdruckerei Ernest Meininger. (in commission bei Carl
56 POLHEIM (HER
Beck, Verlagsbuchhandlung- in Leipzig), r.Mi7 — 1909. 2 bände.
XX und 351 ss., 140 tafeln, gr folio. — 12ü m.
'Au XIV siecle la celebiitt' du sp. etait purenieut litteraire,
aujoui-d'hui eile est deveinie purement t3-pographique' sagte
,1. Marie Guichard in der 'Notice sur le Sp. h. s.' (Paris 1S40).
in der tat stand das Sp. wol ein Jahrhundert lang im niittel-
punct eines Streites, der sich um die priorität des ersten
deutschen oder holländischen druckes entsponnen hatte, denn das
Sp. zählt zu den ersten gedruckten büchern des abendlandes und
ward schon als blockbuch verbreitet, nach der entscheidung zu
gunsten der deutschen drucke wante sich die wissenschaftliche
Forschung gemach wider dem inhalt und der form des merk-
würdigen denkmals zu. im Jahre 1861 erschien zu London das
buch von Ph. Berjeau *Sp. h. s. le plus ancien monument de
la Xylographie et de la typographie reunies, en fac-simile avec
introduction historiqne et bibliographique', ein unzuverlässiger
abdruck mit übler widei-gabe eines unvollständigen textes. erst
neuestens zeitigten die bemühungen der herren Jules Lutz,
pfarrer in Illzach und conservator des museums in Mülhausen,
und Paul Perdrizet, professeur ad Joint an der Universität
Nancy, wertvolle ergebnisse, die in mehreren verdienstlichen
büchern und broschüren niedergelegt sind und nun in der
zu besprechenden großen ausgäbe ihren vorläufigen abschluß
fanden.
Hr. Perdrizet hat so unrecht nicht, wenn er über die "bib-
liographes", die 'etranges gens' die schale seines spottes aus-
giefst. die dem Sp. als gedrucktem individuum ihre peinlichste
anfmerksamkeit zugewendet hatten, ohne sich mit seinem inhalt
vertraut zu machen oder es nur zu lesen, das Sp. hat im
wesentlichen die erlösungsgeschichte zum inhalt. das leben
Mariae und ihres sohnes wird in einzelneu begebenheiten, deren
Jede in einem capitel erzählt wird, in typologischer art vorge-
tragen, so zwar dass Jedem dargestellten ereignis drei *prae-
figurationes' oder 'tigurae" als erläuternde parallelen beigefügt
sind, der Verkündigung der geburt Mariae im 3 capitel wird
erstens ein träum des Astyages an die seite gestellt, der aus
dem schofs seiner tochter Mandane eine weinrebe (Cyrus) er-
wachsen sieht, die herrlich emporspriefst und Asien überschattet,
zweitens der 'hortus conclusus'. 'fons signatus' aus dem Hohen-
lied, drittens die erscheinung des engeis vor Balaam und seiner
eselin. so der geburt Mariae im 4 capitel die wurzel Jesse,
die verschlossene tempelpforte aus Ezechiel 44, der tempel
Salomonis usf. die folge der ereignisse vernachlässigt in auffallender
weise die Wundertaten Christi, M'endet sich alsbald der passion
zu und schliefst mit dem Jüngsten gericht und der Schilde-
rung der verdammten in der hölle und der Seligkeit im himmel,
denen (cap. 41 und 42) die episoden: Davids räche an den
LUTZ UND PBRDBIZET SPECULUM HUJIANAE SALVATIONIS 57
einwohneni von Rabba, Gideon züchtigt die ihn beschimpft
hatten, Pharao ertrinkt mit seinem beere, und: Salomo und die
königin von Saba. festmahl des Assuerus und der kinder Hiobs
als praetigurationes beigesellt sind.
Jedes capitel umfasst also vier begebenheiten, die stets ia
100 gereimten zeilen abgehandelt werden; in illustrierten hss.
stellen aulserdem je vier miniaturen die Vorgänge dar. solcher
capitel zählt das Sp. 10, und zwar 3 — 12. capitel 1 und 2
enthalten die Vorgeschichte von Lucifers stürz bis zur sintflut.
ein proömium von 100 zeilen ist dem werke vorgeschoben, drei
capitel (die sieben Stationen der passion, die sieben schmerzen
und die sieben freuden Mariens) folgen in vielen hss. nach, diese
letzten stücke sind in je S abschnitte zu 26 zeilen gegliedert:
so zählt ein vollständiges Sp. 4924 zeilen und 1 92 abbildungeu.
meist eröffnet diesen complex noch ein kurz zusammenfassendes
inhaltsverzeichuis, 'summula' oder 'compendiura', das auch selb-
ständig als eine art "Sp. pauperum', wie man es nennen dürfte,
häutig genug vorkommt. leider wird uns dieses nicht mit-
geteilt.
Bilder und Vorbilder des Sp. stammen aus der Bibel, aus
der Legenda aurea des Jacobus a Voragine, aus der Summa des
hl. Thomas, und aus der Historia scholastica des Petrus (Comestor)
von Troyes. daneben kommen Valerius Maximus und andere
autoren für einzelne stellen in betracht.
Die kunstform des Sp. ist die r e i m p r o s a. jedoch ist
festzustellen, dass die gewöhnliche reimprosa des 10 — 12 jh.s,
deren entwickelung P. in einer kurzen einleitung hübsch zu-
sammenstellt, mit der kunstform des Sp. kaum viel zu tun hat
(vgl. auch AVMej-er Ges. aufs. I s. 248 fj. ich hoffe in kurzer
zeit die ergebnisse einer eingehenden Untersuchung über lat. und
deutsche reimprosa vorlegen zu können; vorläufig sei nur be-
merkt, dass der dichter des Sp. auf seine reime ganz anderen
wert legt, als jene prosaisten welche die satzpausen mit reimen
versahen, das Sp. bezeichnet seine reime in den hss., setzt sie
sogar meist ab, was in der eigentlichen reimprosa nie geschieht,
die reime sind ungemein reich, meist zwei-, oft dreisilbig, nicht
blofse einsilbige endungsreime; die zeilen schliefsen gleichmäfsiger
im tonfall, sie nähern sich einer einheitlichen länge : eine kunst-
form, die ich als 'prosa mit reimclausel" bezeichnen möchte.
Zwei Pariser hss. des Sp., die aus demselben scriptoriuni
stammen, tragen das datum 1324: "editae sub anno domini
millesimo cccxxiv; nomen nostri auctoris humilitate siletur.' es
ligt kein grund vor die angäbe zu bezw^eifeln; für die person
des Verfassers aber sind wir auf inhaltliche kriterien angewiesen,
da auch die spräche keinen anhält zu seiner ermittlungdarbietet, dem
Verfasser gilt eine Untersuchung von P., die erst in kleineu
schritten vorschreitend, die möglichkeiten allmählich einschränkt,
58 rOLHKIM ÜUKK
dann aber rasch und kaum lückenlos enteilt, so dass ich mich
frage, ob würklich der weg der Untersuchung so führte, oder ob
es nicht vielmehr ein aufbau vom resultat aus ist.
Der Verfasser des Sp. war ein inijnch. der für münche
schrieb, und zwar ein dominicaner. dies erhellt aus der
Stellung, die das Sp. h. s. in dem streit über die Immaculata
conceptio einnimmt, dieser these entsprechen die quellen und
viele stellen in wort und bild. der vf. ist kein Italiener, viel-
mehr ein Sachse, der im Elsass oder in Schwaben lebte: er
spricht vom ritterschlag 'alapa militaris' als einem ihm fremden
brauch, der 'more alamannico" geübt werde, es sei ein mönch
in Stralsburg, sei Ludolfus de Saxonia, der gegen 1314 in den
orden der Predigermünche, 13 40 in den Carthäuserorden trat,
und der neben Tauler in Strafsburg eine bedeutende rolle spielte,
in Ludolfs Vita Christi nämlich stehn einzelne abschnitte und
gereimte zeilen des Sp. h. s. mitten in der scholastischen prosa
'redige en un latin diffus', unvermittelt, ohne quellenangabe, und
dies obzwar Ludolf sonst seine quellen sorgsam eitlere.
Ich kann an die Verfasserschaft Ludolfs nicht glauben,
schon die logische folgerung reizt zum Widerspruch, den einen
einwand hat P. selbst vorausgesehen . dass Ludolfs schweigen
nichts beweise. er citiert die Bibel, heilige Schriften und be-
rühmte kirchenlehrer und — die quellen die ihm das Sp. angibt,
dass er das (anonyme) Sp. nicht nennt, wundert mich keineswegs.
Aväre aber Ludolf der vf. gewesen, derselbe der seinen namen
das einemal aus humilitas verschwieg, das andre mal aber ge-
bührend zu nennen nicht unterlassen hätte, woher käme dann
der auffällige unterschied zwischen der scholastisch weitläuftigen
und verworrenen 'prose ordinaire' der Vita und der abstechenden
des Sp. h. s.? die tatsache dass sich zwei legenden (^bisher;
nur in diesen beiden werken nachweisen liefsen, kann natürlich
ebensowenig zum beweise dienen, wie die notiz eines Schreibers
von 164G im clm. 9491 'lAidolpkus Carthusiensis habet eadem
metra quam plurima, et üsdeni verhis utitur in suo opere de
vita Christi, unde videtiir ipsemet author exstitisse huiiis lihri'
In der Vita Christi des Ludolf oder Landulf von Sachsen
steht, freilich oft in abweichender folge, weit mehr von dem gut
des Sp. als die herausgeber angemerkt haben, ich habe eine
mir zugängliche ausgäbe der Vita (Augustae Vindelicorum,
sumptibus Martini Happach et Franc. Xav. Schlüter, anno
MDCCxxix) zu rate gezogen und führe einige beispiele an.
Ludolfs zweites capitel gleich ist ein mosaik aus stellen, die vom
Sp. übernommen sind, es hebt mit 1. 7 — 16 des Sp. an. dem
ohne Übergang 2, 87 — 97 folgt, daran schliefst sich, nicht
genau 1. 23. zu ende desselben capitels folgen stellen aus dem
3. 4 und 5 cap. des Speculum wörtlich und in Umschreibungen,
mittelbar und unmittelbar aufeinander. — so finden sich 7. 57 ff
LUTZ UND PERDRIZET SPECULUM HUMAXAH SALVATIOXIS 59
= Ludolf pars i cap. 5; 8, 25 = Lud. i 9; 14, 23 vgl. Lud. i
60; 33, 11= Lud. 11 82; 34, 81 — 86, 89—92, 95— 98 = Lud.
II 84; 36, 33 = Lud. ii 86, und so wird es wol nicht viele
capitel des Sp. geben, die Ludolf nicht ausgebeutet hätte.
Werfen wir noch einen blick auf die allgemeine anläge der
Vita, um sie mit dem oben besprochenen plane des Sp. zu ver-
gleichen, so ergibt sich sogleich, dass Lud. einen unendlich aus-
gesponnenen abklatsch des Sp. bringt, der das leben Christi ent-
sprechend vervollständigt, die ereignisse aus dem leben Mariae
beschneidet, man sehe nur: cap. I "De divina et aeterna Christi
generatione' : 2 'De inventione remedii pro salvatione generis
humani et nativitate Virginis Mariae'; 3. 'De desponsatione ^Mariae';
5. 'De conceptione Salvatoris', und so fort, immer weiter aus-
holend und die Wundertaten in vielen capiteln einbeziehend, mit
der passion kommt dann Lud. wider in den bereich des Sp.,
dessen beiden letzten capiteln (s. oben) bei Ludolf ii 88 ent-
spricht: 'De poena infernali et gloria coelesti.' selbst den brauch
des Sp., das jedes capitel mit einer anrufung '0 hone Jesu . .'
schliefst, finde ich in der Vita wider 'Domine Jesu Christe . .'.
'0 Jesu . .', '0 virgo . .' uä.
Ich fasse schliefslich zusammen: der beweis für P.s geist-
reiche hypothese ist nicht erbracht; mir ist es wahrscheinlicher,
dass Lud. wie viele andere corapilatoren das Sp., vor allem dessen
praetigurationes, für sein werk einfach übernommen hat. indem
er zugleich die erbaulich-poetische richtung der vorläge seinen
gelehrten zwecken aufopferte.
Als grundlage des kritischen textes haben die heraus-
geber die Schlettstädter hs. clm. 146 vor allem ihres elsässischen
Ursprungs wegen erwählt, es fehlt leider eine darlegung der
handschriftenverhältnisse, ihrer gruppen und familien, welche die
vorzügliche eignung gerade dieser hs. beweisen könnte, auch
wäre eine weit eingehndere beschreibung wenigstens Jener hss.
zu wünschen, die zu den lesarten herangezogen worden sind, ich
kann also über die Zuverlässigkeit des textes kein urteil abgeben,
gern stelle ich fest, dass es ein gut lesbarer text ist. nebenher sei
bemerkt, dass die lesarten durch Verwendung des cursivdrucks für
Zusätze des autors übersichtlicher gemacht werden könnten, der
commentar. der dem textabdruck folgt, ist reich und ausführlich.
Die Schlettstädter hs. ist, obwol ihre bilder unausgeführt
(nur die 'einsetzung der ehe' im 1 cap. scheint vollendet) und von
geringem künstlerischen werte sind, in text und bild photo-
graphiert und in vorzüglichen lichtdrucktafeln reproduciert
worden. zum vergleich dienen die schönen miniaturen der
Pariser hs. der Bibl. nat. fr. 6275, die in kleinen, aber sauberen
bildern widergegeben sind (tafel 133 und 134 sind durch eine
Verwechslung der eingedruckten capitelangaben vertauscht; also
XXV 1 statt XXXI 1 usf. und ebenso umgekehrt).
60 POLHKIM ÜBER
Eine überaus wertvolle entdeckung danken wir hm. Lutz,
der in den g-lasmalereien der Stefanskirche zu Mülhausen,
eine dem Sp. durchgängig gleich gestaltete darstellung tj-po-
logischer art aufgezeigt hat. nicht nur in der auswahl des
Stoffes, sondern auch in den meisten einzelheiten, in der Ver-
teilung von räum und masse, in der anordnung und Stellung der
tiguren ua. stimmen die glasmalereien mit den miniaturen der
Schlettstädter hs. übei'ein. ein Zusammenhang, 'wol gemeinsame
abhängigkeit . steht ganz auiser frage, die glasfenster, die
wahrscheinlich auf veranlassung Ulrichs ii von Pfirt (f 1324) von
einem unbekannten meister ausgeführt worden sind, haben nach
abbruch der alten kirche gar abenteuerliche Schicksale erlebt,
sie sind nun zum grössten teil in die neue kirche eingefügt und
harren dort der endgültigen Ordnung, wie sie nach dem vorbilde
der Sp.-hs. im tafelband in vorzüglichen reproductionen vorge-
bildet ist. auch sonst finden sich im Elsass typologische glas-
malereien, so in der Stiftskirche zu Weifsenburg und in der
SMartiuskirche zu Colmar, die gleichfalls in die ausgäbe auf-
genommen wurden (die fenster der SArbogast-kirche in Eufach
sind verschollen).
Die typologische manier war in der litteratur und bildenden
kunst beliebt und viel geübt, ihre keime birgt schon das Neue
Testament ; Origenes und Augustin brachten sie in schwang,
schon vor dem vSp. bedienten sich künstler des rigurativen
Symbolismus, der bedeutendste, Nicolaus von Yerdun. schuf den
altaraufsatz im chorherrenstift Klosterneuburg, die bilderfolge
und -gestaltung wie wir sie im Sp. linden, übte anderseits ihren
einfiuss bis ins 17 jh. unmittelbare nachfolger sind die fresken
im kreuzgang am dom zu Brixen. in England die glasfenster
der abtei SAlban. die van Eyck. der meister der Tres heiles
heures des duc de Berry, Conrad Witz zeigen sich beeinflusst.
Wandteppiche und andere denkmäler gehören in diesen kreis (vgl.
dazu Emile Male, L'art religieux de la tin du mo.ven äge en France.
Paris 190S. chap. 5, p. 240ffJ.
Ebenso steht das Sp. h. s. auch in litterarischer hinsieht inmitten
einer reihe typologischer b ilderbücher, von denen die
Biblia picta dem Sp. an beliebtheit nahe kommt, in einem be-
lehrenden cap. handeln die beiden vff. von den 'Livres typo-
logiques ä Images du xiv et xv siecle", die allesamt deutschen
Ursprungs seien, die bezeichnung 'Biblia pauperum" wird meist
irrig angewendet; sie nennt einen kurzgefassten abriss der Bibel,
ein summarium, wol auch ein häuflein von memorialversen mit
namen, das würklich armen clerikern diente, die sich die teure
Bibel nicht kaufen konnten, die kostbaren" bilderhandschriften
der Biblia picta tragen den namen zu unrecht, dass die Biblia
picta mit dem Sp. h. s. in directem bezuge stehe, dass sie jene
*vetus compilatio' sei, auf die der eingang des Sp. anspielt
LUTZ UND PEEDRIZET SPECULUM HUMAXAE SALVATIOXIS 6 l
(^Incipit prooemiicm cidusdam novae compilationis') ist, soweit ich
sehe, zuerst von Ludw. Friedr. Hesse (in Naumanns Serapeuni,
I 6 jahi-g. [ I S55], s. 1 93 — 202 mit 1 fortsetznng-en) und ausführlicher
von FFalk (Centralblatt f. bibliothekswesen xv [ 1S9S] s. 42(t— 23)
bedeutet worden, in der tat haben die beiden werke wesentliche
dinge g-emeinsam, in andein trennen sie grundlegende unterschiede,
lypologische bilderbücher sind ferner die 'Rota Ezechielis' (eine
aneinanderreihung übereinstimmender stellen des Neuen und Alten
Testaments, mit parallelen aus der naturgeschichte), die "Concor-
dantiae caritatis' des abtes Ulrich von Lilienfeld gegen I 350 (in
denen jeder evangelischen begebenheit zwei alttestamentliche und
zwei naturhistorische gegenstücke angefügt werden), endlich das
werk des Wiener dominicaners Franz von Retz (1385 — 1411)
'Defensoriiim inviolatae virginitatis beatae Mariae', das die frage
der unbefleckten empfängnis mit unwahrscheinlichen, aber wahren
begebenheiten aus der heiligengeschichte, der geschichte der
menschen und tiere parallelisiert.
Weitaus am verbreitetsten war das Speculum humanae sal-
vationis. abgesehen von den drucken ist uns eine ungeheure
anzahl von handschriften mit und ohne miniaturen überkommen,
das wertvolle vei-zeichnis, um das sich hr. Lutz verdient gemacht
hat, zählt nahe an 300 hss. auf. die masse derselben enthält das
lateinische original; übersetzt wurde das Sp.ani öftesten ins deutsche,
dann ins französische, englische, niederländische und tschechische,
die französische Übersetzung von Jean Mielot ist in die ausgäbe
vollständig aufgenommen worden, der französische text liest
sich hübsch in der gotischen schrift. die seitliche Zeilenzählung
wäre auch hier dringend zu wünschen, das glossar gewänne erst
durch sie seinen beabsichtigten wert. Jean Mielot verfasste die
Übertragung im j. 1448 für Philipp den Guten, in dessen dienste
er ein jähr darauf trat, auch unter Philipps söhn, Karl dem
Kühnen, blieb er in dieser Stellung als bücherschreiber tätig,
seine leistung als Übersetzer ist sehr umfassend, über 30 werke
konnte P. von ihm aufzählen. Mielot hat stärker auf die französ.
prosa gewirkt, als man es bisher wüste und würdigte.
Es möge mir noch gestattet sein, einige anmerkungen zur
liste der deutschen hss. mitzuteilen.
Nachzutragen sind zwei Berliner hss. der Kgl. bibliothek :
ms. germ. quart. 124b papier, lateinisch mit abgesetzten versen
und einer Übersetzung in deutscher prosa, und die in reimzeilen
verfasste Übertragung im ms. germ. fol. 245, papier, mit kunst-
losen miniaturen, in federzeichnung mit färbe angelegt, sie ent-
behren nicht einer grotesken naivität. die zur salzsäule ver-
wandelte frau Lots zb. wird dadurch gekennzeichnet, dass ein
Ziegenbock an ihr leckt, diese beiden hss. hat schon Schmidt-
Wartenberg besprochen und in einigen proben bekannt gemacht —
unzuverlässig, wie ich urteilen muss. er erwähnt auch noch ein
62 POLHEIM ÜB. LUTZ U. PERDRIZE'l' SPECÜLUM H u:\IAXAE SALVATIONIS
fragraent der Berlinei- bibl. quarto 57 4 (Pnblications of the
modern language association of America xiv [Baltimore 1899]
s. i3ü — I6b). es wäre ferner die von AESchönbach er-
wähnte 1 hs, der Leipziger nniv.-bibl. und die von Schauenburg
auf der philologenversammlnng in Wiesbaden vorgelegte ale-
mannische hs. (vgl. Zs. f. d. ph. 9, lOS) zu untersuchen, proben
niederdeutscher hss. hat Erasm. Nyerup ^ und HOesterley-*
veröffentlicht; weitere nachweise finden sich in den berichten
Borchlings.
Von den gereimten deutschen Übersetzungen sind die von
Heinrich Laufenberg ^, Andreas Kurzmann ■' und Konrad von
Helmsdorf '■ in metrischer form abgefasst. ob die übrigen, die
ohne den namen des autors überliefert sind, einer einheitlichen
tradition angehören oder nicht, ist bisher nicht bekannt, es sind
dies, soviel uns erschlossen ist, hss. in Berlin, Darmstadt,
Hannover, Jena. Karlsruhe, München und Wolfenbüttel. PPoppe
hat die mitteldeutsche Version untersucht und auszüglich ab-
gedruckt (Straßburger dissert., Berlin 18S7). die form dieser
fassung ist soweit ich sehe die reimprosa, die von hier einen weg
zu den andern poetischen werken in deutscher reimprosa ge-
funden haben mag.
Die besprochene ausgäbe des Sp. von Lutz und Perdrizet
ist eine leistung, vor der ich mich in respect beuge, rühmens-
wert ist nicht minder die prächtige, fast allzu splendide aus-
stattung des werkes. eine knappe billige textausgabe des
wichtigen denkmals wäre nun wol zu wünschen.
Graz, im december 19Ü9. Karl Polheim.
Sprache und stil im Wälschen gast des Thomasiu von
Circlaria. von Friedrich Kanke (Palaestra lxviii). Berliu,
Mayer u. Müller 1908. 178 ss. - 4,80 m.
Über Thomasins Verhältnis zur deutschen spräche hatten wir
bisher keine klarheit, da sich widersprechende ansichten ent-
gegenstanden; weil aber ein urteil über stil und arbeitsweise
ohne erledigung dieser Vorfrage kein endgültiges sein kann, haben
' iu der unten angeführten abh. über A. Kurzmann, s. 810 aniu.
■■' [Nyerupl Symbolae ad Literaturam Teutonicam antiquiorem . .
Havniae 1787: xi. Speeuli h. s. in linguam saxoniae inferioris rhythmice
versi praefatio. s. 445 46 — 451/52 und .\ii. Specimina alterius translationis
eiusdem libri. s. 453/54—459/60.
3 Hermann Oesterley, Niederd. Dichtung im Mittelalter. Dresden 1871.
s. 49—52.
■« Ed. Rieh. Müller, Heinrich Loufenberg. Strafsb. Dissert, Berlin 1888.
^ Anton ESchönbach, Wiener Sitzungsber. phil. el. bd. 88. Wien 1877
s. 807 — 849. hr. Lutz teilt eine nachricht des Vorauer bibliothekars mit,
dass die hs. sich seit wenigstens 10 jähren nicht mehr in der bibliothek
befinde, nebenbei: Vorau in Steiermark, nicht in Mähren.
'■ ebenda s. 810. anm.
HEKXT i'HEK KANKE SPRACHE X'NP STIL IM WAI.SCHEX GAST 63
die reichen untersuclmngen der letzten Jahre über äufsere und
innere form Thomasin nicht g-estreift. umsomehr kann man
Rankes von Roethe angeregte arbeit begrüfsen, man müste es
auch dann, wenn sie mit so völliger beherschung der raethode
keine so glatten und gesicherten ergebnisse verbunden hätte, es
ist kein zweifei, dass durch R.s Untersuchung die ansieht über
Thomasins arbeitsziel und arbeitsweise sowie über seine sprach-
lichen kenntnisse eine klärung und teilweise erledigung gefunden
haben.
Noch Zs. 44, 274 hat Zwierzina von einem reimkauderwälsch
des dichters gesprochen. R. geht in der Sprachbehandlung eben
von diesen reimen aus. da eine Untersuchung der spräche über-
haupt erst eine revision von Rückerts ausgäbe zur Voraussetzung
hätte. Thomasin ist arm an reimwörtern, 32"5 o/o aller reime
werden von 15 reimwörtern gebildet; doch ist der grund dafür
nicht sprachliche unbeholfenheit, sondern geht auf die anläge des
dichters zurück, der überall den Inhalt über die form stellt, wie
später erwiesen wird, daraus erklären sich auch die reimun-
genauigkeiten. die reimbindungen zeigen im allgemeinen öster-
reichischen sprachbestand, wie von vornherein anzunehmen war;
dahin gehören auch die weitgehende apokope, die jedes aus-
lautende -e treffen kann (s. 25 ff), und synkope sowie die ge-
sicherten seit, geseit neben seltenerem leit, geleit. da in den un-
reinen reimbindungen auch assonanzen nicht selten sind, würde
ich auch für die reime kunst: wünscht, rnogten: sxiochten nicht
lautliche entsprechungen in heutigen südösterreichischen mdaa.
suchen, denn auch wenn wir daraus auf die zeit des 13 jh.s zu-
rückschliefsen könnten, beweisen solche Übereinstimmungen neben
so vielen andern nicht im dialekt begründeten assonanzen nichts,
für die bindung ht : ft, w'ozu R. alem. und österr. parallelen
findet, verweis ich noch auf Banz Christus und die Minnende
seele v. 514 kraft : macht {?,.), wo übrigens auch die Identität
der Verfasserin mit dem von R. auch angezogenen 'Des Teufels
Netz' nachgewiesen ist. auch diese bindung war für Thomasin
nur assonanz" bei gän, stän herschen nach R. im intin. und in
der 3 sg. ind. die (?-formen, sonst soll e gelten, das wäre eine
auffällige Verteilung, aber die von R. angeführten e-bindungen
für den indicativ (7909. 11545; 577) sind ebenso ohne ent-
scheidung wie die reime sten : gen, stet : get. es bleibt also nur
eine sichere conjunctivform mit (' (5531. 14217), was zum ge-
brauche vieler mhd. dichter stimmt. die von R. angeknüpfte
betrachtung ist demnach einzuschränken; der beweis ex silentio
für die 1 und 2 pers. sg. und plur. hat keine bedeutung, wie
ein blick in die reimverzeichnisse andrer dichter lehrt.
Zu den wenigen verstöfsen gegen die deutsche spräche
(endungsloses adj. nach dem bestimmten artikel 43 f) würde ich
auch den starken gebrauch einzelner sw. substantiva und manche
64 BERNT ÜBER
apokopen rechnen, fehlgriffe in der Wortwahl sind ihm von
WGrimm und Schönbach nur wenige nachgewiesen ; die gerügte
stelle nerrischeif - 'stultitia', oheristez guot - 'sunimum bonuni' er-
weist der vf. als einwandfrei, gewisse unregelmäfsigkeiten will
R. aus dialektischem gebrauche erklären (shi in beziehung auf
femin. und plural s. 6u). vieles geht auf reimnot, den einfluss
lateinischen gebrauchs — doch ist Thom. auch nicht mehr vom
latein beeintlusst als andere geistliche poeten seiner zeit, s. 66 —
und nur zum geringsten teile auf sprachliches Ungeschick zu-
rück, wenn aber E.. aus einzelnen erscheinungen der Umgangs-
sprache schliefst, dass Thom.s Sprachgefühl nicht höfisch-literarisch
gebildet war, so kann ich aus diesem umstand nur folgern, dass
bei ihm eben das lebendige Sprachgefühl stärker war. als die
sicherlich nicht geringe litterarische beeinflussung. Thom. wollte
kein nachahmer der höfisclien aventiuren sein, auf die er spöttisch
herabblickt, vgl. v. 11 13 ff 3535 ff und Latzke Subjectives aus
mhd. dichtem (programm, Korneuburg 1906) s. 23 f, und darum
wol auch der geringe einfluss ihrer formalen kunst auf ihn.
ß.s bemühungen aber, Thomasins ausdruck möglichst an die Um-
gangssprache anzulehnen, geht zu weit, wenn man auch die
meinung, seine dichtung sei die unbeholfene arbeit eines land-
fremden, nach R.s arbeit wird stark modirtcieren müssen, denn
das bedeutendste ergebnis seiner Untersuchung ist der erweis,
dass Thomasins spräche keine buchsprache ist, sondern dass er
sein deutsch auch gesprochen und gehört hat. dass aber der
gesprochene dialekt in Thomasins reimen überwiege, wie der
vf. meint (reimarmut, fehlen der specifiscli litterarischen doppel-
formen, einzelne mundartliche erscheinungen), ist mit so äufser-
lichen mittein nicht erweisbar, nur eine behandlung des vers-
innern, vornehmlich in hinsieht der syntax, könnte entscheidende
gründe bringen, da die bekanntschaft des dichters mit bedeu-
tenden litterarischen deutschen werken nicht bezweifelt werden
kann und sogar verloren gegangene niederrheinische litteratur
umfasst haben dürfte, wird man bis auf weiteres dem dichter die
genaue bekanntschaft mit der lebenden spräche, wie sie sich in
R.s arbeit erweist, und die bekanntschaft mit der deutschen
litteratur seiner zeit in gleicher weise zuerkennen müssen, und
wird das geringere hervortreten rein litterarischer reime aus
seiner sonstigen reimarmut und seiner eigenart erklären müssen,
auch R.s schluss auf die heimat des Friaulers in einstmals zwei-
sprachiger gegend an der italienischen Sprachgrenze, wenn er
auch nur spärliche Übereinstimmungen mit einzelnen mundart-
lichen formen der Sprachinseln beibringen kann, die ich nicht
einmal hoch anschlage, ist bei dem grade seiner sprachbe-
herschung einleuclitend, denn auch ein häufiger, nur vorüber-
gehnder aufenthalt in deutscher Umgebung hätte ein solches
werk nicht hervorbringen können, auch die wortneubildungen
«ANKE SPRACHE UXD STIL I.M WÄLSCHEX GAST 65
des dicliters bezeugen doch eiu lebendig- entwickeltes Sprachgefühl.
R. nennt allerdings die zwölf nicht littei-arischen dialektwörter
Thomasins (s. 50) 'eine verschwindend geringe ausbeute' — man
vgl. dazu den bestand an volkstüniliclien redensarten sprichwört-
licher natur s. 145f, was ihn ja neben Freidank stellt — , aber
mancher höfische dichter bringt diese zahl nicht auf, die seichte
höfische allerweltssprache lässt wenig bodenständiges aufkommen,
und nur an solchen dichtem darf man Th. messen, mit den
lebhaft und charakteristisch schaffenden innerösteneichischen
dichtem darf mau ihn nicht in vergleich bringen. Th. bleibt
eiu höfischer poet, dem nur der lebendige einschlag seines
naturells, die bekanntschaft mit der gelehrten und lehrhaften
dichtung sowie das verwachsen mit der predigt und sein eigener
lehrhafter eifer eine besondere färbe geben, auch seine vielen
exempel aus dem menschenleben, die nach R. dem dichter hätten
die gelegenheit für dialektwörter geben können, kommen bei ihm
aus dem munde des gelehrten priesters und höfisch gebildeten
mannes, der sich zur belehrung an ritter und damen wendet,
aber ein vollständiges Wörterbuch des WG. würde seine spräche
gar nicht als ärmlich erweisen; ich würde zum erweise eine Zu-
sammenstellung für zwei buchstaben und einen vergleich mit
dem wortbestande in Hartmanns Iw.. Greg, und aHeinr. emp-
fehlen, die zusammen etwa den umfang von Th.s gedieht er-
reichen, dass er deutsch dachte, beweist auch das vorkommen
der vielen sjaitaktischen iucongruenzen, zu denen nur die ge-
sprochene spräche und der sichere halt im Sprachgefühl verleitet
(vgl. s. 58 ff), 'solche anakoluthe sind das beste zeichen für ein
sicheres, sorgloses sprachempfinden' (s. 65). so scheint mir der
ausgebildete gebrauch der rhetorischen prolepse auf liäufige
mündliclie Verwendung hinzuweisen; ich denke an deutsche
predigten, als prediger denkt sich unseren dichter auch R...
vgl. s. 77.
Auch die Stilbehandlung des vf.s geht auf gebiete, die den
herkömmlichen stiluntersuchuugen ferneliegen, für Th. gilt der
grundsatz, dass der Inhalt über die form gieng (s. 89); das er-
klärt auch die eintönigkeit und geringe kunst seiner reime, die
menge seiner rührenden reime ist bekannt, aber viele von ihnen
liegen in der absieht der hervorhebung desselben wortes (s. 80);
dazu kommen die 116 reichen reime; mögen sie auch nur selten
künste formaler natur sein, überall erkennen wir den in künst-
liclier rhetorik und schlagfertigkeit geschulten raeister der rede
(trotz V. 59 ff), so besonders im anaphorischen reim; man vgl.
R.s tabellen s. S2 ff. einzelne stellen können sogar mit Gott-
frieds wort- und reimkünsten verglichen werden, dass im WGaat
das Wortspiel nicht häufig sei, weil es eine freiere sprachbeher-
schiing erfordere als Thora. hat (s. 129), scheint mir eine un-
richtige begründung. es fehlt ihm niclit die sprachgewantheit,
A. F. D. A. XXXIV. 5
66 BERNT ÜBER RANKE SPRACHE L'NI) STIL IM WÄLSCHEN GAST
sondern der gefällige und spielende tormensinn. der dem nur auf
die eindringlichkeit und klarheit des ausdrucks bedachten dichter
abgeht, überhaupt ist die s. 152 gerügte armut an Stilmitteln
im vergleiche zu andern mhd. dichtem nicht eigentlich vor-
handen, sie sind nur etwas einseitig entwickelt, zb. das zurück-
treten der bilder gegenüber dem reichtum an vergleichen und
gleichnissen ; aber auch in der besprechung der bildlichkeit des
ausdrucks geht R. von den höchsten anforderungen aus. wie
arm und abhängig darin sonst formgewandte dichter derselben
zeit sind, ist doch bekannt. R. selbst bemerkt (s. 139), dass
Th. dabei nur wenig mit überkommenem gute arbeitet, im
ganzen allerdings haben die verse des Friaulers wenig rhythmus
und form, auch die harten enjambements mögen dazu beitragen,
wenn auch da nicht alle gleichmäfsig verszerstörend wirken, wie
ja manche dichter gerade durch dieses kunstmittel den eindiuck
einer eleganten leistung erzielen; bei Th. ist diese würkung
wenigstens nicht beabsichtigt. — bei der mitteilung seines meist
verstandesmäfsigen Stoffes geht der dichter vor allem auf deut-
lichkeit und logische klarheit. das Schlagwort 'parallelismus',
unter dem E. (s. 9 Off) stellen sammelt, in denen derselbe ge-
danke durch die Zerlegung in gegensätzliche glieder klargemacht
wird, ist misverständlich, da man darunter sonst nur ganz all-
gemein synonj^me und syntaktische doppelbildungen versteht, was
bei Th. eben gegensatz, antithese in parallelem ausdruck ist, wie
die beispiele v. 1326. 2683. 2747 usw. und besonders v. 5479 ff
beweisen; hieher gehört auch das von E. s. 130f gesam-
melte. — über blofse synonyme zwillingsformen handelt E.
s. 118 ff. zu Thomasins wissenschaftlichem stil gehören dann
die widerholungen, die Variation, die wideraufnahme desselben
Wortes zur gedankenverknüpfung. ein volkstümliches imd rheto-
risches kunstmittel, das sich manchmal bis zur logischen schluss-
kette entwickelt (zb. v. 7241 ff), auch hier zeigen sich überall
die sprachbeherschung und die kleinen kunstgriffe des predigers.
dazu kommt die Vorliebe für zahlenmäfsige einteilung des ge-
botenen Stoffes nach drei oder fünf gliedern und die Vorliebe für
recapitulation am buchanfang und buchschluss. diese und andere
zeichen deuten darauf hin, dass der Friauler vor seinem dichte-
rischen werke 'eine längere lehrtätigkeit irgendwelcher art hinter
sich gehabt hat' (s.l06); jedenfalls ist die schematische anläge und
logische gründlichkeit seines werkes ein beweis seiner wissen-
schaftlichen durchbildung, vielleicht kommt auch das fehlen des
humors auf diese rechnung.
Wie schon oben gesagt, haben wir es bei der vorliegenden
arbeit mit einer methodisch tüchtigen und erfolgreichen leistung
zu tun ; das vorsichtige abwägen der möglichkeiten und die gute
beobachtungsgabe — man vgl. den besonnenen excurs s. 70 ff
über das prosavorwort der dichtung, das E. mit guten gründen
DOLLMAYH ÜBER KTHX RHYTHMIK M. HKHKIMS. 67
für Tli. selbst in ansprnch nimmt — lassen den vf. selten über
die grenzen des erweisbaren hinausg-ehn, und das erhülit den
wert seiner arbeit.
Leitmeritz, im Jänner 1910. Alois IJenit.
Rhythmik und melodik Michel Beheims von dr Alfred
Küliu. Bonu, Cohen 1907. 160 ss. 8» - 5 m.
Dass Michel Beheims meisterlieder, welche erst zum ge-
ringsten teile veröffentlicht sind, vor andern, bereits edierten
meistersingern, die obendrein, wie Frauenlob, ein viel reicheres
bild meistersingerischer kunst bieten würden, eine eingehende
Untersuchung auf ihren rln'thnüschen bau und melodischen ge-
halt hin erfahren, nimmt zunächst wunder, doch findet dieses
unternehmen seine erklärung und rechtfertigung in der selten
günstigen Überlieferung der gedichte, die in der Heidelberger
liederhandschrift nr 312 von des dichters eigener hand ge-
schrieben auf uns gekommen sind, auf diese handschrift basiert
K. auch hauptsächlich seine Untersuchung, neben ihr zieht er
noch die Münchner handschrift cod. germ. nr 291, Karajans
ausgäbe des 'Buches von den Wienern' und die von CHofmann
herausgegebene chronik Friedrichs des Siegreichen von der Pfalz
heran.
Seiner Untersuchung, die in drei capiteln den rhythmus
der verse, die melodie und die beziehungen zwi sehen
text und melodie bei Beheim behandelt, schickt K. eine
kurz orientierende Übersicht voraus über die verschiedenen an-
sichten, welche in den letzten Jahrzehnten bezüglich der rhyth-
mik des sprechverses der Übergangszeit aufgestellt wurden, fixiert
den standpunct der 'jambiker' sowie ihrer gegner, der anhänger
einer 'natürlichen accentuierung im reimvers ohne feststehende
läge und zahl der accente' und bringt die einschlägige literatur
in guter Übersicht.
Da man bei metrischen Untersuchungen gegenwärtig, wo
grundsätzliche fragen noch immer nicht zu sicherer entscheidung
gebracht sind, meist das gefühl hat, gewissermafsen gleichungen
auflösen zu müssen, die eine unbekannte zu viel haben, nimmt
man gerne seit CvKraus metrischer abhandlung über Reinbots
'Georg' zu hilfsconstructionen Zuflucht, es ist principiell also
nichts einzuwenden, wenn K. nach dem beispiele von ChrAMayers
arbeit (Die rhythmik des Hans Sachs, PBBeitr. 28, 457 ff) zu-
erst den versuch macht, die Beheimschen verse nach den regeln
der mhd. blütezeit zu lesen, und die fälle vermerkt, in denen die
betonung der blütezeit zu unmöglichkeilen führen würde. K. stellt
fest, dass die meisten 8- (bezw. 9-) silbler 4 hebungen ver-
langen, die 10- (bezw. ll-j silbler 5, die r2-silbler 6 und die 6-
(bezw. 7-) silbler 3. bei jedem typus sammelt er nun die verse,
68 DOI.LMAYR i-BER
in denen — mhd. scansion vorausgesetzt — eine hebung mehr
gefoi'dert wird, um von dem so gewonnenen material aus die
Unmöglichkeit einer solchen scansion zu erweisen, das haupt-
gewicht legt er, wider nach Mayei-s Vorbild, auf verse in denen
die letzte Senkung fehlt, zb. achtsilblor folgender art: xxxxxxxx
oder xxxxxxxx, die an dem sonst emptiudlichen versausgang eine
rhythmische besonderheit haben, hier scheidet er je nach der
schwere des verstofses fünf Unterabteilungen: 1) zwei betonte
selbständige Wörter im versausgang ohne dazwischenliegende
Senkung, 2) nominalcompositum am versende, 3) nomen 4- ab-
leitungssilbe an dieser stelle, 4) verbalcompositum am versaus-
gang und 5) tonlose suftix- oder flexionssilbe als alleinige
trägerin des reinies. alle fälle lassen sich bei Beheim belegen,
die übrigen rh3^thmusniüglichkeiten bei 5 hebigen S- silblern,
6 hebigen 10-silblern, 7 hebigen 12-silblern usw. werden nicht ge-
sondert untersucht, sondern in einer einzigen gruppe unter jedem
typus aufgezählt, ein allzu summarisches verfahren, bei dem auf
positiven gewinn nicht zu rechnen ist. — noch grölsere bedenken
muss aber die art der scansion erregen. K. bringt die belege
als einzelne verse aufserhalb ihres inhaltlichen und syntaktischen
Zusammenhangs, sodass dem nachprüfenden leser, der die hs.
nicht einsehen kann, oft die beurteilung schwer wird, aber
selbst bei gutem willen, dem besser orientierten autor zu folgen,
wird lebhafter Widerspruch gegen seine scansion wach, in dem
bestreben, möglichst viele zeugen gegen mhd. scansionsmöglich-
keit zu sammeln, führt er eine reihe von versen an, die zum teil
durchaus einwandfreie, zum teil doch mögliche rhythmustypen der
blütezeit darstellen, so müste zb. seite 22 der vers irann czüht,
snpttlkelt, c'r, künst, weh nach den regeln der blütezeit keines-
wegs ein 5-hebiger vers mit drei icten in den letzten drei vers-
silben sein, kunst tritt unter dem rhythmuszwange gegenüber
den starkbetouten nachbarwörtern er und weh ohne weiteres in
die Senkung; und ähnliches gilt bei den meisten der zahlreich
angeführten belege, wo häufung einsilbiger hauptwörter besteht,
ich begreife nicht, warum K. hier das tongewicht der nachbar-
silben gar nicht ei'wog, da er doch unten bei anderer gelegenheit
das Verhältnis zu den benachbarten silben wol beachtete und
danach gruppen unterschied, ich begreife auch nicht, warum K.
niemals die möglichkeit versetzter betonuug im auftact ins äuge
fasst. verse wie clüg, listig, weis von synn oder röss, esell,
Jielffent gross müssen nicht 4-hebig gelesen werden, sie wären
auch in der lyrik des 13 jh.s als dreiheber möglich, fast die
hälfte aller angefühlten beispiele sind bei annähme mlid. technik
möglich, wenn man das relative gewichtsverhältnis der silben
untersucht, die möglichkeit versetzter betonung zugibt und den
satzaccent neben dem wortaccent beachtet, etwa die hälfte aller
verse sind dann aus K.s listen zu streichen.
KÜHN RHYTHMIK V. MELODiK MK lli;i, liKllKl.MS 69
Übeizeugender ist dei- abschnitt, der über Verletzungen des
wortaccentes im reime handelt, hier sind fälle gesammelt wie
kercke'r: ser, schneidt'r: nier: vatr'r: mer, schüssel.spüh'r: der;
des: manne's. K. kommt zu dem Schlüsse, dass Beheim nicht
nach mhd. art seine verse gebaut haben kann, im folgenden
führt K. den nachvveis, dass B. silbenzähler war, und gibt ein
übersichtliches bild von dem umfange der angewendeten apo-
kopen, Synkopen, epithesen und epenthesen von e und doppel-
formen, dass die langen reihen von doppelformen, die K. ans
der hs. gesammelt hat, nur aus der silbenzählenden technik des
dichters erklärt werden kijnnen, ist gewis. es ist aber nicht
der einzige weg, diese zu erweisen. K. hätte unschwer aus der
hs., die wir uns nach den eingetragenen geburtsdaten seiner
kinder als handexemplar des dichters vorstellen müssen, fälle
beibringen können, wo Beheim durch nachträgliche besserungen
— einschub von flexions-e udgl. — seine silbenzählende technik
verrät, auch später nachgetragene gedichte, weggestrichene ver-
suche, gedichte die in der hs. ausdrücklich als Jugendleistungen
bezeichnet sind (s. Bartsch Die altd. hss. dei- bibl. Heidelberg
s. (iSb) udgl. hätten sorgfältig und gesondert untersucht werden
sollen.
Die tabellen, in denen eine Statistik der Verletzungen des
wortaccentes bei streng jambischer s c a n s i o n der
verse geboten wird, scheiden acht gruppen von accentverstöfsen,
bei den schwersten fällen beginnend (flexionssilbe in hebung,
Stammsilbe in Senkung, zb. spih'n, ianczcn, manches), w-arum K.
zwei töne, die 'slehtguldin' und die 'hohe guldin' weise, die er
'wegen der ungeheuren masse von reimen' hier von der Unter-
suchung ausschloss, überhaupt nicht weiter bespricht, ist mir un-
klar geblieben, auch wird nicht deutlich, ob daraus allein sich
eine reduction des beobachteten materials von 1 1 000 versen auf
S850 ergab, die wie es scheint sorgsam geführte Statistik er-
gibt, dass mehr als 85 "o der untersuchten verse mit jambischem
rhythmus gelesen werden können, ohne dass der Avortaccent ver-
letzt wird.
Im zweiten und dzitten capitel versucht K. nach S a r a n s
Vorbild (Die Jenaer liederhs. 1901) und mit dessen terminologie
die töne Beheims zu anah'sieren und sein musikalisches können
zu erwägen, und macht auch von dieser seite her wahrscheinlich,
dass Beheim seinen versen jambischen rhythmus zugrunde ge-
legt hat.
Das resultat das K. aus der breitangelegten Untersuchung
gewinnt, dass nämlich Beheim keine freie füllung der Senkungen
kannte, sondern die hauptmasse seiner verse bei fester silbenzahl
jambisch scandierte. ist durchaus sicher, sind aber alle verse
und töne von diesem princip beherschtV zeigen alle lieder das
gleiche Verhältnis? vermag man nirgends einen fortschritt seiner
7 0 DOLLMAYE ÜBKU KL'HX HIIYTHMIK M. BKHKIM»
kunst gegenüber metrisch schlechter gebauten versen zu er-
kennen? K. behandelt die ganze masse der reime als eine ein-
heit. nur an einer stelle weist er darauf hin, dass sich ein be-
stimmter accentverstoi's (vorsilbe ge in liebung zb. unihgi'uiirgt,
gedenk) auffallend oft in einem nachträglich in die hs. einge-
tragenen gedichte findet, es bleibt zu erwägen, ob sich nicht
von der nunmehr sicher erwiesenen grundlage streng alternieren-
der rhythmik liedergruppen mit besserer und schlechterer kunst
zusammenstellen lassen. K. verspricht eine auswahl aus den
werken Beheims zu veröffentlichen, vielleicht holt er dort nach
was er hier zu geben versäumte, vor allem auch eine Unter-
suchung über den satzaccent und über die strophe in Beheims
'Buch von den Wienern*.
Wien 12.3.10. Viktor Dollmajr.
Die deutschen 'accipies' und 'magist er cum discipuli s' -Holz-
schnitt e als hilfsmittel zur incunabel-bestimmung vouW. L. Schreiber
und Paul HeitZ mit 77 abbildungen [= 100 heft der Studien
zur deutschen kunstgeschichte]. Strafsburg, Heitz, 1908. 71 ss. und
77 tafeln. 8". — 10 m.
Zu ende des 1 5 und im anfang des 1 6 jh.s haben drucker
von Schulbüchern in Holland, England, Deutschland und Italien
ihre erzeugnisse gern mit titelholzschnitten nach Vorbildern aus
mittelalterlichen handschriften geschmückt, die in allgemeinsten
Zügen schulscenen schildern und mit ihrer auf f orderung 'accipies
lanti doctoris dogmata sancti' auf werke des verschiedensten
lehrinhalts passen, wenn sich der hexameter auch von haus aus
auf Thomas von Aquiuo bezieht, diesen nachweis hat WLSchreiber.
dem dabei ein grofses, zt. von Paul Heitz gesammeltes und re-
produciertes material zu geböte stand, überzeugend geführt, er
leitet zugleich nach Proctors, Voulliemes und Haeblers Vorgang
dazu an, die accipies-bilder, die ja einmal neben einem impressum,
mit Vorliebe aber auf undatierten drucken stehu. zur bestimmung
heimatloser und undatierter drucke zu verwerten, und bringt sein
material in eine so praktische folge nach der zahl der abgebildeten
Schüler, dass das hülfsmittel seineu zweck prächtig erfüllt, wie
ich au unsern Freiburger beständen habe erproben können.
Der Antwerpener drucker Gerhard Leeu ist mit der Ver-
wendung der accipies-bilder 14 86 vorangegangen, in Deutschland
hat im gleichen jähre der Basler Johann Amerbach als erster
den brauch aufgenommen (Schreiber nr 1 5), doch erst das accipies-
bild des Kölners Heinrich Quentell von 1490 (nr 18) hat der
Sitte bahn gebrochen, und rings im lande nachfolge gefunden, so
dass jetzt insgesamt gegen 4 00 incunabeln mit solchen holz-
schnitten vorliegen schuld daran ist nach S.s einleuchtender
beweisführung der gute ruf den sich die Quentellschen Schul-
bücher erworben hatten, und von dem die nachdrucker nutzen zu
GÖTZE Ü15EE SCHKKIliEK ÜN1> HEI'I'Z DIE ^VCCIPIES'-Jd )i,zsrnNITTK 71
ziehen hofften, wenn sie seinen titelholzschnitt nachahmten, in
dieses g-esamtbild kommt ein stürender zug durch S.s annähme,
dass sich Qnentell, als sein altes accipiesbild 1495 durch vielen
gebrauch verdorben war, einen 'magist er cum discipulis'
(ur 56) durch nachahmung eines Nürnberger Schnittes von Fried-
rich Kreusner 1491 (nr 55) verschafft haben soll, doch diese
incongruenz lässt sich beseitigen: die 'Dicta versoris ( super septö
tractatus magistri | petri h3fspani cum textu' (Hain 16038, in
Freiburg B 1917 bu) tragen S.s holzschnitt 56 auf dem titel-
blatt, sind aber nach ihrem Impressum 'per honestum virum
Henricü Quentell Ciuü Coloniensem. Anno octuagesimo nono' ge-
druckt, dabei macht dieser abzug von 1489 nicht einmal den
eindruck völliger neuheit. so bleibt auch in diesem falle Quentell
führer und muster für die übrigen deutschen drucker, die lebens-
zeit seines Schnittes 56 erweiteit sich auf die jähre 1489 bis
1500, das gesamtbild gewinnt erheblich an geschlossenheit.
Eine Verschiebung des datunis erfährt auch S.s nr 4 3, ein
schnitt Konrad Hists in Speier, der von 1496 bis 97 gebraucht
sein soll, übrigens das einzige bild ohne linieneinfassung in dem
ganzen buche. erwünscht ist hier zunächst Hains nr 9036 a
(in Freiburg D 6217) mit Hists Impressum von 1497, nament-
lich aber der druck D 6208 h, dessen auch von S. s. 43 mit-
geteilte schlussschriit nichts anderes bedeuten kann als 'Conradus
Hist de Spira 1517'. — der bei S. folgende humoristische schnitt
nr 4 4 steht 1504 auf zwei drucken Hüpfuffs in Strai'sburg, be-
gegnet aber auch schon vor 1500 und ist da typographisch
schwer unterzubringen. S. vermutet einen Strafsburger drucker,
aber eine bisher nicht gebuchte, mit diesem schnitt geschmückte
ausgäbe des "Es tu scholaris' o. o. u. j, (in Freiburg D 4263)
stimmt nach allen Haeblerschen indicien (M 88, kegelhöhe 82/83
und alle einzelheiten der texttype) so völlig zu drucken Michael
Greiffs, dass wir den Ursprung des Schnitts wol nach Reutlingen
und in die zeit vor 1496 verlegen müssen. — widerum zeitlich er-
weitern lassen sich die grenzen des Quentellscheu Schnittes nr 52,
der bei S. 1500 bis 1508 bezeugt ist, aber auch auf einem bis-
her nicht gebuchten druck 'AUctoritates | Aristotelis oim recte
philosophntiii facile | p'ncipis . . .' (Freiburg D 436 an) erscheint,
der 'Anno redemptionis Nono supra Millesimum quingentesimum'
gedruckt ist. eine frühere aufläge desselben werks von 1504
'in profesto Laurentij martyris' (D 436 ak), die 'Tractatus duo-
I decim Petri hispani" vom 'Anno christi. iiij. supra. M. ccccc. ad
fine menfis Julij' (B 1905 p) und ein 'Chato cü glosa \ et
moralisatione'. 'lucente vigilia apostolorum Symonis et Jude
Anno incarnationis düice. M. ccccc i.' (D 5637 mo) verstärken auch
nach rückwärts den eindruck, dass der schnitt 52 zu den meist-
gebrauchten bei Quentell gehörte. — S.s nr 1 S steht auch auf
Quentells druck Voullieme 1080, nr 56 auf VouUieme 981 und
72 GÖTZE (BER SCHREIBER TXD HEITZ DIE 'AfCIPIES'-HOLZSCHMrrK
1017, nr 60 auf Hain 17 27 und auf einem sonst nicht be-
schriebenen druck 'ORationes familiäres < Eleg-.i [ tissime ex omib?
Publij Ouidij libris formale' 'Impresse Colonie ]> Martinum de
werdena. prope domum Consulatus. in vico Burgensi. Anno. M.
d. ix', einen unbekannten naohsclinitt zu nr 60 tind ich auf
NMichaelis, Arg'umenta communia. Basel 'Jacob vPforzheim ?) 1511.
l'anzer 9, 393.
S. hat vorausgesehen, dass sich in drucken die ihm unbe-
kannt geblieben sind weitere abzüg-e der von ihm beschriebenen
bilder finden würden, und auch auf die erweiterung der ver-
wendungszeit bei nr 4 3 und 52 ist gewis kein übertriebener wert
zu legen, aber wenn einfach durch aufündung zweier neuer
drucke das abhängigkeitsveihältnis der wichtigen blätter nr55f
umgekehrt und der ausgangspunct von nr 44 fixiert wird, scheint
doch die frage erlaubt, ob das bei bibliographischen arbeiten
dieser art befolgte verfahren der umfrage bei bibliotheken eigene
Umschau genügend ersetzt, die umfrage nach den 'accipies" ist
seinerseits in Freiburg, wie ich versichern kann, mit mehr Inter-
esse und Zeitaufwand erledigt worden, als normaler weise ein viel-
geplagter ausleihbeamter dafür aufbringen kann, und hat auf die
gestellten bestimmten fragen pnnct für punct antwort erhalten,
die Schwierigkeit ist aber, dass die aufgäbe im grund höchst un-
bestimmte fragen verlangt hätte, die den bibliotheken einen un-
möglichen Zeitaufwand zugemutet hätte — aus ähnlichen er-
wägungen ist auch die leitung der Weimarischen Lutherausgabe
neuerdings vom System der umfragen abgegangen. 5 Freiburger
drucke hat S. nach jener auskunft verwerten können, mir liegen
jetzt, nach weiterer Sammlung und dank dem änderglück meines
collegen Bruno Claufsen 41 voi-. und gewis birgt das haus noch
ein teil mehr, unter ihnen hätten S. zb. für seine nr 20 in
D 8184 af oder D 8195 vorlagen ohne bibliotheksstempel zur Ver-
fügung gestanden, für nr 21 in D 5246 ein früherer abzug mit
unversehrtem rande, für nr 27 in D 4267 ein klares bild statt
des verklecksten Olmützer exemplars, für nr 67 in D 1466 ein
besser erhaltener stock mit alter Inschrift, die den zweck des
Spruchbands veranschaulicht, anderseits weisen unsere nrr B
1905 k, D 1466, 146Sc, 4263, 4976, 5637 m und mo. 6960 und
K 55481 starke spuren alten gebrauchs auf: in ihnen werden
manche exemplare aus lehreihand, einzelne sogar aus schülerhand
durch bibliotheken der Breisgauklöster den weg in die gegenwart
gefunden haben.
Der vergleich der originale mit S.s abbildungen zeigt durch-
weg, dass diese ihren zweck durchaus erfüllen; hie und da ist.
wenn ich die erscheinung i'echt deute, auf dem weichen kunst-
druckpapier die schwärze ein wenig geflossen, störend auf nr 26
und 30, in nr 56 ist dadurch das rechte fenster völlig schwarz
geworden, umgekehrt hat bei nr 60 wol ein zu blasser abzug
KÖSTER CbER .TOACIIIJII-DEOE DEUTSCHE SHAKESPEARE-rRdHI.EME 7 3
vorgelegen, die mafse stimmen bisweilen nicht scharf znr vor-
läge, doch wol nur, wo Heitz und Schreiber die aufnähme nicht
selbst besorgen konnten wie bei nr 9, wo auch über den zustand
des arg zerrissenen und mit federzeichnung gedickten Originals
berichtet sein sollte, auf interessante einzelheiten kann hier nur
eben hingedeutet werden: die art wie auf nr 16 die folianten
auf dem bücherregal nicht stehn sondern liegen, auf nr 45 (der
einzige, von S. vergebens gesuchte abzug des holzschnitts Frei-
burg D 4146 b) der kalender an der wand und die tintenhürner
am pult hängen, sowie die auf nr 48, 64, 75 widerkehrende art,
wie ein schüler die gelesene zeile mit dem griffel verfolgt, nr 4 9
und 57 die form des lesepults mit zweifach gebogenem fuls usf.
Mit der vorliegenden arbeit haben die Heitzschen Studien
zur deutschen kunstgeschichle die zahl von hundert heften er-
füllt — in I 5 Jahren haben sie ihrem gebiete reiche förderung
gebracht und, worauf hier alles ankommt, einem weiten kreis
eine fülle von änschaunngsmaterial zugänglich gemacht, das
vom Verlag ausgegebene Übersichtsheft läfst die reiche ernte in
aller kürze noch einmal an uns vorüberziehen.
Freiburg i. Br. Alfred Götze.
Deutsche Shakespear e-probleme im XVIII Jahrhundert
und ira Zeitalter der romantik von Marie Joachimi-Dege.
Leipzig, Haessel. 1907. [Untersuchungen zur neueren sprach- und
literaturgeschichte, hg. v. Oskar F. Walzel, 12 heft] 296 s. 8.
— H m. (geb. T m.).
Ein gescheites buch, das nur im detail nicht überall so gut
ist wie im ganzen, es scheint mit ungleichem Interesse ge-
schrieben zu sein, das verrät schon der stil, der bisweilen ge-
want und geschmackvoll ist, bisweilen tief in die niederungen
des schlechten Journalistendeutsch hinabsinkt, es kommen partieen
vor. die die Verfasserin wol ohne inneren anteil, nur aus Pflicht-
gefühl abgefasst hat; da ist der Vortrag trocken, an den stellen
aber, wo der eifer, und offenbar ein sehr reger, fliegender eifer
erwacht, da wird die rede triumphierend und pompös.
Das ganze zerfällt in zwei teile; der erste (s. 6 — 1 2S) be-
handelt die Shakespearefragen des 18 jh.s, der zweite (s. 131 —
296) erörtert die Verdienste der romantiker, d. h. im wesentlichen
der brüder Schlegel, um den grofsen englischen dramatiker. eine
merkwürdige Verschiedenheit der räumlichen ausdehnung fällt
dabei gleich ins äuge: während der intensiven kritischen tätig-
keit zweier (zählen wir Tieck hinzu: dreier) geister etwa
1 60 textseiten zufallen, müssen sich die generationen Gottscheds,
Lessings, Gerstenbergs, Herders und der jungen genies zusammen
mit 120 selten begnügen, aber auch in ihrer inneren structur
sind die beiden hälften des buches verschieden : die erste wählt
den ton des historischen referats, während die zweite zum grösten
I 4 KOSTEU LBEK
teil in sj-stematisiereudem Vortrag abgefasst ist und nur gegen
das ende wider historisch-chronologisch vorschreitet.
Das räumliche niisverhältnis wird noch auffallender, wenn
man die feinere gliederung der beiden hauptabschnitte betrachtet,
jeder von ihnen zerfällt wider in di-ei teile, die Shakespeare-
bemühungen des 18 jh.s zerlegt die Verfasserin sehr beifalls-
würdig in drei perioden : dem Gottschedischen Zeitalter der
polemik und apologie widn)et sie unter einschluss der entwicklung
des jungen Lessing rund 30 selten; der productiven kritik
Lessings und den praktischen versuchen FLSchröders fallen im
zweiten abschnitt rund 6(J selten zu, während für die ganze
dritte periode, d. h. alles was von Gerstenberg bis zu den ro-
mantikern geschehen ist, nur 30 selten übrig bleiben. — und
ebenso verrät der zweite hauptabschnitt durch seine gliederung,
dass das Interesse der Verfasserin nicht überall gleich stark ist.
das eintreten für Shakespeai-e muste sich für die brüder
Schlegel notgedrungen zu einem kämpf für Shakespeare zu-
spitzen, und da dieser nach drei fronten geführt wurde, so er-
gaben sich daraus drei (diesmal natürlich nicht chronologisch von
einander abgehobenej capitel: dem kämpf wider die 'correcten'
widmet frau J.-D. wenig mehr als zehn selten, dem gegen den
Sturm und drang wenig mehr als 20 selten, während mehr als
ein drittel des ganzen buches, über 1 00 selten, dem kämpf gegen
die classiker zufällt, so wird, ob man die hauptteile oder die
Unterabschnitte betrachtet, das buch gegen das ende hin immer
ausführlicher.
Diese Ungleichheit der behandlung wird ja zum teil durch
die gröfsere Wichtigkeit oder unwichtigkeit der materie bedingt;
aber doch nur zum teil, ein rest von willkür bleibt übrig, und
da ich auch diesen lieber erklären als verurteilen möchte, so ist
mir wol die Vermutung erlaubt: ist vielleicht das ganze buch
rückwärts concipiert worden? bestand vielleicht anfangs nur die
absieht, das Verhältnis der romantiker zu den classikern an einem
der hauptprobleme, der Shakespeare-frage, zu erörtern? wurden
dann kleine ergänzende partieen (teil 2 abschnitt 1 und 2) nötig?
forderte darauf Lessing, soweit er aureger für die Schlegel war.
seine Würdigung? und wurden dann vielleicht erst hinterdrein
die lücken etwas eilig und ohne die erste frische anteilnahme
ausgefüllt ?
Ich möchte mir gern die entstehungsgeschichte der einzelnen
capitel so zurechtlegen, aber schliefslich, für die beurteiluug
müssen wir das buch so nehmen wie es nun einmal geartet ist.
und da ist leider zu sagen, dass der erste teil, der dem leser
vorführen soll, wie dem deutschen volke langsam das Interesse,
wenn auch noch nicht das Verständnis für Shakespeare zuteil
wurde, wenig gelungen ist. frau J.-D. zeigt sich trefflich be-
gabt, wenn es gilt, reichlich und offen bereit liegendes material
JOACHIMI-nEOE DEUTSCHE SIIAKESPEAHE-I'KOIU.E.ME 10
klwg ZU deuten, wo also Shakespeares einfluss klar zu tage
tritt, wo die quellen ergiebig flieisen, da bringt ihr buch das
beste, aber jenen rückwärts dringenden historikergeist, der zu
den Ursachen nochmals die Ursachen aufspüren und erkennen
möchte, und sich drum über ein weit zurückliegendes, aufschluss
bietendes symptom oft mehr freut als über den materialreichtum
späterer zelten, diesen leidenschaftlichen entdecker- und Spürsinn
hat frau J.-D. nicht, und doch sind für alle literarhistorischen
und überhaupt biologischen forschungen die embryonalen zustände
oft reichlich so wichtig und interessant wie die erscheinungen,
die die voll entwickelten, eigenlebigen wesen aufzeigen.
Wie selten ist bei uns Deutschen die entsagungsvolle lust
am materialsammeln und au mikroskopischer betrachtung ver-
bunden mit der gäbe der geistigen durchdringung- und der ab-
rundenden darstellung. wir haben staunenswerte bibliographieen
des kirchen-, des volks-, des Studentenliedes, und doch keine
einzige, zum kunstwerk erhobene darstellung dessen, wie diese
lieder im volke gelebt haben, wir erfreuen uns zweier bände
voll Faustsplitter, und haben keinen der das geistige band
zwischen diesen tauseuden von fragmenten nachweist. — auf
der andern seite aber treten viele Schriftsteller auf mit der be-
gabung, in schlankem stil ein anmutendes buch zu schreiben, aber
sie nehmen sich nicht die zeit, ihr werk gründlich vorzube-
reiten; ja, sie schätzen in vielen fällen die 'kärrnerarbeit' wol
gering und betrachten sich selbst als bauende könige. Selbst-
täuschung in menge.
Hübsch gezimmert, aber leider etwas unsolide ist das erste
capitel des buches der frau J.-D. ich halte vom nachtragen ein-
zelner materialstückchen sehr wenig und will daher das register
alles dessen, was an fehlem in den angaben der fi-au J.-D. steckt
und was überhaupt nicht vorhanden ist. nicht widerholen. Kurt
Richter, der sich seinerseits um die Sammlung von Shakespeare-
splittern verdient gemacht hat, gibt in den Studien für ver-
gleichende literaturgeschichte 8, ;-i8Sff viele ergänzungen. Wo-
rauf es mir ankommt ist, an ein paar beispielen zu zeigen, dass
mit so unvollständigem, genügsam gesammeltem material eine
darstellung wie frau J.-D. sie beabsichtigt, nicht durchzu-
führen ist.
Die Verfasserin möchte Deutschland während der ersten vier
Jahrzehnte des IS jh.s in tiefster Unkenntnis über Shakespeare
zeigen, gewis trifft das für die groise masse des Volkes zu; wo
ist aber nur der geringste beweis dafür erbracht, dass es auch
für die Wortführer bedingungslos gilt?
Gottsched tritt in den gesichtskreis der frau J.-D. ich stehe
weitab von der jetzt durch Reichel proclamierten bewunderung
dieses verdienstvollen, aber einer vergehnden zeit angehörigen
mannes. ihn jedoch heute noch mit dem alten, wolfeil ge-
76 KÖSTER rBEU
wordenen spott abzufertigen, und mit der Verachtung die in
Lessings munde erklärlich ist. das ist noch unhistorischer als
Reicheis Überschätzung-, vor allen dingen: mögen Gottscheds
kunstanschauungen schon bei seinen lehzeiten noch so rückständig
gewesen sein. Unkenntnis auf dem gebiet der internatinnalen
dramatischen literatur darf man ohne zwingende beweise dem vf.
des Nötigen Vorrats niemals vorwerfen, das tut aber fi'au J.-D.
sie behauptet, Gottsched habe bis 1741, d. h. bis zum erscheinen
von Borcks 'Julius Cäsar', Shakespeare nicht gekannt: ' 'er (Gott-
sched) hatte Shakespeare erst jetzt durch die Übersetzung kennen
gelernt", heißt es s. 10 f. nun hatte aber Gottsched doch schon
seit langen jähren den 'Spectator' gelesen, der ihn widerholt auf
den englischen dramatiker hinwies, aus Gottscheds eignem hause
war 1739 die Übersetzung des 'Zuschauers' hervorgegangen;
jahrelang mochten und musten der dictator und seine geschickte
freundin den Inhalt der neun bände zum gegenständ ihrer
Unterhaltung gemacht haben, wie sollte ihm, der doch auch alles
aufgestöbert hat, was vielleicht einer theaterreform dienen konnte,
der gepriesene englische dramatiker dauernd unbekannt ge-
blieben sein? frau J.-D. kann diese Unmöglichkeit nur dadurch
möglich machen, dass sie die würkung der moi'alischen Wochen-
schriften in Deutschland gänzlich ignoriert, und das scheint mir
ein großer fehler, wir haben die wähl zwischen zwei ur-
teilen über Gottscheds Shakespearekenntnis bis 1741: entweder er
kannte nichts von dem englischen dichter, wollte sich auch gar
nicht belehren lassen, und verwarf seine Averke aus blofsem ver-
urteil; oder er hatte doch einige dramen Shakespeares gelesen
und muste sie nur eben nach mafsgabe seiner kunstanschau-
ungen misbilligen. das letzte scheint mir das einzig mögliche,
das einzige was zugleich der wissbegier und der beschränktheit
Gottscheds entsprach, ja, selbst dies urteil ist vielleicht schon
zu scharf, denn zeugt es nicht von einer erheblichen Unbe-
fangenheit, dass Gottsched in denselben Jahrgang derselben Zeit-
schrift, in der er eben erst Borcks 'Julius Cäsar' verurteilt hatte,
Elias Schlegels vergleich zwischen Gryphius und Shakespeare
aufnahm, in dem der englische dichter so manches lob erhielt?
als er dann freilich hinterdrein gewahr wurde, welche begriffs-
' Frau J.-D. kann sicli natürlich auf Lessing berufen, der behauptet
hat, da.ss Gottsched Shakesjjeare 'aus stolz' nicht habe kenneu lernen wollen,
aber ganz abgesehen davon, dass 'kennen lernen' dort im Zusammenhang
des 17 literaturbriefes vielleicht soviel wie 'prüfen, studieren, und also er-
gründen, verstehn' heilsen kann, ist es doch bei den mancherlei Unge-
rechtigkeiten Lessings gegen Gottsched zweifelhaft, ob diese behauptung
sich auf Sachkenntnis stützt, was wüste denn Lessing von Gottscheds
Shakespeare-lectüre? er durfte doch höchstens behaupten, dass der Leip-
ziger geschmacksrichter Shakespeare niemals anerkannt habe, uud daraus
erst auf mangelndes Verständnis und vielleicht auf wenig willen ihn zu
begreifen schliefsen.
JOACHIMI-DEOE DEUTSCHE SHAKESPEAKE-rROIU.EME 77
Verwirrung- der Schlegelsche aufsatz hervorrut'eii konnte, da zog
er 1742 seinerseits noch einmal gegen Shakespeai-e zu felde.
und da fielen dann worte, wie "niederträchtig, ekelhaft', die
Gottsched (was bei frau J.-D. nicht zu lesen ist) allerdings nach
dem Sprachgebrauch des 18 jh.s verstanden wissen wollte, und
die abermals beweisen, dass ihm der englische dichter doch nicht
fremd gewesen ist.
Neben der unvollständigkeit der Zeugnisse ist auch die Ver-
bindung zwischen ihnen, die frau J.-D. herstellt, bisweilen an-
fechtbar, es gibt geschichtsschreiber, die, vielleicht nur unbe-
wust, jeder einmal geschehenen tat oder äui'serung eine würkung
zuschreiben, das ist eine grofse Übereilung, die aufgäbe des
historikers kann nur die sein, solche factoren geistig mit ein-
ander zu verbinden, die nachweisbar im Verhältnis von Ursache
und würkung zu einander gestanden haben müssen, alle übrigen
aber, die für die fürderuug oder heramung eines historischen Ver-
laufes ohne belang gewesen sind, einfach beiseite zu lassen, sie
mögen an sich so interessant gewesen sein wie sie wollen, wenn
wir wissen, dass Leonardo da Vinci flugmaschinen auf dem papier
construiert hat, so beweist das nur, dass ein vorgeschrittener
geist sich schon im 1 5 oder 1 6 jh. mit problemen beschäftigt
hat, deren lösung dem 20 jh. vorbehalten war. in eine blofse
aufzählung solcher versuche gehört der seine hinein, in eine ge-
schichte im strengen sinne nicht.
Daraus ergibt sich schon, wie ich die früher gebrauchten
Wörter 'Vollständigkeit' und 'unvollständigkeit' verstanden sehen
möchte, dem bloi'sen registrator ziemt die absolute Vollständig-
keit der documente, Zeugnisse oder was es sei, dem historiker
nur relative Vollständigkeit, d. h. eine möglichst lückenlose reihe
der Zeugnisse die in ursächlichem Verhältnis unter einander
stelin, mit allem was ihre deutung fördert, daneben aber eine
bewuste ablehnung alles dessen, was zwar stofflich verwant ist,
aber die reine darlegung der historischen Vorgänge stört, eine
Schlussfolgerung aus einem überflüssigen document erzeugt einen
ebenso großen fehler, wie die auslassung eines für den Zusammen-
hang notwendigen beleges.
Mess ich an diesen forderungen die leistung der frau J.-D.,
so tut die Verfasserin bisweilen zu wenig, bisweilen zu viel, von
der auslassung wichtiger historischer quellen ist schon die rede
gewesen; aber auch das gegenteil, folgerungen aus material das
keine folgerungen zuließ, kommt vor. ein beispiel: s. 15 ff be-
lichtet frau J.-D. von jenem erstaunlichen artikel, der anonym
1753 in den 'Neuen Erweiterungen der Erkenntnis und des Ver-
gnügens' erschien, und den Litzmann (F. L. Schröder I 76 anm.)
geneigt ist Ast zuzuschreiben, nur einer der in englischer lite-
ratur sehr belesen war, kann den aufsatz verfasst haben ; Shake-
speare wird hier mit leuchtenden äugen betrachtet und unbe-
78 KOSTE R ÜliEK
fangen an den alten gemessen; probleme tauchen auf, die Lessing
und die jungen genies erst nach jähren streifen sollten, ganz
einsam steht dieser rätselhafte autor da. als er 1753 seine aus-
fülirungen veröffentlichte, hat offenbar selbst der vorgerückteste
ihm nicht nachkommen können; wir vermögen nicht den kleinsten
beweis dafür zu erbringen, daß sein aufsatz beachtet wurde und
folgen hatte, und als in späterer zeit andre dort angelangt
waren, wo er schon 1753 gestanden hatte, da waren die 'Neuen
Erweiterungen' längst begraben und vergessen, der anonymus
von 1753 gehört zu jenen millionen überflüssiger, die es im welt-
getriebe gegeben hat zu j'^nen, die zu früh geboren sind oder
ihre erkenntnis nicht laut, nicht oft genug ausgesprochen haben,
wollte man die geistige arbeit einer nation. das ererben und
vererben, in der form eines großen Stammbaumes darstellen, so
würde man den Verfasser solch eines aufsatzes eingliedern als
einen, dessen ahnen man nachweisen kann, der aber keine kinder
gehabt hat. man muß die existenz solcher naturen achten, muß
sie hinnehmen wie sie sind, als fruchtbringende ideenträger, die
aber keine fernere aussaat geboten haben, man darf ihnen aber
nicht, weil ihre gedanken später in andern menschen wider
aufgelebt sind, eine directe einwürkung auf diese späteren an-
dichten.
Wie stellt sich nun aber frau J.-D. zu dem aufsatz von
1753? sie sagt (s. 18): 'mit diesem artikel, der selbstredend
unter englischem einfluss steht, tritt die Shakespearefrage schon
in ein helleres licht, von der Streiterei über regelmäfsigkeit
und unregelmäfsigkeit, bei der Shakespeare als muster für die
regellosigkeit dient, geht man in literarischen kreisen zur lectüre
Shakespeares im original über, es bereitet sich ein Umschwung
vor; ganz allmählich fängt man an, in Shakespeare einen grofsen
meister, ein genie zu sehen, für das die landläufigen wertmafs-
stäbe und die bisher gültigen grundsätze und regeln der kritik
viel zu eng und einseitig sind', also 'man' geht über, 'man'
fängt an, in 'literarischen kreisen" (sogar im plural) liest man
Shakespeare, welch ein ganz irriges bild entsteht durch solche
Verallgemeinerung! in würklichkeit ist es unseres wissens im
anfaug der fünfzigerjahre noch fast ebenso still über Shake-
speare geblieben wie vorher, als die ersten gerüchte laut werden,
dieser verschollene englische dramatiker sei ein ansehnlicher
dichter gewesen, da nehmen, so viel wir erkennen, einige wenige
seine werke zur band: Gottsched der überzeugungstreue, um ihn
zu bekämpfen und kommendem übel vorzubeugen: wahrheitsucher,
wie Elias Schlegel und Lessing, um ausschau zu halten, ob von
England vielleicht das heil kommen könne, bis man aber 'in
literarischen kreisen zur lectüre Shakespeares im original über-
gieng', dazu hatte es noch gute weile, die Verfasserin hätte den
artikel der 'Neuen Erweiterungen' von 1753 so vorsichtig beur-
JOACHIMI-DECK DEUTSrilE SnAKESl'EAUIM'RdIM.EME 79
teilen sollen, wie sie wenige selten spät»'r (s. 34) den von 175G
würdigt: *wir erstannen über die frühreife dieses Urteils, es war
wohl für seine zeit zunächst noch zu reif, es weist schon auf
Gerstenberg und Herder".
Etwas festeren boden unter den füfsen hat frau J.-D., so-
bald sie an den jungen Lessing herantritt, hier ist manche alt-
vertraute tatsache neu beleuchtet, manche combination beachtens-
wert, aber selbst wenn ich auch hier der materiellen lücken,
der falschen datierungen (Nicolais Bibliothek!) nicht gedenke, so
bleibt neben dem anregenden doch viel unerwiesenes stehn. ein
temperament das die Verfasserin gewis persönlich als ein glück
betrachten darf, geht hier, wie an andren stellen, einfach mit
ihr durch, sie sieht ein ziel für ihre Untersuchung vor sich,
sie weifs den weg dahin; sie erkennt ganz richtig, wie sich im
18 ]h. die Shakespearekenntnis und Shakespearebegeisterung
im grolsen und ganzen entwickelt, aber es geht ihr offenbar zu
langsam, sie lässt die menschen des 1 8 jh.s ihre einsichten nicht
in dem tempo gewinnen, wie es nun einmal tatsächlich geschehen
ist, sondern sie hetzt sie noch nachträglich.
Lessing hat darunter zu leiden, bei ihm hat es — anders
wissen wirs nicht und werden es auch wol schwerlich anders er-
kennen — bis gegen das ende der fünfzigerjahre gedauert, dass
er ein überzeugter anhänger Shakespeares auf grund würklicher
kenntnis wurde; und Moses und Nicolai haben und behalten das
verdienst, ihm auf diesem wege anregungen zugetragen zu haben,
frau T.-D. möchte ihn aber schon 1755 als shakespearereif und 1757
als Shakespearekenner hinstellen, und das gelingt ihr nur da-
durch, dass sie den tatsachen resultate abpresst, die diese
schlechterdings nicht hergeben wollen, da wird zunächst Lille
als ein Shakespeare im kleinen dargestellt, nur damit an dem
dichter der "Miss Sara Sampson" schon 1755 eine entscheidende
annäherung an Shakespeare zu erkennen sei. was bei Lillo das
neue war, so heilst es s. 32, war shakespearisch. 'man braucht
es sich nur (nur!j ins grandiose gesteigert, oder ins künstlerische
gemildert vorzustellen, um die hervorstechenden merkmale des
Shakespeareschen dramas zu bekommen', mit solchem 'nur' kann
man aus einem tisch einen vogel machen.
Und ebenso gewagt erscheint mir der zweite schluss (s. 37):
weil Lessing 1757 die bemerkung macht, Mendelssohn habe den
Hamletmonolog 'vortrefflich übersetzt', so erführen wir dadurch
"mit bestimmtheit', dass Lessing in diesem jähre Shakespeare im
original kannte, für mich folgt aus Lessings worten nur, dass
er die Übersetzung des monologes mit dem original verglichen,
günstigstenfalls dass er dann auch den ganzen 'Hamlet' in eng-
lischer spräche gelesen hat. aber dass er 'Shakespeare' (das soll
im Zusammenhang der selten 37 und 38 so viel heilsen, wie:
mindestens eine gröfsere zahl der wichtigsten dramen von Shake-
80 KÖSTER ÜBER
speare) schon 1757 im original gekannt habe, geht aus dem ur-
teil über den einen mouolog nicht hervor, es ist bei der geistes-
art Lessings allerdings so gut wie selbstverständlich, dass, als
ihn der 'Hamlet' gepackt hatte, ihn auch nach weiterer kennt-
nis gelüstete, aber wie bald und wie umfänglich er sie sich
verschafft hat, wissen wir nicht genau, wir müssen da vor-
sichtig sein, im februar 1759 natürlich war ihm Shakespeare
wolvertraut; und er kannte mehr als die drei stücke, die er im
17 literaturbrief citiert.
Frau J.-D. führt dann mit sicherer hand die Untersuchung
bis dahin, wo Lessing für die zukunft der deutschen literatur
die losung gewonnen hat: antik und germanisch zugleich (ob
sie dabei die stelle von den '»lühsMiien Vollkonimeiiheiten der
Kirnst' s. -13 richtig interpretiert hat, bleibe dahingestellt).
Lessiug interessiert sie und ist ihr mit seinem ringen nach form
und 'höheren gesichtspuncten" verständlich, obvvol sie vor den
titeln seiner werke (Der Jude, Hamburger Dramaturgie) und
dem datum seines berühmtesten literaturbriefes nicht viel respect
hat. bei Wieland' lässt die anteilnahme schon wieder etwas nach,
ganz richtig wird der gesinnuugswechsel verzeichnet, der zwischen
AVielauds brief an Zimmermann aus dem jähre 1758 und den
aumerkungen zu seiner Shakespeare -Übersetzung besteht; aber
eine erklärung wird nicht versucht, und doch ligt in der ent-
wicklung dieses einen künstlers (wie die geschichte aller kunst
überhaupt von vielen solcher individuellen factoren abhängt) ein
stück Schicksal für uusre literatur enthalten, denn in welcher
gestalt der übersetzte Shakespeare zum ersten mal vor die deut-
schen leser trat, so rauste er eine Zeitlang vor ihrer phantasie
weiter leben.
Abermals tut darauf die Untersuchung der Verfasserin einen
Sprung, man darf das an und für sich nicht tadeln, die zu-
sammenfassende darstellung eines geschichtlichen Vorgangs kann
nicht die zitterigen curven aller eiuzeluntersuchungen mitmachen,
sondern wird einfachere, ausgeglichenere bogen ziehen müssen,
aber statt zweier katheten einfach die hypotenuse zeichnen, das
dürfte doch etwas zu summarisch sein, und doch geht frau J.-D.
in der Vereinfachung der entwicklungslinien soweit, es galt
zweierlei zu zeigen: die folgen von Lessings und die von Wie-
lands Shakespeare-propaganda. auf der einen seite war die frage
zu beantworten : verstand man im deutschen publicum oder auch
nur in der schriftstellerwelt Lessings anregungen richtig? dar-
auf konnte und muste eine betrachtung von Weifses dramen aus
der Shakespeareschen sphäre antwort geben, die für eine reihe
^ ' beiläufig: dass Wielaiid 'der Genie' statt V/o.s (tc/uV^ schreibt, sollte
man nicht mit einem '(sie!)' versehn, das ist älterer Sprachgebrauch, her-
vorgegangen aus einer sehr schönen Vorstellung, worüber Rud. Hildebraud
trefflich im Grimmschen Wörterbuch s v. Genie unterrichtet.
JOACHIMI-DEGE DEUTSCHE SIlAKESl'EARE-PKom.EME 81
von jähren, mitsamt den kritiken die sie erfahren haben, ein
Gradmesser für die Shakespearereife in Deutschland sind und auch
noch manche züge späterer Shakespeare -bearbeitung-en erklären,
und auf der anderen seite war (wie übrigens frau J.-D. s. 62
selbst ganz richtig bemerkt) die zunähme der Shakespearekennt-
nis und -bewunderung in Deutschland seit der Wielandschen
Übersetzung zu verfolgen, die Verfasserin behauptet nun zwar,
das sei nicht möglich ; aber es ist nur schwierig und zeitraubend,
in den briefwechseln und Zeitschriften, auch den kleineren, der
Sechzigerjahre steckt das material; mau muss es nur heben, der
ertrag wird gar nicht so gering sein; denn die entwicklung des
publicums neben der der dichter und kritiker gehört auch in die
litteraturgeschichte.
Nun, frau J.-D. geht den h3^potenusenweg und ist mit einigen
schritten von Lessing zu Friedrich Ludwig Schröder gelangt,
und hier, wo nun die beiden trefflichen bände von Berthold Litz-
mann überreiches material boten, hier gesellt sich zur linien-
führung auch die färbe; die hastige erürterung macht ergiebigerer
erzähluug platz, mit sicherem gefülil weifs die Verfasserin die
älteren, im einzelnen richtigen, aber des lechten gesamturteils
entbehrenden Untersuchungen über Schröders bühnenbearbeitungen
von Merschberger in historische beleuchtung zu rücken: Schröders
verfahren war in anbetracht des damaligen publicums das einzig
('mögliche' ist wol zu viel gesagt, aber das einzig) praktische.
Auffallend kurz ist der abschnitt über die jungen genies
von 1770 — 1780, frau J.-D. wird ihnen gerecht, das ist ihr
nicht abzustreiten, aber diese gerechtigkeit äufsert sich bis-
weilen kühl, bisweilen mit Überlegenheit, es sind ihr (Goethe
natürlich stets abgerechnet, und auch Schiller) lärmende, irrende
knaben, die man nicht ganz für voll zu nehmen braucht, dies
urteil trifft man bei manchen an die durch Oskar Walzeis
schule gegangen sind; es hat auch seine berechtigung, sobald
man den blick auf die bi'üder Schlegel gerichtet hält, Lenz und
seine altersgenossen mit ihnen vergleicht und die beiden gruppen,
wie es die romantiker wünschten, in gebührender entfernung von
einander hält, aber wenn man in einer selbständigen hälfte eines
buches alle Shakespeare-bemühungen des 18 jh.s um ihrer selbst
willen schildert, so dürfen auch die Stürmer und dränger ver-
langen, zu ihrem rechte zu kommen, gewis sind die romantiker
die reiferen, einerseits weil sie die geborenen theoretiker und
kritiker waren, eigenschaften also besafsen, die die genies weder
pflegten noch besonders schätzten; dann aber auch, weil ihnen
die einsieht dreier Jahrzehnte zugute kam, die den leidenschaft-
lichen früheren dichtem noch fehlte, alles 'zueigenmachen', alles
'auffassen' von Shakespeares künstlerischen grundsätzenhat aber den
romantikern für ihre dichterischen leistungen so gut wie nichts
genützt, sie waren und blieben kluge kritiker, während die
A. F. D. A. XXXIV. , 6
82 KÖSTER ÜBER
Stürmer luid dränger, über die sie sich so sehr überhoben, dichter
waren, dichter sehr verschiedenen Schlages, aber dichter, drum
muss man bei ihnen ihre poetischen leistungen aufsuchen, in
denen sie ihre *Shakespeare-probleme" praktisch zu lösen ver-
suchten, dass frau J. -D. das so gut wie ganz unterLässt,
wenigstens sehr rasch über diese fragen hinweghuscht, ist aus
gründen der gerechtigkeit nicht gutzuheil'sen. denn nun spielen
die jungen genies, für sich allein, wie auch später, als sie von
den romantikern angegriffen wurden und sich nicht mehr wehren
konnten, eine klägliche rolle.
So habe ich den eingangspartieen des buches der frau J.-D.
wie man sieht, manche bedenken entgegenzustellen, die Vor-
geschichte der Shakespeare-bewegung wird wol noch einmal mit
reicherem detail geschrieben werden müssen, die grundgedanken
der ersten capitel kann man sich aneignen; vor den Übertrei-
bungen jedoch wird man sich zu hüten haben, und das stille
sammeln und vorsichtige deuten einzelner in betracht kommender
Symptome, für das die Verfasserin dieses buches anscheinend nicht
viel hochachtung hat, wird noch fernerhin eine wichtige aufgäbe
bleiben, der name Shakespeare braucht in solchen dokumenten
gar nicht immer ausdrücklich genannt zu werden, das deutsche
Volk ist auch durch andre mittel als durch Shakespeare -lectüre
für Shakespeare reif geworden.
In der gröfseren zweiten hälfte des buches ist nun aber die
Verfasserin in ihrem element. diese capitel über die romantik
sind aus dem vollen geschöpft und durchweg aus primären quellen,
romantische doktrin, die ja unter lebhafter anregung einer der
genialsten deutschen frauen sich ausbildete, wird wol stets in
frauen congeniale auslegerinnen finden, die discussionen der
brüder Schlegel durchlebt denn auch frau J.-D. noch einmal
mit hoher erregtheit. ihre ganze liebe gehört den romantikern.
sie haben den process der einbürgernng Shakespeares vollendet,
die krönung des werkes danken wir ihnen; drum gebührt auch
ihnen selbst eine kröne.
Für diesen teil der aufgäbe bringt frau J.-D. ausgesprochene
begabung mit, energie des denkens und eine fähigkeit, aus
längeren gedankenreihen ein klares facit zu ziehen', es berührt
sympathisch, wie sie nie des dankes für Oskar Walzel vergisst,
in dessen schule sie sich gebildet hat, wie sie sich aber Selb-
ständigkeit des Urteils und den mut ihrer meinung wahrt und
eine frische des Vortrags, die nur zuweilen ins saloppe fällt.
Ihre grundtendenzen und hauptresultate sind ausgezeichnet,
ohne zweifei ist erst die romantik Shakespeare gerecht geworden,
und wenn um dieses nachweises willen licht und schatten manch-
1 ist in den abschnitten über Schiller (s. 216 uö.) die beständige Ver-
wechslung von 'sentimetifaP und 'soitimentalisch' gleichgültigkeit gegen die
begriffsverschiedenheit oder absieht?
JOACHmi-DE(!E DEUTSCUE SHAKESPEARE-PUUliLEME 83
mal etwas stark contrastiert sind, so schadet das nichts, mäisigen
kann man da leicht, es bleibt zb. noch einmal erneuter nach-
prüfung- vorbehalten, ob der gegensatz zwischen den genies und
den romantikern nicht vielleicht etwas zu unversöhnlich formu-
lirt ist; ob die brüder Schlegel, zwar ausgehend von richtigen
Voraussetzungen, aber durch Widerspruch ins extrem gedrängt,
sich in ihren letzten folgerungen das schaffen Shakespeares nicht
vielleicht um einen oder einige grade zu bewust und absichtlich
vorgestellt haben (wie übrigens die Verfasserin s. 207 selbst in
erwägung zieht), besser ist es jedenfalls, frau J.-D. accentuiert
hier ein wenig zu stark, als wenn sie die grenzlinien zwischen
den Parteien mit unentschiedener band gezogen hätte, an ein
paar stellen wären sogar ein paar kräftigere wörtlein, auch im
Werturteil, am platze gewesen: nämlich überall da, wo es gilt
die brüder Schlegel abzurücken von dem Schwätzer Tieck.
So habe ich nicht allem zustimmen können w^as frau J.-D.
vorträgt, ich tinde, dass etAva die ersten 70 selten ihres buches
etwas obenhin gearbeitet sind, aber man list die ausführungen
einer so begabten frau, besonders den zweiten teil, dennoch mit
gewinn und wird weiteren arbeiten, auch dem essaj^ den die
Verfasserin s. 70 in aussieht stellt, mit anteil entgegensehen.
Am schluss des buches fällt die Verfasserin in den apolo-
getischen ton; sie meint, noch im jähre 1907, die romantik als
die 'unpopulärste und fast verachtetste literaturepoche' gegen
ein weit verbreitetes 'odium' in schütz nehmen zu müssen, und
behauptet (s. 296): 'es gibt fast keinen jungen Studenten von
literarischem ehrgeiz, der nicht einmal auf kosten Friedrich
Schlegels die nase gerümpft oder hell aufgelacht hätte', wo frau
J.-D. diese beobachtungen gemacht hat, weifs ich nicht; mit
meinen erfahrungen decken sie sich keineswegs, so viel ich fest-
stellen kann, begegnet unter der akademischen Jugend die roman-
tik eher einer Überschätzung, und wenn ich im hörsaal über
Friedrich Schlegel gesprochen habe, erhalte ich fast regelmälsig
besuch von jungen fremden Studenten, die aber nicht geneigt
sind zu spotten oder zu lachen, sondern mit grofsen, beinahe
ängstlichen äugen dasitzen und fragen: woher ich das alles
wisse und ob ich gestern würklich von Friedrich Schlegel ge-
sprochen und nicht vielmehr ihr eignes Innenleben meinem audi-
torium erläutert habe, in der akademischen Jugend von heute
fühlen sich viele — ob mit recht oder unrecht, weiß ich nicht —
den romantikern verwant.
Leipzig, den 24 october 1909. Albert Köster.
84 WACKEUXEI-I. {■•I:EK
Studien zu Schillers dramen von Gustav Kettner. Erster Teil:
Wilhelm Teil, eine ausleguug. Berlin. Weidmann, ISOO. xii \m>\
180 SS. 8». — 3.50 m.
Öfters wurde schon beklagt, dass die berufsgermanisten die
erklärung und wissenscliaftliche durcharbeitung der neuhochdeut-
schen classikerwerke viel zu selir halbgermanisten, lehrern, schau-
spielern und blolsen liebhabern überlassen. nichts ist be-
zeichnender hiefür, als dass noch immer Düntzers "Erläuterungen',
diese mit schlecht verarbeiteten und teilweise auch unverläss-
lichen notizeu vollgepfropften Zettelkasten, den markt beherschen.
das übel ist in den letzten jähren nicht wesentlich kleiner ge-
worden: noch immer 'stecken wir zu sehr im alten', wie EHeinzel
einmal selbstironisch gemeint hat, trotzdem die zunehmenden be-
dürfnisse des lebens und namentlich der schule, die sich noch
vor zwei menschen altern um die nhd. classiker so viel wie nicht
kümmerte, wenn sie die lesung derselben etwa nicht gar verboten
hatte, andere wege weisen, es verdient daher dank, wenn sich
ein berufener wie Kettner auf diesem gebiete häuslich einrichtet,
seinen arbeiten über Lessings dramen lässt er nun die Studien
zu denen Schillers folgen, nachdem er schon früher den drama-
tischen nachlass dieses dichters einer sorgfältigen neuausgabe unter-
zogen und manche fruchtbare eiuzeluntersuchung veröffentlicht hat.
Dieses Teilbüchlein soll der erstling aus der geplanten reihe
der Schillererklärungen sein, der Untertitel desselben, eine "aus-
legung', könnte eine irrige meinuug über den Inhalt hervorrufen :
es gibt nicht eine durchgehende erklärung dieses dramas, es
handelt nicht über den dramatischen stil. über spräche und
metrik, über scenen- und actbau udgi., sondern bietet einzel-
studien zu verschiedenen fragen, deren klarlegung das Verständ-
nis des dramas wesentlich fördert, und nicht alle diese Studien
sind gleichwertig.
Die erste [cap. 1, s. 1 — 23] gibt einen knappen überblick über
die Stoffgeschichte, der in späteren capiteln und in den anmer-
kungen am Schlüsse des buches gelegentlich ergänzt wird zu
den bekannten quellen, die man in Tellcommentaren verzeichnet
findet, fügt K. das 'Tagebuch' von Friederike Brun und die
'Reise' von Leop. Stolberg hinzu, die alten Teildramen werden
nur kurz erwähnt, weil K. darüber eine eigene abliandlung im
Marbacher Schillerbuch 3, 64 — 124 niedergelegt hat. der ein-
fluss Müllers wird stärker betont als es bisher der fall war,
wobei freilich fraglich bleibt, wieviel an idealisierung, an •modernem
historischen gepräge', an 'ideellem gehalt' Schiller auch ohne
Müller in das draraa gebracht hätte, da er davon jedenfalls mehr
besafs als der Schweizer historiker. sonst bietet das capitel
nichts neues.
Im zweiten und dritten capitel wird eine vorzügliche ent-
stehuugsgeschichte des dramas entworfen, nur Schillers brief an
KETTXEU STUDIEN ZU SCHILr.EUS rEI.I. 85
Kurner vom 15. xi 1802 vermiss ich uug-ern, weil der dichter
darin andeutnug-en o:ibt. wie die antike dramenform der Braut
auch auf den Teil hiuübervvürken soll. — das nächste capitel unter-
sui'ht. wie Schiller natur und volk schildert und dabei die denk-
und empfindungsweise des 18. jh.s zur g-eltung kommen lässt.
— das fünfte und sechste capitel gehn der anläge und Zeichnung
der dramatischen Charaktere nach, zunächst der Gesslers, dann
Gertruds, Stauffachers, und verfolgen die Vorbereitung und grün-
dung des Volksbundes auf dem Rütli, den dichter erklärend,
rechtfertigend, bewundernd, man wird meist beipflichten können,
bis auf die auslegung des Schlusses der Rütliscene, mit der dann
viele andere stellen, ja eine grundauffassung Kettners zusammen-
hängen. K. meint s. 100: 'so grols dieses Volk [der Schweizer
auf dem Eütli] in seinem alle einmütig beseelenden nationalgefühl
und freiheitsbestreben dasteht, so schwach erweist es sich, wenn
es gilt zur tat zu schreiten'; der 'aristokiat' ' Schiller komme
zum Vorschein und lasse selbst bei 'dieser idealen Volksversamm-
lung die mängel hervorbrechen, die in seinen äugen dem gesamt-
willen als solchem anhaften und ein rasches, einmütiges, ent-
schiedenes handeln lähmen , sodass 'Unklarheit, Planlosigkeit, Zer-
fahrenheit herschen. die verschiedenen Interessen sich vordrängen,
ohne entschieden ausgeglichen oder überwunden zu werden; dies
alles führt zu entschlüssen, die an bedenklichen halbheiten kranken',
und schon s. 7 1 hatte er aus derselben auffassung geschrieben: 'der
verstand (dieses Volkes) haftet nur an dem nächstliegenden, zu
weit aussehenden planen und raschem entschluss ist es wenig ge-
eignet, so erscheint es in der stunde der entscheidung zaudernd,
unselbständig und unentschieden in seinem handeln'.
K. beruft sich für seine meinung zunächst auf die verse
137b ff., denen er eine auslegung gibt, der nicht zugestimmt
werden kann. Stauffacher, Walther Fürst, Rösselmann und der
Sigrist sind für das nächstliegende: die vögte zu überraschen und
gleich loszuschlagen, die Unterwaldner dagegen entwickeln einen
weit aussehenden plan: erst die gelegenheit abzuwarten, um am
einfachsten und sichersten die festen schlüsser der vögte zu
brechen, dabei wird Meier, der schon 1087 ff. als streithansl
eingeführt wurde, seinem Charakter entsprechend etwas hitzig,
aber alsbald wider ins richtige geleite gebracht, dass gerade
die Unterwaldner den eroberungsplan für die festun gen ent-
wickeln, geschieht nicht, weil Stauffacher und Walther Fürst
'keinen rat wissen, wie man dem feinde begegnen, die bürgen
in Unterwaiden brechen soll', wie K. s. 101 behauptet, sondern
weil die Unterwaldner naturgemäi's die festungen und die sie
' der verweis auf Goethes gespräche ist ohne wert schon deswegen,
weil da nicht von Schillers Teil gesprochen wird und das augenmerk zu-
nächst auf die französische revolution gerichtet ist, der gegenüber Schiller
bekanntlich seine ansieht sehr geändert hat. überdies tritt Goethes ab-
siclit allzuklar hervor.
86 WACKERNEIX ÜBER
umgebenden örtlichkeiten ihres landes genauer kennen, zumal
einer von ihnen, Melchtlial, gerade vorlier Samen ausgekundschaftet
und in seinem canton bereits den landsturm organisiert hat. bei
der entscheidung über den antrag der ünterwaldner stimmen 20
(das ist die 'mehrheit, der verhängnisvolle factor in jeder demo-
kratie', wie K. s. IUI meint) dafür und 12 dagegen; da die ünter-
waldner nur über 1 1 Vertreter verfügen, müssen auch männer
von Schw3'tz und Uri mit ihnen gestimmt, sich also von der rich-
tigkeit ihrer auffassung, dass zuerst die zwei festungen zu be-
seitigen seien, selbst auf die gefahr hin dass unterdes eine andere
(Twing Uri) vollendet werde, tiberzeugt haben, sobald jedoch
der beschluss gefasst ist, herscht einigkeit, hält sich jeder
an den beschluss gebunden; der dichter hat das deutlich dadurch
ausgedrückt, dass nun Walther Fürst, der früher anderer raeinung
war, den weiteren plan entwickelt, wie der landsturm aufgeboten
und die vügte zur flucht gedrängt Averden sollen. — wo ist also
hier 'Unklarheit, Planlosigkeit, Zerfahrenheit"? wo sind 'die
mängel des gesamtwillens'? die 'verschiedenen unausgeglichenen
interessen' ?
Warum Seh. diese rasch vorübergehnde meinungsverschie-
denheit hervortreten lässt und den kleinen streit des hitzigen
Meier eingeschoben hat, kann man leicht ersehen: einerseits um
mehr lebenswahrheit zu erzielen, da solche Streitigkeiten eine
regelmäfsige begleiterscheinung politischer erörterungen zwischen
mehr oder weniger verschiedenen interessensphären sind, und zwar
beim adel nicht weniger als beim volk; anderseits, und das
dürfte ihm wichtiger gewesen sein, um von der gradlinigen ent-
wicklung des dialoges abzukommen und für denselben mehr dra-
matische form zu gewinnen, wie er schon früher den gleichför-
migen gang der scene und die epische breite der Stauffacher-
erzählung durch kleinere Unstimmigkeiten zu unterbrechen und
dramatisch zu beleben suchte ; man vergleiche etwa den edlen
Wettstreit 1127 ff. und den tumult welchen Eösselmann erregt
1290 ff. wie sollte denn dramatisches leben entstehen, wenn alle
überall der gleichen meiuung wären?
Anders zu beurteilen ist die nächste stelle welche K. für
seine meinung ins feld führt: 'der sorgenvollen frage Stauffachers,
wie man des furchtbarsten»gegners, Gesslers, sich erwehren wolle,
entschlägt man sich in dem bequemen vertrauen auf die zukunft:
Die Zeit bringt Ratli. Ericartets in Geduld!
Man muss dem Ang&nhlick auch ivas vertrauen!'
Schon Stauffachers frage legt K. nicht ganz richtig aus;
denn sie ist in erster Linie nicht als 'sorgenvoll' zu charakteri-
sieren, sondern entspringt me hr dem bedürfnis des dichters. Gesslers
stärke und Wichtigkeit besonders hervorzuheben; dementsprechend
trägt Stauffacher bedenken. Gessler so wie die übrigen
Vögte zu 'schonen', dh. am leben zu lassen, was Walther Fürst
KETTNEK STUDIEN 7X SCIIII.I.KUS TEI.I. 87
I367f gefordert hatte; das Svhrver ista und fast gefährUch
kanu sicli nur auf ihn zu schonen beziehen, aber noch schlimmer
ist, dass K. in seinem citat gerade die wiclitigsten verse aulser
betraeht lässt: auf Stauffachers frage antwortet nämlich zuerst
Baumgarteu:
Wo's halsgefährlich ist, da stellt mich hin,
Dem Teil verdank ich mein gerettet Leben,
Gern schlag ichs in die Schanze f'ilr das Land,
Mein' Ehr hah ich beschüzt, mein Herz hefriedigt.
es zeugt so recht wider für Schillers dramatischen Scharfsinn,
dass er gerade Bauragarten auf diesen posten stellt, weil dieser
schon in der ersten scene den burgvogt Wolfenschiefseu kurzweg
mit der axt erschlagen, somit seinen raut, seine raschheit und
entschlossenheit bewährt hat; er weifs, wie man mit diesen
Vögten abzurechnen hat. bei der aufführung des dramas soll
man die Baumgartenrolle freilich nicht einem hohlbrüstigen, vogel-
beinigen Schauspieler auflasten, sondern einer kraftgestalt, dann
ist sie glaubwürdig.
Recht jedoch hat K., wenn er die beiden ersten verse
Redings 1437 f beanstandet: man darf dem Augenblick auch was
vertrauen, besonders in einem krieg, wo ja so viel von der
augenblicklichen Lage abhängt; aber nicht das wichtigste, als
was die beseitigung Gesslers jetzt erscheint. der gesammelte
leser oder Zuschauer merkt gleich die absieht des dichters,
eine lücke für die Tellhandlung in der hohlen gasse zu schaffen ;
deshalb erinnert er ein paar verse vorher geradezu an Teil und
dessen rettung Baumgartens, wobei Teil sich noch kühner und
stärker gezeigt hat als dieser, nicht aus dem gesichtspunct der
Volkscharakteristik sind die stellen mit K. zu erklären, sondern aus
den bedürfnissen der dramatischen technik : hier schon soll die dritte
scene des iv actes als wichtige ergänzung der Schweizerhandlung
vorbereitet und eingenietet werden.
K. findet noch andre mängel an den Schweizern der Eütli-
sceue, die ebensowenig begründet sind. nach seiner meinung
sollten die Schweizer auch noch die 'fülle der möglichkeiten, die
eintreten können', bedenken, allein wenn sie das täten, würden
sie wol überhaupt nicht zu einem entschluss kommen, er findet
ferner den 'glauben der Schweizer, der gegner werde in frieden
weichen wenn er das volk in waffen erblickt, naiv', ich möchte
da gerade die Jahrhundertfeier von 1809 vorübergerauscht ist, K.
vorschlagen, JHirns buch über 'Die Erhebung Tirols', die mit
der im drama dargestellten erhebung der Schweizer manche
ähnlichkeit hat, durchzublättern: da wird er finden, wie die
gegner widerholt fersengeld gegeben, nur weil sie das 'volk in
waffen erblickt' haben; er wird weiter finden, wie man öfter
früher losschlug, als man unter andern Verhältnissen verabredet
hatte; desgleichen wird er finden, wie die Tiroler ihre kriegspläne
8S WACKEUNEI.r. ÜBER
nicht besser ausgedacht hatten als die Schweizer bei Schiller;
und trotzdem haben diese wie jene gesiej^t, denn was etwa im
plane mangelte, das ersetzte reichlich die geeinte volkskraft, vor
der K. zu wenig respect zu haben scheint, wahrscheinlich weil
er sie zu viel mit der haltlosigkeit des grol'sstädtischen Prole-
tariats zusammenbringt; deshalb lässt er sich auch verleiten, den
ausdruck 'demokratie' auf die Schweizer anzuwenden, ungeachtet
Schiller in verschiedenen versen und noch kurz vorher v. 1356
einer solchen Verwechslung beinahe ängstlich vorgebeugt hat:
grade die demokratie seiner zeit kämpfte gegen die historischen
rechte und suchte sie durch neue volksrechte zu ersetzen; die
Schweizer im drama aber kämpfen für die historischen rechte,
welche die vögte beseitigen wollen ; diese sind hier die revolu-
tionäre, jene die conservativen.
Endlich erklärt K. es für töricht von den Schweizern, dass
'die Versammlung . . . bedingungslos das handeln jedes einzelnen
bindet' (1 454 ff), und meint, 'das wort, mit dem Stauffacher schliefst
Denn Rauh begeht am allgemeinen Gut,
Wer seihst sich hilft in seiner eignen Sache
zeige sich denn auch sofort im nächsten act in seiner ganzen
kurzsichtigkeit'. das ist wider schon sachlich nicht ganz
richtig: die 'Versammlung' bindet nicht, ihre beschlüsse enden
mit vers 1453, und bereits Hoffmeister hat gesehen, dass
es sich um einen rat oder besser um eine ermahnung
Stauffachers handelt; ferner hilft sich von den Rütlibündlern
keiner 'selbst in seiner eignen sache', das tun nur Teil und
Eudenz, die aber nicht mitgeschworen haben; auch die 'kurz-
sichtigkeit' im in act ist nicht zu finden, denn die ereignisse
kommen da so plötzlich und unerwartet, dass die unbewaffneten
den aufstand gegen die bewaffneten niemals wagen könnten, wie
der dichter ausdrücklich hervorhebt 196Sf; im iv act geht es
dann wirklich los trotz des 'bedingungslos bindenden beschlusses'.
Somit ist alles was K. als beweis für Schillers 'indirecte
kritik der Schweizer beschlüsse' anführt, entweder unrichtig oder
anders zu erklären. In den nächsten zwei absätzen und im
folgenden (siebten) capitel findet K. noch einen weiteren wichtigen
grund, warum Schiller das Schweizervolk so unfertig, ungeschickt
planlos, zerfahren hinstelle: um dadurch eindringlich zu machen,
dass demselben 'eine feste, tatkräftige leitung fehlt, ... die starke
übertragende persönlichkeit, die den unklaren und schwankenden
willen der vielen einheitlich zusammeufasst und rasch ent-
schlossen zur entscheidenden tat lenkt', durch Schillers 'loslösung
des Volkes vom adel' sei 'nicht nur ein riss in das unternehmen
der Schweizer gedrungen', sondern das volk auch um 'die ge-
wohnten führer' gekommen.
Wer immer das drama vorurteilslos auf sich würken lässt,
wird leicht erkennen, dass das Schillers auffassung nicht sein
KETTNER STUDIEN ZV SCIIILI.EKS TEI.!. 89
kann. Seh. sondert den adel nicht ab, um ihn zu heben, um
seine gröfsere Wichtigkeit oder notweudigkeit dadurch zu zeigen,
sondern' grade umgekehrt, um einerseits ihn als unzuverlässig oder
als Volksverräter zu brandmarken, anderseits darzustellen, wie
das Volk ohne ihn sich erhebt und zusammenschlielst, um seine
adelichen bedränger in den staub zu werfen; Schillers Teil ist
ein hochgesang auf des Volkes macht und herrlichkeit, neben
welcher der adel seine bevorrechtigte Stellung, seine führerrolle
einbüfst; das wichtigste litterarhistorische Charaktermerkmal dieses
Schauspiels ligt ja darin, dass es das erste deutsche volksdrama
im eigentlichen und edlen sinn des Wortes ist. der adel erscheint bei
Schiller in zwei teile geteilt: im Vordergrund des ersten steht
Gessler, der blutige tj-rann, mit seinen mitschuldigen unter-
tyrannen und spiei'sgesellen ; der junge schweizeradel strömt ihm
mehr und mehr zu (945 ff u. 952 ff), sodass eigentlich nur der
alte Attinghausen als Vertreter des volkstreuen adels übrig
bleibt ' ; durch dessen raund aber verkündet der dichter, dass das
Volk des adels nicht mehr bedarf (24 16 ff), dass der adel in den
büigerlichen aufgeht (2430 ff) und dass das volk weiter nichts
braucht als einigkeit (2446 ff). Kettner stützt seine ansieht be-
sonders auf Rudenz, den er (noch s. 118) einen 'jugendlichen
realpolitiker' nennt, dem "neben der passion noble auch die
passion belle nicht fehlt', nein! ein windbeuteliger streber ist
er, der gern die göttliche Vorsehung für das volk spielen möchte
(869 ff), das sich abel- auf sein eignes glück besser versteht (l634f),
der hinter dieser maske der volksbeglückung nur auf den
sehnödesten eigennutz bedacht und bereit ist, das volk an den
landesfeind zu verraten (7 90 ff), dazu noch den ehrlichen alten
bespöttelt (811 ff'), bis diesem die geduld ausgeht und er ihm
die wolverdiente leetion erteilt (839 ff, 893 ff und 909); darauf
tibernimmt es Bertha (16u2ft'), diesem 'führer' mit der 'passion
noble und der passion belle' grtindlich die Wahrheit zu sagen und
ihm entrüstet seinen verrat an volk und vaterland vorzuhalten,
bis er seine vollendete Charakterlosigkeit in die worte auswimmert:
^0 Bertha, alles lä/'st mich eure Liebe sein und werden.'' als sie
ihn langsam zur Vernunft bringt, lässt er sich belehren, wie er
die 'schlinge lösen soll, die er sich törigt selbst ums haupt ge-
legt' (17 23 f). er tritt dann dem tyrannen mit grofsen worten
entgegen ; doch bleibt eigennutz auch weiterhin sein leitmotiv ;
nur versteckt er ihn jetzt unter dem vorwand, er müsse die
Schweizer beschtitzen (2490). allein Melchthal weist diesen
* s. 115 will K. am dichter nicht loben, dass er sich bei darstellung
des Schweizer adels auf Attinghausen und Eudenz beschränkt hat : 'der
lebendigen fülle, in der das volk erscheint, treten so nur zwei Vertreter
des adels gegenüber', das war eben Sch.s absieht, weil so schon rein äufser-
lich des adels bedeutung weit hinter der des Volkes zurücktritt, das 'bild
derzeit' wurde dadurch freilich nicht gewahrt ; aber hätte es der dichter darauf
angelegt, hätte er den "Wilhelm Teil überhaupt nicht schreiben können.
90 WACKEItXELL ÜBER
schütz zurück und betont ausdrücklich, der hauer vermöge sich
selbst zu schützen (2491 ff), da er sich aber noch einmal als
Volksschützer anbiedern will (2517), lehnt ihn sogar der saufte
Walther ab, indem er ihm seine nächste pflicht am toten Atting-
hauseu vor äugen hält (2518f). jetzt erst fällt die maske, und
die 'eigne sache' kommt zum Vorschein : Eudenz wird der bittende,
der beim volk angstbeklemmt um hilfe fleht, um seine bedrohte
Bertha retten zu können, weil nun diese befreiungsangelegenheit
mit der befreiungshandlung der Schweizer gleichläuft und die
Schweizer in der vorausgegangenen Tellscene erfahren haben,
dass weitere Verschiebung von übel sei, erklären sie sich bereit,
ihm zu folgen, und es geht auf die bürgen los. Eudenz führt
sie aber nicht 'rasch zum stürm auf die bürgen', wie K. (s. 103)
sachlich unrichtig schreibt; sondern zuerst ersteigt Melchthal den
Rossberg, und erst am nächsten tag 'gewann Eudenz mit männlich
kühner wagetat' das schloss Sarnen (287 3 ff), wo seine Bertha in
gewahrsam gehalten wurde; trotzdem hätte er seine braut nicht
bekommen, wenn ihm Melchthal nicht ein tapferer helfer gewesen
wäre, dem der dichter die bezeichnende rede in den mund legt:
— War er nur unser Edelmann gewesen,
Wir hätten unser Lehen wohl geliebt,
Doch er tvar unser Eidgenoss und Bertha
Ehrte das Volk — So sezten ivir getrost
Das Leben dran und stürzten in das Feuer (2888).
diese w^orte sind weit entfernt, den adel als den 'gewohnten
führer' zu bezeichnen, sondern klingen geringschätzig genug!
damit aber niemand über des dichters auffassung im zweifei bleiben
kann, bringt er sie am schluss des ganzen dramas (3282 ff) noch
einmal in wort und handlung zum ausdruck: Bertha stellt sich
unter den schütz der Eidgenossen und bittet um die aufnähme in
deren bund; sie will nichts mehr als 'bürgerin' sein, und als
solche reicht sie Eudenz die hand, der nicht mehr herr, sondern
nur 'Jüngling' genannt wird, dieser ist damit einverstanden und
erklärt alle seine knechte frei, so hat ihn der dichter aus seinem
früheren verräterischen adelsstolz herausgeläutert und ihm den
eigennutz abgestreift, des dichters auffassung ligt klar zu tage:
nicht blofs des adels bedeutuug ist in der Schweiz vorüber,
sondern auch der adel selbst; es gibt nur mehr Eidgenossen:
das abgelebte und unbrauchbare ist im grofsen und lebeusstarken
aufgegangen. Schillers aristokratentum im Teildrama, die adelichen
als 'gewohnte führer', die 'Unklarheit, Planlosigkeit und Zerfahren-
heit' des Volkes sind lauter ungittckliclie einbildungen Kettners,
denen man nicht rasch genug entgegentreten kann, bevor sie
Unheil anrichten.
Das siebte capitel, 'Die Sonderbestrebungen' überschrieben,
anah-^siert im weiteren den Teilcharakter, der aber nicht glücklich
mit dem Wallensteincharakter zusammengestellt wird; denn beide
KETTNEK STUPIEX ZU SCHII.l.ERS TEI.I. 91
sind in allem wesentlichen verschieden, ja geg-eusätze: bei dem
einen ist alles bereclmung, der andere kann nicht rechnen und
will nicht überlegen (44 3), er handelt mehr instinctmäfsig und
wird nur langsam durch die eigene not zum Verständnis der all-
gemeinen gebracht, das grüblerische Wallensteins, das träumerische
Teils und das visionäre der Jungfrau gehören verschiedeneu
weiten an, so sehr sie sich, äuiserlich genommen, zu gleichen
scheinen. auch möchte ich angesichts des duologes zwischen
Teil und .Stauffacher (380 — 445) nicht mit K. behaupten, er
habe 'keinen tropfen von der phlegmatisch-behaglichen art'. welche
Goethe seinem lastträger verleihen wollte. mit vieldeutigen
ausdrücken wie 'Individualismus' und 'altruismus', die zudem nach
der Studierlampe der philosophen riechen, kommt man einem Tell-
charakter nicht aufs mark ; K. hat ihn nur teilweise richtig
nachgezeichnet.
Das achte capitel untersucht die einzelnen teile der Tell-
handlung und deren Zusammenhang, um des dichters absiebten in
ihrer tiefe zu ergründen, zieht er auch die philosophischen
Schriften und gedichte herbei, der Wahrscheinlichkeitsgrad der
vielumstrittenen apfelschussscene hängt davon ab, wie weit es
dem dichter gelungen ist. in Teil das bewustsein zu wecken,
dass er auch in dieser läge den schuss mit Sicherheit abgeben
kann: dazu dienen der höhn des vogtes und die vertrauensvollen
zurufe des knaben. das urteil wird immer mehr oder weniger
subjectiv bleiben, und daher wird der streit nie ganz aufhören,
in der polemik Kettners mit Bellermann über Teils entschluss
den vogt zu töten scheinen mir beide unrecht zu haben, es
handelt sich um den scheinbaren Widerspruch zwischen 2060 ff
und 2579 ff. K. sucht sich (s. 129 und 178) zu lielfen, indem
er die erste stelle anders deutet, als sie jeder unbefangene list:
Teil beschliefse schon nach 1990, den vogt für jeden fall, auch
wenn der schuss gelingt, zu erschiefsen und später zeit und ort
für diesen zweiten schuss zu wählen: er sage daher (2060 ff)
dem vogt nur einen teil der Wahrheit, indem er zwischen dem
zweck des zweiten pfeiles und des 'nächsten Schusses
erstem ziel' unterscheide, allein eine so kniffige denkweise ist
bei Teils argloser natur gänzlich ausgeschlossen; K.s erklärung
widerspricht überdies der ganzen Situation: nur dadurch dass Teil
die volle Wahrheit mit külinheit heraussagt, kann er sein über-
volles gemüt entladen, erlangt er den auf wägenden ausgleich; sie
widerspricht endlich der vom dichter nicht umsonst ausdrücklich
hervorgehobenen Versicherung Teils, er wolle dem vogt die 'Wahr-
heit gründlich" (dh. ohne rückhalt) sagen, an dieser stelle ist
also nicht zu rühren.
Aber auch bei der zweiten stelle braucht man nicht mit
Bellermann eine 'Selbsttäuschung' Teils anzunehmen, sie erklärt
sich glatt aus dem gang der handlung. Teil hatte den entschluss
92 W.VCKKU.NT.LT. ÜUKR
allerdings mit einer beschränkenden bedingnng- gefasst: Wenn
ich mein liebes Kind getro/foi hiHtc. das ist nicht geschehen;
aber dafür ist ein anderes ung-lück eingetreten : die gefangen-
nähme Teils und die bedrohung der ganzen familie ; denn sobald der
vogt arglistig sein wort bricht, kann sich auch Teil der Über-
zeugung nicht verschliefsen, dass zwischen ihm und dem vogt
der kämpf auf leben und tod geführt werden muss, dass der vogt
ihn und seine familie (2577f) vernichten wird, wenn er ihm
nicht zuvorkommt ; das kind ist zwar nicht durch den vom vogt
erzwungenen schuss gefährdet wie vorher, als er den schwur ge-
tan, aber dies, er selbst und die ganze familie durch die sicher
kommende rachetat des vogtes, und in diesem wie in jenem falle
ist der vogt die Ursache des Übels, ganz naturgemäfs bleibt der
schwur in kraft, Teil braucht keinen neuen zu schwören, wie
Bellei'mann und andre meinen, sondern nur die gelegenheit zu
erspähen um ihn auszuführen, und er wird dann auch genau aus-
geführt: des nächsten Schusses (mit dem zweiten pfeil) erstes
ziel ist der vogt. der beschränkung, die nur einige minuteu
geltung hatte, braucht Teil daher im monolog nicht zu er-
wähnen.
Kettner bezeichnet Teils monolog (2560 ffj kurzweg als 'lyrisch'
und stellt ihn dem 'reflexionsmonolog' Wallensteins (vor dessen
verhängnisvollem entschluss) gegenüber, als wenn er nicht gleichfalls
reflexiouen enthielte und dieselben mit dem Offenbarungsmonolog
und dem monolog der abwägenden Überlegung wechseln liefse:
gerade die mischung der verschiedenen monologarten ist für diesen
grofsen monolog charakteristisch, unbegreiflich ist mir K.s tadel
über Teils zuruf, als der vogt am boden ligt (2792f): er sei
'theatralisch' und mache den abschluss zu einem abgang für den
Schauspieler, ja sollte Teil still und unsichtbar davonschleichen?
er enthält auch kein selbstlob, sondern ist der unmittelbar her-
vorbrechende aufschrei des Siegers in diesem furchtbaren kämpfe,
der die Spannung löst und mit unübertrefflicher kürze die be-
freienden folgen für den einzelnen wie für das ganze land ver-
kündet, er ist stilistisch unentbehrlich; dass er auch dem Schau-
spieler zu gute kommt, ist selbstverständlich, wie meistens wo
das ergebnis einer langen hochgespannten dramatischen entwick-
lung mit überraschender klarheit und Vollständigkeit aufspringt.
statt dieser stelle hätte K. eine andere, die er im nächsten capitel
'Die Vereinigung von volk und adel' bespricht, tadeln sollen: es
sind die verse 2090 ff, welche die führer des Volkes unmöglich
so sprechen können, weil sie früher bei ihren beschlüssen TeUs
hilfe in keiner weise in rechnung gezogen haben; wenn sie früher
alles ohne ihn vollbringen wollten, wie kommen sie jetzt auf ein-
mal zur meinung, das alles von ihm abhänge: 0 nun ist alles,
alles hin! Mit euch Sind wir gefesselt alle und gebunden! usw.
die verse sind ein beleg, dass auch der reife Schiller vereinzelt
KEITNER STUDIEX ZU SCHILLEKS TEI.l. 93
noch die würkung' einer .scene auf kostender iolgerichtijrkeit der
handlang zu erhöhen sucht, was beim jungen Schiller häulig war,
besonders im Don Carlos, aber K. glaubt, entsprechend seiner
früheren ansieht, dass 'die Eidgenossen jetzt die kurzsichtigkeit
ihi'er beschlüsse auf dem Rütli und ihre Ohnmacht erkennen
müssen" (s 141), was ihn nicht hindert, gleich darauf hinzuweisen,
wie 'die führer' in zwei scenen später 'das ganze hochgefühl der
verbündeten aussprechen', im übrigen weist K. an verschiedenen
stellen richtig nach, wie die 'müde eile' den dichter gehindert
hat, den schluss des dramas mit derselben Sorgfalt auszuarbeiten
wie die früheren acte.
Das letzte capitel handelt vom 'sieg des Volkes" und von der
Verknüpfung der Schweizerhaudlung mit der Tellhandlung. dass
der dichter die ersteigung des Rossbergs nicht ausführt und nur
melden lässt, hat wol noch seinen besonderen grund: schon beim
blofsen Vorschlag Melchthals auf dem Rütli iüne Diriv des Schlosses
ist mir hold usw. (14 13 ff) erwehrt man sich nicht der un-
angenehmen enipfindung, dass der dichter ein lustspielmotiv aus
der geschichtlichen Überlieferung herübergenommen habe, das in
den pathetischen schluss jener scene und in dieses heroische
Schauspiel überhaupt nicht passt; bei näherer ausführung nun
würde das erst recht unangenehm ius äuge gefallen sein. Schiller
hätte hier im Interesse reiner kunstwürkung die überliefei'ung
ändern müssen, wie er es an andern stellen mehrfach
getan hat.
"Was K. über die Parricidascene, über die Schilderung der
Gotthardstrafse, über das 'tableau' sagt, darf der Zustimmung
sicher sein, am Schlüsse zeigt er, wie Schiller im "bilde der Ver-
gangenheit die ideale der eignen zeit spiegelt' ; auch in f rülieren
capiteln hat er gern durch solche beobachtungen seine Unter-
suchungen vertieft und mitunter noch durch nachweise, wie
einzelne bestandteile der Weltanschauung des 18 Jahrhunderts ent-
standen sind, ausgeweitet, bezeichnend für K.s methode ist, dass
er bei allen wichtigen scenen die benützten quellen vergleicht
und klarlegt, was Schiller davon herübergenomraen, was er ver-
schmäht uud was er geändert hat, wodurch seine arbeit, die
jeder Teilerklärer mit gewinn benutzen wird, wesentlich an
festigkeit gewinnt.
Innsbruck. J. E. Wackerneil.
Die Franzosen zeit in deutschen landen 1806 — 1S15 in wort
uud bild der mitlebendeu, hsg. von Frledr. Scliulze, 2 bde.
Leipzig, R"^oigtläuder 190S. XII 336; IX 3TS. s.s. gr. S". — l^ m.
Der herausgeber. der sich in einer hübschen Studie über
Arnims Dolores als verständnisvollen kenner der Jüngern rom an-
tik bewährt hat. führt in dem vorliegenden werke mit glück
94 ROETHE ÜBER
einen glücklichen gedanken durch, der seiner arbeit ihren be-
sondern platz nnter der Jubiläumslitteratur der befreiungskriege
sichert, er baut ein bild jener tage auf aus Zeugnissen der zeit und
der Zeitgenossen ; er selbst nimmt nur zu kurzen, recht geschickten
einführungen das wort, sonst blofs in ausvvahl und anordnung
sich betätigend, einer Verteidigung dieses planes gegen die
'überwissenschaftlichen', wie die einleituug sie für nötig hält, be-
darf es heute kaum ; im gegeuteil : auch die sprödeste geschichts-
wissenschaft weils den wert subjectiver privatzeugnisse, die macht
der imponderabilien und der Stimmungen richtig einzuschätzen,
und gerade für die periode der vSch.s werk gewidmet ist, sind sie
kaum je misachtet worden, tatsächlich unterscheidet sich das
bild das Sch.s Sammlung ergibt, nicht nennenswert von dem uns
allen geläufigen, er überschaut die memoiren- und briefliteratur
vortrefflich, setzt manche hübsche nüance auf (unbekannt war mir
zb. der kosmopolitisch-enthusiastische 'Magische Spiegel') : aber die
vertrauten zeugen, Arndt und Steffens, Fichte und Görres, die be-
kannten schriftstellernden Offiziere Reiche, Rühle, BoA'en, Clausewitz
usw. stehn doch durchaus im Vordergrund ; wir freuen uns an dem
labsal Blücherscher kraftworte und begegnen in den schreiben der
zürnenden reformhelden wie Stein, Gueisenau, Scharnhorst
wesentlich äufserungen, die sie allenfalls hätten drucken lassen
können; die grofsen schlachten, vor allem Leipzig, sind bevor-
zugt vor den Innern Vorgängen, der gesamteindruck entspricht so
dem populären bilde der zeit weit genauer, als das zb. für
Meineckes doch auch gemeinverständlich gedachtes 'Zeitalter der
deutschen erhebung' zutrifft, auch darin zeigt der herausgeber
seinen guten tact: die moderne histoiie ist begreiflicherweise nur
allzu geneigt, zb. den schönen bund naiver und sentimentaler
kriegspoesie, wie ihn die heeresleitung Blücher-Gneisenaus dar-
stellt, nach seiner intellectuellen seite hin abzuschätzen, während
die zeit das umgekehrte unrecht übte.
Ich bin mit Sch.s auswahl also durchaus einverstanden und
hätte nur in seltenen fällen andre zeugen gewünscht (für
Spanien zb. Heinr. v. Brandt), aber mir kam doch der gedanke,
dass sich Sch.s plan auch ganz anders hätte ausführen lassen,
wenn er die post eventum redigierten memoiren ausgeschaltet
und sich auf die würklich zeitgenössischen stimmen in briefen,
flug- und denkschriften, zeitungen beschränkt, diese dafür gerade
in ihren extremen augenblicksgeständnissen belauscht hätte,
gewis, weder der Rheinbund noch der Tugendbund, weder die
feudale Opposition Preufsens noch die revolutionären und antidy-
nastischen tendenzen im weitern Deutschland, weder Österreichs
noch der Kheinlande Indifferenz noch die kurzsichtigen Interessen
der städtischen kirchtumpolitik werden ganz ignoriert; aber das
alles verschwindet doch hinter den siegreichen mächten nationalen
strebens; Preufsen fälirt sogar schlecht dabei, Aveil seine unter-
SCHULZE DIE FRAXZOSENZEIT IX DEN DEUTSCHEN LANDEN 95
lassungssünden vor 1806 iii üblicher weise stark unterstrichen
werden, während den kleinstaaten (aulser etwa Sachsen) solche
cnltnrbilder erspart bleiben, das material für diese dinge ligt.
gerade weil da der all tag zu worte kommen müste, nicht ganz
bequem vor, aber vorhanden ist es schon, und es scheint mir
auch heute keineswegs überflüssig, jene bilder zu beschwüren;
Süden und norden hätten daraus zu lernen, freilich der Südwesten
immer noch viel mehr als der norden, des prachtvollen Mar-
witz conservative Opposition hätte bei Seh. umsoweniger schlank-
weg durch Boyen abgetan werden sollen, da Marwitz doch sonst
ein sehr geschätzter kronzeuge ist und wir seinem christlich-
germanischen kreis mit gutem grund von andrer seite her näher
gekommen sind.
Es war nicht Sch.s absieht derartige wünsche zu befriedigen;
das hätte den populären Charakter seines werkes umgeworfen,
nur eins hätte doch auch mit seinen zielen sich vertragen, ja
wurde eigentlich durch sie gefordert, die gröfse Napoleons kommt
gar zu wenig zur geltung. die bekannten worte Goethes und
Hegels würken so in der Vereinzelung fast wie abnormitäten,
ein paar oftizielle Eheinbundwedeleien wie lächerliche niederträch-
tigkeiten: dass in einer zeit die dem individuum wachsende ehr-
furcht entgegenbrachte, der grofse kaiser auch menschlich eine
macht war, dieser gar nicht unerfreuliche zauber seiner persön-
lichkeit kommt bei Seh. nicht zu seinem recht, nicht einmal
Johannes von Müller nimmt das wort, und das , rgreifende drama
der hundert tage entbehrt so des eindrucks.
Seh. hat ausländisclie stimmen im ganzen nicht hereingezogen,
aber unter den beigegebeneu bildern sind doch — mit recht —
russische und englische carrikaturen. sehr wenig französisches,
das ist schade, gerade Napoleons rückkehr, die stunde da er
die Bourbonen hinwegfegte, hat sehr würkungsvolle bilder her-
vorgebracht, etwa Louis xvni und seine creaturen die krondia-
manten zusammenraffend, während aus dem meer Napoleons ideal-
büste auftaucht, von strahlen umleuchtet, mit der Unterschrift:
les hrillans les plus purs sont Vi'dat de ta gloire. selbst Napo-
leons feinde ehren in Frankreich seine gröfse, wenn sie ihn auf
Schädeln thronen oder ein beer von gerippen und krüppeln an-
führen lassen (der schädelthron wurde in Deutschland nachgeahmt),
auch sonst bietet gerade die französische carrikatur manches
interessante: mit den Preufsen beschäftigt sie sich viel weniger
als mit Russen und Engländern; doch tritt schon damals der
ulan hervor als abnable Prussien. wenn die königiii Luise als
kriegslustige amazone dargestellt wird, so ist das ein merk-
würdiger beleg dafür, wie wenig sich Völker in ihren idealen
kennen und verstehn.
Die deutsche carrikatur steht erheblich hinter Frankreich
zurück. Schadows Zeichnungen, von denen Seh. vieles mitteilt.
96 ROETHE rHEK SCHULZE DIE FHAXZ« »SEXZEIT IX DEX DEUTSCHEN I.AXDEX
sind mehr geistreich als durchschlagend, und was populär würken
sollte, ist ineist recht plump, aus den mappen des Berliner
kupferstichkabinets, die auch Seh. herangezogen hat, notiere ich
noch als würksam ein bild Napoleons in teufelsgestalt. hinter
dem die Rheinbundfürsten und -minister in die hülle tanzen;
recht volkstümlich das bild der auf- und absteigenden treppe,
die sonst die altersstufen. hier aufstieg und fall des Corsen ver-
sinnbildlicht; zu dem capitel 'Das ende der deutschen ausläuderei'
(Seh. II 253) hätte hübsch gepasst ein etwas jüngres bild, das
Hermann. Barbarossa und den herzog von Braunschweig-Oels
gegen den costumier allemand Tartuffe aufstehn lässt. im ganzen
steckt wenig witz in diesen barbierstuben, nussknackern usw.;
schon damals diese köpfe, die aus leibern oder landkarten mehr
oder weniger geschickt zurechtgemacht waren, grade so wie man
sie anno 70 zu sehen bekam und jetzt noch sieht, die erinne-
rung an die tageskunst von 1870 kann uns überhaupt vor hoch-
mut bewahren, auch wenn wir über manche bilderbogen (Schlacht
bei Jena, bei Halle. Erfurter congress) lächeln möchten, die Seh.
mitteilt, immerhin würde es uns heute wol besser gelingen,
hass und liebe des krieges drastisch im bilde zu gestalten.
Der bilderschmuck des Sch.schen werkes, der wie der text
Zeugnis ablegen soll von dem geiste der zeit, ist ein wesentlicher
bestandteil des ganzen: freilich wüste man damals im durch-
schnitt besser deutsch zu schreiben als deutsch zu zeichnen,
zumal die Jostschen Sammlungen in Leipzig, das Völkerschlacht-
museum am Napoleonstein und das Köruermuseum in Dresden
haben sehr wertvolles bildermaterial beigesteuert : schlachtenbilder
(meist von dem Augsburger Rugeudas, aber auch allerlei ge-
schicktere französische Stiche) und andere politische scenen, sol-
datenbilder, feuerwerke und festdarstellungen, landschaftsbilder,
facsimiles, vor allem eine grofse fülle ausgezeichneter portraits.
und in diesen portraits hat Preufsen durchaus die führung, wenn
nicht durch die kunst der darsteiler, so durch die in diesen ge-
siebtem erfrischend lebende geistige und sittliche bedeutung der
dargestellten. Roethe.
Gottfried Kellers dramatische bestrebuugeu von dr. 3Iax
Preitz [Beiträge zur deutschen literaturwissenschaft heraus-
gegeben von Ernst Elster nr. 12.] Marburg, Elwert. 1909. 185
SS. 8". — 4, 4U m.
Eine fleifsige arbeit! doch leider steckt sie sich zu hohe
ziele und gerät dadurch mehrfach in seichtes ästhetisieren.
hätte der vf. fein bescheiden sich begnügt, das material in
sauberer anordnung und mit erläuterung alles erläuternswerten
vorzulegen, seine leistung hätte dann vielleicht noch mehr den
eindruck einer commentierten ausgäbe gemacht, er aber wäre
von dem vorwürfe frei geblieben, dass er ein schönes thema mit
unzulänglichen mitteln bearbeite.
WAI.ZEL ÜBER PREITZ KELLERS DRAMATISCHE BESTREBUNGEN 97
Selbstverständlich ist Kellers Verhältnis zum drania eine
monographische Untersuchung' wert. das beweist auch dem
Zweifler die Studie von Preitz. mag doch angesichts dieser zu-
sammenstelhing selbst der kenner von Kellers schaffen staunen,
wieviel kraft und wieviel sinnen Keller an die kunst der bühne
gewant hat. der gesamteindruck ist, dass Keller nicht blofs
die malerei in vergeblichem ringen und ohne ertrag sich zu eigen
hat machen wollen, sondern dass auch das drama für ihn ein
heifsersehntes und nie ganz gewonnenes land der verheifsung
war. Keller verzichtete spät genug auf die hoffnung, ein maier
zu werden, aber er legte den pinsel nie ganz aus der band;
den drang nach der bühne unterdrückte er viel später, doch auch
dramatische gedanken beschäftigen ihn noch lange zeit, bis er
endlich 18S1 zu der resignierenden erkeiintnis kam, dass die
plane, die er von der Berliner zeit her noch als anonj'me passa-
giere im hirnkasten mit sich führte, wol nicht mehr aus-
steigen würden, trotzdem taucht die absieht ein drama zu
schreiben noch in den nächsten jähren gelegentlich auf. ein end-
giltiger verzieht kam nur ein jähr vor seinem tode zustande, in
dem augenblick da er sich entschloss, einige der dramatischen
projecte seiner Jugendzeit zu erzählungen werden zu lassen, um
sie als schatten der erinnerung zu erhalten und zu gewahren,
ob die weit vielleicht doch ein ausgelöschtes lampenlicht darin
erkennen wolle, allein auch in epischer form sollten die alten
entwürfe nicht zur weit kommen, das tagewerk des Züricher
meisters war schon abgeschlossen. —
Preitz will nicht nur einen überblick über Kellers ringen
mit der bühnenkunst geben, vielmehr denkt er die von ihm in
folgenden worten ausgedrückte frage zu beantworten: 'Hatte
Gottfried Keller nach dem ureigenen wesen seiner poetischen
begabung und nach dem, was er dramatisches hinterlassen, das
recht, auch das drama als sein erntefeld anzusehen, warum hat
er im drama trotz starken Avillens nichts geleistet, und hätte er
darin etwas von dauerndem werte leisten können?' (s. 2.) gegen
Bächtold erhebt P. den Vorwurf, dass er seinen ausführungen
über Kellers dramatische arbeiten die spitze nehme, wenn er
sage: man brauche sich über die frage nicht zu ereifern, ob
Keller das zeug zum dramatiker überhaupt besafs; er sei vor
allem ein ganzer dichter gewesen, und das bleibe die erste be-
dingung für den dramatiker, alles übrige komme in zweiter linie.
auch ich kann Bächtolds werte nicht gerade glücklich tinden.
sie zeigen, wie leicht ein historisch denkender gelehrter auf ab-
wege gerät, wenn er an eine historisch gegebene tatsache mit
der frage herantritt, ob sie unter gewissen bedingungen auch
anders hätte werden können, der tatsächliche ablauf von Kellers
dramatischen bemtihungen spricht eine so deutliche spräche, dass
er alles spintisieren über andere möglichkeiten von Kellers
A. F. D. A. XXXIV. 7
98 WAI.ZEI. riJER
schaffen auszuschliefsen scheint, seine begabung lag — so sieht
es wol jeder an der Keller etwas näher kennt — nicht auf der
Seite des dramas; hätte er sich dennoch ein fertiges drama ab-
gerungen, es wäre kaum ein freier und glücklicher wurf ge-
worden, ungefähr dasselbe meint P., wenn er am ende seiner
Studie seinen 'spruch' formt: "dramatisch zu gestalten wäre bei
Gottfried Keller ein act des willens gewesen, nicht ein ergf-bnis
seiner innersten natur' (s. 17 5). freilich möchte P. da nicht
einen allgemeinen, ungefähren eindruck niederlegen, sondern er
glaubt, in seiner arbeit den nachweis dieses "Spruches' geliefert
zu haben, und da täuscht er sich.
P. scheint sich nicht bewust zu sein, dass er vorschnell an
ein thema die band legt, das von aufserordentlicher Schwierigkeit
ist. mit mühe und not besinnen wir uns heute, während eine
periode grundsätzlicher vei'schmähung fast aller charakteristischen
Züge der kunstgattungen und dichtungsarten ihrem ende zustrebt,
älterer versuche, die grenzen und die eigenheiten der einzelnen
gruppen künstlerischer formen zu erkennen, wider möchte man
herausbekommen, worin der stil des dramas, der erzählung, des
lyrischen gedichtes ruht, zeigen sich schon bei diesem streben
Schwierigkeiten in hülle und fülle, so scheint es im augenblick
eine schier unlösbare aufgäbe zu bedeuten, wenn die begabuug
und anläge zu einer bestimmten kunstform umschrieben werden
soll, denn selbstverständlich wollen wir doch nicht einfach zu-
rückgreifen und ohne einschräiikung aufnehmen was vor dreifsig
und fünfzig und hundert jähren festgesetzt worden ist. nicht
ganz umsonst sollen die künstler und deuker geschaffen haben,
die in den letzten Jahrzehnten zeigten, welche fülle von mög-
lichkeiten innerhalb einer kunstform steckt, was alles eine kunst-
gattung und eine dichtungsart leisten kann, wenn sie über ihre
nächsten grenzen hinauslangt.
Bei so unsicherem, schwankendem boden hätte P. gewaltig
tief graben müssen, wenn sein bau nicht ins wanken kommen sollte,
er scheint indes anzunehmen, dass nicht nur die wesentlichen
Züge dramatischer form, sondern auch die charakteristischen
eigenheiten dramatischer begabung etwas allgemein bekanntes,
feststehendes, unbezweifelbares seien, und von dieser Voraus-
setzung aus schreitet er rasch weiter zu seinem 'spruch'.
Das problem kommt überhaupt nur im schlusscapitel zur
erwägung (s. 15!) ff.), ich referiere: Keller erblickte selbst im
drama die höchste gattung der poetischen kunst und machte
seinen Zeitgenossen zum Vorwurf, dass sie ihn zu einem grofsen
dichter stempelten, während er doch keines seiner dramen fertig-
gebracht hätte, schon seine epische technik strebte einer unge-
bundenen form zu; sein gebiet ist "die von jeder formsatzung
losgelöste freie erzählung, in der er göttlich fabulieren, in der
er den werg von seiner kunkel abspinnen kann in beliebiger
PKEITZ GO'ITFRIED KELLERS DKAMA'nSCHE BESTIIEBUNGEN 99
geschwindigkeit des rades und beliebiger stärke des fadens'
(s. 1611. sein epischer sprachstil gelit deingemäls auf behagliche
ruhe und breite aus. 'seine erzählung ist ein langes, gemäch-
liches ausatmen des epikers, nie kurz oder krampfhaft' (s. 1 62).
dabei steigerte sich während seiner schaffenszeit die neigung zum
zartanmutigen, die starken effecte. die von der bühne gefordert
werden, lagen ihm deshalb fern, strenge concentration und
gedruugeuheit widersprach ebenso seiner anläge: seine Unbe-
fangenheit wäre verloren gegangen, wenn er auf seine klein-
malerei verzichtet und 'kräftig aufzutreten' versucht hätte,
wenn in jungen jähren der ruf nach freiheit ihn zu heller be-
geisterung und feurigem zorn entflammte, so entwuchs er doch
rasch seinen pathetisch-dramatischen Vorbildern und strebte be-
wust der Schlichtheit, einfachheit und ruhe zu, die seinem wesen
entsprach. P. fasst zusammen: 'wie im leben, so fehlte ihm
auch in der kunst das pathetische und heroische, alles theatra-
lische, gedrungene concentration, die kraft gewaltige contraste
nebeneinander aufzutürmen, und das stehn über der form des
dramas, welches allein die Unbefangenheit des Schaffens aus-
macht' (s. 174).
In dieser auseinaudersetzung ist manches feine enthalten,
wenn es auch nicht gerade immer neu ist. doch auch manches
falsclie.
Auf fünf selten is. 162 ff.) ist eine hübsche blüteniese an-
^ gestellt, die Kellers neigung zum zierlichen und anmutigen be-
weisen soll, die häutigen diminutiva und die oft widerkehrenden
Worte zierlich und anmutig werden von P. herangeholt, dennoch
entstünde ein ganz falsches bild von Kellers dichternatur, wenn
die gegenteiligen züge nicht auch beachtung fänden, gibt es
doch heute noch — in Deutschland und in der Schweiz — leser,
denen Keller zu derb und zu grob ist. Storm schrieb am
27 februar 1878 an Keller: ^Ich für meine Person, z. B. wenn
.das SeUhvyler Kriegsheer den Quast in seinen schwarzen Farbe-
topf taucht [anfangs der novelle "Dietegen'], stemme dann die
Hände in die Seite, sehe ruhig zu und denke: 'Ja so! der Gott-
fried miiss erst seinen Spass zu Ende machen!' Und er macht
ihn dann auch jedesmal zu Ende. Aber es sind Leute, kein
schofles Volk, sondern gute Leute, denen ich gern den kräftigen
Born Ihrer Dichtung gönnen möchte; die rufen: 'Das halt der
Deuwel aus!' und laufen mir davon.' wir empfinden, längst an
Kellers 'späfse' gewöhnt, diese drastischen dinge nicht mehr so
stark, doch äufsernngeu wie diese citierte — sie liefsen sich
leicht vermehren — sollten Keller davor bewahren, den Gleim
und JGJacobi so nahe gerückt zu werden, wie es bei P. tatsäch-
lich geschieht.
Denn Keller liebt das anmutige, wie der sentimentalische
von der natur sich angezogen fühlt, aus dem gegensatz heraus,
7*
100 WAI>ZEI. ÜBER
in dem er sich dem anmutigen gegenüber erblickt, und das ist
echt schweizerisch! im bewustsein imgebrocliener, gelegentlich
ungefüger kraft spricht der Schweizer mit Vorliebe in diminu-
tiven, wenn er sich des dialekts, ebenso wie wenn er sich der Schrift-
sprache bedient. Kellers diminutiva unterscheiden ihn gewis
nicht von seinen landsleuten. weil er ein echter Deutschschweizer
war, packt er die dinge mit zarter band an; denn er war sich
wol bcAvust, dass er sie zerbräche, wenn er mit ganzer kraft
Zugriffe: ein riese, in dessen taust menschen und menschenworte
zum Spielzeug werden.
Pr.s beobachtung ist also nicht ganz richtig gesehen, nicht
auf ihre wahre Ursache zurückgeführt und beweist nichts für
oder gegen Kellers dramatische begabung. eher möcht ich P.
zustimmen, wenn er Kellers abneigung gegen straffe und ziel-
bewuste composition ins feld führt, freilich kann auch da leicht
übertrieben werden; denn der künstlerische aufbau des 'Sinn-
gedichtes' mag immerhin noch eine schwierigere architektonische
leistung darstellen als die gestaltung eines dramas. im ganzen
aber dürfte es wol richtig sein, dass ein dichter der den aufbau
einer dichtung von anfang an vor seinem inneren äuge erblickt,
auf dramatischem felde würksameres leistet, als ein poet der
sich von seiner phantasie tragen lässt. Keller selbst ge-
stand nur dem dramatiker das recht zu 'über die mache zu
grübeln', es geschah bei gelegenheit von Otto Ludwigs äufse-
rung über den ersten band der 'Leute von Seldwyla' (an Kuh,
12 februar 1874); Keller tiel da 'wieder das Grübeln über die
Mache auf, dieses aprioristische Spekulieren, das beim Drama
noch am Platz ist, aber nicht bei der Novelle und dergleichen'.
auch die folgenden sätze sind wichtig: 'Das ist bei dieser Schule
ein forttvährendes Forschen nach dem Geheimmittel, dem Rezept
und dem Goldmacher elixir, das doch einfach darin besteht, dass
man unbefangen etiuas macht, so gut man's gerade kann, und es
das nächste Mal besser macht, aber beileibe auch nicht besser
als man's kann, das mag naturburschikos klingen, ist aber doch
wahr'.
Nach solchen naturburschikosen principien haben jedoch auch
manche dramatiker gearbeitet, bestenfalls also liefse sich nur
sagen, dass Keller seine dramen schliefslich doch immer wider
ungeschrieben gelassen hat, weil er würklich grofse dramatische
kunst zu seiner zeit nur von zwei männern vertreten sah, die
nicht naturburschikos ihr werk anpackten: von Hebbel und
Otto Ludwig.
Endlich Kellers allmählich sich durchringende neigung zum
schlichten und einfachen, seine abneigung gegen alles pathetische
und heroische! ich möchte nicht einmal P. vorwerfen, dass er
den dramatiker zu sehr auf äufserliche würkung stellt, wenn er
die schönste und anziehendste eigenheit Kellers, seine sclilichte
PREITZ KELLERS I)R.\MA'nSCHE BESTREBUNGEN 10 I
Wahrhaftigkeit und seine Verachtung alles gemachten, als gegen-
satz zu dramatischer begabung empfindet, dennoch ist auch
hier zu sehr verallgemeinert. Conrad Ferdinand Meyei- liebte
das pathetische und heroische, die gewaltigen contraste, die ge-
drungene conceutration ebensosehr, wie Keller all das meidet,
und auch Mej'er hat keine dramen veröffentlicht, noch weniger
haben die pathetisch-dramatischen Vorbilder von Kellers politi-
scher jugeudlyrik es zu dramen gebracht.
Die Vermutung ligt nahe, dass zu allen gründen die P.
anführt auch noch als, wenn nicht entscheidender, so doch ge-
wichtiger die tatsache hinzukommt, dass Keller wie Meyer in einem
land geboren worden ist. gelebt und gewürkt hat. in dem ein
echter dichter nur schwer zu dramatischem schaffen kommt, "die
Schweiz', sagt P. (s. 174), 'sollte auch in Keller keinen be-
gründer einer eigenen dramatischen kunst besitzen', würklich
hat die deutsche Schweiz auch nach Keller keinen eingeborenen
dramatiker gesehen, wenigstens nicht auf dem gebiet des üblichen
btthuendramas. nur das massenfestspiel ist seit Keller zu viel-
versprechenden anfangen gediehen, er selber hat es anregen
helfen; aber seine dramatischen plane blieben in der überkom-
menen form stecken, und ein stück im sinne der neueren
Schweizer festspiele hat er nicht geschrieben, kaum entworfen.
Ich wundere mich, dass F. in der analyse und Charakteristik
von Kellers entwürfen und planen nicht von diesem gesichts-
punct ausgegangen ist. die frage des festspiels ist heute in
der Schweiz so lebendig, dass P. sie hätte berücksichtigen
sollen.
In zwei capiteln seiner arbeit entwickelt P. Kellers dra-
matische bestrebungen: das erste gibt in fünf abschnitten
(s. 3 — 46) einen überblick über die phasen seines dramatischen
bemühens, das zweite bespricht zunächst das jugenddrama 'Der
Freund' und die "politischen Schweizerschauspiele', schiebt dann
einen abschnitt ein, der "Gottfried Kellers dramaturgie' über-
schrieben ist (s. 73 — 99), lässt Kellers "Therese' und zwei Ber-
liner lustspielfragmente folgen und schliefst mit den gänzlich un-
ausgeführten planen, von diesen abschnitten beschränkt sich der
teil der Kellers dramaturgie erörtert auf eine etwas äufser-
liche anordnung der b rief stellen, in denen Keller fragen der
dramatischen kunst und dramatische dichtungen bespricht ; diese
stellen sind in vollem umfange abgedruckt, eine gedankliche
ausmünzung ist nicht versucht, ein comraentar nur angedeutet,
benutzt wurden zur erläuterung die ungedruckten antwortbriefe
in Kellers nachlafs. einmal wird festgestellt, dass Hettners
'Modernes drama' einen brief Kellers 'teils wörtlich' verwertet
(s. 7 5 anm. 1).
Der ungedruckte nachlass ist auch den mitteilungen über
die einzelnen fragmente und plane zugutegekommen, naturgemäfs
102 WAT.ZEr, IBER
fand P. auf dem dramatischen gebiet mehr unbekanntes und un-
gedrucktes, als Paul Brunner auf dem felde der Ij'rik (Studien
und beitrage zu Gottfried Kelleis lyrik. Züricher dissertation
19»>6). ebenso indes wie Brunuer lässt er philologische schärfe
und genauigkeit vermissen, vor allem wäre es selbstverständliche
pflicht gewesen, stets anzugeben, welche texte schon von Bäch-
told mitgeteilt worden sind; vielleicht hätte P. sich überhaupt
den abdruck dieser texte ersparen können, die kleinen, freilich
oft sehr bezeichnenden erweiterungeu, die P. den texten Bäch-
tolds werden lässt, konnten meist auch ohne neue widergabe
mehr oder minder umfänglicher aufzeichnungen zur geltung
kommen, so fügt er nach der handschrift den notizen 'Der
Prozessliebhaber' und 'Der neue Graf von Gleichen' (Bächtold,
GKellers leben bd. n 511 f) die gewährsmänner an, denen
Keller die geschichtchen verdankte, bei der zweiten notiz ist
auch der held etwas näher bestimmt durch den zusatz: 'Wag-
ner X in Zofingen', ungedrucktes dient vor allem der Charakte-
ristik der versuche aus den knaben- und jünglingsjahren (s.
6 ff.) ; die decorationseffecte des knaben (s. 6 und 8) sind würk-
lich verblüffend; züge aus Shakespeares 'Hamlet' werden (s. 11 f)
sehr früh frischweg übernommen, dann kann P. in grofser breite
das Jugenddrama 'Der Freund" (s. 47 ff) vorführen, eine Studie
nach Ijessiugs 'Emilia, mit einzelheiten die echt schweizerisch
genannt werden dürfen, alle kritiker die am ende von Lessings
stück lieber den prinzen als Emilia von Odoardo erdolcht sähen,
können an Kellers versuch ihre helle freude haben, anlässlich
der 'Schweizerschauspiele' (s. 6 1 ff) hätt ich gern mehr über
die ganze, in der Schweiz beliebte gattung gehört, seine be-
hauptung-, dass Bächtold mit unrecht den 'Vaterländischen schwank'
und den "Sonderbund' getrennt habe, und dass der schwank den
prolog zum 'Sonderbund' darstelle (s. 69 f.), hat P. nicht be-
wiesen, mit gutem recht ist 'Therese' (s. 100 ff) ausführlich
besprochen; auf einen abdruck verzichtet P.; eine discussion
seiner aufstellungen über entstehung, milieu und Stimmung, hand-
lung und personen, technik und spräche der 'Therese' unter-
lass ich und weise nur aiif die bemerkung über die cjniische
Schlussvignette hin (s. 1 1 7f). bei den Berliner lustspielfragmenten
(s. 118 ff) ist abermals recht schwer zu erkennen, was nach
Bächtold und was zum ersten male gedruckt ist. den unaus-
geführten planen (s. 1 34 ff) dient der nachlass Kellers auch
mehrfach zu näherer ergründung, vorzüglich sprechen hier brief-
liche Zeugnisse, die zt. noch nicht bekannt waren, durch die
Verwertung dieser papiere kommt P. beim 'Savonarola' (s. 146ff)
in gegensatz zu Bächtold (in 26), dessen darstellung er von
verschiedenen selten aus bekämpft, ganz unbekannt ist bisher
das patriarchalische lustspiel (s. lo4fi gewesen, dessen concep-
tion P. aus Kellers notizbuch erschliefst. fraglich bleibt mir
PREITZ KELLERS DRAMATISCHE BESTREBUNGEN 103
nur, ob würklich alle notizen, die hier zu unausgeführten planen
gestempelt werden, zum zwecke dramatischer tormuug von Keller
niedergeschrieben worden sind, und mit einiger Sicherheit darf be-
hauptet werden, dass 'Eutj'chus' (s. 157 f) kein drama abgegeben
hätte, die quelle von P.s mitteilungen ist ein bericht CFMeyers
(Deutsche Dichtung ix 25). Meyer gibt Kellers werte wider:
'Denken Sie sich die scene in England während der bürger-
kriege. ein Wachtposten, ein junger royalist, entschlummert in
einer hohen schanze, die Puritaner kriechen nächtlicher weile
heran, ein bibelfester alter packt den Jüngling und schleudert
ihn in den abgrund mit den worten: fahre wol, Eutychns!'
Keller gibt da mit absieht der erzählung von Eutychus in der
Apostelgeschichte (20,9 f) ein andres kostüm. doch ein drama
hätte kaum aus dem Vorgang erwachsen künnen. und wahr-
scheinlich hat Keller auch nie diese absieht gehabt.
In den capiteln die Kellers dramatische arbeit buchen und
analysieren, ligt der hauptwert von P.s arbeit, dass auch da
manches genauer und tiefer angepackt werden konnte, ist ge-
wis; doch bei einer erstlingsarbeit legt man nicht strengste
mafsstäbe an. es hätte zb. nahegelegen , die ausführlichen aus-
einandersetzungeu über maierei und maier, die 'Der Freund"
(s. 52 f.) bringen sollte, mit der so überaus fruchtbaren Conti-
episode der 'Emilia" zusammenzuhalten; die nachahmung von
Lessings drama tritt da besonders stark hervor, von Johann
xsepomuk Bachmayer aber, dem unglücklichen Österreicher, dem
Keller starkes Interesse zuwendete, durfte P. (s. 27 fj nicht so
ausführlich reden, ohne Minors Studie (Grrillparzerjahrbuch 10,
129 ff) zu nennen.
Dresden, 25. -!. 09. Oskar Walzel.
LITTERAT URNOTIZEN.
Geschichte der rahmgew Innung, von Benno Martiny.
I teil: Die aufrahmung. geschichte ihrer entwicklung von
den frühsten Zeiten bis zur gegenwart. mit 3 Vollbildern und
151 abbildungen im text. Leipzig, M. Heinsius naclif. 1909.
X und 155 SS. 51 ss. 33 ss. 4^'. geb. 18 m. — Dr Martiny
hat vor einigen Jahren von gönnern seiner milchwirtschaftlichen
Studien den auftiag angenommen, eine geschichte der niilch-
sc bleu der zu schreiben — eines für die technik der molkerei
höchst bedeutungsvollen instrumentes, mit dem sich aber die Zeit-
schrift für deutsches altertum nicht abzugeben braucht, mit der
gründlichkeit die alle seine arbeiten auszeichnet, hat M. diesen
auftrag zu einer 'Geschichte der rahmgewinnung" erweitert, die
in dem vorliegenden bände bis zum abschluss der geschichte der
aufrahmung gelangt: die milchschleuder hat auch über alle mo-
dernen versuche die aufrahniung zu vervollkommnen den sieg
104 LITTEUATUKXOIIZEX
davongetragen, den leser des Anzeigers interessieren nur die
ersten capitel des buches: 'Herkunft und gewinuung des i-ahms'
(s. 1 — 3), 'Der eintritt des rahms in die geschiclite' (s. 4 — IG),
'Art und anwendung der autraliuigetäfse" (s. 17 — 66j; sie sind
aus umfassender belesenheit geschrieben und verschwenderisch
illustriert, die wärme mit der der vf. die historische seite seines
faches umfasst, nimmt jeden leser ein der für diese dinge nur
ein wenig anschauung mitbringt, überraschend würkt der nach-
weis, wie spät der rahm als ein besonderes product von der milch in
derben ennung unterschieden worden ist: das frühste litterarische Zeug-
nis hat M. bei Venantius Fortunatus 1. xi carm. 1 4 gefunden, die alten
culturvölker haben dafür keinen besonderen ausdruck besessen, und
bei den Nordeuropäern, besonders bei den Germanen, die an den
fortschritten der molkerei bis in die jüngste zeit am stärksten
beteiligt sind, spricht gerade die fülle der ausdrücke {rahm,
saline, kern, flott, nidel, schmand usw. s. 9j dafür, dass wir es
mit einem jungen culturgewinn zu tun haben, hier tut sich einem
sprachlich geschulten culturhistoriker das feld für eine aussichts-
volle Studie auf. interessant scheint mir auch der anteil der
Balten und Slaven, wie er in dem schwedischen grädde und dem
deutschen smant, schmand zu tage tritt, in meinen studenteu-
tagen, als ostpreufsische commilitonen mein guthessisches schmand
als heimatlich vertraut begrülsten, hab ich mir den köpf zer-
brochen, wie dies unzweifelhaft slavische wort nach dem deutschen
Avesten gelangt sein möge, wo es derartig heimatsrecht erlangt
hat, dass es Vilmar (s. 359) als das in Hessen ausschliel'slich ge-
brauchte wort für *rahm" bezeichnet und Ptister (s. 25S) schlank-
weg als 'eigens chattischen ausdruck' annectiert, der 'durch hessische
auswanderer im ma. nach Ostpreulsen übertragen' wurde, in würk-
lichkeit ligt die sache umgekehrt: durch die gutswirtschaft der
Deutschordensritter ist das wort von Preufsen nach Hessen usw.
gelangt ! dieser w^eg lässt sich aus der Wanderung eines andern
Wortes mit Sicherheit erschlielsen. jeder Ostpreui'se hat noch
heute eine mehr oder weniger deutliche Vorstellung von dem
brauche des schmackosterns { s. Frischbier Preufs. wb. ii 292 und
DWB. IX 900) ; das wort ist über Ost- und WestpreuXsen, Lausitz,
Schlesien bis nach Siebenbürgen verbreitet und, wie man auch
über die grundbedeutung urteilen mag, in der form unzweifelhaft
slavisch. nun kennt aber wort und brauch der Jurist Estor,
Teutsche rechtsgelahrtheit iii (hrsg. v. JAHofmann, Frankfurt
1767) s. 1421 aus seiner oberliessischen heimat: 'schniakusteni,
auf Ostern einem mit der rute begegnen, übh. die rufe geben';
und Estors engster landsmann Sippel (JGEstor, Marburg 1874,
s. 28 f) bemerkt dazu: 'dieser gebrauch des schmakusterns am
ostermorgen wurde noch um d. j. 1855 in Cappel bei Marburg
von dem bäuerlichen gesinde in oft derber und roher weise aus-
geübt', also ganz wie an Pregel und Weichsel, wo ich schon
LirrERATURXOTIZEX 105
z. j. 1409 einen beleg im Marienburg'er Trefslerbuch ed. Joachim
nachweisen kann: item 4 scot den fiimaijäen, ah s\i smaliosterten
(s. 537, 25 f); wahrscheinlich wurden die viehmäg-de dafür dass sie
nicht über die kammern der knechte in den schlafsaal der ritter
vordrangen, mit einer geldspende abgefunden. — als ich selbst im
j. 1S9S nachforschuugen in der Marburger gegend anstellte, hab
ich zwar das wort, aber nur unklare reminiscenzen an den brauch
gefunden. E. S.
Kurzgefasste deutsche literaturgeschichte. ein
Volksbuch von Eduard Engel, mit 33 bildnissen und 14 hand-
schriften. Wien, Tempsk}^ und Leipzig, Fre^^tag 1909. 370 ss.
S". geb. 4 m. — Herr Engel hat eine masse deutscher und
aui'serdeutscher literatur gelesen: er ist ein temperamentvoller
leser und rasch mit dem urteil fertig, um dessen prägung er
sich nicht lauge müht ; oft trifft er den nagel auf den köpf, nicht
selten haut er mit einer dei'ben trivialität gründlich daneben,
die spätem abschnitte des vorliegenden Volksbuchs' bringen eine
fülle von namen, daten und censureu, die zusammen gewis noch
keine literaturgeschichte ergeben, aber doch in ihrer übersicht-
lichen anordnung manchem erwünscht sein werden, sie bedürfen
freilich der entlastung, der Sichtung und Säuberung, die auch
dinge herausschafft wie den falschen vornamen Schleiermachers
(Ernst s. 218). die angäbe dass Goethe und Klinger sich 'als
Studenten in Strafsburg näher kennen gelernt' hätten (s. 159),
und gar vieles ähnliche. — den anspruch als geschichtsschreiber
ernst genommen zu werden, hat sich E. völlig verwürkt durch
die art, wie er auch über die altdeutsche literatur mit kenner-
miene redet, ohne hier die demente zu beherschen. es handelt
sich da nicht um Schnitzer die leicht beseitigt Averden könnten,
auch nicht immer um Selbsttäuschung, die ich etwa zugeben will,
wenn E. s. 26 aus dem liebesgrufs im "Euotlib' (so !) 'die deutsche
vorläge des dichters ahnen' will, oder wenn es s. 35 heifst: 'der
fruchtbarste erzähler volkstümlicher richtung (!) war der, sonst
meist den hötischen sängern zugesellte, Konrad von Würzburg',
vielmehr ist es zumeist seichtes halbwissen, das unter dem trü-
gerischen scheine quellenmäfsiger kenntnisse auftritt, so gleich
s. IS: 'Der gesamteindruck aus allen berichten griechischer und
römischer Schriftsteller (Cäsars, Pliuius" d. alt., Ammianus', Si-
donius', Plutarchs, Diodors, Jordanes") [welche entzückende reihen-
folge!] ist der, dass es eine hochentwickelte (!) heldendichtung bei
den Germanen schon in den ältesten geschichtlichen zeiteu ge-
geben haben muss' ; oder s. 19: '. . . die Edda, eine altisländische
kunstdichtung, deren uns überlieferte form frühstens aus dem
9 Jh.. vielleicht sogar erst aus dem 1 1 oder 1 2, jedenfalls (!) aus
christlicher zeit stammt', aus der einen seite 62, wo die prosa
des 14 und 15 jh.s absolut unzulänglich besprochen wird, heb
ich zur erbauung der kundigen folgende sätze heraus: '. . . die
106 LITTERATURXOTIZEN
Chroniken, von denen die inlialtlich und sprachlich (!) wertvollste
die Limbniger chronik ist. ihr Verfasser . . . streut, wo er nur
kann, lieder auf die erzählten begebenheiten (!) ein'. — "daneben
wurde eine Verdeutschung der Gesta Eoraanorum . . . mit wahrer
leidenschaft (!) g'elesen und von vielen dichtem benutzt". — 'be-
deutsam und von bleibendem werte sind die predigten der sog.
mystiker des 15 (!) jh.s' .... 'die beiden classiker der mystischen
prosa . . . waren Tauler und Geiler von Kaisersberg'. — 'von
. . . Seuse, gestorben um (!j 13Gt> haben wir gleichfalls eine Samm-
lung inhaltlich und sprachlich meisterhafter predigten (!)". — 'der
berühmteste unter den mystikern (!i war Johann Geiler von Kaisers-
berg' usw. ich denke die leser dieser Zeitschrift haben genug
von dem historiker und Volksschriftsteller Eduard Engel.
E. 8.
A. grammar of the german language designed for a
thorough and practical studj' of the language as spoken and
written to-day by George 0. Cnrme, professor of gernianic philo-
logy in Northwestern university. New York, the Macmillan
Company. 1905. XIX undGGl ss. So. — Das vorliegende werk,
die fruclit langjähriger arbeit, zeugt von lebendiger sprachkenutuis,
grolser belesenheit und vollkommener beherschung der gramma-
tischen literatur. es ist geschrieben mit rücksicht auf die be-
dürfnisse von benutzern, deren muttersprache das englische ist;
daher hinweise auf abweichungen des deutschen vom englischen
Sprachgebrauch und die behandlung mancher dinge, die sonst von
der grammatik dem Wörterbuch zugewiesen werden, vgl. den ab-
schnitt über die bedeutung der modalen hilfsverba {dürfen, können
usw.) s. 328—335.
Aber auch Deutsche werden diese reichhaltige grammatik sehr
oft mit nutzen aufschlagen ich verweise zb. auf den abschnitt
von den Schwankungen im gebrauch der beiden adjectivdeclinationen
s. 134 ff., die darstellung der substantivdeclination. die eingehend
die fremdwörter berücksichtigt, die erörterung des gebrauches
von es s. 491 ff. auch manche interessante einzelheit wird durch
die belesenheit des Verfassers zu tage gefördert; aus s. 550 hab
ich gelernt, dass die sonst für ausschliefslich bairisch-österreichisch
geltende Verbindung auf etwas vergessen sich auch bei Storm
findet.
Der Verfasser strebt, in der darstellung dem neueren Sprach-
gebrauch gegenüber der engherzigkeit der grammatiker zu seinem
rechte zu verhelfen '). die unterschiede nord- und süddeutschen
gebrauchs werden gebührend hervorgehoben, so weit in fällen
des Schwankens die eine form oder wendung als die üblichere
' deshalb wundert micli die 1>enierkuiig über conjuuctivfornien wie
heurh(e)len s. 259. wer heutzutage diese formen braucht, steht ganz gewis
unter schulmeisterlichem einfluss.
T.ITTEUATrRX()TIZKX 107
bezeichnet wird, trifft die entscheidung- meiner meinung nacli
meist das richtig-e.
Nur selten versagt das Sprachgefühl des Verfassers, in dem
satzfs. 227 j: als . . sie . . ihm die Birne der elektrischcK Klingel
auf das Tischchen . . hingelegt, falls er etiras brauche, schlich
sie sich . . davon ist brauche eine art conjunctiv der abhängigen
rede; an sich kann nach falls nicht, wie der Verfasser lehrt, der
conjunctiv das präsens stehn: ein satz wie falls du nicht ei^}-
verstanden seist, telegraphiere wäre ja unmöglich. — als beispiel
für die Verbindung des passivs von lassen mit einem intinitiv
stünde s. 263 statt des undeutschen Der Arzt wurde kommen
gelassen besser ein anderes beispiel, etwa der Plan wurde fallen
gelassen. — In zürnt nicht der dreisten Frage (s. 55 t) ist der
abhängige casus dativ, nicht genitiv. auch würde ich den genitiv
in dem Grillparzerschen vers Zwei Huderer ermüdeten der Fahri
(s. 55 Üj nicht auf eine stufe stellen mit den geuitiven nach verben
wie enthehren, denn die Grillparzersche fügung ist ganz indi-
viduell; man wird kaum ein zweites beispiel auftreiben können.
— aber wie gesagt, solche Irrtümer sind in dem trefflichen buche
ganz selten.
Wien, 13. october 1909. M. 11. Jellinek.
Das gotisch-lateinische Bibelfragment der Uni-
versitätsbibliothek zu Gleisen von Paul Glaue und
Karl Helm, mit einer Tafel, [sa. aus der Zeitschr. für die neu-
testamentl. Wissenschaft] Giefseu. ATöpelmann 1910. ;^8 SS. S'.
1,50 m. — "Das älteste uns erhalten gebliebene litterarische do-
cument unserer germanischen Vergangenheit" 's. 1): dieser respect
vor dem alter des neuen Gielsener bruchstücks muss uns trösten
über die enttäuschung. die wir wol alle bei der dürftigkeit seines
gotischen inhalts empfinden, die altersbestimmung wird richtig
sein, freilich Irgendwelche Schlüsse auf das alter des fragments
im Verhältnis zu anderen gotischen handschriften zu ziehen, da-
für reichen die schriftzüge nicht aus; wir müssen uns in diesem
punct ganz auf die ergebnisse der lateinischen paläographie ver-
lassen' (s. 18); diese aber weisen in den anfang des 5 jh.s (s. i4'.
wofür namentlich die unbestreitbare ähnlichkeit mit tafel 20.21
der Exempla von Zangemeister-Wattenbach spricht, ob die über-
geschriebenen dicken und dünnen striche lediglich als federproben
und willkürliches gekritzel abzutun sind (s. ^S), mögen kundigere
entscheiden; bemerkt sei, dass sie erst nach dem zerschneiden
des Originalblattes aufgetragen scheinen, da keiner von ihnen,
weder am unteren rande noch an den selten, beim zerschneiden
getroffen wurde; dann aber wäre vielleicht zu beachten, dass
der autor dieser jüngeren cursiven kritzeleien den Inhalt des ur-
sprünglichen blattes gekannt haben wird: unter ihnen meine ich
auf s. 16 des quaternio oben das wort LUCAS deutlich zu lesen.
— wichtiger als die wenigen srotischen brocken, die keine einzige
108 LITTEKATL'KXUTIZEN
neue vocabel, keine einzige neue form, keine neue einzelheit
enthalten, ist zunächst der fundort des fragments, die gegend
des alten Antiuoe in Ägypten; auf welchem wege es dorthin ge-
langt sein könnte, darüber gibt Glaue (s. 4 ff) eine reihe von
Vermutungen, wie sie bei unsern heutigen hilfsmitteln eben mög-
lich sind, wichtig ist aber ferner vor allem die tatsache, dass
auch dieser gotische Bibelrest, ebenso wie der des Carolinus in
Wolfeubüttel, sich in gesellschaft eines lateinischen textes be-
tindet, der sich widerum zum cod. Brixianus der Itala zu stellen
scheint, die folgerungen hieraus hat sich Glaue nun sehr leicht
gemacht, indem er einfach die forschungen und hj^pothesen des
letzten Jahrzehnts übernimmt, die Überschätzung des bekannten
Hieronymusbriefes ebenso wie die phantasievolle Vorstellung von
einer art textkritischer Bibelcommission bei den Goten; und so
bezeichnet er nach laugen citaten aus Kauffmanns arbeiten das
neue pergament als einen rest 'von einer der bald nach der ent-
stehung der kritischen ausgäbe des Suuja und Frithila ver-
fertigten abschrifteu der gotisch-lateinischen Bibel bzw. Evan-
gelien, also etwa aus der zeit bis 40S' (s. 13). es wäre für uns
germanisten erwünschter gewesen, wenn grade von theologischer
Seite einmal die Zuverlässigkeit dieses ganzen hypothesenturmes
gründlich nachgeprüft worden wäre. — s. 2 will Glaue berichten,
durch welche berechnung die stelle der gotischen bibel heraus-
gefunden w^orden sei, bewegt sich aber dabei in einem unver-
ständlichen circulus. indem er bei feststelhmg des einheitsmafses
der lateinischen seite den Inhalt der zu eruierenden gotischen
stelle bereits voraussetzt. — die gotischen brocken hat Helm
ohne frage richtig gelesen, was namentlich auf s. 16 des qua-
ternio keine leichte aufgäbe war. ausdrücklich bemerken möcht
ich, dass der unterschied der beiden j-schreibuugen auch in
diesem fragraent vorhanden ist: auf s. 2 des quateruio ist in
zeile 4 das puuctierte T der praeposition tn auch auf der Photo-
graphie ganz deutlich (selbst auf s. 16 z. lü glaub ich reste
der puncte beim accusativ hia noch zu erkennen), während im
Innern der worte die puncte fehlen {managein u. ö.). nun sind
aber von dem widerum orr/r^Ööv geschriebenen texte nur knappe
Zeilenausgänge erhalten, und Helm hat sich der mühe unter-
zogen, die fehlenden längeren anfange zu reconstruieren. für das
gelingen solches gefährlichen Versuchs schienen ihm die umstände
besonders günstig, da wir ja seit Streitbergs ausgäbe in der
glücklichen läge seien, 'die vorläge der gotischen Bibel ziemlich
genau zu kennen' und danach "in den handschriften der soge-
nannten antiücheuischen recension einen sicheren ausgangspunct
haben' (s. 19). Helm folgt also Streitbergs Weisungen ebenso be-
denkenfrei, wie dieser bei seiner reconstruction den Weisungen
vSodens, wie wenig aber das so gewonnene bild von AVultilas
griechischer vorläge richtig sein kann, das soll demnächst hier
LITTERATURXOTIZKX 109
ausführlich dargetan werden. — das Verzeichnis der gotischen
wortformen am schluss enthält etliche druckfehler.
Marburg: i. H. Ferd. AVrede.
Samuel Columbus. En swensk orde-skütsel, med au-
märkningar och ordlista utgifven af Beugt Hesselniauu. 190b,
Uppsala, A.-B. akademiska bokfürlaget. VII u. 122 s. b". 2 kr. —
Der vollständige titel dieser im jähre 1678 von dem schwedischen
dichter 8. Columbus verfassten schritt ist : 'En swensk orde-skütsel an-
gäende bokstäfwer, ord ok ordesätt'. Noreen Viht sprak I, 192 f.
charakterisiert sie als eine alle grammatischen arbeiten der zeit
übertreffende, in Wirklichkeit glänzende, die vor allem deshalb so
grofsen wert hat, weil Columbus principiell in seiner schrift die ge-
sprochene spräche seiner zeit anwendet, so gut er dieselbe bezeichnen
kann, eine richtige anordnunglässt die schrift vermissen, der Verfasser
äufsert sich über fragen der phonetischen Schreibung, Verwendung
der antiqua, Sprachrichtigkeit und über mancherlei anderes, man
muss oft staunen über für jene zeit feine beobachtungen, zb.
wie er die lehnwörter auf ihre verschiedene herkunft mustert,
herausgegeben wurde die arbeit zuerst von Gust. Stjernström und
Ad. Noreen 1881 in der serie 'AfSvenska literatursällskapet utgifna
skrifter'. dem text lagen drei handschriften der Nordinschen
Sammlung der Universitätsbibliothek zu Uppsala zu gründe: nrr
()22. 023. 024 = A, B, D, und eine handschrift der Ihreschen
bibliothek auf Ekeb^'hof •= C. A gilt für die älteste, unmittelbar
vom verlorengegangenen original genommene, B für eine abschrift
zweiter band mit A als mittelstufe ; das gleiche nimmt Stjernström
von C an, D ist jünger als die übrigen, und nach H.s meinung
eine abschrift von B. nach 1881 tauchte inzwischen eine neue
abschrift, K, in der Kgl. bibliothek auf, die, älter als A, gleich-
falls direct auf das original zurückgehn und kurz nach 1BS9
verfasst worden sein soll, darüber berichtete Aksel Andersson
in 'Samlaren' von 1883. auf diesen aufsatz wird nur kurz vei-
wiesen, er ist mir nicht zugänglich, abgesehen von dem auf-
tauchen dieser hs. war die nächste veranlassung zu einer neuen
ausgäbe die, dass die kenntnis der schrift des Columbus jetzt
im Staatsexamen für nordische sprachen in Schweden verlangt
wird. H. hat nun die hs. K seiner neuen ausgäbe zu grund-
gelegt, deren text er, nach seiner angäbe, was wortformen und
Schreibung betrifft, so genau wie möglich widerzugeben sucht,
auch die interpunction hat er in der regel in Übereinstimmung
mit K beizubehalten gestrebt, nur an einigen stellen hat er, ohne
dies jedoch anzumerken, sie verändert, und alsdann meistens in
Übereinstimmung mit dem gebrauch von A. in der regel ist er
auch K gefolgt in der wähl der grolsen oder kleinen anfangs-
buchstaben. in den anmerkungen werden Varianten aus A an-
geführt, doch nicht vollständig, sondern nur solche, von denen H.
glaubte, dass sie gröfsere bedeutung für den text oder in sprach-
1 1 0 LITTE RATUENOTIZEN
lieber beziehung baben. lesarten von A, die unbedingt den Vor-
zug vor sülcben von K zu baben scbeineu, sind in den text ein-
gesetzt, die von K alsdann in die anmerkungen verwiesen werden,
bierbei bat H. gewisse principien zu verfolgen gesucbt, obne
dass es ibm — uacb eigenem geständnis — geglückt wäre, diese
mit grösserer consequenz durcbzufübren. lesarten von B und D
sind nur in einigen fällen augefübrt worden. C bat H. nicbt
vei'glicben — warum nicbt, erfabren wir nicbt. die beispiel-
wörter sind cursiv gedruckt worden, die in K unterstricbeneu
Wörter gesperrt cursiv, aber nur zum teil.
Soweit die angaben H.s über die art seiner textgestaltung.
icb muss gestebn, dass icb diese art und weise für gänzlicb
verkebrt balte. die ausgäbe ist nicbt fiscb nicbt fleiscb, sie
ist keine diplomatiscbe, und sie ist, nacb den angewandten prin-
cipien, keine die den urtext berzustellen sucbt. nicbt einmal
alle bandscbriften sind benutzt worden, man ist der willkür
H.s mit gebundenen bänden überliefert, mit der früheren aus-
gäbe die neue zu vergleicben, bin icb bier nicbt in der läge.
Heidelberg. B. Kahle.
Tbe relations of tbe norwegian witb tbe englisb
cburch 10B6 — 1399, and tbeir importauce to comparative lite-
rature by Henry Goddard Leaoh [Proceedings of tbe American
academ}»- of arts and sciences vol. xliv nr 2n, may 19u9j. 32 ss.
8 f'. — Dass der Import franzüsiscber scbriften und sagenstoffe
noch Norwegen im 13 jb. bauptsäcblicb durcb geistlicbe erfolgte,
ligt klar zu tage, aber berubte er auf directen beziebungen
zu Frankreicb? wie Meifsner annabm • , oder war England
der Vermittler? wofür sieb Finnur Jönsson entschieden batte.
L. bat, da sieb die frage aus den litteraturwerken selbst nicbt
beantw^orten liefs, den umweg über die kircbengescbicbte einge-
schlagen und aus englischen und norwegischen quellen aller art
die beziebungen des christlichen Norwegens zu England seit den
tagen der normannischen eroberung klarzustellen gesucht, der
historiker wird daran manches auszusetzen baben, die kritik ist
nicht des Verfassers starke seile, und entgieisungeu wie wenn
s. 559 z. 12 V. u. der erste abt des cistercienserklosters Lyuse
(südlich von Bergen) 'tbe ürst bishop of Lyse' genannt wird,
erwecken kein vertrauen zu den Vorstellungen L.s vom mittel-
alterlichen kirehenwesen. aber das culturgescbiehtlicbe ergebnis
scheint doch gesichert: Norwegen bat nicbt nur sein Christentum
von England empfangen, es bat auch bis gegen den ausgang des
1 3 jb.s andauernd die engsten beziebungen zur englischen kirche
und zu den geistlichen bildungsanstalten Englands unterhalten;
die directen Verbindungen mit Frankreich treten dem gegenüber
zurück, gerade die regierungszeit kg Häkon Häkonarsons (1217
bis 1263) und namentlich das dritte Jahrzehnt des 13 jb.s
zeigen das Verhältnis besonders innig, und jedenfalls wird es
LITTE KATURNOTIZEN 1 1 I
damals auch litteiarisch fruchtbar geworden sein, um 12U0 t'ällt
ein wendepunct: von da ab tritt Frankreich durchaus in den
Vordergrund, und soweit es einer vermittelung französischer cultur
bedarf, wird diese jetzt durch Flandern geleistet, und nicht mehr
durch England, die kirchengeschichte wird sich bei der Heifsigen
notizensammlung L.s nicht beruhigen, für die litteraturgeschichte
bietet sie zunächst einen ausreichendt^n anhält. E. S.
Reim Wörterbuch zu Ulrichs Lanzelet von Cleoplias
Beywl [Präger Deutsche Studien 15 heft, hersg. v. C. v. Kraus].
Prag, Bellmaun 1909. IV u. 91 ss. S" 3 m. — Eine grölsere
anzahl von reimregistern wichtiger mhd. Dichter wäre als hand-
werkszeug für uuseie grammatischen und litterarhistorischen Studien
gewis erwünscht, und wenn, wäe im vorliegenden falle von der Ge-
sellschaft zur fürderung deutscher Wissenschaft, kunst und litteratur
in Böhmen, die mittel zur herausgäbe zur Verfügung gestellt werden,
kann man sich die gäbe wol gefallen lassen, die erste bedingung,
saubere arbeit und verständige anordnuug, hat der verf. erfüllt,
sein ehrgeiz geht nicht darüber hinaus, einen reimindex zu Hahns
ausgäbe zu bieten, dem s. 6;> — 91 ein . Verzeichnis sämtlicher
reimwörter nach den anlauten augehängt ist: bemerkenswerte
lesarten sind notiert, ein paar hinweise auf Zwiei'zinas Mhd. Studien
und auf gelegentliche notizen Behaghels eingeschaltet; eigener vor-
schlage enthält sich B. durchweg, leider hat er es aber auch
verschmäht, durch Verweisungen die schaden aufzuheben, welche
die Zufälligkeiten der Orthographie herbeiführen: gleiche und
gleichartige bindungen muss man unter ande und ante, unter
OLDE und ÖLTE zusammeusucheu. auch verweise wie von niht auf
nieht und umgekehrt wären dringend erwünscht, ein weiterer
mangel ist der, dass mehrdeutige reimwörter nicht definiert werden:
dass hie im reim durchweg das adverbium (iiic'), dass die form
malüeiii) ausschliesslich das prät. des vb. iiiagen vorstellt (trotz
14 fächern part.pt. yeinaht "factus"!), das und sehr vieles andere
kann man erst durch aufsuchen sämtlicher fälle ermitteln, gewis,
man wird schon beim blofsen blättern in diesem reimregister
allerlei lernen, aber zum raschen nachschlagen ist es leider nicht
eingerichtet. E» ^•
Kritik und metrik von Wolframs Titurel von
L. Polinort. [Prager Deutsche Studien hgb. von C. v. Kraus und
A. Sauer, xii heftj. Prag, C. Bellmann 190S. iv. 99 ss. 2,50 m.
— Der erste teil dieser sehr sorgfältigen, umsichtigen arbeit tritt
der Überschätzung des Münchner fragments für die herstellung
der Titurelbruchstücke Wolframs überzeugend entgegen, im ein-
zelnen weicht P. auch mit guten gründen von Lachmann ab: die
zahlreichen stellen sind am Schlüsse zusammengestellt; nicht über-
all könnte ich beistimmen, doch sagt der verf. mit recht s. 5,
dass 30, 2 mit I zu lesen sei vollen tocken ni'tnen schrin, da
der so entstehnde cäsurreim auf veterlin gewis in der absieht
I 1 2- I.ITTEKATÜENOTIZEX
des zudichters gelegen habe, weniger mücht ich dies für 51]. 1
zugeben, wo der jüngere Titurel mit der wendung phleijendc sin
die nocli dazu von dem coordinierten reimworte Ji^iteii in tempus
und modus abweicht, spätere ummodelung erkennen lässt. s. it
bespricht der verf. die vielumstrittene Strophe Gl, das lob des
verstorbenen landgrafen Hermann, aber wenn er gegen die echt-
heit dieser Strophe einwendet (s. 10), 'der Schreiber von G sollte
gerade diese Strophe, die dem zeitgeiste so sehr entsprach, aus-
gelassen haben?' so nimmt er doch s. 13 an, dass G für str. 3B
und 53 eine lücke habe, so dass doch wol auch die auslassung
von 56 zufällig sein könnte.
Die metrischen Untersuchungen, die sich ganz an die an-
sichten anschliefsen welche vKraus vorgetragen hat, verdienen
airf jeden fall ernste erwägung. vieles kann ich ohne weiteres
annehmen, in einzelnen puncten weich ich ab. s. 77 anm. 1
zeigt der verf., dass Wolfram fürhaz im versinnern ganz über-
wiegend auf der 1 silbe betont, nur ein paarmal soll fürhäz
gelesen werden, so 401,. 29 unt sag iu fürhaz niht nitre, aber
der andere reimvers hat 4 hebungen bei klingendem ausgaiig:
danach wird man auch v. 29 betonen fürhäz niht mere [furhaz
niht mere wäre weniger wahrscheinlich). 448, 21 wäre n^ (anstatt
ritet) furhaz üf unser spor möglich. 471, 24 od (anstatt OfZej ob ers
färhäz verlos. Wh. 26, 5 les ich der mag in fl'irbdz vernemen.
die sechs stellen wo fürhaz im verseingang steht, haben hier
schwebende betonung. und so zwingt keine der 16 von P. für
den versschluss angeführten stellen zur betonung fürhaz. in den
meisten fällen geht eine schwache nebensilbe voraus, z. b. 123, 3
der knappe fragte fürhaz. hier die silbe -te über für zu erheben
heilst die von Lachmann bestrittene, von mir auch nur stellen-
weise zugestandene erhebung der uebensilben über darauf folgende
selbständige Wörter gegen die natürliche betonung mit gewalt
durchsetzen, zur doppelhebung fürhaz zwingt Wh. 76, 3 von
dm reit da fürhaz; aber auch P. 204, 14 der künec mit her
reit fürhaz wird man doch lieber künec verschleifen, als mit Jw)-
betonen, ebenso ist 3ü0, 12 si sprach 'nu vräge in fürhaz'' kaum
mit hiatus zu lesen; 530, 4 sagt an, weit ir iht fürhaz wird
man doch nicht betonen sägt an] ebenso wenig Wli. 105, 7 und
loht in dennoch fürhäz anstatt und loht in dennoch fürhäz \ end-
lich wäre 430, 13 mit der fiuste väht t-V /Mr?>a^ ganz unbeholfen,
nirgends also eine stelle, wie sie allerdings Gottfried oder Wirut
bieten, wo di) oder niht vorangeht und gemäfs dem mit hebung
und Senkung abwechselnden rhythmus betont werden muss. die
Nibelungen haben, wie es scheint, durchweg die erste silbe be-
tont, notwendig 314, 2 und daz die recken edele fürhäz hewarn
vientltchen riten. für die doppelhebung spricht auch die Schrei-
bung vürehaz, im Pilatus vorehaz.
In der Titurelmetrik nimmt P. Verbindung von volkstümlichen
LITTEKATITKXOTIZKX * 113
einflüssen mit solchen der romanischen verskunst an, was gewis
auch nicht leicht zugegeben werden kann.
Gut ist der nachweis. dass die von Bartsch aus dem jüngeren
Titurel herausgenommenen und Wolfram zugeschriebenen stücke
sich auch metrisch von den echten unterscheiden.
E. Martin.
Das königs- und kaiserideal der deutschen dich-
tung des mittelalters. kaisergeburtstagsrede von Friedrieh
To^t. [Marburger akademische reden nr 19] Marbui'g, Elwert
ItiOS. 8". 28 ss. 0.50 m. — Das herscherideal des mittelalters
ist nach Vogt nicht einheitlich: vielmehr bestehn zwei anschau-
ungen vom königtum: eine particulare und eine national-univer-
sale nebeneinander, die mittelhochdeutschen volksepen kennen
nur das (ältere) Stammeskönigtum, mit den engen beziehungen
zur Umgebung des fürsten, die das gefolgschaftswesen geschaffen,
seit ende des 1 1 Jahrhunderts aber kommt — interessanterweise
vielfach in clericalen dichtungen, wie dem Aunolied und der
Kaiserchronik — die Idee des deutschen, über den stammen
stehndon nationalkönigtums auf. von anfang an hat sie einen
stark imperialistischen einschlag : der deutsche kaiser ist schutz-
herr der Christenheit gegen den Islam, das ist der ursprüng-
liche Inhalt der Barbarossasage, ,die sich ja eigentlich auf
Friedrich ii bezieht, die Barbarossasage ist zugleich ein lehr-
reiches beispiel für die Umbildung der universalen mittelalter-
lichen kaiseranschauung zur rein nationalen der neuzeit. die
alte idee vom Stammeskönigtum lebt dagegen im heutigen parti-
cularismus fort, in jener starken dynastischen gefühlsweit, die
fürst Bismarck in den "Gedanken und Erinnerungen' verlebendigt
hat. und Bismarck ist es, der die beiden mittelalterlichen
königsideen innerlich umfasst und den Zeitverhältnissen ent-
sprechend iu actuelle energie verwandelt hat. — so schliefst die
rede Vogts, die als vorsichtig fundierte und beherschte skizze
eines fachgelehrten beginnt, mit einem persönlichen bekenntnis,
und ich muss gestehn, dass darin ein nicht geringer reiz ligt.
Leipzig. Friedrich Schulze.
Tannhäuser in geschlchte, sage und dichtung.
ein Vortrag gehalten am 7 october 1'JÜ7 von Ernst Elster.
Bromberg 1908. Mittlersche buchhandlung (A. Fromm) in com-
mission [== Veröffentlichungen der abteilung für litteratur der
Deutschen gesellschaft für kunst und Wissenschaft zu Bromberg
3 heft.J VI u. 26 ss. 8" 0,60 m. — So controvers die entstehung
der Tannhäusersage noch ist (Fr. Kluges vorsichtige Scheidung
einer deutschen Tannhäusersage und einer italienischen sage vom
Venusberg, die sich aus noch unaufgeklärten gründen und in
noch nicht genau feststellbarer weise verschmelzen, scheint mir
die meiste Wahrscheinlichkeit zu besitzen), so verhältnismäXsig
einfach ist ihre entwicklung in neuester zeit, hier ist die arbeit
A. F D. A. XXXTV. 8
1 1 4 LITTERATURNOTIZEN
im wesentlichen eine darstellerisch-ästhetische, und mau muss es
an Elsters Vortrag- rühmen, dass die aufgäbe mit eleganz, knapp-
heit und dem blick für das wichtige gelöst ist. hauptsächlich
werden die drei grofsen formen der sage : die ursprünglich volks-
tümliche, die Heines und die Richard Wagners behandelt und
zeit- oder individualpsA'chologisch erklärt, in der ältesten fassung,
die freilich selbst einer entwicklung uuterligt. herscht der Zwie-
spalt von früminigkeit und sünde, in Heines weit- und sinnen-
freudigem lied nur ein schwanken zwischen Inst- und ruhebe-
dürfnis, bei Wagner der grofse gegensatz von irdischer und
himmlischer liebe, der durch die Verbindung von Tannhäusersage
mit der sage vom Sängerstreit gewonnen wird, im Volkslied
und bei Heine zieht Tannhäuser in den Venusberg zurück, im
Volkslied als verlorener, bei Heine als allen päpstlichen Urteils-
sprüchen zum trotz genielsender — der papst Heines ist ja nur
ein gespenst — , bei V/agner wird er erlöst durch himmlische liebe,
oder in der spräche Wagners zu reden: durch "die einzig erlösende
Verneinung des willens', (leider verzichtet E beim Wagnerschen
•Tannhäuser" ganz auf zeit- und individualpsychologische be-
trachtung). jede der drei grofsen fassungen ist in sich berechtigt,
ist trotz einzelnen inconsequenzen abgeschlossen, aber Wagner
'ist und bleibt der echte und eigentliche Interpret der ergi-eifenden
volkssage, er hat ihre letzten geheiranisse erschöpft in worten
und in tönen, die unser herz im innersten aufrühren und die
in unvergänglicher gewalt erklingen werden, so lauge liebes-
wirren und bul'sfertige Zerknirschung die seelen der menschen
erschüttern'.
Leipzig. Friedricü Schulze.
Die 'Christliche warnung des treuen Eckarts" des
Bartholomäus Riugwaldt untersucht von Franz Werner [Germani-
stische abhandlungen h. 33j. Breslau, Marcus 1909. 115ss. 8''3,HÜm.
— Wegners Marburger docturschrift behandelt ihren dankbaren
gegenständ geschickt und verständnisvoll nach allen selten : biblio-
graphie und textgeschichte, metrik und Sprachgebrauch, litterarische
beziehungen und quellen, Vorbilder und nachwirkung des Treuen
Eckart werden erschöpfend dargestellt. dabei zeigt sich die
literarhistorische seite der Untersuchung ergiebiger als die sprach-
liche, es gelingt W., des Irenaeus Spiegel des ewigen lebens
von 1562, Johann Krügingers Historia vom reichen mann und
armen Lazaro von 1555 und Ludwig Milichs Schrapteufel von
1569 als quellen Ringwaldts nachzuweisen, indessen die benutzung
von Gregor AVeisers Christlichem bericht von Unsterblichkeit und
zustand der seelen 1588, Jörg Wickrams fastnachtsspiel vom
Treuen Eckart 1538, Braut, Murner und Fischart, an die man
sonst wol gedacht hat, widerlegt wird, so stellt W. den dorf-
pfarrer Ringwaldt gut und glaubhaft in seinen kreis, den viel
mehr die allgemeine atmosphäre der zeit charakterisiert, als die
LITTERATURNOTIZEN 1 1 5
litterarische aneignuug einzelner gedanken imd motive is. 67). er
zeigt, wie Eingwaldts art. die öffentlichen zustände in scharfem
umriss zu zeichnen, in dieser lebendijikeit erst möglich ist. nach-
dem Luther die reformbedürftigkeit auch des politischen lebens
nachgewiesen hat (s. 86), und erweist Ringwaldt als geistigen
nachkommen Luthers auch darin, dass ihm die Wanderung seines
beiden durch himmel und hölle nicht freigewählte poetische ein-
kleidung seiner ermahnungen ist, sondern dass er durch seine
beschreibung theologisch belehren, einen punct für punct auf die
Bibel gestützten bericht geben will (s. 68).
Einigem zweifei müssen W.s metrische aufstelluugen be-
gegnen, zunächst sind verse wie Philip, Luthenis, Brentius
s. 37, Amen, amen, ich fahr daher, und ehrvester herr burg-
meüiter klug s. 42 als vierfüssige Jamben völlig in Ordnung, denn
für Ringwaldts zeit und gegend haben die betonungen Lutherus,
dürr und hürgemeister nicht das geringste auffällige, sodann
hätte sich W. durch Kösters spott über die (an andern stellen
gewis über das mafs cultivierte) schwebende betonung nicht ab-
halten lassen sollen, mit ihrer hilfe verse wie der nußgang der
driiten person s. 39 vierhebig zu lesen, denn sein Vorschlag der
äußgang der dritten person bricht durch jedes schema.
Freiburg i. Br. Alfred Götze.
Vergleichende volksmedicin. eine darstelluug volks-
medicinischer sitten und gebrauche, anschauungen und heilfac-
toren. des aberglaubens und der zaubermedicin. unter mitwirkung
von fachgelehrten herausgegeben von dr. 0. v. Hovorka und dr.
A. Kronleid, mit einer eiuleitung von dr. M. Neuburger. Stutt-
gart. Strecker & Schröder, 2 bde. xxni u. 459; ix u. 960 ss.
8". br. 22.40 m., geb. 26 m. — Das gebiet der volksmedicin
ist in den letzten Jahrzehnten von ethnographen und natur-
wissenschaftlern hin und wider gepflegt und sowol unter stoff-
lichen als auch geographischen gesichtspuncteu bearbeitet worden,
besonders reichen Stoff haben die ethnographisch-volkskundlichen
Zeitschriften in neuerer zeit beigebracht; darunter manches be-
deutungsvolle aus altern arzenei- und zauberbüchern. das gebiet
ist aber so vielgestaltig und weitschichtig, und die ethnographisch-
volkskundlichen publicationen sind so zahlreich, dass ein über-
blicken der gesaraten litteratur für den nichtspecialisten zur Un-
möglichkeit geworden ist. es kann daher nur mit dank begrüfst
werden, dass sich männer gefunden haben, die den mut besaßen,
sich au das gewaltige unteinehmen einer zusammenfassenden dar-
stelluug der volksmedicin heranzuwagen.
Die Verfasser haben ihre arbeit in zwei hauptteile ge-
schieden, deren erster in alphabetischer reihenfolge vorwiegend
die von der volkstherapie verwendeten mittel, der zweite in
sachlicher Ordnung die krank heiten und die an ihnen haftenden
volksmedicinischen anschauungen (ätiologisch, pathologisch und
S*
1 l 6 LITTEKATUKXÜTIZEX
therapeutisch) behandelt, eine solche Scheidung läßt sich natür-
lich ohne widerholungen nicht dui-chlühren. und so werden wir
zb. im I band nicht nur eine anzahl tiere vermissen, deren
glieder volksmedicinisch verwendet WM'den. sondern namentlich
symbolische oder zauberische handlungen. wie messen, verkaufen,
schwemmen usw. von krankheiten.
Dass das werk lückenhaft sein werde, konnte man bei den
riesenhaften dimensionen des Stoffes erwarten ; immerhin scheinen
uns die naturvölker gegenüber Europa etwas zu kurz gekommen
zu sein, und innerhalb dieses erdteils vermisst man aul'ser den
volkskundlichen zeitscliriften Skandinaviens namentlich das groise
werk St'billots 'Folklore de France" und die spezialwerke von
Gaidoz, "Un vieux rite medical' und von De Cock, 'Volksgeneeskunde
in Viaanderen" iGent 1S9I). ferner lassen uns die verff.. und
das halten wir für einen grundsätzlichen fehler, in unzählichen
fällen im unklaren, in welcher gegend die genannte anschauung
herscht oder aus welcher quelle sie ihre angaben schöpfen.
Ob sich dieses erste und auf Jahrzehnte hinaus wol einzige
compendium der volksmedicin wissenschaftlich bewähren wird,
kann nur die zukunft lehren, sicher ist, dass uns die verff. in
ihm ein umfassendes grundwerk und ein denkmal rastlosen fleifses
geschenkt haben.
Basel. E. Hoffiiiaim-Krayer.
Mittelalterliche volksspiele in thüringisch-
sächsischen landen, von prof. dr. Karl Heldiiianii. [Neujahrs-
blätter, hsg. V. d. Hist. komm. f. d. prov. Sachsen nr. 32 1.
Halle a. S., Hendel 1908. 5s ss. S". I ni. — Der titel der
schritt ist nicht ganz klar, unter 'volksspielen' sind hier die-
jenigen spiele verstanden, 'durch die das volk selbst in seinen
verschiedenen schichten aus seinem natürlichen empfinden heraus
sich gesellschaftlich unterhielt und belustigte, ausgeschlossen
bleiben daher einerseits die volkssitten und -brauche, die nicht
zugleich einen unterhaltenden Charakter haben, anderseits alle
spiele, die keinen volksraäfsigen Charakter trugen', der verf. be-
schränkt sich aber nicht auf die thüringisch- sächsischen lande,
sondern greift auf die angaben über die glucks-, kämpf- und
Jahreszeitenspiele der alten Germanen zurück, um sich dann
über die neuerungen in römischer und christlicher zeit zu ver-
breiten, die s. 11 genannten brettspiele werden wol kaum echt
volkstümlich gewesen sein, der dritte abschnitt beschäftigt sich
mit den mittelalterlichen spielen: den kampfspielen (darunter das
Eolandsreiten), Schützenfesten, zunfttänzen, den glücksspielen
(brett- und kartenspielen, glückshäfen. dem kegeln uam.), — die
arbeit enthält manches wertvolle material und in den sorgfältigen
anmerkungen zahlreiche hinweise auf die quellenlitteratur zur
mittelalterlichen Volkskunde.
Basel. E. Hottinanu-Kraver.
LITTERATURXOTIZKN 1 1 7
Die theorie des witzes und der novelle nach dem
'de sermone' des Jovianus Poutanus. ein gesellschaftliches
ideal ums ende des xv Jahrhunderts von Ernst Walser. Strafs-
burg-, Trübner 1908. xii u. 13'» ss. g-r. 8^. 4 m. — Der moderne
mensch stammt aus der renaissance, und erst recht die moderne
'gesellschaff; deren held. der 'homo facetus', hat sich erst nach
antikem muster bilden müssen, bis er spät genug- in dem 'abbe'
der aufklärungszeit seine Vollendung erreichte, natürlich gab es
immer witzige leute. und immer stand der witz hoch im preis;
wenn das feine Athen apophthegmata sammelte, weil's der kosak
in der steppe den nicht minder zu schätzen der ihn lachen macht,
wie Gogols Tarass Bulba zeigt, aber von der naturwüchsigen Im-
provisation zur gesellschaftlichen kunst hat auch hier die theorie
den weg gewiesen: erst die der alten (Aristoteles, Cicero, Quintilian),
dann, an ihrem spalier sich aufrichtend, die der humanisten. hier
steht Jovianus Pontanus voran, dessen lehre von witz und er-
zählungskunst Walser in klaren analysen vorführt, der didaktische
zweck bleibt aber auch an witz und novelle selbst haften; sie
wollen erziehen, abschleifen, beispiele geben; die 'vulgäre ethik'
herscht bei aller rhetorik noch bei Boccaccio (s. 1 1 6).
Der witz, von Cicero als forensisches kampfmittel geschildert,
wird unmerklich zum ausdruck feiner bildung und 'urbanitäf
(s. 63); die erzählung wird zum zeugnis und gradmesser einer
gleichartigen ethischen emptindung (s. 127). diese wichtigen
socialen momente hat W. aufmerksam beobachtet, sorgfältiger so-
gar als die entwicklung der technik.
In der anekdote finden also witz und erzählung ihren treff-
punct. für eine entwicklungsgeschichte sowol des modernen Witzes
als auch der neueren erzählungskunst brauchen wir eine littera-
rische geschichte der anekdoten, nach der inhaltlichen wie nach
der formellen seite. die grofsen werke zur geschichte des humors
wie Seh nee g ans Geschichte der grotesken satire und Tullio
Massasaranis 'Arte del ridere' streifen dies thema nur eben;
W. Carey Hazlitt (Studies in jocular literature, London 1904)
behandelt nur englische anekdotenbücher, und auch diese mehr
vom gesichtspuncte der Sammlung; doch fällt bei ihnen immerhin
einiges für unser problem ab. unausgenulzt, liegen noch immer
die schätze von KJWebers 'Demokritos' — einem buch, das als
ganzes freilich so arm ist wie im einzelnen reich, ein paradoxon,
das auf manches buch von polyhistoren passt. kommt so eine
breite Verarbeitung der praxis zu umsichtigen behandlungen der
theorie wie in A^'s. buch hinzu, so Averden wir nicht nur für
Stilistik und allgemeine litteraturgeschichte, sondern auch für die
beurteilung mittelalterlicher und neuerer anekdoten nicht wenig
gewonnen haben, und da ligt ja dann in Boltes ausgaben der
Schwankbücher und andern Sammlungen das material in bequem-
ster fülle ausgebreitet! R. 31. Meyer.
118 , LITTEBATURNOTIZEN
Witziges und Spitziges, sinniges und inniges in spruch
und nam auf haus und kraus, gesammelt und gesichtet von
Ernst Tifdt. Stuttgart, E. R. Moritz o. j. vm und 246 ss.
80. 4 m, geb. 4.50 m. — Unsere volksepigrammatik ist ausge-
breitet und vielfältig; aber die künde liegt noch ganz im argen.
Tiedts reichlialtige und im ganzen geschmackvolle auswahl reizt
mehr die lust auf eine räumliche einteilung nach litterarischen
quellen und localen Umgrenzungen, als dass sie sie befriedigt,
ist die specitische form der "marterln' auf das bairische gebiet
beschränkt? was für kategorieen der namengebung für hausrat und
Waffen sind vorhanden ? gibt es periodeu des breiteren und
des conciseren inschriftstils? finden sich berufsmäßige verfertiger
solcher Inschriften ? diese und ähnliche fragen sind freilich leider
leichter aufzuwerfen, als zu beantworten!
Wertvoll scheint mir besonders die Sammlung der grabschriften;
und die stilproben der öffentlichen Warnungstafeln (s. 120 f.) haben
Interesse als zeichen der stilistischen durchschnittsbildung. auch
fehlt es sonst nicht an curiositäten wie den Inschriften an contor
und casse is. I7 8i. — die beziehungen zu dem 'geflügelten wort'
und dem Sprichwort sind mannigfach : fast nie aber scheint die
'Inschrift' der gebende teil zu sein, wenigstens in dem litterarischen
Deutschland.
Der verf. muste mit dem räum rechneu; natürlich hätte
jeder leser noch ein paar beispiele zusteuern können, würklich
wünschenswert wäre aber ein etwas ausgedehnterer litteratur-
nachweis gewesen. ß. M. 3Ieyer.
Historische Volkslieder und zeitgedichte vom 16
bis 19 ]h. gesammelt und erläutert von Aug^ust Hartniaini. mit
melodien herausgegeben von Hyacinth Abele. II bd. von mitte
des 17 bis zu der des 18 jh.s. mit Unterstützung der Histo-
rischen coniniission bei der Kgl. bayer. akademie der Wissen-
schaften. München, Beck 1910. vi u. 354 ss. gr. 8". 12 uj. —
Der zweite band des von mir Anz. xxxii 196 ff nach anläge und
ausführung näher charakterisierten Werkes bringt die urr
97 — 181. er beginnt mit zeitgedichten auf Karl x Gustaf
(1656 — 58), der s. 4 nicht ganz richtig 'der eiste könig Schwedens
aus dem hause Witteisbach' genannt wird (vgl. könig Christoph!),
und schliefst mit einem strophischen Zwiegespräch zwischen dem
marschall von Sachsen und dem tod (1750); dazwischen srehn
lieder, relationen, bildsprüche und gereimte dialoge ua. auf Zi iny
(1664): nr. 106, auf die belagerung von Rheinfelden (1678):
m^ 107, auf den fall Strafsburgs (1681): nr 109, auf den ersatz
Wiens und die weitern siege über- die Türken (16S3 — 88): nrr
110 — 121, wobei dann auch der junge Bayernheld Max Emanuel
(nr 120) zuerst auftritt; ihm begegnen wir noch oft genug, zu-
letzt in nr 154, die ein klagelied über seinen tod (1726) bringt.
weiterhin sind für den Inhalt unseres bandes besonders ergiebig
LITTERATURNOTIZEN 119
der spanische erbfolg-ekrieg (1701 — 13): nrr 124 — 144 und die
rückkehr Max Emanuels (17 15): nr 145 146, der Türkenkrieg
von 1716 — 171S: nrr 148 — 152, die Lieder der Salzburger
emigranten (1730 — 32): nrr 158 — 172 (173?), der österreichi-
sche erbfolgekrieg (1741 — 45): ur 177 — 179. eingestreut findet
man noch allerlei lustiges und trauriges was mit der Weltge-
schichte weniger zu tun hat, wie die lange Regensburger mord-
geschichte von 1723 in nr i53 oder das vacanzlied der
Münchener 'Studenten' von 1741: nr 176. gegen die aufnähme
mancher stücke liefsen sich bedenken erheben: so haben die bild-
sprüche für sich so gut wie gar kein Interesse, etwa ein
vierteil der gedichte ist im dialect gehalten, wobei dann die
gattung- des "bauerngesprächs' eine hauptrolle spielt. neben
verschiedenen mehr oder weniger geschickt widergegebenen
Schattierungen der bajuvarischen mundart kommt auch das
schwäbische und vor allem das schlesische (nrr 122. 143) zum
wort, worauf ich ausdrücklich hinweise.
Die einrichtung ist die gleiche geblieben: der herausgeber
beharrt dabei, Überschriften und Übersichten fernzuhalten, er ver-
langt also, dass man sein werk studieren und sich in die ein-
zelnen tliemata einarbeiten soll, was nicht jedermanns sache ist,
und wofür vor allem die wenigsten zeit liaben. im übrigen hat
er für die erläuterung nach der sprachlichen wie nach der sach-
lichen Seite wider vortrefflich gesorgt: in den anmerkungen
stecken zuweilen sehr eindringende excurse, die nicht zum min-
desten den wert des buches ausmachen, die herstellung der
texte ist zumeist wol erwogen, nur hätten metrische bedenken
öfter eintreten dürfen: sie empfehlen zb. 97. S 2 Kalkstein st.
Könchenstein und hätten 103, 5 l.-i.T dazu führen sollen, die formen
Kirchevinren : L'hre)i in den (klingenden!) reim zu setzen, in
den Worterklärungen laufen hier und da misverständnisse unter:
zu nr 120,19 4 Der Weingott gihet aus dem Fass Blei,
Pulver, süsse Landen ist die widergabe ^Lunden wellen, wogen"
sprachlich wie sachlich unmöglich; nr 121,211 liederlicher
Lamp durfte nicht auf den hasen der tierdichtung bezogen
werden; der süsse Xeckarsafi. mit welchem nr 176,4" der pater
kellermeister von kl. Schäftlein die Münchener lateinschüler
tractiert, ist gewis nicht 'einer der im Neckartal wachsenden
weine' gewesen, sondern einfach aus Nectarsaft corrumpiert.
E. h.
KLEINE MITTEILUNGEN.
Volker der spielinann. Das merkwürdige 'zeugnis zur
heldensage' , auf das ich im folgenden aufmerksam machen
will, ist in einer Urkunde des grafen Dietrich {des Elsässers)
von Flandern vom 27 mai 1130 oder 1131 enthalten, deren
original sich im Staatsarchiv zu Brügge hSfindet. von der für
das kloster Oudenhurg (belgische provinz Westflandern) aufge-
stellten Urkunde waren kurze auszüge schon von Vredius
Genealogia comitum Flandriae i 186 und Miraeus Opera diplo-
matica ed. Foppens i 679 mitgeteilt, den vollständigen, text hatte
Van de Putte Chronique du monastere d' Oiidenbourg {Gent 1843)
s. 90 puhliciert. aber in jenen auszügen fehlt der uns hier
interessierende passus, und der abdruck Van de Püttes beruht
auf einer abschrift und bietet den namen auf den es ankommt
in entstellter und unerkennbarer gestalt. so lässt erst das fac-
siniile der Urkunde, das ivir in dem von HPirenne im verein
mit andern belgischen gelehrten herausgegebenen prächtigen
Album beige de diploi)iatique {Jette-Bruxelles 1909) auf lüanche
XI erhalten haben, den Sachverhalt erkennen, ich widerhole hier
die transscription, die JGuvelier gegeben hat; einige, lese fehler
dieser transscription verbessere ich stillschweigend und ändere
die Schreibung und interpunction nach den in den diplomata-
ausgaben der Monumenta Germaniae üblichen grundsätzen.
In nomine sancte et individue trinitatis. Ego Theodericus
dei gratia comes Flandrensium notnm esse cupio cunctis tidelibus
presentis temporis et futuri, qiiod, dum causa orationis intrassem
ecclesiam beatorum apostolorum Petri et Pauli sitam in oppido
Aldenborg, accesserunt ad me mouachi ibidem deo servieutes
cum suo abbate Hariolfo et suppliciter petieruut, ut causa
salutis anime mee illis remitterem ac indulgeudo perdonarem
quandam census redditionera, quam annuali debito michi et
antecessoribus nostris liactenus persolvere cogebantur. Quorum
humili peticione compulsus, beati etiam Petri apostoli patroci-
nium impetrare avidus, prout rogaverunt, benigne concessi et
predictam census annui reddibitionem in perpetuum perdonavi
remisi et indulsi. Quarum etiam rerum ne in posterum qu^-
libet fallacia surrepat, veracem noticiam hie ponimus. In ministerio
Wilranni preconis de terra conductili: terra sancti Petri de
Auinemed xx den., de Hunimmed xxi den., de terra Eeinfridi
Sassa vm den.; in Port Oldenborg i terra Ae de Pola viiu 1/2
den., terra sancti Petri vi den., terra Robbert Baites vm den.,"
terra Oldunt filii Einard ii den., terra Godeliui - clerici xn den.,
terra Eumold ülii Siberti vni den., terra Eluardi tilii Eluard
II 1/2 den., terra Alberti ex Artrica ii den., terra Thedbert-
• Oldent) or., so r/n.-<.-< auch Oldenburg (jelesen werden hnnntp.
'■' Godelii or.
KLEINE MITTEILUNGEN 1 2 1
tilii Erclit im 12 den., terra Gildwif ii 1/2 den., terra Weremi
bolchverric xvi den., terra Arnold! clerici im 1/2 den. In
ministerio Willelmi preconis de terra conductili: terra Hiddonis
et t'ratrum eins vi den., in Port Oldenborg terra Eremljolt xun
1,2 den, terra Kicardi xim den., terra Vogaliui ' xiiii den., terra
sancti Petri in den., item terra sancti Petri x den., terra Herred
Boschincab ii den., terra Popliui - vu den., terra Folperti Vog:al
XII 1/2 den., terra Sibrand viiii den., terra Folkir iocula-
toris VI den., terra Rattard v den., terra Euerolfi presbyteri v
den., terra Sig-erd filii Walkirs ii den., terra Folperti tilii
Lettard iii den. In ministerio Dodini preconis de terra conduc-
tili : terra P>ertolf tilii Oppes xviii den., terra sancti Petri ex
Rep IUI den.; de censu in Clemeskerca terra Beitranni vi den.,
terra Oldfridi'* Wldel vii den. In ministerio Cristiani ex Mor:
terra Reinfridi Calui xxvii den. In ministerio Walteri de
Lisvveg ex viscali: terra Liuildis xv 1.2 den., item terra
Hathawif monialis de Hem xxi den., qui pertinebant ad piper
comitis in ministerio Grei-ardi breviatoris. Per totum xxviii sol.
vii den. Horum igitur censuum aunuam Solutionen! pro remissi-
one peccatorum meorum atque pro requie animarum omnium
antecessorum meorum nee non pro pace et statu comitatus
nostri et pjo salute omnium tidelium nostrorum omnipotenti deo
et sauctis apostolis P. et P. condonaudo remisi et remittendo in-
dulsi, quatenus monaclii in prefato loco deo famulantes Christi
domini luisericordiam pro nobis assidue implorent. Et ut liuc
nostra largitio inviolabilem obtineat firmitatem, haue inde tieri
kartam decrevimus et signis nostrorum tidelium, qui interfuerunt,
consignamus atque nostri sigilli impressione roboramus.
Signum Teoderici comitis Flandrensis. Signum coniugis
eins Svanahildis comitissr.
Signum Arnulti nepotiscomitum. Signum Godzvini de Sellegahem.
Signum Girardi cubicularii. Signum Huberti Cubuc.
Signum Rogeri prepositi Signum Angelranui fratris
Brugensis Arnulti cubicularii^
Signum Odgarii geruli sigilli. Signum Reingeri Gemraonis.
Signum Frumaldi iunioris Signum Adalardi cognati
breviatoris. Fruinoldi.
Signum Gerardi breviatoris. Signum RaineriUolakin. Signum
Raineri Suogres'' amans.
Actum apud Aldenborg in ecclesia apostoloruni vi. kall.
iunii indictione viiii, sub anno dominier incaruationis mcxxx,
regnum Francorum tenente Hludouico rege tilio Philippi regis
anno xxin. comitatus Teoderici anno u.
Die Urkunde ist von zwei gleichzeitigen liänden geschrieben,
' Vogali Ol-., die ergäiizung ist unsicher. - Popli o/-.,.s. iwte 3.
^ das erfite d übei' der ;erle nafhffetra'/en. '• cubicularii über der seile
nachfietrccjen. ' Suogres ül/er der <eile nachgetrai/en.
122 KLEINE MITTE II.rxriEN
(leren zweite die signa und die datieriaig herqi'steUt hat. zivische»
dem context und den signa ist ein grofser zu-ischenraum; oh der
zweite teil nachgetragen oder voraufgefertigt ist, lüsst sich nicht
entscheiden, die datiernng ist widerspruchsvoll, denn dem jähre
1131 entsprechen son-ol die neunte indiction als das 23. regie-
rnngsjnhr Ludwigs vi von Frankreich, das vom todestage
Philipps I (29. juli 1108) ah gerechnet werden niuss: diese daten
stimmen also nicht mit dem incarnationsjahre 1130 üherein,
während das zweite Jahr des grafen Dietrich sich mit dem
letzteren vereinharen last, oh das itinerar des grafen hier die
entscheidung ermöglicht, entzieht sich meiner kenntnis. rechts
von der zeugenliste hat der Schreiber der Urkunde über tod und
hegräbnis der flandrischeti grafen von Balduin von Lille his
auf Wilhelm von der Normandie angaben verzeichnet, die ich
oben nicht abgedruckt habe, weil sie mit dem inhalt der Urkunde
nichts zu tun haben, das sieget ist verloren.
Ein spielmann Folker war also im jähre 1130 oder ll.'^l
im besitz eines grundstückes in Flandern, das im obereigentiim
des klosters Oudenburg stand und dem grafen von Flandern zu
einem jahreszins von sechs denaren verpflichtet nmr, auf den
dieser 1130 oder 1131 verzichtete.
Strafsburg-. H. Bresslaii.
Beinerkungen zur Millstätter handselirift. 1. Zu Karajans
einleitnng. — Bei der frag'e nach der herkiinft der hs. zieht
Karajan (s. vm) eine alte pergamenths. deutscher predigten (aus
der Mone in seinem anzeiger auszüge gegeben hatte) zum vergleich
heran, die aus MKuppitschs besitz damals in das Britische museum
gelangt war und die aus dem 17 Jh. stammende aufschrift trug:
"Besidentiae S. Jesu in MiUstaf. in Priebschs sorgsamem Ver
zeichnis der deutschen handschriften in England bd. ii. (Erlangen
lyOl), der die bestände des Britischen museums mustert, fehlt
zwar dieser predigtcodex völlig, dagegen lässt sich eine andre
angäbe bei ihm, die auf einem lesefehler beruhen niuss, mit hülfe
von Karajans bemerkung berichtigen, er führt (ii 136 unter nr 1 5*.))
ein gebetbuch des 14 jh.s auf, dessen erstes blatt den vermerk
'Jesid Millst S. J. 1740' trägt, und deutet diesen als 'namen eines
früheren besitzers' (so auch im register s. :U2). es kann keinem
zweifei unterliegen, dass diese unformen keinen personeunamen dar-
stellen, sondern dass ^Besid.\enfiae] 2Iinst.[at] S.\oriefafis] J.[esu\'
zu lesen ist. somit wäre ein weiteres stück aus dem handschrift-
lichen bestände der alten Millstätter jesuitenbibliothek festgestellt,
die nach der aufhebung des ordens zerstreut worden ist.
2. Zur Hochzeit. Die in einander greifenden bemühungen
von Kraus, Schri3der und Eoediger haben in dem text dieses ge-
dichtes nahezu alles in Ordnung gebracht, Avas in der handschrift-
lichen Überlieferung anstols erregt, auf discutable möglichkeiten
oder Wahrscheinlichkeiten will ich nicht eingehn. sondern nur
KLEINE .MITTEILUNGEN" 123
zwei stellen besprechen, von denen mir bei der einen eine, wie
ich g-lanbe, evidente Verbesserung gelungen ist. während bei der
andern eine Schwierigkeit des sinnes eine kurze erürterung nötig
macht.
30, 3 (491 Waag) den vrostigen sohle er heicceten,
den hungerigen nerigen.
au dem sonderbaren reim hewveten-.nerigen hat Kraus (Vom Rechte
s. 42) keinen anstoß genommen, da nach seiner aulfassung ähn-
lich wie 42, 7 (1009 Waag) nur die unbetonte schlusssilbe den
reim trägt : was die letztere stelle angeht, so möcht ich aller-
dings ebenfalls mit Roediger (Zs. 36, 2 (»4) glauben, dass der reim
'kaum zu dulden' ist, wenn ich auch seine einsetzuiig von sc liiere
nicht für sicher halte. Schröder und Roediger haben auf ver-
schiedenen wegen den reim durch beseitigung des zweiten reim-
worts zu reinigen versucht: jener (Anz. xvii 299) will unter
berufung auf Kaiserchr. 17 176 {heiväten : berieten} beraten für
nerigen einsetzen, während dieser (Zs. 36, 260) lieber an ver-
derbniss aus c(;zen denken möchte, beide conjecturen haben das
gegen sich, dass man keinen psychologischen grund dafür zu
linden vermag, warum ein gleich gutes synonymen für das andre
und zwar ein den reim völlig zerstörendes für ein gut reimen-
des eingeführt sein sollte, dass der Millstätter Schreiber den
reim durch beseitigung eines reimwortes tatsächlich zerstört hat,
scheint auch mir sicher: aber es muss sich um ein entweder
veraltetes oder dialektisch begrenztes, in beiden fällen also um ein
schwer verständliches, den Schreiber und hörer beirrendes wort
gehandelt haben; eine conjectur muss also dieser erwägung rech-
nung tragen, ein tadelloser reim entsteht nun, wenn man im
ersten verse beicceten durch teerigen ersetzt, das dem got. icas-
Jan entsprechende ahd. tverien in der sinnlichen grundbedeutung
'bekleiden', die wir an unsrer stelle brauchen, ist im mhd. aus-
gestorben (vgl. Mhd. wb. III 586a; auf den rechtsterminus, der
dort belegt ist, brauch ich hier nicht einzugehen), die ahd.
belege stellt Graff i 928 zusammen; vgl. auch Erdmann zu
Otfried ii 22, 12. danach begegnet das wort aufser bei Otfried
nur in den glossaren K und Rd-Ib (bei Steinmeyer- Sievers I
268, 38. 281, 5. 294, 69) und in den Monseer fragmenten (bei
Hench 15, 26). alle diese denkmäler sind im alemannischen oder
dem diesem benachbarten südrheinfränkischen Sprachgebiet zu
hause, dürfen wir auch an unsrer stelle irerigen als veraltet-
dialektisch ansehen, so wäre die alemannische herkuuft der Hoch-
zeit, die ja auch sonst höchst plausibel ist, noch durch ein
weiteres kräftiges moment gestützt, discutiert und entschieden
kann die l^ßimatsfrage allerdings nur für die gesamtheit der vor-
lagen des Schreibers weiden: eine erörterung dieser frage, die
ich seit langem plane, muss erst das erscheinen der vollständigen
abhandlung vonBulthaupt (alsPalaestra 72 angekündigt) abwarten.
124 KLEINE MITTEILUNGEN
37, 10 (S07 Waag) ihiz hezeichenf, daz der gotes man
niht \_b{\ yemaiton sol stau:
der sol ie singen,
daz lop ze gote hringen.
was heilst hier [in] genieiton stdn? das s\v. fem. gemeite wäre, so-
viel ich sehe, üjcai Ä€yÖ!.itvov und sonst nnbelegt: der von
Lexer (uachtr. s. 191) noch aus Heinrich vNeustadt angeführte
beleg muss auf Irrtum beruhen, er findet sich weder in Strobls
noch in Sing-ers text. im Mhd. wb. ii 1, 132a fehlt das wort
überhaupt. Lexer (i 844) erklärt, 'frühlichkeit, eitle last' und
will also in unsern versen denselben sinn erkennen wie in Hein-
richs von Melk Priesterleben 52S n-ar zuo sol dem hriester ge-
nuelfheif y einer stelle, die bei genauerer ansieht nicht das mindeste
gemeinsame hat. Waag (s. xxxi) nimmt Lexers erklärung wört-
lich auf. Kraus (Vom Recht s. 121) verweist, leider nur zu ab-
rupt, auf Gramm, iii 154, wo in gimeitnn aus Otfried, Tatian
und Notker im sinne von frustra, otiose vielfach belegt ist (vgl.
auch Grraff u 701), und das ist das richtige'. 'Vidit alios stantes
in foro otiosos' (Matth. 20, 3) wird im Tatian (109, 1) durch
gisah andre stantente in sträzii in gimeUfin verdeutscht; vgl.
die ganz ähnliche stelle Otfr. v 6, 16. ein adverbium gemeiten
im sinne von 'müßig' hat jüngst Helm (Zs. f. d. wortf. 10, 217)
in Heslers Apokalypse wie etwas überraschend neues aufgezeigt
und nur noch einen hochdeutschen beleg (Kaiserchr. 2639 ze/ciu
treistfi den [Jq^] gemeiten?) beigebracht: unsre stelle und die ahd.
belege sichern seinen etwas zaghaften semasiologischen ansatz und
geben ihm reichlichen hintergrund. die adverbielle form ge-
meiten bei Hesler macht nun allerdings recht zweifelhaft, ob
einerseits Karajan, dem offenbar die ahd. belege im sinne lagen,
die durchgängig die präposition in zeigen, recht daran getan
hat, das hier nicht überlieferte in in den text zu setzen, und
ob anderseits Schröders ansatz eines adjectivums gemeit 'unnütz,
zwecklos' im glossar zur Kaiserchronik (s. 428c) notwendig war:
in beiden stellen kommen wir mit dem einfachen adverbium ge-
meiten vollkommen aus. es könnte leicht sein, dass diese be-
deutung des Stammes sich eben nur in dem adverbiell erstarrten
dat. plur. des Substantivs (ahd. gimeüün) erhalten hätte, während
das adjectivum, wie bekannt, seine eigenen wege gieng. dieses
letztere zeigt übrigens auch in der Hochzeit 25, 6. 26, 2 (264,
304 Waag) die landläufige bedeutung. weiterer forschung muss
vorbehalten bleiben zu bestimmen, ob vielleicht noch an andern
stellen frühmhd. texte (z. b. etwa Milst. Genesis 67, 10; die
Wiener hs. 49, 7 weicht etwas ab) ein bisher immer als flectierte
adjectivform gedeutetes gemeiten nicht besser oder gleich gut
' Diemer (Genesis und Exodus ii 141) erliläit unsre stelle falsch und
zugleich i-ichtig mit 'eitle lust, lässigkeit'.
KLEINE mitteili:x(;ex 125
adverbiell zu fassen ist und damit noch weitere belege für die
hier besprochene bedeutung- gewonnen werden können.
3. Zur Sündenklage.
48, 24 (71 Roediger) nfi vernim mich st(n(l[i(/en man],
wand ich gandert hän
einen sun, [der sinen] vater hat.
das transitive andern des zweiten verses fehlt im Mhd.
\vb. I 37 a. Lexer fii 56) erklärt unter berufung auf unsre (in
der ersten zahl verdruckte) stelle: 'ändern', scheint also sich
den sinn des verses nicht genügend klar gemacht zu haben.
Roediger giebt keine anmerkung die seine auftassung des Wortes
erkennen ließe: ich nehme an, dass er so wie die meisten
von uns an die verbale ableitung vom ordinale ander ge-
dacht und sich bei dem ganz gut passenden sinne 'widerholen'
(lateinisch etwa iterare) begnügt haben wird, diese auffassung
ist unrichtig, es ligt vielmehr ein retlex von ahd. antarfm 'nach-
ahmen' vor, das mit ander zunächst nichts zu tun hat und fast
durchweg t im stamm aufweist (zur etymologie vgl. die aller-
dings zweifelhaften bemerkungen bei Grimm D WB. i 311). reiche
ahd. belege aus glossen und aus Notker gibt Graff i 378. aus
der mhd. literatur war bisher nur ein einzelner beleg aus Konrad
von Megenberg (199, 12) und zwei aus Walther von Rheinau
(168, 20. 181, 4) bekannt (vgl. Lexer i SU; uachtr. s. 28). ich
kann noch eine weitere stelle aus dem Prosaphysiologus beibringen:
wenn die serra ein schiff sieht, so hebt sie federn und schwänz
in die höhe unde wil die segela antderdn (Fundgr. i 21, 3). mit
einer einzigen ausnähme gehören alle genannten belege dem alem.
Sprachgebiet an, was widerum für die heimatsfrage unsres ge-
dichtes (Roediger zu 441 und s. 317 widerspricht sich) von be-
deutung werden kann.
49, 21 (107 Roediger). Karajans ergänzung [inirt]stein,
die Roediger beibehalten hat, schafft ein sonst niemals belegtes
mhd. wort, was immer sein bedenkliches hat. Diemer hat irgendwo
in einer anmerkung (ich kann momentan die genaue angäbe nicht
auffinden) schürstein vorgeschlagen (vgl. JGrimm Klein, sehr.
II 425). die ergänzung muss in der schwebe bleiben, da wir
nicht wissen können, ob die bildliche Vorstellung von atmosphä-
rischen niederschlagen oder von der belagerungstechnik herge-
nommen war. im ersten fall könnten noch donerstein oder hacjeJ-
stein, im zweiten das aus dem 12 jh. belegte läzstein (Jänicke zu
Bit. 1595; vgl. noch Eilh. 86 19) zur wähl gestellt werden.
53, 3 (252 Roediger) ist doch wol schon des reinis auf gesäten
wegen das lisl. stcete mit Bartsch (Germ. 7, 279) in State zu bessern;
Roediger führt diese conjectur im apparat überhaupt nicht au.
Jena, 7 oct. 1908. Albert Leitzinjinn.
Das Geburtsjahr von Simon Lemnins. 1 . Es ist herrn Merker,
dem autor der interessanten monographie über Lemnins, ge-
120 KLEINE AUTTEILUNGEN
lung-en, eine andeiituug des bisher unbekanuten geburtsjahres
dieses dichters zu rinden im folgenden distichon:
Bis clenas nnmero terna trieteride messes,
Si de uif/inti dempserls Ipse dicas.
herr Merker macht hieraus 2u — 2 -|- 9 = 27, gesteht aber
selbst seiner lüsuug nicht ganz sicher zu sein, die folgende
dürfte gröfsere Wahrscheinlichkeit beanspiuchen. man nelime die
distributiva deni und terni correlativ, so gibt die erste zeile:
2 (10 4- 3X3) =20-1-18. die zweite berichtigt dies zu:
20 — 2 -f- 18 = 36. da das distichon im jähre 1538 geschrieben
ist, ergibt sich als geburtsjahr des Lemnius 1502.
Auch aus dem folgenden gründe scheint mir das jähr 1511,
welches Merker ausrechnete, weniger passend zu sein, der dichter
erzählt nämlich, dass unter denjenigen die 1499 aus dem Prätigau
flüchteten, sich auch seine eitern befanden:
Äufugere Iwmines, et uos, o cara parentum
Pectora : nee tum natus eram.
im j. 1499 waren also seine eitern w'ahrscheinlich schon ver-
heiratet, nun ist es nicht wol anzunehmen dass Lemnius, der
noch einen jüngeren bruder hatte (weiter hatte er nur eine
ältere Schwester), erst 12 jähre danach geboren sein sollte, das
jähr 1502 ist mit diesen tatsachen in besserem einklang.
Haag. S. AV. F. Mar^^adant.
2. Die auffassung des herrn Margadaut könnte plausibel er-
scheinen, besonders da das epigramm gerade 153S publiciert und
vermutlich gedichtet ist — wenn sie sprachlich möglich wäre.
Bei den römischen dichtem, denen Lemnius hier folgt, ist
es so gut wie stehender gebrauch, bei zahlen- und speziell
bei den üblichen autobiographischen altersangaben statt der als
prosaisch gemiedenen cardinalzahl die distributive Umschreibung
zu wählen, die sich meist auch dem rhj^thmus besser einfügt;
eine ja auch unserer classischeu dichtung [und schon Otfried, wie
ESchröder hinzufügt] nicht fremde gewohnheit. bis deni ist fest-
stehende Umschreibung für viginti, besonders in formelhaft-ty-
pischer Verwendung am beginn des Verses und mit zugehörigem
nomen am schluss, wie hier (inesses, das gebräuchliche wort),
es geht also nicht an, wie M. will, die arithmetische Klammer
zwischen die beiden festzusammengewachseuen Wörter zu legen:
ßis {denas nuniero terna trieteride) messes =2 (10 4-3.
3) = 38. dann hätte Lemnius schreiben müssen:
Bis numero denas terna trieteride messes, was der vers ohne
weiteres erlaubt hätte. — wol aber schreibt er zwei selten vor-
her (Epigramm, libri III, D 4 b):
Äd Phedilmn.
Bis denas nondum nunieras si Phedile messes,
Tunc poteris nullas attribuisse tibi. —
die eigentliche Schwierigkeit liegt vielmehr in dem gesuchten
1
KLEIXE MITTEILUNGEN 127
Zusatz tenia trieteride, dessen offenbar additiver sinn nicht ohne
weiteres klar ist. anreger ist hier (worauf mich herr dr. Hol^a
aufmerksam macht) offenbar Martial. der überhaupt als Vorlage
für das distichon gedient hat: er hat mehrfach me.ssi.s = anaus
und drückt an vier stellen altersangaben durch Umschreibungen
mit trieteris aus: VI 38, I. VII 96, 3. IX 84,9. X 53, 3. bei
sämtlichen fällen erscheint der abl. trieteride, in VII 90, 3:
sex mihi de prima deerant trieteride menses
in einem stark an Lemnius anklingenden hexameterausgaug.
vielleicht durch den klang bestimmt hat also der humanist den
abl. im sinne von adiuncta terna trieteride (Martial IX 84, 9)
gewagt, nicht gerade coi-rect.
da auch das zweite argument M.s nicht zwingend ist, halte
ich an der erklärung Merkers: 2 . 10 -|- 3 . 3 — 2 = 27 fest.
Nur eins wäre vielleicht zu erinnern. nach Censorinus De
die natali cap. 1 8 war eine trieteris im gründe nur ein Zeitraum
von zwei jähren und einem monat '. wir würden also, vor-
ausgesetzt, dass Lemnius dies gewusst hat, auf ein
lebensalter von 24 jähren und 3 mouaten, mithin auf das Jahr
1514 oder 1513 als geburtsjahr kommen; was allerdings reichlich
spät wäre.
bei dieser gelegenheit stoß ich in der Raeteis des Lemnius
auf folgende verse (I, 516ff.):
Initrea mm cohors populis veniebat ab Uris
Auxilio Raetis, prisca sub imagine tauri
Signa ferens armis et spirans robora 2Jartis,
Excita a sociis, habitant qui saxa Tisentis.
At gens Urorum, Tauriscis orta propago,
Inde Caput tauri clypei sub imagine gestaut,
Vnde etiam prisci Taurisci nomine dicti.
TJri etenim tauri dicuntur gentibiis istis,
At non siivestres qui sunt in saltibus Uri.
Hinc quando arma vocant, et surgit pugna tumultu,
Signa so7io liorrendo perjiantur corna bello.
Quiqiie sonum reddit crudeli taurus ab Uro
* Censor. cap. 18,2: eeterei^ in Graecia civitates cum animad-
rerterent, dum ■•^ol anmio owmu orbem. säum, drcumit, lunam nocam
interdum tHden'e.f exorin idque saepe alternv^ fieri, arbitrati .sunt
lunare.-< dufide<im menses et dim.idiatum ad annum naturalem, concenire.
itaque annos ciriles sie statuerumt, ut intercalundo farerent alternos
duodeiim mensum, alternos tredecim, utr-umque annum .■<eparatim ver-
tentem, ninctos ambo annum rnagnum voran tes idque tempus
trieterid a appel labant, quod tertio q uoque anno intercala-
batur, quumcis biennii circuitus et re cera dieteris esset;
unde mysteria, quae Libero ulternis Jiunt annis, trieterica a poetis
dicuntur. postea cognito errore hoc tempus duplicarunt et tetraeterida
fecerunt : ."ed eam, quod quinto quoque anno redibat, pentaeterida
nominabant.
12S KLEIXE MITTEILIXGEX PEKSOXAI.XOTIZEX
Dicitur, horrenäumque boat, quo terra remngif.
Duxerat Henricus Vollebns, heiliger armis —
die stelle hat wol C. F. Meyer im sinn gelegen, als er den 4tisten
gesang von 'Huttens letzten tagen' dichtete:
'Bei meinem Eid und Schivur!
So tätischeud muht der Heini Wo lieb nur!' —
In sumpf'gem Alantoranerboden ruht
Der Heini, der so trefflich hat gemuht.
der Uruerführer von 1499 hat sich ihm freilich in einen lands-
knecht verwandelt, der durch 'Muhen' den heimwehkranken
Urner verhöhnt.
Göttingen. Walther Brecht.
P E E S 0 N A L N 0 T I Z E N.
Am 8 februar ist zu Leipzig der professor der englischen
Philologie Richabd Paul Wuelkee im 65 lebensjahre verschieden,
am 2;-i juni zu Freiburg i. Br. sein fachgenosse Wilhelm "Wetz,
51 jähre alt.
Am <) mal starb zu Südende bei Berlin im 43 jähre Fkaxz
Nicolaus Fixck, dem vor kaum Jahresfrist die alte Steinthalsche
Professur verliehen war. er pflegte die allgemeine Sprachwissenschaft
im geiste Wilhelm vHumboldts und hat in zahlreichen schritten
dafür Zeugnis abgelegt, mit welcher hohen energie und geistes-
kraft er die verschiedensten typen des menschlichen Sprachbaues
beherschte.
Am 6 juni schied dicht vor Vollendung seines 8<t lebens-
jahres von uns der ehrwürdige senior der Indogermanisten Leu
Meyer, der nach 34 jähriger gesegneter würksamkeit in Dorpat
den abend seines lebens, tätig bis zuletzt, in Güttingeu zubrachte.
Nach Straßburg, wo Ernst Martin zum 1 april vom lehramt
zurücktrat, wurde als ao. professor der deutschen philologie prof.
dr. Feaxz Schultz von Bonn berufen. — in Fieiburg i. Br.
wurde nach dem freiwilligen rücktritt des ord. professors dr
Roman Wörner der privatdoeent für ästhetik und neuere littera-
tur an der Universität Heidelberg dr Philipp Witkop zum ao.
professor ernannt.
In der besetzuug der lehrstühle für englische philologie sind
folgende änderungen eingetreten: auf das Ordinariat in Münster
wurde (für Jiriczek) der ao. professor Wolfganc; Kelij:e berufen;
dessen stelle in Jena erhielt der privatdoeent dr. Ludwig Levin
ScHUECKixG von Güttingen. nachfolger Wülkers in Leipzig w'urde
prof. Max Foerster von Halle, und nach Halle kam als Ordi-
narius der ao. professor Max Deutschbeix von Leipzig.
Habilitiert haben sich: für deutsche philologie dr Friedrich
Ranke in Straßburg und dr Haxs Schulz in Freiburg i. Br. ;
für englische philologie dr Fritz Roeder in Göttingen; für alt-
germanische philologie dr Gustav Neckel in Breslau.
ANZEIGER
Füll
DEUTSCHES ALTERTUM UND DEUTSCHE LITTERATUR
XXXIV, 3 September 1910
Das altdeutsche volksepos. eiu Vortrag von Friedrich Panzer.
Halle a S., Nienieyer 1903. 34 ss. S". — 1 m.
Lied und epos in germanischer Sagendichtung von Aitdi'eas
Heusler. Dortmund, Ruhfus 1905, 52 ss. bo. — im.
Diese beiden Schriften sind aus der bewegung gegen die
Lachmaunsche höhere Nibelungenkritik hervorgegangen, und ihre
— so sehr verspätete - — anzeige hier ist vielleiclit doch noch
am platze, weil die jüngst wider lebhaft gewordene sagenkritik
mafs und leitlinien aus litterarhistorischen gesichtspuncten ge-
winnen kann, die von Panzer und Heusler, besonders frucht-
bringend von diesem, betont werden.
Panzer schreibt aus der allgemeinen richtung heraus, die
zwar alte lieder als grundlage des epos annimmt, aber die Un-
möglichkeit erkannt hat, mit Lachmanns mittein aus dem gefüge
des epos sie wider herauszuschälen, er will von der negieruug
zu positivem gelangen; nicht die alten lieder, sondern das ganze
des mild, 'volksepos", das aus ihnen entstanden ist, soll betrachtet
werden, und zwar in Unterordnung unter die allgemeinen erschei-
nungen der blütezeit. irreführend sei der titel 'volksepos', er
setze nur alte romantische Vorstellungen fort: die epen der helden-
sage sind Standespoesie, wie das höfische, die unterschiede findet
P., vom Stoff abgesehen, im fortwürken von stilformen der typi-
sierenden altgermanischen poesie. hübsch werden diesem gesichts-
punct kennzeichnende Stileigentümlichkeiten eingeordnet: die "ob-
jectivierende" Umschreibung der handlung, das fortleben alter, im
individualisierenden stil des höfischen epos gemiedener poetischer
ausdrücke, die dem täglichen leben fremd geworden waren, auch
das pathos der alten poesie wäre unter solchen erbstücken zu
nennen : ihm — mehr als der Vorliebe für den typus, wie Panzer
will — entsprang die tigur der Variation, zum typischen rechnet
Panzer auch die 'Widersprüche' in zahlen-, orts-und anderen angaben,
hier wünschte man freilich schärfere sonderung. der verf. weist
auf die reichhaltigen ausführungen seines buches Hilde-Gudrun;
aber was dort gesammelt ist, erlaubt noch nicht methodische Ver-
wendung, weil es auch erscheinungen aufnimmt, die als stileigen-
tünilichkeiten nur dann angesehen werden können, wenn man den
A. F. D. A. XXXIV. 9
130 SEEMÜLLER ÜBER PANZER, VOLKSEPOS
begriff des formelhatten ins ungemessene ausdehnt und mit der
müglichkeit, ja walirscheinlichkeit nicht rechnet, dass die epische
Überlieferung die uns vorligt, nicht die originale fassung ist;
der begriff des 'echten' und 'unechten', dh. älteren und jüngeren,
muss nach wie vor im gesichtsk reise bleiben, auch wenn man
Lachmanns liedertheorie nicht anhängt und das 'echte" in einem
gröfseren Spielraum der möglichkeiten sucht.
So nützlich und notwendig es ist. die mhd. epen der helden-
sage von den hötischen nicht zu isolieren, so wird dadurch erst
einsieht in die gesellschaftlichen antriebe gewonnen, die für beide
gattungen wirksam waren, noch nicht aber etwas positives der
älteren liedertheorie gegenübergestellt, dh. noch nichts über
den weg ausgesagt, auf dem stilmittel der germanischen poesie
in diese jüngeren formen herüber sich fortpflanzten. P. redet im
text seines Vortrags vom 'altgermanischeu epos', auch von 'alten
liedern' (s. 26), die die vorläge des epos waren, aber erst die
anm. 9 (s. 34) bestimmt etwas näher, was er mit diesen aus-
drücken meint: es seien 'epen von nicht zu geringem umfang'
gewesen; denn 'unsere epen haben die grundlagen ihres Stils
sicher aus ihren vorlagen übernommen, seine haupteigenschaft
der variierenden breite hat aber nur im rhapsodischen epos, nie
in einer ballade räum' (und ballade ist ihm hier der ausdruck
für die Vorstellung, die Lachmann von den liedern hatte), aber
die 'variierende breite" — merkmal des sprach Stiles — kommt
doch gewis auch den liedern, die nicht epen sind, zu: Hildebrands-
lied, Finnsburg, sie allein würde die vorlagen des epos keineswegs
schon zu epen machen, es sei dahin gestellt, ob P. zwischen
formen wie Hildebrandslied und Nibelungenlied mittelstufen denkt,
die epen zu nennen wären; nicht das 'altgermanische epos'
noch jenes 'rhapsodische" sind gröCsen, die irgendwie greifbarer
wären als Lachmanns 'lieder'. weder der Beowulf noch weniger
der Heiland sind beweisstücke für ein 'germanisches epos'. und
über das Verhältnis dessen was uns gleichmäl'sig vom norden,
Süden und der mitte her wirklich überliefert ist, des epischen
liedes, zum epos finden wir nach der positiven seite hin bei
Panzer nichts.
Eben diese frage beantwortet Heuslers schrift. Den leiten-
den grundgedanken entnimmt sie Kers buch Epic and Romance
(1897 1: dass das Verhältnis des epischen liedes zum epos nicht
durch die Vorstellung der aneinanderreihung von teilen zu einem
ganzen, sondern des Wachstums vom kleineren zum grölseren zu
verstehn sei, dass das epos nicht durch summierung von einzel-
liedern, sondern durch anschwellung des liedinhaltes zur gröfseren
form entstehe. H. wendet ihn sofort auf concrete fragen der
philologischen kritik und der litteraturgeschichte an, fasst die
charakteristischen eigentümlichkeiten der älteren 'sammeltheorie'
im gegensatz zu jener 'anschwellungstheorie' in scharfer und
8EEMÜIXKK ÜBER HEUöLER, LIED UND EPOS 131
klarer forraulierung zusammen und macht die probe an ausge-
wählten litterarischen denkmälern.
Der springende punct ist die beobachtung, dass das lied
eine abgeschlossene fabel enthält, es ist nicht episodisch, dh.
setzt zu seinem Verständnis nicht ein oder mehrere andere lieder
voraus, und ist nicht unvollständig, dh. bedarf nicht der fort-
setzung durch ein anderes, um den Inhalt, handlung oder Situation,
als abgeschlossen erscheinen zu lassen, das ist der herschende
zustand, ausnahmen sind selten; H. fasst im verlaufe der Unter-
suchung solche fälle ins äuge; ein epos wird auch aus der Ver-
bindung solcher einzeln unselbständiger lieder nie, auch das ganze
bleibt lied. sowol die denkmäler, die vor der zeit des epos liegen,
als auch die späteren fügen sich dieser beobachtung, die H. in
dem satze: 'liedinhalt und epische fabel decken sich' formuliert,
die berechtigung, das jüngere material ebenso wie das ältere
heranzuziehen, schöpft er daraus, dass der liedinhalt des älteren
llildebrandsliedes wie der eddischen Hamdismal in gleicher ab-
grenzung durch Jahrhunderte fortlebt und im jüngeren Hilde-
brandslied und dem Lied von Ermenrichs tod wiederauftaucht.
Die epischen fabeln, die liedinhalte, sind an reichtum sehr
verschieden, neben stoffarmen wie dem 3 Gudrunlied steht der
reiche verlauf zb. der Atlamal. ein lied kann auch zwei fabeln
haben, wie deutlich das Wielandslied und wol auch die Hymis-
kvida. hier wie dort ist jede der beiden fabeln für sich selb-
ständig, jede für sich, nach H.s terminologie , eine 'sage'; sie
stehn, dort die beiden Wielands-, hier die beiden Thorssagen, in
einer 'sagenreihe', welche gestalt die teile des neuen ganzen in
ihrer selbständigen form hatten, wissen wir nicht; dass weder
Wielandslied noch Hymiskvida eine bare addition vorhandener
lieder sind, lehrt die analyse der geste von Robin Hood, die H.
s. 37 ff vornimmt: mit Child und Brandl sieht er sie als über-
arbeitende Zusammensetzung aus drei selbständigen Robinfabeln
und -liedern an, und sprachliche unterschiede der teile weisen hier
auf addierende tätigkeit des redactors.
Nach dem kriterium der epischen fabel verglichen, unter-
scheiden sich lied und epos nicht wesentlich von einander, es
gibt epen mit einer fabel (Waltharius, Alphart, Rabenschlacht)
und solche mit zwei (Beowulf, Nibelungenlied) oder mehreren
(Kudrun, Ortnit- Wolfdietrich), nicht in der fabel sondern im stil
ihrer darstellung ligt der unterschied, der des liedes ist knapp,
des des epos breit, nicht sowol der sprach- als der compositions-
stil. der gegensatz kann direct beobachtet werden, wenn man eines
der Eddalieder die die Burgundensage darstellen mit dem zweiten
teil des Nibelungenliedes vergleicht. H. illustriert ihn hübsch,
indem er zum stoff des liedes Hamdismal möglichkeiten seiner
Verbreiterung zum epos aufzählt, der nachschaffende philologe hat
natürlich verbreiterungsmotive aus der tradition des epos ge-
9*
132 SEEMÜLLER ÜBER HEUSLER
schöpft, im überlieferten epos hat aber die fabel zwf-ifellos auch
durch erfundene niotive erweiterunp: erfahren, sehr lehrreich ist
ein beispiel, das H. aus der liedüberlieferung: nimmt: die kurzen
dänischen Marsk-Stig-visen FG, K, H.T sind ältere fassungen des
Stoffes und selbständige lieder; die kurze vise CDE ist entweder
unvollständig oder verlangt die existenz einer verlornen fort-
setzung fi v7toh]ii,iewg; aus CDE, HJ und FG schuf ein dichter
die grofse vise A, jedoch nicht durch bare aneinanderreihung,
sondern in gestaltung eines teilweise neuen Zusammenhanges
und durch zudichtung neuer teile (das ganze noch immer im
knappen liedstil).
Solche erscheinungen am lied — reflexe der bewegungen in
einer sage, einer sagenreihe — müssen uns den weg zum Verständ-
nis des sageninhalts beim epos weisen, es ist denkbar, dass eine
fabel — dem entsprechend ein lied — die grundlage bildet und
zu seiner anschwellung raotive aus einem oder mehreren anderen
liedern herangezogen werden, es kann summierung von lied-
inhalten (nicht Wortlauten) stattfinden, wenn die liedinhalte durch
Identität des beiden (wie in den beiden fabeln des Beowulf) oder
innre Verbindung der handlungen (wie in der Siegfriedfabel und
der vom Untergang der Burgunden) mit einander verknüpft sind,
auch contamination : in den Melanges Kurth hab ich zu zeigen
versucht, dass der Inhalt des Waltharius (gewis eine innerlich
einheitliche fabel) spuren der benützung zweier verschiedener
fassungen der fabel zeigt, also zweier Waltherlieder, deren jedes
wahrscheinlich die flucht, Verfolgung und den kämpf enthielt, das
zweite und dritte motiv aber in verschiedener gestaltung: im
Waltharius stamme das erste aus dem einen, die beiden anderen
aber aus dem zweiten lied. in keinem dieser fälle übernimmt
das epos den ganzen Wortlaut des liedes oder der lieder —
stilistisch entsteht jedesmal etwas davon ganz verschiedenes.
Die frage, ob die grundlage des epos — die fabel — jedes-
mal liedmäfsige form gehabt haben müsse oder auch in (münd-
licher) prosaischer erzählung dem epiker tiberliefert worden sein
kann, ist für den Zusammenhang H.s, der das Verhältnis zwischen
den Wortlauten des liedes und des epos im äuge hat, gleichgiltig.
sie wird auch schwerlich für jede periode mit Sicherheit zu be-
antwortensein, in Deutschland schwellen liedfabeln erst im 12 Jahr-
hundert zu deutschen epen au. zu jener zeit sind sagen gewis
auch prosaisch überliefert worden (vgl. die Quedlinbui'ger annalen,
immerhin auch die chronik von Novalese), die mitwirkung pro-
saischer sagenberichte unter den quellen des epos hilft uns jedes-
falls anschwellungsmotive zu erklären, wol auch, innerhalb der
liedformen selbst, die mehrheit von fabeln.
Man darf der Ker - Heuslerschen grundanschauung: einer-
seits, epische fabel und liedinhalt, liedinhalt und fabel des epos
können sich decken; anderseits, der liedinhalt gibt dem epos nur
LIED UND EPOS 133
den umriss des ganzen, das epos entsteht aus ihm durch anschwel-
lung — eine fruchtbare zukunft voraussagen, zunächst drängt
sie die einheitliche dichtende persönlichkeit, die die Umgestaltung
vornimmt, in den Vordergrund: die formel 'ein epos habe sich
zusammengesungen' ist bedeutungslos geworden, sie hat höchstens
für die liedfabel noch einigen sinn, und auch da dürfte man nicht
mehr 'zusammengesungen', sondern müste 'ersungen" sagen, man
wird ferner fragen: wolier kam die änderung des gesclimackes,
die am lied nicht melir genüge liatte und die gröisere furm ver-
langte V dabei wird man niclit übersehen dürfen, dass das deut-
sche epos erst im 12 jh. erscheint, dass es in lateinischer spräche
aber schon im 10 jh. vorhanden ist. der Waltharius trägt un-
zweideutige merkmale des antiken einflusses auf seine form, der
Rother ist ohne Alexander und Roland kaum denkbar, und der
frülie Beowulf hat in seinen reflectierenden, elegischen bestand-
teilen deutlich merkmale der ags. geistlichen poesie. im norden
hat die liedform nicht zum epos sich entwickelt — die erweite-
rung der liedform geschah dort nach dem muster der prosaischen,
gelegentlich verspartieen einmischenden saga. die alten liedinhalte
scheinen überall nicht aus dem bedürfnis ihrer eignen form und
tradition, sondern — in England und Deutschland wenigstens —
durch einflüsse auswärtiger kunstformen zum epos erweitert
worden zu sein.
Etwas den triebkräften, die das lied zum epos schwellten,
ähnliches kann aus zeiten, in denen die epische form bereits
vollentwickelt war, an der technik des reimchronisten Ottokar
beobachtet werden, eine kurze hochzeitsnachricht seiner quelle
wird zu einer breit und reich ausgeführten scene. je entfernter
der Schauplatz, dürftiger die tatsächliche grundlage, desto auf-
fallender tritt diese fähigkeit des schrankenlosen fabulierens zu-
tage, am stärksten in den rund 1 0000 versen, die der eroberung
Accons und ihren folgen gewidmet sind, auch Enikel bietet bei-
spiele. ich wähle diese zwei autoren, weil bei ihnen das an-
schwellen der vorläge am deutlichsten an der quellennachricht
gemessen werden kann, man bemerke dabei, dass Ottokar lokal-
sagen wie die vom ring des Scharfenbergers oder vom bürger
von Verdun zwar auch rund und breit darstellt, aber jenes, das
innere gefüge der grundlage zugleich anschwellende verfahren,
das in der Ackers-episode am besten hervortritt, stellte sich doch
vorwiegend bei haupt- und staatsactionen ein mit ihren höfischen
festlichkeiten oder kampfscenen.
Man kennt eben diese schösslinge am volksepos. aber nicht
sie allein haben den alten liedinhalt ei'weitert; neben diesen
typischen motiven stehn gehaltvollere, wie zb. im Nibelungenlied
die jagd, die saalwacht ua. hier werden, auch auf dem boden
der Heuslerschen anschauungen, zeitliche Scheidungen einzutreten
haben. denn jene Verschiedenheiten der anscliwellungsmotive
134 SEEMÜl.I.KR i'BKK HKUSI.ER
scheinen verschiedenen fähigkeiten dichterischer gestaltung ent-
sprungen, dass vor unserem Nibelungenlied eine dichtung lag
aus der es schöpfte, weil's man aus den parallelen der Thidreks-
saga. H. beobachtet sehr hübsch, dass einzelne abschnitte aus
der erzählung vom Untergang der Burgunden in der Ths. ihrer
composition und breite nach auf ein epos, nicht ein lied zurück-
weisen, das ältere deutsche Nibelungenepos des 12 jh.s tritt so
in greifbarere nähe, die entwicklung von diesem zu unserer
Überlieferung geht aber schon im bereiche des epos vor sich, vor
diesem liegen die zwei fabeln, die Siegfried-(Brunhild-) geschichte
und die vom Untergang der Burgunden. H. setzt ihre verbin-
bindung zur deutschen sagengestalt ins 8 jh. beide fabeln kijnnen
in je einem selbständigen lied gesungen worden sein; das zweite
brauchte nicht das erste 'fortzusetzen' — es konnte aus der Vor-
stellung von der Verknüpfung der ereignisse heraus ohne weiters
mit der Situation einsetzen, die durch Siegfrieds tod für Kriem-
hild entstanden war, und die Selbständigkeit der beiden fabeln
und lieder scheint selbst noch in der composition unseres epos
nachzuwürken, in welchem die längere ebene strecke der witwen-
schaft Kriemhilds zwischen den zwei höhepuncten liegt, ob nun
die Verbindung beider fabeln in der geschwellten epischen dar-
stellungsform mit dem älteren deutschen epos des 12 jh.s ein-
setzte, oder ob schon zur zeit Pilgrims von Passau ein latei-
nisches Nibelungenepos solcher gestalt entstanden war, steht dahin,
diese 'Nibelungias' würde sich jedesfalls gut in das 10 jh. ein-
fügen, das die neue richtung liedinhalte zum epos zu schwellen,
und zwar vorerst in lateinischer spräche aufweist.
Von diesen und ähnlichen weitergehnden folgerungen aber
abgesehen lehrt uns H. unmittelbar die regel, im gefüge des
epos zuerst die fabel oder die fabeln zu erkennen; jedesmal ist
an und für sich die möglichkeit da, dass der fabel einst ein lied
entsprach, innerhalb der fabel des epos ist die episode denkbar:
auch diese kann in einem liede gelebt haben, aber es war selb-
ständig, es kann ins epos seinem Inhalt nach übergehn, aber
nicht nach seinem Wortlaut, denn es verliert bei der aufnähme
seinen liedstil. der keim der episode kann schon, aber muss
nicht in dem lied enthalten gewesen sein, das dem epos die
grundfabel lieferte, der ependichter kann aber auch liedinhalte,
die von haus aus nichts mit seiner hauptfabel zu tun hatten,
hereinziehen und aus ihnen anschwellungsmotive gewinnen
(Gere, Iring). das epos wird dadurch zum reflex von mehr liedern,
als seiner hauptfabel entspräche, aber nicht addition, sondern
erweiternng hat stattgefunden, und die ursprünglich sagenfrem-
den lieder brauchen nicht ihrem ganzen Inhalt nach aufgesogen
worden zu sein.
All das sind Vorgänge auf dem wege vom lied zum epos.
davon wird der kritiker die im sonderleben des epos möglichen
LEED UND EPOS 135
ZU scheiden haben, fremdartige scenenreihen, durchgreifende
unterschiede des sprachlichen ausdrucks und Stiles weisen nicht
mehr auf eine mehrheit von liedquellen, sondern auf eintiüsse
von vorlagen, die bereits die form des epos hatten, wenn zb.
ESchmidt (Prager Studien ii) für die Yirginal wahrscheinlich
macht, dass ein altes gedieht, aus dem Virg. A stammt, mit einem
anderen alten gedichte Virg. B ' verbunden und dieses ganze von
einem dichter redigiert wurde, der Virg. B^ hinzufügte (vgl.
auch V. Kraus, Zs. 50, 121 ff), so ist dieser ganze verlauf schon
in der stilform des epos vor sich gegangen.
St. Martin b. Klagenfurt, 7. mai 1910.
Joseph SeeiiiüIIer.
Untersuchungeu über deu Ursprung uud die eutwickluug
der Nibeluugeusage vou R. C. Boer. iii. baud. Halle, Waisen-
haus 1909. 191 SS. gr. 8". — S lu.
R. C. Boer ist einige jähre hindurch der fruchtbarste autor
auf dem gebiete der germanischen sagengeschichte gewesen, mit
dem vorliegenden bände, der im sommer lOOS abgeschlossen ist,
scheint seine production vorläufig abzubrechen', gern möchte man
hoffnungen knüpfen an dieses verstummen, ist Boer im stillen
beschäftigt, seine methode zu revidieren? sind ihm zu guter
stunde die zweiteilige 'Hagensage' und die 'anpassungstheorie"
in ihrer ganzen blutleeren, freischwebenden Unmöglichkeit auf-
gegangen? beginnt er mir den homuuculus zu verzeihen? wenn
anzunehmen wäre, dass etwas derartiges im werke ist, so könnte
ich mich sehr kurz fassen, ich würde mich begnügen zu sagen:
zur zeit wo der Verfasser dieses buch schrieb, teuschte er sich
noch immer grundsätzlich und verhängnisvoll über die natur
seines Stoffes; er hielt den sinn hai'tnäckig verschlossen gegen
alle menschlichen und stilistischen werte in den denkmälern; er
liel's sich infolgedessen fortgesetzt von seinem Scharfsinn zu den
haltlosesten folgerungen hiureifsen, und sein buch ist, von einzel-
heiten abgesehen (Hialli in den Atlamäl s. 24) wertlos, er würde
das verschmerzen und auf den trümmern seiner "Untersuchungen'
vielleicht ein ei-freulicheres gebäude aufführen, aber ich muss
mich doch wol auf den fall einrichten, dass B. noch heute seine
aufstellungen vertritt und gestimmt ist, sie durch persönliche
Verdächtigungen unwürdiger und sinnloser art (wie s. 116) zu
decken, diese Wahrscheinlichkeit nötigt mich leider, etwas aus-
führlicher zu werden, vielleicht ist aber auch feinerstehndeu
mit einer kritischen beleuchtung gedient.
Den hauptgegeustand des bandes bilden die Nibelungenlieder
der Edda, der verf. sucht festzustellen, welchen platz sie in
der von ihm angenommenen entwickluug der sage einnehmen.
' s. das datum unten !
136 NECKEL ÜBER BOER
er beginnt mit einem hiernach orientierten commentar zu den
Atliliedern, vornehmlich der Atlakvida, mit der er text-
kritische experimente macht, zb. nimmt er daran anstoss, dass
Atli nach Gudruns grausamer enthüllung keine mafsregeln gegen
sie ergreift und in str. 40 sich nichts böses von ihr versieht,
das sei allzu naiv, um ursprünglich sein zu können, nun sei
aber 'die natürlichste form der räche" die, dass 'Gudrun Atli,
nicht dass sie seine kinder angreift', also sei das 'das älteste';
Str. 35 — 38 seien jünger I w^er so schliefst, wer Gudruns tat
'eine zwecklose grausamkeit und eher ein hindernis als ein mittel
zur erreichung ihres Zweckes' nennt, der hat den nerv des
ganzen letzten teils der Akv. nicht gefühlt: Gudrun Giakaäöttir
liefndi broedra sinna svä sem frcegt er ordit. hon drap fyrst
sonu Ätla, en eptir drap hon Ätla ok hrenndi hglHna ok hirffina
alla. Gudnin lässt ihre räche anschwellen, sie martert ihr
opfer seelisch zu tode, ehe sie es leiblich ersticht, der rhythmus
dieser handlung könnte nicht ungestört ablaufen, wenn Atli anders
als rein passiv dargestellt würde, das mag unrealistisch sein,
es ist jedenfalls stärker stilisiert als Niduds demütigung, als
Fr<k1is feuertod, auch als J^rmunreks Verstümmelung und Fengos
fall durch Hamlet; aber das geht dichter und hörer nichts an,
die nur den triumph der rächerin im äuge haben, wenn ein
germanist das nicht einzusehen vermag, so ist er poesieblind
und sollte sich darüber klar werden, dass heldensagen und Edda-
lieder nicht das rechte object für ihn sind, ja, wenn noch ^in
anderes kriterium jener inhaltlichen reflexion zur seite träte!
B. gibt Vermutungen darüber, wie 'der bericht von dem tode
von Attilas söhnen' in die Akv, hineingekommen sei; aber er
wird nicht meinen, damit den angenommenen Vorgang selbst zu
stützen. — dies als ein beispiel für mehrere! "ursprünglich
wurde die an H^gni zu vollziehende strafe gewis nicht von
Gunnar, sondern von Atli bestimmt'; 'die phrase ykvicf er hve'l-
vQgnnm! haptr er ml i hQndiim schliefst sich nicht gut an ein
längeres gespräch mit dem gefangenen Gunnar über den schätz,
sondern nur an Gunnars gefangennehmung an'; 'obgleich dieser
dichter fortwährend Gunnars namen nennt . . . , ist er dadurch
doch nicht interessanter geworden' — solche kurzsichtigkeiten
sind für das buch bezeichnend, das letztgenannte seltsame mis-
verständnis inbetreff Gunnars hängt zusammen mit des verf. s
meinung von Hagens ursprünglichem königtum (Zs. 47, 128. 133.
156; Zs. f.d.ph. 37, 323: Günther 'le mari de sa femme'!). wäre
ihm Zs. 47, 128 die Atlakvida (und auch der Waldere, den er
Zs. f.d.ph. 40 höchst künstlich ausdeutet) würklich bekannt ge-
wesen, so hätte er vielleicht, statt sich um die abstracte formel
seiner 'Hagensage' zu bemühen, einfach die Verbindungslinie ge-
zogen zwischen dem historischen königtum des Gundicarius und
den beiden königlichen auftritten Akv. 9. 21 ff., und er brauchte
UNTEKSUCHIINGEN ÜBER DIE NTBELUNGENSAGE III 137
jetzt nicht, den quellen zum trotz. Gunnars bedingung als
'neuerung' zu erklären und (s. 28) die einfachste und nächst-
liegende auftassuug des wechseis der rollen als 'absurd' abzutun
zu gunsteu der annähme, dass die Atlakvida auf das Nibelungen-
lied eingewirkt habe, dabei wird ständig die Thidrekssaga
schwer in die wagschale gelegt, genauer die beiden quellen ihres
Nibelungenabschnitts, die B. in seinem ji. band festgestellt zu
haben glaubt, ich halte diese quellen für nicht sicher erschlossen
und kann schon deshalb einen teil von B.s folgerungen nicht
mitmachen.
Im II. Gudriinliede findet B. eine sagenform die ihm
hochwillkommen ist, nämlich die Nibelungensage ohne Brynhild.
das ist natürlich nur durch Schlüsse ex silentio möglich, und ob-
gleich der verf. anderswo bedenken gegen solche Schlüsse äufsert,
bedient er sich ihrer hier in höchst bedenklicher weise, man
sieht aus allem, der andeutende, springende stil der Eddalieder, der
gerade in Gudr. u sehr charakteristisch sich ausprägt, ist ihm
nie bewust geworden, angesichts str. 39 behauptet er, der dichter
kenne den brand von Atlis halle nicht, es ligt aber auf der
band, dass die zukunftskundige Gudrun hier ebenso eine nur
ihr und dem publicum verständliche anspielung im munde führt,
wie in str. 10 Hogni. was die angeblich nicht vorhandene Brynhild
betrifft, so bereitet der verf. sich selbst eine gesteigerte Schwierig-
keit bei Str. 27. wo Atli als sonr Buöla und als Bninhihlar
hröSir eingeführt wird, nach B. nennt die Sprecherin (Gudrun)
hier Atlis verwantschaft mit Brynhild als grund, weshalb sie
ihn nicht heiraten könne — eine Interpretation, deren ein Student,
der hundert verse Stabreimdichtung gelesen hat, sich schämen
müste. aber sie ist eine eigenste geistesblüte unseres autors,
der die texte ungefähr wie actenmaterial ansieht, der im einzelnen
sehr vieles, z. t. recht gleichgültiges, zu wissen meint, im grolsen
aber herzlich wenig weil's. weiter findet er in str. 27 einen
Widerspruch gegen 31. weil hier Gudrun sich angeblich mit
ihren brüdern 'solidär' erklärt, und er tilgt str. 27. 2&. dass
Gudrun dreimal; mit verschiedener begründung, erklärt: 'Atli
will ich nicht', das ist ihm unverdaulich, mir ist gerade die
dreiheit mit dem stärksten trumpf am ende ein indicium für die
echtheit des textes. aber auch wenn Brynhild nicht ausdrücklich
erwähnt wäre, fände ich es indiscutabel. dass wir hier eine
Brynhildlose sageuform haben sollten, denn eine solche sagenform
widerspricht allem was uns die quellen lehren, und ist durch
keine Untersuchungsmethode erschlielsbar. — ein erwähnenswertes
beispiel textkritischer willkür ist noch die Verwerfung von
Gudr. n 2 {Svd var Sigurdir . . .) s. 1221 diese lyrische lob-
preisung störe den erzählenden Zusammenhang, weil sie 'absolut'
sei und 'mit der zeit nichts zu schaffen' habe, und doch fühlt
jeder hörer, wie sich in dieser Strophe die erinnerung der witwe
138 NECKEL ÜBER BOER
an die zeit ihrer ehe ausspricht, obgleich auch ich annehme,
dass der dichter sich "hier eng- au Vorbilder anlehnt, tind ich
den Zusammenhang durchaus stilgemäfs und natürlich, die
preisenden vergleiche sind eben, wenn man so will, eine latente
erzählung, und das zeitlich fortschreitende unz :<,1 schliefst sich
zwanglos an. nach B. weist es 'unmittelbar auf str. 1 zurück',
also der dichter soll gesagt haben: "ich lebte im eiternhause
(sprach Gudrun), bis mein vater mich dem Sigurd vermäl)lte. bis
meine brüder mir den herrlichen mann misgönuten'. man denkt
unbedingt zunächst an satzvariation ! soll man nicht daran
denken, so bleibt nichts übi'ig als die annähme, der dichter sei
der spräche nicht mächtig gewesen.
Ein abschnitt über die Bry nhildpoesie tindet seine an-
mutige krönung in einem persönlichen ausfall gegen mich, der
ich schon Zs. f. d. ph. 37 und 39 gewagt hatte B. zu wider-
sprechen, wohin dieser passus als document humain gehört,
lass ich unerörtert (vgl. Rask Vejledning xLin). zur sache be-
merk ich folgendes, quellenkritik ist ohne Stilanalyse nicht
möglich; B. aber zeigt und zeigte keine spuren davon, dass er
jene stelle, inbetreff deren ich von ausbeutung gesprochen hatte,
stilistisch zu wägen weils. die 'sehr zahlreichen übrigen stellen'
sind, soweit ich sehe, drei an der zahl, von diesen führt die
eine (Zs. f. d. ph. 37, 457) zum Brot, das der verf. der Thidr. so
gut wie andere Eddalieder gekannt haben Avird; die zweite
(aao. 458) steht und fällt mit B.s Zerlegung von V^ls. c. xxx,
die ich nicht mitmachen kann (Zs. f. d. ph. 39, 311); die dritte
kann wie Vols. c. xxu zu beurteilen sein, doch hab ich schon
früher (aao. 328, vgl. Beitr. z. Eddaforschg 231 f.) B.s annähme
bedingt zugestimmt. — die von B. vermisste parallele zu doppelter
paraphrasierung in der Vols. glaub ich Beitr. z. Eddaforschg. 320
beigebracht zu haben.
Boers schlusscapitel handelt von Sigrid en stiirräda als dem
urbilde der Brynhild. man hat bei dieser zugleich breit und
notizenhaft geführten Untersuchung den eindruck: der boden,
aus dem des verf.s einfall entsprang, war die Wertung der
königssagas als ungetrübte geschichtsquellen. bei näherem zu-
sehen muste er diese Voraussetzung stark einschränken, und
darüber verflüchtigten sich selbst für ihn die auhaltspuncte fast
ganz, das ergebnis ist denn auch dürftig genug, trotz der
kühnsten Voraussetzungen, nun sind aber auch diese Voraus-
setzungen keineswegs stichhaltig, die ähnlichkeit zwischen Sigrid
und Brynhild ist nicht derart, dass die eine gestalt als vorbild
der andern auch nur discutabel wäre, es fällt B. leicht zu
zeigen, dass die Sigridgeschichte nicht unter dem einfluss der
Brynhildsage ausgestaltet ist. er hätte dann den spiefs um-
kehren sollen!
Folgendes nennt B. eine "sage' : 'Sigurd erlöst Brynhild vom
mfTEKSUCHUXGEX ÜBER DIK MHELUNGENSAGE III 139
felsen und verspricht ihr seine liebe, darauf übergibt er sie dem
Gunnar und heiratet dessen Schwester, bald nachher tüten
Gunnar und Hogni Sigurd wegen seines gutes oder '"aus neid",
was wol dasselbe bedeutet', das ist immer noch die alte be-
ti'achtuugs weise, mit der B. die sagenstudien begann, diese
seine Studien sind eine grofse parodie des entwicklungsgedankens
und des grundsatzes, jede quelle nach ihrem eigenen gesichtskreis
zu beurteilen, wer sich um germanische sagenforschung be-
mühen will, der zieht grüfseren nutzen aus einer guten
Sammlung nacherzählter heldensagen, als aus Boers 'Unter-
suchungen'.
Bresku, februar 1910. Gustav »ekel.
Natursageu. eine Sammlung iiaturdeutender sagen, mcärchen, fabeln
und legenden herausgegeben von Oskar Dähuhardt. bd. ii
Sagen zum Xeuen Testament, bd. in Tiersagen i teil Leipzig,
Teubner lfl09. 1910. xiv u. 314. xvi u. bbS ss. b". — 8 u. 15 m.
Schon das unübersehbare litteraturverzeichnis zu band ii
beweist, dass D. seinem umsichtigen fleifs treu geblieben ist.
nicht minder bewährt sich die Sorgfalt seiner kritik und die
Übersichtlichkeit seiner anordnung. im allgemeinen ist er in der
annähme von entlehnungen sehr vorsichtig, und ich muss deshalb
besonders anführen, dass er (ß. 213) von der Unabhängigkeit der
Balderlegende gegenüber jüdisch-christlichen legenden iwie ich
doch noch immer glaube, mit unrecht) nicht überzeugt ist.
Weit übei'wiegend sind die neutestamentlichen sagen duich
historisierung gewonnen, d. h. eine schon vorhandene sage Ist auf
bekannte gestalten und momente der Bibel übertragen, die alte
Jägererzählung von dem mann, der sich vor den griffen eines
riesen unter dem schwänz eines tieres versteckt (Polyphem und
Odysseus) wird (s. 5ß) auf das Christuskind angewant; die anek-
doten von der mislungenen nachahmung (s. 155fj — die D. in
besonders kunstvoller anordnung vorführt — auf Peti'us als
nachahmer Christi, zuweilen ist eine ganze reihe von histori-
sierungen nachzuweisen: die spinne webt (s. 66) ihr netz vor
der höhle Davids — Mahomeds — Christi.
Einige sagen aber machen den eindruck, als seien sie würk-
lich erst dem christlichen anschauungskreis entsprungen, zwar die
interessanten legenden von der Verlängerung des tagewerks
(s. ]4()f) lassen sich mit dem' stillstand des mondes zu Ajalon
vergleichen, aber die schüne sage von dem raschen wachsturn
des getreides (s. 6 1 f) hängt mit der segenspendenden gegenwart
heiliger männer zusammen, wie sie sich auch in der Umwandlung
von stein oder brot zu rosen, in der vei'leihung von duft an die
Lagerstätte usw. kundtut, die Mariensagen vollends (s. 24 2fJ
wird man überwiegend als original ansprechen dürfen, weil die ge-
140 MEYER ÜUER ÜÄIIXHAKDT
stalt der klagenden mutter Gottes zwar schon viel früher begegnet
(Demeter; ähnlich Isis), aber ohne die weichen züge der Maria,
wie nah auch die pflanzensage von den Muttergottesträhnen (s. 255)
au den Phaethoumythus von der entstehung des bornsteins heran-
rücken mag. es bleibt doch ein cliarakteristischer unterschied, der
bernstein ist eine versteinerte träline, die marienblümchen aber
sind durch die Zauberkraft der trälinen Mariae erweckt: also auch
hier jenes motiv von der segensreichen berührung, das man nach
seiner zwar gröbsten aber auch bekanntesten gestalt das Midas-
motiv nennen mag.
In die mitte einer in vollem fluss begriffenen sagenmenge
tauchen die gestalten Christi, der Maria, des Petrus, und an
ilinen krystallisieren sich alte legenden Avie von Philemon und
Baucis (s. 133), oder wie eine glatze entsteht (s. 172; ein 'witz'
— s. 173 — ist es wol erst durch die spätere auffassung ge-
worden, freilich spricht Wundt bei den ätiologischen märchen
überhaupt gern davon, dass sie 'witzig erdacht' seien), oder
die 'schöpfungsschwänke' (s. I84f), in denen die lieben nachbarn
sich gegenseitig die entstehung aus schmutz und feuer nach-
sagen, werden zu den heiligen personen in ein bestimmtes Ver-
hältnis gebracht, das merkwürdigste ist wol die Übertragung
des uralten mythus von der aufteilung eines riesenkörpers (Ymi,
Adam) auf Judas (s. 241). — nun aber würkt diese entstehung
eines christlichen sagenschatzes durch adaptation und adoption
weiter: es entstehn neue legenden wider von den nageln (s. 214)
und den vögeln am kreuz (s. 228) oder der rose von Jericho
(s. 258). willkürliche Verbindungen zwischen beiden typen
bringen (zb. s. 250) merkwürdige erzählungeu hervor, die man,
wären sie bei einem dichter überliefert, als contaminiert an-
sehen müste.
Diese üppige legendenflora bedeckt alles, die heiligsten ge-
stalten wie die alltäglichsten erscheinungen ; der Calabreserhut
fs. 289j ist ihr nicht zu gewöhnlich und die flöhe (s. Ulf) ge-
hören zu ihren lieblingen. der Zimmermann, der bei der holz-
bearbeitung durch die knorren im holz (s. 179) geärgert wird,
tröstet sich mit einer legende, die ihn zu heiligen in beziehung
bringt, und die metapher vom grünen des geschälten Stabes treibt
im namen Josephs (s. 265) bluten hervor, im mittelpunct aber
steht des kreuzes holz (s. 207) als träger des grösten religiösen
Wunders, als Substrat der passion und symbol der menschlichen
grausamkeit. und von hier hätte^eine Charakteristik der speciflsch
christlichen 'natursagen" wol auszugehn.
Ihr wesen ligt natürlich in der moralisierung. lohn und
strafe (für die trägheit s. 1 10 f so gut wie für den verrat s. 235 f)
beseelen fast durchweg die ursprünglich viel objectiver geraeinten
legenden; die Verbindung mit dem göttlichen ist unmittelbar
zauberhaft, wie die berührung einer reliquie, so zwar dass beides
NATURSAOEX II 111 111
dem unwürdigen zum geiicht wird, grade dadurch entstelm
paradoxe Wendungen: die gute wird übel belohnt, wenn auch nur
auf erden (s. 131). oder das mittelglied ist ausgefallen, so dass
eine krüppelhafte legende entsteht: die Madonna hat einer •tollen
katze' einen stockschlag über das kreuz versetzt (s. 2ü2) - ur-
sprünglich doch gewis einer büsen. ein rechtes beispiel für den
gewaltsamen versuch, allen aberglauben moralisierend zu retten,
ist (s. 107) die 'Entstehung der Schnecke': 'eine arme frau, die
während der osterfasten über mangel an nahrung klagte, bat
Christus, entweder die fastenzeit zu verkürzen, oder ihr eine
andere speise zu geben. Christus, unwillig über das verlangen,
spuckte zur erde; aus dem Speichel entstand die Schnecke, die
die fastenspeise der armen sein sollte', welche entstellung des
bildes Jesu, der über das gebet der armen empört ausspucken
soll! aber die teleologie kennt keine rücksicliten.
So bietet das vortreffliche werk für die populäre mythologie
des Christentums, für die Völkerpsychologie, für die allgemeine
mythologie unschätzbaren Vorrat; möge des verf.s tagewerk
fruchtbar wie das der gastlichen frau (s. 141) fortdauern! —
Inzwischen ist der dritte, stattliche band rasch gefolgt, und
ich darf in meinen lobsprüchen fortfahren.
Was D. allzu bescheiden als 'herausgäbe' bezeichnet, ist in
würklichkeit die denkbar complicierteste tätigkeit des sammelns,
sichtens, ordnens. die Schwierigkeit ist nirgends grölser als hier
bei den 'ätiologisclien" oder 'explications'-mythen. denn diese
erzählungen von dem strecken und eindrücken der tiergestalt, von
gaben und namen der geschöpfe. von entstehung des Ungeziefers,
vom Ursprung der tierstinimen werden nicht durch eine art tradi-
tioneller heiligkeit gewahrt, wie die sagen zum Alten und Neuen
Testament, die D. vorher behandelt hat; sondern viele von ihnen
behalten selbst für die primitiven den Charakter der hypothese,
einige vielleicht selbst den des scherzes. daher sind sie beweg-
licher, können vertauscht und versetzt werden, überhaupt zeigt
sich bei dieser sachlichen Volksetymologie die ganze
gefahr aller etymologie: neben dem phantastischen raten der
bann bestimmter lieblingsvorstellungen. insbesondere moralische
anwendung ist früh würksam: die häufige empfehlung der milde
(zb. s. 95) lässt vielleicht einen schluss zu auf die entstehung in
gewissen kreisen ('Spielmannsdichtung', würde man bei uns
sagen) und die grausamkeit etwa in der erzählung von
blendungen (zb. s. 20 f) einen solchen auf die culturelle atmos-
phäie, die freilich in ihrem grundton wenig wechselt.
Diese gleichartigkeit wird allerdings wol nur auf der Ober-
fläche liegen ; eine prüfung nationaler Charakteristika ergibt viel-
leicht doch handhaben für Ursprungshypothesen, daneben dürfte
wol doch auch die würkliche Volksetymologie stärker, als in den
Übersetzungen sichtbar wird, mitgespielt haben, denn in vielen
142 MEYER ÜBER DÄHNHARDT, NATÜKSAGEN H m
fällen ist ja an Wanderung kaum zu zweifeln, obwol ich D.s
methodischen grundsatz, sie bei gleichheit mehrerer niotive zu
postulieren fs. vi), nicht unterschreiben kann, es gibt auch eine
wahlverwantschat't der motive: verbrechen und strafe sind ein
seil wer zu vermeidender 'gedankenreim', und eine gewisse analogie
zwischen der art des Verbrechens und der der strafe kann die
motive noch näher aneinander bringen, dies nur ein einzelfall.
Anzumerken ist ferner, dass auch jedes wichtigere
motiv seine stileigen heit besitzt, die gewinnung des
feuers (s. 99) wird überall als eine listige, abenteuerliche Unter-
nehmung geschildert, mit aller schelmischen freude an der über-
tijlpelung der geizigen urbesitzer, etwa wie die schwanklitteratur
des mittelalters von betrogenen eheleuten spricht ; die Schilderung
der 'suchenden tiere' (s. 272) dagegen hat überall einen fast
pathetischen ton. wider ein anderes ethos haben die sagen von
freundschaft und feindschaft unter den tieren (s. 321). die vügel
bringen einen leicht spielenden Charakter mit sich, man gefällt
sich in farbensj-mbolik (s. 48u) und noch mehr als sonst in tier-
stimmennachahmung (s. 355f). wer kann von einem frosch in
derselben manier reden wie von einem adler?
Auffallend ist, wie die tiersage sexuelle probleme vermeidet.
von dem liebesieben der tiere weifs doch das Volkslied und der
volkstümliche schwank manches zu melden ; auch die mj^thologie.
sollte die beobachtung, die gestalt, haltung, spräche, nahrung so
sorgfältig studierte, hier versagt haben?
Die seltsamsten erfindungen setzen sich decorativ an alle
Stoffe; denn wie gern erweitert wird, zeigt die Indianergeschichte
(s. vnfj höchst lehrreich, selten sind die kernmotive wunderlich,
wie die köstliche geschichte vom fliehenden pfannkuchen (s. 272),
die wol auf uralte küchenneckereien zurückgeht, (als ich kind
war, erzählte man mir in Frankfurt von einer geizigen familie,
es wäre einmal ein groser lärm entstanden — vater, mutter,
kinder, dienstboten auf den treppen: 'halt sie — da lauft sie!'
— nämlich eine vom tisch gefallene kartoffeüj. wo dagegen die
Symbolik am werk ist, führt die deutung der schwarz und weilsen
Vögel (s. 59) in Kärnten zu ähnlichen moralisierungen wie im
eingang des Parzival — oder sollte Wolfram volkstümliche predigt-
märlein benutzt haben?
Motivierungen werden nachträglich eingehängt (s. 272 — 283)
— so früh beginnt die 'gelehrte' arbeit an der sage! und dass
die besonders wichtigen ortssagen über aufenthalt oder fehlen
von tieren (s. 21 7 f) so ganz unlitterarisch scheinen, gibt bei der
heutigen neigung, das locale Interesse und seine litterarische aus-
münzung für die heldensage zu überschätzen (Bedier, PhABecker)
wol auch eine beachtenswerte analogie. kurz — lehrreich ist
jede Seite — durch den Inhalt wie durch die Verarbeitung!
Berlin, nov. 1909 n. juni 1910. Richard M. Meyer,
VOGT ÜBER HEIDRICll, CHRISTNACHTSFEIER 143
Christuaclitsfeier und christiiach tsgesänge in der e van-
iieli scheu kirche nach den acten der consistorien und den
Überlieferungen der i>-enieiudeu von iirof. R. Ileidrich. (iöttiugen,
Vindenhoeck u Rnprcclit 1907. vi u. 194 ss. S". 4,S() ui.
Der Inhalt des buches ist enger begrenzt als es der titel
vermuten lässt; er beschränkt sich im wesentlichen auf die reste
der Christmette in den evangelischen kirchen der östlichen pro-
viuzen des königreichs Preufsen. was der verf. hierüber mit-
teilt, ist das ergebnis sorgfältiger erhebungen bei consistorien
und gemeinden, und so ist er in der läge, aus 167 Ortschaften
Christnachtslieder mitzuteilen, die dort nicht nach beliebiger aus-
wahl sondern nach festem herkommen als einzellieder oder wechsel-
gesänge beim nacht- oder frühgottesdienst hauptsächlich von der
Schuljugend vorgetragen werden oder doch bis ins 1 9 jh. vorgetra-
gen wurden. S3 von ihnen fanden sich in keiner der zu rate ge-
zogenen kirchlichen oder nichtkirchlichen liedersammlungen. dieser
ausgäbe, dem umfänglichsten teil des buches, in dem auch die
Verbreitung und teilweise der Ursprung der einzelnen lieder fest-
gestellt wird, sind ausführungen über Vortragsweise und Über-
lieferung der gesänge sowie über die mit der christmette über-
haupt verbundenen gebrauche vorausgeschickt.
Die angegebene örtliche begrenzung seines materials lag nicht
in der absieht des Verfassers, er hat seine anfragen durch ganz
Deutschland ausgeschickt, aber aufserhalb der genannten preu-
fsischen provinzen sind ihm keine oder nur ganz vereinzelte mit-
teilungen zugegangen, dass dort die sitte wenig oder garnicht
geübt und bekannt sei, darf man jedoch daraus noch nicht
schliefsen, ein umfassendes durchforschen der vom verf. merk-
würdig selten herangezogenen volkskundlichen litteratur, besonders
auch der Zeitschriften, würde ihn weiter geführt haben, am
meisten befremdet es, dass er am königreich Sachsen vorbeigegangen
ist. da ihm doch dessen preulsische nachbarschaft besonders reiches
material geliefert hat. in den Mitteilungen des Vereins für
sächsische Volkskunde konnte er wichtige Zeugnisse finden, beson-
ders bd. 2, s. 268 ff. 302 ff. in den 'Beiträgen zur geschichte
der Christmetten in Sachsen", durch die er auch auf handschrift-
liehe berichte ehemals chursächsischer, jetzt preulsischer superin-
tendenturen an das leipziger consistorium über den gegenständ
geführt worden wäre. vgl. auch das erzgebirgische christraetten-
spiel ebenda bd. 3, s. 6.
Bei eindringlicherem verfolgen der historischen zusammen-
hänge würde gleichfalls die betreffende litteratur in ganz anderm
umfange berücksichtigt werden müssen, und die beziehungen zu
den entsprechenden feiern in katholischen kirchen sowie zu den
weihnachtsspielen und den umzügen wären zu verfolgen, während
der verf. diese dinge nur gestreift oder auch absichtlich beiseite
gelassen hat. bei alledem bleibt ihm das verdienst, innerhalb
144 VOGT ÜBER HEIDRICH
der bezeichneten grenzen wesen, formen und litterarische erzeug-
nisse einer sehr beachtenswerten volkstümlich kirchlichen Weih-
nachtsfeier sorgfältig festgestellt und zugänglich gemacht zu
haben, für den germanisten scheint mir im anschluss an diese
feststellungen folgendes bemerkenswert.
In den evangelischen christnachtsmetten hat sich stellenweise
bis auf heute noch der gesang lateinischer weihnachtslieder mit der
jeder Strophe folgenden deutschen umdichtung dem gebrauche der
geistlichen spiele des mittelalters gemäls erhalten, unter diesen
lateinischen liedern findet sich noch das als älteste begleitung
des kindelwiegens bekannte resonet in laudihiis , ferner dies est
laetitiae, puer natus in Bethlehem, magmim nomen domini (nunc
angelorum gloria) — alle ebenso wie das resonet auch im althessischen
weihnachtsspiel vertreten — und vor allem das quem pastures
laudavere, welches für den ganzen wechselgesang der christnacht
den namen quempas hergegeben hat. doch wurden die alten
gesänge vielfach durch rein deutsche ersetzt, auch durch freie
neudichtungen, die sich dann statt ihrer in bestimmten gebieten
festsetzten, bis ins 1 8 jh. hinab lässt sich die entstehung solcher
in die feste tradition übergegangenen lieder verfolgen.
Die eigentlichen träger der tradition sind die schüler, und
die art wie sich unter ihnen die gesänge fortpflanzen, entspricht
der noch heute üblichen Überlieferung von Volksliedern und volks-
schauspielen wie auch der der mittelalterlichen lyrik: neben ge-
dächtnismäfsiger tradition geht schriftliche aufzeichnung der texte
in liederheften einher; die melodieen sind ganz der mündlichen
Überlieferung anheimgegeben, sodass der cantor sie von den schülern
lernen muss, wenn er nicht einheimisch ist. erst in neuster zeit
sind drucke mit noten eingeführt, die sonst üblichen 'quempas-
hefte' erinnern in den schrift- und malkünsten, welche die schüler
im Wetteifer an sie wendeten, an mittelalterliche briefmalerei, wie
sie auch bei poetischen liebesbriefen und Sprüchen unter dem
Volke noch fortdauert, die typischen bilder die dabei aus der
weihnachtsgeschichte gewählt werden, sind, wenn nicht letzte aus-
läufer von scenen der weihnachtsspiele, so doch wenigstens Zeug-
nisse für das bedürfnis nach sichtbarer darstellung des Inhaltes der
gesänge. — im übrigen zeigen sich berührungen mit den alten
spielen in den Umzügen, der rollenverteilung und der costümierung
der Sänger, die feier wurde gewöhnlich durch eine processiou von
Schülern eröffnet, die in bestimmter kleidung, lichter in der band,
unier dem gesang eines weihnachtsliedes, meist des puer natus,
aus der schule in die kirche zogen, in einem weiteren umzug,
der hier um den altar unter dem gesang des resonet erfolgt, ist
leicht ein rest des kindelwiegens zu erkennen, dann kommt das
eigentliche quempas, der wechselgesang der an ganz verschiedene
stellen der kirche verteilten einzelgruppen des schülerchors, dessen
älteste bestandteile die Strophe um Strophe wechselnd gesungenen
CHRISTNACHTSFEIER UXD CHRISTNACHTSGESÄNGE 145
lieder qiiem pastores und nunc angelorum t/loria bildeten, costü-
mierung solcher gruppen als engel und als hirten deutet auf die
dramatischen feiern zurück, in der beherschung der christmette
durch .die schaler, die dabei stellenweise sogar die kaiizel betreten
dürfen (vgl. auch Mitt. d. Ver. f. sächs. volksk. 2, 3u;-ij, darf mau
wol noch eine nachwirkung ihrer mittelalterlichen weihnachts-
privilegien sehen. Zusammenhang mit den volkstümlichen Um-
zügen und deren natursymbolischem hintergrund lassen wol die
weil'sen bebänderten gewänder und die grünen oder bluraenkränze
der von der schule zur kirche ziehenden knaben sowie die dar-
stellung von sonne, mond und Sternen in der kirche erkennen
(Heidrich s. 19 und meine Schlesischen weihnachtsspiele s. 107 ff).
Dem aufserkirchlichen fortleben von christnachtsbräuchen und
liedern ist verf. nicht nachgegangen, soweit sie nicht mit den
übrigens weit über die behandelten gebiete hinaus nachweisbaren
einläutegebräuchen zusammenhängen, ich möchte aus meiner
neuvorpomraerschen heimat, die in den Sammlungen des verf.
nicht vertreten ist und aus der auch mir kein quempas-zeugnis
bekannt ist, den einzigen kleinen rest der alten dramatisch-litur-
gischen Weihnachtsfeier beisteuern, den ich aufzutreiben wüste,
einen letzten nachklang des kindelwiegens. als meine Schwester
in den' Schlesischen weihnachtsspielen' auf das ^Joseph lieber Joseph
mein, hilf mir iciegen das kindelein', ^tvie soll ich denn das
kendla wieja' — Stiels, erinnerte sie sich, dass mich mein kinder-
mädchen einst mit folgendem liedchen in schlaf gesungen hatte:
^Süse leiive hrfise, wo tveiet de Wind!
klimm her, min oll Grisvadding, und toeig mi dat Kind'.
„Wo sull ik dat denn iveigen?
dat is jo nich mm eigen.
süs wull ik dat wol weigen,
dat Köpping sull em fleigen".
Marburg 17. sept. 1909, F. Vogt.
Die deutschen berg-, flur- und ortsnameu des alpinen
Hier-, Lech- und Sanneugebietes, gesammelt und erklärt
von dr. August Kubier, herausgegeben mit Unterstützung des
deutscheu und österreichischen Alpenvereins. Amberg 1909.
Pustetsche buchbandlung fHans Mayr) in comm. viii u. 213 ss.
lex. 8". — 10 m.
Für die fleifsige sammelarbeit verdient K. dank, umsomehr
weil er es sich angelegen sein liefs, die mit hilfe der karten aus
der mda. gesammelten naraen durch heranziehung älterer quellen
zu ergänzen: er schätzt die anzahl der nameu auf etwa 15 000;
und weil er sich auch beniülit hat, die mda.liche ausspräche fest-
zustellen und verständlich widerzugeben, kann das buch als nütz-
licher beitrag zur ortsnamenforschung bezeichnet werden, in
A. F. D. A. XXXIV. 10
146 SCHATZ ÜBKR KÜBLER
drei alphabetischen gruppen sind die namen vorgelegt, die erste
ordnet mit 1060 nummern 'namen, die ans appellativen hervor-
gingen', die zweite mit 382 'namen, die ans personennamen her-
vorgingen', die dritte mit lii"25 'dunklere namen und nachtrag'.
in der einleitung werden die i-omanischcn namen zusammengestellt.
das gebiet dem die namen entnommen sind, erstreckt sich über
das Algäu bis Immenstadt, östlich bis Pfronten und Füssen; von
Nordwesttirol ist das Lechtal mit Heiterwang, Biechlbach und
Berwang herangezogen, dann das Paznaun und das Stanzertal
bis Grins-Pians, — im ganzen 69 gemeinden, von welchen 25
zu Bayern gehören, 'in sprachlicher hinsieht haben wir es hier
mit den, soweit die alpen reichen, am weitesten nach osten
vorgeschobenen alemannisch-schwäbischen mundarten zu tun, die
hier, an bayrisches Sprachgebiet stolsend, teilweise schon zahl-
reiche bayrische eigentümlichkeiten in sicli aufgenommen haben'
s. 2. dies befremdliche urteil hat K. nicht begründet, er sagt
nur, dass das schwäbisch-alemannische früher weiter nach osten
gereicht zu haben scheint.
Auf fragen der besiedelungsgeschichte lässt sich K. gar
nicht ein, nicht einmal der Verbreitung der roman. namen wird
gröfsere beachtung zu teil, aus der tatsache dass die roman.
namen im Hier- und Lechgebiet völlig fehlen, hat bereits
Christian Schneller (Zs. des Ferd. Innsbruck 1877) den schluss
gezogen, das tirol. Lechtal sei erst durch deutsche ansiedier
urbar gemacht worden, roman. Ortsnamen sind im Inn- und
Stanzertal häutig, sie reichen auch noch in das flussgebiet des
Lechs über den gebirgskamm hinüber, der das Inn- und Lech-
gebiet scheidet; sie reichen aber nur so weit, so weit heute noch
der weidebesitz der alten gemeinden Tarrenz, Imst, Zams,
Grins usw'. reicht oder doch nachweisbar ist: Kaisers gehört
heute noch politisch nach Landeck, Gramais, Bschlabs nach Imst,
diese namen geben die nordgrenze für die ausdehnung des
roman. bezw. nichtdeutschen dementes vor der ausbreitung des
deutschen, war also das Lechtal neuland, so muss sich doch
aus der spräche ergeben, woher die bewohner gekommen sind,
weil nun die spräche des Lechtals von Steg bis Forchach in
den wesentlichen puncten zu der des Oberinntals stimmt, muss
die besiedelung vom Oberinntal aus erfolgt sein, die merkwürdige
angäbe bei K., das Lechtal spreche von Forchach bis Kaisers
ua für ahd. ei, ist doch w^ol nur ein lapsus: ei ist überall durch
Qci (vor nasalen durch üä) vertreten, dagegen hat das obere
Lechtal von Häselgehr-Gramais bis Steg-Kaisers für altes ö und
für or den diphthong na statt dem allgemeinen ^a\
' Ich berichtige hier ein versehen: in meiner Tirol, mda. soll es
s. 27 z. 2 heifsen 'bis Steg' statt 'bis Forchach' : auf der karte ist die
linie richtig gezogen, dies versehen ist aber an K.s irrtum nicht schuld,
um die lautlehre der tirol. mda. hat er sich nicht gekümmert.
OKTSNAMEX DES IMJOR- UND LECHGEBIKTES 147
Ebenso wenig findet sich über die Verbreitung einzelner
namen etwas gesagt; man kann sich aus den belegen zusammen-
suchen, dass zb. gund, hahlc nur dem alera.-schwäb. gebiet an-
gehört, dem bair. völlig fehlt, die viel berufene Wortgeographie
hätte hier greifbare anhaltspuncte, wenn dergleichen von K.
herausgehoben wäre, aber den problenien der sprach- und be-
siedelungsgeschichte ist K. überhaupt nicht näher getreten, ob-
wol dei- boden auf dem er arbeitet dafür ungewöhnlich günstig
ist. wir haben da deutsche namen über romau. (auch die roman.
können noch anderssprachliche Vorgänger haben, vgl. FStolz, Die
Urbevölkerung Tirols, Innsbruck 1892, AWalde, Über . . tirol.
Ortsnamenforschung, Innsbruck 1901) ausgebreitet und von
Deutschen frisch besiedelte gebiete.
Die lebende mda. ist mit den drei zweigen, bair., alem.
und Schwab, vertreten, zum alem. kommt noch die Walser siedelung.
die wege, auf welchen die deutsche spräche hieher gekommen
ist, sind klar und einfach, das alem. ist von westen her bis
zur landesgrenze zwischen Vorarlberg und Tirol vorgedrungen
und hat im Illtal, im Montavon und Klostertal das roman.
unterdrückt, im Bregenzerwald und Tannberg (Lech, Wart)
finden sich nur deutsche namen, ebenso im obersten Illergebiet,
also waren diese gegenden früher unbesiedelt; dies gilt auch für
das Tannheimer und Reuttener gebiet, in dem schwäb. ge-
sprochen wird, das schwäb. hat hier den Lech überschritten,
und ihm gehören auch die orte bis zum Fernpass an (Biechel-
bach, Leermos, Ehrwald, Biberwier). das bair. ist im Inntal
nach Westen bis zur tirolischen westgrenze vorgerückt, es hat
hier überall eine fremdsprachige bevölkerung in sich aufgesogen,
deren besitzverhältnisse übernommen Avorden sind; sonst wäre
die besiedelung des Lechtals von Forchach bis Steg vom Ober-
inntal aus nicht zu verstehn. in Vorarlberg ist wie im Vinsch-
gau in Tirol die vordeutsche bevölkerung noch in geschichtlicher
zeit erweislich, im Oberinntal, dessen älteste geschichte sich
durch Zeugnisse nicht erhellen läfst, muss der gleiche Vorgang
stattgefunden haben, das geben die zahlreichen nichtdeutschen
Ortsnamen an die band, die wir z. t. in Vorarlberg und Grau-
bünden widerfinden, die Vorarlberger in alter form erhalten, die
tirolischen nach den lautgesetzen geändert, die sich in der mda.
am ererbten sprachgut zeigen.
W^enn einmal die roman. namen dieser gegend in ihren
lautverhältnissen klargelegt sind, dann wird auch über die jetzt
in deutschem munde lebenden fremden namen licht verbreitet
werden, ich will hier nur einen punct berühren, die grenze
zwischen Tirol und Vorarlberg ist die lautgrenze zwischen
diphthongischem ai, au, und monophthongischem i, m, ü; das
spiegelt sich in den Ortsnamen wider, heilst es in Vorarlberg
wie im roman. Gavalina, Flatina, Älpila, so entspricht in Tirol
10'
148 SCHATZ ÜBER KÜBLER
Ggflai, Plgta'i, OlpailK der name des tales Paznaun ist als
Patzenun belegt, Serfaus und Nnuderti im Oberinntal, Graun,
Tau fers, Burgeis, Schleis im Obervinschgau als Serfüs, Nüders,
Grün, Tüvers, Burgüs, Slius. diese diphthongierungen sind er-
gebnisse der bair. sprachentwickelung, die beispiele lassen sich
mehren, und wenn jemand im ernst wider einmal behaupten
will, dass in Westtirol alem. oder schwäb. gesprochen werde, so
möge er sich mit solchen tatsachen auseinander setzen; denn
wenn die bair. ai, au in Westtirol nicht autochthon wären, wie
liefse sich der bair. diphthong in den fremden namen erklären?
sollten sich sichere l, ü in roman. namen Westtirols linden, so
bedenke man, dass die roman. bevölkerung in manchen gegenden
dichter sass und zb. im Paznaun die roman. Ortschaft Galtür
von alem. sprechenden Siedlern aus dem Prättigau bezogen wurde,
deren spräche erst vor kurzem durch das talaufwärts dringende
bair. verdrängt worden ist.
Von den heute als deutsch geltenden sachnamen sind mehrere
von der vordeutschen bevölkerung übernommen, man sähe sie in
dieser arbeit gerne zusammengestellt; das wort alpe, albe (glm
aus allm, alben), das heute im gesammteu Alpengebiet für Weide-
land im gebirge vorkommt, kann nur durch die vergleichung
mit andern ausdrücken für die alpenwirtschaft in seiner ge-
schichte klar gestellt werden, zu dieser gruppe würde ich das
wort j^lciis, plaisd fem. stellen, das K. s. 31 Blaiss schreibt; die
inlautformen haben nur lenis s, dem entspricht im Tannberg
Mise, K. kennt im Algäu Blissa, er hält es für deutsch, ohne
eine erklärung zu bieten, ganz Westtirol kennt das wort, das
ich als roman. im namen Blisadöna im vorarlbergischen Kloster-
tal suche, er bedeutet 'Pleisenalpe', preise (diese form sollten
die karten anwenden, die so ziemlich alle möglichen Schreibungen
aufweisen) ist ein grashang im hochgebirge, -dona muss eine
bezeichnung für alpenweide sein, für alpe überhaupt: in
Vorarlberg noch Schadona, Radona, Gamperdona, Stafeldona, in
der Schweiz südw. von Pfäffers Sardona, in Tirol Maldon
-mgldöü bei Imst und das beweisende Tarredon-tgrrddöü,
die zu Tarrenz - tgrts {s ist roman. pluralendung, vgl. tgrtdr
einer von Tarrenz) gehörende alpe. mit diesem -dona ist nun
auch der name Thanella bei Berwang klar zu legen, er bedeutet
'die kleine alpe' und ist ein roman. diminutiv. K. verzeichnet
den namen s. 168, weifs aber nichts rechtes anzufangen. Thanella
gehört mit den namen Rais'^, Keimen, Namlos zu den nördlichen
grenzorten des roman. gebietes. K.s Sassltöu hat ebenfalls -dona.
• es sind fem., in Vorarlberg südlich von Bludenz, in Tirol nördlich
von Imst (Gaflein, Platein, Alpeil i.
^ K, s. 97 stellt Rats zu 'rat' = magistrat, aber diese alpe gehörte
in alter zeit nach Imst und ihr name ist sicher nicht deutsch.
ORTSNAMEN DES lI,rj:R- UND LECHGEBIETES 149
Auf solche art kann man zu lautlich unanfechtbaren er-
klärungen dunkler namen kommen; freilich darf man nur schritt
für schritt vorgehn und hat sorgfältig auf die lautgesetze der
mda. zu achten, das tut K. zu wenig, er verzeichnet zb. Blfang
s. 26 ^ ahd. pifang mit kurzem /; unter den belegen erscheint
aber auch Baifi i., das hier unmöglich untergebracht werden
kann, allerdings scheint K. stillschweigend 1 und / gleich zu
werten, wie er auch Schindle im Stanzertal s. lüS unbedenklich
zu mhd. schinne 'scheune' (im Algäu schimh') stellt, anstatt das
einzig mögliche 'schindel' für 'dünne Steinplatte" anzusetzen,
solche fehler ergeben sich aus der annähme, dass die alem.-schwäb.
mda. durch die bair. verdrängt werde; da müsten natürlich
mischungen doppelter lautentwickelungen vorkommen, der name
des tirol. dorfes Biechlbach wird zu bühel gestellt, obwol die
lautform Biachlbach (K. s. 36) mit diphth. ia, b und fortis ch
nur auf eine ableitung von huoche buche schlieCsen läfst. zu
grissd im Stauzertal ist s. 146 der urkundliche beleg Griess bei
Biechelbach v. j. 1427 genannt — i und ie! Schimmel ist
s. 108 als weil'ses pferd erklärt, aber die mda. hat diesen aus-
druck für verdorrtes langes gras, das zumal nach der Schnee-
schmelze sehr licht gefärbt ist. zu Ried führt K. s. 99 nur die
bedeutung sumpf an (mit sumpfgras bewachsener boden), scheint
also ried rodung gar nicht zu kennen, auf das ihn doch Schmeller
II 60 hätte aufmerksam machen können, ganz abgesehen davon,
dass unter seinen namen wol keiner auf das alte hreof zurück-
geht. — die gedruckten weistümer Tirols scheint K. nicht
benützt zu haben, es ergeben sich aus ihnen nachtrage zur
namensammlung, ebenso aus der Alpenvereinskarte der Algäuer
und Lechtaler alpen (1906 und 1907).
In den einleitenden bemerkungen sucht K. auch die Suffixe
seiner namen auszusondern, nicht immer mit erfolg, so wenn zb.
s. 14 hirchig und plattig als adj. auf -ig erklärt werden; es
sind coli, auf -ach, mda. -lieh im Lechtal -ig, im Stanzertal -/.
ich kann nicht zustimmen, wenn hier und s. 88 der name Medrige
im Paznaun vom plur. 'mähder' -j- adj. -ig abgeleitet wird; ebenso
wie in Battri im Paznaun, das K. s. 162 zum personennamen
ahd. Paturih stellt; diese beiden namen haben ein auffallendes
Seitenstück in den alpenuamen Fairiol, Medriol nördlich von
Zams, deren roman. Charakter deutlich ist. hat man nun im
Paznaun die roman. grundworte patr-, medr- noch verstanden
und mit dem deutschen coll.-suffix -ach versehen? überhaupt
müste die annähme K.s, dass adj. allein zu ortsnameii geworden
sind, erst erwiesen werden, es ligt auf der band, dass in den
namen Brunniger alpili. Durriger hlaisse s. 1 4 die coli, hrunnach,
durrach stecken (wie etwa in hd. Steinach-er, was zur örtlichkeit
Steinach gehört) und nicht adj. auf -ig. Talliger s. 38 ist täl
teil und liger lagerplatz, nicht aber tali tälchen mit sufi. -ig-er.
150 V. GRIENBEBGER ÜBER SOCIN
So lässt diese arbeit gar manches zu wünschen übrig, wenn
man auch bei der benützung dem sammelfleifse K.s alle an-
erkennung zollt. J. Schatz.
Mittelhochdeutsches n amenbuch nach oberrheinischen quellen
des 12ten und 13ten Jahrhunderts von Adolf Soein. Basel,
Helbiug und Lichtenhahn 1903. xvi u. 7S7 ss. lex. 8". — .40 m.
Der titel dieses werkes, in dem eine erstaunliche menge
von Stoff zusammengetragen und behandelt ist — der index
weist 27.855 namenformen nach • — liefse nur auf eine lexi-
kalische, allenfalls nach compositionsteilen geordnete Sammlung
von Personennamen des 12 und 13 Jahrhunderts schliefsen. man
wäre zu der annähme versucht in ihm einer fortsetzung des
Förstemannschen namenbuches zu begegnen, die nur dort, d. i.
mit dem jähre 1100 anhöbe, wo dieser abgebrochen hatte, aber
weder die beschaffenheit des bearbeiteten Stoffes, noch die tat-
sächliche einrichtung die Socin seinem buche gegeben, entspräche
dieser nicht zureichenden Voraussetzung, denn der verf. hat aufser
den Personennamen der bezeichneten zeit und quellen auch die
familiennamen nach bestimmten gesichtspuncten gruppiert und in
den einleitenden worten, sowie in den erörterungen am fufse
der naraenlisten, ferner in einer reihe besonderer capitel, viel-
fach an der band älteren materials, so ziemlich die gesamte
theorie der german. persönlichen namenkunde in den bereich
seiner ausführungen gezogen.
Ist aber auch das werk weit mehr als ein blofses namen-
buch, so ist es doch wieder kein lehrgebäude mit strenger
gliederung des Stoffes und paragraphischer anordnung, d. h. es
ist ihm nicht eigentlich die theorie, sondern der stoff die haupt-
sache; nicht lehrsätze werden in ihm mit beispielen belegt,
sondern eben diese durch abgezogene lehrsätze erläutert, zur
auftindung der grammatischen feststellungen dient ein be-
sonderer index.
Wie sehr die Stoffsammlungen den begleitenden text über-
wiegen, zeigt eine orientierende durchzählung. auf 691 selten
entfallen an alphabetisch geführten namenlisten 405 selten, d. i.
etwa 59 0(,, wobei doch die kleineren oder nichtalphabetischen
Verzeichnisse ausser berechnung gelassen sind.
Das werk ist so umfangreich und so schwer an gehalt,
dass sich eine ins einzelne gehende recension von selbst ver-
bietet, der berichterstatter muss sich von vornherein der ent-
schuldigung versichern, dass er seinem auftrage mehr durch auf-
zählung des Inhaltes, als durch handhabung der kritischen sonde
zu genügen vermag.
Sammlungen von personennamen im engeren sinne, d. i.
einzelnamen aus dem erbe des germanischen namenschatzes ent-
IVnTTELHOCHDEUTSCHES NAMENBUCH 151
hält das capitel 1: 'Deutsche taufnamen des 12 uud 13 jhs.*,
in gesonderten reihen männliche und weibliche, ferner der anhang
zu cap. 5: 'Deutsche vornamen des 12 jhs. nach dem Rotulus
Sanpetrinus'. männliche und weibliche taufnamen fremder, d. i.
latein., griech., romanischer, biblischer herkunft verzeichnet das
cap. 2, in dem anschliefsend an Jacob Grimms, Mones und
Müllenhoffs nachweise die Übertragung- von personennamen
aus der german. volkssage und der mhd. epischen litteratur
illustriert wird.
Eine angelegenheit der vornamen ist auch das in cap. 4
behandelte vorkommen des identischen namens bei brüdern: de
Buhele Burchart . . . Burchart jratres 1135, sowie die seit dem
1 3 jh. auftretende sitte der beilegung mehrerer taufnamen für
^in Individuum: Cnnradus Bertoldus de Gättcnl)urch noJjilis 1275,
auch zusammengezogen Chunradbcrtoldus 1276 wie Hugdietrich
und Wolfdietrich der german. heldensage.
Den Übergang zu den familiennamen vermittelt das Ver-
zeichnis cap. 6: 'Altgermanische namen sowie sonstige taufnamen
als einzelnamen fortgepflanzt oder als familiennamen gebraucht',
das allerdings keinen einheitlichen eindruck macht, denn es sind
in ihm personennamen verschiedener art und verschiedenen
grammatischen Verhaltens: zvveistämmige composita Madilger,
Wernher dictus Meingos, patronymische genitive Heinriciis dictiis
Arnolz, kurzformen Slnzo, Wilhelmus Atze-, deminutiva Mencelin,
Zepellinus, Johannes Becellinus, beinamen Stolle (ahd. stollo 'basis,
gradus'), Rudolf Isenhart u. a. zusammengetragen, nach der
übersclirift des capitels müste man aber nur die primären namen
des gemeingermau. Vorrates und ihre derivate, sowie die quali-
tativ gleichzuhaltenden taufnamen fremden Ursprunges Mertin,
Quirinus, Stephan erwarten, wozu man ja sicherlich auch die
adjectivische /sc/i-ableitung aus Peter : Peters\ch]a ziehen kann,
doch nicht secundäre namen wie Colbo, Nabo, Nase, Strübo,
Hurreboldns (ahd. kolho 'clava, fustis'. naba 'modiolus', mhd.
strübc 'starrend' vom haar gesagt, mhd. hurren).
Gleichfalls als ausgangspunct späterer familiennamen sind
die genitivischen namen, mit dem worte sun verbunden oder
elliptisch gebraucht zu betracliten, die an die stelle der älteren
patronymischen ableitungen mit suftix -ia oder -inga ge-
treten sind.
Sehr zahlreich ist die reihe der Übernamen cap. 1 9, seltener
allein stehend wie Diirrevinger, [quidam] dictus Egel, dictus
gekke, Crumbo carnifex (mhd, egel, g'ec.ke, krump), zumeist in
Verbindung mit dem primären namen Odalric Chastelose (mhd.
käste 'kornhaus'), Walter Groshoubet, Welti Eephun über-
liefert, s. 454 — 7 sind diese beinamen nach sachlichen gesichts-
puncten geordnet.
Über die frage, ob ein Übername als individueller oder als
152 V. GRIENBEEGEK ÜBE SOCIN
festgewordener familieimame anzuseilen sei, äussert sieb Socin
s. 425 iu dem sinne, dass bei den Übernamen des 12 bis 13 jbs.
die erbliclikeit als regel, die bezieliung auf ein einziges indi-
viduum als ausnabme zu betrachten sei. nun ist ja sicherlich
dort wo mehrere individuen mit gleichem beinamen erweisbar
sind, die function dieses als familienname unzweifelliaft. aus
den belegen Socins ergeben sich deutlich die familien Esterlin,
Geilf'us, Grave, Manezzo. licJin, Biso, Unmus u. a. — wo aber
nur ein träger des Übernamens bekannt ist, kann man selbst-
verständlich nicht wissen, ob dieser erst ihm oder schon seinem
vater oder grofsvater zugelegt w^orden, ob er mit ihm erloschen
oder auf allfällige nachkommen übertragen worden sei. nur
selten, wie in dem falle, canonicus Henricns Episcopohis wird
man aus dem namen selbst vermuten dürfen, dass er individuell
gewesen nnd geblieben sei.
Dass eognatus in der Verbindung BerclüoJdiis coc/natus Senf-
telini 1275 Übername sei, ist nicht zuzugeben; Socin ist ja an
anderer stelle s. 582 keineswegs dieser meinung. die combination
frater Jo. de Vrienisperc preshyter dictus eognatus 1295 ge-
währt kein analogon für die vorhergehende.
Diesen Übernamen, im Verzeichnis Socins selbst schon zum
nicht geringen teile familiennamen, schlief sen sich cap. 20 die
Satznamen an, die nur in ihrer grammatischen form, nicht in
ihrer onomatologischen Wertigkeit von den Übernamen abweichen.
s. 4(35 teilt sie Socin etwas summarisch iu die zwei hauptgruppen
'imperativnamen' und 'redensarten'. auch bei ihnen treten als
namen von familien die: Änesorgen, Hehestrit, Mornenwech, Scur-
pesac, Wollebe (mhd. Itehen 'beginnen', schürpfen 'ausweiden')
u. a. deutlich heraus.
Moviert mit umlautwärkung sind die Übernamen der relicta
dicta Bitzenechtin, Mezzi Schafretin, ohne umlaut Berclüa dicia
Stetenratin, dicta Tanzuffin, die masculine formen '■'Bitzetiacht,
Schafrät, Stetenrät, Tanzüf (mhd. hitzen, schaffen, stceten) vor-
aussetzen.
Eine weitere ergiebige quelle der modernen deutschen
familiennamen ist die kategorie der gewerbs- und berufsnameu.
sie ist bei Socin auf zwei capitel verteilt, von denen das eine
21 'Namen von amt und stand', das andere 22 'Namen vom
beruf verzeichnet, im zweiten überwiegen die gewerbe, im
ersten die amts- und Standesbezeichnungen, über deren nähere
einteilung s. 505 rechenschaft gegeben ist. s. 506 — 8 und
544 — 8 werden die kriterien erwogen, die für die beurteilung der
frage, ob in einem gegebenen falle die blofse berufsbezeichnung,
oder der festgewordene familienname, oder beides vorliege, als
mal'sgebend angesehen werden können.
An die spitze der namen mit localen beziehungen stelle ich
cap. 23 'Stammesnamen', eine nicht eben sehr zahlreiche liste
MITTELHOCHDEUTSCHES NAMENBUCH 153
von ethnographischen und provinziellen bezeichnungen: Beiger,
Rlnfrank, Sarracin, Schotte, Sungotver. auf engere heiniats-. i. b,
besitzverhältnisse, gehu die zahlreichen combinationen mit einem
Ortsnamen oder gutsnamen an zweiter stelle, die, insoferne es sich
um eine latinisierte combination handelt, in der regel mit der
Präposition de verknüpft sind, diese bildungen sind bei Socin
in drei capiteln abgehandelt und zwar in 1 2 'Die ältesten namen
mit ile' aus dem 11 und 12 jh., vermehrt mit einem Verzeich-
nis der bis 1200 im bistum Basel und am Oberrhein vorkom-
menden mit de gebildeten namen s. 25;^ — 64, ferner in 14 'Der
adel des 13 jh.s mit de', cap. 16 Die bürgerlichen namen mit
de% wozu im anhange zu 30 eine aufzählung der mit de gebun-
denen namen von geistlichen, im anhange zu 3 1 ein solches der
mit von gebildeten bauernnamen zu rechnen wäre.
Der gebrauch von de beginnt nach Socin s, 246 um 1050,
die deutsche vorläge der präposition: ro7i und vone ist in der
Augsbnrger Urkunde von 1063 — 7 7 zum erstenniale bezeugt.
Eingestreut sind in den capiteln 13 'Die familiennamen
des 12 jh.s ohne de', die doch eigentlich kein Vergleichsmaterial
bieten, denn sie sind keineswegs als familiennamen verwante
Ortsbezeichnungen, sondern Übernamen und patronymica, des
weiteren in 15 'Die ritternamen ohne de: allein stehende Vornamen,
zum teil mit zu familiennamen gewordenen beinamen, auch patro-
nymischen bildungen, oder mit ijrtlichen bezeichnungen versehene
combinationen, die nur mit andren localen präpositionen als de,
vermittelt sind, ebenda sind aber auch namen wie Conr. de
Eiethusen, Schoelimis de Enesheim untergebracht, deren Anord-
nung der capitelüberschrift nicht entspricht.
Ein solches Vergleichsmaterial enthält aber das cap. 17:
'Ortsnamen oder ableitungen von diesen mit dem suftixe -f- er als
familiennamen', in dem unter l vorzugsweise die typen: vorname
-|- Ortsname, oder vorname -|- örtlicher ableitung auf -er er-
scheinen, wozu s. 361— 64 die den sprachgescliichtlichen Vorgang
der entwicklung der letzteren beleuchtenden typen: vorname -h
de (von) -\- ortsname gleich vorname -f- ortsname oder gleich
vorname -\- örtlicher er-ableitung in individuellen beispielen
nachgewiesen werden, ein paarmal s. 364 sind sogar alle drei
typen an ein und demselben familiennamen erweislich, wie ma-
gister Petrus de Rinvelden 124'i, magister Petrus Rinvelden,
Johans Rinvelder 1299.
Mit den namen von der wohnstätte: häusern, hausschildern,
gassen, Auren cap. 18 ist die kategorie der örtliche beziehungen
enthaltenden namen erschöpft, die auswahl der präpositionen
bei dieser Unterabteilung ist eine buntere, denn ausser de findet
sich lat. auch apud , aulser von deutsch auch an dem, an der.
Mm, bt der, in, in der, Of dem, von der, ze, zim, zem, ze der,
zer (cer), wobei im besonderen das auftreten des bestimmten ar-
154 V. GRIENBERGEK ÜBER SOCIN
tikels in der combinatioii als charakteristisch angesehen wer-
den muss.
In cap. 24 sind oberrheinische geschlechtsnamen fremder,
zumeist französischer lierkunft. mehrfach mit dem zusatze GalUcus
gfekennzeichnet, vereinigt, onomatologisch sind sie von verschie-
dener dignität.
Mit german. naraentheorie befassen sich die capitel 7 — IL
In 7 'Die altgerm. knrznameu" ist aus unterschiedlichen, bereit-
liegenden quellen, vorzugsweise Grimms Grammatik, Förstemanns
Namenbuch und Longnons Polyptychon Irminonis eine serie von
beglaubigten Identitäten von voUname und kurzform zusammen-
gestellt, eine erwünschte ergänzung zu Starks und Brückners
listen, denn auf den nachweisbaren Identitäten beruht ja unsre
ganze Wissenschaft von der entwicklung der kurznamen aus den
vollen Zusammensetzungen, niemand wäre imstande, die namen
Hltta und Hizila richtig zu beurteilen, wenn uns nicht die zu
ihnen bezeugten vollnamen Hildiberga und Hlltipurch in den stand
setzten, sie aus diesen durch die zwischenformen Hiltu und
*Hilza (masc. Hilzo bei Fm. bezeugt!) abzuleiten.
Cap. S ist der bedeutung der altgerm. namen gewidmet, die
anfänglich appellativische Wertigkeit der ursprünglichen germ.
namen läugnet Socin nicht, meint aber für die zeit, aus der uns
germ, namen überliefert sind, müsse man den grundsatz der
mechanischen fortpflanzung als vorhersehend annehmen.
Dass die mittelalterlichen, gelehrten etj^mologieen german.
namen, wie zb. die des Smaragdus, falsch und daher vollgültige
documente des zeitgenössischen Unverständnisses seien, ist aller-
dings richtig, aber wenn dieser abt von St. Michael an der Maas
Rainmir doppelt unzutreffend als 'nitidus mihi', dh. den gotischen
namen aus ahd. material übersetzt, so kann diese erklärung
eines wahrscheinlich aus ehemals gotischem gebiete stammenden,
aber erst zu beginn des 9 jh.s lebenden mannes, der selbst ver-
mutlich Romane war, nichts für die zeit beweisen, da die gotische
spräche noch lebendig und ihre namen in ftihlung mit der leben-
den spräche waren, um so weniger, als namenschöpfung und
namenerklärung zwei ganz verschiedene tätigkeiten sind, die sich
so verhalten wie sprechen und verstehn, die sich zwar nicht aus-
schliefsen, aber zu keiner zeit und bei keinem Individuum selbst
hinsichtlich der eigenen spräche einander völlig deckend erwartet
werden dürfen.
Auch andere äulserungen Socins in diesem cap. fordern zum
Widerspruch heraus.
Dass der erste teil in Adalleoz. soferne der zweite überhaupt
an. Ijötr ist, steigernd sein kann, hat sich Socin entzogen, und schwer
begreiflich ist es, dass Harfger als appellativisches compositum
angesehen unlogisch sei, da doch ags. fruuigär keineswegs unlo-
gisch ist. wenn s. 200 Grimms gleichsetzung von Hütirün
MITTELHOCHDEUTSCHES NAMEXBt'BH 155
und Bankilt anscheinend gebilligt und für die these der rein
mechanischen Zusammensetzung- der namen verwertet wird, so
ist es nützlich zu erinnern, dass die qualität der beiden elemente
in den beiden namen ganz verschieden sein kann, dass sich HU-
tirfin anstandslos aus dem vollsinnigen worte für 'kämpf und
einer entsprechung zu an. rün 'fortrolig veninde', ags. in Inirh-
rünan 'parcae', liünhüt aber aus dem primären appellativum ags.
rün 'rat, beschluss' mehr dem zur ableitung gewordenen elemente
-hüll rechtfertigen lasse, ebensowenig kann icji der auffassung
von Naniirlc und Wicnant als additionscomposita, bei denen die
folge der beiden teile gleichgültig sei. beitreten, denn abgesehen
davon dass die syntaktische Verknüpfung beider namen eben
nicht additiv sein muss, sondern auch bahuvrihisch sein kann,
sind auch die nhd. beispiele Socins Sturmwind gleich windsturm
und schirarziceifs gleich veifssch/carz verfehlt, das seltene wort
irindsturm (Sanders II 2. s. 1258) ist doch nicht additiv, sondern
contrastiert die heftige bewegung des windes mit irgendeinem
andren stürmischen vorgange, und slurnncind ist einfach ge-
steigerter wind. schumrzK-eifs aber ist etwas ganz anderes als
ireißschwarz, worüber man nicht erst die meinung eines heral-
dikers einzuholen nötig hat.
Die Sache ist ja die, worauf ich schon einmal hingewiesen
habe, dass im germ. namenschatze eines beliebigen zeitlichen und
örtlichen durchschnittes altes und neues, au [serhalb des appella-
tivischen Zusammenhanges stehndes und appellativisch lebendiges,
unproductiv gewordenes und in irgendeinem betrachte productives.
onomatologische formen und appellativische elemente unmittelbar
neben einander liegen, sodass ein urteil das auf alles passte
überhaupt gar nicht gefällt werden kann.
Für das fortleben der appellativischen triebkraft in ahd.
zeit zeugen unverkennbar einige der processe, dieSocin im 10. cap.
'Jüngere schichten im agerm.namenbestande" bespricht : neuschöpfung
von namen, i. b. christlicher provenienz mit dem genitiv (/otes-
ira ersten teile; dazu aucli Berhthimil z. j. 900 aus Fm. 687
(Socin s. 200); herstellung vollerer formen ansteile der ge-
kürzten lautgesetzlichen; neubildung sclnvachformiger namen auf
-como (-a), -geha, -f/ainio, -säzo; ersatz des einfachen nomens im
ersten compositionsteile durch ein adjectiv mit l-, n-, oder r-
suffix, wie (jundil-, sigin- für gund-, sigi-, während andere in
diesem cap. behandelte Vorgänge, wie die Verkürzung der ersten
compositionsteile oder der austausch der fugenvocale ekka-
u-illa- für ekki-, irilli-, rein sprechmechanisch, beziehungsweise
analogisch sind (ahd. nom. sing, ekka, ivülo) und die motion
mit -in nur den namen als solchen, nicht seinen möglichen appel-
lativischen wert berührt.
Als jüngere bildungen betrachtet Socin auch völkernamen
und composita mit solchen, ferner namen, die ohne als beinaraen
156 V. GRIENBERGKK ÜBER SOCIX
ZU fungieren, dooli kraft ihres zu tage liegenden appellativischen
Sinnes solchen gleichgehalten werden müssen, also bezeichnungen
von berufen, stand und Wohnverhältnissen, verwautschaftswörter
und eigentliche Übernamen, endlich abstractwörter, adjectiva und
participia, wozu bemerkt sei, dass die beiden letzteren sich ganz
mit den römischen cognominibus decken.
Das material dieser listen ist zum grolsen teile aus Förste-
mann entnommen; wie man sieht, sind in ihnen alle kategorieen
von einzelnamen der eigentlichen Sammlung Socins d. i. der
oberrheinischen namen des 12 und 13 jh.s vorgebildet.
Der unterschied ist nur der, dass das was früher als einzel-
name ersclieint, später als zusatz zum taufnamen auftritt, die
bildkraft der alten germ. vornamen war im 12 jli. sicher er-
loschen, und es ist kein zufall, dass zur gleichen zeit die appella-
tivischen beinamen an ausdehung gewinnen, in denen sich nunmehr
die sprachschöpferische tätigkeit in weiterem umfange offenbart,
während die alte, erste schiclit der personennamen, zum onomato-
logischen erbteil geworden, nur mehr mit persönlichem bezuge
fortgeführt wird und in ihrem bestände fortschreitende einbufsen
erleidet.
Diese Verluste beginnen, wie Socin im 5 cap. ausführt, um
die mitte des 1 1 jh.s und steigern sich rascli von 1 150 an. einen
ursprünglichen Zusammenhang mit dem auftreten der Zu-
namen glaubt doch Socin in abrede stellen zu sollen, doppel-
namigkeit und Vereinfachung des namenbestandes seien zwar
zwei sich gegenseitig fördernde, aber doch nur nebeneinander
hergehnde processe.
Allgemein theoretisch ist auch das cap. 9, in dem die stil-
gesetze und moden der namengebuug innerhalb der agerm. sippefge-
schlechtsgenossen ) : allitteration, gleichheit des ersten oder zweiten
compositionsteiles in der descendenz 1 und 2 grades, sowie auf
der gleichen stufe der generation, Vererbung des ganzen namens^
an älteren beispielen nachgewiesen werden, dazu gehört im
wesentlichen auch cap. 3 : 'Vererbung der taufnamen', deren ge-
brauch in verschiedenen familien an beispielen aus dem 10 bis
14 jh. aufgezeigt wird.
Cap. 1 1 'Früheste spuren der doppelnamigkeit', d. i. des
alternativen gebrauches zweier namen, bringt eine reihe authen-
tischer Verzeichnisse got. , langobard. , ahd. provenienz. die
namencombinationeu in der regel mit qui et gebunden enthalten
an erster stelle zumeist einen germ. volluamen, oder einen ent-
sprechenden namen fremder herkunft, an zweiter entweder einen
zweiten germ. vollnamen oder einen fremdnamen, eine germ.
kurzform oder einen beinamen zb. Sundehadus qui et Alipertus,
Ademmü qui et Andreas^ Vltns qui et Sigefredus. ArnoJdus
qui et Bezo, Conradus qui Curcipoldus. es handelt sich hier
um officielle oder familiäre umnennung. hiervon zu trennen ist
MITTELHOCHDEUTSCHES NAMENBUCH 157
jedoch die bleibende Verbindung eines germ. vollnamens, mit
einem praenomen nach römischer art wie Sejitimius Aistomodius
oder Flavlm Pertharituti.
Dem syntaktischen ausdrucke der Verbindung zweier namen
ist s. 549 — 52 ein besonderer excurs gewidmet: 'Über dictus
und verwante praedicate' mit den deutschen Varianten: dem man
spricht, dem man sprichet ze ndnamen, heizet, der da heizet, ge-
heizen, genant, der do ivas genemmet.
Als abschnitte namengeschichtliclien inhaltes möchte ich noch
den rest der capitel des buches kurz erwähnen.
Cap. 30 constatiert, dass schon im 12 und 13 jh. der clerus
vorwiegend nur mit taufnamen und titel benannt ist; cap. 31
stellt die vorhersehende einnamigkeit bei den bauern bis 1250
fest; cap. 25 handelt von den judennamen, die gleichfalls zu-
meist einnamig und deren material hauptsächlich alttestamentarisch
ist. cap. 32 verbreitet sich über die beifügung des mädchen-
namens bei frauen des 12 und 13 jh.s, cap. 33 spricht vom
Wechsel des zunamens, der durch die eigentliche und ursprüng-
liche function der örtlichen bezeichnungen als besitzanzeigende
bedingt ist, wie liunwlt von Striibe, dessen bruder aber Gerrunc
von Breidenhach 1156. cap. 34 wird die weglassung der tauf-
namen bei zeitlicher und örtlicher notorietät eines Individuums:
der ritter von Vluinkon 1256, der von Hilteningen 1295, sowie
die zur Unterscheidung dienende, pleonastische erweiterung einer
ganzen namengruppe: her Cünrat von Eschon der elter 1293,
lohannes de Blämenherg dictiis de Sunthiisen 1281 erläutert.
In cap. 27 hat Socin einige zunamen mit dem gemeinsamen
auslaute -a vereinigt, sie bestehn aus aÄfl-compositionen Lütra,
«Ät-ableitungen Holza, deutschen fem. ?i-stämmen Brunnadra und
romanischen Wörtern wie Crapella. cap. 'IS enthält einige vom
verf. als unerklärbar angesehene zunamen.
Dies in allgemeinen umrissen der Inhalt des Werkes, das
eine quelle allerersten ranges für sprachliche und geschichtliche
Studien ist und in seinen Sammlungen und erörterungen zahl-
reiche fragen der namenkunde beantwortet und anregt, probleme
löst, aber auch aufrollt.
Czernowitz, 1 sept. 1 909. v. Grienberger.
Die naturbetrachtung- bei den mittelhochdeutschen lyri-
kern von Elisabet Haakh [= Teutonia, arbeiten zur germ.
philulogie, her. von Wilh. Uhl, 9 heft], Leipzig, Avenarius 1908.
88 SS. 2 m. —
Übersichtlichkeit ist die erste forderung, die man an eine
bearbeitung dieses themas stellen muss. dass es der vorliegen-
den Schrift völlig daran gebricht, verrät schon das äufsere: kein
register, kein inhaltsverzeichnis. selbst die einteilung in capitel
158 WALl.NER ÜBKK HAAK})
oder Paragraphen, die doch die Verlegenheitsübergänge erspart
hätte, fehlt, die einleitung — sie will den spuren des deutschen
iiaturgefülils vor dem 12 jh. nachgehn — ist von naiver Unzu-
länglichkeit. AvHuniboldts Kosmoscapitel oder Bieses buch über
das naturgefühl war der Verfasserin offenbar ganz unbekannt,
nach einem excurs über Volkslied und minnesang fauf den ich
noch zurückkomme) werden dann die demente der naturschilde-
ruug vorgenommen: landschaftsbild; linde, rose, wald; vügel und
andere tiere, mineralien; gestirne, wölken, wind, luft, tau, wasser;
personitication der Jahreszeiten, das alles wird ohne straffe
gliederung (landschaftsbild s. 22 ff. 48 f. 74) feuilletonmälsig
durchgeplaudert, über das aufkommen und veralten der ein-
zelnen Züge, über tj-pisches und eigenartiges, über den anteil
der einzelnen dichter an der ausbildung des apparates erfährt
mau nur wenig, in gelegentlichen bemerkungen. spruch und
minnelied werden nicht geschieden, was EHaakh hier alles ver-
säumt hat, das zeigt schon ein vergleich mit den einschlägigen
partieen in Schisseis abhandlung über das epitheton im liebeslied
des 12 jh.s. — dass die vf. auch die miniaturen des Manesse-
codex heranzieht, wäre nur zu loben; doch müste auch dies
weniger oberflächlich geschehen, sie vermeint in den landschafts-
und tierbildern fortschritte von blatt zu blatt zu erkennen
(s, 22); ob diese blätter von einem maier herrühren, darnach wird
nicht gefragt, den Veldeker sähe sie gern im lindenschatten
abgebildet, 'aber leider war dem maier die künstlerische Ver-
wertung des baums noch nicht so geläufig wie dem dichter'
(s. 27). zufällig stand der bäum tatsächlich in der vorläge, wie
die Weingartener hs. lehrt, und ist in C nur aus raummangel
fortgeblieben. Ulrich von Liechtenstein, bekanntlich als 'frau
Venus' abgebildet, soll als kreuzfahrer die meereswogen durch-
schiffen (s. 73) — zu pferde! charakteristisch ist auch die mis-
handlung der eigennamen: Habardslioji s. 3, Täler s. 21, Winli
s. 41, Oucholf s. 85. Niuniu heilst einmal Niunin (s. 31), das
andere mal Niniun (s. 59) und der hl. Bernhard gar: von Clair-
veaux (s. 7). sonderbare mhd. sprachkenntnisse enthüllt die be-
merkung zu bere {der ivilclc viscli in dem here) s. 63: "mit ale-
mannischer vertauschung anlautender labiale'.
Wie die vf. im Vorwort gesteht, hat sie die neueste litteratur
nicht verwertet, im ganzen fufst ihre arbeit wol auf Uhland
(Sehr. III 1. V 120), über den sie fast nirgends hinaus kommt,
in der blühenden, kühn bildernden spräche freilich kann sich
der dichter-germanist nicht mit ihr messen: 'seltsam nimmt sich
die linde, dies erbe schlichter Volkstümlichkeit, im munde des
lüsternen und mit krauser modegelehrsamkeit verschnörkelten
Tannhäuser aus' (s. 30). 'der ritterliche dichter setzt die minne
als herscherin ein und weist der naturbetrachtung etwa die rolle
der gürtelmagd zu. in diesem dienste werden ihre frischen
NATUKBKTKACHTUNG BEI DEN MHI). lAKIKEKN 159
roten wangen von der blässe der reflexion und Symbolik ange-
kränkelt — zumal der cleriker gleichzeitig ihre hilfe für seine
geistlichen lieder verlangt' (s. S7j.
Neben Uhland werden noch RMMeyer und Burdach ge-
legentlich erwähnt, den namen Arnold Bergers aber nennt
die vf. nirgends, und doch hätte sie dringenden anlass gehabt,
seines aufsatzes über die volkstümlichen grundlagen des uiinne-
sangs (Zs.f.d.ph. 19, 440j dankbar zu gedenken, man vergleiche
Haakh s. lOf und Berger s. 472: 'die spuren alter lieder oder
liedchen zu verfolgen, hat sich besonders RMMeyer angelegen
sein lassen in seiner bedeutsamen abhandlung (*in seiner
scharfsinnigen und eingehenden abhandlung' B.)
"Alte deutsche volksliedchen", aus den vielen sich widerholenden
versen bei den alten minnesängern' ('aus jenen feststehen-
den versen, die einer gröfsern zahl von dichtem
gemeinsam sind' B.) . . 'will er "einen grofsen Vorrat fester
. . fornieln für natureingänge herauslesen . . jedenfalls lässt sich
aus seiner annähme erklären, was sonst unbegreiflich blieb: das
überraschende auftauchen derselben typischen bestandteile des
natureingangs bei örtlich und zeitlich getrennten sängern' ('aus
gewissen tA'pischen reimpaaren. deren er eine über-
raschende fülle zusammenstellt, aus solchen formel-
haften Wendungen, die unmöglich auf gegenseitiger
entlehnung beruhen können, da sie von dichtem aus
den verschiedensten gegenden, aus den verschieden-
sten Perioden . . verwant wurden' B.). 'der verrat mag
sogar zu grofs angenommen sein, denn die Variation eines für
das minnelied unentbehrlichen ausdrucks . . muss doch nicht
immer notwendig auf einen festgeprägten vers zurückgehn'
('man könnte geneigt sein, die quelle einfach in der
Umgangssprache zu suchen, deren redewendungen
jeder dichter nach seinem jeweiligen bedürfnis um-
geformt habe' B.). 'wie schwierig es ist, aus den wenigen
resten alter volkslyrik' ('nur dürftige reste' B.) 'grundlagen
für eine mit einiger Sicherheit auftretende theorie herauszu-
ünden, hat der verf. gewis selbst empfunden, als er die worte
schrieb, die fast etwas von seinen aufstellungen zurückzunehmen
scheinen (p. 208), dass solche typischen verse "blumen enthalten,
wie sie überall aus der erde hervorbrachen und nur zu sträufsen
zusammengebunden zu werden brauchten" ('es gab also eine
grofse menge l3-rischer verse , . "blumen, wie sie
überall aus der erde hervorbrachen usw."' B.) 'mit einiger
zuversichtlichkeit wird die annähme auftreten dürfen' ('und ich
glaube, diese annähme lässt keinen zweifei zu'.B. s. 451j,
'dass schon vor der entfaltung der ritterlichen rahd. lyrik verse
vorlagen in volkstümlichen maigrülsen' ('die Vorbilder dazu
in jenen volk smäfsigen f rühlingsreihen zur be-
160 WALLXER ÜBER JIAAKH, NATURBETR ACHTUNG
grüisung der milderen Jahreszeit' B.). 'die raaifeier
kann man sich ohne reigen und den reigen ohne gesang nicht
vorstellen und die Verbindung von naturfreude und liebesgrufs
stellt sich dabei im gesange wohl von selbst ein' ('und wie
können die alten frühlingsreihen ihrer ganzen be-
stimmung nach anders begonnen haben, als mit einer
ankündigung und begrüfsung des sommers?' B.). '"liebe
und laub", "minne und vogelwonne" stellt schon der oft
citierte liebesgrufs im Euodlieb zusammen und weist durch die
allitteration ' in der ersten formel auf eine entstehungszeit zu-
rück, die um Jahrhunderte früher fällt als die mhd. lyrik' (in
dieser Jahrhunderte lang gepflegten gattung kann
sich auch nur jener festgeprägte, starre formel-
schatz entwickelt haben' B.). ' — sollte der reigenlustige
Jüngling nicht schon früh die erkorene durch einen vers aufge-
fordert haben, das maifest mit ihm zu geniefsen, und vielleicht
die zusage gleichfalls in gereimter formel erhalten haben?'
Auch noch andere stellen verraten sich als derlei discrete
anleihen bei Berger: 'sie (die linde) ist der bäum der bäume . .
sie ist unstreitig auf deutschem boden gewachsen' s. 25 ('wie
die rose die königin der blumen ist [vgl. Haakh s. 33],
so ist die linde der deutsche bäum -/.ax eioyj\v' B. 448).
— 'Dietmar von Aist zieht in einem vereinzelten beispiel, MF
38, 34 . . die Schiffahrt . . heran' s. 74 ('Eist 3S, 35 weif s ich
sonst nicht nachzuweisen' B. 447). 'bei Hartmann von
Aue MF 213, 7 nennt die dame mit scharfer Ironie ihren un-
getreuen freund alse valsclielös sani daz mer der ünde ('d a s
meer als Sinnbild der Unbeständigkeit verwendet
Hartmann 213, 7 in witziger weise' B). — die gelehrt
mythologische abhandlung über den wind auf s. 3 (st. Voluspö50
1. Vafl)rü|)nesm. 37) verdankt ihren Ursprung Bergers
schlichter bemerkung (s. 449) über Veldeke 66, 5 mit dem hin-
weis auf Grimms myth. 527. auch die — haltlose — deutuug
von Reinm. 169, 11 (s. 17) ist wol durch Berger angeregt
('charakterisch ist Reinmars Stellung zum naturein-
gang: 169, 12' B. 445). sonst stammt der gelehrte aufputz
von Ühland, RMMeyer und Burdach her.
^ vgl. Berger s. 452 : 'das älteste und bereits gereimte beispiel
der liebesgrüfse ist bekanntlich im Ruodlieb erhalten . . man könnte
solche Wendungen aus dem geselligen leben ableiten und für feststehende
redensarten der Umgangssprache erklären'.
Graz. Autou Wallner.
EOSEKHAGEN ÜBEK SEIDL, SCHWAN V. 1). ijALZACU 161
Der Schwan vou der Salzach. nachahmun^ und motiv-
mischung- hei der Pleier von Otto Seidl. üortniuud, Ruhfus
1909 75 SS. 8". — 2ni.
Seitdem die drei werke des Fleiers im drucke vorliegen
(1892 erschien als letztes der Garel), hat sich eine im ganzen
übereinstimmende meinung über ihn gebildet '. er darf als der
typische epigone gelten, der für einen bereits ausgebildeten ge-
schmack nach wünsch liefert, im ausdruck steht er so ganz unter
dem eintluss seiner Vorbilder — es sind besonders Wolfram,
Wirnt, Hartmann und Stricker — , dass seine langen bücher aus
den entlehnten verszeilen geradezu zusammengesetzt erscheinen,
sein gedächtnis ersetzt ihm das genie. etwas anderes ist es mit
dem Inhalt seiner gedichte. er gibt jedesmal an, einer wälscheu,
dh. französischen vorläge zu folgen, wir haben aber allen grund
das nicht zu glauben, sondern es als eine vom publicum verlangte
falsche Ursprungsbezeichnung anzusehen, entlehnt hat er die
einzehien bestandteile, aber frei umgestaltet und frei, auch hierin
bekannten mustern folgend, angeordnet und zu einheiten verbun-
den: 'er ertiudet nichts und findet alles' (Zwierzina), 'er hat den
Stoff frei entworfen, aber nicht frei erfunden' (Ehrismann), man
könnte sich damit begnügen, aber gegen diese sonst einmütige
auffassung von der entstehung der Pleierschen romane ist ein
sehr bestimmter Widerspruch laut geworden. EWechfsler (Jahresber.
üb. die fortschritte d. rom. phil. iv 2, s. 399 f) behauptet für
diese gedichte wie auch für den Daniel des Strickers frz. vorlagen
und stellt besonders für die frz. quelle des Garel eine eigene ab-
handlung in aussieht, diese abhandlung ist bisher nicht er-
schienen, aber die allgemeinen gründe, welche dort zu der ganzen
frage vorgebracht werden, verdienen berücksichtigung. aufser-
dem bestehn auch für die anhänger der andern auffassung noch
gewisse zweifei, kaum für den Garel, aber doch für einzelne
elemente der beiden anderen bücher; man vgl. die vorsichtigen
äufserungen von Zwierzina (aao. s. 355) und die darlegung von
Ehrismann (aao. s. 95 note). auch in der beurteilung des dich-
ters findet sich ein gegensatz. nach Steinmeyer hat er den
Inhalt 'zusammengebettelt', auf der andern seite hat Vogt
(Zs. f. d. phil. 26, 126) das verdienst hervorgehoben, das in der
selbständigen composition liegt, zweifellos mit recht, aber Stein-
meyers schroffes urteil ist sehr begreiflich, wenn man seine und
Egelkrauts (Der einfluss des Daniel vom blühenden tal auf die
dichtungen des Fleiers, diss. Erlangen 1896j listen der entleh-
nungen ansieht, nur ist mit diesen listen auch über den stil des
Fleiers nicht das letzte Wort gesprochen, wir sehen daraus,
' vgl. bes. Steinmeyer GGA. 1887. 785-811. 1893, 97—125; Zwier-
zina Anz. XXII 353—363; Vogt Zs. f. d. phil. 26, 122 — 126; Ehrismann
Anz. XXX 87 — 97.
A. F. D. A. XXXIV. 11
162 KOSENHAGEN lUEK SEIDL
welche werke er ganz genau gekannt hat, und auch welches sein
schriftstellerisches streben gewesen ist, nämlich das, wie seine
Vorbilder, also 'classisch', zu schreiben, aber wir sehen nicht
daraus, wie er im zusammenhange seiner erzählungeu jene verse,
formein, beiwörter verwant hat. wir müssen doch fragen, ob in
der art, wie und wo diese nachahmung erscheint, nicht noch
etwas pers(3nliches zu erkennen ist, ob es nicht trotzdem einen
Pleierschen stil gibt, es bleibt also die aufgäbe, einerseits die
Züge des Individuums PL, die wenn auch erkennbar, noch unter der
capuze des stofflichen etwas verhüllt sind, deutlicher zu erfassen,
anderseits durch eine jeden Widerspruch beschwichtigende lösung
der quellenfrage die Stellung dieser denkraäler in der litteratur-
gescliichte endgültig festzulegen, daraus ergeben sich für den
der den fall neu aufnimmt, nicht unbedeutende aufgaben, das
wichtigste was über den PI. bisher gesagt ist, steht, von der ab-
handlung von EIlMeyer abgesehen, in recensionen. es sind, wenn
man will, lesefrüchte, allerdings sehr gehaltvolle, und sie machen
nicht den anspruch, den gegenständ zu erschöpfen, diesen anspruch
muss man aber an eine neue arbeit stellen, weil sie sonst eigent-
lich überflüssig ist, es sei denn dass sie etwas ganz neues zu
bieten habe, und das kann man von der Studie von Seidl nicht
sagen, sie bespricht im ganzen die dinge die schon besprochen
waren, nur in andrer anordnung und beleuchtung. damit kann
sich nur ein subjectives ergebnis erzielen lassen, vielmehr lässt
es sich jetzt nicht mehr umgehn, das gesamte material welches
der PI. bietet, mit der gesamten litteratur die für ihn als vor-
bildlich in betracht kommen kann, zu vergleichen, es muss mit
einer vollständigen analyse der drei i-omane begonnen und es
müssen die daraus sich ergebenden bestandteile mit den möglichen
quellen verglichen werden; und zwar müste das nicht nur eine
art von fortlaufendem commentar, welcher schritt für schritt die
einzelnen, kleinsten momente der handlung begleitet, wie Zwier-
zina fordert (aao. s. 3ö5), sondern auch die Zusammensetzung
im grofsen, Verhältnis und Verknüpfung der mythisch-heroischen
demente mit den höfisch-ritterlichen, dasselbe zwischen rahmenhand-
lung und episodenreihen berücksichtigt werden, erst dann sehen
wir deutlich, wo die vergleichbaren beziehungen in der deutschen
litteratur versagen, erst dann werden wir auch sagen können,
ob die darstellung desselben motivs beim Pleier, wie behauptet
worden ist (Wechfsler aao. 400) ursprünglicher ist; und dann
erst können wir fragen: woher hat der PL das? aber auch so
sind wir nicht fertig, der stil des PL, sein ausdrucksvermögen
muss so eindringlich untersucht werden, dass wir genau wissen,
welches geistes kind er war. dazu gehört nicht nur der aus-
druck an der einzelnen stelle, Ordnung der periodischen gruppen,
gespräch, Schilderung usw., sondern auch die gesamtcomposition
- — allerdings mit beschränkung auf solche teile und erschei-
DER SCHWAJN' VON DER SALZACIl 1G3
iiUDgen, wo wir uns nicht mit der quellenfrage kreuzen, zb. die
grofse heeresschlacht im Garel.
Der verf. der arbeit die uns hier beschäftigt, hat nun wol
gesehen, in welcher richtung die Pleierstudien eine ergänzung
vertragen können, er stellt sich seine aufgäbe so umfassend wie
möglich : er möchte, das ist doch wol der sinn seiner einleitenden
bemerkungen (s. 4), die einwürfe Wechfslers durch seine beobach-
tungen sachlich widerlegen, aber es ist ein versuch mit untaug-
lichen, oder doch vollkommen ungenügenden mittein. er nimmt
nur eine art der möglichen Untersuchungen vor, und diese durch-
aus unvollständig, auf die stilfrage geht er gar nicht ein und
findet nur gelegentlich für die Sammlungen Steinmeyers und
Egelkrauts ein wort, das bald gönnerhaft ('Sammeleifer' s. 3)
bald geringschätzig klingt ('entlehntes sprachgut sorgfältig auf-
stapeln' s. 70). das ist zum mindesten undankbar; denn seine
eigenen beobachtungen würden an bedeutung wesentlich einbüi'sen,
wenn nicht durch jene vorarbeiten es absolut sicher bewiesen
wäre, welche werke der PI. ganz genau gekannt hat. aber auch
in der beschränkung auf den Inhalt fasst er das thema zu eng.
er beschäftigt sich nur mit den motiven, also den einzelnen
raomenten der erzähluug, und läfst die fragen der Zusammen-
setzung und anordnung bei seite, und grade dieser punct ist sehr
wichtig für die quellenfrage — wenn sie eine frage ist. aller-
dings verfolgt der verf. bei diesen dingen noch ein weiteres ziel,
er will zeigen, wie der PI. die verschiedenen demente und an-
regungen, die er von seinen Vorbildern empfing, verarbeitete,
mischte, und findet darin den anlass, das urteil über den
dichter zu heben, damit hat er recht, besonders Steinmeyer
gegenüber, er sagt zutreffend und vorsichtig, das des PI. Um-
gestaltungen von technischem geschiok zeugen (s. 4); anderswo
braucht er aber stärkere worte, wie das modische 'groCszügig'
(s. 15), was übers ziel hinausschielst. dabei macht er immerhin
einige hübsche beobachtungen, und es ist auch anzuerkennen, dass
der Zusammenhang inhaltlicher und wörtlicher beziehungeu ge-
bührend ins äuge gefasst wird, und wenn der ausdruck auch
öfter etwas vorbeitrifft oder mehr auffallend als richtig ist,
so sind die einzelnen bemerkungen lebhaft, gescheit, nicht ohne
geist, und verraten einen empfindlichen sinn für ausdruck und
darstellung. aber einen wert für unsere erkenntnis haben sie
kaum, sie sind durchweg subjectiv, oft oberflächlich, oft über-
spitzfindig, es ist ein bouquet von ersten eindrücken, das er
uns präsentiert, die arbeit ist sozusagen im ersten Stadium ihrer
entwicklung schon zum druck gekommen, in dem Stadium wo der
Stoff interessiert, wo die ersten, fruchtbaren gedankeu entstehn.
aber die dann folgende zusammenhängende planmäfsige Unter-
suchung ist ausgeblieben, sollte dies urteil falsch sein, so hat
der autor selber schuld daran, was er bietet, ist auch in dem
11*
164 ROSENHAGEN ÜBEK iSEIDL
rahmen seines tliemas durcliaiis unvollständig, innerhalb der
grenzen seines beobaclitungsfeldes muste er aber vollständig sein,
denn an einzelnen beispielen hatte bereits Zvvierzina die motiv-
mischung des PI. genügend dargetan (aao. s. 356 ff), wenn der
verf., wie er mitteilt, erst nachträglich bemerkt hat, dass ihm
dadurch ein grofser teil seiner arbeit vorweggenommen war, so
111 liste ihm das umsomehr ein wink sein, zu ergänzen was noch
fehlte, aufserdem ist die anorduung der arbeit derartig, dass man
sie mit dem worte 'locker' sehr milde bezeichnen würde, sie bildet
für den der sich unterrichten will, ein fortwährendes hemmnis.
Die behandlung des eigentlichen themas gliedert sich, wie
folgt; 1) Beimischung von eiuflüssen der volkstümlichen dichtung,
2) Ethik und Weltanschauung, 3j Taten und geschehnisse, 4) Son-
stiges, also die hauptsache und grundlage als nummer 3 bei-
nah am ende, dinge die erst von da aus zu beurteilen sind voran,
bei nummer 2 kann man überhaupt zweifeln, ob es noch zur sache
gehört: sind 'treue', 'aberglauben' motive? ferner verspricht der
verf. unter nr 1 die motive (die!) anzugeben, an denen die ein-
würkung volkstümlicher dichtung zu spüren ist. dann müste
doch der folgende teil sich mit der einwürkung der höfischen
dichtung beschäftigen, aufserdem, und das ist wichtiger, führt
hier die abtrennung der 'volkstümlichen gedichte' irre, es kommt
für die Pleierfrage die deutsche Epik als ganzes in betracht.
dieser unterschied darf hier nicht gemacht werden, für den PL
hat er sicher nicht existiert.
In dem ersten teile bringt nun der verf. zuerst 'Streiflichter
auf den wort- und namenschatz' und sagt wörtlich 'einmal Garel
11398 entschlüpft dem PI. eine volkssängerische aufmerksamkeits-
erregung nu miiget ir hceren une er sprach, der in Dietrichs
Flucht so häutig (4 112 u. ö.) vorkommende ermunterungsruf: nu
sult ir hceren wie er sprach kommt recht nahe, aber auch die
(damit) gleichlautende zeile Parz. 310, 14. Lanz. 4276 stimmt
mit der Garelzeile völlig übei-ein. es ist ganz bezeichnend, dass
dem PL gerade bei der besprechung eines riesenkampfes diese
Wendung aus dem stile des volkstümlichen Vortrags in den mund
kommt', das ist das 'Streiflicht auf den Wortschatz', in dem
letzten satz ligt im kern eine richtige tendenz, nur ist sie falsch
angewant, weil dem verf. die kenntnisse fehlen, um zu beurteilen
was bezeichnend ist. es ist zu fürchten, dass er sie auch gar
nicht gesucht hat. dann folgen unter dem 'volkstümlichen' noch
drei stücke, von denen nur nr 3 'zwerge' hinpasst, während in
nr 2 'riesen' und nr 4 'gärten' motive behandelt werden, die
grade aus höfischen romanen stammen, es zeigt sich, wie miss-
lich es ist, die sogen, volktümliche dichtung abzusondern.
Die weitere gliederung der arbeit zu widerholen, ist hier
nicht am platze, dies 'Streiflicht' mag genügen, nur einige ein-
zelheiten mögen noch folgen, die 'wilden leute' im Meleianz
DEIi SCHWAK VON DKK SAT.ZACH 165
werden zu unrecht mit den zwergen vermischt (s. 18), sie sind
etwas ganz anderes, wie man sie sich dachte und mimisch dar-
stellte, zeigen viele bilder in handschriften, für jedeiunann zu-
gänglich das bild vom schembartlaufen in Vogts Litteratur-
geschichte. die befreiung des Tandareis durch die Schwester
seines feindes auf dem schlösse Montane kluse will der verf.
alleine auf eine Vermischung der besonders im Lanzel. gegebenen
litterarischen motive zurückführen, es ist doch aber einer der
fälle, wo der PI. eine form der erzählung bietet die ihr analogon
nur in Frankreich hat, nämlich im Karrenritter Clirestiens, und
die möglicherweise ursprünglicher ist. mein versuch, diese tat-
sache aus einem verloren gegangenen deutschen Lanzelot zu er-
klären (Zs. f. d. phil. 29, 155 ffj. war allerdings nicht ausreichend
begründet, wie von Wechlsler mit recht gerügt worden ist. aber
erklärt ist die sache damit noch nicht, auch ist da noch immer
die anspielung Wolframs im anfang des xii buches. die müssen
wir doch, ob Kyot sei oder nicht sei, als eine anspielung auf
etwas in Deutschland, doch wahrscheinlich in litterarischer form,
bekanntes ansehen, wie die auf Laneien rat, auf den Iwein; sonst
kommen wir noch dazu, auch das citat aus Walther auf die frz.
vorläge zurückzuführen', s. 38 wird Stricker Daniel 1051 des
vart er nächjagete falsch gedeutet, vart heilst hier nicht 'fährte',
sondern es liegt eine sachliche confusion vor. die worte be-
deuten 'hinter dem er her ritt', der riese, um den es sich han-
delt, ist aber gar nicht vor ihm. sondern bei Artus geblieben.
§ 21 trägt die Überschrift 'entzündung und heilung". das wort
entzündung soll aber etwas ganz anderes heil'sen, als man in der
nachbarscliaft von 'heilung' erwarten muss. der verf. meint da-
mit das beliebte motiv, dass der kämpfer durch den gedanken
an die geliebte neue kräfte gewinnt, dann geht es weiter: 'etwa
die entgegengesetzte Wirkung dieser von den dichtem oft ge-
brauchten kampfaufreizung, heilung der geschlagenen wunden,
üben die salben aus", und es folgen beispiele, wo ritter durch
wunderbare salben geheilt werden, an diesen salto schlielst sich
wider die durchaus richtige bemerkung an, dass der PI. anre-
gungen aus dem wunderbaren, unwahrscheinlichen ins nüchterne,
denkbare überträgt, das ist ja des pudels kern ! der PI. ist
weder ein gedankenloser plagiator, noch ein erfindungsreicher
poet, sondern ein mann des gesunden menschenverstandes, des
nur. gesunden menschenverstandes, ein wahrer Schulmeister mit
seiner deutlichkeit und Umständlichkeit, der nicht ruht, bis alle
es begriffen haben, die arf. wie er jedes ding zu seiner zeit
nicht zu widerholen unterlässt, erinnert an die methode Gouin:
'ich stehe auf, ich verlasse meinen platz, ich gehe nach der tür,
ich fasse den drücker an usw.' eben darum ist er auch in der
läge, die compositionen von planer Übersichtlichkeit anzulegen
^ vgl. Martin Parzival n, xi.vii.
166 ROSEXHAGEN ÜBEß SEIDL
und durchzuführen, der richtige 'aufbauarchitekt' ! wie dieser als
dichterinterpret und jene metliode als Unterrichtsmittel versagt
wo es über das ewig äulserliche hinausgeht, so geht es auch
dem PI. ein gutes beispiel dafür ist die rahraengeschichte im
Tandareis, wo das 'don', jenes vor äufserung der bitte von Artus
gewährte versprechen, die armatur, das äul'serlich zusammenhal-
tende gerüst für den ganzen roman liefert, dringt man nicht
weiter in die tiefe, so ist die sache würklich nett, beinah archi-
tektonisch durchgeführt, aber in der nähe besehen ist alles
hohl, und die fugen der verschiedenen hier aneinandergeklebten
motive lösen sich, dabei ist aber ganz deutlich zu sehen, was
der PL gewollt hat. im einzelnen das auszuführen, würde zu
viel räum in anspruch nehmen.
Ein hinweis sei noch verstattet, auf welche weise vielleicht
aus dem stil Schlüsse gezogen werden können. Die formel nv
läze wir die rede heUhen in ihren verschiedenen Varianten wird
sehr häutig im Grarel, etwas weniger oft im Tandareis gebraucht,
aber in beiden an wichtigen Übergängen in der deutlichen gliede-
rung, speciell im Tand, sind es deutliche neue anfange 1590. 4891.
5540. 8301. 9668. 11662. 11746. 11931f. 13263. 13496.
13779. 144^3, 15453. im Meleranz kommt der formeltypus, so-
weit ich sehe, nur 3 mal vor, an der einen stelle an einem wich-
tigen anfange, dem beginn der zweiten abenteuerfahrt 4133
(weniger scharf 2743. 11513). ähnlich ist es in der Gudrun
67. 563. 630. 951. 1071. 1165, auch 1695. daraus kann natür-
lich nichts weiter geschlossen werden, als dass derjenige welcher
die formel braucht, und der welcher den plan der erzählung ent-
worfen hat, dieselbe person sind, jedenfalls würde es sich ver-
lohnen, solche Überleitungsformeln in gröl'serem zusammenhange
zu studieren, früher kann man nichts damit beweisen, auch nicht
dass etwa die Gudrun hierin ein vorbild des PI. wäre.
Der Garel ist sicher älter als der Tand.; im übrigen ist
die reihenfolge der drei werke nicht bestimmbar, das hat wol
nicht viel zu bedeuten, immerhin ist der versuch den Seidl
macht, hierin weitere klärung zu schaffen, als solcher begreiflich,
nur bringt er ihn an verkehrter stelle, vor dem hauptteil, und
seine gründe sind so dürftig, dass er selber erklärt, einen un-
mittelbaren beweis nicht geben zu können, nun, dann hätte seine
ganze ausführung, welche dahin geht, dass der Meleranz das
erste stück sei, nicht gedruckt zu werden brauchen, wo nicht,
wie im Tand., die anspielung auf das frühere werk klar vor
äugen liegt, können solche reihenfolgen nicht auf grund einzelner,
zufälliger beobachtungen bestimmt werden, man darf von dem
autor verlangen, dass er weil's, was für mühe man sich in der-
selben frage etwa bei Hartmann und Konrad von Würzburg
gemacht hat. er konnte vom standpuncte seines themas die
frage ganz unberührt lassen, aber sie so schlankweg unter der
DER SCHWAN VON DER SALZ ACH 167
eleganten rubrik 'einleitendes und vorwegnahmen' zu erledigen,
das ist doch allzu schlank.
Es kann also der arbeit nach genauer prüfuug nur das ver-
dienst zugesprochen werden, darauf aufmerksam gemacht zu haben,
dass auch am Pleier noch allerlei zu tun ist. umsomehr als der
bald verjährte angriff Wechfslers gegen die Originalität der werke
des Strickers und Fleiers noch nicht erledigt ist. meiner meinung
nach ist die unter den germanisten herschende auffassung richtig,
das darf aber nicht dagegen blind machen, dass bei beiden dich-
tem manches ungeklärt ist, dass im Daniel des Strickers sogar
Unklarheiten eigener art vorkommen, und wir müssen den. kennern
der französischen litteratur dankbar sein, wenn sie uns das zur
vergleichung nötige material liefern, nur rauss uns es frei
stehn, es zu beurteilen, das was einem mhd. dichter zuzutrauen
ist an eigener leistung, das lässt sich mit einzelnen inhaltlichen
parallelen nicht alleine feststellen.
Noch eins: was soll der 'schwan von der Salzach'? ist das
spass: ein theaterscliwan mit aufgeklebtem gefieder? oder ernst?
ist der PL ein heros des localpatriotismus für Salzburg ge-
worden ?
Hamburg. G. Rosenhagen.
Zur metrik und textkritik von Heinrich Heslers Evan-
gelium Nicodemi von Arthur Klatscher. Jahresberichte der
k. k. staats-oberrealschule in Eger für das Schuljahr 1907 — 190S,
Eger 190S, 24 ss. und d. Schuljahr 190S— 1909, Eger 1909,
31 SS. 8".
Der Verfasser untersucht, in der hauptsache auf grund
meiner ausgäbe, an deren text er indessen in ca. 200 versen
änderungen wünscht, in i die metrische Verwendung der namen
und composita, das vorkommen einsilbiger substantiva in der
Senkung, die abweichungen vom natürlichen accent ; in ii die
Synkope der senkungssilben, die zweisilbigkeit der Senkung
nach langer hebung, die zahl der fülse, den auftact und das
vorkommen des liiatus. daran schliefsen sich die betrachtungen
einiger doppelformen, bemerkungen über die metrische stelle
Heslers, endlich eine Zusammenstellung der vorgeschlagenen text-
änderungen.
Wenn ich Klatschers aufstellungen nur zum teil zustimmen
kann, so ligt das daran, dass seine auffassung von Heslers vers
sich von der meinen in zwei wichtigen puncten unterscheidet,
und ich mich von der richtigkeit seiner ansieht nicht zu über-
zeugen vermag.
K. meint, für Hesler sei die principiell gleiche silbenzahl
der reimpaare nicht anzunehmen, ich habe sie aus seiner
metrischen stelle in der Apokalypse herausgelesen und mich
168 HELM ÜBER KLATSCHER
bei der textherstelluiig darnach gerichtet, nach K.s Widerspruch
muss ich auf diesen punct wo] nochmals eingehn. die genannte
forderung und ich zunächst in v. 1442 ff ausgesprochen, ich
gebe zu, dass die stelle nicht ganz einfach zu deuten ist, ganz
unverständlich ist mir aber, wie K. sie wider auf den endreim
hat beziehen können, mit ihr stehn doch die verse 1446 — 1459,
in denen von der silbenzahl der verse gesprochen wird, in engstem
Zusammenhang, schon daraus folgt, dass 1442f auf den vers zu
beziehen sind. Hesler redet also hier von dem vollständig
gleichen i abwägen der verse, also — da er als mafstab für
dieses abwägen nur die silbenzahl kennt — von ihrer gleichen
silbenzahl. da er ja nun aber gleiche silbenzahl für alle verse
des gedichtes nicht im entferntesten fordert, muss sich seine
forderung an dieser stelle auf kleinere textgruppen beziehen;
ich fasse deshalb die fime, für die er die forderung aufstellt, als
reimpaar, im hinblick auf Jeroschin v. 239, wo auch von reim-
paaren die rede ist. darin seh ich nicht, wie K., einen schluss
von Jeroschin auf Hesler; vielmehr wird nur die aus H. wahr-
scheinlich gemachte Interpretation durch die deutlichere äufserung
Jeroschins gestützt, sie lässt sich aber auch aus H. selbst weiter
stützen, zunächst durch v. 1383; denn in v. 1379 ff wird eben-
falls nicht nur von reim-, sondern auch von versfehlern ge-
sprochen, ich interpretiere die stelle: '. . die leichtfertigen, die
bücher machen wollen . . . und einen vers zum anderen finden
(also reimpaare bilden), aber beide verse nicht durch den richtigen
reim verbinden und auch nicht gleich abwägen', es ist also auch
hier von reimpaaren die rede, und es wird ein fehler in ihrem
bau gerügt, den vermieden zu haben H. in v. 1442f von
sich rühmt.
Endlich v. 1473ft"; auch diese fasst K. falsch auf, wenn er
1473f auf die zweisilbig-stumpfen reime, v. 1475 f auf die silben-
verschleifung bezieht, die ganze partie ist vielmehr, obwol sie
zwei verschiedene einzelerscheinungen (1473f und 1476 ff) nennt,
doch als eine in sich einheitliche ausnahmelicenz aufzufassen,
das wird durch die einleitenden worte doch dinge ich onch uz
diz eine sicher gestellt, einheitlich gefasst kann die stelle aber
nur den sinn haben, sie soll abweichungen von der zu erwarten-
den silbenzahl rechtfertigen, man könnte nun meinen, und
Bartsch hat dies auch getan, dass H. solche fälle im äuge habe,
in welchen das festgesetzte maximum oder minimum der silben-
zahl überschritten bzw. nicht erreicht sei. aber derartige fälle
kommen entweder gar nicht vor, oder, wenn einige solche verse
anzunehmen wären, in so geringer zahl, dass der Wortlaut von
V. 1473 daz ich dicke usw. nicht gerechtfertigt wäre, wider
bleibt nur die annähme übrig, dass von ausnahmen die rede ist,
• ebe/i(/Uche.' das ebe/i darf bei der Interpretation nicht über-
sehen werden.
METRIK UND TEXTKRITIK HESLEES 169
durch welche die gleichsilbigkeit der verspaare gestört wird,
wenn in einem vei^s zwei silben eintreten, wo der entsprechende
reimvers nur 6ine hat. es ist also wider dasselbe, was Jer.
deutlicher in v. 297f ausdrückt, ich halte also an der prin-
cipiellen gleichsilbigkeit der verse eines reimpaares fest und
daran, dass es richtig war sie durchzuführen, dass es mir in
jedem einzelnen fall gelungen sei richtig zu erkennen, ob dies
princip bewahrt oder durchbrochen ist. behaupt ich natürlich
nicht und will deshalb gerne textbesserungen, wenn sie genügend
begründet werden können, anerkennen.
Ein zweiter punct, in dem ich mit K. nicht übereinstimme,
ist der rhythmus der verse. K. stellt selbst fest, dass H. sich
Synkope von Senkungen in grofsem umfang gestattet: etwa 540
fälle erkennt er an, in welchen einsilbler oder nicht componierte
zweisilbler beschwerte hebung tragen ; dazu kommen rund 400
fälle, in welchen diese auf compositis und fremden namen ligt.
nicht selten begegnen in einem vers zwei beschwerte hebungen.
aus diesen Verhältnissen folgert K. mit recht, dass es nicht an-
gehe, H. 'mit dichtem, welche den regelmäfsigen Wechsel
von hebung und Senkung anstreben, in eine reihe zu stellen'.
Dasselbe folgt aus den zweifellos vorhandenen zweisilbigen
Senkungen, von denen K. wenigstens einen teil anerkennen muss
(vgl. ii s. 22 und 27 A, iva). in würklichkeit ist ihre zahl viel
gröfser ; denn was K. § 6 über die möglichkeit sagt, einsilbigkeit
herzustellen, gibt natürlich keine Wahrscheinlichkeit dafüi-, dass
sie von H. beabsichtigt ist. und kein recht sie durchzuführen,
wenn nicht die von H. selbst aufgestellten regeln es fordern,
ihr widerspricht auch nicht selten der schreibgebrauch jener hss.,
welche sprachlich dem original nahestehn.
Trotz dieser Verhältnisse nimmt K. nun aber in weit-
gehndem umfang alternierenden rhythmus bei Hesler an. ich
glaube, dass dies mit den genannten beiden tatsachen nicht zu
A^ereiubaren ist. und lehne deshalb, auch auf die gefahr hin dass
gelegentlich schwere zweisilbige Senkungen oder schwaclie hebungen
mit in kauf zu nehmen sind, änderungen die zu alternation füliren
sollen ab. ebenso les ich alle die verse, bei welchen K. unter
beibehaltung meines textes alternierend skandiert, anders als
er; also 3402 du vorriete mit nnkust nicht dn vorriete mit
nnkiist (i s. 12); 4739 swen daz urteil, nicht fiwen ddz urteil
(i s. 13), denn hier den artikel zu betonen, ist ganz gegen den
sinn des verses; 2831 daz n-ärt in sneUichen hrdht, nicht ddz
wart in usw. (i s. 15); 1303 daz Jt'sus hlihit, nicht ddz Jesus
hlihc'ty 3564 daz ivir niht werden vorlörn, nicht daz wir niht
werden vorlörn (i s. 23) usw. so schwindet der gröste teil der
in § 4 verzeichneten abweichungen vom natürlichen accent, und
auch in den andern paragraphen sind zahlreiche beispiele anders
einzuordnen, § 5 und 6 erhalten grolsen Zuwachs.
170 HELM ÜBER KLATSCHER
Auch abgesehen von der bevorzugung der alternation ist
K.s accentuierung in manchen versen nicht gut, so muss in
V. 545 (n s. 6) slüc unbedingt den accent tragen, was K. nur in
den anmerkuugen als eine nach seiner ansieht offenbar weniger
gute lesung verzeichnet, in v. 1448 fii s. 12} ist ebenso genüc
oder gnnc mit beschwerter hebung zu betonen.
Auf alle einzelheiten der lesungen K.s und der von ihm
vorgenommenen textänderungen im einzelnen einzugelm ist un-
möglich, übrigens auch unnötig, da meine Stellung dazu aus dem
ausgeführten in den meisten fällen klar ersichtlich ist. eine
zwingende notwendigkeit ligt abgesehen von den änderungen in
v. 1732 und 2515, die in meinem text versehentlich elfsilbig
sind, nur selten vor. in einer ziemlichen anzahl muss die mög-
lichkeit, dass K.s änderung das richtige trifft, zugegeben werden,
so ist gegen die enklise von sie in fällen wie sprachens 1480
usw. principiell nichts einzuwenden, soweit die Silbengleichheit
der reimpaare dadurch gestört wird, sind solche verse den von
Hesler gestatteten ausnahmen zuzuzählen, ein teil von K.s än-
derungen ist dagegen nicht haltbar; so die in v. 4087 gegen
die hss. GS. — in v. 1888 (i, s. 4 anm. 4) muss die von mir
vorgenommene tilgung von zu bestehn bleiben, da die von K.
augeführten parallelstellen nichts beweisen: in v. 697 ist zu eben-
falls zu streichen, hauen in v. 842 ist nicht inönitiv sondern
Substantiv (vgl. auch Ap. 7242. 14329). — v. 2811 (K. n s. 13,
anm. 9) ist bei ^veres du zu bleiben, denn es ligt wie sonst
nach al, alein der conjunctiv vor; vgl. 4147, Ap. 13054 f. 17706.
usw. und die reimbelege Ap. 14087 und EN. 4140. — y. 5175
(K. n s. 13, anm. 2) ist von mir geändert, weil bereits v. 5168
nemac steht und der Schreiber wol aus nachlässigkeit den aus-
druck nochmals aufgenommen hat. — 3194 (n s. \^) sunnenUeJit
(adj.) ist beizubehalten ; nur daraus erklärt sich, dass die anderen
hss. ändern. — meine lesart in v. 233 (i s. 4) beruht auf
einem druckfehler, ebenso in 8 und 13 (siehe PBBeitr. 33, 402)
und 3914.
Zu bedauern ist, dass K. die von mir PBBeitr. 24 ange-
wendete namensform Heinrich Hesler acceptiert hat, obwol sich
schon ESchröder Zs. 43 mit recht dagegen gewendet hat und ich
selbst in der einleitung zu meiner ausgäbe s. lxxxii auf grund
von Heslers eigenen Worten (Ap. 16480) zeigen konnte, dass er
zweifellos ritterlichen Standes war. hoffentlich geben ihm andere
hinfort seinen richtigen namen.
Endlich muss ich leider noch auf die druckfehler zu sprechen
kommen, ich tu es nicht gern, denn wir sündigen alle in diesem
punct und müssen deshalb auch gegen andere nachsieht üben,
aber es gibt doch auch da grenzen, die eingehalten werden
sollten, bei K. stehn aufser den von ihm ii s. 31 verbesserten
druckfehlern noch dutzende im text. dabei will ich von den
METRIK UND TKXTKMTIK HESLERS 1 7 1
buchstabenverwechslungen gar nicht reden, die mögen, so häutig
sie sind, noch hingehn. schlimm ist aber die häuHgkeit falscher
accente. hauptsächlich wird sie dadurch hervorgerufen, dass l
statt i steht, aber auch andere buchstaben sind fälschlich mit
accent gesetzt; so stehn in beiden heften, namentlich im ersten,
versteile die zu viel accente haben (zb. i s. 15: wir nlewerlde
usvi^.) und ganze verse mit fünf oder gar sechs accenten, w^ie
IS. 19, V. 2226 und alle die le Hb he'ten, s. 23, v. 4895 vll sät,
noch werdet Ir säter ; ii s. 9, v. 1278 die säzni mit Ime daran.
gelegentlich v^'ird dadurch K.s auffassung gar nicht auf den
ersten blick kenntlich, wenn man erst nachsehen muss, welche
accente nach der Überschrift des paragraphen die richtigen sein
müssen; man vgl. noch i s. 23, v. 4837 ob ienihi ungütl-v, gemeint
ist 6b iemen mit versetztem accent. gezählt habe ich diese
fehler nicht; hier nur drei Stichproben: heft ii s. 5 haben unter
04 versen vier je fünf accente, zwei nur drei accente; in heft i
stehn auf der halben seite 19 (§ 3 a) unter 35 versen vier mit
je fünf accenten, einer mit sechs, einer mit drei, s. 23 la unter
36 versen gar elf mit je fünf, zwei mit sechs, einer mit drei
accenten, hier also rund zw^ei fünftel mit fehlerhafter accentuierung
— und dabei sollte gerade in einer metrischen Untersuchung der
Verfasser es sich doch in erster linie angelegen sein lassen, für
möglichste genauigkeit der accentuierung zu sorgen.
Giessen, 2 april 1910. Karl llelin.
Joachim Greff. untersuciiunofen über die anfange des reuais-
saucedramas in Sachsen von Keinhard ßiiclnvald, [Probefahrten
11. baud.l Leipzig-, RVoigtläuder, 1907. X u. S9 ss. 8". — 3,60 m.
Für die oft beobachtete tatsache, dass eines dichters histo-
rische bedeutung erheblich gröfser sein kann als der ästhetische
wert seiner litterarischeu production, dafür ist Joachim Greff ein
besonders markantes beispiel. er gehört, ästhetisch angesehen,
unzweifelhaft zu den am wenigsten begabten dramatikern des
16 jh.s, und die leisen versuche Buchwalds, auch ihm 'ästhetische
kunstbetrachtung' (s. 43) und 'sinn für psychologische feinheiten'
(s. 51) zuzuschreiben, werden gewis nicht auf billigung rechnen
können, aber Greffs historische Stellung berührt das kaum: mag
er ein noch so kümmerlicher poet gewesen sein, ihm bleibt der
rühm als erster die neue form des deutschen renaissancedramas
in das mutterland der reformation eingeführt zu haben, der be-
queme ausdruck 'deutsches renaissancedrama' soll nicht etwa
ästhetische emptiudungen wecken, sondern nur andeuten, dass es
sich um ein drama in deutscher spräche handelt, dessen compo-
sition im wesentlichen der römischen komüdie nachgebildet ist.
in welcher weise Greff diese neue form des dramas bemeistert
172 MICHEL ÜBER BUCH WALD
hat, das zu zeigen, wird somit die bauptaufgabe einer ihm ge-
widmeten monographie sein. B. verwendet nur den vierten teil
seines buches (s. 64 — 86) auf die besprechung der dramatischen
technik, aber bei dem erstaunlichen maugel an Untersuchungen
dieser art müssen wir ihm auch hierfür dankbar sein, zumal da
er durchaus den blick für die in frage kommenden problenie be-
sitzt, so hat er zb. richtig erkannt (s. 69 f), dass die actein-
teilung bei Greff keine nachträgliche oder äulserliche zutat ist,
sondern 'ein von vornherein constructives' — ich würde sagen:
ein constitutives — 'nionienf. genauere betrachtung hätte ihn
belehrt, dass auch die sceneneinteilung nicht ganz so unklar ist
wie sie ihm erscheint (s. 71 ff), wobei vor allem ort und zeit
und deren Veränderlichkeit auf der bühne (s. 77 ff) mehr zu
berücksichtigen gewesen wären, freilich ist zuzugeben, dass bei
Greff in diesei' hinsieht nicht selten eine gewisse Verworrenheit
zutage tritt, weil ihn die Vorstellung des mittelalterlichen bühnen-
bildes trotz allen antikisierenden tendenzen noch stark beherscht.
lässt sich doch ähnliches selbst beim 'Acolastus' des Guapheus be-
obachten, dessen einfluss auf Greffs dramatische technik B. allzu
zögernd andeutet (s. 78).
Um die bedeutung der scene bei Greff festzustellen, hätte er
auch die anderen dramatiker der ersten hälfte des 16 jh.s unter
diesem gesichtspunct prüfen müssen, aber daran hat er es leider
fehlen lassen, — und das lenkt uns auf einen grundmangel seiner
Untersuchung: sie zeigt zu wenig Vertrautheit mit den Zeitgenossen
Greffs und wirtschaftet zu viel mit der litteratur über die litt^-
ratur. ich würd es bedauern, wenn Creizenachs unschätzbares
repertorium, wie es beinah den anschein hat, dazu verführen
sollte, das legimus aliqua, ne legantur', dessen er sich rühmen
durfte, allzu wörtlich zu nehmen; und es bedarf nicht erst der
hervorhebung, dass für die lectüre der quellen auch die special-
litteratur keinen ersatz bieten kann, selbst wenn man sie in
gröfserer Vollständigkeit heranzieht und kritischer bewertet, als
B. es tut. wer das drama des 1 6 jh.s einigermafseu kennt, wird
auf bücher wie Zellwekers 'Prolog und Epilog* (1906), das
B. oft citiert, getrost verzichten können, dagegen lässt sich aus
Franckes 'Terenz und die lateinische schulkomödie in Deutsch-
land' (1877) auch heute noch einiges lernen, vorausgesetzt dass
man den chronologischen Wirrwarr des ganzen beseitigt und keine
einzige der vielfach ungenauen angaben kritiklos übernimmt. B.
hat weder das eine noch das andere getan, und so linden wir
auch bei ihm jenes unhistorische gleichsetzen der verschiedensten
epochen, wenn etwa s. 35 Eudolf Agricola (der 14 85 starb) und
die Württemberger kirchenordnung (die 1559 erlassen wurde)
in einem atem genannt werden, oder Adam Puschmann (1532 —
1600) mehrfach (bes. s. 68) als kronzeuge für drama und bühne
der ersten hälfte des 16 jh.s herhalten muss. so scheint B. gar
JOACHIM GKEFP 173
nicht zu bemerken, dass er eine ansieht Franckes trotz dem hin-
weis auf diesen g-eradezu widerlegt, wenn er s. 41 f ausführt,
dass bereits Greff die abneigung vieler dramatiker gegen die
'fictae fabulae' teilt, während Francke (Terenz s. 59) diese Oppo-
sition vor allem von den Jesuiten ausgehn lässt. was hat es
überhaupt für einen zweck, zunächst zu erklären (s. 41), des
Euanthius theorie einer 'historica fides verae uarrationis' habe in
der bevorzugung einer komödie fortgewirkt,
Welche nit ist ein falsch gedieht,
So)idern ein gewiß vnd tvar geschieht,
und dann erst Greffs Stellung zu dieser frage zu erörtern? die
eben angeführten verse, die B. einem etwas längeren citat bei
Francke entnommen hat, stammen aus einem deutschen prolog
zu einem lateinischen drama 'Damascenus' (cod. lat. monac. ü32),
das ohne zweifei erst der zweiten hälfte des 16 jh.s angehört.
Ähnliche beispiele einer aulserachtlassung der Zeitfolge
machen sich auch in den capileln 'Greffs theoretische anschau-
ungen' (s. 32 — 54) und 'Quellenstudien' (s. 55 — 63) bemerkbar,
die sonst gleich dem abschnitt über die dramatische techuik neben
manchem zutreffenden und förderlichen auch allerlei gewagtes,
überflüssiges und unrichtiges enthalten, die cxistenz sächsischer
fastnachtsspiele scheint mir durch die abrupten bemerknngen s.
59 ff durchaus nicht 'sicher nachgewiesen' is. 61). über den dra-
matiker Johannes Rasser (s. 48) hätte sich B. durch einen blick
in den Goedeke, vor allem aber in die Allgemeine Deutsche
Biographie 27. ;^32 f unterrichten können, andere einzelheiten
übergeh ich.
Weniger hat das erste capitel (s. 1 — 31) unter dem mangel
an chronologischem sinn gelitten, es berichtet unübersichtlich
und unlebendig, doch kundig und mit neuen ergebriissen im ein-
zelnen über Greffs leben und werke, überzeugend find ich den
nachweis (s. 13 ff), dass Greff den 'Jacob' allein verfasst hat
und Georg Major dabei nur die rolle des anregers und beraters
zufällt, dies drama wurde übrigens, was B. noch nicht wissen
konnte, 1544 in Altenburg gespielt (vgl. MMeifsner, Geistliche
aufführuugen und schulkomödien in Altenburg: Mitteilungen der
Geschichts- und altertumsforschenden gesellschaft des Osterlandes
bd. 11 [1907], s. 351 ff), das gedruckte stück übersante Greff
bald nach der Magdeburger Uraufführung im jähre 1534 seinem
väterlichen freunde Stephan Roth zugleich mit einem briefe, worin
er ihm seine zukunftspläne auseinandersetzte, dieser wichtige
brief, den Suhle in einem Dessauer schulprogramm von 1888
s. 30 f zuerst veröffentlicht hat, ist bereits von Creizenach und
anderen beachtet worden; eine neue, höchst wunderliche aus-
legung läfst ihm B. zuteil werden, er findet darin die angäbe,
Greff habe sich durch die abfassung und buchhändlerische Ver-
breitung von lesedramen eine materielle existeuz schaffen wollen,
174 .MICUEL ÜBER BUCHWALD, JOACHIM GREFF
— 'ein vorhaben, das in solch bewuster und extremer form trotz
Gengenbach, Henselj'n. Folz u.a. originell erscheint' (s. 10). ganz
abgesehen nun davon, dass hier der 'Henselyn' offenbar als ein
autorname fungiert, wie in aller weit konnte der verf. den Wort-
laut jenes briefes nur so misverstehuV mit keiner silbe ist da-
rin von einer buchhändlerischen Verbreitung die rede, und ich
wüste auch nicht, wie ein dramatiker des 1 6 jh.s auf die absurde idee
kommen sollte, sich durch den vertrieb von selbstverfassten lese-
dramen zu ernähren, bei Gengenbach ligt die sache doch ganz
anders, da er buchdrucker und dichter in einer person war.
Greff aber hätte sich mit dem honorar begnügen müssen, und
wie es damit im 16 jh. stand, das kann man sich schon aus
Kapps mitteilungen (Gesch. des deutschen buchhandels i 312 ff)
vergegenwärtigen: hätte der verf. diese gekannt, die unwahr-
scheinlichkeit seiner Vermutung wäre ihm wol selbst aufgegangen,
seine existeuz auf den ertrag zu gründen, den man von Ver-
legern für dramatische werke bekam, war im 16 jh. schlechter-
dings unmöglich — und ists ja bis heute geblieben.
Und dann jener unglückliche einfall, Greff als 'schöpfer des
deutschen buchdramas' hinzustelleu, ein einfall, der im verlauf
der Untersuchung immer widerkehrt (s. 9 f. 16. 46. 77)! gewis
war die fragwürdige zwittergattung des buchdramas im 1 6 jh.
beliebter als in unseren tagen, und es wäre keine uninteressante
aufgäbe, die deutschen und lateinischen dramen des 16 jh.s ein-
mal daraufhin zu durchmustern, ob sie für die bühne berechnet
waren oder nicht, aber Greffs bedeutung ligt doch gerade da-
rin, dass er — soviel ich sehe: ausnahmslos — aufführbare
dramen geschrieben hat, von denen er niemals wünschte, dass sie
nur gelesen, sondern stets, dass sie ^verstanden, gelesen vnd an-
gehört möchten werden', wie er es in der vorrede zu seiner
Aululariaübersetzung ausgedrückt hat (s. 17). und was speciell sein
erstes und in mancher hinsieht wichtigstes drama, den 'Jacob', an-
langt, so begründet er die drucklegung mutatis mutandis mit nicht
viel anderen werten als ein paar Jahrhunderte später der junge
Grillparzer die Veröffentlichung seiner 'Ahnfrau' (Sauer 4, 126):
'^s ist damit nicht gemeint, das Meer der deutschen Litter atur
mit einem neuen Buche zu vermehren, oder etwas für sich Be-
stehendes, Unabhängiges dem Leser in die Hände zu liefern;
vielmehr ist dies Büchlein hlofs für den Zuschauer bestimmt;
es soll nur die Darstellung unterstützen und, je nachdem es kömmt,
u'ieder von ihr unterstützt tverden'.
Berlin, mai 1910.
Hermann Michel.
BRECHT I":BER :MIX,DEBRATH, die IIEUTSCHEX AVANTURIEßS 175
Die deutschen A v a u t u r i e r s des a o h t z e li n t e n j a li r -
huuderts von Berthold lUildebrath. Würzburger diss. Grä-
feuliainichen 190". 147 ss. S°.
Eine fleil'sig-e arbeit, die den nachweis führt : die deutschen
'Avanturiers' gehören nicht, wie bisher meist angenommen, zu
den nachahmungen von Defoes Robinson Crusoe, sondern bilden
eine eigene gattung: als die letzten, im gegensatz zu Defoes
werk unveredelten ausläufer des Schelmenromans in Deutschland,
dessen ursprüngliche herkunft aus dem picarischen roman der
Spanier sich auch in keinem deutschen Avanturier verleugnet,
der lierkunft, dem litterarischen grundcharakter und also dem
gattungsbegriff nach vom Avanturier zu scheiden ist die Robin-
sonade, als ihr kriterium hat Ullrich (Robinson und Robinso-
naden s. XIV) 'iusularische abgeschlossenheit von der mensch-
lichen gesellschaft', entweder als 'mittelpunct der erzählung' oder
doch in "episodischer Verwertung' bezeichnet. M. schliefst sich ihm
an ; und in der tat muss dieser unterschied mit strenge festgehalten
werden, wenn nicht die alte Unklarheit weiter bestehn soll, leider
verwischt Ms eigne terminologie den unterschied wider.
Defoes 1719 erschienener Robinson hat nämlich sogleich
starken einfluss auf die in Deutschland noch junge Avanturier-
gattung gewonnen, und so entsteht eine Spaltung: neben den
Avanturiers echten alten stils. die durchaus zu der grofsen classe
der Schelmen- und landstreicherromane zu rechnen sind, giebt es
von jetzt an auch solche, die in allen Schattierungen den Über-
gang zur Robinsonade darstellen; sie werden von M. unglück-
licherweise ebenfalls geradezu Robinsonaden genannt, ich würde
sie als Avanturiers mit (mehr oder weniger betontem) Robinson-
motiv bezeichnen, auch Ullrich hat nur vier Avanturiers zu den
Robinsonaden in seinem sinne zu zählen gewagt, ich möchte
noch weiter gehn und aus seiner detinition der Robinsonade
die möglichkeit der blofs episodischen Verwertung des R.-
motivs ausscheiden; denn hierdurch wird die so nötige abgren-
zung wider illusorisch gemacht, und ob in einem werke der
mischgattung das Avanturier- oder das specifisch Robinsonmälsige
tiberwigt, wird sich in jedem falle ausmachen lassen, ein Avan-
turier, der ua. eine Robinsonepisode erlebt, bleibt deswegen doch
ein Avanturier.
Der erste Av. mit Robinsonfärbung — ich folge M. — fällt
schon ins jähr 1724: 'Des seltsamen Avanturiers sonderbare be-
gebenheiten' ; um die mitte des Jahrhunderts folgen der Bremische,
Dänische, Asiatische, Dresdner Avanturier. die neue gattung zehrt
allmählich die alte auf, nachdem sie ihr durch ihr grundmotiv
noch eben frische nahrung gegeben, statt des Avanturiers wird
der Robinson mode, und der buchhändlerische reclamespeculant,
der früher Pseudoavanturiers, die den abkömmling des alten Vaga-
mundo nur auf dem titelblatte führten, au den mann brachte, wirft
176 BRECHT ÜBER MILDEBRATH
jetzt, und nun erst in massen, Pseudorobinsonaden auf den markt,
immerhin sind würkliche Avanturiers noch bis 1766 erschienen.
Von solchen deutschen, z. t. übersetzten Avanturiers, mehr
Schelmen- oder mehr robinsonartigen Charakters, und Pseudo-
avanturiers hat M. 20 zusammengebracht, vom 'Vermaekelijken
Avanturier' des Nie. Heinsius 16!)5 an, der als vorderhand erster
deutscher Av., noch vor Defoes Robinson, 1714 unter dem titel
'Der kurzweilige Av.' erschien, bis zu den 'Gaskonischen Avan-
turiers' von 1769. zwei sind nicht aufzutinden gewesen: der
Fränkische Avanturier von Karl Friedrich Tröltsch, den Heinsius
erwähnt, und der Holländische, angezeigt im messkatalog der
Grossischen handlung ostern 1737, möglicherweise eine deutsche
Übersetzung der franz. ausgäbe des Heinsius: 'L' Avanturier Hollan-
dois' 1729.
Ob M.s (unausgesprochener) grundsatz richtig ist, nur solche
romane, die sich selbst im titel als Avanturiers bezeichnen, der
gattung zuzurechnen, darf man bezweifeln, mit gutem gründe
hat Ullrich keinen wert auf die titelbezeichnung Eobinson oder
Robinsonade gelegt, wohin soll man zb. 'Den in dem wilden
Amerika von seiner Wildheit befreyeten Europäer, oder merk-
würdige und lustige Lebens-Geschichte des Herrn von M . . .
Frankfurth und Leipzig 1756' [Göttingeu und Berlin KB.] rechnen,
wenn nicht zu den Avanturiers? die kleine Robiusonepisode,
wenn man sie ja so nennen darf, wie überhaupt die auswande-
rung nach dem stillen weltfernen Amerika am schluss, so unge-
heuer interessant sie auch litterarhistorisch ist (Prevosts Manon
Lescaut war 1731 erschienen), macht das buch noch zu keiner
Robinsonade, wogegen alle hauptingredienzien des Avanturiers
vorhanden sind, und wenn M. den didaktischen dialog zwischen
'Bruder Studeo' und 'Bruder Lustigmacher': 'Zwej im Coffee-
Lande herumschweiffende Avanturiers' (1744) zu den Pseudo-
avanturiers rechnet, so muss er auch den ganz analogen dialog
'Wunderbare Avauturen, bestehend in einem lächerlichen Ge-
spräch zweyer lustigen Welt-Brüder, namentlich Bruder Philip
und Bruder Stephan — — Avelche der curieusen Welt zur Be-
lustigung entworffen. Der wolbekanNte TeutscHe. Franckfurt und
Leipzig, 1750' [Göttingen und Berlin KB.] dazu rechnen, wenn-
gleich das Wort Avanturier im titel nicht vorkommt.
Den ausschlag geben kann allein der litterarische Charakter.
Es gibt viel mehr Avanturierromane als die 20 zufällig so be-
nannten, der unterschied gegen den Robinson ist ein begriff-
licher; der vom Picaro oder Rogue im gründe nur ein unterschied
der zelten, aber nicht jeder Picaro nennt sich jetzt Avanturier.
Den Inhalt seiner 20 Avanturiers erzählt M. eingehend, und
nach reichlich genommeneu Stichproben zuverlässig, jedem seine be-
sondere 'würdigling' beifügend, in der stilistische und andere eigen-
tümlichkeiten gut beobachtet werden, am ausführlichsten behandelt
DIE DEUTSCHEN' AVAXTUKIEKS 177
er den 'Kuitzweiligen Avanturier' des Heinsius, mit recht, denn
er ist das einzige leidlich kunstmäl'sige werk der gattung, zugleich
dasjenige an dem sich, da es noch vor dem Robinson erschien,
die gesamte progenitur bequem und sicher messen lässt. ob von
den 20 Inhaltsangaben oder wenigstens den Würdigungen hier
und da einige hätten zusammengelegt werden können, im Inter-
esse gröl'serer Übersichtlichkeit und belebtheit, wage ich nicht zu
entscheiden, jedenfalls tritt die 'zusammenfassende schlussbetrach-
tung' 3. r2() — 137 (der eine sorgfältige bibliographie angehängt
ist) einigermafsen zurück gegen die vielen einzelheiten des vor-
hergehenden capitels (s. 14 — 1261, so brauchbare Zusammen-
stellungen über zeit und ort der roraanhandlungen, art und an-
zahl der auftretenden personen, leiclitfertigkeit der motivierung
(motivtabelle nach procenten s. 133) und sonstige technik sie auch
gibt, die wichtigsten den Avanturierroman betreffenden litterar-
historischen fragen sind klar formuliert, aber noch nicht voll-
ständig beantwortet. M. hat das verdienst, das material zusammen-
gebracht, gesichtet und seine bearbeitung angegriffen zu haben;
aber die hauptfragen: nach dem Zusammenhang des deutschen
Avanturiers mit dem spanischen, französischen, wol auch eng-
lischen Schelmenroman und mit dem spätgriechischen roman
(seeräubermotivei, nach der art des ohne zweifei gelegentlich be-
stehnden Verhältnisses zu schwank- und anekdotensaramlungen,
nach dem publicum, das noch in den sechziger jähren des IS jh.s
für die Avanturiers vorhanden war — war es noch dasselbe, für
das Lessing den Dänischen und den Russischen Avanturier in
der Berlinischen privilegierten zeitung 1751 und 54 besprochen
hatte? — endlich die frage nach der sittengeschichtlichen be-
deutung dieser rohen aber wertvollen vorform des socialen romans:
sie bedürfen noch weiterer Untersuchung, welche motive des
Avanturiers zb. sind es, die nach aufhören der speciellen gattung
im roman weiterwürken, welche werden verschmäht? welche
übernimmt zb. der 'komische roman' späterer Jahrzehnte (vor
mir liegt der so bezeichnete 'Die Pilgrimme' 1773. der noch
recht viel davon hat)? welche der reifgewordene entwicklungs-
roman? welche noch der roman des 19 Jahrhunderts? ohne zweifei
würde die auswahl uns über das — gerade hier vielleicht recht
langsame — tempo des steigens ästhetischer und moralischer
cultur belehren, die problematische erscheinung des gesamten
Schelmenromans, dessen letzte form nur der Avanturier ist (aber
eine wie bezeichnende für den anfang des IS jh.s), vom 16 bis
zum letzten drittel des 18 säculums, ist doch wol nur im engsten
zusammenhange mit den politischen, wirtschaftlichen und geistigen
bedingungen der damaligen hauptländer Europas zu verstehn,
von weit gröfserer grundlage aus, als eine dissertation sie
geben kann.
Göttingen. Walther Brecht.
A. F. D. A. XXXIV. 12
LITT ER AT URNOTIZEN.
Zur n 0 r cl g e r m a n i s c h e n s a g e n g' e s c h i c h t e von
R. von Krulik. [Quellen und forschungen zur deutschen Volks-
kunde herausg. von E. K. Blümml, bd. iv]. Wien, dr. Rud.
Ludwig 1908. 122 ss. 8". — 4.80 m. — Der verf. will mit fri-
schem aulauf den versuch unternehmen, die richtige Ordnung der
sagen in Saxos neun ersten büchern seiner Dänischen geschichte
wie in Suorris Ynglingensage zu entwirren, er will versuchen,
jene beiden hauptquellen nordgermanischer sage in harmonie mit
sich selbst, mit einandei\ mit den übrigen, besonders den islän-
dischen sagen und schlielslich mit unserem eigenen deutschen sagen-
ganzen zu bringen, er erkennt die scharfsichtigen Untersuchungen
Heinzeis, Jiriczeks, Olriks uaa. an, aber er möchte zu ihrer er-
gänzung auf das gemeinsame in allen Verschiedenheiten hinweisen,
die geschichte der Nibelungensage hat ihn gelehrt, dass durch
alle Jahrhunderte und durch alle Völkerstämme hindurch ein ge-
meinsames bewustseiu geht, eine lebendige wechselwürkung. er
möchte daher die Vereinigung der einzelsage mit der gesamtüber-
lieferung versuchen, freilich ist er sich dessen bewust, dass die
ergebnisse seiner arbeit hypothetisch bleiben müssen, so unge-
fähr — nur etwas ausführlicher — spricht sich vK. über die
absieht seines buches aus.
Nach einem kurzen blick auf die Zusammensetzung der
hauptwerke, der Ynglingensage, der Dänengeschichte des Saxo,
der Flateyjarbok, der dänischen Chroniken, geht er an die 'neu-
ordnung': 'Also vorbereitet will ich versuchen die ganze nor-
dische Sagengeschichte in möglichst guter Ordnung zu skizzieren,
ich will damit nicht ein irgendeinmal bestandenes sagenwerk
widerherstellen, vor Saxo und Snorri gab es kaum ein solches
. . . nein, der zweck des folgenden Versuches ist kein anderer,
als die ganze fülle der sagen, die dem Saxo und Snorri vor-
lagen, mit hilfe dieser ordner selber ein klein wenig besser
zu ordnen", es ergibt sich dem verf. eine Scheidung des ganzen
nordgermanischen sagenschatzes in drei hauptgruppen mit feste-
rem epischen zusammenhält, die durch vorspiele, Zwischenspiele
und nachspiele um weitere vier gruppen vermehrt werden. Die
erste hauptgruppe (== gruppe n) überschreibt er 'Von Odins aus-
zug bis zu seinem verschwinden'; er rechnet dazu ausser den
wandersagen die geschichte n von Frodi i, Frithjof, Balder, Rolf
Kraki; diese gruppe müste nach angäbe der geuerationen in den
sagenquellen etwa die zeit von 6(j vor Chr. bis 66 nach Chr. um-
fassen, die zweite hauptgruppe (= gruppe iv) vereinigt unter dem
titel 'Völkerwanderungsgruppe' die sagen von Fridlef I, Frotho in,
Fridlef ii, Frotho iv dem Starkadzögling, Ingeld (366 — 500 nach
Chr.). die dritte hauptgruppe (= gruppe vi), der 'Brawallasagen-
kreis', umfasst die sagen von Harald Hildezahn (?), der Brawalla-
IJTTEK ATUKX« »TIZEN 179
Schlacht, von Ragnar Lodbiok und den Rag'narssöhnen und vou
Harald Haarschön (733 — &tJG i. mit den nordischen sagen, besonders
denen der Völkerwanderungszeit, werden junge und jüngste süd-
gernianische sagen teils gleichgesetzt, teils in Verbindung gebracht.
Die grundanschauuug, auf der die ganze neuordnuug der
sagen durch vK. beruht, ist diejenige, dass in der Sagendichtung
'durch alle Jahrhunderte und durch alle vülkerstämme hindurch
ein gemeinsames bewustsein geht, eine lebendige Wechselwirkung,
dass eine einheitliche 'gesamtüberlieferung' bestanden hat, mit
andern Worten, dass ein auch im einzelnen durchgeführter grund-
riss der germanischen sagen in den köpfen der sagenerzähler und
sagendichtor in nord und süd gelebt habe, diese anschauung ist
an sich unwahrscheinlich; sie widerspricht der bisherigen sagen-
forschung, die nur wenige Übertragungen, in der hauptsache aber
einzelentwicklung in verschiedenen gegenden feststellen konnte;
sie wird auch vom verf. weder durch eine allgemeine betrach-
tung noch durch die in seinem buch geleistete arbeit annehmbar
gemacht. — auf den wegen die vK. einschlägt, werden ihm nur
wenige folgen wollen, die gleichsetzung von Healfdene Hrodgar
Halga Hrodulf im Beowulf mit Haidan Roe Helgo Rolf Kraki
bei Saxo gehört zu den sichern ergebnissen der Wissenschaft ; der
verf. lehnt sie mit einem 'kaum' ab; 'die haupthandlung im Beo-
wulf gehört ganz sicher in einen späteren Zusammenhang, in den
Völkerwanderungskreis unter Frotho iv und Ingeld'. wenn er
hier zusammengehöriges trennt, so verknüpft er fortwährend
leichten herzens unzusammenhängendes. Humblus soll gleich Heim-
dali sein, so wird ohne begründung behauptet. Njord wird mit
Hading gleichgesetzt, und zum beweise dafür wird angeführt,
dass gattenwahl und gattenstreit in den sagen beider überein-
stimmen, aber die ähnlichkeit bei der gattenwahl bezieht sich
nur auf einen nebensächlichen punct, und die berühmten streit-
verse zwischen Njord und Skadi sind sehr zu unrecht auf Hading
und Regnilda übertragen : sie passen in die Verhältnisse der
Hadingsage gar nicht hinein. Hadings vater Gram bei Saxo
soll gleich Halfdan dem Alten sein, was auf s. 30 folgender-
mafsen begründet wird: 'als den höchsten (ersten?) Schildung
kennt das Hyndlulied den alten Half da n. damit stimmt es, dass
Saxo Skjolds söhn und nachfolger Gram nennt, unter welchem
ehrennamen für könige nur Halfdan verstanden sein kann, denn
Saxo bringt im 7 buch eine andere Variante der sage von Hai-
dan, mit dem beinamen Berg-Gram'. — und ähnlich geht es
weiter durch das ganze buch! "\V. Kanisch.
Islandica. an annual relating to Iceland and the Fiske
Icelandic coUection in Cornell university library edited by George
William Harris librarian. vol. i. Bibliography of the icelandic
sagas and minor tales by Halhlör Herniannsson. Ithaca N.Y.,
Cornell university library 1908. 126 ss. gr. b'K l doli. — Der
12*
180 ' HTTERATUKXOTIZEN
vorliegende band eröffnet eine reihe bibliographischer publicationen,
die ihre quelle in dem testamente des 1904 verstorbenen Willard
Fiske hat und nach und nach die von ihm der Cornell university
vermachte Sammlung Islandica bekannt geben soll [vgl. schon
Anz. XXXIII 308]. Fiske hat so erfolgreich gesammelt, dass der
katalog seiner Tsländersagas einer erschöpfenden bibliographie nahe
kommt, die fehlenden titel hat der bearbeiter zu ergänzen gesucht
und kenntlich gemacht doch nur nebensächliches fällt als so ergänzt
ins äuge, das Verzeichnis bringt nicht nur die selbständigen werke,
sondern auch die' minor tales', zb. die [laettir der Morkinskinna.
erstaunlich ist der reichtum an Übersetzungen; zur Gunnlaugssaga
werden deren 24 aufgeführt, auch die gelehrte litteratur, recen-
sionen nicht ausgenommen, ist umsichtig zusammengestellt, so dass
wir ein schätzbares hilfsmittel erhalten, das unter umständen
viel nachschlagen erspart, die alphabetische anordnung und der
übersichtliche druck heben darüber hinweg, dass die mehrzahl
der aufgeführten titel nur für den bücherliebhaber Interesse hat.
— eine zutat die wir lieber entbehren würden, sind die be-
merkungen über das alter der einzelnen werke, sie sind urteils-
los aus Finnur Jönssons Litteraturhistorie entnommen, oder ist
es kritik, wenn bei der Heidarvigasaga aus Finns 'sikkert' ein
'probably' wird oder bei der Hcensnajjörissaga der autor ausnahms-
weise auf die geteiltheit der meinungen hinweist? es verschlägt
am ende nicht viel, wenn unkundige leser das Svritten in the
last decades of the 12th Century' für ein gesichertes ergebnis
nehmen, aber wir müssen doch an der forderung festhalten, dass
auch eine bibliographie in wissenschaftlichem geiste gehalten sein
soll, das wäre in diesem fall sehr einfach durch weise be-
schränkung zu erreichen gewesen.
Breslau. O. Neebel.
Systematik der syntax seit Ries von Rudolf Pestalozzi
(Teutonia xii heft, Leipzig Avenarius 1909) 22 ss. 1 m. — Die zeit
über welche Pestalozzi berichtet umfasst zwölf jahre(l 894 — 1906).
er ist mit der entwicklung der Systematik in dieser spanne zeit
ziemlich zufrieden, obzwar er hie und da auch etwas einzuwen-
den öndet. er recapituliert kurz die grundsätze von Eies, dass
die grammatik als ihr object die form der spräche erfassen und
dieselbe als laut-, wort-, und wortgruppen-lehre behandeln
soll, 'nicht aber sätze' weil es wortgefüge gibt, die 'keine sätze
sind' und doch 'als thema der syntax angesehen werden müssen' ;
und weil ferner 'an wort und wortgefüge form und b e d e u -
tung zu unterscheiden sind, so umfassen sowol wortlehre als
syntax (dh. wortgruppenlehre) je zwei specialgebiete: formen-
lehre und bedeutungslehre'. P. bedauert mit recht, dass 'Eies
darauf verzichtet hat, seine ideen eigenhändig in einer syntak-
tischen darstellung zu realisieren'; die erklärung findet er in
einer äusserung R.s (Anz. xxix 16), wo derselbe zugibt, dass
Lrn'ERATURXOTIZEX 181
'jeder versucli, seine theorien iu einer vollständigen S3'ntax . . .
zu erproben, vorläufig- Stückwerk bleiben" müsse, beim 'bisherigen
betriebe sei Vollständigkeit, gleichmäfsige ausführlichkeit und
durchgängige Sicherheit der ergebnisse als ausgeschlossen zu be-
trachten'. — P. gibt dann gleich eine aufzählung der arbeiten —
zunächst der germanistischen, denn der gesamtphilologischen —
die sich R.s ideen entweder völlig oder doch teilweise zur richt-
schuur genommen haben und den gegenständ seiner erwägungen
abgeben, und legt dann dar, wie sich die einzelnen S3'ntaktiker
zu dem Kiesischen fuudamentalsatze (laut, wort, wortgefüge)
stellen, dann zu dem Verhältnis von wortgruppen und satz, des
weiteren zur frage, inwiefern die Wortbedeutungslehre in die
sj^ntax gehört, der nächste abschnitt ist dem gegenseitigen Ver-
hältnis von Wortbedeutungslehre und gruppenlehre gewidmet
(hauptsächlich in bezug auf die casuslehre), der weitere dem
Verhältnis von wortformenlehre und gruppenlehre (zb. wo die
periphrastische conjugation einzureihen istV). die zwiespältige
behandlung der syntaktischen mittel zur herstellung syntak-
tischer gebilde (nämlich in der wortlehre und iu der syntaxi,
die dann zunächst an die reihe kommt, bildet eine hauptschwierig-
keit des R. sehen Systems und hat, wie verf. zugibt, bisher keine
verwürklichung gefunden, dann geht er über zur frage, 'wie
weit für die Schaffung höherer kategorieen die form, wie weit
die bedeutung malsgebend sein soll', anders gesagt, nach wel-
chem princip die teilung der wortgruppen und dann auch der
uebensätze geschehen soll? — selbstverständlich überall mit dem
nachweise der Stellung seiner einzelnen gewährsmänner zum gegen-
stände der erörterung. zum Schlüsse folgt dann noch die con-
statierung der tatsache, dass 'merkwürdigerweise von der art,
wie Ries von der Stilistik redet, in der litteratur kaum gespro-
chen worden ist', die berechtigung der ansieht R.s — dass die
Stilistik nur der gesamtgrammatik gegenübergestellt werden kann,
nicht etwa der syntax allein — wird verteidigt und abweichende
anschauungen werden zurückgewiesen. — verf. ist selbst ent-
schiedener 'Riesianer' und verteilt Zustimmung und gegnerschaft
darnach, wie sich die einzelnen syntaktiker zu Ries stellen, aber
überall ruhig und, was ebensoviel bedeutet, lichtvoll und trotz
der knappheit erschöpfend, mit Delbrück und seiner 'auseinander-
setzung mit Ries' (Syntax in s. 1 — 5) ist er natürlich nur wenig
zufrieden, ref. ist dem gegenüber viel eher geneigt, Delbrück
beizustimmen, umsomehr, als er auch Brugmanns — auch vom
verf. citierte — meinung (Griech. gramm.-^ [19üü] s. 3(53) teilt,
dass man die theoretische richtigkeit der neuen lehre zugeben
kann, dass aber der praktiker nicht überall wird folgen können,
aus des verf.s eigener darstellung der schwankenden ansichten
tritt namentlich dieser umstand mit überwältigender klarheit hervor.
Prag 30 märz 1910. V. E. Mourek.
1 S2 LITTEKATUENOTIZEN
Der gebrauch vonffi- zni- unterscheidiiiig' perfec-
tiver und imperfectiver actionsart im Tatian und in
No t k e r s B o e t h i n s. (Leipziger doctordissertation) von Karl
Dahin 190!». 92 ss. 8". — Der verf. der vorlieg-enden äufserst
fleifsigen und sorgfältig-en arbeit steht — für den gebrauch von
gi-, die übrigen verbalprättxe lässt er unberücksichtigt —
ganz auf dem standpuncte Streitberg-s, der in seiner Untersuchung
über perfective und imperfective actionsart im germanischen
(PBBeitr. 15, 70 — 177, lSS9j die anschauung aufgestellt hat,
dass im germanischen wie im slavischen die composition mit
prätixen alle imperfectiven verba zu perfectiven umwandelt.
Dahm leitet aus der angenommenen völligen perfectivierung
durch gi- alle anderen functionen ab, die gi- im laufe der zeit
auf syntaktischem gebiete angenommen hat, und bespricht im
ersten teile seiner arbeit (nach einer einleitung s. 9 — 15j zu-
nächst allgemein die Verwertung des Unterschiedes der actions-
arten bei tempus- und modusunterscheidung (s. 16 — 33), uzw.
1. gi- beim präsens im allgemeinen; 2. gi- beim präsens im sinne
eines relativen perfects; 3. gi- beim präsens zur bezeichnuug des
I futurs; 4. gi- beim präsens zur bezeichnung des ii futurs;
5. gi- beim imperativ und optativ; 6. gi- beim Präteritum; 7. gi-
beim prät. zur bezeichnung des plusquamperfects ; S. gi- beim
part. präs.; 9. gi- beim part. prät.; 10. gi- beim infinitiv; 11. ^i-
in verallgemeinernden Sätzen, als ii teil schlielst D. (s. 34 — 92)
eine vollständige aufzählung aller im Tatian und Boethins vor-
kommenden verbalen belege an, in der er die bedeutung der sim-
plicia und composita sorgfältig vergleicht und dann auch eine
betrachtung der vermeintlichen perfectiva simplicia und eine
erwähnung der nicht perfecti vierbaren durativa folgen lässt.
Ref. steht nicht ganz auf dem standpuncte Streitbergs, son-
dern muss, trotz allem was über den gegenständ seit Streitbergs
grundlegender arbeit (vom j. 1889) geschrieben worden ist —
Dahm führt auf s. 7 eine artige liste einschlägiger arbeiten auf
— , auf demjenigen beharren, was er im j. 1895 in seiner an-
zeige von AVustmann Verba perfectiva im Heliand fAnz. xxi 198)
gesagt hat: 'es wird . . . eine resultative würkung des präfixes
anzuerkennen sein, veranlasst durch dessen eigene materielle be-
deutung — bei gi- das zusammenfassen der tätigkeit — und
eine perfective, die sich aus jener durch fortgesetzte ent-
wicklung, gleichsam durch vorausnähme des angedeuteten endes
ergeben hat. — der unterschied zwischen den germanischeu und
den slavischen sprachen scheint mir nun der zu sein, dass diese (die
slavischen) . . . fast ausnalimslos zur zwingend und momentan per-
fectivierenden würkung des prätixes fortgeschritten sind, jene (die
germanischen) in den meisten fällen bei der resultativen stehn
bleiben und nur ausnahmsweise — aber [im got.] doch wenig-
stens bei ga- (gi- ge-} sicher — das Stadium der würkllichen
LITTEKATURXOTIZEX 1 S3
momentanen perfectivierung erreicht haben, doch ergibt sich das
immer eher aus der ganzen Situation und den begleitenden um-
ständen der handlung, als etwa aus dem prätix an sich, welches
so gut wie niemals eine zwingend und unausweichlich perfectivie-
rende würkung äufsert. das hatte wol Grimm im sinne, als er
in ganz richtiger erkenutuis der Sachlage nur von "spuren'
dieses grol'sen bedeutungsunterschiedes der Zeitwörter im deutschen
sprach; der anlauf ist unzweifelhaft vorhanden, die Scheidung
aber niemals zu so entschiedenem durchbruch gelangt, wie im
slavischen'.
Dahms sorgfältige Untersuchung der Verhältnisse im Tatian
und in Notkers Boethius erbringt — für mich wenigstens — den
vollgiltigen beweis, dass im ahd. noch viel weniger als im goti-
schen von einer vollkommenen zwingenden perfectivierung der
verba durch prälixe die rede sein kann.
Prag 24 märz 1910 V. E. Mourek.
Die bau- und kunstdenk male von "Wiener -Neu-
stadt in ihrer unterrichtlichen bedeutung. von hauptlehrer
Karl Biirkleu. mit 70 abbildungen. Wiener-Neustadt, A. Folk
comm.-verlag. 1910. 84 ss. 8". 1 kr. 40 hlr. — "Wiener-Neu-
stadt, bekanntlich eine gründung des Babenbergers Leopold v,
bietet in seinen kirchlichen und profanen denkmälern von der
romanischen periode bis herab zum barock und rococo eine
reiche fülle guter beispiele für den gang der kunstentwickelung.
mit sicherer localkunde, guter beherschung der allgemeinen kunst-
geschichte wie der technischen ausdrücke und grofsem päda-
gogischem geschick hat der Verfasser dies günstige material
sowol zur einprägung der einzelnen stilepochen wie der haupt-
tatsachen der ortsgeschichte verwendet, dazu ist das büchlein,
durchweg nach eigenen Zeichnungen B.s, so trefflich illustriert,
dass es über seinen nächsten zweck hinaus, die candidaten des
Neustädter lehrerseminars in die kunstgeschichte einzuführen
und mit den grundbegriffen der Stadtanlage, fortiheation usw.
vertraut zu machen, belehrung bietet und als ein gutes muster
zur nachahmung empfohlen werden kann. freilich dürften
nicht für viele anstalten die örtlichen Verhältnisse gleich
günstig liegen. E. S.
"Wie man vor Hohenküngsperg gezogen ist und wie es
gewunnen wart. Zuo nutz und fromm all derer / so der altten
vesten und purgen liebhabere sint / ans liecht gestellet und mitt
figurlin gezieret / von eim truckerherren und eim magistro ar-
tium. Anno Christi 1909. [Strafsburg, Heitz] 53 ss. S ^K 2,50 m. ~
Der streit um die Hohkönigsburg, der hier von p. Heitz von Strafs-
burg und dr E. Major von Basel in altertüraelnder spräche sieg-
haft augekündigt, aber — zum glück — in unserem heutigen
deutsch ausgefochten wird, spitzt sich in der sache mehr und
mehr auf die frage nach der gestalt des grofsen bergfrieds zu.
184 IJTTERATURXOTIZEN
hier ist Bodo Ebhardt zweifellos unterlegen: dass der Oberteil des
bergfrieds im 15 und 16 jli. rund gewesen sei, kann wol keinem
zweifei mehr unterliegen, im übrigen darf der moderne architekt
gerade mit der auf findung- der ältesten abbildung (kupferstich
nach einer Zeichnung des Hans Baidung von 1514) recht wol zu-
frieden sein, die gegenüberstelluug des neubaus und dieser Zeich-
nung auf s. 12. 13 baut ihm in der tat *ain gülden prucke'.
dass die neue Hohkönig-sburg für sich ein eindrucksvolles bau-
werk ist, bezeugen alle besucher, dass sie in der landschaft eine
höchst reizvolle Silhouette bildet, geb auch ich zu, obwol es mich
nicht lockt zu ihr hinanzusteigen — sowenig wie zu dem krieger-
denkmal auf dem K3"ffhäuser. — die kritische prüfuug der altern
beschreibungen und der von Ebhardt und seinen freunden ange-
zogenen oder angefochtenen bilder ist mehrfach methodisch lehr-
reich; so wird der ganze bericht Pfenuingers v. j. ISOO zuver-
lässig und wertvoll, nachdem der eine fundamentalirrtum in der
Orientierung aufgedeckt ist (s. 18). recht unsicher bleibt noch
die älteste baugeschichte ; wenn hier (s. 28) 'an den um 1170
vollendeten kaiserpalast in Gelnhausen' erinnert wird, so ist das
ein mehr als unsicheres datum : der beste kenner der Geinhäuser
baudenkmäler LBickell war überzeugt, dass die kaiserpfalz in
der hauptsache erst nach dem tode Friedrichs i erbaut sei: schon
die einwürkung der sicilischen sculptur weise darauf hin.
E. S.
Die dramatischen bearbeituugen der Pyramus-
Thisbe-sage in Deutschland im 16 und 17 Jahrhundert,
von Alfred Schaer. Schkeuditz, Schäfer 1909. 127 ss. 80. 2,40 m.,
geb. 3,40 m. — S. verfolgt den novellenstoff von Pyramns und
Thisbe durch die ältere literatur, das Volkslied, die localsage
und die bildende kunst (s. 9 — 53j, wobei auch die vor- und nach-
geschichte des 'Peter Squenz', ohne neue aufschlüsse, mitbehandelt
wird (s. 43 ff, dazu s. 106 ff), und gibt dann im 'speciellen teil'
zunächst s. 54 — 81 sehr ausführliche Inhaltsangaben von sechs
recht geringwertigen niederländischen und deutschen dramen aus
der zeit von ca 1520—1623; s. 82 — 90 wird das Verhältnis
dieser stücke und die 'entwickelung des Stoffes' in ihnen be-
sprochen, s. 91 — 105 werden ihre beziehuugen zu den Volks-
liedern des gleichen motivs erörtert — alles sehr brav und
gründlich, aber so wenig unterhaltsam wie die dramen selbst,
übersehen hat der verf. das 1 30 verse umfassende Zwischenspiel
CIlaQegyov dum venit Actaeon'), welches Isaac Gilhusius in seine
komödie 'Grammatica" (Frankfurt a. M. 1597) s. 75 — 80 einge-
schaltet hat (act in sc. 7).
Mit einigem schrecken hat mich die ankündigung des Vorworts
erfüllt, dass drei dieser öden stücke, darunter zwei handschrift-
liche, in einer publication des Stuttgarter Litterarischen Vereins
zusammengef asst werden sollen, hat der Litterarische verein würk-
UTTERATURNOTIZEN 185
lieh nichts besseres zur hand als diesen abfall der literatur, den
selbst die drucklustigen Zeitgenossen der Veröffentlichung nicht für
wert gehalten haben? E. S.
Zwei Leipziger liederhandschr if ten des 17 j ahr-
hunderts. als beitrag zur kenntnis des deutschen volks- und
Studentenliedes herausgegeben von Karl Ernst Blümiiil [==Teutonia
hrsg. V. W. Ulli 10 heftj. Leipzig, Avenarius 1910. xxiii u. 1 17 ss
8 0. 3,50 m. — Das liederbuch des Leipziger Studenten Christian
Clodius von 1669, aus dem der erste teil schöpft — es war der
grofsvater des Medondichters goethischen andenkens — ist seit
1S91 durch die Berliner dissertation von WNiessen näher be-
kannt und nach der musikalischen seite gewürdigt, dann hat
Bolte (1896) einzelne lateinisch-deutsche stücke daraus publiciert
und schlielslich den grob-erotischen abschaum Blümml selbst in dem
unappetitlichen büchlein 'Aus den liederhandschriften des Studenten
Clodius und des fräuleins von Crailsheim' (Wien 1908) ge-
schöpft, jetzt gibt B. ein vollständiges Inhaltsverzeichnis mit
breiten litteraturnachweisen und druckt von den im ganzen 108 nrr
29 weitere stücke ab, die entweder unbekannt oder doch nicht
jedermann zugänglich sind. — den zweiten teil des heftes füllen
mitteiluugen aus der liederhs. dreier Leipziger Studenten (1683,95),
auf die zuerst Zarncke (1888) hingewiesen hatte: hier wird die
grölsere hälfte (25 von 47 nrrj zum abdruck gebracht, obwol
darunter sehr bekannte und oft gedruckte stücke (zb. von ChrWeise)
sind. — herr Blümml hat sich nach seiner weise mühe gegeben :
einmal hat er die personalien der familie Clodius ermittelt,
dann aber eine menge bücher zusammengeschleppt und diese so-
gar — zum wievielten maleV — auf s. ix — xxiii verzeichnet:
'Litteratur über das ältere deutsche Volkslied', aber er verrät
wie früher einen stumpfen geschmack — und mit der 'germa-
nischen Philologie' hat auch dieses lieft der Teutonia nur
einen stofflichen Zusammenhang. E. S.
The Elizabethau Shakespeare, w iutroductions a. notes by
William Henry Hudson. London, G. Harrap & co. o. j. kl. 8".
3. The Tragedie of Julius Caesar, xl u. 168 ss. (u. 14 bil. un-
paginiert).
4. The Winters Tale, xlviii u. 210 ss. (u. 13 bll. unpagiuiert).
Die ausgäbe, die ich Anz. xxxii 107 ff kurz charakterisiert
habe, geht ihren gang unbeirrt weiter, da die bändchen für den
einzelverkauf berechnet sind (der preis ist vor nr 4 auf je 1 s.
6 d. angegeben, statt wie bisher 2 s. 6 d.), so wird vor jedem
die 'general preface' widerholt, welche die wunderlichen principien
des herausgebers entwickelt, ich vermag nach wie vor nicht ein-
zusehen, wieso einem leser der elisabethanische Shakespeare näher
gerückt werden soll durch die peinliche bewahrung von druck-
fehlern wie rhen (für then), gtacious (für gracious), Ant. für Aut.,
Beleeee (für Beleece), Sphephenl, H.dke, zumal die einrichtung der
ausgäbe im übrigen durchaus kein bild des zu gründe gelegten
186 LITTEKATURNOTIZEN
druckes gibt, dabei verfälirt der herausgeber in den fulsnoten,
die den leser stets gewissenhaft darauf aufmerksam machen, dass
er hier einem druckfehler der ersten folio gegenübersteht, ganz
inconsequent ; man list etwa .1. C. s. 44: ^Artimedorus : misprint
1 F', aber s. 66: 'Brntus: Brutus — 2-4 F'.
Die Überlieferung der beiden neuen stücke beginnt mit der
ersten folio (1623) und ist gut, beim J. C. sogar recht gut; die
neue aufläge der vortrefflichen ausgäbe AlSchmidts, welche HCon-
rad (Bej'lin 1905) besorgt hat, lässt die puncte an denen kri-
tische zweifei aufgetaucht sind, bequem hervortreten, die be-
kannteste stelle ist wol ii 1,45 (der Zählung Hudsons) 'Im not
to morron- {Boy), the first of MarcJi?' wo H. der seit Theobald
in England recipierten änderung uhs folgt, während die deutschen
editoren Delius und AlSchmidt (Conrad) m. e. mit gutem gründe
bei der Überlieferung bleiben; ich begreife vor allem nicht, wie
man bei der einführung von ides an dem sing, is festhalten kann,
Shakespeare selbst weils doch, dass das ein plural ist, und sagt
so III 1,5 T/ie Ides of March are come\ — die anmerkungen
geben in grofser ausführlichkeit die quellenstellen aus Norths
Plutarch, ohne gebührend hervorzuheben, wo sich der dichter
(wie in iii 2) ganz von der vorläge frei macht.
Die nichtbeachtung der deutschen forschung tritt wie in der
textkritik so auch in den beigaben über die quellen zu tage, wo
im übrigen die neuste literatur benutzt scheint, dass es Jusserand
vorbehalten war 1907 zu entdecken, woher der prinzliche schäfer
Florizel stammt, ist um so merkwürdiger, als doch Dunlop in
seiner History of tiction von dem 10 buche des Amadis (Florisel
de Niquea) eine ausführliche Inhaltsangabe geboten hatte. E. S.
Beiträge zur geschichte und Charakteristik des
deutschen sonetts im 19. Jahrhundert, von dr. Theodor
Fröberg. St. Petersburg, commissionsverlag Eggers und Co.
1904. 80. VIII -4- 212 SS. 4 m. — Welti hat seine ge-
schichte des deutscheu sonetts bis auf Platen und damit
seiner meinung nach von ihren anfangen bis zu ihrem
höhepuncte geführt. Früberg giebt jetzt die fortset^ung bis
zur gegenwart. fortsetzung freilich nicht in dem sinne, dass
er sich auf den boden von Weltis anschauungen stellte, er
polemisiert im gegenteil häufig gegen seinen Vorgänger und ver-
wi)"ft vor allem die ansieht Weltis, dass Schlegels und Platens
dichtung ein für alle mal dem deutschen sonett die richtungs-
linien vorgezeichnet hätten, an diesem einspruch ist manches
berechtigt, sicher schnürt die Schlegel-Platensche sonett-doctrin
die f ormentwicklung des sonetts zu sehr ein und nimmt ihm
manche möglichkeit künstlerischer Wirkung, was Fröberg über
die Verwendung des stumpfen reimes und über den freieren bau
im allgemeinen schreibt, wird man nur billigen können, nicht
dagegen, was er über die inhaltliche seite der frage denkt.
LITTERATUKNOTIZEN 1 S 7
die Worte A. W. Schleg-els, dass das sonett 'die durch philusopliie
gesteigerte und so auch in die poesie tibergehende selbstanschauung
des geistes' ausdrücken soll, mögen uns zu sehr nach roman-
tischer speculation klingen, dass ein wertvoller in lebendige
reflexion eingetauchter Inhalt für diese kunstvolle form nötig ist,
scheint mir unurastöfslich, und ich muss defshalb Fröberg wider-
sprechen, der in Heyses sonettgenrebildchen wegen ihrer unbe-
streitbaren leichtigkeit der form einen gipfel deutscher sonett-
dichtung entdeckt, mir erscheint diese Verwendung der sonettform
einfach als ein mifsgriff und ich empfinde bei den meisten stücken
des "Italienischen skizzenbuchs' einen jede stärkere Wirkung ver-
nichtenden Widerspruch von form und Inhalt, die 'gemessenheit
und spröde würde eines Platen' wurzelt meiner meinung nach
in einem tieferen Verständnis des sonettes als Heyses Virtuosität,
freilich sind andrseits manche ausstellungen Fröbergs an
Platenschen sonetten nicht unberechtigt.
Fröbergs arbeit zerfällt in einen principiellen und einen
historischen teil, gut, wenngleich eben nicht in jedem satze zu
unterschreiben, ist der principielle. dagegen hat die geschicht-
liche darstellung arge mängel. es wäre wol besser, nachdem im
ersten teil ausschliefslich vom formalen die rede war, nun vom
inhaltlichen aiiszugehn und etwa das politische, das charakteri-
sierende, das stimmnngssonett für sich zu betrachten, es liefse
sich dann die Stellung des sonetts in der deutschen litteratur
viel klarer herausarbeiten und die frage der ausdrucks möglich -
keit viel schwerer umgehn als bei der jetzigen anläge, auch
ein historischer verlauf ergäbe sich dabei eher als bei Fröbergs
anordnung. Fröberg gruppiert nämlich die dichter in der haupt-
sache nach ihrer geographischen Zusammengehörigkeit, nach
einem rückblick von Wirsung bis auf Platen, nach den politischen
lyrikern der vierziger jähre, bringt er den Münchener dichter-
kreis (bei dem man am ehesten von gemeinsamen zügen reden
kann), die Schweizer, die Österreicher, am schluss giebt er durch
das kapitel: 'Andere dichter' die untauglichkeit seiner anordnung
gleichsam selber zu. die einteilung ist denn auch äufserliches
Schema geblieben und hat Fröberg verleitet, ohne rechten ge-
sichtspunkt zu arbeiten, bald wird inhaltliches, bald formelles
herausgegriffen, und überdies herschteine unerträgliche citiermanier,
die einzelne verse mit berichtender prosa fortwährend zusammen-
koppelt, damit habe ich an den wundesten punkt des buches
gerührt, und es ist meine pflicht, in abschliefsender Charakteristik
einen allzu ungünstigen eiudruck meiner kritik zu verhindern,
das positive, fördernde überwiegt an dem buche durchaus, es
steckt trotz aller unfertigkeit voll guter eiuzelbeobachtungen und
entschiedener urteile, die auch dann zu bedenken geben, wennsie
mir falsch zu sein scheinen.
Leipzig, den 23 august 1909. Friedrich Schulze.
188
LITTEBATüENOTIZEN
Die götter Griechenlands, von Schiller bis zu
Heine. Berliner dissertation von Herinaim Friedomaun 76 ss.
8°. — Mit der sprachkunst und dem unruhigen reicbtum
der Berliner litteraturkritik ausgestattet, verfolgt Friedemann,
wie die 'parole', die Schiller 178S mit den •Göttern Griechenlands'
ausgab, in der deutschen litteratur weiter würkte.' Griechentum'
ist in diesem verlauf ebensowenig ein gleichbleibender historischer
wert, wie sein gegensatz: 'Christentum', beide sind nur 'symbole
streitender Weltanschauungen', von wechselndem Inhalt, dauernd
nur in ihrem dualistischen Verhältnis, letztes ziel aber ist die
'Überwindung des dualismus durch das zeitlose menschentum'.
schon Schiller hat es geahnt, er selbst kommt aus der negation
nicht heraus, aber er erwartet die Vereinigung der gegensätze
von einer kommenden zeit. (anmerkuug zu einem aufsatz
WvHumboldts, s. Friedemann s. 66). auch bei Heine, 'dem recon-
valescenten der romantik', der bald mit ironisch durchsetztem
mitgefühl, bald mit unverhtilltem spott die depossedierten Griechen-
götter darstellt, leuchten über Siegern und besiegten, Nazarenern
und Griechen, 'die Sterne eines neuen glaubens'. überwunden
aber ist der gegensatz nur von Goethe: 'durch langsames Wachstum
von anbeginn'. Goethe prägt die formel: 'jeder sei auf seine
art ein Grieche' und weist mit ihr am meisten in die zukunft.
Leipzig. Friedrich Schulze.
Georg Büchners Gesammelte Schriften in 2 bänden
herausgegeben von Paul Lundiiu. Berlin, P. Cassirer 1909. 254
u. 207 SS. 8". 10 m. — Über den wert dessen was uns Georg
Büchner von litterarischer production hinterlassen hat, und über
die hoffnungen die mit seinem frühen tode begraben worden
sind, darf man recht wol andrer meinung sein als der heraus-
geber — unzweifelhaft ist dieser revolutionär mit den aristo-
kratischen allüren eine anziehende erscheinung, und für den
litterarhistoriker doppelt interessant, weil er aus dem jungen
Deutschland heraus zurückweist auf die zeit des Sturms und
drangs (Lenz) und der romantik (Brentano) und vorausdeutet
auf den naturalismus vom ende des 19 jh.s. um Büchners nach-
lass hat sich KEFranzos, dem wir die erste gesamtausgabe
(1879) verdanken, mit wahrhaft rührender hingäbe bemüht, und
es ist ihm von der familie mit schnödestem undank gelohnt
worden, was Franzos in der 'Deutschen Dichtung' bd 29 (1901),
s. 195 ff. 289ff notgedrungen — aber leider allzu umständ-
lich — von der eitelkeit, dem eigennutz und der unwahr-
haftigkeit der geschwister Büchner berichtet hat, stellt wol die
schlimmste erfahrung dar die je einem herausgeber begegnet
ist. darum war es nicht nur anstandssache, sondern ehrenpflicht
für Landau, des verdienten Vorgängers anders zu gedenken, als
flüchtig da wo er von ihn: abweicht, wie in der scenenordnung
des 'Wozzeck'. auf die handschriften, mit denen sich Franzos
LITTER ATUBXOTIZEX 189
SO viel mühe gegeben hatte, ist doch L. offeubar nirgends zu-
rückgegangen, der wert der neuen ausgäbe ligt hauptsächlich
in der umfangreichen biographie (bd i s. I — 169) und den ein-
leitungen zu den einzelnen werken, die aber gewis zu ihrem vor-
teil knapper ausgefallen wären, wenn sie der verf. nach statt
vor der biographie geschrieben hätte, mit der ausgäbe selbst
hat er sich nicht viel mühe gegeben: die bände haben kein
Inhaltsverzeichnis, und die druck versehen der früheren ausgäbe
kehren selbst in der falschen typeuwahl mancher scenischer be-
merkungen wider; dass das personenverzeichnis zum 'Danton'
unvollständig war (es fehlen Amar und Vouland s. 23Sf), hat L.
selbstverständlich übersehen, der satz ist hier und da peinlich
unsauber, und beim druck sind auf manchen selten meines
exemplars !zb. bd i s. 194. l'K'i) die spiefse in einer weise her-
vorgetreten, dass der kunstverlag von PCassirer mit der äulsern
erscheiuung dieser ausgäbe keine ehre einlegt. E. S.
Leutholds lyrik und ihre Vorbilder von Margaretlia
Plüss. diss. Bern. VI. 92 ss. 8^. — Mit scharfem äuge hat
die verf. Leutholds lyrik duchmustert und charakteristische
reminiscenzen (bes. aus Lenau, s. 31) herausgehoben, ganze stil-
eigenheiten wie (s. 36) die metaphern mit einem im genetiv
stehnden abstractum {Wüstcnstauh des Lel>ens, bei Lenau Wüsfen-
sand des Lehens) entnimmt er dem virtuosen des pessimismus.
selbst im Sprachgebrauch bleibt er (mit Geibel, s. 38) von Lenaus
compositis mit ge- in der fuge {Lenzgekose, Apenningeklilf) ab-
hängig, und wie von Lenau ist er von Heine (s. 38), von Platen
(s. 49) in der lyrik, in der satire widerum von Heine (s. 52. 55)
bedingt, das ist alles unwiderleglich erwiesen, und doch —
wenn die verf. (s. 56 f bes. s. 58) eigentlich nichts originelles
übrig lässt, hat sie unrecht, die milderung, er sei 'kein simpler
nachahmer', aber fast alles sei bei ihm nachempfunden (aao.)
genügt nicht. es hätte ausgesprochen werden müssen, dass
Leuthold bei aller abhängigkeit im einzelnen im ganzen neues
schafft — wie ein mittelhochdeutscher oder romanischer kunst-
dichter, im hijheren grade als alle seine Vorbilder besitzt er die
kunst der liedmelodie, des durchcomponierens. Platen mangelt sie
gänzlich; Lenau hat sie bei kleinen abständen der Stimmungen;
Heine besitzt sie souverän, aber mehr in der Virtuosität der
inneren melodie als der eigentlichen klangführung. Leuthold
aber schafft hierin ganz neues, um so erstaunlicher als er es
aus mosaiksteinchen schuf. Ricliard M. Jlcjer.
Raabes Hollunderblüte von Marie Speyer. Regensburg,
Habbel 1908. [Deutsche quellen und Studien, hsg. von prof. dr.
WKosch 1. heft.] 127 ss. 8''. 2,40 m. — Die Verfasserin
überschätzt die bedeutung der kleinen erzählung WRaabes ganz
gewis. weder gesondert betrachtet noch innerhalb des Raabeschen
Schaffens verdient die 28 selten lange 'Hollunderblüte' (jetzt im
190 LITTEKATUKXOTIZEN
1 bde der 'Gesammelten erzählungen) eine wissenschaftliche be-
handlnng-, die 121 selten beansprucht, für Marie Speyer (s. 119
ihrer schrift) ist die erzählung- 'nicht liaabes gröste, nicht seine
bedeutendste und tiefste dichtung, vielleicht aber in seinem
ganzen schaffen die schönste', wäre die erzählung würklich so
bedeutsam, so lohnte es sich zweifellos, die beziehungen zu
andern Schriftstellern und litterarischen richtungen sowie ihr Ver-
hältnis zu gröl'seren werken des dichters (geschrieben ist die
Hollunderblüte 1862) aufzuzählen, aber die eifrigen bemühungen
M. Sp.s stehn in keinem Verhältnis zu ihrem gegenständ: denn
es handelt sich nur um eine dichtung mittleren wertes, fast um
eine skizze.
Die heldin der erzählung, die herzkranke, nicht zum leben
berufene Jemima wird (s. 32 ff) mit Goethes Mignon und Immer-
manns Fiametta in Verbindung gebracht, dem kann man zu-
stimmen; nur müste gesagt werden, dass es sich bei Raabe
nicht um eine so sehr besondere gestalt handelt, sondern dass
es in der neueren novellistik überhaupt sehr viele solcher
zigeunerartiger wesen gibt, die ein kurzes traumdasein führen,
und dass Jemima, wie solche spätromantische novellenheldinnen
öftei", ein wenig schwächlich und blass gezeichnet ist. scheinen
mir hier die beziehungen Raabes zur romantik keineswegs sehr
rühmlieh für ihn zu sein, so muss ich an andrer stelle rund ab-
streiten, dass solche beziehungen überhaupt vorhanden sind.
wenn einmal zwei deutsche philister vom dichter ironisch be-
trachtet werden, so ist es ganz und gar unnötig, dabei an den
philisterhass Friedrich Schlegels oder Brentanos zu denken
(s. 52 f). und so eröffnet M. S. auch sonst bei geringfügigen
gelegenheiten gewaltige perspectiven, die man nicht ernst
nehmen kann.
Raabes eigenart scheint mir die vf. im allgemeinen richtig
erfasst zu haben, trotz ihrem grundirrtum über die bedeutung
der Hollunderblüte. der gegensatz seiner meist um ideen be-
mühten darstellungsart zu Storms Stimmungsnovellen wird (s. 54)
richtig hervorgehoben, trotzdem wird es schwer, ein wissen-
schaftliches buch zu lesen, in dem schliefslich jeder vierte satz
einer so kurzen erzählung besonders behandelt wird, man muss
an andrer stelle mit der Raabeforschung einsetzen; es ist dem
dichter wenig damit gedient, wenn zb, möglichst alle werke auf-
gezählt werden die Prag poetisch schildern, nur weil er
hier einmal Prag geschildert hat. der stimmungsgehalt der
Hollunderblüte war leicht und kurz zu charakterisieren;
einen motivenreichtum kann man ihr überhaupt nicht zu-
sehreiben, da sie, wie gesagt, skizzenhaft gehalten ist. begreift
man doch kaum, wie dies kurze merkwürdige erlebnis so grofse
bedeutung in dem leben des gealterten arztes hat gewinnen
können, den Raabe zum erzähler macht.
LITTEßATUKXÜTIZEX KLKIXE MITTEILUNGEN 191
Im ganzen muss ich über die besprochene schrift trotz dem
eifer der Verfasserin sagen: derartige arbeiten, die zum grüi'sern
teile uuuotwendig und überflüssig sind, nützen dem ruf der
litteraturgeschichte nicht, und man sollte aufhören, sie für den
druck zu schreiben und in Sammlungen aufzunehmen.
Karl Frevo.
KLEINE MITTEILUNGEN.
Herinian. Zs. 35. 264 fügt Kossinna zu den ebenda s. 172 ff
von Mommsen mitgeteilten quellenstellen für herlman als be-
zeichnung der von dem oströmischen Oberbefehlshaber Justinian
gegen die Perser im j. 575 jenseits der Alpen geworbenen liilfs-
truppen noch das zeugnis des Johannes von Ephesus, wonach
unter diesen Söldnern sich 60 000 Langobarden befunden haben
sollen, kürzlich hat auch WSchulz in einer besprechung von Bla-
sels Wanderzügen der Langobarden (Mannus 2,253) die angäbe
des syrischen historikers als beleg dafür verwertet, dass auch
nach dem jähre 56S noch Langobarden nördlich der Alpen ge-
sessen hätten, in Wahrheit kann hiervon keine rede sein, an
dem zuge nach Italien war das ganze volk beteiligt, wie die
quellen (Marius chron. a. 569; Paul. Diac. ii, 7 ; Prosp. Havn.:
Chron. min. i 337) ausdrücklich angeben, ebenso fehlt jeder
anhält dafür, dass von den Langobarden au irgend einer früheren
Station ihrer Wanderung ansehnliche reste zurückgeblieben seien,
wenn die bewohner der Stadt Tela von einem starken (die zahl
60000 ist natürlich auf alle fälle Übertreibung) langob ar-
dischen hilfsheer gesprochen haben, so kann dies nur in der
absieht geschehen sein, den Persern furcht einzuflöfsen; der uralte
kriegsruhm der Langobarden hatte infolge der ereignisse der
letzten jähre (Vernichtung des Gepidenreiches ; eiuzug in Italien)
eine erhebliche Steigerung erfahren.
Dresden. Ludwig Schmidt.
Biterolf. KObser macht mich dankenswert darauf aufmerk-
sam, dass über das 'alte Freiburger geschlecht" der Biterolf Kindler
von Knobloch in seinem Oberbadischen geschlechterbuch bd i
(1898) s. 95 nähere angaben bietet, danach tritt ein 'Chuno
bitterolf schon 1213 auf: in einer Urkunde der grafen von Pfirt
für das kloster Pairis; erloschen scheint das geschlecht 1592 mit
dem kammerrat und landschreiber der markgrafschaft Hachberg
Jacob Bitterolf von Elchingen. — die Wahrscheinlichkeit dass der
Alexanderdichter 'her Biterolf, den Rudolf von Ems seinen freund
nennt (Beitr. 29,461; Zs. 51, 152 n. l), dieser alemannischen
familie angehörte, ist durch den Chuno Bitterolf von 1213 noch
gröfser geworden, und damit empfiehlt sich auch mein einfall
(Zs. 51, 153), dass der Alexander des herrn Biterolf in enger be-
192 KLEINE MITTEILUNGEN PEESONALNOTIZEN
ziehunj? zu dem Alexander des herrn Bertliold von Herbolzlieim
gestanden habe, vielleicht nur eine fortsetzung dieses für Bert-
hold V von Zähring-en (t 1218) geschriebenen, nach Rudolfs an-
gäbe unvollständigen werkes gewesen sei, ernsthafter erwägung.
E. S.
PERSONALNOTIZEN.
Am 28 juni endete ein tragischer tod im 59 jähre das er-
tragreiche leben Heinrich zimmeks. nachdem er den deutschen und
indischen Studien den rücken gekehrt, hat er mit unvergleichlicher
energie die keltische philologie in allen ihren zweigen umfasst
und bis tief hinein in kirchengeschichte und wirtschaftsgeschiclite
bahnbrechende arbeit geleistet.
Am 13 august verschied in Strafsburg, 69 jähr alt, ernst
MARTIN, der der spräche und litteratur des Elsass durch die
mehr als 30 jähre seiner Strafsburger würksamkeit seine
freudige arbeit geweiht, aber auch sonst auf den verschiedensten
gebieten unserer Wissenschaft eine ungewöhnlich reiche production
entfaltet hat. die litteratur der deutschen heldensage, der gral-
sage, der tiersage verdankt ihm die wertvollsten förderungen,
das band mit der niederländischen philologie hat er neu ge-
knüpft, die enge Verbindung unserer Studien mit der romanischen
philologie tätiger als irgend ein anderer unserer fachgenossen auf-
recht erhalten.
Als dritter Strafsburger germauist ist diesen beiden am
1 1 august KARL KOCHENDÖEFFER im tode gefolgt, der am 1 4 august,
nach langen qualvollen leiden, 53 jährig in seiner Vaterstadt
Kassel gestorben ist. noch auf seinem krankeusessel hat er
sich mit der deutschordenslitteratur beschäftigt, der er in seiner
Königsberger amtszeit näher getreten war. —
Der Senat der freien und hansestadt Hamburg hat auf
einen neubegründeten lehrstuhl für deutsche, insbesondere nieder-
deutsche spräche den professor dr conrad borchling zu
Posen berufen.
Der privatdocent dr friebrich brie zu Marburg folgt
einem ruf als ao. etatmäl'siger professor der englischen philologie
an die Universität Freiburg i. Br. ebendort erhielt der privat-
docent der englischen philologie dr, eduard Eckhardt den titel
eines ao. professors.
Der Ordinarius der deutschen spräche und litteratur an
der Universität Lemberg dr bichard maeia werner ist wegen
seines gesundheitszustandes um Pensionierung eingekommen.
ANZEIGER
FÜR
DEUTSCHES ALTERTUM UND DEUTSCHE UTTERATUR
XXXIV, 4. december 1910
Altfränkische gramixiatik vou dr. J. Franck. [Grammatiken der
althochdeutschen dialekte ii. band]. Göttingen, Vandenhoeck und
Ruprecht 1909. viii u. 271 ss. — 7.80 m.
Der altbairlsclien grammatik hat sich nun die altfränkische
beigesellt, dass ihr Verfasser Franck, der schon auf dem ge-
biete des älteren niederfränkischen seine kraft erprobt, die an
ihn gestellten erwartungen erfüllen werde, war vorauszusehen,
und wir dürfen uns seiner leistung freuen, mag auch das eine
und das andre daran verbesserungsbedürftig sein, die anordnung
ist im wesentlichen dieselbe wie bei Schatz; einen fortschritt in
der gruppierung bildet zweifellos der abschnitt über den vocalis-
mus nebentoniger silben: die vocale in der compositionsfuge
werden selbständig behandelt, desgleichen werden assimilation,
vocalschwächung usw. von den übrigen erscheinungen abgetrennt,
dass dabei manches unsicher bleibt, ist bei der Schwierigkeit der
Probleme begreiflich.
Verwickelter als auf obd. sprachboden sind die sprachlichen
Verhältnisse des ahd. auf fränkischem gebiete, dem verhältnis-
mäfsig einheitlichen lautstand im altbair. und altalem. steht hier
eine mundartliche mannigfaltigkeit gegenüber, die zudem vielfach
verschoben und verwischt wird durch ausgleichungen und beein-
flussungen orthographischer art. unangenehmer als anderswo
emplindet man hier, wo infolge der gröfseren dialektischen Ver-
schiedenheiten die zahl der möglichkeiten eine gröfsere ist, den
schillernden lautwert einzelner zeichen: 2>h kann affricata und
Spirans bezeichnen, scheint aber gelegentlich auch für aspirata
verwendet worden zu sein, so wol im Leid. Williram. aber trotz
diesem übelstand und obwol sichere daten für eine genauere loca-
lisierung der texte fast durchaus fehlen, lässt sich doch mit hilfe
urkundlichen schreibgebrauches, jüngerer sprachquellen und der
heutigen mdaa. für die mehrheit der sprachlichen reste wenig-
stens die einreihung in eine der vier hauptgruppen des hoch-
deutschen fränkisch bewerkstelligen.
Bei den gröfseren texten ist man sich in der hauptsache ja im
klaren : nicht im selben mafse bei den kleineren, vor allem bei den
glossen. da wäre der versuch einer Zugehörigkeitsbestimmung denn
A. F. D. A. XXXIV. 1.3
194 LESSIAK ÜBEK FßANCK
doch wol angebracht gewesen, und wenn der verf. bei seinem
skepticismus, der einl. s, iv und anderwärts zum ausdruck kommt,
schon ghaubte von einer anordnung der belege für die einzelnen
erscheinuugen nach dialektgruppen abstand nehmen zu müssen,
so hätte er doch dem Verzeichnis benutzter quellen eine kurze
Charakteristik der einzelnen glossensammlungen nach den wich-
tigsten merkmalen beifügen sollen, womöglich mit statistischen
angaben, dadurch wären die belege erst so recht brauchbar ge-
worden: so aber stehn die beispiele verstreut unter den einzelnen
Paragraphen, und dem benutzer der grammatik bleibt nichts anders
übrig, als sich selbst eine solche Übersicht anzulegen, wenn er
nicht für jedes wort immer die betreffenden glossare durchmustern
will, zu bedauern ist, was ich auch gelegentlich der be-
sprechung der altbair. grammatik angemerkt habe, dass die ur-
kundlichen belege nicht datiert sind ; zum mindesten hätte in der
einl. einiges über das Verhältnis der numerierung in den ur-
kundensammluugen zur Chronologie angeführt werden sollen, wich-
tigere beispiele hätten aber unter allen umständen die datierung
verdient.
Fr. hat sich (s. vorw'ort s. iii) zur aufgäbe gemacht, das
mittelfränkische quellenmaterial möglichst vollständig auszubeuten,
in anbetracht des mangels an gröfseren mfr. denkmälern lässt
sich dieses verfahren wohl rechtfertigen, aber er hätte deshalb doch
nicht oberfr. Urkundenwerke wie Dronkes Cod. dipl. Fuld. ganz
beiseite schieben sollen ; leider ist auch das thüringische unbe-
rücksichtigt geblieben.
Bevor ich auf einzelheiten eingeh, möchte ich einige allge-
meineren Probleme erörtern, in deren beurteilung ich vom verf.
abweiche.
I. Conso nan tismus. a) germ. h, d, g. mit der in ij G6
ausgesprochenen ansieht, dass /; (»') g im westgerm. (ja im germ.
überhaupt? so wenigstens lässt sich die bemerkung s. 86 unten
auslegen) stimmhafte verschlusslaute waren, dürfte Fr. ziemlich
isoliert dastehen, da vom d abgesehen sämtliche westgerm. sprachen
bis auf den gröfseren teil des hd. darin übereinstimmen, dass sie
aufser in gewissen Stellungen (anl., gemin., mh, log) dafür stimm-
hafte reibelaute haben, und das hd. auch sonst auf einer jüngeren
stufe der consonantenentwicklung steht, scheint es mir ein ge-
wagtes stück, an der bisherigen auffassung rütteln zu wollen.
"Wilmauns Gramm. I § 63 und Behaghel Grundr. i- 7 22, auf die
Fr. hinweist, nehmen Übergang von h, g m b, g nur für das hd. au. die
schiefe bzw. schwankende auffassung des lautwertsvon inl. '/;, g' im
vorahd. wurde veranlasst durch falsche beurteilung mundartlicher
Vorgänge: md. mdaa. und auch ein teil des obd. haben heute Spi-
ranten, während ihre ahd. Vorstufe entschieden auf verschlusslaut
schliefsen lässt. nun, es Aväre allerdings sehr verkehrt anzu-
nehmen, die inlautenden v; g oder eh, die jetzt fast dem ge-
ALTFKÄNKISCHE ÜRAMMATIK 195
samten md. und zt. auch dem obd. eig'nen, setzUn übenill die
altgerm. reibelaute fort, gegeu diese annähme, die namentlich in
dialektgrammatiken begegnet, spricht nicht nur die alte Ortho-
graphie, dagegen sprechen vor allem auch die auslautverhältnisse
in diesen mdaa. auf dem ganzen rhein- und ostfr. gebiet sowie
in ostmittel- und oberdeutschland erscheint im echten auslaut ahd.
h, (j als JA k. freilich sind davon in einer reihe von mdaa. nur
mehr reste in isolierten Wörtern vorhanden, da — zumal in
mdaa. mit früher apokope — der ausl. consonant durch den inl.
verdrängt wurde [llw statt Vq) nach llwer usw. ), aber noch ist
mir keine von den genannten mdaa. untergekommen, die nicht
wenigstens spuren des alten lautgesetzes aufwiese, und nirgends
aufser im mfr. erscheint ausl. /' etwa in ah, gab usw. tritt inl.
w analugisch in den auslaut, so wird es nicht zu f, was damit
zusammenhängt; dass dieses sekundär aus verschlusslaut entstan-
dene w nicht Spirant, sondern (bilabialer) sonor ist. wenn da-
gegen in entsprechendem falle ch auftritt, so ist dies ganz in
der Ordnung, denn y ist im inl. zu wirklichem Spiranten, oft ge-
radezu zu stimmlosem ch geworden; isolierte Wörter wie iveg
(adv.) haben in echter mdaa., soviel ich sehe, überall Ä '.
daraus ergibt sich mit völliger Sicherheit, dass im ganzen oberfr.
(rhein- und ostfr.) und ostmd. zur zeit der auslautverhärtung,
und die reicht ja in die ahd. periode zurück, h und (j als ver-
schlusslaute gesprochen wurden; nur nach r, / und in dem suftix
-i(l scheint y früher als sonst zur spirans geworden zu sein, wir
haben übrigens für dieses wiederaufgeben des verschlusses noch
ein weiteres Zeugnis: den Übergang von anl. Z^ in m; in alten
zusammenszttuugen, vor allem in ortsn.: rheinfr. Frkvrig Fried-
berg, klraltcdr < stn[d)baire, ostfr. Fraiwriv Freiberg, Es^wox
Eschenbach usw. (vgl. dazu aus dem bair. die beispiele bei Schatz,
Imster mda. s. 83 und Beitr. 28, 114); in mfr. mdaa. ist
mir dergleichen nicht vorgekommen, aufser im siegerläud., das
eine ganz merkwürdige mittelstellung zwischen hessisch und mfr.
einnimmt, auch bilab. iv nicht v spricht.
Anders verhält es sich im mfr. dieses weist seit dem ahd.
hinter vocal und nicht homogenem sonorcons. nur spirantischen
auslaut auf: vej weg, af ab usw., aber joßk jung, ravk ring,
klnndk künig, laiiij) lamm, khamp kämm (die beisp. sind dem
luxemb. entnummeu), und es ligt (ebenso wie für das ndfr. und
ud.) durchaus kein grund zur annähme vor, es sei in vorlitte-
rarischer zeit aufser in den bekannten ausnahmsstellungen ein
Wandel der germ. spirans zum verschlusslaut eingetreten, das
mfr. steht überhaupt hinsichtlich der behandluug des b und y
fast vollständig auf derselben stufe wie das ndfr. und nd. das
zeigen auch die mit alter Silbentrennung zusammenhängenden
' soweit daneben formen mit ■/ vorkoiuiueii, \verdi;u .*ie iu der rejjcl
als tleui jüngeren geschlecht angehörig bezeichnet.
10(5 LEÖSIAK ÜBER FRANCK
überg-änge von h vor souorcons. in stimmloses /' zb. moselfr. gäf9l,
rip. javf'dJ gabel, ^f9n eben, von ^ in / zb. moselfr. iydl, eydl igel
(die regelmäfsige Vertretung wäre ./), die auch für das ndfr. (s.
Grundr. I^ 833. 83(i) und für das nd., zt. sclion in as. periode
(Holthausen As. elementarb. § 222, 232) bezeugt sind und
auf der Silbentrennung gah-la beruhen, vgl. auch Sievers Ags.
gramm. § 193, 2 anm. und § 214, 1 anm. 2 '. wenn irgend-
etwas für die annähme Francks spräche, so wäre es die behand-
lung der b in lehnwörtern: vgl. moselfr. äbf alba, kiidrdf korb,
rip. kQr3f u. ähnl. (franz. auhe, corheille), aber hier liegt doch
sicher blofser lautersatz vor wie auch in den oi'tsnamen, wenn
sie nicht schon mit rom. v < h übernommen sind, beispiele wie
Hupert, Ruocger § 107, soweit sie mfr. herkunft sind, beweisen
für urspr. verschlusslaut nichts: Hii:^berht wurde über Hngherlit
zu Hübberht, Hrödger über Hrödger zu Hrögger assimiliert und
diese bb, gg wurden natürlich wie in den übrigen fällen behan-
delt, ebensowenig besagt gelegentliches ausl. c (§ 106, 3; die
meisten angeführten belege scheinen übrigens nicht mfr. zu sein) ;
denn nach § 111, § 117, 3 wird c auch für ch < k und sogar
für germ. li geschrieben, darauf hätte Fr. an der betr. stelle
auch hinweisen sollen.
Natürlich hat spirant. ausspräche des b, g ursprünglich auch
in den andern hd. mdaa. bestanden, und es ist anzunehmen, dass
der Übergang zum verschlusslaut am frühesten im obd., am
spätesten im rheinfr. erfolgt ist. ein consequenter wandel zum
verschlussl. ist aber nur dann zu erwarten, wenn die Verhärtung
vor der westgerm. apokope stattfand, fürs obd. wird dies wol
vorauszusetzen sein, dagegen sprechen die prät. büciph, screiph
(jih = bilab. /'?) im Isidor dafür, dass in seiner mda. die reibeenge
zu gunsten des verschlusses erst nach beginn der apokope auf-
gegeben wurde, dass also zunächst noch inl. b ausl. f nebenein-
ander standen 2, wenigstens in bestimmten fällen : die Verhärtung
könnte in der Isid. mda. etwa erst erfolgt sein, nachdem die -e
der 3 pei"s. prät. verstummt waren, und ausl. e scheint ja in der
tat am frühesten verklungen zu sein (Streitberg, Urgerm. gr.
§ 65, 2). gegen diese Vermutung sprechen freilich seine gab, mac,
(Inioc; doch mag sich ausgleichung früh geltend gemacht haben.
' bei der Silbentrennung ga-dla konnten sich dieselben laute in
gleicher Stellung auch zu verschlusslauten entwickeln, zb. lux. nudhdl
nabel, westlothr. iiebdl aber lux. nä)tdl nebel, rip. icaf/ald wackeln usw.
die beiden entwicklungsphasen sind wol chronologisch verschieden, die
entwicklung zum stimmlosen reibelaut ist anscheinend älter, gemination
ist in fällen wie nn.dbdl nicht anzunehmen: während sich im moselfr. hb
zum stimmlosen verschlusslaut /) entwickelt hat, bleibt hier das It
erhalten, auch das mittel- und nordbair. setzen in solchen fällen keine
gemination voraus.
- darauf weisen auch einzelne mdaa., namentlich das siegerländische,
aber aucli ein teil der hessischen und siebenbürg, dialekte.
ALTFBÄNKISCHK GKAMMATIK 197
Unrichtig oder nur zum teil richtig ist Fr.s beinerkung-
in § 123, dass das moselfr. an der consonantenerweichung
(dh. am Übergang von fortis zur lenis) teilgenommen habe,
das gilt nur für das östl. gebiet, die untere ]\Iosel- und die
Rheingegend bis liinauf gegen das Siegerland, im ganzen westen
— und auch im siebenbüi'gischen — wird fortis und stimmhafte
lenis scharf auseinandergehalten; nur anlautend vor sonorcons.
ist in der Trierer gegend Übergang von b, g in ^j, Ä: eingetreten
(viell. schon früh, vgl. § 77). im übrigen geht die Unterschei-
dung so weit, dass das zu tt verschobene germ. cid auch nach
länge stets als fortis erscheint: zb. lux. däit3n deuten, zäit seite,
pl. zäiidn ahd. sltta, zet saite pl. zeton {*seitfa; daher auch west-
lothr. zeit mit ei uml. nicht zäit; vgl. dazu Anz. xxx 48. die
Übereinstimmung zwischen dem moselfr. und mittelbair. zeigt,
dass die gemin. allgemein galt), andei'seits reicht die 'erweichung'
weit über das rheinfr. hinaus, sie umfasst auch das ostfr. und
ostmd. mit ausnähme des schlesischen und greift über auf das
nordoberdeutsche, aus dem schlesischen geht hervor, dass zur
zeit der colonisation der unterschied zwischen lenes und fortes
im thüring. noch bestanden haben muss. vom südrheinfr. und
westl. ostfr. dürfte die erscheinung ausgegangen sein (vgl. § 123
und die dort angefülirten verweise, die beispiele mit sh, sg sind
allerdings nicht alle beweiskräftig, ebensowenig wie die mit
hd, fd, sd % 101, denn /> und k u. zt. auch ^ waren aulserhalb
des rip. aspirierte laute, s. u. s. 203, es lag daher nahe, unasp.
qualitäten, wie sie den genannten Verbindungen zukamen, mit
dem leniszeichen widerzugeben), diese consonantenschwächung
ist es, die uns den einblick in den urspr. lautstand des oberfrn.
und nordobd. in vieler beziehung erschwert, umsomehr muss den
beiden äufsersten Hanken des md., die die alten Verhältnisse im
wesentlichen rein erhalten haben, beachtung geschenkt werden,
daraus ergibt sich u.a. mit voller Sicherheit, dass der osten die
volle Verschiebung des d zu t durchgeführt hat: ganz entsprechend
der Schreibung in den alten ostfr. denkmälern (nur in der Ver-
bindung germ. Id, nd hat das schlesische die lenis). während
aber das westl. moselfr. und das rip. sich vom urspr. laut-
wert fast gar nicht entfernt und auch das alte stimmhafte
d bewahrt haben, ist das rheinfränkische auf halbem wege
stehn geblieben: alles deutet darauf hin, dass hier, vielleicht
mit ausnähme der randgebiete, stimmlose lenis d gesprochen
wurde; daher die Unsicherheit in der widergabe das lautes,
nur war der süden doch wol insofern auf dem wege zur Ver-
härtung, als hier inlautend eine mehr fortisartige articulation des
d bestand, die annähme, dass die für Otfrid charakteristische
Schreibung deta eine rein orthographische regelung sei, wie Fr.
mit Paul (Gab es eine mhd. Schriftsprache s. 26) und Braune
(Beitr. I, 52) nipint. i«t zwar sehr bestechend, aber wie erklärt
198 LESSIAK ÜBEK FRANCK
sich dann der gebraucli eines teils der späteren südrlieinfr. Ur-
kunden (vg-1. die Schrift von Rülnne), die d und t im selben sinne
zu scheiden bestrebt sind wie Ottr., und dies zu einer zeit, da
nicht mehr das nebeneinander von anl. th inl. d {= ä) die Vertei-
lung begünstigen konnte? dazu kommt, dass der lautstand des
südfr. sich ganz vortrefflich in die allgemeine Verschiebung ein-
fügt, wornach die Veränderung im inlaut früher (und intensiver)
vor sich geht als im anlaut. aspirata darf man natüi'lich hinter
dem aiis germ. d entstandenen laut nicht suchen, und ich weifs
nicht, was Fr. dazu bewogen hat anzunehmen, es könnte t <. d
schon in ahd. zeit gelegentlich aspirieit gewesen sein (§ 87 s. 106
n. 107). wenn die heutigen mdaa. in einzelfällen dafür //? sprechen,
so handelt es sich durchaus um schriftsprachliche lehnwörter
oder um einfluss der schulaussprache. (eine würkl. auffallende
ausnähme ist thaisl deichsei im raoselfr.. wo aber urspr. /; vor-
liegt, regel ist hier ih in unverschobenen Wörtern wie thäiis
tausch, thysdn zwischen, flnrix tiog).
Dass das germ. d im rheinfr. im gegensatz zum mfr. kein
stimmhafter laut war, scheint sich aufser der Vertretung von
germ. tr- bei Otfr. aus der behandlung der fremden (roman.) t
zu ergeben; im mfr. bleiben sie fortes: rip. t, moselfr. anl. th
inl. t, zb. lux. thur türm, th^s tasche, th^br teller, thynt ^ tinte,
kh^tdn kette usw., aber etwa prdihjdn vertilgen, khitidd quitte.
hiddn bütte (vgl. ags. hyden; offenbar mit d aus dem rom. über-
nommen) usw. im rheinfr. erscheint dagegen schon in ahd. zeit
d, vgl. dunicha bei Otfr. neben t, dasga Fr. s. 108. rheinfr.
stimmloses d konnte eben die fremde unasp. fortis leicht ver-
treten, nicht so das stimmhafte d des mfr. Isidor steht hier auf
mfr. Standpunkt, auch schreibt er ja anl. tr-.
Aus dem umstand dass rhein- und ostfr. l> g den stimmton
früh eingebüfst haben, erklär ich mir die hier übliche Schreibung
hl), gg für die gern in. (vgl. Otfr. Tat.), während das mfr. meist
ph, cg, wenn nicht geradezu pi>. kk aufweist; Isid. und Cant.
schliefsen sich der letzteren gruppe an. es wäre sehr auffallend,
dass die in der consonantenverschiebung sonst vorgeschritteneren
mdaa. in diesem falle das ursprüngliche behalten haben sollen,
der unterschied kann also doch nur orthographisch sein:
da &, g im mfr. stimmhafte, ja zt. spirantische laute waren, in
der gemin. jedoch immer als verschlusslaute, im moselfr. sicher
als stimmlose explosive gesprochen wurden, so war hier das
bedürfnis nach einer Unterscheidung vorhanden (freilich ist da-
durch, dass man für hh, gg auch pp, cc schrieb, in der schrift
teilweise ein zusammenfall mit den germ. fortisgeminaten einge-
treten), heute ist das Verhältnis so : das moselfr., soweit es nicht
der consonantenschwächung anheimgefallen ist, spricht für gemin.
' ij ist, ein palatovelarer laut, älinlicli dem russ. //, uur offener,
ö ähnlicher.
ALTFRÄNKISCHE GRAMMATIK 1 99
h, d, g die fortes />, t, k (die gegenwärtig- mit den alten
PI', 1>P, ^f^ identisch sind, da p, k in diesen ihre aspiration ver-
loren haben), es ist fraglich, ob sie schon in ahd. zeit als wirk-
liche fortes gesprochen wnrden. die rip. dial. haben für urspr.
bh, (hl, (jg stimmhafte verschlusslaute, was allenfalls als rück-
bildung betrachtet werden kann; fortes allerdings können die
laute hier nie gewesen sein.
b) Zur lau t Verschiebung, zunächst die Verschiebung
im auslaut. in betreff der ausl. •neutralen' t des mfr. neigt Fr.
der ansieht zu, dass der grund des unterbleibens der Verschie-
bung in der geringeren Intensität zu suchen sei, die das -/ in
den bekannten ausnahmen besafs. fälle wie ohaz beruhten auf
ausgleichung. diese auffassung hat manches für sich, freilich
die Schreibung d für t {thad usw.) kann nicht als beweis für
urspr. Schwächung gelten, denn hier kann und wird einfach
analogie nach dem Wechsel von inl. d ausl. t vorliegen, riet :
ried 1)110 darnach that : thad ist'^ und wie oft ried für gespro-
chenes riet auch im auslaut geschrieben wurde, so konnte das
natürlich auch bei that usw. geschehen. — nun sollte man aber
die Schwächung doch unter entsprechenden bedingungen auch in
anderen fällen, so bei ausl. p, k erwarten, von nebentonigen
Wörtern mit -p käme da nur vp in Betracht, das aber pp haben
kann (jedoch nicht muss, vgl. rheinfr. uf, of mit kurzem vocal
auch in Zusammensetzungen wie drof herauf), von solchen mit
-k die pronomina ik, mik usw. und ouk auch, bekanntlich aber
linden sich im mfr. hier nur formen mit -ch, ja -ch reicht in
diesen fällen sogar beträchtlich über die verschiebungsgrenze
hinaus, bei ik, oi<k, denen sich noch das suftix -Uk anschliefst,
bis ungefähr in die höhe von Düsseldorf ('Uerdinger linie') ', bei
))iik dik (sik) sogar noch viel weiter: »lix, dix herrscht in der
ganzen Rheinprovinz, in Belgisch-Luxemburg und südöstl. Brabant.
die sache ist auffällig, und dabei ist die erscheinung sicher alt,
vgl. Heinzel s. 18S und bes. Braune Beitr. 1, 21. nun vielleicht
könnten diese ch doch mit der für t in dat vorauszusetzenden
Schwächung zusammengebracht werden : in schwachtoniger Stellung
entwickelte sich aus ik, mik usw. ig, rnig und diese // wären
(zunächst vielleicht in der proklise vor vocalischem anlaut, also
in fällen wie ig-ouk ich auch bzw, oug-ik) zu 5: geworden, dem-
nach mit germ. ^ zusammengefallen, und dazu wären neue aus-
lautformen iy, oux usw. gebildet worden, die auf mfr. boden mit
den in tonsilbe regelrecht entwickelten iy, ouy zusammengefallen
wären, damit aber wäre die erscheinung den Verschiebungs-
gesetzen teilweise entrückt und hätte ihre eigene geschichte,
welche auch ihre besondere Verbreitung rechtfertigen würde, die
gröfsere ausdehnung des mich-{dich-) gebietes hängt möglicher-
' die ik-, oA -linie und die /j'/, -linie fallen nicht ganz zusammen; vgl.
ßamisch Studien z. ndrliein. dialektgeogr. § 18.
200 LESSIAK ÜBEK FKANCK
weise damit zusammen, dass diese pron. häutiger in unbetonter
Stellung gebraucht wurden als etwa ouk und ik (das beim verb.
urspr. doch nur gesetzt wurde, wenn es irgendwie hervorgehoben
werden sollte), wir hätten es also mit einer ähnlichen erschei-
nung zu tun wie bei der bildungssilbe -lg, deren g in vielen
mdaa., die sonst im ausl. k sprechen, zb. dak, Si^k als / er-
scheint.
Dieser hypothese steht, wie bekannt, die von Paul (Beitr.
ö, 554) gegenüber, wonach ausl. t überhaupt nicht verschoben
würde, die ü, dat usw. also die regel darstellen, während formen
wie faß, hiß auf ausgleichung beruhen, auch dafür scheint
manches zu sprechen, das rip. kennt das prät. let liefs neben
les (Münch Eip. gramm. ?- 61, § 96, § 1 28 /e^ //, § 231. da
doppelformen bestehn, so ist es im gründe nicht auffällig, wenn
die altkölnischen urkk. die anscheinend regelrechte form liez leys
verwenden, s. Braune Beitr. 1, 26; Paul Beitr. 6, 554). im alt-
kölnischen begegnet auch moit muss (Braune aao. s. 6), und ganz
vortrefflich würde dazustimmen das bei Heinzel Geschäftsspr. 232
erwähnte SaUga^^yen (gegen Salzga:;^en s. 370 aus rheinfr. quelle)
und auch einzelne von Fr. § 100, 4 zusammengestellte fälle, ob
das von Münch § 96 und in der anm. dazu erwähnte hat besser,
noch der Volkssprache angehört, ist nicht zu ersehen, jedesfalls
aber besteht rip. hätd bessern, nützen (auch hädd vgl. das oben
zu dad bemerkte), moselfr. hudtdn, budyfyn; zu yt s. unten s. 220,
das als neubildung zu einmal bestehendem hat aufgefasst werden
kann, ferner finden sich im rip. und nordthür. in der Steigerung
von 'grofs' ^formen: rip. jrhds, jrydtdr, jrydts Münch s. 158, thür.
jrösz, jretter, jretste Liesenberg Stieger mda. s. 64. im rip.
liefsen sich die ^formen allenfalls noch als analogiebildungen
zu fällen wie ley leicht, lidtsr, lidts erklären, wo lautgesetzliche
Wechsel von / und t {{ht) vorligt, dagegen fehlt eine solche
erklärungsmöglichkeit für das thüringische, man könnte dem-
nach daraus schliefsen, dass einmal ausl. gröt inl. grö:^e gegen-
überstanden; während aber die wirkliche auslautform unter
dem einfiuss der flectierten formen verloren gegangen sei, hätte
sie sich in der Steigerung erhalten, die analogisch an den unflect.
nom. anknüpfte, das wäre nicht auffallend, denn in der Steige-
rung wird öfter die auslautform des positivs beibehalten, vgl.
westlothr. khalt flect. khal- (( khahl-) aber comp, khaltdr. nur
freilich, wenn man sich mit der Panischen hypothese befreundet,
so muss man consequent sein und annehmen, dass dasselbe gesetz
dereinst auch für ausl. ]) und k galt. Paul selbst hat Beitr. 6
den gedanken nicht folgerichtig durchgeführt, indem er die aus-
lautregel nur für t und p gelten läfst, nicht aber für k, und
doch könnten gerade bei k noch am ehesten beweise für leben-
digen Wechsel von ausl. unverschobenem und inl. verschobenem
k beigebracht werden, ich verweise auf Notkers hog-hocches. auch
ALTFRÄNKISCHE GRAMMATIK 201
die schreibuDg Isidors und Ott'rieds deutet darauf liiu, dass ihre
ausl. k im gegensatz zu den inl. nicht behaucht waren, es
wäre auch leicht verständlich, warum gerade in diesem falle die
alte norm länger der ausgleichung widerstand: die Verschiebung
von k nach n und in der gemin. zu kh bzw. kch ist eine der
jüngsten entwicklungsphasen im ganzen verschiebungscomplex.
ja mit hilfe dieser hypothese liefsen sich mancherlei besonder-
heiten des obd. (und oberfr.) erklären, vor allem der auffallende
Wechsel zwischen //- und /i-fornien: da ausl. g im obd. u. oberfr.
früh ein fortisartiges gepräge annahm (vgl. die c bei Isidor, im
altbair. Schatz $ 73, im altalem. Wilkens s. 72, Bohnenberger
Beitr. 31, 412), also mit altem k, da es im ausl. unasp. ge-
sprochen wurde, zusammeutiel, konnte infolge Verwechslung iul.
eil gelegentlich durch g ersetzt werden und umgekehrt, mög-
licherweise gehören hierher formen wie obd. »larcJi, barch neben
marg, barg (sowie sarg, werg neben sark, iverkf), vielleicht
auch kluog, kruog neben kluoch, kruoch {chluacli mda. v. Alagna
Anz. XXI 34, x^^^X» yj^^X Beitr. 31, 411), hlüch neben bliig, vgl.
kämt, plaux (demnach könnte ch in bluchisoe bei Isid. doch für
hk stehn). allerdings lässt die so erweiterte Panische hypothese
auch manches rätselhaft, vor allem lassen sich die obd. daz, fif,
iy usw. damit nicht erklären, man nähme denn an, es hätten
sich, was ja an und für sich wahrscheinlich ist, auch hier
doppelformen ergeben: dat : daz-ist. diese wären im obd. u.
oberfr. verallgemeinert worden, jene im mittelfr. ich muss ge-
stehn, es fällt mir schwer, mich in dieser frage zu entscheiden,
solange die mdaa. und vor allem die Ortsnamen nicht gründlich
untersucht sind, von denen ich noch manche aufklärung erwarte '.
zwei mfr. Ortsnamen, die mir ganz zufällig untergekommen sind,
mögen hier erwähnt werden, da sie vielleicht zur fördernng des
Problems beitragen können: Heinzel Geschäftsspr. 122 citiert
aus Beyer 1, 22 (770) Bemiizfelt, das mit 'Beuonchamp bei
Clairvaux im luxemburgischen' identiticiert wird, da lux. Bins-
feld im Ösling (gespr. Bentsdit mit altem ts\) keinen franz.
namen hat, so kann, falls nicht doch eine Verwechslung vorligt,
nur Benonchamp in Eelgisch-Luxemburg nah der grenze des
' Das Paulsche auslautgesetz wäre am ehesten annehmbar, wenn
man es in seiner vollen Wirkung aufs mfr. beschränken könnte, und diese
mögliehkeit wäre vorhanden unter folgenden Voraussetzungen: in den obd.
mdaa. hätte die Umgestaltung im consonantismus, die zur Verschiebung
führte und die vermutlich in der aspiration bestand (welche sich aber auf
den auslaut nicht erstreckte) bereits begonnen vor der apokope, so dass
auch die t, /. in fällen wie ßat-, mil,- noch afficiert wurden, in einem
teile des nördl. md. wäre sie erst nach derselben eingetreten, so dass aus-
lautendem, nnverschobenem laut inlautend verschobener gegenüberstand,
aber auch im obd. hätte sich in einzelnen lallen, nämlich da wo die Ver-
schiebung erst später (dh. nach der apokope) einsetzte, so bei nk, /,/,■
dieser zustand ergeben, die rhein- und ostfr. mdaa. haben von haus aus
viel!, eine mittelstellung eingenommen.
202 LESSIAK ÜBER FEANCK
grofsherzogtums s\v. von Klerf, zwischen Wiltz und Bastnach
gelegen, gemeint sein, welches — vgl. Deutsche Erde 1909,
s. 142 — deutsch Blmhlt lautet, das doch nur auf Bimd-velt
zurückgehn kann, in volkstümlicher ausspräche hätte sich hier
also die alte unverschobene form erhalten, während die urk. des
S jh.s bereits tz bietet, der 2. name ist Böukdls bei Klerf,
d. i. Buchliolz. geschrieben wird zwar Bockholz, aber mit
bok < buk hat der name sicherlich nichts zu tun, öu deutet
auf uo, vgl. zb. böufavk buchfink (das fem. buche hat wie in
den meisten mfr. mdaa. uml. hiy-, i < üe regelra. vor y^). ein
Bochholz, dessen mdal. bezeichnung mir nicht bekannt ist, findet
sicli in Belg.-Luxemburg.
Dass auiser dem moselfr. urspr. auch einzelne rheinfr. be-
sonders nordrheinfr. mdaa. an der Verschiebung der ausl. t nicht
teilgenommen haben, steht nach den häutigen belegen bei Böhme
s. 80, Weinhold § 197 wol fest, und Weinhold s. 535 führt
nach Weigand deatt neben deatz als wetterauisch an; wat kommt
auch im nördl. elsass neben n-as vor : Lienhart Laut- u. flexions-
lehre des mittleren Zorntales im Elsass § 1 6 f. Es ist auf-
fallend, dass gerade dit im rheinfr. solange widerstand leistet,
noch bis ins 15 jh. hinein ex'hält es sich in Frankfurt (Wülcker,
Beitr. 4, 4 3). man könnte dies damit zusammenbringen, dass
dem Worte infolge urspr. geminata eine kräftigere articulation
des t eigen war: das wäre allerdings nur bei annähme der
Panischen hypothese möglich.
Als compi'omissformen bedingt durch das nebeneinander von
dat und daz sind wol aufzufassen die rheinfr. (zt. auch moselfr.).
etz, datz, bitz, allitz. vgl. Böhme s. 41. 7ß. 81; Heinzel 349,
379. die bis auf hitz heute, wie es scheint, in der Volkssprache
ausgestorben sind, ferner Hetz im Ludwigsliede (vgl. Fr. § 99, 1).
ob satz, gesatz Heinzel 415 hierher gehört, ist zweifelhaft: es
kann analogie nach dem inf. vorliegen, zumal auch der pl. sätzen
vorkommt, vgl. saitzen Heinzel 246. die formen satz, satzen
sind noch heute einzelnen md. mdaa. eigen, so dem lux. und
thür. dass es sich in allen diesen fällen lediglich um Schreibung
handelt, kann ich unmöglich glauben, und es ist mit Kögel.
Litbl. 1887 anzunehmen, dass ausl. t gelegentlich zur affricata
'verschoben' wurde, wobei es sich aber schwerlich um wirkliche
Verschiebung handelt, wie Kögel meint, der die affricaten als
regelrechte entsprechung urspr. ausl. verschlussfortes im obd.
auffasst. tz in bitz • erklärt man aus hi-ze mit hinweis auf
selten bezeugtes mhd. bitze, das aber sein -e wol eher unter
dem einfluss von tinze bekommen haben wird, ähnlich wie auch
Schweiz, büs (Idiot, iv 1700) aus bis -\- v.s (< unz) entstanden
• diese form ist vor allem noch in Lothringen und Elsass lebendig,
vgl. Follmann Wb, der deutseh-lothr. mdaa. 39'', Martin u. Lienhart VVb.
der elsass. mdaa. ii, 127.
ALTFRÄNKISCHE GRAMMATIK 203
ist. wenn heute die dat2 usw. vei'schwunden sind, so kann dies
auf verdräng-uug durch die r/az-fürmen beruhen, es mag aber
auch die affricata unter schwachton zur spirans geworden sein
(Franc.k § 99, 3 nimmt dieselbe entwicklung für diz an), wol
kaum gehört hierbei' das nordbair. dz ihr, das als iats, diats,
dids defs- in den mdaa. auftritt, vgl. Gradl Bayerns nidaa. n
237. 344 (dort auch die weiteren belege, denen ich noch ets
aus dem Prager judendeutsch beifüge) ; denn nahe ligt es
hier, beeinflussung seitens der mit der prononiinalendnng ver-
schmolzenen 2. pars. pl. anzunehmen, zb. häbfs habt ihr. auf
eine anzahl alem. Wörter mit ausl. -fz für -ß {bitz 'biss', schütz,
guiz, schlitz) hat Kögel Litbl. 1887, 111 hingewiesen; vgl.
noch ivats eifer und bair.-österr. siniis neben smis knallfaden an
der peitsche, nun ergibt sich im hinblick auf Kögels auffassung
des tz eine Schwierigkeit, da entsprechende formen auch im mfr.
auftreten, wo man doch -t erwarten würde, vgl. westlothr. suis,
lux. sots schuss, khrets kreis, rip. krets (Fick -^ 53 wird mit
bezug auf diese form ein germ. kraitia neben kraita angesetzt),
ets'ydn) neben es{ydn) hitzbläschen (rahd. elz), frqts frafs, Kisch
Beitr. 12, 1(V2, westlothr. gdhits gebisS (Tarral, s. 21); ich er-
wähne noch thür. strids straufs (blumenstraul's? Liesenberg
Stieger mda. 60). wäre Kögels ansieht richtig, so müste man
die tz des mfr. anders erklären als die des obd., es ist dem-
nach wahrscheinlicher, dass die -tz auch im obd. nicht die
eigentlichen auslautforraen darstellen, sondern irgendwelche con-
taminationsbildungen sind — sei es nun dass sie aus dem neben-
einander von urspr. ausl. t und inl. z hervorgegangen, oder ein-
fach auf einwürkung anderer wortformen zurückzuführen sind,
wobei namentlich verbalformen in betracht kommen, vgl. satz
zu setzen usw.
Stellung zu nehmen ist gegen Fr., wenn er ij 83 sagt:
anl. p ist im mfr. und dem grösten teil des rheinfr. unver-
schoben, und wenn er § 118 an mehreren stellen die aspiration
des A; im fränk. in frage stellt, in Wahrheit sind p und k nur
im rip. unverschoben ; in allen übrigen hd. mdaa. haben sie die
Verschiebung mitgemacht, wenngleich zt. nur bis zur aspirata.
es gehört, worauf schon Paul Beitr. 9, 383 f. naciidrücklich hin-
gewiesen hat. noch heute zu den wesentlichen unterschieden
zwischen rip. und moselfr., dass dieses aspirierten laut spricht,
obschon gegenwärtig meist nur mehr im anl. von vocalen. die
geringschätzung oder nichtberücksichtiguug dieser tatsache hängt
mit dem nicht genug zu tadelnden transscriptionsverfahren der
meisten dialektarbeiten zusammen, die die aspiration nicht be-
zeichnen, weil sie mit jj/, t, k den heutigen schriftdeutschen laut-
wert verbinden, es ist charakteristisch für das nördl. rheinfr.,
dass es im anl. vor vocal ph, kh spricht, chaiakteristisch hin-
gegen etwa für das schlesiche, dass es nur asp. k im anl. hat,
204 LESSIAK ÜBER FRAXCK
dagegen in fällen wie pulvdr, paur (gegenüber haie bald usw.)
stets ungehauclites p spricht, weil eben anl. germ. p hier zu yf
verschoben wurde, die alten Verhältnisse sind heute insofern
getrübt, als inlautend und anlautend vor cons. im rheinfr., ostfr.,
thüring. -Sachs, und nordobd. die aspiration des k (bzw. p und A)
aufgegeben wurde, die grolse Umwälzung die der consonantis-
mus dieser dialekte erfuhr, verhindert einen genaueren einbiick
in die ursprünglichen Verhältnisse, aber, ist es schon an und
für sich höchst unwahrscheinlich, dass etwa rheinfr. oder ostfr.
graiid, wolge (die g, d sind stimmlose lenes) seit jeher mit un-
asp. k gesprochen wurde, wenn es daneben khind usw. heilst, so
ist diese annähme ganz unmöglich für den inl. verschlusslaut in
gravgdd krankheit, söng^fdr 'sau-' d. i. maikäfer (neben kh'qfdr)
u. ähnlichen alten Zusammensetzungen, die deutlich dartun, dass
das aufgeben der aspiration ein jüngerer akt ist, ebenso wie
etwa das aufgeben des verschlusses in fällen wie EsHcgy. offen-
bar nicht anders verhält es sich mit rheinfr. blandse, abdl [b stimm-
lose lenis) neben phunt usw. aber auch andere rückschlüsse auf
urspr. Vorhandensein von aspiraten gestatten uns die heutigen
mdaa. von den beiden (konservativen flügeln des md. hat das
preulsisch-schlesische allerdings die aspiration aufser vor vocal
nur mehr vor r erhalten, zb. khrauf, aber in den schles. mdaa.
von Österreichisch- Schlesien und Mähren herscht es anl. vor
cons. noch allgemein, so zb. in der Schünhengster Sprachinsel,
wie ich mich selbst überzeugen konnte, zt. auch noch inlautend,
man vergleiche probe v von Seemüllers Deutschen mdaa. i
{sfgrkh, trenkha). im luxemb. spricht man aspiriertes k im anl.
allgemein auch vor cons. zb. klüamdii klimmen, klirenkdri kränken,
dasselbe gilt fürs siebenbtirgische, hier auch inl., ja an einzelnen
orten wird geradezu affriziertes k gesprochen, vgl. Scheiner
Beitr. 12, 123 (§ 24 anm.). p ist im moselfr. westen anl.
durchaus stark aspiriert, auch vor cons. — im inl. scheint die
asp. gegenwärtig überall aufgegeben zu sein, im siebenbürgischen
Zt. auch im anl. diese reste zeigen, mein ich, doch deutlich
genug, dass p, k einmal im moselfr. allgemein aspiriert waren;
umsomehr gilt dies (bei k) von den oberfr. und ostmd. mdaa.
und vom nordobd., vgl. Anz. xxxn 131. es ist begreiflich, dass
in den Sprachinseln sich der ursprüngliche zustand in vieler
hinsieht besser erhalten hat; unbegreiflich aber wäre es, dass
hier inmitten einer fremdsprachigen bevölkerung, die doch un-
aspirierte fortes spricht ', die aspiration sich erst nachträglich
entwickelt hätte. Otfrieds beobachtung, dass sich das deutsche
k 'ob faucium sonoritatem' von dem romanischen unterscheide,
kann daher nicht misverstanden werden: der unterschied
zwischen aspiriertem und nichtaspiriertem k fällt nicht nur einem
Phonetiker auf; man spreche doch nur irgendwo in Süddeutsch-
^ so jedesfalls die Slawen und Rumänen.
ALTFRÄNKISCHE GRAMMATIK 205
land koi)f\ kind, ohne für einen Eonianen oder Slawen gehalten
zu werden! dagegen kann ich mir nicht recht vorstellen, wie
deutsches k sich durch die articulationsstelle von franz. c, so-
weit dieses überhaupt noch als verschlusslaut gesprochen wurde,
so sehr unterscheiden konnte, dass Otfr. sich deshalb nach einem
besonderen zeichen umzusehen bemüfsigt fühlte, wie dies Fr. für
möglich hält, der lautlich fein beobachtende Isidorübersetzer
schreibt an allen stellen wo wir aspir. k zu erwarten haben
ch, aufser im auslaut; bei p konnte er die aspiration nicht be-
zeichnen, weil man mit pli einen anderen lautwert verband, mit
Fr.s hypothese, Isidor habe ausl. c deshalb gesetzt, "weil hier
für die von den Romanen ausgehende Orthographie kein anlass
vorgelegen hatte, von c abzuweichen', kann ich mich nicht be-
freunden, warum schreibt er auch clineht, chrump usw.?
warum wird cc < gg und c in der Verbindung sc davon ge-
schieden? offenbar weil in diesen fällen das ,k* dem lautwert
des rom. c ganz oder nahezu entsprach, in jenen dagegen nicht
(vgl. auch Hench s. 85). und ist es ein zufall, dass bei Otfr.
da, wo Isid. c schreibt, auch g erscheint, dass Notker dafür /r,
ausl. auch g, aber nicht ch oder cch schreibt? eine möglich-
keit, ausl. unaspiriertes k, das für mich durch diese Schreibungen
als erwiesen gilt, zu erklären, wurde bereits angeführt, die
Übereinstimmung zwischen Otfr. und Notker in fällen wie ivangta
— bei Isid. fehlen die belege — last auch schlieisen, dass die
Verschiebung des k (und p im rheinfr. (vgl. Otfr. intslupta) zur
aspir. bzw. affricata erst nach der synkope eintrat (die neben-
formen mit k bei Otfr., mit ch bei Notker sind analogiebildungen,
die sich ja fast notwendig einstellten); ebenso muss synkope vor
der f-verschiebung eingetreten sein, sonst wären fälle wie satte
setzte ein rätsei, s. unten.
Zur Verschiebung des p im anl. sei erwähnt, dass es zwar
richtig ist, wenn Fr. sagt, Otfr. habe p in abweichung vom
Weilsenburger dialekt. heute wird in Weifsenburg zwar pf-
gesprochen, aber wenn man sich Bolinenbergers karte in Zs. f. hd.
mdaa. 6 vor äugen hält, so sieht man deutlich, dass das nicht
<las ursprüngliche sein kann: die linie mit anl. pf, die auf links-
rheinischem gebiet durchweg südlich der geogr. breite von
Weifsenburg verläuft, biegt in der nähe der Stadt nach norden
aus, so dass Weifsenburg und das benachbarte Schweigen wie
eine halbinsel ins /^-gebiet hineinragen (vgl. dazu Bohnenberger
aao. s. 156 1). anders ist es mit der linie für inl. pf: die
läuft vom Rhein bis ungefähr zur Sauer nördlich der geogr.
breite von W'eifsenburg, gegen den Rhein hin sich sogar recht
bedeutend von der linie mit anl. pf entfernend. Otfr. kann
demnach sehr wol den alten Weifsenburger dialekt verwendet
haben, dieselbe erscheinung anl, ph gegenüber inl. pf widerholt
sich bekanntlich im nördl. Baden, u. zw. reicht pf vor cons.
206 r^rssiAK übek fbanck
weiter gegen norden bzw. nordwesten als pf vor vocalen; man
kann daraus vielleicht schliel'sen, dass die aspir. im rheinfr. nicht
nur in der geniin., sondern auch anl. vor cons. eine stärkere
war als anl. vor vocalen. umgekehrt war es wol im thürin-
gischen.
§ 38 heilst es: Otfr. hat in den eingebürgerten (lehn-)
Wörtern heh, brediga, bredigon festes b, allerdings im gegensatz
zu pina, pinon und zu puzzi, wenn letzteres der lehntorm mit
p, b und nicht der mit pf entspricht, der schlusssatz ist, so
wie er da steht, völlig unklar: /> in plna usw. kann natürlich
nur ph- meinen, wie denn auch heute im rhein- und moselii-. in
diesen Wörtern ph gesprochen wird: phainiyd, pliids. Fr.
denkt offenbar an chronologische unterschiede, wichtiger aber
als die frage nach früherer oder' späterer entlehnung ist hier
die nach der sprachlichen Vermittlung, d. h. ob die Wörter über
das obd. ins rheinfr. gekommen sind oder über das moselfr. un-
mittelbare entlehnung aus dem romanischen kann man für die
Rheintranken natürlich nicht als regel feststellen, das moselfr.
hat für anl. rom. p folgerichtig sein ph gesetzt rphells, pharais
Paris usf.) das ihm offenbar näher liegen muste als sein stimm-
haftes b. das obd. schlug, solang es noch p oder ph sprach,
denselben weg ein; nachdem dies aber zu pf verschoben und
anl. b stimmlos geworden war, wurde naturgemäfs letzteres zum
ersatz verwendet. wenn Otfr. beh, bredigon schreibt, ent-
sprechend dem heutigen rheinfr. bcx, breriyd (letzteres ist frei-
. lieh nicht beweisend, da auch phr- zu /;/- geworden ist), so
zeigt dies dahin, dass diese Wörter aus dem obd. (oder ostfr.)
übernommen sind, das moselfr. hat hier ph-, vgl. lux. phqx,
phridddjdn, hat aber b zb. in bidr birne, bols puls, bäts peitsche
(westlothr. auch bels, bdpS, gegen lux. ph^lts phöpst), fälle die
deutlich dartun, dass nicht jedes fremde p durch ph ersetzt
wurde, sondern dass bei entlehnungen aus dem Süden oder osten
für rheinfr. oder alera. stimmloses b der nächstliegende laut,
stimmhaftes b eintrat; es ist daher auch garnicht auffallend,
wenn in Par. Verg. n 704. 53 Passau als Bazzoua er-
scheint, für 'pech' usw. muss also für das moselfr. (bzw.
nordmd. ndl. nd.) eine vom obd. unabhängige entlehnung
angenommen werden (ausgangspunct für beide gruppen West-
frankreieh). Wanderung von nord nach süd ist wol so ziemlich
ausgeschlossen, da man. würklich volkstümliche entlehnung und
nicht sprunghaftes vordringen des wortes vorausgesetzt, rhein-
bzw. moselfr. ph im angrenzenden /^/-gebiet doch durch pf er-
setzt hätte, das hier angedeutete problem wäre wol einer Unter-
suchung wert: noch viel zu wenig sind die wege erforscht, auf
welclien lateinische cultur in Geinianien einzog!
Schwierigkeiten bietet die behandluug der gruppe rp, Ip
(§ 85). vollständig klar ist das rip. mit seinen rp, Ip ent-
ALTFRÄNKISCHE GRAMMATIK 207
sprechend der heutigen nida. im moselfr. und rheinfr. lierscht
heute /'auch in fällen wie scharf, schärfen, westlothr. Artr/karpfen;
doch lux. khärdp, snrdp,m, lothr. surpon (bezeichnet das geräusch,
welches ein harter über den boden rutschender gegenständ ver-
ursacht oder welches beim zerreiisen von Stoffen entsteht; vgl.
bair. schurpfen) ; harfe ist nicht recht volksüblieh. es herscht
indessen kein zweifei, dass die verscliiebung von asp. p nach >•
in litterar. zeit hier noch im gange war, und zwar, wie die
quellen deutlich zeigen, über pf; zu den in § 85 angeführten
belegen vgl. noch Didimthorpf kreis Prüm, Heinzel 318 und in
Altdorpfo Trad. Wiz. 193 (Beitr. 14, 113). das pf konnte
umso eher dem /' weichen, als es im grösten teil des gebietes
auf die wenigen fälle nach /, r beschränkt war. die aus-
gleichung ist zunächst wol im iul. erfolgt und von da auf den
ausl. übertragen worden (anders Fr. 5j 103); die auch im obd.
auftretenden scharpf gelpf wären solche erhaltene auslautformen,
vgl. auch Zusammensetzungen wie Gelpf-rat, Helpf-rich, -rat
(consonantengemin. vor folg. r wird denn hier doch nicht anzu-
nehmen sein), harfe und karpfen weisen entschieden auf ab-
weichenden consonantismus, der auf urspr. geniination beruhen
kann, oder der sich daraus erklärt, dass es sich in beiden fällen
um später ins hd. eingedrungene 'culturwörter' handelt: für
letzteres spricht der auffallende Ä'-unil. des bair. [harpfii. kharpfn
mit hellem a), den die übrigen obd. itnd die md. mdaa. nicht
kennen (von denen mit regelmäfsigem r-uml. uatüilich abgesehn)
und der auf irgendwelcher Substitution zu beruhen scheint.
Von den in § 84 angeführten fällen können sicher mit
urspr. p angesetzt werden, da sie sich auch in andein dialekten
mit //" nachweisen lassen: najicidtni auch bair-üsterr. mit /uneben
pf, ganz abgesehen von vielen älteren belegen; profan vgl. lux.
j)hra/9n rip. pr^fo, die Verschiebung ist hier genau so in Ord-
nung wie bei mfr. kliofdr bzw. kofdr kupfer. effe lat. apium
kann ganz gut die urspr. nominativform api repräsentieren;
vgl. mild, effen.
Beachtenswert ist das gelegentliche auftreten von affricaten
statt des reibelautes in fällen wie entetzigaz § 98, muniza § 99, 2;
ciuch für ahd. hnliz pilz muss wol eine nebenform mit z ange-
nommen werden, auf tz neben x; in samstag weisen obd. dialekt-
Ibrmen, zb. Lusern sautstv. man beachte ferner moselfr. qrn^ts
oder ^m^tsdl ameise, pts erbse, hgrcisal hornisse (< hurnat- ;
daneben liTadl < htirsl-), hr^n^tsdl brennessel, Urtsan speisenüber-
reste, rip. üdtS3 beim essen übrig lassen, dag. obd. ürasn, urse{n)
< Kzetan. auch hi)tz (so allgem. mfr, soweit nicht die schriftd,
form hirsch eingedrungen) und *l)lnutz (vgl. Benutz feit s. 201)
könnte hierher gehören, in einzelnen fällen mag consonanten-
gemination vorligen, so sicher im noi-dthür. jäfze gasse (das
nebeneinander von tz und ^^y erklärt sich hier offenbar aus der
208 LESSIAK ÜBER FRANCK
flexion: nom. gatu < gatuu gen. gaUiä usw. vgl. auch aha neben
aliha u. a.), aber andere scheinen doch dafür zu sprechen, dass
die Verschiebung in nebentoniger silbe später eintrat oder doch
gehemmt wurde. — nicht gerade auffallend ist mfr. ä; in 'suchen',
das Fr. § 117, 1 als eine noch nicht erklärte ausnähme bezeich-
net: es darf nicht übersehen werden, dass die mdaa., welche k
haben, durchaus uml. aufweisen: rip. zökd, siebenbürg, zeik»,
zäkdn (vgl. Münch § 233, Frühm Vgl. flexionslehre der Jaader
und moselfr. mda. § 28, Beitr. 12, 163; auch da wo spirans
verallgemeinert ist, erscheint uml., vgl. trier. lux. ziydn; erst im
lothr. begegnet die nicht umgel, form, die aber auch im obd.
nicht ausschlierslich herscht, s. Anz. xxxn 126). der consonan-
tismus steht genau auf derselben stufe wie etwa im bair.
walken einweichen, in alem. hleike{n) usw. oder in moselfr. (zt.
auch rip.) 7-ötzen flachs rösten, fiötzen, heitzen, hützen nähen, das
liier ganz zum alem. stimmt (zahlreiche belege für die erhaltung der
gemin. nach länge im alem. bietet Anz. xxi, 32).
Da das fränkische fast alle abstufungen der lautverschiebung
aufweist, war in dem einleitenden § 66 wol eine etwas eingehendere
darstellung der Verhältnisse angebracht gewesen, das 5 — 6 jh. als
zeit der lautverschiebung im allgemeinen ist wol zu früh angesetzt,
die anfange reichen natürlich viel weiter zurück. Kluge in
seinem schönen aufsatze Beitr. 35, 153 meint mit rücksicht auf
die behandlung des urspr. k in gemse sogar, dass die Alemannen,
als sie im 6 jh. die Schweiz besetzten, schon anlautendes ch ge-
habt haben, aber bis an die heutige deutsch-rom. Sprachgrenze,
bis an den Neuenburger see, finden sich fälle mit Verschiebung,
sogar solche mit t > ts vgl. Zihl (tsii) urk. Tela, franz. Thiele;
die Zihl bildet noch heute zt. die Sprachgrenze, ebenso bietet
das sprachliche grenzgebiet zwischen der Aare und dem Bie-
lersee ein paar ortsn. mit anl. / für fremdes k: y^ertsdrs Kerzers
nördl. V. Murten, franz. Chietres, yabiax Kallnach, sicher eine
bildung auf -acum wie so viele andere in der gegend '. auch
die Baiern haben erst zu anfang des 6 jh.s ihr heutiges stamm-
gebiet besiedelt, und doch finden sich da alle Verschiebungsstufen
in vorgerm. ortsn. zudem gibt es eine reihe von 'kirchenwörtern',
die Kluge nicht berücksichtigt hat, welche Verschiebung auf-
weisen und von denen man nicht durchgehends annehmen kann,
dass sie sehr früh übernommen worden seien, vgl. pfeüer <
patrinus, dechant für älteres techän, klerich (bei Schmeller i,
1339 viit den klerichen, also nicht bair. auslautschreibung für
A- oder ^7), manch, knünich [knich; Schmeller Fr. i 1345
' die verscbiebungsgrenze zieht sich im westen etwa von Erlach am
Bielersee über Kerzers in der richtung gegen Bern, die orte südlich davon
haben nicht mehr -/ sondern 7 für rom. k: Gempenach-ChampaQuy
("'Cnmpaniacum), Galmi:-Chnriney usw.; ausl. -ach für -acum wurde
verallgemeinert.
ALTFRÄNKISCHE GltAMMATIK 209
< canonicus, auch rip. knöndx, Münch 65. das wort war dem-
nach allgemein hd. dass es alt ist, zeigt auch der Übergang
von 0 > M vor i; auch rip. ö geht auf ü zurück), ich ver-
weise ferner auf ahd. laikman, leiikhiu, leichmannes bei Graff
n, 152. 740, woneben als jüngere entlehnung formen mit </ be-
gegnen, auch Pfründe, kelch, phatelaf, i lassen sich nur schwer
von der genannten gruppe trennen; vgl. noch Schweiz, ylöütdr,
Xappdl < capella ua. dass die Chronologie der Verschiebung
mit der geogr. Verbreitung der einzelnen Verschiebungsstufen
band in band geht, halte ich für sicher, ebenso dass die Ver-
schiebung zur Spirans relativ, dh. bei demselben consonanten
früher begann als die zur affricata; letzteres zeigen deutlich
fälle wie nhd. pfropfen, rip. muts mauser, die erst übernommen
wurden, als inl. p bzw. t bereits zur affricata, der Vorstufe des
reibelautes, geworden war; auch das oben erwähnte muniza
könnte hierhergestellt werden, aber auch die Verschiebung zur
Spirans ist allem anschein nach nicht bei allen cons. gleichmäl'sig
vor sich gegangen : manches spricht dafür, dass wie bei der Ver-
schiebung zur affricata zunächst t, dann p und schliesslich k von
der bewegung ergriffen wurden {k sogar erst nach der Ver-
schiebung von t zur affricata, vgl. tunihha) ^ ; so ist mir in
Luxemburg und Lothringen kein sicheres beispiel mit Verschie-
bung von t untergekommen, wol aber solche mit ch < k vgl.
die -macher{n) < maceria, -ach, -ich < -acum.
Immerhin bleiben noch einige rätsei übrig: zb. mhd.
schnauze neben thür. snüse, rip. Snys, khetdbn kitzeln (lux.),
sofdl Schüssel (rip. und nordwestmoselfr. <. *kitlön, *skutla? dag.
S0S91, Siisdl im süden) und vor allem das seit dem frühmhd. be-
zeugte tuschen geschr. meist tuschen zwischen (rip. tös9, lux.
thysdn, westlothr. thisdn), das heute bis nach Lothringen hinab-
reicht und früher wie es scheint noch weiter verbreitet war
(Weinhold Alem. gr. § 169; Braune Beitr. 1, 6; Heinzel 232.
246. 273. 349. 370. 379. 393. 427. Weinhold, Mhd. gr. § 196
wo auch twist, twelif, angeführt werden; Nobiling Voc. d. dial.
d. Stadt Saarburg 42). es erinnert einerseits an das unterbleiben
der Verschiebung in der gruppe tr, anderseits an die eigenartige
behandlung des germ. dw (piv), das auch in obd. mdaa. nicht
überall zu tsiv- geworden ist (vgl. hochalem. twerg neben
tswerg u. a.). sollte das ti in einzelnen fällen früher stimmlos
geworden sein? die Stellung vor consonant verhinderte die Ver-
schiebung auch in fällen wie thagta (Otfr.) und *satta, gesät,
wofür moderne dialekte noch mehrfach belege bieten (lux. g9sät,
gdnät zu n^tsan, gdstvät zu swqtsdn, gdsmolt zu sm^ltsdn)\ hierher
' phatelat Schweiz, id. v 1200; pfadlät, pfaceldt (c offenbar für t),
pfälät, Lexer Hwb. n 220, Schmeller i 428 < mlat. pateUata.
^ kappes (kabus) und obd. putze, hütze pfütze, haben natürlich
rem. s bzw. ts.
Ä. F. D. A. XXXIV. 14
210 LESSIAK ÜBEB FRANCK
gehört auch als secundäre bilduiig rip. *iiiotta muste (jetzt
7nodt; dazu Beitr. ö, 555), ferner ist sicher hierherzustellen das
gemeiniglich als nd. lehnwort angesehene fett < f'aitida- (zur
Verkürzung des diphthongs vgl. zespret Cant., das nicht, wie
Franck ij 31, 2 meint, für zespreidit verschrieben ist); wahr-
scheinlich wird auch hlutt so zu erklären sein {*blautida-) ; dän.
hlof ist doch wol aus dem nd. entlehnt ^.
Auffallend sind mit rücksicht auf die sonst im md. unter-
bliebene Verschiebung des k nach l, r die im moselfr. auftreten-
den iridldx welk (auch rip. iv^hy^ neben w^bk Münch 64),
siebenbürg. khf)li/, das freilich auch im ostfr. und ostmd. be-
gegnet, und rip. teere/ werg (moselfr. hier -rak). allgemein
scheint im mfr. stgre/ zu sein; doch hat das rip. jj^ra/c pferch
(Münch 7 6) gegen moselfr. phfrdy. urspr. parrich aber parkes .^
Zum lautwert der buchstaben /' und s. §81 meint Fr.,
der eintritt der Schreibung v (u) für /' im anlaut sei rein ortho-
graphisch, in der tat haben die heutigen mittelfr. mdaa. nur im
inl. dafür v (?<;), das völlig mit dem aus germ. b hervorgegan-
genem zusammenfällt, in einigen dialekten sogar mit diesem zu
h weiterentwickelt ist. stimmhafte ausspräche hat im inl. sicher
schon in ahd. zeit bestanden, und es ligt durchaus nahe, den
Wechsel in der Schreibung von germ. f im ahd. (§ 82) mit dem
stimmhaftwerden zusammenzubringen, zumal auch ein teil des
obd. für einen solchen Übergang spricht, natürlich muss dann
dieser process aber auch für den anl. angenommen werden, da-
für sind auch wirklich gründe vorhanden, ich verweise auf die
völlig überzeugenden ausführungen Nörrenbergs, Beitr. 9, 391
(wenn anl. /" in jüngeren lehn Wörtern fortis bleibt und nicht
wie entsprechendes s durch affricata ersetzt wird, so hängt
dies mit dem mangel eines pf im mfr. zusammen ; damit
ist aber auch der spätere zusammenfall mit urspr. anl. v er-
klärt) ; ferner auf fälle wie lux. Devdlt Deifelt, klüvdl lothr.
kkivdr kiefer (< kienföhre), siegerl. härwds barful's, driwdn drei-
fufs (Heinzerling s. 63), die deutlich auf urspr. v^lt, vös usw.
weisen, vorausgesetzt, dass die Zusammensetzung nicht schon vor
dem stimmhaftwerden des f erfolgte, der Übergang von v > /' im
anl. ist wol verknüpft mit dem wandel von u fgeschr. w) > v. die
parallele bietet das ndl. im süden d. i. im flämischen, wo germ,
w noch bilabial, ja zt. noch «/-artig gesprochen wird, ist anl. v
stimmhaft geblieben, im norden dagegen, wo jenes zu v geworden
' Ob uicht auch iiihd. lät läfst auf fi-ühsynkopiertem lutid beruht?
es wäre dies die ausgangsform für inf. lau, imp. lä usw. die umlautform
Uet wäre dann analogie- oder contaminationsbildung, — aucli vor p blieb
bei früher synkope t unverschoben, wie rip, Jryddd gröfse zeigt, Münch
§ 148 ; doch ist das resultat nicht t sondern d wie in köln. medd mitte.
jryddd scheint der einzige rest alter bildung zu sein, die übrigen wie hetsdd
hitze, n^tsd^ nässe sind wol neubildungen.
ALTFKÄNKISCHE GRAMMATIK 211
{vatdr für wätdr), wird anl. stimmloses /' gesprochen, der frühe
zusammenfall von inl. germ. /' mit h im mfr. hatte dieselbe be-
handlung beider laute vor sonoren zur folge, wie h (s. oben
s. 19ü) wurde auch v zu /' verhärtet, vgl. die belege bei Fr.
§ 82, 5 und etwa rip. sufdl schaufei, ifdr eifer gegen sonstiges
V. auch fremdes v nimmt an dieser erscheinung teil, darauf
weist die Schreibung eff'en, eiff'en für eveti (haber *avina < lat.
avena; Nobiling s. 70). die mdaa. scheinen nur evdn zu kennen
(vgl. auch Hecking Die Eifel in ihrer mda. 31). wie bei
b findet sich aber auch Verhärtung zum verschlusslaut:
lothr. swihdln zweifeln, stihdl Stiefel, dazu stimmt diuhü bei
Isid. '. das in § 82, 6 erwähnte Isid. hepfu, -liepfendi hat pf
denn doch wol mit der geltung einer affricata, wie sie ja auch
durch alem. und bair. mdaa. bezeugt wird (Schweiz, id. ii 1190,
Schmeller i 1141). allerdings fällt j;/' aus dem lautsystem des
Isid. heraus, ähnlich wie cripp{e)a im Tatian. handelt es sich
um ein obd. lehnwort? hat der Wechsel heffu — hebis eine con-
taminationsform hepfu (d. i. hebfu) ins leben gerufen? — was
von der erweichung des /' gesagt wurde, gilt natürlich auch für
s ; doch haben die mfr. mdaa. die stimmhafte ausspräche im anl.
behalten, inl. vor sonoren begegnen ähnliche Verschärfungen
wie bei /'. betreffend den Übergang von sk > 5 Fr. § 116, 3
lässt die Schreibung ss der Par. Verg. über ihren lautwert
keinen zweifei übrig: ss wurde ja doch fast wie s{s) gesprochen
(die später in mfr. westen auftretende Schreibung ch ist natür-
lich nicht, wie Meier, Jolanthe s. xv meint, als palatales ch zu
nehmen, sondern beruht auf französicher Orthographie, vgl. aucli
die belege bei Heinzel 334). das aus sk hervorgegangene s war
im fr. sicher palatal, da es in den meisten mdaa. uml. be-
wirkt wie im alem. und westbair. vielleicht ist für diese dialekte
doch Übergang über 6/ (mit palat. yj oder sj anzunehmen.
II. Vocalismus. 1) uml au t. ein hauptunterschied
zwischen altfr. und altobd. besteht in der durchführung des
i-uml., aber es darf dabei nicht übersehen werden, dass dieser
unterschied im wesentlichen nur chronologischer art ist, insofern
als die würkungen sich im fr. früher zeigen: die tendenzen sind
im gründe dieselben, wir dürfen uns durch die Orthographie
nicht beirren lassen: nur dort, wo auch das fr. in ahd. zeit den
uml. nicht schreibt, ist das obd. auf einer ursprünglicheren stufe
geblieben, dh. es spricht offenen e-uml., dagegen da wo das
altfr. bereits e hat, also vor l oder r -j- cons. (aufser natürlich
' da gerade im lothr. solche formen auftreten, wäre dies ein weiterer
hinweis auf ostlothr. herkunft des Isidoriibersetzers, wofür ja so viele an-
zeichen sprechen; hier allein berührt sich 'nordrheinfr.' mit alem. und
moselfr., in dessen nähe der mangel an consonantenschwächung den text
rückt; s. ferner das unten über den uml. in der flexion der schwachen
subst. und adj. gesagte.
14*
212 LESSIAK ÜBER FKANCK
liv, rir) und vor h, ist auch das olid. mit wenigen ausnahmen,
die in der regel ihre besondere erlilärung liaben, bis zu ge-
schlossenem uml. vorgedrungen, so dass heute die obd. mdaa. im
wesentlichen auf derselben stufe stehn wie die obfr. und ostmd. '.
allerdings nur diese, denn im mfr. sind mit ausnähme vor allem
der südl. grenzgebiete die kurzen e-laute ganz oder doch meistens
zusammengefallen, so dass das mfr. auch in dieser hinsieht dem
nd. näher tritt, die umlautsentwicklung scheint im fr., wenigstens
im obfr., denselben verlauf genommen zu haben wie im obd:
arhes, garclea bei Isidor und slahif, arslahit der Lex. sal. weisen
darauf hin, dass auch hier r -j- c<ms. und h zunächst umlaut-
hemmend würkten; vielleicht ist auch aldin bei Isid. so aufzu-
fassen, denn die übrigen fälle, welche vor der flexionsenduug
-in nicht umgelautet sind, hinamin, liihamin haben nebentoniges
a, das wie eine beträchtliche zahl von belegen dartut (Fr. § 10,
Wilmanns i § 195, b, vgl. bes. Otfr.s antfangi, gaganent, gisa-
)Hani, uagalen), der umlautswürkung weniger stark ausgesetzt
ist; s. auch bälgen, aneuallit {-balge, -balgin) s. 22. zur zeit
Otfrids war diese phase bereits überwunden-^, sein auffalleude.s,
viell. aualogisch€s u-ehsit hat entsprechung in den heutigen dia-
lekten: Heilig Mda. d. Taubergrundes § 51: tvegst aber n^yt,
gslqyt usw. ; ebenso Knauls § 1 1 , 2 e ; hier aber auch fies9
< vlehsin). auf das zeitlichere eintreten der umlautbewegung
im fr. weisen hin die schon verhältnismäfsig früh belegten fälle
mit uml. hervorgerufen durch / in zweiten compositionsgliedern
von eigennamen (Fr. s. 23). über das obd. geht das fränkische
hinaus in fällen wie kentzler Heinzel 398, moselfr. ziddldr
Sattler, -mqydr -macher usw., wofür Leid. Will. (Fr. s. 21)
einen frühen beleg bietet, sie erklären sich, wie der vorsprung
des md. in der umlautentwicklung überhaupt, daraus, dass im fr.
früher als im obd. die nebensilben an schwere einbüfsten. daher
auch jene fürs obd. unerhört starken Verkürzungen nebentoniger
Silben oder Wörter, wie zb. in salsd Seligenstadt, hirby < Hüh-
nerbach usw.
S. 22 bemerkt Fr.: 'Summar. geht im umlaut sehr weit,
hat aber plur, bladerm 92, 31, bladir 100, 43'. dies ist nichts
zufälliges, zumal auch das heutige rip. bladdr hat. es steht
aufser zweifel, dass in der flexion der 6-stämme im ahd. urspr.
ir und ar (entsprechend idg. -es -os) wechselten und hinter dem
rindares des 2. Eeichenauer glossars (Braune Ahd. gram. § 197,
a. 1) und dem holar bei Schatz Altbair. gr. § 98 steckt sicher
mehr als blofse Orthographie, dafür haben wir Zeugnisse in den
' bair.-österr. formen wie Imitat hält, beweisen natürlich uiclit
das 'unterbleiben des uml.' vor I -j- cons. , wie man gelegentlicli
lesen kann.
- doch haben einzelne md mdaa. noch heute vor / -f~ cons, offenes
f , vgl. Knaufs Mdaa. von Atzeiihain und Grünberg § 1 1, 3.
ALTFBÄNKISCHE GRAMMATIK 213
heutigen mdaa.: iiiederrhein. kah'dr Hasenclever Dial. d. gmde.
"Werraelskirchen <j 47, siegerl. kalwdr Heinzerling s. (iO, nirär
rüder s. 119, siebenbürg. r^(/ar räder, ^>-'J&ar gräber, Frühm Vgl.
flexionslehre d. Jaader und moselfr. mda. s. 21. unilautlos sind
chalhdr und Jamvh>r in den meisten hochalem. mdaa.; ich könnte
eine reihe von belegen anführen, es ist zu beachten, dass in
den angeführten mdaa. in überwiegender zahl 'regeimäfsige" fälle
mit geschlossenem e-uml. daneben stehn; nur das rip. scheint
nicht umgel. formen zu bevorzugen, Münch § 209. vgl. noch
kämt. KliQlsp^rg für urk. Chalherspei-g und Caluerespach Fr.
§ 1 16, 6 anm., spaclier § 132, 2. ältere belege gibt auch Wein-
hold Mhd. gr. 8.4 86: rarere (gen. pl ), hladere. in ostmd. dia-
lekten kommt bei dieser gruppe häutig offner e-uml. vor, der
auf ursprüngliches nebeneinander von umgel. und nicht umgel.
formen deutet.
Im Anz. XXXII 127 hab ich einige belege zusammengestellt,
aus denen hervorgeht, dass j-uml. stärker würkte als i-uml.:
dazu scheint die behandlung des -ari beim Schreiber ;' im Tat.
zu stimmen nri^ in der fiexion C'arj-) aber mit einer ausnähme
67'-, Vgl. Sievers § 76; freilich ist / ein Oberdeutscher.
Wie das mfr. und das angrenzende westndfr. sich in der
behandlung der kurzen e-laute dem nd. nähert, so auch darin,
dass es früh und intensiv das lange a umlautet, wodurch es
sich sowol vom ostndfr. wie von den meisten oberfr. mdaa.
stärker abhebt; allerdings ist der Übergang im süden und Süd-
osten nicht unvermittelt, es ist jedoch fraglich^ ob man dieser
starken entfaltung des uml. von ä eine besondere sprachliche be-
deutung beilegen soll: der fall widerholt sich im westl. hoch-
alem.. auch hier ist ce mit e in einen geschl, e-laut übergegangen,
der in einzelnen dialekten sogar zu io wird, in ahd. zeit war
mfr. 'ce' sicher noch ein offner laut, wie die noch zahlreichen
a-schreibungen lehren (§ 24). — die beispiele mit e für ei § 21,2
dürfen m. e. nicht unterschätzt werden: in den meisten der an-
geführten belege kann <-uml. angenommen werden; und dass
j-uml. des ei in einem teile des fr. bestand, steht aufser zweifei
[n-enig und heäe gehören selbstverständlich nicht hierher), reste
solcher umlautwirkung kennt das ndfr. und moselfr. ; ganz deut-
lich ist die Sache im lothringischen, vgl. Tarral s. 30 u. 75 zb.
säiydn zeichen: iceiyon <.n-aikjan. dass einzelne ausgleichungen
stattgefunden haben, kann nicht wunder nehmen, man beachte,
dass die ausnahmen wie 'u-eide' teilweise zum ndfr. und nd.
stimmen, ich halt es für sicher, dass das ganze mfr. gebiet im
anschluss an das ndfr. und nd. uml. des ei kannte, nur ist in
dem gröfsten teil desselben infolge jüngerer monophthongierung
zu e, q der unterschied verwischt worden.
Ebenso wie einen uml. des ei weist das md. (hier in Über-
einstimmung mit dem obd.) einen uml. des iu auf, von dessen
214 LESSIAK ÜBER FEANCK
Vorhandensein einzelne mfr., hessische und thüring-. mdaa. zeugnis
geben, der alte nicht umgel. dii)hthong iu ist in den genannten
dial. zunächst zu ü geworden (und zwar nicht allein vor ?/•, vgl.
Fr. § 41, 5 zu Xuenhiirg), das umgel. iu dagegen ist mit dem
uml. von lang ii in Ü zusammengefallen, heute stehn sich die
beiden laute in nicht diphthongierendem gebiet als u und t, in
diphthongierendem als au und oi, al entgegen, vgl. 7iau neu, au^
euch, haud heute, aut < int < iuirlht, faudr feuer, haior 'heuer'
unlängst oder vergangenes jahi-, aber etwa iloia7~ teuer, loiyjh
leuchten usw. sehr klare beispiele bietet Heinzerling: nin neun
< ninni od. niuniii aber nwotse 19, mmtsiy 90; tmy^ zieh (imp.
neben analog, tsiy). der einblick in die Verhältnisse wird des-
halb erschwert, weil gegenwärtig die u- bzw. f«<-formen überall
vor den i- bzw. ai-, oi-formen im schwinden begriffen sind und
sich zt. nur mehr in ortsn. gehalten haben, die Verteilung der
'm'- und 'm'-formen im md. stimmt mehr zu der des hochalem.
'ÖM - u gebietes' (südl. und südwestl. Schweiz, wo umgel. iu durch
ü, nicht umgel. durch öu oder deren Weiterentwicklung vertreten
ist) '. im gegensatz zur schwäb.-bair. gruppe herschen mit wenigen
ausnahmen uml.-formen in der 2. und 3. sg. der verba der 2. cl.
(analogisch auch in der 1., sowie meist auch im imp.) und in
jenen fällen, wo iu nicht auf germ. eu zurückgeht, sondern durch
contraction usw. entstanden ist, oder auf fremdem diphth. beruht,
so zb in freund, teufel; nur bietet feuer, heuer, heute im md.
zum unterschiede vom südwestalem.. wo fnr, hür, Imt gesprochen
wird, die entsprechung des nicht umgel. iu, wenn auch nicht
(mehr?) überall, abweichend von den schwäb.-bair. mdaa. bildet
r im hochalem. wie im md. kein umlauthindernis, daher 'irt' in
teuer usw., wol aber w "-.
2) Brechung, das nördl. md.. insbes. das mfr. unter-
scheidet sich von den übrigen hd. mdaa. dadurch, dass in einer
reihe von fällen die brechung des u unterblieb, wodurch es der
nd. und angelfries. dialektgruppe näher rückt, vgl. Fr. § 21, 5.
auch das Verhältnis von % : e weist mancherlei unterschiede gegen-
über dem obd. auf. zur ergänzung der ahd. belege stell ich hier
eine liste derjenigen Wörter zusammen, die heute in nordmd.
mdaa. u aufweisen oder deren heutiger lautstand sicher auf
früheres u deutet, ohne gerade Vollständigkeit zu beanspruchen:
ofen, offen, hoffen, oben, hof, stopfen, stoppel, geschloffen, hobel,
1 vgl. zb. Haldimann, Zs.f.hd.mdaa. 4, 318.
- Die ansieht, dass md. au nicht umgel. in entspricht, wurde, soviel
mir bekannt, zuerst von Brenner Beitr. 20, 80 vorgetragen, der auch auf
Heinzerling aufmerksam macht, abzulehnen ist die beschränkung der an-
fornien auf einsilbige Wörter, Behaghel, Grundr. I^ 705, ebenso die er-
klärung Weises Zs.f.d.mdaa. 1907, 20Gf, der die rat von benachbartem
dental oder h abhängig macht und Wörter wie Iniaul, raude, saule,
srhlaader, haune, aul damit verquickt, die urspr. u haben und zt. auch
im obd. nicht umgelautet sind.
ALTFRÄNKISCHE GRAMMATIK 215
— frosch, fort (dies auch obd.) spott, spotten, bock, boden, gebot,
moos, motte, Mosel (vg-J. dazu Fr. § 21, 7 anm. 1), kommen,
Sommer — voll, volk, vogel, woche, wolf, wölke, wolle, ge-
schwollen, wort, folgen — kohle, holen, gold, holz, toll, stolz,
schölle, wie häufig auch im obd. in: honig, donner. trocken,
trotz, deutlich geht aus diesen beispielen. deren Verteilung nicht
gleichmäfsig ist, hervor, dass fast überall die conson. Umgebung
(labial od. /) von einfluss war; vgl. die bei Franck i; 21, 5 an-
geführte litteratur. in einzelnen fällen spielt Wechsel im voca-
lismus der folgesilbe herein, freilich wird die sache dadurch
kompliziert, dass in den hierhergehörigen mdaa. unter gleichen
bedingungen auch brechung eingetreten ist, zt. im gegensatz
zum obd., so etwa in stube, furche, zupfen, rupfen.
Die erklärung, dass sich in sicester, gester das offene e über
swestir, gestir zu geschl. e entwickelt habe. Fr. 5^ 16. halt ich
wie die (ja wol allgemein abgetane) hypothese eines .s/-uml. für
unrichtig, es handelt sich vielmehr um contaminationsformen,
wie sie zb. auch für die e und e scheidenden mdaa. des südbair.
iu schef schiff, anzunehmen sind (Zs. f. d. mdaa. 1909. s. 12, vgl.
auch pl. pretdr gegen sg. prqt). dass i-formen bei diesen Wörtern
bestanden haben, zeigen aufser siiister im Tat. und im 2. Merseb.
zauberspr. auch die jetzigen mdaa. rafr. — mhd. siister d. i. süster,
heute zijstdr, zoster (vgl. auch Franck Zs. 35, 385) kann nur aus
.sirister hervorgegangen sein 2, das selbst natürlich auf flexions-
formen wie ''siristri beruht, lux. gißt{dr) deutet entschieden auf
urspr. (', das im westlothr. gistdr noch rein erhalten ist wie im
ndl. -nist in den Oxf.-AVürzb. gl. findet seine parallele in west-
lothr. nist, lux. naU (a<i; für das verhältnismäfsig seltene nest
gilt also dieselbe erklärung wie für sw'ester. die contaminations-
formen herschen auch in swester und gester nicht überall: die
meisten nordrheinfr. und ostmd. mdaa. weisen auf e). beachtens-
wert ist lothr. jetwid9r; es erklärt das in den mdaa. häufige
geschl. e in {et-, ent-)weäer. viell. ist auch geschlossenes e in
jener aus dem nebeneinander von i und e-forraen hervorgegangen,
i-formen kennen die moselfr. mdaa., vgl. siebenbürg, giner (Beitr.
17, 382, wobei freilich der nasal mitgewirkt haben kann), s. auch
Weinh. § 488. *,jin- bzw. mit brechung Jen- wären dann ablaut-
formen zu got. jain ; auch obd. ener liefse sich so leicht erklären:
iinn-> ina-> ena-. Otfrieds nihul{nissi) lebt fort in hess. niicdl,
lux. nivol (daneben ni9V9l mit ursprüngl. e). mit entschieden-
heit auf ursprüngl. e deutet lux. khrips, khripds. westlothr.
khribis'-K wie denn auch bair.-üsterr. khrips germ. e voraussetzt
* auffällig ist westlothr. u in rotz, rost, knochen.
2 wegen des uml. in '.nister kann daher kuman § 69, 2 nicht auf
qid- zurückgeführt werden.
^ p, b für r im moselfr. ist wol in formen wie khrips- für / ein-
getreten ( fs > ps).
216 LESSiAK übp;k fkaxck
(Fick ■• 52, Weigand ■' nehmen unil. e an. Kluge lässt die frage
unentschieden), erwähnt sei noch lux., eifelländ. viit met. (vgl.
Wb. d. lux. mda. 288, Hecking 58). — vedar in Cant, als ver-
dächtig anzusehen (Fr. § 19, 5) ligt kein grund vor. rheinfr.
mdaa. setzen in diesem wort wie auch in 'nieder' zt. e voraus,
vgl. etwa Handschuchsheim : n-^rp wieder, «er» nieder (adv.),
während i sonst aulser vor altem r erhalten bleibt: ksnird ge-
schnitten, slird Schlitten (Lenz, Vgl. wb.); auch werd in Naun-
heim neben frire friede weist auf e; genauere musterung der
mdaa. dürfte wol noch mehr belege zu tage fördern.
Nicht sehr wahrscheinlich dünkt es mich, dass e in Wörtern
wie pfeff'ar, segan, heh, h'ehhar, messa auf rom. e zurückzuführen
sei (Fr. § 20, 6). ich verweise auf ableitungen wie kämt, ppjf'ern
(pfeffern) < piprjan, ahd. pfifera, Schweiz, pfiff'ere nhd. pfiffer-
ling, 'pfefferschwamm', nhd. verpichen, erpicht, bair.-österr.
pik-pn {viörAl. pikii) kleben < bikjan^. freilich kann hier auch
erhöhung von e zu i vorliegen ; es ist jedoch zu beachten, dass
i im rom. nicht zu ? sondern zu e geworden ist und dass dafür in
einem teile des mfr. und nordrheinfr. jener zwischenlaut zwischen
i und e (oder dessen moderne eutsprechuug) zu erwarten wäre,
der für germ. i vor folgendem vocal mit tiefer zungenlage hier
angesetzt werden muss: dicko (od. decko?) aber dicki, s. Fr.
§ 20. — diese von BSchmidt in seinem Vocalismus der Sieger-
länder mda. zuerst bemerkte lautregel verdient von selten der
deutschen grammatik eingehendste beachtung ; sie ist sicher sehr
alt, da sie auch die Wirkung des geschwundenen j noch erkennen
lässt, vgl. dazu Hörn Zs.f.hd.mdaa. 6. lOß. dadurch wird
wenigstens für einen teil des Sprachgebietes die ausnahmslosigkeit
der einwirkung von a, e, o auf vorausgehendes i der tonsilbe
sichergestellt, und es ist nicht ausgeschlossen, dass die erscheinung
ursprünglich viel weiter reichte, trotzdem halt ich im gegensatz
zu Fr. § 1 9 e noch immer als das lautgesetzliche brechungsproduct
von i vor a, e, o und diesen für die genannten mdaa. voraus-
zusetzenden mittellaut nur als compromisslaut. ^ die annähme, i
sei zu e nur gebrochen worden, wenn betontes ä, T, e unmittel-
bar folgte, erscheint mir unwahrscheinlich, weil assimilations-
vorgänge viel rascher und intensiver vor sich gehn, wenn unbe-
tonte vocale folgen als solche mit nebenton. wenn zum unter-
schied von i die brechung des ii zu o consequenter durchgeführt
wurde, so ist dies nicht so auffällig, man halte sich die ab-
lautsreihen vor äugen; auf der einen seite: l, ai, i, i, auf der
andern: e (i) a, u, u; e (i) a, m, u; eu, ou, u, u. hier ist der
1 ein fall der deutlich zeigt, dass consonantengemination auch nach
abschluss eines teils der lautverschiebung noch wirksam war; dazu mfr.
Türines < (Anjtoniiis (Frank s. 32) und Görres ■< (Gre)qorUis. bei
ersterem beachte man^die erhöhung von o>u\ vgl. dazu Anz. xxxii 122 und
tiifiäure Fr. s. 28 < *se<ietarium.
ALTFRÄNKISCHE GRAMMATIK 217
M-vocalisraus auf den pl. des prät. und das part. beschränkt, ja
in einer reihe sogar auf das part. allein, während dort infolge
früher assim. von ei > t die i-formen mit ausnähme des sg. prät.
durch das ganze paradigma gehn, allerdings mit quantitativen
differenzen. kein wunder wenn in diesem falle sich früh das
streben geltend machte, den i-charakter beizubehalten, wenn
dann infolge dieses starken systemzwanges in der verbalflexion
die psycho-physiologische norm der Senkung von l > e vor vocal
mit tiefer zungenlage durchbrochen wurde, und man sich ge-
wöhnte i in dieser Stellung (unverändert oder doch nur wenig
verändert) beizubehalten.
Zur flexion. vom obd. unterscheidet sich das fr. da-
durch, dass für obd. in, un in den endungen der subst.-flexion
in der regel en, on auftritt, der grund dieser verschiedenen Ver-
tretung ist nicht ganz klar, doch scheint nach Walde Germ,
auslautgesetze s. 17S das fränkische das ursprüngliche zu be-
wahren, von Wichtigkeit wäre die feststellung, wie sich die
enjm bzw. oiijWi formen im fr. verteilten, sie ist nicht unmög-
lich: für die Verbreitung von on bzw. un fehlen uns allerdings
anhaltspuncte, wol aber haben wir solche für die von w (en),
und zwar im auftreten (oder nichtauftreten) des uml. in alten
Zusammensetzungen, namentlich in Ortsnamen, so erscheint montag
mit uml. (urspr. mänintag) im südwestl. ostfr., vgl. Zs. f. hd. mdaa.
6, 333, Heilig Mda. v. Tauberbischofsheim s. 68, im moselfr.,
sowol im westlothr. wie im lux. dagegen scheinen nur umlaut-
lose formen dieses Wortes vorzukommen im rip., im rheinfr.
(aulser dem Südwesten; vgl. den beleg im Wb. d. dentsch-lothr.
mda. s. 369 für Rieding bei Saarburg und Nobiling Vocalism.
d. dial. d. stadt Saarburg etc. s. 45), im östl. ostfr. und im
ostrad. ; doch beachte man ortsn. wie Lengen-, Lenge-, Ijengfehl
in Thüringen, Sachsen, Unterfranken, Bötenhach in Ober- und
Mittelfranken u. a. m. bemerkenswert ist Lengfeld so. Darmstadt
und Lengef'eld im waldeckischen, also noch auf rheinfr. boden.
(weit verbreitet sind die Zusammensetzungen mit Grafen-, doch
ist hier vorsieht geboten, da auf md. boden auch die nebenform
greve < grävio vorkommt), eine Untersuchung dieses problems
wäre dringend notwendig; vielleicht weisen doch auch andere
gegenden reste solcher umlautformen auf. zu den in § 164 er-
wähnten Ortsnamen mit -in -en bei weibl. grundwort kommen
noch die in Beitr. 14, 108 angeführten hinzu; auch dafür bieten
die heutigen ortsnamenforraen belege, vgl. Längnau in Ober-
franken. — die beispiele mit uml. bei folgendem -in hätten
übrigens zusammengestellt werden sollen.
Einzelnes: s. 8 zum 'taufgel.': Fulda ist doch auch
rheinfr.! § 9 vgl. noch Wolperoni Heinzel s. 37 2. § 12 wäre
eine Zusammenfassung der belege für uml. hervorgerufen durch
i in 3. Silbe erwünscht, vgl. ss. 17. 22. 64. auch fälle wie
218 LESSIAK ÜBER FKAXCK
Weitere < Waltliari, Eltevile < AUavilla s. 23 gehören natür-
lich hierher. — 4> 1 2 anm. werden beispiele von Ortsnamen gegeben,
in denen nichtdeutsches (kelt.) a scheinbar ohne palatalgehalt der
folgenden silbe heut als e erscheint; Fr. erklärt dies aus pala-
talerer articulation des kelt. a. diese hypothese hätte wol nur
beweiskraft, wenn sämtliche keltische a in der betr. gegend als
c aufträten, viell. beruht der uml. doch nur auf secundär ent-
wickeltem i. — zu § 13, 1 vgl. hess. him handschuh, westlothr.
liimt hemd, lux. int ente, simt schäm; auf hingst hengst deuten
siebenbürg, dialekte (Beitr. 12, 356). — § 14 den .y-uml. kennt
auch das (westl.) ostfr. — § 1 7, 3 zum Übergang von icer > ^vor
vgl. auch die alte hd. bezeichnung Antorf für Antirerpen. — § 1 9.
1 (unten) wären auch die formen emo der lex. sah, era bei
Otfr. und hero im Leid. Will, zu erwähnen gewesen (doch
ij 171). Lesiira Lieser s. 30 dürfte urspr. i haben, vgl. den
kämt, flufsnamen Lieser, älteste form Lisara. — ie in § 19, 5
wird schwerlich dehnung bedeuten; es ist offenbar nur die in
späterer zeit so häufige Schreibung für offenes i oder geschl. e
und steht auf gleicher stufe wie die uo für u (ö) in § 22, 7
anm. ie und uo hatten im grössten teil des fr. nach der monophthon-
gierung l. T[, ergeben, die im mfr. bes. im rip. qualitativ mit kurzem
i, u (d. i. 7, ?/) zusammengefallen waren, weshalb für letztere auch
die Schreibung ie, uo eintreten konnte; quantitativer zusammen-
fall ist deshalb nicht erfolgt, natürlich konnten ie und uo da-
neben gelegentlich zur längenbezeichnuug verwendet werden. —
§ 29 vgl. auch das auffallende hiziitnta 'sepsit' Würzb. n 622.
41. — § 30 anm. 2 den Übergang von e > i kennt auch ein teil
des nordrheinfr. — § 31 ie in siesnon könnte auch ie bedeuten;
im lux. lautet sense heut zeisdl mit demselben ei, das sonst
altem ie oder e entspricht (altes ei dagegen erscheint als ^).
dagegen steht ie in Riele § 42, 3 sicher für t. — § 33 Hoeste
dürfte einfach *H6hsteti fortsetzen. — § 34, 2 wäre auf die oug <
ouu in § 68 zu verweisen. das lux. struom weist viell. auf
frühen zusammenfall von no und ö in dieser mda.; sie hat heute
für beide laute du (ö = palatovel. o), vor m. auch palatovel. u.
— § 35 die aualogische Übertragung des umlautzeichens oi auf
nicht umgel. ou ist viell. so zu erklären: nicht alle ostfr. mdaa.
unterscheiden zwischen umgel. und nicht umgel. ou. in den
dial. des Südostens, Südens und Südwestens, also in den ans bair.
und alem. grenzenden teilen sind alle ou zu ä geworden, da-
gegen wird im nordwesten und norden ou und öu deutlich aus-
einandergehalten, zb. Bonnland dläwa glaube (subst.) aber gddle
glauben (verb.). während man also im norden ou und oi aus-
einanderhielt, waren die beiden zeichen für Schreiber aus dem
Süden gleichwertig, sie konnte sie daher leicht vertauschen. — § 36
mit dem oye für oiiwe sind viell. die oi bei Schatz § 14, b zu
vergleichen; s. auch Pinzgoy Prager D. Stud. vin 267. — § 38, 6
ALTFBÄNKISCHE GRAMMATIK 2 1 9
der ausdruck 'der heutige mfr. monophthong' ist unriclitig, da
doch auf einem groi'sen gebiet ie (und uo) nachträglich wider
diphthongiert wurden: lux. ei, moselländ. ij (Ludwig Mda. v.
Sehlem § 52), im siebenbürg, begegnet sogar äi, ai und daraus
entstandenes «; vgl. Siebenbürg, sächs. wb. lauttafel. auch wird
nicht überall wo monophthong blieb, e gesprochen, fiihemes bei
Otfr. ist eher mit spiohan zusammenzubringen: h war vermut-
licli ein stark velarer laut, vor dem helle vocale (schwach)
diphthongiert wurden und sich so mit alten diphthongen be-
rührten, was gelegentlich zur umgekehrten Schreibung führen
konnte. — §41,2 wird Franck im recht sein, wenn er für e
in freuua usw. geschlossene qualität vermutet, in den hochalera.
mdaa., wo die e/c noch zt. erhalten sind, wird hier dasjenige
mittlere e gesprochen, das sonst dem uml. -e zukommt, vgl. aus
der Umgebung von Brig: reivu. yeicu^ < hreuuan, cheiman (dag,
rillt, yjid, tyiivi < riunit, clüuuit, triuni). — § 41, 5 s. auch oi in
Loitherti Heinzel 240. § 43, 2 den Übergang von ehe > ie haben
auch die meisten moselfr. dial. mitgemacht; auch der vocalismus
von 'vielr weist daselbst auf urspr. ie < eh + vocal. — in § 45 oder
47 wäre auf die in § 4 erwähnten fälle mit ?/o hinzuweisen ge-
wesen; dazu Anz. xix 239. — § 54 zu den Zusammensetzungen
mit käsi- käse wäre zu bemerken, dass die obd. dial. mehr-
fach umlautlose formen aufweisen, also käs- voraussetzen; in
md. mdaa. ist mir dergleichen allerdings nicht vnrgekommen. - —
§ 55, 2 die erhaltung des nebentonigen tu der adj. endung im
obd. und südl. md. hängt wol eher mit verschiedenen betonungs-
verhältnissen zusammen obd. blinüu : md. hlindih. das obd. ist
hier wie auch sonst in nebentoniger silbe conservativer geblieben.
— zu § 57 vgl. jedoch auch Heinzel s. 242 {Unkeisteina, Ossen-
berga). — in § 57, 2 hätte auf Pietsch350 hingewiesen werden sollen,
in § 9f>, 7 auf die modernen mdaa. die Vertretung eines urspr.
j durch IV ist nicht nur ostfr., sondern greift weit ins nürdl.
rheinfr. hinüber, s. zb. Knaufs Vergleichung d. voc. lautstandes
in den mdaa. v. Atzenhain und Grünberg s. 52. — § 72 dass g für
j vor i, e nur orthogr. sei, ist jedesfalls nicht richtig : lautge-
setzlich ist — wenigstens im anl. — auf dem ganzen hd. ge-
biete mit ausnähme des rip. anl. ./ vor i in g übergegangen, vor
e allerdings nur landschaftlich, ich komme darauf bei einer
anderen gelegenheit zu sprechen, die Schreibung g vor dunklen
vocalen beruht viell. auf dial. Sonderentwicklung: heute erscheint
j in diesem fall als g im östl. ostfr. und im nordbair.. ferner in
moselfr. mdaa., vgl. die Zusammenstellung von Hufs im Archiv
d. Vereins für siebenbürg, landeskunde 35bd., s. 149. — § 83 — 85
Paternovilla s. 102 als lat. form ist wie auch in § 12 anm. aus-
zuscheiden, die Verhältnisse des Leid. Will, hätten erwähnung
verdient; dass ^jh hier auch asp. /' bedeutet, ist sicher. —
^ w ist bilabialer sonor ohne reiberäusch.
220 LESSIAK ÜBER FHANCK
§ 86 ZU Sa^ihenherch vgl. die merk-svürdig-e Schreibung- Saphven-,
Saphfen- bei Heinzel s. 'i33, die älinliclikeit hat mit den ge-
legentlich vorkommenden fph für ff'. — § 103 statt (Ui wäre
doch wenigstens dzl oder zi zu schreiben gewesen. — § 105 hier-
her und nicht unter h gehört ze idione Cant. 4, 8. — § 106, 2
-ynanoh- (für manag) könnte allenfalls die alte nebenform mit
-h, die in obd. mda. noch weiterlebt, vertreten, vgl. gottscheeisch
mudniydr mancher, inanah Gl. ii, 272, 3i). — § 113, 2 hätte auf
die Verhältnisse in den rip. mdaa. hingewiesen werden sollen,
wo in der gruppe /;/ das t im ausl. abfällt, im inl. dagegen h
schwindet, s. Münch § 110, 5. mir scheint es fast, als sollten
auch die ausl. h für / (§ 96) ihr dasein der Übertragung solchen
wandeis auf -t (germ. d) verdanken, im luxemb. ist heute in
weitem umfange hypernormales yt für t eingetreten: Inoytdn <
baten (s. oben), ärbiyt arbeit, voudrryt Wahrheit, zidJtsiyt Alzette (I),
flussname usw. auch in bair. mdaa. wird in dial., wo Jit und t
zusammengefallen sind, gelegentlich falsch rekonstruiert, daher
die Veicht für Veit und ähnl. — § 115,6 glhfun und snJzgar
sind nicht mit den k vor cons. auf gleiche stufe zu stellen.
im ersten wort ist g oder unasp. k auch im obd. in weitem
umfang verbreitet' und -kar in Zusammensetzungen hat g auch
im hochalem., vgl. Schweiz, yasgdr < chäsichar. die bei Pietsch
432 angeführten Wörter mit anl. g für k sind lehnwörter und
haben im obd. unasp. k oder g. — § 119, 2 die p, k, z in raupe,
haken, schnauze beruhen doch auf westgerm. consonantendehnung
(bei schnauze ist dies nicht gerade sicher, s. oben), haben also
junge geminaten, die nicht (oder doch erst im laufe der ahd.
periode) vereinfacht wurden, während die alten doppellaute in
fällen wie wissa-, mössö schon urgerm. durch einfache ersetzt
worden waren, sie sind auch nicht mit Wörtern wie Sveizen',
'büetzen' zu vergleichen, denn nachdem sie einmal isoliert waren,
hatten sie keine formen mit einfachem cons. neben sich wie
böttiu : bötis usw. — § 1 20 vgl. das nebeneinander auf mfr. ge-
biet : rip. lux. u. moselländ. k(h)of'dr < kitpur, westlothr. kupdr <
kuppr-. — § 126, 4 viell. ist die assim. in Zulpikorve (diese form
Lac. I 236) erfolgt, bevor die Verschiebung des k> y endgiltig
durchgeführt war. — § 127 ergänze: und zwischen m + /'.
§ 128e: nodnnftigo der Kölner Genesisgl. und das von Fr. nicht
erwähnte custigan im Leid. Will. 47, 23 scheinen die einzigen
alten belege für den heut in mfr. mdaa. (und im angrenzenden
rheinfr.) in weitem umfang eingetretenen Schwund des nasals
vor Spiranten zu sein. Chostantin kann auf rom. entwicklung
beruhen, dagegen werden sudan Par. •' ni 608, 5 und suihene-
wind Leid. Will. 39, lü, 16 doch nicht aufser acht gelassen
^ eine Zusammenstellung von beispielen mit rj für anl. k bringt mein
mc Anz. f. idg. sprach- und altertumsk. XXVII erschienene reo. von
Sehönhoffs Emsländ. grammatik.
ALTFRÄNKISCHE GKAMJIATIK 221
werden dürfen, dass der bes. aus dem alem. bekannte nasal-
schvvund im mfr. verhältnismäfsig- alt ist, zeig-t die vocalent-
wicklung, vgl. lux. Ai.sor Enscheringen (wol zu Ansheri; s. dazu
Schatz, Abair. gr, s. 82 Anscheringam), güs gans; freilich haben
auch noch phaislsn ptingsten, jofdr Jungfer an der entwicklung
teilgenommen, siegerl. äcasd < dlnsen, ßasihr fenster, fdrnöft
Vernunft; siebenbürg. tSQcs zins u. a. — die bemerkung s. 170
'nicht lautlicher Charakter der erscheinung — nämlich des ab-
falls von n — wird Beitr. 22, 441 verteidigt' ist nur zt.
richtig ; vHelten nimmt nur für die subst. Übertragung an.
— § 134 hätte das iu im gen. pl. bei Isidor erwähnt werden
sollen; vgl. Hench s. 93 und Kögel, Anz. xix 240, wo auch ah-
gnindm \, 5 so aufgefasst wird. — § 142 die Skepsis betreffend
den Schwund der ausl. t teil ich nicht. die mnd., mnl. formen
ohne endvocal können doch ebensogut wie .suii (§ 145) aus der
flexion ersclilossen worden sein. — • § 159 das -iu für gemeinfr.
-u blieb nicht nur im südl. moselfr. bewahrt, sondern auch im
südl. rheinfr. und einem beträchtlichen teil des ostfr. — § 162,
z. 7 zu 'vor unbetonter silbe' wäre hinzuzufügen 'und nach
nebentoniger silbe'. — 4j 1 80 ergänze : habana (eleuatos)
Würzbg, hl 621, 56. — 4j 193a hier wäre auf § 160 hinzu-
weisen, dass formen mit st fehlen, ist begreiflich, dafür steht
eben tt. die hf für Ä'^ können docli nicht gar so selten gewesen
sein, jedesfalls finden sich hiefür in modernen dialekteu massen-
haft belege, ich verweise etwa auf Zs.f.hd.mdaa. ü, 273. —
§ 199, 1 hätte an die Verhältnisse in heutigen dialekten erinnert
werden sollen, moselfr. e/ drhokdn, tsepn ich trinke, ziehe usw.;
entsprechend im rip. — § 201 die e- und ö- verba hatten doch
im conj. präs, urspr. kein e (< ai).'. — § 20ti fehlt die
erwähnung der i für Tu in der 3. pl. opt. bei Otfr. s.
QF. 37, 9.
Im allgemeinen wäre noch zu bemerken: öfter vermisst mau
eine Zusammenfassung wie sie § 10 versucht ist. dadurch dass
zb. die aulaut- und inlautbehandlung der consonanten in den
einzelnen quellen gesondert beschrieben ist, geht die Übersicht
verloren, was eben durch solche kurz orientierende capitel hätte
vermieden werden können. — bei Ortsnamen, die für die Sprach-
geschichte von irgendwelcher bedeutung sind, wäre die mdal.
ausspräche anzuführen gewesen : mit den heutigen kanzleiformen
lässt sich freilich nicht viel anfangen, so wäre die kenntnis
der dialektform vor allem erwünscht bei Hönningen § 7, Alten-
forst § 9 (s. 16 u.), Freimersdorf § 13 (s. 23), Heimerzheim § 116,
6 aum., Agger § 117, 5, es wird, wie mir mitgeteilt wurde, jetzt
agdr mit verschlufslaut gesprochen wie in Wörtern mit altem gg
(zur Schreibung vgl. -wichen, rochin^ Hacchenburg Heinzel 276.
s. dag. das auffallende gg in Vreggana Frechen 236. hatte gg
222 LESSIAK ÜBER FRANCK, ALTFRÄXK. GRAMMATIK
im mfr. stellenweise uoch den lautwert einer gemiu. spirans V),
Hasenried 121, 6 sowie den meisten in §21,7 anm. 1 u. 2 an-
geführten namen. — öfter hat Fr. rip. eigentümlichkeiten verall-
gemeinert, wie ich dies schon gelegentlich angedeutet habe : so
gilt das in § 44 anm. 1 gesagte nur fürs rip. und auch da
nicht überall
Ich habe bisher licht und schatten ungleich verteilend fast
nur mängel hervorgehoben; es sei hier deshalb besonders fest-
gestellt, dass ich dem Franckschen buche eine reihe wertvoller
anregungen, auch in methodischer hinsieht verdanke, zu loben
ist vor allem die grofse vorsieht, mit der der vf. au die probleme
herantritt, wol geht er nach meinem ermessen manchmal in der
Skepsis zu weit, aber es ist immerhin gut, hie und da aus der
philiströsen Sicherheit, in die man sich eingewiegt hat, etwas
aufgerüttelt zu werden und sich die dinge wider einmal etwas
genauer anzusehen, ein paar beobachtungen und ergebuisse, die
für die deutsche grammatik im allgem. von bedeutung sind, mücht
ich zum schluss noch hervorheben: § 55, 1 die entwicklung von
-dio zu -do, die genau der des iu > u beim adj. entspricht.
§ 60 die beispiele mit sprossvocal zwischen rf, rh rg, rm, lg, hv,
die jedesfalls zahlreicher sein würden, wenn uns mehr alt-mfr.
sprachproben zur Verfügung stünden; ist doch in diesen fällen
svarabhakti nirgends so ausgeprägt als im mfr. und niederrhein.,
dessen Charakteristikum er geradezu bildet, mit der in § 82, 4
gegebenen erklärung des 'jf'' in dürfen, auf das wol alle hd. mdaa.
hinweisen, hat Fr. sicher das richtige getroffen, ebenso mit der
bemerkung in § 113, dass für mhd. h in lit auf einem weiten
gebiete nicht ausgeprägt spirantische ausspräche anzunehmen
sei (s. auch Idg. Forsch. 32, anz. s. 110); dagegen möcht ich das
in § 76 über die ausspräche von nf, mf gesagte nicht unter-
schreiben.
An druckfehlern bemerkt ich: § 39 zweimal paplUa für
pupilla. s. 179 z . 7 v. u. soll es 8, 153 heilsen st. 8, 155, s. 198
z . 10 V. u. Dian st. mann.
Freiburg i. d. Schweiz. Primus Lessiak.
Diemetrik der kleinereu alth ochdeutscheu reimgedichte
von Paul Habermanu. Halle, Niemeyer, 1909. viii u. 194 ss. S". —
7 m.
Nach Habermanns meinung prägen die dichter, auch die
althochdeutschen, die rhythmisch-melodische Stimmung, in der sie
sich bei ihrer tätigkeit betinden, ihren werken durch entspre-
chende Wortwahl im lautbestande ein, und die leser, auch die
heutigen, linden den 'vortragsschlüssel' eines gedichtes, wofern
sie nur allen eindrücken willig folgen.
BAESECKE ÜBER HABERMAXX, AHD. KEIMGEDICHIT: 223
Ich constatiere gleich die beiden immer widerkehrenden still-
schweigenden Voraussetzungen: 1. gleichartigkeit der ausdrucks-
und aufnahmebedingungen damals und jetzt, 2. vollständige ent-
sprechung von gewolltem und erreichtem in der dichtung. beide
sind nicht nur nicht als richtig zu erweisen, sondern sicher falsch.
Wir setzen die arbeit unseres lebens daran, die andersartig-
keit des emptindens und verstehens im raittelalter zu begreifen,
und hier wird sie einfach ausgeschaltet! was wissen wir denn
davon, in welchem Verhältnis damals Inhalt und rhythmus stan-
den ? aber ist es nicht höchst wahrscheinlich, dass den leuten,
die eben vom alliterationsverse herkamen, der rh3'thmus neben
dem Inhalt viel mehr bedeutete als uns heute, wo manche den
vers durch den Inhalt auflösen? und dann würkt der reim in
derselben richtung! er muss ja, übrigens schon als neuer schmuck,
viel gewaltsamer ins ohr fallen als heute: in alle : shie, gisiunl :
gäbi, auch neriän : skäriän fordert er eine neuartig-unnatürliche
dehnung der letzten silbe, einen starken accent, eine hebung der
stimme, die auf die reiraentsprechung hinweist, sollte sich in
solcher hervorhebung des formalen nicht ein uns fremder geschmack
documentieren? oder verlangten nicht vielleicht die robusteren
nerven mehr stürm und lärm vom Vortrag? galt nicht vielleicht,
vielleicht ätherischen seelen leiern für schön weihevoll? ') man
braucht ja nur die möglichkeit zuzugeben! dabei ist noch nicht
einmal in betracht gezogen, dass es wenigstens heute unendliche
abstufungen im verslesen gibt : damals gab es nichts dergleichen ?
ich glaube, man braucht doch einige historische einsieht, um sich
dem 'vortragsschlüsseF eines gedichtes auch nur anzunähern.
Was dann die zweite Voraussetzung betrifft, so haben wir
allen grund anzunehmen, daß sie gerade in der periode falsch
ist, die mit einem neuen verse ringt. Habermann spricht von
einem dem orchestischen urmetrum nahestehenden vierer, der all-
mählich zur freiheit des frühmittelhochdeutschen reimverses ge-
führt werde, ich habe schon früher (Zs. f. d. ph. 41, 99f, vgl. PBB.
36, 374 ff) zu zeigen versucht, wie verkehrt diese auffassung ist.
Otfrieds 'urmetrum' ist, wie er selbst hinlänglich deutlich kundgibt,
nicht prähistorisch deutsch, sondern greifbar lateinisch, und nach
Otfrieds muster ist der vers der kleinen ahd. gedichte geformt;
ihre herleitung an Otfried vorbei ist ein unding ^. und wenn das
Petruslied stärker spondeisch ist, so ligt das nicht daran, dass
es dem 'orchestischen urmetrum', das für den ahd. vierer ein
phantasiegebilde ist, näher steht, sondern daran, dass es dem orche-
' in diesem sinne ist es höchst unhistorisch zu sagen: 'das lied ver-
liert dadurch [durch eine gewisse änderung der sprechmelodie] aber be-
deutend an kraft und bekommt einen sozusagen leiernden tonfall' (s. 16).
es ergetzt sich ja noch heute mancher mann an allerhand musikmühlen,
gegen die jegliches leiern wohllaut ist.
- das zeigt jetzt auch ein vergleich der technik des alter Trierer
Zauberspruches Zs. 52, 178.
224 BAESEClvE ÜBER HABEKMANX
stischen metrum des tages näher gestellt ist, weil es vertont
wurde, oder aber daran, dass das otfriedische streben nach regel-
mälsigem Wechsel von hebung und Senkung über ihn hinaus bei
einem dichter einmal zu noch grüfserer regelmälsigkeit geführt
hat. dass später die senkungssilben wider zunehmen, ist die natür-
liche reaction der spräche gegen die fremde technik. derselbe Vor-
gang widerholt sich ja vom 13 jh. ab noch einmal: strenge
Silbenregelung, silbenzählung, herstellung des knittelverses und
der freiheit mehrsilbiger Senkung: welches ist da das 'orchesti-
sche urmetrum' des knittelverses?
Aber wir geben uns einstweilen zufrieden und sehen H.
dazu schreiten, die einzelnen denkmäler nach klang, melodie und
rhythmus darzustellen, er ist der ansieht, dass es uns alle
interessieren würde, welche melodie sie in seinem Ascherslebener
dialekte haben, wir finden uns darein und hören, dass das
Ludwigslied diese melodie hat (jeder punct bezeichne eine hebung,
seine läge deren relative tonhöhe) : ,. • l .
Nun ist aber doch nach Sievers die niederdeutsche Intonation
und Stimmlage der hochdeutschen entgegengesetzt, die melodie also
umgekehrt. H. intoniert niederdeutsch — aber hochdeutsche ge-
dichte. und dann gibt es, widern m nach Sievers, vielleicht aufser
den kreuzungen bei gebildeten und aufser Verschiebungen die der
affect verursacht, noch andre intonationssysteme. die dann doch
wol nach den dialekten verschieden sind und sich nicht auch
alle untereinander wie -|- 1 zu — 1 verhalten können, ob da das
ascherslebensche besonders gute resultate für das ahd. verspricht?
GrUlparzer behauptet unfreundlicherweise in seinen reisenotizen,
die Sachsen blökten, auch in Aschersleben ist man von einem
gewissen weltbekannten sächsischen tonfall nicht frei, aber ich
will, um keinem lebendigen zu nahe zu treten — ich nehme an.
H. i s t frei von dialekt, und es könnten sich nur jene intonations-
kreuzungen, wie sie bei gebildeten vorkommen sollen, auch bei
ihm zeigen — ich wollte nur auffordern, sich einen hochge-
bildeten Leipziger litteraten von 1760 das Ludwigslied decla-
mierend zu denken : er hätte es doch gewis wundervoll gesächselt !
und stand ihm um 150 jähre näher als wir! und wie richtig
mag es erst der alte Schilter, geboren 1632 zu Pegau in Sachsen,
moduliert haben!
Aber wir müssen noch mehr in den kauf nehmen: wir
wissen beim Ludwigsliede nicht, ob der Verfasser Hochdeutscher
oder Niederdeutscher, war oder doch, in welchem Verhältnis
in dem gedichte das nd. zum hd. steht: hier würden also sprach-
bestandteile verschiedener intonationsweisen von einem dritten,
dialektfremden melodisiert. und entsprechendes findet sich auch
bei andern gedichten, zb. Christus und die Samariterin.
METRIK D. KLEINEREN AHD. REIMGEDICHTE 225
Aber nehmen wir an, es gäbe würklich keine dialekti-
schen und andern abweichungen der Sprachmelodie : sollte sie sich
nicht doch in 1000 jähren einigermalsen ändern? sollte nicht
die einfiihrung des germanischen accents, der den endsilben
kraft und saft nahm, die melodie gradezu grundstürzend geän-
dert haben ? und die letzten Wirkungen davon lägen ja noch in dem
Jahrtausend, das uns von den kleinen althochdeutschen reim-
gedichten trennt, ist nicht die diphthongierung der langen vocale
mindestens teilweise mit musicalischen Veränderungen der spräche
verknüpft? dazu der wandel der bedeutungen, das stete auf-
und absteigen des gewichts der werte, das zurücktreten des sinn-
lichen, das einströmen des fremden mit seinen fremden con-
structionen, bildungeu und melodieen — gut, es sei alles nichtsi
rer'/M^i drj y.oadir! die gedichte haben nun einmal bei Haber-
mann die und die melodie.
So nehmen wir also an, dass sie bei H. so sind, dass er
ihnen keine geltung für die alten Verfasser beansprucht, dass er
nur meint, die alten unbekannten melodieen spiegelten sich in
seiner spräche so, bei andern anders und wider anders, aber
ihre gesetzmälsigkeit, irgend ein sichgleichbleiben sei ihnen in
allen erdenklichen widergaben erhalten und bleibe erkennbar.
Dann bleibt uns zur kritik aber doch wenigstens die be-
trachtung seiner textbehandlung.
Da bietet sich zuerst als hübsche probe das Petruslied dar,
denn es ist neumiert, und wir könnten annehmen, dass die musi-
calische zu der Sprachmelodie pafst, wenigstens in der silbenzahl.
in der tat werden wir aufgefordert, nach den neumen zweisilbig
ze imo, dreisilbig sAer««« iindnerian zu lesen, aber: 'obwol der
refrain (Kyrie eleyson) vier neumen hat, so verbietet doch die
Sprechmelodie zu elidieren und ey als diphthong zu lesen', nun
wollen wir uns doch empören, aber es heilst: 'textdichter und com-
ponist gehen also verschiedene wege", und wir haben uns in die
constatierung dieser zweiheit zu fügen, wenn es uns auch nicht
recht zu sinne will, dass der text beim Petrusliede je für sich
bestanden habe oder auch nur ohne musikmelodie gelesen sei.
Aber i. a. ist der text conservativ behandelt und H. erlaubt
sich nur wenige änderungen. etwa Psalm 13S, v. 10, 11 und 23:
der sprossvocal der handschrift (spiricko, cJierist, cherefti) 'stört
in jedem falle die melodie' und wird beseitigt; Ludwigslied 57
wird das conjicierte tcigsalig, trotzdem es schon der handschriften-
befund verbietet, in den text gesetzt und — passt zur melodie.
ja, H. ist sogar hochconservativ. v. 43 des Ludwigsliedes lautet
nach der handschrift:
uuolder uuar errahchon slna imidarsahchon
(sina gegen das sinan der übrigen herausgeber beibehalten);
dazu die bemerkung: da tmär als Substantiv zu hoch liegen
würde, ist es pronomen: 'Ludwig wollte irgendwo seine wider-
A. F. D. A. XXXIV. 15
220 BAESECKE ÜBER HABEBMANN
sacher zur rechenschaft ziehen', der (neben-)einwand, dass man dann
sine statt sina erwartete, wird damit abgeschlagen, dass sine zn
dllnn klingen, sein e zu hoch liegen würde, (aber v. 32 steht mine
an derselben versstelle: ist das e da nicht zu hoch und zu dünn?)
in den versen der Rhetorik I. 2 wird die lesart von A bevor-
zugt, weil die von BC eine falsche melodie geben: die richtige
ist demnach aus dem einzig übrigen verse 1 entnommen! das
dialektfremde fir- des Petrusliedes wird belassen; es passt
wahrscheinlich zur melodie. 'Christus und die Samariterin'
wird für ursprünglich alemannisch gehalten, und es heifst zu
Tiecprunnen v. 11 sehr hübsch: 'der bandschriftliche lautstand
des wertes muss erhalten bleiben, an dieser stelle ist melodisch
die form mit alemannischem k am besten, liest man sines quec-
prunnen , so wird das Intervall zwischen der ersten und der
zweiten hebung zu klein, da quec- höher als kec-, und etwa
ebenso hoch wie stnes liegt, andererseits muss in 14'' die form
quecprunnan bestehn bleiben, würde man hier kec- lesen, so
würde die zweite hebung im vergleich zu der sonstigen melodik
zu tief sinken', grammatische fehler und dialektmischung aiis
dichterischer, sprachmelodischer absieht ! !
Das ist ja sogar mehr als hochconservativ, es ist kritiklos, es
ist sozusagen unsinn. aber so haben wir doch einen verlässlichen
handschriftentext.
Etwas stärker schon werden wir beeinflusst in der rhyth-
mischen lesuug dieses textes.
Im Ludwigslied ist zb. verlangt v. 4 Höloda in an trüh-
tin, 59 Gihdlde inan trüliiin. im otfriedischen verse verliert
aber inan den anlautenden, nicht das vorige wort den auslau-
tenden vocal zur Vermeidung eines hiats. es wäre demnach zu
lesen Höloda nan iniMin, Gihdlde ndn trnhtin mit starker
Veränderung der melodie. v. 14 ist verlangt Ther er mtsse-
lebetä, v. 15 Ind er tJidnanä ginäs: man könnte als dem
sinne angemessener vorziehen Ther er misselebetd, Ind er thd-
nand ginds (wie auch v. 18'' ohne schaden für die melodie mög-
lich scheint), auch in 'Christus und die Samariterin' ist zwei-
mal solche 'metrische drückung' verlangt: 26 du hchitös er finfe
31 ihöh ir sdgant kicörand: warum, sieht man nicht ein. dergl.
beispiele individueller, willkürlicher betonung linden sich überall,
es lohnt nicht darauf einzugehn: de gustibus non disputanduni,
namentlich bei der abstufung der hebungen : mir scheint sie (im
verse der vier gleichberechtigten icten!) in modern-anachroni-
stischer weise übertrieben, sicher ist nur, dass im deutschen
acccntuierenden verse die Verschiebung des ictus zugleich eine
starke Verschiebung der melodie bedeutet, und es finden sich
beispiele (s. o., aber auch andere), in denen H. falsch list.
Aber die melodie verlangt nicht nur gewisse handschriftliche
lesarten , gewisse accentsetzungen : sie verlangt noch viel inti-
METKIK D. KLEINEREN AUD. REIMOEDICHTE 227
meres, sie verlangt, dass man im Lndwig-sliede v. 1 her mit
zungen-r Hinduig ohne // spreche, v. 27 urhif statt urluh {-uf),
sie verlangt allerhand uubezeichnete umlaute und eine reihe von
selbstverständlichen besserungen (Christus und die Samariterin
10 du statt do, 15 thanna statt //ta» usw.).
Aber sie verlangt merkwürdigerweise nichts, was wir
nicht schon wissen oder sich schon anderswoher ergibt, sehen
wir zum beispiel 'De Heinrico' an, so staunen wir noch v. 5,
dass die raelodie, unfehlbaren instinctes, mit Lachmanu, .Schade.
Scherer, Seelmann, Meyer mavoda statt des namoda der hand-
schrift fordert: 'bei namoda ligt die zweite hebung zu tief, und
wir träumen bereits, dass die melodie, die so auf den i-punct
genau arbeitet, nun auch das folgende entwirren werde, und wärs
auch nur ein häufen von buclistaben. ja, dass uns aus lücken
eine neue, von allen Zufälligkeiten äufserer Überlieferung verschont
gebliebene litteratur erblühen werde — aber es gibt eine schreck-
liche enttäuschung: nicht nur, dass v. 13 (den Steinmej'er für
unter allen umständen verderbt halte) melodisch und rhj'thmisch
ohne anstols ist, auch sonst springen nur fragwürdige oder gleich-
gültige lesevorschriften heraus, nichts als Spielereien wie zuvor:
V. 12 primttus quöque, 15 dato, 18 öramine, aber 25 habon u.
dergl. dagegen hören wir über die ausspräche etwa von sc, w,
s, z u. dergl. würklich zweifelhaftes nichts, und das Georgslied
ist lieber gleich ganz weggelassen.
Ich glaube, dies ist der punct, wo nun schliefslich auch uns
gut- und langmütigsten die äugen aufgehn müssen, wo auch wir
nicht mehr mitmachen, wir leiten aus den letztbesprochenen
Verhältnissen die beschuldigung her, dass Habermanns lesung
nicht hat, was er so sehr empfiehlt: Unbefangenheit, sonst müste
die melodie an irgend einer stelle einmal zu irgend einem er-
gebnisse geführt haben, "die scharfe vergleichende beobachtung
aller unwillkürlichen reactionen, die beim lauten und unbe-
fangenen lesen eintreten', führt eben direct aus dem natürlichen
heraus; das 'häufige, unmittelbar hintereinander wiederholte laute,
stilgemäfse lesen', wie es s. 14 als etwas selbstverständliches
angenommen wird, ist im sinne des dichters ein nonsens, es
erzeugt nicht, es tötet die Stimmung des werkes: der sinn der
form ist, dass sie die dichtung während des genief sens zum
kunstwerk erhebt, und wenn behauptet wird, man müsse Inhalt
und Stimmung einer dichtung erst ermitteln, ehe und bevor man
ihrer form habhaft werden könne, so ist die natürliche abfoige
zerstört: das hervorpräparieren des melodieschemas ist weit
vampyrischer als alles, was die jämmerliche papiermetrik ' je zu
' Die neuen metriker, darunter Paul Habermann, haben ein gewaltig^
hohes ross eingefangen, auf dem sie nun, auch die ganz kleinen, dicht
gedrängt, doch türstiglich einherreiten wie die Haimonskinder: das ist die
herkömmliche, landläufige, papierne, schematische betrachtungsweise, die
15-^
22S BAESECKE ÜBER HABEBMAXN
Avege gebracht: blut- und seelenlos liegen die verse, grausam
jedes eigenen beraubt, unter dem zwange der melodie. der
melodie: das eben ist das phantom, das wir nicht erjagen, wenn
wir uns nicht erst durch jenes zehnfache lesen und hören
taumelig, wirr und stumpf gemacht haben.
Aber nach Sievers hat der mittelalterliche vers doch nun
-einmal seine stabile melodie!
So habe ich, um unbeeinflulst zu sein, Habermanns buch
zugeklappt und wo anders leseproben gemacht, da fand ich zuerst
in den meisten eingangsversen der kleinen ahd. reimgedichte
-diese melodie: •. i ,
d. h. ein regelmäfsiges sinken der stimmen in jedem kurzverse,
m. a. ww. ich scandiere ahd, verse sehr stark, nur in wenigen
fällen fand ich gebrochene linien:
Christus und die Samariterin:
Lesen mär ihaz fuori tJier heilant fartmnodi \'\\
Psalm 138:
Uuellet ir gihoren Daviden den guoton \"\:''
Rethor. i:
Sose snel snellemo pegagenet andermo '\'\: '
Mem. mori:
Nu denchent wip unde man, war ir sulint werdan ' '.\'.^
Als ich nach der Ursache suchte, warum hier die melodie
abwich, ergab sich die einfachste und nächstliegende: im ersten
und dritten falle rührte die brechung der linie davon her, dass
der satz als unbeendigt, im zweiten davon, dass er als frage,
im vierten als anruf empfunden war. als ich so den einfluss der
emphase und interpunction sah, gab ich auch bei andern ge-
dichteiugängen unwillkürlich die fallende melodie auf: im Lud-
wigs- und Petrusliede. und nun sofort überall Unsicherheit.
den vers sieht statt hört, und die sie nicht haben, ich bezweifle, dass
es vor ihrer zeit würklich so sclalimm gewesen ist, und meine überdies,
dass die Sievers-Saransche behauptung, nur der gesprochene vers sei
gegenständ der metrik, eine ganz Milikürliche beschränkung enthält: tau-
sende von versen werden nur mit dem äuge oder inneren obre genossen,
ihnen mangelt nur die Sprachmelodie, das ist zwar natürlich für die ge-
samte theorie von Sievers und "Saran ein geradezu grundstürzender fehler,
aber der schritt von dem musikmetrischen, musikmelodischen urverse zu
dem sprechmetrischen und sprechmelodischen ist doch ein weit grüfserer,
als der vom gesprochenen zum stummen verse; stufe 2 und 3 sind näher
verwant als 1 und 2, und überdies verbietet ja spräche und Sprachgefühl
diese von einer theorie gewünschte trennung. dabei bleibt der Vorrang
des gesprochenen verses unbestritten.
MKTKIK D. KLEINEKEN AUll. liEIMGEDICHTi: 229
mir Sicherheit in dem einen: wenn sinngemäl'se interpunction diesen
einfluss hat, kann die melodie unmöglich feststehen, ich pro-
bierte beim Petruslied und fand eine ganze reihe verschiedener
lesungen, augenscheinlich kreuzungen von scansion und inter-
punctionsmäfsigerer betonung, ohne dass die angemessenste sich
durch die versprochene angemessenste würkung verraten hätte,
aber ich hatte das gefühl : je interpunctionsmäfsiger desto stil-
loser, in der ersten lesung hatten alle hinterreihen (den refrain
lass ich beiseite) die vorerwähnte hauptmelodie % , auch die
erste vorderreihe der ersten und dritten strophe; in v. 2. 4.
5. 7 aber die figur -^ mit erhebung durch interpunction und
melodischem hinweis auf die nächste reimentsprechung. dann, indem
ich noch mehr nach dem sinne las, in strophe 1 : \| •. * | ''.'\\
aber auch: '''l.. i* r\ dann kam ich in den klang eines reporters^
eines gütigen erzählers. einer sentimentalen romanvorleserin, schlief s-
lich, der hiramel weiss durch welche association, in stil und klang der
'Wichtigen begebenheit' in Schumanns Kinderstücken (op. 15).
ich fühlte wol, dass dergl. so verkehrt wie heiter wäre, aber
die Unbefangenheit Avar eben dahin, offenbar durch das empfohlene
oftlesen, die grenze war nicht widerzutinden. ich versuchte, nach
recept, mich mit dem Inhalt und seiner Stimmung zu durch-
dringen, obgleich mir beides seit jähr und- tag durch zahlreiche
Interpretationen in fleisch und blnt übergegangen war. also ein
bittlied! ich las: fast die zuerstgefundene melodie! aber viel-
leicht rauss man die eraphase steigern, vielleicht soll Petrus vor
allen übrigen heiligen herausgestrichen werden, als der einzige,
der uns richtig in den himmel bringen kann, vielleicht ist es
ein Streitlied seiner liebhaber und bekenner! betonen wir also
Fc'tre recht gewaltsam (mit 'überhebung', wie der hübsche term.
techn. lautet)! das gibt: '"•l. ..||....l''.. oder man betont das
m'rian: \\....l..''\\ und dazu viele Varianten in den andern
Versen (je nach auffassung des ouh, mit uuortun usw.); auch
dipodieen fanden sich in der dritten strophe ein.
Ich behaupte nicht, dass das lied dies ethos gehabt habe,
aber wenn, so brauchte es in keinem worte anders zu lauten,
als wir es da vor uns haben, das versenken in Inhalt und
Stimmung hätte bisher nur verkehrte melodisierung ausgetragen,
aber ist das nicht ein streit um des kaisers bartV das lied
wurde ja gesungen ! also emphase und interpunction aufs stärkste
verwischt! und ich dachte mit freuden, dass mein unwillkürliches
scandieren nicht so ganz unrichtig und stillos sein möchte, aber
230 BAESECKE ÜBER HABERMANN
jedenfalls: eine melodie war nicht gefunden, ich müste denn
jenes .. , das ich in S von 1 2 kurzversen las, als melodie er-
klären und auf die übrigen vier ausdehnen, vielleicht gelänge
es auch, wenn ich durch 'widerholte lesung' erst in die richtige
visionäre ekstase verzückt und verrückt wäre.
Ich schlage Habermann wider auf: meine ausätze stimmen
nicht, mit ausnähme höchstens der s. 229 zuletzt für den ersten
vers verzeichneten, sonst ist die melodie fast überall anders,
auch nicht einfach umlegung der meinen, und sie scheint mir be-
sonders schön, aber für den nicht sächsisch singenden besonders
unauffindbar im Memento mori :
Aber — glücklicherweise sind Habermanns verschiedene
melodieen auchz t. falsch: in Sarans Verslehre heifst es s. 245:
'die versmelodie all der verschiedenen formen des (ahd.) Vierers
ist ungebrochen, schema: ._
"! und zur bestätigung lesen wir bei Eberhardt, Metrik
des Aunoliedes, PBBeitr. 34, 12: 'das schema der vorderreihe
(im Annoliede) entspricht genau der curve, die Saran für die
versmelodie des ahd. reimverses (9 — 12 jh.) gefunden hat' !
Diese sätze sprechen einen dicken band.
Wenn sich die eine melodie des ahd. verses von 1908
(Eberhardt) auf 1909 in so viele gespalten hat, wie sie Haber-
raann aufzählt, dann ist doch vielleicht auch die entwicklung
zu meinen melodieverschiedenheiten von 1910 möglich, und
wie gross mögen erst die Verschiedenheiten sein, die sich in dem
Jahrtausend zuvor entwickelt haben!
Ich glaube, wir können die eingangs H. zuliebe aufgegebenen
Positionen wüder einnehmen. —
Noch ein wort zu der letzten lächerlichen Spiegelfechterei
dieses büchleins. der Verfasser will nicht nur die melodie,
sondern auch die klangfarbe unsrer gedichte feststellen, nach
0. Eutz ('Neue entdeckungen von der menschlichen stimme',
München 1908) ist nämlich jede der allgemeinen gemütseigen-
schaften mit einer bestimmten ausdrucksbewegung der rurapf-
muskeln verbunden und erzeugt dadurch einen besondern stimm-
klaug als ihren ausdruck, ihre ausdruckstongebung. der text
setzt es durch, dass er den ihm zukommenden stimmklang
erhält, aber nur im gesang ! was den sprechvers betrifft, so
bezweifelt Rutz (s. 61) sehr energisch sowol die Stabilität der
melodie als auch seine kraft, einen gemütsstil der spräche eindeutig
zu erzwingenl. genug, dass Habermann den klang wie die melodie
' 'Dass aber die bestimmtheit so weit geht, dass überhaupt nur eine
einzige sprechnielodieform die wirksamste wiedergäbe ermöglicht, scheint
mir nicht nachgewiesen, denn bei gleiclier gemütsstilart kann dennoch
METRIK D. KLEINEREN AUD. REIMGEDICHTE 231
durch versenken in iulialt und Stimmung eines gedichtes zu ermitteln
sucht; etwa so: 'nicht also ein historisches lied beabsichtigt der
dichter mit dem Ludwigsliede zu geben, sondern er will erbaulich
und sittlich wirken", 'zur einkleiduug dieser absieht bot das histori-
sche ereignis der Xormanuenschlacht einen sehr geeigneten Stoff
usw. (!). — 'dieser stimmungsgehalt kommt in der schallform des
Ludwigsliedes deutlich zum ausdruck. die anzeichen der eindring-
lichen sprechart stellen sich in hohem mafse ein. die Stimmlage
ist für meine stimme (bariton) ziemlich hoch, die spitze der
melodiecurve in der ersten vorderreihe Jeder strophe ligt der
oberen grenze meines Stimmumfanges bereits sehr nahe ... die
klangfarbe ist gemischt, einerseits ist sie etwas schmetternd
und kalt, metallisch fest und von einer ziemlich gleichmäfsigen
gepressten härte; doch fehlt auch eine beimisclmng von wärme
und dunkle färbung nicht. (!) instrumental kann sie als mischung
von klariuetteu- und trompetenton bezeichnet werden' usw. bei
den zusammengestoppelten versen des Sigihart heilst es: 'die
klangfülle und lautheit beider stücke ist sehr gering; man kann
die gebete nur leise sprechen. in stillem gebet sprechen die
dichter (Habermann nimmt wegen der 'schallform' zwei Verfasser
au) "zu Gott', wir sparen weitere einwände, nachdem wir die
folgerungen beleuchtet haben, die aus der melodie gezogen sind:
diese feinen Schlüsse vom klang auf den Charakter des Inhalts
sind Schlüsse aus dem Charakter des Inhalts auf den klang, ob
wol Sigiharts ph rasen in dem otf riedischen zusammenhange, aus
dem sie stammen, denselben klang hatten? oder haben sie da
den klang den man anwendet, wenn man belehrend, erzählend,
eindringlich usw. eine Evangelienharmonie schreibt?
Für sich betrachtet mutet Habermanns buch vielleicht
manchen wie eine einzige ungeheuerliche Unverfrorenheit an, wie
ein höhn auf jede historische erziehung; man brauchte und dürfte
nicht so viele worte darum machen, aber es wäre ungerecht,
wenn man ihn so verdammen wollte, sein buch ist vielmehr
das letzte bis jetzt erreichte ziel auf dem abwege, zu dem die
aussichtsvolle heranziehung der Sprachmelodie durch Sievers
unsere metrik verführt hat, und da möchte ich weiteres ver-
hindern, so gut ich eben kann. Sievers selbst hat, dass muss
anerkannt und hervorgehoben werden, sowol damals, 1893 ('Zur
rhythmik und melodik des nhd. sprechverses'), wie noch in seiner
rectoratsrede von 1901 ('Über sprachmelodisches in der deutschen
dichtung') seine theorieen von ermittlung der Sprachmelodie eines
Verses mit allen erdenklichen cautelen umschanzt, so sehr, dass
eine grofse Verschiedenheit der nielodieformen bestehen, ob eine Wortfolge
überhaupt gemütsbewegungen zum ausdruck bringt, ist wie bei der tonfolge
Sache der einzelfeststellung. wenn eine Wortfolge ohne minderung der
Wirkung so gut in der tongebung des ersten wie des zweiten typus usw.
widergegeben werden kann, entbehrt sie eines gemütsstils.'
232 BAKSECKE ÜBER HABEEMANN, AHD. EEIMGEDICHTE
er seiner entdeckung eig'entlicli selbst den wert für die textkritik
nahm; im nhd. verse. aber er machte die verhängnisvolle Unter-
scheidung: beim mittelalterlichen verse gelten nicht die mög-
lichkeiten subjectiver auffassung, verschiedener Intonationen, der
Verschiebung durch starke affecte, des absichtlichen wechseis,
nein, der mittelalterliche vers hat stabile melodie. Sievers hat
dafür kein einziges objectives kriterium. nicht den ansatz eines
beweises beigebracht, er kann auch diese Stabilität nicht er-
klären, er nennt sie nur tatsache, die man nicht beiseite schieben
könne, (wenn man sie nur sähe!) er nennt aber alle seine er-
örterungen nur 'ansatz zu einem programm' und verspricht gründ-
liche behandlung 1893, 1901, 1908 (Prager Studien vm I79ff).
In jene lücke sprang Saran mit seinen Schriften ein, und
nun scheint er mit den seinen ganz vergessen zu haben, dass
jene Stabilität mittelalterlicher versmelodieen (bei Saran inzwischen
auch der nhd.) eine unbewiesene behauptung ist, für die die umweit
den versproclienen beweis noch immer erwartet.
Und nun gar die verquickung der neuen, Eutz erst ange-
hefteten und dann von ihm entlehnten lehren mit diesen annoch
unerwiesenen melodischen theorieen! was für eine Verwirrung
von möglich und unmöglich, von Wahrheit, Wahrscheinlichkeit,
unWahrscheinlichkeit und unsinn muss das geben, wenn ein novize
damit investiert wird! zumal diese lehren mit einem bewunderns-
werten raftinement des musikalischen, phonetischen, rhythmischen
feingeftihls vorgetragen werden.
In dieser feinheit ligt aber auch die kraft und Überlegenheit
dieser theorieen. ich glaube wol, dass sie grofsen kritischen
ertrag abwerfen können, nicht nur für die metrik, nachdem sie
erst einmal auf feste fül'se gestellt sind; ich erhoffe selbst
manches davon für einige vorhabende kritische editionen^und
möchte keinesfalls den anschluss verpassen, aber erst den pein-
lich erwarteten beweis! oder doch wenigstens eine greifbare
handhabe für uns arme papierne! und etwas methode!
Charlottenburg, 15. juni 1910. Georg- Baesecke.
pjodtrü og Jijödsagnir. safuadhefir OddurBjörnsson. Jonas J6nasson
bjö undir preutuu. 1. biudi. pjöctsögur. Akureyri bokaverzlun
og prentsmidja Odds Björussoiiar. 190S. xv u. 344 ss. 8°.
Die anregung zur Veranstaltung der vorliegenden ausgäbe
hat Oddur Björnsson, buchdrucker und Verleger in Akureyri,
1906 durch den erwerb der bedeutenden Sammlung volkstüm-
licher geschichten des gagnf rredings Sigfüs Sigf nsson in Ey vindarä er-
halten, diese umfasst nur sagen aus dem ostviertel der insel,
vermutlich weil sich der kaufmann auf abnehmer in seinem
fjördung besonders angewiesen sah. suchte er durch zwei auf-
VOGT ÜBER pJÖDTKU OK ßjÖDSAüNIR 233
rufe Stoffe aus seinem eigenen bezirk zu gewinnen, diese beiden
'bodbref, ausgesant "a ütnuinuduni 1906' (i. Vierteljahr 06) und
'ä kyndilmessu 1907' (2. februar 07) geben nach einer berufung
auf frühere samraler und samnihmgen und einem hinweis auf
die Wichtigkeit der arbeit eine aufzählung der Stoffgebiete in
30 (31), oft noch vielgeteilteu uummern. damit soll dem ge-
dächtnis der landsleute auf die spur geholfen werden, ausdrück-
lich wird eingeschärft, dass ort, zeit, personalia ganz genau
angegeben werden müssen, auffallend ist, dass die aufzeichnung
schon gedruckter geschichten nicht gewünscht wird. das
scheint mir ein fehler zu sein; denn mochte auch der Verleger
gewis nicht in der läge sein, diese stücke noch einmal zu
drucken, so war doch die neuaufzeichnung für die erforschung
der Stoffgeographie, der Schnelligkeit der Verbreitung litterarisch be-
kannt gegebener stücke und der art ihrer aufnähme von sehr grofsem
wert; war es ja doch schon anfang 1907 beabsichtigt, die nicht
gedruckten texte in die handschriftensammlung der landes-
bibliothek zu überführen. OB. hat ein reiches material auf
seine bodbref hin erhalten, zumeist aus dem norden der insel.
so reich ist die ernte gewesen, dass aus Sigfüs Sammlung nur
ein stück s. 26 7l abgedruckt ist.
Der verantwortliche herausgeber ist Jonas Jönasson, prö-
fastur in Hrafnagil bei Akureyri und kennari an der gagn-
frsedaskoli (realschule) in A. er ist einer der geachtetsten geist-
lichen des nordlandes. als wissenschaftlicher arbeiter ist er mit
der herausgäbe der Ny dönsk ordabök med J)yc1ingum, Eeykjavik,
Isafoldarprentsmidja 1896 hervorgetreten, das buch ist gut.
seine kleine isländische grammatik für die schule hg. sommer 1909
kenne ich nicht, seine novellen (eine anzahl sind von Küchler
unter dem titel 'Lebenslügen' übersetzt; Reclam) zeigen scharfen
blick, während eines etwa vierwochentlichen aufenthaltes in
seinem pfarrhaus im sommer 1905 habe ich JJ. als einen sehr
ruhigen, überlegten und wohlwollenden, aber zurückhaltenden mann
kennen gelernt, er gehört zu jener gruppe isländischer menschen,
die sich dem fremden laugsam erschliessen und dessen wachsendes
zutrauen nicht durch plötzliche gleichgültigkeit enttäuschen ; vgl.
Valtyr Gudmundsson-Palleske, Island am beginn des 20 Jahrhun-
derts, Kattowitz 1904. s. 21 — 27 und recensent in den Mitteilungen
der Schles. ges. f. Volkskunde heft xv s. IS ff. so glaube ich ent-
schieden, dass JJ. die wissenschaftliche Schulung und Sorgfalt,
die feine kenntnis und das Verständnis für sein volk hat, um
als nachfolger der Jon 'Arnason und Magnus Gn'msson, Jon
J)orkelsson und Ölafur Davidsson auf den plan zu treten.
JJ. legt in dem forraäli rechnung über seine tätigkeit und
hat mir brieflich weitere mitteilungen gemacht, das Verzeichnis
' leider sind die stücke im texte nicht durchgezählt wie in der
efnisskrä.
234 VOGT ÜBKH BJÖKNSSÜX U. JÖXASSON
s. XI — XV gibt die namen von 134 Gewährsmännern, sie sind
vor den stücken noch einmal genannt, oder es ist durch den
vermerk heimüdin i sögwmi darauf hingewiesen, dass die quelle
in der geschichte angegeben wird; der vermerk handrit N.N.
besagt, dass das eingesante Schriftstück unverändert aufgenommen
worden ist; cf'tir handriti N.N. = der hrg. hat änderungen in
spräche und stil in kleinem umfange vorgenommen; handrit JJ.
= JJ. hat den text aus mehreren handschriften oder nach
mündlicher erzählung verfasst. den einzelnen erzähiern ist also
nach möglichkeit ihr eigener stil gelassen worden; und diese
erhaltung wird der sagenforschung sehr wichtige mittel der
kritik in die hand geben. — nur ein teil der Sammlung ist ver-
öffentlicht; venjur, I)jödsidir og f)jödtrn sowie Ijjödkvcedi sind
für spätere bände aufgespart; schon gedruckte geschichten sind
nur aufgenommen, wenn sie sehr stark abweichen, zb. nr. 78;
geschichten über Zeitgenossen scheinen reichlich ausgeschieden
worden zu sein, denn hrg. versichert brieflich, auf diesem felde
sehr kritisch verfahren zu sein, um fabeleien auszuschliessen und
nur würklichen erlebnissen platz zu gönnen; aus JJ.s allernächstem
lebenskreise stammend machen die urr 15, 21, 102 anspruch auf
unbedingte glaub Würdigkeit als erlebnisse. — zur litteratur die
Pauls Grdr ^iii s. 530 und Adeline Eittershaus, die neuisländischen
Volksmärchen, Halle 1902 angibt, tritt Sagnakver eftir porstein
Erlingsson, Eej^kjavik 1906 und die Sammlung von liedern mit
melodieen: Bjarni porsteinssons Islenzk pjödlög, Kaupmannahöfn
1906 — 09 XI u. 957 ss. 15 kr. weitere, deutsche litteratur gibt
Gudmundsson-Palleske aao. s. 2;-{2. die anordnung ist des hrg.s
eigentum.
Auf den vorigen seiten hab ich das isl. w^ort pjödsagnir
mit meinem schlesischen 'geschichten' übersetzt, 'geschichte' ist
alles was ein kind erlebt, sei es als ereignis, als erzählung oder
Schilderung, denn auch die beschreibung einer brücke ist für den
schlesischen jungen 'eine geschichte'. denselben umkreis erfüllt
etwa die vorliegende Sammlung, die geschichten sind sehr ver-
schieden lang; stücke deren eigentliche mitteilung nur vier zeilen
umfasst (s. 25), stehn neben räubergeschichten und märchen von
1(1 Seiten. fast allen ist mit den bekannten isländischen
pjödsögur die bestimmtheit des Inhalts nach ort, zeit, person
gemeinsam; nur einige märchen machen hiervon eine ausnähme,
in dieser — vielleicht ja nur scheinbaren — gebundenheit an
die geschichtliche würklichkeit nähern sie sich der sage, und
wenn das ereignis weiter zurtickligt und sich an personen von
einiger historischer bedeutung anlehnt, verstärkt sich dieser ein-
druck, zb. s. 118. aber das charakteristische unserer Sammlung
und ihren eigentümlichen wert seh ich gerade darin, dass ihre
geschichten grofsenteils in die letzten Jahrzehnte, ja jähre ge-
setzt werden, s. 253 d. 19. dezember 1906, s. 31 ebenfalls 1906.
pJÖDTßU OK pJÖDSAGNLK 235
bürger und bauern, tischer, hütejungen, postboten, knechte und
raägde, die in ihrer sveit wie Hinz und Kunz bekannt sind,
haben sie erlebt, dementsprechend sind sie zum teil ganz ein-
fach: s. 250 Björn sieht den regenbogen spät am dunklen abend
— fertig, s. 129 der postbote bemerkt spuren der kinder des
huldufülks im schnee — fertig, s. 250 — 252 Jakob borgari
Hälfdanarson sieht einen feuerschein sich über seinen weg hin-
ziehen — fertig, freilich braucht er mehr als 2 seilen zur dar-
stellung seines erlebnisses. s. 253 am 19. dezember 190G wird
ein feuerrauch über Mödruvellir gesehen — gebrannt hats nicht.
— an diese einfachsten, pointelosen stücke, blolse beobachtungen,
schliessen sich zweiteilige erlebnisse an: s. 121 der hütejunge
porstein träumt, dass ihn eine elbenfrau von seinem Schlafplatz
auf dem hügel wegstölst und findet sich erwacht würklich neben
seinem lagcr. s. 25 Halldörs mutter gibt der Schwiegertochter
die Schlüssel, sie brauche sie nicht mehr; so träumt Halldür;
am nächsten tage stirbt die mutter. so wachsen die geschichten
auf beiden Seiten, auf dem geisterhaft-ungreifbaren gebiet und
auf dem des lebens; dieses gibt die beweise für jenes, eine
masse von träumen und wachen ahnungen findet bestätigung, zb.
s. 29 ; elben lassen Zeugnisse ihres geheimnisvollen lebens den
menschen zurück, zb. s. 123 f. — so sind die stücke zum teil
garnicht volkläufiges ei'zählungsgut (allmenn sog»), sondern ganz
individuelles erlebnis, individuelle erzählung. sie haben mit der
allmenn sögn nur die art der auffassung gemeinsam (zum teil
auch das nicht) und können vielleicht einmal volkläufig werden,
ihrer individuellen art entsprechend sind sie denn auch oft in
der ersten person erzählt und bringen persönliche gefühle und
zweifei, zb. s. 71 f u. s. 230. sie zeigen was auf dem boden volks-
tümlicher anschauungsweise in Island erlebt und als volkstümlich
erzählt werden kann, freilich auch schon eine gewisse Unsicher-
heit des gefühls für das volkstümliche — das beweist s. 250 f
Balköstur; gehört nicht ins buch; diese ist aber auch wider
charakteristisch für den culturstand des gegenwärtigen Island,
in demselben grade in dem sich die 'geschichten' zu erzählungen
auswachsen, verlieren sie den wert der unmittelbarkeit; die ein-
würkungen die sie erfahren haben, sind mannigfachere gewesen
und, da sie nicht dem munde des unbefangenen erzählers abge-
lauscht, sondern von ihm selbst oder anderen aufgeschrieben
worden sind, treten sie nach Inhalt und form in den kreis
der litterarischeu producte ein und wollen als solche behandelt
werden.
JJ. erklärt im formali gebildeten laien die mythischen ge-
stalten und erzählungen als antworten der einbildungskraft und
der dichtkunst auf die fragen des Verstandes, der staunend vor
der fülle der erscheinungen steht, diese deutung trifft für die
ursprüngliche mythenbildung ohne zweifei nicht zu; die dinge
236 VOGT ÜBER BJÖRNSSON U. JÖ>rASSON
werden unmittelbar in m^'tliologisclien formen appercipiert. ohne
dass die frage dazwischen getreten ist, aber für die vorgelegten
|)jüdsögur hat seine antwort doch bedentung. mag auch jene
unmittelbare apperception mythologischer art zuweilen vorliegen,
wie zb. s. 152 u. 21 6 ff, so ist es in anderen fällen garnicht zu
mj'thologischer anschauung gekommen: s. 249. 250 tY. s. 252
schwenkt sogar zur naturwissenschaftlichen fragestellung über,
und s. 1 03 wird eine psychologische erklärung gesucht, hier ist
also die frage sicher gestellt worden, und sie wird einer un-
mythologischen antwort zugeführt, demnach ist anzunehmen,
dass in vielen anderen fällen die mythologische anschauung als
antwort auf eine frage gefasst werden muss, zb. s. 129 sJödir
eftir luüdufolk: hier geht die darstellung vom staunen zum
schluss hin, dieser selbst ist aber nur in der Überschrift aus-
gesprochen.
Manche stücke sind additionen einzelner züge, zb. s. 100,
173, 178, 233 u. a. sie können als compositionen natürlich
nicht als pjödsagnir rechnen, sondern sie sind überlegte Zu-
sammenstellungen, mögen aber auf diesem wege nicht doch
neue compositionen, sögur, entstanden sein, die wir schon jetzt
im gedruckten texte nicht mehr gleich als neue Vereinigungen
erkennen? s. 166 zeigt, dass JJ. selbst wissenschaftliche ent-
haltung geübt hat. er vermutet da, dass zwei localsagen an ein
und denselben draugur zu heften sind, aber er hält die geschichten
getrennt, wer weifs, ob seine gewährsniänuer ebenso vorsichtig
verfahren sind.
Mit solchen beobachtungen über art und grad der compo-
sition werden Untersuchungen über den stil der stücke band
in band gehn müssen, da ist es wichtig, dass den geschichten
der stil ihres Schreibers möglichst gelassen worden ist, und nicht,
wie in den Grimmschen märchen, ein erzähler alles nach seiner
art darstellt, die brüder Grimm kennen wir, jene isländischen
erzähler aber nicht, und so ist es gut, wenn uns der eindruck
ihres stils die persönliche bekanntschaft ersetzen kann. — im
allgemeinen ist der stil einfach und natürlich, der Wortschatz
nicht gesucht, die schönsten, klarsten stücke schenkt meines
emptindens JJ. selber, aber ganz einheitlich ist sein stil doch
nicht, zuweilen klingt der sagastil stark an, zuweilen beweisen
grade ausgespiochen volkstümliche Stoffbestandteile wie die in
zusammengesetzteren geschichten sehr häutige zahl drei, dass
der erzähler die rechte fühlung verloren hat. so reifst JJ.
bei den vielen dreien, die er zu bewältigen hat, s. 314 die
geduld: .... Mtti ßorsteinn par aCtra kerlinguna, og er ekki
aä orälengja pa?f, a5 päd för alveg eins og kjä hinni kerlin-
gunni. wie er hier vorwärts springt, so springt er wol auch
zur seite und verlässt die einsträngige erzählungsart s. 311.
ARittershaus sucht vergebens herzliche töne in den isländischen
pJÖDTRU OK ,r>.TUDSAGXIE 237
Volksmärchen; eine ganze anzalil beitrüge JJ.s zeigen: der Is-
länder steht unserer eniptindungsweise doch nicht so fern,
dass wir nicht heimische klänge auch aus seinem munde ver-
nehmen könnten.
Ein ganz anderer erzähler ist Jakob Hälfdanarson i Hüsavik,
der zwölf Schriftstücke beigesteuert hat. JJ. hat sie aufge-
nommen, weil er JH. als kritischen und wolunterrichteten
mann schätzt (brieflich). aber er steht dem volksmälsigen
emptinden recht fern, er ist der mann der nach der psycho-
logischen und naturwissenschaftlichen erkläruug ruft, so ist
auch sein stil nicht volksmäfsig. er erzählt flott, aber gesucht,
will er mit der Zerlegung s. 36 ^eg veit, aCf hver sem petta er,
pd ä sä eda sü Uti& ölifad' seinem logischen bedürfnis genug
tun oder will er pathetisch sein? rhetorik liebt er: s. 297
dreimal ekki in anaphora; s. 299 'ekki vöru petta sjöskrfjmsl,
menn vöru paö, en hvaöa menn?' er wählt die worte: s. 295
in 15 Zeilen vier verschiedene ausdrücke für das gepäck eines
bettelweibes. gewis ist er sehr stolz auf das schöne wort s. 252
kaldavermslisuppfjönfju-augioii = quelle, u. a. m. er baut auch
die schwierigsten compositionen : s. 49f und gar s. 81ff fjarsyni
Puls pro fass; hier erzählt er zwei geschichten; ehe sie zusammen-
laufen, hat der leser keine ahnung, wohin er soll, sein märchen
s. 294 ff ist weinerlich.
Solche Stichproben zeigen, wie verschiedenartige Stoffe in
die Sammlung eingegangen sind. JJ. hat gewis schon viel
wilde triebe des Strauches ausgeschnitten. es wird aber
noch einer behutsamen und umfassenden stoff- und formunter-
suchung bedürfen', ehe wir die stücke ihrer singulären ent-
stehung nach psychologisch richtig verstanden haben und ihren
Stoff mit einiger Sicherheit in geschichtliche zusammenhänge
bringen können, so notieren wir uns nur eben im vorbeigehn,
ohne irgend ein urteil fällen zu wollen, s. 284 kerlingin . . .
cetlaäi ad hita kann {Jon) ä harkann zu Eigla cap. 65, s. 179 der
böse geist in der kirche zu Grettla cap, 39, s. 177 das mond-
gespenst zum glamr Grettla cap. 35, s. 283 hentu peir hverju
heini, er peir hößu eti& af pvi, tu Jons, en kann henti peini
jafnhardan til peirra aftur zu Hrülfssaga kräka ed Valdimar
Asmundarson cap. 34. den brahmanen mit dem zerbrochenen
topf finden Avir s. 324 f als isländischen kuhtreiber wieder;
schade, dass er gar um seines schönen traumes willen das leben
lassen muss. die geschichte vom famosen Hüsavikur-.Jön s. I97f,
einem sehr entfernten, unliebenswürdigen vetter unseres Hans
Pfriem, lässt uns einen blick ins leben der Eeykjaviker gymna-
siasten tun; sie zeigt uns auch, wie stark ein isländischer primaner
von den sögur beeinflusst ist.
^ ARitterehaus aao. s. 23 — 42 kämmt mit gar zu groben kämme.
23S VOGT ÜBEK pJlÖDTRU OK pJÖßSAGNIE
Die neue sammliiDg- stellt uns viele fragen, sie wird dem
eindringlichen forscher aber auch manche wertvolle antwort
geben, im Januar 1909 haben J.T. und OB. fünf druckseiten
fragen nach hauswesen. lebens- und arbeitsführung verschiedener
bevölkerungsschichten, festtagen, 'reinemachen' u. a. ausgehen
lassen, hoffentlich werden sie bald im stände sein, uns die
Sammlung 'Venjur og |)jödsidir' vorzulegen, wir werden daraus
reiche aufschlüsse über lebensverhältnisse die den Islendingasögur
zu gründe liegen erhalten; die vorgelegte geschichtensammlung
ist selbst schon voll von angaben über die lebensführung
des Volkes.
Moys bei Görlitz, november 1909. Walther H. Vogt.
islenzk Iijödlög (Isländische volksweiseu). Bjarni f'orsteiusson,
prostur i Siglufirfli, hefur safnad lögumnn 18SÜ — 1905 og samid
ritgjördiuar. gefiu üt ä kostnad Carlsbergssjödins i' Kaup-
mannahöfn. Kaupmannahöfn, b. L. Möller 1906—1909. xi uuil
957 ss. 8°.
Vor 20 Jahren konnte Ülafur Davidsson, der verdienstliche
Sammler der neuisländischen tanzliedchen und spiele, noch er-
klären: was Volksweisen betreffe, dürfe man sich auf Island
keine reiche ausbeute versprechen, und als der Verfasser des
vorliegenden werkes als blutjunger mann zu sammeln anfieng,
konnte er von einem landsmann die meinung hören: isländische
Volksweisen, das gebe es wol nicht, durch 25 jährige Sammel-
tätigkeit hat Bjarni porsteinsson den beweis erbracht, dass Island
auch auf diesem volkskundlichen felde reichtümer ererbt hat, und
in diesem imponierenden bände legt er den überraschenden ertrag
seiner arbeit vor. das aus hss. und drucken geschöpfte (s. 76
bis 520) und das aus der mündlichen Überlieferung auf-
gefangene (s. 521 — 919) halten sich dem umfang nach ungefähr
die wage.
Mit welchem rechte die melodien 'isl. Volksweisen' (pjüdlög)
heissen dürfen, darüber verbreitet sich der erste abschnitt der
einleitung. der letzte Ursprung der weisen ist meistens unbe-
kannt, sicher ist vieles aus dem ausländ herübergekommen,
genug, dass alles durch menschenalter oder Jahrhunderte in der
pflege der Isländer lebte, und dass diese masse sich sehr kennt-
lich abhebt von der Volksmusik der andern europäischen Völker
aus den letzten Jahrhunderten. Es ist eine merkwürdig alter-
tümliche musik: 'wer sich in sie vertieft, dem ist, als ob er ins
mittelalter zurückgekommen sei' (s. 7). das isl Volksleben ist
auf mehreren gebieten von den culturneuerungen der letzten
Jahrhunderte unberührt geblieben, auf keinem so auffällig wie
auf dem musikalischen, wir linden hier die altehrwürdigen
'kirchentonarten' leibhaftig vor uns; die grofse mehrzahl der
HEUSLER ÜBER ISLEXZK p-HJßl.ÖG 2311
weisen ist lydiscli (sodass man gesagt hat, die Ij'discbe tonait
könnte man *die isländische' nennen!); die 'tvisöngvar', zwiege-
sänge, mit ihren erstaunlichen quintengängen sind ein überlebsel
eigenster art : wer sie etwa von geübten isl. Studenten vortragen
hörte, hat sich gewis ihrer starken würkung nicht entziehen
können und lindet das vielcitierte wort des l(i jh.s von der holden
anmut dieser harmonieen nicht mehr so unbegreiflich, so haben
die isländischen tonweisen für den musikhistoriker einen einzig-
artigen wert, der Däne Angul Hamraerich hat (IDÜO) ihre
Stellung in einer sachkundigen Studie beleuchtet, die classische,
vielleicht erschöpfende Sammlung des Stoffes, nebst ausführlichen
einleitungen und erläuterungen, stellt der vorliegende band dar.
der ref., wievvol zu keinem urteil auf diesem boden berufen,
unterzieht sich gern dem wünsche, die sachverständigen auf das
opus magnum hinzuweisen, übrigens tindet auch der litterar-
historiker manches ihn berührende, zb. s. 23 ff. 808 ff. Hammerich
hatte das gutachten abgegeben (s. s. vi), die unvergleichlichen
materialien sollten in einer der weitsprachen veröffentlicht
werden, in der tat muss man es beklagen, dass hier die um-
fänglichen textabschnitte in einer spräche erscheinen, die nur
von 100,000 erdbewohnern verstanden wird, die paar dutzend
musikforscher und die paar dutzend Islandforscher decken sich
vielleicht in zwei oder drei Individuen! auf der andern seite
hat das werk die mission, den altheimischen volksgesang der
Isländer am leben zu halten gegen das seit 60 jähren sich vei-
stärkende eindringen moderner fremdlinge, und dazu muss es in
der landessprache geschrieben sein, zum volksbuche, das wie die
neuen billigen sagabändchen auf dem schaffe des bauers stehn
könnte, ist der gewichtige band zu teuer. aber die schul-
büchereien und mancher geistliche herr werden ihn kaufen und
ausleihen, und auf diesem wege kann wol von dem buche eine
lebendige würkung ausgehn, die der heimatliebende Verfasser noch
über den wissenschaftlichen erfolg stellen dürfte.
Berlin. A. Heusler.
Römveriasaga (AM. 595, 4) hg. von Badolf Meissner [Palaestra
Lxxxviii]. Berlin, Mayer u. Müller 1910. 330 ss. 8". — 14 m.
Meissner hatte schon mit einem Vortrag auf dem Hamburger
philologentage 1905 den anteil an der Römveriasaga zu wecken
gewust. als frucht langer geduldiger arbeit legt er uns jetzt
die ausgäbe dieses werkes vor, das aus einem abdruck in
KGislasons Prover bekannt war und dessen allgemeine Stellung
im anord. Schrifttum Finnur Jönsson Lit. bist, ii 865 f kurz und
im wesentlichen zutreffend bestimmt hatte, dem text von 128
Seiten folgt eine litterargeschichtliche behandluug von fast 200
Seiten: es hat tatsächlich kein aisl. prosawerk, selbst Heims-
240 HEUSLER ÜBER MEISSNER
kringla, Niäla und Eigla nicht, eine so gleichniäfsig eingehnde
Untersuchung erhalten, beinah übei'kommt einen manchmal ein
bedauern, dass soviel Sorgfalt und betrachtungskunst an ein
Übersetzungswerk gewandt wurden, ein werk das den gerühmten
Schöpfungen der anord. prosa in bescheidenem abstände folgt,
aber M.s feinfühlige darlegung überzeugt uns doch, dass auch
hier viel zu lernen ist. es hat in der tat grofses Interesse zu
verfolgen, wie in dieser Übertragung Sallusts und Lucans die
nüchterne Sachlichkeit des Isländers und zugleich die ärmere,
kindlichere geistesverfassung des mittelalterlichen menschen sich
messen mit der rednerischen wortfreude und der reichen geistigen
beweglichkeit antiker schriftsteiler. M. trifft den gesichtspuuct
glücklich, wenn er von zwei einander entgegenwirkenden ten-
denzen spricht: die eine ist 'das streben zum nordischen saga-
stil', die andere ist das bemühen, die unnordische eigenart der
vorläge festzuhalten (s. 162. 218); 'in dem gegenspiel dieser
beiden kräfte offenbaren sich die eigentümlichkeiten, die Vorzüge
und schwächen der Übersetzung, die bildung und der geschmack
des Verfassers', namentlich macht sich dies in dem Sallustteile
geltend, da den künstlichen versen Lucans der Übersetzer von
vornherein selbständiger gegenübertreten muste. aus der nach-
bildung der reden und der betrachtenden teile sieht man, 'dass
dem Übersetzer der sprachliche ausdruck bis zur wörtlichen
Übersetzung wol zu geböte steht, es ist absieht, wenn er die
erzählung . . . möglichst schlicht gestaltet' (s. 244 f).
M.s ausführungen erfreuen durch die ausdrucksvolle,, durch-
gebildete spräche, durch die fähigkeit, die feinen Schattierungen
zu treffen: eine kunst die der verf. schon in dem buche über
die Strengleikar bewährt hatte.
Noch ein paar kritische bemerkungenl M. befolgt die
unisländische silbenbrechung te-kiff, ski-pum. die isl. art: tek-iff,
skip-um, ist gewis nur als graphischer usus ohne lautlichen
hintergrund zu betrachten (trotz der berufung auf die skaldischen
binnenreime), aber sie ist nun einmal so eingewurzelt, dass man
sie ungern verlassen sieht, jedenfalls sind trennungen wie
pi-öfa vom übel! in der interpunction der anord. prosa hat
man keinen einheitlichen brauch erreicht, die sagaausgaben von
Möbius sind mit komm ata so sparsam, dass der zweck der Satz-
zeichen, die Verdeutlichung des logischen gefüges, vereitelt wird,
auch in den ausgaben der anord. sagabibliothek scheint mir die
Setzung der zeichen oft planlos und wenig sachgemäfs. M. seiner-
seits unterdrückt die kommata vor relativ- und svä aö^-sätzen,
zuweilen auch vor substantivischen oder causalen er- und sogar
vor pvi rt^-sätzen (s. Ois. 452o. 72i7, sieh auch 81 4.) warum
diese nebensätze anders behandelt werden sollen als die mit ef,
mit pött usw., ist unklar; der sjaitaktischen Übersichtlichkeit
dient man damit nicht, auch die mit ok angeknüpften voll-
RÖMVEKIASAGA 241
ständigen sätze würde ich lieber durch komma abgegrenzt sehen,
irrig ist die satztrennung Ti;: lis ef havn peger vi&, pä . . .
die hsl. Stellung von diarfliga 9i ist kaum zu rechtfertigen;
muss es nicht vor pangaS tu oder weiter nach vorn gerückt
werden? s. 274- lis Ärinhiarnarlv. — zwei wünsche die ich
schon zu M.s Strengleikar vorbrachte (Anz. xxix 203 i), bleiben
auch diesmal unerfüllt: dass bei den stabenden gruppen (s. 285 ffj
nach möglichkeit unterschieden würde zwischen den formelhaften,
die zugleich eine syntaktische und metrische prägung zeigen,
und den freieren augenblicksschöpfungen ; sodann dass die von
Nygaard behandelten merkmale des 'gelehrten Stiles' in dem ab-
schnitte zum satzbau, s. 27 7 ff, zu ehren gekommen wären: wir
erfahren nirgends, wieweit unser denkmal jenen so überaus kenn-
zeichnenden latinismen huldigt; auch negative angaben, bezw.
an Führung von grenzfällen, hätte man willkommen geheifsen.
nur über das part. präs. bringt M. ein paar zeilen, merkwürdiger-
weise in einer note (s. 2S3) und ohne den versuch, die latini-
sierenden fälle von den sprachgerechten zu sondern. — bedenken
hab ich gegen den syntaktischen absatz s. 278 f. das Stichwort
'Veränderung der w'ortstellung nach ok im nebensatz' trifft nur
bei dem letzten der sechs belege zu. die beiden ersten beispiele
zeigen vielmehr das streben, einen relativsatz zu bilden unter
bedingungen, wo die echte aisl. prosa ihn überhaupt nicht
bilden kann und der übliche 'Ixvd süV zu dem sprachfremden
relat. hverr zu greifen ptiegt: 'die ihn verteidigt hatten . . .
und in deren schütze er dies getan hatte': unserm Übersetzer
widerstrebt offenbar das unnordische ok i hverra trausti, und
so setzt er ok l peira trausti, womit er aus der h3'^potaxe
hinausfällt, in dem zweiten beispiel vermeidet er, mit gleichem
ergebnis, ein 'gelehrtes' hvar (= ubi) durch ein pat: die
dritte stelle ist eines der häufigen anakoluthe im nachsatz:
var pä statt pä var. im vierten falle ist einfach das pronomen
pii^r pleonastisch im zweiten relativsatze widerholt; der sagastil
hätte, unbeirrt durch den Casuswechsel, den satz ohne pcer weiter-
geführt: . . l pcer borgir, er kann kaßi unnid af konunginvm
ok honum pdf tu [poer] vel komnar ... im nächsten beispiele
sind die relativsatze gut isl. verknüpft: sü borg, er Vacca hmtir
ok fyrst gekk undir Bbmveria ok Metelhts hafdi seit hgfdingia
yfir ... ein 'umbrechen des satzes nach ok' findet hier
nicht statt.
Berlin. A. Heusler.
A. F. D. A. XXXIV. 16
242 BLÖTE ÜBEK WESTON
The legend of Sir Perceval. studies iipun its orig-in, developnient
aud Position in the Arthurian cycle. b\' Jessie L. Westoii. vol. ii.
The prose Perceval according to the Modeua ms. iGriium
library uo. 19). London, David Nutt, 1909. xvi und übb
SS. 8". — 15 s.
Der zweite band' dieser Percevalstudien ist besonders wiclitio-
durch den abdruck des prosa-Perceval einer hs. der Biblioteca
Estense in Modena-^, dessen text so nahe mit dem des Didot-
Perceval verwandt ist, dass zwar nicht der eine aus dem andern
geflossen sein kann, aber doch beide aus der gleichen prosaquelle
hervorgegangen sein müssen, der text der Modenahs. ist aber
bei aller gedrängtheit weit klarer und sorgfältiger als der des
Didotms. mit seinen fehlem, misverständnissen und undeutbaren
stellen, und gibt infolgedessen über manches aufschluss, was aus
letzterem nicht näher zu bestimmen war. an mehreren stellen
ergänzen sie sich, die partie die vf. aus der Modenahs. zum
abdruck bringt, fängt wie der Didot-Perceval an bei der krönung
Arturs und endet mit dessen verschwinden in Avalon. schluss-
worte: Ici fine li romans de Merlin et del Graal. der Charakter
der Schrift und der farbigen majuskeln scheint auf den letzten
teil des 13 jh.s zu weisen, vf. gibt den text wie sie ihn vor-
fand, correctur von offenbaren Schreibfehlern in gewöhnlichen
Wörtern, sowie interpunction rührt von ihr her. — um die vor-
züglichkeit des Modenatextes deutlich hervortreten zu lassen,
druckt sie aus der Didoths. eine seite (93 v.) ab. aus der
prosahs. des Tristan, Paris BN ffr. 103, gibt sie die partie, die
in sehr kurzer weise von Perceval im anschluss an den Modena-
und Didottext berichtet, wer sich eingehender mit der Gralsage
beschäftigt, wird die s. 9 — 122 gebotenen texte zu schätzen
wissen. —
Die übrigen zwei drittel des bandes enthalten eine anzah
lehrreicher erörterungen über zum teile höchst wichtige puncte
den Gral und die Graldichtung betreffend, sie behandeln die
gedichte Roberts von Borron, die gefährlichen sitze, das schloss
mit der schachbrettdame und dem weifsen hirsch, das aufkommen
und die bedeutung von Percevals schwester in der sage, die
hässliche Jungfrau, die gefährliche fürt, das turnier beim weilsen
schloss, den tod Arturs, Percevals besuch auf der Gralbui-g
nach der prosa, und Ursprung und eigentliches wesen des Grales,
mit ausnähme der speciellen capitel vom Gral klingt durch alle
derselbe grundgedanke: der prosa-Perceval der Didot- und
Modenahss. bewahren den 3 teil von Borrons cyclus, dieser
* s. besprechung des ]. bds. Auz. xxxii (1908) s. 24 f.
'■^ die hs. wird von Pio Rajna in seiner Carduinoausgabe 1S73 erwähul.
beschreibung bei Camus, Notices et e.xtraits des mss. francais de Modena,
1891, p. 47. Camus hatte für GParis eine abschrift gemacht, die sich aber
im nachlass des letzteren nicht vorfand, miss Westou hat eine neue ab-
schrift angefertigt (cap. i).
THE LEGEND OF SIR PEUCEVAL II 243
3 teil Borrons war eine dicliterische bearbeituiig-, Borron be-
nutzte aber eine schon bestehnde diclitiing von Perceval und
dem Gral, die er fast unverändert in eine geschichte von
Artur aufnahm ; auch andere dichter schöpften aus diesem vor-
Borronschen werk.
Aus zahlreichen beispielen, den verschiedensten partien des
Modenatextes und wo nötig des Didottextes entnommen, kann
vf. zeigen, dass mehrere stellen der ursprünglichen prosa auf
eine gereimte Version zurückgehen'. da in der Modena- wie
in der Didoths. dem Perceval ein Joseph und ein Merlin in
prosa vorangehen, die, soweit sie sich vergleichen lassen, dem
poetischen Borron entsprechen, und der Merlin ohne in der
Schrift sichtbare Unterbrechung in den Perceval übergeht, so
nimmt vf. die alte Streitfrage wider auf, ob diese von ihr er-
schlossenen gereimten stellen nicht einer einheitlichen vorläge
angehören, und wenn so, ob dann dieser poetische Perceval nicht
von Borron stamme, so dass Borron in der tat eine trilogie
verfasst hätte, gegen die ansieht, dass von Borron auch eine
Gralsuche herrühre, sind wie bekannt nicht unerhebliche bedenken
geäufsert. vf. entscheidet sich für Borron als urheber, aller-
dings mit rein äufsern gründen: die Modena- und Didothss. bieten
den Joseph, den Merlin und den Perceval, die beiden letzten
ohne Unterbrechung in der schrift (dass andre prosahss. keine
Gralsuche haben, berücksichtigt vf. nicht), und spätere dichter be-
rufen sich auch für die Gralsuche neben Map auf Borron. sie
stölst aber auf zwei Schwierigkeiten, von denen die eine von
ihr selber herrührt: 1. die reime und verse, die sie aus dem
prosatext des Perceval durch recoustruction gewinnt, sind grofsen-
teils von besserer art als die unbeholfenen verse Borrons; 2. der
3 teil ist in mehreren angaben nicht im einklang mit dem
Joseph und dem Merlin und scheint keine ausführung des Pro-
gramms zu sein das Borron selbst aufstellte, — eine erschein ung
die zu dem schluss geführt hat, dass der prosa-Perceval nicht
auf Borron zurückzuführen ist. vf. haut den knoten kurzent-
schlossen durch: Borron habe schon eine Perceval- Graldichtung
vorgefunden, aus der er seinen 3 teil aufbaute, ohne dass er
das einzelne genügend mit den zwei vorangehnden teilen in
einklang gebracht hätte, die besseren reime und verse sowie
die abweichuugen vom Joseph und vom Merlin erklären sich aus
dieser vor-Borronschen dichtung. diesen oberflächlich geänderten
Perceval habe er mit Arturpartieu aus einer französischen reim-
chronik verbunden, in der in romanhafter weise von Artur ge-
handelt wurde, einer chronik die zwar nicht die von Wace
gewesen sein könne, aber wie vf. zeigt, doch einen ähnlichen
Charakter hatte, vf. denkt an den einmal im Merlin genannten
' Heinzel deutete Franz. Gralromane s, 121 auf Yt'rniutliche benutzung
dichterischer beärbeitungen.
IG*
211 BLÖTB ÜBER WESTON
Martin von Rocester, von dem übrigens niclits weiter bekannt ist,
als dass er translata de latin en vornan eine cstoirc de Bretagne,
qiie ort appelle Brutus^ (vf. s. 326).
Dass die Artuspartien der prosa auf eine mit Wace ver-
wante chronik zurückgehn, ist nach der von vf. angeführten
parallelstellen nicht zweifelhaft, nicht so glücklich ist sie mit
ihrem vor-Borronschen Percevalgedicht.
Ich nehme für dieses Percevalgedicht als ausgangspunct das
8 cap. The visit to the Grail castle. vf. nennt beider
behandlung von Percevals besuch auf der Gralburg s. 21 5 ff
einige züge der prosa, von denen sich, allerdings in sehr ab-
weichender gestalt, der eine in dieser, der andere in jener be-
arbeitung der sage widerfindet ''^, einmal sogar in ein paar zeilen
mit einer gewissen ähnlichkeit im ausdruck übereinstimmend mit
Wauchier de Denain. sie zieht daraus den schluss, dass die
prosa dem von ihr angenommenen vor-Borronschen Perceval-Gral-
gedicht auch im Gralbesuch am nächsten stehe, weil die prosa
auf kurzem räume alle diese züge biete; die anderen Versionen
hätten demnach bedeutende äuderungen vorgenommen und so die
sage aus ihrem ursprünglichen Charakter verrückt. — gesetzt,
wir hätten wörtliche Übereinstimmung, würde dann die pi'osa
Avürklich einen so weitreichenden schluss gestatten, dass sie einen
alten text in annäherad reinster gestalt bewahrt? ich glaube,
dass es gerade einen einschneidenden zug gibt, der vielmehr auf
eine ziemlich späte bearbeitung hinweist, einen zug den vf. nicht
nennt, den ich aber besonders hervorheben möchte, die prosa
ist nämlich auffallend unbehilflich in der darstellung des ersten
besuches, den P. auf der Gralburg macht, sowol in bezug auf
das was diesen besuch einleitet, als auf das was bei
diesem besuch geschieht. wie die prosa erzählt, verweilt
P., nachdem er das elterliche haus verlassen, kurze zeit
am hof Arturs, um dort, wie sein vater es wünschte, das ritter-
handwerk zu erlernen, er setzt sich gegen Arturs wünsch auf
einen verbotenen sitz, der sich gleich darauf spaltet, eine ge-
heimnisvolle stimme verkündet dabei folgendes: der stein wird
sich nicht eher zusammenfügen, als bis einer von der tafeirunde
so grofse taten vollbringt, dass er auf die Gralburg kommt;
wenn er dann fragen wird, was mau mit dem Gral mache und
^ auch Fletcher Arthurian Material s. 144 n. 11 kennt von Martin
von ßocester blofs den namen und zwar nur aus dem Merlin.
^ Wauchier de Denain (in der prosa weisen zwei kinder in einem
bäum Perceval den weg zur Gralburg; dem Gralkönig sagt P., dass er die
nacht vorher im walde verbracht hat); Manessier (2 taill^ors d' argent);
Perlesvaus, Chastel merveilleus, Ordne (3 blutstropfen); Bleheris, Crunc,
(der held hat einen unüberwindlichen schlaf); Chr^tien (fischerkönig zeigt
ihm den weg; P. glaubt sich vom künig irregeführt, weil die bürg
nicht schnell erscheint; am nächsten morgen ist die Gralburg ver-
einsamt) usw.
THE IJSGEND OF SIK PEEGEVAIj II 245
wem man damit diene, wird die schwäche und die Ivvankheit von
dem reichen tischerkönig- weggenommen, der stein wider zu-
sammengefügt werden,, und die bezauberungen, die seit dem tage
wo P. sich auf den gefährlichen sitz setzte, in 'Bretagne' ent-
standen sind, schwinden (s. 22). P. schwört, und nach ihm alle
anderen ritter der tafeirunde, dass sie nicht zwei nachte liinter-
einander unter demselben dach verweilen wollen, bis sie die
Gralburg gefunden, was also bei Chretien und Wolfram Per-
ceval, beim Pseudo-Wauchier (vf.s Bleheris-version) Gawain erst
nach ihrem ersten besuch erfahi-en, wird hier in aller deut-
lichkeit an den anfang der erzählung gestellt, die verschiedenen
ritter kennen also das programm: es rauss auf der Gralburg
gefragt werden, nur dadurch werden alle übel aufhören und der
tischerkönig gesund werden. — nun folgen die inconsequenzen.
P. trennt sich bald von den anderen und macht auf eigene faust
mehrere abenteuer durch (zb. mit der schachbrettdame), bis er
zu seiner Schwester kommt, die er anfangs nicht widererkennt,
ebenso wenig wie sie ihn, obgleich er vor dem elterlichen liause
steht, sie führt ihn zum oukel-eremiten, der in der nähe wohnt,
und sowol dieser als die Schwester wollen wissen, ob P. schon
auf der Gralburg gewesen sei. von beiden erfährt er, dass dort
sein grofsvater, der vater seines vaters, wohne, eben der reiche
tischerkönig der den Gral bewahre; dass er, P., vom Gralge-
schlechte und bestimmt sei des grofsvaters nacbfolger zu werden;
sobald P. auf die Gralburg käme, würde die schwäche und die
krankheit des fischerkönigs aufhören, ihm das gefäss übergeben
werden und P. herr des blutes unseres herrn Jesus Christus sein
(s. 41), man fühlt das widerspruchsvolle: P.s vater hat seinen
söhn widerholt auf Arturs hof gewiesen, dass er sich dort zum
ritter ausbilde, aber er soll immer davon geschwiegen haben,
dass P. prädestiniert gewesen wäre, seinen grofsvater, der vom
enkel hülfe erwartet, auf der Gralburg abzulösen, in einem
anderen cap. hat vf. zu beweisen gesucht, dass die Schwester P.s
erfunden sei, den beiden auf seine Gralherkunft aufmerksam zu
machen. — von einer auf der Gralburg zu stellenden frage ist
in den Worten des einsiedlers oder der Schwester nicht die rede,
sehr auffallend, da P. den grofsvater nicht so sehr durch sein
erscheinen als durch die frage heilen soll, und noch ein Wider-
spruch: der vater, Alain li Gros, hat P. zu Artur getrieben,
damit er ritterschaft lerne, der onkel-einsiedler verbietet ihm
dagegen je einen ritter zu töten, und lieber viel zu dulden (s. 41).
so gerüstet zieht P. nun Aveiter auf die Gralsuche, stufst erst
auf den ritter mit der hässlichen dame, dann auf die gefährliche
fürt, da gelangt er eines tages zu einem vierarmigen kreuzweg.
ungefragt weisen ihm zwei auf einem bäum sitzende kinder den
weg zur Gralburg (bei Wauchier haben wir etwas ähnliches
mit einem kinde, das aber den weg zur Gralburg nicht kennen
246 BLÖTE ÜBER WESTON
Avill. P. ist hier der fragende, der früher schon auf der Gral-
hwrg war), indem er noch zweifelt, ermahnt ihn ein schatten
mit Merlins stimme, dass er den worten der kinder glauben solle,
in einer lieblichen ebene bezeichnet ihm der alte üscherkönig,
der sich mit noch drei anderen rittern in einem boot befindet,
den weg zu seiner bürg (er nennt sie abei- nicht Gralburg), die
P. endlich erreicht, nun sollte man nach allem was die prosa
uns erzählt hat meinen, P. wisse, dass er sich auf der
Gralburg befindet, dass der kranke schw'ache greis, der von vier
dienern hereingetragen wird, um ihn zu begrüfsen, der fischer-
könig und sein grofsvater ist, dass die schüssel, die er mit der
drei tropfen (M. 3, D. 1) blutenden lanze — von der lanze war
übrigens bis dahin noch nicht die rede — und zwei tellern
herein und nachher wider hinaustragen sieht, der Gral ist, dass
er, wie die stimme am hofe Arturs befahl, zu fragen hat, f/iioi
on en fait et cid on en sert, de cel Graal, und dass dann der
könig geheilt und andere wunderbare dinge geschehen werden.
P. fragt aber nicht, er fragt sogar nicht, als der könig ihn
en maintes manieres de jyaroles dazu anregt, und nicht etwa ein
Zauber hält ihn ab, wie zb. im Perlesvaus Gawain, der unter
dem eindruck der sich steigernden wunder sein klares denken
verliert, die prosa gibt zwei gründe zugleich an, die gleich
bedenklich sind und einer ganz anderen Umgebung entnommen
sein müssen: seine mutter (in der Didoths. ein prodome, bei
dem er gebeichtet hat) habe ihm gesagt, dass er nie zu viel
sprechen und nie zu viel fragen solle; und sodann sei P. so müde
gewesen, dass er fast auf den tisch fiel, trotzdem beschäftigte
ihn molt loncjement die schüssel und noch mehr die lanze, als der
könig sich entfernt hatte, und noch auffallender ist die bemerkung
in der erzählung, es sei dem fischerkönig schon öfters begegnet,
dass ritter, die er herbergte und vor denen er den Gral und die
anderen reliquien vorübertragen liefs, nicht fragten, als P. dann
am folgenden tag ungefähr unter den gleichen umständen wie
bei Chretien die bürg verlässt, erfährt er von einer schönen frau
im walde (sie weinte und hatte grol'se trauer, warum? wird uns
nicht gesagt), dass er in dem hause des reichen fischerkönigs
gewesen sei, dass er den Gral dreimal vor sich habe tragen
sehen (in würklichkeit nur zweimal), und dass, wenn er nicht
gefragt habe, es ein wunder sei, dass er nicht den tod erlitten,
sie erklärt sein misgeschick daraus, dass er noch nicht reif sei
(s. 62 f). und widerum auffallend: nicht ein einziges wort spricht P.,
w'odurch er zeigt, dass ihm noch erinnerlich gewesen wäre, was
er bei Artur und der Schwester und dem onkel erfahren hat.
nachdem die schöne frau gesprochen hat, P. s' en csmcrvella
molt et en ot si grant duel qu' il en commenga a larmier (ebd.).
— das alles macht den eindruck, dass ein unbeholfner autor
mit schon vorhandenen, ausgebildeten motiven arbeitete, die er
THE LEGEND OF SIR PERCEVAL n 247
nicht richtig- zu verwenden wüste, oder in einer neuen, nicht
gerade glücklichen Verbindung vorführen wollte. nach der
theorie der vf. hätten allerdings die späteren dichter hier zu
trennen gewust, was sich besser zu einem ersten, was zu einem
zweiten besuch eigne. — und nun der zweite besuch, wie
traurig leer ist da unser text. P. wandert sieben jähre umher,
natürlich ohne sich um Gott, kirche oder kloster zu kümmern
(wie das so kam, erfahren wir nicht); an einem karfreitag trifft
er auf damen und herren, die ihn ermahnen nicht bewaffnet
umher zu reiten, und nun gelangt er wider zum onkel-eremiten.
obgleich er zwei monate bei diesem verweilt, erfahren wir doch
erst am ende, dass P. das haus seines grolsvaters aufsuchen
wolle, dinge höherer Ordnung werden nicht besprochen, nur
rasch werden ein paar familienangelegenheiten behandelt: erst
gegen ende vernimmt P., dass seine Schwester gestorben — eine
Unart P.s scheint in dieser version seine vergesslichkeit zu
sein — , und dass sie ganz in der nähe der klause begraben
liege; dass das väterliche erbe ihm dadurch zugefallen, zieht ihn
nicht an. nun folgt noch das breit erzählte turnier auf dem
weifsen schlösse, und dann erscheint ihm Merlin. Gott zürne P., weil
dieser seinem gelübde untreu geworden, denn er habe bei einer
ritterlichen familie zwei nachte unter demselben dach verbracht,
in unserem falle sehr inconsequent vom lieben Gott, denn Merlin
hatte sich nicht gezeigt, als P. sieben jähre lang ohne Gott oder
kii'che umherzog, oder als er zwei monate bei seinem onkel
wohnte. Merlin führt ihn trotz alledem auf die Gralburg, ohne
dass Merlin ihn daran erinnert, tut P. jetzt die frage, der grols-
vater wird sofort gesund, stirbt aber dennoch drei tage später.
P. ist Gralkönig, sogar reicher fischerkönig (s. 84), die be-
zauberungen Britanniens, wovon wir nirgend im text eine Vor-
stellung bekommen, hören auf, und der gespaltene sitz bei Artur
wird wider ganz, die ritter der tafeirunde wollen jetzt Artur
verlassen, denn, da die bezauberungen Britanniens ein ende ge-
nommen, gebe es für sie nichts mehr zu tun. grofse freude
macht es ihnen jetzt, als Artus ihnen einen krieg im auslande
ankündigt
Und diese Gralsuche — ich habe die sache etwas ausführ-
lich gegeben, dabei freilich noch auffallende einzelheiten aus-
gelassen, wie etwa, dass der Gral von einem valles getragen
wird — sollen wir nach unserer vf. als eine übei'lieferung gelten
lassen, die ein ursprünglicheres vor-Borronsches Perceval-Gral-
gedicht am genauesten widergebe, lediglich weil verschiedene
andere texte den einen oder anderen zug der Gralbesuche bieten,
der auch in der prosa mit anderen zusammen auf kurzem räum
vorkommt? ich lasse nicht aufser acht, dass vf. auch andere
Partien vergleicht, aber das resultat würde auch hier das gleiche
sein, was bedeuten diese vereinzelten züge gegen den schwer-
248 BLÖTE ÜBEB WESXON
wiegenden umstand, dass die prosa den lielden auf der Gralburg
und nachher Situationen durchmachen lässt, die nur begreitlich
werden, wenn er vorher der dinge, die seiner harrten, unkuntlig
war, und dass infolgedessen, alles, was mit den Gralbesuchen
zusammenhängt, verrät, dass unser text motive, die anfangs
anders verteilt waren, vor den ersten besuch gedrängt hat, trotz-
dem der autor an zwei besuchen festhielt? alle theoretischen
betrachtungen bringen uns über diesen puuct nicht hinweg, dem
unbeholfenen autor fehlte das richtige augenmafs für die bedeutung
seiner motive. ich fürchte, dass wir an stelle der folgerung der
Vf., wir hätten hier mit einem ursprünglichen Charakter der
sage zu tun, sogar mit einem vor-Chretienschen, eine andere
_ einsetzen müssen: der widerspruchsvolle Charakter der Gralpartieen
in der prosa weist auf ungeschickte verquickung verschiedener
schon vorhandener, besser ausgearbeiteter und besser benutzter
motive, die motive müssen also anderen dichtungen entnommen
sein, und wenn s. 68 der prosatext behauptet, dass Grestiens
de Troies ne li autre troveor, die vom Gral dichteten, einen zweiten
besuch beim onkel-eremiten nennen, so sind wol unter 'li autre
troveor' verschiedene dichter nach Chr^tien zu verstehen, dh.
mag nun die prosa den stoff aus den dichtem zusammengelesen
haben, mag sie eine bearbeitung einer poetischen Version sein,
die composition wie sie die prosa bewahrt ist wol frühestens
im 2 viertel des 13 jh.s entstanden, die prosa gibt demnach
nicht einen dritten teil Borrons wider, und zu ähnlichem resultat
kam 1888 auf anderem wege auch ANutt in seinen 'Studies on
the legend of the holy GraiF, wo er s. 96 seine ansieht also
formuliert: 'the Didot-Perceval is probably the latest in date
of all the members of the cycle". —
Die cap. 10 und 11 (s. 249 — 316) handeln von der ursprüng-
lichen natur des Grales und der lanze, sowie von deren weiterer
entwicklung. sie führen aus, was vf. schon am ende des i bds.
angedeutet und eingehender in einem in der Folk-Lore Society
gehaltenen vertrag - ausgesprochen hatte, die combinationen sind
neu und interessant, vf. ist am schluss der meinung, dass sie
den einzig richtigen weg aufgedeckt und dass nur noch der ge-
lehrte fehlt, der 'was at once a thorough classicist, a trained
folk-lorist, a theologian, a mystic, and who had a first-hand
knowledge of the Grail texts', dem ihre Studien in die bände
fielen, um dann ihre andeutungen mit seinem reichen wissen aus-
zuarbeiten (s. 312). cap. 10, 'The development of the
Grail traditio n', wurde vor der vei'öffentlichung von JBddier,
Ferd. Lot und WANitze durchgelesen, und unabhängig von
einander sprachen diese gelehrten sich dahin aus, dass der Inhalt
unverweilt dem drucke übergeben werden sollte (s. xi).
' ähnlich Heinzel aao. s. 120. ' Jessie L, Wtstou, The Grail
and the rites of Adonis, Folk-Lore 18 (1907), s. 283—305.
THE LEGEND OF SIK PEKCEVAL 11 2 1 !J
Vf. glaubt iii der erzählung Wauchiers (vf. 19 655 ff ed.
Potvin)' die älteste erreichbare gestalt der Gralsage zu erkennen,
denn diese gestalt gehe auf die erzählung des von Wauchier
angegebenen Bleheris, des wälschen fabulators zurück und dieser
sei nach neuesten Untersuchungen urkundlich von 1091 bis 1147
verfolgbar. die ausführungen der vf. wollen folgendes wahr-
scheinlich machen: die bei Bleheris mitgeteilten Vorgänge und
benennungen sind aus einem dem antiken Adoniscult ähnlichen
natur- und lebeuscult hervorgegangen; die Gralsage des Bleheris
enthält occulte lehren vom wesen alles lebens. bei Bleheris
trägt die erzählung noch nicht-christliches gepräge, nur die lanze
scheint bei ihm erst christianisiert zu sein, an den Adoniscult
erinnern die bahre mit dem toten ritter. der aufwand au ritualer
handluug bei der bahre, die weinenden frauen, die gemeinschaft-
liche feier mit einem nn'steriösen gefäss, das durch den tod des
ritters auf der bahre verödete land. der Gral erscheint in der
erzählung unter drei aspecten, in Übereinstimmung mit den
lehren des occultismus: als blutgefäss in Verbindung mit der
lanze, als speisespender, als Inbegriff alles geistigen lebens.
Gawain kann nur die zwei ersten gestalten des Grals
schauen ; die dritte nicht, weil er die entscheidende probe, die
zusammenfügung des gebrochenen Schwertes, nicht besteht, was
er auf dem wege zur Gralburg an Schrecknissen durchmacht,
sind proben, wodurch er wenigstens des anblicks der zwei ersten
stufen teilhaftig wird, seine frage nach der lanze bringt das land
teilweise wider zur fruchtbarkeit. Gawains erlebnisse auf der
Gralburg erinnern an eine verfehlte einweihung. wir haben an-
zeichen in anderen sagen, dass Gawain später auf dieGralburg zu-
rückkehrt und somit als der eigentliche und ursprüngliche Gralfin-
der betrachtet werden muss, oder vielmehr denkt vf. sich die sage
so, dass Gawain, wahrscheinlich ein Sonnengott, von anfang an
der Gralgewiuner war, und daher alle proben die er vorher be-
steht, nur bestätigungen seiner göttlichen natur sind, durch
besondere, von vf. näher angegebene umstände wurde er durch
Perceval ersetzt, vf. sieht in der erzählung des Bleheris nicht
nur die ältest erreichbare form der Gralsage, sondern, wie ge-
sagt, die in handlung und benennungen entsprechende widergabe
' Diese erzählung setzt ein mit dem ritter, der bei hereinbrechendem
abend an Arturs gemahlin und ihrem hof ohne zu griilsen vorbeireitet, weil
er einen auftrag auszuführen hat der keinen aufsehub duldet, als der ritter au
Gawains seite getötet wird, übernimmt dieser die ausführung des auftrags,
ohne dessen Charakter zu kennen. Gawain macht nun verschiedene schauer-
liche abenteuer durch, die hohe anforderungen an seinen persönlichen mut
stellen, bis er um die mitternacht des zweiten tages die Gralburg erreicht
und deren wunder schaut, unter diesen einen toten ritter auf einer bahre,
während der Gralkönig von den wundern erzählt, schläft G. vor müdigkeit
ein. er erwacht am nächsten morgen am meeresstrand. die Gralburg ist
verschwunden.
250 BLÖTE ÜBER WESTOX
eines der antiken Adonisfeier ähnlichen naturcults. denn die
Adonisfeier galt dem gotte, mit dessen tod alles Wachstum auf-
hörte, sein abbild wurde zum meere getragen, weinende frauen
bildeten den charaktei'istischen zug der feier; man war der an-
sieht, dass. kehre der gott zum leben zurück, auch die natur
und mit ihr die menschheit wider auflebe, aber von dem Adonis-
cult kennen wir nur die äufsern Vorgänge, diese waren öffentlich,
für die grofse menge der gläubigen bestimmt, denen sie auch
genügten, es muss aber auch ein höheres wissen und ein tieferes
deuten vorhanden gewesen sein, in welches nur die reiferen ein-
geführt wurden, wer eingeweiht werden sollte, muste proben
bestehn, die ihn des höheren Verständnisses würdig zeigten,
reflexe davon finden sich bei Gawain in der Bleherissage : die
Schrecknisse, bevor er zur Gralburg kommt, und die schwertprobe,
ebenso wie ein solcher naturcult den drang zur erkenntnis der
geheimuisse alles lebens ausdrückt, so bedeutet die Gralsage in
ihrem tiefsten wesen nur das jedem menschen angeborene ver-
langen, die quelle alles lebens zu erkennen und zu erfassen. —
ein solcher naturcult muss in Wales bestanden haben, verborgen
und in der stille geübt, seit dem siegreichen vorgehen des
Christentums, daher erklärt sich, dass die bürg unauffindbar
ist für solche die nicht auserwählt sind, wie etwa Gawain. —
Bleheris oder ein anderer Walliser hat in seiner Gralerzählung
die geheime naturverehrung seiner landsleute niedergelegt. —
Durch ihre hypothese, meint die gelehrte vf., erkläre sich
manches, was bis jetzt jeder erkläruug spottete, so der name;
'fischerkönig'. nach den lehren des mittelalterlichen Symbolismus
sowie nach den ansichten moderner occultisteu — vf. verdankt
hier manchen aufschluss einem praktischen anhänger des occul-
tismus, der nie vom Grale gehört hatte, dessen mitteilungen
demnach besondere erwägung verdienen dürften, weil sie unge-
sucht eine erkläruug bieten — gehe alles geistige und materielle
leben in drei weiten vor sich, die sich aber gegenseitig beein-
flussen: die weit des reinen geistes, die weit wo geist und
materie verbunden erscheinen, die weit der materie. jede dieser
weiten habe ihren eigenen hüter und ihr eignes symbol. aus
dem umstand dass die oberste weit, die des lebensprincips oder
des lebensursprungs, wenn die fülle der zeit kommt, aus ihrem
sitz — der stern Alkyone, eine der Plejaden — ihr goldnes
netz durch den weltenraum entsendet und sich selbst ein kleid
webt, folgert vf. oder ihr occultistischer berater', dass der Wächter
1 ich schliefse das aus s. 258. klar ist die sache eben nicht, in den par-
tieen, die sich mit den occulten ansichten beschäftigen, ist widerholt nicht
ersichtlich, ob der leser zu tun hat mit allgemeinen ansichten, oder mit
ansichten einer bestimmten schule, oder mit der ansieht des occultistischen
beraters, oder mit den Schlüssen der vf. selbst, dass das wort 'fischerkönig'
bei occultisten ein gewöhnlicher begriff wäre oder gewesen wäre, ist mir
THE LEGEND OF SER PEECEVAL H 251
dieser obersten, rein geistigen weit der fischerkönig sei, sein
Symbol der heilige Gral (der alte Titurel im Parzival wäre
sein typus); in der zweiten weit sei alsdann der fischerkönig in
menschlicher gestalt der hüter, er ist ki-ank und behindert in
seinen bewegungen, denn der geist fühle sich schwer in den
banden des körpers; dieser könig behüte den reichen Gral, den
Speisespender als erhalter der weit, in der wir leben, dei* hüter
der dritten stufe ist nicht so leicht zu finden, vf. entdeckt ilin
aber in dem feindlichen bruder im Perlesvaus. in welchem, wie es
heilst, so viel böses war als in den anderen gutes ; er sei der
Wächter der lanze und des gefässes, der beiden s3'mbole der
Zeugung, denn die lanze sei das männliche prinzip, das gefäfs
das weibliche, das unablässig fliefsende blut das leben. — die
natur des gebrocheneu Schwertes, das Gawain auf der Gralburg
zusammenfügen muss, werde durch ihre hypothese begreiflich: es
sei eigentlich das bekannte schwert 'as estranges renges', das
wir sonst nur in anderer Umgebung kennen, wenn Gawein im
englischen gedieht von 'Syr Gawayne and the grene
knyghte' als erkennungszeichen ein pentagramm führt — dh.
das zeichen das gewalt gibt über die ungesehene weit — , so
Aveise das darauf, dass er doch bei einem späteren besuch das
schwert zusammengefügt habe, denn dessen griff sei ein penta-
gramm (?) gewesen, oder vielmehr: Gawein der sonnenheros —
Gwalchmai bedeute ja 'habicht des mal' — habe als letzte probe
von vielen, die seine wahre natur bestätigten, das schwert gleich
bei seinem ersten besuch widerhergestellt. — die lanze liabe
deshalb eine so grofse bedeutung, weil sie organisch zur blut-
schüssel gehöre, beide verbildlichen die zeugungsorgane (s. o.) —
die kirche habe wol gew'ust, was der Gral eigentlich sei —
eine symbolische darstellung von dem suchen nach der quelle
alles lebens, etc. — , und habe deshalb durch ihr schweigen
solche anschauungen nicht ermutigt, und so sei die freude an der
dichtung nach einer bltitezeit allmählich zurückgegangen. — und
andere erklärungen. —
Die hypothese als ganzes — von den phantastischen aus-
wüchsen sehe ich ab — kommt mir, wie geistvoll sie an sich
sein mag, unhaltbar vor. wer die erzählung ed. Potvin 19055 ff
aufmerksam liest und jeden hauptumstand unbefangen prüft,
kommt zu allem eher, als in dieser erzählung eine verbildlichung
eines uaturcults zu sehen, der gesamteindruck ist zunächst, dass
der erzähler eine anzahl schauerlicher motive, wobei nacht, Un-
wetter, alleinsein das unheimliche erhöhen, zu einer zusammen-
hängenden geschichte aneinander gereiht hat, und so nerven und
neugierde seiner hörer spannt, ohne dass er für das ganze oder
sehr fraglich, nur das goldene netz scheint den berater und die vf. zu dem
namen 'fischerkönig' geführt zu haben, von einer schüssel ist erst recht
nicht die rede.
252 BLÜTE ÜPER VVESTON
das einzelne eine symbolische deutung- beabsichtigte oder auch
nur hätte geben können, alles ist auf das sclireckenerregende,
unbegreifliche zugestutzt, so dass selbst Gavvein, der unvergleich-
liche held, sich mitunter eines Schauders nicht erwehren kann. —
sodann fragt man sich, ob vf. wol recht hat, den toten ritter
auf der bahre zum centralpunct ihrer deutung zu machen,
dieser ritter auf der bahre ist kein fester zug in der sage, er
findet sich nicht in der Perceval-Gralsage, in den erzähluugen
die sich mit Gawain und dem Gral beschäftigen, nur in unserer
Version und in der sogenannten ersten Interpolation Pseudo-Gautiers
(Pseudo-Wauchier), wo eine bahre in der Gralprocession vorkommt
(vgl. zb. Heinzel Franz. Gralromane s. 35). in unserer Version
will der Gralkönig Gawain aufschluss geben über die dinge, die er
gesehen hat, und obgleich Gawain ausser über die lanze auch
über den toten ritter und das schwert bescheid verlangt, geht
der könig doch gleich von der lanze auf den Gral über, ohne
ein wort über ritter oder schwert zu äufsern, obgleich er vorher
bei der bahre die neugierde rege gemacht hat. als nach der-
selben Version Gawain, der am nächsten morgen aufserhalb der
bürg erwacht ist, vom landvolk gesegnet wird, weil durch seine
frage nach der lanze die wasser wider fliefsen, die wälder wider
grünen und das land wider teilweise bevölkert ist, so flucht man
ihm zugleich, weil er sich niclit nach dem Grale erkundigte, denn
dann wäre die alte fruchtbarkeit zurückgekehrt, dh. der tote
ritter und das schwert werden w'iderum nicht erwähnt, und
endlich: die teilweise fruchtbarkeit kehrte zurück durch die
lanze, der tote ritter kommt dabei nicht zum leben, und so
möchte ich fragen, ob nicht der tote ritter auf der bahre, nebst
dem was mit ihm zusammenhängt, secundärer natur ist, ob
diese Version infolgedessen als ganzes wol eine so grofse ursprüng-
lichkeit besitzt, ob wir also w^ol auf dem richtigen weg der er-
klärung sind, wenn wir von dieser version ausgehen. — und
legen wir den nachdruck darauf, dass die gegend nur durch die
frage nach lanze und Gral fruchtbar wird, dass der tote ritter
tot bleibt und für die rückkehr der fruchtbarkeit nach dieser
Version durchaus nicht berücksichtigt wird, so lässt er sicli erst
recht nicht mehr identificieren mit einem naturgott, durch dessen
widerkehr, und nur durch diese, die natur zum neuen Wachstum
gedeiht, da auch die weinenden frauen in dieser version nicht
vorkommen — es ist nur die rede von weinenden leuten, wenn
sie sehen, dass Gawain nicht der erwartete ritter ist; auch der
könig weint, wenn er bei der bahre steht und wenn er anfängt
vom Grale zu erzählen — und weinende frauen in den anderen
Versionen nur vereinzelt erscheinen, jedenfalls keinen hervor-
stechenden zug der sage bilden, so fällt me. auch wol derletzt
gedanke an einen etwaigen Zusammenhang mit dem Adoniscult
oder ähnlichem naturdienst fort, ich glaube, dass wir bei
THE LEGEND OF SIR PEKCEVAI. n 253
dem verwüsteten land mir an einen gessartigen tiiicli zu
denken haben.
Und auch anderes zeigt die willkürlichkeit der Zusammen-
stellungen der vf. ich greife einzelnes heraus, vf. legt nicht
mit unrecht nachdruck auf den nach ihrer meinung dreifachen
Charakter des Grals: blutschüssel, speisespendei-, Inbegriff der
geistigen kraft, aber was sie nun infolge dieser auffassung alles
in die sogenannte Blelierisversion, die den ausgangspunct ihrer
hypothesen bildet, hineinlegt, ist merkwürdig. Gawain sieht in
der Version nur zwei behälter. erst den automatisch bedienenden
Gral, dann in einem gestell das silbeine gefäss, das eine abfuhr-
röhre nach aufsen hat, und in welches das blut von der lanze
tropft, vf. nimmt an, dass die beiden behälter identisch dh.
dasselbe ding unter verschiedenem aspect sind, aber auch aul'ser-
dem, dass G. die dritte gestalt nicht sieht, weil er die schwert-
probe nicht besteht, die ihn zum schauen des Grals in seiner
geistigen gestalt befähigt hätte, aber woher will vf. wissen,
dass in dieser Version die schwertprobe diese folge haben
würde? es muss doch ein Zusammenhang bestehn, wir müssen
ihn wenigstens annehmen, zwischen dem keinen anfschub duldenden
auftrag des an Gawains seite getöteten ritters, und dem was
Gawein unwissend übernommen hat. auch dem Gawain liefs das
pferd keine zeit, weder zur ruhe noch zur speise, der zweck
der zusammenfügung des Schwertes in dieser erzählung, die nach
vf. der ursprünglichen gestalt der sage am nächsten steht, scheint
kein anderer gewesen zu sein, als befähigung zu erhalten, den
ritter auf der bahre an seinem feinde zu rächen, wer dieser
feind war, erfahren wir nicht, es sclieint sich, wie soeben schon
angedeutet, um einen gessartigen zauber zu handeln, den nur
ein besonders erw'ählter aufheben kann. — wenn vf. reclit hätte
in der bedeutung der zusammenfügung des Schwertes, so müsten
auch die einzelnen aspecte des Grals, so wie Gawain sie zu sehen
bekommt, einen klimax bilden: erst hätte Gawain den Gral in
Verbindung mit der lanze als zeugungsattribut sehen müssen,
wie vf. selbst angibt, die niedrigste stufe, dann den Gral als er-
halter des menschengeschlechtes, dh. als speisespender. aber in
w'ürklichkeit sieht er erst den Gral, dann nachher die schale, in
die das blut aus der lanze fiiefst. ob dieses blutgefäfs der Gral
ist, erfahren wdr nicht, jedenfalls fehlt hier der klimax, der für
die einweihung nach vf. nötig ist. es scheint sogar, dass die
lanze als blutreliquie des heilandes dem dichter wichtiger ist als
die Schüssel, die als dienender geist umherzieht: die lanze habe
der menschheit grofses heil gebracht, indem mit ihr Christi seite
durchstochen wurde. — wir bekommen übrigens nirgend den ein-
druck, dass Gawain eine höhere stufe vom Gral erwarten konnte,
dass er den drang zur höheren erkenntnis alles lebens in sich
hatte: in dem gespräche mit dem könig soll Gawain nur darüber
254 BLÖTE ÜBER WESTON, PEKCEVAL H
belehrt werden, was die zufällig gesehenen wunder alles bedeuten,
— vf. sieht allein die lanze in der version verchristlicht, den
Gral noch nicht, aber ist die christliche geistlichkeit mit dem
christliclien kreuz bei der bahre etwa nicht christlich? und
wie soll man in aller weit beweisen, dass Gawain, der von der
lanze erfährt, sie sei die des Longinus, von dem Gral etwas
anderes erfahren haben würde, als dass sie mit Christus in Ver-
bindung stehe? maw. wir können aus dieser version durchaus
nicht beweisen, dass erst die lanze verchristlicht gewesen sei, ja
wir sind fast sicher, dass Gawain über den Gral nur christliches
erfahren hätte, wie übrigens auch in einigen hss. vorkommt i.
die weise, wie das blut ohne unterlass aus der lanze fliefst
und sich durch eine rühre aus der schale nach aufsen entfernt,
mag roh, sogar echt heidnisch aussehen, aber warum sollen wir
hier nicht wider eine der schauererregenden Übertreibungen haben,
woran diese version so reich ist?
Ich beschränke mich auf dieses wenige, man kann nicht
leugnen, dass vf. in den capp. 10 und 11 eine anzahl neuer ge-
danken einführt, aber kaum einem einzigen kann ich beitreten,
schon ihre basis — die Bleherisversion — ist nicht kritisch
sicher, aufserdem legt sie so viel von dem ihrigen hinein, dass
sie darüber die facta und die natur der grundlage ganz aus dem
gesiebte verliert, auf geistvollem wege gelangt sie zu sterilen
resnltaten. —
Der Charakter des zweiten bandes des Legend ofSir
Perceval tritt aus dem gesagten genügend hervor, auch dieser
band zeugt wider von hingebender liebe zur sache und von reicher
belesenheit in den Originaltexten, wir müssen der vf. dankbar
sein für den abdruck der Modenahs. und für manche Zusammen-
stellung, aus der sie ihre Schlüsse zieht, sie hat experimentell
erwiesen, dass mehrere partien des prosatextes aus verszeilen
hervorgingen 2. dass aber die prosa den 3 teil von Borrons
cyclus bewahre, oder sogar einer vor-Borronschen dichtung von
Percevals Gralsuche am nächsten stehe, dies zu beweisen, ist ihr
nicht gelungen, im gegenteil: ein wichtiger, das ganze be-
herschender, von ihr nicht berücksichtigter zug des textes ver-
trägt sich schlecht mit einer ursprünglichen natur; so dass die
vorläge des prosatextes einer jüngeren zeit angehören dürfte. —
in zwei capp. versucht vf. auch der natur der Gralsage von einer
ungewöhnlichen seite beizukommen, der versuch ist glänzend,
anregend, aber der feuereifer der vf. wird nicht im zäume ge-
halten durch strenge prüfung des tatsächlich vorhandenen, wie
bei der besprechung des ersten bandes ihre hj-pothese von den
zwei F^campschen messern und deren nachwirkung in der sage,
^ Birch-Hirschfeld Sage vom Gral s. 94.
^ WHoffinann Über die quellen des Didot-Perceval, Halle 1905,
hat die poetische vorläge geleugnet.
STRAUCH ÜBER BANZ, MÜTMENDE SEELE 2oO
muss ich auch jetzt ihre hypothese vom Ursprung des Grals aus
einem natar- und lebenscult ablehnen, trotzalledera nenne ich
auch diesen zweiten band einen reichhaltigen versuch uns auf-
zuklären über Graldichtung und Gral.
Tilburff i. Holland. J. F. D. «löte.
Christus und die minnende seele. zwei spätmittelhochdeutsche
mystische gedichte. im auhaiig ein prosadisijut verwandten in-
haltes. nntersuchnugeu und texte herausgegeben von dr. P
Romuald Bauz beuediktiuer [Germauistische abhandluugeu heraus-
gegeben von FVogt h. 29]. Breslau, Marcus 1908. xviii und 3S8
SS. nebst 9 taf. S^. — 15 m.
Weinhold hat in seiner ausgäbe des Lamprecht von Regens-
burg s. sooft' kurz die entwicklungsgeschichte der allegorie von
der minnenden seele skizziert, in der des Appulejus niärchen
von Amor und Psyche ins christliche umgedeutet fortlebt, die
Vorstellung, bei Bernhard und Hugo von SVictor voll entfaltet
und ausgestattet mit der poetischen diction des Hohenliedes, ge-
winnt bereits auf die deutsche geistliche dichtung des 1 1 und
12 jh.s einfluss, um dann im 13 und 14 jh. zahlreichen selb-
ständigen gedichten als Vorwurf zu dienen und gleichzeitig der
mystischen litteratur, wie sie namentlich in den frauenklöstern
aufblüht, fruchtbarste anregung zu bieten, auch die bildliche
darstellung bemächtigt sich ihrer und ruft selbst wider dichterische
behandlungen, sog. gemälpoesie hervor, gewis war schon längere
zeit vor Margareta Ebner, die zweimal von der minnenden seele
als man sie malet spricht (Banz s. 225), solcher bildschmuck
bekannt; im 15 und 16 jh. erfuhr er als holzschnitt weite Ver-
breitung, im 17 jh. als kupferstich.
Aus dem reichen litterarischen material sind an den ver-
schiedensten orten mitteilungen gemacht worden, und sicher
bergen die hss. unserer und auswärtiger bibliotheken noch
manches einschlägige. Bartsch hatte s. z. in seiner ausgäbe der
Erlösung allerlei aus Nürnberger hss. veröffentlicht, aus den
hslichen schätzen seines Stiftes bringt nun RBanz, benedictiner
zu Einsiedeln, ein schüler Zwierzinas, zwei dem umfang nach
sehr ungleiche, das genannte thema behandelnde gedichte, sowie
einen kurzen prosadialog zum abdruck. die drei stücke sind in
der Einsiedler hs. 710 — B. weist ihren Konstanzer Ursprung
nach — enthalten und haben nach ihr auch in eine ursprünglich
gleichfalls nach Konstanz weisende, jetzt Überlinger hs. aufnähme
gefunden, der vf. hat den texten, von denen bisher nur auszüge
veröffentlicht waren, eingehnde betrachtungen vorausgeschickt,
die mit grofser Sorgfalt alle irgendwie den gegenständ berührende
fragen zu beantworten suchen.
256 STRAUCH ÜBER BANZ
Das 18 vierzeilige stropLen umfassende gedieht von der
kreuztrag' enden minne (KM.) ist auser in EU noch in einer
zweiten Einsiedler hs. (nr 364) und teilweise in einer Kloster-
neuburger und Basler (s. s. 369) hs. überliefert, auch als holz-
schnittblatt aus dem 1 5 jh. vorhanden, es interessiert weniger
um seiner selbst willen, als weil es beziehungen zeigt zu dem
mehrfach begegnenden, urspr. niederdeutschen liede Hebe uff äin
rriifze (vgl. zu der s. 4 angeführten littei'atur noch Borchling,
Mittelnd. hss. i 27. n 29. iii 32. 158), doch kann für einen
wenn auch nur 'mittelbaren' nd. Ursprung unseres gedichtes nicht
mit Banz s. 154 anm. 1 das erste reimpaar komen {qucmen) :
nemen in anspruch genommen werden; der reim ist bairisch,
wohin auch sonst die spräche des gedichtes weist. — . die weit
umfangreichere dichtung Christus und die minnende seele
(MS.) findet sich hslich ausser in EU noch in Donaueschingen
(D) und Karlsruhe (K). für das in Mones Anz. 8, 334 ff unter
dem titel 'Christus und die seele' mitgeteilte und mehrfach be-
handelte stück hat jüngst Schleulsner im Katholik 1909 2, 179f
ermittelt, dass das fragment ein teil von D ist und auf der
bischöfl. Seminarbibliothek zu Mainz aufbewahrt wird. — der
kurze prosadialog (s. 364ff) steht in EU und der Einsiedler
hs. 752 (s. 15. 371).
Soviel über die Überlieferung, der das erste capitel ge-
widmet ist, das auch das hssverhältnis der MS. prüft und be-
gründet, weshalb E für die textgestaltung allein in frage kommen
konnte ; D K wurden für sie herangezogen, wo E fehlerhaft ist.
es wäre vielleicht zweckmäfsiger gewesen, hierauf den abschnitt,
der s. 184 — 222 in erschöpfender weise über die spräche
der Schreiber der einzelnen hss. berichtet, gleich folgen
zu lassen.
Cap. 2 handelt vom Verfasser und der entstehungszeit der
werke und nimmt zt. die resultate der späteren Untersuchungen
vorweg, jedenfalls kommen für KM. und MS. verschiedene Ver-
fasser in betracht, KM. ist bairisch-österreichischen Ursprungs,
MS. weist in see-alemannisches gebiet. B. möchte für beide ge-
dichte s. 33 f weibliche Verfasserschaft annehmen, wofür einiges
geltend gemacht werden kann, doch muss man sich gegenwärtig
halten — und diese annähme reicht hier wol aus — , dass das
thema, die gegenüberstellung von Christus und der seele, einer
solchen Vermutung besonders günstig ist, indem man geneigt
sein wird, die dem weiblichen teil beigelegten empfindungen auch
auf den Verfasser zu übertragen, während doch anschauung und
diction allein durch den zu behandelnden stoff bedingt sein
können, ich betone dies, weil ich selbst früher etwas vorschnell
einer ansieht Pregers, auf die sich B. beruft, zugestimmt habe,
wenn B. für MS. die weibliche Verfasserschaft für 'kaum anzu-
zweifeln' hält, so würde dagegen allein schon seine weitere an-
CHKI6TUS UND DIE MINXEXDE SEELE 257
nähme sprechen, die MS. der gleichen persönlichkeit zuweisen
möchte, von der wir auch das gedieht Des Teuf eis Netz (TN.)
besitzen; die ursprüngliche gestalt dieser dichtung soll in der
kürzeren, von Barack nur in den Varianten zu seiner ausgäbe
berücksichtigten fassung C vorliegen. Des Teufels Netz kann
nun aber m. e.. welcher redaction wir auch den vorzug geben,
schon um des Inhalts willen nur von einem männlichen veiiasser
herrühren, es ist undenkbar, dass dieses stark pessimistisch ge-
färbte, aber weit- und menschenkundige rügenbuch aus einer
weiblichen feder geflossen sein sollte, dass ein weibliches wesen,
eine nonne oder begine (B. s. 35) sich so derb und gelegentlich
obscön, insbes. auch über ausschreitungen seines eigenen ge-
schlechtes hätte auslassen sollen, wie dies in TN. geschieht,
übrigens scheint der verf. unter der arbeit selbst an der richtig-
keit seiner identilicierung aus sprachlichen gründen (s. 141) anm.
vgl. s. 14 5. 1 (i 1 . 1 62. 174) wider stutzig geworden zu sein ; zu anfang
in seinen ausführungen zuversiclitlicher, gewinnt man im weiteren
verlauf den eindruck, dass er stärker mit der Skepsis auf selten
des lesers rechnet, den anlass zu seiner hypothese von der
gleichen Verfasserschaft beider gedichte fand B. in auCserordent-
lich zahlreichen parallelen, die er s. 124 — 134 zusammenstellt,
sowie in der grofsen Übereinstimmung in spräche und metrik.
man wird den vorsichtig abwägenden und begründenden aus-
führungen volle beachtung schenken, dass diese parallelen aber
mehr beweisen müsten als eine wenn auch auffallend intime Ver-
trautheit der MS. mit TN., kann ich nicht finden, die sprachliche
ähnlichkeit erklärt sich aus der gleichen heimat, und auch die
freie metrische form steht durchaus nicht vereinzelt (B. s. 1 7 1 ff).
am meisten könnte für eine identität der Verfasser in die wag-
schale fallen, wenn B. mit seiner behauptung (s. 141fl'j im recht
wäre, beide gedichte hätten beziehungen zu der unter dem
namen Der geistliche Streit (GStr.) bekannten allegorischen
dichtung, über die jüngst FrHoeptinger in einer Strafsburger
diss. (1907) gehandelt hat, was B. entgangen ist. allein was
B. s. 143 für eine benutzung des GStr. durch TN. geltend macht,
ist nicht ausreichend, um ein solches abhängigkeitsverhältnis
in gleichem mafse glaublich erscheinen zu lassen, wie zwischen
GStr. und MS. (B. s. Ulf), die parallelen zwischen GStr. und
TN. sind zt. allgeraeingut, zt. finden sie ihre erklärung in dem
vielbehandelten thema von den hauptsünden, bei dem gleichfalls
formelhafte Wendungen und reime nahe lagen.
Wenn mich somit Banz in diesen puncten nicht zu über-
zeugen vermocht hat, so bleiben doch seine eindringenden Unter-
suchungen über TN. an sich wertvoll und regen zu weiterer
forschung an. Barack hatte dem umfangreichsten text A die
erste stelle eingeräumt, die um vieles kürzeren fassungen BC in
die lesarten verwiesen; nach Banz dagegen verdient C, das der
A. F. D. A. XXXIV. IT
258 STRAUCH ÜBEK BANZ
Verfasser von MS. allein benutzt hat, den Vorzug: C sei der
'beste', wenn auch sprachlich 'schlecht überlieferte' Vertreter des
Originals, in A erkennt B. einen zweiten ergänzenden und er-
weiternden bearbeiter mit anderer technik, anderer spräche und
nietrik. ich kann über das hssverhältuis von TN. jetzt keine
genauere prüfung anstellen, sie hätte zunächst die von B. nicht
erwähnte, bisher unausgentitzte vierte, in Strafsburg befindliche
hs. (Baechtold Gesch. d. d. litt, in der Schweiz, anm. s. 46) her-
anzuziehen, vielleicht verhilft sie uns zu einer anschaulicheren
Vorstellung von der Überlieferung, als sie jetzt möglich ist, wo
niclit einmal die von Barack mitgeteilten Varianten in jedem fall
ein klares bild geben, ich gesteh, dass ich nach widerholter
lectüre über ein non liquet nicht hinauskomme, vielleicht be-
sitzen wir die ursprüngliche fassung von TN. überhaupt nicht,
und es liegen in C und A zw^ei selbständige bearbeitungen vor,
von denen C dem original näher steht als A, aber ebensowenig
nur kürzt, wie A nicht nur erweitert; übrigens schlägt auch
B, das meist mit C geht, gelegentlich eigene wege ein.
Was B. sonst (s. 144 ff) von parallelen zur MS. aus Marien-
klagen und von beziehungen zur Alexiuslegende beibringt, kann
nur beweisen — und B. selbst ist dieser meinung — , dass der
verf. mit dieser litteratur vertraut war; die directe quelle lässt
sich nicht aufdecken, vollends bedeutungslos aber, und zwar
deshalb weil es sich fast immer um formelhaftes gut oder um
eine unter gleichen Voraussetzungen sich von selbst einstellende
ausdrucksweise handelt, müssen jene anklänge an andere mhd.
dichtungen erscheinen, die B. s. 147 ff zusammengetragen hat.
da B. auch dies ohne weiteres zugibt, hätte ich das herausheben
einzelner nach B. wenigstens möglicher directer beziehungen
lieber ganz unterdrückt gesehen, abzulehnen ist aber auch die
annähme einer parodistischen Verwertung dreier im Wortlaut
ähnlicher stellen der MS. in Wittenweilers Ring (s. 149 ff), ab-
gesehen davon, dass dem behaupteten abhängigkeitsverhältnis
jede überzeugende beweiskraft fehlt, spricht auch die Chronologie
eher dagegen als dafür, denn das jähr 1453 bezeichnet für
Wittenweilers Eing zwar den terminus ad quem, wir werden
jedoch die abfassung, wenn auch vielleicht nicht bis auf c. 1400
(ADB. 43, 611), so doch bis in das erste Jahrhundertviertel
hinaufrücken dürfen, das von MS. so stark benutzte TN. ist aber
kaum viel vor 1414,8 anzusetzen (B. s. 139 anm.; s. 151 heilst
es in sonderbarer ausdrucksweise unter berufung auf jene anm.
— nicht 's. 107f — 'die nächsten jähre vor 1415"); die
zahlreichen reminiscenzen daran in MS. setzen intimste kenntnis
des umfangreichen gedichtes voraus, die nicht von heute zu morgen
erworben sein kann.
Den im vorigen besprochenen beziehungen zu litterarischen
erscheinungen nicht mystischen Charakters, bei denen anhangs-
CHRISTUS UXD DIE MlNNKMiE SEBLK 259
^veise auch die Stellung- zur Bibel berücksichtigung gefnudeu hat
(s. 151 ff), geht im vierten abschnitt (s. 42 — 124j — der dritte
behandelt kurz form und Inhalt von MS. — eine gründliche
Avürdigung des Verhältnisses zu verwanten mystischen gfdichten
voraus, an erster stelle steht hier das von Bartsch Erlösung
s. 210 0 abgedruckte gleichnamige gedieht (BMS.), zu dem sich
ein Münchner eiublattdruck (M) und eine Erfurter incunabel (I)
gesellen : ein ursprüngliches stück gemälpoesie, wie es annähernd
in M in 20 bildern mit quatrains vorligt, hat verschiedene er-
weiterungen erfahren, die sich auf zwei redactionen (M. MS. zt.
besser als BMS., I) zurückführen lassen, auf grund unvoll-
ständigen materials hatte Bartsch s. z. irrtümlich angenommen,
MS. sei aus BMS. hervorgegangen. Variationen desselben tliemas,
aber unabhängig von der eben genannten gruppe, liegen mehr-
fach vor; sie sind zt. schon in Pregers zweitem mystikbande
besprochen worden, aufser KM. kommen in betracht Der Minne
Spiegel (Bartsch Erlösung s. 242 ff nr 16), das stück bei Adrian
Mitteilungen aus hss. s. 452 — 455, von dem die Altd. bll. ii :570
nr 3 und darnach auch von Goedeke und PhWackernagel ab-
gedruckten verse — sie verdienen jedenfalls daraufhin nähere
Untersuchung — doch wol nur ein excerpt sind, — ein nd. ge-
dieht (Nd. jb. 15 [nicht 7], 13f), Gott und die Seele (Erlösung
s. 214 ff nr lOj. zeigen diese stücke — nur bei dem letzteren
könnte es zweifelhaft sein, da es wol mit PhWackernagel in
zwei gedichte zu zerlegen sein wird — die reine dialogform,
so nehmen die beiden bekannten poetischen behandlungen der
Tochter Sion, die alemannische wie die des Lamprecht von Eegens-
burg, eine mittelstellung ein, indem sie erzählung mit freilich
reichlich eingemischtem dialog, der sich aber nicht auf Christus
und die seele beschränkt, bieten, auch die Sieben grade des Mönchs
von Heilsbronn konnten hier noch genannt werden, eine gröfsere
reihe anderer einschlägiger nummern endlich trägt lyrisch-mono-
logischen oder didaktischen Charakter, das gedieht ^Su-er gern
h'iet ein gut leben' (Altd. bll. u 359) steht inhaltlich der MS.
besonders nahe, jedoch hat dort die seele ihr ziel bereits erreicht,
während sie in MS. noch im aufstieg begriffen ist. von dem
gedieht Ti7 werde sele half dich werf (Altd. bll. ii 367 v. 53 ff)
hat, wie auch Bartsch Germ. 24, 251 sah, schon Schmeller,
SUlrichs leben s. vniff nach dem auch von Preger ii 5 7 benutzten
cgm. 94 einen vollständigeren text zum abdruck gebracht, ich
möchte bei dieser gelegenheit dem wünsche nach einer sammlung
der mystischen lyrik des 13/14 jh.s ausdruck geben; sie verdient
es in jeder beziehung, inhaltlich wie sprachlich. — die s. 51 er-
wähnte Identität einer bei Mone Schauspiele des nia.s i 129 ab-
gedruckten Passio einer minnenden seele mit einem capitel in
den Offenbarungen der Mechthild von Magdeburg (iii, 10 — s. 71;
würde ich gern weiterer prüfung unterzogen haben, wäre die
17*
200 STRAUCH ÜBEK BANZ
Karlsruher lis. der generals vRadowitz, aus der Mone die Passio
Ttiitteilte, auffindbar gewesen.
Die mystische prosa bedient sich g-leichfalls mit besonderer
Vorliebe der dialogischen form, für die die lat. mj'stiker das
Vorbild waren; gröfser aber noch ist die innere verwantschaft
zwischen prosa und poesie hinsichtlich der gleichartigkeit der
motive, und auch die MS. bekundet fast mit jeder zeile durch
den reichtum an beziehungen zur mystischen ideensphäre, durch
die ähnlich eingekleideten gedanken ihre enge zugehöi-igkeit zur
mystischen litteratur, wenn es sich oft auch nur um anklänge,
nicht um entlehnungen — man kann in der annähme letzterer
nicht vorsichtig genug sein, s. s. 1 1 0 — handelt. B. gibt
s. 55 ff, zunächst in gestalt fortlaufender anmerkungen, zu dem
von ihm herausgegebenen texte eine höchst willkommne, mit
grofser Sorgfalt zusammengetragene und von belesenheit zeugende
Sammlung von parallelstellen und der mystischen termini (s. 114 ff)
innerhalb der einschlägigen deutschen theologie sowie der pa-
tristisch-scholastischen litteratur, 'auf welche die einzelnen motive
und ideen der MS. in weiterer oder letzter liuie zurückgehen
mögen'. B. schätzt das gedieht von der MS. richtig ein, wenn
er in ihm 'einen letzten niederschlag der verschiedenen mystischen
Strömungen' sieht, die es 'zu popularisieren und für weitere
kreise nutzbar zu machen' bestrebt ist. weder Vertiefung' der
mystischen anschauungen noch ein erschliefsen neuer höhen und
weiten dürfen wir in ihm erwarten, das verhindert schon die stark
ausgeprägte neigung, durch drastisch-derbe bilder und ausdrücke
eine Wirkung zu erzielen.
Der fünfte abschnitt gibt rechenschaft über spräche und
kunst der behandelten stücke: die dai'stellung der reirasprache,
die auf schritt und tritt den einfluss der methode Zwierzinas
bekundet, stellt die niederalemannische bez. südschwäbische
heimat für MS. fest; die reinitechnik und metrik ist vom dichter
äufserst regellos gehandhabt, wenn auch ein 'lockerer vierheber'
als norm anzuerkennen ist; dass TN. auf ziemlich gleicher (nicht
derselben!) stufe steht, erklärt sich aus dem allgemeinen nieder-
gang des formgefühls und berechtigt nicht zu etwaigen Schlüssen
auf die Identität der Verfasser, des verf.s auslassungen über
'composition und stiF suchen mit lobenswerter objectivität den
litterarischen wert der MS. zu bestimmen, indem sie den mangel
künstlerischer gestaltung und nur ein gelegentliches gelingen,
tieferer empfindung entsprechenden ausdruck zu geben, hervor-
lieben, an den weiblichen Verfasser — 'eine nonue von unge-
wöhnlicher belesenheit, aber ohne tiefe, ohne contemplatives talent,
die die fruchte ihres sammelfleifses in reime setzt' — , die für
ihre in den düstersten färben gehaltene darstellung des ehelichen
lebens dieses 'nur aus fastnachtschwänken' gekannt haben soll,
vermag ich freilich nicht ohne weiteres zu glauben. MS. geht
CHRISTUS UND DIE MIXXEXDE SEELE 2ü l
im letzten grade auf gemälpoesie zurück, und ich sehe nicht
ein. warum nicht auch ein männlicher klosterinsasse sich in
ähnlicher weise hätte äufsern künnen, sobald er das thema
von der minnenden seele auf grund einer bildlichen voi-lage be-
handeln wollte.
Dem bilderschmuck der MS.-hss. und -drucke, dessen motive
sich noch in der mj'stischen gemälpoesie des 1 7 jh.s widertinden,
ist der letzte abschnitt (s. 223ff) gewidmet, der kunsthistoriker
wird ihn um so weniger unbeachtet lassen dürfen, als namentlich
die bilder in E hinsichtlich ilires Ursprungs — er führt zunächst
doch wol nur nach Konstanz, während technik und linienführung
in D der Ulmer, genauer Wiblinger schule anzugeliören scheinen
— ein interessantes problem stellen, zu dessen lösung B. wert-
volle beitrage geliefert hat, beitrage die über den einzelfall
hinausgehen, fragen von allgemeinerer bedeutung aufwerfen und
zu beantworten suchen.
Zum text: v. 443 lis mit K miner? — wenn die seele sich
Christi diener (1041) nennt, Christus sie zu ainem diener gut
(488) auserwählt, so ist dies zu gunsten eines männlichen Ver-
fassers verwertbar, vgl. auch 1558. 1742. — 883 ich het in
{ainen alten (jraiven rok) nit etwen genomen ze ainem sok: das
glossar fasst sok als 'socke'; einen bessern sinn gäbe, sok =
sac zu nehmen; freilich lässt sich die bindung o : a sonst nicht
in MS. belegen, doch könnte der häutige reim rök : sök TN. 1710.
2160. 2367. 5310 usw. B. zu seiner auffassung bestimmt haben.
— 1012 lis schu-erern. — 2049 mit der anm. (s. 104f): vgl.
noch Jileier, Schweiz, arch. f. Volkskunde 11, 260. — im glossar
muss es s. 378* heiCsen: hrogen ptc. prät.; es handelt sich um
ein starkes verb, aber um welches? vielleicht zu hriegen'? Schwab,
wb. I 1417. — ins glossar hätten noch getral 1128 und tone:
ain toges ivort 1756 aufnähme verdient.
Halle a. S. Philipp Straucii.
Die heilige regel für ein vollkommenes leben, eine cister-
cienserarbeit des xiii Jahrhunderts, lierausgegeben von Kobert
Priebscli [Deutsche texte des mittelalters bd. xvij Berlin, Weid-
mann 1909. XXII u. 104 SS. gr. 8". — 3,50 m.
Der bekannte beschreiber der 'Deutschen handschriften ia
England' lenkt mit der angezeigten edition unsere aufmerksam-
keit auf eine handschrift des Britischen museum (Additioiial 0048),
welche einen neuen beitrag zur deutschen tractatenlitteratur des
mittelalters bietet, ganz sachgemäfs hat der heiausgeber dem
tractat den titel gegeben: 'Die heilige regel für ein vollkommenes
leben', da er seinem Inhalt nach für klosterleute zur anleitung
in der Vollkommenheit berechnet ist. die hs. stammt aus Deutsch-
land und war, soweit festgestellt werden kann, im besitz eines
262 KIKllER i'BER PRIEBSCH
benedictinerklosters. sie iimfasste ursprünglich vier gTöfsere ab-
schnitte, von denen nur noch der erste, und aucli dieser nicht
mehr vollständig erhalten ist. das s"*^nze ist in beziehung zur
Mutter Gottes gebracht, da ihr erhabenes Vorbild diejenigen
welche ihr nachfolgen, sicher zum himmel geleitet.
Der erste grofse abschnitt handelte davon: 'wie Gottes
Mutter und alle die diese Tegel halten, ein leib sind in Gott,
und wie .Jesus Christus das haupt ist dieses leibes'. schon in
der formulierung dieses gedankens klingen die biblischen worte
des Römerbriefes durch: 'Slcut enim in uno corpore miilfa menibra
Jiabemus, omnia autem memhra non eundem actum hahent, ita
multi unum corpus sumus in Christo, singuli autem alter alterius
membra' (Rom. 12, 4f und die parallelstelle i Cor. 12, 12. 27).
dieser gedanke wird nun in der weise ausgeführt, dass den ein-
zelnen sinnen der Gottes Mutter bestimmte tugenden zugeschrieben
werden, welche diejenigen welche mit ihr ein leib sein und
Christus zum haupte haben wollen, nachahmen müssen, die
Gottesmutter hatte : zunächst 1 . zwei äugen voll heiliger keusch-
heit; 2. zwei obren voll heiligen gehorsams; 3. die nase war voll
heiliger gerech tigkeit ; 4. die Gottesmutter hatte einen mund
voll heiligen gebetes ; 5. zwei füfse und zwei bände voll heiliger
arbeit (das vnd ire arbeite 20, 19 scheint mir zweifelhaft, sollte
das vnd Ire a. zu z. 18 gehören?); 6. einen leib und geist voll
heiliger demut und voll heiliger armut; 7. ein herz voll heiligen
friedens; S. eine seele voll heiliger liebe, das ist das schema
in welches der inhalt der acht capitel hineingepresst ist, freilich
oft sehr lose und mit zahlreichen Unterabteilungen, welche bis-
weilen den eigentlichen hauptteil an umfang überragen, die
ersten fünf capitel zb. sind ziemlich knapp gehalten, eingefügt
ist hier ein tractat über die 12 peinen (s. 26, 15 ff), im 6
capitel finden wir dann eine gröfsere abhandlung über die sieben
hauptsünden im anschluss an die sieben worte .Jesu am kreuze ; im
8 capitel eine abhandlung über die neun chöre der engel und
deren namen, mit moralischer anwendung: wie diejenigen be-
schaffen sein müssen, welche in den betreffenden engelchor
kommen wollen, das ganze ist keine einheitliche originelle
arbeit, sondern ein conglomerat verschiedener tractate bzw. pre-
digten, deren puncte eingeschoben werden, wenn sie nur irgendwie
lose mit dem thema in beziehung gebracht werden konnten,
daraus erklären sich dann widerholungen derselben puncte, zb.
63, 24 f über die ordensgelübde, die schon zu anfang behandelt
sind, ausdrücklich ist deswegen auch 75, 17 und 77, 21 auf
frühere capitel verwiesen, dem zusammensteller des tractates
muss aber auch, und das ist das interessante, der sog. prediger
von SGeorgen (Deutsche texte des mittelalters bd. x) bekannt
gewesen sein. s. 9 z. ~ ff findet sich SGeorgener prediger (PSG.)
s. 208,30 ff (vgl. 190,26) und zwar folgt der tractat der
HEILIGE KEGEL 263
fassuug G dieser precligtsammlung. — zu S. 17 ff vgl. PSG.
s. 2S4, 24ff. — zu 14, 1 ff wörtlich PSG. s. 210, Oft'. — zu
s. 17, 17 ff vgl. PSG. s. 06, 28 ff. — zu 21. 2lf vgl. PSG. s. 239,
2ff. — s. 22, 22 bis 23, 22 wörtlich PSG. s.' 218, 1611 — s. 50, 6
bis 52, 20 und 53, 7 bis 10 wörtlich PSG. s. 21U, 17 bis 212, 29
und zwar in der fassung von G.
Daraus sehen wir, dass die 54 predigt des sog. SGeorgener
Predigers von dem zusammensteller des vorliegenden tractates ganz
zerstückelt und an vier verschiedene stellen verteilt wurde, ohne
dass sie streng dorthin gehören, während die 54 predigt einen
straffen aufbau hat, deren gedanken sich teilweise an die worte
des hl. Beruhard (Migne Patrl. lat. 184 sp. 314 und 183,663)
anlehnen, zu beachten ist auch, dass der tractat der fassung
G des SGeorgener predigers näher steht als der von A. das
ganze wider zeugt für das hohe alter der SGeorgener predigten,
so dass meine in der einleitung dazu gegebenen ausführungen
dadurch eine neue stütze erhalten.
Wie mit der benützung des sog. SGeorgener predigers wird
es sich ai\ch mit den anderen eingestreuten stücken verhalten:
sie sind keine originalarbeit, sondern entlehnungen — das darf
man sicher behaupten von der abhandlung über die strafen der
hülle, den sieben hauptsünden, den neun engelchören, wenn es
auch mir nicht möglich ist die directen quellen aufzuweisen,
weder nach form noch nach Inhalt ist also der tractat gerade
bedeutend, David von Augsburg hat die anleitung zur Voll-
kommenheit für novizen in seiner 'formula de interioris und
exterioris hominis reformatione' viel schöner und folgerichtiger
durchgeführt, die bedeutung des veröffentlichten tractates liegt
vielmehr in den eingestreuten exe mp ein die als Illustration zu
den gegebenen ausführungen dienen sollten, auch von ihnen gilt,
dass sie (aus lateinischen vorlagen) zusammengelesen sind und oft
eingefügt werden, ohne dass sie recht zu dem behandelten thema
stimmen, sieht man von den beiden biblischen beispielen s. 16
und 41 ab, so sind es im ganzen 46 erzählungen, von denen
Priebsch bei allen bis auf drei die directe oder indirecte quelle
nachweisen konnte, sie sind teilweise den Vitae patrum, dem
Dialogus miraculorum des Caesarius von Heisterbach, dem Exordium
magnum Cisterciense und Herberti de miraculis libri tres ent-
nommen, oder demSpeculum ecclesiaedesHonoriusAugustodunensis.
viele (zb. 1. 4. 6. 19. 25. 26) gehören zu den Marienlegenden,
andere wider erzählen von erlebnissen aus dem kreise der
Cistercienser. die art und weise wie sie in den text eingefügt
wurden, zeigt deutlich nr. 23, das noch vor s. 53, 7 — 10 nfstende
also dem zu 52, 20 gehörenden schlusssatz der entliehenen vor-
läge des sog. SGeorgener predigers eingefügt wurde, die Ver-
öffentlichung dieser exempel im verein mit dem sie begleitenden
und erläuternden text ist deswegen wertvoll, weil es die ältesten
264 EIEDEE ÜBER PRIEBSCH, HEILIGE REGEL
uns bekannten derartigen legenden in deutscher spräche sind.
Schönbach hat in seinen Studien zu Caesarius von Ileisterbach
vor kurzem gezeigt, wie sich solche erzählungen weiter bildeten
und umformten und dazu beispiele französischer herkunft ange-
führt (aus den Sammlungen des Jacques de Vitry und des
Etienne de Bourbon). wollte man noch weiter gehn, so dürften
die lateinischen predigtwerke des 1.'^ und 14 jh.s nicht über-
sehen werden, welche mit Vorliebe zur Illustration solche
erzählungen aufnahmen und je nach ihrem zwecke umformten,
es ist gar nicht unmöglich, dass auch der compilatnr des tractates
der heiligen regel solche predigtvorlagen für einzelne seiner bei-
spiele benutzt hat.
Wenn wir hier klarer sehen wollen, dann wäre eine sj^ste-
matische Sammlung der mittelalterlichen (lateinischen) erzählungen
und beispiele von nöten, vielleicht sachlich geordnet wie Franz
(Drei deutsche Minoritenprediger s. 126 ff) einige proben anführt,
diese exempel würden auch zum Verständnis der sog. viten (mystischer
richtung) viel beitragen, ich denke hier vor allem an die vita
Susos (ein ganz eigenartiges exempel aus den predigten des
Greculus führt Franz [aao. s. 1 3 1 nr. 2] an : exemplum de latrone
qui secutus fuit quendam ahbatem per silvam et vohdt confiteri:
man vgl. damit die geschichte von dem mörder bei Sense [Bihl-
meyer s. 78]). weiterhin an die erzählungen in den sog. Gottes-
freundtractaten, die im Zusammenhang mit der vorausgehnden
erbaulichen erzählungslitteratur dann nicht mehr isoliert da-
stehn werden.
Als Verfasser oder besser compilator des tractates ist
nach P. ein unbekannter Cistercienser anzusehen, was sich auch
bestätigt, die heimat jedoch (P. weist auf Westdeutschland) wird
schwerlich festzustellen sein, auch das alter des tractates,
zwischen 1235 und 1300, ist richtig bestimmt, doch dürfte mit
rücksicht auf die benützung des sog. SGeorgener predigers 'niclit
weit von 1250" noch etwas zu früh angesetzt sein (die nichter-
wähnung Alberts des Grofsen ist nicht entscheidend).
Bestimmt war der tractat für frauenspersonen, in erster
linie für Cistercienserinnen. das zeigt schon die einleitung 1 , 2 1 ff.
deswegen wurde der tractat auch in deutscher spräche geschrieben,
dem entgegenstehnde bemerkungen (P. erwähnt 69. 33 f) erklären
sich aus der unbesehenen herüberuahme der ausdrücke der vor-
lagen, welche meiner ansieht nach hauptsächlich predigten waren.
Die in der einleitung enthaltenen ausführungen über die
handschrift, deren beschaffenheit und Schreiber, sowie die sorg-
fältige behandlung des textes und der anmerkuugen zeigen uns den
erfahreneu kenner und prüfer deutscher handschriften, dem unsere
anerkennung für die herausgäbe dieser frühesten uns bekannten
prosa aus dem Cistercienserorden nicht vorenthalten sein soll.
Scherzingen b. Freiburg i. Br. dr. K. Rieder.
rXIOWEK ÜBER JAHN, GOETHES DICHTUNO U. WAHltHEIT 265
Goethes Diclituuj? uinl Wali rlieit. Voiß-escliichte — Eiitsteliiuig
— Kritik — Aualyse von Kurt Jahn. Halle a.S., Max Nieiucver
1908. 382 SS, S». — 7 in.
In diesem Anzeiger (xxv 74) äufseite vor 1 1 Jahren Albert
Köster in einer besprechung- der Altschen schrift über Dichtmig
und Wahrheit', dass die innere geschichte dieses werkes noch
zu schreiben sei. diese lücke ist nun durch das vortrelfliche
buch Jahns gefüllt, es gibt uns eine entstehungsgeschichte und
Charakteristik der autobiographie, die ihrer wüidig ist. dieses
gewis nicht geringe lob verdient die arbeit trijtz einzelnen
mangeln die ihr anhalten, ich beginne mit diesem negativen
moment, um für das viele positive freie band zu behalten.
Zunächst: die lectüre des buches ist nicht leicht. Jahn ist
eine unjugendliche, ein v^enig abstracte, kühle Schreibweise
eigen, die für ein buch, das ein poetisch-v.issenschaftliches werk
analysiert, zuweilen auch atomisiert, nicht eben günstig ist.
dazu kommt, dass er die concreten unterlagen für seine aus-
führungen, die beweisenden stellen, zum grösten teil als noteu
in den anhang verwiesen hat. hätte er sie organisch verwendet
d. h. in den haupttext verwebt, dann wäre das buch zwar
umfangreicher, aber um vieles lebendiger und eindringlicher
geworden.
Der kühle der Schreibweise entspricht eine öfters zu tage
tretende, für mein gefühl nicht gerechtfertigte herbheit des Ur-
teils, wer wie J. so bis ins kleinste hinein die entstehung einer
umfangreichen litterarischen schüpfung verfolgt, dem entgehii
nicht die unvoUkommenheiten. die nun einmal auch beim grösten
menschlichen werk nicht ausbleiben, in diesem fall entsprangen
sie daraus, dass Goethe sich vielfach ein selbst für seine kräfte
zu hohes ziel steckte. J. ist oft genötigt darauf hinzuweisen,
wie der biograph grofse Intentionen fallen lies und an ihre stelle
geringere Surrogate setzte, bei einer solchen darlegung kommt
alles auf die art an, wie das zurückbleiben hinter dem ursprüng-
lich gewollten ins licht gerückt wird, bei J. geschieht es so,
was zu hören er möglicher weise erstaunt sein wiid, dass mau
bei der lectüre des buches, das im ganzen mit bewunderungs-
würdigem eindringen die tiefen jenes herrlichen denkmals
deutschen geistes erschliefst, öfters von dem peinlichen gefühl
erfasst wird, als unterschätze er es bei aller liebe der betrachtung.
wenigstens w'urde ich beim lesen oft an das Goethische wort in
'Dichtung und Wahrheif erinnert, dass 'er es immer vorzog, von
dem menschen zu erfahren, wie er dachte, als von einem andern
zu hören, wie er hätte denken sollen', auch an die verwante
äufserung des dichters an einer andern stelle dieses werkes
(Weimarer ausg. 28; 234, 9) über recensenten wurde ich gemalmt:
'sie leben in dem wahn, man werde, indem man etwas leistet,
ihr Schuldner und bleibe jederzeit noch weit zurück hinter dem.
266 PNIOWER ÜBER JAHN.
was sie eig-entlich wollten und wünschten, ob sie gleich kurz
vorher, ehe sie unsere arbeit gesehn, noch g-ar keinen begriff
hatten, dass so etwas vorhanden oder nur möglich sein könnte',
dieser eindruck entstand nicht zum wenigsten dadurch, dass J.
nicht scharf genug die äufsere und innere unfertigkeit des
vierten nach Goethes tode erschienenen teiles der autobiographie
betont, er hatte nicht das letzte entscheidende Stadium erreicht,
die letzte Überarbeitung, die beim alternden und gealterten
Goethe den prosaschriften jene nicht genug zu bewundernde
coniposition verlieh, die uns Eoethe gerade an 'Dichtung und
Walirheit' einmal schön aufgezeigt hat.
Endlich beklag ich den mangel von registern, die durch die
Inhaltsangabe (s. v — vn) keineswegs entbehrlich geworden sind,
ein buch das wie das vorliegende sich durch einen reichen ge-
halt auszeichnet, und eine fülle von beobachtungen enthält, die
nicht blofs den Verfasser von 'Dichtung und Wahrheit", sondern
den ganzen Goethe betreffen^ ein solches buch wird um seine
volle Wirkung gebracht, wenn es des registers enträt. Theodor
Mommsen sagte einmal von einem umfänglich geratenen buch,
nachdem er es durchblättert hatte: 'es ist in doppeltem sinne
cyclopisch. es ist unförmig und hat nur ein äuge, es fehlt
das register'.
Damit aber sind meine einwände gegen die gesamtanlage
des buches erschöpft, und ich kann mich dem erfreulicheren posi-
tiven teil meiner aufgäbe zuwenden.
J. hat die behandlung des themas in einen weiten rahmen
gespannt, indem er der äufsern entstehungsgeschichte des werkes
die innre vorangehn lässt und den begriff dieser Innern ent-
stehung recht tief fafst. er geht zurück bis auf die allgemeinen
Voraussetzungen, wie sie in Goethes persönlichkeit und ihrer
entwickelung liegen, dabei analysiert er den geistigen complex
des dichters mit oft erstaunlicher kenntnis seiner äufserungen bis
ins einzelne und beleuchtet etwa — immer genetisch — sein
Verhältnis zur metaphysik, zur religion, seine lebensauffassung
uä. oder er legt seine gedanken über die persönlichkeit, die
Vererbung, die umAvelt udgl. dar. zuletzt versäumt er auch
nicht, die frage zu erörtern, wie er sich zu seinen Vorgängern
verhalte, um ziim schluss zu kommen, dass Goethe unabhängig
von ihnen blieb, nicht aus diesen quellen schöpfte er, sondern
'aus der eigenen erkenntnis des lebens und der leben be-
herrschenden mächte, und war bemüht ein ideal zu ver-
würklichen, das vor ihm weder versucht noch auch gedacht
worden war'.
In dem zweiten der drei teile, in die das buch zerfällt, be-
handelt J. die aus arbeitung von 'Dichtung und Wahrheit',
auch hier geht er zunächst auf die ps3^chologischen Voraus-
setzungen ein und behandelt als hauptquelle Goethes gedächtnis.
GOETHES DK IITUNG UNI) WAllhllKlT 2G7
Über das er sehr interessante aufschlüsse gibt, dann berichtet
er über die vorarbeiten, die erste niedersclirift und ihre Um-
arbeitung, worauf die einzelnen bände liinsichtlich ilirer ent-
stehung und der composition besprochen werden, in diesem
abschnitt wird über die arbeitsweise Goethes in lehrreiclier weise
berichtet, wir erfahren, wie der Verfasser der autobiographie
zunäclist Schemata entwirft, die widerholt verändert und umge-
schrieben werden, auf grund dieser sclieniata dictierte Goethe
in abschnitten aufser der reihe den ersten text, dessen teile
ziemlich unverbunden sind, erst in der Überarbeitung dieses
ersten dictats kommen die wichtigsten principien seiner dar-
stellungsknnst zur geltung. Verzahnungen werden angebracht,
vorbereitende motive eingeschoben, wichtige treten heraus, die
composition wird durch abschattungen verfeinert, kurz, die
architektonik wird jetzt erst erreicht, auch innre eigentümlich-
keiten wie die Steigerung des individuellen ins allgemein
menschliche zeigen sich erst in diesem dritten Stadium der
arbeit.
Wir erhalten auf diese weise einen tiefen einblick in die
äufsere und innere entstehung der autobiographie, über das was
sie darbietet, wie über das was sie enthalten sollte und schliefs-
lich nicht enthält, von diesem geplanten und zuletzt fallen ge-
lassenen hebe ich als besonders bemerkenswert den nachweis
hervor, wie Goethe ursprünglich alles auf eine grofse Charak-
teristik der Sturm- und drangperiode, 'seines reformatorischen
strebens in litteratur, ethik^ gesellschaft, kunst- und natnran-
schaunng' anlegte, um sich am ende mit einem dürftigen ab-
schnitt über diese herrliche epoche seiner Jugend zu begnügen.
J. weifs die Unterlassung aus der natur des alternden dichters zu
erklären, indem er auf den gegensatz hinweist, in den er damals
zu der 'fordernden epoche' mit ihren genialen und individua-
listischen tendenzen geraten war. in der zeit da er das
antiromantische manifest 'Neudentsche religiös-patriotische Kunst'
veranlasste, konnte sich Goethe nicht für eine richtung erwärmen,
die nur zu verwant war mit derjenigen die er bekämpfte, und
er muste sich hüten als ihr förderer zu erscheinen.
Nach der behandlung der Innern und äulsern entstehungs-
geschichte gibt J. im dritten teil die analyse der autobio-
graphie, in der es ihm darauf ankommt, sie als ein werk sui
generis zu erweisen, zu diesem zweck sucht er ihr wesen bis
in die kleinsten züge hinein zu charakterisieren, wir erfahren
etwa, wie Goethe das entwickelungsgeschichtliche dement zur
geltung bringt, oder wie er das werden seiner bildung schildert,
nach welchen principien er sich über die entstehung seinei- werke
ausspricht, einen grüfsern räum nimmt seiner Wichtigkeit geraäfs
die behandlung des dichterischen elementes ein, das sich in diese
lebensbeschreibung eigener art notwendig einmischte, hier zeigt
2(38 l'XIOWER ÜBER JAHN
J., was für Goethe bei der auswalil der ereignisse bestimn)end
war, aber auch wo die poetische erhühung der würklichkeit ihre
grenzen fand, bedächtig lässt er dabei widerholt durcliblickeu,
was bei der beurteilung von Dichtung und Wahrheit nur zu oft
überselien wurde, dass es der sechzigjährige Goethe war, der
über sein leben berichtete, nach seiner damaligen anschauung
verlegte er, um mich der worte J.s (s. 320) zu bedienen, 'die
grenzlinie möglichst weit nach dem normalen, allgemein-mensch-
lichen, ausgeglichenen hin und nahm den habitus seiner seele
zur zeit der abfassung der autobiographie als den echten, fürs
ganze leben gültigen', als resultat seiner vielfachen beobaclitungen
und nachweise aber darf man wol die worte J.s (s. 273) an-
sehen: 'die fähigkeit auf die es schliefslich ankommt das werden
des menschen aus dem angeborenen und dem erlebten jeder art
vollständig zu entwickeln, tritt hier zum ersten mal in sj^ste-
matischer anwendung in die Selbstbiographie wie in die biographie
überhaupt ein und macht Dichtung und Wahrheit zum bahn-
brechenden werk auf historischem gebiet'.
Den schluss bildet ein etwas dünn geratenes capitel über
Stil und composition des werkes.
Indem J. das entwickelungsgeschichtliche moment stets im
äuge behält und den ganzen Goethe überblickt, gelingt es ihm
manches neue über ihn mitzuteilen, was sich nicht blofs auf
Dichtung und Wahrheit bezieht, von der ausführung über das
gedächtnis des dichters, der Zusammenstellung seiner ansichten
über die Vererbung sprach ich schon, aber er gibt zb. auch
(s. 57) aus briefen und tagebüchern eine wertvolle Übersicht
über Goethes lectüre von Plutarch und Sueton. kurz vorher
(s. 55) zählt er die hauptwerke der historischen litteratur auf
die der dichter gelesen hat, und notiert die zahlreichen daten.
wie wichtig für Goethes ganze lebensauffassung sind die belege
die J. (s. 87) zusammenträgt, um seine auffassung der Selbst-
erkenntnis darzutun ! hier vermiss ich freilich manches wichtige,
wie den hinweis auf die zahlreichen das thema behandelnden
•Zahmen Xenien' (vgl. das sach- und Wortregister zu Goethes ge-
dichten ed. Loeper 2. ausgäbe s. v. 'Erkenne dich selbst"), auf
den aufsatz 'Bedeutende Fördernifs durch ein einziges geistreiches
Wort' (WA. II bd. 11, 59), endlich darauf, dass die erörterung
der frage für die disputationsscene im Faust geplant war (WA. i
bd. 14 s. 291 z. 15 Fvco^l osavrov im schönen Sinne). — s. 344
handelt J. sehr interessant über Goethes natursinn und citiert
die bezeichnende stelle aus einem brief an Zelter (31 dec. 1817):
'Besieh dir ja die tveite Welt gelegentlich, so lange sie dir Spafs
macht. Ich habe mir die aesthetische Ansicht derselben durch
die toissenschaftliche ganz verdorben'.
In eiuzelheiteu dieses an anregungen und interessanten ur-
teilen reichen buches wird man hin und wider andrer ansieht
GOETHES DICHTUNG UND WAHKllKIT 269
seil! als der Verfasser, zunächst zu s. 121 eine factische berichtigung.
K. Ph. Moritz war nicht director des Berliner gj'innasiums zum
Grauen kloster. sondern, und zwar nur einig-e jähre (von 177S
bis 1785), lehrer; vgl. Heidemann Geschiclite d. Grauen klosters
(Berlin 1874) s. 246f.
Seltsam verhält sich J. zu der oft behandelten frage, wen
Goethe zum Vorbild für die g-estalt des Satyros genommen habe,
er meint (s. 284), dass ein naiver leser des Goethisclien werkes
den 'tüchtigeren und derberen zunftgenossen' auf keinen andern
als Basedow wird beziehen können, 'dass diese beziehung, fährt
er fort, in Wahrheit irrig ist und tatsächlich ein derber spals
mit Herder vorligt, ist heute natürlich nicht mehr zu bezweifeln',
man könnte dieser etwas verzwickten auffassung beistimmen, in-
sofern Goethe ein solches mystiticierendes versteckspielen sehr
wol zuzutrauen ist. allein ich kann nicht linden, dass der naive
leser hier im dreizehnten buch an Basedow denken soll, dessen
an das wesen des Satyros erinnernde Charakteristik erst im fol-
genden entworfen wird, schliefslich könnte Goethe doch mehr
als eine solche natur gekannt haben, nein, weder zielte er mit
dem Satyros auf Basedow noch fällt an dieser stelle der auto-
biographie mit oder ohne sein bewustseiu ein schein auf ihn.
nur der auf ein modeil fahndende litterarhistoriker konnte auf
Basedow verfallen, womit übrigens nicht ausgesprochen ist, dass
bei der gestaltung des Satyros nicht doch an Basedow be-
obachtete Züge Verwendung gefunden liaben. dass aber Herder,
obgleich er mit jenen worten unzweifelhaft gemeint ist, nicht
leicht zu erraten war, dafür hat Goethe allerdings und zwar
sehr mit absieht gesorgt, vor allem dadurch, dass. wie J. her-
vorhebt, jener Herder, den er in Dichtung und Wahrheit
schildert, wenig mit der gestalt des Satyros gemein hat. Goethe,
sagt J., lag nichts daran, auf solche misverhältnisse in der
litteratur hinzuweisen, gewis nicht, er war zu milde, zu ab-
geklärt und zu vornehm dazu, so wenig er in der autobiographie
die schärfen und kanten von Herders Charakter verbirgt, alle
menschlichkeiten seines wesens aufzudecken verschmähte er, den
schweren kräukungen zum trotz die er vom gealterten freunde
hatte erleiden müssen. von hass und rachsucht war er zeit
seines lebens fern, auch war in seinem innersten eingegraben,
was er Herdern verdankte.
S. 282 nennt J. Goethes äufserung im 12 buch von Diclitung
und Wahrheit, dass 'mit der nachricht von Jerusalems tod der
plan zu Werthern gefunden war', bekanntlich einen der schwersten
Irrtümer der ganzen Selbstbiographie", diese entschiedene ab-
lehnung halt ich für unbegründet, es sei mir erlaubt, diesen
punct und das sich daran anschliefsende problem hier eingehender
zu behandeln, es verlohnt sich, zumal Goethes darlegungen über
die entstehung des 'Werther' vielfach misverstanden worden sind
270 PXIOWEK ÜBER JAHN
und ihre berichtig-ung- an der liand der uns vorliegenden Zeugnisse
aus der zeit der conception und der abfassung- des Werkes m. w.
niemals ernstlicli vorg-enommen worden ist.
Mit Düntzer braucht man sich über die auffassung und
d6n wert dieser partie der autobiographie nicht weiter aus-
einanderzusetzen, seine schulmeisterei gegenüber dem dichter
macht sich in den 'Erläuterungen zu Dichtung und Wahrheit'
besonders unangenehm geltend, in seiner ausgäbe des werkes in
Kürschners Nationallitteratur würkt sie geradezu abstofsend.
für ihn sind Goethes mitteilungen bald unmöglich bald unwahr
bald entschieden unwahr; bald spricht er von einer starken
Verschiebung der walirheit udgl. aber auch Loeper ist zu
zweifelsüchtig, wenn er Goethes angäbe, dass seine erfahrungen
im Brentanoschen hause im Werther ihren niederschlag gefunden
haben, (Hempel 22, 378) einschränkt, und Eichard M, Meyers
von Düntzer (Kürschner, Goethes werke bd. 19 s. 131) über-
nommene anmerkung, dass Goethe den roman im jähre 1772 in
W'etzlar geschrieben sein lässt (Jubiläumsausgabe bd. 24 s. 286),
ist unrichtig, wie allgemein aber Goethes äufserung. dass mit
der nachricht von Jerusalems tode der plan zu Werthern ge-
funden war, verworfen wird, lehrt am besten der umstand, dass
Graf in seinem vortrefflichen documentenwerk "Goethe über
seine dichtungen' die Zeugnisse über die entstehung des romans
erst mit dem april 1773 beginnen lässt, und die in den Goethischen
briefen an Kestner nnd Sophie La Roche von anfang november
177 2 bis zum 19 Januar 1773 enthaltenen anfragen und mit-
teilungen über Jerusalems Selbstmord erst in fufsnoten zu dem
bericht des dichters in der Selbstbiographie aus dem jähre 1812
und nicht einmal vollständig verwertet.
Zweimal spricht Goethe in wolberechneter absieht und mit
kunstvoller Steigerung von der entstehung des werkes, im 12
und im 13 buch, dort, wo er die erlebuisse in W^etzlar berührt
(WA. 28, 150f), deutet er die elemente an aus denen es sich
bildete, er spricht (nach seinen eigenen werten) von den darin
aufgeführten personen und den dargestellten gesinnungen. dh.
er macht uns mit den realen menschen bekannt, die ihm mehr
oder weniger die modeile für den roman lieferten, indem er
Kestner, Lotte Buff, sich selbst und Jerusalem schildert, er
berichtet (übrigens in anlehnung an die darstellung im 'Werther')
über die eigene Stimmung jener monate; über die art, wie er
die natur betrachtete, über die lectüre, ihren einfluss auf sein
gemüt und sein zusammenleben mit Lotte Buff und Kestner.
wolweislich lässt er hier Jerusalems Selbstmord unerwähnt, mit
dieser Schilderung umreifst Goethe den hintergrund des
romans, entwickelt den stoff und berichtet über die art,
wie sich in seinem Innern das erlebte unbewust zur poesie
umgestaltete, einen teil der individuellen äufsern und Innern
GOETHES DICHTUNG UNH VVAHEUEIT 271
Voraussetzungen der diclitung sollen wir damit kcnueu
lernen.
Im folgenden buche (WA. 28, 206 f) sucht er in weitem ab-
stand von dem vorher berichteten zuerst die form des wei-kes
zu erklären, vielleicht in dem bestreben seine schriftstellerische
entwickelung möglichst organisch erscheinen zu lassen und den
.Götz', den er in Verbindung mit dem ' Werther' bespricht, eng
mit ihm zu verknüpfen, ist er bemüht, die für ihn gewählte
briefform als eine verkappte dramatische hinzustellen, weiter
gilt es den Inhalt des romans zu rechtfertigen, dli. seine ent-
stehung aus der Stimmung der zeit und weitern persönlichen
erlebnissen herzuleiten. Goethe beginnt mit allgemeinen er-
örterungen über den lebensüberdruss, den er als einen kranken
jugendlichen wahn der damaligen epoche hinstellt, und schliefst
daran betrachtungeu über den Selbstmord, er erzählt, wie er
sich selbst mit gedanken daran getragen hat und endlich da-
durch von ihnen befreit wurde, dass er die vergeblichkeit der
versuche ihn auszuführen einsah, um zur völligen lebensfreude
zu gelangen, bedurfte es jedoch der lösung einer dichterischen
aufgäbe, in der alles was er über diesen wichtigen punct
empfunden, gedacht und gewähnt, zur spräche kommen sollte.
^ich versammeUe. fährt er fort, hierzu die Elemente, die sich
schon ein paar Jahre in mir herumtriehen, ich vergegenwärtigte
mir die Fälle, die mich am meisten gedrängt und geängstigt;
aber es wollte sich nichts gestalten: es fehlte mir eine Begeben-
heit, eine Fabel, in welcher sie sich verkörpern könnten, auf
einmal erfahre ich die Nachricht von Jerusalems Tode und un-
mittelbar nach dem allgemeinen Gerüchte die genauste und um-
ständlichste Beschreibung des Vorgangs, und in diesem Augen-
blick icar der Plan zu Werthern gefunden'.
Die richtigkeit dieser angäbe nun zu bezweifeln haben wir
keine veranlassung. sie wird durch die Zeugnisse im wesent-
lichen bestätigt
Schon die art wie sich Goethe (am 10 october 177 2) nach
der falschen nachricht von Goues Selbstmord Kestnern gegen-
über vernehmen lässt, ist bemerkenswert. ^Schreiben sie mir
doch gleich wie sich die Nachrichten von Goue konfirmiren.
Ich ehre auch solche Taht, und bejammre die Menschheit und
lass alle scheiskerle von Philistern Tobacksrauchs Betrachtungen
drüber machen, und sagen: da habt ihrs. Ich hoffe nie
meinen Freunden mit einer solchen Nachricht beschweerlich zu
oierden\ als er dann die mitteilung von Jerusalems tod erhielt,
schrieb er (anfang november) an Kestner die bekannten worte:
^Der unglückliche Jerusalem. Die Nachricht war mir schröck-
lich und unertvartet . . Der unglückliche. Aber die Teufel,
welches sind die schändlichen Menschen die nichts geniefsen denn
Spreu der Eitelkeit, und Götzen Lust in ihrem Herzen haben,
272 PNIOWER ÜBER JAHN
uuil Götzendienst predigen, und- hemmen gute Natur, und über-
treiben und verderben die Kräfte sind schuld an diesem Unglück
an unserm Unglück' usw, wenige tag-e darauf am 6 november
reiste er nach dem Schauplatz der tat, nach Wetzlar, sehr
wahrscheinlich hatte der besuch mit oder hauptsächlich seinen
grund darin, dass er genaueres über den Vorfall erkunden wollte,
denn am 10 november mahnt er Kestner: ^Schicken Sie mir
doch die Nachricht von Jerusalems Todte'. und am nächsten
tag teilt er Sophie La Roche die durch Merck einige umstände
des Vorkommnisses von ihm zu wissen wünschte, das urteil eines
freundes, des barons Kielmansegg über den fall mit: 'Das was
mir wenige glauben werden, was ich Ihnen tvohl sagen kann,
das ängstlichste Bestreben nach Wahrheit und moralischer Güte,
hat sein Herz so untergraben, dass misslungene Versuche des
Lebens und Leidenschaft, ihn zu dem traurigen Entschlüsse hin-
drängten', dazu fügt er selbst: 'Ein edles Herz und ein durch-
dringender Kopf, wie leicht von auserordentlichen Empfindungen,
gehen sie zu solchen EntSchliessungen über — was brauch, was
kann ich Ih n e n davon sagen. Mir ists Freude genug, dem ab-
geschiedenen Unglücklichen, dessen Taht von der Welt so unfühl-
baar zerrissen irird, ein Ehrenmaal in Ihrem Herzen errichtet
zu haben', klingt das nicht wie das thenia des Werther, be-
sonders wenn man es zu den werten hält, mit denen Goethe es nach
Vollendung des romans in dem brief an Schönborn (l juni bis
4 juli 1774) formuliert? 'Die Leiden des iungen Werthers,
darinn ich einen iungen Menschen darstelle, der mit einer tiefen
reinen Empfindung, und wahrer Penetration begabt, sich in
scMvärmende Träume verliert, sich durch Spekulation untergräbt,
biss er zuletzt durch dazutretende unglückliche Leidenschafften,
besonders eine endlose Liebe zerrüttet, sich eine Kugel vor den
Kopf schiesst'. — nicht unwichtig ist auch noch die zweite
äufseruug Goethes über das ereignis in dem brief an frau v.
La Roche vom 19 januar 1773, indem sie die widerholte be-
schäftigung mit dem Kestnerschen bericht, den er ende novembers
erhalten hatte, bezeugt: ^Von Jerusalems Todte schrieb ich nur
das xwagmatische Resultat meiner Befiektionen, das ivar freylich
nicht viel. Ich hoffte auf eine umständliche autentische Nach-
richt, die ich nun überschicken kann. Sie hat mich so offt innig
gerührt als ich sie las, und das geioissenhaffte Detail der Er-
zählung tiimmt ganz hin'-
Ich darf mir vielleicht gestatten, hier im wesentlichen zu
widerholen, was ich in meiner einleitung zum Werther in der
Pantheonausgabe über das Stadium bemerke, bis zu dem in dieser
zeit (ende 1772) der plan der dichtung gediehen war. wer dem
stillen werden der poetischen Schöpfung in der seele ihres Ur-
hebers psychologisch nachgeht, mnss vermuten, dass damals
bewust oder unbevvust der roman concipiert wurde, dh. dass sich
GOETHES DICHTUNG UND WAlUUlKll' 273
damals in Goethes inneni die combination dieses eminenten falles
eines Selbstmords mit dem was er selbst in der gleichen Stadt
erlebt hatte, vollzog, es war nicht blols der mitfülilcnde be-
kannte der interessierte Zeitgenosse, es war vor allem der antor
in Goethe, der sich so intensiv mit dem Vorfall beschäftigte und
ein so lebhaftes verlangen nach den mitteilungen der näheren
umstände empfand, unter denen der unglückliche Jerusalem den
tod gesucht hatte.
Im folgenden jähr spann Goethe an dem dichterischen plane
fort, zwar sagt er in Dichtung und Wahilieit fW^^. 28, 224, 14),
dass er das werk in vier wochen geschrieben habe, ohne dass
ein Schema des ganzen oder die behandlung eines teils
irgend vorher wäre zu papier gebracht gewesen,
und wir wissen auch anderswoher, dass der roman in der tat
in ununterbrochener folge, wenn auch nicht in vier wochen. so
doch in zwei monaten verfasst ist, indem die fortlaufende nieder-
schrift am 1 februar 17 74 begann und im april beendet war.
(vgl. Graf I- s. 498 — 502. Morris D. junge Goethe iv s. 2u und
372). gleichwol war Goethe, wie briefliche äufserungen bezeugen,
mit dem Stoffe schon in der zeit vom april bis September des
abgelaufenen jahres beschäftigt, vgl. Graf s. 497 f. von den
hier gesammelten Zeugnissen heb ich die worte in dem brief an
Kestner vom 15 September 17 73 heraus: ^und ich hah euch auch
immer bey mir rvenri ich ivas schreibe. Jezt arbeit ich einen
Roman, es geht aber langsam'' trotz der auffassung in der
Weimarer ausgäbe (WA. iv bd. 7 s. 477) kann man sie schlechter-
dings nur auf den Werther beziehen, hierzu kommt noch bestä-
tigend eine äufserung aus dem jähre 1774, auf die ich weiter-
hin zu sprechen komme.
Freilich, dass Goethe von vornherein die absieht hatte, dem
Stoff dieselbe gestalt zu geben in der er schliefslich in der
octobermesse 1774 ans licht trat, ist nicht anzunehmen, zu-
nächst muss er an eine dramatische behandlung gedacht haben.
'Und das sag ich euch, schreibt er an Kestner (am 15 april 1773,
also einige raonate vor der eben citierten briefstelle), icenn ihr
euch einfallen lasst eifersüchtig zu wo'den so halt ich mirs aus
euch mit den treffensten Zügen auf die Bühne zu bringen und
Juden und Cristen sollen über euch lachen', dieses zeugnis allein
wräre natürlich kein beweis für die ausgesprochene vei-mutung.
denn unmöglich kann man glauben, dass Goethe das Wetzlarer
eilebnis in ein lustspiel oder eine posse habe verwandeln wollen,
doch aber lehrt, was er schreibt, zunächst einmal, dass er sich
den Stoff durch den köpf gehn liefs. eine spätere mitteilung
lässt aber ferner erkennen, dass sich hinter diesen scherz-
haften Worten ein durchaus ernstes vorhaben verbirgt, mitte
jiili desselben jahres schreibt er an Kestner; 'Heut vorm Jahr
wars doch anders, ich irollt schcören in dieser Stunde rorm
A. F. D. A. XXXIV, ^S
274 PXIOWER ÜBER JAHN
Jahr sass ich heij Lofte)). Ich hearhe'äe meine Situation zum
Schauspiel zum Trutz Gottes und der Menschen. Ich weis n-as
Lotte sagen wird wenn Sies zu sehn kriegt und ich was ich ihr
anttvorten werde', nimmt man hierzu die in demselben brief
enthaltenen worte 'Ich hinn recht feissig und wenns glück gut
ist kriegt ihr bald wieder was, auf eine andre Manier (dh.
anders als der Götz, der kurz vorher erschienen war), so lässt
sich nicht avoI bezweifeln, dass Goethe mindestens den gedanken
hatte, den stoff den seine Wetzlarer erlebnisse in Verbindung-
mit Jerusalems Selbstmord boten, dramatisch zu gestalten, viel-
leicht schimmert noch eine dunkle erinnerung daran an jener
oben s. 271 erwähnten stelle in Dichtung und Wahrheit durch,
in der der Verfasser (W. 28, 206 f) Götz und AVerther con-
trastiert, zugleich aber die verwantschaft der darstellungsarten
hervorhebt, indem er die briefform des romans als dem dramatischen
nahe stehend bezeichnet.
Allein es gibt noch eine bisher nicht beachtete, während
der arbeit am roman niedergeschriebene äulserung Goethes, die,
wie rätselhaft sie auch ist, uns jedenfalls von einem Vor- oder
Urwerther künde gibt, in einem brief von ihm an Sophie La
Roche von mitte februar 17 74 heilst es mit bezug auf den
roman: 'Das liebe Weibgen hat Ihnen ivas von einer Arbeit ge-
schrieben die ich angefangen habe seit Sie tceg sind, wvrcklich
angefangen denn ich hatte nie die Idee aus dem Suiet ein ein-
zelnes Ganze zu machen', diese letzten worte sind gewis nicht
leicht zu deuten, zunächst machen sie es, worauf ich oben
hinwies, unzweifelhaft, dass der stoff (das sujet) schon früher
vom dichter ins äuge gefasst war. weiter darf man schliessen,
dass er daran auch bereits tätig gewesen war. wenigstens ist
nach meiner ansieht vor dem denn' ein gedankensprung anzu-
nehmen, wie er im briefstil des alltags so häuög begegnet, und
so zu interpretieren: 'ich kann sagen: würklich angefangen,
denn was niedergeschrieben ist, istunbrauchbar, es stammt aus
einer zeit, da ich noch nicht die absieht hatte, den stoff zu
einem einzelnen dh. doch wol selbständigen ganzen zu gestalten",
was aber soll das heifsen? sollte der Wertherstoff als ein teil
einer dichtung behandelt werden? etwa als eine episode? oder
ist, was Goethe schreibt, als eine absichtliche mystificierung auf-
zufassen? ich weifs darüber nichts zu sagen, nur lassen die
worte unter allen umständen erkennen, dass bruchstttcke einer
dichterischen behandlung desselben Stoffes vorhanden waren, als
Goethe am 1 februar 1774 die niederschrift der 'Leiden des
jungen Werthers' begann, und prüft man die chronologische
reihenfolge der Zeugnisse, so kommt man ferner zu dem schluss,
dass Goethe zuerst — nach den brieflichen Zeugnissen bis mitte
juli 1773 — an eine dramatische gestaltung des sujets dachte,
mitte Septembers jedoch (vgl. die mitteilung an Kestner vom
GOETHES DICHTUNG UND WAllUHEIT 275
15 dieses monats, oben s. 273) dahin gelangt war. ihm eine epische
form zu geben.
Darnach ist Goethes bemerkung in 'Dichtung und Wahrheit',
dass mit der nachricht von Jerusalems tod der plan zu Werthern
gefunden war, allerdings zu moditicieren, ohne dass wir jedoch
genötigt sind, sie mit J. und andern gänzlich zu verwerfen,
vielmehr ist sicher, dass diese nachricht in ihm die absieht ent-
stehn liefs, das ereignis poetisch zu behandeln, oder mit seinen
Worten ausgedrückt: sie weckte in ihm den entschluss, der ge-
schichte Jerusalems seine emptindungen zu leihen, und so aus
Wahrheit und lüge -7- wie er öfters das der dichtung eigen-
tümliche mischen von realität und phantasie nannte (an Kestnei-
october 1774, Italienische Reise WA. 30. 77, 25 und briefe WA.
IV, bd. 8 s. 366, 4 f) — ein drittes zu bilden.
Dass dieser entschluss nicht sogleich nach dem Selbstmord
Jerusalems in die tat umgesetzt wurde, hatte übrigens zunächst
einen äufsern grund. im herbst 177 2 bis in den anfang des
folgenden Jahres war Goethe mit der Umarbeitung des Götz be-
schäftigt, allein es muss auch noch innerlich der rechte zur
gestaltung drängende trieb gefehlt haben, da gaben neue erleb-
nisse den entscheidenden Impuls, es waren die schlimmen er-
fahrungen, die dem dichter der umgang mit den Brentanos
brachte, sie nennt er in der autobiographie (W. 28 s. 22lf)
neben der nachricht von Jerusalems tod als ein weiteres für die
entstehung des romans bestimmendes moment.
Die richtigkeit dieser angäbe wird von niemandem bezweifelt,
vielmehr ist allgemein anerkannt, dass die Werthersche Lotte
Züge von Maximiliane Brentano empfing und Albert im zweiten
teil der dichtung mehr Peter Anton Brentano als- Johann Christian
Kestner gleicht, diese mischung der modelle, diese contamination
wird auch durch ein unmittelbares gleichzeitiges zeuguis Goethes
bestätigt, jene an Kestner nach Vollendung des romans anfang
juni 1774 gerichteten worte: ^Icli seh sie immer noch wie ich
sie verlassen habe, \: daher ich auch weder dich als Ehmann
kenne, noch irgend ein ander Verhältniss als das alte, — und
sodann hey einer gewissen Gelegenheit, fremde Leidenschafften
aufgeflickt und ausgeführt habe, daran, ich euch warne,
euch nicht zu stosen :]'.
Einige Schwierigkeiten bereitet allerdings die Chronologie.
so wie Goethe in der autobiographie von den Verhältnissen dei-
Brentanoschen ehe und seinen beziehungen zu dem hause spricht
(WA. 28, 223), muss man auf einen über eine längere zeit
ausgedehnten verkehr bis zum beginn der niederschrift
des romans schliefsen, während er in Wahrheit einen halben
monat nach der ankunft Maximilianens in Frankfurt, die am
15 Januar 1774 erfolgte, band an das werk legte, früher nahm
man allgemein an, dass ein bestimmter verfall schon in diesem
18*
276 PNIOWEE ÜBEK JAllX
monat Goethe bewog, das haus der freunde zu meiden, und dass
damit der letzte impuls zur dichtung- gegeben war. diese an-
nähme stützte sich auf einen undatierten brief von ihm an
Sophie La Roche, der mit den werten beginnt: 'Wenn Sie uiissten
ivas in mir vorgegangen ist eh ich das Haus mied, Sie würden
mich nicht rückznlocken denken, liebe Mama'. — Loeper (Briefe
Ooethes an Sophie v. La Roche s. 28) setzte das Billett auf den
22 Januar, und auch Düntzer gibt die erläuterung, dass Goethe
am 20 Januar kurz nach der ankunft des paares in Frankfurt,
von dem eifersüchtigen gatten beleidigt, schwur die schwelle
seines hauses nicht mehr zu betreten (Kürschnei-, Goethes Werke
bd. 19 s. 197). dagegen nahm Fielitz (Schnorrs Archiv bd. 10
s. 90. 95) an, dass jener brief zwischen den lü juni und 16 juli
dh. in die zeit falle, da frau v. La Roche ihre tocliter zum zweiten
mal in Frankfurt besuchte und da der Werther schon vollendet
war. Morris folgt in seiner neuen ausgäbe des Jungen Goethe
Fielitz (bd. iv s. 24 nr. 232). mafsgebeud war für ihn, dass
Merck am 29 januar seiner gattin schreibt (ibid. s. 76): 'Goethe
est dejd V ami de la niaison, il joiie avee les enfans et acconi-
■pagne le clavecin de Mme avec la hafse. Mr. Brentano quoique
afsez jaloux pour un Italien, V ahne et veut ahsolument
qu'il frequente la maison'. weiter bestimmte ihn zu dieser
datierung der umstand, dass sich Goethe in einem allerdings un-
datierten, von Morris jedoch mit recht dem anfang februars zu-
gewiesenen brief an Bett}^ Jacobi "durchaus günstig und aner-
kennend über Anton Brentano äufsert. bei diesem stände der
Überlieferung ist es sehr schwer die frage zu beantworten, wann
Goethe sich gezwungen sah das haus der freunde zu meiden,
jedenfalls spricht aber Merck schon in dem eben citierten brief
von der unerquicklichkeit der Brentanoschen ehe und weils von
schrecklichen scenen, die sich abgespielt hätten, aus einem
undatierten, aber dem raärz zuzuweisenden Billett Goethes an
frau V. La Roche kann man möglicher weise herauslesen, dass
damals seine beziehungen zu dem hause ihres Schwiegersohnes
gestört waren, wenn es da heisst: 'Ihre Lieben hab ich einige
Zeit nicht gesehen. Ich hatte mein Herz veric'öhnt\
Die äufsern Zeugnisse lassen uns also hinsichtlich der frage,
ob Goethe, als er die arbeit am Werther begann, den näheren
Umgang mit den Brentanos schon aufgegeben hatte oder nicht,
im stich, vielleicht genügte aber zu dem entschluss den Stoff
anzupacken die von Merck schon am 29 januar bezeugte tat-
sache, dass Brentano eifersüchtig war. im april 1773 hatte der
dichter, wie wir sahen (s. 273), an Kestner geschrieben: 'Das
sag ich euch, tvenn ihr euch einfallen lasst eifersüchtig zu
-werden so halt ich niirs aus euch mit den treffensten Zügen auf
die Bühne zu bringen', dieses motiv der eifersucht des gatten
der geliebten scheint mir für den trieb zur künstlerischen ge-
GOETHES DICHTUNG UND WAHKHEIT 27 7
staltung- des paraten Stoffes allerdings sehr wesentlich. Goethe
fühlte sich von neufm — ich gestatte mir hier widenim meine
einleitung zu eitleren — zu einer frau hingezogen, aber zu
einer, deren gemahl auffällige schwächen des Charakters bot. er
sah sie an einen mann gekettet, der ihrer nicht würdig wai-.
nun erst erschien er sich in der unbewiisten identiticierung des
autors mit dem von ihm dargestellten, die jede in der tiefe ge-
gründete dichterische conception voraussetzt, .lerusalem- Werther
ähnlich, denn nun erst war für die tragik des romans mit dem
er sich im stillen trug, ein ausschlaggebendes motiv gewonnen,
die Verzweiflung des beiden war damit besiegelt, sollte der
lebensüberdruss, der Selbstmord zum gegenständ der künst-
lerischen behandlung gemacht Averden. dann muste sich zu dem
individuellen Unbehagen eine zugleich generelle Unzufriedenheit
gesellen, ein groll gegen das harte, ungerechte Schicksal, das die
verehrte ihm, der sie so glücklich machen würde, entzog, und an
einen mann gefesselt hielt, der sie nicht verdiente.
Man verzeihe diese etwas lang geratenen ausführungen.
sie schienen notwendig, weil mir Goethes darlegungen über die
entstehung des Werther immer besonders aufschlussreich, ja vor-
bildlich erschienen und keineswegs das Schicksal verdienten, ver-
worfen und zu den schwersten irrtümern der selbstbiogi-aphie
gerechnet zu werden, gewis sind sie nicht frei von Unrichtig-
keiten, wie wir sahen, diese sind aber alles in allem neben-
sächlicher natur. selbst der hauptfehler, dass Goethe Jerusalems
Selbstmord mit den Vorgängen im Brentanoschen hause zeitlich
zusammenrückt, obgleich sie in würklichkeit durch fünfviertel
jähre auseinanderliegen, erscheint nicht beträchtlrch. in der
hauptsache, in dem interessanten umstand, dass neben der
Stimmung der zeit der roman aus den drei individuellen
momenten ; den erlebnissen in Wetzlar, dem Selbstmord Jerusalems
und seinen beziehungen zu dem Brentanoschen ehepaar erwuclis,
war ihm die erinnerung durchaus treu geblieben, der Irrtum
in den er verfiel besteht in einer Verschiebung oder Verwechslung
der beiden letzten momente, die für das wesen seiner, wie ich
meine, mit recht als classisch bezeichneten darstellung von unter-
geordneter bedeutung ist. nach dem, was uns die Zeugnisse
lehren, schüttelte Goethe nicht die nachricht von .Jerusalems tod
aus dem träum, mit dem ihn die erfahrungen im Brentanoschen
haus umfangen hatten, sondern diese erlebnisse kamen zu der
erschüttejung hinzu, in die er durch den tragischen Untergang
jenes unglücklichen versetzt worden war. hatte dieser ihm die
gefahr gezeigt, aus der er sich in Wetzlar mit männlicher
stärke losgerissen hatte, so liels das was das Schicksal ihm jetzt
bereitete, das verderben, das ihn damals bedroht hatte, noch
einmal in heller beleuchtnng aufflammen, damit war der trieb,
zu dem bewährten liausmiltel zu greifen und sich von den be-
27 S KETTXEK ÜBER WITKOWSKI
dräiignissen des daseins durch die poesie zu befreien, unwidersteh-
lich g-eworden. der Werther muste entstehu.
Berlin. Otto Pniower.
Aus Schillers Werkstatt, seine draiiiatisclien plane und brucli-
stücke herausgegeben von Georg »itkowski. Leipzig, Max Hesse
1910. :m SS. 8". — geb. 2 m.
W. hat mit seinem buche einen versuch wider aufge-
nommen, den vor mehr als 40 jähren RBoxberger im 16 bde
der Hempelschen ausgäbe von Schillers werken zum erstenmal
gemacht hatte: er hat in die dramatischen entwürfe und frag-
mente Sch.s auch die plane, von denen nur der titel bekannt
ist, eingereiht und erläutert und so ein zusammenhängendes bild
von der gesamten dramatischen tätigkeit, die neben und zwischen
den vollendeten dramen einhergeht, gegeben, er fasst die ergeb-
nisse der zahlreichen Untersuchungen, die auf diesem gebiete
inzwischen angestellt sind, geschickt für ein weiteres publicum
zusammen; klar und anschaulich weifs er den ganzen reichtum
der entwürfe Schillers vor uns auszubreiten, mit voller ent-
schiedenheit vertritt er dabei die auffassung des dramatikers, die
in ihm wesentlich den genialen theaterdichter sieht, sie beginnt
sich jetzt immer mehr durchzusetzen; besonders wer von der
bühue her lebendig die würkung seiner kunst erfahren oder gar
selbst die aufführung seiner werke geleitet hat, pflegt zu dieser
auffassung zu neigen. W. ist selbstverständlich weit davon ent-
fernt, in dieser eigenschaft Sch.s einen mangel zu sehen, weifs
er doch, dass er darin mit allen grofsen dramatikern wesens-
verwant ist. aber viel zu einseitig hat er diese seite in Sch.s
schaffen hervorgehoben und auf sie bei der betrachtung der in den
fragmenten uns erhaltenen Zeugnisse für die entstehungsart seiner
dramen den blick gelenkt: 'überall waltet, von anfang bis zu
ende, die kühlste berechnung des effects auf ein publicum "von
ganz bestimmter psj^chischer disposition (?), immer wider hat
sich der dichter während des Schaffens gleichsam ins parterre
gesetzt und von dort aus jede einzelheit seiner arbeit auf ihre
würksamkeit hin kontrolliert', der denker, der nicht müde wird,
das dramatische problem immer ernster und tiefer zu erfassen
und immer schärfer herauszuarbeiten, kommt hierbei nicht zu
seinem rechte.
Aus dem streben, Seh. möglichst dem modernen ideal anzu-
nähern, entspringt auch die neigung W.s, seinen realismus stark
zu betonen, nach den Jugenddramen scheint ja dieser realismus
gerade in den fragmenten plötzlich wider überraschend hervor-
zubrechen und fremdartig in die Stilentwicklung, die wir in den
AUS SCHILLERS wehkstatt 279
vollendeten dramen sich vollziehen sehen, sich einzudrängen,
seit Sch.s Studien zu einem Pariser sittendrama 'Die Polizey"
und die skizzen zu einem seedrama vollständig- ans licht ge-
treten sind, pflegt man die stärke des sich hier bekundenden
dranges, modernes leben in weitem umfang und in charakte-
ristischen einzelheiten widerzugeben, mit bewunderung oder auch
wol Verwunderung zu betrachten, ja durch den gedanken 'Paris
in seiner allheif darzustellen und die zu diesem werke ange-
legten excerpte aus Merciers 'Tableau de Paris' fand man sich
unwillkürlich an Zolas "Ventre de Paris' eiinnert. W. glaubt
hier den verheil'sungsvollen ansatz zu einer neuen entwicklungs-
linie in Sch.s dramatischem schaffen, "das eine falsche anschauung
in seinem letzten Stadium ausschliefslich dem getragenen stil der
idealisierenden tragödie ergeben sein lässt'. zu erkennen, 'hier
wird man eines bessern belehrt, neben den Seh. des Wallenstein
und der Braut von Messina tritt ein anderer, ein groi'ser realist,
der nur solange im stillen planen und schaffen wollte, bis der
grofsen form der hohen tragödie durch eine reihe vorbildlicher
werke auf der gereinigten deutschen bühne für alle zeiten die
existenz gesichert war. der Demetrius lässt die stilwaudlung
erkennen, die sich gerade vorbereitete, als der tod dem dichter
die feder aus der band nahm', ich gesteh, ich vermag diese
folgerung nicht zu ziehen, ist es von vornherein wol glaubhaft,
dass Seh. in der hier angenommenen weise gleichsam auf jähre
hinaus ein dramatisches programm sich gestellt und erst durch
eine reihe von werken dem idealisierenden stil auf der bühne
eine statte bereiten wollte, um dann selbst zum realismus abzu-
schwenken? und nun sehe man sich diese ausätze selbst an.
w'ie viele sind es denn, und wie weit sind sie gediehen? das
geplante exotische drama kommt über ein paar unfruchtbare,
ganz verstandesmäl'sig ausgeklügelte combinationen nicht hinaus,
und der grofse plan der Tolizey' schrumpft sehr bald zu einem
bürgerlichen Schauspiel in einer französischen provincialstadt zu-
sammen, dessen grundriss kaum wesentlich über den damals in
Deutschland üblichen mafsstab hinausgeht und das in den bereits
genau skizzierten scenen des 1 actes keine spur von localfarbe
zeigt, denn die paar französischen namen tun es doch nicht !
wenn man der genesis dieser plane nachgeht, dann begreift
man auch, warum diese hinwenduug zum realismus keine tieferen
Wirkungen haben konnte. sie entsprang nicht aus einer
lebendigen berührung mit der würklichkeit, aus eigenen er-
fahrungeu und betrachtungen, sondern sie war nur vorübergehend
durch die lectüre, besonders französischer sittenromane in Seh.
angeregt, mühsam sucht er das, was er so aus zweiter hand
empfangen hat, zu sammeln und zu sichten, und schliel'slich ver-
Üattern doch alle diese eindrücke, weil sie eben nur angelesen
sind und nicht durch eine eigene lebendige anschauung zusammen-
280 KETTNER ÜBER WITKOWSKI
gehalten werden, so bedeuten jene entwürfe in Seh.s drama-
tischer eutwicklung doch nur einen Seitenweg und einen Irrweg
und nimnierniehr den ersten schritt zum klar erkannten höchsten
ziel, aucli dem stilwandel, der im Demetrius sicli ankündigen
soll, steh ich durchaus skeptisch gegenüber, ich finde hier die-
selben Stilelemente wie im Teil wider, ja die grofse pathosscene der
Marfa, in der die zarin wie eine lieroine der holien tragüdie spricht,
geht noch weit über Melchthals apostrophe an das licht des
auges hinaus, auch die art wie Seh. die culturvoraussetzungen
der handlung, den Charakter von land und leuten darstellt, ist
in beiden dranien nicht w-esentlich verschieden, wenn uns heute
die Schweizer bauern stärker idealisiert erscheinen als die
russischen, so ligt das nicht an dem verschiedenen verfahren des
dichters, sondern nur am Stoffe selbst, wie er ihm in seinen
quellen entgegentrat: es war ein ganz anderes volk, das ihm u. a.
Olearius schilderte, als das wovon die historiker und reise-
schriftsteller von Tschudi bis auf Joh.Müller berichteten.
Für die chronologische anordnung der plane hat W. nach
Boxbergers Vorgang das grofse titelverzeichnis, das zuerst in
Sch.s kalender veröffentlicht wurde zu gründe gelegt, so bemerkt
er zb. beim 'Hausvater' (s. 151): 'aus der Stellung in der liste
ist zu schlielsen, dass der gedanke ihm w'ährend der Vollendung
des Wallenstein kam', dass dieser schluss unbegründet ist, habe
ich in meinen Schillerstudien gezeigt: der 'Warbeck' dessen plan
nachweislich während der arbeit an der 'Maria Stuart' auftauclite
(an Goethe 20. 8. 99), steht in jener liste durch 9 titel von ihr
getrennt hinter der 'Jungfrau von Orleans'; auf ihn folgt dann
die 'Polizey', die Goethe schon im märz 1799 kennen lernte,
dass in jenem Verzeichnis 'die reihenfolge der titel nichts besagt
und eine vorsichtige Untersuchung es daher für datierungsfragen
aufser betracht lassen müsse', hat auch EElster im Auz. xxv 79
ausgesprochen, seltsamer weise nimmt W, selbst s. 316 dieses
urteil bei der 'ßosamund' fast wörtlich auf, stöfst also damit
eigentlich sein princip a. e. wider um.
Beim 'Hausvater' will W. die frage offen lassen, 'ob es sich
um eine eigene erfindung oder um eine deutsche bearbeitung von
Diderots 'Pere de famille' handelt', neigt aber zur zweiten an-
nähme, ich glaube, diese frage wird dadurch entschieden, dass
der titel auch in einer W. unbekannt gebliebenen dramenliste
sich findet, die EMüller in der beilage zur Allg. Ztg. 1900
ur 1 06 (vgl. 108.132) veröffentlicht hat: sie enthält nur fremde stücke
die Seh. w^ol für die aufführung in Weimar sich notiert hatte, da
die meisten von ihnen bereits dem Spielplan angehörten, so ligt
es näher, an Gemmiugens als an Diderots Schauspiel zu denken,
als aufgäbe zur Umarbeitung ist es hier noch nicht bezeichnet,
dagegen neben dem 'Macbeth' noch 'der Hofmeister", der also
künftig auch unter die dramatischen plane Sch.s einzureihen
AUS SCHILLERS WERKSTATT 281
ist. Sch. nahm damit den versuch Schröders vom april 1778
wider auf (Litzmann ii 235 f). am 25 apiil 179(1 hatte er sich
Lenzens drama bei Cotta bestellt, unmittelbar nach seiner rück-
kehr von einem längeren besuch bei Goethe, dessen Egmont er
gerade damals für die bühne bearbeitet hatte.
Verwirrend ist bei W. die darstellung der quellen zu den
'Flibustiers'. es ist nicht richtig, dass Archenholz nur auf
Raynal zurückgehe, und dass die von Schiller am anfang des
fragments aufgezählten seeräubernamen 'bis auf einen Itei Eaynal
und seinen deutschen naeht'olgern nicht zu linden seien': sie
stehen vielmehr alle bei Archenholz s. 476, 114; nur Jones fehlt,
den ich dann bei Oexmelin, der hauptquelle von A. entdeckte,
ich füge hier noch hinzu, dass die benutzung dieser quelle, be-
sonders der 'Histoire des pirates anglois' im 4 bde bei Sch. sich
auch noch auf die ganze erste hälfte des 'seestücks' die wesent-
lich nur Stoffsammlung ist, erstreckt.
Zum schluss noch eine bemerkung pro domo: W. hält an
der üblichen beziehung der 'Verschwöiung gegen Venedig' auf
St.Reals "Conjuration des Espagnols contre Venise' und Otways
'Venice preserved' fest und meint, 'meine ansieht, Sch. habe dabei
an Marino Falieri gedacht, entbehre der begründung'. nun,
da nur der titel des dramas überliefert ist, so steht hier einfach
hypothese gegen hypothese, und mein hinweis auf den 17!iO in
der Thalia erschienenen aufsatz von Kerling über die 'Ver-
schwürung des doge Marin Falier gegen Venedig', sowie
die vergleichung der dramatischen qualitäten beider Stoffe
(in m. Schillerstudien 25 — 28) scheint mir immerhin eine 'be-
gründung' zu enthalten.
Schulpforta. Gustav Kettuer.
HEBBEL-LITTERATUE .
Friedrich Hebbels philosophische jugeudlyrik von dr. Paul
Zlncke. Prag, Carl Bellnianii, 190S [Prager Deutsche .studieu,
11 heft]. 195 SS. SS — 5,25 kr.
Zinckes buch polemisiert unablässig; vor allem gegen
Neumann (Aus Fr.Ilebbels werdezeit), dann gegen Waetzoldt
(Hebbel und die philosophie seiner zeit), Kutscher (Fr.Hebbel als
kritiker des dramas) und andere, die Neumanns ergebnisse an-
erkennen, dieser fortwährende kämpf bringt Z. bei der be-
trachtung und ableitung der Hebbelschen gedichte immer wider
zum indirecten, widerlegenden verfahren, die schritt wird dadurch
schwer lesbar, wenn auf diesem bereits vielbetretenen gebiet
auch abwehr durchaus notwendig war, so hat Z. doch manchen
allzuweiteu umweg gemacht. der name Neumanns ligt dem
leser schliefslich mehr im ohr als der Friedrich Hebbels.
2S2 FREYK ÜUER ZINCKE
Z.s Schrift erhält ihr hauptthema dadui-ch. dass Neumaim
in Hebbels 'philosophischer' jugendlyrik überall den einfluss der
Schellingschen naturphilosophie sieht. Z. lehnt eine directe oder
indirecte einwirkung dieser naturphilosophie auf H. für die zeit
bis zum September 1836 rundweg ab. auch für die Heidelberger
zeit, wo H. mit dem anfangs für Scheliiug begeisterten Rousseau
verkehrte, will er nichts davon wissen, früher habe sich H.
mit Schelling auf keinen fall direct berührt; und auf die von
andern erwogene indirecte beeinflussung (durch zeitströmung)
lohne es sich nicht einzugehn.
Im letzten punct wird Z. mancher nicht zustimmen, natür-
lich muss erwogen werden, was ein in der einsamkeit heran-
reifender geist wie Hebbel aus landläufigen schriften, aufsätzen,
auch blüteniesen von würklicheu oder verwässerten grundgedanken
grolser männer aufgenommen und weitergesponnen haben kann,
und natürlich ist auf solchem wege mancher gedanke zu ihm
gedrungen, welche ideen dies waren, kann allerdings nur
feststellen, wer die höhere allgemeine bildung genau kennt, die
H. vorfand.
Soviel ist Z. ja zuzugeben, dass die naturphilosophie der
frühzeit Schellings schwerlich populär war, als H. für sie auf-
nahmefähig wurde, und wenn ich es trotzdem für möglich halte,
dass gedanken, die von der Schellingschen naturphilosophie ab-
zweigten, aber aus dem strengen System herausgerissen waren,
zu dem jungen dichter drangen, so muss ich doch der Z.schen
hauptbeweisführung recht geben: geht man würklich auf
Schellings schriften zurück, so ergibt sich trotz scheinbaren
ähnlichkeiten, dass H.s Jugendgedichte mit dem system Schellings
selbst nicht in Verbindung stehn, dass die grundbegriffe dieses
Philosophen andere sind, und dass H.s dichternatur einem metho-
dischen System wie dem Schellingschen schliefslich widerspricht.
Z. stützt dies ergebnis vor allem auf das Studium der verwant
scheinenden Schellingschen schriften, er scheint mir so zuver-
lässiger als seine Vorgänger, die entweder schriften über
Schelling zu hilfe nahmen oder durch den begriff 'zeitströmung',
den sie nicht genügend bestimmen konnten, ihre ergebnisse un-
sicher machten, ich glaube der neuen darlegung mit gutem ge-
wissen zustimmen zu können.
Wenn Z. sagt, er wolle beweisen, dass sich die philo-
sophischen ansichten H.s wenigstens bis zum September 1836
durchaus selbständig und unabhängig von jeder zeitgenössischen
Philosophie entwickelt hätten (nur den einfluss eines dichters,
Schillers, berührt er für die frühe zeit), so kann und will er
damit nicht sagen, H. sei selbst aus eigenen kräften methodischer
Philosoph gewesen, wie Z. ja nicht verborgen ist, entspringen
H.s sogenannte philosophische gedichte einem lauschen auf gefühle
oder doch einem nachsinnen und grübeln über gefühle. svste-
SCHKIFTEN ÜBEK HEBBEL 2S3
malisches philosophiei-eu. hantieren mit ungefühlteu, unerlebten
Worten war ihm als dichter im gründe unsympatisch. hier kann
man nun auf- einen anderen punct kommen, zeigt sich die Un-
selbständigkeit oder Selbständigkeit würklicher gedichte überhaupt
darin, dass man ihnen verwautschaft oder nichtverwantschaft
mit gedanken eines philosophen nachweisen kann? wäre die
eigenart H.s, der sicher aus sich selbst durchaus so werden
muste wie er geworden ist, irgend augezweifelt, wenn man ihm
nachwiese, da und dort von einem philosophen beeinflusst zu
sein? wol nicht; bei einem echten dichter bedeutet das immer
nur anerkennung von verwantem, das er lebensvoll umgestaltet,
der ganzen Z. sehen betrachtung könnte man darum vorwerfen,
sie hebe zwar die gedankliche Selbständigkeit der II. sehen jugeud-
gedichte hervor, behandle sie aber nicht als dichtungen.
Und hier muss ich nun betonen, dass Z., wie seine Vor-
gänger in anderer richtung, sich einseitig verrannt hat. er be-
handelt zwar hier und da die gedichte ästhetisch, aber er hat
meines erachtens von einer ganzen anzahl einen falschen eiu-
druck erhalten, immer darauf aus, einen Ideengehalt zu ent-
decken, entdeckt er ihn auch in rein l3U'ischen stücken, und ver-
nichtet sie so. was hat Z. darauf gebracht, aus recht unphilo-
sophischen Stimmungsgedichten wie "Hörn und Flöte', "Bei einem
Gewitter', "Eosenleben' nichts als gedanken lesen zu wollen?
auch 'Auf ein schlafendes Kind' und 'Offenbarung' sind ganz
einfache, klare stücke, nicht 'niederschlag von speculationen'; sie
bedürfen nicht 14 seiten philosophischer erörterungen, die frei-
lich teilweise durch polemik gegen Neumanu veranlasst sind,
vor allem aber: wie kann jemand aus dem natürlich durch ein
würkliches ereiguis und eine würkliche person veranlassten
Ij'rischen gedieht 'Auf eine Unbekannte' herauslesen, dass H. hier
'am lautesten sein pantheistisches evangelium verkünde'? die
'Unbekannte' soll die natur sein! Z,, der hier nicht gegen
Neumann polemisiert, citiert eifrig Schelling und findet auch
hier keine anlehnung Hebbels I eine würkliche freude an
der arbeit kann man bei solchen misverständuissen nicht
haben.
Die eutste huugsgescliiclite von Friedrich HebbeLs 'Maria
Magdalena' von dr. Paul Ziuckc. Prag, Bellmann, 19 lu [Prager
Deutsche Studien, 16 lieft]. IDii .ss. S". — 3, 7 5 kr.
Hebbel selbst sagt an zwei stellen seiner briefe (im jähre
1845), er habe sich mit der "Maria Magdalena' (fertig geworden
am 4 december 1S43) sieben jähre getragen. Zincke verfolgt
die entstehungsgeschichte des werkes durch diese sieben jähre
(herbst 1836 bis herbst 1843) hin, drei Schaffensperioden
aufstellend.
2S4 FKEYE ÜBEE ZINCKE UND WALZEL
H. nennt in einem andern briefe (erst 1863) einen Vorfall
maßgebend für die entstehnng: des dramas, den er erlebte, als
er im hause des Münchner tischlei'meisters Antou Schwarz
wohnte. Z. betont folgendes, dieser Vorfall (Verhaftung des
tischlersohnes) betrifft gar nicht den mittelpunct der 'Maria
Magdalena', sondern nur ein bedeutsames erregendes raotiv; auch
Avohnte H. bei Schwarz erst 1838/39, nicht schon 183G. Z.
stellt daher an die spitze seiner abhandlung das aufkeimen einer
'ersten dramatischen Situation', die sicli erst in der zweiten
Periode mit der Verhaftung des bruders der heldin verbindet
und so zum bestimmten plan eines 'bürgerlichen trauei'spiels
Klara" wird, bis die dritte periode das werk zur 'socialen tra-
gödie Maria Magdalena' erhöht.
Für seine erste periode holt Z. hauptsächlich stoff aus dem
gedieht 'Versöhnung' (october 1836), das H.s innere beschäftigung
mit dem thema vom gefallenen mädchen dartut, und aus ge-
ständnissen der Münchner geliebten Hebbels Beppi Schwarz (der
tochter des späteren wirtes), aus geständnissen, die zu ver-
w^inden dem jungen H. schwer wurde, diese erlebnisse mit
Beppi können freilich meines erachtens nur allgemeine züge zu
der tigur der Klara beigesteuert haben, denn Beppi stand für H.
zweifellos wesentlich tiefer als Klara.
Die zweite periode (1838/39) bringt dem dichter dann nach
eigenem geständnis das für sein werk bedeutsame erlebnis im
hause des tischlevs. Z. zieht noch andere ereignisse in den
kreis des dramas: den tod der mutter Hebbels und den tod
seines freundes Rousseau, der dichter hat selbst ausgesprochen,
er wolle das andenken der mutter mit dem 'höchsten schmucke
der poesie' verklären, nach Eousseaus tode erneuert er dies
versprechen und fügt den Vorsatz einer poetischen Verklärung
des freundes hinzu; er wolle beide auf so würdige weise feiern,
als sein geringes talent ihm verstatte, solche enthusiastischen
Versprechungen sind, glaube ich, nicht streng bindend. Z. findet
H.s Vorsatz ausgeführt in der figur der tischlersfrau und ihrer
Stellung zum söhne Karl, dann in der idealistischen jugendlichen
mannesgestalt der 'Maria Magdalena', dem im duell die todes-
wunde erhaltenden secretär. wie der tischlermeister von H.s
vater, so wird auch die frau von H.s mutter züge erhalten
haben; die gestalt scheint mir aber im drama zu sehr zurück-
zutreten, als dass ich hier jene beabsichtigte Verklärung aus-
geführt sehen könnte, unmöglich scheint es mir sogar, den tod
der mutter H.s mit dem plötzlichen tod der tischlersfrau in Ver-
bindung zu bringen, und ebenso kann ich Emil Eousseau in
dem secretär nicht w'idererkennen ; mit der hauptbedeutung dieser
gestalt im drama hat der Jugendfreund nichts zu tun. ähnlich-
keiten, die Z, anführt (eben abgelegtes examen) scheinen mir
zufällig. — ohne zweifei berechtigt und lobenswert ist es, dass
SCHKIWEN ÜBER HEBEKf, 2S5
Z. die charactei'istischen tagebuchbetrachtnngen H.s über andere
biirg-erliclie dramen ('Hofmeister, 'Soldaten', 'Leidendes Weib',
'Erailia Galotti') mit heranzieht.
Für die dritte schaffeusperiode (184 1 — 43) schildert Z. die
weitere erhühung des thenias, die ausarbeitunp: und bereicherung
der gestalten, endlich die zeit der niederschrift. er constatiert,
dass die gestalt der Klara ihre letzte Verklärung Elise Lensing
verdanke. H. selbst hat Elise gegenüber ausgesprochen, dass
'auf seinem denkmal' 'viel von dem wesen zu lesen sein solle,
das er nicht blos am innigsten geliebt, sondern auch am meisten
verehrt habe', die Situation Elisens hat freilich mit der Klaras
nur wenig ähnlichkeit. einzelne ergreifende, vertiefende züge,
den Charakter höchsten seelenvollen leidens überhaupt, mag H.
aber von Elise für die jetzige Klara übernommen haben.
Zinckes arbeit ist einem starken Interesse für Hebbel und
sein drama entsprungen, zu tadeln ist die s e h r oft sich wider-
holende darstellungsweise, zu tadeln auch, dass Z. allzu häutig-
lange, nicht streng hergehörige abschnitte aus H.s tagebüchern,
briefen und den besten darstellungen seines lebens und Schaffens
einflicht. H.s leben ist so ergreifend, dass die angeführten
stellen auch in dieser widergabe würken. oft aber fragt man
sich doch: wozu das alles? das wüsten wir doch schon.
Hebbelprobleme. Studien vou Oskar F. Walzel. Leipzig, H. Hassel
1909 [Untersuchuiiii-en zur neueren sprach- imd literaturgeschichte,
neue folge, l heft]. 124 ss. S". — 3 ra.
Von den hier zu besprechenden Hebbelbüchern ist das
"Walzelsche sicher das klarste und wertvollste, auch nimmt es
in dem schon alten streit um die art und den wert der be-
gabung H.s eine Stellung ein, die jedenfalls mir sympathisch ist.
W. betont allen vorwürfen gegenüber, dass H. in erster linie
leidende und ringende menschen darstellen wolle; er verkörpere
kämpfe, die er selbst- vorher in sich erlebt habe, und nur in
dem sinne könne man von 'ideen in den stoff tragen' reden, als
er die leiden seiner menschen unter eine welthistorische, universale
perspective stelle, diese art, menschliches leiden im grösten
zusammenhange zu betrachten, sei ihm aber nicht eine con-
struction, sondern stelle sich ihm selbstverständlich, zuweilen
von vornherein, zuweilen fast nachträglich ein, der dichterische
schaffensprocess ziehe trotz des ideenhintergrundes aus dem un-
bewusten seine nahrung. W. stützt sich hier teils auf den
eindruck der H. sehen dichtungen, teils auf des dichters geständ-
nisse. die verwantschaft der gruppierung H. scher tragischer
gestalten mit den dialektischen gegensätzen der Hegeischen
Philosophie sei nicht zu verkennen, bedeute aber eine originale
und für den dichter innerlich notwendige Übertragung der
Hegeischen geschichtsauffassnng auf die tragödie; die stärkere
286 FEEYE ÜBER WALZEL
beherzigung des menschen in diesem schema liabe in der be-
rührung mit dem ästhetiker Solger Unterstützung gefunden, mit
Anna Schapire unterscheidet W. zwei perioden II. s: eine erste
der pliilosophischen construction Hegels mehr zugeneigte, in der
H. aber gerade unter benutzung Hegelscher waffen die tragödie
gegen Hegel verteidige (vorwort zur 'Maria Magdalena'), und
eine zweite mehr empirische; II. behalte hier die art der tragik
bei, wie sie in der Hegeischen formel von satz und gegensatz
ligt, gebe aber auf die hervorhebung der bewusten Weiterent-
wicklung der 'idee' (= weltgeist) durch die dramatischen
gegensätze, begnüge sich mit dem tröstenden ausblick, dass der
um seiner Individualität willen leidende nicht vergebens leide,
sondern um der zuknnft willen. H. erklärt jetzt gelassen^ seine
dramen sollten nur den jedesmaligen weit- und menschen-
zustand veranschaulichen, beschäftigten sich ausschlielslich mit
irdischem.
W. charakterisiert dann an beispielen H.s auffassung und
ausgestaltung des tragischen in der zweiten, der "reifen' zeit:
zunächst an 'Herodes und Mariamne', " 'Agnes Bernauer', 'Gyges
und sein Eing', dann an den 'Nibelungen', er zeigt, wie der
dichter zuweilen etwas unerwartet, immer aber vom höchsten
standpunct seine Charaktere sichtbar einordnet, wie er jedesmal
die kraft, die in sich die zukunft trägt, in conflict bringt mit
der gegenwärtigen, auf ihr ererbtes recht pochenden kraft, zu
viel gewicht legt W. m. e. auf den tröstenden ausblick in die
Zukunft, den H., trotz dem tragischen ende ohne Versöhnung,
gebe, er stellt sich etwas zu greifbares darunter vor. ich glaube
nicht, dass uns 'Agnes Bernauer' mit dem beruhigenden gefühl
entlässt, dass ein solcher rechtmälsiger mord in der zukunft
unmöglich sein werde, ich erlebe in dem stück nur den uner-
bittlichen kämpf zwischen individuellem gefühl und dem gebot
des staatswols, erlebe nach der katastrophe ein gerechtes urteil,
eine Stärkung des beiden durch sein leid und somit einen aus-
blick, empfange aber nimmermehr die sichere aussieht, dass
derartige contlicte in einer schönen zukunft überflüssig sein
werden.
Der naheliegende vergleich zwischen Hebbel und Otto
Ludwig gibt W. gelegenheit, H.s gestaltungsart im einzelnen
noch genauer zu bestimmen, er vergleicht besonders des Dit-
marsen orientalische tragödien mit Ludwigs 'Makkabäern'. dabei
stellt sich natürlich heraus, dass Ludwig viel specieller indivi-
dualisiert, die Sache stets 'in ihrer eignen sauce' gibt; wenn
dagegen H. auch ganz historisch bedingte scenen gibt (wie die
sklavenscene in 'Herodes und Mariamne'), so dienen diese lichter
hauptsächlich seinem grol'sen zweck, die hauptgegensätze der
geschilderten zeit zu charakterisieren, den endergebnissen W.s
kann ich mich hier aber nicht anschlielsen ; er spricht H. die
hebbki.1'Uui;ij;me 287
fähigkeit ab, gestalten plastisch (wie Ludwig) zu sehen, ja sogar,
sie in der bewegung zu zeichnen, er gebe sie in der ruhe
('unbewegliche gruppen'), die unbeweglichkeit des marniors sei für
sie charakteristisch, wenn W. würklich meinte, was er hier
sagt, würde er H. mangel an gestaltungskraft vorwerfen, ihn
einfach für undramatisch erklären; denn drania ist geschehen,
bewegung. der vergleich mit Ludwig hat hier zu weit geführt,
in den gewaltig angelegten "Makkabäern' gibt Ludwig ja würk-
lich eine individualisierung der einzelnen und eine Zeichnung
des Judenvolkes, wie sie H. so nicht aufweisen kann, dagegen
hat Ludwig keineswegs die einheit fortschreitender handlung, wie
H. etwa in 'Herodes und Marianine'; fortschreitende handlung
aber ist innerlich bestimmteste dramatische bewegung der ge-
stalten, ich behaupte, dass in den entscheidenden scenen von
'Herodes und Marianine' schon während des lesens jeder Charakter
in allen seinen Wendungen voll ausgestaltet vor dem geniefsenden
steht, freilich nicht verdeutlicht durch Ludwigs äufsere mittel,
oft genug beweist H. die höchste schöpferische, rein gestaltende kratt
des dramatikers, deren quelle die leidenschaft ist. W. nennt
den Thüringer einen geborenen bühneubeherscher; aber er will
doch damit nicht sagen, H. sei undramatisch? Ludwig gibt das
einzelne der gestalten weit sichtbarer; dafür ist das ganze bei
ihm aber dramatisch weniger notwendig, mehr episch. Ludwigs
bühnengeschick und lebenstreue in tausend besonderheiten be-
deutet eine specielle, auf unser neues naturalistisches drania
hinführende begabung; die vergleichung mit Hebbel ergibt für
beide dichter aber nur, dass ihre anläge verschieden gerichtet
v?ar. besonders kann W. die figur des Erbförsters nicht gegen
Hebbel anführen; Ludwig mit seiner intim naturalistischen aus-
malung greift hier ja sogar zu komisch individualisierenden
mittein, deren H. sich innerhalb der zwingend tragischen
har.dlung der 'Maria Magdalena' natüi-lich nienals bedienen
würde, selbst wenn er es könnte, am deutlichsten tritt das
entgegengesetzte bei beiden dichtem heraus, wenn man H.s
'Agnes Bernauer' mit dem bekanntesten entwurf eines Ludwig-
schen 'Engels von Augsburg' vergleicht, bei Lu;:wig ein intimer
conflict: eine kokette bürgerstochter hat Albrecht zur gefährdung
seiner mannes- und fürstenwürde gebracht, er erkennt sie zu
spät und muss nun für sie eintreten, bei Hebbel ist keine spur
von verdacht gegen Agnes, sondern ein gröf serer conflict steht
im Vordergrunde: unumstöfsliches Staatsgebot gegen unumstöfs-
liches gefühlsgebot (' Worauf sollte Gott die Welt gebaut haben,
wenn nicht auf das Gefühl, was mich zu dir zieht und dich
zu mir?' ruft Albrecht), ohne zweifei ist der reiz des einzelnen
bei Ludwig gröfser — wer jedoch würde, wegen der gröfseren
allgemeinheit des conflictes, Hebbels jugendlich geschaffene ge-
stalten unbeweglich nennen? zum Widerspruch geneigt fühlt
2S8 FBEYE ÜBER WALZEI. UXD SC'HUDEK
mau sich aber hauptsächlich, weil AV. nicht deutlich unterscheidet
zvvisclien der rein sinnlich sichtbaren bewegung- der äulseren
gestalt bei Ludwig und der zwingenden dramatischen bewegung
der inneren gestalt bei Hebbel, trotz vieler Vorzüge im ein-
zelnen bei dem einen ist mir der andere als der gröfsere dra-
niaiiker auch der grölsere, der geborene bühnengewaltige.
Eine einwendung allgemeiner natur habe ich endlich noch
gegen AV.s art der beweisiührung zu erheben, die er mir zu-
weilen unnötig auf äui'sere gründe zu stützen scheint, ich
würde hier nichts aussetzen, wenn der fehler nicht am anfang
und am ende der W. sehen schritt hervorträte, wo man die
grüsten trumpfe auszuspielen pflegt, es handelt sich um fol-
gendes, ob ein dichter vollwertige menschen schafft oder ge-
dankliche constructionen gibt, darüber können m. e. zuletzt nur
seine werke entscheiden, nicht seine äufserungen über sein
schaffen oder seine selbsteinschätzuugen. diese können wider-
holen was die werke schon sagen; ebenso gut aber kann der
dichter über die eigene person irren, ebenso gut können seine
äufserungen, besonders in der neueren, theoretisch ziemlich
klaren zeit, trotz aller ehrlichkeit eben nur Zeugnisse theore-
tischer klarheit über die erfordernisse wahrer dichtung sein,
die dichtungen selbst müssen immer den ausschlag geben ! es
wäre ja schlimm, wenn (wie W. gleich am eingang sagt) die
Veröffentlichung von Ibsens briefeu würklich unsere anschauung
über Ibsens dramen 'stark erschüttern' könnte, bei Hebbel (den
ich nicht so neben Ibsen stellen würde) führt es ja meist nicht
ZU fehlschlüssen, wenn man brief- und tagebuchäufserungen als
beweis dafür anführt, dass er ein vollgültiger dichter war. aber
dieser von W. an entscheidenden stellen eingeschlagene weg ist
nicht der absolut sichere, so halt ich auch die am anfang und
am ende des buches herangezogene schauspielerische leistung
Kainzens für ein beweismittel auf serer art, das erst in zweiter
linie, als bestätigung, angeführt werden darf, so überzeugend
sein Kandaules wirken mochte.
Die hauptrichtung der Walzeischen schrift, ihr warmes und
sonst wolbegründetes eintreten für den tragischen dichter Hebbel
ist aber sicher zu begrül'sen. sie führt uns mitten in die
wichtigen Hebbelprobleme und spricht sie meist klar und sym-
pathisch durch, meine hoffnung ist, trotz meinen einwendungen
W.s buch gerechter und mit mehr Vertiefung in den gegenständ
besprochen zu haben, als er das meine über die Flegeljahre von
Jean Paul, — was freilich nicht schwer war.
Friedlich Hebbel, denker, dichter, nieuscb. von Kurt Schader.
Leipzig, Ottü Weber o. j. 68 ss. S". — 1,20 m.
Eine sonderbare schrift, die viel zusammenträgt und be-
spricht und doch nur vergegenwärtigt, dass Hebbel eine sehr
SCHRIITEN ÜBEK HEBBEL 289
interessante, problemreiche Persönlichkeit ist. wie viel eine
klare fragestellung' wert ist, wird jedem leser dieses im ganzen
verworrenen heftes deutlich werden.
Der Verfasser erklärt H. auf dem gebiet dramatischer kunst
für die grolse mittelstation, über die in absehbarer zeit alle
bahnen führen müssen die zum endziel wollen (s. 54). dabei
ist ihm H.s schaffen, dem er höchste ehrfurcht zollt, nicht ganz
einwandfrei. *er erlag der macht des gedankens' (s. 10). Seh.
schliefst sich Scheunerts bemerkung an (s. 2(3), dass bei H. 'kein
freies menschentum, sondern ein notwendiges ideentum verkündet
wird'; er erklärt H. für einen 'philosophen' (s. 9), nennt aber
die ausbildung seines Systems einen mangel seiner natur (s. 11).
dass H. dann doch trotz diesem sj^stem starke, heil'sblütige
menschen schafft, darin sieht Seh. die alles überragende gröfse
seiner gestaltungskraft (s. 14).
Wenn Seh. nun aber mehrere dramen H.s auf ihr Ver-
hältnis zum 'System' durchspricht, so ergibt sich mir, dass er
die absiebten des dichters keineswegs erkannt hat. in 'Herodes
und Mariamne' wird Herodes als vertretei" der 'idee' betrachtet,
die begehrt, das durch seine Sonderexistenz schuldige Individuum
(Mariamne) einzuschlucken; H. soll es als ein verdienst des
Herodes ansehen, dass er die Mariamne unters schwert stellt
(s. 22)! in 'Gj^ges und sein Ring' soll Kandaules der culturell
zurückgebliebene (s. 23) und wider Vertreter der das Individuum
(Rhodope) vernichtenden idee sein, indem er sein weib den
blicken eines andern enthüllt (s. 24). die constructionen Sch.s,
dem die lektüre von Walzeis schrift anzuraten wäre, entstellen
doch einfach das bild der H.schen werke, sind torheiten;
und was können da alle laut vorgetragenen Schuderschen end-
urteile uns gelten?
'Ich sehe die gröfse Hebbels nicht in den einzelnen dicht-
werken, auch nicht einmal in den mir wertvolleren tagebüchern
und den briefen, sondern in der gesamttätigkeit seines geistes-
lebens'. so sagt Seh. und fügt hinzu, er bewundere in diesem
geistesleben eine der höchsten leistungen, deren der menschen-
geist fähig sei (s. 12). zum schluss wird wider verkündet: die
persönlichkeit sei hier gröfser als der gestalter und denker
(s. *)7). einzelnes hübsche sagt uns diese schrift gelegentlich
über H.s denken, dichten und menschsein, sie scheint mir aber
viel zu ziellos, als dass man gültige hauptthesen aus ihr
heraussuchen könnte. es wird jetzt so viel über Hebbel
geschrieben, so viel prätentiös ausgerufen, dass man gediegen-
heit und sichere richtuug von jeder neuen arbeit als erstes ver-
langen muss.
A. F. D. A. XXXIV. 19
290 FKEYE ÜBER WALLBERG, HEBBELS STLL
Hebbels stil iu seinen ersten tiairödien 'Judith' und 'Geno-
veva' von dr. Edgar Wallberg'. Berlin, B. Behr 1909.
157 SS. S". -4 m.
Dieses zuweilen (besonders im abschnitt 'Sprachstil") er-
müdende buch ist doch getragen von der richtigen auffassung
des kunstwerks überhaupt und des Hebbelschen im besonderen.
die theoretischen grundlageu haben dem Verfasser nach seiner
angäbe Elsters Vorlesungen über Stilistik und metrik gegeben;
er baut seine schritt paragraphenmälsig auf und holt aus den
zwei Hebbelschen werken für jeden gesichtspunct beispiele zu-
sammen, man fragt sich freilich leicht: wohin soll es führen,
wenn etwa über alle bedeutenderen dichtungen derartige
schematisch angelegte Sonderuntersuchungen neben den im
übrigen möglichen und auch einseitigen arbeiten über stoff Ver-
wertung, Verhältnis zum leben des dichters usw. geliefert werden
sollten? die vorliegende schrift ist mir denn auch für ihr ergebnis
zu umfangreich und in einzelheiten nicht immer fruchtbar genug,
in folgendem seh ich die wertvollsten resultate.
Wallberg nimmt Hebbel 'als realisten, der sich aber in der
formgebung mancher ausdrucksmittel des idealistischen Stiles
bediene' (s. 14). neben einem realistischen kern (s. 14) spricht
er dem dichter eine ausgleichung oder wenigstens abtönung der
äufseren Charaktereigentümlichkeiten zu (s. 144); bezeichnend für
seine mittelstellung sei der spätere tagebuchausspruch (s. 14):
'BeaJismus und Idealismvs, wie vereinigen sie sich im Drama?
Dadurch, dass man jenen steigert und diesen schivächt. Ein
Charakter z. B. handle und spreche nie über seine Welt hinaus,
aber für das, was in seiner Welt möglich ist, finde er die reinste
Form und den edelsten Ausdruck, selbst der Bauer'. — in tech-
nischen dingen sei H. kein pfadfinder (s. 130), benutze noch
häufig bequeme überlieferte möglichkeiten, wie monolog und bei-
seitesprechen (s. 139), im gegensatz zu dem in der dialogtechnik
modernen Otto Ludwig fs. 145), im gegensatz sogar zu dem ver-
ehrten Kleist, dabei aber, sagt W., besafs H. ein strenges ge-
fühl für die einheit des Stiles, machte das dramatische dement
in seinen tragödien stets zum herschenden (s. 120). schon in
den beiden ersten dramen bleiben auch die berüchtigten H.schen
reflexionen in einer beziehung immer im Zusammenhang mit der
handlung: sie gehn nie in allgemeine Sentenzen über (s. 138).
es gibt für H. im drama nicht nebensächliche dinge die im
schatten bleiben, die teilstücke sind mit gleichmäfsigkeit durch-
gearbeitet, eben als teile eines dramas (s. 146).
W. bestimmt den zt. entgegengesetzten stilcharakter beider
dramen, den stilcharakter grol'ser scenen und den persönlichen
Stil der gestalten bis ins einzelne; die Verteilung der bilder-
sprache und der ausmalenden bestimmungen, die Verwendung
volkstümlicher, biblischer und anderer Spracheigentümlichkeiten,
MUXCKKK ÜBER POPPE, HEBBEL 291
die ausnutzung besonderer syntaktischer tiguren. alles das
wird nach seinem wert für gesamtwerk, scene und handelnde
person durchgesprochen.
Manche ergänzung zu den ausführungen Walzels tindet sich
in dieser schrift. 'unmodernen' seiten der technik gegenüber
wird der durchgehnde dramatische zug hervorgehoben; W.
betont, dass trotz dem allgemeinen ideenhintergrunde auch milieu
bei H. sei, das er in haudlung auflüse (s. 132f), die bedeutsame
briefstelle aus H.s späterer zeit wird angeführt: 'Das Drama
schöpft seine eigentliche Kraft ans den Zuständen, und Charaktere,
die nicht im Volkshoden wurzeln^ sind Topfgewächse' .
Nicht alle teile der arbeit lassen das princip des buches
gleichmälsig stark erkennen; doch wird man schliefslich finden,
dass der Verfasser ein recht bestimmtes bild des dichters in
sich trägt.
Berlin-Friedenau. Karl Freve.
Hebbels av e r k e in zehn teilen, herausgegeben, mit einem lebens-
büd, einleitnugen und anmerkungen versehen von Theodor Poppe.
Berlin— Leipzig — Wien — Stuttgart o. j. Deutsches verlagshaus
Bong (.t Co. [Goldene klassiker-bibliotbek. Herai)els klassiker-
ausgaben in neuer bearbeitung.] XXXII, 334; 301; 345; 162;
329; 131; 2b5; 4S3; 499; 46S SS. S".
Poppes ausgäbe bietet die gröfseren dramatischen und
epischen werke Hebbels vollständig, die \\v\k nach der eignen
Sammlung des dichters von 1857 nebst einer nachlese der spä-
teren gedichte, die dramatischen entwürfe und die novellistischen
versuche sowie die prosaschriften ästhetisch-kritischer art in sorg-
fältiger, keineswegs dürftiger auswahl, dazu sehr reichlich be-
messen alles wesentliche und für den Verfasser charakteristische
aus den tagebüchern. der text beruht auf der historisch-kriti-
schen ausgäbe RMWerners; von ihr weicht P., mehrfach im ein-
klang mit Krumm, nur in wenigen, stets besonders begründeten
fällen ab. Werner wird in dem neuen, verbesserten abdruck
seiner ausgäbe, der schon für 1910 in aussieht gestellt war und,
sobald er erscheint, auch in diesen blättern nach gebühr eingehend
gewürdigt werden soll, gelegenheit haben, zu jenen abweichenden
lesarten Stellung zu nehmen.
Das hauptsächliche verdienst P.s liegt in den Anleitungen
und anmerkungen, die in trefflicher weise den populären zwecken
seiner ausgäbe dienen.
Die anmerkungen vermeiden alles überflüssige, was der ge-
bildete, nachdenkende leser zum Verständnis nicht braucht, geben
aber die nijtigen auf Schlüsse über geschichtliche und biographische
zusammenhänge, ergänzen öfters den text durch aussprüche des
dichters über seine werke, durch geplante vorreden, gedichte. die
bühnenfassung einzelner scenen, citate aus seinen briefen u. dgl.,
19*
2Ü2 MUXCKER ÜBER POPPE, HEBBEL
führen urteile Mürikes und anderer Zeitgenossen oder bewunderer
Hebbels bis auf Hugo v Hofmannsthal an und weisen so ge-
legentlich über den dichter selbst hinaus auf allgemein ästhetische,
auch für die gegenwart bedeutsame fragen.
Die einleitungeu zu den einzelnen bänden und das kurze
lebensbild Hebbels, das die ausgäbe eröffnet, zeigen überall gründ-
liche kenntnis des dichters und der einschlägigen literatur, deren
Streitfragen mitunter nur mit einem kurzen wort in verständiger
weise gestreift werden, vor allem woltuend berührt es, dass die
hohe bewunderung, die P. für Hebbel empfindet, und das liebe-
volle Verständnis, mit dem er auch manches befremdliche im
vs^esen und leben seines autors sich zu erklären und zu recht-
fertigen sucht, ihn doch nicht, wie verschiedene andere Verehrer
des dichters, völlig blind für einzelne mängel macht, möglichst
klar deckt er Hebbels gescliichtsphilosophische ideen, die psycho-
logische begründung seiner dramatischen beiden, überhaupt seine
künstlerischen absiebten auf; aber er deutet auch richtig an, wo
die ausführung dem grofsen wollen nicht vollkommen entsprach
(so zb. II 32 und 38 f über den 'Diamant', m 22 ff über das
'Trauerspiel in Sicilieu" und 'Julia', iv 1 1 f über 'AgnesBernauer'
und öfter).
Vielleicht sollten derartige bedenken gegen das allzucon-
struierte einzelner probleme und Charaktere und gegen die er-
kältend nüchterne Wirkung gewisser reden und sceuen bisweilen
noch schärfer ausgesprochen sein, auch hätte sich P. in 15 bei
'Maria Magdalene' den durchaus verfehlten versuch sparen sollen,
Klaras hingäbe an den ungeliebten bräutigam als 'trotzige Pflicht-
erfüllung' zu deuten, zu der sie sich nach den anschauungen ihres
kreises und 'als die tochter ihres vaters' (!) gezwungen sah.
warum nicht lieber einfach zugeben, dass das in allem übrigen
tadellose meisterstück auf einer ps3xhologisch kaum möglichen
Voraussetzung beruht? unter Hebbels Vorgängern im Nibelungen-
<lrama war neben Fouque und Raupach unbedingt Eichard Wag-
ner zu nennen und vornehmlich an seiner leistnng die Hebbels
zu messen, was sind den lesern, an die sich P.s ausgäbe zu-
nächst wendet, Fouque und Raupach im vergleich mit Wagner?
und Wagners 'Ring des Nibelungen' war als dichtung eben voll-
endet worden, als Hebbel 1S53 jenen leidenschaftlichen ruf nach
dramatischer erneuerung der alten sage ertönen liefs (v 5 ff) !
Man kann noch einige bedenken und wünsche solcher art
au einzelheiten in der arbeit Poppes anknüpfen, die tüchtigkeit
seiner gesamtleistung aber verdient volle anerkennuug; sie wird
allen anforderungen gerecht, die man mit fug an eine gute
populärwissenschaftliche ausgäbe stellen darf.
München. Franz Muuekor.
LITTE RAT URNOTIZEN.
Wilhelm von Humboldts s p r a c h p h i 1 o s o p h i e von
Moritz Sclieinert. sa. aus dem archiv für die gesamte Psycho-
logie, xm bd, 3 h. Leipzig, Eugelmann 1908. 55 ss. 8 ".
— Die lectüre der sprachwissenschaftlichen arbeiten Humboldts
in der neuen grolsen ausgäbe hat herrn Scheinert gezeigt, dass
Humboldts Sprachphilosophie 'in weiterem umfange auf der be-
urteilung von tatsachen" beruht, 'als man gemeinhin anzunehmen
pflegt", leider definiert Seh. dies 'man gemeinhin' nicht genauer,
immerhin wäre sein versuch, die erkenntnis die er sich erworben
hat auch andern mitzuteilen, zu loben, wenn ihm nicht allzuviel
dazu fehlte, s. 53 wird 'der begriff der einverleibung' 'wunderlich'
genannt und gesagt, dass 'wir' (auch hier wird leider ver-
schwiegen, wer 'wir" sind) auf Humboldts 'poesievolle analogien" —
wie 'einverleibung' wol eine ist — 'nicht viel w^ert' legen, andere
meinen nun aber, dass grade das wort 'einverleibung' ein sehr
glücklicher ausdruck für gewisse erlebnisse auf sprachlichem ge-
biete sei. um zu dieser meinung zu gelangen, muss man sich
allerdings bemühen, diese erlebnisse nachzuerleben, Avas Seh.
leider unterlassen hat, wol gar für überflüssig für das Verständ-
nis Humboldts hält.
Berlin-Lichtenrade, 22. 8. 1010. Ernst Lewy.
Hölle und fegfeuer in Volksglaube, dichtung und
kirchenlehre von Marcus Laiulan. Heidelberg, Winter 1909.
XIX u. 296 SS. 4 m. geb. 5 m. — Aus einer Ungeheuern literatur
hat L. ein äufserst reichhaltiges material zusammengebracht, das
die merkwürdigsten Übereinstimmungen aus den verschiedensten
Zeiten und zonen aufweist, das bedürfnis nach anschaulicher
Ordnung hat überall genaue topographische gliederung, überall sorg-
fältige ethische aufteiluug zustande gebracht, die nachahmung
irdischer Verhältnisse hat in Babylon wie bei den Negern (s. 107.
112) feierliche letzte gerichtstage halten lassen, der mensch-
liche hass und hochmut hat eine aus ethischen motiven (s. 26 f>
erwachsene Vorstellung überall mit den greulichsten strafschilde-
rungen (s. 145) und den abstoCsendsten widerholungen socialer ab-
stände (s. 26) überladen; die himmlische Schadenfreude der seligen
(s. 190) ist dem christlichen himmel nicht fern geblieben, und
das ausdauernde rachebedilrfnis hat kinder und eitern der ver-
dammten (s. 200) nirgends verschont, das schlechte gewissen der
höUenmaler macht sich dann in Zerrbildern des 'totenschleppers*
(s. 41) luft. die unterschiede liegen fast nur im costüm. doch
w-eist der verf. immerhin auf einige Singularitäten hin. wie (s.
159) auf die strafe für geiz gegen buddhistische priester.
Wir sind noch in einer solchen epoche naturalistischer Stoff-
sammlung, und wenn das material wenigstens so übersichtlich ge-
ordnet und (wie es scheint] auch nicht ohne kritik gesichtet
204 Liri'ERATUfiXOTIZEX
ist wie hier, müssen wir den folkloristen danken, eine wissen-
schaftliche Vereinfachung wird ja erst möglich sein, wenn zu
der inhaltlichen vergleichung in breitem umfang ein vergleichen-
des Studium der formen tritt, in welcher weise und zu welchem
gründe sind die zahllosen einzelvorstellungen systematisch verar-
beitet worden ? wie weit haben dabei beobachtungen aus der würk-
lichkeit (zb. der gerichtlichen folderungen; der krankheitsqualen;
der vulkanischen ausbrüche und mephitischen ausdünstungen) mit-
gewürktV wie weit die anlehnung an gegebene Schilderungen?
aber von diesem ideal einer kunstgeschichte der religiösen
Vorstellungen sind wir noch weit entfernt und waten einst-
weilen noch wie die verdammten in dem trüb und zäh fliefsenden
Strom der menschlichen bosheits- und rachertindungen, die zu
selten ein mildres licht durchbricht.
Berlin 24. 3. 10. ß- M. Meyer.
F. Ohrt. Kalevala. som folke digtning og national-
epos. udgivet med understottelse af Carlsberg fondet. Kßbenhavn
og Kristiania, Gyldendalske boghandel 1909. 275 ss. 5 m. 25. —
Ich hatte die freude, an dieser stelle s. z. Comparettis 'Kale-
wala' anzeigen zu können — ein epochemachendes werk, mit
dem Ohrts praktisches buch durchaus nicht verglichen werden
kann, (ist das der grund, weshalb es in der geschichte der
Kalewala-forschung s. 71f gar nicht und auch sonst, so viel ich
sehe, nur s. 216 polemisch erwähnt wird?) aber dieser zweite
band von Ohrts Kalevala — der erste, den ich nicht kenne, ent-
hält den text — ist doch eine dankenswerte arbeit, etwa wie
Finslers 'Homer' — der auch hier besprochen wurde — führt
O.s buch rasch und knapp in die wichtigen probleme einer
epischen hauptfrage ein.
0. erzählt zunächst, anspruchslos und einnehmend, Lönnrots
leben und die entwickluug des epos von seiner ersten zu der
zweiten fassung (vergleich beider s. 46). Lönnrot steht nicht
allein, die erweckung des tinischen Volkes und seiner künde
setzen sich gleichzeitig männer wie Castren (s. 47) und Snell-
man (s. 86) zur aufgäbe, von denen besonders der berühmte
mytholog in seiner aufnähme von Lönnrots arbeit (s. 55. 72; vgl.
allgemein s. 49.54.77) einen stark abweichenden standpunct verrät.
Ist nun die Kalewala ein 'volksepos'? (s. 62 f). klar ist,
dass Lönnrot ein solches schaffen wollte, dass Homer und Hesiod
(s. 45) ihm als Vorbilder vor den äugen standen und Ilias und
Odyssee seine dichterische tätigkeit beeinflussteu (s. 68. 7 0). klar
ist auch, dass er den rhapsoden nicht verglichen werden kann,
die keine Varianten zusammenstellten und kaum die schrift
kannten (s. 66). aber 0. unterscheidet mit recht (s. 73) mehrere
stufen der tradition: derjenigen die mit der Überlieferung eine be-
wuste weiterführung und Verarbeitung verbindet, weist er (s. 71,75)
Elias Lönnrot zu.
LITTERATÜRXOTIZEX 295
Sein Verhältnis zu den quellen ist durch die neuere finnische
Sagenforschung (s. 72f). besonders durch die beiden Krohn, ^sunu-
fatarungos', klar gestellt, auch die Vorgeschichte ist ziemlich
deutlich: die Wanderungen der lieder (s. 76f), das alter (s. 81)
sind durch eine beispiellos ausgedehnte und sorgfältige sammler-
und recensententätigkeit (das Kalewala-archiv s. 64) leidlich sicher
aufgeklärt, zwar gegen die späte ansetzung, durchaus in christ-
liche zeit (s. 81), werden wir noch zweifei hegen dürfen, aber
wie 'Volksballaden' wandern, lässt sich durch die guust des nia-
terials hier wie nirgends sonst studieren.
Auch die besprechung der einzelnen gesänge fs. 113 f) ist,
wie die nachrichten über einzelne sänger (der wichtigste Arhippa
s. 109) von allgemeiner bedeutung, der typus der 'widerholungs-
lieder' (s. 125), in denen ein verlust erst episch, dann dramatisch
mit denselben worten erzählt und trost geboten wird, könnte auch
für die altgermanische dichtung (nicht nur für die Thrymskvida)
von bedeutung sein — vielleicht von grüfserer, als die doch
immer recht zweifelhaften mythologischen beziehungen (Niord
und Frey s. 120; Balders tod s. 139). übrigens hält sich 0.
von dem bestreben, die ganze finnische mythologie in der Kale-
wala zu finden (s. 204 fj, mit anerkennenswerter Vorurteilslosigkeit
frei, wichtig ist hier besonders jener widersprach gegen Com-
paretti (s. 216): die magische poesie sei bei den Finnen weder
uralt noch früh verbreitet und erst entlehnt.
Von mehr speciellem Interesse sind die darstellungen des
metrums (s. 218 f) und vollends der nachwürkung in späterer
finnischer kunst (s. 225 f). aber sie vervollständigen das buch zu
einer sehr brauchbaren 'einführung in das Studium der Kalewala'.
Berlin 31. 10. 1909. R. M. Meyer.
Aus der heidenzeit des brauusch weigi seh en
landes. von Th. Voges. mit 22 abbildungen. herausgegeben
vom Pestalozziverein des herzogtums Braunschweig. Braun-
schweig, Appelhans & CO. 1910. 60 ss. 8"J. 1 m. — Th. Voges
in Wolfenbüttel, der sich durch eine gut orientierende abhaudlung
über vorgeschichtliche siedelungen im nordharzischen hügellande
(im Jahrb. d. geschichtsvereins f. d. herzogtum Braunschweig
bd. 6) in die prähistorische Wissenschaft eingeführt hat, bestimmt
dies heft in erster linie für seine collegen, die lehrer auf dem
lande, in der tendenz auf eine historische Vertiefung der heimat-
kunde. es sind lose angereihte aufsätze über bodenfunde, siede-
lungsgeschichte und cultur der vorzeit und frühzeit. rein be-
lehrende artikel wechseln mit plaudereien ab die eine methodische
anregung bieten, und dazwischen eingestreut sind kleine novel-
listische Skizzen aus der urzeit, in denen eine mafsvolle phantasie
waltet, ich habe das büchlein, das uns ohne strenge disposition
von der eiszeit bis zum capitulare de partibus Saxoniae hinab-
führt, mit vergnügen gelesen; es ist in einem vortrefflichen deutsch
296 LITTEKATUKNOTIZEN
j2:esclirieben : volkstümlich nud gebildet, ohne wissenschaftliche
prätension und doch kaum je gegen die Wissenschaft verstofsend.
E. S.
Alt-Frankfurt, vierteljahrschrift für seine geschichteund
kunst. Jahrgang ii heft 1. Frankfurt a. M., H.Minjon 1910.
32 SS. kl. fol. der Jahrgang zu 4 heften 4 ni. — In die lange
reihe der Zeitschriften die. 1887 mit dem bescheidenen 'Hessen-
land' beginnend, das Interesse weiterer kreise für geschichte,
litteratur und kunst eines engen oder weiten heimatsbezirks
pflegen und wachhalten, ist mit dem abgelaufenen jähre 'Alt-Frank-
furt' getreten, die leitung der vornehm ausgestatteten quartal-
schrift liegt in den bänden des archivdirectors prof. dr RJung,
und so ist das organ vor der verflachung und verunkrautung durch
den dilettantismus gewis gesichert, das uns vorgelegte heft ent-
hält zunächst eine eingehende Studie von PHohenemser über
den bürgercapitain JohWilhFritsch und den beginn des Verfassungs-
kampfes 1705 — 1712, dessen treibende kraft der wackere Sachsen-
häuser gastwirt gewesen ist: interessant für die geschichte der
rechtssymbolik ist darin die episode mit dem 'mantelgriff' (s. 7 b),
— K S i m 0 u führt aus Frankfurter museen und Privatbesitz
eine reihe, z. tl. höchst reizvoller porträtbüsten und medaillons
des bildhauers Landolin Ohm acht vor, der den alten Stral'sburgern
so wolvertraut ist. ich vermisse darunter das medaillon von frau
Susette Gontard geb. Borkenstein, das CCThLitzmann vor seiner
Hölderlin-biographie abbildet und das sich 1S90 noch im besitz
des architekten Sömmering in Frankfurt befand. — methodisch
lehrreich ist sodann der auf satz von E J u n g über Napoleon i in
Frankfurt am 31. x und 1. xi 1813 durch die kritische Sich-
tung einer von indirecter Überlieferung früh entstellten tradition.
— mitteilungen über museen und ausstelluugen schliefsen das
heft. ' E. S.
Ekkehards Waltharius. ein kommentar von J.W. Beck,
Groningen, P. Noordhoff 1908. xxvin u. 172 ss. — 'Ein kurz-
gefasster commentar, der, auf der kritischen ausgäbe Streckers
aufgebaut, die wesentlichen puncte der Interpretation berührend,
besonders auch die sprachliche fsprachl.-histor. und sprachl.-
psychol.) Seite beachtet, war noch immer nicht erschienen", hier
erscheint er, mit einer hilflos unselbständigen, auch unklaren
einleitung versehen, der text ist der Streckersche, der com-
mentar stark abhängig von Althofs, nur das nächste Verständ-
nis fördernd, mit einer wunderlichen Vorliebe für erklärung
eines schwierigen satzes durch die annähme, dass er aus conta-
mination zweier ausdrucksweisen erwachsen sei. und mit einem
guten (niederländischen) gehör für die abwandlung der altlatei-
nischen ])rosodie und das metrische, den beanspruchten wissen-
schaftlichen wert scheint mir das büchlein nicht zu haben, aber
seine ausstattung ist sauber und hübsch, nur dass die heftigen
LITTERATÜBNOTIZEX 297
anstrengungen des druckers, deutsches ä ö ü widerzugebeii. zu
sichtbar geblieben sind.
Ich füge zwei vorschlage zu den beiden schlimmsten kreuzen
der Interpreten hinzu, ich möchte sowol in v. l*,)f des prologs
als in V. 874 des gedichts die Überlieferung halten.
Prol. 19 Ludend'um magis est dominnm quam sit rogitanduni,
Perlecfus longevi stringif i» ampla diei,
Sis felix sanctus per tempora pliira sacerdos.
'Hier (bei dieser lectüre) gilt es mehr, sich zu unterhalten
als zu Grott zu beten' ; also dominum abhängig von rogitandum.
diese auffassung bestätigt mir v. 2 1 : 'die übrige längere (der
comparativ, nicht der Superlativ steht da!) zeit kannst du dann
wider ein glücklicher, heiliger priester sein", oder 'um so länger
mögest du dann wider jene priesterliche Stimmung haben!' denn
dass sich auch v. 20 auf die bischöfliche langeweile beziehe, scheint
mir auch durch die von Althof aus dem Wolfdietrich beigebrachte
parallele hübsch bewährt.
V. 874 cui [maritae] nee raptae spei piieri ludicra dedisti
Interpretier ich: 'der du nicht einmal den tr9st der hoffnung
(die nämlich jetzt geraubt ist) auf einen knaben gegeben hast',
so erst kommt das nee richtig heraus, das gewöhnlich schlank-
weg gleich non gesetzt ist: den gewöhnlichen ludicra j^neri sind
die ludicra spei (seil, raptae) pueri mit Steigerung entgegen-
gesetzt.
In v. 299 halt ich mit Meyer (Zs. 43, 131) und Strecker aiirnm.
Hinter v. 1215 ist punct oder kolon zu setzen, hinter 1216
ausrufungszeichen.
Charlottenburg. Georg Baesecke.
Zur komposition der Egilssaga capp. i — lxi von
W. H. Vo!?t. [progr. des gj^mn. Augustum der Stadt Görlitz]. Gör-
litz 1 909. 65 SS. 8 0. — Die composition der Isländergeschichten
ist eine wenig beachtete frage, der historismus hat dafür kein
äuge, wer mit feinerem kritischen sinn an diese denkmäler
herantritt, kann lange suchen eh er einen Wegweiser oder auch
nur eine ermutigung findet, unter diesen umständen ist eine
arbeit wie die von Vogt besonders dankenswert, dem verf. ist
der Charakter der Egilssaga als kunstwerk, als uuterhaltungsbuch
— wenn man so will — aufgegangen, er will sie aus dem
geiste und der arbeitsweise ihres autors begreifen und steht so-
mit der antiquarisehen dogmatik frei gegenüber, das ermöglicht
ihm einsichten, die als f ortschritte in der sagabetrachtung gelten
müssen, treffend bekämpft er die geistlose Chronologie der jahres-
tafeln (s. 26), hat ein äuge für die 'ausgeschriebene band des
veri.s' (s. 60), weifs die lose eingefügten episoden als künstlerisch
geforderte ruhepuncte zu würdigen (s. 32. 34. 64; sehr merk-
bar ist der Wechsel von stürm und windstille zb. auch in Snorris
Olafssaga h.), oder empfindet sie mit sicherem tact als 'vorklingende
298 LITTERATUEXOTIZEN
accorde' (s. 32). derartig-e beobachtungen bilden ein heilsames
gegengewicht gegen die allzu strengen anforderungen, die i. ü.
an die geschlossenlieit der composition gestellt werden, etwas
reichere enipirie, ja schon die herbeiziehung auch der schluss-
capitel hätte hier von vornherein hemmend würken können, ich
gebe V. gerne zu. dass die band des verf.s sich gegen anfang
ungleich mehr bemerkbar macht als gegen ende, glaube auch,
was er über die 'zweisträngigkeit' sagt, ist hierfür nicht bedeu-
tungslos, halte jedoch die 'einarbeitungen' für unbeweisbar, wir
wissen bis jetzt eben doch zu wenig davon, wie die Stoffe aus-
sahen die der verf. verarbeitete, s. 2S f deckt V. die spuren
einer älteren motivierung einleuchtend auf. aber wir wissen
nicht, wieweit die 'alte volkstümliche erzählung', deren sinn hier
richtig erfasst wird,, als solche vor der Eigla vorhanden war.
Breslau. G. Ncckel.
Critical contributions to e arly english syntax by
1. Trampe Bodtker [Yidenskabs-selskabets skrifter. ii. histor. filos.
klasse 1908. no. 6] Christiania, 48 ss. gr. 8^. — Die absieht
dieser kritischen beitrage zur altenglischen syntax besteht nach
des verf. einleitung darin, nachzuweisen inwieferue einige er-
scheinungen derselben, die man französischen einflüssen zuzu-
schreiben geneigt ist, sich auf heimischem boden entwickeln konn-
ten, ob nun von fremdem gebrauch gefördert oder nicht, verf.
sagt auch selbst sofort, dass seine einzelnen capitel nach anläge
und ausführlichkeit sehr verschieden sind, und tatsächlich ent-
fällt auf o/-constructionen der löwenanteil (von 48 selten gr. 8*^^'
ganze 31) während den präpositionalausdrücken mit af, hy, to
nicht ganz 8, einigen eigenheiten von Zahlwörtern, adverbieu und
bindewörtern nicht ganz 6 selten gewidmet sind.
Bei den o/'-verbindungen sucht B. auf grund der belege aus
den ältesten quellen nachzuweisen, wie sich aus der präposi-
tionalen geltung allmählich die abgeschwächte nur genitivische ent-
wickelt hat, u. zw. der reihe nach die genitivische im allgemeinen,
dann die Verwendung zur bezeichnung der tätigen persou beimpassi-
vum, die causale, die objective geltung, die Vertretung des on, die
function als genitivus materiae und partitivus, originis, possessivus,
determinativus und detinitivus, qualitativus. sodann wird zu-
sammenfassend dargelegt, dass um die mitte des 12 jh.s die of-
ausdrücke im sinne würklichen genitivs bereits fest hafteten,
und da dies nur hundert jähre nach der normannischen eroberung
eintrat, schliefst verf. daraus, dass eine so tief eingreifende syn-
taktisclie änderung in der kurzen zeit nicht durch fremden ein-
fluss habe entstehn können, sondern sich auf heimischem boden
(hauptsächlich wegen der abschleifung der üexionsformen, und
durch die analogie der auch sonst im germanischen beliebten
vo/i-ausdrücke) entwickelt haben muss. französischer einfiuss
könne erst später und in einigen neuerungsformen eingesetzt
LITTER ATURNOTIZEX 299
liabeu, von denen verf. jedoch nur zwei (of mc = 'niy"; a friend
of mine) eingehender erörtert.
In ähnlicher weise wird im ii capitel der heimische Ursprung-
verteidigt von Superlativen ausdrücken mit at {at the first &cet);
von distributivem hi) {by t/ros and threes), von by zur bezeichnung
der tätigen person beim passivum, von der Verbindung by him-
self, vom temporalen by; von to im sinne des dativus commodi
und des possessivus {son to . . .) und zur bezeichnung des preises.
im III capitel wird endlich ebenso die von der höchsten zahl zur
niedrigsten herabsteigende Wortfolge der grundzahlen [hundteonti:;
and fiffi:^ threo), dann die Verbindung ofte tymes und einige
eigentümlichkeiten im gebrauche gewisser satzverbindungspar-
tikeln (so, and, to pcem pät, hioenpät, ^if pät, as) als vom fran-
zösischen einfluss unabhängig dargestellt.
Die ganze erürternng ist äulserst sorgfältig, umsichtig, alle
umstände erwägend und demzufolge meist glücklich zu nennen,
und wenn auch nicht überall völlig überzeugend so doch un-
zweifelhaft interessant und belehrend.
Prag am 26 märz 1910. V. E. Mourek.
Beiträge zur kenntnis des Sprachgebrauchs im
volksliede des xiv. und xv. Jahrhunderts von Karl Hoeber.
Berlin, Mayer & Müller 190S. [Acta Germanica bd. vii heft 1]
129 SS. 8". 4 m. — Im 1. cap. behandelt H. die. lautlichen
Verhältnisse, ein missliches beginnen; denn wenn man nur eine
ganz eng begrenzte gattung aus dem gesaraten hochdeutschen
litteraturgebiete heraushebt, kann unmöglich etwas brauchbares
herauskommen, infolgedessen sind auch die beispiele für die laut-
verhältnisse im Lochheimer liederbuche, das als einheitliches werk
auch eine eigne sprachliche darstellung verlangte, im ganzen
capitel verstreut, unübersichtlich und nicht weiter verwertet. —
die folgenden abschnitte behandeln den Sprachgebrauch und die
poetischen Stilmittel. H. macht hier eine reihe guter beobach-
tungen, besonders über wortgebrauch und bedeutungswandel. aber
auch hier macht sich der grundfehler des ganzen buches fühlbar,
die gar zu grofse beschränkung. aus den Volksliedern sind nur
die liebeslieder herausgehoben worden, und die gleichzeitige oder
vorausliegende dichtung ist zu wenig berücksichtigt, vor allem
wären Neithart und seine nachahiner, der meistergesang und die
älteren fastnachtsspiele, ferner das Mhd. wb. mehr heranzuziehen
gewesen. — was zb. s. 43 von kiuinen und niügen gesagt wird,
ist an sich richtig, man denke an 'macht' und 'kunst'. aber
die Verwischung des Unterschiedes, die mir von den verneinten
formen ausgegangen zu sein scheint, findet sich niclit erst 'in der
späteren zeit des mittelalters', sondern schon in der blütezeit; vgl.
zu der pleonastisclien Verbindung der beiden werte: ich soll und
miiss (B 859'). über die besonders im Renner beliebten Zu-
sammensetzungen mit äffen (s. 21) hätte das Mhd. wb. ebenso
300 LITTEBATURNOTIZEN
aufscliluss geben küniien, wie über das Verhältnis von liehe zu
minne. hierzu vg;!. besonders die litteratur bei Michels QF. 77
s. 25. — bei der besprechung der bezielinngen der Volkslieder
zum minnesange hält sich H. in der hauptsache an die blütezeit
des minnesanges. der streit zwischen sommer und winter wird
nur kurz erwähnt; da war vor allem Jantzen, Germ. abh. 13
heranzuziehen. — einer Zusammenstellung des sprichwörtlichen
in den Volksliedern folgt eine Untersuchung über die innere ein-
heit des Lochheimer liederbuches. die offenbar nicht zu den
übrigen zu stellenden lieder (2. 18. 34. 45) und das inhaltlich
ganz abweichende ^Ich spri^ig an disem ringe' (nr 42) schaltet
H. aus. aus den in den übrigen liedern immer wiederkehrenden
sprachlichen Wendungen und motiven weist er, Arnold Maj'^er
folgend, auf die nahen beziehungen zum mönch von Salzburg hin
und schreibt die behandelten lieder einem und demselben Verfasser
zu. in nr. 1 scheidet er str. .") — 7 als selbständiges gedieht ab.
mir scheint dieses capitel das beste im ganzen buche zu sein,
hier hätte auch eine zusammenhängende darstellung des sprach-
lichen im LL hingehört (s. o). - — als materialsammlung und als
Vorarbeit ist H.s buch immerhin brauchbar.
Breslau. Koiirad Gusinde.
Studien zur tierfabel von Hans Sachs. Inaugural-
dissertation von Erich Rickliuger. München, Kästnern. Callwey 1 909,
61 SS. 8*^. — Eicklinger untersucht HSachsens tierfabel, die spruch-
gedichte wie die meistergesänge. er rülimt die erreichte treue in
tierkundlicher hinsieht, die zuweilen glückliche Charakterisierung
der menschlichen rolle der tiere, die glückliche ausnützung des
komischen dementes der tiergeschicliten , betont den wert der
didaxis für HSachs, sein streben nach anschaulichkeit, nach kürze,
die Seltenheit von änderungen wegen reimzwang, und untersucht
die moralien. es w^erden damit schon bekannte resultate bei
HSachs von neuem, also auch für den mg. zutreffend, bestätigt.
— in den mgg., findet R., habe die enge der weise den dichter
zu abweichungen von seinen sonstigen arbeitsprincipien genötigt:
er muss sich oft kürzer fassen, das schliefst aber für R. in sich
eine Verringerung der anschaulichkeit, der Charakterisierung, eine
Verkürzung der moral, uä. meine beobachtungen, über die ich
mich gelegentlich eingehender äufsern werde, stimmen darin nicht
ganz überein. dass HSachs vielfach ohne schaden kürzen konnte
ligt auf der hand. mitunter, aber nur sehr selten, dünkt mich,
sei eine änderung im mg. dem spruchgedicht gegenüber zu be-
dauern, aber meistens, auch in den von R. als belege ange-
führten stellen, handelt es sich etwa um eine anhäuf ung von
einem halben dutzend von adjectiven (bd n nr 302), wenig
drastische ausmalungen (bd ii nr 224), breit schildernde anfangs-
situationen statt directem frischem beginn (bd ii nr 229), auf-
zählungen (bd i nr 15) usw. ; wo die moral manchmal etwas
LITTERATURNUTIZEN 301
kürzer ausfällt — was gewis nichts schadet — erhöht der
dichter oft auf irgend eine weise die würkung, z. h. in bd iir
nr 222 dadurch, dass die lüwin wie in der quelle, entgegen dem
sprucligedicht (bd ii nr 15), nur noch kräuter fressen will; die
erzählung ist hier nicht gekürzt, also wol vielfach gröfsere kürze
im mg-., aber, gegen R., selten zum schaden der dichtung. und
wenn R. ss. 26 und 27 meint, HSachs habe sich im mg., dem
spruchgedicht gegenüber, zu sehr eingeengt gefühlt, bei zahl-
reichen mgg. seien die kürzungen überniäfsig breiten quellen
gegenüber erzwungen, so unterschätzt er den vers- und reim-
virtuosen HSachs, der über 4000 mgg. auf dem gewissen hat,
abgesehen von den unzählichen andern producten in gebundener
form, wol gibt es fälle wo HSachs durch den zwang gehindert
war, indem dann kürzungen ungeschickt ausfielen, wie bd in
nr 8, nr 38, nr 203 ua., oder der form wegen, um das mafs
auszufüllen, breiter ausgemalt Avurde, als es der dichter sonst
vielleicht getan hätte, wie in den nrr 9. 10. 15. 43. 140. 314
uaa. aber auf schritt und tritt finden wir stellen, wo die ge-
schickte art der durch die mg.-form bedingten änderungen auf-
fällt. — in einer ausführlichen einleitung gibt der verf. einen
überblick über die tierfabel bis auf HSachs — einen ins einzelne
gehenden vergleich mit HSachs verspricht er in einer besondern
arbeit — , und in der schlussbetrachtuug kommt er mit Karl
Drescher zum resultate, dass von späterm eintiuss des meister-
singers HSachs nicht viel zu spüren sei. — bisweilen sind re-
sultate schärfer formuliert als das material es zuliefs. eine recht
fleissige arbeit; der verf. hat viel liebe zum dichter und diesen,
aufser in den erwähnten puncten, gut aufgefasst. als störende
druckfehler sind mir aufgefallen s. 50 z. 10 nr 203 (soll heifsen
302), s. 51 z. 6 nr 399 (statt 299).
Burgdorf (Schweiz). Eugen Geiger.
Moritz August von Thümmels roman 'Reise in
die mittäglichen Provinzen von Frankreich' von
dr Richard Kyrieleis, (Beiträge zur deutschen literaturwissen-
schaft, herausgegeben von Ernst Elster, nr. 9]. Marburg, Elwert
1908. 75 ss. SO. 2 m. — Die geschichte des deutschen romans
gibt gegenwärtig das feld ab, auf dem zahlreiche dissertationen
das erwünschte noch nicht angebaute plätzchen finden, fast
durchgängig aber kümmern sich die neuen ansiedier nicht um ihre
nachbarn. es ist, als wenn eine allgemeine Verabredung be-
stünde, mit jeder arbeit wider von vorn anzufangen, jetzt nimmt
RKyrieleis Thümmels grofsen reiseroman vor und nennt in seinem
überblick über den 'stand der forschnng' unglaublicherweise nicht
eine von den Schriften, mit denen er sich in erster linie hätte
auseinandersetzen müssen, später wird auch nur Rehmers arbeit
über den einfluss Sternes auf Wieland herangezogen. K, be-
kümmert sich fast nur um die biographische litteratur und leitet
302 UTTEKATUBNOTIZEN
in recht interessanter weise die Stimmungen der einzelnen teile des
von 1791 bis 18U5 erschienenen werkos aus den erlebnissen des
dichters ab, schierst freilich weit über das ziel hinaus, wenn er
(s. 9) Thümmel mit Tasso vergleicht, der einfluss der ausländer,
Voltaires, Eousseaus, Fieidings und Smollets, wird ausführlich
und überzeugend nachgewiesen, dagegen heifst es auf s. 24
recht summarisch: 'seine landsmännischen Vorläufer konnten Thüm-
mel nicht viel ani-egung bieten', dieses urteil basiert einfach
auf ungenügender kenntnis der 'landsniänuischen Vorläufer', wie
einige beispiele zeigen mögen. K. bezeichnet Wieland als den
Schöpfer des psychologischen romaus, ohne Blankenburg zu
nennen, der 1774 in seinem 'Versuch über den Roman' den
'Agathon' entzückt analysierte, aber in zukunft berücksichtigung
der deutschen sitten forderte: 'Leasings Minna vnd die Wilhel-
mine mögen das übrige lehrenV — also verlangt Blankenburg
eine Vereinigung von Wielands 'Agathon' und Thümmels 'Wil-
helmine', dh. gerade das was K. an der 'Reise' bewundert,
wenn er Thümmel preist, weil er an die stelle der leblosen
griechischen scheinweit Wielands das meisterhaft gezeichnete
milieu der gegenwart gesetzt hat. wie konnte ihm diese stelle
entgehn! Ferner hebt K. hervor, dass Sterne 'die besonderen
zeitgeschichtlichen Verhältnisse unberücksichtigt lässt', während
Thümmel sie heranzieht, hier ist das vorbild der pastor Hermes,
dessen reisende Sophie von den kosaken des siebenjährigen krieges
entführt wird, sonderbar würkt auf s. 25 die kurze bemerkung,
dass sich die durchbrechung der prosaerzählung mit versen auch
'bei Geliert, Uz, Miller, Hermes uaa.' findet, damit ist K. fertig
und untersucht nicht etwa den einfluss, den das Singspiel und
die verserzählung bereits auf Hermes übten, sondern bleibt bei
Thümmel und bespricht in aller breite (s. 60 — 64) die zahl der
versfüfse, den umgelegten rhythmus, die reimgebilde, als ob
dieses seltsame stilgemengsel classischen wert besäfse. Thümmels
polemik gegen den katholicismus hat ihre Vorgänger auf dem ge-
biete des dramas. K. nennt nur den bruder Martin im 'Götz',
zieht aber weder Klingers 'Faust' noch seinen 1793 erschienenen
kämpf rom an gegen die spanische Inquisition heran, wenn Iv. be-
tont, dass bei Thümmel das milieu auf die entwicklung des
Charakters würkt, so wird damit nur eine forderung erfüllt, die
Blankenburg, JJEngel und andere in aller ausführlichkeit ent-
wickelt und begründet hatten, zum Schlüsse gibt K. eine lehr-
reiche Zusammenstellung der urteile der Zeitgenossen, die mit
ausnähme Schillers Thümmel bewunderten, und der nachweit, die
sich mit wenigen ausnahmen Schiller anschloss. wenn K. ver-
langt, dass man an die stelle der moralischen beurteilung die
ästhetische treten lasse, so ist das gewis berechtigt, nur darf
darüber der historische gesichtspunct nicht vernachlässigt werden,
den ausländischen einwürkungen ist K. gerecht geworden, aber
LITTE RATURNOTIZEN 303
er hat auf das conto Thümmels vieles gesetzt was seinen deut-
schen Vorgängern gehört.
Leipzig. Robeit Riemaiin.
Der junge Goethe und das publicum von >VUHPingor.
jUniversit}' of California publications in modern philology vol. l ni-. l ]
Berkeley, University press 1909.67 ss.S'\ — Gegenüberderherkömm-
lichen anschauung, Goethe habe das publicum verachtet, sucht der
verf nachzuweisen: 1. dass man die für diese meinung grundlegende
stelle in 'Dichtung und Wahrheit' sowie die in ihr ausge-
drückte anschauung zu stark betont habe, 2. dass Goethes gering-
schätzung des publicums auch in diesem eingeschränkten mai's
nur für seine jugeud gelte, 3. dass sie auch in dieser weiteren
reduction nicht seinem wesen entspreche, sondern durch fremde
einflüsse ('s. 47 f), besonders den Mercks (s. bes. 56. 61) ihm
nahegebracht sei. — als belegsammlung für Goethes Verhältnis
zum volk (s. 21 f) und besonders zum publicum (s. 29f) nicht aus-
reichend, vermag die arbeit in ihrer beweisführung vollends
nicht zu befriedigen, von der fundamentalen tatsache, dass Goethe
zwischen sich und die lesenden 'mitmenschen' die zwischen-
iustanz des 'kreises' einschob, wird so wenig notiz genommen,
wie von den aus seinem innersten stammenden bekenntnissen im
'Tasso' und der 'Zueignung' zum 'Faust', die die theorie vom freund-
lichen Umschwung (s. 17) allein widerlegen, zwischen der rück-
sicht die der praktiker und insbesondere der theaterdirector
(vgl. s. 41) nahm, und seiner theoretischen Überzeugung von der
patriachalischen Stellung des dichters (vgl. s. 38 j wird nicht
streng genug geschieden, auf Alb. Kösters Vortrag und andere
Studien bei den letzten Goethefeiern ist P. nicht eingegangen, es
ist ihm aber einzuräumen, dass er die notwendigkeit einer er-
neuten Prüfung des problems dargetan hat.
Berlin, 27. 10. 10. RMMeyer.
Goethe und Schiller von Fr. AVariiecke. Weimar,
Böhlau 1909. 15 ss. 8". 0,60 m. — Eine eingehende kritik
der berichte beider dichter über ihre begegnung 1794 führt den
verf. zu dem ergebnis, der Schillers sei vorzuziehen; wobei man
zustimmen kann, ohne alle argumente (zb. die analogieen s. 11)
sich anzueignen, auch dass Goethes 'GliickUehes Ereignis' ein
gesamturteil über Schiller mehr als ein historischer bericht sei,
wird dem scharfsinnigen kritiker zuzugeben sein, dass über die
'Metamorphose der PHanzen* gesprochen wurde, scheint mir kein
genügender grund anzuzweifeln, der irreführende titel könnte
etwas bescheidener gewählt sein, wenn auch der verf. hier einen
'symbolischen fall' anzunehmen scheint. R. M. Meyer.
Bücherkunde der deutschen geschichte. kritischer
Wegweiser durch die neuere deutsche historische litteratur. von
dr. Victor Löwe. 3 verm. u. verb. aufläge. Altenburg, JohRäde
1910. 144 ss. S*^. 2,40 m. — Die altbewährte quellenkunde von Dahl-
304 LITTEEATUBXOTIZEX
maiin-Waitz ist in der neusten aufläge ein so umfangreiches
und kostspieliges werk geworden, dass das verlangen nach einem
knappern leitfaden durch die historische litteratur wol begreiflich
erscheint, und durch den erfolg des vorliegenden bändchens,
das unter einem anderen titel pseudonym zuerst 1900 erschienen
ist und dann weiterhin drei auflagen erlebt hat. wird dies be-
dürfuis gewis bestätigt, der verf. ist redlich bemüht gewesen,
die neuste litteratur nachzutragen, hat auch den Stoff jetzt etwas
schärfer gegliedert, aber mich dünkt doch, der räum könnte noch
besser ausgenützt werden: insbesondere ist ein titelregister von
28 selten auf 1116 selten büchertitel doch ein directer nonsens.
die eiuordnung, gruppieruug und trennung ist nicht immer
glücklich: so wenn Eergners Grundriss der kirchlichen kunst-
altertümer (vermutlich weil er bis in den anfang des 1 S jh.s
reicht) s. 29 steht, Ottes Kunstarchäologie aber erst s. 105, oder
wenn unter der litteratur zur geschichte der reformation (s. 40)
bd. 3 der Kirchengeschichte von WMöller (-Kawerau) scharf her-
vorgehoben wird, ohne dass man erfährt, dass KMüllers werk
(s. 2S) in bd. ii 1 (1902) die gleiche epoche behandelt, die
Charakteristiken, die ungleichmäfsig beigegeben sind, treffen nicht
immer das richtige: es ist doch mindestens schief, wenn Zeufs
Die Deutschen und die nachbarstämme, eine der grösten leistungen
der deutschen Wissenschaft, als 'eine art lexikon der Völkerkunde'
bezeichnet wird (s. 32). und was soll der Student, der nicht
ahnt, was in JGrimms Rechtsaltertümern steht, mit der bezeichnung
'classisches werk' anfangen? in den hilfswissenschaften und
grenzgebieten ist die auswahl der litteratur oft zufällig oder
willkürlich : wenn je ein hauptwerk über Lessing und Herder
aufgeführt wird (s. 106), so fragt man, warum Goethe und
Schiller fehlen, schlielslich wird bei einer neuen aufläge eine
sorgfältige bibliographische revision nicht zu umgehn sein: dass
von einem werke nur erst die anfange vorliegen (Rachfahl s. 45),
dass ein 'teil' (Hettner s. 106) mehrere bände umfasst, dass die
'2. aufläge' nur eine titelauflage ist (Arnold s. 32), muss man aus
einer 'bücherkunde" unbedingt ersehen. E, S.
Berichtigung zu s. 180: die dort besprochene abhand-
lung von R. Pestalozzi ist nur ein teil des xn heftes der
Sammlung 'Teutonia' : 'Syntaktische beitrage', das aufserdem noch
eine gröfsere arbeit über 'Die casus in Joh. Kesslers Sabbata'
enthält und vn -|- 80 ss. 8 o stark ist. preis 3 m.
KLEINE MITTEILUNGEN.
Zum V 0 r a u e r A 1 e X a n d e r . ^'oln cedernwalde des berges
Libanon heilst es im Vorauer Alexander (Diem. 205, 14): diz
ist noch der selbe walt, dev der chunUh salemou f/aJt wider einen
chwiich, der hiez sigiram. in der Stral'sbnrg-er bcarbeitung: heifst
der letzte vers (1101 Kinzel): irider einen kuninc, der hiz
Hijram. dass das das richtige ist, kann keinem zweifei unter-
liegen, aber keiner der lierausgeber, weder Diemer noch Weis-
mann noch Kinzel, verliert ein wort darüber, was den dichter
bewogen haben könnte, dem könig Hiram der biblischen biicher
einen echtgermanischen namen zu geben; ja Kinzel bucht ganz
unbefangen den namen Sigiram im register (s. r)i9). es scheint
mir sicher, dass der Vorauer Schreiber getreu seine vorläge ab-
geschrieben und dass diese nichts anderes gemeint hat als der
hiez sig iram. schon an zwei andern stellen (Diem. 205. 2.').
217, 13) bietet der Voraner Alexander die ältesten belege für
den eigentümlichen reflexiven dativ bei heizen; diese dritte kommt
hinzu, die Schreibung sig ist aus der mittelfränkischen vorläge
unversehrt herübergerettet: wir kennen sie aus dem dem
gleichen dialekt angehörenden Annolied (4 1. 711) und dem
legendär (vgl. Busch Zs.f.d.ph. 10, 31»3\ für die bestimmung
von Lamprechts heimat, wenn sie noch zweifelhaft sein kann
(schon die erwähnung des heiligen Pantaleon halte ich für be-
weisend und stimme im übrigen Pfeilfers darlegiingen Germ. 3,
494 völlig bei), scheint mir dieser Idiotismus nicht ohne be-
deutung. dass sich der dativ, nicht der accusativ ist, nimmt
Grimm Gramm, iv 327 nach analogie der reichen ähnlichen Ver-
bindungen im as. und ags. mit recht an, wie denn überhaupt
das nichtVorhandensein des dativs sich im mhd. eine be-
hauptung ist die den tatsachen nicht entspricht (vgl. Alex. :)84l,
Eilh. 2341).
Jena, 30. okt. 1910. Albert Leitzmaiin.
LYRISCHE FEDERPEOBEN. Ein auflassregister der
pfarrei Herhorn für die jähre 1416 — 1424 unter den Deutsch-
ordens-acten des Staatsarchivs zu Marburg weist auf der rück-
seite des auflasses vom j. 1424 die nachfolgenden federproben
auf, von denen einige für die Charakteristik des Volksliedes jener
zeit nicht ohne Interesse sein mögen. Hans Xeuber.
Des meyen zid frawet sich der gauch
des selben glichen tun ich werlich auch.
Von unbilde mufs ich lachen
daz ich kau gemachen
daz sie meynt ich meynen sie
daz mir in myn herze qwam noch nye.
A. F. D. A. XXXIV. 20
306 KT.f.INE MITTETLUXCtEN PERSONALNOTIZEN
ye lenger ye Über vergifs raj'n nicht
libes oygelin.
f eider f erg i
3'e rieber ye ' kerg i er
I edeler 1 ungetruw j
Taregamat ramagerat maga
von meisterlicher mensur . .
Ich qwam in einen garten da fand ich
gamerille gamerille und ander crud
ein krutschin heifset bissen daz kan nymant
genifsen wolgemud wolgemud hüls dirn
die lange nacht bis an den tag dirdundei.
. PERSONALNOTIZEN.
In Heidelberg starb am 9 december 49 jährig professor
dr Bernhard Kahle, der in den letzten jähren neben seinem
specialgebiet, der nordischen philologie, auch die deutsche Volks-
kunde pflegte. — am 22 december verschied zu Leipzig im 67 le-
bensjahre prof. dr Gustav Wustmann.
Der privatdocent dr Walther Brecht in Göltingen wurde
an Borchlings stelle als professor der deutschen spräche und
litteratur an die akademie in Posen berufen. — der senat der
freien und hansestadt Hamburg hat die neu begründete pro-
fessur für englische spräche und cultur dem professor dr Wilhelm
DiBELius in Posen übertragen.
An der Universität München hat sich dr Fritz Strich für
neuere deutsche litteraturgeschichte habilitiert, an der Universität
Leipzig dr Hans Weyhe für englische philologie.
R E G 1 S 1^ E R.
Die zahlen vor deueu eiu A steht, beziehen sich auf die seilen des Anzeigers,
die übrigen auf die Zeitschrift.
« > (t, c frank. A 213
accipies-bilder in incunabeln A 70 Ü"
additiouscomposita A 155
EvAdelnburg l.'l
adverb als subject A 25 f. 28 f, als
prädicat A 30 f
Adoniscult, grundlage der Gralssage?
A 24^ ö"
aetiologische sagen A 141
DvAilt 151
Albers 'Tundalus', collation u. kritik
1 90 ff
anekdote All"
antern 'nachahmen' A 125
'Apokalypse', bruchst. d. mnd. ge-
dichtes 26'j ff
Arnold s. 'ßeiuairt'
aspiration von jj u. A- fränk. A 204 f
Atlakvida A 136 f
ÄTfila, verschied, namensformen 99.
104
HvAue, Zusammensetzungen m. -beere
TS ff, m. -rirh 76 ff
auslautsgesetz des schlesischen A 3G
avanturierroman A 175 ff
Avitus, m. Hieronymus befreundet
3Slf
0 afränk. A 194 f, gemiuiert A 19Sf
b <i p in lehnwörtern A 206
-beere in zussetzgen bei HvAue u.
GvStrafsbg 7b ff
Baiern als heimat SHelbers 182 f;
ausspräche des lateins 183 f; e-laute
185 ff
MBeheim, mcisterlieder, rhythmik u.
melodik A 67 ff
Eenrather linie A 17
'Bei gmann', mhd. gedieht aus Böhmen
256 ff
betonica-recepte, Trierer hs. 175
beicetien A 123
Bibeltext, gotischer, und s. vorläge
365 — 386; griechischer, verschie-
dene classen 369 ff. 386; altlatei-
nischer iltala) 366
Biblia picta ipauperum) u. 'Spec.
hum. salvatiouis' A 60 f
bilderbücher, typologische A 60 ff
bilinguen-hss. der Bibel 379
Bindeil, luxembg. ortsname A 202
binduDgen, skaldische, als kiiterium
des alters A 47 f
Biterolf A 191
bit: A 202
Bleheris A 249
blutäuss, Spruch dagegen 171. 178
Böhmen, heimat d. coii. pal. germ.
341: 245 11"; vgl. deutsch-bohniisch
Bodensee als Hheiu bezeichnet 389 f
üBouer. anfang u. schluss s. 'Edel-
steins' 107 112; zu den quellen
einzelner fabeln 231 — 244: nr
2 : 234, nr 4 : 234, nr 43 : 235, nr
48 : 236, nr 49 : 232, nr 52 : 236,
nr öS : 237, nr 74 : 237, nr 82 : 238,
nr 85:239, nr 87 : 239, nr 89 231,
nr 92 : 240, nr 94 : 241, nr 95: 242,
nr 96 : 243, nr 97 : 243, ur 100 : 243
RdeBorron, poet. 'Perceval' A 243 ff
brechuug A 214 ff
Maximiliane Brentano geb. La Roche
A 275 ff
Brixiauus, codex 369. 379; prolog
dazu 385 f
Brynhildpoesie der Edda A 138
GBüchner A 188 f
Burchard v. Worms, s. zeit gespiegelt
in d. Nibelungendichtg 206 ff
carricatureu ausd. Irauzoseuzeit A 95 f
DCatonis 'Disticha' bei GvStrafsburg
349
ch u c im ahd. Isidor A 205
christliche segen u. heidnische Zauber-
sprüche 179 f. 390 ff
christmette, protestantische A 143 ff
'Christus u. die iniuuende Seele'
A 255 ff; verfasst vom dichter d^
■Teufelsnetzes'? A 257 f ; verwantfe
dichtungen A 259
Chrvsostomus, sein bibeltext 376 —
378. 382
circumflex am Niederrhein A 18 f
fcal. Columbus, Eu swensk ordesköt-
sel A 109
conformationen als fehlerquelle ia
bibeltexten 372
d afränk. A 194 ff, geminiert A 197
deutschböhm. gedichte im cod. pal.
germ. 341: 2 16 ff, urthügraphie24Sff
Dewin in Böhmen (burggraf Hermann)
247
dialektgeographie A 7. 15 ff
diene^tmun (dienen) in d. Standes-
20 *
308
EEGISTER
spräche d. ritterlichen dichtg 13S.
143 ff; fehlt im Nib.liede ltj6
'Dietrichs Ausfahrt' (hs. w| unter dem
cintluss von Wolframs 'Willehalm'
12Kfl~
diniinutiva, mundartliche Verbreitung
u gesohichte A 9 ff: Verhältnis zu
den Personennamen A 14ff
diphthongicruugimsehlesischen A34 f
dissimilation in vogelnamen A 1 f
(lit rheinfränk. A 202
(lohj an. u. composita Of)
-dona in tirol. u. Vorarlberg. Orts-
namen A 148
doppelnamen A 156 f; vgl. heldensage
. donnelii A 20
(li-n--<ter 'heuschrecken'? bei BvRe-
gensburg 284
(/uh/ei-e mlat. '(durch wurf) preis-
geben' 90 ff, germ. etymologie 93 ff
(/(ih/is shula, dulfiahaitja got. 96
f < e fränk. A 215f
c in fwefter, fiefter, jener A 2 1 5 f
Eckehard I, sein 'Waltharius' in bez.
zur Nib.-dichtg 193 — 231; kannte
bereits eine epische darstellung
194 ff, würkte auf verschiedene
Stadien der spätem Nib.-dichtg
200 ff. 230 f; Selbständigkeit E.s
198. 202. 2 14 ff— zumtext: prol.
19. V. 874: A 297
Eckard s. Eckewart
Eckewart im 'Nibelungenlied' 201 f
Edda, Nibelungenlieder A 135 ff
edel bei Gv^trafsburg 73 ff
Egilssaga, ihre compositiou A 297 f
ei <i fii fränk. A 213
einen in d. Standessprache d. ritter-
lichen dichtg 138. 145 ff
EvEms, bruchst. d. 'Barlaam' 354 f
entrundung in Schlesien A 34
epigramme, volkstümliche A 118
epos entsteht durch anschwellen von
liedern A 130 ff. 133
ernbote =- arnebote bei BvRegens-
burg 284
Eschbach als dialcctgrenze A 17
WvEschcubach, bruchst. d. '"Wille-
lialm' 351 ff; einfluss d. 'Wille-
iialm' auf 'Virginal A' 113—134;
— 'Titurol', kritik u. metrik A
111 f; Mvinchener fragmeut A 111;
— 'Parzival' s. Gral
Etzelburg = Ofen, nicht Gran 226
/ u. r afräuk., lautwert A 210 f
fahrende (bürgerliche) ind. hs. C 154
faWe A 5 f
familiennamen, rahd. A 151 ff
federproben, lyrische A 305 f
fegfeuer s. höUe
'Feldbaucr' s. 'Bergmann'
'Flooveni' u. verwaute sagen A 49 ff;
bezieliungen zum Siegfriedslied?
A 51 f
Ven. Fortunatus s. lenilan
Frankfurt a. M. A 296
Franzosenzeit in Deutschland A 93 ff
französ. trouvcres, bildl. ausdrücke
aus d. Sphäre d. vasallität 143
l'raueuverehrung im 12 jh. 140 ff
IIvFreiberg, '.Schrätel u. wasserbär',
Orthographie d. hs. 250 ff; 'Eitter-
fgihrt d. JohvMichelsberg', desgl.
251 ff
JvFreiberg 'Eädleiu', Orthographie
der hs. 249 ff
fremd Wörter d. schles muudart A 3 1 f
Fretela s. Sunnia
Freudenleere s. 'Wiener mervart'
JWFritsch, bürgercapitän A 296
HvFritzlar. datierung nach d.thüring.
Wappen 360
fürba;, bctonuug bei WvEschen-
bach A 1 1 2
g afränk A 197 ff, geminiert A l9Sf
(jän QCit bei ThvZirkläre A 63
'Geistlicher Streit', beziehungeu zu
'Teufels Netz' u. zu 'Christus u.
die minnende Seele'? A 257
r/erneiten adv. A 124
Gero im 'Nibelungenlied' 202
gester A 215
'//- ahd. als kennzeicheu perfectiver
actiousart A 182 f
glasmalereien in Mülhausen i. E.
A60
glossen, ahd. (u. and.) aus Trier 172 ff.
180 ff
Goethe u. d. publicum A 303; u.
Schiller A 303; — 'Dichtung u.
Wahrheit' A 265 ff; Selbsterkenntnis
A26S; 'Satyros' A 269; • Werthers
Leiden', entstehungsgeschichte A
269 ff
'Götter Griechenlands' A 188
Goten, orthodoxe in Konstantinopel
383; vgl. Ulfila
Gottsched, s. Shakespeare-kenntnis
A75f
Gral, s. iirsprüngl. bedeuig A 248 f;
occultistische züge A 250 f
f/ra-<ni((cke A 4
JGreff A 171 ff; s. 'Jacob' A 173
REGISTKß
309
iinel A 7
Gudrunsage, alter A 14; name 8.
Kudrun
'Gudrüuarkvida ii' A 13"
(luot bei GvStrafsburg 69 ff
Iladlaub u. s. familie, urkk. 276ff
handschriftenaus Amorbach 1; Berlin
A 61 f; Dülmen 356; Dyck 2^5;
Gießen A 107; Heidelberg 56.245 ff
icod pal. gerra. M\)\ Kalocsa 56;
London A 122; Marburg A 305;
Millstatt-Klagenfurt A 1 22 ; Münster
i. W. 269: Schafslädt 351: Schlett-
sladt A5!t; Trierl6<). 3!l(); Wien 190
FrHebbel, Charakteristik 2SS f; stil
290 f; Philosoph. juy;eudlyrik A
2Sl ff; beziehuiigen zu Selielling
A 282 f; 'Maria Magdalene' A
2S3ff. 292; vergleich m OLudwig
2S6f
SHelber, s. heimat Baiern 182 ff.
daher die behandluug d. c-laute
zu erklären 1S5 ff
lieldensage. namen in mehrfacher
lautgestalt 1)7 ff (anoninunir alpha-
betisch 99 — 103)
liefifu im ahd Isidor .\ 211
Herder-Satyros A 269
HvHesler, 'Evang. Nicodemi', metrik
u. textkritik A 167 ff; H.s
metrische theorie in der Apokal. A
16S f;alternierender rhythmus A 169
hessisches wapjien s. thüringisches \v.
üettilo u. die Gudrunsage A 14
Ilierouvmus, brief an Suuuiau.Fretela
3b0— ;i8S
KHift in Speier, holzsehnitte A 71
•Hochzeit' 30, 3. .^7, 10: A 123 f
hölle u. fegfeuer im Volksglauben
usw. A 293 f
lii/resih bei GvStraßburg 6)) ff
Hohkönigsburg A 183
Rob. Hood A 131
Uornnt, abweichende lautformen
100 f
ht < t A 220
AVvHumboldt, sj)rachphilosophie A
294
Hveusche chronik u. Siegfriedslied
A 53 ff
i u. e fränk. A 216
iambischer Charakter der silbeu zählen-
den verse A 68 ff
ibis, deutsche namen A 2
hriy. < ?■/. mfräuk. A 199 £
•irj t'irol. = -arh A 149 f
-f'/MD diminutiven A 11 f; iupersonen-
namen A 13 f
imperativnaineu A 152
-in.-fii in fiänk. flexion A 217
Inschriften, volkstümliche Alls
-//• d. plur. lautet nicht um A 212 f
isländische jijodsaguir .\ 234 ff;
r.ju.llög A 2;ts f "
iu umgelautet friiuk. A 213 f
-in adjecti\endung A 119
/ > 7 vor i A 219 f
jagd im 'Rudlieb' u.im 'Nibelungen-
lied' 203 f. 220
jagdvögel doppelt benannt A 6
jener A 215
Avjohausdorf lö'2
Jonas .Ji'inassou A 233
judeudeutsch A 37
/. aspiriert fränk. A204f; nach l,r
fränk. > / A 210
Kalewala A 294
GKeller als draniatikcr A 97 ff; 'Der
Freund', 'Schweizerschau.spiele' A
102, 'Eutychus' A 103
knittelversmetrik A 115
l.nünich A 208 f
königs- u. kaiserideal d. dtschen nia.s
A 113
Kourad(vPassau), verf. einer latein.
'Nibelungias' 194 f; steht unter d.
einfluss d. 'Waltharius' 198f; führt
Rüdiger in die dichtg ein 205.
21'>: beginn s. darstellung 218;
auffassuug Hagens 221
Konstantinopel, orthodoxe Goten 383
krankheitsnamen in e. Trierer hs.
170 f
kreuzfahrer, freie u. Ministerialen
135 f
'Kreuztragende Minne', mhd. gedieht
A 256 f
Knentliilt, abweichende lautformen
100. 105
'Kristuij)ätl' A 45
Kihlrnii, namensform 105
kurznameu \ 154
Lamprecht, 'Alexander' 1101." .\ 305
Langobarden A 191
lanze beim Gral A 251
lät 'lässt' A 210
lautverschiehuug, mfrk. A 199 ff; der
tenuis im auslaut \ 2u0 f; der teuuis
zur ati'ricata u sjjirans A 200 ff;
alter der lautverschiebuug A 208 f
Lechtal, tirol., spräche und besied-
lung A 146
310
REGISTER
legenden, Ursprung; aus volkssagen
und novellen A 14l)
SLemnius, geburtsjahr A 125 tf
Lessing, 'Emilia Galotti' und G
Kellers 'Freund' A 102; L. u.
Shakespeare A 79 f
Lefiira 'Lieser' A 218
leudei^ inlat. 84 f
leu/fus bei Yen. Fortuuatus b4 ff
Leuthold n. s. Vorbilder A 18!)
-li,-lin, obd. diniinutivendg A 1 1 f ; in
Personennamen A 13 f
-lieh, pluralbildg A 1 1
lieder u. epos A 133 ft
lieder, histor. d. 17. jh s AI 55
Lochheimer liederbuch A 299 f
ELönnrot A 294 f
Ludolfus de Saionia, 'Vita Christi'
A öS f ; verf. d. 'Spec. hum. salv.'?
A 58 f
OLudwig verglichen in FHebbel
A 286 f
'Ludwigslied', rhythmus A 224 ff
magistercumdiscipulis, Quentellscher
holzschnitt A 71
'Marien himmelfahrt', dramat. fragm.
d. 14. jh.s aus Amorbach 1 — 56;
text 4 — 13; herkunft d. hs. 14. 56
(Rheinpfalz); spräche u. Ortho-
graphie 14 ff; d. kirchl. tradition
U. die dramat. ge.staltuug 24 ff;
Vorstufe ein liturg. spiel in lateiu.
spräche 43 ff; die latein. gesänge
d. Innsbrucker spiels 45 ff; das
MHf.-spiel der Fragmenta Burana
50 ff; die eutwickelung zum Amor-
bacher spiel 53 ff
Marke der tugenderiche s, Gv.
Stralsburg
'Mäze' Überlieferg. u. datierg. 56 ff.
medicin d. volkes A 115 f
mendaciuin 'falsche lesart' 383
Merseburg s. Zaubersprüche.
WvMetze 155 n. 2
CFMeyer 'Huttens letzte Tage' A 128
mi/_, di/ nifränk. A 199
JvMichelsberg s. HvFreiberg
JMielot A 61
milchwirlschaft, geschichtliches A
1 03 f.
Millstätter hs. A 122
ministerialität u. litterdichtg 135 bis
168 ; ministerialen in d. rittersehaft
135 ff; im conventionellen Sprach-
gebrauch d. rainnesangs 139 (s.
dienef'tmuii, evjenj
minnesänger s. Standes Verhältnisse
'Minnende Seele' s. Christus
myrk vadmdls A 44
Mösien, doj)i)elsprachige städte 370 f
mundarten : bairisch 184 ff (e-luute
bei Helber 185 ff); fränkische A
193 ff; schlesische .\ 33 ; westtiro-
lische A 155 ff; von Cronenberg A
15 ff; Eger A 22 ff; Krefeld A 7 ff.
HvdMure 1 55 n. 3
n vor Spirans afränk A 220 f
namen (persouen- u. famiiien-) mhd.
A 150 ff.
nationalhymnen d. europ. Völker A
38 ff
natursagen A 139 ff
NiÄlssaga A 40 ff, entstehg. u.verfasser
A 45 ff
Nibelungenlied, beziehungen zum
'Waltharius'193— 231;zu'IUiodlieb'
203 f; Spiegelung der sächsischen-
kaiserzeit in einer altern schiebt
204 ff. 220 ff; Wormser einflüsse
204 ff; bischof Burchard. 206 ff;
die Thidrekssaga als Vorstufe
216 f; Spiegelung staufiseher Ver-
hältnisse 223 ff; jüngste einflüsse
des 'Waltharius' 227 ff; zusamnien-
fassg 230 f; vgl. Eckehard, Kon-
rad; — ritterlicher dichter 1(15 f;
man für vasallen u. dienstleute
167; — entstehung A 133
Nibelungenlieder d. Edda A 135 ff;
Nibeluugeusage u. Floovent A 54 f;
vgl. auch Siegmundssage. — frag-
mente d. Nl. aus Dülmen 350
'nomina herbarum, nomina olerum',
glossen aus Trier 172 ff
Norwegens beziehungen zur franz.
litt, im 13 jh. A 113 f
of in d. aengl. syntax A 298 f
LOhmacht A 296
Ortsnamen in Tirol u. Vorarlberg A
145 ff
Ottokar, eroberg v. Accon A 133
ou u. uu fränk. A 218 f
p, aspiratiourheinfrk. A 204 f; grenze
der Verschiebung A 205; /■//, Ip
> rj,h, Ip/i > rf, If A 206 f
päl, pt'len ndrhein. 'schale', 'schälen'
A 20
'Perceval' in prosa A 242 ff: analyse
der beiden Gralbesuche Percevals
A 244 ff
perfectivierung dch yi - A 182 f
Personennamen, mhd. A 158 f
REGISTEK
:ui
pf I p verschiebuugsgrenze A 205 f
Pfälzer am Niederrhein A 21 f
Pil<,'rini r Passau s Konrad (v.
Passaul
plantago-recepte, Trierer hs. 175
Platcn. Sonette A Ib« f
Pleier A 1«! ff; s. stand 162 n. 2.
3; 'Tandareis', u Chrestiens 'Kar-
ronritter' A ICiö; Chronologie d.
werke A 166
plei.^e A 14S
JPontanus 'De sermone' A 117
predigtmärlein A 203 f
provenzal. troubadours, bJldl. aus-
drücke aus d. Sphäre d. vassallität
141 ff-.
Publilius Synis bei GvStraßburg 348
'Pvramus', dramen d. 16. 17. jh.s
A 1S4 f; vgl. Thisbe
quenipas A 144 f
HQuentell, accipies-bilder A70f
WRaabe, 'Hollunderblüte' A 1S9 f
rahm, geschichtliches A 104 f
'Kiidlein' s JvFreiberg
'Regel, heilige für ein vollkommenes
Leben' A 261 fl'; bcziehungen zum
tJGeorgener prcdiger A 'HVA \ die
einiiestreuten exenipel A 203 f i
BvRegensburg, datierung einz. pre-
digten :;I SS, 3 : 279 f, I 400, 38:
280 fi"; beziehungen z.jüng. Titurel?
282 f; sprachl. bemerkungen
(iceseht, ernhote, drüster) 283 f
vRegensburg, burggraf 151
reimgedichte, ahd., ihr rhvthmus A
222 f
rciniprosa im 'Spec. hum. salv.' A 57
'lleiuaert', Wertung der Dycker hs.
(fi für die textkritik 285 fl", auf-
fälliges zusmmengehn von Rein.
II (bi-|-latein. Übersetzung (l)292ff",
f steht dem original näher als a
299 ; ermittelung der richtigen
lesarten 299—320; die neue fassung
des prologs bestätigt die hypothese
von LWillems 321 f; unterschied
in d. anthropomorphisierung 322 fi",
verschied, gebraucli von dit.'r'6'lhi\
Wilhelm hat als nachfolger Ar-
nolds, dem d. II teil gehört, den
I teil (d. frz. 'Plaid') bearbeitet
326 ff; gleichheit d. stils 326 f,
kleine sprachliche differenzeu 328 ff;
derinhalt einheitlich 332 ff; schluss
in a echt und eigentum Arnolds
336 ff; die froschfabel 338
'Reinanlus vulpes' ». 'Reinaert', Ist.
Übersetzung
FvRetz, 'Defensorium inviolatao
virginitatis Mariae' A 61
-rlr.h in Zusammensetzungen bei Gr
Strafsburg 7.Sf u HvAue 76 f
JRies, 8. syntakt. methode A 180 f
vRietenberg, burggraf 151
URingwaldt, 'Christi. Warnung d tr.
Eckarts' A 114 f
ritterschlag (Frankreich» u. rltter-
weihe (Deutschland) 137
ritterstand, entstehung u Zusammen-
setzung 135 ff; unterschiede d.
ritterlichen cultur in Frankreich
u. Deutschland 137 ff
robinsonade A 115 ff
roman. Ortsnamen in Tirol u. Voral-
berg A 146 ff
romantik u. Shakespeare A 82
Romveriasaga A 239 f
r.t > /•.-.■(•/) schles. A 35 f
Rubin 155 n 5
'Ruodlieb', berührungen ni. d. Ni-
belungendichtg 203 f
Hvilute 152
.<!, lautwert fränk A 211
HSachs, tierfabel im meistergesang
A 300 f
vSachsendorf 155 n. 6
saga, Island., bibliographie A 179 f
Salvina 382
sat^ = sax, A 202
vScharfenberg 155 n. 7
Schiller, dramat. plane A 278; 'Die
Polizei' A 279; 'Hausvater' A 280;
'Flibustier' A 281; 'Verschwörung
gegen Venedig' A 281 ; 'Wilhelm
Teil', beurteilung des volkes A
85 ff, Tellcharakter u. apfelschuss
A 91 ff ; — Seh. u. Goethe A 303
Sohimmel A 149
Srhindle A 149
schlesische radart A 23
schmako.ttern A 104
arhmaiul A 104
'Schrätel u. Wasserbär' s. IlvFreiberg
Schweizer festspiele AlOl
schwerts^ge s. Siegmundssage
'De Servando medico' 168
Shakespeare in Deutschland A 33 ff
Shakespeare, Julius Caesar II 1, 45:
A 186
f<i<-h mhd. dativ A 305
Siegfried Hörn A 33 f
Siegfriedlied u. Floovent A 50 ff.
53 ff
Druck von J. B. Hirschfeld in Leipzig.
PF
3003
Z5
Bd. 52
Zeitschrift für deutsches
Altertum und deutsche
Literatur
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